Video Visionen: Die Medienkunstagentur 235 Media als Alternative im Kunstmarkt 9783839447062

Die Medienkunstagentur »235 Media« hat seit ihren Anfängen in den frühen 1980er Jahren entscheidenden Einfluss auf die E

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Table of contents :
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Inhalt
Dank
VIDEO VISIONEN – Einleitung
Diskurs | Geschichte
235 – Audio – Video – Media
»Geniale Dilletanten«
Punk – Performance – Kunst
Punk on Video
Von der Musik zu Video zu Videokunst
Video | Kunst | Vertrieb
Video Congress
235 Media und der Videoboom der 1980er-Jahre
235 Media als Vertrieb für Videokunst im VHS-Format
Kunst ohne Markt
Video Works Made in Japan
Netz(werk)kunst | Projekte und Kooperationen
Netzwerk-Kunst | Network Art |ネットワーク芸術 innerhalb der Festivals in Fukui 1990-1993
Das Electronic Café International 1992
Video | Kunst | Vermittlung
Fernseh-Utopien und Videokunst
Das kuratorische Konzept der Videonale 5 als Annäherung zwischen Medienkunst und bildender Kunst
Das Neue kuratieren oder: Das neue Kuratieren
235 Media und die Stiftung imai
Anhang
Bibliografie
Abbildungsverzeichnis
Autorinnen
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Video Visionen: Die Medienkunstagentur 235 Media als Alternative im Kunstmarkt
 9783839447062

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Renate Buschmann, Jessica Nitsche (Hg.) Video Visionen

Edition Medienwissenschaft  | Band 62

Renate Buschmann (Dr. phil.) ist Professorin für Digitale Künste und Kulturvermittlung an der Universität Witten/Herdecke. Von 2008 bis 2019 war sie Direktorin der Video- und Medienkunst-Stiftung imai. Nach einer Ausbildung zur Tischlerin studierte sie Kunstgeschichte und Archäologie an der Universität zu Köln, wo sie mit Chronik einer Nicht-Ausstellung. Between (1969-73) in der Kunsthalle Düsseldorf promovierte. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Archivierung, Konservierung und kuratorische Vermittlung von zeitbasierter Kunst. Zuletzt hat sie für die Stiftung imai das Forschungsprojekt über die Medienkunstagentur 235 Media geleitet, das BMBF-Kooperationsprojekt mit der Hochschule Düsseldorf Video Online-Archiv – erschließen/präsentieren/kommunizieren betreut und die Videolounge im NRW-Forum kuratiert. Jessica Nitsche (Dr. phil.) ist Kunst- und Medienwissenschaftlerin an der Universität Paderborn; 2018 hat sie dort die Professur für Medientheorie und Medienkultur vertreten. Zuvor war sie Postdoc-Stipendiatin der Gerda Henkel Stiftung, Research Fellow der Stiftung imai und wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Universitäten Düsseldorf und Frankfurt am Main. Von 2004 bis 2007 war sie Stipendiatin am Graduiertenkolleg Zeiterfahrung und ästhetische Wahrnehmung an der Goethe-Universität Frankfurt, wo sie mit der Studie Walter Benjamins Gebrauch der Fotografie promoviert wurde. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Medien- und Videokunst, Geschichte und Theorie der Fotografie und des Films, das Dokumentarische (Diskursanalyse, Erscheinungsformen, Hybridisierungen) und Konstellationen von Medien, Kunst und Politik.

Renate Buschmann, Jessica Nitsche (Hg.)

Video Visionen Die Medienkunstagentur 235 Media als Alternative im Kunstmarkt

Gedruckt mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf Die Stiftung imai wird gefördert von der Landeshauptstadt Düsseldorf

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: aus dem Vertriebskatalog von 235 Media, Dezember 1983 Lektorat: Renate Buschmann, Jessica Nitsche, Angelika Gwozdz Korrektorat: Markus Pahmeier, Lara Perski (Englisch) Satz: Justine Buri, Bielefeld Druck: Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg Print-ISBN 978-3-8376-4706-8 PDF-ISBN 978-3-8394-4706-2 https://doi.org/10.14361/9783839447062 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt Dank ......................................................................................................................................9 VIDEO VISIONEN — Einleitung Renate Buschmann und Jessica Nitsche....................................................................................11

Diskurs | Geschichte 235 — Audio — Video — Media Symptomatische Namensgebung Jessica Nitsche.........................................................................................................................21

»Geniale Dilletanten« Zum (sub)kulturgeschichtlichen Hintergrund von 235 Media Jessica Nitsche........................................................................................................................ 33

Punk — Performance — Kunst documenta 7 und 8 als Symptom und Schauplatz Jessica Nitsche.........................................................................................................................47

Punk on Video Synergien zwischen Musik, Videokunst und Subkultur Angelika Gwozdz....................................................................................................................... 59

Von der Musik zu Video zu Videokunst Jessica Nitsche........................................................................................................................ 93

Video | Kunst | Vertrieb Video Congress Ein Kollektiv und Magazin künstlerischer Videoaktivist*innen Renate Buschmann..................................................................................................................103

235 Media und der Videoboom der 1980er-Jahre Jessica Nitsche....................................................................................................................... 127

235 Media als Vertrieb für Videokunst im VHS-Format Jessica Nitsche.......................................................................................................................135

Kunst ohne Markt Der Videokunstvertrieb als Alternative zur Galerie Renate Buschmann..................................................................................................................153

Video Works made in Japan Between Art and Entertainment Hiroko Kimura-Myokam............................................................................................................ 167

Netz(werk)kunst | Projekte und Kooperationen Netzwerk-Kunst | Network Art |ネットワーク芸術 innerhalb der Festivals in Fukui 1990-1993 Kooperationen zwischen Keigo Yamamoto und Axel Wirths Hiroko Kimura-Myokam............................................................................................................189

Das Electronic Café International 1992 »the state of the art of network-art« Jessica Nitsche...................................................................................................................... 209

Video | Kunst | Vermittlung Fernseh-Utopien und Videokunst Jessica Nitsche.......................................................................................................................247

Das kuratorische Konzept der Videonale 5 als Annäherung zwischen Medienkunst und bildender Kunst Darija Šimunović..................................................................................................................... 273

Das Neue kuratieren oder: Das neue Kuratieren Die Ausstellungsprojekte von 235 Media Renate Buschmann................................................................................................................. 293

235 Media und die Stiftung imai Ein Interview mit Axel Wirths Hiroko Kimura-Myokam..........................................................................................................311

Anhang Bibliografie...................................................................................................................... 331 Abbildungsverzeichnis............................................................................................... 355 Autorinnen....................................................................................................................... 361

Dank

Das Forschungsprojekt Die Medienkunstagentur 235 Media. Ihre Bedeutung hinsichtlich der Produktionsbedingungen, Ökonomisierung und Internationalisierung von Medienkunst und dieses Buch konnten nur dank der großzügigen Förderung durch die Gerda Henkel Stiftung verwirklicht werden. Wir bedanken uns bei dem verantwortlichen Gremium, namentlich bei Frau Dr. Angela Kühnen, für die Offenheit, dieses unkonventionelle und interdisziplinäre Projekt zu unterstützen. Unser ausdrücklicher Dank gilt Axel Wirths und Ulrich Leistner, den Inhabern von 235 Media, die das Projekt durchgängig mit großem Vertrauen begleiteten, sich viel Zeit für Gespräche nahmen und uns einen umfangreichen Einblick in ihr Firmenarchiv gewährten. Wir danken allen, die mit uns ihre Erinnerungen, ihr Wissen und ihre Ansichten geteilt haben und zu detaillierten Gesprächen und zu ausführlichem E‑Mail-Austausch bereit waren: Dara Birnbaum, Michael Bock, Klaus vom Bruch, Dieter Daniels, Rudi Frings, Bettina Gruber, Ingo Günther, Alexander Hahn, Norbert Meissner, Marcel Odenbach, Rotraut Pape, Ulrike Rosenbach, Boscher Theodor, Trini Trimpop, Maria Vedder und Lori Zippay. Ein Glücksfund während der Recherchen waren Boscher Theodors umfangreiche Videoaufzeichnungen des Electronic Café International, die er uns dankenswerterweise überlassen hat. Ebenfalls möchten wir den Autorinnen danken, die das ambitionierte Vorhaben mitgetragen und durch konstruktive Diskussionen und ihre fundierten Aufsätze zu dessen Gelingen beigetragen haben: Angelika Gwozdz, Hiroko KimuraMyokam und Darija Šimunović.

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Video Visionen

Abschließend möchten wir unserem Lektor Dr. Markus Pahmeier, unserer Lektorin Lara Perski (für den englischen Text) und dem transcript Verlag für die sorgfältige und professionelle Betreuung danken. Dr. Renate Buschmann Direktorin Stiftung imai Forschungsleitung Düsseldorf 2019

Dr. Jessica Nitsche Kunst- und Medien- wissenschaftlerin

VIDEO VISIONEN — Einleitung Renate Buschmann und Jessica Nitsche

Es ist ein bislang wenig beachtetes Phänomen, dass Videokunstvertriebe seit nunmehr über 40 Jahren weltweit existieren. Obwohl die Kunst- und Medienwissenschaften ihre Studien auf den Aspekt des Kunstmarkts und die Relevanz neuer Technologien ausgeweitet haben, hat man erst in den letzten Jahren begonnen, die ökonomischen Verbreitungsstrukturen für zeitbasierte Kunstwerke – zu denen Videokunst zählt – zu erforschen. Das jahrzehntelange Bestehen eines Distributionssystems, das als Reaktion auf die Spezifika von Videokunst geschaffen worden ist, erfährt mehr und mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit.1 Die zweitätige Tagung Video Art Distribution. From Alternative Art Market to Commercialization, die von den Herausgeberinnen im Mai 2018 veranstaltet wurde, hat diese Diskussion mit internationaler Besetzung aufgegriffen und weitergeführt.2 1  V  gl. hierzu: Erika Balsom: After Uniqueness. A History of Film and Video Art in Circulation. New York: Columbia University Press 2017; Julia Knight/Peter Thomas: Reaching Audiences. Distribution and Promotion of Alternative Moving Image. Bristol/Chicago: Intellect 2011; Julia Knight: Unfamiliarity and Difference: The Challenges of Supporting Arts Activity in a New Medium. In: Moving Image Review & Art Journal (MIRAJ), Vol. 6, April–Dezember 2017, S. 38-51; Julia Knight: High Hopes for Video: The UK Independent Film and Video Sector’s Engagement with the Videocassette. In: Post Script, Vol. 35, No. 3, Sommer 2016, S. 55-60; Loop Barcelona/Carolina Ciuti (Hg.): I Have a Friend Who Knows Someone Who Bought a Video, Once. On Collecting Video Art. Mailand: Mousse Publishing 2016; Sven Lütticken: Viewing Copies: On the Mobility of Moving Images. In: e-flux journal, Vol. 8, September 2009, S. 1-9, https://www.e-flux.com/journal/08/61380/viewing-copies-on-the-mobility-of-moving-images/ (07.08.2019). Im Bereich der Museen machte 2005 das ZKM erstmals mit einer Ausstellung und einer Podiumsdiskussion auf die Funktion von Videokunstvertrieben aufmerksam – es blieb eine Ausnahme: Ausstellung Video/Ökonomie. Vertriebe im Weltformat, 01.12.2005 bis 12.03.2006. Vgl. https://zkm.de/de/event/2005/12/video-oekonomie (09.03.2019). 2  D  ie Tagung hat am 8. und 9. Mai in der Stiftung imai (NRW-Forum Düsseldorf) stattgefunden und wurde von der Gerda Henkel-Stiftung gefördert. Als Referent*innen waren neben den Herausgeberinnen beteiligt: Lori Zippay, Ulrike Rosenbach, Norbert Meissner, Julia Knight, Hiroko Kimura-Myokam, Rotraut Pape, Dieter Daniels, Rolf Quaghebeur, Gaby Wijers, David Gryn, Julia Sökeland und Olaf Stüber. Die Grußworte sprachen Axel Wirths (Gründer und Direktor von

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Renate Buschmann und Jessica Nitsche

Die Stiftung imai hatte 2015 ein Forschungsprojekt angestoßen, das erstmals das Wirkungsfeld des Videokunstvertriebs 235 Media systematisch aufgearbeitet und im Kontext der Medienumbrüche in den 1980er- und 1990er-Jahren untersucht hat. Dafür bot sich dort eine hervorragende Quellenlage, denn die Stiftung imai erhielt bei ihrer Gründung 2006 das gesamte Videokunstarchiv von 235 Media und macht es seitdem der Forschung zugänglich. Anlass für das Projekt war auch, dieses Videoarchiv in seiner Konstellation und seiner Fokussierung auf bestimmte Künstler*innen, Länder und Trends aus der Perspektive des seit Mitte der 1980er-Jahre expandierenden Videokunstvertriebs 235 Media verstehen zu wollen. Denn das Videoarchiv ist nicht vergleichbar mit musealen Sammlungen, von denen die meisten gut zwei Jahrzehnte später mit einem zögerlichen Ankauf von kunsthistorisch bereits abgesicherten Videokunstwerken begannen. Stattdessen spiegelt sich in diesem Videoarchiv die enorme Spannweite der damaligen boomenden und experimentierenden Videokunstszene wider, die wesentliche Impulse setzte, aber kaum Eingang in Kunstsammlungen fand. Die technischen Innovationen und die soziokulturellen Umstände der 1970erund 1980er-Jahre gaben Videokünstler*innen und einigen wenigen Galerist*innen und Kurator*innen den Impuls, in Abgrenzung zum traditionellen Kunstmarkt alternative Produktionsorte und Vertriebswege zu eröffnen. In Deutschland hatte die Medienkunstagentur 235 Media, 1982 gegründet von Axel Wirths und Ulrich Leistner, seit ihren Anfängen entscheidenden Einf luss auf diese Entwicklungen, die unmittelbar mit dem Auf kommen der neuen technologiebasierten Sparte Video- und später Medienkunst zusammenhängen. 235 Media formierte sich nicht innerhalb des etablierten Kunstbetriebs, sondern aus Subkulturen heraus, auf der Basis von Medienutopien wie auch in enger Verbindung zur Musikkultur der 1980er-Jahre. Die Medienkunstagentur hat nicht nur zahlreiche deutsche und internationale Künstler*innen mit ihren Videos und komplexen medialen Installationen vertreten, sondern diese auch als technischer Dienstleister unterstützt. Zu ihren Aktivitäten zählten – um nur eine kleine Auswahl zu nennen – die Verbreitung von Medienkunst durch das Fernsehen, die Edition des Video-Magazins Video Congress, der Auf bau internationaler Vertriebsstrukturen, Festivalbeteiligungen und Ausstellungen. Darüber hinaus hat 235 Media mit dem Electronic Café International technische Vernetzungsstrategien in künstlerischem Kontext umgesetzt. Indem 235 Media an Produktions-, Verbreitungs- wie auch kuratorischen Prozessen mitwirkte bzw. diese initiierte und im Geiste Walter Benjamins 235 Media) und Thilo Gabor (Vorstandsvorsitzender der Stiftung imai). Videomitschnitte der Vorträge sind im Wissenschaftsportal L.I.S.A. der Gerda Henkel Stiftung einsehbar: https://lisa. gerda-henkel-stif tung.de/video_art_distribution._from_alternative_art_market_to_commer cialisation_inter_media_art_institute_imai?nav_id=7955 (01.03.2019).

VIDEO VISIONEN – Einleitung

mit der Zielsetzung einer Demokratisierung der Künste agierte, ist sie selbst zu einem wichtigen Element innerhalb der Medienkunstgeschichte geworden. Benjamin war insofern ein Vordenker der zeitbasierten Künste, als er in seinem Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit bereits 1936 den Film zum Inbegriff des zeitgemäßen Kunstwerks erklärte. Als der Text 1963 erstmalig in deutscher Sprache erschien, wurde er im links-intellektuellen Klima der 1968er-Bewegung geradezu als »endlich eingetroffene Botschaft der Politisierung der Kunst, sozusagen als kulturrevolutionäre Bombe im Überbau, gefeiert«3. An die Stelle des auratischen und mit Kultwert ausgestatteten Originalkunstwerks wollte Benjamin das reproduzierbare treten lassen, das nicht nur einige wenige, sondern potenziell alle Menschen erreichen sollte. Die im Kunstdiskurs viel beschworene Aura des Kunstwerks wird von Benjamin in diesem Text verabschiedet (ihr Verlust wird nicht etwa bedauert, sondern für fällig erklärt).4 Was Benjamin seinerzeit auf Film (und auch Fotografie) bezogen hat, wurde in den 1970er- und 80er-Jahren von der Videoszene begeistert aufgegriffen. Denn durch die zunehmend kostengünstigere und leichter handhabbare Videotechnik entstanden noch einmal neue Möglichkeiten, reproduzierbare Kunstwerke zu schaffen. Bei Ulrike Rosenbach heißt es dazu: »In unseren Köpfen hatte sich Walter Benjamin festgesetzt mit seiner Theorie der Vervielfältigung des Kunstwerks, der Idee, die zuließ, daß nicht nur einige reiche Bürger Kunst besitzen könnten oder einige Sammlungen und Museen. Es war der Gedanke: ›Kunst für alle‹ durch Reproduktion und Serienanfertigung.«5 Die vorliegende Studie über die Bedeutung von 235 Media zeigt, dass deren Tätigkeitsfeld weitaus mehr umfasste als den Verleih und Verkauf von medialen Kunstwerken. Denn um ein neues Marktsegment wie Video- und Medienkunst einzuführen, war es zunächst wichtig, tragfähige Vertriebskonditionen für reproduzierbare Kunst aufzustellen sowie nationale und internationale Kooperationen und Netzwerke aufzubauen. Aus Sicht der heutigen Internet-Ära mit grenzenloser Self-Promotion und globaler Verbreitung von Informationen, Bildern und Videos ist es nur schwer nachvollziehbar, welche enormen Anstrengungen die damaligen Protagonist*innen unternehmen mussten, um im Präinternet-Zeitalter ein funktionierendes Netzwerk abseits des Mainstream-Kunstsystems zu errichten. Die Geschichte der zeitbasierten Kunst kann nur unter der Voraus3  B  urkhardt Lindner: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: ders. (Hg.): Benjamin Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart: Metzler 2006, S.  229-251, hier S. 232. 4  V  gl. dazu ausführlich Jessica Nitsche: FILMKUNST. Wie Benjamin den Film denkt. In: Christian Schulte u.a. (Hg.): Walter Benjamin und das Kino. Wien: Böhlau 2018, S. 30-59. 5  U  lrike Rosenbach: Video als Medium der Emanzipation. In: Wulf Herzogenrath (Hg.): Videokunst in Deutschland: 1963-1982. Videobänder, Installationen, Objekte, Performances. Stuttgart: Gerd Hatje 1982, S. 99-102, hier S. 99.

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Renate Buschmann und Jessica Nitsche

setzung geschrieben werden, dass die Netzwerke und merkantilen Strukturen berücksichtigt werden, die den kuratorischen und musealen Umgang mit solchen Kunstwerken beeinf lusst haben. Besondere Aufmerksamkeit widmet die Studie den 1980er- und 1990er-Jahren. Für diese zwei Jahrzehnte ist kennzeichnend, dass sich die in ihren Anfängen wenig arrivierte Medienkunst aus ihrem Nischendasein emanzipierte, eine Ökonomisierung dieser Kunstform einsetzte und die Herausforderung ihrer Musealisierung wie auch Archivierung immer relevanter wurde. Darüber hinaus fällt in diese Zeit die letzte Phase der Prähistorie des Internets, in der bereits Strukturen globaler medialer Vernetzung und Netzkunst ›gedacht‹ und ohne die wenig später expandierenden Möglichkeiten des Internets genutzt wurden. Seit ihrer Gründung im Jahr 1982 hat sich 235 Media diesen Tätigkeitsfeldern sukzessive und jeweils auf der Höhe der medientechnischen Entwicklungen zugewandt und sie in vielfältigen Ausstellungs- und Vermittlungsprojekten umgesetzt. Damit leistet die Studie auch einen Forschungsbeitrag zur historiografischen Erfassung technisch generierter Kunstformen.

Vertrieb 235 Media gehörte in Europa zu den Pionieren des institutionalisierten Verleihs und Verkaufs von Videokunst. Nach dem Vorbild der 1971 gegründeten New Yorker Vertriebsagentur Electronic Arts Intermix (EAI)6 und der Amsterdamer Initiativen MonteVideo (1978) und Time Based Arts (1983)7 beabsichtigte 235 Media, nicht nur den Verkauf, sondern insbesondere auch die Produktion und den Verleih von Videokunst zu forcieren. Das Geschäftsmodell orientierte sich an den veränderten Konditionen der Herstellung und des Marktes, die aus technologiebasierter Kunst resultierten. Für die Anfertigung und Präsentation der Kunstwerke wuchs die Anforderung eines fundierten technischen Know-how. Erst durch die Reproduzierbarkeit von Videobändern war die Voraussetzung für den Auf bau eines Verleihsystems geschaffen worden. Bereits in den 1970er-Jahren hatten sich in Deutschland einige wenige Galerien auf Videokunst spezialisiert, die sich jedoch im traditionellen Kunstmarkt noch nicht durchsetzen ließ. Zu ihnen gehörten die Fernseh- und Videogalerie von Gerry Schum in Düsseldorf (1969 bis 1973), das Video-Studio mit Galerie von Ingrid Oppenheim in Köln (1973 bis 1979) und die Studiogalerie von Mike Steiner in Berlin (1974 bis in die 1980er-Jahre). In Abgrenzung zu ihnen bestand die Motivation von 235 Media darin, neue Mechanismen für die Produktion und Verbreitung von zeit- und technologiebasierter Kunst zu 6  Vgl. https://www.eai.org (04.03.2019). 7  Heute LIMA, www.li-ma.nl/site/about (04.03.2019).

VIDEO VISIONEN – Einleitung

entwickeln, die der Spezifik dieser Kunstform Rechnung tragen konnten. 235 Media stellte insofern mehr als eine Alternative zu traditionellen Kunstgalerien dar, als die Agentur insbesondere auch als Schnittstelle fungierte, um die Umsetzung künstlerischer Ideen mithilfe innovativer Technologie zu ermöglichen.

Projektentwicklung 235 Media hat seit ihrer Gründung mit zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern zusammengearbeitet und sie bei der technischen Realisierung und Präsentation ihrer medienkünstlerischen Ausstellungsprojekte unterstützt. Seit den 1990er-Jahren machte es sich die Medienkunstagentur zur Aufgabe, in Zusammenarbeit mit den Künstler*innen Lösungen für technisch hochkomplexe Installationen zu finden und ihnen den Zugang zu neuen Technologien zu ermöglichen. Deutschlandweit war die Medienkunstagentur mit dieser Ausrichtung lange Zeit ein singuläres Phänomen. Aus kunsthistorischer Perspektive befand sich 235 Media mit diesem Konzept in der Nachfolge der renommierten Initiative Experiments in Art and Technology (E.A.T.) – einer gemeinnützigen Organisation von Künstler*innen und Techniker*innen, die sich auf Anregung unter anderem von Robert Rauschenberg und Billy Klüver 1966 in New York gebildet hatte und bis 1981 aktiv blieb. E.A.T. engagierte sich für interdisziplinäre Kooperationen zwischen Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Techniker*innen, mit der Absicht, kreative Prozesse und Ideen durch wissenschaftliche und technische Forschungen voranzutreiben und eine Aufgeschlossenheit für aktuelle Technologien in der bildenden Kunst herbeizuführen. In Deutschland hatten sich das 1989 eröffnete ZKM (Zentrum für Kunst und Medien) in Karlsruhe und die 1990 gegründete KHM (Kunsthochschule für Medien) in Köln einer solchen Agenda verschrieben. Die Ausstellungsinstitution ZKM bot interessierten Künstler*innen das angegliederte Institut für Bildmedien als Experimentierbühne und Laboratorium im Bereich der Informationstechnologie an. Als erste deutsche Hochschule erhielt die KHM den Auftrag, in der künstlerischen Ausbildung und Forschung zu einem Brennpunkt für mediale und intermediale Kunstproduktion zu werden. Neben diesen richtungsweisenden Forschungseinrichtungen war 235 Media bundesweit für viele Jahre der einzige technologische Dienstleister, der mit Sachkenntnis und Experimentierfreudigkeit auf die exzeptionellen Ansprüche künstlerischer Produktion einzugehen verstand.

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Renate Buschmann und Jessica Nitsche

Vermittlung Der Wirkungsbereich von 235 Media beschränkte sich nicht allein auf den Kunsthandel und die Produktionsentwicklung medialer Kunstwerke, sondern dehnte sich sukzessive auf den internationalen Ausstellungs- und Festivalsektor aus. Nachdem 235 Media in den 1980er-Jahren zahlreiche nationale und internationale Künstler*innenkontakte und -kooperationen aufgebaut hatte, wurde die Kompetenz der Agentur bald auch für Ausstellungen, Screenings und Projekte mit Medienkunst angefragt. Axel Wirths hat zahlreiche Ausstellungen kuratiert, an Festivalprogrammen mitgewirkt und sich für ein größeres Interesse und Verständnis für Medienkunst in Museen und in der Öffentlichkeit engagiert. 1992 leitete er die Videonale 5 in Bonn und organisierte zusammen mit der Künstlergruppe Pentagon bis 1993 das mobile Electronic Café International auf der documenta 9, der Biennale Venedig und im Media Park Köln. Von 1993 bis 1999 kuratierte Wirths das Programm für den MedienKunstRaum in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland und übernahm im Jahr 2000 die künstlerische Leitung der Ausstellung vision.ruhr in Dortmund.

Das Forschungsprojekt Das Forschungsprojekt ging der Frage nach, mit welchen Vertriebs-, Produktions- und Vermittlungsstrategien 235 Media auf die neuen Anforderungen der Video- und Medienkunst in den 1980er- und 1990er-Jahren reagiert hat. Die Studie legt nun die Produktions- und Präsentationsbedingungen, die technischen Erfordernisse und Innovationen sowie die Vermittlungskanäle und Verbreitungsmodi für diese Jahrzehnte offen. Diese Aspekte werden in Beziehung gesetzt zu den kunst- und medientheoretischen wie auch zeitgenössischen Diskursen, die medienkünstlerische Schaffensprozesse begleitet haben. Neben dem Videokunstbestand der Stiftung imai und der Forschungsliteratur wurde auf weitere Quellen zurückgegriffen. So haben sich die zahlreichen außerhalb des etablierten Kulturbetriebs entstandenen Fanzines als sehr informativ erwiesen. Auch von Privatpersonen betriebene Blogs und Plattformen förderten Material zutage, das nie Eingang in offizielle Archive gefunden hat. Von besonderem Wert für die Recherchen waren auch die vielfältigen schriftlichen Archivalien aus dem Archiv der Stiftung imai – die sogenannte ›graue Literatur‹ (Flyer, Broschüren, Korrespondenzen mit Künstler*innen etc.). Folglich konnte die Studie zahlreiche Informationen über Vertriebswege, Produktionen, Veranstaltungen, Konzerte und Rezensionen berücksichtigen, die in der Forschung bislang keine Beachtung fanden, wie zum Beispiel die von 1984 bis 1986 betriebene Videogalerie

VIDEO VISIONEN – Einleitung

von Michael Bock in Berlin.8 Dies gelang darüber hinaus durch die zahlreichen Gespräche mit Protagonist*innen der Video- und Medienkunstszene.9 Die Kontexte, in die 235 Media eingebunden war, wurden vielfach untersucht (verwiesen sei beispielsweise auf die einschlägigen Studien von Rudolf Frieling, Wulf Herzogenrath und Dieter Daniels). Die vorliegende Studie trägt dem Desiderat Rechnung, die Tätigkeitsfelder wie auch die Rolle der Medienkunstagentur für diese Zusammenhänge systematisch zu erforschen. Denn am Phänomen 235 Media können akzentuiert und exemplarisch die Wechselwirkungen zwischen Medienkunstproduktion, Kunstmarkt, Ausstellungsgeschehen und kuratorischer Vermittlungsarbeit untersucht werden.10

Video Visionen 1977 erschien das Buch Video-Visions: A Medium Discovers Itself, in dem der Autor Jonathan Price, ein amerikanischer Künstler und Journalist, die Atmosphäre jenes technologischen Auf bruchs zusammenfasst.11 Price erläutert die Bedeutung der damals brandneuen Videotechnologie für diverse gesellschaftliche Bereiche wie zum Beispiel ihre Verwendung in der Industrie, beim Militär und in Überwachungssystemen sowie in Bildung, Medizin und der gewöhnlichen Unterhaltung. Nicht zuletzt richtet er sein Augenmerk auf Künstler*innen, die sondierten, wie mit dem Medium Video eine Art von Do-it-yourself-Fernsehen geschaffen werden kann. Allein vom technischen Standpunkt aus war Video eine Errungenschaft, die sowohl im Vergleich zum Spielfilm als auch zum Experimentalfilm ein wesentlich breiteres Repertoire an Bildherstellung und Postproduktion ermöglichte: Neben Aufnahmen in ›real time‹ und in ›taped time‹ konnte Found Footage verwendet werden, ebenso wie vollständig artifizielle Bildproduktionen. 8  B  eispiele für diese Art von Quellen sind die Plattformen www.punkfanzines.de/und www.dis cogs.com/. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf das Berliner Archiv der Jugendkulturen (www.jugendkulturen.de/fanzines.html) und auf das Archiv für alternatives Schrifttum in Duisburg (http://afas-archiv.de/) (09.03.2019). 9  A  usführliche Gespräche und E‑Mail-Korrespondenzen wurden geführt mit Dara Birnbaum, Michael Bock, Klaus vom Bruch, Dieter Daniels, Rudi Frings, Bettina Gruber, Ingo Günther, Alexander Hahn, Ulrich Leistner, Norbert Meissner, Rotraut Pape, Marcel Odenbach, Ulrike Rosenbach, Boscher Theodor, Trini Trimpop, Maria Vedder, Axel Wirths und Lori Zippay. 10  I nsgesamt haben fünf Autorinnen Beiträge zu diesem Buch verfasst. Damit ist gewonnen, dass der Forschungsgegenstand aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen Schwerpunkten bearbeitet werden konnte. Damit geht jedoch auch einher, dass thematische Überschneidungen an einigen Stellen unvermeidbar waren und beibehalten wurden, damit die Einzelbeiträge auch für sich genommen nachvollziehbar bleiben. 11  Jonathan Price: Video-Visions. A Medium Discovers Itself. New York: New American Library 1977.

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Renate Buschmann und Jessica Nitsche

Prices Perspektive war nach vorn gerichtet, als er mit Video-Visions die Zuversicht beschrieb, die seinerzeit mit Video als Zukunftstechnologie verbunden war. Wir haben diesen Titel wieder aufgegriffen, weil in ihm der Optimismus vieler Akteurinnen und Akteure der damaligen Kunstszene zum Ausdruck kommt, mittels Video- und Medienkunst sowie innovativer Vertriebs- und Vermittlungswege neue Rezipient*innen- und Käufer*innenkreise zu gewinnen – was, wie wir heute wissen, eine Vision geblieben ist. Die damaligen Visionen, Synergien von Kunst und innovativen Technologien herzustellen und dauerhaft in der Kunst zu verankern, haben hingegen zu einer signifikanten Erweiterung des Kunstbegriffs beigetragen und neue Realitäten in der zeitgenössischen Kunstproduktion geschaffen.

Diskurs | Geschichte

— Audio — Video — Media Symptomatische Namensgebung Jessica Nitsche

235 Media formierte sich nicht innerhalb des etablierten Kunst- und Medienbetriebs, sondern vielmehr auf der Basis von Medienutopien und auch in enger Verbindung zur Independent-Musikkultur der 1980er Jahre. Axel Wirths hat diese Ursprungsgeschichte jüngst in einem Radiobeitrag wie folgt auf den Punkt gebracht: »Die Idee wuchs eigentlich daraus, dass wir alle Videoaktivisten und Musiker waren und sich keiner mit der Struktur, dem Aufführen oder mit dem Vertrieb auseinandergesetzt hatte. Und ich will’s mal ganz einfach sagen: Wir – also der Ulrich Leistner und ich – wir waren schlechte Künstler aber gute Organisatoren. Und so sind wir langsam aber stetig da hineingewachsen.«1 Es war also zunächst die Idee einer Künstlerselbsthilfe aus eigenem Interesse, die der Gründung von 235 Media zugrunde liegt. Diese bestand darin, der monopolistischen Vermarktung durch die Musikindustrie eigene und andere Vertriebsstrukturen entgegenzusetzen. Die Wurzeln von 235 Media sind folglich in der Independent-Musikszene zu verorten. Dass diese Idee übertragbar ist auf andere reproduzierbare künstlerische Medien, damals insbesondere Video, hat 235 Media unmittelbar erkannt und genutzt.2 Die ›offizielle‹ Gründung der Medienkunstagentur fällt in das Jahr 1982, ein Prozess, den Axel Wirths wie folgt beschreibt: »[…] von 1979 bis 1982 entwickelte sich das Ganze langsam zu etwas, das man ein ›Unternehmen‹ nennen kann. Ich glaube, das erste Jahr, in dem wir

1  A  xel Wirths in: Claudia Richter: Medienkunstarchiv imai in Düsseldorf, WDR 5 Scala – Hintergrund Kultur. 16.08.2019, https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-scala-hintergrund/audiomedienkunstarchiv-imai-in-duesseldorf-100.html (29.08.2019). 2  V  gl. Axel Wirths im Interview mit Wolfgang Dopp und Ulrike Reinhard: Absatzmarkt Medienkunst II. Erstveröffentlicht in: Monika Fleischmann/Ulrike Reinhard (Hg.): Digitale Transformationen. Medienkunst als Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Heidelberg: Whois Verlags- und Vertriebsgesellschaft 2004, S. 185-189 (http://netzspannung.org/ media-art/publications/digital-transformations/, 04.03.2019).

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Steuern gezahlt haben, war 1982.«3 Eine der ersten Werbeanzeigen von 235 Media erschien in der 7. Ausgabe der Spex, im Juli 1982. Bis 1983 ist der Sitz von 235 Media – die sich in dieser Zeit noch 235 nannte – in Hennef, darüber hinaus gibt es ein kleines Ladenlokal im nahegelegenen Bonn (Oxfordstraße). Das Angebot besteht in dieser Anfangsphase in erster Linie aus Audiokassetten, jedoch auch bereits aus einer kleinen Anzahl von Musik-Videos. Bereits im Jahr 1983 wird 235 in dem Fanzine Lautt als »Deutschlands größte[r] Cassettenvertrieb«4 vorgestellt, der darüber hinaus Platten, Fanzines, Szene-Kleidung (»extreme Mode«5) und vieles mehr angeboten hat. Stiev Colombier, damals wohnhaft in Bonn, schreibt über den dortigen Laden: »235 war in einem dreieckigen Winzladen mitten in der Bonner Innenstadt. Hauptsächlich wollten die wohl die Mode von den Mitarbeitern verkaufen, aber es gab auch viele Tapes obskurster Art und Videos aus fragwürdigen Quellen bzw. mit merkwürdigen Inhalten (mehr so Industrial-Kram).«6 Nur am Rande sei erwähnt, dass der sogenannte ›Kassettenuntergrund‹ der 80er-Jahre aktuell wieder in den Fokus rückt. So entsteht im Jahr 2014 unter dem Titel Science Fiction Park Bundesrepublik eine Kompilation aus »German Homerecording Tape Music of the early 80s«, von dem unabhängigen Musikvertrieb INDIGO auch beschrieben als Zeitdokument alternativer Geschichtsschreibung.7 3 235 Media und imai. Ein Interview mit Axel Wirths von Hiroko Kimura-Myokam. Erstveröffentlichung in diesem Band, S. 311-328, hier S. 317. 4  H  ank Ewalds: Die Atlantik-Freischwimmer vom Goldbergsee zum Ozean. In: Lautt, Nr. 4, 1983, S. 12-13, hier S. 12. 5  V  gl. die Vorstellung von 235 Media in dem Fanzine 59 to 1. visuell & akustisch, Nr. 2, 1984, S. 19, in diesem Band Abb. 3 in dem Kapitel Von der Musik zum Video zur Videokunst, S. 97. 6  S tiev Colombier im Interview: Ich war Musikant mit dem Taschenrechner in der Hand. In: Günter Sahler (Hg.): Neue deutsche Erinnerungswelle. Edition Blechluft 2. Lindlar: Günter Sahler Verlag 2011, S. 165-174, hier S. 174. 7  V  gl. www.indigo.de/unser_programm/titel/99413/ (04.03.2019). »Wem Bandnamen wie Kleines Schwingvergnügen, Defekte Parkuhren, Hirsche nicht aufs Sofa, Chemische Ameisenscheiße oder gar Neros Tanzende Elektropäpste nicht geläufig sind, dem sind mit großer Sicherheit auch die Labels Klar! 80, Cassetten Combinat, Datenverarbeitung, Wahrnehmungen, Intoleranz! oder Graf Haufen Tapes unbekannt. Kein Wunder, stammen sie doch aus einer längst vergangenen Zeit, als das 4-Spur-Kassetten-Studio zur Schießscharte, zum Blitzableiter und zum magnetischen Zeugen der Angst vor einem drohenden Atomkrieg wurde. Kurz: aus dem deutschen Kassettenuntergrund der frühen 1980er. Und eben den bringt nun Felix Kubin via ZickZack mit 25 obskuren, zum Teil unveröffentlichten (Post-)Punk-Tracks zu Gehör. Die von ihm kompilierte CD/2LP versammelt schnell, direkt und in Heimarbeit entstandene ›German Homerecording Tape Music of the early 80s‹, die unter Zuhilfenahme allerlei Geräuschmittel wie Ofenblechen, Spielzeugen, Trillerpfeifen oder Plattenspielern bizarre Fantasien, Aggressionen, Ängste und Frustrationen auf den Punkt bringen. Science Fiction von gestern.« Ebd.; zu dieser Kompilation vgl. auch Michael Terbein: Rauschen am laufenden Band. In: Jungle World, Nr. 50, 11.12.2014. http://jungle-world.com/ artikel/2014/50/51092.html. Zur Kassettenkultur vgl. darüber hinaus Jan Drees/Christian Vorbau

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Diedrich Diederichsen beschreibt die Zeit, in der 235 Media sich gründet, wie folgt: »Es waren zwei fruchtbare Jahre, die nun kamen: 1981 und 1982. Strukturen entstanden, sowie immer mehr Bands und Vertriebe. […] Eine Kassettenszene entwickelte sich, die selbst noch unterhalb der eh niedrigen Schwellen der Indie-Labels operierte, die ihrerseits durch die Bank nach der Maxime des Hamburger Zickzack-Programms ›Lieber zuviel als zu wenig‹ arbeiteten. Diese Kassettenlabels veröffentlichten in großer Zahl die inspirierten und durchgeknallten Taten von überdrehten Teenagern in Kellern von Provinzreihenhäusern.«8 Das subversive Potenzial der Kassette und ihre Verbindung zur Punk-Bewegung stellt Justin Hoffmann heraus: »Mit der Entstehung des Punk wurde die Kassette als billigster und deshalb für alle leicht zugänglicher Tonträger (wieder)entdeckt. Moderne Kassettenrekorder hatten in jener Zeit ein Doppeldeck, zum Kopieren einer Kassette und eine Aufnahmefunktion – alles, was zur Vervielfältigung von Musik notwendig war. […] Dabei war die Kassette an sich kein Underground-Medium. Auch die großen Konzerne gaben Musikkassetten heraus. Allerdings wurde erst mit Punk ihr subversives Potenzial erkannt. […] Auf ihr sollte Material von Bands veröffentlicht werden, das die Plattenfirmen gewöhnlich nicht publizierten […].«9 Die Schwierigkeit des Vertriebs von Audiokassetten dokumentiert ein Artikel aus dem Fanzine 59 to 1. visuell & akustisch von 1984, in dem zugleich die Begeisterung dafür kundgetan wird, dass 235 Media trotz dieser Schwierigkeiten daran festhielt: »Lobend erwähnen sollte man noch, daß 235 einer der raren professionellen (im positiven Sinne!) Vertriebe ist, der sich noch immer um ein Gebiet kümmert, das die anderen größeren Vertriebe schon längst wegen mangelnder Käufernachfrage links liegen lassen: das Gebiet der heimischen Cassettenproduktion. Auch hier bietet 235 eine geschmackssichere Auswahl.«10 Der Bestand wie auch die frühen Aktivitäten von 235 sind sehr anschaulich dokumentiert in zwei Vertriebskatalogen aus dem Jahr 1983.11 Hier wird deutlich, dass nicht nur der Vertrieb im Vordergrund stand, sondern vielmehr das Anliegen (Hg.): Kassettendeck. Soundtrack einer Generation. Frankfurt a.M.: Eichborn 2011 und Günter Sahler: Edition Blechluft 4: »Kassette sich wer kann«. Edition Blechluft 4. Lindlar: Günter Sahler Verlag 2011. 8  D  iedrich Diederichsen: Genies und ihre Geräusche: Deutscher Punk und Neue Deutsche Welle 1978-1982. In: Leonhard Emmerling/Mathilde Weh (Hg.): Geniale Dilletanten. Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland. Ostfildern: Hatje Cantz 2015, S. 10-22, hier S. 22. 9  D  ustin Hoffmann: DIY als Gegenstrategie zur kommerziellen Kultur. In: Emmerling/Weh: Geniale Dilletanten, S. 142-145, hier S. 144-145. 10  T.D.: 235. In: 59 to 1. visuell & akustisch, Nr. 2, 1984, S. 19. 11  H  ochgeladen wurden die beiden Vertriebskataloge von Mai und Dezember 1983 innerhalb der Internet-Plattform discogs (https://www.discogs.com/label/54602-235, 14.09.2015). Discogs, im Jahr 2000 von Kevin Lewandowski ins Leben gerufen, ist Datenbank und Verkaufsforum zugleich.

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›radikaler Information‹ über die aktuellen Entwicklungen innerhalb der Independent-Musik, beispielsweise durch Listen von Zeitschriften, Büchern, Konzerten und Fanzines. Bemerkenswert ist, wie international ausgerichtet 235 zu Beginn der 1980er-Jahre bereits gearbeitet hat. Im Vertriebskatalog finden sich neben dem Angebot aus Westdeutschland Produkte aus den Niederlanden, England, Belgien, Italien, Spanien, Frankreich, Japan, Skandinavien, USA und Australien. Besonders groß wie auch gefragt war das Angebot aus England. Der Vertrieb wurde auf dem Postweg abgewickelt. Das Medium der Fanzines – in Eigenregie hergestellte und durch das kostengünstige Fotokopierverfahren möglich gewordene Magazine von und für Fans bzw. von der spezifischen Szene für diese selbst – spielt innerhalb der (Musik-)Szene, aus der heraus 235 Media erwachsen ist, eine bedeutende Rolle. Da Fanzines ›jenseits‹ der offiziellen Buch- und Zeitschriftenkultur entstehen, sind sie weniger gut recherchier- und verfügbar.12 In Deutschland erschien 1977 das erste deutsche Punk-Fanzine The Ostrich, dessen Titel wörtlich übersetzt den Vogel Strauß bezeichnet, hier jedoch zugleich eine Anspielung auf den CSU-Politiker Franz Josef Strauß war. In dem von Wolfgang Müller nach dem gleichnamigen Festival in Berlin herausgegebenen Band Geniale Dilletanten findet sich unter dem Titel … und Bedeutung der Literatur im genialen Dilletantismus auch ein kleiner Text über Fanzines. Darin heißt es: »[…] was hier drinsteht kann doch jeder Idiot und Wasserkopp, der sich ein bißchen auf Konzerten rumtreibt zusammenschmier’n. Sucht man sich einfach nen einigermaßen abgefahrenen Spruch aus, und benennt danach das Blättchen […] Dann vielleicht ein paar Schallplattenkritiken und Hitparaden ein paar Parodien auf’n Papst, Strauß und den SCHEISSstaat. Das beste aller Blättchen ist fertig.«13 So salopp wie selbstironisch diese Beschreibung auch ist, bringt sie doch einige zentrale Charakteristika der damaligen Fanzines auf den Punkt: Selbstorganisation, Entstehen aus einer spezifischen Szene heraus, eine staats-, religionsund mainstreamkritische Haltung, den Willen zu Individualität und Originalität. Ab 1984 verlagerte sich der Standort von 235 Media von Bonn nach Köln. Das Büro befand sich in der Spichernstraße 61. Dort gab es auch einen Sichtungsraum für potenzielle Käufer*innen und Kurator*innen, die sogenannte 235 Video Galerie. Dieser Ort war zu jener Zeit eine wichtige Informationsquelle wie auch

12  E ine Institution, die Fanzines sammelt und archiviert, ist das Berliner Archiv für Jugendkulturen e.V., vgl. www.jugendkulturen.de/Intro.html (14.09.2015); vgl. außerdem www.punkfanzines. de/index.html (14.09.2015) und: Paul Ott/Hollow Skai (Hg.): Wir waren Helden für einen Tag. Aus deutschsprachigen Punk-Fanzines 1977-1981. Reinbek: Rowohlt Taschenbuchverlag 1983. 13  Z  itiert nach Mutfak: Über die Inhalte und Bedeutung der Literatur im genialen Dilletantismus. In: Wolfgang Müller (Hg.): Geniale Dilletanten. Berlin: Merve 1982, S. 81-83, hier S. 83 (Originalquelle: Kunstgruft [Punkfanzine], Nr. 4, 1/2, 1981, o.S.).

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Präsentationsmöglichkeit für Videokünstler*innen und für einen an Videokunst interessierten Kreis von Insidern.14 Darüber hinaus gab es ein Ladenlokal in der Bonnerstr. 60, wo auch Aktionen und Performances stattfanden. Im Archiv der Stiftung imai finden sich beispielsweise Videoaufnahmen der Ausstellung Hüten Sie sich! Hüte-Video-Diashow im Juli 1984 und einer Schaufensterperformance mit einer lebenden Schlange. Im Jahr 2000, als bereits die Tätigkeit als Medienkunstagentur im Vordergrund stand, bezog man Büros und Werkstätten Am Kölner Brett 6 (bis heute Sitz von 235 Media). Abb. 1: 235: Kompilation: Bolsche Vita (1984)15

Hinsichtlich der Namen stößt man mit Blick auf die Geschichte der Agentur auf eine erstaunliche Vielfalt der Selbstbezeichnungen. Insbesondere in den ersten Jahren wird oft auch nur die Zahl 235 als Name verwendet, darüber hinaus 235

14  Für diesen Hinweis danke ich Norbert Meissner und Ulrich Leistner. 15  E ine kurze Besprechung des Samplers von Peter Pimm findet sich in dem Fanzine Independance, Nr. 2, 1985, S. 19.

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Video, 235 Audio, 235 Edition, 235 Media Art – es scheint, als habe man anfangs für jede Produktlinie einen neuen Firmennamen erfunden.16 In der Geschichte der Namensgebung von 235 spiegeln sich Mediengeschichte und Zeitgeist. Insbesondere der Wandel von 235 Video zu 235 Media kann als symptomatisch bezeichnet und auf die Verschiebung des Begriffs der Videokunst hin zu dem der Medienkunst bezogen werden. Dieter Daniels bezeichnet Video – analog zu den späteren digitalen Medien – als ›unspezifisches Medium‹, das »alle vorhandenen Formate integriert, adaptiert und zunächst unbemerkt, dann immer deutlicher auch transformiert«17. Die Etablierung der Videokunst vollzieht sich außerdem auf der Grundlage eines sich im Lauf der 1980er-Jahre verändernden Werkbegriffs, in dem die Reduktion auf Gattungen, Einzelmedien und deren Medienspezifik aufgehoben und auf komplexe Arrangements und Installationen ausgedehnt wird.18 Dieser Veränderung wird der Begriff der Medienkunst eher gerecht. Denn er macht im Gegensatz zu dem der Videokunst sichtbar, dass es um die Integration verschiedener Medien geht und auf diesem Wege auch traditionelle Begriff lichkeiten (Werk, Gattung etc.) infrage zu stellen und durch neue Terminologien abzulösen oder zu ergänzen sind. Daniels konstatiert, im Zentrum der Medienkunst stehe der »techno-soziale Kontext der Kommunikationstechnologien und ihre ökonomischen, politischen und kulturellen Effekte«19, er stellt heraus, dass unter dem Begriff der Medienkunst die »jeweils einem spezifischen Medium gewidmeten Kunstformen Video-, Computer- und Netzkunst inter- und transmedial ›wiedervereinigt‹«20 werden. Den Begriff der Videokunst kennzeichnet er auf dieser Grundlage ganz explizit als historischen Begriff: »Mit dem eingangs für die 1990er Jahre beschriebenen Weg aus dem Nischendasein und der Etablierung in der Welt der Museen, Biennalen und Galerien wird der Begriff ›Videokunst‹ zunehmend unscharf. Die historischen Ab- und Eingrenzungsbewegungen greifen nicht mehr; statt von einer eigenen Gattung ließe sich eher von einer hybriden Kunstform sprechen, in der Elemente aus Kinematographie, Fotografie und neuen digitalen Bildwelten zum Tragen kommen. Auch in technischer Hinsicht ist Video als Teil digitaler Multimedialität nur noch ein Dateiformat und 16  D  ies hat auch dafür gesorgt, dass 235 Media in der Forschungsliteratur und in Katalogen und Ankündigungen unter einer noch größeren Vielfalt von Namen auftaucht. So findet sich in einem Katalog zum Wuppertaler Kurzfilmfest aus dem Jahr 1993 die Bezeichnung ›235 Media Technik‹, darüber hinaus stößt man auch auf die Bezeichnungen ›235 Boutique‹ (insbesondere bezogen auf das Kölner Ladenlokal) oder auch ›235 Galerie‹. 17  D  ieter Daniels: Video – Das unspezifische Medium. In: Renate Buschmann (Hg.): Bilder gegen die Dunkelheit – Videokunst aus dem Archiv des imai im KIT, 28.04.-24.06.2012, Ausstellungskatalog, Düsseldorf: KIT 2012, S. 31-38, hier S. 33. 18  Vgl. ebd., S. 35. 19  Ebd., S. 33. 20  Ebd., S. 32.

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kein Einzelmedium mehr. Deshalb wird der Terminus ›Videokunst‹ zunehmend als historischer Begriff verwendet.«21 Innerhalb dieser Studie findet der Begriff Videokunst weiterhin Verwendung, da er sehr genau den ›historischen‹ Gegenstand bezeichnet, mit dem sie sich auseinandersetzt. Der Name 235 (Media) ist inspiriert durch ein kabbalistisches Zahlenspiel aus der Trilogie The Illuminatus von Robert Shea und Robert Anton Wilson.22 Wirths erläutert den Zusammenhang zwischen dieser literarischen Vorlage und 235 Media wie folgt: »Das Buch war in den 1980er Jahren sehr populär und man kann es spielerisch auffassen oder es sehr ernst nehmen; im Grunde sagt es nicht mehr als: Es gibt immer etwas, was hinter den Dingen steckt und hinter dem, was man denkt. So kann ich sagen: 2, 3 und 5 sind die ersten drei Primzahlen – das ist wahr. Auch ist wahr, dass am 23.5. [1949] die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde. Und man braucht Uran235, um Atombomben herzustellen. Alle Aussagen sind wahr. Es ist magisch – hinter allem steckt irgendetwas. Und es gibt nicht nur eine einzige Bedeutung. […] Uns hat das Buch begeistert. Und tatsächlich erinnert sich jeder, der das Buch liest oder der in Kontakt mit 235 Media kommt, an diese Zahlen. Es ist eine Art von Science Fiction. Und es ist auch eine Form radikaler Literatur der 1970er Jahre. […] Es ist wie ein literarischer ACID-Trip.«23 Dass die Namensgebung von 235 auf den verschwörungstheoretisch-mystischen Hintergrund des Illuminatus anspielt, zeigt auch eine Seite aus dem Vertriebskatalog von 1983 (siehe Abb. 4). Auch das Logo von 235 macht die medialen Entwicklungen – mit denen die Medienkunstagentur immer in unmittelbarem Zusammenhang stand – sichtbar. Das erste Logo ist einer elektronischen Siebensegmentanzeige der Zahlen 235 nachempfunden, wie sie auf Digitaluhren, Videorekordern etc. zu finden ist. Es wurde beispielsweise im Vertriebskatalog aus dem Jahr 1983 noch verwendet, 21  E bd., S. 34. Bemerkenswert ist auch, dass Daniels diejenigen Institutionen, die sich mit der Vermittlung von Video- bzw. Medienkunst befassen, als ebenso unspezifisch charakterisiert wie das Medium selbst und dies an der Stiftung imai veranschaulicht: »So ist die Stiftung imai beispielsweise ein Hybrid aus Vertrieb, Archiv und Kurator, zu den Aufgaben gehört die Erhaltung ebenso wie die Präsentation und Ausstellungsorganisation.« Ebd., S. 36. 22  R  obert Shea/Robert Anton Wilson: Illuminatus! (Das Auge in der Pyramide; Der goldene Apfel; Leviathan), aus dem Amerikanischen von Udo Breger (erste englischsprachige Veröffentlichung 1975). München: Kailash 2002. 23 235 Media und imai. Ein Interview mit Axel Wirths von Hiroko Kimura-Myokam, in diesem Band, S. 315. Im Jahr 1998 wird die Zahlenmystik aus dem Illuminatus noch einmal sehr eindrucksvoll in dem Film 23 – Nichts ist so wie es scheint (1998) von Hans-Christian Schmid aufgegriffen. Im Zentrum stehen die 1980er-Jahre in Deutschland, der Hacker Karl Koch und dessen obsessiver und durch den Illuminatus evozierter Glaube an die Zahl 23. Zwischen dem Film und der Geschichte von 235 Media lassen sich zahlreiche zeitgeschichtliche Bezüge herstellen (beispielsweise hinsichtlich der Begeisterung für die neue Computertechnologie, hinsichtlich des Anspruchs radikaler Information und internationaler Vernetzung etc.).

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ebenso in dem Video-Beitrag von 235 für die dritte Ausgabe von Video Congress24 aus dem gleichen Jahr (Thema: Zukunft – kein Thema). Abb. 2: Erstes Logo von 235

In einer 1988 publizierten Selbstdarstellung25 wird innerhalb der Adressangabe bereits der Name 235 Media verwendet, auch wurde das Logo umgestaltet. Es erhält nun ein Design, das sich von der eindeutigen Referenz auf technische Geräte abgelöst hat und die Zahlen als grafische Objekte behandelt. Das neue Logo enthält zunächst nur die Ziffern 235, später wird am rechten Rand, hochgestellt, das Wort MEDIA hinzugefügt, sodass der gesamte Name des Unternehmens im Logo enthalten ist. Diese Variante des Logos findet bis heute Verwendung. Abb. 3: Aktuelles Logo von 235 Media

24  V  gl. dazu den Beitrag Video Congress – ein Kollektiv und Magazin künstlerischer Videoaktivist*innen von Renate Buschmann in diesem Band. 25  A  xel Wirths: Vertrieb von künstlerischen und kulturellen Videoproduktionen. Rückblick und Tendenzen. In: Hamburger Filmbüro e.V. (Hg.): Videovertrieb. Eine Materialsammlung zur Vertriebssituation kulturell produzierter Videofilme in der Bundesrepublik. Hamburg: edition black box 1988, S. 79-81.

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Abb. 4: Auszug aus dem Vertriebskatalog von 235 Media, der die Namensgebung erhellen soll (Dezember 1983)

235 Media ist in der Anfangsphase Teil der Do-it-yourself-Kultur (DIY), die sich in dieser Zeit überall Bahn gebrochen hat.26 Diese wurde dadurch unterstützt und befördert, dass sich Medientechniken in vielen Bereichen für die Handhabung vereinfachten und relativ günstig zu erwerben waren. Fotokopierer ermöglichten die Herstellung von Fanzines, Plakaten, Flyern etc., Musikkassetten die Aufnahme und Verbreitung von Musik, Super-8 die Produktion von Filmen, Polaroid die von Fotografien und der kleine Synthesizer Casio VL-1 musikalische Experimente (O-Töne dazu: »Das war auch so ein Teil der Revolte, dass man auf einmal neue Techniken zur Verfügung hatte.«27/»Ende der 70er gab es auf einmal immer mehr Geräte, die den Dilettanten unterstützten, einigermaßen hörbare Musik zu

26  Vgl. dazu Hoffmann: DIY als Gegenstrategie zur kommerziellen Kultur, S. 142-145. 27  B  eate Bartel in: Jürgen Teipel: Verschwende Deine Jugend. Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New-Wave. Revidierte u. erweiterte Fassung v. 2001. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2012, S. 369.

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machen.«28) Die Band Der Plan bringt diese Experimentier- und Improvisationsfreude etwas versteckt in dem Titel der Platte Geri Reig (1980) auf den Punkt. Diesen Begriff übernahm Moritz Reichelt von einem Freund aus Kalifornien: »Greg nannte solche mit einfachsten Mitteln hergestellte Musik ›Geri Reig‹. Er erklärte mir, dass ›to jerry-reeg‹ so viel bedeutet wie ›etwas provisorisch reparieren, improvisieren‹. […] Da das genau der Begriff war, der mir noch fehlte, versprach ich, nach meiner Rückkehr nach Deutschland eifrig Werbung dafür zu machen.«29 Innerhalb der Musikbranche fanden durch die Do-it-yourself-Kultur einschneidende Veränderungen statt. In der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre entstand durch unabhängige Labels, spezielle Plattenläden und Vertriebe ein Netzwerk, über das jenseits der großen Läden und Firmen Musik vertrieben werden konnte – zunächst in den USA (New York) und England (London), wenig später auch in Deutschland. Zu den ersten Läden gehörten Ende der 1970er-Jahre Zensor und Vinyl Boogie in Westberlin, Rip Off, Unterm Durchschnitt und No Fun in Hamburg, schnell folgten weitere in München, Düsseldorf, Köln, Hannover und Frankfurt. Die Läden vertrieben oft nicht nur Musik, sondern darüber hinaus Fanzines, (Punk-)Literatur, Badges, T-Shirts »und was der Punk tagtäglich sonst noch so braucht«30. Doch nicht nur die neuen Vertriebsstrukturen brachten wichtige Veränderungen mit sich, sondern auch die alternativen Produktionsstrukturen. Denn zur gleichen Zeit fingen einige Labels an, Schallplatten in Eigenregie zu pressen – diese standen zum Teil in unmittelbarer Verbindung zu den Vertrieben. Prominente Beispiele sind das Rip Off-eigene, von Alfred Hilsberg betriebene Zickzack-Label (Hamburg), in Düsseldorf gründen sich die Label Pure Freude31, betrieben von Carmen Knoebel und Harry Rag, wie auch Ata Tak von Kurt Dahlke (Pyrolator), Frank Fenstermacher und Moritz Reichelt32. Sie alle ermöglichten Bands eigene Produktionen jenseits des kommerziellen Musikmarkts, »die niemals unter den Bedingungen der Schallplattenindustrie hätten veröffentlicht werden können«33. Michael Kemner von Fehlfarben beschreibt diese Situation als äußerst befreiend und kreativitätsfördernd: »Es gab damals so eine große 28  Moritz Reichelt in: ebd., S. 105. 29  M  oritz Reichelt: Der Plan. Glanz und Elend der Neuen Deutschen Welle. Die Geschichte einer deutschen Band. Kassel: Schmitz 1993, S. 38. Die Platte erhielt aus diesem Grund die Widmung »There is no Geri Reig without Greg, Sharon and Pete«, ebd., S. 40. 30  M  ichael O.R. Kröher: Interview mit Alfred Hilsberg und Klaus Maeck (auch in: Sounds, Nr. 9, 1980). www.highdive.de/over/sounds13.htm (04.03.2019), vgl. auch Diederichsen: Genies und ihre Geräusche, S. 15. 31  Vgl. dazu auch http://purefreude.com/deutsch.htm (04.03.2019). 32  w  ww.atatak.com/ (04.03.2019). Der Name Ata Tak geht zurück auf die Galerie Art Attacke, die Moritz Reichelt, Frank Fenstermacher und Christoph Seibert 1978 in Elberfeld eröffnet hatten, vgl. dazu Reichelt: Der Plan. Glanz und Elend der Neuen Deutschen Welle, S. 11-20. 33  Diederichsen: Genies und ihre Geräusche, S. 15.

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Hoffnung in der Szene – fast eine Art Glauben: ›Man kann das alles auch alleine machen. Diese Scheißplattenfirmen bescheißen einen eh nur.‹ Und das stimmte auch. Bei den Independents konnte man machen, was man wollte. Niemand schrieb dir vor: ›Du musst so und so klingen.‹ Dieser Glaube, unabhängig zu sein, bedeutete auch, kreativ zu sein.«34 Dies bedeutete zwar Einbußen bezüglich der Qualität, aber auch dies verstand sich als ›Teil des Konzepts‹, denn für die »technische Simplizität sprach das demokratisch-egalitäre Argument der größeren Zugänglichkeit billiger und einfacher Gerätschaften, dann aber auch das ästhetische Argument des von Kontingenz geküssten rauen Klangs der Lo-Technology«35. Insbesondere Alfred Hilsberg war für die Auffassung bekannt, dass nicht die Produzenten, sondern die Rezipienten selbst entscheiden können sollten, was gefällt und was nicht. Er produzierte auf Grundlage dieser Ideologie unter dem Motto ›lieber zu viel als zu wenig‹ und erwies sich damit als ›Hebamme‹ für zahlreiche heute mehr und auch weniger bekannte Bands.36 Auch 235 Media nahm in dieser Zeit in Bonn und Köln ihre Arbeit auf. Zwar wurden keine Platten hergestellt, aber trotzdem setzte 235 mit den eigenen Kassettenproduktionen, Vertriebsstrukturen wie auch eigenen Produktionen (Musik/Video) genau hier an: Man wollte selbst aktiv werden und die Produktionsmittel übernehmen, sich nicht in kapitalistische Verwertungslogiken einspeisen, sondern Alternativen zum etablierten Kulturbetrieb und dessen Vermarktungsstrategien entwickeln.

34  Michael Kemner in Teipel: Verschwende Deine Jugend, S. 310. 35  Diederichsen: Genies und ihre Geräusche, S. 14. 36  Vgl. dazu das Interview von Michael O.R. Kröher mit Alfred Hilsberg und Klaus Maeck.

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»Geniale Dilletanten« Zum (sub)kulturgeschichtlichen Hintergrund von 235 Media Jessica Nitsche »Der leitende Gedanke dieser Jahre war: Handwerklich kann es jeder, es kommt nur auf die Idee an, auf die Person. Diejenige Musik, ja diejenige Kunst hingegen, die auf erlernbaren Skills aufbaut, ist langweilig und angepasst.« 1

An den Ausführungen im vorangegangenen Kapitel hat sich bereits gezeigt, wie zentral die Musik für die Entwicklung von 235 Media war. Sie ist es, die den ursprünglichen Impuls für die weiteren Entwicklungen lieferte. Im Jahr 2015 startete, initiiert durch die Zentrale des Goethe-Instituts in München, eine Tourneeausstellung unter dem Titel Geniale Dilletanten. Subkultur der 1980er Jahre in Deutschland.2 Um zu zeigen, aus welchem kulturgeschichtlichen Kontext heraus 235 Media entstanden ist, erweist sich diese Ausstellung als 1  D  iedrich Diederichsen: Genies und ihre Geräusche: Deutscher Punk und Neue Deutsche Welle 1978-1982. In: Geniale Dilletanten. Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland. Ostfildern: Hatje Cantz 2015, S. 10-22, hier S. 13. 2  D  en Schwerpunkt der Ausstellung bilden die sieben Bands DAF, Die tödliche Doris, Der Plan, Einstürzende Neubauten, F.S.K., Ornament und Verbrechen und Palais Schaumburg. Zum Thema vgl. auch die folgenden Filme: Geniale Dilletanten – No Wave. Underground ’80, Berlin – New York (D/ USA 2009, R: Christoph Dreher/Ellen el Malki); »Geniale Dilletanten« – Als das Nichtkönnen produktiv wurde. Diskussion mit Diedrich Diederichsen, Michaela Melián und Wolfgang Müller, moderiert von Roderich Fabian, 20.07.2015 im Haus der Kunst, München, https://hausderkunst.de/veranstaltungen/als-das-nichtkoennen-produktiv-wurde (04.03.2019); Dokumentarfilm zur Ausstellung »Geniale Dilletanten«. Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland im Haus der Kunst, München (D 2015, R: Mathilde Weh). Besprechungen der Ausstellung: Jens Uthoff: Ausstellung »Geniale Dilletanten«. Die Achtziger in der Zeitschleife. Beitrag vom 13.07.2015, taz, www.taz.de/!5212660/ (04.03.2019); Noemi Schneider: Ausstellung »Geniale Dilletanten«. Die Wucht der Achtziger, Beitrag vom 25.06.2015, Deutschlandradio Kultur. www.deutschlandradiokultur.de/ausstel lung-geniale-dilletanten-die-wucht-der-achtziger.1013.de.html?dram %3Aarticle_id=323720 (04.03.2019).

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außerordentlich fruchtbar.3 Denn darin kommen zahlreiche Aspekte zum Tragen, die zugleich für die Anfänge von 235 Media von Bedeutung sind. Die folgenden Ausführungen verstehen sich folglich als Kontextualisierung mit Blick auf einige Aspekte, die für die Situation der BRD Anfang der 1980er-Jahre kennzeichnend waren. Der Titel Geniale Dilletanten bezeichnet etwas, das er selbst enthält und zugleich zum Programm macht: Dilettantismus.4 Hinter diesem Titel steckt zunächst einmal eine ganz konkrete Veranstaltung, die am 4. September 1981 unter dem Titel GROSSE UNTERGANGSSHOW. Festival genialer Dilletanten im Tempodrom stattgefunden hat, einem Zirkuszelt an der Westberliner Mauer. Wolfgang Müller, der mit der Band und Performance-Gruppe Die tödliche Doris selbst am Festival beteiligt war, beschreibt dieses wie folgt: »Über tausend Zuschauer sehen Bands, von denen viele erstmals überhaupt auf der Bühne stehen. Sie proben live. Die echte Christiane F. spielt als Christiane X. Baßgitarre, der spätere Technopionier WestBam und der Erfinder der Loveparade Dr. Motte spielen in Bands wie Kriegsschauplatz Tempodrom und DPA, die Einstürzenden Neubauten singen mit Gudrun Gut von zuckendem Fleisch. Und Dagmar Dimitroff präsentiert für meine Band Die tödliche Doris am Schlagzeug einen Perückenhaarbikini.«5 Der Rechtschreibfehler (Dilletanten statt Dilettanten) hatte sich – sei es nun wissend oder unwissend 6 – in den Flyer eingeschlichen und wurde beibehalten, denn letztlich setzte er treffend ins Schrift-Bild, worum es ging: die bewusste Abgrenzung zu sich erfolgreich vermarktenden Profi-Musikern, Experiment, 3  I hr voraus gingen zwei Ausstellungen mit ähnlichem Fokus: Zurück zum Beton in der Düsseldorfer Kunsthalle (2002) und lieber zu viel als zu wenig der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (ngbk) in Berlin (2003). Die entsprechenden Ausstellungskataloge und darin enthaltenen Beiträge werden in die folgenden Ausführungen einbezogen: Ulrike Groos/Peter Gorschlüter/Jürgen Teipel (Hg.): Zurück zum Beton. Die Anfänge von Punk und New Wave in Deutschland 1977-82. Köln: Verlag der Buchhandlung König 2002 und: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e.V. (ngbk) (Hg.): Lieber zu viel als zu wenig. Kunst, Musik, Aktionen zwischen Hedonismus und Nihilismus (19761985). Ausstellungskatalog. Berlin: minus Verlag 2003. 4   Sofern der Begriff des ›Dilettantismus‹ im Folgenden im Sinne der Genialen Dilletanten Verwendung findet, wird deren Schreibweise als Terminus übernommen. 5  W  olfgang Müller: Produktion West 1980. Punk, Kunst, Aura – Die wilden Jahre, bevor die Großwildjäger kamen. In: Lettre International, Heft 86 (2009), S. 115. Für eine ausführliche Darstellung des Festivals vgl. ders.: Subkultur Westberlins 1979-1989. Hamburg: Philo Fine Arts 2013, S. 218227. 6  B  lixa Bargeld äußert sich dazu retrospektiv wie folgt: »Dilletanten mit zwei ll – Orthographie mon amour. – So schlecht war mein Schreiben. Ich habe ja die Schule nicht beendet, ich bin mit 17 von der Schule abgegangen und ich habe jahrelang nichts geschrieben – kein Tagebuch, gar nichts. Meine Handschrift und mein Schreiben schlechthin ist komplett verkümmert. Ich habe ja auch die Neubauten-Texte erst nicht geschrieben.« Blixa Bargeld in: Geniale Dilletanten: »Ich habe nichts gelernt, tue es aber trotzdem« am 09.07.2015 um 22:00 Uhr, Bayrischer Rundfunk.

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Non-Konformität, Provokation, ›neue‹ und ›Anti-Ästhetik‹, Grenzüberschreitung, Selbstermächtigung etc. Abb. 1: Poster für die GROSSE UNTERGANGS-SHOW. Festival genialer Dilletanten (1981)

In dem kurz nach dem Festival im Tempodrom erscheinenden gleichnamigen Merve-Band, herausgegeben von Wolfgang Müller, entwickelt dieser aus dem Rechtschreibfehler eine eigene Programmatik: »Das Ver-spielen, das Ver-schreiben als positiver Wert, als Möglichkeit zu neuen, noch unbekannten Ausdrucksformen zu gelangen, soll möglichst universell angedeutet werden. […]. Dilletantismus auf musikalischen (aber auch allen anderen möglichen) Bereichen hat nichts mit Stillstand zu tun – ganz im Gegenteil – Entwicklung unter Einbeziehung aller möglichen und angeblich unmöglichen Bereiche, kann ein[en] universellen Ausdruck finden, dem die Profis hilf los unterlegen sind.«7 Hinzu kam das Interesse an grenzüberschreitenden Ausdrucksformen, in denen sich Kunst, Performance

7  W  olfgang Müller: Die wahren Dilletanten. In: ders. (Hg.): Geniale Dilletanten. Berlin: Merve 1982, S. 9-25, hier S. 10 und 11. Noch 2017 bemüht sich Müller um die Richtigstellung der Gerüchte um den genannten Schreibfehler und postete am 27.05.2017 auf facebook: »Die Schreibfehler in ›Dilletant‹ wurden erst 1982 bei der Arbeit am gleichnamigen MERVE-Buch zufällig auf dem Flyer des Festivals entdeckt. Als Herausgeber des gleichnamigen MERVE-Bandes stand ich damals vor der Frage: Fehler übernehmen oder korrigieren? Zusammen mit den MERVE-Verlegern Heidi Paris (1950-2002), Peter Gente (1936-2014) sowie den Mitgliedern der Tödlichen Doris […] entschied ich: Ja, der Druckfehler gehört dazu, so wie der Titel RONGWRONG von Marcel Duchamps Zeitschrift oder das Gedicht ›fmsbwtzäu‹, das Raoul Hausmann dem Druckfehler eines tschechischen Plakates entnahm.« Müllers Richtigstellung erfolgte als Reaktion auf die Darstellung im Newsletter der Kunstwerke KW bzw. der Berlinischen Galerie, wo es über die Schreibweise des Begriffs hieß: »Der Begriff wurde 1981 kreiert und leitet seine eigentümliche Schreibweise von dem Küchenkraut Dill ab.«

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und Musik auf produktive und neue Weise verbanden. Gänzlich neu waren diese Entwicklungen keinesfalls – künstlerische Strategien mit ähnlicher Programmatik, interventionistischer Geste und hohem Provokationspotenzial fanden sich bereits innerhalb von Dadaismus, Situationismus und Fluxus (diese Verbindungen im Detail aufzuarbeiten, bleibt weiteren Studien vorbehalten). Anleihen an Bauhaus, Dada und Surrealismus finden sich explizit bei Der Plan8 und Palais Schaumburg. Im Kontext von Punk, New Wave und den Genialen Dilletanten entstanden Extremformen performativer Aktion, für die auch die neuen Räume, die man sich erschlossen und ›umdefiniert‹ hatte, eine signifikante Rolle spielten (Fabrikhallen, Baustellen, Ratinger Hof etc.).9 Besonders einschlägig war 1978 eine Aktion von Minus Delta t im Ratinger Hof, bei der mit Tierkadavern, Gips und Fliegen hantiert wurde.10 Der Versuch des Tabubruchs vollzog sich auf vielen Ebenen: Musik (konsequenter Dilettantismus), Verwendung ›neuer‹ Materialien zur Sounderzeugung (zum Beispiel Spielzeug und Schrott), Bewegung (zuckende, ›spastisch‹ anmutende Tänze, zum Beispiel bei DAF), Kleidung und Frisur (kurz geschorene Haare) und ›Arbeit‹ mit für gewöhnlich als ›ekelig‹ empfundenen Materialien (vgl. oben). Bemerkenswert ist in diesem Kontext auch der ›Nazi-Chick‹ (Uniform, Hakenkreuzsymbole etc.), mit dem teilweise kokettiert wurde, in besonderem Maße von DAF (»Dreh’ dich nach rechts/Und klatsch’ in die Hände/Und mach’ den Adolf Hitler/Tanz’ den Adolf Hitler«11), aber auch in verschiedenen Fan8  M  oritz Reichelt, Mitglied von Der Plan, stellt den Bezug zum Surrealismus unmittelbar her: Ein Kapitel aus seinem Buch Der Plan. Glanz und Elend der Neuen Deutschen Welle nennt er Über Dali, LSD und Surrealismus, wo es heißt: »Jürgen Kramer hat den PLAN von Anfang an dem Surrealismus zugeordnet. Das ist wohl richtig.« Moritz Reichelt: Der Plan. Glanz und Elend der Neuen Deutschen Welle. Die Geschichte einer deutschen Band. Kassel: Schmitz 1993, S. 81. 9  A  uch hier lohnt sich ein Blick in das Archiv der Stiftung imai, das neben Video- und Medienkunst zahlreiche Musikvideos und -dokumentationen beherbergt. Exemplarisch verwiesen sei auf die Arbeiten von Die tödliche Doris, Der Plan (zum Beispiel den aus der Japan-Tournee 1984 hervorgegangenen Musikfilm Japlan. Der Plan in Japan) und Einstürzende Neubauten (zum Beispiel den unter der Regie von Sōgo Ishii produzierten Musikfilm ½ Mensch (Japan 1986), der in einer Fabrikhalle aufgenommen wurde und in dem Feuertonnen, Würmer und aufeinandergehäufte Fernsehgeräte eine Rolle spielen). 10  M  inus Delta t war eine Performance-Gruppe mit vielfältigen Betätigungsfeldern (viele von ihnen kommen im weiteren Verlauf dieses Buches noch zur Sprache) und einer sich über die Jahre wandelnden Besetzung. Den Kern bildeten seit 1978 und damit von Beginn an Mike Hentz und Karel Dudesek, in den Anfängen war noch Chrislo Haas beteiligt und auch Padeluun, spätere Mitglieder waren Bernhard Müller, Gérard Couty und Wolfgang Georgsdorf. 11  A  uszug aus: DAF: Der Mussolini (Virgin 1981). Dass bei DAF der Aspekt der Provokation und Ironie im Vordergrund steht und nicht etwa eine Verherrlichung oder Verharmlosung des Faschismus, zeigt sich, wenn man dem Mussolini das Stück Kinderzimmer (Heldenlied) gegenüberstellt, dem man auf der Basis des folgenden Songzitats wiederum eine Verherrlichung in anderer Hinsicht unterstellen könnte: »Andreas Baader war für mich ein Stern an meinem Firmament/Ulrike

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zines.12 Provozierend war hier, dass Affirmation und Parodie, Ironie, Satire nicht unmittelbar differenzierbar waren – ein ›Spiel der Zeichen‹, das Punk vielfach betrieb und das sicher nicht von allen (Rezipient*innen wie auch Protagonist*innen) als solches verstanden werden konnte. Der Rückbezug auf nationalsozialistische Symbolik war kein affirmatives Aufgreifen der rechtsextremen Ideologie, sondern ein – wenn auch oft naives und unref lektiertes – ›Konzept‹ der Provokation.13 Dieses funktionierte im Deutschland der 1980er-Jahre (Kalter Krieg, Aufrüstung, RAF, beginnende Regierung Kohl) durchaus, nicht zuletzt als Abgrenzung zu der unmittelbar vorangegangenen Protestbewegung: der explizit antifaschistischen Studentenbewegung und Hippiekultur. Auch hier kann DAF als Beispiel dienen, zu deren Programmatik es gehörte, Männlichkeit im archaischen Sinne – ›Schweiß, Muskeln, Härte‹14 – auszustellen. Der »zweifellos sexuelle[] Reiz des Faschismus«, von dem Susan Sontag in ihrem 1974 verfassten Essay Faszinierender Faschismus15 spricht, mag hier eine Rolle spielen. Dies bestätigen die Ausführungen des Sängers Gabi Delgado, der aus seinen sexuellen Vorlieben kein Geheimnis gemacht hat.16 Folglich ist immer auch zu beachten, dass sich Punk keinesfalls nur gegen die herrschende Regierung, sondern auch gegen vorangegangene Protestkulturen wendete: Gegen die Hippie-Programmatik ›Zurück zur Natur‹ Meinhof war für mich als Kind ein echter Superstar.« DAF: Kinderzimmer (Heldenlied) (15 neue DAF Lieder, Superstar Recordings 2003). 12  A  uch in Bandnamen finden sich solche Referenzen, beispielsweise in der aus Diedrich Diederichsen und Markus Oehlen bestehenden Band LSDAP. Der Name ermöglicht ganz im Sinne der Ironie-Strategie von Punk sowohl die synthetische Droge LSD als auch die nationalsozialistische Partei NSDAP als Referenz. 13  W  ie naiv mit nationalsozialistischer Symbolik umgegangen wurde, beispielsweise innerhalb des Fanzines The Ostrich, lässt sich nachlesen bei Teipel: Verschwende Deine Jugend, S. 48-50, abschließend heißt es dort über das Kokettieren mit nationalsozialistischer Ästhetik, es habe so lange angehalten, »bis die etwas Älteren mit politischem Bewusstsein kamen. […] Die haben uns dann gesagt, dass das geschmacklos ist«. Franz Bielmeyer (Hg. des Ostrich) in Teipel: Verschwende Deine Jugend, S. 50. 14  V  orbilder dazu finden sich bei britischen und amerikanischen Punkbands, beispielsweise den Sex Pistols (Sid Vicious), Joy Division (Ian Curtis) oder den Ramones (DeeDee Ramone). 15  S usan Sontag: Faszinierender Faschismus. In: dies.: Im Zeichen des Saturn. Essays. Frankfurt a.M.: Fischer 1990, S. 95-124. Der Essay besteht aus zwei Teilen, der erste widmet sich dem Fotografie-Band The Last of the Nuba von Leni Riefenstahl, der zweite einem kleinen Fotografie-Buch über SS-Insignien, die Klammer der beiden Texte bildet die Beobachtung einer neuen faschistischen Ästhetik. 16  » Dieses Sex- und Leder-Power-Image, das wir damals rübergebracht haben – bei mir war das alles sehr echt. Ich habe seinerzeit auch entsprechende Erfahrungen gemacht. Ich war sehr hardcoreorientiert. […] Und Sex hat mich eben auch interessiert. Und nachdem ich ja zuerst auf Männer fixiert war, habe ich mich teilweise einfach wie ein Luftballon treiben lassen. […] Vor allem war ich fasziniert, dass Sex und Gewalt auch einhergehen können.« Gabi Delgado in Teipel: Verschwende Deine Jugend, S. 368.

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setzte man ›Zurück zum Beton‹17, »nicht mehr der ›Marsch durch die Institutionen‹, sondern ›Tabula Rasa‹ [war] die Devise. Dass man sich dem Vorwurf des Unpolitischen aussetzte, war gewollt. Die Absage an Politik war selbst Politik«18. Wie verhält es sich nun auf dieser Grundlage mit den vielfachen Referenzen zur Ikonografie der RAF? Handelt es sich auch hier um ein Spiel mit Provokationspotenzial, Ironie oder um ein linkes oder linksradikales Statement? Die faschistische Symbolik funktioniert in erster Linie als Instrument für Schock und Provokation. Für eine solche Provokation reichte eine simple Symbolik aus – Hakenkreuze oder Textzeilen wie »Tanz’ den Adolf Hitler«, vgl. oben. Darüber ging diese auch kaum hinaus. Obschon der Aspekt des ›Spiels mit den Zeichen‹ und der damit einhergehenden Provokation auch in Bezug auf die zahlreichen Bezugnahmen auf linksradikale Ikonografie eine signifikante Rolle spielt, ist er nicht mit der Provokation durch die Verwendung faschistischer Symbole vergleichbar und verdient auf Folie der damaligen politischen Situation in der Bundesrepublik Deutschland besondere Aufmerksamkeit. Die Referenzen hin zum Linksradikalismus sind in den meisten Fällen komplexer, wie die im Folgenden angeführten Beispiele zumindest andeuten können. Mitunter ist ein ›Bildwissen‹ erforderlich (beispielsweise, wenn die Ästhetik eines Fahndungsplakats eingesetzt wird oder Pressebilder verwendet werden, vgl. unten) oder die Kenntnis über die Ereignisse jener Jahre. In der BRD der 1970er-Jahre war die politische Situation extrem aufgeladen, was eng mit den terroristischen Anschlägen der RAF, den damit einhergehenden staatlichen Repressionen (Rasterfahndung, Isolationshaft in Stammheim etc.) und der das ganze Geschehen zugunsten des Staates anfeuernden Springerpresse zusammenhing. Fahndungsplakate und in der Presse veröffentlichte Polizeifotografien wurden zu Bildern, denen man in dieser Zeit alltäglich begegnete und die eine bestimmte Ikonografie bis heute geprägt haben und auch facettenreich von Künstlerinnen und Künstlern aufgegriffen wurden.19 Auch im Kontext der Genialen Dilletanten wurde diese Situation vielfach thematisiert. So zum Beispiel in dem Stück Computerstaat von Abwärts, wie Frank Ziegert (Frank Z), Gitarrist und Sänger der Band, im Interview erläutert: »›Computerstaat‹ hing damit zusammen, dass damals gerade die Fahndungsmethoden immer mehr verfeinert worden waren. Diese EDV-mäßigen Planungskonzepte von Horst Herold – vor allem sein Rasterfahndungscomputersystem – waren ja noch kurz vorher gar nicht möglich gewesen. Computer hatten ja damals nur ein paar Leute, die damit 17  V  gl. Thomas Schwegel in Teipel: Verschwende Deine Jugend, S.  109. Zurück zum Beton ist zugleich ein Titel der Band S.Y.P.H (Das tönende S.Y.P.H. Buch!, Pure Freude 1982, MC-Box). 18  L eonhard Emmerling: Piercing im Haus der Lüge. In: Emmerling/Weh: Geniale Dilletanten, S. 26-31, hier S. 28. 19  V  gl. dazu beispielsweise Klaus Biesenbach: Zur Vorstellung des Terrors. Die RAF. Eine Ausstellung. 2 Bände. Göttingen: Steidl 2005.

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herumexperimentiert haben. So was wie die elektronische Datenerfassung ist am Anfang komplett über die staatlichen Institutionen gelaufen. Und diese Dinge empfand man als Bedrohung. Das war eine noch nie dagewesene Stimmung – da stand Deutschland kurz davor, so ein absoluter Polizeistaat zu werden. […]. Für ›Computerstaat‹ hat dieses Klima klar den Ausschlag gegeben.«20 Neben den allgemein gehaltenen Bezugnahmen auf die Stimmung der Zeit gibt es auch ganz explizite Referenzen zur Ikonografie des RAF-Terrorismus. Abb. 2: Werbeplakat der Plattenfirmen Rip Of f und Eigelstein (ca. 1981)

Besonders einschlägig ist ein als Fahndungsplakat gestaltetes Werbeplakat der Plattenfirmen Rip Off und Eigelstein, das Porträtfotografien von Bandmitgliedern der Einstürzenden Neubauten, von Malaria, Palais Schaumburg etc. als ge20  T eipel: Verschwende Deine Jugend, S. 267-268 (Konzertaufnahmen von Abwärts von Norbert Meissner und Klaus Maeck aus dem Jahr 1981 finden sich auch im Archiv der Stiftung imai). Vgl. zu dieser Thematik auch: Carsten Dams: Polizei, Protest und Pop. Staatliche Ordnungsmacht und gesellschaftliches Aufbegehren in der Popularmusik seit 1970. In: Sabine Mecking/Yvonne Wasserloos (Hg.): Musik – Macht – Staat. Kulturelle, soziale und politische Wandlungsprozesse in der Moderne. Göttingen: V&R Unipress 2012, S. 303-318, und Andreas Kühn: Impliziter Protest und lauter Ambivalenzen. Punk, No Wave, Post-Punk. In: ebd., S. 319-338.

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suchte Terroristen und deren alternative Vermarktungsstrategien als kriminell inszeniert, der Text unter den Fahndungsfotos lautet: »Vorsicht, diese Musiker sind gut bewaffnet und arbeiten eng zusammen mit der Musik-Mafia, die unter verschiedenen Namen arbeitet: sogenannte unabhängige Label (wie ZickZack, Atatak, Peoples Records, Supermax, Pure Freude, Monogam, Aggressive Rockproduktion, H’art, Zensor, No Fun u.v.a.), im Vertriebsverbund.«21 Ein weiteres Beispiel ist die erste Single von S.Y.P.H., auf deren Cover ein Kinderwagen zu sehen ist – ein ohne den damaligen Kontext zunächst harmlos erscheinendes Bild. Die Referenz zur RAF besteht darin, dass es sich um die Fotografie des Kinderwagens handelt, der im Kontext der Entführung des damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer zum Anhalten von dessen Wagen und zum Waffentransport eingesetzt wurde und der aus diesem Grund zum Symbol für die Skrupellosigkeit der RAF wurde. Durch die Konstellation der Kinderwagen-Fotografie mit dem Titel Viel Feind, viel Ehr kokettiert S.Y.P.H. mit einer Solidarisierung mit der RAF. Da sich aus diesem Grund keine Druckerei bereit erklärte, das Cover zu drucken, stellte die Band es aus kopierten, zusammengetackerten DIN-A4-Seiten selbst her (Abb. 8) – eine besonders konsequente Form der bereits erwähnten ›unverblümten Selbstermächtigung‹.22 Abb. 3: Cover der Single Viel Feind, viel Ehr von S.Y.P.H (1979)

21  Emmerling/Weh: Geniale Dilletanten, S. 5. 22  V  gl. dazu auch Teipel: Verschwende Deine Jugend, S. 235-237, und http://meckiemessermuzak. blogsport.de/2007/10/19/herbstmelodien-77/ (05.03.2019).

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Noch deutlicher und zugleich explizit ironisch greift die Band Mittagspause die Ikonografie der RAF im Jahr 1983 in einem von ihrem Schlagzeuger Markus Oehlen gestalteten Cover auf. Das ›Stern/MP-Logo‹ wird darin ersetzt durch ein holzschnittartig gestaltetes ›Teekannen/MP-Logo‹. Abb. 4: Cover von Mittagspause, Pure-Freude-Label (1983)

Wie sich das Verhältnis zur RAF im Einzelnen gestaltet, wie ›ernst‹ oder ›ironisch‹ die jeweiligen Bezüge einzuordnen sind, lässt sich in diesem Rahmen nicht abschließend klären. Diederichsen warnt vor einer Überbewertung der RAF als Faktor für die kulturellen und politischen Orientierungen.23 Der bewaffnete Kampf sei in der Szene kein von einer Mehrheit getragenes Ziel gewesen. Trotzdem »galt die RAF als cool und das Stern/MP-Logo fand seinen Weg auf die Lederjacken«24. Hinzu kommt, dass die Punkszene als hochgradig verdächtig eingestuft und sehr genau beobachtet wurde – laut Carmen Knoebel, Betreiberin des Ratinger Hofs, zu Unrecht: »Wir standen unter permanenter polizeilicher Beobachtung. Da gingen die Zivilbullen ein und aus. […] Es gab ja 1978 immer noch Terroristen. Aber die sind bestimmt nicht in den Ratinger Hof gegangen. Und auch nicht auf die Kunstakademie.«25 Insgesamt gibt es unterschiedliche Stimmen zur Positio23  D  iederichsen: Genies und ihre Geräusche, S. 12: »In heutigen Darstellungen der 1970er Jahre gewinnt man den Eindruck, die RAF hätte nicht nur das BKA und deren Ermittler und vielleicht noch den Sensationalismus der Massenmedien interessiert, sondern sei ein relevanter Faktor kultureller und politischer Orientierung gewesen. Ich kann dies nicht bestätigen.« 24  Vgl. ebd. 25  C armen Knoebel in Teipel: Verschwende Deine Jugend, S. 86-87.

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nierung gegenüber der RAF – doch überwiegen die positiven (stellenweise sicher nicht zu verallgemeinernden) Bezugnahmen. Harry Rag (S.Y.P.H.) sagt dazu: »Die RAF hatte ja auch 77 ihren Höhepunkt – genau als hier Punk ausgebrochen ist. Und so verstand es sich von selbst, dass jeder von uns mit der RAF sympathisierte. Zumindest ideell. Das heißt nicht, dass wir Morde gut fanden. Aber wir fanden bestimmt auch keine Arbeitgeberpräsidenten gut.«26

»Bilder- und Klangstürmer«: Decoder Symptomatisch für die Programmatik der Genialen Dilletanten wie auch die künstlerische Verarbeitung der politischen Situation der BRD Anfang der 1980er-Jahre ist auch der aus der Hamburger Szene heraus entstandene Film Decoder von Klaus Maeck, Muscha, Trini Trimpop27 und Volker Schaefer. Er wurde am 19. Februar 1984 im Rahmen des Internationalen Forums des jungen Films uraufgeführt.28 Decoder wurde ursprünglich als 16mm-Film gedreht und später in die 235-Video-Edition aufgenommen29, woran sich einmal mehr die Affinität von 235 Media zur Independent-Szene zeigt. Personell gibt es innerhalb des Films Überschneidungen zu den Protagonist*innen der Großen Untergangsshow, so spielen F.M. Einheit von den Einstür-

26  Harry Rag in Teipel: Verschwende Deine Jugend, S. 89. 27  T rini Trimpop war seit Ende der 1970er-Jahre Protagonist der deutschen Punkbewegung. 1978 war er Gründungsmitglied der Punkband KFC (KriminalitätsFörderungsKlub), Anfang der 1980er-Jahre spielte er für die Toten Hosen Schlagzeug und war bis Anfang der 1990er-Jahre Manager der Band. Im Kontext von Punk und Underground sind auch seine Filme zu sehen. Die meisten von ihnen sind in Zusammenarbeit mit Muscha (Jürgen Muschalek) entstanden, so zum Beispiel Blitzkrieg Bop (1977), Mirakel Wip (1979), Humanes Töten (1980) und Suicide (1978). Die Filme befinden sich im Archiv der Stiftung imai. Trimpop und Muscha haben nicht mit Video-, sondern mit Super8- und 16mm-Film gearbeitet. 28  V  gl. https://www.arsenal-berlin.de/…/open-download/download/decoder.html. Vgl. dazu auch Klaus Maeck/Walter Hartmann (Hg.): Decoder-Handbuch. Muzak, Cut-Ups, Piraten, Frogs, Burger, Der Film. München: Trikont 1984 (mit Texten von Klaus Maeck, William S. Burroughs, Elias Canetti, Jean Baudrillard u.a.) wie auch http://decoder.cultd.net/ (05.03.2019) als Website mit umfassenden Informationen zum Film (Presse, Interview, Filmvorführungen, Auszüge aus dem Decoder-Handbuch).  ies geschah zwischen 1985 und 1987 (in dem Katalog 235 Media: Video von 1984/85 ist er noch 29  D nicht zu finden, wohl aber im Herbstprogramm 235 Media: Video, Audio, Literatur von 1987, aus der Zwischenzeit lagen keine Kataloge und Programme von 235 Media vor). Zu den Video- und Videokunst-Editionen vgl. meinen Beitrag 235 Media als Vertrieb für Videokunst im VHS-Format in diesem Band.

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zenden Neubauten und Christiane X 30 die Hauptrollen: den ›Decoder‹ und dessen frosch-affine Freundin. Inzwischen gilt Decoder als Kultfilm und kann zugleich als wichtiges medienpolitisches Dokument der 1980er-Jahre verstanden werden. Im Mittelpunkt des Films steht der Decoder – ein Punk und zugleich ›Kassettenterrorist‹, der Sounds sammelt, zerstört und neu zusammensetzt: »Mit seinem Kassettenrecorder bewaffnet begibt er sich erneut in die Junk-Food-Läden, sammelt Geräusche, Töne, Muzak und versucht im Gerätewirrwarr seines Heim-Studios hinter deren Geheimnis zu kommen. Er zerhackt die Frequenzen, dreht sie um und montiert sie völlig neu. Dabei macht er eine seltsame Entdeckung. Das Wohlbefinden, das diese Musik bislang erzeugte, verkehrt sich in dieser neuen Form in das absolute Gegenteil. Der musikalische Tranquilizer wird zum Nervengift.«31 ›Muzak‹ bezeichnet seichte, funktionelle Gebrauchsmusik, die als Hintergrundmusik für das Beschallen von Geschäften, Fahrstühlen, Hotels etc. verwendet werden kann. Ursprünglich war Muzak der Name eines 1934 gegründeten US-amerikanischen Unternehmens, das für seine Herstellung von Gebrauchsmusik bekannt war.32 Muzak verkörpert in Decoder den ›Feind‹, mit dem sich das herrschende System seine Konsumenten gefügig macht – innerhalb des Films rückt Muzak auf eine Ebene mit Fast Food (schnell konsumierbar, günstig und ›leicht bekömmlich‹). Folglich produziert der Decoder ein ›Anti-Tape‹, eine ›böse Kassette‹, um Muzak zu (zer)stören. Indem er seine ›musikalische Strategie‹ zur Waffe macht, wird er zur Bedrohung für den deutschen Staat und vom

30  H  inter dem Namen Christiane X (vgl. Plakat der Großen Untergangsshow) verbirgt sich Christiane Felscherinow – insbesondere bekannt durch ihre Biografie Wir Kinder vom Bahnhof Zoo. Der Journalist Horst Rieck hatte sie im Kontext von Recherchen über die Drogenszene kennengelernt (Kai Hermann/Horst Rieck/Christiane Felscherinow: Christiane F. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo. Hamburg: Stern-Verlag 1978, zahlreiche Neuauflagen und Übersetzungen in ca. 15 Sprachen). 1981 wurde das Buch unter Regie von Ulrich Edel und mit einem einschlägigen Soundtrack von David Bowie verfilmt (Bowie hatte in den 70er Jahren selbst in Berlin gelebt und sein Song Heroes wurde zur Hymne des damaligen Westberlin). 1980 bewegt sich Felscherinow im Umfeld der Einstürzenden Neubauten, gründete zusammen mit deren Gitarrist und Bassist Alexander Hacke (auch: Alexander von Borsig) die Band Sentimentale Jugend, spielte neben Decoder in dem Film Neonstadt mit (D 1982, R: Gisela Weilemann, Helmer von Lützelburg, Dominik Graf, Johann Schmid, Wolfgang Büld, Erstausstrahlung im deutschen Fernsehen: 24.10.2015) und brachte als CHRISTIANIA* die Alben Final Church (D 1982, Supermax Schallplatten/West Germany, EP) und Gesundheit! (USA 1982, Posh Boy Records, EP) heraus, vgl. https://www.discogs.com/ artist/98443-Christiane-F.  us einem Interview von Peter Glaser in: Überblick, Düsseldorf (November 1983), hier zitiert 31  A nach einem Auszug aus: Peter Glaser/Freunde der deutschen Kinemathek (Hg.): 14. internationales forum des jungen films. Berlin: Kino Arsenal 1984, S. 7. 32  A  uch ein Musiklabel, 1992 gegründet von Fabrizio Lazzari, Andrea Gemolotto und Leonardo Marras, trägt den Namen ›Muzak‹.

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Sicherheitsministerium verfolgt – eine Geschichte, die nicht zuletzt von den verschärften Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung in der BRD inspiriert ist.33 Indem der Film von einer gefälligen und den Kapitalismus befördernden ›Muzak‹ handelt, die es mit selbst hergestellten Sounds zu bekämpfen gilt, liefert er indirekt auch ein selbstref lexives Statement. Denn als Film wendet sich Decoder ebenfalls gegen den (filmischen) Mainstream und bietet keine leichte Unterhaltung, sondern fordert die Zuschauenden durch eine Handlung heraus, die erst langsam als solche erkennbar wird. Der Film erprobt eine neue Ästhetik, indem Bild, Sound und Musik der Sprache nicht untergeordnet werden, sondern in den Vordergrund treten. Damit praktiziert er zugleich genau das Gegenteil der herkömmlichen ›Muzak‹, die als seichte Hintergrundmusik funktionieren soll. In dem Artikel Bilderstürmer in der taz heißt es treffend: »[…] der Film ist so etwas wie gelebte Punkkultur: Die Macher verstanden sich selber als Bilder- und Klangstürmer. Einige Jahre vor MTV arbeiteten sie mit einer extrem schnellen Schnittfolge und Bildern aus unterschiedlichen Quellen. So gibt es in ›Decoder‹ Fragmente aus Fritz Langs ›Metropolis‹ und es gibt Fernsehaufnahmen von dem Attentat auf John. F. Kennedy.«34 Inspiriert ist der Film nicht zuletzt durch das Buch Die elektronische Revolution (1970) von William S. Burroughs,35 in dem es um die Einsatzmöglichkeiten von Tonbändern als revolutionäre Waffe geht. Die Idee, von der Burroughs ausgeht, ist, dass sogenannte ›Tonbandagenten‹ Cut-up-Tapes mit wilden Mixturen von Geräuschen aus aller Welt herstellen und diese wiederum in der Öffentlichkeit abspielen, um auf diese Weise Assoziationsreihen (Kodierungen) der Massenme-

33  I m Zusammenhang mit Decoder produzierte Trini Trimpop den Kurzfilm Die Schlacht an der Hasenheide (1981). Auf der Suche nach geeigneten Filmbildern für Decoder begab er sich zusammen mit seinem Kollegen und Kameramann Christian Sievers gezielt in eine Straßenschlacht zwischen Punks und Poppern mit der in Westberlin damals üblichen hohen Polizeipräsenz. Vgl. dazu ausführlich meinen Beitrag: Zeit erfahren. Echtzeit in Experimental- und Undergroundfilm. In: Susanne Kaul/Stephan Brössel (Hg.): Echtzeit im Film. Konzeptualisierung – Wirkungsweisen – Interrelationen. Paderborn: Fink 2020, S. 347-370. Für die zahlreichen Hintergrundinformationen zu Die Schlacht an der Hasenheide, Decoder und seinen weiteren Filmen danke ich Trini Trimpop. 34  W  ilfried Hippen: Punk-Kino: Die Bilderstürmer. Die Geschichte einer Rebellion, in Punk-Ästhetik erzählt. Nach 30 Jahren ist der Spielfilm »Decoder« wieder zu sehen. In: taz, 13.08.2015, www. taz.de/!5035538/ (05.03.2019). 35  D  ass Burroughs für die Protagonisten von 235 Media und die damalige Videoszene eine beträchtliche Rolle spielte, zeigt sich an zwei weiteren Arbeiten aus der 235-Edition: zum einen an der Kompilation William S. Burroughs: Thee Films 1950s–1960s, zum anderen an dem 60-minütigen Künstlerporträt William S. Burroughs. Gesandter des Abschaums von Klaus Maeck (1991).

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dien zu zerstören (dekodieren). Sein Text liest sich wie eine Gebrauchsanleitung für diese Tonbandagenten, Decoder erzählt die Geschichte eines solchen.36 Abb. 5: Cover der 235-Video-Editon (VHS) von Decoder

Und last but not least dokumentiert Decoder auch die Geschichte der Medien – auf auditiver wie auch visueller Ebene. Zu sehen sind Bildschirme, technische Laboratorien, Polaroids, Kassetten, Film im Film, Computerspiele, die Arbeit am Mischpult und »Ton-Kassetten werden fast wie Fetische gefeiert und Ghettoblaster sind die neuen Waffen in den Händen der Rebellen«37. Auf der Ton-Ebene 36  V  gl. William Burroughs: Die elektronische Revolution. Göttingen: Expanded Media Edition 1982, insbesondere S. 27-40. 37  Hippen: Punk-Kino: Die Bilderstürmer, www.taz.de/!5035538/.

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wird mit Geräuschen des Vor- bzw. Zurückspulens, Wiederholungen von Sätzen und Tondeformationen (akustischem ›Bandsalat‹) gearbeitet. Der Film feiert drei für den Kontext dieser Studie relevante Aspekte: die Musik, die Do-it-yourselfKultur und den genialen Dilletantismus.

Punk — Performance — Kunst documenta 7 und 8 als Symptom und Schauplatz Jessica Nitsche

documenta 7 — »Mehr Kunst in die Musik, mehr Musik in die Kunst!«1 In Düsseldorf waren die Kunst- und Punkszene eng miteinander verbunden: Die Kunstakademie und die Treffpunkte der Punks – insbesondere der Ratinger Hof – waren nicht weit voneinander entfernt, hier vermischten sich die Szenen und so manche Akademieprofessoren waren damals Mitglieder der zahlreich gegründeten Bands.2 Darüber hinaus war die Szene nicht schichtspezifisch, sondern zog Schulverweigerer wie Abiturienten gleichermaßen an: »Die immense Dichte der kleinen Szene, die sich buchstäblich auf wenigen Quadratmetern Kneipenboden Abend für Abend in der Hamburger Marktstraße oder der Ratinger Straße in Düsseldorf drängte, schloss für wenigstens ein paar Jahre etwas ein, was in den Kulturen der Gegenwart völlig undenkbar geworden ist: die Mischung von Klassen, symbolisch gefasst im Unterschied, ja Gegensatz von Punk und Künstler. Natürlich war dieses gemeinsame Feiern nicht reibungslos. Punks verprügelten Künstler, Künstler snobbten Punks ab, aber dennoch hielten sie es

1  Werbeanzeige von Ata Tak (ohne Jahr), siehe Abb. 1. 2  D  en Wechselwirkungen zwischen Kunst und Musik zu jener Zeit an jenem Ort widmet sich die Studie Kunst – Musik. Deutscher Punk und New Wave in der Nachbarschaft von Joseph Beuys von Thomas Groetz (Berlin: Martin Schmitz Verlag 2002); zum Ratinger Hof vgl. auch das Interview mit dessen Betreiberin Carmen Knoebel: https://www.dietotenhosen.de/magazin/carmen-knoebel (05.03.2019) und http://purefreude.com/deutsch.htm (05.03.2019) wie auch die beiden Bildbände: Ralf Zeigermann (Hg.): Ratinger Hof. Fotos und Geschichten. Königswinter: Wiegner 2010 und ar/gee gleim: Geschichte wird gemacht. Deutscher Underground in den Achtzigern, hg. v. Xaõ Seffcheque/Edmund Labonté. München: Wilhelm Heine Verlag 2018. Einen kleinen Einblick in das Geschehen in und um den Ratinger Hof bietet der Film Blitzkrieg Bop von Trini Trimpop und Muscha (D 1977, 26 Min.), im Archiv der Stiftung imai.

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ein paar Jahre miteinander aus […].«3 In Berlin wurde das SO36 mit Martin Kippenberger als Geschäftsführer (1979 bis 1980) zu einem Ort, der Party, Punk, Performance, Film und Kunstaktionen miteinander verband. Darüber hinaus gab es auch personelle Überschneidungen: Die Kunststudenten Thomas Fehlmann und Holger Hiller gründeten Palais Schaumburg, der Künstler Markus Oehlen trat zusammen mit Diedrich Diederichsen als LSDAP auf und saß bei Mittagspause am Schlagzeug, Peter Braatz alias Harry Rag sang bei S.Y.P.H. und gründete mit Carmen Knoebel, die den Ratinger Hof betrieb, das Pure-Freude-Label, der Maler Moritz Reichelt alias Moritz ® sang bei Der Plan und betrieb zusammen mit Kurt Dahlke (Pyrolator) und Frank Fenstermacher das Düsseldorfer Label Ata Tak, Käthe Kruse und Nikolaus Utermöhlen bildeten zusammen mit Wolfgang Müller Die tödliche Doris.4 Die Ausstellung Geniale Dilletanten im Haus der Kunst in München hat der Verbindung zur Malerei besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Zentren bildeten – analog zur Musikszene – die Städte Düsseldorf, Hamburg und Berlin, deren jeweilige Charakterisierung in Ulrich Wilmes’ Beitrag über die Malerei der 1980er-Jahre ähnlich ausfällt wie Diederichsens Charakterisierung im Hinblick auf die Musikkulturen (vgl. oben): »Gleichwohl waren sie als Wirkungsstätten völlig unterschiedlich geprägt. Während das Rheinland sich anschickte, zum internationalen Marktplatz aufzusteigen, wurden Berlins Kunstquartiere von einer allseits gegenwärtigen Subkultur befeuert, Hamburgs Szene entwickelte hingegen ein eher gesellschaftskritisches Selbstverständnis.«5 Richtungsweisend für die Entwicklung einer neuen und expressiven Ausrichtung der Malerei waren 3  D  iedrich Diederichsen: Genies und ihre Geräusche: Deutscher Punk und Neue Deutsche Welle 1978-1982. In: Leonhard Emmerling/Mathilde Weh (Hg.): Geniale Dilletanten. Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland. Ostfildern: Hatje Cantz 2015, S. 10-22, hier S. 18-19. 4  Vgl. ebd., S. 20-21, und http://purefreude.com/deutsch.htm (05.03.2019). 5  U  lrich Wilmes: Heiß oder kalt – Malerei der 80er Jahre. In: Emmerling/Weh: Geniale Dilletanten, S.  106-113, hier S.  110. Über die stadtspezifischen Ausrichtungen der Szene heißt es bei Diederichsen: »In West-Berlin waren die neuen Töne, und vor allem die aus den neuen Lebensstilen der Trümmerboheme von Kreuz- und Schöneberg, tendenziell eher mit alten Ideen verbunden. Rebellion und Kampf wurden sehr viel ernster genommen als in Düsseldorf, wo man mit Fehlfarben wusste, dass es ›zu spät ist für die alten Bewegungen‹ (Abenteuer & Freiheit (Single), Weltrekord/EMI 1980). In Berlin gab es nicht nur die Fixierung auf den nahenden Untergang, den man mal politisch, mal zivilisatorisch dachte […]. Musikalisch war der Berliner Dilletantismus erfindungsreicher als der Düsseldorfer: Aus Industrielärm, archaischer Elektronik, Schlagzeug mit auf Baustellen zusammengeklauten Fundstücken und nicht beherrschten Saxophonen wurde ein tribalistisch-verschworener Noise ohne Rock, sprachlich aber fast wie dieser formelhaft, liebte mantrahafte Wiederholungen und Bekenntnisse und entbehrte – im Gegensatz zur Düsseldorfer Szene – jeden Humors. In Hamburg gab es – wie außerdem auch in Berlin – eine eher bodenständige Punkszene. Die andere, interessantere Musik aber entstand hier – wie auch in Düsseldorf – im Umfeld von Kunst, und zwar nicht nur an der Hochschule (so in den Klassen von Claus

Punk — Performance — Kunst. documenta 7 und 8 als Symptom und Schauplatz

die Ausstellungen 1. Außerordentliche Veranstaltung in Bild und Klang zum Thema der Zeit ›Elend‹, 1979 im Büro von Martin Kippenberger, und im Jahr 1980 Les Nouveaux Fauves – Die Neuen Wilden in der Neuen Galerie Sammlung Ludwig in Aachen, Heftige Malerei im Haus am Waldsee in Berlin, Pißkrücke im Hamburger Künstlerhaus und Finger für Deutschland im Atelier von Jörg Immendorf in Düsseldorf.6 Zu den Protagonisten der Jungen Wilden zählen unter anderen Luciano Castelli und Salomé (Geile Tiere), Rainer Fetting, Bernd Zimmer, Helmut Middendorf, Markus Oehlen (LSDAP/Mittagspause), Walter Dahn, Jiri Georg Dokoupil, Albert Oehlen und Moritz Reichelt (Der Plan).7 Innerhalb der Malerei mögen die Jungen Wilden eine provokante Position eingenommen haben. Die Inspiration hat jedoch insbesondere in eine Richtung stattgefunden, was Carmen Knoebel in einem Interview wie folgt auf den Punkt bringt: »Die ›Jungen Wilden‹ kamen nach dem Punk und nicht umgekehrt. Es musste also erstmal so etwas Freches auf der Bühne stattfinden, damit die Künstler damals komplett neue Bilder in den Kopf kriegen konnten.«8 Dies bestätigen auch Aussagen der Maler selbst: »Es war wirklich wichtiger, ein gutes Konzert zu hören als sich ein Bild anzugucken« – so zum Beispiel Helmut Middendorf.9 Schlägt man den Bogen von den Genialen Dilletanten hin zur bildenden Kunst, so erscheinen deren Impulse für die Performance-Kunst wesentlich bedeutender. Dieser Zusammenhang lässt sich besonders gut mit Rekurs auf die entsprechenden documenta-Ausstellungen veranschaulichen. Die alle fünf Jahre in Kassel stattfindende documenta kann als Seismografin für aktuelle Entwicklungen innerhalb der zeitgenössischen Kunst gelten. Und so lassen auch die documenta 7 (1982) und 8 (1987) die Bedeutung subversiver Musikkultur für die Kunst jener Jahre erahnen. Zum Eröffnungsprogramm der documenta 7 gehörte ein Konzert, das Carmen Knoebel organisiert hatte; es fand am 21. Juni 1982 im Keller des Fridericianums statt. Als Betreiberin des Ratinger Hofs engagierte sie zahlreiche Bands, Böhmer und Sigmar Polke), sondern auch in der Welt des Experimentalfilms und der experimentellen Literatur […].« Diederichsen: Genies und ihre Geräusche, S. 18. 6  Vgl. Wilmes: Heiß oder kalt – Malerei der 80er Jahre, S. 110. 7  Z  u der Malerei der Jungen Wilden vgl. auch die beiden Ausstellungskataloge: Martin Engler/ Hans Peter Adamski (Hg.): Die 80er. Figurative Malerei in der BRD. Ausstellungskatalog. Ostfildern: Hatje Cantz 2015, und Thomas Kellein (Hg.): The 80s revisited. Aus der Sammlung Bischofberger. Ausstellungskatalog. 2 Bände. Köln: DuMont 2010. 8  I nterview der Toten Hosen mit Carmen Knoebel: https://www.dietotenhosen.de/magazin/car men-knoebel. Zur Charakterisierung der Malerei der Jungen Wilden vgl. auch Diedrich Diederichsen: Intensität – Negation – Klartext. Intensität. In: Ulrike Groos/Peter Gorschlüter/Jürgen Teipel (Hg.): Zurück zum Beton. Die Anfänge von Punk und New Wave in Deutschland 1977-82. Köln: Verlag der Buchhandlung König 2002, S. 137-146, hier S. 138-139. 9  Zitiert nach Wilmes: Heiß oder kalt – Malerei der 80er Jahre, S. 112.

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die ihr aus diesem Kontext bekannt waren. Der tatsächliche Ablauf der Veranstaltung, die von 11 Uhr morgens bis 19 Uhr – einer für ein Konzert dieser Art durchaus ungewöhnlichen Zeit – stattfand, ist aufgrund der zahlreich wechselnden Ankündigungen und Absagen schwerlich exakt zu rekonstruieren. Dafür, dass das Konzert im Kontext der documenta stattfand, einer Ausstellung, der auch international viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist dieses Konzert nur wenig rezipiert worden. Aufschlussreich sind lediglich zwei Konzertberichte aus dem Fanzine Scritti und der Zeitschrift Spex, aus denen die Beteiligung der folgenden Bands hervorgeht: Einstürzende Neubauten, BIT-S, Liaisons Dangereuses, Matador, Malaria, Göbbels und Harth, ZEV, LSDAP.10 Die Band Kosmonautentraum war zwar anwesend, trat jedoch nicht auf. Um nicht retrospektiv ein verzerrtes Bild zu erzeugen, muss angemerkt werden, dass das Konzertprogramm von Carmen Knoebel keinesfalls als repräsentativ für die documenta 7 gelten kann, wohl aber die Malerei der Jungen Wilden. Denn ein Schwerpunkt der Ausstellung lag auf der expressiven Malerei (weitere auf Konzeptkunst wie auch ›Kunst über Künstler‹). Und liest man das Vorwort des Kurators Rudi Fuchs im documenta-Katalog, so zeigt sich, dass das, was im Keller des Fridericianums stattgefunden hat, mit dem kuratorischen Konzept dieser Ausstellung eigentlich in keiner Weise in Einklang zu bringen war: »Wir haben alles getan, um eine nervöse Ausstellung zu vermeiden. […] Die Zeiten sind schon nervös genug. […] Nur das Neue zu wollen ist bedauerlich. […] Und eben darum, weil wir keine nervöse Ausstellung wollten, sondern eine, die der Würde der Kunst gerecht wird, mußten wir Bedingungen der Ruhe schaffen.«11 Dieses 10  V  gl. Jutta Kóether: Musik zur Documenta. Konzertbericht – Eröffnungstage Documenta 7 am 21. Juni 1982. In: Spex, Nr. 9, August 1982, S. 4, und Thomas – Michael: Kassel mit viel Kraut – Documenta 7 »du glaubst nicht, wen ich gesehen habe …«. In: Scritti, Nr. 2, Juli 1982, S. 18-20. Im Folgenden sind – soweit in den Beiträgen angegeben – die jeweiligen Besetzungen der Bands innerhalb des documenta 7-Konzerts angeführt, da sich diese mitunter ständig änderten (Bands wurden gegründet, verschwanden, benannten sich um, Personen spielten in mehreren Bands gleichzeitig etc.): BIT-S (Jojo Wolter, Ginterras Gaubis, Ulli Putsch, Uwe Jahnke; zugleich Mitglieder von S.Y.P.H.); Liaisons Dangereuses; Malaria; Göbbels und Harth (Heiner Goebbels und Alfred Harth, Christoph Anders und Peter Prochir, gemeinsam auch bekannt als Cassiber); ZEV; Matador (Beate Bartel, Christine Hahn und 2 verschleierte Frauen); LSDAP (Markus Oehlen, Diedrich Diederichsen). Zu dem Konzert beherbergt LIMA (Amsterdam) ein einstündiges Video von Babeth Mondini van Loo, das unter dem Titel Music Performance, Documenta 7 Teile des Konzerts zeigt: ZEV (Drums und Percussion), Boa & Baba (Multichannel-Video-Installation) und Einstürzende Neubauten (Musik), ein Ausschnitt ist einsehbar unter: www.li-ma.nl/site/ catalogue/art/babeth-mondini-van-loo/music-performance-documenta-7/365; der Film Geniale Dilletanten – No Wave. Underground ’80, Berlin – New York (D/USA 2009, R: Christoph Dreher/Ellen el Malki) zeigt einen Ausschnitt des Auftritts von Liaisons Dangereuses. 11  R  .H. Fuchs [Vorwort]. In: Saskia Bos (Hg.): documenta 7. Ausstellungskatalog. 2 Bände. Kassel: D+V Paul Dierichs 1982, Bd. 1, S. XIII–XIV.

Punk — Performance — Kunst. documenta 7 und 8 als Symptom und Schauplatz

Ziel haben Carmen Knoebel und die von ihr angeheuerten Künstler*innen nicht erreicht und nie gehabt. Im Gegenteil. Abb. 1: »Mehr Kunst in die Musik, mehr Musik in die Kunst!« Werbeanzeige von Ata Tak (ohne Jahr)

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documenta 8 — »Let’s Kunst!«: 235 Media, Die tödliche Doris und Minus Delta t Die Konzeption der documenta 8 ist der der vorangegangenen documenta diametral entgegengesetzt, ihr Kurator Manfred Schneckenburger beschreibt deren Konzeption in seinem Vorwort zum Ausstellungskatalog wie folgt: »Sie richtet sich auf eine Kunst, die umtreibt, was uns umtreibt. Eine Kunst, die auf verschiedenste Weise in den zeitkritischen Diskurs eingreift, Metaphern für soziale Systeme und Modelle für gesellschaftliches Handeln entwirft. Die mit bildnerischen Argumenten kommentiert, appelliert, interveniert. Die von der reinen Wahrnehmung oder Selbsterfahrung zu Erinnerung und Verantwortung kommt. Die ein subjektiver Brennspiegel von Geschichte und Gesellschaft ist. […] Sie fragt nicht nur nach den ironischen, lockeren, preziösen Einlassungen der Kunst mit Gebrauch, Alltag, Verwertungswelt, den Spielräumen zwischen Autonomie und Funktion […]. Sie fragt […] nach dem Zustand der Utopie und dem Drama der Aufklärung, nach den Reaktionen der Kunst auf Mythos, Geschichte, Politik, Sozialpsychologie.« 12 In diesen Ausführungen zeigt sich bereits deutlich, dass diese documenta weniger an die Tradition der Kunst als ans ›echte Leben‹ anzuknüpfen, aktuelle Strömungen aufzugreifen und einzugreifen bestrebt war. Auch im Filmprogramm der documenta hat sich diese vielfach auch durch den ›Do-it-yourself‹- und ›Dilettantismus‹-Gedanken inspirierte Ausrichtung niedergeschlagen, worin sich, wie Ulrich Wegener herausstellt, »mit Filmen von Die tödliche Doris oder Der Plan die gerade auslaufende Punk- und New Wave-Bewegung« spiegelte.13 Den ›Startschuss‹, die documenta zu politisieren, hatte bereits die von Harald Szeemann kuratierte documenta 5 im Jahr 1972 gegeben. Und auch die documenta 6, die bereits von Schneckenburger kuratiert worden war, arbeitete mit einem gegenüber neuen und populären Medien wesentlich aufgeschlossenerem Kunstbegriff. Einen solchen brachte er auch für die documenta 8 in Anschlag. Die Rückwärtsgewandtheit der documenta 7, die sich auf die – wenn auch neue, wilde und expressive – Malerei zurückbesann, wurde also nicht weiterverfolgt, vielmehr warf Schneckenburger die Frage auf: »Sind die Medienbilder, bis hin zu Videoclips, 12  M  anfred Schneckenburger: documenta und diskurs. In: Monika Goedl/Ursula Frohne/Wanda Lemanczyk (Hg.): documenta 8. Ausstellungskatalog. Kassel: Weber & Weidemeyer 1987, Bd. 1, S. 15-19, hier S. 15-16. 13  U  lrich Wegenast: Anziehung und Abstoßung. Film auf der documenta. In: Michael Glasmeier/ Karin Stengel (Hg.): 50 Jahre/Years documenta 1955-2005. archive in motion. Göttingen: Steidl 2005, S. 95-101.

Punk — Performance — Kunst. documenta 7 und 8 als Symptom und Schauplatz

nicht die eigentliche heutige Avantgarde? Sind diese Bilder und ihre jugendlichen Fans nicht progressiver als wir? Vielleicht ist unser Kunstverstand hinter dieser Avantgarde und ihrem Publikum zurück.«14 – ›Ja, so ist es‹ – würde man aus der Sicht von Punk auf die von Schneckenburger für »kühn«15 gehaltene Frage antworten – oder aber feststellen, dass Punk bereits hier Anstalten macht, ›in der Kunst anzukommen‹. Dies zeigt sich auch daran, dass zwei Musik- und Performance-Kollektive aus dem Punk-Kontext im ›Hauptprogramm‹ der documenta 8 vertreten waren: zum einen Minus Delta t, jene Gruppe, die Ende der 1970er Jahre durch spektakuläre Aktionen im Ratinger Hof in Erscheinung getreten war und zum anderen Die tödliche Doris, die bereits 1983 im Rahmenprogramm der Ausstellung Der Hang zum Gesamtkunstwerk von Harald Szeemann zu sehen gewesen war. Die Einladung von Carmen Knoebel, innerhalb des Konzerts im Eröffnungsprogramm der documenta 7 aufzutreten, hatte die Gruppe jedoch mit dem Argument abgelehnt, nicht auf eine Band reduziert werden zu wollen.16 Mit ihrem Programm Documenta 8 Live – Performance, Aktion, Ritual, das vier Teile mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten umfasste, bot diese documenta hingegen genau jene Plattform, die der Vielfalt der Aktivitäten der Tödlichen Doris gerecht wurde. Das umfassende Performance-Programm wurde von Elisabeth Jappe kuratiert. Es ist in drei Videos mit einer Gesamtlänge von 180 Minuten, die sie zusammen mit 235 Media ediert hat, sehr gut dokumentiert.17 Unter dem Titel Die Gesamtheit allen Lebens und alles darüber Hinausgehende trat Die tödliche Doris im ersten Teil des Performance-Programms (Expanded Performance) auf. In unterschiedlichsten Kostümen – gelbe und rote Anzüge, weiße Mäntel, große Hüte etc. – präsentiert die Gruppe experimentelle Musik, Tanz und Sprechgesang. Eine Stimme aus dem Off kommentiert, am Ende habe niemand mehr gewusst, was Die tödliche Doris sei und dass sie vor allem dadurch wirke, dass sie alles andere als das tut, was man von ihr erwarte. Über ihren Auftritt hinaus betrieb sie im Rahmen der documenta 8 ein Informationsbüro – eine 14  Schneckenburger: documenta und diskurs, S. 18. 15  Ebd. 16  D  ie Arbeiten der Tödlichen Doris sind hier ausführlich dokumentiert: www.wolfgangmuellerrr. de.  ie Videos gehören zum Bestand des Archivs der Stiftung imai, die Performance-Sektion be17  D steht aus drei Teilen: 1) Expanded Performance, 2) Art Performance. Körper – Sprache, Klang – Objekt und 3) Theatralische Performance. Technik & Medien. Minus Delta t wie auch Die tödliche Doris sind Bestandteil des ersten Teils. Vgl. auch die Publikationen: Elisabeth Jappe: Das Recht, fliegen zu können. Performance – Ritual und Haltung. In: Monika Goedl/Ursula Frohne/Wanda Lemanczyk (Hg.): documenta 8. Ausstellungskatalog. Kassel: Weber & Weidemeyer 1987, Bd. 1, S. 115122, und dies.: Performance – Ritual – Prozess. Handbuch der Aktionskunst in Europa. München: Prestel 1993.

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Installation bestehend aus Tisch, Stühlen, Kopierern, Regalen, Aktenordnern und Plakaten.18 235 Media hat für Die tödliche Doris das Video Das Lügenmeer (1987)19 wie auch das Buch Die Gesamtheit allen Lebens und alles darüber Hinausgehende20 (1987) ediert. Bei letzterem Werk handelt es sich um eine sehr aufwendig gestaltete, limitierte Sonderedition (Buch im Leinenbeutel mit Monogrammstickerei, Wäscheetikett und Kordel). Dem Buch liegt der gleichnamige Experimentalfilm der Tödlichen Doris zugrunde, der wiederum in eine Serie von 44 Gemälden transformiert wurde, indem jedes einzelne Bild des Films projiziert und mit Lackfarbe auf Leinwand gemalt wurde. Alle 44 Bilder wurden in der Galerie Zwinger in Berlin vom 17. April bis zum 29. Mai 1987 in zwei nacheinander folgenden Abschnitten ausgestellt. Die Publikation von 235 Media ist daher ein Ausstellungskatalog und eigenständiges Werk zugleich. Jede Seite zeigt eins der Gemälde mit einem aus einem Wort bestehenden Titel; in ihrer Gesamtheit ergeben die Bildtitel einen poetischen Text. Das Buch hatte eine limitierte Auf lage von 1001 Exemplaren. Die Präsentation von Minus Delta t auf der documenta 8 fand im Kontext von deren Projekt Archiv Europa statt. Im Kommentar heißt es, die Gruppe fülle die Räume vier Tage lang mit einer verwirrenden Vielfalt von Körperaktionen und Darstellungen gesellschaftspolitischer Modelle und Auseinandersetzungen. Sie beginnt ihren Auftritt mit einer kleinen Ansprache zum Thema Performance, geht darauf ein, was Performance ist und war, dass es darin um Präsenz und Körperlichkeit gehe, und stellt nicht zuletzt fest, dass die documenta mit ihrem Performance-Programm zehn Jahre zu spät käme. Auch wird das Ziel formuliert, ›Bewegung ins Publikum zu bringen‹, was zugleich praktisch umgesetzt wird, indem Mitglieder der Gruppe ins Publikum stürmen und Personen anrempeln. Parallel läuft die Ansprache weiter, in der es heißt, ein angemessener Ausdruck könne nur in einem ›nonverbal level‹ gefunden werden, worauf hin die Sprache durch wilde Schreie abgelöst wird, bis diese durch den Sprecher in gelber Uniform unterbrochen werden. Während dieser nun mit der großen Bedeutung des expressiven Tanzes fortfährt, tanzt ein Mitglied von Minus Delta t expressiv. Zum Abschluss wird ein Tisch umgeworfen. Darüber hinaus traten sie auf dem Gelände der documenta 8 als ›Kulturpolizei‹ auf und unterzogen die Besucher*innen Verhören. 235 Media unterstützte bereits vier Jahre zuvor das Bangkok-Projekt von Minus Delta t: zunächst durch die Vermittlung von Informationen und Anteilkauf,21 18  w ww.die-toedliche-doris.de/de/about.asp. 19  Im Archiv der Stiftung imai. 20  Vgl. (mit Abbildungen): Emmerling/Weh: Geniale Dilletanten, S. 64-65. 21  I n der entsprechenden Werbeanzeige heißt es im Katalog von 235 Media von 1983: »Ausgeklinkte kulturübergreifende Projekte enormen Ausmasses sind das Werk von Minus Delta T: Ein Megalith aus Stonehenge wird, begleitet von etlichen Konzerten/Veranstaltungen von Stone-

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später wurde die Vermittlung von Veranstaltungen angeboten, die neben den Informationen über das Performancekollektiv Videoaufführungen, Dia-Shows und Musik implizierten (Abb. 2). Abb. 2: Auszug zu Minus Delta t aus dem 235-Media-Katalog (1984/85)

henge in den Himalaya überführt. Ebenfalls an diesem Ort wird ein Mikrocomputer installiert in den jeder seine ›Philosophie‹ einprogrammieren kann/soll/muß, wenn er bis dorthin gelangt. Finanziert wird das Ganze unter anderem durch den Verkauf von Anteilen (Aktien). Wir vermitteln an Interessenten Informationen und den Anteilkauf. Ein Anteil kostet DM 30,00.« Ebd., o.S.

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Im Zentrum des Bangkok-Projekts stand ein sechs Tonnen schwerer Granitblock, der auf einem Lkw von Deutschland nach Thailand transportiert werden sollte, diese Aktion wurde durch Happenings und Performances entlang der Strecke begleitet und mit allen zur Verfügung stehenden Medien dokumentiert. In diesem Kontext ist auch das Projekt Living Archiv Europe (bzw. Archiv Europa und Archiv Asien) zu sehen, worüber Mike Hentz sagt: »Alles was Minus Delta t auf der Reise unterkommt, wird eingegliedert in das ›Archiv Asien‹ und ›Archiv Europa‹: Dabei unterscheiden wir lebende von toten Archiven, wobei die lebenden, wie der Name suggerieren möchte, aus lebenden Menschen bestehen, die toten hingegen aus Gegenständen, künstlerischen Produkten etc. Wichtigster Bestandteil des ›Living Archiv Europe‹ ist Minus Delta t selbst, wir sind lebende Testanordnungen, die sich ins ›Living Archive Asia‹ aufmachen, um alle möglichen Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Kollisionen zu erforschen.«22 Der Stein, der transportiert wurde, hatte in diesem Setting eine mediale Bedeutung – er war für die Gruppe »ein Katalysator, er hatte eine ähnliche Funktion wie ein Magnet oder ein Sender. Die Neutralität des Steines ermöglichte, daß Menschen mit den unterschiedlichsten Projektionen uns und dem Stein begegneten. Dieser Gegenstand hat Freiraum geschaffen, einen politischen, gesellschaftlichen Freiraum, zum Beispiel für Gespräche – sozusagen ein Kontaktstein. So wie Radio- und Fernsehsender auch nur ausstrahlende Medien sind, die einen Rahmen darstellen beziehungsweise zum Anlaß genommen werden. Ein Raum, der die Möglichkeit bietet, etwas eigenes zu machen oder mit einzusteigen.«23 Ein weiteres Gemeinschaftsprojekt von Minus Delta, 235 Media und darüber hinaus FRIGO war der Ponton Media Bus. Der Bus war mit Computern, Sendestation und Mischpulten ausgestattet und wurde als mobiles Medienlabor für Piratensender in Radio und Fernsehen genutzt. Auch er war auf der documenta 8 vertreten und im Folgejahr auf der Videonale in Bonn und dem European Media Art Festival (EMAF) in Osnabrück.24 Das Projekt, mit dem es für einige Protagonisten von Minus Delta t in den 1990er-Jahren weiterging, war das interaktive Fernsehprojekt Van Gogh TV.25

22  M  ike Hentz: Minus Delta T. Archive auf Odyssee. In: Kunstforum International, Bd. 137, 1997 (Atlas der Künstlerreisen), S. 216. 23  S abine Vogel: Interview mit Minus Delta t in Lenins Arbeitszimmer (1. Mai 1989). In: Kunstforum International, Bd. 103, 1989 (Im Netz der Systeme), S. 115; vgl. auch: Minus Delta t Plus: Das Bangkok-Projekt. Berlin: Merve 1982, und: Hentz: Minus Delta T. Archive auf Odyssee, S. 216; vgl. auch die Nachricht über Minus Delta t im Spiegel: Gesamt-Ohrwerk. In: Der Spiegel, Nr. 44, 26.10.1987, www.spiegel.de/spiegel/print/d-13526597.html (05.03.2019). 24  E ine ausführliche Beschreibung des Projekts findet sich unter http://2016.emaf.de/emaf.de/_ emaf/www.emaf.de/1988/ponton.html. 25  Vgl. dazu das Kapitel Fernseh-Utopien und Videokunst in diesem Band, insb. S. 253-256.

Punk — Performance — Kunst. documenta 7 und 8 als Symptom und Schauplatz

Schließlich kann als Indiz dafür, dass Punk und Kunst ›näher zusammenrückten‹, gedeutet werden, dass das Aachener Fanzine Bierfront eine auf 100 Exemplare limitierte Sondernummer zur documenta 8 herausgegeben hat, in der eine Hitliste der besten zehn Kunstwerke an die Stelle der sonst üblichen ›Punkcharts‹ tritt.26 Abb. 3: Titelseite der Bierfront-Sonderausgabe zur documenta 8 (1987)

Laut Wolfgang Müller begegnen sich hier Punk und Kunst erstmalig auf Augenhöhe.27 Das Fanzine war auch noch anderweitig in die documenta 8 involviert. Zusammen mit dem Berliner Kumpelnest300028 trat Bierfront als ›Sponsor‹ für Die tödliche Doris in Erscheinung. Während das Kumpelnest3000 einen Betriebsausf lug für seine Angestellten nach Kassel finanzierte, stiftete Bierfront 80 Dosen 26 Bierfront-documenta-8-Sonderausgabe, Aachen/Kassel/Westberlin 1987. Redaktionell betreut wurde das Heft von Elke Wittich, heute Sport- und Kulturredakteurin der Wochenzeitung Jungle World. Vgl. Wolfgang Müller: Subkultur Westberlin 1979-1989. Hamburg: Philo Fine Arts 2013, S. 393. 27  Vgl. ebd. 28  D  as Kumpelnest3000 ist eine bis heute existierende Bar in Berlin, die 1987 auf Basis der Idee einer Bar als Kunstraum eröffnet wurde. Die Konzeption geht zurück auf Mark Ernestus, der dieses Projekt zum Thema seiner Abschlussarbeit für die Hochschule der Künste machte, unterstützt wurde es von Die tödliche Doris.

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Bier. Im documenta-Katalog werden die Kneipe und das Fanzine neben Daimler Benz, Commerzbank und anderen als Sponsoren angeführt – was für Müller wiederum die Qualität einer poetischen Intervention gewinnt: »Der Eintrag der Wörter ›Bierfront‹ und ›Kumpelnest3000‹ bricht die Monotonie der Sponsorenliste auf. Sie gewinnt an poetischer Qualität. Natürlich ist ein Wort wie ›Lufthansa‹ auch sehr ästhetisch. Doch andere, etwas stärker konnotierte Wörter, wie etwa ›Deutsche Bank‹, können nun mit anderen Augen betrachtet werden.«29 Darüber hinaus organisierte Bierfront in Zusammenarbeit mit Theo Rick von der Band Trickbeat als ›Reiseleiter‹ eine Bustour, bei der verschiedene ›Unsehenswürdigkeiten‹ von Kassel zu besichtigen waren. Diese wurden von Rick durch ein übersteuertes Megafon kommentiert. Schließlich hielt der Bus an einer von Bierfront vorbereiteten Pyramide aus einheitlich in Silber besprühten Bierdosen. Diese waren von den Teilnehmer*innen zu öffnen und zu trinken. Wer eine der wenigen mit Fanta gefüllten Dosen erwischte, hat eine Schallplatte gewonnen.30

29  Müller: Subkultur Westberlin 1979-1989, S. 391. 30  V  gl. ebd. Aufnahmen von der Bierpyramide finden sich in Die tödliche Doris: Das Lügenmeer (im Archiv der Stiftung imai).

Punk on Video Synergien zwischen Musik, Videokunst und Subkultur Angelika Gwozdz

Auf den ersten Blick überrascht, dass man im Archiv der Stiftung imai auf zahlreiche Musikvideos stößt. Dies erklärt jedoch die Tatsache, dass der Ursprung des Archivs mit 235 Media in einem ehemaligen Musikvertrieb liegt. Ursprünglich als kommerzielles Werbeprodukt gedacht, dienten jene Videos nicht nur dazu, Musik zu visualisieren, sondern auch dazu, Musik als Produkt zu promoten und die Verkaufszahlen zu steigern. Mittlerweile ist das Musikvideo als eigene Kunstform anerkannt und wird in eigenen Ausstellungen in Kunstmuseen präsentiert wie jüngst 2015 in Istanbul.1 Bei näherer Betrachtung des Archivbestands der Stiftung imai fällt ein besonderes Interessensgebiet von 235 Media ins Auge: das Musikvideo oder – noch spezifischer: das Punkvideo. Noch heute ist 235 Media den Zeitzeug*innen des Punk der 1980er-Jahre als Kassettenlabel und Recordstore ein Begriff. Eine Aufarbeitung dieser Thematik scheint anlässlich diverser Jubiläumsveranstaltungen wie der ganzjährigen Londoner Veranstaltungsreihe Punk London. 40 years of subversive Culture2 oder aktueller Aufarbeitungen der Geschichte des deutschen Punk3 aktueller denn je zu sein. Dessen längst fortgeschrittene 1  D  ie Ausstellung This is Not a Love Song. Video Art and Pop Music Crossovers fand vom 25. November 2015 bis zum 7. Februar 2016 im Pera Museum in Istanbul statt und wurde von Javier Paniera kuratiert. www.peramuseum.org/Exhibition/This-is-Not-a-Love-Song/183. Sämtliche letzte Internetzugriffe für diesen Beitrag stammen vom 05.08.2017. 2  U  nter diesem Punk-Oberthema wurden Ausstellungen, Screenings, Konzerte, Lesungen oder thematische Stadtführungen (Where to be Punk in London von The Londonist) organisiert. Eine Übersicht des Programms lässt sich unter http://punk.london/ einsehen. Zu diesem Programm gehörte auch die umstrittene Performance von John Corre, Malcolm McLarens Sohn, der Punkreliquien seines Vaters im November 2016 öffentlich verbrannte. Christian Buß: London brennt – ein bisschen. In: Spiegel Online, 27.11.2016, 18:12 Uhr. www.spiegel.de/kultur/musik/punk-sohnvon-malcolm-maclaren-verbrennt-seine-punk-sammlung-a-1123300.html. 3  S o zum Beispiel auch das Buchprojekt Wie der Punk nach Stuttgart kam – und wo er hinging von Simon Steiner (Stuttgart: Edition Randgruppe 2017), der Arbeits- und Rechercheprozess wird

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Historisierung führt gegenwärtig zu einer »Retromania«, wie Simon Reynolds dieses Phänomen in seinem gleichnamigen Buch4 nennt, die Zeitzeug*innen und folgende Generationen gleichermaßen erfasst und die Musealisierung von Punk, Bandreunions, Autobiografien und Ähnliches zur Folge hat. Die Archivfunde, die im Folgenden besprochen werden, gaben im Zuge der Recherchearbeit Aufschluss darüber, dass das Punkvideo in jenen Aufarbeitungen bislang nahezu unberücksichtigt geblieben ist. Gespräche mit Zeitzeug*innen, die erst Jahrzehnte nach den eigentlichen Ereignissen stattfinden, liefern nicht selten widersprüchliche Aussagen und lückenhafte Erinnerungen5 und erzeugen somit den innerlichen Konf likt, einerseits richtig zu zitieren und andererseits eine korrekte historische Übersicht bieten zu wollen. Vor allem, wenn versucht wird, den Ursprung von bestimmten Phänomenen nachzuvollziehen (beispielsweise des Begriffs ›Neue Deutsche Welle‹), stößt man auf Widersprüchlichkeiten. Auch fällt auf, dass sich medienwissenschaftliche Forschungen zwar mit der Thematik von Super-8-Filmen im Punk6 beschäftigen, jedoch weniger das Video im Punkkontext berücksichtigen. In Ausstellungen wie Geniale Dilletanten. Subkultur der 1980er Jahre in Deutschland7 fanden Videos zwar Erwähnung, aber eine genauere Auseinandersetzung mit ihnen suchte man vergeblich. Eine Genese der Künste und Multimedialität wurden zwar erkannt8, allerdings fanden Videos und Filme der Künstlergruppen kaum Beachtung. Eine Ausnahme bildet die Performancegruppe Die tödliche Doris, die zahlreiche Super-8-Screenings veranstaltete in einem Blog dokumentiert: http://stuttgartpunk.de. Begleitend gab es vom 15.09. bis zum 08.10.2017 eine Ausstellung im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart. Das Buchprojekt kann als eine von vielen Reaktionen auf Jürgen Teipels oft zitiertes Buch Verschwende deine Jugend. Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave, 2001 im Suhrkamp Verlag veröffentlicht, gewertet werden. Teipels Konzentration und Reduzierung der deutschen Punkszene auf die drei Großstädte Hamburg, Westberlin und Düsseldorf wird unter anderen auch von Frank A. Schneider kritisiert (vgl. ders.: Als die Welt noch unterging. Von Punk zu NDW. Mainz: Ventil Verlag 2007, S. 17-20). 4  S imon Reynolds: Retromania. Warum Pop nicht von seiner Vergangenheit lassen kann. Mainz: Ventil Verlag 2012. 5  A  uffällig ist dieses Phänomen unter anderem in Verschwende deine Jugend von Jürgen Teipel oder in Legs McNeil/Gillian McCain: Please Kill Me. The uncensored Oral History of Punk. New York: Groove Press 2006. 6  V  gl. dazu exemplarisch: Daniel Kulle: Alle Macht der Super 8. Die West-Berliner Super-8-Film Bewegung und das Erbe des Punks. In: Philipp Meinert/Martin Seeliger (Hg.): Punk in Deutschland. Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven. Bielefeld: transcript 2012, S. 261-286. 7  D  ie Tournee-Ausstellung wurde 2015 in Minsk, München und Hamburg gezeigt. Vgl. https://www. goethe.de/de/uun/prs/med/mr5/20481667.html. 8  T homas Groetz: Kunst – Musik. Deutscher Punk und New Wave in der Nachbarschaft von Joseph Beuys. Berlin: Martin Schmitz Verlag 2002, S. 185-187.

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und spätestens seit ihrer Teilnahme an der documenta 89 Aufmerksamkeit in der Kunstöffentlichkeit erlangte. Ihre Mitglieder, allen voran Wolfgang Müller, waren bereits sehr früh darauf bedacht, die Geschichte der Künstlergruppe zu verschriftlichen und sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.10 Neben Die tödliche Doris beschäftigten sich weitere Musiker*innen vor und hinter der Kamera mit dem Medium Super-8: Blixa Bargeld übernahm die Hauptrolle in LiSan Tibodos Bad Blood for a Vampyr (1984) und Trini Trimpop wurde 1980 zusammen mit Muscha mit Humanes Töten11 für den Max Ophüls Preis nominiert. Die Geschichte des Punkvideos lässt sich mit der des Undergroundfilms12 vergleichen: Aus Mangel an öffentlichem und kommerziellem Interesse von Filmvertrieben haben sich Filmemacher zusammengeschlossen und autonome Vertriebs- und Publikationsstrukturen organisiert. Um alternative Präsentationsmöglichkeiten zu schaffen, wurden eigene Filmfestivals mit und für Undergroundfilme ins Leben gerufen. In den USA lieferte Andy Warhols Factory eines der ersten Beispiele, das Film, Performance und Musik fusionierte und neue multimediale Veranstaltungen kreierte. Am 7. April 1966 fand die Exploding Plastic Inevitable statt, die Filme, Lichtshow und Konzert vereinte und gleichzeitig selbst zur Thematik von Warhols Filmen wurde. Während sein Band-Schützling Velvet Underground seine Performance durchführte, wurden Warhols Filme auf Bühne und Wände projiziert.13 Die Filme gehörten somit zur Performance der Musiker und die Performance als Einleitung und stetiger Begleiter zur Musik.14 Die einzelnen Elemente waren untrennbare Bestandteile des Events, bei dem Warhol 9  V  gl. Monika Goedl/Ursula Frohne/Wanda Lemanczyk (Hg.): documenta 8 (Ausstellungskatalog, 3 Bände). Kassel: Weber & Weidemeyer 1987. 10  Vgl. unter anderen Wolfgang Müller: Geniale Dilletanten. Berlin: Merve 1982. 11  Im Bestand des Archivs der Stiftung imai. 12  A  ls lokales Beispiel einer Gruppe von Underground-Filmemacher*innen und Filmjournalist*innen sei XSCREEN aus Köln genannt. Vgl. Birgit Hein: Ästhetik des Underground-Films im Rheinland. In: Dirk Matejovski/Marcus S. Kleiner/Enno Stahl (Hg.): Pop in R(h)einkultur. Oberflächenästhetik und Alltagskultur in der Region. Essen: Klartext 2008, S.  179-186, und Birgit Hein: XSCREEN. In: Wulf Herzogenrath/Gabriele Lueg (Hg.): Die 1960er Jahre. Kölns Umweg zur Kunstmetropole. Köln: Kölnischer Kunstverein 1986, S. 544-551. 13  I n mindestens zwei Filmen hält Warhol seine Veranstaltungen fest: Andy Warhol’s Exploding Plastic Inevitable (1966) und Live at the Balloon Farm (1966). Vgl. dazu Tricia Henry: Break all the Rules! Punk Rock and the Making of a Style. Ann Arbor/MI: UMI Research Press 1989, S. 9-29. 14  I n seinen persönlichen Aufzeichnungen zu den 1960er-Jahren empfindet Warhol das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Zielgruppen wie folgt: »So now, […] we were reaching people in all parts of town, all different types of people: the ones who saw movies would get curious about the gallery show, and the kids dancing at the Dom would want to see the movies; the groups were getting mixed up with each other – dance, music, art, fashion, movies. It was fun to see the Museum of Modern Art people next to teeny-boppers next to the amphetamine queens next to fashion editors. We all knew something revolutionary was happening, we just felt it.« Andy

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sowohl einen künstlerischen Anspruch als auch eine erfolgreiche Vermarktung der Band verfolgte. Bei der Internationalen Filmwoche Mannheim 1981 eröffneten der Verband der Filmarbeiterinnen, AG Dokumentarfilm und der Verband deutscher Nachwuchsfilm die Möglichkeit, Filme spontan einzureichen und zu zeigen. Sie verfolgten das Ziel, in der Reihe Deutscher Nachwuchsfilm Filme zu zeigen, die in der damaligen Kulturlandschaft keinen Anschluss hätten finden können. Dazu zählten die Medien Video und Super-8, Performances wie auch Filme aus dem Feld des Punk.15 Das Punkvideo hingegen, wie es von Fun & Art oder George Hampton produziert wurde, widerspricht ursprünglich kommerziellen Absichten, Musik sollte nicht als Produkt angepriesen werden. In dieser Hinsicht unterscheidet es sich wiederum vom konventionellen Musikvideo, das oft von professionellen Musikvertrieben in Auftrag gegeben wird. Zutreffender ist der Begriff des »Kunstvideos«, den Axel Wirths folgendermaßen definiert: »Das Kunstvideo entsteht [gegenüber dem Musikvideo] unter völlig anderen Voraussetzungen. Die Motivation des Videokünstlers entspringt dem Wunsch, eine künstlerische Idee zu verwirklichen. Ästhetische Wirkung richtet sich dabei weder auf eine speziell definierte Zielgruppe, noch unterliegt sie starr vorgeschriebenen Aussageformen.«16 Inwiefern ein Kunstvideo keine speziell definierte Zielgruppe anspricht, lässt sich diskutieren, wenn man bedenkt, dass gewisse Gruppen zumindest ausgeschlossen werden. Doch auch von dem sich im Kunstmarkt gerade etablierenden Kunstvideo grenzt sich das Punkvideo ab. Das Punkvideo richtet sich an Gleichgesinnte, die die dilettantische Ästhetik mit ihrer Subkultur assoziieren und wertschätzen. Es ist ein Hybrid aus Elementen von Musik- und Kunstvideo. Biba Kopf erklärt den besonderen Charakter deutscher (Punk-)Musikvideos folgendermaßen: »Die Deutschen […] stehen so weit abseits von der einheimischen Musikszene, daß sie ihre Videos als Erweiterung eines Kunstwerks, das seinen Ausgang in einem Song hat, verstehen. Ihnen liegt die innovative, unabhängige Filmkunst näher als das Geschäft mit Videopromos, und so sind sie besser in der Lage, ihre Ideen in Bilder umzusetzen.«17 Die Nähe zu dieser Subkultur, die bereits in den vorangegangenen Beiträgen von Jessica Nitsche Erwähnung fand, soll im folgenden Text näher untersucht und Warhol/Pat Hackett: POPism. The Warhol Sixties. New York: Harcourt Brace Jovanovich 1980, S. 204.  gl. Heide Schlüppmann/Karola Gramann: Internationale Filmwoche Mannheim 1981. In: Frau15  V en und Film, Nr. 31, Februar 1982, S. 39-41. 16  A  xel Wirths: Musikclips und Videokunst. In: Herbert Gehr (Hg.): Sound & Vision. Musikvideo und Filmkunst. Frankfurt a.M.: Lang 1993, S. 43-47, hier S. 44. 17  B  iba Kopf: Laß die Bilder schneller strömen als das Geld. Mit dem Bummelzug durch die deutsche Videolandschaft. In: Veruschka Bódy/Peter Weibel (Hg.): Clip, Klapp, Bum. Von der visuellen Musik zum Musikvideo. Köln: DuMont 1987, S. 231-240, hier S. 233 (in seinem Aufsatz geht er unter anderem auch auf Videos von den Toten Hosen ein).

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anhand von Beispielen aus dem Archivbestand der Stiftung imai veranschaulicht werden.

Target Video77 — »no one wants to watch TV in a Club«18 Im Archiv der Stiftung imai lassen sich Videobänder der amerikanischen Produktionsstätte Target Video77 wiederfinden, die sich auf die Dokumentation von Musik und Performance-Kunst der 70er- und 80er-Jahre spezialisiert hatte. Die Zusammenhänge zwischen Punk, Performance, Musik und Video können am Beispiel von Target Video besonders gut veranschaulicht werden. Deren Strategien der multimedialen Veranstaltungen weisen Ähnlichkeiten mit den Aktionen in Warhols Factory auf. Entstanden sind Musikclips, lange vor MTV, die Zeitgenoss*innen bis heute in Erinnerung geblieben sind und wichtige historische Aufnahmen einer gesamten Subkultur mit ihren musikalischen Vertreter*innen wie beispielsweise den Dead Kennedys liefern. Im Fokus stand nicht der kommerzielle Gedanke, Musik als Produkt zu vermarkten, sondern die Fusionierung von Musik und Video zu einem neuen künstlerischen Genre.19 Target Video77s Videothek umfasst heute über 300 ¾ Bänder und um die 80 ½ inch reel-to-reel Tapes, die fortlaufend digitalisiert und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden sollen.20 Ihre Arbeitsweise und Nutzung des Mediums Video, die sie bei Welttourneen unter Beweis stellen konnten, kann als stilgebend für nachfolgende Künstlergenerationen gelten, darunter auch deutsche Künstler*innen 21. Target Video stellt unter Beweis, wie die jugendliche Dynamik des Punk in Kombination mit auf blühenden neuen Künsten alternative Möglichkeiten zu Präsentation, Ausstellung, Vertrieb wie auch zur Umsetzung von (Musik-)Video schaffen kann. Der Titel dieses Aufsatzes ist eine abgewandelte Form des Titels von Brad Bynums Artikel Punk on Tape, der den Target Video Gründer Joe Rees porträtiert. Da das Wort »Tape« jedoch keine direkten Rückschlüsse auf das Medium Video zulässt, sondern heute eher mit Audiokassetten konnotiert wird, wurde der Titel entsprechend angepasst. 18  R  eaktion der Betreiber*innen des Clubs Hurrah’s auf Jill Scotts Vorschlag, in ihren Örtlichkeiten Videos zu zeigen. Vgl. Ginger Coyote: Jill Hoffman and Jacki Sharp of Target Video. Interview. In: Punkglobe. Einsehbar unter: https://www.punkglobe.com/sharphoffmaninterviewaugust08. html. 19  Ebd. 20  J oe Rees im Interview vom 30.04.2009 mit Chris Ziegler. In: Target Video. Like watching something biblical, http://larecord.com/interviews/2009/04/30/target-video. 21  J oe Rees knüpfte während dieser Welttourneen Kontakt zu anderen Künstler*innen, so zum Beispiel auch zu Norbert Meissner (Meissner im Gespräch mit der Autorin am 13.04.2016 in Düsseldorf, unveröffentlicht).

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Target Video77 wurde von den Videokünstlern Joe Rees und Jill Hoffmann 1977 als Alternative zu konventionellen Kunstgalerien in San Francisco gegründet. Als Absolvent an der California School of Arts and Crafts war Rees zunächst nur für seine Plastiken aus Neonröhren bekannt.22 Simultan führte er aber Performances durch, deren filmische Aufzeichnung er in Auftrag gab. Als die Aufnahmen seinen technischen und ästhetischen Ansprüchen nicht genügten und die Intensität der Performance nicht zu vermitteln vermochten, begann er, Videocollagen mithilfe seiner Performance-Utensilien anzufertigen und diese als Hintergrundprojektion für seine Performances zu nutzen.23 Die Nähe zur Performancekunst belegen beispielsweise die Videoaufnahmen der Künstlergruppe Survival Research Laboratories24, die durch ihre Robo-Art-Performances bekannt wurde und den späteren TV-Erfolg Robot Wars inspirierte. Anfang der 1970er-Jahre eröffnete Joe Rees den alternativen Kunstraum Targeted Open Support System in Oakland, um alternative Kunstformen zu zeigen.25 Erst 1977 begann offiziell die Arbeit von Target Video26. Schnell entwickelte sich ein eigener, unverkennbarer Stil in der Produktion von Videos, der Screenings weltweit zu besonderen Ereignissen machte. Im gleichen Jahr mietete Rees ein dreistöckiges Studio in San Francisco27, in dem er ein Recording Studio einrichtete und im Erdgeschoss eine Livebühne auf baute, die er ebenfalls für seine Videoaufnahmen nutzte. Rees ergriff die Energie der auf kommenden Subkultur Punk und begann, Konzerte diverser Musikgruppen zu filmen. Das Videokollektiv – ergänzt um Jill Hoffman – griff zunächst aus Kostengründen auf die Videoausrüstung der California School of Arts and Crafts zurück.28 Die Bühnentechnik vieler Konzerte war

22  Vgl. http://targetvideo.blogspot.de/2009/11/joe-rees-transformer-steven-wolfe-fine.html. 23  V  gl. Zeitungsartikel ohne Quellenangabe in den Promo-Materialien zu Target Video vom DVD-Vertrieb MVD, S. 14. 24  V  gl. Brad Bynum: Punk on Tape. Reno resident Joe Rees documented some of the greatest performances by some of the greatest bands of the punk era. In: Newsreview.com, 23.07.2009. https://www.newsreview.com/reno/punk-on-tape/content?oid=1040292. Einige Aufzeichnungen für die Survival Research Laboratories befinden sich im Bestand des Archivs der Stiftung imai. Bei diesen hat Joe Rees mit dem Filmproduzenten Jon Reiss zusammengearbeitet. 25  J oe Rees im Interview vom 30.04.2009 mit Chris Ziegler. In: Target Video. Like watching something biblical. In: L.A. Record, abrufbar unter http://larecord.com/interviews/2009/04/30/tar get-video.  er Name leitet sich von dem englischen Wort ›target‹ ab, das das Zentrum einer Kameralin26  D se bezeichnet, und steht in keinerlei Beziehung zu den gleichnamigen amerikanischen Supermärkten, wie Joe Rees im Gespräch mit Brad Bynum erklärt. Bynum: Punk on Tape. 27  I n diesem Studio fand außerdem Brad Lapin mit seinem Fanzine Damage Magazine einen Arbeitsplatz. https://www.punkglobe.com/sharphoffmaninterviewaugust08.html. 28  D  iese Praxis lässt sich bei diversen Künstler*innen wiederfinden, da Videokameras zu diesem Zeitpunkt noch sehr teuer waren. Andere griffen auf die wesentlich erschwinglicheren

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minimalistisch und bot mangelhafte Bedingungen für gute Videokameraaufnahmen. Gleichzeitig musste das Equipment leicht und mobil sein, um sich den Bewegungen der Konzertbesucher anpassen zu können. Das Licht war schlecht, der Ton dürftig.29 Ein eigenes Studio lieferte optimale Aufnahmebedingungen, und alternative Gagen (wie Übernachtungsmöglichkeiten mit Frühstück) überzeugten die Musikgruppen, kostenlos in ihren Räumen zu spielen.30 Abb. 1: Videostills aus Target Video: The Screamers – 122 Hours of Fear (Live at Target) (1978)

Super-8-Kameras zurück. So kam es, dass Joe Rees anfing, mit einer Sony Portapak zu arbeiten, die er etwas modifizierte. Joe Rees im Interview vom 30.04.2009 mit Chris Ziegler. 29  A  ufgrund der schlechten Lichtverhältnisse wurden viele Aufnahmen unbrauchbar. Andernfalls wären wahrscheinlich wesentlich mehr Videos – nicht nur von Target Video – erhalten geblieben.  gl. Jack Boulware/Silke Tudor: Gimme something better. The profound, progressive, and occa30  V sionally pointless history of Bay Area punk from Dead Kennedys to Green Day. New York: Penguin 2009, o.S.

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1976 erfolgten erste Aufnahmen von befreundeten Musikgruppen, die ebenfalls aus dem Umkreis der Kunststudent*innen stammten: Ein Konzert von The Mutants31 gilt als ausschlaggebender Moment für den Einstieg von Target Video77 in die Punkszene und die Welt der Videoaufnahmen.32 Ziel war unter anderem die authentische Aufnahme einer gewaltigen Atmosphäre, die durch die physische wie auch psychische Nähe zwischen Kamera, Band und Publikum erzeugt werden konnte. »Video’s worked out to be the ultimate medium for new wave because it’s very fast; it instantly documents an event and also we can distribute this information very rapidly.«33 Die Band The Screamers (Abb. 1), die sich selbst als »visual band« verstand und die Performancekunst und Musik in gleichem Maße berücksichtigte, empfand den Film als das einzige Repräsentationsmedium, das ihre Arbeit in all ihren visuellen und auditiven Facetten als Gesamtkunstwerk festhalten konnte.34 Der Synthesizer-Spieler Tommy Gear fasst ihre Zukunftsvision folgendermaßen zusammen: »One thing we might want to do is to project ourselves as a video-projection instead of doing a performance. So we can get the money without having to be there.«35 Alternative Aufnahmeorte transferieren das Konzert in neue Kontexte und schaffen eine energiegeladene Atmosphäre. Mit simplen Studioaufnahmen in den eigenen vier Wänden gab sich Target Video nicht zufrieden, weswegen sie sich auf neue Vermittlungsformen einließen, um Musik als Erlebnis und Ereignis erfahrbar zu machen. Zusammen mit The Mutants wollten sie Musik Menschen nahebringen, die sonst nicht die Möglichkeit hatten, sie live zu erleben. So spielten The Mutants und The Cramps 1978 vor Patienten der Napa State Mental Institution. Die Dynamik motivierte Patient*innen zum Tanzen, Singen und dazu, auf die Bühne zu kommen, um ihren Beitrag zum Vergnügen zu leisten.36 Die Atmosphäre dieses Videos inspirierte die beiden Künstler Iain Forsyth und 31  Target Video liefert vermutlich die meisten Aufnahmen. 32  Vgl. Coyote: Jill Hoffman and Jacki Sharp of Target Video. Interview. 33  J oe Rees zitiert nach: Nicholas Rombes: A cultural dictionary of punk. 1974-1982. New York: Continuum 2009, S. 281-282. 34  D  er Sänger Tomata du Plenty im Gespräch mit dem Autor Jack Rabid, erwähnt im Interview mit Joe Rees in: Target Video’s Joe Rees. The Revolution will be filmed! In: Big Takeover, Nr. 73, 2013, S. 58-68. 35  T ommy Gear im Gespräch mit Jon Savage. Jon Savage on song: The Screamers – 122 Hours of Fear. In: The Guardian, 27.07.2010, 15:54 Uhr. https://www.theguardian.com/music/musicblog/2010/ jul/27/screamers-122-hours-fear. Das Video Shut Up and Listen ist bis heute eines der wenigen Dokumente der Band, die nie ein Tonstudio betreten hat. Der Umstand, dass sie nie eine Tonaufnahme veröffentlicht haben, ließ sie schnell in Vergessenheit geraten bis zu dem Tag, an dem das Video 122 Hours of Fear (Live at Target) auf YouTube hochgeladen wurde. Erst zwei Jahrzehnte nach ihrem Wirken haben sie sich die Fanbase aufgebaut, die sie damals angestrebt haben. 36  Das Video ist einsehbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=Fat2rswNJ1k.

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Jane Pollard 2003 dazu, das ganze Konzert bis ins kleinste Detail zu kopieren und neu aufzuführen. Das Reenactment wurde wiederum auf Video festgehalten, wobei das Band weitestgehend manipuliert wurde, sodass es ähnliche Bildstörungen aufwies wie das Original und von dem historischen Dokument kaum zu unterscheiden ist.37 Darüber hinaus spielten The Mutants ein Konzert in einer Schule für Gehörlose in San Francisco, das von einem Gebärdensprachendolmetscher begleitet wurde. Für die Gehörlosen wurde die Musik zudem durch die Vibrationen der Basstöne erfahrbar.38 Target Video wurde als Teil der Punkszene akzeptiert und honoriert. Ihre Aufführungen fanden nicht selten in Kombination mit Konzerten statt. 1980 spielten in der Rubrik Video/Electronic Arts der Media Study in Buffalo The Enemies und The Vores begleitend zur Aufführung der Kompilation California New Wave (1977-78). Zwar war das Ziel, Videos mit einem künstlerischen Anspruch zu produzieren, allerdings sollte eine Kunst jenseits der kommerziellen Kunstlandschaft geschaffen werden, die Gleichgesinnte und vom Kunstmarkt Verstoßene anzog.39 Gleichzeitig verschloss sich die allgemeine Kunstgesellschaft gegenüber der wilden und groben Subkultur Punk und fand erst vergleichsweise spät Interesse an der ›Kunst des Punk‹. Dieses Phänomen erinnert an die Geschichte der Videokunst, die mit ähnlichen Vorbehalten zu kämpfen hatte und sich alternative Strukturen außerhalb von Museen und Galerien schaffen musste. Indessen wurde der bestehende Kunstmarkt verschmäht. Die neuen Strukturen haben ihn obsolet gemacht und einen parallelen, unabhängigen Markt geschaffen. Dieser Markt richtete sich an eine impulsive Jugend mit einer Vorliebe für Punkmusik. Joe Rees beschreibt den Zustand folgendermaßen: »There was a lack of satisfaction, […]. There were no museums, no gallery spaces that wanted to host this kind of stuff, so we made our own art world. […] It was an opportunity for frustrated young people to make their own art, make their own clothes, make their own music.«40 Lange vor MTV fand Joe Rees eine televisuelle Präsentationsmöglichkeit seiner Videos: Seine einstündige Sendung Target Video wurde mittwochabends auf dem Free-cable-Sender Cable 25 aus San Francisco gezeigt, die auf die meditative Maharishi Show folgte und mit einem dreiminütigen Maschinengewehrgeratter

37  W  eder das Künstlerduo noch weiterführende Literatur sind sich der Urheberschaft des Originalvideos bewusst. Die Rede ist stets von einem Fan Bootleg oder Flohmarktfund. Vgl. Reynolds: Retromania, S. 17-19. Das Reenactment wurde vom BBC and Arts Council England und dem ICA gefördert und erzeugte mehr öffentliche Aufmerksamkeit, als Target Video in seiner gesamten Laufzeit erreichen konnte. Das Video kann eingesehen werden unter: www.iainandjane.com/work/film-video/file-under-sacred-music/. 38  Vgl. Coyote: Jill Hoffman and Jacki Sharp of Target Video. Interview. 39  Vgl. Brad Bynum: Punk on Tape. 40  Joe Rees in: ebd.

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eröffnet wurde.41 Die Sendung bestand aus einem Mix aus Poesie und Kunstperformances mit Punkmusik.42 Ähnlich einem wöchentlichen Magazin, zeigten Target Video in ihrer Sendung Konzerte der Bands, die in der Woche gespielt hatten.43 Sie bedienten sich aus finanziellen Gründen und aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten dem Prinzip des Do-it-yourself und einer Ästhetik des Unprofessionellen, wenn sie anstatt aufwendiger elektronischer Titeleinblendungen handgeschriebene Plakate in die Kamera hielten. Jill Scott arbeitete 1980 beim Virgin Record Label in New York und begann, Videos in den dortigen Clubs zu zeigen. Der eigentliche Grund für ihren Umzug nach New York war die Absicht, die erste Target-Show Electronic Cinema in Glenn O’Briens Club zu promoten.44 1979 erlangte Target Video erstmalig Aufmerksamkeit der Kunstszene und wurde im Oakland Center for the Visual Arts in Mahubay gezeigt.45 Im Jahr darauf gewann Joe Rees den Adaline Kent Award als »talented, promising and deserving California artist«.46 Es folgten Einladungen zur Biennale in Paris, zu The 180 Bay Area Filmmakers Week in San Francisco, ein Beitrag zur Ausstellung California Video47 im Long Beach Museum of Art in San Francisco und eine Europatournee, die Target Video unter anderem nach Italien, Finnland, Frankreich und auch Deutschland führte. Für die Präsentation ihrer Videos in Deutschland und der Tschechoslowakei wurde der Sampler Western Forces (1980) zusammengestellt, der Konzerte der Westküste präsentierte.48 Was in der Zwischenzeit passierte, ist wenig dokumentiert, doch 2008 meldete sich Target Video zurück und wurde in der Ausstellung California Video im Getty Museum in San Francisco präsentiert. Zusammengefasst bietet Target Video bereits Charakteristika, die nicht nur für jüngere Generationen des Punkvideos von Bedeutung sind, sondern auch Bestandteile des Konzepts von 235 Media waren. Im Bestand des Archivs der Stiftung imai befinden sich diverse Musikvideos, die entweder von Videokünstler*innen erstellt oder zu Promotionszwecken von Recordlabels vertrieben wurden. Sie 41  Vgl. Boulware/Tudor: Gimme something better, o.S. 42  Vgl. Joe Rees im Interview vom 30.04.2009 mit Chris Ziegler. 43  V  gl. Jill Hoffman-Kowal im Interview mit Marty Fugate. Marty Fugate: Art Scenes: Target Video Remembered. In: Herald-Tribune, 15.09.2014. 44  V  gl. Interview mit Jackie Sharp und Jill Hoffmann in Punk Globe: www.punkglobe.com/sharphoffmaninterviewaugust08.html. 45  Vgl. Roberto Bedoya: Prime Time Punk. In: Express, Vol. 1, No. 16, 09.02.1979, o.S. 46  O  hne Autor: Joe Rees. 1980 Adaline Kent Award Recipient. In: December Profile, San Francisco Art Institute, o.S. 47  U  nter anderen mit Max Almy, Tony Oursler, Jan Peacock, Bruce & Norman Yonemoto. Vgl. Carl E. Loeffler/Darlene Tong (Hg.): Performance Anthology. Source Book of California Performance Art. San Francisco: Contemporary Arts Press 1989, S. 491. 48  Vgl. Ohne Autor: Joe Rees. 1980 Adaline Kent Award Recipient, o.S.

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haben alle eine experimentelle Auseinandersetzung mit dem Medium gemein, an der 235 Media neben der Musikthematik interessiert war. Während einige Videos einen offensichtlichen künstlerischen Anspruch verfolgen, dokumentieren andere Musikfestivals und transferieren ästhetische Methoden von Musikzeitschriften ins Video. 235 Media behandelte das Musikvideo als innovatives Medium und neue Kategorie der Videokunst.

Norbert Meissner — Propaganda aus »DADhAnova« 49 Der Medienkünstler Norbert Meissner aus Hannover entwickelte wie seine kalifornischen Kolleg*innen ein charakteristisches Musikvideoformat, das sowohl Bandperformances dokumentiert als auch kommentiert. Die deutsche Punkeuphorie erzeugte ein neues rebellisches Jugendbewusstsein in den 1970er-Jahren, in denen man sich sonst »den politischen Geschichten anpassen musste«, wie Norbert Meissner die Atmosphäre beschreibt. Jene war geprägt durch die Auswirkungen der Studentenbewegung und ihrer Erwartungshaltung einer klar ausgerichteten politischen Stellungnahme.50 Diese spiegelt sich in dem für seine frühen Videoarbeiten verwendeten Pseudonym Propaganda Video, die das deutsche Punkmilieu und sein Ambiente einfingen und verarbeiteten. Found Footage politischer historischer Ereignisse begleitet Bandperformances und kommentiert bildnerisch Songtexte und Musikelemente. Diese Arbeiten fanden international Beachtung, so auch seine Kompilation Freies Deutschland I + II von 1984 beim Festival 2ème manifestation de vidéo Montbéliard51, das die Kompilation als »Les Punks & La New Wave en R.F.A.« angekündigt und in die Rubrik »Vidéo Musicale« aufgenommen hat. Wo der deutsche Punk in der Gegenwart aufgearbeitet und ref lektiert wird, sind Meissners Dokumentationen wieder gefragt. So auch in der 49  D  ADhAnova (Der grüne Hirschkäfer) war eine dem Fluxus verbundene Theatergruppe aus Hannover, die 1978 unter anderen von Ekkehard Lory als »multi-media-manufactur« gegründet wurde. Die Aktionsräume befanden sich an der Stelle, an der das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Leibnizhaus wiederaufgebaut wurde. Der Begriff »dadhanova« ist eine Kombination des Städtenamens Hannover, der Avantgardebewegung Dada und des lateinischen Begriffs ›novus‹ (neu). Das Hannoveraner Fanzine No Fun übernahm den Begriff als Stadtnamen Hannovers. Vgl. unter anderem Brief von Ekkehard Lory vom 21.10.1975. www.lomholtmailartarchive.dk/category/letter/1975-10-21-lory. 50  Norbert Meissner im Interview mit der Autorin vom 16.05.2017 (unveröffentlicht). 51  D  as Festival fand vom 13. bis zum 18. März 1984 statt. Die Rubrik Musikvideo zeigte Videos verschiedener Rockgruppen. Unter anderem auch das Video zu Once in a lifetime der New Yorker Post-Punkband Talking Heads, eine Dokumentation zur französischen Punkband Oberkampf oder Arbeiten der multimedialen französischen Rockgruppe New Mixage aus Caen, die im alternativen Raum Nouveau Mixage arbeiteten.

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Ausstellung Zurück zum Beton – Die Anfänge von Punk und New Wave in Deutschland 1977-8252 in der Kunsthalle Düsseldorf im Jahr 2002, in der innerhalb der Ausstellungsräume Container aufgestellt wurden, in denen die Videos gesichtet werden konnten. 2008 wurde der Film Jugend 80 – Punk und New Wave in Hannover gezeigt, den er zusammen mit Addi Fahrenhorst produzierte und der bisher nur als Rohfassung existiert.53 Ähnlich wie in San Francisco konzentrierten sich in Hannovers Nordstadt Akteure unterschiedlicher künstlerischer und musikalischer Spektren, die von der Punkkultur angetrieben wurden und den Stadtteil als Knotenpunkt für ihresgleichen etablierten. In der Nordstadt waren das Plattenlabel und das gleichnamige Fanzine No Fun des Germanistikstudenten Hollow Skai54 und der Veranstaltungsraum Werkstatt Odem55 verortet. Die Bewohner der Hausnummer 27 der Straße Im Moore, darunter auch Norbert Meissner, gestalteten gemeinsam das No Fun-Fanzine. Die Thematisierung von Hannovers Musikszene in Meissners Arbeiten schien unumgänglich: Unter dem Pseudonym Norbert Nordstädter stellte er seine Fotografien jenem Fanzine zur Verfügung.56 Am 4. Februar 1978 besuchte Meissner sein erstes Punkkonzert der Band Rotzkotz im Jugendheim Badenstedt, einem Vorort von Hannover, das er fotografisch festhielt. Seither nutzte er Konzerte als künstlerische Experimentierf läche und 52  D  ie Ausstellung Zurück zum Beton fand vom 7. Juli bis 15. September 2002 in der Kunsthalle statt. Jürgen Teipel war an der Konzeption dieser Ausstellung beteiligt. Vgl. dazu Ulrike Groos/Peter Gorschlüter/Jürgen Teipel (Hg.): Zurück zum Beton. Die Anfänge von Punk und New Wave in Deutschland 1977-82. Köln: Verlag der Buchhandlung König 2002. 53  V  gl. dazu auch den Bericht vom Brotbeutel-Blog und eine Besprechung des Films im Kommentarbereich http://brotbeutel.blogspot.de/2008/11/jugend-80.html. 54  H  ollow Skai (bürgerlich Holger Poscich, *1954) ist ein deutscher Musikjournalist und Autor. Das Fanzine No Fun startete im April 1978 in einer kleinen Auflage von 20 Heften für Freunde und entwickelte sich schließlich zu einer 100er-Auflage. 1980 gründete Hollow Skai das gleichnamige Label No Fun. Bereits 1981 hielt er seine Erfahrungen in seiner Examensarbeit Punk. Versuch der künstlerischen Realisierung einer neuen Lebenshaltung fest, die im gleichen Jahr im Sounds Verlag und 2008 in Neuauflage im Berliner Hirnkost Verlag erschien. 55  D  ie Werkstatt Odem entstand 1978 als Veranstaltungsraum, in dem diverse Konzerte und Performances stattfanden. 1984 wurde dieser geschlossen. 56  I n No Fun 17/78 wird Norbert Nordstädter zum Team gezählt. Sein Aufgabenbereich galt »Fotos und so«. Bereits in Ausgabe 2/78 taucht der Name als »neuer Leser« auf. In der Ausgabe 23/79 wird von einer »langweilige[n] Schickeria-Party bei ›Nobby‹ und Helene« in einer unteren Wohnung berichtet, wobei zu vermuten ist, dass es sich bei »Nobby« um Norbert Meissner handelt, der unter der No Fun-Redaktion bzw. der Wohnung von Hollow Skai wohnte. Ein weiterer Hinweis auf die wirkliche Identität Norbert Nordstädters ist der erklärende Kommentar des Autors des Blogs Brotbeutel, der von Norbert Meissners Film Jugend 80 berichtet und in diesem Zuge das Video in 1800 sekunden durch 1800 tage von Norbert Nordstädter erwähnt, der statt des angekündigten Films Werkstatt Odem von Norbert Meissner gezeigt wurde. Vgl. http://brotbeutel. blogspot.de/2008/11/jugend-80.html.

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kommentierte seine Misserfolge wie folgt: »Von den 5 Filmen, die Norbert Nordstädter verknipst hat, ist einer gerissen, der zweite wurde unter- oder überbelichtet, die andern drei sind Diafilme. Von denen wurden noch Abzüge gemacht und dann wird alles wieder gut. Oder auch nicht.«57 Bei einem Besuch in Hamburg stieß Norbert Meissner auf den Filmemacher Klaus Maeck, mit dem er unter anderem 1981 das Video zur gleichnamigen Tour Berliner Krankheit mit den Einstürzenden Neubauten58, Mekanik Destrüktiw Komandöh59 und Sprung aus den Wolken60 schuf. In diesem Video werden Spezialeffekte nur sehr sparsam eingesetzt und sind meist manueller Natur. Durch die Verwendung unterschiedlicher Kameras konnten die Verfremdungen simultan durchgeführt werden: Es gab eine Kamera, die unbearbeitet drehte, eine Schwarz-Weiß-Kamera und schließlich eine Key-Kamera, die mithilfe einer Lumakeystanze die dunkelsten Stellen mit einer Farbe ersetzen konnte. Während der Aufnahme verwendete Meissner nur einen Monitor, um die Bilder von allen drei Kameras gleichzeitig sichten zu können. Die einzelne Kamera wirkt sehr starr; Bewegung wird durch leichte seitliche Verschiebungen oder Rein- und Rauszoomen erzeugt. Zwischenzeitlich wird das Bild entweder in einen Blauoder Orangeton eingefärbt. Als Titeleinblendung oder Übergang zu einem neuen Song fungiert ein Plakat der jeweiligen Band, das als Standbild bzw. Fotografie eingesetzt wird. Das Plakat aus dem Sprung-aus-den-Wolken-Video findet im Stillleben Verwendung zwischen Kaffeefilter, Orangensaft und Zigarettenblättchen. In dem Video zu dem Lied Gegen den Strom von Sprung aus den Wolken wechseln sich die Konzertaufnahmen mit Aufnahmen ab, in denen die Band an einem Kieselstrand entlangspaziert und auf weitere Passanten trifft. Bei den Einstürzenden Neubauten findet das für Norbert Meissners Arbeit typische Found Footage Verwendung; als Übergang dient ein Aspekte-Fernsehbeitrag, der über die Einstürzenden Neubauten berichtet. Der Moderator Hannes Keil spricht der Band den musikalischen Mehrwert ab und sieht die Entwicklung der Rockmusik als »reinen Krach« an. Dem antworten Aufnahmen von tanzenden, jungen Menschen, die Meissner von einem Fernseher abfilmt und mit den Konzertaufnahmen sowie mit inszenierten Szenen kombiniert. Im Abspann des

57  Hollow Skai in No Fun 17/78, o.S. 58  D  ie Einstürzenden Neubauten wurden 1980 gegründet. Die Gründungsmitglieder waren Blixa Bargeld, N.U. Unruh, Gudrun Gut und Beate Bartel. Alexander Hacke stieß kurz darauf dazu. Gut und Bartel wurden von Mark Chung und Ash Wednesday abgelöst. FM Einheit war 1981-1995 Teil der Band. 59  1 978 gegründet, 1984 aufgelöst. Gründungsmitglieder waren Volker Hauptvogel, Uli Radike, Stephan Schwietzke, Edgar Domin und Alexander Hacke alias Alexander von Borsig. 60  S prung aus den Wolken wurde 1980 von Kiddy Citny gegründet. Zu den wechselnden Mitgliedern zählt auch Alexander Hacke.

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Videos folgt Werbung für die aktuellen Zickzack-Platten dieser Bands, die im Hamburger Rip Off Vertrieb61 erschienen. Als weiteres Fallbeispiel sei die Kompilation Freies Deutschland I + II herangezogen, die eine besonders ausgereifte Version des Punk-Musikvideos darstellt und verschiedene Aufnahmen, welche bereits in anderer Form zusammengestellt wurden, wiederverwertet. An dieser Stelle wird ausdrücklich von Musikvideo gesprochen, da in Freies Deutschland I + II Visuelles und Auditives unmittelbar miteinander verknüpft sind. Die enge Zusammenarbeit mit deutschen Punk- und NewWave-Bands wie Abwärts62, 39 Clocks63 und dem No Fun-Recordlabel schließt eine kommerzielle Bewerbung der Bands nicht aus, denn ein Großteil der involvierten Bands war bei No Fun64 oder Zickzack vertreten, wobei das Adjektiv ›kommerziell‹ nicht überzubewerten ist. Zwar sollte dieses Video die Popularität der Bands und den Verkauf der Musik befördern, jedoch wurde es nicht von professionellen Majorlabels, sondern von privaten, lokalen Independent-Labels in kleiner Auf lage für eine kleine und sehr spezielle Zielgruppe vertrieben. Ziel war keine Profitsteigerung und Produktion für eine breite Öffentlichkeit, die Einnahmen deckten meist nur die Produktions- bzw. Vertriebskosten. Vielmehr werden in Freies Deutschland die Musik der Bands und der Punk-Lifestyle ›propagiert‹. Das Musikvideo wird folglich buchstäblich zum Propaganda-Video, wie das Video selbst ankündigt. Die Wahl des Pseudonyms Propaganda Video65 erklärt Norbert Meissner als Emanzipation der jugendlichen Ausdrucksweise. Die Punkjugend empfand das Gefühl einer sich wandelnden Zeit, wie sich Norbert Meissner erinnert.66 »Wirtschaftswunder meets No Future«, wird er im Katalog des World Wide Video61  A  lfred Hilsberg war Veranstalter der Tour. Er gründete Rip Off im April 1979, Klaus Maeck kümmerte sich um den dazugehörigen Laden, der an der Feldstraße im Hamburger Karolinenviertel verortet war. Bereits 1980 gründete er Zickzack Records. Weiterführend dazu Michael O.R. Kröhers Beitrag Untergrund und Unternehmer (Teil 1) in Sounds 9/80, einsehbar unter: www.highdive. de/over/sounds13.htm. 62  1 979 in Hamburg gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern zählen: Frank Z. (Ziegert), Margita Haberland, FM Einheit (Frank-Martin Strauß), Axel Dill und Joachim »Jocko Ono« Osiek. 63  1980 in Hannover gegründet. 64  U  nter anderem 39 Clocks, Mythen in Tüten, Der moderne Mann, Bärchen und die Milchbubis, Hans-A-Plast. Weitere Bands, die von No Fun veröffentlicht wurden und von denen Norbert Meissner Konzertaufnahmen machte, die aber nicht auf der Freies Deutschland I + II-Kompilation vertreten sind, sind Rotzkotz und Daily Terror. Eine Diskografie des Labels hat Martin Fuchs auf der Homepage seines Labels Highdive Records zusammengetragen, die unter folgendem Link eingesehen werden kann: http://highdive.de/info/nofun/index.htm. 65  U  nter dem Namen Propaganda Video hat Norbert Meissner ausschließlich Musikvideos produziert. 66  I n seinem Präsentationsvideo Wiesbaden 1989, das vermutlich bei einem Filmfestival in Lodz gezeigt wurde, bei dem dieser nicht selbst anwesend sein konnte, stellte er neben Freies Deutschland I auch noch weitere seiner Arbeiten vor und erklärte seine Arbeitsweise und Intention.

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Festivals 198467 zitiert. »Auch für uns«, fordert eine Stimme in Freies Deutschland I + II. Sie fordert ein Video, das den Vorstellungen und Wünschen der Zielgruppe, der Punkjugend, gerecht werden sollte. In der zweiteiligen Collage werden Found Footage des deutschen Fernsehens und Konzertaufnahmen68 von 1979 bis 1983 montiert, die die Jugendkultur der 1980er-Jahre televisuell bereits am Anfang inkludiert. Es folgt eine Zusammenfassung öffentlicher Stimmen, die jene Jugend kritisieren und diffamieren. In einem Ausschnitt der Neuen Deutschen Wochenschau aus dem Jahre 1961 warnt der Bundesfamilien- und -jugendminister Franz-Josef Wuermeling vor einem Werteverfall der Jugend, die eine »große menschliche, aber auch eine große politische Gefahr [sei.] […] Was wird eine solche Jugend einer kommunistisch klar ausgerichteten jungen Generation im Osten morgen ideell entgegenzusetzen haben?«69 Die Jugend sei zwischen Flipperspielen und Groschenheften ein Opfer des Kommerzes und der amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Eine weitere Stimme beklagt eine »isolierte Jugendkultur«, eine andere die »amerikanische Negermusik«. »Wie soll das bloß noch einmal enden?«, fragt eine weibliche Stimme. Der Konservatismus der Elterngeneration heißt die neuen, fremden Genüsse der Jugend nicht gut. Solch eine Jugend könne der imaginierten Bedrohung aus dem Osten nicht standhalten. Norbert Meissner bietet die Vorstellung eines »freie[n] Deutschland[s]« »auch für uns« an. In diesem »freie[n] Deutschland« kann sich die Jugend frei entfalten. Sie ist frei von konservativen Vorwürfen, frei von historischem Schuldbewusstsein, frei von der Last des Nationalsozialismus. Er antwortet im Stil eines Musikmagazins mit einer Inhaltsangabe in Form einer Auf listung der gezeigten Bands. In dieser werden die jeweiligen Bandnamen im Vollbild eingeblendet, worauf hin eine kurze FoundFootage- und eine Konzertsequenz mit entsprechender Musikeinspielung folgen. Die technischen Möglichkeiten rücken in diesem Video in den Vordergrund und werden in vielfältiger Weise genutzt, um das Videobild zu gestalten. Bilder von Politikern der 1950er/1960er-Jahre wie dem Wirtschafts67  D  as World Wide Video Festival existierte zwischen 1982 und 2004 und fand unter anderem in Den Haag und Amsterdam statt. Heute besitzt und vertreibt es eine große Videokunstsammlung. Vgl. www.wwvf.nl. 68  E ine Liste der gezeigten Songs von Teil I in der tatsächlichen Reihenfolge: Hans-A-Plast: Es brennt, KFC: Sexmörder, Bärchen & die Milchbubis: Jung kaputt spart Altersheim, Rotzkotz: Müslibrei, Der Moderne Mann: Mitternacht, DAF: Nachtarbeit, Abwärts: Shanghai Stinker, Liaisons Dangereuses: Los Niños del parque. Teil II: Liaisons Dangereuses: kess kill fé show (Düsseldorf 82), Der Plan: Hans + Gabi, 39 Clocks: Shake the hippie, Alexander von Borsig: Hiroshima, Mythen in Tüten: Es ist viel zu heiß, Bärchen & die Milchbubis: Ich will nicht älter werden, Malaria: Einsam und: Tod, DAF: Alle gegen Alle, Einstürzende Neubauten: U-Haft.  usschnitt aus der ersten Ausgabe der Neue-Deutsche-Welle-Serie zum Thema »Unsere Ju69  A gend«, 571/1, ausgestrahlt am 05.01.1961. Einsehbar unter: https://www.filmothek.bundesarchiv. de/video/586467.

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minister Ludwig Erhard, Werbefilme wie von VW und Dokumentationen politischer Ereignisse werden Aufnahmen der Bandperformances gegenübergestellt. Dabei entspricht das gewählte Bild meist dem gesungenen Text oder dem Motiv des Liedes. Repetitive Sujets sind Proteste, Popkultur und (Waffen-)Industrie. Die Bilder rangieren zwischen Ereignissen der Hoffnung und Verzweif lung. Die ausgewählten Szenen spielen häufig mit der deutschen Vergangenheitsbewältigung des Nationalsozialismus, wenn zum Beispiel Ludwig Erhards Wirtschaftswunder der Produktion des Volkswagens gegenübergestellt wird. Diese Gegenüberstellung kritisiert, dass die Erfolge des Wirtschaftswunders auch durch ein Unternehmen eingefahren wurden, das 1937 im Rahmen der nationalsozialistischen Organisation Kraft durch Freude gegründet worden war und einen Wagen des Volkes – den ›Volkswagen‹ – produzieren sollte.70 Bereits der Titel Freies Deutschland spielt auf den kommunistischen, antifaschistischen Widerstand Nationalkomitee Freies Deutschland aus der Sowjetunion an und wird später in einer Szene aufgegriffen, in der ein großes Hakenkreuz von einer Mauer abgeschlagen wird. Im Kontrast dazu stehen ein Empfang der Beatles, technische Errungenschaften für den Haushalt und die Entdeckung der Antibabypille, die von der Elterngeneration kritisiert und von der weiblichen Jugend gefeiert wurde. Norbert Meissner greift auf ein großes Repertoire von Spezialeffekten zurück, die sich nicht nur auf kräftige, farbige Elemente beschränken. Wenn Abwärts über den Seemann Shanghai Stinker singt, illustrieren schwarz-weiße Militärschiffe den Text, die von farblich verfremdeten Szenen des Konzerts überblendet werden. DAFs dystopische Nachtarbeit wird mit Found Footage aus der Industrie des Nationalsozialismus kombiniert. Das Abschlagen des Hakenkreuzes wird an dieser Stelle wieder als Hintergrundbild aufgenommen, über dem Konzertaufnahmen in geometrischen Formen eingeblendet werden (Abb. 2). Für das Abwärts-Video Bel Ami drehte Meissner ein weiteres Video, das er in die Performanceaufnahmen montierte.71 Dieses wurde in einem besetzten Haus in der Hamburger Hafenstraße aufgenommen und zeigt, wie die Bandmitglieder mit einem ferngesteuerten Panzer spielen, der auf den Schoß von Margita Haberland zusteuert. Die Überbelichtung des ohnehin schon sehr hellen Raumes wurde durch die geöffnete Blende der Kamera zusätzlich gefördert, sodass sich die Körper in den Farbf lächen auf lösen konnten.72 In Rotzkotz’ Müslibrei werden computeranimierte Konturen unterschiedlicher stilisierter Figuren über die Performanceaufnahmen geblendet. Diese Figuren illustrieren den Songtext »ich essʼ so gerne Müslibrei […] 70  Vorläufer des Volkswagens war der KdF-Wagen, der ›Kraft-durch-Freude-Wagen‹. 71  D  as Video zu Bel Ami wurde bereits in Meissners Abwärts – Live und bei Mutti verwendet, das sich ausschließlich der Band Abwärts widmet. 72  S o Norbert Meissner in einem Gespräch mit Renate Buschmann am 14.04.2016 in Köln (unveröffentlicht).

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immer wieder Müslibrei«, der nicht zuletzt die Hippie- und Ökobewegung parodiert. Die Darstellung reicht vom Suppe essenden Herren mit Hut über den Irokesen tragenden Punk, der sich den Tellerinhalt ins Gesicht wirft. Darüber hinaus ist ein Würstchen essender Polizist zu sehen, bis der Henker das Lied abschließt und ein Schwein köpft. Norbert Meissner rezipiert nicht nur die Musikkultur des (regionalen) Punk, sondern auch dessen politischen Geist. In seinen frühen Arbeiten versucht er, die Sorgen und Ängste, aber auch die Freuden der deutschen Jugend festzuhalten. Wie seine amerikanischen Kolleg*innen gestaltet Meissner audiovisuelle Musikmagazine, die aus Konzertaufnahmen, Found Footage und Interviews oder Kommentaren collagiert sind. Das Medienverhalten der Deutschen wird kritisch hinterfragt und durch Montage von Found Footage und neu eingespieltem Ton ironisiert. Die Trennung Deutschlands wird in seinen Arbeiten wiederkehrend thematisiert. Auch seine späteren Arbeiten mit zunehmend künstlerischem Anspruch zeigen eine abstrahierte Medienwelt, die von amerikanischer und sowjetischer Berichterstattung beeinf lusst und gestört wurde. Abb. 2: Videostills aus Norbert Meissner: Freies Deutschland I + II (1980-83)

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»Bildet Banden!« Ähnlich wie in den USA ist die Vernetzung zwischen Musiker*innen und Künstler*innen in Deutschland nicht von der Hand zu weisen. Als prominentes Beispiel seien hier die Neuen Wilden genannt, deren Vertreter*innen nicht nur mit Personen des Punk verkehrten, sondern auch selbst in Bands spielten, beispielsweise Markus Oehlen (Charley’s Girls, Mittagspause, Fehlfarben), Moritz Reichelt (Der Plan) oder Salomé (Geile Tiere). Die Rebellion des jugendlichen Punk inspirierte Motivik, Vorgehensweisen und Veranstaltungsformen. Die Synergien wurden von befreundeten Künstler*innen genutzt, wie es die Kunstgeschichte bereits aus den Avantgarden kennt. So spielten Charley’s Girls 1978 zur Eröffnung von Astrid Heibachs Ausstellung Achtung Fertig Los in der Galerie Oppenheim73 und die Berliner Künstlergruppe Die tödliche Doris feierte in der NDR-Videonacht ihr TV-Debüt und zugleich ihren letzten Liveauftritt im Fernsehen. Die NDR-Videonacht74 wurde 1985 als Live-Fernsehevent in Hamburgs Messehalle veranstaltet. Ähnlich einer Messe präsentierten sich Videokünstler*innen mit einem eigenen Stand und führten in ihre Werke ein. Untermalt wurde das Programm neben diversen Musikvideos von audiovisuell arbeitenden Künstlergruppen, die ihr Bühnenprogramm mit Videoelementen schmückten. Die Notorischen Ref lexe75 betraten bei ihrem ersten Stück zwar die Bühne mit Instrumenten, spielten jedoch keinen einzigen Ton. Die Musik ertönte als Playback im Hintergrund, sobald ihr Video Breshnev Rap76 projiziert wurde. Ihre Performance bestand aus einem inszenierten Trinkgelage an einem alten Ölfass, auf dem

73  V  gl. Kunstmuseum Bonn (Hg.): Sich selbst bei Laune halten. Kunst der 70er aus der Schenkung Ingrid Oppenheim. Köln: Wienand 2005, S. 15. 74  D  ie Gemeinschaftsproduktion von NDR, SFB, WDR, Radio Bremen und Hessischem Rundfunk fand am 10.08.1985 in der Messehalle 8 in Hamburg statt und wurde um 21:45 Uhr vier Stunden lang live ausgestrahlt. Marianne Enzensberger und Marianne Rosenberg führten durch die Veranstaltung, an der Künstler*innen mit 24 Ständen beteiligt waren. Es nahmen unter anderen Dieter Froese, Roswitha Weck, Gerd Conradt und Romana Scheffknecht teil. Außerdem wird der Urlaubsfilm (1984) von Norbert Meissner im Magazin Video Congress vorgestellt. Eine Aufzeichnung dieser Veranstaltung befindet sich im Bestand des Archivs der Stiftung imai. 75  M  itglieder waren unter anderen die Künstler*innen Knut Hoffmeister, Christoph Doering, Yana Yo, Sacha v. Oertzen, Tom Averbeck, Jack Ti Garden. Die Videoproduzentengruppe Confu-Baja (Hanno Baethe, Hartmut Jahn, Gerd Conradt Monika Funke Stern) dokumentiert die multimediale Arbeitsweise der Notorischen Reflexe in ihrem gleichnamigen Video Notorische Reflexe (1985), das Einzelperformances und künstlerische Aufnahmen eines Schweins auf dem Jahrmarkt kombiniert. Dieses Video befindet sich im Bestand des Archivs der Stiftung imai. 76  B  ei dem Video handelt es sich eigentlich um einen Super-8-Film. Die Lippen der kanadischen Filmemacherin Lisanne Thibadeau wurden über Breshnevs geblendet. Das Video ist Teil des Films Fragment 82/83 und einsehbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=LOMaTX9EvSw.

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diverse Flaschen und Schnapsgläser standen.77 Auch der Auftritt von Tuxedomoon (Abb. 3) fasste Musik, Video und künstlerische Performance zu einem Gesamtkunstwerk zusammen.78 Abb. 3: Tuxedomoon, Ausschnitt aus der NDR-Videonacht am 10.08.1985 in Hamburg

In der NDR-Videonacht kommt auch das französische Kollektiv FRIGO zu Wort, das 1978 in Lyon gegründet wurde und bis heute aktiv ist. In der Ausstellung FRIGO GENERATION 78/91 im März 2017 ref lektiert das Musée d’art contemporain in Lyon FRIGOs bisherige Aktivitäten. FRIGO ist die Vereinigung von künstlerischem Schaffen und Selbstversorgung. Eine alte Käserei diente 10 Jahre lang als künstlerisches Experimentierlabor, in der Radio, Performance, Musik, Galerie und Archiv gleichzeitig betrieben wurden. Das Konzept nahm seinen Anfang in Faits Divers System (FDS), das ursprünglich ein künstlerisches Untergrundmagazin war. Nachdem die Galerie, in der das Magazin produziert wurde, schließen musste, zog die Gruppe in die Käserei. Sie verwendete zu Anfang sowohl den Namen des Magazins FDS wie auch FRIGO. Zu den Gründer*innen zählen die Künstler*innen Gérard Bourgey, Gérard Couty, Alain Garlan, Mike Hentz,

77  E inen Eindruck vom Event und von Tuxedomoons Auftritt bietet das folgende Video: https:// www.youtube.com/watch?v=wqts6weqmm4. 78  T uxedomoon wurde 1977 von Blaine L. Reininger und Steven Brown gegründet. Kurze Zeit später stieß Peter Dachert hinzu. Bei ihren Live-Auftritten wurden sie von weiteren Künstler*innen unterstützt, zum Beispiel vom Multimedia-Künstler Bruce Geduldig (seit 1979) und vom Performance-Künstler Winston Tong. Vgl. http://tuxedomoonews.blogspot.de/2016/03/rip-brucegeduldig-1953-2016.html.

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Charles Picq und schließlich Rotraut Pape, Jacques Bigot und Christian Vanderborght.79 Das Konzept von FRIGO ist das der Vollzeit-Künstlerin oder des Vollzeit-Künstlers, die/der für die – und mit der Kunst lebt. Die Grenze zwischen privatem und öffentlichem Leben ist darin aufgelöst; die Gruppe ist zugleich Künstler*in, Publikum und Kritiker*in. Die individuelle Arbeit existiert neben der Gruppenarbeit und der Vernetzung mit weiteren Künstler*innen. An diesem Ort wurden individuelle Infrastrukturen geschaffen, die im elitären Kunstbetrieb nicht möglich oder unzugänglich waren. »Les revoltes punk«80 folgen der Idee der Selbstermächtigung und der Ablehnung jeglichen Elitarismus. Auch wurden Strategien entwickelt, die die finanzielle Autonomie des Kollektivs sicherten. Auftragsarbeiten in Form von Graphiken, Design, Theaterkulissen oder Videoproduktionen für Fernsehsender bildeten das Grundeinkommen der Firma FRIGO. 1981 ging der Piratensender TVL2000 81 auf Sendung, dessen Übertragung improvisiert war – nur 3 Zuschauer*innen, deren Fernsehgeräte defekt waren, konnten den Sender zufällig empfangen. Der nächste Versuch eines Piratensenders wurde erst 1984 mit TV.pirate unternommen. FRIGO konzipierte ein Programm, das die Französische Revolution zum Thema hatte und Material aus dem persönlichen FRIGO-Archiv zeigte. Das Projekt scheiterte aus Mangel an kooperativen Partnern, die FRIGO ausreichend künstlerische Freiheit gewähren. Als Frankreich die Liberalisierung des Radioprogramms versprach, öffnete FRIGO 1981 den Piratensender Radio Bellevue, der bis heute noch sendet, und schreibt dazu: »we had finally found our ›loudspeaker‹, the propaganda machine of our dreams, which we called the ›Frigo sound sculpture‹. […] Once again: get out of the cultural ghetto, refuse elitism, reach the masses through the mass media and, above all, finally listen to the music we like.«82 Lyon entwickelte sich damals zur französischen Hauptstadt des Rock. 1984 organisiert Radio Bellevue zusammen mit dem Berliner Kassettenvertrieb Kassetten Kombinat das Europe Copyright Sound, in der mehrere Stunden eine Kompilation zeitgenössischer Rockmusik über freie Radiosender gesendet wurde. Privatkonzerte diverser Musiker haben in den Räumen von FRIGO stattgefunden. Die Züricher Punkband Liliput83 spielte im Dezember 1982 ein Konzert, Stephan Eicher der Band Grauzone trat als

79  S tetige Begleiter*innen sind bis heute Thomas Balestrieri, Serge Boissat, Philippe Dibilio, Cécile Dumas, Gilles Grand, Robert Lapassade, Marc Moget, Michel Piet, Marie-Christin Vernay, Phillippe Vorburger und Anne We. Vgl. http://frigobellevue.net/blog/?lang=en. 80  Pressespiegel zur Ausstellung Frigo Generation 79/90 im MACLyon, 08.03.–09.07.2017, S. 6. 81  Mit Claude Jaget, Liliane Martinez, Jean Claude Chuzeville und Bernard Fromentin. 82  Selbstdarstellung aus: http://frigobellevue.net/blog/?lang=en. 83  L iliput ist die Nachfolgeband der Frauenband Kleenex. Besetzung: Marlene Marder, Klaudia Schifferle, Astrid Spirig. Schifferle wurde von Rudi Fuchs zur documenta 7 eingeladen.

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Gastmusiker auf. Eicher sollte 1983 bei Les Nuits Bleues84 in drei Abenden mit Tanz, Rock und Performances einen weiteren Auftritt bekommen. Das Interesse an Musik spiegelte sich in Projekten wie der Performances-Gruppe Minus Delta t85, die sowohl als Rockgruppe als auch als Künstlergruppe in Erscheinung trat, wie auch in der audiovisuellen FRIGO-Band Code Public86 wider. Das Aufeinanderstoßen von FRIGO und Minus Delta t auf dem Mixage Festival in Rotterdam 1981 hatte zur Folge, dass Gérard Couty der Gruppe beitrat und Mike Hentz ein festes Mitglied von FRIGO wurde.87 Minus Delta t fand in FRIGO einen Ort, an dem sie ihre Projekte präsentieren konnten. Noch im gleichen Jahr stellten sie dort ihr Bangkok-Projekt vor, das darin bestehen sollte, einen 5,5 Tonnen schweren Felsenbrocken von Europa nach Asien zu transportieren.88 Im Gegenzug nahmen FRIGO 1983 am ersten Festival für Moderne Kunst im Byrashi Museum in Bangkok teil, das von Minus Delta t organisiert worden war, und veranstalteten Lesungen und Performances. Weitere Arbeiten in Indien folgten.89 In der NDR-Videonacht wurde FRIGO von Code Public mit ihrem Programm Hommage to Michael Jannsen vertreten. Während ihres Auftritts wurden Videos eingeblendet, die das künstlerische Schaffen FRIGOs zusammenfassen. Ihre Stücke bezeichnen sie nicht schlicht als Lieder oder Songs, sondern als ›Videotracks‹. Sowohl das Video-Magazin Infermental als auch Videos von Minus Delta t und weitere Videoproduktionen wurden vorgestellt, während im Hintergrund die experimentelle Musik von Code Public ertönte. Die Art und Weise dieser Präsentation übernahmen sie auch bei weiteren Festivalteilnahmen wie dem Experimental Film Workshop ’85 in Osnabrück. Code Public agierte als ›Außenteam‹ FRIGOs, wenn sie auf Film- und Videofestivals ihre Kunst promoteten oder »when FRIGO is f lirting with pop culture«90. Die Größe und Vielfältigkeit des Teams erwies sich als vorteilhaft, als sie im Oktober 1985 84   Veranstaltet von Radio Bellevue, FRIGO und Mosquito im Théâtre du Huitième. FRIGO filmt die Veranstaltung. 85  Besetzung: Mike Hentz, Bernard Müller, Gérard Couty, Karel Dudesek. 86  C  ode Public wurde 1984 gegründet. Die Besetzung variiert bei jedem Auftritt. Kern des Projekts scheinen jedoch unter anderen Mike Hentz, Eric Hobijn, Colace, Gecco, Ilyes, Stuckowsky zu sein. Vgl. FRIGO Tagebuch, einsehbar unter: http://frigobellevue.net/docs/2015/English-Diaryfrigo-2015-small.pdf.  ereits im April 1979 wurde Mike Hentz für die erste rhythm action während des ersten Festivals 87  B für Performance-Kunst in Lyon von FRIGO eingeladen. Vgl. FRIGO Tagebuch, S. 3-5. Einsehbar unter: http://frigobellevue.net/docs/2015/English-Diary-frigo-2015-small.pdf. 88  Ausführlich dazu: Minus Delta t Plus: Das Bangkok-Projekt. Berlin: Merve 1982. 89  Z  um Beispiel Teilnahme an 6th Triennale in New Delhi am Museum of Modern Art, The Lalit Kala Akademi und der Französischen Botschaft. 90  I m September 1984 definiert die Gruppe das Konzept der »modern moralists« und legt folgende Gebote fest: »naff, narcissism-egoism, sexuality, negative-destructive, irresponsibility, ambiguity, asocial, addicted to drugs, parasitism, ridiculous, hedonism-don’t give a damnism,

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gleichzeitig in Amsterdam an der Performance The Rainbow Warrior arbeiteten und in einer Galerie in Hamburg ein Konzert spielten.91 Mit dem Einstieg in die Musikwelt wächst der Freundeskreis des Kollektivs, der sich untereinander hilft. Als FRIGO seine Videos 1984 in der Stadtwerkstatt Linz präsentierte, gaben sie ein Konzert, bei dem auch die Berliner Skandal-Band Mannamaschine92 zu Gast war. Im September 1985 manifestierte sich das European Media Art Network, ein Netzwerk zur Vermittlung und zum Screening von internationalen Kunstvideos, das von 8 unabhängigen europäischen Gruppen gebildet wurde: von Montevideo (Amsterdam), Videographia (Barcelona), dem Video-Magazin Infermental (Berlin), Beursschouwburg (Brüssel), K. Video Csoport (Budapest), London Video Art (London) und FRIGO. Es folgten Screenings, oft in Kombination mit Infermental, auf internationalen Film- und Videofestivals. Die erste Zusammenarbeit mit 235 Media fand während der Vorbereitungen zum TV-Programm Never say drop out, say E.M.A.N.93 auf Offener Kanal in Berlin statt. Der Offene Kanal war eine Kooperation zwischen Western Front (Kanada), Radio X, 235 Media, Raskin Stichting, Ponton, DFFB (D), Radio Tv Rabotnik (NL) und Radio Bellevue (F) und zeigte sowohl Live-Aufnahmen als auch Videos aus dem FRIGO-Archiv. An der ersten Sendung am 23. Februar 1987 nahmen auch Mannamaschine und die Performance-Künstlerin Malika Ziouech teil, die zwischen 1987 und 1991 mit Minus Delta t zusammenarbeitete. In der zweiten Folge gastierte Nina Hagen. Im Juni 1991 eröffneten Code Public die Marabout Bar, in der jede Woche ein anderes Videoprogramm aus dem FRIGO-Archiv gezeigt wurde.94

Die Verflechtung von Punk, Musik und dem Video-Magazin Video Congress Bei der Sichtung von Archivmaterial der Stiftung imai fiel auf, dass einige deutsche Künstler*innen, die sich in den Punkkontext einordnen lassen, auch beim Video-Magazin Video Congress vertreten waren und die Gestaltung wesentlich mit-

ghastly situation, false travesty, Babel […].« Vgl. FRIGO Tagebuch, S. 21. Einsehbar unter: http:// frigobellevue.net/docs/2015/English-Diary-frigo-2015-small.pdf.  gl. FRIGO Tagebuch, S. 25. Einsehbar unter: http://frigobellevue.net/docs/2015/English-Diary91  V frigo-2015-small.pdf.  annamaschine trat unter anderem beim Berliner Atonal Festival 1983 mit einer Performance 92  M auf, bei der die Frontfrau nackt auf ein Bettgestell gefesselt wurde und über Kopf sang. 93  Im Bestand des Archivs der Stiftung imai. 94  H  eute gehören sowohl Videos von FRIGO als auch von Minus Delta t und Rotraut Pape zum Bestand des Archivs der Stiftung imai.

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bestimmten.95 Vor allem in den ersten Ausgaben lassen sich sowohl Thematik als auch Motivik und Stilmittel des Punk wiederfinden. Bei einigen Protagonist*innen des Video Congress lässt sich die Herkunft aus musikalischen Subkulturen nicht von der Hand weisen, beispielsweise bei George Hampton (Iron Curtain Records96), Norbert Meissner (Propaganda Video), Andy Hinz (Fun & Art) und Montevideo (aus München, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Amsterdamer Vertrieb oder der Kölner Filmproduktion). Die Nullerausgabe des Video Congress mit dem Titel Prolog lässt sich auch als Promomaterial verstehen, wenn Beiträge wie Kassettenapotheke (07:30 Min.) von Fun & Art sowohl die eigenen Installationen als auch das Kassettenlabel Molto Mens oder Veranstaltungen wie Theaterfestival und die Videomaffia 82 oder Musik & Freizeit ’82 ankündigen und bewerben. Auch Montevideos Videofilm New Wave Hit Explosion 198097 findet in der Gemeinschaftsproduktion98 von Fun & Art und Montevideo Erwähnung. Er wird als Dokumentation, Analyse und Bestandsaufnahme der Jugendszene von 1980 und ihren Bands verstanden99, die »mit ›punk‹ nichts mehr zu tun haben, sondern ihren weg zur eigenständigkeit gefunden haben«100. Montevideo war eine Gruppe unabhängiger Münchner Künstler*innen, die ihre eigenen Vertriebsstrukturen entwickelt haben, um befreundeten nicht industriellen Künstler*innen und deutschen Musikgruppen Infrastrukturen zu bieten, die ihnen in der professionellen Kunst- und Musikwelt verschlossen blieben. Ziel war die Vernetzung und »Weiterentwicklung der örtlichen unkommerziellen Szene«101, die auch 235 Media ins Auge gefasst hatte. Auch Norbert Meissners ›Propaganda Videos‹ wurden als Musikvideos beworben und nur in Snippets gezeigt. Den Abschluss der Video-Congress-Ausgabe Prolog bildet ein Werbeclip der Musikzeitschrift Scritti, in der ein Mann vor weißem Hintergrund sitzt und Zeitschriften und Vinylplatten zerreißt. Auch in der zweiten Ausgabe Geld 95  V  gl. dazu den Beitrag Video Congress – ein Kollektiv und Magazin künstlerischer Videoaktivist*innen von Renate Buschmann in diesem Band. 96  A  nfänglich nutzt George Hampton den Namen seines Labels Iron Curtain Records, in späteren Videos entfällt der Zusatz »Records«. 97  D  ie Musikdokumentation wurde 2005 unter Aufbruch in die Endzeit. 1980 New Wave Hit Explosion auf DVD veröffentlicht, für die Jürgen Teipel das Vorwort schrieb. 98  I m Abspann von Kassettenapotheke werden Fun & Art und Montevideo gemeinsam erwähnt. Die Kontaktdaten von Montevideo beinhalten nicht nur die Telefonnummer von Montevideos Thomas Kistner, sondern auch von Fun & Arts Andy Hinz und Sascha A. Ehrlich. Thomas Kistner war unter anderem Herausgeber des Münchner Fanzines Mailänder Scala. 99  Vgl. Dragan Ljubojevic: New Wave Hit Explosion 1980. In: Spex, Nr. 9, 1981, o.S. 100  O  hne Autor: 1. Internationale Video-Tage Mannheim. 22.-29. Mai 1982. Mannheim: Eigenverlag 1982, o.S. 101  O  hne Autor: 1. Internationale Video-Tage Mannheim. In der Selbstbeschreibung der Gruppe distanziert sich Alex Weil in einer Fußnote vom Begriff des Künstlers.

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entschieden sich die Münchner Gastgeber Fun & Art, das Videonal mit Werbeclips eines holländischen Musikmagazins »in moderner, kunstvoller Form«102 und einer Videowerkstatt zu beenden. Als Rahmen für die einzelnen Beiträge werden Schaltkreispläne mit den Angaben zu den Künstler*innen ins Bild gehalten, die von einem farblich verfremdeten, neonfarbenen Giraffenmuster überblendet werden. Das Giraffenmuster lässt sich unter anderem auch bei der Gestaltung der collagierten Videohüllen von Fun & Art wiederfinden. Nachfolgend werden Teilnehmer*innen des Video Congress ausgewählt, die eine spezielle Arbeitsweise aufweisen und in der Literatur der Videokunst bisher wenig Berücksichtigung fanden. Die Recherchearbeit erwies sich aufgrund der wenigen Erwähnungen, die oft nur in zeitgenössischen Festivalkatalogen zu finden sind, als schwierig. Zwar erschien 2016 eine historische Aufarbeitung zur Arbeit mit und von Andy Hinz und es fand eine begleitende Ausstellung Ex-Neue Heimat 30+ Jahre Videokunst in und aus München103 statt, doch sein erstes Projekt Fun & Art ist auch hier aus Mangel an Informationen und Quellen nur eine Randnotiz. Zu George Hampton liefert der Eintrag im 235-Media-Katalog 84/85 Informationen über seine Biografie und den Auf bau von Installationen. Nicht selten sind Fanzines wichtige oder auch die einzigen Informationsquellen, die jedoch mitunter mit Vorsicht zu genießen sind, da sie oft sehr subjektive Erinnerungsprotokolle darstellen.104 Im Zuge der eingangs erwähnten Historisierung und des Erinnerungskults von Punk existiert ein großes Interesse an der Aufarbeitung persönlicher Erlebnisse von Zeitzeug*innen, die sich in der gängigen Literatur nicht vertreten fühlen. Soziale Netzwerke wie Facebook vereinfachen heute die Vernetzung und Kommunikation mit lange verloren gegangenen Freundschaften, aber auch den Austausch überregionaler Informationen.105 Auch alternative Institutionen wie das Berliner Pop- und Subkulturarchiv archiv für jugendkulturen e.V. oder das Archiv für alternatives Schrifttum in Duisburg erweisen sich als hilfreiche und wichtige Instanzen für den Erhalt und die Aufarbeitung grauer Literatur wie Flyer oder Fanzines. Sowohl Andy Hinz als auch George Hampton 102  Zitat aus dem Werbeclip des Musikmagazins Vinyl. 103  I m Zuge dieser Ausstellung ist die folgende Publikation entstanden: Wolfgang L. Diller: ExNeue Heimat 30+ Jahre. Die Künstlergruppe Ex-Neue Heimat und die Münchner Kunstszene der 80er Jahre. Medienrealismus und Videokunst als singuläre künstlerische Position und Impuls. München: Icon 2016. 104  Z  ur Problematik der Qualität der unwissenschaftlichen Quellen äußern sich unter anderen Günter Sahler in: Eine gewisse Randständigkeit. Edition Blechluft 7. Lindlar: Günter Sahler Verlag 2011, S. 10-34, und Frank Apunkt Schneider in: Als die Welt noch unterging. Von Punk zu NDW. Mainz: Ventil Verlag 2007, S. 16-22. 105  D  er Schwerpunkt von Internetforen verlagert sich zunehmend in Facebook-Gruppen mit Namen wie »Pogo in der Straßenbahn«, in der User ihre Punk-Reliquien wie Fanzines, Poster oder Fotos teilen.

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stellen ihre subkulturellen Interessen in ihren Arbeiten in den Vordergrund, wenn sie eine Ästhetik der Hässlichkeit und Zerstörung durch eine vermeintlich unprofessionelle Arbeitsweise entwickeln, Musik befreundeter Bands verwenden und das Thema des Kalten Krieges mit der Banalität von leeren und zerquetschten Bierdosen konfrontieren.

Fun & Art und Ex-Neue Heimat Die Münchner Gruppe Fun & Art entwickelte eine unverwechselbare Ästhetik, geprägt durch Verfremdung und Collageelemente, und arbeitete zwischen 1981 und 1985 an diversen Videos und Videoinstallationen. Ihre Protagonisten waren Andy Hinz und Sascha A. Ehrlich106, darüber hinaus hat Gerhard Schedel, seinerzeit als Pionier der elektronischen Musik, bei einigen Fun & Art-Videos mitgewirkt. Das Markenzeichen der Gruppe war die Überschreitung von Mediengrenzen, die sie durch die Kombination von traditionellen Gestaltungstechniken wie Malerei mit modernen, technischen Medien wie Video erreichten. 1982 fügten Fun & Art Konzertmitschnitte zu audiovisuellen Fanzines zusammen, die die Münchner Musikszene dokumentiert haben. So entstand unter anderem das Video Musik & Freizeit ’82 (60 Min.)107, das Performances von 24 Bands montiert. Handbeschriebene Zettel kündigen Bands wie Intimspray, Lustfinger, Zusatzzahl oder The Fucking World of Benni and Bernd an, die zum Teil nur sehr kurzfristig existierten. Ihre Songs wurden mit diversen Amateuraufnahmen kommentiert, in denen Musiker*innen oder Konzertbesucher*innen zu Wort kommen oder Lieder optisch untermalen. Der Badewannen Song der Band Tutti Bandi wechselt zwischen Konzertaufnahme und Aufnahmen von urinierenden Männern. Bilder von Industriegebieten, Taxifahrten oder Polizeieinsätzen wechseln sich mit Performances ab. Die künstlerischen Mittel sind stark reduziert und beschränken sich auf diverse Montagetechniken. Im fortschreitenden Werk erweitert sich das Repertoire der Stilmittel. Ähnliche Stilelemente lassen sich in diversen Konzertdokumentationen wiederfinden. So zum Beispiel auch im Berlin Atonal Sampler 108 vom gleichnamigen Musik/Kunst/Performance-Festival 1982, der von united video system vertrieben wurde. Bandnamen wurden auf handschriftlich beschriebenen Zetteln in die Kamera gehalten und mit Zeichnungen kombiniert. Ähnlich wie bei Target Video wurden Collagetechniken des subkulturellen Printmediums Fanzine adaptiert. 106  B  ürgerlicher Name: Alexander Ehrlich (arbeitet auch unter den Namen Geier und Alex Anders), er verfügt über ein umfangreiches Archiv über Aktivitäten von Fun & Art wie auch Video Congress (Anm. d. Hg., J.N.). 107  Im Bestand des Archivs der Stiftung imai. 108  Im Bestand des Archivs der Stiftung imai.

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Das Video Zukunft – kein Thema aus dem gleichnamigen Video Congress Nr. 3 ist eine Art medienkritisches Meta-Video, das sich mit dem Medium Video bzw. Fernsehen und deren Entwicklung auseinandersetzt. Erforscht werden die ästhetischen Möglichkeiten des Videos, die autodidaktisch angeeignet werden. Mittels eines Videosynthesizers werden die Bildaufnahmen farblich verfremdet und überlagert. Es entsteht eine für Fun & Art typische Ästhetik, sodass sich die Werke bereits auf den ersten Blick der Gruppe zuordnen lassen. Ein Spiegel vor der Kamera erzeugt Bild-im-Bild-Effekte. Selbstportraits von Andy Hinz werden mit Found Footage mittels der Cut-up-Montagetechnik ergänzt, was an einigen Stellen an Punk-Fanzines erinnert. Als musikalische Untermalung dient Musik von den japanischen Magnetbandtanten, die durch elektronische Störgeräusche oder einen Auszug aus der Punktevergabe des Grand Prix d’Eurovision ergänzt wird. Die Arbeit thematisiert den technischen Fortschritt des Videos, das die Menschheit Schritt für Schritt für sich vereinnahmt und fesselt. Wiederkehrende Motive sind Kabel, die sich um Körperteile schlingen. Die eingeblendete elektronische Schrift verselbstständigt sich im Laufe des Videos: Das Datum springt schnell in die Zukunft, binäre Codes füllen den Bildschirm und entwickeln sich zu Programmierbefehlen wie »GO GO GO« oder »GO TO«, bis sie schließlich »KEIN ZUCK UNFT« verkünden. Die Videohüllen von Fun & Art sind individuell mit Collagen aus Stickern und Zeitungsartikeln beklebt und handschriftlich beschrieben worden. Als ironischer und selbstkritischer Kommentar lässt sich oft die Grafik mit dem Schriftzug »Home Taping is killing Music/And it’s legal« unter einer stilisierten Audiokassette mit verschränkten Knochen wiederfinden. Selbst die Kassette wurde mit Permanentmarker bemalt.

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Abb. 4: Videohüllen von Fun & Art: Musik & Freizeit ’82 und Entartete Lust de Luxe

1984 trat Andy Hinz dem intermedialen Künstlerkollektiv Ex-Neue Heimat bei und erweiterte deren Repertoire um die Videokunst und seine ästhetischen Ausdrucksformen. Ex-Neue Heimat arbeitete seit 1981 im Münchner Westend unter wechselnden Projekt- und Gruppennamen (wie FRISCH GESTRICHEN oder TENDENZ & KLIMA)109. Der Künstlerstamm setzte sich neben Andy Hinz aus Wolfgang L. Diller, Gerhard Prokop, Detlef Seidensticker, Bernhard Springer und Thomas Weidner zusammen.110 In ihrer Produzentengalerie Werkstatt (ab 1983 Galerie U5111) schafften sie sich einen persönlichen Ausstellungsort und Treffpunkt abseits des traditionellen Kunstbetriebs.112 Sie bedienten sich verschiedener traditioneller künstlerischer Methoden und erweiterten sie um neue Gestaltungstechniken wie Copy Art, Spraycans aus der Graffitiszene oder Video, die sie aus der Popkultur adaptierten. Medien wie auch Künstler*innen funktionieren ihrer Auffassung nach nur im Kollektiv und sind als gleichwertige, untrennbare Elemente zu verstehen. Themen waren das Verhältnis zwischen Mensch und Medien, 109  D  ie konfuse Namenssituation weitet sich auch auf die Variationen des Namens Fun & Art aus, wenn Andy Hinz mit Ex-Neue Heimat zusammenarbeitet, was sich im Präfix »Ex-« äußert. 110  Vgl. Diller: EX-Neue Heimat 30+ Jahre, S. 5-6. 111  D  ie Galerie U5 stellte 1989 ihren Betrieb als Produzentengalerie ein und wurde anschließend von Regina Hamel in der Hansastraße 31 bis 1991 weitergeführt. Vgl. ebd., S. 35. 112  Vgl. ebd., S. 20.

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die Entstehungsprozesse gemalter Bilder, der eigene Kunstbetrieb und das lokale subkulturelle Milieu der 1980er-Jahre. 1983 entstand schließlich die erste Ausstellung unter dem Namen Neue Heimat in der Galerie der Künstler des BBK München, in der sie Videoinstallationen zeigten. Die Ausstellungseröffnung wurde als Event inszeniert, bei dem Peter Beckers Band Boom Boom Chuck & the Psychedelic Berrys auftrat. Als Eröffnungsgetränk wurde Dosenbier gereicht. Die Inszenierung diente der Abgrenzung vom akademischen Kunstbetrieb und Elitarismus, indem man sich am »Unterschichtenalltag«113 orientierte. Aufnahmen vom Konzert der Psychedelic Berrys wurden 1984 in dem Video The Eyes of Barbara Steele von Andy Hinz und Peter Becker wiederverwendet, das wiederum 1986 durch Malereien von Peter Becker zur Installation Kult & Horror 114 ergänzt wurde. Neben der Produzentengalerie bemühten sich Ex-Neue Heimat um alternative Präsentations- und Ausstellungsräume, deren ursprüngliche Funktionen dem Kunstkontext fernlagen: ein besetztes Haus (Berlin), Konzerthallen, Kneipen, ein Bordell, ein öffentliches Toilettenhäuschen. Die Ausstellung im Toilettenhäuschen an der Bergmann-/Ecke Anglerstraße in München 1984 wurde im Video Ausstellen im Klohäuschen bis die Polizei kommt (09:53 Min.) dokumentiert.115 Die Wände wurden mit Gemälden behangen, das Pissoir diente als Theke, auf der Sekt serviert wurde. Die Kunstwelt wurde in der Toilette lokalisiert – an einem Ort der Klassenlosigkeit. Gleichzeitig ist die Toilette als Ausstellungsort ein ironischer Kommentar, der durch die Ästhetisierung der Hässlichkeit, wie sie Punk praktizierte, motiviert wurde. In der 3-Kanal-Videoinstallation Tendenz und Klima (30 Min., 1984)116 wurden Teile des Videos Ausstellen im Klohäuschen bis die Polizei kommt wiederverwertet. Die Installation besteht aus drei Videos, die auf drei Monitoren gezeigt werden und Eindrücke aus der gemeinsamen Arbeit von Ex-Fun & Art und Ex-Neue Heimat künstlerisch umsetzen: 1) Bilderarbeit, 2) Galerie/Werkstatt, 3) Künstlerleben.

113  Ebd., S. 21. 114  D  ie Installation wurde unter anderem 1984 beim 2° Festival Internazionale Cinema Giovani: Spazo Aperto in Turin ausgestellt. Vgl. den dazugehörigen Katalog: Stefano della Casa (Hg.): 2° Festival Internazionale Cinema Giovani: Spazo Aperto. Turin 1984. Im 235-Media-Katalog 84/85 wird auf Seite 46 eine nachproduzierte Videoarbeit zu Kult und Horror angeboten, die die Videobilder der 3 Monitore der Installation zusammenfasst. Im Jahr 2016 wurde die Installation in der Ausstellung Ex-Neue Heimat 30 Jahre Videokunst gezeigt (halle50 Städtisches Atelierhaus Domagkpark München). Der Trailer zur Ausstellung ist einsehbar unter: https://vimeo. com/163229862.  gl. Diller: EX-Neue Heimat 30+ Jahre, S. 21. Dieses Video ist einsehbar unter: https://www.you 115  V tube.com/watch?v=WCNSMakxs9M. 116 Tendenz und Klima wurde im Rahmen der Veranstaltung Kunst und Medien (17.05.–17.06.1984) in der Staatlichen Kunsthalle Berlin uraufgeführt.

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Ein bemerkenswerter Aspekt im Kontext der Do-it-yourself-Kultur und einer Ästhetik des Dilettantismus ist die Übertragung von visuellen in audiovisuelle Musikmagazine. Musikmagazine wurden zunächst auf Audiokassetten mit Musikbeispielen, Interviews und Kommentaren aufgenommen, bis sie schließlich ins audiovisuelle Medium des Videos übertragen worden sind und das Konzert im eigenen Wohnzimmer zeigten. Ein Beispiel ist Nick Copes Videofanzine 391, das 1982 ursprünglich als Druckmedium gegründet wurde und sich schnell in ein multimediales Projekt verwandelte; vertrieben wurde 391 außerhalb Großbritanniens nur von 235 Media.117 Auch die Künstlergruppe Ex-Neue Heimat ermächtigte sich der Copy Art und druckte 1981 in ihrer Produzentengalere U5 ihr eigenes Fanzine plastic-indianer, das sie auf Konzerten verteilten.118 1987 erschien die Ausgabe Nr. 15 des plastic-indianer 119 auf Video und zeigte eine Montage aus Realaufnahmen und Malerei, die nonlinear zusammengeschnitten wurden. Die Collage-Technik der Copy Art und des Druckmediums Fanzine wurde so auch hier in das Medium Video übersetzt. 1988 wurde der plastic-indianer mit dem Prix du conseil de l’europe beim Internationalen Videofest in Locarno ausgezeichnet.120 Die Übersichtsausstellung Videokunst in München 1992 in der Künstlerwerkstatt Lothringerstraße 13 war schließlich das Ende des festen Künstlerstamms Ex-Neue Heimat, integrierte jedoch Münchner Videokünstler*innen der 3. Generation wie M+M oder Andreas Bergen.121 In den Verkaufsräumen der TV-Abteilung des Sponsoren SATURN wurde simultan eine Videokunstschau gezeigt.122

George Hampton und Iron Curtain Records »mehr Spaß im Kalten Krieg«123 Als weiterer Vertreter des Video Congress sei George Hampton erwähnt, bürgerlich Joachim Michael Keller, der als Knotenpunkt in einem Netzwerk von Musiker*innen, Künstler*innen und Distributor*innen agierte und Musik und Videokunst vereinen wollte. 1978 gründete er nach seinem Studium der Kunstgeschichte und Philosophie in Göttingen das unabhängige Musiklabel The New Age, das aus 117  http://nickcopefilm.com/2013/09/15/391/. Im Bestand des Archivs der Stiftung imai. 118  Weiterführende Informationen sind zu lesen unter: www.plastic-indianer.de. 119  Das Video lässt sich einsehen unter: https://vimeo.com/3802792. 120  Vgl. Diller: EX-Neue Heimat 30+ Jahre, S. 31. 121  V  gl. ebd., S. 7. Siehe dazu auch den Ausstellungskatalog Wolfgang L. Diller (Hg.): Videokunst in München. München 1992. 122  Vgl. Diller: EX-Neue Heimat 30+ Jahre, S. 37. 123  Z  itat von George Hampton aus dem Interview mit Graf Otto: Avantlore, Folkgarde, Daditik & Polaismus. … In: Spex, Nr. 4, 1981, S. 11.

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seiner Band Twilight Zonerz entstand. Ein Jahr später zog er nach Kassel, um Kunst und Design bei Rolf Lobeck zu studieren. Dort gründete er das Label Iron Curtain Records und war zugleich Mitglied der audiovisuellen Bands Rexiw und Neues Deutschland.124 Rexiw verstand sich als Multimediaprojekt, das sowohl mit Videoinstallationen arbeitete als auch Liveperformances inszenierte und Tonträger produzierte und vertrieb.125 Sie interpretierte die Kombination von Musik, Performance und Video als Weiterentwicklung bisher bekannter musikalischer Ausdrucksformen. Rexiw entwickelte das Motto: »Rock ›n Roll der TV-Generation ist Video«. (Abb. 5) Installationen der Gruppe schlossen Live-TV-Programm, Echtzeit-Aufnahmen und aufgenommenes Material zusammen. Die so entstandenen Videos wurden über Iron Curtain vertrieben. Abb. 5: Selbstbeschreibung von Rexiw, aus: https://messinghof.jimdo.com/bands/rexiw/

Parallel zu Rexiw entstand 1980 die Band Neues Deutschland126, die sich als »Avantgarde Folklore aus dem Zonenrandgebiet«127 beschrieb. Hampton sagte dazu, Avantgarde und Folklore seien »zwei konträre Begriffe. Dieser Widerspruch geschieht aber bewußt, genauso, wie wir auf unserer Cassette eine BRD- und eine DDR-Seite haben. Mit dem Begriff ›Avantgarde-Folklore‹ wollen wir ja gerade dem Avantgardismus den üblen elitären Beigeschmack nehmen«128. Der Ausdruck 124  V  gl. Biografie auf der Seite des Messinghofs, in dem George Hampton lebte und arbeitete: https://messinghof.jimdo.com/personen/george-hampton/. 125  Besetzung: Paul Haubrich, Anne Möller, George Hampton, Sabine und Peter Hartmann. 126  D  ie Besetzung bestand aus George Hampton, Sabine und Peter Hartmann, ab 1981 Bernd Kleppin. 127  Vgl. Interview mit Graf Otto: Avantlore, Folkgarde, Daditik & Polaismus …, S. 11. 128  Ebd.

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»Avantgarde-Folklore« wurde als ein Rückgriff auf den Dadaismus – als Polit-Dadaismus – erklärt. Die parallele Arbeit an unterschiedlichen Projekten entsprach dem Impuls des frühen Punk. Der Zusammenstoß verschiedener Künstler*innen mit unterschiedlichen Spezialgebieten schaffte eine ungeheure Vielfalt künstlerischer Möglichkeiten und Schaffensprozesse. Auch wenn George Hampton stetig mit »One-Man-Performances«129 arbeitete, kehrte er immer wieder zur Gruppe zurück. Als Gründungsmitglied des Video Congress produzierte er mehrere Beiträge sowohl unter seinem als auch unter den Gruppennamen New Age Productions oder Iron Curtain. Der Beitrag zur ersten Video-Congress-Ausgabe Prolog wird zwar mit den Worten »Iron Curtain Records Video Produktionen« eingeleitet, der Abspann verrät jedoch, dass das Video, das das »Zeitalter der Bildstörung« ausruft, Rexiw zuzuordnen ist. »DIE ZEIT DER ANTWORTEN/IST VORBEI/IST VIDEO/LANGWEILIG/GEMEINGEFÄHRLICH/PRIMITIV/ODER/EIN WEITERER SCHRITT/INS ZEITALTER DER BILDSTÖRUNG/WAS GESCHIEHT NACH SENDESCHLUSS WHEN THE MUSIC IS OVER?/KEINE WIEDERHOLUNG KEIN 2. PROGRAMM DER SENDESCHLUSS IST DAS ENDE/AUF INS ZEITALTER DER BILDSTÖRUNG«130. Geprägt von Kassels Nähe zum real existierenden ›Iron Curtain‹ handeln Hamptons Videos von Weltuntergangsszenen, Erdinvasionen oder einem technischen Fortschritt, der der Menschheit zum Verhängnis wird. Neben dem bewussten Störbild als Stilmittel wird auch die Zerstörung des Bandes selbst in Kauf genommen und an die Kurzlebigkeit des Mediums erinnert. Die Videoinstallation Some Times benutzt 4 Monitore oder Fernseher, die auf einer 6 m² großen und mit Schlacke bedeckten Fläche stehen. Im 235-Media-Katalog von 1984 wird die Installation wie folgt beschrieben: »Durch die Rotation der Videobildköpfe wird das Band langsam zerstört. Von der Länge der Ausstellung hängt das Videosystem ab: Für kürzere Zeiten wird VHS verwendet, um den Tapezerstörungsprozess zu beschleunigen, für Perioden von einem Jahr oder mehr[,] U-matic, um den Zerstörungsprozess hinaus zu zögern.«131

235 Media und Punk in der Medienkunst Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre bildete sich ein neues Kunstbewusstsein aus, das von der Punk-Revolte mitbestimmt war: Hässlichkeit und Armut wurden ästhetisiert, einfache technische Hilfsmittel wie Kopierer wurden aufgewertet und Tabuthemen wie Sex, Drogen und Gewalt aufgegriffen. 129  Unter anderem die Performance New Age auf der documenta 7, 1982. 130  Z  itat aus Rexiw/George Hampton: ohne Titel. 3:45 Min. In: Video Congress Nr. 0 Prolog, 1982, 45 Min. 131  Werkbeschreibung aus dem 235-Video-Katalog 84/85, S. 39.

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Kunsthistorisch lässt sich das Phänomen Punk mit den avantgardistischen Strömungen des Dadaismus oder Futurismus vergleichen, die ihre rebellische Lebensund Arbeitsweise in Manifesten verfassten und modische, performative und gesellschaftliche Denkmuster durchbrachen und hinterfragten.132 In The Philosophy of Punk heißt es dazu: »Punks stellen Konformität nicht durch ihr abweichendes Äußeres infrage und dadurch, dass ihre Musik anders klingt […], sondern dadurch, dass sie die herrschenden Denkmuster hinterfragen.«133 Thomas Hecken fordert: »Wer Kunst schaffen will, muß Kunst zerstören«134 – Kunstwerke werden zweckentfremdet, wenn sie aus kunstkontextuellen Lokalitäten wie dem Museum in alltägliche Orte (zum Beispiel Bars oder Discos) transferiert werden. Dem Elitarismus wird der Kampf angesagt und unabhängige Strukturen werden geschaffen, was eine ›Parallelkunstgesellschaft‹ entstehen lässt. Die Anti-Musik der Punks, die fehlende musikalische Kompetenz, inspiriert eine neue ›Anti-Kunst‹, die Nichtkönnen als Stilmittel einsetzt und einen Authentizitätsanspruch hat,135 oder, wie Moritz Reichelt das Prinzip erklärt: »Mehr Kunst in die Musik – Mehr Musik in die Kunst.«136 Target Video war ein Allround-Projekt, in dem Video, Musik und Performance als Gesamtkunstwerk festgehalten und mittels autonomer Vertriebs- und Präsentationsstrukturen vermittelt wurden. Auch 235 Media nutzte die Vernetzung von Künstler*innen und Musiker*innen. So entstanden durch den Vertrieb von Musiker*innen Kontakte zu Videokünstler*innen und umgekehrt, beispielsweise auf multimedialen Veranstaltungen wie der NDR-Videonacht, bei der unterschiedliche Kunstgattungen und Persönlichkeiten aufeinandertrafen. 235 Media suchte sein Publikum und seine Kundschaft anfangs gezielt in musikalischen Kontexten. Im Kölner Musikclub Wave bekam 235 Independent den Mittwochabend gewidmet.137 In Musik-Fanzines wie Spex wurden nicht nur Werbeanzeigen für vertriebene

132  W  eiterführende Studien zum Verhältnis von Punk und Avantgardismus sind unter anderen Craig O’Hara: The Philosophy of Punk. Die Geschichte einer Kulturrevolte. Mainz: Ventil 2001, und Tricia Henry: Break All Rules. Punk Rock and the Making of Style. Ann Arbor: UMI Research Press 1989. 133  O’Hara: The Philosophy of Punk, S. 30. 134  T homas Hecken: Gegenkultur und Avantgarde 1950-1970. Situationisten, Beatniks, 68er. Tübingen: Narr Francke Attempto 2006, S. 22. 135  V  gl. Barbara Hornberger: Geschichte wird gemacht. Die Neue Deutsche Welle. Würzburg: Königshausen & Neumann 2011, S. 62-64. 136  M  oritz Reichelt: Der Plan. Glanz und Elend der Neuen Deutschen Welle. Die Geschichte einer deutschen Band. Kassel: Schmitz 1993, S. 122. 137  A  nzeige des Musikclubs Wave, der sich in der Flandrischen Straße 10a in Köln befand und mit »Musik/Video/Gigs/Kunst/Kultur […]« warb.

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Audiokassetten, sondern auch für »Visual Flash« (Musikvideos) geschaltet138. 235 Media war fasziniert von den potenziellen Möglichkeiten des Punknetzwerks und bot in den 1980er-Jahren in seinem Kölner Ladenlokal neben diversen Fanzines und Konzertmitschnitten (zum Beispiel Berlin Atonal) Mode und Schmuck junger Designer*innen an, die ihre Produkte aus ungewöhnlichen Materialien wie Plastikspielzeug, Gummi und Lutschern herstellten.139 Der Drang, eigene Plattformen zu schaffen und die Medienkunstszene mitzubestimmen, spiegelt sich in der Mitarbeit an diversen internationalen Videofestivals wider, bei denen 235 Media Teil der Jury war oder eine eigene Rubrik kuratierte.140 Wie Target Video wollte 235 Media das Musikvideo als eigene Kunstform etablieren und beobachtete die Produktionen diverser Bands.141 Die Dynamik der Punkkultur und die damit einhergehende Experimentierfreudigkeit können als Katalysatoren für Gemeinschaftsprojekte von Künstler*innen unterschiedlicher Interessensgebiete gewertet werden. So entstand auch das Video-Magazin Video Congress als unkommerzielles Produkt eines demokratischen Zusammenkommens, das den Zeitgeist der Jugend und ihre Medienwahrnehmung festhält. Die jungen Künstler*innen entwickelten autonome Strategien zur Selbstvermarktung und Aufführung ihrer Kunstvideos, unabhängig vom elitären Kunstgeschehen und ebensolchen Standorten. Das Musikmagazin Scritti schreibt: »Diese jungen Video-Aktivisten verstehen ihr erstes Magazin als eine praktische Kampfansage an die ›normale Informationsf lut‹, wollen das

138  S o zum Beispiel in der Spex, Nr. 12, 1987, S. 56. Darunter wird unter anderem Target Videos Iggy Pop. Live in San Francisco beworben. 139  S chon Vivienne Westwood spielte mit Materialien, die der pornografischen Bondage-Szene entnommen wurden, und fügte sie zu neuen Designs zusammen. Einen Einblick in ihre Arbeit und den Laden SEX, den sie mit Malcom McLaren führte, gibt Jon Savage in: England’s Dreaming. Anarchie, Sex Pistols, Punk Rock. Berlin: Verlag Klaus Bittermann 2001. Zwei Designerinnen, die ihre Mode im 235-Laden verkauften, wurden in dem Fernsehbeitrag Cooltour – Jugendszene ’85 von Thomas Schmitt vorgestellt (eine TAG/TRAUM-Produktion im Auftrag des WDR, gesendet am 19.12.1985 um 20:15 Uhr, vgl. Besprechung des Beitrags im Rahmen der Duisburger Filmwoche, 04.–09.11.1986, im Bestand des Archivs der Stiftung imai). Der Beitrag gibt außerdem einen Einblick in das sonstige Inventar des Ladens. 140  S o stieg 235 Media 1991 beim 2. Festival Internacional de Video Cidade de Vigo im Januar 1991 in Cinedade de Vigo ein. Vgl. dazu den begleitenden Katalog Ruth Avendaño/Carmen Dios/u.a. (Redaktion): II Festival Internacional de Vídeo. Cidade de Vigo. Vigo: Gráficas Doyro S.L. 1991. 141  I m Bestand des Archivs der Stiftung imai befinden sich beispielsweise sowohl diverse zu Forschungszwecken erstellte Sammeltapes mit Musikvideos unterschiedlicher Musikrichtungen und Produktionsweisen als auch Konzertaufnahmen von Musiklabels wie Factory Records (Manchester) oder Double Vision (Nottingham), das ursprünglich von Cabaret Voltaire ins Leben gerufen wurde, um ihre Videoarbeiten zu veröffentlichen.

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›Chaos zum Prinzip‹ erheben, statt Eindeutigkeit Vielfältigkeit bieten.«142 Künstler*innen wie Andy Hinz, Sascha A. Ehrlich (Fun & Art) und George Hampton greifen bei ihrer Arbeit auf Produkte von befreundeten oder eigenen Musikbands zurück, um ihre Arbeiten zu untermalen, aber auch, um sie zu kommentieren. Stilmittel unterschiedlicher Selfmade-Medien wie dem Fanzine halten Einzug in das Kunstvideo, das bewusst dilettantisch gestaltet und produziert wird. Das Punkvideo war viel mehr als nur eine »moderne form des fotoalbums«143. Es war nicht nur Zeitdokument einer bestimmten Atmosphäre und Stimmung innerhalb der Musik- und Kunstszene, Relikt längst vergessener Bands, sondern auch ein Durchbruch in der Geschichte des Musikvideos, das sich vom Kommerz und der Steif heit der Auftragsvideos von Majorlabels emanzipierte und die Energie des Momentes als Erlebnis transportierte.144

142  J ürgen Rosenthal und Birgit Rust: Für eine aktive Art Video. In: Scritti, Nr. 12, 1982, S. 25-27, hier S. 27. 143  Luigi Nicoletti: Die Artisten sind nicht mehr ratlos: Video!. In: Lautt, Nr. 4, 1983, S. 14. 144  D  ieser Beitrag ist im Rahmen einer Masterarbeit entstanden (Angelika Gwozdz: Punk on Video. Selbstermächtigungen in den 1980er Jahren. Düsseldorf 2017, eingereicht am Institut für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf; unveröffentlicht, im Archiv der Stiftung imai).

Von der Musik zu Video zu Videokunst Jessica Nitsche »Die ersten zwei Jahre waren größtenteils durch Suche und Aufbau von Abspielorten und -möglichkeiten und durch organisatorische Arbeiten gekennzeichnet. Dies sah dann so aus, daß wir mit einem Großbildprojektor im Kofferraum quer durch Deutschland an den verschiedensten Orten Vorführungen mit Videokunst gemacht haben.« 1

Bereits in den ersten Jahren ihres Bestehens bot 235 Media auch Videos zum Kauf sowie zum Verleih an. Die Verkaufspreise für ein Tape bewegten sich zwischen 70 und 150 DM, der 3-tägige Verleih kostete für Mitglieder 15 DM, für Nichtmitglieder 20 DM (Abb. 1). Das Video-Angebot setzt seinen Schwerpunkt anfangs im Bereich der Musik, vielfach aus dem Bereich Punk und New Wave, beispielsweise Malaria, Abwärts und Einstürzende Neubauten. Die Tatsache, dass die allerersten Ursprünge von 235 Media in der Musikszene zu verorten sind, hat dafür gesorgt, dass die Stiftung imai heute neben ihrem umfassenden Videokunst-Bestand über zahlreiche Musikvideos und Konzertdokumentationen der 1980er-Jahre verfügt. Mit dem vorangegangenen Beitrag von Angelika Gwozdz wurde ein Teil dieses Bestands erstmalig wissenschaftlich erschlossen. Wie das Medium Video und dessen Einbindung in neue künstlerische Praktiken für 235 Media mehr und mehr ins Zentrum rückten, zeigen die folgenden Ausführungen.

1  A  xel Wirths: Vertrieb von künstlerischen und kulturellen Videoproduktionen. Rückblick und Tendenzen. In: Hamburger Filmbüro e.V. (Hg.): Videovertrieb. Eine Materialsammlung zur Vertriebssituation kulturell produzierter Videofilme in der Bundesrepublik. Hamburg: edition black box 1988, S. 79-81, hier S. 79. Bei dem Großbildprojektor handelt es sich um einen Sony VPH-1024, der sich noch immer im Besitz von 235 Media befindet, wie Ulrich Leistner mitgeteilt hat.

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Abb. 1: 235-Media-Werbeanzeige aus dem Fanzine Lautt, 1982/1983

Anhand von Selbstdarstellungen und Werbeanzeigen von 235 Media lässt sich gut dokumentieren, wie sich die Ausrichtung ausgehend von der Musik hin zum Video und zur Videokunst vollzogen hat. Um diese Entwicklung zu zeigen, habe ich drei Dokumente ausgewählt: eine Werbeanzeige aus dem Fanzine Lautt, eine Selbstdarstellung innerhalb eines Vertriebskatalogs von 235 Media und einen kleinen Artikel über 235 Media aus dem Fanzine 59 to 1. visuell & akustisch in der Kategorie Vertriebs-Spotlight. Die ausgewählte Werbeanzeige (Abb. 1) gibt Auskunft über das musikorientierte Videoangebot von 235 Media wie auch über deren Kassettenangebot. Ende des Jahres 1983 stellt 235 Media im eigenen Vertriebskatalog ihr »neuestes Medienangebot« vor: Videoscreenings mit einem selbst zusammengestellten Programm.2 Die folgende Ankündigung von »Video Grossbildprojektionen« 2  G  esamttext: »Unser neuestes Medienangebot! Wir führen Videoveranstaltungen mit eigens dafür zusammengestellten Programmen durch, die eine Mischung aus Kunst, Experimentellem und Musik sind. Natürlich auch mit jedem anderen Video eurer Wahl! Die Projektionsgröße liegt bei 2,10 m x 1,60 m und kann bei Bedarf kleiner bzw. größer gestellt werden. Geeignet sind unsere Aufführungen für Clubs, Discos, Jugendzentren etc., oder können zur Begleitung einer Band oder Kunstveranstaltung eingesetzt werden. Natürlich verleihen wir das Gerät auch ohne Videos. Auch könnt ihr unsere regelmäßigen Programme ausleihen und über Monitore zeigen. Kostenlose Info und Preise anfordern!!« In: 235-Media-Vertriebskatalog, Dezember 1983; vgl. auch Abb. 2.

Von der Musik zu Video zu Videokunst

markiert einen wichtigen Punkt in der Geschichte von 235 Media: die Entdeckung von Video als ein für die Kunst relevantes Medium. Man interessierte sich weniger für den etablierten Kunstbetrieb und Kunstmarkt, sondern vielmehr für deren neue künstlerische Ausdrucksformen wie auch Räume. Abb. 2: Auszug aus dem Vertriebskatalog von 235 Media, Dezember 19833

Video wurde nicht lediglich als Medium der ›Musikvermittlung‹ wahrgenommen, mit dem die neuesten Strömungen in der Musik dokumentiert werden können, sondern als eigenständiges Gestaltungsmedium mit einer eigenen Ästhetik und 3  D  ie pyramidische Form in der Abbildung erinnert wieder an die für 235 Media wichtige Referenz des Illuminatus und dessen ersten Teil Das Auge in der Pyramide. Hier wird die Pyramide von technischem Gerät untermauert und daran angeschlossen.

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Medienspezifik. Video versprach hier noch einmal ganz neue und bislang weniger ausgereizte Möglichkeiten als die Musik. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass zahlreiche Bands anfingen, das Medium Video künstlerisch für sich zu nutzen. Auch gibt es Gruppen, die sich in einem Bereich zwischen Musik und Performance bewegen, beispielsweise Der Plan, Einstürzende Neubauten oder – wie an anderer Stelle bereits ausgeführt – Die tödliche Doris und Minus Delta t. Der folgende Auszug aus dem Vertriebskatalog dokumentiert den Beginn einer mehr und mehr künstlerischen bzw. an der Videokunstvermittlung interessierten Ausrichtung. Das von 235 Media in dieser Anzeige angekündigte »Medienangebot« kann auch als eine Erschließung neuer Tätigkeitsfelder beschrieben werden, die zu einem nicht geringen Teil auch gänzlich neu erfunden wurden. Denn dass in Clubs, Discotheken, Jugendzentren, Kunstveranstaltungen etc. Videokunst präsentiert wird, war Anfang der 1980er-Jahre in Deutschland kaum geläufig. An der Vorstellung geeigneter Aufführungsorte wird auch die Kunstauffassung von 235 Media deutlich: Es bestand anfangs wenig Interesse daran, den etablierten Kunstbetrieb zu bedienen. Kennzeichnend für die Aktivitäten von 235 Media war vielmehr ein Demokratisierungsbestreben hinsichtlich der sich neu entwickelnden Kunstformen, die nicht zuletzt ihre Reproduzierbarkeit (mit relativ einfachen Mitteln) verband. Gerne hat man sich daher auch auf den von Walter Benjamin verfassten Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit bezogen, der bereits in den 1930er-Jahren die großen Potenziale, die die technische Reproduzierbarkeit für die Kunst bereithält, herausgearbeitet hat.4 Zusammenfassend lässt sich die Tätigkeit von 235 Media in den ersten Jahren auch als Reaktion auf eine strukturelle Leerstelle beschreiben, die man zu bespielen und aufzubauen beginnt – ein Prozess, den Axel Wirths wie folgt beschreibt: »1982 war praktisch keinerlei Struktur vorhanden, die es anspruchsvollen Videoproduktionen ermöglichte, Aufmerksamkeit, Interesse oder gar einen Käufer zu finden. Das Fehlen dieser notwendigen Strukturen, zu denen auch Kritiker, Fachzeitschriften, Sammler und öffentliche Auftraggeber gehören, machte es fast unmöglich, diese neue Kunst und ihre Aussage zu vermitteln. Die selbst organisierte öffentliche Vorführung war damals die effektivste Möglichkeit, Videokunst in das öffentliche Gedächtnis zu bringen.«5

4  W  alter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, hg. von Burkhardt Lindner unter Mitarbeit von Simon Broll und Jessica Nitsche (Walter Benjamin: Werke und Nachlaß. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 16). Berlin: Suhrkamp 2013. 5  A  xel Wirths: 235 Media, Köln. In: Media Art Produktion e.V. (Hg.): Kunst Video Gesellschaft. Zur Vermittlung und Präsentation von Neuen Medien. Köln: Media Art Produktion e.V. 1991, S. 71-75, hier S. 71.

Von der Musik zu Video zu Videokunst

Abb. 3: Artikel über 235 Media in der Kategorie Vertriebs-Spotlight in dem Fanzine 59 to 1. visuell & akustisch, Nr. 2, 19846

Auch die Vorstellung von 235 Media im Vertriebs-Spotlight des Fanzines 59 to 1. visuell & akustisch, erschienen 1984, bestätigt die Hinwendung zum Video (Abb. 3). Von zweierlei ist hier die Rede: zum einen von inzwischen regelmäßigen Video-Scree6  I n dem Fanzine 59 to 1. visuell & akustisch sind keine weiteren Artikel über 235 Media oder – wie in dieser Ausgabe angekündigt – über Video Congress erschienen. Das Video Johnny Yesno mit Musik von Cabaret Voltaire, von dem in dem Artikel die Rede ist, befindet sich im Archiv der Stiftung imai.

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nings in Rheinland und Ruhrgebiet, zum anderen von dem Video-Magazin Video Congress, einem Projekt, das 1982 als Zusammenschluss unabhängiger Videoaktivist*innen ins Leben gerufen wurde.7 Die erste Ausgabe erschien bereits im Jahr 1983 und vielfach war es der Video Congress, mit dem man sich »mit einem Großbildprojektor im Kofferraum quer durch Deutschland« auf den Weg machte, um »an den verschiedensten Orten Vorführungen mit Videokunst« stattfinden zu lassen.8 Um was für ein Format es sich dabei handelte und wie sich dies konkret gestaltete, stellt im Einzelnen der folgende Beitrag vor. Bemerkenswert ist die zügige Professionalisierung von 235 Media innerhalb der ersten Jahre. Dies zeigt sich insbesondere dann, wenn man die Vorstellung des ›neuesten Medienangebots‹ der Video-Großbildprojektion aus dem Katalog von 1983 (Abb. 2) im Vergleich zu den Erläuterungen zum Vertrieb aus dem Katalog aus den Jahren 84/85 betrachtet. Das Angebot von 235 Media gestaltet sich zu diesem Zeitpunkt bereits wie folgt: Zusammenstellung von Programmen für Veranstaltungen, Vermittlung von Videokünstler*innen außerhalb des Katalogbestands, Videoveranstaltungen mit Video-Großbildprojektion, Verleih von Geräten für Multimedia- und Videoveranstaltungen, Verkauf (verschiedene Videoformate, Tonträger, Literatur) und Verleih (VHS und U-matic). Darüber hinaus gibt der Auszug insofern einen kleinen Einblick in die Technikgeschichte, als er die Parallelexistenz der Formate U-matic, Betacam, VHS und NTSC dokumentiert. Insgesamt kann festgehalten werden, dass sich bis Mitte der 1980er-Jahre in Deutschland ein Bewusstsein für Video als künstlerisches Medium entwickelt hatte, das über Einzelinitiativen, wie sie hier am Beispiel von 235 Media vorgestellt wurden, weit hinausging. Da die alternative, nicht kommerzielle Musik- und Videoszene eng miteinander verwoben waren, verwundert es kaum, dass das Medium Video auch in den Fanzines der 1980er-Jahre thematisiert wurde. So bringt ein Artikel aus dem Fanzine Lautt von 1983 die Situation des Videobooms und die Position künstlerischer Videos jenseits des etablierten Kunstmarkts besser auf den Punkt, als manch wissenschaftlicher Beitrag dies aus der Retrospektive vermag. Luigi Nicoletti, der Autor des Artikels Die Artisten sind nicht mehr ratlos: VIDEO!, wollte bzw. sollte sich dem Thema in seiner ganzen Breite widmen. Er macht insgesamt vier Kategorien aus: Die erste umfasst kommerzielle Musikvideos, wie sie von 1983 bis 1990 in der Sendung Formel 1 im Fernsehen übertragen wurden. Diese werden als wenig innovativ wahrgenommen. Die zweite Kategorie ist die private (oder halb private) Verwendung des Mediums Video, »video als moderne form des fotoalbums«9, die 7  Vgl. http://235media.de/1982/05/video-congress/?lang=en (12.03.2019). 8  Wirths: Vertrieb von künstlerischen und kulturellen Videoproduktionen, S. 79. 9  Luigi Nicoletti: Die Artisten sind nicht mehr ratlos: Video! In: Lautt, Nr. 4, 1983, S. 14-15, hier S. 14.

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dritte Gruppe beschreibt er als die »selbsternannten avantgardisten«, die »videos als beiwerk für konzerte«10 verwenden. Schließlich kommt er zu der für ihn einzig interessanten Gruppe: »die videomacher, die mich am meisten faszinierten und die spannendsten produkte liefern, waren die experimentellen oder videokünstler […]. Ihre arbeiten waren die einzigen, die mich anstrengten, nicht weil ich gegen den schlaf der langeweile ankämpfen mußte, sondern weil sie so prall von ideen waren, daß ich die masse kaum verdaute.«11 Kennengelernt hat der Autor diese Gruppe durch einen Besuch der am Video Congress beteiligten Galerie ART NOW im Jahr 1983, in der auch die Premiere der dritten Video Congress-Folge (Zukunft – Kein Thema) gefeiert wurde. Die Art, wie Nicoletti die Galerie beschreibt, erinnert in Teilen an das erste Ladenlokal von 235 Media in Bonn: »ein kunstladen, cafe, treffpunkt, veranstalter, im cafe steht ein fernseher, in dem regelmäßig neue produktionen gezeigt werden, in der galerie werden veranstaltungen mit experimenteller kunst organisiert, im zwischenraum von cafe und galerie gibt’s kunstbücher, zeitschriften, fanzines und kassetten zu kaufen, es gilt eigene vermittlungsformen zu entwickeln und ART NOW arbeitet dran.«12 Auch hier zeigt sich wieder das Ineinandergreifen von neuen Vertriebs-, Ausstellungs- und Kommunikationsstrukturen und in deren Zentrum Video als vielversprechendes, innovatives, niedrigschwelliges neues Medium.

10  Ebd., S. 15. 11  Ebd. 12  Ebd.

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Video | Kunst | Vertrieb

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Im Gründungsjahr von 235 Media 1982 entstand auch die Interessengemeinschaft Video Congress. Es war ein loser Verbund von mehreren Videogruppen aus der Bundesrepublik Deutschland, die gemeinschaftlich die Initiative zur Veröffentlichung ihrer künstlerischen Videoproduktionen ergriffen. In Anlehnung an die in etwa zeitgleiche Bewegung der Produzentengalerien beabsichtigten auch die Initiatoren des Video Congress, die Verbreitung und Vermarktung ihrer Videos in Eigenregie durchzuführen. Hinter der wissenschaftlich anmutenden Bezeichnung ›Congress‹ verbarg sich das kreative Vorhaben, regelmäßig zu einem spezifischen Thema eigene künstlerische Videos zu produzieren und in Form eines audiovisuellen Magazins auf Videokassetten zur öffentlichen Vorführung und auf den Markt zu bringen. Schon Nam June Paik hatte 1967, als Video auf dem Verbrauchermarkt selbst in den USA noch in den Kinderschuhen steckte, an das massenmediale Vermittlungspotenzial dieser neuen Technik geglaubt und die Idee eines Video-Tape Monthly Magazine aufgeworfen.1 Zur Realisierung durch Paik kam es nicht – aber gut 15 Jahre später durch zwei europäische Künstlerinitiativen. Neben Video Congress, der das zu Beginn mit Schauinsland betitelte Magazin herausgab, hatte sich Infermental als ein regelmäßiges Fachorgan aufgestellt. Nach zwei Jahren der Selbstorganisation übergab Video Congress die Vermarktung seines Video-Magazins 1984 an 235 Media.2 Diese Kooperation stellte für 235 Media den Auftakt zu einer Ausweitung des Programms auf künstlerische Videoproduktionen dar und gehörte europaweit zu den ersten Vorstößen, mit denen Videokunst für eine breite Käuferschicht im VHS-Format angeboten wurde.3 1  P  aiks Konzeptpapier von 1967 befindet sich in der Sammlung des SFMoMA und ist einsehbar unter https://www.sfmoma.org/artwork/2015.128 (08.09.2017). Vgl. dazu auch www.medienkunstnetz.de/werke/video-tape-monthly-magazine/ (08.09.2017). 2  E ine kurze Beschreibung von Video Congress und eine Auflistung der Ausgaben findet man in: Sekretariat für gemeinsame Kulturarbeit NRW (Hg.): Videokunst in NRW. Ein Handbuch. Köln: 235 Media 1988, S. 59-60. 3  I m Unterschied zu Infermental wurde das Video-Magazin Schauinsland (später mit Video Congress betitelt) in dem verbraucherfreundlichen Videoformat VHS vertrieben. Laut Axel Wirths wurde

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Die Initiative Das Kollektiv Video Congress gründete sich im September 1982 in Kassel – somit während des letzten Wochenendes, an dem die documenta 7 dort stattfand.4 Im Tenor der sich erfolgreich etablierenden Malerei der Neuen Wilden setzte diese documenta unter der kuratorischen Leitung von Rudi Fuchs auf die Restitution der traditionellen Gattungen. Dieser ließ – anders als sein Vorgänger (und zugleich Nachfolger) Manfred Schneckenburger mit der documenta 6 – eine Aufmerksamkeit für die nicht traditionellen medialen Künste vermissen. Möglicherweise als Reaktion auf jenen »defensive[n] Umgang mit progressiver Kunst«5, aber vielleicht auch nur, um vom internationalen Publikum zu profitieren, hatten einige der späteren Mitglieder des Video Congress einen Off-Space in der Kasseler Innenstadt mit ihren Werken eröffnet. Auf einem Treffen anlässlich dieser Ausstellung, an dem unter anderen Norbert Meissner und der damals an der Hochschule Kassel studierende Georg Hampton teilnahmen, fiel der Entschluss, eine Arbeitsgemeinschaft namens Video Congress ins Leben zu rufen.6 Man verfolgte die Absicht, autonom von Kunstinstitutionen für die Publizität der eigenen Videoproduktionen zu sorgen. Anfänglich waren es acht Mitglieder, sowohl Videogruppen als auch Einzelpersonen, die mit ihren Videos inhaltliche Programme mit dem Ziel konzipierten, öffentliche Aufführungen an populären Orten wie Cafés und Discotheken in ihren jeweiligen Städten zu veranstalten.7 In der ersten selbst verfassten Werbebroschüre stellten sich die Mitglieder als »Videoaktivisten« vor und gaben ihrem Vorhaben die Devise »Für eine aktive Art Video«: »Videoaktivisten es damit als »die europaweit erste editierte Videokunst-Ausgabe auf dem Consumer-Medium VHS herausgegeben (Üblicherweise ist Videokunst nur auf dem Profiformat U-Matic und zu 10fachem Preis zu erwerben!).« Axel Wirths: 235 Media Köln. In: Media Art Produktion e.V. (Hg.): Kunst – Video – Gesellschaft. Zur Vermittlung und Präsentation von Neuen Medien. Köln 1991, S. 71-75, hier S. 72. 4  Die documenta 7 lief vom 19. Juni bis zum 28. September 1982. 5  S o beschreibt Laszlo Glozer die documenta 7: »Charakteristisch ist also nicht die ›Wende‹, nicht der Austausch oder die Ablösung von Künstlern. Die Formel für die veränderte Optik könnte vielmehr heißen: defensiver Umgang mit progressiver Kunst.« In: Laszlo Gloser: Avantgarde mit Würde. Die documenta 7 als anregend widersprüchliche Inszenierung. In: Süddeutsche Zeitung, 03./04.07.1982, zitiert nach: Manfred Schneckenburger (Hg.): documenta − Idee und Institution: Tendenzen, Konzepte, Materialien. München: Bruckmann 1983, S. 178-180, hier S. 179. 6  Norbert Meissner in einem Gespräch mit der Autorin am 14.04.2016 in Köln (unveröffentlicht). 7  Z  u den Mitgliedern der ersten Veröffentlichung gehören: A & A Video (Axel Brand, Anette Maschmann) aus Westberlin, Art Now (Fritz Stier) aus Mannheim, Bildschön Video (später unter dem Namen Ausstrahlung) (Rudi Frings, Rosi Jahnke, Gigi Knäpper) aus Köln, Fun & Art (Andy Hinz, Sascha A. Ehrlich u.a.) aus München, Iron Curtain (George Hampton) aus Kassel, Propaganda Video (Norbert Meissner, anfangs auch E.E. Kähne) aus Hannover, Nachts in den Städten Produktion (Werner Schmiedel) aus Hamburg und Walter Gramming aus Westberlin.

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haben sich zusammengeschlossen und stellen hier im Katalog einen Überblick ihrer eigenen Produktionen zusammen. Darüber hinaus erarbeiten sie eine erste Gemeinschaftsproduktion unter dem Titel Schauinsland. Bis zu zehn verschiedene Gruppierungen beteiligen sich mit jeweils 5-Min.-Clips, so daß eine umfassende Dokumentation ihrer verschiedenen Arbeitsweisen zu sehen ist. In den 5.-Min.Clips wird auch ein gemeinsames Thema behandelt. Zu jeder neuen Schauinsland Produktion wird das Thema in Videocongress-Treffen vereinbart. Schauinsland erscheint alle zwei Monate.«8

Das Video-Magazin Schauinsland Der erste Verkaufsprospekt erschien im Frühjahr 1983, um die Nullnummer des Video-Magazins Schauinsland anzukündigen, die bereits zwei Monate nach der Gründung von Video Congress, im November 1982, herausgegeben worden war. Die zwei ersten Ausgaben, geplant für Frühjahr 1983, wurden in dem Prospekt beworben und konnten als VHS-Kassetten über Art Now in Mannheim bezogen werden. Art Now war ein Galerieraum für die lokale experimentelle Kunstszene, den der Künstler Fritz Stier in Mannheim 1980 eröffnet hatte und der 1982 zum Ausgangspunkt eines der ersten deutschen Videofestivals, den Internationalen Video-Tagen Mannheim, wurde.9 Viele Mitglieder von Video Congress sahen in dem Video-Magazin weniger eine lukrative Einnahmequelle als vielmehr eine Tauschbörse unter den involvierten Künstler*innen, die so in die Lage versetzt wurden, längere Videoaufführungen mit den eigenen Werken und denen der anderen organisieren zu können. Denn bei solchen öffentlichen, selbst organisierten Aufführungen deckten die Honorare gerade die Kosten für die Reise und die Ausleihe eines Projektors.10

Schauinsland Nr. 0 — Prolog Das gut einstündige Demoband Prolog fasste elf individuelle Beiträge11 zusammen, die sich von der frühen Videokunst der 1970er-Jahre und deren Nähe zur langatmigen Performance, Land und Concept Art deutlich distanzierten. Stattdessen sind 8  U  nveröffentlichtes fotokopiertes Portfolio, erhalten von Norbert Meissner. In dem Heft befindet sich auch eine Werbeanzeige von 235 Media (noch unter dem Namen 235) für Musikvideos. 9  D  ie 1. Internationalen Video-Tage Mannheim fanden vom 22. bis 29. Mai 1982 statt und wurden von der Galerie Art Now und dem Cinema Quadrat veranstaltet. 10  Norbert Meissner in einem Gespräch mit der Autorin am 14.04.2016 in Köln (unveröffentlicht). 11  Die beteiligten Künstler*innen der jeweiligen Video-Magazine sind im Anhang aufgelistet.

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die fünf- bis achtminütigen Videos geprägt von farb- und bildintensiven Einstellungen, von Verfremdungseffekten, von temporeichen Motivwechseln und insbesondere von ihrer Verbindung zu Punk, New Wave und Elektronischer Musik. Das Signet Schauinsland, das in kurzen Intros zwischen den Beiträgen regelmäßig eingespielt wird und mit einer Autofahrt durch einen Tunnel kombiniert ist, funktioniert in seinem Wortsinn wie ein Imperativ an den Zuschauer (Schau ins Land!), die derzeitigen medien- und gesellschaftspolitischen Umbrüche im Land aufmerksam zu beobachten. Nicht zuletzt erscheint in diesen Intros immer wieder die Figur des Robin Hood, der durch die zur »Blind«-Zeitung karikierte Bild-Zeitung blättert und als Personifikation des Videoaktivisten interpretierbar ist. Abb. 1: Videostill aus Schauinsland Nr. 0, Prolog

Die Videos sind einerseits Ausdruck einer Kritik an der unkontrollierten Medienlandschaft und andererseits Ausdruck eines entfesselten alternativen Lebensgefühls, mit dem sich die Generation der damals Zwanzigjährigen in Opposition zur Elterngeneration begab. Der gleich zu Anfang gesetzte Beitrag von George Hampton (Produktion: Iron Curtain) erscheint so gesehen wie ein Befreiungsschlag, wenn er die Ära der Videotechnik als das »Zeitalter der Bildstörung« ausruft. Das harmonische, perfekte Bild der Fernsehsender ist nicht das Ideal, vielmehr wird die Störung und Diskreditierung dieser vordergründigen Vorbilder anvisiert, beispielsweise in den Beiträgen von Werner Schmiedel (Produktion: Nachts in den Städten) und von Art Now. Viele Beiträge suchen nach gleichberechtigten Interaktionen zwischen Bewegtbild und zeitgenössischer Musik (so zum Beispiel A & A Video) oder spiegeln die Gegenkultur und Protesthaltung der 1980er-Jahre in Konzertmitschnitten und Musikvideos von Punk- und New-Wave-Bands wider, so

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zum Beispiel das von Walter Gramming und der Berliner Band La Loora gedrehte Video Head oder die von Norbert Meissner und Klaus Maeck produzierten Videos über Punk-Bands wie Abwärts und die Einstürzenden Neubauten. Die Ausgabe enthielt auch Werbespots für experimentelle Aktivitäten wie zum Beispiel für den Münchner Kassettenvertrieb Du-bist-so-gut-zu-mir, für die Initiative Videoblitz des Künstlers Ingo Günther, der deutsch-amerikanische Videokunstprogramme anbot, und nicht zuletzt für das Videofestival Video Now, wo der Video Congress seinen ersten öffentlichen Auftritt hatte. Beim Berliner Festival Video Now im Dezember 1982 wurde Schauinsland mit der kurz zuvor produzierten Nullnummer Prolog vorgestellt. Wie in mehreren anderen bundesrepublikanischen Städten war auch dieses Festival gerade erst im Begriff, sich durch das Engagement lokaler Künstler zu konstituieren. Einer der Veranstaltungsorte war vom 10. bis 12. Dezember das Café Swing, an das etwa zur gleichen Zeit das Vertriebslabel United Video System angegliedert wurde. Neben Videoscreenings wurden Informations- und Diskussionsveranstaltungen unter anderem zu Fragen des Vertriebs angeboten, wie die Berliner Stadtzeitung Zitty berichtete: »Die Sitzungen […] werden diesmal vor allem um leidige Kernprobleme des Videofilmens kreisen: Aufbau eines brauchbaren Vertriebssystems – dringend erforderlich, da sich das Fernsehen für Videoarbeiten zu interessieren beginnt – und Schutz vor unzulässigem Kopieren.«12 Gerade in puncto Vertriebsplattform konnten die Mitglieder des Video Congress mit ihrem geplanten Video-Magazin eine konkrete Alternative aufzeigen.

Schauinsland Nr. 1 bis 4 1983 wurden vier Ausgaben von Schauinsland unter den Titeln Erotik (Nr. 1), Geld (Nr. 2), Zukunft – kein Thema (Nr. 3) und Angst (Nr. 4) produziert. Sie alle folgten der anfänglichen Übereinkunft, jedes Video-Magazin in seiner Organisation einer f lexiblen Gruppe von Künstler*innen zu überlassen und einem bestimmten Schwerpunktthema zu widmen. Synonym zu Video-Magazin gebrauchte man die Wortschöpfung Videonal, mit der die Idee des Journals als traditionelles Printmedium in das audiovisuelle Medium Video übersetzt wurde.13 Zum einen beabsichtigte man damit, eine konkrete Verbindung zwischen den Videobeiträgen 12  Hans Joachim Neumann: VIDEO NOW. In: Zitty, Nr. 26, 1982, S. 8. 13  V  gl. dazu Isabelle Schwarz: »Infermental stellte die erste internationale Video-Zeitschrift, ein so genanntes Videonal dar, d.h. ein Werk in Form eines Zeitschriften-Assemblings aus Video-Arbeiten.« Dies.: Archive für Künstlerpublikationen und künstlerische Kommunikationsstrukturen der 1960er bis 1980er Jahre. In: www.kuenstlerpublikationen.de/fileadmin/media/ pdf/Vortraege/TheoretischeTropen_Vortrag_Schwarz.pdf, hier S. 9.

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herzustellen, und zum anderen über das jeweilige Thema auch Zuschauerkreise zu gewinnen, die sich mit bildender Kunst sonst nicht beschäftigten. Erotik als Gegenstand der ersten Ausgabe aufzugreifen, war naheliegend, weil insbesondere die Pornofilmindustrie von dem neuen Videokassettenmarkt profitierte und in den privaten Haushalten großen Absatz fand. Die Gruppe A & A Video präsentierte beispielsweise ein kurzes plakatives Intro, in dem auf die Diskrepanz zwischen realer sinnlicher Erfahrung und künstlich erzeugten Bildwelten aufmerksam gemacht wurde. Während eine Hand mit schwarzem Handschuh rote Kirschen auf einen rosa Untergrund legte, wurde der auf klärerische Satz »Die Erotik, die geht nicht durch die Elektronik, genauso wenig wie du diese Kirschen beißen kannst« wiederholt. Daran schloss sich ein langes Statement an, in dem A & A Video für eine verstärkte Vernetzung von Videoaktivist*innen und explizit für einen Beitritt in die von ihnen initiierte Künstler*innen-Vertretung warb. Ähnlich ließ die Gruppe Fun & Art zuerst einen kurzen Einspieler laufen, in dem eine verdichtete Komposition aus lustvollem Stöhnen mit der Zerstörung von Videokassetten endet. Daran schließt sich das längere Hauptfeature an, das aus Schüler*innen-Kommentaren zu einer Ausstellung mit Medienkunst besteht. Ebenso leitet Norbert Meissner von der Lexikondefinition zu Erotik, die in ironischer Distanz zum Pornovideo völlig leidenschaftslos von einer jungen Frau vorgelesen wird, zu einer Videomontage über. Mit Found Footage von vorbeiziehenden Landschaftsbildern, militärischem Drill, heftigen Explosionen und kindlich-medialer Spielfreude verbinden sich diese Sequenzen durch mehrfache Wiederholungen und schnelle, kontinuierliche Taktung zu einem visuellen Rhythmus, der auf einen Sirenenwarnton abgestimmt ist. Das Magazinthema war anscheinend nicht bindend – dasselbe gilt auch für spätere Ausgaben −, da einige Teilnehmer*innen das Thema Erotik völlig außer Acht ließen. Hingegen wurde in der zweiten Ausgabe Geld die inhaltliche Ausrichtung gleich zu Anfang betont, indem Audiomitschnitte von der Mitgliederdiskussion über die Themenfindung im gesamten Verlauf des Magazins eingespielt wurden. Die verschiedenen Videos korrespondierten in ihrer Haltung, Zusammenhänge zwischen kapitalistischem Wirtschaftssystem und gesellschaftlichem Konsumdenken aufzudecken. Doch neben solchen inhaltlichen Leitgedanken des Video-Magazins ging es den teilnehmenden Künstler*innen mindestens in gleichem Umfang um bild- und klangästhetische Neuerungen. Anstelle von stringenten, narrativen Darstellungen traten Videos, in denen eine assoziative Bildauswahl mit oftmals auffälligen Bildtransformationen gepaart war. Es wurde experimentiert mit allen Special Effects, die die Videonachbearbeitung Anfang der 1980er-Jahre bot. Nicht zuletzt wurden bewusst erzeugte Bildstörungen als Ausdruckmittel eingesetzt, um sich von den im öffentlich-rechtlichen Fernsehen geprägten Sehgewohnheiten zu distanzieren. Zum Repertoire der Videoaktivist*innen und all derjenigen, die im Umfeld des gerade aufkommenden Musikvideos agierten, gehörten häufige

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Bildwechsel, rasante Bildfrequenzen, Sequenzwiederholungen, Farbverschiebungen bis hin zu übersteuerten Farbpegeln sowie Überblendungen bis hin zu Bildverfremdungen, die an Videosynthesizern generiert wurden. Die dritte Ausgabe lehnte sich mit der Überschrift Zukunft – kein Thema offenkundig an den No Future-Slogan der Punk-Bewegung an. Die Videobeiträge handelten von amerikanischen Weltraumträumen (A & A Video), von der Zukunft des Wohnens (Axel Wirths)14, von ökologischen Risiken (Bildschön Video) oder auch von einer zukunftshörigen Politik, die aktuelle gesellschaftliche Probleme nicht wahrnimmt (Propaganda Video). In diese Zusammenstellung von problembewussten, aber nicht pessimistischen Statements waren zwei auffällig heitere Musikvideos eingereiht. Die Gruppe Halbzollgebiet präsentierte das selbstproduzierte Musikvideo zum Song The meaning of love von Depeche Mode, der 1982 ein Riesenerfolg war. Der spöttelnde Song Ich will nicht älter werden von der NeueDeutsche-Welle-Band Bärchen und die Milchbubis, unterlegt mit Bildern von sportlichen und kosmetikaffinen Frauen, erteilte nicht nur der konformistischen Müttergeneration mit ihrer Sehnsucht nach ewiger Jugend, sondern auch dem Zukunftsboykott der Punkbewegung eine ironische Absage. Der von Fun & Art exklusiv für die Ausgabe produzierte, gleichnamige Beitrag Zukunft kein Thema mutet wie die Dystopie einer »Electronic Revolution Expanded« an, die von Fun & Art im Video angekündigt wird. Fragmentierte Bildkompositionen, integrierte Spiegelbilder und die Andeutung von technisierten Lebensräumen wurden effektvoll mit starker Solarisation bearbeitet und von elektronisch verzerrter Musik begleitet. Nicht die Faszination für technische Innovation scheint hier im Vordergrund zu stehen, sondern die Zweifel, dass eine menschliche Anpassungsfähigkeit an solche futuristischen perfektionierten Systeme gelingen kann. Die vierte Ausgabe wurde mit Angst überschrieben. Ein dafür neu entworfenes Titelbild bringt die Farbbalken des Fernsehtestbilds mit dem im New-Wave-Design gestalteten Schriftzug »Angst« zusammen. In der bizarren Zusammenstellung, in der eine eindeutige Zuschreibung der Beiträge an Autor*innen schwierig ist, sind Inszenierungen von Angstzuständen, Phobien und psychologisch bedrohlichen Atmosphären ebenso versammelt wie eine Bündelung von Found Footage, das aus Kinofilmen stammt und das Thema abbildet. »Angst – Angst, nicht hoch zu kommen – Angst, nicht raus zu kommen – Angst, nicht rein zu kommen – Monster werden im Tanz besiegt – Die Verwirrung löst sich in der Umarmung – Die Maschinenwelt kann uns nicht hindern nackt zu gehen«, mit diesem Text weckte das Programmheft des Kölner Filmkunstkinos Broadway die Neugierde der Besucher*innen auf die Aufführung der ersten fünf Ausgaben von Schauinsland.15 Solche unkonventio14   Dieser Beitrag wird mit dem Logo »235« eingeleitet. 15  B  roadway Programmheft, März 1984, o.S. Die Vorstellung Videocongress präsentiert die Collection fand am 29.05.1984 um 18.00, 20.00 und 22.00 Uhr statt.

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nellen Videos, wie sie von den Mitgliedern des Video Congress produziert wurden, entsprachen vor allem den Erwartungen eines jungen Publikums, das sich mit Punk und New Wave identifizierte und eine kritische, antibürgerliche und zugleich extravagante Kunst verlangte. Abb. 2: Videostill aus Schauinsland, Nr. 4, Angst

Das Fanzine Lautt reagierte zum Beispiel mit einem euphorischen Artikel auf die ersten Schauinsland-Magazine: »vor allem aber sind die produkte von VIDEOCONGRESS bänder, die mit der form des mediums spielen. Da laufen bilder so schnell ab, daß sie nicht mehr einzeln sehbarsind; da verändert dieselbe situation auf dem bildschirm fünfmal ihre farbzusammenstellung; da werden montagen zusammengestellt, die wirre und irre bilder ergeben usw. die wichtige frage für den zuschauer ist nicht mehr die der handlung […], sondern ob der fernseher diese masse an bildern überhaupt aushält oder implodiert. dieses spiel mit dem medium, mit den technischen möglichkeiten, mit den formen der bilder, mit der aufteilung des bildschirms usw. macht experimentelle videos für das auge des tv-erfahrenen und tv-geprägten betrachters spannend.«16 Die Strategie des Video Congress, mit 16  L uigi Nicoletti: Die Artisten sind nicht mehr ratlos: Video!. In: Fanzine Lautt, Nr. 4, Herbst 1983, S. 14-15, hier S. 15.

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der Gemeinschaftsproduktion Schauinsland die Verbreitung ihrer Videos anzutreiben, ging bereits im ersten Jahr auf. 1983 wurden die Ausgaben unter anderem beim Kölner Filmfest, dem World Wide Video Festival in Den Haag und dem Falling Annual Livingroom Video Festspiel in Dänemark präsentiert.

Infermental und Video Congress Zeitgleich bewegte sich auf demselben Terrain der bildenden Kunst das VideoMagazin Infermental, das etwas früher im Jahr 1980 vom Künstlerpaar Gábor und Vera Bódy als »internationale[s] Magazin auf Videocassetten« ins Leben gerufen worden war und im Jahr 1982 mit der ersten Ausgabe startete.17 Der Hauptunterschied zwischen Video Congress und Infermental lag in der Organisationsstruktur der einzelnen Magazine. Für die jeweiligen Ausgaben von Infermental gab es offene Ausschreibungen, aus denen die wechselnden Redaktionen (mal waren es die Gründer selbst, mal befreundete Künstler*innen im europäischen Ausland) geeignete Einreichungen auswählten und erst nachträglich inhaltliche Leitbegriffe benannten. Hingegen verabredeten die Mitglieder des Video Congress vorab die thematische Ausrichtung der einzelnen Magazinnummern und ließen die Teilnehmer*innen dafür gezielte, häufig neue Beiträge schaffen, die nicht ausjuriert wurden. Für die gesamte Koordination, von der Redaktion über die Produktion als Video-Magazin bis hin zur anschließenden Präsentation, war jeweils ein anderes Video-Congress-Mitglied verantwortlich, sodass sich die Redaktionen der einzelnen Ausgaben über mehrere bundesrepublikanische Städte wie Hamburg, Berlin, Köln und Mannheim verteilten.18 Genauso wie bei Infermental stand auch bei Video Congress im Vordergrund, ein »Künstlernetzwerk«19 aufzubauen. Eine Ausdehnung auf internationale Künstler*innen-Kooperationen, die Infermental von Anfang an beabsichtigte, wurde bei Video Congress erst ab 1985 mit der achten und neunten Ausgabe verfolgt. Während sich Infermental als Almanach zur zeitgenössischen Videokunst (»encyklopädisch angelegte[s] Video-Periodikum«20) positionierte, dessen jähr17  V  gl. Veruschka Bódy: Einleitung. In: dies. (Hg.): Infermental – The first international Magazine on Videocassettes. 1980-1986. Köln 1986, S. 6-7, hier S. 6. Für ausführliche Informationen zu den Ausgaben von Infermental vgl. www.infermental.de (08.09.2017). 18  N  orbert Meissner und Rudi Frings jeweils im Gespräch mit der Autorin am 14.04.2016 bzw. 08.03.2016. 19  I sabelle Schwarz erläutert, dass Infermental für polnische Künstler*innen, wie zum Beispiel Józef Robakowski, ein wichtiges Austauschmedium mit westeuropäischen Künstler*innen war. Schwarz: Archive für Künstlerpublikationen, S. 8-9. 20  V  gl. Pressemitteilung Mannheimer Manifest: Gründung von Infermental, 1981, abgedruckt in: Bódy: Infermental, S. 126-127.

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liche Ausgaben mehrere Kassetten mit einer Gesamtlaufzeit von vier bis sechs Stunden füllten, richtete sich Video Congress mit seinem Magazin Schauinsland an ein vielseitig interessiertes Publikum, dessen Aufmerksamkeit durch eine inhaltliche Fokussierung und durch absichtlich kurze Beiträge auf videokünstlerische Aktivitäten gelenkt werden sollte. 1985 bewertete Dieter Daniels die Kassetten von Video Congress deshalb »als erstes Magazin dieser Art in Deutschland«, das »von seiner Intention und durch seine unterhaltsame Struktur auch auf Verleih und Verkauf für den Heimvideo-Bereich« abzielte.21 In der Zeitschrift mediamatic fiel der Vergleich zwischen Video Congress und Infermental insbesondere dahin gehend aus, dass Video Congress abwechslungsreicher und leichter zugänglich sei: »As regards content, the two magazines do not seem to differ a great deal. In both magazines, works are grouped around a theme, and both magazines want to make clear statements. Video Congress, however, places more emphasis on entertainment and general accessibility, while Infermental asks its editorial board ›to reveal a mental context in the work submitted and its presentation‹.«22 Die Video-Magazine von Video Congress waren vorrangig als ein kuratiertes künstlerisches Präsentationsformat zu verstehen, dessen Spieldauer aus pragmatischen und zuschauerfreundlichen Gründen meist unter einer Stunde lag.

Video Congress — Videonal Nr. 5 bis 7 1984 wurden drei weitere Folgen veröffentlicht (Nr. 5 Begegnung, Nr. 6 Industriewerbung und Nr. 7 Realitätsersatz) und zahlreiche Vorführungen, wie zum Beispiel im Kölner Programmkino Broadway23, beim 3. Kölner Filmfest und sogar in der Sektion Spazio Aperto des 2. Torino Film Festivals24, erreicht. Bei solchen Festivals wurde keine Trennlinie zwischen den Produktionsformaten von filmischen Werken gezogen, ganz gleich ob sie auf 16-mm-Film, Super-8-Film oder U-matic-Video gedreht worden waren, vielmehr wurde nach gemeinsamen Aussagequalitäten solcher filmischer Experimente gefahndet. So war Video Congress beispielsweise auf dem 3. Kölner Filmfestival in der Sektion Visionen mit einem Zusammenschnitt der ersten fünf Ausgaben und zusätzlich in der Sektion Mannomann mit 21  D  ieter Daniels: Bildende Kunst und laufende Bilder. Zur Vermittlung von Video-Kunst in der Bundesrepublik Deutschland. In: Kunstforum International, Bd. 77/78, 1985, S. 39-43, hier S. 43. 22  Jans Possel: 235 video. In: Mediamatic, Vol. 1#4, April 1987, S. 185-186, hier S. 186. 23  A  m 29.03.1984 wird im Broadway Kino Videocongress präsentiert die Collection, eine Zusammenstellung der ersten 5 Ausgaben Prolog, Erotik, Geld, Zukunft, Angst, gezeigt und am 23.08.1984 die Ausgabe Nr. 6 Industriewerbung. Quelle: Ankündigungen im Broadway Magazin. 24  T orino Film Festival, 6.–14.10.1984, Best of Video Congress, im Spazio Aperto, vgl. Katalog Spazio Aperto, 2. Festival Internazionale Cinema Giovani. Turin 1984, S. 136, und www.torinofilmfest. org/en/history.html#historyBoxItem/2/sezione-359/presentazione (08.09.2017).

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Ausschnitten aus den Magazinen Erotik und Geld vertreten.25 Das in Bonn frisch gegründete Festival Videonale, das im September 1984 eröffnete, war für Video Congress eine wichtige Anlaufstelle im Kontext der bildenden Kunst. Video Congress beschrieb sich selbst als »ein Zusammenschluss von videoproduzierenden Einzelkünstlern und Gruppen«, verwies auf seine bisherigen sieben herausgebrachten Video-Magazine und bewarb seine fünfte Ausgabe Begegnung/Incontro.26 Ebenso wurden Künstler*innen-Initiativen wie Video & Co in Dortmund, aus der später offensive video kunst (ovk) hervorging, auf die Magazine von Video Congress aufmerksam und organisierten Aufführungen.27 Begegnung/Incontro war die erste Ausgabe, die in Zusammenarbeit mit Künstler*innen aus dem Ausland entstand, und die letzte, die noch unter dem Magazintitel Schauinsland lief. Die ursprüngliche Titelsequenz mit der Tunnelfahrt war zugunsten eines theatralischen Intros aufgegeben worden, das den Begriff ›Schauinsland‹ buchstäblich visualisierte. Während eine weiß geschminkte Gestalt auf einen Tisch schaut, verwandelt sich dieser in eine Projektionsf läche, die aus der Vogelperspektive den Blick auf vorüberziehende Landschaften und Städte freigibt. Im Vergleich zu den vorherigen hob diese Magazinausgabe stärker das integrale Konzept hervor, denn die Zuschreibung der Videos an einzelne Mitglieder war meist nicht eindeutig. Die aufeinanderfolgenden Videos wurden jedoch durch das Einblenden des Titels Begegnung/Incontro getrennt und die Namen aller teilnehmenden Künstler*innen am Ende im allgemeinen Abspann genannt. Das Zusammentreffen zwischen Video Congress und italienischen Künstler*innen in der Kölner Partnerstadt Turin gab den Impuls, ›Begegnung‹ als zentrales Motiv aufzugreifen und unterschiedlichste Situationen menschlicher Begegnung – von verbal bis nonverbal, von intim bis unpersönlich, von partnerschaftlich bis gruppendynamisch – zu untersuchen. Dennoch bleibt es sowohl bei dieser Ausgabe als auch bei den zwei anderen desselben Jahres unklar, ob in den Video-Magazinen die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema überwiegt oder die visuelle Experimentierfreudigkeit, um die Spannweite von Video als innovatives künstlerisches Medium auszuloten.

25  Kölner Filmhaus (Hg.): Programmheft vom 3. Kölner Filmfest, 1984, S. 14 und S. 66. 26  S elbsterklärung von Video Congress: »Der Video-Congress ist ein Zusammenschluß von videoproduzierenden Einzelkünstlern und Gruppen. Er besteht seit 1982 und hat seitdem unter der Bezeichnung Schauinsland insgesamt sieben Video-Magazine herausgebracht, die sich verschiedenen Themen-Schwerpunkten widmen.« In: Dieter Daniels/Bärbel Moser/Petra Unnützer (Hg.): Videonale. Bonn: Videonale 1984, S. 78. Als Vertriebsadresse wird noch die Firma 235, Oberauelerstr. 1, 5202 Hennef angegeben. 27  D  ie Dortmunder Künstlerinitiative hat die Bänder Begegnung (August 1984), Realitätsersatz (21. Dezember 1984) und Metasprache I und II (24. November 1985) gezeigt. Vgl. dazu https://de.wiki pedia.org/wiki/Offensive_Video_Kunst (08.09.2017).

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Die sechste Ausgabe beschäftigte sich mit dem Zuwachs an Werbefilmen, die sowohl im Fernsehen als auch bei PR-Kampagnen von Industrieunternehmen immer größere Bedeutung erfuhren. Für viele Künstler*innen war dieses Feld eine sichere Einnahmequelle, die jedoch auch mit der Infragestellung des eigenen künstlerischen und politischen Gewissens verbunden war.28 So heißt es in einer Ankündigung des Videonals: »Das Thema Industriewerbung zeigt die Verbundenheit bzw. Unverbundenheit des Menschen zur Industrie auf. Aus ›Industriewerbung‹ wird ›Werbung der Industrie‹ oder ›Werbung für das Leben in der Industriegesellschaft‹. Bei den einzelnen Videos wird die Art der neuen Videokunst deutlich, in schneller Schnittfolge ohne konkretisierende Handlungsabläufe Assoziationsketten zu erzeugen, die die Bilder zu einer internationalen Sprache werden läßt.«29 Eine solche Verkettung von subjektiven Gedanken wird zum Beispiel angeboten, wenn im Video Krieg der Gegenstände der Gruppe Ausstrahlung kurze Passagen aus der Fernsehwerbung in einem immer schnelleren Rhythmus montiert und mit Zwischeneinblendungen von Filmszenen und Nachrichtenbildern konfrontiert werden. Besonders offensichtlich wird die Ablehnung solcher Werbefilme, wenn die Sehnsuchtsbilder der Werbung durchkreuzt werden von jener bekannten Schlüsselszene aus Luis Buñuels Film Un chien andalou, in der mit dem Messerschnitt durch den Augapfel das Sehen in die Außenwelt zerstört, dafür aber das Sehen der eigenen Innenwelt erzwungen wird. Auch das siebte Videonal steht noch unmittelbar unter dem Eindruck von manipulierenden Werbe-, TV- und Videowelten, die zum unref lektierten medialen Konsum verführen und den verheißungsvollen Realitätsersatz, so das Motto des Magazins, bieten.30 Zum Beispiel werden im Beitrag von Ausstrahlung Filmzitate aus Fahrenheit 451 von Francois Truffaut verwendet, in denen die Protagonistin davon überrascht wird, dass die Akteure im Fernsehen mit ihr zu kommunizieren beginnen und die Trennung zwischen Realität und Fiktion sich auf löst. Die Gruppe Studio 14 konfrontiert in einem mit Versuchsanordnung betitelten Video faktische Eigenschaften von Materialien mit ihren medialen Abbildern. Im Gegensatz zur Aneignung von Filmbildern und Found Footage setzt Axel Wirths in seinem Video Realitätsketten, für das er Musik der Industrial-Band Die Werkpiloten verwendet, ausschließlich auf abstrakte Gestaltungselemente, die mit den Lichtref lexen einer sich drehenden Glaskugel spielen und an nicht figurative Kompositionen von frühen Kunstfilmern wie László Moholy-Nagy erinnern. 28  Norbert Meissner in einem Gespräch mit der Autorin am 14.04.2016 in Köln (unveröffentlicht). 29  B  roadway Programmheft, Juli/August 1984, o.S. Die Vorstellung fand am 23.08.1984 im Programmkino Broadway in Köln statt. 30  D  ie Premiere der Ausgabe Realitätsersatz fand beim Bundesverband Bildender Künstler in Köln in deren Ausstellungsraum in der Hahnentorburg statt. Vgl. Sekretariat für gemeinsame Kulturarbeit NRW: Videokunst in NRW, S. 85.

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Vertrieb der Video-Congress-Magazine durch 235 Media Ab etwa Mitte 1984 übernahm 235 Media (damals noch unter dem Firmennamen 235) die Vermarktung der vom Video Congress herausgegebenen Video-Magazine. Der Kontakt war über den Kölner Video-Congress-Mitinitiator Rudi Frings zustande gekommen, der mit 235 Media in deren damaligem Geschäftsfeld des Musikkassettenvertriebs zusammenarbeitete.31 Sowohl Axel Wirths als auch die Band Mutagen Grau, an der Wirths beteiligt war, lieferten anfangs Beiträge für das Video-Magazin, erstmals für die Kompilation Zukunft kein Thema (Nr. 3) und im Weiteren für die Kompilationen Angst (Nr. 4), Industriewerbung (Nr. 6) und Realitätsersatz (Nr. 7). Als Axel Wirths und Ulrich Leistner mit ihrer Firma 235 nach Köln umsiedelten und ihren auf Musik konzentrierten Vertrieb um künstlerische Videos erweiterten, gehörten die Produktionen von Video Congress mit als erste zum neuen Programm. Nach eineinhalb Jahren der Eigeninitiative, bei der die Interessengemeinschaft Video Congress alle Arbeiten − von der künstlerischen Produktion und Redaktion über das Editieren und Kopieren bis hin zum Versand der Kopien und der Organisation der Aufführung − gestemmt hatte, war es für die Künstler*innen-Gruppen von Vorteil, dass nun eine Agentur wie 235 Media alle Tätigkeiten rund um den Vertrieb und die Öffentlichkeitsarbeit koordinierte.32 Im Vertriebskatalog von 235 Media aus der Saison 1984/85 wurden die Aktivitäten von Video Congress erstmals ausführlich beschrieben und die Produktionen Nr. 0 bis Nr. 7 zur Ausleihe und zum Ankauf angeboten, wahlweise auf U-matic- oder ½-Zoll-Kassetten.33 Die Verkaufspreise dieser unlimitierten Video-Magazine lagen bei 98 DM für ½-Zoll-Kassetten und 500 DM für das professionellere U-matic-Band. Eine Verleihkopie für Privatzwecke war für 20 DM zu erhalten; hingegen mussten für eine öffentliche Vorführung 100 DM gezahlt werden. Der ursprüngliche Titel Schauinsland war nun offiziell aufgegeben worden. Stattdessen firmierte das Video-Magazin von da an unter dem Namen Video Congress und der jeweiligen Headline, die das Thema der Ausgabe skizzierte.

31  Rudi Frings im Gespräch mit der Autorin am 08.03.2016 in Köln. 32  N  orbert Meissner und Rudi Frings jeweils im Gespräch mit der Autorin am 14.04.2016 bzw. 08.03.2016. 33  V  gl. Katalog 235 Video, 1984/85, S. 52-53, im Archiv der Stiftung imai. Wie in den »Erläuterungen zum Vertrieb« (S. 71) zu lesen ist, waren die ½-Zoll-Videos in der Regel im VHS-Format erhältlich, einige Ausnahmen im damaligen Betacam-Format.

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Internationalisierung der Magazine — Videonal Nr. 8 und Nr. 9 Als 235 Media mit dem Marketing betraut wurde, fiel zeitgleich der Entschluss, fortan auf eine Internationalisierung der Videonale hinzusteuern. Nach der ersten Kooperation mit Künstler*innen aus Turin für die Ausgabe Begegnung – Incontro entwickelte Video Congress zusammen mit 235 Media ein erweitertes Konzept, das insbesondere die Etablierung eines »internationale[n] Netzwerk[s] aus unabhängig produzierenden Künstlern, Videozentren und -vertrieben«34 verfolgte. Weiter heißt es in dem von 235 Media verbreiteten Werbetext zu Video Congress: »Es werden neue Kommunikationswege geschaffen, die gerade bei dem Informationsmedium Video ein wachsendes Bedürfnis sind. Der bewußte Ausbau internationaler Beziehungen findet im Projekt VIDEOCONGRESS einen konkreten Weg zu kulturellem Austausch und gegenseitigem Verständnis.«35 Abb. 3: Verkaufsf lyer zu Video Congress, Nr. 8, Metasprache

34  Informationsblatt VIDEOCONGRESS – Konzept 85, im Archiv der Stiftung imai. 35  Ebd.

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Im selben Jahr wurde mit den Ausgaben Nr. 8 Metasprache und Nr. 9 Reisebekanntschaft begonnen, diese hochgesteckten Ziele eines »International Art and Culture Videonal«36 umzusetzen. Unter der Regie von 235 Media wurden erstmals zu den Video-Magazinen auch werbewirksame Booklets gedruckt.37 Als Zugeständnis an das Informationsbedürfnis der Zuschauer*innen, die bis dahin auf sich selbst gestellt die einzelnen Beiträge und teilnehmenden Künstler*innen im Ereignisf luss des Video-Magazins zu identifizieren und sich bei Interesse zu merken hatten, gaben die Begleithefte nun nachhaltig Auskunft. Entsprechend der Reihenfolge der Beiträge im Videonal sind die Videos verzeichnet und jeweils über zwei Seiten mit den wesentlichen Werkangaben38, einem einprägsamen Videostill und in einigen Fällen sogar einer kurzen Erläuterung beschrieben. Das Videonal Metasprache erschien im September 1985 und wurde noch im selben Monat im Stadtgarten Köln und im Künstlerhaus Stuttgart präsentiert. Es unterschied sich schon im Umfang mit annähernd zwei Stunden von den vorherigen Ausgaben. Aufgrund der damals begrenzten Aufnahmekapazität von maximal 60 Minuten pro Kassette mussten die Beiträge auf zwei Teile (I und II) gesplittet werden. Insgesamt waren 25 Beiträge von Künstler*innen aus sieben Ländern kombiniert worden.39 Der linguistische Terminus Metasprache verweist auf die Vorstellung, dass unabhängig von sprachlicher Kommunikation eine verbindende videokünstlerische Ästhetik auftreten könne. In einem Konzept, das Video Congress 1985 hinsichtlich seiner internationalen Ausweitung veröffentlichte, wird ein solcher Leitgedanke des »Videoesperanto« formuliert: »Große Bedeutung kommt dabei einer Verständigung der verschiedenen Sprach- und Kulturkreise zu. Hierfür wird zwangsläufig eine allgemeine Bildersprache kreiert werden müssen, die die unterschiedlichen Erfahrungswelten aufzeigt. Der Videocongress hat für diese sprachliche und geographische grenzüberschreitende Kommunikationsform den Begriff VIDEOESPERANTO geschaffen.«40 Die meisten Videos vermittelten deshalb weder narrative noch sprachbasierte Inhalte, sondern eröffneten mit Videobildern, Musik, Klängen und Geräuschen weitreichende Assoziations- und Interpretationsräume. Christopher Lord griff das Konzept des Videoesperanto mit seinem Video The Secret konkret auf, indem er es absichtlich »zu einem sinnlosen und unmöglichen Drama oder Nicht-Drama zusammengefügt« hatte, um 36  I n anderen Informationsblättern wird die deutsche Übersetzung »Internationales Kunst und Kultur Videonal« verwendet. 37  Booklets zu Metasprache und Reisebekanntschaft, im Archiv der Stiftung imai. 38  A  ngegeben sind Künstler*innen-Name, Titel, Länge, Farbe bzw. s/w, Entstehungsjahr und Produktionsland.  ünstler*innen aus Frankreich, Deutschland, Italien, Österreich, Großbritannien, USA und Dä39  K nemark. 40  Im Archiv der Stiftung imai.

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»internationale Kommunikation mittels elektronischer Sprache und elektronischer Bilder zu realisieren.«41 Wenngleich eine ideelle Konsistenz zwischen den Beiträgen eines Videonals gewünscht war, wurde Video dennoch als Medium unterschiedlichster Anwendungsgebiete akzeptiert: in der Bildenden Kunst ebenso wie in den Bereichen Musik (zum Beispiel Videoclip von Der Plan), Tanz (zum Beispiel Video Turn von Bettina Ammer) und Literatur (zum Beispiel mit der Visualisierung eines Lautgedichts im Video von Charley Eybl und dem Dialog zwischen Geräten und Körper im Video von Ide Hintze). Ein zehnminütiger Fernsehbeitrag am 19. Dezember 1985 in der Sendung Nachtstudio des WDR trug dazu bei, den Bekanntheitsgrad von Video Congress zu steigern.42 Videokunst und das Videonal Video Congress wurden als Paradigmen einer innovativen Kulturszene vorgestellt. Abb. 4: Still aus dem Fernsehbeitrag Kulturszene am 19.12.1985

In seiner Funktion als Vertreter von 235 Media und Herausgeber der aktuellen Ausgabe Metasprache bewarb Axel Wirths das Konzept von Video Congress, eines »Magazin[s] auf Video«, das zusammen mit dem Booklet »kompakt als ein Informationspaket vertrieben« wurde.43 Als ›Videomacher-‹ und Teilnehmer*innen des Video Congress erläuterten Ilona Kagel, Rudi Frings und Norbert Meissner ihre 41  Booklet zu Video Congress Nr. 8: Metasprache I und II, 1985, S. 17. 42  F ernsehbeitrag über Video Congress von Rosemarie Jahnke und Bruno Lienemann innerhalb der Sendung Kulturszene am 19.12.1985 (Min. 10:35 bis 21:00), WDR. 43  Ebd., Statement von Axel Wirths.

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persönliche Motivation. Ebenso wie Ilona Kagel, die mit eigenen Videobildern einen Gegenpol zur Fernseh- und Konsumwelt zu setzen beabsichtigte, lehnte Rudi Frings eine ausschließlich durch technische Raffinessen legitimierte Videokunst ab: »Wir sehen uns hier nicht als Magier der elektronischen Technik. Wir wollen die Technik nicht dazu benutzen, über den Inhalt hinweg zu bluffen, den Zuschauer mit ihr zu blenden, die Technik als eine Macht zu präsentieren, die undurchschaubar ist, Videotechnik als eine neue Gottheit. Bei mir sucht sich der Inhalt die geeignete Technik.«44 Indessen hob Norbert Meissner sein Interesse an der elektronischen Bildgestaltung hervor, um sich von der gefälligen Fernsehästhetik abzugrenzen: »[…] durch die Mitarbeit an verschiedenen Industriefilmen sowie Werbeproduktionen und die für meine Begriffe zu glatte Ästhetik in diesen Produktionen änderte sich meine Arbeitsweise. Ich wollte Bilder jetzt direkt gestalten, videomäßig bearbeiten, verfremden, neue Beziehungen eingehen, bedingt durch formale strukturelle Änderungen.«45 Die Premiere der neunten Ausgabe von Video Congress fand am 26. März 1986 im Kino des Stadtgarten Köln statt. Dort hatte man im Jahr zuvor einen Konzertsaal, insbesondere für Jazz, und ein Programmkino eröffnet, wo zum 4. Kölner Filmfest die Video-Magazine vom Video Congress bereits gezeigt worden waren.46 Auch dieses Videonal setzte auf Internationalität, die nicht zuletzt in dem Leitmotiv Reisebekanntschaft zum Ausdruck kam. 20 Künstler*innen, davon sieben aus Deutschland und 13 aus weiteren europäischen Ländern, Nordamerika und Australien, hatten aktuelle Videoarbeiten beigesteuert, die in der Mehrzahl das Unterwegssein und die Begegnung mit fremden Kulturen fokussierten. Wie bereits im achten Videonal wurde Wert darauf gelegt, die einzelnen Beiträge deutlich voneinander abzugrenzen und gleichzeitig durch einen wiederholenden Einspieler, der die unbeschwerte Stimmung des Roadmovie zusammen mit Songs von den Beach Boys anklingen lässt, eine Geschlossenheit herzustellen. Das Zusammentreffen mit dem Fremdländischen und Exotischen war dabei nur eine Facette, die wie in Mike Mannettas Trail of Sphinx und in Vikki Rileys Reise durch Instruktion thematisiert wurde. Überwiegend wurde in den Videos ein erweitertes Verständnis des Reisens aufgegriffen: der Einblick in die wahnsinnige Gedankenwelt eines Wissenschaftlers (Baris Wanowitch Dr. A. Mok’s Gehirnwellen), in die erotischen Sehnsüchte eines Reisenden (Torben Søborg Ein Aloha mehr), in die poetische Stimmung des Sängers und Dichters Jim Morrison (Jordi Torrent Filmzuschauer sind wahre Vampire) sowie in okkulte und spirituelle Dimensionen (Stephen Radmall Qliphoth und Ausstrahlung Überquerung 44  Ebd., Statement von Rudi Frings. 45  Ebd., Statement von Norbert Meissner. 46  E röffnung von Konzertsaal und Kino im Stadtgarten, Köln, 04.-14.09.1985, zum 4. Kölner Filmfest. Im Spätprogramm wurden an 7 Abenden Video-Congress-Ausgaben gezeigt (07.-13.09.1985).

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des Ichs). Teil der Ausgabe war auch das Video Baustelle von Mike Hentz, das die Effizienz menschlicher Arbeitskraft – ohne Einsatz von Maschinen − auf einer indischen Baustelle vermittelt. Hentz war Mitglied der Gruppe Minus Delta t, die interdisziplinäre künstlerische Forschung betrieb und insbesondere ihr Bangkok-Projekt über 235 Media promoten ließ.47 Insofern war die Video-Congress-Kompilation für 235 Media eine zusätzliche Möglichkeit, um auf Einzelpositionen ihres Vertriebs aufmerksam zu machen. Abb. 5: Booklet und VHS-Kassette Video Congress, Nr. 9, Reisebekanntschaf t

Keine Fortsetzung 235 Media weitete für diese zwei internationalen Neuausgaben des Video Congress die Werbemaßnahmen aus, um die öffentliche Aufmerksamkeit zu erhöhen und damit den ökonomischen Aspekt des Produkts ›Video Congress‹ zu verfolgen. Nicht nur Produktionskosten mussten eingespielt, sondern darüber hinaus Einkünfte für die Agentur und die Künstler*innen erzielt werden. Die Videonale Nr. 8 und Nr. 9 erschienen nun unter der Herausgeberschaft von 235 Media. Rudi Frings und Norbert Meissner, die von Anfang an treibende Kräfte des Video Congress waren, gehörten auch weiterhin zum Redaktionsteam für die jeweiligen Begleithefte, Verkaufsf lyer und Plakate. Vor allem wurde es immer wichtiger, mit dem Video Congress auf den expandierenden Videokunstfestivals präsent zu sein, weil dort die Ansprache potenzieller Kunden erfolgen konnte: So wurden 1986 Vorführungen der achten und neunten Ausgabe auf der 2. Videonale in Bonn und 47  Katalog 235 Video, 1984/85, S. 56, im Archiv der Stiftung imai.

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auf dem 6. Internationalen Experimentalfilm Workshop Osnabrück organisiert.48 Die Aufführung von Metasprache in den Räumen der Düsseldorfer Galerie Hubertus Wunschik am 9. August 1986 lässt erkennen, dass sich auch bei progressiven Kunsthändlern ein beginnendes wirtschaftliches Interesse an Videokunst und experimentellen Vertriebsmodellen abzeichnete. Trotz zahlreicher werbewirksamer Maßnahmen, die 235 Media zusammen mit Mitgliedern des Video Congress zwischen 1984 und 1986 forciert hatte, wurde das Videonal, das inklusive der Nullnummer zehnmal erschienen ist, nicht fortgesetzt. Die Nummer 10 war zwar schon mit dem Titel Dogma in konkreter Planung, die Realisation wurde aber schließlich wegen fehlender Finanzierung abgesagt.49 Auch dieses Videonal wäre vermutlich zu einem Bindeglied zwischen Videokünstler*innen weltweit geworden, denn der in Los Angeles lebende Künstler Tony Allard, der mit Videos an der achten und neunten Ausgabe beteiligt war, hatte zum Thema Dogma mehrere Vorschläge von in Kalifornien und New York ansässigen Künstler*innen eingereicht. Obwohl 235 Media keine weiteren Video-Congress-Magazine produzierte, wurden vor allem die von der Agentur herausgegebenen letzten zwei Editionen Metasprache und Reisebekanntschaft noch einige Jahre im Vertriebsprogramm angeboten. Dass 235 Media keine neuen Anstrengungen unternahm, das Videonal weiterzuverfolgen, lag vermutlich an dem wenig erfolgsversprechenden Absatz dieses Produkts. Geschäftszweige wie die Vertretung von im Kunst- und Kulturbetrieb avancierenden Künstler*innen und der immer stärker gefragte Verleih von audiovisuellem Equipment erwiesen sich bald als gewinnbringender.50 Hatten die Initiatoren des Video Congress anfangs das Magazin als ein Non-Profit-Unternehmen zur Zirkulation und Vernetzung der neuen Kunstform gedacht, wurden mit der Übernahme durch die Agentur 235 Media zunehmend kommerzielle Maßstäbe angelegt. Die Zielgruppe einer jungen Öffentlichkeit, die eine Affinität für Medienkritik, Videoästhetik und Videoclips besaß, war als Käufergruppe überschätzt worden. Denn ungeachtet der jeweiligen thematischen Rahmung der Magazinausgaben brachte jedes Videonal auch die Heterogenität der damaligen Videokunstszene zum Ausdruck, was nach Axel Wirths Einschätzung den Absatz beeinträchtigte: »[…] diese große Unterschiedlichkeit der einzelnen Beiträge macht es für den Zuschauer fast unmöglich, 48  V  ideonale 2, internationales Festival und Wettbewerb für Kunstvideos, 13.-21.09.1986, Galerie 41, Wolfgasse 41, 5300 Bonn; 6. Internationaler Experimentalfilm Workshop Osnabrück (29.05.01.06.1986, vgl. Katalog, S. 151-156), Vorläufer des bis heute dort stattfindenden European Media Art Festivals (EMAF). 49  S o Eckhard Wirths in einem Brief an Nick Cope, datiert 19. Dezember 1986, im Archiv der Stiftung imai. Nick Cope gab in den frühen 1980er-Jahren in England alternative Magazine und Video-Kompilationen auf VHS heraus. Aus dem Brief geht hervor, dass er für die geplante zehnte Ausgabe von Video Congress ein Video eingesandt hatte. 50  Rudi Frings und Norbert Meissner in Gesprächen mit der Autorin am 14.04.2016 bzw. 08.03.2016.

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sich auf einen einzelnen Beitrag und seine spezifische Idee einzulassen. Wenn in schneller Reihenfolge abgefilmte Performance nach theoretischer Medienauseinandersetzung und dahinter eine Computeranimation mit nachfolgendem Musikbeitrag erscheint, ist der Zuschauer ganz einfach überfordert. Das war auch mit der Grund warum wir das Projekt ›Video Congress‹ 1986 beendet haben.«51 Für 235 Media war die Herausgabe der zwei Video-Congress-Magazine der Einstieg in die Vertriebstätigkeit im Terrain der bildenden Kunst, die innerhalb weniger Jahre expandierte und bald anstelle von Kompilationen auf die Promotion einzelner Künstler*innen setzte.

Anhang: Ausgaben des Magazins Video Congress Wenn nicht anders angegeben, sind die Künstler*innen in der Reihenfolge ihrer Beiträge aufgelistet. Schauinsland Nr. 0: Prolog 1982, 64 Min., Farbe, PAL - Iron Curtain (George Hampton), Kassel - A & A Video (Axel Brand, Anette Maschmann), Westberlin - Fun & Art (Andy Hinz, Sascha A. Ehrlich, Thomas Kistner), München - Nachts in den Städten (Werner Schmiedel), Hamburg - Bildschön Video (Rudi Frings, Rosi Jahnke, Gigi Knäpper), Köln - Walter Gramming/La Loora, Westberlin - Videoprojekt Hannover (Ekkehard E. Kähne) - Montevideo, München - Art Now (Fritz Stier u.a.), Mannheim - Videoblitz (Ingo Günther), Düsseldorf/New York - Propaganda Video (Norbert Meissner, Klaus Maeck), Hannover Schauinsland Nr. 1: Erotik 1983, 60 Min., Farbe, PAL - A & A Video (Axel Brand, Anette Maschmann), Westberlin - Bildschön Video (Rudi Frings, Rosi Jahnke, Gigi Knäpper), Köln - Stöhr Film (Christian Cult, Rudolf Rudolf) - Les Immer Essen, Köln 51  V  gl. Axel Wirths: Vertrieb von künstlerischen und kulturellen Videoproduktionen. Rückblick und Tendenzen. In: Hamburger Filmbüro e.V. (Hg.): Videovertrieb in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Materialsammlung zur Vertriebssituation kulturell produzierter Videofilme in der Bundesrepublik. Hamburg: Black Box 1988, S. 79-81, hier S. 79.

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- Fun & Art (Andy Hinz, Sascha A. Ehrlich u.a.), München - Iron Curtain (George Hampton), Kassel - Nachts in den Städten (Werner Schmiedel), Hamburg - Propaganda Video (Norbert Meissner), Hannover Beiträge von Montevideo und Halbzollgebiet, die in anderen Verzeichnissen aufgeführt werden, konnte die Autorin nicht identifizieren. Schauinsland Nr. 2: Geld 1983, 40 Min., Farbe, PAL - A & A Video (Axel Brand, Anette Maschmann), Westberlin - Bildschön Video (Rudi Frings, Rosi Jahnke, Gigi Knäpper), Köln - Fun & Art (Andy Hinz, Sascha A. Ehrlich u.a.), München - Iron Curtain (George Hampton), Kassel - Nachts in den Städten (Werner Schmiedel), Hamburg - Propaganda Video (Norbert Meissner), Hannover Schauinsland Nr. 3: Zukunft kein Thema 1983, 45 Min., Farbe, PAL - Halbzollgebiet (Fritz Stier u.a.), Mannheim - A & A Video (Axel Brand, Anette Maschmann), Westberlin - 235 (Axel Wirths), Köln - Propaganda Video (Norbert Meissner), Hannover - Bildschön Video (Rudi Frings, Rosi Jahnke, Gigi Knäpper), Köln - Fun & Art (Andy Hinz, Sascha A. Ehrlich), München - The New Age Productions (George Hampton), Westberlin Schauinsland Nr. 4: Angst 1983, 50 Min., Farbe, PAL - Best Boy Connection, Westberlin - Fun & Art (Andy Hinz, Sascha A. Ehrlich u.a.), München - The New Age Productions (George Hampton), Westberlin - Fun & Art (Andy Hinz, Sascha A. Ehrlich u.a.), München - A & A Video (Axel Brand, Anette Maschmann), Westberlin - Halbzollgebiet (Fritz Stier u.a.), Mannheim - Hannelore Kober & Jonnie Döbele, Stuttgart - Bildschön Video (Rudi Frings, Rosi Jahnke, Gigi Knäpper) und Mutagen Grau, Köln - Rudi Frings, Köln

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Renate Buschmann

Schauinsland Nr. 5: Begegnung 1984, 40 Min., Farbe, PAL, VHS Die einzelnen Beiträge sind keinen Personen oder Gruppen zugeordnet. Laut dem Abspann waren folgende Personen beteiligt: - Rosemarie Jahnke, Köln - Axel Brand, Köln - Andy Hinz, München - George Hampton, Westberlin - Ausstrahlung (Axel Brand, Rudi Frings, Rosi Jahnke, Gigi Knäpper), Köln - Ilona & Frank & Reiner, Hamburg - Michael & Martin Koch, Mannheim - Sascha A. Ehrlich, München - Hannelore Kober & Jonnie Döbele, Stuttgart - Anette & Felix Maschmann, Berlin Video Congress Nr. 6: Industriewerbung 1984, 35 Min., Farbe, Ton, PAL - Ausstrahlung (Rudi Frings, Gigi Knäpper), Köln - Videogruppe Turin (Anette Maschmann, Axel Brand, Petra Probst, Mimo Calopresti, Cincia di Cianni, Enrico Verra) - Ilona Kagel/Frank Misiak, Hamburg - The New Age Productions (George Hampton), Westberlin - Petra Probst/Armando Ceste - Mutagen Grau, Köln - Zwischentitel: Josef Stöhr, Köln/Westberlin Video Congress Nr. 7: Realitätsersatz 1984, 47 Min., Farbe, Ton, PAL - Propaganda Video (Norbert Meissner), Hannover - Ausstrahlung (Rudi Frings, Gigi Knäpper), Köln - Ausstrahlung/Dunkelziffer, Köln - Ausstrahlung/Marie Lu, Köln - Axel Wirths, Köln - Studio 14 - Ilona Kagel/Frank Misiak/Reiner Scholbe, Hamburg - Frank Stöve, Köln - Mertens & Mertens, Westberlin

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Video Congress Nr. 8: Metasprache Metasprache I: 1985, 60 Min., Farbe, PAL Metasprache II: 1985, 60 Min., Farbe, PAL Metasprache I: Claude Torey, Frankreich; Evelyn und Reinhard Lepetit-Knoedler, Deutschland; Audero Corrado, Italien; Charley Eybl, Österreich; Der Plan, Deutschland/Japan; Norbert Meissner, Deutschland; Christopher Lord, Großbritannien; KAOS, Deutschland; Klaus Netzle, Deutschland; Bettina Ammer, Deutschland; Jonathan X Jackson, USA; Frederic Develay/Frederic Martin, Frankreich Metasprache II: Maurice Dupont, Frankreich; Jonathan X Jackson, USA; Franziska Megert, Deutschland; Torben Søborg, Dänemark; Ide Hintze, Österreich; KAOS, Deutschland; John Cage/Axel Wirths/Rosemarie Jahnke, Deutschland; Neil Armstrong, Großbritannien; Tony Allard/Michael Gross, USA; Charles Kissing, Deutschland; Étant Donnés, Frankreich; Rudi Frings/Gigi Knäpper, Deutschland; Frederic Develay/Frederic Martin, Frankreich Video Congress Nr. 9: Reisebekanntschaft 1986, 70 Min., Farbe, PAL Didier Bay, Frankreich; Mike Mannetta, USA; Kain Karawahn, Deutschland; Vikki Riley, Australien; Boris Manowitch, Kanada; Torben Søborg, Dänemark; Yvonne Oerlemans, Niederlande; Jordi Torrent, USA; Mike Hentz, USA/Deutschland/ Frankreich; Vibeke Vogel, Dänemark; Stephen Radmall, Großbritannien; Anke Doepner, Deutschland; Pyrolator, Deutschland; Norbert Meissner, Deutschland; Ausstrahlung, Deutschland; Kit Fitzgerald, USA; Ysabel Polar, Frankreich; Rabe Perplexum, Deutschland; Alicia Nogueira, USA; Tony Allard, USA

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235 Media und der Videoboom der 1980er-Jahre Jessica Nitsche »Video bedeutet mehr als nur ein weiteres elektrisches Gerät nach Kühlschrank, Waschmaschine und Fernseher: Video ist ein komplett neues Medium, das aufgrund seiner vielfältigen, sich ständig erweiternden Einsatzmöglichkeiten nicht nur die Sehgewohnheiten, sondern auch die Kommunikationsund Verhaltensformen der Besitzer verändern kann.« 1 »Innerhalb von fünf Jahren entwickelte sich die Bundesrepublik Deutschland zu einer der videofreundlichsten Nationen der Erde.«2

Das Jahr 1980 wird in der Forschungsliteratur als »Geburtsjahr der Videotheken und des Beginns des sogenannten Videobooms in Deutschland«3 verhandelt. Dieser ›Boom‹ resultiert aus einer neuen Zugänglichkeit zu Filmen für die Öffentlichkeit, jenseits von Kino und Fernsehen, die die nun f lächendeckend entstehenden Videotheken mehr und mehr ermöglichten. Während sich Haushalte durchaus Videorekorder leisten konnten und leisteten, war der Kaufpreis einer bespielten Videokassette für Mediennutzer im Jahr 1981 mit ca. 150 DM noch unzumutbar.4 1  P  eter Weber: Videotechnik. In: Günter Poll (Hg.): Videorecht, Videowirtschaft. München: J. Schweitzer Verlag 1986, S. 3-8, hier S. 3. 2  W  ilhelm Wiemers: Vorwort. In: Klaus-G. Loest: Die Videokassette – ein neues Medium etabliert sich. Videotheken aus bibliothekarischer Perspektive. Wiesbaden: Harrassowitz 1984, S. XI–XIV, hier S. XI. 3  T obias Haupts: Die Videothek. Zur Geschichte und medialen Praxis einer kulturellen Institution. Bielefeld: transcript 2014, S. 13 (das Thema Videokunst wird in der umfassenden Studie von Haupts nicht thematisiert). 4  Vgl. ebd., S. 61.

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Daher entwickelte sich in dieser Zeit sehr rasant ein gut funktionierendes Verleihsystem, das in der Videothek seinen Ort fand, anfangs sogar von Rundfunkgeschäften, Kiosken, Supermärkten und Tankstellen angeboten wurde.5 Klaus-G. Loest nennt die Zeit zwischen 1980 und 1982 »die explosionsartige Phase«6 bezüglich der Anzahl der Neueröffnungen von Videotheken. Es war auch eine Zeit, in der die Freiwillige Selbstkontrolle (FSK) und das Jugendschutzgesetz für das Medium Video noch nicht geltend gemacht wurden, erst 1985 wurde eine Altersfreigabe für Videofilme gesetzlich verpf lichtend eingeführt.7 Siegfried Zielinski nennt sie auch diejenige Phase, »welche die Branche bei Teilen der Öffentlichkeit nachhaltig in Verruf gebracht hat. Auf Kassetten wurde alles gespielt, was billig war, wofür leicht Lizenzen zu bekommen waren und was sich möglichst deutlich vom Angebot des Fernsehens und der gängigen Lichtspielhäuser abhob: Knochenbrecher- und Menschenfresser-Filme aus den Billig-Produktionsländern Süd-Europas und Südost-Asiens […]«8. Dies widersprach diametral jener Vision, die mit dem Medium Video auch verbunden gewesen war und die Bertram Rotermund in seinem Beitrag Alternative Nutzung neuer Medien (1987) wie folgt auf den Punkt bringt: »Wir sind entstanden einerseits aus den politischen Protestbewegungen der letzten zehn Jahre, zum anderen aus einer medienpolitischen Diskussion. Gegenöffentlichkeit, Verbreitung unterdrückter Nachrichten und ›public access‹ Bürgermedium waren die programmatischen Pole. Video erschien auf dem Markt, und es schien unseren Anforderungen geradezu auf den Leib geschnitten. Es war für uns finanzierbar, leicht zu bedienen, Bild und Ton waren sofort synchron aufnehmbar, und wir konnten auch ohne Kopierwerk schnell und billig selber Kopien ziehen.«9 Noch im gleichen Artikel diagnostiziert er: »Video – einst von uns als das emanzipatorische Medium proklamiert – ist heute zum dreckigsten Medium überhaupt geworden: Horror, Porno, Gewalt, billigste Unterhaltung und Überwachung. Die

5  Vgl. ebd., S. 63. 6 Klaus-G. Loest: Die Videokassette – ein neues Medium etabliert sich. Videotheken aus bibliothekarischer Perspektive. Wiesbaden: Harrassowitz 1984, S. 62. 7  V  gl. Haupts: Die Videothek, S. 110-128 (Hetzkampagnen: die Verschärfung des Jugendschutzes 1985) und Joachim Birr: Video und Jugendschutz. In: Günter Poll (Hg.): Videorecht, Videowirtschaft. München: J. Schweitzer Verlag 1986, S. 126-136. 8  S iegfried Zielinski: Aspekte des Marktes für Video-Software. Entwicklung – Stand – Perspektive. In: Günter Poll (Hg.): Videorecht, Videowirtschaft. München: J. Schweitzer Verlag 1986, S. 9-14, hier S. 9. Vgl. auch ders.: Zur Geschichte des Videorecorders (Neuausgabe). Potsdam: Polzer 2010 (Erstveröffentlichung 1985). 9  B  ertram Rotermund: Proletarische Öffentlichkeit statt Neue Medien! In: AG der Filmjournalisten und Hamburger Filmbüro e.V. (Hg.): Neue Medien contra Filmkultur? Berlin: Spiess 1987, S. 222226, hier S. 223.

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marktwirtschaftliche Entwicklung hat unserem Medium im wahrsten Sinne des Wortes die Unschuld geraubt.«10 Die Geschichte von 235 Media nahm ihren Anfang zeitgleich mit dem massenweisen Auf kommen der Videotheken und dem In-Verruf-Geraten des Mediums Video. Es handelt sich um Geschichten, die zwar gleichzeitig stattfanden und in deren Zentrum die gleiche Medientechnik steht – die jedoch unabhängig davon so gut wie keine Berührungspunkte aufweisen. Denn der potenzielle Markt für die Video-Editionen von 235 Media wurde gerade nicht in den Videotheken verortet. Als Zielgruppen wurden der Kunstbuchhandel, Bibliotheken, Büchereien, Volkshochschulen, Museen, Schulen und Hochschulen definiert.11 Dies entspricht den allgemeinen Entwicklungen innerhalb der Vertriebsgeschichte künstlerisch und kulturell orientierter Videos12, für die man im Jahr 1988 Folgendes prognostizierte: »Der Einzug in den kommerziellen Videothekenmarkt ist für kulturelle Videos genauso wenig in Aussicht wie für kulturelle Filme.«13 Diese Prognose hat sich aus gegenwärtiger Perspektive, in der die Institution Videothek ihrem Ende entgegengeht, bestätigt.14 Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass es in den 1980er-Jahren durchaus auch Initiativen gab, die Videothek als Präsentationsort kulturell hochwertiger Filmprogramme zu nutzen, beispielsweise die Kampagne Filmfestival in ihrer Videothek, initiiert von der Interessengemeinschaft der 10  E bd. Ein ›unschuldiges‹ Medium war Video auch schon vorher nicht gewesen. Erste bespielte Videokassetten wurden in Deutschland seit Anfang der 1970er-Jahre vertrieben, die Inhalte waren vielfach verschiedene Sachgebiete für die Aus- und Weiterbildung. Laut Zielinski wurde die erste Phase jedoch »im inoffiziellen Teil des Marktes ergänzt durch eine breite Palette von Pornographie, die zum allergrößten Teil vom älteren Bruder, dem Schmalfilm überspielt worden war«. Zielinski: Aspekte des Marktes für Video-Software, S. 9. 11  V  gl. Axel Wirths: Vertrieb von künstlerischen und kulturellen Videoproduktionen. Rückblick und Tendenzen. In: Hamburger Filmbüro e.V. (Hg.): Videovertrieb. Eine Materialsammlung zur Vertriebssituation kulturell produzierter Videofilme in der Bundesrepublik. Hamburg: edition black box 1988, S. 79-81, hier S. 80. 12  M  it kulturellen und künstlerischen Videos sind unabhängig produzierte, originäre Videos aus dem nichtkommerziellen Bereich gemeint. Der Begriff des ›originären Videos‹ wird verwendet, um zwischen Video als Produktionsmittel (originäres Video) und Video als Vertriebsmedium für Filme (beispielsweise Kinofilme) im Videothekenmarkt zu differenzieren. 13  H  amburger Filmbüro e.V. (Hg.): Videovertrieb. Eine Materialsammlung zur Vertriebssituation kulturell produzierter Videofilme in der Bundesrepublik. Hamburg: edition black box 1988, S. 11 (Ergebnisse der Untersuchung). 14  D  as Aussterben der Videotheken sorgt seit einigen Jahren immer wieder für kleine Schlagzeilen. So generiert Google unter den Suchbegriffen »letzte Videothek« zahlreiche aktuelle Einträge zu Artikeln, die die Schließung der jeweils letzten Videothek verschiedener Städte bekannt geben (beispielsweise von Nürnberg und Regensburg im Juli 2018, von Bonn im August 2018, von Münster im März 2019) oder auch über deren überraschendes Überleben berichten (Christine Pilger: »Letzte Videothek in Kiel: ›Film Peter‹ lebt noch«, https://www.ndr.de/nachrichten/ schleswig-holstein/Letzte-Videothek-in-Kiel-Film-Peter-lebt-noch,videothek142.html).

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Videothekare.15 Auch der Videoladen Zürich formulierte 1988 das Ziel, einen anders ausgerichteten Videoverleih zu etablieren, »der langfristig auch in den Videotheken etwas anbieten kann« (mit dem Zusatz: »Die können ja nicht 100 Jahre Rambozambo laufen lassen«16). Tritt ein neues Medium auf den Plan, so wird es meistens von den einen als innovativ gefeiert und zugleich von anderen als kultureller Niedergang verteufelt – Video reiht sich in diese Logik ein. Dass sowohl der Institution Videothek wie auch dem Medium Video mitunter ein schlechter Ruf vorauseilte, soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Video von Anfang an auch als bildungsrelevantes neues Medium gehandelt wurde. Daher entstand auch vonseiten der Bibliotheken Interesse an Video, womit sowohl das Ziel verfolgt wurde, den Bildungsauftrag zu erfüllen, als auch, medial auf der Höhe der Zeit zu agieren und Institutionen, die sich zu einer Konkurrenz entwickeln könnten, entgegenzuwirken. Exemplarisch ist in diesem Zusammenhang ein Projekt, das in Bibliotheken der Städte Bielefeld, Celle und Duisburg von 1984 bis 1986 umgesetzt wurde. Hier sollten jeweils Videoabteilungen mit einem Bestand von bis zu 1000 Kassetten aufgebaut werden, um zu untersuchen, wie sich das neue Medium in den Bibliotheksbestand integrieren lässt.17 In seiner Studie Die Videokassette – ein neues Medium etabliert sich. Videotheken aus bibliothekarischer Perspektive hat Klaus-G. Loest die spezifische Position von Video für das Mediensystem und den Medienmarkt in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre detailliert analysiert. Er untersucht darin den Videokassettenmarkt im Hinblick auf Produktion, Distribution und Konsumtion wie auch Institutionen, die sich mit Video befassen. Loest setzt einer in Deutschland zumeist kulturkonservativen Darstellung über die »exzessiven Auswüchse des Videofilmkonsums: Horror, Gewalt und Sex«18 eine seriöse und wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung von Videokonsum als neue Alltagskultur entgegen. Auch wird innerhalb seiner Ausführungen deutlich, wie der Videobestand innerhalb der Bibliotheken ausgerichtet sein sollte: »Video soll der Bildung und Unterhaltung dienen. Als Alternative zu f lachen Kommerzangeboten bieten wir Filme an, die es in der Videothek um die Ecke oft nicht gibt.«19 Für das in den 1970er15  H  ier ging es jedoch nicht um die Präsentation von originären, nichtkommerziellen Videos oder gar um Videokunst, sondern um die Präsentation etablierter Kinofilme aus dem sogenannten ›anspruchsvollen‹ Bereich. Vgl. Hamburger Filmbüro e.V.: Videovertrieb, S. 23 (Auszug aus dem Werbematerial für diese Kampagne). 16  A  uszug aus einem Gesprächsprotokoll mit Samir, Mitarbeiter des Videoladens Zürich, im Januar 1988. In: Hamburger Filmbüro e.V.: Videovertrieb, S. 47-50, hier S. 47 und 48. 17  D  as Projekt und dessen Ergebnisse sind dokumentiert in Klaus-G. Loest/Annegret Glang-Süberkrüg: Video in der öffentlichen Bibliothek. Ein Handbuch für Praktiker. Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut 1986. 18  Wiemers: Vorwort zu Loest: Die Videokassette, S. XI. 19  Ebd., S. XII.

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Jahren noch elitär und bildungsbürgerlich geprägte Bibliothekswesen bedeutet dies zugleich eine Modernisierung, die der Erkenntnis Rechnung trägt, dass sich das Erlernen von Kulturtechniken nicht ausschließlich auf das Erfassen schriftlich fixierter Inhalte, sondern ebenso auf das Erlernen von ›Sprachen des Visuellen‹ beziehen sollte.20 Dass Videokunst einen wichtigen Beitrag zum Erlernen visueller Kompetenzen leisten kann, dürfte unbestritten sein – und sie findet 1986 tatsächlich explizit Eingang in den Bericht Video in öffentlichen Bibliotheken, den das Deutsche Bibliotheksinstitut dem Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft vorgelegt hat. Darin findet sich unter der Fragestellung »Was könnte die Öffentliche Bibliothek noch anbieten?« die Antwort: »Kunstvideos«/»Videokunst von namhaften Künstlern«, inklusive einer konkreten Erläuterung: »Hier sind nicht Sachvideos über Kunst oder Künstler gemeint, wie sie z.B. der DuMont-Verlag herausgibt. Viele namhafte Künstler produzierten seit den 70er-Jahren Kunst mit Hilfe der Videokamera. Für Beuys, Serra und Vostell war es ein Medium unter anderen. Nam June Paik, Ulrike Rosenbach, Gábor Bódy und viele andere arbeiteten lange Jahre intensiv vor allem mit diesem Medium Video […]. Künstlervideokassetten werden auf dem Kunstmarkt zu hohen Preisen gehandelt und von Museen gesammelt. Da viele dieser Aufnahmen zwischen 3 und 15 Minuten lang sind, werden Sammelwerke angeboten, oft thematisch geordnet. So erschien 1986 schon die fünfte mehrstündige Folge der bedeutenden INFERMENTAL-Reihe.«21 Unabhängig von dieser kenntnisreichen Aufnahme der Videokunst in den Bericht Video in öffentlichen Bibliotheken bleibt festzuhalten, dass Videokunst auch in den Verleihbeständen öffentlicher Bibliotheken ein Randphänomen geblieben ist. Axel Wirths verabschiedet 1988 ganz explizit die Videothek als mögliche Vertriebsstruktur: »Leider ist im Bereich der Videotheken kein merklicher Qualitätswandel und eine damit verbundene Image-Verbesserung zu spüren, die zu der Hoffnung Anlass gäbe, dort in einer absehbaren Zeit eine Zielgruppe zu finden.«22 Hinsichtlich der Berücksichtigung von Videokunst bemerkenswert ist auch eine Grafik des Deutschen Video-Instituts aus dem Jahr 1984, die diese als eigene Kategorie einbezieht und sie nicht dem Bereich Kunst unterordnet (Abb. 1). Die Grafik stellt vor, wie einzelne Genres auf dem Markt vertreten sind. Weit vorn liegen hier erwartungsgemäß die Bereiche Western, Abenteuer, Action, Krieg, Science-Fiction, Horror, Krimi und Thriller.23 Die Videokunst rangiert mit 2,8 % Programmanteilen auf dem drittletzten Platz, jedoch erstaunlicherweise noch vor 20  Vgl. ebd., S. XIII. 21  Loest/Glang-Süberkrüg: Video in der öffentlichen Bibliothek, S. 36. 22  Wirths: Vertrieb von künstlerischen und kulturellen Videoproduktionen, S. 80. 23  E in ›Genre‹, das ausgespart wurde, sind Hardcorepornos, deren Anteil nicht eben gering ausfallen dürfte. Vgl. dazu auch den Artikel Viertes Programm in der Wochenzeitschrift Der Spiegel vom 02.08.1982, in dem unter anderem darauf hingewiesen wird, dass das Geschäft mit

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den Bereichen Filmklassiker/Historie und Kunst/Theater/Ballett. Die Umsatzanteile dieser Schlusslichter sind mit unter 1 % nicht angeführt. Abb. 1: Übersicht zur Genreverteilung innerhalb des Videokassettenmarkts im Jahr 198424

Die Aussagekraft der Grafik sollte aber nicht überbewertet werden, denn aus ihr geht beispielsweise nicht hervor, was in der Kategorie Videokunst konkret erfasst wurde, und auch nicht, welche Vertriebsinstitutionen einbezogen wurden. Trotzdem geht aus ihr hervor, dass durchaus Programmangebote in der Rubrik Videokunst existierten, diese dem Fachhandel jedoch keinen erfassbaren Gesamtumsatz brachten. Bezüglich der Einnahmen kommt eine Untersuchung des Hamburger Filmbüros im Jahr 1988 zu ähnlichen Ergebnissen: »Es fällt auf, daß unabhängige Videodistribution von kleinen Verleihen geleistet wird, die in ihren thematischen Schwerpunkten und Zielgruppen sehr spezialisiert sind. Der große Radius, den relativ kleine Verleihe und Vertriebe erreichen, wird meist auf ›ehrenamtlicher‹ und knapp kostendeckender Basis erzielt.«25 Die Ausführungen von Wirths über 235 Media weisen in genau dieselbe Richtung: »Wir waren drei Jahre nach der Videokassetten Ende der 1970er-Jahre mit Beate-Uhse-Produkten begonnen habe (Jg. 36, Nr. 31, S. 147-149, http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/14343748, 07.03.2019). 24  D  ie Grafik stammt aus einem Faltblatt, das das Deutsche Video-Institut im Februar 1984 unter dem Titel Der Video-Markt der Bundesrepublik Deutschland herausgegeben hat, hier entnommen aus: Loest: Die Videokassette, S. 32. 25  Vgl. Hamburger Filmbüro e.V.: Videovertrieb, S. 11 (Ergebnisse der Untersuchung).

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ersten Ausgabe so weit, daß wir fast kostendeckend (Vierfarbcover, Info, Werbung, Buchmesse, Produzentenanteil etc.) arbeiten konnten. Das heißt aber noch lange nicht, daß wir einen Gewinn erwirtschafteten oder daß sich an der miserablen wirtschaftlichen Situation der Künstler und Produzenten etwas ändern würde.«26 Hinsichtlich der Strukturen des Videovertriebs in den 1980er-Jahren besonders erhellend ist die oben bereits angesprochene Untersuchung bzw. Materialsammlung des Hamburger Filmbüros. Denn die Vertriebsstrukturen, die sie betrachtet, sind sehr genau auf jenes Feld eingegrenzt, in dem 235 Media verortet ist. Das Vorwort von Torsten Teichert macht dies deutlich: »Und wer von Video spricht, der denkt zunächst an das rasant wachsende Angebot von Videotheken mit ihren meist unseligen Programmen. Die hier vorliegenden Materialien über die Video- und Vertriebsstrukturen in der Bundesrepublik betreffen jedoch eine ganz andere Form des Videos. Hier geht es um originäre Video-Produktionen, nicht um Kinofilme im Kassettenformat. Das Video hat sich längst neben dem Zelluloid-Film als eigene Kunst- und Produktionsform durchgesetzt. In der Zukunft wird das Nebeneinander dieser beiden Medien eher noch bedeutungsvoller werden. Die bislang völlig einseitige Ausrichtung der Videotheken und der Video-Wirtschaft ließen die Frage auftauchen, welche Distributionsmöglichkeiten für originäre Videoproduktionen überhaupt bestehen.«27 Im Zentrum der Untersuchung standen die unabhängigen Videoproduktionen im Dokumentar- und Experimentalbereich wie auch künstlerische Videos, die von dem Hamburger Filmbüro gefördert wurden. Erforscht werden sollte, wie deren Vertrieb, der weniger einem kommerziellen als einem künstlerischen und kulturpolitisch-emanzipatorischem Anspruch folgte, organisiert ist. Man bewegte sich hier innerhalb eines Forschungsfeldes, mit dem man sich bis dahin in den USA, in Kanada wie auch in Großbritannien – nicht aber in Deutschland – befasst hatte. Der Band ist keine in sich konsistente Monografie, sondern eine disparate Materialsammlung, die eine umfassende Bestandsaufnahme der oben beschriebenen spezifischen Sparte des Videovertriebs darstellt. An dieser kurzen Skizze zur weiter gefassten Geschichte des Mediums Video zeigt sich einmal mehr, wie eng die Geschichte von 235 Media mit den medienhistorischen und medienökonomischen Entwicklungen jener Zeit verzahnt ist und 26  A  xel Wirths: 235 Media, Köln. In: Media Art Produktion e.V. (Hg.): Kunst Video Gesellschaft. Zur Vermittlung und Präsentation von Neuen Medien. Köln: Media Art Produktion e.V. 1991, S. 71-75, hier S. 73. 27  T orsten Teichert: Vorwort des Herausgebers. In: Hamburger Filmbüro e.V.: Videovertrieb, S. 3-4, hier S. 3.

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wie sehr 235 Media darin eine ganz eigene Geschichte geschrieben hat. Auch wird deutlich, dass im Laufe der 1980er-Jahre vielerorts und aus unterschiedlichen Richtungen heraus das Bestreben erkennbar war, Strukturen für den Vertrieb, die Präsentation und Verbreitung für unabhängig produzierte, originäre Videos zu schaffen, die für rein gewerbliche Zwecke unbrauchbar waren. Auch kann auf Basis der in diesem Kapitel dargelegten Hintergründe deutlich werden, warum es für 235 Media in den 1980er-Jahren attraktiv war, Videokunst im VHS-Format zu edieren und zu vertreiben. Wie und mit welchen Inhalten dies im Einzelnen geschah, untersucht das folgende Kapitel.

235 Media als Vertrieb für Videokunst im VHS-Format Jessica Nitsche Seit Mitte der 1980er-Jahre arbeitete 235 Media auf unterschiedlichen Ebenen daran, die öffentliche Wahrnehmbarkeit von Videokunst zu erweitern und Video als ein Medium für kulturell und künstlerisch anspruchsvolle Programme zu etablieren. »Wo kein Markt ist, muss man sich einen schaffen«1 – unter diesem Motto fing 235 Media in dieser Zeit an, Videokunst auch auf VHS zu vertreiben und später unter dem Titel 235 Edition eine eigene unlimitierte Videokunst-Reihe herauszugeben. Diese Entwicklung vollzog sich in verschiedenen Phasen, die im Folgenden skizziert werden. Das Material, das diesem Beitrag zugrunde liegt, sind in erster Linie Broschüren und Kataloge aus den 1980er- und 90er-Jahren, in denen 235 Media sein Angebot vorstellt. Sie sind als sogenannte ›graue Literatur‹ nicht öffentlich verfüg- bzw. recherchierbar, sondern wurden uns anlässlich des Forschungsprojekts von 235 Media zur Verfügung gestellt.2 Folgende Broschüren wurden verwendet: 1980er-Jahre • 235 Media: Video, 1984/85 • Booklet zu Video Congress Nr. 8: Metasprache I und II, 1985 • Booklet zu Video Congress Nr. 9: Reisebekanntschaft, 1986 • 235 Media: Video, Audio, Literatur, Herbstprogramm 1987 • 235 Media: Katalog 1988 • 235 Media: Katalog 1989 • 235 Media: Bücher Videos Tonträger, Programm 1989/90 • 235 Video Art Katalog (Ringbuch) aus den Jahren 1988 und 1989

1  A  xel Wirths: Vertrieb von künstlerischen und kulturellen Videoproduktionen. Rückblick und Tendenzen. In: Hamburger Filmbüro e.V. (Hg.): Videovertrieb. Eine Materialsammlung zur Vertriebssituation kulturell produzierter Videofilme in der Bundesrepublik. Hamburg: edition black box 1988, S. 79. 2  Gedankt sei dafür Axel Wirths und Derya Düzgünkaya.

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1990er-Jahre • 235 Media: Bücher Videos Tonträger, Herbstprogramm 1990 • 235 Media: Video Kunst Edition, schwarze Broschüre, ohne Jahr (vermutlich 1994) • 235 Media: Video Kunst Edition, grüne Broschüre, ohne Jahr (vermutlich 1996/97) • 235 Media: Video Edition, graue Broschüre, ohne Jahr • 235 Media: Video Edition, blaue Broschüre, ohne Jahr (erschien nach der grauen Broschüre) Die farbigen Broschüren aus den 1990er-Jahren stellen – anders als die Programme der 1980er-Jahre – ausschließlich die 235 Editionen im VHS-Format vor. Diese sind wiederum aufzuteilen in Video-Kunst-Editionen (schwarze und grüne Broschüre) und Video-Editonen (graue und blaue Broschüre). Da dieses Material zu Informations- und Werbezwecken hergestellt wurde, fehlen oft sowohl Jahres- wie auch Seitenzahlen; aus den Inhalten der Broschüren ist jedoch abzuleiten, dass sie in der oben angeführten Abfolge herausgegeben wurden.3

Die 235 Videokunst-Edition im VHS-Format und ihre Entwicklung Seit Mitte der 1980er-Jahre artikulierte 235 Media sehr deutlich das Anliegen der Systematisierung von Video als neu entstehende Kunstform wie auch den Wunsch, es den potenziellen Rezipient*innen als solche nahezubringen. Das Intro von Axel Wirths und Ulrich Leistner zu dem Katalog 235 Media: Video (1984/85) kann dies veranschaulichen: »Die Vielfalt, die sich in den künstlerischen Arbeiten mit Video offenbart, ist eins der positivsten Momente dieses relativ neuen Mediums, das der Phantasie und Kreativität durch technische Möglichkeiten alle Türen öffnet. Andererseits macht gerade diese Vielfalt eine Orientierung schwierig, da eine Kategorisierung, eine namentliche Identifizierung dessen, was man sieht, fehlt. […] Dieser Problematik sollte bei jeder Präsentation von Videokunst Rechnung getragen werden. […] Und es bleibt noch die Möglichkeit der schriftlichen Information, die eine Hilfe geben kann zum möglichen Erfassen des Videos, der Essenz der Idee. Wir haben versucht, eine solche Informationshilfe zu jedem Video zu geben. Darüber hinaus können 3  S o ist beispielsweise in der grauen Broschüre (Video Edition) eine Vorankündigung für die Video-Reihe zur Geschichte des Comics zu finden, in der blauen Broschüre gehört diese Reihe bereits zum Angebot. Die grüne Broschüre wiederum wurde als Ergänzung zur bereits existierenden schwarzen Broschüre (Video Kunst Edition) herausgegeben.

235 Media als Vertrieb für Videokunst im VHS-Format

die Künstler zu bestimmten Aufführungen und Veranstaltungen eingeladen werden.« 4 Aus diesen Ausführungen spricht eine vermittlungsorientierte Position. Man ist sich darüber im Klaren, dass Videokunst seine Rezipient*innen herausfordert und dort, wo sie nicht verstanden wird, schnell auf Ablehnung stoßen kann. Vor diesem Hintergrund ist auch Axel Wirthsʼ spätere Einschätzung zu verstehen, dass Video Congress seine Rezipient*innen schlichtweg überfordert habe.5 Einer solchen Überforderung will man entgegenwirken. Zum Vermittlungskonzept gehört unter anderem, in den Broschüren Informationen und Orientierungshilfen zu den einzelnen Videos zu liefern (Abb. 2) und sie zu erschwinglichen Preisen auf den Markt zu bringen. Die ersten Hinweise auf den Videokunst-Vertrieb auf VHS finden sich in dem Video-Katalog von 1984/85. Aus den Erläuterungen zum Vertrieb geht hervor, dass alle mit ½ gekennzeichneten Videos auf VHS erhältlich sind.6 In dem genannten Katalog werden auch die Video-Congress-Ausgaben Nr. 1 bis 7 angeboten und 235 Media wird als ›Zentralvertrieb‹ dieses Formats angegeben. Später verbleiben nur die von 235 selbst edierten Ausgaben 8 und 9 des Video Congress im Programm. Noch im gleichen Jahr 1985 vollzog 235 Media den Schritt zur explizit eigenen Videokunst-Edition auf VHS. Eindeutig belegt findet sich diese in dem Booklet zu Video Congress Nr. 8 (Metasprache I und II) aus dem Jahr 1985. Denn hier tritt 235 Media erstmalig nachweisbar als Verlag und Herausgeber auf (damals noch als 235 Video, Abb. 1). Dies entspricht den Ausführungen von Axel Wirths, der 1988 in einer Selbstdarstellung seines Unternehmens schrieb: »1985 haben wir dann den konsequenten Schritt vollzogen und die europaweit erste editierte Videokunst-Ausgabe auf VHS herausgegeben. Was zu diesem Zeitpunkt noch als revolutionär galt, ist heute eine allgemeine sich abzeichnende Entwicklung auf dem Verlagssektor.«7 Hier zeigt sich auch, dass 235 Media sich strukturell mehr am Buchmarkt als an der Filmdistribution orientierte. Diese Strategie scheint sich im 4  U  lrich Leistner/Axel Wirths: Intro. In: 235 Media: Bestandskatalog 1984/85, o.S. (im Archiv der Stiftung imai). 5  Ü  ber Video Congress schreibt Wirths 1988: »ein recht wildes Konglomerat von verschiedensten Videoproduktionen. Und genau diese große Unterschiedlichkeit der einzelnen Beiträge macht es für den Zuschauer fast unmöglich, sich auf einen einzelnen Beitrag und seine spezifische Idee einzulassen. Wenn in schneller Reihenfolge abgefilmte Performance nach theoretischer Medienauseinandersetzung und dahinter eine Computeranimation mit nachfolgendem Musikbeitrag erscheint, ist der Zuschauer ganz einfach überfordert.« Wirths: Vertrieb von künstlerischen und kulturellen Videoproduktionen, S. 79. 6  » ½: Alle Videos in VHS erhältlich, einige auch auf Beta«, 235 Media: Bestandskatalog 1984/85, S. 54 (die Kennzeichnung ½ wird hier als Kurzform für die gängige Bandgröße ½ Zoll verwendet). 7  Wirths: Vertrieb von künstlerischen und kulturellen Videoproduktionen, S. 79.

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Übergang von 1984 zu 1985 herauskristallisiert zu haben, denn in dem Katalog 235 Media: Video von 1984/85 ist noch von »Produktion« und nicht etwa von »Verlag & Herausgeber« die Rede. Angeboten wurde die aus zwei Bändern bestehende Video-Congress-Ausgabe Nr. 8 inklusive Beiheft für insgesamt 109 DM bzw. 59 DM pro Kassette (Abb. 1). Dieser Preis muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass bespielte VHS-Kauf kassetten Anfang der 1980er-Jahre im Allgemeinen noch sehr teuer waren und Videokunst bis dahin nur auf dem höherwertigen U-matic-Format zu noch wesentlich höheren Preisen zu erwerben war. Die U-matic-Ausgaben von Metasprache I und II kosteten je 300 DM, in dem 235-Video-Katalog von 1984/85 wurden die Video-Congress-Ausgaben 1-7 auf U-matic sogar noch für je 500 DM pro Band angeboten, nur beim Kauf von mindestens vier Ausgaben wurde der Preis pro Band auf 300 DM reduziert. Abb. 1: Ausschnitt aus dem Booklet zu Video Congress Nr. 8: Metasprache I und II, 1985

Videokunst auf VHS zu edieren, war fortan ein Bereich, den 235 Media sukzessive ausbaute. Für die im Eigenverlag produzierten VHS-Kassetten wurde der Name ›Edition 235‹ gewählt. Entsprechend dem oben beschriebenen Anliegen, den Rezipient*innen entgegenzukommen, wurden alle Angebote mit kurzen erläuternden Texten versehen.8 Bis 1990 besteht die Edition 235 aus den in Tabelle 1 angeführten Videos auf VHS.9 8  N  ur am Rande sei bemerkt, dass sich die Agentur auf der Titelseite dieser Broschüre ›235 Media Art‹ nannte, was sich jedoch nicht durchgesetzt hat. 9  D  ie Angaben in Tabelle 1 – auch hinsichtlich des Preises, der Länge und der Jahreszahl – gehen zurück auf die folgenden Kataloge: 235 Media: Video, Audio, Literatur, Herbstprogramm 1987; 235 Media: Katalog 1988; 235 Media: Bücher Videos Tonträger, Programm 1989/90, S.  7-8. Die

235 Media als Vertrieb für Videokunst im VHS-Format

Tab. 1: Bestand der unlimitierten Edition 235 bis 1990 Künstler*innen

Titel

Länge

Land

Jahr

Preis (DM)

William Burroughs, Brion Gysin, Ian Sommerville

William S. Burroughs: Thee Films 1950s-1960s

120 Min.

F/USA/ MAR

1950s1960s

98

Die tödliche Doris

Das Lügenmeer [Kompilation der künstlerischen Arbeit 1981-87]

49 Min.

D

19811987

79

Klaus Maeck, Muscha, Volker Schaefer, Trini Trimpop

Decoder

87 Min.

D

1984

89

Survival Research Laboratories

A Scenic Harvest from the Kingdom of Pain

45 Min.

USA

19841985

79

Video Congress 8

Metasprache I und II

120 Min.

D (u.a.)

1985

119

Survival Research Laboratories

Virtues of Negative Fascination

80 Min.

USA

19851986

79

Video Congress 9

Reisebekanntschaft

82 Min.

D (u.a.)

1986

98

Frank und Koen Theys

Das Rheingold (Lied für mein Land, Teil 1)10

85 Min.

B

1986

245

Gorilla Tapes

Death Valley Days/ Lo Pay No Way!

28 Min.

GB

1986

79

Elisabeth Jappe

D8 [live]: Performance – Aktion – Ritual11

180 Min.

D

1987

98

Walter Grasskamp

Skulptur – Moderne Kunst im Stadtraum12

80 Min.

D

ohne Jahr

98

Michael Bielicky/ Ricardo Peredo

Die Fettecke

40 Min.

D

1987

89

Minutenangaben können von den heutigen Angaben im Online-Katalog der Stiftung imai abweichen, dies gilt ebenso für die Zeitangaben in den weiteren Tabellen. 10  W  ie es zu dem außergewöhnlich hohen Preis von 245 DM kam, obschon es sich um eine unlimitierte Edition handelt, ist unklar. 11  Es handelt sich um eine Dokumentation über die Performance-Sektion der documenta 8. 12  Es handelt sich um eine Dokumentation über die Skulptur Projekte in Münster 1987.

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Jessica Nitsche

Abb. 2: Auszug aus 235 Media: Video, Audio, Literatur, Herbstprogramm 1987

Wichtig zu beachten ist, dass es sich nur bei den Videos der Edition 235 um die eigene – das heißt im Eigenverlag hergestellte – Reihe der Agentur handelt. Diese ist zu unterscheiden von der Vertriebsreihe, die auch die Arbeiten anderer Anbieter beinhaltete, beispielsweise der Edition Markgraph, der Edition Salon Concept oder des DuMont Verlags, dessen Video-Programm unter dem Label dumont creativ video lief.13 Hier ist auf ein weiteres Produkt hinzuweisen, das seit 1987 in der Vertriebsreihe von 235 Media angeboten wurde: den 235 Video Art Katalog (Abb. 3). Er ist nicht auf die VHS-Edition ausgerichtet, sondern auf die Präsentation des kompletten im Vertrieb befindlichen Videokunst-Programms. Es handelt sich um ein stabiles schwarzes Ringbuch, das die einzelnen Videoarbeiten – jeweils vorgestellt auf einer Seite – enthält. Die Seiten sind auf festem Papier gedruckt. Insgesamt hat dieser Katalog den Charakter einer Videokunst-Kartei, in der jedes Video mit einem Buchstabencode versehen ist, der darüber Auskunft gibt, ob es verkauft, verliehen und/oder öffentlich aufgeführt werden kann (A: Öffentliche Aufführung, V: Verkauf und B: Broadcast). Konditionen und Preise enthält der Katalog nicht, sie werden auf Anfrage mitgeteilt. Er wird in den Folgejahren in gleicher Form im Programm behalten und weiter ergänzt.14 Insgesamt scheint er daher für jenes Zielpublikum gestaltet zu sein, das professionell mit Videokunst arbeitet. 13  H  ier erschien beispielsweise die aus Video und Buch bestehende Edition Axis (1986) von Veruschka und Gábor Bódy aus dem Jahr 1986. Vgl. 235 Media: Katalog 1988, S. 24-25. Es handelt sich um ein zweistündiges Videoprogramm auf VHS, bestehend aus 21 Videobeiträgen aus den 1980er-Jahren, ergänzt durch ein umfangreiches Begleitbuch mit Wortbeiträgen, Gedichten, Fotografien und Zeichnungen. Dieses trägt – entsprechend der Tatsache, dass 10 verschiedene Länder beteiligt waren – den Untertitel Auf der elektronischen Bühne Europa. Strukturell ähnelt es damit den Video-Magazinen Video Congress und Infermental, war jedoch im Gegensatz zu diesen nicht als Reihe angelegt. 14  D  er 235 Video Art Katalog befindet sich in Versionen aus mehreren Jahren im Archiv der Stiftung imai.

235 Media als Vertrieb für Videokunst im VHS-Format

Abb. 3: Auszug aus 235 Media: Video, Audio, Literatur, Herbstprogramm 1987

In den 1990er-Jahren stellt 235 Media das bis dahin sehr umfangreiche Videokunst-Programm exponiert als erste europäische Edition von Videokunst im VHS-Format vor: »Mit der Edition der ersten Publikationsreihe von Videokunst auf VHS machte 235 MEDIA 1992 einen weiteren konsequenten Schritt, die immaterielle Videokunst einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.«15 Die Reihe erweitert jene Arbeiten, die 235 Media bereits seit 1987 im Programm hatte, zu einem eigenständigen unlimitierten Videokunst-Programm mit eigens dafür zusammengestellten Broschüren.16 In deren Einleitung schreibt Wirths, die Videokunst-Reihe sei in zwei Kategorien zu unterteilen: zum einen in die im Kunstsektor bereits bekannten Arbeiten (beispielsweise Art of Memory von Woody Vasulka oder Ti Amo von Jochen Gerz), zum anderen in diejenigen, die sich damals als bedeutsam herauszukristallisieren begannen (beispielsweise Robert Callasʼ Night’s High Noon: An Anti-Terrain). Als Zielgruppe definiert Wirths zum einen Universitäten und Weiterbildungseinrichtungen (mit entsprechenden Fachbereichen bzw. thematischen Ausrichtungen), zum anderen private Sammler*innen. Zugleich wird darauf hingewiesen, dass keine öffentlichen Vorführungen oder sonstige kommerzielle Verwertungen der Videoarbeiten gestattet seien und mit dem Erwerb der VHS-Kassette nicht das Recht erworben werde, diese öffentlich zu präsentieren. Für diesen Fall machte 235 Media eigene Angebote, im Katalog heißt es: »Sollten Sie an einer öffentlichen Präsentation, Ausstellung, einer Retrospektive oder auch an Installationen der Künstler interessiert sein, so treten Sie bitte mit unserem Büro in Kontakt. 235 Media vertritt mehr als 130 internationale Medien-Künstler und aus unserem 3000 Arbeiten umfassenden Archiv lässt sich mit Sicherheit ein Programm zu ihren Ideen zusammenstellen.«17 Mit dieser Strategie grenzte sich 235 Media vom traditionellen Galeriesystem ab und bilde-

15  A xel Wirths: Einleitung. In: 235 Media: Video Kunst Edition (grüne Broschüre). 16  235 Media: Video Kunst Edition (grüne und schwarze Broschüre). 17  235 Media: Video Kunst Edition (schwarze Broschüre).

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te für die Künstler*innen in den 1980er-Jahren eine neue Alternative im Kunstmarkt.18 Die Preise der Bänder sind in den 1990er-Jahren gegenüber den 80er-Jahren zum Teil gesunken (Tabelle 1 und 2); insgesamt gestaltete sich die Preispolitik nun so, dass künstlerische Videos in der Regel 100 DM und Dokumentationen 49,95 DM kosteten (mit vereinzelten Abweichungen). Die folgende Tabelle führt einen Teil der Arbeiten auf, die Bestandteil der von 235 Media auf VHS herausgegebenen Videokunst-Reihe waren. Die Auswahl wurde auf der Basis der schwarzen und grünen Broschüre zusammengestellt19 und umfasst nicht das vollständige Programm der Reihe. Tab. 2: Auswahl aus der unlimitierten Videokunst-Edition von 235 Media in den 1990er-Jahren Künstler*innen

Titel

Länge

Land

Jahr

Preis (DM)

Chris Burden

Documentation of Selected Works 1971-1974

35 Min.

USA

1975

100

Die tödliche Doris

Das Lügenmeer [Kompilation der künstlerischen Arbeit 1981-87]

49 Min.

D

19811987

79 49,95

Robert Cahen

LʼInvitation Au Voyage Juste Le Temps

22 Min.

F

1983

100

Ken Feingold

5dim/Mind The Double

60 Min.

USA

19831984

100

Survival Research Laboratories

A Scenic Harvest from the Kingdom of Pain

45 Min.

USA

19841985

49,95

Survival Research Laboratories

Virtues of Negative Fascination

80 Min.

USA

19851986

49,95

George Barber

The Greatest Hits of Scratch Video Vol. I u. II

je 30 Min.

GB

1985

je 75

Jochen Gerz

Ti Amo

19:15 Min.

F

1985

100

Video Congress 8

Metasprache I und II

120 Min.

D (u.a.)

1985

100 120

Video Congress 9

Reisebekanntschaft

82 Min.

D (u.a.)

1986

79,95 100

Gorilla Tapes

Death Valley Days/ Lo Pay No Way!

28 Min.

GB

1986

49,95

18  Z  um Videovertrieb im Kunstmarkt vgl. den Beitrag Kunst ohne Markt. Der Videokunstvertrieb als Alternative zur Galerie von Renate Buschmann in diesem Band. 19  2 35 Media: Video Kunst Edition (schwarze Broschüre), wie auch: 235 Media: Video Kunst Edition (grüne Broschüre).

235 Media als Vertrieb für Videokunst im VHS-Format Irit Batsry

Passage to Utopia

89 Min.

USA

19861993

100

Michael Bielicky/ Ricardo Peredo

Die Fettecke

40 Min.

D

1987

79,95

Woody Vasulka

The Art of Memory

36 Min.

USA

1987

100

Bruce + Norman Yonemoto

Blinky

16 Min.

USA

1988

100

Peter Callas

Nightʼs High Noon An Anti-Terrain

7:30 Min.

AUS

1988

100

Anna Winteler

Der Aufstieg/Der Abstieg Horizontal Waltz

27 Min.

CH

1989

100

Frank und Koen Theys

Die Walküre (Lied für mein Land, Teil 2)

90 Min.

B

1989

100

Dara Birnbaum

Canon: Taking to the Street I

11 Min.

USA

1990

100

Marcel Odenbach

Keep in View

7 Min.

D

1994

100

Paul Garrin

Selected Works 1988-1990

12:30 Min.

USA

1994

100

Rafael Montañez Ortiz

I. Introspective (a selection of works from late 50ʼs to late 60’s)

60 Min.

USA

1996

100

Ulrike Rosenbach

Über den Tod Die Schlacht der Bäume

30 Min.

D

1996

100

Ergänzt wurde die Publikationsreihe mit Videokunst auf VHS durch Künstler*innen-Porträts, beispielsweise von John Heartfield, eine Dokumentation der Performance-Sektion der documenta 8, eine ausführliche Dokumentation über die Fluxus-Bewegung (The Misfits. 30 Jahre Fluxus) etc.20 Hier findet sich auch eine Arbeit mit dem Titel John Cage: Mushrooms et Variationes. Es handelt sich dabei um ein Video von Axel Wirths selbst, und zwar um die Aufzeichnung einer Lesung von John Cage, die 1985 anlässlich der Ausstellung Raum, Zeit, Stille in der Kölner Kirche St. Georg stattfand, und um ein Interview, das Wirths mit Cage geführt hat.21

20  Vgl. 235 Media: Video Kunst Edition (grüne Broschüre). 21  M  öglicherweise hat die von 235 Media vertriebene Sonderedition John Cage live in Köln ʼ83 der Edition Kümmel (siehe Abb. 4) als Ideengeber für diesen Film fungiert.

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Tab. 3: Auswahl der Porträts und Dokumentationen, die die unlimitierte Videokunst-Edition von 235 Media ergänzen Künstler*innen

Titel

Länge

Land

Jahr

Preis (DM)

Axel Wirths

John Cage: Mushrooms et Variationes

75 Min.

D

1985

100

Elisabeth Jappe

D8 [live]: Performance – Aktion – Ritual

180 Min.

D

1987

79,95

Gavin Hodge

Zygosis: John Heartfield and the Political Image

26 Min.

GB

1991

49,95

Lars Movin

The Misfits. 30 Jahre Fluxus

80 Min.

DNK

1993

49,95

Die Video-Edition Neben den Videokunst-Editionen hatte 235 Media eine Video-Edition, die nicht unmittelbar dem Kunstfeld zuzuordnen ist, aus deren Ausrichtung hingegen hervorgeht, dass die Medienkunstagentur in enger Verbindung zur damaligen Indie- und Underground-Szene stand. So war beispielsweise der Film Decoder von Klaus Maeck, Trini Trimpop, Muscha und Volker Schaefer Teil dieser Edition. Dieser wiederum war durch das Buch Die elektronische Revolution (1970) von William S. Burroughs inspiriert, der in dem Film sogar persönlich in Erscheinung tritt.22 Burroughs war für die Videoszene damals eine außerordentlich wichtige Referenz. Dafür ist symptomatisch, dass die 235 Edition zwei weitere Videos enthielt, in denen Burroughs – mehr noch als in Decoder – im Zentrum steht: zum einen das 60-minütige Künstlerporträt William S. Burroughs. Gesandter des Abschaums (1991) von Klaus Maeck, der bereits für Decoder den Kontakt zu ihm aufgebaut hatte. Maeck montiert unter anderem Aufzeichnungen von Interviewsequenzen und einer öffentlichen Lesung im Berliner Filmkunsttheater aus dem Jahr 1986 und lässt Burroughs in seinem Film auf diese Weise ausführlich zu Wort kommen. Dieser erläutert unter anderem seine literarische Strategie des Cut-ups, die für die Videokunst große Bedeutung erlangte und als künstlerische Strategie – nunmehr innerhalb des audiovisuellen Mediums – immer wieder ›zitiert‹ wurde. Daher verwundert es auch nicht, dass man sich nicht nur für den Autor, sondern auch für den Filmemacher Burroughs interessierte. Folglich findet sich

22  I n dem Buch geht es um die Einsatzmöglichkeiten von Tonbändern als revolutionäre Waffe. Die Idee, von der der Autor ausgeht, ist, dass sogenannte ›Tonbandagenten‹ Cut-up-Tapes mit wilden Mixturen von Geräuschen aus aller Welt herstellen und diese wiederum in der Öffentlichkeit abspielen, um auf diese Weise Assoziationsreihen bzw. Codierungen der Massenmedien zu zerstören bzw. zu decodieren. Zu dem Film Decoder vgl. meine Ausführungen im Kapitel »Geniale Dilletanten«. Zum (sub)kulturgeschichtlichen Hintergrund von 235 Media in diesem Band.

235 Media als Vertrieb für Videokunst im VHS-Format

in der 235 Edition zum anderen eine Kompilation mit Burroughsʼ Filmen aus den 1950er- und 60er-Jahren, die lange nicht öffentlich zugänglich waren. Es handelt sich dabei um »Originalfilme aus der Zeit von Naked Lunch, dem Roman, in dem William Burroughs seine Erfahrungen als Rauschgiftsüchtiger in den USA und Mittelamerika verarbeitet hat«, weiter heißt es in dem Begleittext von 235 Media: »Ebenso wie Burroughs die Literatur mit der Cut-up-Technik Brion Gysins revolutionierte, entstanden auch die Filme dieser Zeit als Collagen, nach willkürlichen Methoden montiert. Die Aufnahmen entstanden im Beat Hotel (Paris), in Tanger und New York«23. Auf alle von 235 Media edierten Filme trifft zu, dass sie innerhalb der kommerziellen Kinolandschaft keinen Platz gefunden hätten. Obschon Film- und Videodistribution zu dieser Zeit streng voneinander getrennte Bereiche waren, ist die Grenze zum Experimentalfilm-Genre in dieser Sparte f ließend. Dies schlägt sich nicht zuletzt in den Editionen New Directors. New Short Films und Shorts. Debut Short Films nieder, die jeweils ausgewählte Filme des British Film Institute versammeln.24 Darüber hinaus enthält die Video-Edition den zweiten Spielfilm von Lars von Trier – Epidemic –, dieser wurde von 235 Media erstmalig in Deutschland veröffentlicht. Bemerkenswert ist weiterhin eine vierbändige Video-Reihe über die Geschichte des Comics, die mit den damals verfügbaren Möglichkeiten der Videotechnik und Computeranimation umgesetzt wurde und dem Medium Comic als eigene Kunstform Aufmerksamkeit schenkt.25 23  B  egleittext zu William S. Burroughs: Thee Films 1950s–1960s. In: 235 Media: Video Edition (blaue Broschüre), S. 8. 24  Vgl. dazu auch Axel Wirths: Einführung zu: 235 Media: Video Edition (graue Broschüre). 25  D  iese umfassende Reihe dürfte für die Comic-Forschung von Interesse sein, daher sei deren Kurzbeschreibung hier wiedergegeben: »Ob Dick Tracey, Peanuts oder Tim und Struppi: Comics erfreuen sich nicht nur stetig steigender Beliebtheit, sondern werden auch zunehmend als eigene Kunstform anerkannt. Diese mit den modernsten Methoden der Videotechnik und Computeranimation produzierte Dokumentation vermittelt einen umfassenden Überblick über ihre Geschichte. In insgesamt 13 Folgen werden die bekanntesten Comicfiguren, ihre Entstehungsgeschichte und ihre Autoren und Zeichner vorgestellt.« Band I: Als die Comics laufen lernten 19001940 (mit Yellow Kid, Little Nemo, Krazy Kat, Katzenjammer Kids, Little Orphan Annie, Betty Boop, Gasoline Alley, Felix the Cat, Popeye, Tarzan, Dick Tracey, Flash Gordon, Terry and the Pirates, Tintin); Band II: Superheroe meets Barbarella 1940-1968 (mit Superman, Batman, Spirit, Spirou, Lucky Luke, Peanuts, Beetle Bailey, Dan Dare, Jeff Hawke, Andy Capp, James Bond, Modesty Blaise, Barbarella, Asterix, Blueberry, Mort Cinder); Band III: Comics go Underground 1968-1985 (mit Spiderman, Little Annie Fanny, Vampirella, Conan, Fabolous, Furry Freak Brothers, Den, Valentina, Corto Maltese, Mafalda, Sturmtruppen, Hom, Ran Xerox, Giusseppe Bergmann, La Femme Piège, Judge Dredd, Los Pasajeros Del Tiempo); Band IV: Future Comics – Comic Future 1985–Heute (mit X-Men, Ronin, Watchmen, Love and Rockets, Elf Quest, Atom (Astro Boy), Mazinger Z., Lone Wolf and Cub, Akira, Devilman, Paolo Baciliero, Mathias Schulteiss, Kissler, Loustal, Beb Deum, Götting). Aus: 235 Media: Video Edition (graue Broschüre).

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Tab. 4: Auswahl aus der unlimitierten Video-Edition von 235 Media in den 1990er-Jahren William Burroughs, Brion Gysin, Ian Sommerville

William S. Burroughs: Thee Films 1950s-1960s

120 Min.

F/ USA/ MAR

1950s– 1960s

79

Klaus Maeck, Muscha, Volker Schaefer, Trini Trimpop

Decoder

87 Min.

D

1984

49,95

Lars von Trier

Epidemic

106 Min.

DNK

1986-1987

49,95

Alejandro Vallejo

Comics. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. I-IV

insg. 390 Min.

ESP

1989

insg. 189

Nicolas Humbert/Werner Penzel

Step Across The Border [engl.]

90 Min.

D

1990

49,95

Klaus Maeck

William S. Burroughs. Gesandter des Abschaums [engl. mit dt. Untertiteln]

60 Min.

D

1991

49,95

Philip Engelen

C.G. Jung. Das Universum der Seele, Bd. I-IV

insg. 170 Min.

NLD

1991

insg. 189

Michael Bielicky

Vilém Flussers Fluss

45 Min.

D/F

1994

49,95

Tab. 5: Die Video-Kompilationen Shorts. Debut Short Films und New Directors. New Short Films Shorts. Debut Short Films:

insg.: 99 Min.

Karel Reisz & Tony Richardson

Momma Don’t Allow

22 Min.

1956

Claude Goretta & Alain Tanner

Nice Time

17 Min.

1957

Ken Russell

Amalia And The Angel

30 Min.

1958

Stephen Frears

The Burning

30 Min.

1967

New Directors. New Short Films:

insg. 108 Min.

GB

49,95

GB

49,95

Sandra Lahire

Lady Lazarus

25 Min.

1991

Tom Paine

Weak And Wide Astray

19 Min.

1991

Chris Newby

Relax

25 Min.

1991

Richard Heslop

Floating

39 Min.

1991

Hinzugefügt werden muss, dass die Grenzen zwischen Videokunst-Edition und Video-Edition f ließend verlaufen, nicht alle Arbeiten sind – wie es die Tabellen in diesem Kapitel suggerieren könnten – eindeutig zuzuordnen. So lässt sich bei-

235 Media als Vertrieb für Videokunst im VHS-Format

spielsweise die Arbeit Vilém Flussers Fluss als Werk des Videokünstlers Michael Bielicki der Videokunst-Edition zuordnen und als Porträt des Medienphilosophen Flusser ebenso der Video-Edition. Entsprechend führt 235 Media sie auch in beiden Katalogen.26 Auch variiert in den Broschüren von 235 Media, unter welcher Rubrik einzelne Videos geführt werden.

Zusammenfassung, Kontext und Fazit Die Agentur 235 Media war in den ersten Jahren – wie im ersten Teil dieser Studie ausführlich geschildert wurde – ein Vertrieb für alles Mögliche: für Kassetten, Fanzines, Platten, Literatur, Videos und anfangs auch für unkonventionelle Mode (jeweils orientiert an den Bewegungen jener Zeit wie Punk bzw. Post-Punk und New Wave). Axel Wirths fasst das Vertriebsprogramm von 235 Media in dieser Zeit treffend als »extreme Information«27 zusammen. Dies bedeutete: alle verfügbaren medialen Kanäle für die eigenen Inhalte oder vielmehr noch für die eigene ›visuelle Sprache‹ zu erweitern und sich von den traditionellen und kommerziellen Vertrieben – sei es hinsichtlich Musik, Film oder eben auch Mode – unabhängig zu machen. Vertriebsstrukturen aufzubauen gehörte folglich von Anfang an zum Programm von 235 Media und erst nach und nach ergab sich eine Fokussierung auf experimentelle, künstlerische Videoformate. Diese führen die anfängliche Idee der Vermittlung ›extremer Information‹ audiovisuell und medial auf der Höhe der Zeit weiter. In diesem Kontext war der Kölner Rudi Frings eine zentrale Figur, der von Anfang an mit 235 Media in Verbindung stand und mit Blick auf Video Congress, dessen Mitinitiator er war, anregte, Video mit ins Programm aufzunehmen.28 Mitte der 1980er-Jahre fing 235 Media an, sukzessive eine eigene Video- und Videokunst-Edition im VHS-Format aufzubauen. Das Magazin Video Congress kann hier als Einstieg in den Vertrieb wie auch die Edition von Videokunst bezeichnet werden. Die Entwicklung der Vertriebsstrukturen für Videokunst befand sich zu jener Zeit in Deutschland noch in den Anfängen, strukturell trat 235 Media mit der eigenen Edition wie ein Verlag auf. Die einzelnen Videos verfügten 26  235 Media: Video Kunst Edition (grüne Broschüre); 235 Media: Video Edition (graue Broschüre). 27  D  as Zitat stammt aus einem Fernsehbeitrag über das 235 Ladenlokal in Köln innerhalb der Sendung Cooltour – Zur Jugendszene 85 von Thomas Schmitt, der am 19.12.1985 um 20:15 Uhr im ARD-Programm gesendet wurde. Vgl. dazu auch: Protokoll zum Gespräch über den Film mit Thomas Schmitt und Dietrich Leder auf der 10. Duisburger Filmwoche am 04.11.1986, Autor: Toni Weber (Film und Text befinden sich im Archiv der Stiftung imai). 28  E r war es auch, der den Kontakt zwischen 235 Media und Video Congress hergestellt und die anschließende Zusammenarbeit initiiert hat. Rudi Frings im Gespräch mit Renate Buschmann (08.03.2016, Köln).

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über ISBN-Nummern (International Standard Book Number)29 und wurden über 235 Media selbst wie auch den Buchhandel vertrieben. Walther König und andere ausgewählte Buchhandlungen hatten die 235 Edition im Programm. Im Jahr 1989 war 235 Media mit der VHS-Edition auf der Frankfurter Buchmesse vertreten und gehörte damit zu den Ersten, die innerhalb des Buchmarkts mit dem Medium Video in Erscheinung traten. Mit dem Ziel, ein umfangreiches Programm anspruchsvoller Videos anzubieten, wurde darüber hinaus mit anderen Verlagen und Unternehmen zusammengearbeitet, beispielsweise mit DuMont oder Atelier Markgraph. Als Zielgruppe für das Videoprogramm von 235 Media definierte Wirths den »Kunstbuchhandel, Bibliotheken, Büchereien und Museen«30, Videotheken wurden aufgrund ihres schlechten Images als Zielgruppe ausgeschlossen. In den 1990er-Jahren hat 235 Media seine bis dahin angewachsene Videokunst-Edition auf VHS als eigene Reihe und in eigens dafür hergestellten Broschüren als ›erste Publikationsreihe mit Videokunst auf VHS‹ beworben und vertrieben. In dieser Strategie zeigt sich das große Interesse, sich Strukturen außerhalb des Kunstmarkts zu erschließen und Videokunst einer breiten Öffentlichkeit nicht nur in Form von Präsentationen, sondern auch für den Erwerb zugänglich zu machen. Diese Entwicklung darf jedoch auch innerhalb des Kunstmarkts nicht unterschätzt werden, denn sie impliziert auch die von Walter Benjamin schon in 1930er-Jahren beschworene Abwendung vom Originalkunstwerk hin zum (massenhaft) reproduzierbaren Kunstwerk, das hinsichtlich des Verkaufs, des Verleihs und der Aufführungsrechte den Auf bau neuer Strukturen erfordert. Es konnte nicht länger um den Verkauf eines ›originalen‹ Gegenstandes gehen, sondern einhergehend mit der technischen Reproduzierbarkeit der Werke fand eine Verschiebung hin zum Verkauf von Rechten bzw. Lizenzen statt.31 235 Media machte »mit den Produzenten auf Grund der schwierigen Marktsituation eine Art Service-Vertrag, der in den jeweiligen verschiedenen Vertriebssparten eine prozentuale finanzielle Aufteilung mit dem Produzenten regelt. Das Copyright verbleibt dabei im Gegensatz zu den im sonstigen Videohandel üblichen Verträgen ganz bei dem Produzenten und wird vom Vertrieb nur verwaltet«32. Hinsichtlich der Entwicklung solcher Verträge für den Bereich der Video- und Medienkunst hat 235 Media bezogen auf Deutschland Pionierarbeit geleistet und erstmalig tragfähige Strukturen für deren Vertrieb aufgebaut. Hinsichtlich der Lizenzvergaben und Aufführungsrechte orientierte man sich unter anderem an den Verbreitungs29  S eit 2002 gibt es für audiovisuelle Werke eigens ISAN-Nummern (International Standard Audiovisual Number). 30  Wirths: Vertrieb von künstlerischen und kulturellen Videoproduktionen, S. 80. 31  Im Fall der limitierten Sondereditionen kehrt sich diese Logik wieder um. 32  Vgl. Wirths: Vertrieb von künstlerischen und kulturellen Videoproduktionen, S. 80-81.

235 Media als Vertrieb für Videokunst im VHS-Format

rechtsformen für Musik.33 Darüber hinaus gab es im Ausland bereits Initiativen und Institutionen, die als Vorbilder dienen konnten – hier ist Electronic Arts Intermix (New York) als erste Institution, die in großem Umfang ein alternatives Distributionssystem für Video- und Medienkunst aufgebaut und die involvierten Künstlerinnen und Künstler jenseits des etablierten Kunstmarkts vertreten hat, besonders hervorzuheben. Dennoch lautet die Diagnose von Wissenschaftler*innen aus dem Feld der Medienkunst auch im Jahr 2006 noch: »[…] es bleibt immer noch die Schwierigkeit von Videokunst im kommerziellen Vertrieb. In Deutschland gibt es neben dem Kölner Vertrieb 235 Media kaum weitere«34 – und: »Heute handeln […] viele Galeristen Videokunst wie hochwertige Ölgemälde. Und auf der anderen Seite gibt es weltweit nur wenige Vertriebe wie EAI (USA), Montevideo (NL), 235 Media (D), Heure Exquise (F), denen es gelingt, Kunstvideos rentabel zu verleihen und zu verkaufen.«35

Die limitierten Sondereditionen von 235 Media Anders als mit den unlimitierten Videokunst-Editionen verhält es sich mit den von 235 Media herausgegebenen limitierten Sondereditionen. Hier bestand das Ziel nicht darin, Video als neue Kunstform einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sondern darin, nach den ›alten Regeln des Kunstmarkts‹ eine Wertsteigerung durch Limitierung zu erreichen. Hinzu kam die Strategie, die Materialität des ephemeren Mediums Video in den Fokus zu rücken und Videokunstwerke als Objekte zu vermarkten. Hier gab es für 235 Media offensichtlich Vorbilder. Ein Beispiel ist die Edition Kümmel. Sie brachte 1984 die Multimedia-Kassette John Cage live in Köln ʼ83 heraus, eine 60 x 40 x 6 cm große Holzkassette mit Glasfront mit folgendem Inhalt: 30 Fotos 23 x 29 cm, 2 ca. 60-minütige Videobänder, 2 ca. 80-minütige Tonbänder (wahlweise Kassetten), eine Partitur von John Cage, ein Text und eine Biografie. Diese Arbeit war limitiert auf 100 Exemplare, die nummeriert und jeweils von John Cage signiert waren, eine Holzkassette wurde zum Preis von 2500 DM verkauft. Neben dieser führte die Edition Kümmel limitierte Sondereditionen von Joseph Beuys und Raimund Jochimsen (Die Eiche und das Wirtschaftsministerium, limitiert auf 100 Exemplare, nummeriert und signiert, 33  A xel Wirths im Gespräch mit der Autorin (09.09.2015). 34  R  udolf Frieling/Wulf Herzogenrath: 40jahrevideokunst.de. In: dies. (Hg.): 40jahrevideokunst. de, Teil 1. Digitales Erbe: Videokunst in Deutschland von 1963 bis heute. Ostfildern: Hatje Cantz 2006, S. 12-16, hier S. 12. 35  S abine Maria Schmidt: Am richtigen Ort zur richtigen Zeit? Kurzer Bericht zur aktuellen Videokunst. In: Frieling/Herzogenrath: 40jahrevideokunst.de, S. 34-39, hier S. 37.

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1300 DM) wie auch von Christo (Christo in Monschau, limitiert auf 100 Exemplare, signiert, 2500 DM). Die genannten Sondereditionen der Edition Kümmel wurden – wie auch limitierte Sondereditionen anderer Anbieter – durch 235 Media vertrieben, wie die Kataloge von 1984/85 wie auch 1987 belegen.36 Abb. 4: Sonderedition der Edition Kümmel (vertrieben durch 235 Media)

Die limitierten Sondereditionen, die 235 Media seit Mitte der 1980er-Jahre selbst ediert hat, sind in ähnlicher Weise gestaltet.

36  Vgl. 235 Media: Video 1984/85, S. 31-33; 235 Media: Video, Audio, Literatur, Herbstprogramm 1987.

235 Media als Vertrieb für Videokunst im VHS-Format

Tab. 6: Die limitierten Sondereditionen von 235 Media Die tödliche Doris

(keine Videoarbeit, sondern) Buch im bestickten Leinenbeutel: Die Gesamtheit allen Lebens und alles darüber Hinausgehende limitiert auf 1001 Exemplare, wovon 51 signiert sind

D

198737

48 (nicht signiert) 100 (signiert)

Strafe für Rebellion

Das Gesamtwerk 1981-86 Multimedia-Box, die drei Langspielplatten, eine Kassette, ein Video, Schriften 1984-86, eine Fotoarbeit auf Holzplatte enthält; limitiert auf 80 Exemplare, nummeriert, signiert38

D

198739 1989

250 460

Klaus vom Bruch

Black Box I Stahlobjekt mit Siebdruck, als Schuber mit zwei Videobändern, Band I enthält die Werke Der Westen lebt und Das Alliiertenband; Band II enthält die Arbeit Verdun-Stück; limitiert auf 100 Exemplare, signiert

D

1990

250

Bill Seaman

Passage Sets 2 Siebdrucke 59,5 x 100 cm, Blatt 1: Begriffsreihen; Blatt 2: Begriffsfelder zur freien Kombination; 30 Exemplare, nummeriert und handsigniert (Rahmung zum Selbstkostenpreis: schwarze Holzleiste 200 mm, je 110 DM)

USA

1991

420

Marcel Odenbach

Die Distanz zwischen mir und meinen Verlusten DVD, 10:15 Min., Holzbox (16,5 x 12,9 x 9,9 cm) mit Zungenstrecker (mit einem einführenden Text von Sandra Thomas); limitiert auf 15 Exemplare, nummeriert und signiert

D

2005

1200

37 Der erste mir vorliegende Nachweis dieses Angebots stammt aus: 235 Media: Video, Audio, Literatur, Herbstprogramm 1987. 38  I n der Broschüre 235 Media: Programm 1989 wird die gleiche Sonderedition als Das Gesamtwerk 1979-87 angeboten, der Preis wurde dort handschriftlich von 200 auf 460 DM korrigiert, vgl. ebd., S. 14. 39  D  er erste mir vorliegende Nachweis dieses Angebots stammt aus: 235 Media: Video, Audio, Literatur, Herbstprogramm 1987.

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Jessica Nitsche Jürgen Klauke

Performance + Aktion Leinenkassette (30 x 40 x 4 cm), 4 DVDs mit 11 Videoarbeiten, Fotoarbeit auf Barrit (22 x 38 cm); limitiert auf 50 Exemplare, nummeriert und signiert40

D

1996

1200

Ulrike Rosenbach

Selected Works (1972-1998) 6 DVDs + eine CD

D

o.J.

ohne Preisangabe

40  V  gl. dazu auch https://www.nbk.org/video-forum/sammelband/klauke_performance_aktion. html. (28.04.2019).

Kunst ohne Markt Der Videokunstvertrieb als Alternative zur Galerie Renate Buschmann

Mitte der 1980er-Jahre existierte in der Bundesrepublik Deutschland so gut wie kein Markt für Videokunst. So begeistert Videokunst auch von ihren Anhängern als zeitgemäße und zukunftsweisende Kunstspezies gefeiert wurde, beobachteten Museen und Sammler sie immer noch mit äußerster Zurückhaltung. Obwohl Videokunst auch in Europa mittlerweile eine fast 20-jährige Geschichte aufzuweisen hatte, bestanden grundsätzliche Vorbehalte gegenüber der künstlerischen Relevanz von Werken, die nicht nur technisch produziert wurden, sondern auch jederzeit technisch reproduziert werden konnten.1 Die Option der unlimitierten Vervielfältigung von Kunstwerken, wie sie bei Einkanalvideos Anwendung fand, stand im Widerspruch zur romantisierten Einzigartigkeit des Originalkunstwerks, dessen Vorstellung den Kunsthandel seit Jahrhunderten antreibt. 1985 klassifizierte Dieter Daniels deshalb die Videokunst als »Stiefkind«2 des Ausstellungsbetriebs wie des Kunstmarkts und beklagte, dass Galerien das Potenzial der Vervielfältigung von technologischer Kunst ignorieren und stattdessen auf altbewährte, jedoch inadäquate Verkaufsmuster setzen. Walter Benjamins wegweisende Schrift über das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit hatte sich in der Realität des Kunsthandels nicht niedergeschlagen. »Beim Kunst-Video kann […] bisher von der ›Reproduktion eines auf Reproduzierbarkeit angelegten Kunstwerks‹ kaum die Rede sein. Denn Kunst-Video wird nach wie vor zumeist nach den Regeln des Kunst-Markts in Einzelexemplaren als vom Künstler autorisierte Kopie oder Aufführung vertrieben. […] Es ergibt sich also die paradoxe Situation, daß bei Video-Kunst die durch den Kunst-Markt festgeschriebenen Wertvorstellungen konträr sind zu den verwendeten Produktions1  D  er von Gislind Nabakowski 1985 herausgegebene Band Video — 20 Jahre später. Eine Zwischenbilanz der Zeitschrift Kunstforum International gibt einen guten Überblick zur damaligen Situation der Videokunst. Kunstforum International, Bd. 77/78, 1985. 2  D  ieter Daniels: Bildende Kunst und laufende Bilder. Zur Vermittlung von Video-Kunst in der Bundesrepublik Deutschland. In: Kunstforum International, Bd. 77/78, 1985, S. 39-43, hier S. 39.

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mitteln und die für einfache Reproduktion konzipierte Technik die Verbreitung der Produkte eher behindert.«3 Ungeachtet dieses ideellen Mankos fungierten Galerien für die nach Akzeptanz suchenden Videokünstler*innen als öffentliche Projekträume und als wichtige Schnittstellen zu Multiplikatoren wie Sammler*innen und einf lussreichen Kurator*innen. Gerade Letztere seien jedoch mit ihrer restaurativen Haltung gegenüber der Videokunst für deren »Ghettoexistenz«4 verantwortlich, urteilte 1985 die Insiderin Ingrid Oppenheim, die selbst bis Ende der 1970er-Jahre eine auf Videokunst spezialisierte Galerie in Köln mit mäzenatischem Eifer betrieben hatte. Als 235 Media 1984 in den Vertrieb von Kunstvideos − zuerst nur mit vereinzelten Angeboten − startete, gab es in der Bundesrepublik Deutschland und dem benachbarten Ausland nur wenige Organisationen und Enthusiasten, die sich couragiert der Veröffentlichung und kommerziellen Verbreitung von Videokunst verschrieben hatten. Im Spezialband Video der Zeitschrift Kunstforum International5 1985 werden für die BRD vor allem die institutionellen ›Videotheken‹ angeführt, die wie das Kunstmuseum Bonn, der NBK in West-Berlin und die Neue Galerie Sammlung Ludwig eine öffentliche Sichtung ihrer Videobestände anboten. Ganz gleich, ob Künstler*innen oder Kurator*innen zu Wort kamen, alle Protagonist*innen im Umfeld dieser Kunstform beklagten das Nischendasein elektronisch produzierter Kunstwerke – und dies obwohl der Kunstmarkt in jenen Jahren zumindest mit zeitgenössischer Malerei und Skulptur in einem enormen Aufschwung begriffen war. Bei Museen und Sammlern stieß die Video- und Medienkunst auf große Zurückhaltung, nicht zuletzt weil solche innovativen Positionen dem Publikum in Ausstellungen schwer zu vermitteln waren. Gerade aus der Kombination von Technologie und künstlerischem Anspruch resultierten Ressentiments. Die seit den 1970er-Jahren als Videokünstlerin arbeitende Maria Vedder äußerte 1988 ernüchtert: »Der Kunstmarkt, spekulierend mit der Aura des Unikats, ist an einem fast unendlich zu reproduzierenden Kunstwerk nicht

3 Ebd., S. 41. 4  I ngrid Oppenheim: Offener Brief an Kasper König. In: Kunstforum International, Bd. 77/78, 1985, S. 150-151, hier S. 150. 5  D  as 1985 von Gislind Nabakowski herausgegebene Kunstforum bündelt die Pluralität der damaligen internationalen Videokunstszene, die im Vergleich zu den konventionellen Kunstgattungen in ihrem Inseldasein auf andere Präsentationsforen und Absatzmärkte setzen musste. Ausnahme war damals schon der als Star und ›Video-Papst‹ gefeierte Nam June Paik, der zum Beispiel auf der von Kasper König kuratierten Ausstellung von hier aus der einzige Medienkünstler war (mit seiner Installation Video-Trichter). Kunstforum International, Bd. 77/78, 1985, S. 383.

Kunst ohne Markt. Der Videokunstvertrieb als Alternative zur Galerie

interessiert.«6 Diese miserable Marktsituation für Videokunst wurde nicht nur in Deutschland wahrgenommen, sondern beispielsweise auch in den USA, wo Videokunst bereits ein höheres Renommee in den Museen und Institutionen erlangt hatte. Aus Anlass der ersten Retrospektive, die überhaupt einem Videokünstler in den USA zuteilwurde, nämlich 1982 Nam June Paik im Whitney Museum of American Art in New York, berichtete die New York Times über die unrentablen Bedingungen für Videokünstler*innen und zitierte den erfolgreichen New Yorker Galeristen Leo Castelli: »Commercially, video art has turned out to be almost totally unprofitable«.7 Leo Castelli konnte eine verlässliche Einschätzung zum Umsatz mit Videokunst geben, weil er zusammen mit der Galeristin Ileana Sonnabend seit den frühen 1970er-Jahren – zusätzlich zum üblichen Galeriegeschäft mit Malerei und Skulptur – den Vertrieb Castelli-Sonnabend Tapes and Films gegründet hatte. Der Hauptakteur im Handel mit Videokunst war jedoch der Galerist Howard Wise, der 1971 die Organisation Electronic Arts Intermix (EAI) gründete und ein Verleih- und Verkaufssystem für Videobänder auf baute, das die Möglichkeiten der unbegrenzten Vervielfältigung dieser Kunstgattung bewusst berücksichtigte. Der Verleih der Videos war ein ebenso wichtiges Geschäftsfeld wie der Verkauf von autorisierten Kopien der Videos. Da man bei diesem Geschäftsmodell auf unlimitierte Vervielfältigung und Verbreitung der Kunstwerke setzte, waren die Gewinnspannen wesentlich geringer als beim Verkauf von Kunstoriginalen kalkuliert: Das Verleihen eines Videos für eine einmalige Nutzung brachte in den 1980er-Jahren zwischen 50 und 75 US $ ein, der Verkauf eines unlimitierten Videobandes zwischen 175 und 300 US $.8 Die Außenseiterstellung von Videokunst erforderte andere Konzeptionen als die des altbewährten Galeriemodells, das sich selbst bei einer couragierten Spezialisierung auf Videokunst als unrentabel erwiesen hatte.9 In der Bundesrepublik Deutschland war 1984 im Vertriebssektor lediglich der in Westberlin ansässige Michael Bock tätig.10 Zusätzlich zu seinem Hauptberuf als Restaurator betrieb er von 1984 bis 1986 private Galerieräume, in denen er auf zwei Monitoren 6  M  aria Vedder: Video is like a pencil and won’t bite your leg (nach John Baldessari). In: Sekretariat für gemeinsame Kulturarbeit NRW (Hg.): Videokunst in NRW. Ein Handbuch. Köln: 235 Media 1988, S. 113-114. 7  Z  itiert nach D.C. Denison: Video Art’s Guru. In: The New York Times, 25.04.1982. www.nytimes. com/1982/04/25/magazine/video-art-s-guru.html?pagewanted=all (05.01.2018). 8  Ebd. 9  V  gl. dazu zum Beispiel die Geschichte der Galerien von Gerry Schum und von Ingrid Oppenheim. Siehe auch Rudolf Frieling: Kontext Video Kunst. In: ders./Dieter Daniels (Hg.): Medien, Kunst, Interaktion. Die 80er und 90er Jahre in Deutschland. Wien: Springer 2000, S. 12-35, hier S. 13 und 21. 10  N  eben Künstlerinitiativen, Stiftungen und wenigen institutionellen Einrichtungen wird im Spezialheft zur Videokunst der Zeitschrift Kunstforum International für den deutschen Vertrieb

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Videokunstwerke einem Insiderkreis vorstellte. Unlimitierte, autorisierte Kopien konnten entweder erworben oder ausgeliehen werden, wobei Verkäufe selten waren, doch der Verleih zwar eine minimale, aber stetige Einkommensquelle darstellte.11 Über sein Interesse für Experimentalfilm war Michael Bock mit Videokunst in Kontakt gekommen und hatte 1983 versucht, mit einer Galerie für deutsche Videokunst in New York Fuß zu fassen. Resultat dieser Unternehmung war stattdessen, dass er zum Repräsentanten des amerikanischen Vertriebs EAI in Deutschland wurde und alle Videos der dort vertretenen Künstler*innen über ihn bezogen werden konnten. Darüber hinaus hatte er Werke von deutschen Künstler*innen wie Marcel Odenbach, Klaus vom Bruch, Jochen Gerz und Ulrike Rosenbach im Programm und europäische Positionen, die er beispielsweise über das Gastatelier des DAAD in Berlin kennengelernt hatte, unter ihnen Nan Hoover und Wojciech Bruszewski. Mit Unterstützung des Goethe-Instituts hatte er dafür gesorgt, dass 1984 ein von ihm kuratiertes Programm mit deutscher Videokunst durch US-amerikanische Museen tourte.12 1986 beendete Michael Bock sein »rein idealistisches Unternehmen«13 und übersiedelte wenig später in die USA. In etwa zeitgleich, doch ohne Austausch mit Michael Bock, erweiterte 235 Media ab 1984 seine primäre Vertriebstätigkeit im Musiksektor um den Bereich der Videokunst. Mit ihr war 235 Media über das Video-Magazin Video Congress in Kontakt gekommen, dessen Verkauf und Produktion 235 Media um 1984 übernahm.14 Die Inhaber Axel Wirths und Ulrich Leistner erläuterten im ersten ausschließlich auf Video ausgerichteten Vertriebskatalog, datiert auf 1984/85, die Ausweitung ihres Geschäftsbereichs folgendermaßen: »Die Vielfalt, die sich in den künstlerischen Arbeiten mit Video offenbart, ist eins der positivsten Momente dieses relativ neuen Mediums, das der Phantasie und Kreativität durch technische Möglichkeiten alle Türen öffnet.«15 Entscheidend für das Engagement von 235 Media in diesem Segment war jedoch nicht nur die wachsende Zahl an Künstler*innen, für die Video einen innovativen audiovisuellen Experimentierbereich nur Michael Bock aufgeführt. Seine Ausstellungsräume befanden sich in der Dessauer Str. 6-7 in Westberlin. Siehe N.N.: Michael Bock. In: Kunstforum International, Bd. 77/78, 1985, S. 381. 11  S o äußerte sich Michael Bock rückblickend in einer E‑Mail-Korrespondenz mit der Autorin am 14.11.2017. 12  D  as Programm New German Video wurde in Boston, Chicago, Seattle, San Francisco, Los Angeles, Atlanta und New York aufgeführt und beinhaltete Werke von Ulrike Rosenbach, Marcel Odenbach, Marina Abramovic/Ulay, Klaus vom Bruch mit Heike-Melba Fendel, Ingo Günther und Gusztav Hamos. Siehe Infoblatt veröffentlicht im Archiv www.vasulka.org/archive/ExhFest12/ LongBeachMOA/videonews.pdf (05.01.2018). 13  So Michael Bock in einer E‑Mail-Korrespondenz mit der Autorin am 14.11.2017. 14  S iehe dazu meinen Beitrag Video Congress – Ein Kollektiv und Magazin künstlerischer Videoaktivist*innen in diesem Band. 15  Siehe Ulrich Leistner/Axel Wirths: Intro. In: Katalog 235 Media: Video, 1984/85, S. 5.

Kunst ohne Markt. Der Videokunstvertrieb als Alternative zur Galerie

darstellte, sondern auch die Reproduzierbarkeit von solchen künstlerischen Gütern. Die autonomen Verbreitungsstrategien, die von Musikkassettenvertrieben wie 235 bereits erprobt wurden, ließen sich nun, da die Videotechnik zunehmend verbraucherfreundlicher und preisgünstiger wurde, auch auf den Bereich des bewegten Bildes übertragen. Für lohnend wurden Videos erachtet, die nicht über Videotheken bezogen werden konnten, sondern die die Ansprüche der gängigen Unterhaltung verließen und im weitesten Sinn künstlerische Ambitionen verfolgten. Überwiegend wurden in jenem ersten Videovertriebskatalog Produktionen von Künstler*innen angeboten, die aus dem Umfeld der Mitwirkenden am Magazin Video Congress stammten, so zum Beispiel Rudi Frings und Gigi Knäpper, Walter Gramming, George Hampton, Andy Hinz und Norbert Meissner. Ein Extrasegment des siebzigseitigen Katalogs war Musikvideos vorbehalten, denn es war mehr als naheliegend, dass sich bei dem Musikvertrieb 235 eine große Aufmerksamkeit auf genau diese Verbindung von Musik und Video richtete. Unter anderem waren Videos von Die tödliche Doris, Abwärts und Throbbing Gristle im Angebot. Im Gegensatz zum Kunsthandel setzte 235 Media auf eine Marktstrategie, die erstens auf dem Verkauf unlimitierter Werke und zweitens auf dem Verleih von Videokunstwerken als eine dem Material inhärente Option basierte. Electronic Arts Intermix war hierfür ein Vorbild, gleichermaßen aber auch das Konzept des Multiples in der zeitgenössischen Kunst, die Verleihmodelle von Kino- und Experimentalfilmen und 235 Medias eigene Erfahrungen aus dem laufenden Geschäft mit Musikkassettenkopien. Ebenso wie Videokunst außerhalb des etablierten Kunstsystems existierte, war auch der Videokunstvertrieb, so Maria Vedder heute, »in Form und Struktur ein Unternehmen außerhalb des bis dahin bekannten Kunstsystems«.16 Die eigentliche ›Unwirtschaftlichkeit‹ der Videokunst, die mit ihrer unbegrenzten Vervielfältigung gegen das Grundprinzip des Kunstmarktes verstieß, wurde mit dem Videokunstvertrieb in ein produktives Geschäftsmodell umgeleitet, das gerade die Vervielfältigung des Werkes zu einem rentablen Alleinstellungsmerkmal ausbauen wollte. Es stand damals sowohl für die Künstler*innen wie für die Vertriebe außer Frage, dass Kunstvideos in unlimitierten Editionen herausgegeben wurden, um mit diesem Vorgehen dem Charakteristikum ihrer unbegrenzten Kopierbarkeit und Verbreitung zu entsprechen. Bereits im ersten eigenen Videovertriebskatalog aus den Jahren 1984/85 richtete sich die Preisstaffelung der unlimitierten Videos nach der Nutzungsart und dem Speichermedium. Beim Ankauf von Kunstvideos hatte man die Wahl zwischen einem ½-Zoll-Band aus dem Consumer-Bereich (erhältlich als VHS- oder Betamax-Kassette) und einer professionellen U-Matic-Kassette. Bei der Ausleihe von Videos wurde grundsätzlich nach privatem Gebrauch und öffentlicher 16  Maria Vedder im Gespräch mit der Autorin am 07.07.2017 in Berlin.

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Aufführung unterschieden. Es gab ein großes Preisspektrum, in dem Verkaufspreise je nach Künstler*in, Werk und Videolänge variierten und für gewöhnlich für eine ½-Zoll-Kassette zur öffentlichen Nutzung um 100 DM lagen.17 Innerhalb weniger Jahre hatte sich das Angebot von 235 Media an Videokunst enorm vergrößert. Neben den anfänglich gemischten Vertriebsprogrammen mit Videokunst, Musikvideos etc. war der separierte Bereich 235 VIDEO ART entstanden, der in der spezialisierten Zeitschrift Mediamatic ausführlich besprochen wurde.18 Ab 1987 wurde dieses Vertriebssegment mit einem speziellen Katalog beworben, der als Ringbuch gestaltet war, sämtliche Videos auf separaten Ringbuchseiten vorstellte und auf diese Weise f lexibel an Neuerscheinungen und das aktuelle Vertriebsprogramm angepasst werden konnte. An diesem Katalog ist abzulesen, dass sich das Vertriebsprogramm schnell auf international agierende Videokünstler*innen erweiterte. 1988 umfasste der Katalog bereits gut 100 Titel von über 50 Künstler*innen, unter ihnen nun weitere engagierte Videokünstler*innen aus dem Rheinland wie Ulrike Rosenbach, Klaus vom Bruch, Volker Anding und das Duo Bettina Gruber/Maria Vedder. Die Ausgabe von 1989/90 gibt Auskunft darüber, dass sich die Erweiterung und Internationalisierung des Programms rasch vollzogen hatten. Rund 200 künstlerische Videos wurden nun angeboten. Während Verträge mit Künstler*innen aus den Vorjahren aufgelöst worden waren, gehörten zu den Neuzugängen international agierende deutsche Künstler*innen wie Marcel Odenbach, Jochen Gerz und Rotraud Pape, Künstler*innen aus dem europäischen Ausland und mehrere US-amerikanische Künstler*innen, die über Kooperationen mit dem amerikanischen Vertrieb EAI ins Programm gefunden hatten, so zum Beispiel Dara Birnbaum, Gary Hill und Steina & Woody Vasulka. Dara Birnbaum war im Katalog von 1989/90 mit acht ihrer Videos vertreten, die mit Found Footage zwischen 1978 und 1980 produziert eine kritische Haltung zu TV-Inhalten und -Stereotypen einnahmen. Dieses Angebot deckte sich mit dem von Electronic Arts Intermix, wo die in New York ansässige Künstlerin bereits seit Längerem im Programm war. Die Zusammenarbeit mit einem Vertrieb wie EAI war wegen mangelnder Nachfrage vonseiten der Galerien damals die einzige Option:

17  E s gab aber auch Ausnahmen wie zum Beispiel Fictions (1984, 19 Min., Farbe, ½-Zoll-Kassette) von The New Age Productions/George Hampton, die für 1.000 DM angeboten wurde. 18  H  ier heißt es: »A total of 65 video tapes by some 45 artists from 10 different countries, and 13 Kompilations of different tapes are on offer. The majority of tapes is from Germany or the United States. The tapes are very recent (eighties) and very varied. Famous names rub shoulders with unknown names, ,real‹ art videos and registrations of performances, scratch videos and tapes that are related to music and literature.« Jans Possel: 235 video. In: Mediamatic, Vol. 1#4, April 1987, S. 185-186, hier S. 185.

Kunst ohne Markt. Der Videokunstvertrieb als Alternative zur Galerie

»At the time I started with Electronic Arts Intermix I was mostly doing single-channel work. That was all they could take on. I had already done my first installation, in 1978 A Drift of Politics: Two Women Are Active in a Space. That two-person show also separately exhibited works by Suzanne Kuffler, at The Kitchen, NYC. In 1980 EAI took on the few single-channel works I had produced from 1978/9 Technology/ Transformation: Wonder Woman through 1980. We then added to that as I produced (created) additional single-channel works. I don’t even remember if I had a gallery at that time, galleries, certainly in NYC and most of the U.S. were mostly not interested in showing or in working with video art work. A rare exception was Leo Castelli and the Castelli Gallery.« 19 Innerhalb kürzester Zeit hatte 235 Media sein Netzwerk innerhalb der Videokunstszene ausdehnen können und war Ende der 1980er-Jahre der einzige Videokunstvertrieb in Deutschland. Nachdem bereits 1979 die Galerie Ingrid Oppenheim geschlossen und 1986 auch Michael Bock seine Galerieaktivitäten beendet hatte, war für die dort bislang vertretenen Künstler*innen, wie zum Beispiel Marcel Odenbach und Ulrike Rosenbach, kaum noch eine deutsche Anlaufstelle für Ausstellung und Verkauf von Videokunst vorhanden. Für diese Künstler*innen stellte 235 Media mit ihrer Spezialisierung und ihren expandierenden Vertriebsaktivitäten einen willkommenen Geschäftspartner dar – und blieb für viele von ihnen jahrzehntelang eine verlässliche Verbindung zum Kunstmarkt.20 Mit einigen Künstler*innen entwickelte 235 Media individuelle Vertriebsmodelle. Ulrike Rosenbachs Videos wurden anfangs fast ausschließlich als thematische Kompilationen angeboten und nicht als Einzelwerke. So waren unter dem Titel Von Amazone bis Venus beispielsweise fünf Videos zusammengefasst, zu denen es im Katalog heißt: »Die Arbeiten haben eine gemeinsame inhaltliche Verbindung in der Bearbeitung des Themas – das Bild der Frau in unserer Kulturgeschichte – und legen Wert auf kritisches, feministisches, aber dennoch sehr poetisches Verständ-

19  S o Dara Birnbaum auf die Frage nach dem Beginn ihrer Zusammenarbeit mit EAI in einer E‑Mail am 23.02.2018 an die Autorin. 20  U  lrike Rosenbach hat in einem Gespräch mit der Autorin am 22.01.2018 betont, dass 235 Media seit den 1980er-Jahren für die Produktion und den Vertrieb ihrer Videokunstbänder und Installationen eine unverzichtbare Anlaufstelle ist. Siehe dazu auch Marcel Odenbach: »[…] Axel und damit 235 Media [haben] meine Karriere und mein Leben als Künstler begleitet […]. Axel war mein Ersatz für einen Galeristen und musste also mein Werk ›an den Mann bringen‹.« In: Interview. Diese übertriebene Frage nach dem Copyright finde ich total unkreativ, krank, miefig. Ein Gespräch zwischen Marcel Odenbach, Axel Wirths und Achim Mohné, geführt am 17.06.2016 in Marcel Odenbachs Atelier in Köln. www.remotewords.net/pages/portfolio/roofrw-32235me dia-germany/ (05.01.2018).

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nis der Tapes.«21 Es war sowohl der Versuch, auf diese Weise den Zugang zu den Werken zu erleichtern, als auch eine verkaufsanimierende Maßnahme. Ihr Marketing betrieb 235 Media hauptsächlich über das Versenden von Katalogen, über regelmäßige Screenings wie beispielsweise im Stadtgartenkino in Köln und den Sichtungsplatz für Kurator*innen und Käufer*innen, der im Büro von 235 Media eingerichtet war.22 Außerdem konnte 235 Media vom Standort Köln profitieren, dem damaligen Brennpunkt für Videokunst. Keine andere Institution in der damaligen Bundesrepublik war der Videokunst gegenüber so aufgeschlossen und experimentierfreudig wie der Kölnische Kunstverein unter der Leitung von Wulf Herzogenrath, von dem zahlreiche impulsgebende Ausstellungen ausgingen. Seit den 1970er-Jahren hatte sich hier zudem eine aktive Szene mit Videokünstler*innen entwickelt, die ihrerseits über weltweite Kontakte verfügte und Informationen über aktuelle Tendenzen weitertrug, so zum Beispiel Vera und Gábor Bódy, die in den 1980er-Jahren von Köln aus das Video-Magazin Infermental herausgaben. Darüber hinaus war die zunehmende Anzahl von europäischen Videofestivals eine Anlaufstelle für 235 Media, um stetig weitere Künstler*innen für das Distributionsprogramm zu gewinnen. Der Anstieg künstlerischer Videoproduktionen hatte dazu geführt, dass auch die Frage nach dem Handel mit diesen Produktionen in der Bundesrepublik Deutschland relevanter wurde. Zwei Publikationen aus dem Jahr 1988 spiegeln die damaligen Diskussionen zum Videovertrieb und die Lösungsansätze wider, mit denen man ein kommerzielles System zur gewerblichen Nutzung von Videokunst einzuführen versuchte. Auf Initiative von 235 Media erschien 1988 ein Buch, das Nordrhein-Westfalen zwar in den Fokus rückte, sich aber dennoch breit gefächert und bundesweit mit der Situation von Videokünstler*innen, ihren Produktions-, Arbeits- und Marktbedingungen auseinandersetzte. Im Auftrag des Sekretariats für Gemeinsame Kulturarbeit in Nordrhein-Westfalen hatte 235 Media das Buch Videokunst in NRW. Ein Handbuch konzipiert und redaktionell betreut. Ein Kapitel war den Vertrieben gewidmet und verwies neben einem detaillierten Porträt von 235 Media nur noch auf drei weitere Organisationen, die sich für Videokunst geöffnet

21  S iehe unter Ulrike Rosenbach in 235 Media: Katalog 1988. Zur Kompilation Von Amazone bis Venus (1975-1976/78) gehören die Videos Madonnas of the Flowers, Glauben Sie nicht, daß ich eine Amazone bin, Reflexionen über die Geburt der Venus, Tanz für eine Frau und Weiblicher Energieaustausch. Weitere Kompilationen waren Frühe Videoarbeiten 1972-1975, Video Performances 1979-87, Neue Videoarbeiten I 1974-83 und Neue Videoarbeiten II 1984-87. 22  2 35 Media hatte in ihren Geschäftsräumen einen Sichtungsraum, der mit 235 Video Galerie bezeichnet wurde. So heißt es dazu 1988 im Buch Videokunst in NRW: »Geöffnet by appointment besteht in den Räumen von 235 MEDIA die Möglichkeit, die vorhandenen Bänder anzuschauen und selber Programme zusammenzustellen.« S. 104.

Kunst ohne Markt. Der Videokunstvertrieb als Alternative zur Galerie

hatten und neben anderem auch Videokunstbänder distribuierten: die Studiogalerie Mike Steiner (Berlin), CONCEPT AV (Osnabrück) und Bildwechsel (Hamburg).23 Im selben Jahr gab das Hamburger Filmbüro die Broschüre Videovertrieb heraus, die den damals noch zögerlichen Vertrieb von kulturellen Videos – in Abgrenzung zum Film − beleuchtete und dabei insbesondere eine weitreichende Verbreitung über VHS-Kassetten für öffentliche Institutionen wie kommunale Kinos, Bibliotheken, Medienzentren etc. anvisierte.24 Formuliert wurde ein Vertriebsbedarf für solche Videos, die nicht die Unterhaltungsmaßstäbe von Videotheken erfüllten und stattdessen dokumentarische, politische oder künstlerische Ansprüche besaßen. In der Bestandsaufnahme und Materialsammlung war 235 Media mit einem Beitrag vertreten und die einzige deutsche Initiative, die sich ausschließlich über das Format Video definierte. Alle anderen, wie zum Beispiel atlas film + av (Duisburg) und der Internationale Experimentalfilmworkshop Osnabrück gingen zurück auf einen Vertrieb mit 16-mm-Filmen, der sich nun um ein Extrasegment mit Videos erweiterte.25 Axel Wirths stellte in seinem Artikel das Distributionsmodell von 235 Media vor, das die Medienspezifik von Video berücksichtigte und an einen nicht musealen Absatzmarkt gerichtet war.26 Anstelle des elitären Handels mit Kunstwerken, dessen Klientel Museen und Privatsammlungen sind, wurde Videokunst in ihrer technischen Innovation begriffen, deren Ressource in der zeitgemäßen Verbindung mit einer ebenso innovativen massenmedialen Verbreitung lag. Der Vorsatz, Kunstvideos an Museen zu verkaufen, fand in seinem Artikel beispielsweise keine Erwähnung. Dagegen konzentrierte er sich auf den Verleih für öffentliche Aufführungen, die Vergabe von Sendelizenzen im Fernsehen (›Broadcasting‹) und die Etablierung eines videokunstkonformen VHS-Marktes. Deutlich wird, dass man sich am Prinzip des Filmvertriebs orientierte, im Bereich Broadcasting an die Vermittlungsidee von Gerry Schums Fernsehgalerie anschloss und die sich in den 1980er-Jahren eröffnenden Möglichkeiten des Fernsehens austestete.27 Mittels Videotechnik in das bestehende öffentlich-rechtliche Fernsehen intervenieren zu können, hatte für viele Künstler*innen von Anfang an eine Faszination ausgeübt. »Für das Medium Video war aber nicht nur die Vervielfältigungsmöglichkeit der Videobänder wichtig. Das eigentliche Zauberwort hieß: ›Senden‹, ›Broadcasting‹ und ›Fern-

23  Ebd., S. 103-106. 24  H  amburger Filmbüro e.V. (Hg.): Videovertrieb. Eine Materialsammlung zur Vertriebssituation kulturell produzierter Videofilme in der Bundesrepublik. Hamburg: edition black box 1988. 25  Ebd., Kapitel Videoverleih und -vertrieb in der Bundesrepublik, S. 77-86. 26  A  xel Wirths: Vertrieb von künstlerischen und kulturellen Videoproduktionen. Rückblick und Tendenzen. In: ebd., S. 79-81. 27  Siehe hierzu das Kapitel Fernseh-Utopien und Videokunst von Jessica Nitsche in diesem Band.

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sehen‹«28, kommentierte Ulrike Rosenbach, die seit 1977 zusammen mit Klaus vom Bruch und Marcel Odenbach den illegalen Sender Alternativ-Television betrieb. Dennoch konnten die Normen des Filmverleihs nicht uneingeschränkt im Videokunstvertrieb übernommen werden. Axel Wirths erläuterte, dass zwischen den Vertrieben und den Künstler*innen ein »Service-Vertrag«29 abgeschlossen wurde, der eine prozentuale Aufteilung der Vertriebseinnahmen regelte. Während es in der Filmbranche die übliche Praxis sei, das Copyright für ein Werk anzukaufen, sei dieses Vorgehen für Videokunstvertriebe nicht praktikabel, »weil der Markt keinerlei feste Garantien« biete: »Das Copyright verbleibt dabei im Gegensatz zu den im sonstigen Videohandel üblichen Verträgen ganz bei den Produzenten und wird vom Vertrieb nur verwaltet.«30 Die Geschäftsgrundlage von Videokunstvertrieben wie 235 Media beruhte auf der Einsicht, dass Einkanalvideos unendlich reproduzierbar sind und dementsprechend eine unlimitierte Vervielfältigung anzustreben ist. Der Kunsthandel des 20. Jahrhunderts hatte die Prämisse bis dorthin nur auf das Multiple angewandt, das als ein in Serie produzierbares Objekt und vom Künstler signiert meist in einer individuell festgelegten begrenzten Auf lage auf den Markt gebracht wurde. Die Neuerung für den Handel mit Videokunst bestand darin, dass man sich völlig von der Objekthaftigkeit der Kunstwerke verabschiedete und infolgedessen nicht mehr Werke veräußerte, sondern die Nutzungsrechte an diesen reproduzierbaren künstlerischen Medien. Innerhalb dieses neuen Konstrukts erhielten Museen beispielsweise mit dem Erwerb einer Videokassette das eingeschränkte Recht, das angekaufte Video nur in der eigenen Institution öffentlich zu zeigen. Ein Verleih an andere Museen, wie es bei klassischen Kunstwerken praktiziert wird, wurde mit dieser Regelung ausgeschlossen und hatte für jede ausleihende Institution Lizenzgebühren zur Folge. Die Videokassette war nicht gleichzusetzen mit dem künstlerischen Werk; sie war das Speicher- und Transportmedium, mithilfe dessen das Werk überdauerte und unter der Voraussetzung des erworbenen Aufführrechts sichtbar gemacht werden konnte. Für die Künstler*innen bedeuteten solche Verträge, dass einerseits die Werke dauerhaft in ihrem Besitz blieben, andererseits aber keine einmaligen großen Verkaufserlöse erzielt werden konnten. Die Erträge wurden jährlich abgerechnet und in den meisten Fällen hälftig zwischen den Künstler*innen und dem Vertrieb geteilt. Wenn ein Video auf Festivals und in Ausstellungen gefragt war, so erhielten die Künstler*innen aus dem Bereich der öffentlichen Aufführungen 28  U  lrike Rosenbach: Video als Medium der Emanzipation. In: Wulf Herzogenrath (Hg.): Videokunst in Deutschland: 1963-1982. Videobänder, Installationen, Objekte, Performances. Stuttgart: Verlag Gerd Hatje 1982, S. 99-102, hier S. 99. 29 Vgl. Wirths: Vertrieb von künstlerischen und kulturellen Videoproduktionen, S. 81. 30  Ebd.

Kunst ohne Markt. Der Videokunstvertrieb als Alternative zur Galerie

bestenfalls einige Hundert DM im Jahr.31 Der Verkauf von Senderechten an Fernsehanstalten war eher die Ausnahme – wenn dieser Fall eintrat, fielen die Einkünfte jedoch wesentlich höher aus. Aus finanzieller Sicht war der Videokunstvertrieb für Künstler*innen kein gleichwertiger Ersatz zu einer Galerie. Selbst unter guten Voraussetzungen konnten sie nicht mit einem Grundeinkommen rechnen und hatten für den Lebensunterhalt und die häufig kostspielige Produktion neuer Videos andere Einnahmequellen zu erschließen.32 Da das Geschäft mit Videokunst den meisten Galerien zu unkonventionell, unkalkulierbar und unprofitabel erschien, blieb den Videokünstler*innen als einzige Alternative zur Verbreitung ihrer Werke die Zusammenarbeit mit Videovertrieben − häufig mit mehreren Agenturen, die sie in regionalen bzw. nationalen Einzugsbereichen vertraten. Während das Verleihgeschäft mit den Aufführgebühren für 235 Media kaum kostendeckend war, herrschte jedoch der Optimismus, Videokunst gewinnbringend auf dem boomenden VHS-Markt und durch die Vergabe von Sendelizenzen an internationale Fernsehkanäle zu platzieren. So hielt es Axel Wirths damals für durchaus wahrscheinlich, dass eine »ineinandergreifende Vermarktung von VHS-Editionen und Broadcasting […] bereits in wenigen Jahren eine gute Basis für kulturell hochwertige Produktionen sein«33 könnte. Die Diskussion über solche Geschäftsmodelle für Künstler*innen und Vertriebe wurde von verschiedenen Seiten angestoßen und im März 1989 auf der Tagung Kunst – Video – Gesellschaft. Fragen nach der Vermittlung von Neuen Medien ausführlich mit internationalen Vertreter*innen, wie zum Beispiel Lori Zippay von Electronic Arts Intermix, erörtert.34 Der Verein

31  Z  um Beispiel haben die Künstler Steina und Woody Vasulka, die ca. ab 1989 mit 235 Media zusammengearbeitet haben, ihre Einkünfte aus dem Vertrieb veröffentlicht. Siehe http://vasulka. org/archive/Vasulkas1/Royalties/general.pdf (05.01.2018). 32  M  aria Vedder dazu im Gespräch mit der Autorin am 07.07.2017: »Die Vorführung eines Bandes brachte nicht so viel ein, dass es dir die neue Arbeit finanzieren konnte, geschweige denn dein Leben. Alle Videokünstler haben damals ein Standbein und ein Spielbein gehabt, ein Standbein, mit dem sie sich finanziert haben. Bei mir war es die Lehre, wohl auch bei Marcel Odenbach. Jeder hat versucht, ein anderes Standbein zu haben, von der Videokunst leben konnten weltweit nur ganz wenige.« 33  V  gl. Wirths: Vertrieb von künstlerischen und kulturellen Videoproduktionen, S.  81. Zur Vermarktung von VHS-Editionen siehe den Textbeitrag 235 Media als Vertrieb für Videokunst im VHS-Format von Jessica Nitsche in diesem Band. 34  M  edia Art Produktion e.V. (Hg.): Kunst − Video − Gesellschaft. Zur Vermittlung und Präsentation von Neuen Medien. Köln: Media Art Produktion e.V. 1991. In einer nachträglich zur Tagung veröffentlichen Broschüre wird von Axel Wirths ein Text über die Vertriebsstrategien von 235 Media abgedruckt, der größtenteils identisch ist mit seinem Text in der Veröffentlichung des Hamburger Filmbüros. Axel Wirths: 235 Media, Köln. In: ebd., S. 71-75.

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Media Art Produktion e.V.35, der im Januar 1988 von den Inhabern von 235 Media und Künstler*innen wie Rudolf Frings, Norbert Meissner und Maria Vedder gegründet worden war, hatte die Tagung initiiert. Anlass, um über die ökonomische Situation medialer Kunst nachzudenken, war die zeitgleich stattfindende Ausstellung Video-Skulptur, retrospektiv und aktuell, 1963-1989 im Kölnischen Kunstverein, die die Tendenz zur Objekthaftigkeit der zeit- und technologiebasierten Kunst vor Augen führte − und damit indirekt auch deren optionale Integration als Ware des Kunstmarktes. Im Gesamtkatalog von 235 Media war das Sortiment Videokunst kontinuierlich gewachsen, beinhaltete bereits etablierte wie auch vielversprechende junge Positionen und ließ sich auf keine künstlerische Ausrichtung reduzieren. Da ein Markt für Videokunst sowieso erst geschaffen werden musste, orientierten sich die Inhaber von 235 Media bei ihrer Programmauswahl vorrangig an ihren eigenen Interessen und akzeptierten von Anfang an einen kleinen Verbreitungsgrad für ihre nicht dem Mainstream entsprechenden Waren. Ulrich Leistner resümiert rückblickend: »Wir hatten nie die Hoffnung, dass wir große Stückzahlen verkaufen, wir wollten nur die Sache irgendwie vorantreiben, genau wie mit dem Musikkassettenvertrieb. Da hat man auch gesagt, das sind Sachen, die ich einfach gut finde, die will man einfach unter das Volk bringen, ohne den Anspruch 1000 Stück zu verkaufen – so war das mit den Videos auch.«36 So behielt die 1987 in der Zeitschrift Mediamatic vorgenommene Einordnung des Programms auch über die folgenden Jahre ihre Gültigkeit: »The tapes are very recent (eighties) and very varied. Famous names rub shoulders with unknown names, ,real‹ art videos and registrations of performances, scratch video and tapes that are related to music or literature. The aim was not to provide a collection with a well-defined image of its own.«37 Aus heutiger Sicht kristallisiert sich in dem breit gefächerten Angebot dennoch heraus, dass sich damals thematische Schwerpunkte in den Bereichen Performance, Musicclips und elektronisch generierte Bildwelten ergeben hatten. Trotz der anfangs schleppenden Nachfrage konnte 235 Media eine Öffentlichkeit für Videokunst schaffen und einen Kundenkreis für Videokunstwerke anwerben, sodass »in den 90er-Jahren […] ein recht stabiler kleiner Markt entstan35  D  er Media Art Produktion e.V. wurde am 25. Januar 1988 mit dem Ziel gegründet, »ein Zentrum für künstlerische Produktion und Präsentation von Neuen Medien« zu werden, und verstand sich »als innovatives und kreatives Bindeglied zwischen Künstlern, Medienindustrie, Institutionen und Öffentlichkeit«. Der Sitz des Vereins war das Büro von 235 Media; die Gründungsmitglieder waren Ulrich Leistner, Axel und Eckhard Wirths von 235 Media, Rudolf Frings und Norbert Meissner u.a. als Betreiber des Videonals Video Congress sowie Ivo Andreew, Reiner Michalke (Mitbegründer des Kölner Stadtgartens), Volker Schäfer und die Künstlerin Maria Vedder. Quelle: Presseerklärung des Media Art Production e.V. (Archiv der Stiftung imai). 36  Ulrich Leistner im Gespräch mit Renate Buschmann und Jessica Nitsche am 11.07.2017 in Köln. 37  Possel: 235 video, S. 185.

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den [war], der sich vor allem an institutionelle Kunden richtete«.38 Die besseren Absatzchancen für künstlerische Videobänder ab den 1990er-Jahren mögen zum einen mit einer allmählich einsetzenden Offenheit der Kunstinstitutionen gegenüber der Medienkunst zu erklären sein. Förderlich war zudem auch, dass Künstler*innen durch Videoskulpturen und Medienkunstinstallationen allmählich eine höhere Akzeptanz und ein neues Image im Kunstbetrieb erlangten. Die Wunschvorstellung einer großen Verbreitung von unbegrenzt kopierbarer Videokunst konnte nicht allein bestehen und musste begleitet werden von einer anscheinend ›überlebenswichtigen‹ Rückkehr zu Materialität, Objekthaftigkeit und limitierten Editionen, auf die die Rezipient*innen und Käufer*innen von Videokunstbändern anfangs hatten verzichten müssen.

38  A  xel Wirths: Absatzmarkt Medienkunst. Interview. In: Monika Fleischmann/Ulrike Reinhard (Hg.): Digitale Transformationen. Medienkunst als Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Heidelberg: Whois Verlags- und Vertriebsgesellschaft 2004, S. 184-191, hier S. 186.

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Today, the former 235 Media archive is hosted and preserved by the imai Foundation. It contains a broad range of videotapes which store not only video art but also documentation and promotion videos. The archive also offers an overview of Japanese video and media art history since the 1980s and includes, among other things, single-channel video art works by pioneering video and CG1 artists such as Keigo Yamamoto, Takahiko Iimura, Ko Nakajima, Shigeko Kubota and Yoichiro Kawaguchi, videos by artists who in the 1980s were based in Germany such as Akiko Hada and Atsushi Ogata, documentations of media installation by such important media artists as Toshio Iwai and Masaki Fujihata and composer Masahiro Miwa, as well as documentations of performances by such as Dumb Type and Radical TV. Moreover, there are some video documentations of exhibitions at that took place at the Canon ARTLAB (1990-2000) and the NTT InterCommunication Center (ICC, founded in 1997), both of which are important institutions for media art in Japan. Although most of the above-mentioned videos were not in active distribution by 235 Media but were being used for research purposes by Axel Wirths instead, the fact that such an array of video works related to Japan had been collected in Germany certainly deserves special consideration.2 The archive also houses several video art works and music videos by non-Japanese artists which, however, were either made in Japan or were inspired by the Japanese culture of the 1980s and the 1990s. These works are particularly ref lective of the Japanese society during the time it was undergoing the process of modernization (or westernization), which was enabled by the rapid economic growth in the post-war years. At the same time, most Japanese video and media artists did not purposefully intervene in Japanese society and politics. Such disengagement is rather traditional. Keiko Tamaki, who was a curator of the Video Gallery SCAN, 1  ›CG‹ stands for Computer Graphics. 2  T he 235 Media archive at the imai foundation contains not only video material but also precious exhibition and festival catalogues.

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pointed out the absence and suppression of specifically Japanese sensitivity in Japanese video art and hypothesized an ›Inner Virtuality,‹ saying that »perhaps even prior to media technology, it is this other virtual system of ›Identitarian Identity‹3 which fuels the crisis of the autonomous subject in Japanese video/media arts.«4 Although intimacy between new media industries and video and media art is not a specifically Japanese phenomenon, there is no doubt that the Japanese bubble economy that lasted from the mid-1980s to the mid-1990s facilitated such intimacy more than it did in other countries and pushed Japanese video and media art forward. Moreover, Mitsuhiro Takemura mentioned a difficult situation which is impossible to live an independent life as an artist in Japan, that’s why Japanese video or media artist wanted »more than to be in the art field; their wish [was] to support themselves as a commercial artist by entering the commercial field where they [would] hold an enormous structure of video consuming, which apparently was a big difference between them and the attitude of the Western artists.«5 In that sense, one of the more interesting aspects of Japanese video and media art of the 1980s and 1990s is that it was often located at the intersection of art and entertainment. In this text, I mainly focus on video art works and music videos which were made in Japan by foreign artists in the two decades and compare them to works by Japanese artists in order to conceive of video art as a mirror of the Japanese society and as a point of contact between art and entertainment.

1. In the 1980s and the 1990s, the Future Was in Tokyo From the 1980s to the mid-1990s, the Japanese economy was attracting a fair amount of attention from the foreign countries, as did its fashion industry, butoh theatre, proliferation of advanced technology and its image as a real-world mecca of cyber3  H  ere, the term ›Identitarian Identity‹ is taken from a text by Michael Geyer: Multiculturalism and the Politics of General Education. In: Critical Inquiry, Vol. 19, Nr. 3 (Spring, 1993), p. 521. According to Tamaki, »Michael Geyer describes a prevalent tendency worsened by ethnic strife today, a politics which he calls ›Identitarian Identity‹ and which is not difficult to descry in Japan. Without purposive intervention in the collective fantasy which support Japanese exceptionalism and particularistic Japanese images exterior to processes on innovation, there can be no change in the current disengagement from the social and political.« Keiko Tamaki: Identity, Otherness and the Social. In: Kunio Noda (Ed.): The 5th Fukui International Video Biennale. Winds of the media from Asia. Fukui: Fukui Media City Forum 1993, p. 38. 4  Ibid. 5  M  itsuhiro Takemura: Post Video Art. Video Consuming in The Ecological System of Electronic Information. In: Kunio Noda/Takeo Yamada (Eds.): The 4th Fukui International Video Biennale. Image Media-crossing Borders. Fukui: Fukui Media City Forum 1991, p. 54.

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punk. Thus, Japan was actively exporting not only industrial products but also Japanese culture, which is why many foreign artists, filmmakers, architects and designers visited Japan at that time. For example, Wim Wenders was one of them and travelled to Tokyo to make his film Tokyo-Ga (USA/FRG) in 1985. The film expresses his longing for Japan of the old, as it appears in the film Tokyo Story (Japan 1953) by Yasujiro Ozu. But Wenders could not find the old Japan in Tokyo of the 1980s. The Video Gallery SCAN was founded by Fujiko Nakaya in Tokyo in 19806 and was given its name by Bill Viola. The gallery not only distributed video art internationally but also supported young video artists through exhibitions and open call competitions. Additionally, they invited established foreign video artists such as Bill Viola, Gary Hill, Peter Callas, Steina and Woody Vasulka for special exhibitions. The gallery contributed greatly to the development video and media art in Japan. Other private Tokyo institutions such as Studio 200 (1979-1991), which was managed by Seibu Department Stores, Hara Museum (founded in 1979), Watari Museum of Contemporary Art (founded in 1990, formerly the Gallery Watari [19721989]), P3 Art and Environment (founded in 1989), Canon ARTLAB (1991-2001) and NTT InterCommunication Center (ICC, founded in 1997) all organized exhibitions by established foreign video and media artists, too. Private companies such as Canon and NTT (Nippon Telegraph and Telephone Corporation) as well as Sony and JVC (Japan Victor Company) were also actively supporting video and media art projects. During the two decades, from the 1980s to 1990s, quite a number of video and media art works were ›made in Japan,‹ albeit by foreign artists. They were able to shoot video and work in Japan thanks to the sponsorship from the Japanese capital, by relying on museum commissions and so on. Thus, it was not only the lure of Japanese technology and its spectacular culture and subcultures, it was also the money of the Japanese asset price bubble that attracted artists. Around the world, this Japan boom inspired several exhibitions and video programs with a focus on Japan, such as Traversals: Instructions to the Double (1990) at the Long Beach Museum of Art, Japan: Outside/Inside/Inbetween (1992) at the Artist Space in New York and Video Anthology: Eyes on Asia/Touch of Japan (1993) at the Fukui International Video Festival, just to name a few. These programs featured single-channel video art works ›made in Japan‹ such as Kinema No Yoru (Film Night) (1986) by Peter Callas, Ura Aru (The Backside Exists) (1988) by Gary Hill, Hatsu Yume (First Dream) (1981) by Bill Viola and In the Land of the Elevator Girls (1990) by Steina and Woody Vasulka.

6  A  ccording to Nakaya (interview via email on 04.14.2017), the Video Gallery SCAN was closed in 1992, during the third Video and Television Festival, which was organized in Tokyo by her and the gallery.

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What did these artists discover through an outsider’s perspective in Japan of that time? This question could be key to re-evaluating video art works made in Tokyo by non-Japanese artists during the specific period from the 1980s to the 1990s because these video works can be seen as artistic studies in ethnography and anthropology of Japan rather than the more common stereotyping and exoticizing of Japanese culture. Here, Tokyo and Japan served as objects of study and observation. Of course, Tokyo is neither representative of Japan nor of Asian culture; instead, it can be considered a symbol of Japanese desire for modernity and better life which had glowed up under the post-World War Two capitalist consumer society. Back in the 1980 and 1990s, Tokyo was attracting worldwide attention as a f lamboyant city, a cyberpunk metropolis come to life, with extravagant subcultures and pop culture to match. The rapid post-war economic growth that had brought on material abundance had, however, also brought on a twisted culture that blended Japanese and Western traditions together and caused the Japanese to develop an inferiority complex as they were forced to quickly adapt to Occidental culture. Consequently, such backgrounds might have stimulated artists to imagine a hitherto unimagined world.

2. Video Art: Peter Callas / Nan Hoover / Takahiko Iimura / Ko Nakajima / Steina and Woody Vasulka Here, I would like to focus on single-channel video art works by non-Japanese artists from the 235 Media archive which were either ›made in Japan‹ or in which Japan itself is a motif. I will go on to juxtapose them with some works by Japanese artists in order to show how they explored the phenomenon that is westernized Japan.

2.1 Double Standard: Peter Callas, Steina and Woody Vasulka and Takahiko Iimura Peter Callas is an Australian video and media artist who deals with media culture and investigates Western colonialism and Americanization, which has become more prevalent since the World War Two. His fundamental standpoint was anti-Global Village and he was critical of the »internationalization of video art.«7 Sally Couacaud mentioned homogenization of international cultures brought about by visual mass-media and international networking technologies and pointed out that Australian video art had managed to powerfully address and explore »the 7  Yvonne Spielmann: Video. The Reflexive Medium. Cambridge: MIT Press 2010, p. 177.

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contradiction of colonialism and creativity«8 which arises from Australia’s own history of colonialization. Abb. 1: Peter Callas: Double Trouble (1986) (lef t to right) Abb. 2: Takahiko Iimura: A I U E O NN (1984), performance at the Komai Gallery, Tokyo Abb. 3: Takahiko Iimura: Double Identity (1982), performance in the Hara Museum of Contemporary Art, Tokyo

In his works, Callas often uses images from Japanese film, comics, and TV and juxtaposes them with images from Western media. Further, much of his curatorial involvement from the early 1980s to the mid-1990s had centered on Japan. Japan was perfect for his artistic research because he was interested in the visual language a particular culture might develop, and Japan was, so to speak, a virtual colony of the United States. The direct result of Japan’s modernization process is the curious but peaceful mixture of Japanese tradition and Western culture. I suppose that the famous Japanese attitude »本音と建前« (»Honne and Tatemae«), which means a separation between one’s feelings and one’s public behavior, could help bridge the cultural differences and allow for a compromise. Double Trouble (1986) by Callas indirectly reveals such positive frictions and draws an analogy between Japan and Western countries. Like Callas, Steina and Woody Vasulka created several video works following their study of the 1980s Japan. Steina Vasulka stayed in Japan from November 1987 to May 1988 on a fellowship from the Japan-United States Friendship Commission. According to the exhibition catalogue Steina & Woody Vasulka (Denver Art Museum, 1992), during her stay in Japan she recorded sixty hours of camcorder video. She went on to use the materials to produce, with Woody Vasulka, two singlechannel video works In the Land of the Elevator Girls (1989) and A So Desu Ka (1993) and a multi-channel video installation Tokyo Four (1991). Tokyo Four, which uses the same footage as both In the Land of the Elevator Girls and A So Desu Ka, consists of 8  C  ouacaud, Sally: Video Art in Australia. An Introduction. In: Kitaori, Tomoko/Azuma, Shoichiro/ Yamada, Takeo/Morishita, Akihiko/Yamaguchi, Yukio (Ed.): The 3rd Fukui International Video Biennale. Expansion & Transformation. Fukui: Fukui International Video Biennale Executive Commitee 1989, p. 74.

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video fragments showing Shinto priests, temples, rush hour crowds in train stations, superf luous elevator girls in a department store, a Butoh dance, a performance by a robot, neon-lit buildings, and more. Japan, however, is not presented as an exotic country. Instead, the montage of the disconnected images and the addition of visual effects such as quick zoom-ins and zoom-outs create an imaginary world, a non-existing reality. Yvonne Spielmann pointed out that both Callas and Vasulkas were interested in »video’s nonfixed, ›f luid‹ qualities.«9 One of these ›f luid qualities‹ – and one of video’s aesthetic principles – is the fact that electronic video signal is malleable, meaning it can be manipulated. However, one characteristic of video is its mutability and its ability to embrace different formats in order to preserve its content, which its surviving process is predicated on. It can be said to metaphorically ref lect the (at that time) hopeful process of updating, modifying and overwriting Japanese culture. A text about A So Desu Ka by Ernest Gusella and Tomiyo Sasaki also seems to ref lect upon the phenomenon of people seeking innovation in the 1980s Japan: »Steina’s visual epiphany presents Japan as a culture which appears to be physically collapsing in upon itself, as it abandons its own values and traditions and rushes headlong at lightning speed toward its own destruction, like a moth to a f lame.«10 Japan or rather the Japanese people balance their traditions with the new culture to adapt to a new context, creating middle ground for compromise. A I U E O NN Six Features (1993) by Takahiko Iimura highlights the Japanese language as a site of peaceful coexistence of Japanese characters and the Latin alphabet. A I U E O NN (1984),11 of which both a single-channel video and an installation versions exist, is a predecessor of A I U E O NN Six Features (1993) and originated from an idea for a performance. In the performance, the artist appeared in front of the audience next to both a live (real-time) and a pre-recorded video projection of himself. Another performance, titled Double Identity (1982),12 also used this set-up. Here, the artist addressed the question of actuality and duplication by copying a sound recording. 9  Yvonne Spielmann: Video. The Reflexive Medium. Cambridge: MIT Press 2010, p. 177. 10  E rnest Gusella and Tomiyo Sasaki: A SO DESU KA. [26.05.1994]. www.vasulka.org/archive/Vasulkas3/Video/ASoDesuKa/Writings.pdf (06.10.2015). 11  A  ccording to Iimura, »A I U E O NN (あ・い・う・え・お・ん or ア・イ・ウ・エ・オ・ン) is the vocal and the base component of language. Unlike Western languages, Japanese places a special emphasis on the vowels. Kana(仮名), which is part of the Japanese writing system, is based on vowels, and consists of a 50-character syllabary, and in contrast to the alphabet treats both vowels and consonants equally. ›NN‹ (んorン) is not a vowel but it can be pronounced without using consonants and is an additional syllable. This seems funny to me.« Takahiko Iimura: A I U E O NN Six Features: Works Note. In: Meta Media. Takahiko Iimura ― Media Installation. Tokyo: Tokyo Metropolitan Museum of Photography 1995, p. 14. This text was translated from Japanese text by writer. 12 Double Identity (1982) focuses on identity issues. In the end, a double negative makes a positive.

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There are three versions of the single-channel video A I U E O NN Six Features. The third version13 addresses the fact that »Japanese (written and spoken) uses both Kana and the Latin alphabet. And such compatibility, not translation, is made possible by multiculturalism which sees each language as equal.«14 Moreover, »the both the Latin alphabet and Kana are visualized as such. Thus, for instance, ›あ‹ and ›A‹ denote the same sound and will not needlessly be repeated next to each other in writing. Instead, Japanese Kana and Latin letters will appear in alternation and be read ›as themselves,‹ like in the word ›あ I う E オ NN‹.«15 In this work, image and sound play important roles as mediators of language. To most Japanese people, the romanization of their language16 has become natural. This phenomenon can be said to be fueled by a desire for peaceful coexistence. Iimura seems to be playing with both the troublesome differences and the correlations between sound, letters and the writing system of a language by visualizing all three.

2.2 Blurry Identity: Nan Hoover and Ko Nakajima Abb. 4: Ko Nakajima: Mt. Fuji (1985)

13  In the archive of the imai Foundation. 14  T akahiko Iimura: A I U E O NN Six Features: Works Note. In: Meta Media. Takahiko Iimura, Media Installation. Tokyo: Tokyo Metropolitan Museum of Photography 1995, p. 16. This text was translated from Japanese text by the writer. 15  Ibid., p. 16 16  R  omanization of Japanese is the method of writing in Japanese which uses the Latin. In English, it can be referred to as romaji and is sometimes incorrectly transliterated as romanji. There are several different romanization systems, the three main ones being the Hepburn romanization (the most widely used system), the Kunrei-shiki romanization, and the Nihon-shiki romanization.

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The 235 Media archive contains two video art works and one installation documentation the titles of which include the word ›Fuji,‹ referring, of course, to Mount Fuji. These are Returning To Fuji (1984) by Nan Hoover, Mt. Fuji (1985) by Ko Nakajima17 and Fujiyama Pyramid (1992) by Peter Callas. Returning To Fuji by Hoover is considered to be one of her representative works. It is a single-channel video which was not made in Japan, in which, however, Mount Fuji – a stereotypical Japanese symbol that is also part of the shared Japanese consciousness. Johannes Stahl pointed out that there are similarities between Returning To Fuji and One-Hundred Views of Mount Fuji (1834), a trilogy of picture books with 102 landscape sketches of Mount Fuji by Hokusai Katsushika.18 In the past, there were no skyscrapers in Japan and even the people in Tokyo could see their country’s highest mountain from a distance. Thus, Mount Fuji used to be located not only in the geographical center of Japan but also deep within its spiritual moorings. Returning to Fuji was shot in Hoover’s studio using a piece of paper. In the video, the Mount Fuji-like shape is seen shifting – an effect achieved only though changes in lighting and without any postproduction effects such as editing or CGI. This work invites the audience to engage themselves with the theme of light and physical matter – two ideas that are pertinent to Hoover’s work – and to share her interest in the spiritual world. Although Hoover had not yet been to Japan as of 1984 when she produced this video work, we can still say that this work succeeded in capturing the Japanese inner landscape. Mount Fuji is a spiritual symbol of man’s coexistence with nature and has been an object of worship of Japanese people through the ages. Shinichi Nakazawa (Anthropologist, Professor of the Meiji University) described the relationship between the Japanese and Mount Fuji as follows: »Most Japanese are forgetting the value of Mount Fuji, which has been a compelling presence to Japanese since ancient times. We should look at Mount Fuji now. If we neglect to think about what Mount Fuji is individually, afresh, the Japanese will lose the ›center‹ or ›anchor‹ [of their culture] forever, I think.«19 The irony is that Mount Fuji is now hidden behind the Tokyo. Do the Japanese people still long for their mountain now that it has been replaced by garish 17 Mt. Fuji (1985) is a part of Ko Nakajima’s pentalogy of video works inspired by Japanese philosophy of the »Five Elements (五大元素),« which are Earth, Water, Fire, Wind, and the Void. Mt. Fuji is the Earth part and there are three versions of it, each having a different duration: 10 minutes, 20 minutes and 45 minutes. 18  A  nother renowned series of landscape printings by Hokusai Katsushika is Thirty-six Views of Mount Fuji (ca. 1831-1835), which depicted Mount Fuji from different locations and in four seasons and in various weather conditions. 19  N  HK TV program The Mount Fuji and Japanese: Shinich Nakazawa seeks spiritual history of ten thousands years, 08.06.2013 on air.

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skyscrapers? Commenting on the video work Mt. Fuji by Nakajima, Haruomi Hosono, who is a Japanese musician and a member of the electronic pop music band YMO, hypothesized that »people do not want to see Mount Fuji but would rather read about Mount Fuji.«20 The video work Mt. Fuji depicts the mountain through a collage of 3,000 photographs Kozan Saito had taken of it over fifteen years, and CG and digital effects by Nakajima. As Nakajima explained, »[To oppose] Hokusai, the genius of analog print, [he] challenged him with digital media.«21 Thus, Nakajima intended to de-contextualize old media (here, the photograph) and Japanese tradition, and then to re-contextualize Japanese esthetics of Mount Fuji by using new media (here, video and computer). Additionally, this work was released on VHS (Video Home System) by the film company Nikkatsu, meaning it was meant to be watched on a television at home. In place of the visually and mentally disappearing actual Mount Fuji, people could now visit the new Mount Fuji created by Nakajima at home. By contrast, Hoover’s Returning To Fuji ref lects the inner landscape of Japan at a time when the quality of life and the cultural values were changing – a shift that lead to an abandon of religion and spirituality among the Japanese people. In the video, Mount Fuji appears in a state of constant metamorphosis. Naturally, the mountain itself remains unchanged: Instead, it is the shifting of the light source which highlights its different elements or contours. The blurriness and the organic aesthetics of the image create an impression of impermanence of all things – things which appear differently depending on your way of seeing. Symbolically, Mount Fuji occupies the middle of the frame. The title – Returning to Fuji – suggests that the Japanese people are looking to go back to their roots.

3. Entertainment and Music Video: Der Plan / Einstürzende Neubauten / Brian Eno / Radical TV / Ryuichi Sakamoto The 235 Media archive contains a number of music videos and video art works by musicians, as Axel Wirths’s artistic pursuits were in no small part inspired by the German post-punk movement and the Neue Deutsche Welle22 of the late 1970s. 20  K  o Nakajima: Mt Fuji. www.age.cc/~ko-ko-ko/blog/archives/works/movies/index.html (07.07. 2016). Translation by the author. 21  F ukui International Video Festival ´85 Executive Committee (Ed.): The Fukui International Video ’85. Video Spirit of the Time. Fukui: Fukui Audio-Visual Center 1985, p. 136. 22  T here are different stories about the first use of the term Neue Deutsche Welle (NDW) (see Frank Apunkt Schneider: Als die Welt noch unterging: Von Punk zu NDW. Mainz: Ventil Verlag 2013, pp. 12-13). According to Kaoru Koyanagi, at the beginning, NDW stood for the new music, however, later the term would come to mean popular music. Therefore, he warns us to use this term carefully. Kaoru Koyanagi: Clout Lock Taizen. Tokyo: ele-king books 2014, p. 176.

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Subsequently in the early 1980s, Wirths’s label 235 would start distributing music on cassette tapes and then later his 235 Video would distribute video. Incidentally, it was the Japanese music of the time that first inspired his interest in Japan.23 This is the reason he would also distribute Japanese music tapes and video art. Here, I focus on single-channel video art works which are closer to commercial productions and entertainment, such as video art works commissioned by Sony and music videos which were made in Japan in the mid-1980s by Der Plan and Einstürzende Neubauten.

3.1 Impact of MTV and VHS The founding of MTV in 1981 helped to bridge the distance between music and video. Needless to say, providing a public broadcast platform exclusively for music videos changed how people experienced music. Wulf Herzogenrath described interesting points of contact between art and entertainment in the 1980s: »Paik and Vostell began in 1963, by 1970 the artistic development of Otto Piene and Gerry Schum had reached its limit and public television refused its support. In 1977, the documenta 6 in Kassel enabled a brief f lourish of televised video art, and by 1984 the separation between video art and cultural television programs had become quite well defined, whereas the readiness for video art and music video clip has steadily increased in the entertainment sector; today we noticed a curious mixture of the two traditional concepts of ›serious art‹ and ›entertainment art‹.«24 Furthermore, John G. Hanhardt argued that many characteristic qualities of video art could already be found within the variety of art movements of the late 1950s and the early 1960s, and these art movements sublimated the problems of capitalism into their works. He also indicated that »one of the inescapable facts of daily life was the omnipresence of television,«25 marking television as an increasingly popular competitor of video art and one that video art could not best. But could music videos conquer television? The answer can be both ›yes‹ and ›no‹. Not only has music video become a perfect format for collaboration between musicians and artists, it also created a commodity market that was more accessible than typical video art. Music video remains an interesting intersection between art and entertainment, video art and television. Moreover, the 23  Interview with Axel Wirths by Jessica Nitsche (10.02.2015), unpublished. 24  W  ulf Herzogenrath: Video Art and Television in West-Germany. In: Fukui Internationational Video Festival ʼ85 Executive Committee (Ed.): The Fukui International Video ’85. Video Spirit of the Time. Catalog, Fukui: Fukui Audio-Visual Center 1985, pp. 49-50. 25  J ohn G. Hanhardt: Video Art. Past and Future (An inquiry into Art and Technology). In: FIVB Executive Committee (Ed.): The 2nd Fukui International Video Biennale. Fukui: FIVB Executive Committee 1988, p. 69.

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popularization of VHS in the 1980s made selling VHS tapes a commodity. It is, therefore, hardly a surprise that home television sets became a site for watching music videos both on VHS and on MTV. Thus, music video was able to succeed by finding an alternative presentation space outside the museum system, a feat video art did not pull off. Meanwhile, video artists and people in the field were seeking for a survival path that would lead through both the art world and consumer market in the 1980s.

3.2 Sony Commissions for the JumboTRON 26 in 1985: Kit Fitzgerald / Paul Garrin / Radical TV / Brian Eno / Ryuichi Sakamoto The International Exposition, Tsukuba (popular name: Tsukuba Science Expo) took place in the city of Tsukuba in the Ibaraki prefecture in 1985. The theme of the expo was ›Dwellings and Surroundings: Science and Technology for Man at Home.‹ The Tsukuba Science Expo was commonly called ›Moving Image Expo‹ (映像博 Eizo-Haku) due to its showcase of moving image technologies. World expositions are typically remembered for, among other things, the monumental structures erected for the occasion, such as the Eiffel Tower of the 1889 Paris Expo and the Atomium of the 1958 Brussels Expo. Abb. 5: Sony JumboTRON (1985)

26  J umboTRON was named after a Sony television monitor brand, Trinitron. The JumboTRON was a kind of magnified Trinitron and it can be described as a gigantic television. Trinitron is a portmanteau which combined the words ›Trinity‹ and ›Electron Tube.‹

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The Tsukuba Science Expo is remembered for the Sony JumboTRON, which was a colossal television 48m(W) x 42m(H) x 20m(D) and a screen measuring 25m x 40m (Approx. 2,000 inch, Aspect ratio is 3 : 527) and being, therefore, over 100 times larger than the average home television set. The JumboTRON and the audio-visual content it displayed are frequently mentioned in media art history literature. An important audio-visual live event TV war by an artist collective Radical TV28, Ryuichi Sakamoto and Akira Asada took place on the eve of the expo finale. Radical TV was in charge of real-time visual effects and montage of moving images such as films of nuclear bomb explosions, war films and computer animations. Sakamoto composed the music for the event and Asada came up with the concept. Sony also commissioned and oversaw a collaboration between Sakamoto and American video artists such as Kit Fitzgerald and Paul Garrin which was created specifically for the JumboTRON. These audio-visual performances would later be released on laserdisc titled Adelie Penguins (1986) by Sakamoto and as a single-channel video work A Human Tube (1986)29 by Paul Garrin. The Adelie Penguins laserdisc featured music videos from Sakamoto’s 1985 album Esperanto. As its title suggests, theme of the album was folk music and culture that extended beyond ethnos. Garrin worked in close cooperation with Nam June Paik during the 1980s and was inf luenced by him. In his video works, Garrin consistently explored social criticism of public and personal space in an urban area. In the 1980s, he was created such music videos as A Place to Hide (1985)30 and Free Society (1988)31 using video documentations he had made of himself and local news footage of police brutality as well as reports on the issue of homelessness. Likewise, his video A Human Tube addresses the issue of environmental destruction caused by both industry and war. The video shows a running man (Ryuich Sakamoto) who seems to be trying to escape from such a world to cybernetic space. Now, in the post-internet age, the sequence of using a public telephone in New York seems to depict a gateway into the digital world. Sony had also commissioned further screenings and live events by Nam June Paik, Jenny Holzer, Ed Tannebaum, among others. These and other commercial events in front of the JumboTRON became a popular topic of conversation. From early on, Sony had been supporting new media artists who were using video and computer technology. Sony’s own commercial space in the Sony 27  A  ccording to the press release by Sony, they had a vision of the aspect ratio of a future television was 3:5. 28  R  adical TV was formed in 1985 and included Daisaburo Harada (*1956) and Haruhiko Shono (*1960). Radical TV Live 1985-1986 by Radical TV is in the archive of the imai Foundation. 29  In the archive of the imai Foundation. 30  In the archive of the imai Foundation. 31  In the archive of the imai Foundation.

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Building in Tokyo was used to host exhibitions such as Electromagica ’69 (1969), The First Video Communication: Do It Yourself Kit (1972) and International Computer Art (1973-1978). Further, they supported video art productions, exhibitions and festivals by supplying them with video equipment. In the 1980s and 1990s, they were actively releasing music videos (on VHS, Betamax and laserdiscs),32 and collaborated with musicians such as Ryuichi Sakamoto and Brian Eno,33 just to name a few. What Sony’s commissions for the JumboTRON indicated was the fact that video art could become an art form to be viewed at home, on a television set. To begin with, video art was born amidst – or from – criticisms of mass media and television, and under the inf luence of counter culture. In the 1980s, however, video art increasingly began to borrow from television, while television and industrial media would in turn star to rely on the language of video art. In other words, the relationship between video art and television started to change. Mitsuhiro Takemura had described »the domain of media art as a context of the post video art,«34 bringing the performance unit Radical TV and Daisaburo Harada as examples. Takemura praised their performances and CG works as excellent products of Japanese audio-visual culture of the 1980s, the age of MTV and of the »various activities which are, so to speak, [post-visual].«35 Moreover, he mentioned that »the existence of video art in the multimedia [age] or in the age of media fusion, might be considered as a subject of archeological media which awaits for the time to be excavated.«36 Although his remark did not proclaim the end of video art, he insisted that it was necessary to name the new emerging art form ›media art‹ because the term ›video art‹ no longer covered all of its new tendencies.

32  T he best known ›Videotape Format War‹ was being fought between VHS by JVC versus Betamax by Sony. In the end, Sony began selling VHS in 1988 and JVC was forced to declare defeat. 33  B  rian Eno: Thursday Afternoon (1984), released on VHS by Sony Corporation America in the US and Canada, and on Laserdisc by CBS/Sony in Japan. In the archive of the imai Foundation. 34  M  itsuhiro Takemura: Post Video Art. Video Consuming in The Ecological System of Electronic Information. In: Kunio Noda/Takeo Yamada (Ed.): The 4th Fukui International Video Biennale. Image Media-crossing Borders. Fukui: Fukui Media City Forum 1991, p. 55. 35  Ibid, p. 52. 36  Ibid, p. 55.

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3.3 (R)evolution and Cyborg: Evolution Theory: Der Plan Live (1984) by Der Plan and ½ Mensch (1985) by Einstürzende Neubauten Der Plan and Einstürzende Neubauten are two music bands that are representative of the German post-punk movement of the 1980s. Of course, it is impossible to discuss both bands and their music at length within the scope of this essay. I will therefore focus not on their music but on their two music videos made in the mid-1980s Japan, Evolution Theory: Der Plan Live 37 by Der Plan and ½ Mensch by Einstürzende Neubauten. Abb. 6: LP Covers: (Lef t) Der Plan: Japlan: Evolution Theory (1984)38 Label: Wave. (Middle); Der Plan: Japlan (2013, Re-issued in Germany) Label: Ata Tak. (Right); Einstürzende Neubauten: ½ Mensch (1985) Label: Some Bizzare

Der Plan released their album titled Japlan: Evolution Theory39 in Japan in 1984.40 The album consisted of music tracks recorded for the band’s 1984 Japan tour entitled Evolution Striptease41 and some of their signature pieces such as Gummitwist and Space Bob. They shot their performances in the streets of Tokyo as well as those that took place in a public garden and in a gym on video. They used videos of these performances and of their concerts in Japan for their music videos such as Hey

37  I n Germany, the video was entitled Japlan – the Video – Der Plan in Japan and released in 1984 by Ata Tak and Stein Film. 38  T he cover design of the album was almost same as for their single Golden Cheapos (1984), but the contents were different. 39  The Japanese title of Japlan: Evolution Theory is 進化論 Japlan. 40  The album Japlan was re-issued by Ata Tak in Germany in 2013. 41  T he Japanese title of Evolution Striptease is 進化論ストリプティーズ. The concerts titled Deutsche Welle: Der Plan took place at the Studio 200 ran by Ikebukuro Seibu Department Stores in Tokyo.

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Bady Hop, Space Bob and Gummitwist, and for the concert documentary of their tour, Evolution Theory: Der Plan Live (1984).42 Einstürzende Neubauten released their album ½ Mensch43 in 1985, the same year they first came to Japan to perform in Tokyo and Kyoto. The eponymous promotional video was directed by Sogo Ishii. It used a total of nine video clips from music videos and concert documentaries. Some of the music videos were shot in an abandoned factory and in the street in Tokyo and included a performance by Butoh dancers of Byakkosya. One can consider the video to be a fifty-minute-long film. In fact, Ishii makes feature films, music videos and experimental short films. Before ½ Mensch, he shot the science fiction action film Burst City (爆裂都市) in 1982 and Asia Strikes Back (アジアの逆襲) in 1983. The former was a showcase of various Japanese punk rock bands and new wave musicians and centered on the punk rock culture of the early 1980s. The latter depicted a dystopian world populated with androids. Apart from serving as a director in music videos and experimental short films, Ishii was also involved in their production as a musician. Ishii’s films are frequently mentioned in discussions of Japanese cyberpunk cinema and in connection to the animation film AKIRA (Japan 1988)44 by Katsuhiro Otomo and Tetsuo: The Iron Man (Japan 1989) by Shinya Tsukamoto, just to name a few. Ridley Scott’s film Blade Runner (USA 1982) is a prominent inf luence on the aesthetics of the cyberpunk culture. The film depicts a decadent, excessively technological world. It is said that Scott’s vision of the dystopian future was inspired by the downtown Tokyo. The film’s storyline centers on a conf lict between androids, or replicants, and the mankind that takes place in the year 2019. The animation film AKIRA also depicts a dystopian future. Set in the year 2019 in a post-apocalyptic Neo-Tokyo, its main characters are an old looking kid and a boy who had lost the control of his body.45 These cyberpunk science fiction films address key issues such as omnipresence of technology, dystopia, decadence, androids and cyborgs. In particular, they express a sense of rebellion against the society and the government and most of their protagonists have body modifications or are cyborgs who occupy the apocalyptic and dystopian future world.

42  Evolution Theory: Der Plan Live included documentations of the live performance in München as well. 43  Japanese title of ½ Mensch is半分人間. AKIRA was originally written as a comic series for the Young Magazine from 1982 until 1990. 44  45  I think Akira was depicted as a metaphor for atomic energy, which is the most important technology for the economy and politics of Japan and the most dangerous technology at the same time.

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The two music videos – ½ Mensch and Evolution Theory: Der Plan Live (Japlan – the Video – Der Plan in Japan) – could also be considered (post-)cyberpunk because they both relied – humorously and sincerely – on a vocabulary similar to that of the above-mentioned films.

(R)evolution Neither revolution nor evolution would exist without disintegration or transformation. The German sub-culture movements of the 1980s like post-punk and the Neue Deutsche Welle marked the return of counterculture. Unlike Germany, Japan of the 1980s (and Tokyo especially) and its excess of technological developments prematurely celebrated a rich and promising future yet to come, thus nurturing the cyberpunk culture. Nevertheless, the younger generations both in Germany and in Japan questioned their society and wanted a change, through evolution or through revolution. The sequences of barricading in front of the Tokyo skyscrapers and the traffic jam in Das Schaben (1985) by Einstürzende Neubauten and the destruction of the Tokyo skyscrapers in AKIRA both ref lect such ideas. Abb. 7: Einstürzende Neubauten: Armenia (1986) Director: Sogo Ishii Abb. 8: Katsuhiro Otomo: AKIRA 3 (1986), Kodansha

»Einstürzende Neubauten« literally means »collapsing new constructions.« German word »Neubau« means a specific type of buildings which were constructed after the World War Two, mainly in the Western European capitals. Thus, the name »Einstürzende Neubauten« conjoins ›collapse‹ and ›construction‹ – the two sides of the same coin – and means both the breaking of old conventions to make place for new ones and the overcoming of the frictions of the Cold War. At the time when the band was constructing the symbolic barricades seen in the video, clashes between police and demonstrators were a daily occurrence on the streets of 1980s Berlin, the origin city of Einstürzende Neubauten. Although Tokyo was a busy city of glittering neon lights, visions of its destruction seen in many Japa-

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nese monster and action films symbolized, among other things, the ever updating Japanese culture. Japlan: Evolution Theory by Der Plan also seems to be playing with the relationship between evolution and revolution. In fact, ›evolution‹ was the theme of their 1984 Tokyo concert and the band even acted out the process of mutation, which included stones, cacti and insects and, finally, human beings. The word ›evolution‹ was also included in the title of both the album and the subsequent tour. In Japan, the titular ›evolution‹ was translated as ›進化論‹ (Shinka-ron), which is a term that often refers to the theory of evolution by Charles Darwin. Moritz Reichelt, who is one of the members of Der Plan, laid out the reasons for their success in Japan as follows: »Japanese pop culture is really ›planesque‹ in a way. Artificiality with a twinkle in the eye. We stepped inside our hotel in 1984 and switched on the television. The first thing we saw was an advert with three dinosaurs singing a song. Pretty much like one of our shows.«46 Having felt a sense of affinity with dinosaurs, for their performances in Japan the three members of Der Plan wore costumes and appeared as imaginary creatures. About thirty years later, Der Plan used an image of a toy dinosaur – which looks a lot like Godzilla – in front of the burning Tokyo Tower as the cover design for the 2013 German CD re-issue of Japlan: Der Plan in Japan. Interestingly, Godzilla is also an imaginary creature that is evolved as a result of an artificial mutation.47

Cyborg The music videos for Hey Baby Hop, Space Bob, Gummitwist and Alte Pizza by Der Plan used the footage the band recorded in Japan in 1984. All band members wore body suits to appeared as strange creatures. In contrast to the rhythmic electronic pop music they played, the costumes and the general aesthetic of their music videos painted a rather pessimistic picture of a decadent future. The main characters of Gummitwist wear brain and eye and mouth shaped masks. The song’s lyrics express both a desire for change and innovation, and anxiety caused by computer technology, and address personal computers, the human brain, microchips, hackers, America, Russia and the atomic bomb. In particular,

46  C arsten Friedrichs: Artificiality with a (nod and a) Wink. JaPlan (CD insert), Ata Tak 2013 47  G  odzilla is the main character of the Japanese giant monster movie series entitled Godzilla (ゴジラ, or Gojira), which have been made since 1954. It is well known that the Godzilla was inspired by the film The Beast from 20,000 Fathoms (USA 1953) by Eugène Lourié. The storyline concerns a fictional dinosaur, the Rhedosaurus, which is released from its frozen, hibernating state by an atomic bomb test in the Arctic Circle. Godzilla can be said to have been created by the mankind and our use of nuclear technology.

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I see the phrase »stolen brain« to refer to a brain that has been hacked, a clearly cybernetic motif: »Woher weht der Wind von morgen, wozu wird DAS DING gebaut? Wonach schreit der Mensch von heute? Wer hat mein Gehirn geklaut?« 48 The same eye and mouth shaped masks were also used for Space Bob. In the videos for Hey Baby Hop and Alte Pizza, the band also wore alien and robot masks. In Hey Baby Hop there is also an interesting sequence showing the aliens working out in order to impress women with their muscular physique. Abb. 9: Der Plan in Tokio (1984)

Cyberpunk characters will typically have modified bodies that are fused with machines and minds or brains with network. The music videos ½ Mensch49 and Z.N.S50 by Einstürzende Neubauten feature strange beings that have no body and only consist of a brain.51 The two videos should be watched in a single viewing because the characters – white make-up wearing Butoh dancers – appear in both videos and could be seen as metaphors for cyborgs or even occupants of cyberspace. One of the most famous scenes from Stanley Kubrick’s film 2001: 48  Der Plan: Gummitwist, music and lyrics by Frank Fenstermacher, Moritz Reichelt and Kurt Dahlke. 49  Direct translation is ›Half Man‹. 50  It is an abbreviation of ›Zentralnervensystem‹ (central nervous system). 51  T he Japanese word ›電脳‹(›Dennou‹, which literary translates as ›electronic brain‹) sometimes refers to networks and to cyberspace.

Video Works Made in Japan. Between Art and Entertainment

A Space Odyssey (USA/UK 1968) depicts a symbolic moment when an ape discovers that bones can be used as tools – an evolutionary step, a revolution. ½ Mensch seems to be paying homage to this scene by showing another revolution of the humankind which leads to the birth of cybernetic creatures, who then celebrate their existence. Cyber-feminist discourse is of value in approaching these music videos. A Cyborg Manifesto: Science, technology and socialist-feminism in the 1980s by Donna Jeanne Haraway52 can be particularly helpful. The first version of the essay was published at the dawn of cyberpunk and contained an evocative proposition: »We are cyborg.«53 Haraway explained that a »cyborg is a cybernetic organism, a hybrid of machine and organism, a creature of social reality as well as a creature of fiction. Social reality is lived social relations, our most important political construction, a world-changing fiction.«54 The »creature of social reality« here is no one other than ourselves. We become »cyborgs« when we use our computers or cell phones. All these creatures in the music videos could be considered exceptional figures55 who could create »world-changing fictions.« Moreover, as Haraway wrote, the creatures exist »in a post-gender world« and have »no origin story in the Western sense.«56 Such mutated creatures from nowhere represent a mixture of expectations and anxiety about the future which was widespread at that time. Tokyo was not only far away and dramatically different from the West: It was also a unique place with no equivalent to be found anywhere else. Barbara J. London described the 1980s Japan as a »country of contrast, where a landmark Buddhist temple, Mister Donut coffee shop, and home video store coexist on the same block, and where the art of wearing a Kimono is almost forgotten by young 52  T he first version of Donna J. Haraway’s essay was titled A Cyborg Manifesto: Science, technology and socialist-feminism in the 1980s’ and appeared in the magazine Socialist Review, no 80, 1985, pp. 65-108.  onna J. Haraway: A Cyborg Manifesto: Science, technology and socialist-feminism in the late 53  D twentieth century. In: David Bell and Barbara M. Kennedy (Ed.): The Cyber Cultures Reader. Routledge: Psychology Press 2000, pp. 291-324. 54  Ibid., p. 291. 55  T hey could also be called ›monsters‹ which survive in a »monstrous world without gender« which is described by Haraway as follows: »We have all been injured, profoundly. We require regeneration, not rebirth, and the possibilities for our reconstitution include the utopian dream of the hope for a monstrous world without gender.« (Donna J. Haraway: A Cyborg Manifesto: Science, technology and socialist-feminism in the late twentieth century. In: Donna J. Haraway: Manifestly Haraway: University of Minnesota press, Minneapolis London 2016, p. 67). 56  D  onna J. Haraway: A Cyborg Manifesto: Science, technology and socialist-feminism in the late twentieth century In: David Bell and Barbara M. Kennedy (Ed.): The Cyber Cultures Reader. Routledge: Psychology Press 2000, p. 292.

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generation that prefers French designer and punk clothes.«57 Tokyo and its thrilling atmosphere were inspiring people to think of an unknown world. The works of video art and music video that are discussed in this essay tell a story of a possible future full of innovation, and a story of how to survive it.

57  B  arbara London: New Video: Japan In: New Video: Japan. A video exhibition Co-Organized by The American Federation of Arts and The Museum of Modern Art, New York. The American Federation of Arts: New York 1985, p. 7.

Netz(werk)kunst | Projekte und Kooperationen

Netzwerk-Kunst | Network Art |ネットワーク芸術 1 innerhalb der Festivals in Fukui 1990-1993 Kooperationen zwischen Keigo Yamamoto und Axel Wirths Hiroko Kimura-Myokam Japanische Videokunst wurde in Deutschland erstmalig 1977 im Rahmen der documenta 6 ausgestellt.2 Es handelte sich dabei um die Einkanalvideoarbeit Hand (1976) von Keigo Yamamoto. Seitdem intensivierte sich die Beziehung zwischen Japan und Deutschland hinsichtlich der Video- und Medienkunst. Neben Ausstellungen und Festivals schlugen Keigo Yamamoto und Axel Wirths auf eine ganz besondere Art eine Brücke zwischen Japan und Deutschland, indem sie in den frühen 1990er-Jahren über ISDN (Integrated Service Digital Network) ›Networking‹ im wörtlichen Sinne betrieben. Ihre aufeinander folgenden internationalen Projekte trugen die Titel Network Art in Japan und Mobile Electronic Café International (Mobile ECI) in Europa.3 Network Art fand innerhalb der bei1  D  er japanische Projekttitelネットワーク芸術 (Network-Geijyutsu) ist die wörtliche Übersetzung von Netzwerk-Kunst und ein durch Keigo Yamamoto geprägter Begriff. [Anmerkung zur Übersetzung (J.N.): Für ›Network Art‹ wird im Folgenden auch der deutsche Begriff ›Netzwerk-Kunst‹ bzw. ›netzwerkbasierte Kunst‹ verwendet. Im Kontext dieses Beitrags ist damit eine Kunstform angesprochen, die bereits vor dem Internet entstanden ist. Auch der Begriff ›Net Art‹ bzw. ›Netz-Kunst‹ wird mitunter als Sammelbegriff für alle künstlerischen Arbeiten verwendet, die mit analogen wie auch digitalen Netzen bzw. Netzwerken operieren (beispielsweise Post, ISDN, Mobilfunk, Internet), im Deutschen wird er jedoch insbesondere mit internetbasierten Kunstformen in Verbindung gebracht. Einige der in diesem Beitrag besprochenen Kunstformen sind so stark durch die englischen Begriffe geprägt, dass auf die Übersetzung verzichtet wird (beispielsweise Mail Art, Satellite Art etc.). Einige Zitate wurden von der Autorin aus dem Japanischen ins Englische übertragen, sie wurden nicht ins Deutsche übersetzt, auch die englischen Titel der Netzwerk-Projekte in Fukui wurden beibehalten.] 2  K  atsuhiro Yamaguchi: Video, its world of diverse messages. In: Euro-Japanische Gesellschaft Tokyo (Hg.): Videokunst aus Deutschland und Japan. Wege zu neuen Erkenntnissen. Tokyo: Galerie Maki in Kanda 1978. 3  [ Für die europäische Ausführung des Electronic Café International, von der hier die Rede ist, wurde sowohl die Bezeichnung ECI als auch Mobile ECI gewählt. In diesem Band werden ebenso beide Varianten verwendet, Anmerkung der Herausgeberin, J.N.]

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den Festivals in Fukui statt – der Fukui International Video Biennale (FIVB) und des Fukui International Youth Media Art Festival (FIYMF)4. Das Mobile ECI tourte durch europäische Städte, zu Festivals und Ausstellungen und war beispielsweise innerhalb der documenta 9 (1992) und der 45. Biennale di Venezia (1993) zu sehen. Yamamoto ist zwar bekannt als Pionier der japanischen Videokunst, weniger jedoch als ein Künstler, der seit den späten 1980er-Jahren in die netzwerkbasierte Kunst involviert war. Auch hat er zur Weiterentwicklung von Video- und Medienkunst in Japan beigetragen – als deren Vermittler und Lehrer wie auch als Gründer der beiden Festivals in Fukui. Innerhalb dieses Beitrags werde ich auf der Basis von Archivmaterial der Stiftung imai Yamamotos Aktivitäten innerhalb der netzwerkbasierten Kunst rekonstruieren, für die die Freundschaft und Zusammenarbeit mit Axel Wirths eine wichtige Rolle gespielt hat.

1. Über die beiden Festivals Die Fukui International Video Biennale (FIVB) und das Fukui International Youth Media Art Festival (FIYMF) waren die im Halbjahresrhythmus stattfindenden japanischen Festivals für Video- und Medienkunst in der Präfektur Fukui, die zu dem japanischen Verwaltungsbezirk Hokuriku gehört; von 1985 bis 1999 fanden sie regelmäßig im Wechsel statt. FIVB war ein Festival, das Arbeiten von international anerkannten Künstler*innen zeigte, während das FIYMF zum Zweck der Nachwuchsförderung hauptsächlich Arbeiten von japanischen Studierenden und jungen, noch nicht etablierten Künstler*innen präsentierte. Zwar enthielt das eine Festival im Titel den Begriff ›Video‹, das andere den Begriff ›Media Art‹, doch zeigten – abgesehen von der ersten FIVB (1985)5 – beide Veranstaltungen Einkanalvideos, Installationen, Performances etc. und es gab keinen signifikanten Unterschied zwischen den innerhalb der Festivals präsentierten Medienformen. Organisiert wurde die FIVB von lokal ansässigen engagierten Künstlern wie Keigo Yamamoto und Testuro Hatano. Und auch andere Künstler*innen waren bestrebt, die erste FIVB auf die Beine zu stellen und kontinuierlich weiterzuführen, beispielsweise Fujiko Nakaya, Toshio Matsumoto und Katsuhiro Yamaguchi. 4  I n diesem Text werden für die beiden Festivals zum Teil die Abkürzungen verwendet (xxth FIVB (19xx) and xxth FIYMF (19xx)). Die FIVB hat ihren Namen zweimal gewechselt. Die erste FIVB (1985) trug noch den Titel Fukui International Video ’85 Festival, von der zweiten FIVB (1988) bis zur sechsten FIVB (1995) wurde der Titel Fukui International Video Biennale verwendet, die siebte und achte FIVB (1997, 1998) hießen Fukui Biennale. 5  D  ie erste FIVB (1985) präsentierte nur Einkanalvideoarbeiten von etablierten Videokünstler*innen aus Kanada, Frankreich, Deutschland, Niederlande, USA, Jugoslawien und Japan. Die Vorbereitungszeit für die erste FIVB betrug nur wenige Monate, so Keigo Yamamoto.

Netzwerk-Kunst | Network Art |ネットワーク芸術 in Fukui 1990-1993

Im Jahr 1985 fand neben der ersten FIVB auch die internationale Ausstellung Tsukuba Science Expo statt, die das Auf kommen der japanischen ›bubble economy‹6 repräsentierte. Im gleichen Jahr gründete sich die Tokyo International Video Biennale.7 Diese Entwicklungen in Japan trafen zusammen mit dem Beginn verschiedener Video- und Medienkunst-Festivals in Europa um 1985, beispielsweise der Videonale in Bonn (1984 bis heute), dem Video Film Fest in Berlin (1988-1996, Vorläufer der Transmediale) und dem World Wide Video Festival in Den Haag (1982-2004, Vorläufer von World Wide), um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Darüber hinaus fingen einige Experimentalfilm-Festivals an, Videoarbeiten zu zeigen und in diesem Zuge auch ihre Namen zu ändern, so zum Beispiel der Experimentalfilm-Workshop in Osnabrück (1982-1987) als Vorläufer des heutigen European Media Art Festivals (EMAF). Video- und Medienkunstfestivals fanden seit Mitte der 1980er-Jahre weltweit Beachtung und die Video- und Medienkunst entwickelte ihre eigenen Positionen innerhalb und außerhalb des etablierten Kunstbetriebs. Barbara J. London, Kuratorin der Abteilung Media and Performance Art im Museum of Modern Art (MoMA) in New York, war eine Schlüsselfigur für den Brückenschlag zwischen den Videokunstszenen in Japan und in den USA. Sie kuratierte 1979 die Ausstellung Video from Tokyo to Fukui and Kyoto im MoMA und zeigte einen Überblick von Videokunst aus Japan, wobei sie alle für die Produktion von Videokunst in den 1970er-Jahren entscheidenden Städte mitberücksichtigte. Dass Tokio und Kyoto Städte waren, in denen zu dieser Zeit eine Videokunstszene existierte, war ganz offensichtlich. Doch warum auch in einer kleinen Stadt wie Fukui? Dafür gab es zwei Gründe: zum einen das Engagement von Keigo Yamamoto, zum anderen das Fukui Fine Arts Museum, das im Jahr 1977 eröffnet worden war und als Museum mit Pioniergeist Ausstellungen zu Videokunst und experimentellem Animationsfilm veranstaltete. Yamamoto spielte nicht nur eine wichtige Rolle für die beiden oben genannten Festivals, sondern auch als Experte und führender Kopf im Hintergrund der ersten Videokunst-Ausstellung in einem japanischen Museum im Jahr 1977. Sie trug den Titel Videokunst aus Deutschland und Japan: Wege zu neuen Erkenntnissen8 und 6  D  ie japanische Bubble Economy, genannt バブル景気 (Baburu-Keiki), bezeichnet den wirtschaftlichen Zustand in Japan von Mitte der 1980er-Jahre bis in die frühen 1990er-Jahre, in dem Immobilien- und Aktienmarktpreise stark erhöht waren. 7  D  ie Tokyo International Video Biennale fand insgesamt zweimal statt, 1985 und 1987. Zusätzlich dazu fand in Tokio seit 1987 insgesamt dreimal das Video Television Festival statt. 8  E s handelte sich dabei um eine Wanderausstellung. Sie tourte 1977 nach Fukuoka und nach Fukui und 1978 nach Miyazaki und Tokio. Keigo Yamamoto konnte seine Arbeiten in der Ausstellung in Fukui aufgrund eines Protests aus dem Kunstkontext stammender Einheimischer nicht zeigen. Ausgestellt wurden Arbeiten deutscher und japanischer Künstler*innen (Joseph Beuys, Rebec-

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gezeigt wurden Arbeiten japanischer wie auch deutscher Künstler*innen. Veranstaltungen dieser Art wurden zu wichtigen Bühnen für die japanische Video- und Medienkunst und auch für die dynamischere Vernetzung mit anderen Ländern, was auch bedeutete, den Blick nicht nur auf Nordamerika, sondern ebenso auf Europa zu richten.9

2. Keigo Yamamoto und Axel Wirths Nachdem sein Einkanalvideo Hand im Rahmen der documenta 6 in Kassel präsentiert worden war, reiste Keigo Yamamoto von Zeit zu Zeit nach Deutschland. Er wurde zur zweiten und dritten Videonale (1986 und 1988) nach Bonn eingeladen wie auch zu der Ausstellung Video Skulptur: retrospektiv und aktuell 1963-1989, kuratiert von Wulf Herzogenrath im Jahr 1989. Auch die zweite und dritte Ausgabe des Video-Magazins Infermental10 (1982/1983/1984) enthält Videoarbeiten von ihm.

ca Horn, Wolf Kahlen, Friederike Pezold, Ulrike Rosenbach, Ulrich Rückriem, Sakumi Hagiwara, Nobuhiro Kawanaka, Hakudo Kobayashi, Shoji Matsumoto, Toshio Matsumoto, Yoshio Uemura, Katsuhiro Yamaguchi und Keigo Yamamoto). Die Ausstellung fand nach der documenta 6 (1977) statt und man revanchierte sich damit gewissermaßen gegenüber Westdeutschland. Der erste Kontakt zwischen Japan und Deutschland hinsichtlich Videokunst hatte seine Wurzeln im Goethe-Institut in Osaka, dem man anbot, für die documenta 6 eine Auswahl von Einkanalvideoarbeiten japanischer Künstler*innen zusammenzustellen. Das Goethe-Institut sendete daraufhin ausgewählte Werke nach Deutschland, von denen jedoch nur die eine Arbeit Hand (1976) von Keigo Yamamoto in die Ausstellung gelangte, und zwar in der Unterkategorie Videothek.  ie japanische Videokunst war stark beeinflusst durch Nordamerika. Eine symbolische Anek9  D dote ist, dass Michel Goldberg, Gründer von Video Inn in Vancouver, ein ›schwarzes Loch‹ in der internationalen Videokunst-Landkarte fand. Dieses ›schwarze Loch‹ meinte ausgerechnet das Land, in dem Sony beheimatet war. Er entdeckte überraschenderweise, dass die sogenannte Videokunst bis dato in Japan nicht wahrgenommen worden war, und organisierte 1972 mit japanischen Künstler*innen die Ausstellung The First Video Communication: Do It Yourself Kit im Ginza-Sony-Gebäude in Tokio. Dass alle Videokünstler*innen in dieser Zeit Geräte von Sony benutzten, weckte auch bei Barbara J. London von Anfang an das Interesse an japanischer Videokunst, wie sie mir während der Konferenz Video Matters in Aachen (2015) berichtete. 10  D  as Video-Magazin Infermental ist zwischen 1982 bis 1991 in insgesamt zehn Ausgaben wie auch einer Sonderedition erschienen, wobei die Länder, in denen es erschien, wie auch die internationalen Herausgeber*innen jeweils wechselten. Diese gaben ein Thema und eigene Richtlinien vor und wählten auf der Basis eines internationalen, offenen Bewerbungsverfahrens Arbeiten aus. Infermental besteht insgesamt aus mehreren U-matic-Bändern, die 40-100 Arbeiten umfassen und insgesamt vier bis sieben Stunden lang sind, darüber hinaus gibt es ein Booklet.

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Abb. 1: (links) Keigo Yamamoto: Hand No. 2 (1976), Einkanalvideo; (rechts) Keigo Yamamoto: Hand (1977), Ausstellungsansicht aus dem National Museum of Modern Art Kyoto (1977)

Wirft man einen Blick in das Archiv der Stiftung imai, lassen sich Yamamotos Aktivitäten und sein größeres Interesse an netzwerkbasierter Kunst als an Einkanalvideoarbeiten nachverfolgen. Ein Beispiel: The Burning Sea (seit 1986) war eine Videoperformance, an der die Zuschauer*innen in Echtzeit teilhaben konnten. The Burning Sea No. 211 wurde 1987 im Annex Nagoya öf fentlich präsentiert, The Burning Sea No. 312 zeigte man im Rahmen der 3. Videonale (Bonn 1988) im Japanischen Kulturinstitut in Köln. Auch ist auf die Crossing-Serien (seit 1988) hinzuweisen, die Yamamoto »Video & Sound Performances« nannte; sein Art Crossing Event, für das er FPU (Field Pickup Unit)13 nutzte, fand im gleichen Jahr im Rahmen der Eröffnung des Nagoya City Art Museum statt, und Image Crossing No. 214, bei dem mit ISDN gearbeitet wurde, zeigte er 1989 im Museum of Modern Art in Toyama. Yamamotos Interesse an interaktiven und netzwerkbasierten Kunstformen wird an diesen VideoPerformance-Arbeiten ebenso deutlich wie in seinen frühen Video-Installationen.

11  Video-Dokumentation aus dem Archiv der Stiftung imai. 12  Video-Dokumentation aus dem Archiv der Stiftung imai. 13  D  er Richtfunk ist ein Kommunikationssystem, das ein Bündel von Radiowellen in der Reichweite der Mikrowellenfrequenz benutzt, um Video, Audio oder Daten zwischen zwei Orten zu übertragen, die nur einige Schritte, Meter oder bis zu mehreren Kilometern voneinander entfernt sein können. Dieses System wird überwiegend für Liveübertragungen benutzt. Wikipedia, https://en.wikipedia.org/wiki/Microwave_transmission (24.02.2017). 14  Video-Dokumentation aus dem Archiv der Stiftung imai.

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Abb. 2: Keigo Yamamoto: Art Crossing Event im Nagoya City Art Museum (1988)

Zu vermuten ist, dass der Kontakt zwischen Yamamoto und Wirths durch die häufigen Gelegenheiten, bei denen Yamamotos Arbeiten in Deutschland zu sehen waren, in den späten 1980er-Jahren begonnen hat. Im Jahr 1989 lud Wirths ihn mit seiner Arbeit The Creation (Mystic TV) No. 2 (1989) zu der Ausstellung ORNAMENTA im Schmuckmuseum in Pforzheim ein; seit 1991 haben sie im Rahmen der Organisation des Mobile Electronic Café International und der Network Art zusammengearbeitet. Meine Recherche im Archiv der Stiftung imai lässt die Verbindung zwischen Yamamoto und Wirths als eine Kooperation auf der Basis gemeinsamer Interessen erscheinen und gestaltet sich weniger als typische Beziehung zwischen einem Videokünstler und seinem Kurator bzw. Vertriebshändler. Beide suchten nach alternativen Orten und Räumen und waren beeinf lusst von bestimmten kulturellen und sozialen Entwicklungen – Yamamoto durch die japanische Gegenkultur der 1960er- und 70er-, Wirths durch die Post-Punk-Bewegung der 1980er-Jahre in Deutschland. Ihre Zusammenarbeit intensivierte sich in besonderem Maße durch die Projekte Network Art und Mobile ECI und symbolisiert damit die zentralen Elemente dieser Projekte: ein Netzwerk zwischen weit voneinander entfernten Orten über einen begrenzten Zeitraum.

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3. Über Network Art und Mobile Electronic Café International im Zeitalter vor dem Internet Einer der bemerkenswertesten Aspekte der beiden oben besprochenen Festivals in Fukui war, wie viele netzwerkbasierte Projekte dort stattgefunden haben, von denen drei verschiedene Arten zu unterscheiden sind: Satellite Art, Network Art und Tel-Image, die Kommunikationstechnologien wie Satellit und ISDN nutzten. Satellite-Art-Projekte beinhalteten Live-Performances, die mit Rundfunksatelliten15 übertragen und mit dem Ziel des kulturellen Austauschs zwischen Fukui und der Partnerstadt New Brunswick in den USA entwickelt wurden. Sie tauschten Musik, Schreibkunst etc. aus und nutzten die Bluescreen-Technik; visuelle Effekte und die Bürgermeister beider Städte erschienen auf dem Bildschirm. Sehr bekannte ähnliche Kunstprojekte sind Good Morning, Mr. Orwell (1984) und Bye Bye Kipling (1986) von Nam June Paik. Netzwerk-Kunst und Tel-Image-Projekte waren geschickt darin, das zu jener Zeit neue ISDN-System für sich zu nutzen, das man in Japan ab 1988 verwenden konnte.16 Ersteres war ein performatives Projekt zum Austausch unbewegter und bewegter Bilder und Sounds in Echtzeit, Zweiteres war ein Aufruf zum öffentlichen Wettbewerb (open call competition) und eine Vorführung, deren gesamter Prozess – das heißt Bewerbung, Auswahl und Ausstellung – über das ISDNNetzwerk ausgeführt wurde. Jedes dieser Projekte wurde nach den Ideen und Vorschlägen von Yamamoto realisiert. Seine netzwerkbasierten Projekte können als Experimente in der ›Morgendämmerung‹ der internetbasierten Netzkunst angesehen werden, die dann Mitte der 1990er-Jahre populär wurde. Die NetzwerkKunst der drei oben genannten Formen war das weiter reichende und experimentellere internationale Projekt innerhalb der beiden Festivals. Network Art wurde von 1990 bis 1993 insgesamt vier Mal organisiert, davon 1991, 1992 und 1993 in Zusammenarbeit mit 235 Media.

15  I n Japan wurde der erste Rundfunksatellit 1984 eingesetzt, und zwar von NHK (Nippon Housou Kyokai, offizieller englischer Name: Japan Broadcasting Corporation). 16  1 985 wurden in Japan die Gesetze für die Telekommunikation überarbeitet, gleichzeitig wurde die Nippon Telegraph and Telephone (NTT) entstaatlicht. Diese Veränderung brachte eine Liberalisierung der Telekommunikation mit sich, neue Unternehmen nahmen das Geschäft auf und boten Server für die PC-Kommunikation an. Die Anzahl der Nutzer*innen stieg stetig an, seit die Nippon Telegraph and Telephone Corporation, die zuvor eine staatliche Einrichtung gewesen war, 1988 erstmalig ISDN einrichtete, und erreichte im Jahr 1996 über drei Millionen. Nichtsdestotrotz war die Nutzung von ISDN nach Mitte der 1990er-Jahre aufgrund der wachsenden Popularität des Internets und des Mobilfunks rückläufig. ISDN wird heute in begrenztem Umfang genutzt und es kann festgehalten werden, dass es im Ergebnis ein kurzlebiges Telekommunikationssystem war.

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Alle drei Netzwerk-Kunst-Projekte, die zusammen mit 235 Media realisiert wurden, waren Teil des Projekts Electronic Café International (ECI), das 1984 ursprünglich von Kit Galloway und Sherrie Rabinowitz als Electronic Café initiiert worden war.17 Das Electronic Café war wie ein »Prototyp aller Internetcafés, und dies lange vor dem Internetboom der 1990er Jahre«18, und es war – wie eine Open Source – in der Lage, seine Ideen und Methoden mit allen zu teilen und weiterzuentwickeln, die dem Konzept des Electronic Café folgten. Das ECI war ein Beispiel für das internationale Netzwerken über Fax, SlowScan-TV (Picture Phone), ISDN etc. in den späten 1980er-Jahren.19 235 Media entwickelte den spezifischen Titel Mobile Electronic Café International (Mobile ECI) und fügte dem Projekt damit das Konzept der Mobilität hinzu. Es gibt gute Gründe dafür, anzunehmen, dass das Konzept der ›Mobilität‹ für das ECI von einem anderen europäischen netzwerkbasierten Projekt inspiriert ist: Wie bereits in vorangegangenen Kapiteln angesprochen, führte Minus Delta t für seine Reise von Europa nach Asien (das Bangkok-Projekt) ein ›mobiles Studio‹ mit sich, das mit Video-, Sound- und Computertechnologie ausgestattet war, um via Telex, Datex und Telefon nach Europa zu kommunizieren.20 Später hat die Gruppe damit begonnen, in Kooperation mit FRIGO aus Lyon Rundfunk und Kabelfernsehen21 für seine Aktivitäten zu nutzen, wofür ein Bus – der Ponton Media Bus – und ein Container verwendet wurden. 1985 kooperierte 235 Media innerhalb des Europe Media Art Network mit den Gruppen und beteiligte sich an dem Projekt Ponton Media Bus bei der documenta 8 (1987) wie auch an dem Ponton European Mobile Art Project bei der dritten Videonale in Bonn (1988).22 17  E s war 1984 Teil des Los Angeles Olympic Arts Festivals. www.ecafe.com/museum/hilites/1984. html (09.06.2016). 18  I nke Arns: Interaktion, Partizipation, Vernetzung. Kunst und Telekommunikation. In: www.medienkunstnetz.de/themen/medienkunst_im_ueberblick/kommunikation/1/ (03.10.2016). 19  » 1989 The Electronic Café project becomes the Electronic Café International with the formal launch of the ECI in Santa Monica and Paris«, www.ecafe.com/museum/hilites/1989.html (18.12.2015). 20  V  gl. Petra Unnützer (Hg.): 3. Videonale. Bonn: Videonale e.V. 1988, S. 161. Inke Arns schreibt, es scheine so, als ob »Projekte wie Minus Delta t, Radio Subcom, Ponton/Van Gogh TV und das Kunst-Raum-Schiff MS Stubnitz ihre aufwändig ausgestatteten Medienlabore in Bussen, Containern, auf LKWs und Hochseeschiffen in Ermangelung digitaler Netze auf die Reise schicken. Motiviert wurden diese Gruppen jedoch vor allem von der Idee kommunikativer, zwischenmenschlicher Vernetzung.« Arns: Interaktion, Partizipation, Vernetzung. Kunst und Telekommunikation, o.S. 21  W  ie Videokünstler*innen herausgefunden haben, ist der ›demokratische Zugang‹ über eine Kabelverbindung (Kabelfernsehen) anders zu beurteilen als der Zugang über den Äther bzw. Wellen. Überdies ist der Blick auf das Potenzial von Netzwerken zu richten, die das ›globale Dorf‹ vor dem Aufkommen von Internet und Computer mitgestaltet haben. 22  Vgl. Unnützer: 3. Videonale, S. 155-163.

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Vor seinen Network Art-Projekten war Yamamoto bereits in ein ähnliches Projekt involviert mit dem Titel Encounter Between Japanese Paper and Electronic Media: Fukui-Kyoto-Tokyo Network Art Event (1989), bei dem über ISDN eine Verbindung zwischen japanischen Städten hergestellt wurde. Yamamotos Interesse an Telekommunikation kann bereits in seinen Mail-ArtArbeiten23 aus den 1970er-Jahren gefunden werden. Auch interessierte er sich für interaktive Arbeiten mit Beteiligung der Zuschauer*innen. Das Potenzial von Interaktivität und Networking zeigen seine dafür repräsentativen Arbeiten Video Game »Gomokunarabe« (1973) und Between Sound & Sound #2 (1986). Er bemerkte, dass diese performativen Installationen zu einem mit Satelliten hergestellten Netzwerk verbunden sein sollten, an dem man sich von verschiedenen voneinander entfernten Orten beteiligen können sollte.24 Bezogen auf vorangegangene Performances wie Confirmation of Doing No. 1 (1971-1972) und Mimic (1973) lässt sich sagen, dass er nach Lücken der Erkenntnis, nach gemeinsamer Zeit und gemeinsamen Räumen für Menschen suchte. Hisanori Gogota, Kurator des Fukui Fine Arts Museum und des NTT Inter Communication Center (ICC), schrieb über diese Thematik: »The themes of Yamamoto’s performance works reveal time lag and time delaying which various technologies and media try to hide. Such mechanical and physical delaying is being minimized and it becomes goal for technology itself.«25

4. Überblick über die Netzwerk-Kunst-Projekte Es liegt auf der Hand, dass netzwerkbasierte Kunst – sogenannte Satellite Art, Telematic Art oder Telecommunication Art – von den 1970er- bis in die Mitte der 1990er-Jahre hinein im Kontext der Netzkunst betrachtet werden muss.26 Der signifikante Unterschied zwischen Netzkunst im World Wide Web und Netzwerk-Kunst im Prä-Internet-Zeitalter ist das Ausmaß der Telekommunika23  E r nahm gelegentlich an Ausstellungen teil, die sich mit Mail Art beschäftigten, wie zum Beispiel: Art in the mail (1976, Manawatu Gallery, New Zealand), Mail Art: Italy and Japan (1979, Centro Culturale Italo Giapponese, Japan), Mail Art Slide (1983, Plag la T, Danmark), Mail Art (1982, C.D.O, Italy), Mail Art Show (1983, Galerie Desenta, Indonesia). 24  K  eigo Yamamoto: Moving Image and Museum in the B-ISDN age. In: Kino Review (木野評論), Nr. 34, 2003, S. 46-53, hier S. 48 (dieser Text wurde von der Autorin aus dem Japanischen ins Englische übersetzt). 25  H  isanori Gogota (Hg.): Aspects of Fukui Contemporary Art, Nr. 3, 1992, Themenheft zu Keigo Yamamoto, S. 7. 26  W  enn wir Netzkunst als etwas ansehen, das durch die Telekommunikationstechnologie geschaffen wurde, durch ein System also, das den Zweck des Informationsaustauschs hatte, können wir den Ursprung der Netzkunst zurückverfolgen bis zur Mail Art in den 1960er-Jahren oder zu Projekten, die Fax und Telefon seit dieser Zeit verwendeten.

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tionsmöglichkeiten. Ersteres beinhaltet, dass Nutzer, die über internetfähige Geräte verfügen, unabhängig vom Server Zugang zu allen Netzwerken haben, Zweiteres ist ein geschlossenes Netzwerk zwischen einer begrenzten Anzahl von Servern bzw. Stationen und Nutzern. Anders als die meiste Netzkunst, die eine fortwährend ›lebendig‹ bleibende Arbeit innerhalb des Internets ermöglicht und Räume für Netzwerke eröffnet, verbleiben netzwerkbasierte Projekte vor dem Internetzeitalter in einem geschlossenen Netzwerk und sind nur aktiv, solange das Netzwerk ›on-line‹ bzw. ›on-air‹ ist. Das bedeutet, ihnen ist das Ende – der mediale ›Tod‹ – von Beginn an eingeschrieben. Diese Projekte können als Repräsentationen des geschlossenen und zeitlich begrenzten Netzwerks angesehen werden. Im Folgenden skizziere ich die insgesamt vier Netzwerk-Kunst-Projekte27 innerhalb der beiden Festivals.

4.1 Das erste FIYMF (1990) Japan–France Network Art via ISDN: Persona and Body Die internationale Einrichtung von ISDN begann im Jahr 1989 zwischen Japan, England und den USA. Im Jahr 1990, dem Jahr der ›Eröffnung‹ des ISDN-Netzwerks zwischen Japan und Frankreich, fand im Rahmen des ersten FIYMF auch das erste Network-Art-Projekt statt. Das Projekt organisierte sowohl die inländischen wie auch die internationalen Versionen. Erstere waren Netzwerke zwischen japanischen Städten – Fukui, Tokio und Nagoya –, Zweitere waren Verbindungen zwischen diesen drei japanischen Städten und Nancy in Frankreich. Alle Stationen des Projekts mit einem ISDN-Zugang in Japan waren in Zero-OneShops lokalisiert, einem seit 1992 existierenden exklusiven Handel für Apple-Computer. Yamamoto beschrieb die Methode des Projekts als Renga (連歌)28, dies ist ein Genre japanischer gemeinschaftlicher Dichtkunst (›Kettengedicht‹). Ebenso wie ein Renga letztlich aus zwei Strophen verschiedener Autoren besteht, wurden Bilder via ISDN-64 über verschiedene Stationen transferiert und konnten dabei ergänzt und modifiziert werden, um schließlich das ›finale‹ Bild zu erhalten. Das Originalbild wurde bewegten und unbewegten Bildern, die mit der Videooder Digitalkamera aufgenommen worden waren, entnommen. Es wurde als

27  E in derartig internationales Projekt muss eigentlich von jedem Land beschrieben werden, um es vollständig zu erfassen. In diesem Beitrag werden die einzelnen Projekte insbesondere auf der Basis japanischer Dokumentationen beschrieben. Wie sich die Arbeit am ECI in Europa gestaltete und welche Konzepte ihr zugrunde lagen, wird ausführlich dargelegt in dem sich anschließenden Beitrag von Jessica Nitsche in diesem Band. 28  1 st Fukui International Youth Festival. Media Art Festival. Fukui: Fukui Media City Forum 1990, S. 63.

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RGB-Signal in digitale Daten umgewandelt, um auf den Computer übertragen zu werden. Yamamoto erkannte insbesondere die Hybridität zwischen analog und digital wie auch Video und Computer als Geräte, mit denen Signale transformiert werden konnten.29 Auch der Vortrag Future of Network Art von Don Foresta fand innerhalb des Begleitprogramms des ersten FIYMF am 5. November 1990 statt.

4.2 Die vierte FIVB (1991) Japan–France–Germany Network Art: Ecology Abb. 3: Fukui Station in Phenix Plaza (1991)

Im April 1991 wurde das internationale ISDN-System zwischen Japan und Deutschland eingeführt. Aus diesem Anlass wurde das Projekt Japan–France–Germany Network Art: Ecology als Bestandteil der vierten FIVB realisiert. Yamamoto beschreibt das Projekt als »Art Crossing Borders«30. Diese FIVB beschäftigte sich mit der nicht mehr existierenden DDR und sozialistischen Ländern und ref lektierte den sich verändernden politischen Hintergrund nach dem Ende des Kalten Krieges. Das Ende des Fernsehmonopols nahte und die Dominanz des Internets in der Mitte der 1990er korrespondierte mit den Anfängen einer Dezentralisierung

29  Ebd. 30  K  unio Noda/Takeo Yamada (Hg.): The 4th Fukui International Video Biennale. Image Media-crossing Borders. Fukui: Fukui Media City Forum 1991, S. 111.

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internationaler politischer Beziehungen oder – in den Worten von Yamamoto – »a number of poles«31. Yamamoto ahnte bereits: »Communication will ›zeronize‹ time and space, which will connect the whole world into something like one living.«32 Nur am Rande sei bemerkt, dass Medienkunst und Netzkunst durch die mediale Dominanz des PCs auch unter Schlagworten wie Interaktivität und Multimedialität bekannt geworden sind.

4.3 Das zweite FIYMF (1992) VR Network: Sound Performance Das Projekt VR Network: Sound Performance wurde nach dem Mobile Electronic Café International auf der documenta 9 (1992) in Fukui als eine ›einheimische‹ Version organisiert. Das Mobile ECI war mit insgesamt zehn Städten international vernetzt: Kassel, Köln, Karlsruhe, Paris, Lyon, Santa Monica, New York, Lausanne, Nagoya und Fukui. Die Leiter*innen jeder Station waren Künstler*innen oder Kurator*innen wie beispielsweise Axel Wirths für Kassel, Manfred Eisenbeis für Köln, Jeffry Shaw für Karlsruhe, Don Foresta für Paris, Keigo Yamamoto für Fukui und Nagoya, um nur einige zu nennen. Von August bis September beteiligten sich zwei Stationen aus Fukui (Fukui Fine Arts Museum und Yamamotos Studio K-bit Lab) und die Station in Nagoya (Nagoya City Art Museum) mit dem Thema Spirit of the Space an dem Projekt. Prinzipiell nutzte Yamamoto die gleichen Verbindungssysteme wie unten angeführt für beide Projekte – die VR Network: Sound Performance und das Mobile ECI. Er verwendete Sound-Software wie Performer 4.0, Delux Music 2.5 oder Sound Edit J-2.0.2, M2.2, um Partituren zusammenzustellen und diese computergesteuert oder von Personen spielen zu lassen. Bezugnehmend auf die Veranstaltungsrezension von Midori Yamamoto33 nutzte Yamamoto den H-Server und die Planet Card, um sich mit dem Netzwerk zu verbinden. Solch eine neue Ausstattung realisierte eine Transformation, ohne von analog in digital zu übertragen. Dafür wurde die Bildqualität innerhalb des digitalen Bildes beibehalten. Im Gegensatz dazu nutzte er in der Station in Na31  K  eigo Yamamoto: Winds of the Media from Asia: Human Beings and Art in the B-ISDN Era. In: Timothy Druckrey (Hg.): Ars Electronica. Facing the future: a survey of two decades. Cambridge: MIT Press 1999, S. 286-291, hier S. 290, dieser Text wurde für den Katalog der Ars Electronica 1994 geschrieben. 32  Ebd., S. 286. 33  M  idori Yamamoto: ›Network Art‹ with ISDN at the Art Olympic ›Documenta‹. In: New Media, Nr. 107, H. 9, 1992, S. 72-75.

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goya einen Tintenstrahldrucker, um als finales Bild A0-Drucke zu produzieren – als würde er das digitale Bild und dessen gesamten Entstehungsprozess von dem Raum des Netzwerks in die ›reale Welt‹ transportieren. Er nutzte auch eine Software mit dem Namen ChinBook, mit der man von Nagoya aus eine Fernkontrolle der Benutzeroberf läche in Kassel durchführen konnte. Für das Mobile ECI fand ein umfangreiches Programm in verschiedenen Ländern der Welt statt, es umfasste Musik, Sound Performances, Lesungen, visuellen Austausch bis hin zu internationalen Konferenzen. Abb. 4: Verbindungsdiagramm für die VR Network: Sound Performance (1992)

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4.4 Die fünfte FIVB (1993) Network Art: Fukui, Venice, Paris, Cologne and other Auf der 45. Biennale in Venedig im Jahr 1993 entfaltete das Network-Art-Projekt, das Yamamoto seit 1990 zusammen mit Wirths und Foresta entwickelt hatte, seine gesamte performative Ausdruckskraft; es bestand aus Musik, Installation, Videokunst, Animation und unbewegten Bildern und stellte eine Verbindung zwischen insgesamt 16 internationalen Städten her. Yamamoto hatte auch beabsichtigt, als Künstler innerhalb des Network-Art-Projekts selbst neueste Arbeiten seiner Crossing-Serie zu realisieren, die er seit 1988 kontinuierlich fortführte. Die Hauptthemen34 der fünften FIVB waren: 1. Automatic performance and audience participation basierte auf der Sound Performance im Jahr 1992 und auf den Crossing-Serien von Yamamoto und führte diese weiter. 2. Creation of time and space through wind beinhaltete, dass der Wind an allen Veranstaltungsorten mithilfe von Aufnahmegeräten und Computern in Sound umgewandelt wird. 3. Morph + Installation, hier wurden Bilder – das heißt bewegte wie auch unbewegte Bilder und auch 3-D-Computergrafiken – in ihren Ordnungen umgestaltet. 4. The study of remote-controlled video camera and its artistic expression ist eine hinsichtlich ihrer Technik noch in der Entwicklung begriffene Arbeit, die Yamamoto realisieren wollte: die erweiterte Version von Image Crossing (1989).35

5. West und Ost, Pole/Stationen und mobile Bürger Wirft man einen Blick auf die Geschichte der netzwerkbasierten Kunst seit den 1970er-Jahren, so erscheinen das Projekt Network Art von Yamamoto und das Mobile ECI von Wirths zunächst nicht als bahnbrechende Neuheiten, denn sie nahmen Bezug auf bzw. erweiterten bereits existierende Projekte. Wirklich neu war jedoch die Idee von Wirths, die Konzepte ›Café‹ als ›open space‹ und ›Mobilität‹ zusammenzubringen, was innerhalb des Mobile ECI Kommunikation zu jeder Zeit und an jedem Ort ermöglichte. In den USA wurde das Mobile ECI auf der docu34  K  unio Noda (Hg.): The 5th Fukui International Video Biennale. Winds of the media from Asia. Fukui: Fukui Media City Forum 1993, S. 115. 35  S owohl Image Crossing (1989) als auch Art Crossing (1988) nutzten Telekommunikationstechnik, allerdings in einem kleineren Umfang.

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menta 9 interessanterweise beschrieben als »a traveling interactive multimedia arts telecommunications exhibition«36. Wirths beabsichtigte, das Programm für den ›electronic space‹ als Kurator zu gestalten, nicht lediglich als der Organisator eines Netzwerks. Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen, dass das Mobile ECI für Wirths nicht mehr ist als eine seiner zahlreichen Aktivitäten und Experimente innerhalb seiner Suche nach einem alternativen ›Raum für Kunst/space for art‹, die er seit Anfang der 1980er-Jahre als Produzent, Kurator, Galerist und anfangs auch als Künstler aufgenommen hat. Später, im Jahr 1999, berichtet Wirths auf der Konferenz Interaction ’99 in Gifu über seine neuen Ideen für den ›Raum für Kunst‹, den man nun innerhalb der interaktiven Kunst verorten könne oder den diese sich selbst herstelle: »It is not important any more whether the space for art locates in telematics space or not. More important thing is how (interactive) art lead us to new level of concept of individual identity and community as a vehicle.«37 Für Wirths war das Kreieren von neuem Raum für die Kunst eine wichtige Thematik – für Yamamoto war ein zentrales künstlerisches Anliegen, ein Netzwerk zwischen Ost und West zu schaffen, das die Zeit von den späten 1980ern bis Anfang der 1990er ref lektiert. Er bringt die drastischen Veränderungen der Welt nach dem Kalten Krieg mit Konf likten zwischen den westlichen und den asiatischen Ländern zusammen: »It is no exaggeration to say that the electronic wave of the Western European countries led to the demolition of socialism in the Eastern European countries. After the demolition, their politics, economy, industry, living, culture, and so on are being supported by the information of this electronic media and are searching for a new way of prosperous coexistence.«38 Yamamoto betonte ebenso sein Bemühen, inspiriert durch netzwerkbasierte Kunst von einer ›One-way‹-Kommunikation wegzukommen. Seine Aussage ist, dass nicht nur die Geschichte der japanischen Videokunst, sondern auch Japans Kulturgeschichte der Moderne durch eine ›One-way‹-Kommunikation geprägt ist, und zwar von West nach Ost. Anknüpfend daran hat er betont, wie wichtig es war, dass er seine Aktivitäten von Fukui aus weitergeführt und nicht nach Tokio verlegt hat. Denn die japanische Nachkriegs-Avantgarde-Bewegung, durch die Yamamoto geprägt ist, wendete sich gegen ein zentralisiertes System (Tokio) der Politik wie auch der Kunst. So verfolgte er mit den beiden Festivals auch die wichtige Zielsetzung, die kulturelle und künstlerische Arbeit an ihren ursprünglichen Orten beizubehalten: »With the change of the times, various f lows of culture were created. In information-oriented society where electronic media play an 36  w ww.ecafe.com/museum/hilites/1992.html (29.06.2016). 37  C  ulture Forum Executive Committee: The Art of The Interface. Documentary on the Symposium of Art and Media. Gifu 1999, S. 11. Der Katalog ist einsehbar unter: www.iamas.ac.jp/iamasbooks/ event/international-art-and-media-symposium-99/ (12.03.1019). 38  Yamamoto: Winds of the Media from Asia: Human Beings and Art in the B-ISDN Era, S. 286.

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important role, information cross the boundaries of nation, race and language, becoming a wind for two-way communication from the west to the east and from the east to the west to enhance interest in the east. This wind, however, will not continue to blow unless the ›Stations‹ and the ›Poles‹ transmitting information have powerful energy and originality.«39 Yamamoto bezeichnete einen Raum, der mit den entsprechenden Geräten für Netzwerk-Kunst ausgestattet wurde, als »Pol« oder »Station«, was so etwas war wie das Café für das ECI. Ein solcher »Pol« meint, dass eine Funktion energetische Information und Bewegung erzeugt, ebenso wie ein positiver Pol ein magnetisches Feld erzeugt. Er war der Auffassung, dass »the Network Art holds equal ›Plural poles‹ and people can face with multifactorial encounters and create polyphyletic experience via poles«40, aber der Pol war statisch, nicht beweglich oder eine individuelle Maßnahme, die später realisiert werden konnte. Heute beispielsweise können Menschen Informationen in sozialen Netzwerken (auch: SNS/Social Network Service) mithilfe des Computers oder Smartphones nahezu ohne Zeitverzögerung austauschen und teilen. Facebook, eins der bekanntesten sozialen Netzwerke, kann mit einem koexistenten Raum verglichen werden, so wie er auch durch netzwerkbasierte Projekte geschaffen wurde. Dies führt die Weitsicht von Wirths vor Augen, die der Idee zugrunde liegt, das Konzept der Mobilität mit dem ECI zu verbinden. In ähnlicher Weise sprach Jan Hoet, Kurator der documenta 9, die Projekte wie das Mobile ECI und Van Gogh TV: Piazza Virtuale. 100 Days of Interactive Art-Television beinhaltete, über neue Erfahrungen in einer »atomisierten Welt« und das »globale Dorf«, das Marshall McLuhan skizziert hatte.41 Heute ist Information innerhalb des Internets ohne Zeitverzögerung oder sonstige Lücken austauschbar. Paradoxerweise macht uns eine fortgeschrittene Netzwerktechnologie die physischen Einschränkungen des menschlichen Körpers bewusst. Im Gegensatz dazu können langsamere Netzwerktechnologien Menschen irritieren, sie jedoch auch dazu animieren, Konzepte einer idealen Welt zu gestalten. In diesem Sinne wurden die aufeinanderfolgenden Projekte von Yamamoto und Wirths in einer interessanten Zeit realisiert – in der die ISDN-Technologie ihren Höhepunkt erreicht hatte, in der das Internet langsam auf kam und in der sich alte und neue Medien mischten.

39  K  eigo Yamamoto: Adress of thanks. In: Kunio Noda (Hg.): The 5th Fukui International Video Biennale. Winds of the media from Asia. Fukui: Fukui Media City Forum 1993, S. 4. 40  Yamamoto: Moving Image and Museum in the B-ISDN age, S. 49. 41  J an Hoet: An Introduction. In: Documenta IX, Bd. 1. Stuttgart: Edition Cantz 1992, S. 17-21, hier S. 18.

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6. Adressen oder Telefonnummern als Authentizität Ein charakteristischer Aspekt der netzwerkbasierten Kunst im Zeitalter vor dem Internet war – neben Zusammenarbeit und Interaktion – die strikte Limitierung von Zeit und Datenübertragung zu jener Zeit. Die damals zentralen Probleme mit der Zeit waren die aufwendigen und langwierigen Netzwerkverbindungen und die internationalen Zeitdifferenzen. Anders als damals sind wir uns heute manchmal nicht bewusst über die verschiedenen Zeitzonen und den Datenf luss in der heutigen Internet-Welt. Daher müssen wir zu verstehen versuchen, wie faszinierend es für Leute war, als sie plötzlich – für begrenzte Zeit – eine Verbindung mit anderen Stationen irgendwo auf der Welt herstellen konnten, in diesem Fall zwischen Japan und Deutschland. Während die Telekommunikation zu jener Zeit über ISDN funktionierte, erschien Fax als das sinnvolle Medium für Text-Übertragungen. Abb. 5: Fax zwischen Casino Container in Köln und Fukui in Japan am 12. April 1992 um 13:16 Uhr

Netzwerk-Kunst schafft eine ephemere Station und Plattform für eine Zusammenarbeit, die nur möglich ist, solange alle Standorte miteinander verbunden sind, es gibt keine Garantie dafür, dass es in dieser Form wiederaufgebaut werden und wiederholt werden kann. Dennoch wurden Sound und bewegte wie auch unbewegte Bilder innerhalb des Prozesses automatisch gespeichert und innerhalb eines virtuellen Speichers auf bewahrt oder ausgedruckt und manchmal in Computernetzwerken geteilt. Dieses physische Archivmaterial wurde zu Dokumentationsmaterial und die jeweiligen verbundenen Standorte erhielten eine wichtige Authentizität für netzwerkbasierte Projekte.

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In seinem Text The Unbearable Aura of a Website. Originality in the Digital Age aus dem Jahr 2011 spricht Domenico Quaranta über die Aura einer Website und die Originalität digitaler Daten: »This ›aura‹ is the result of a unique relationship: the one between the content of the website and its location.«42 Er stellt heraus, dass die Aura in dem Moment erscheine, wenn die digitalen Daten mit URL angezeigt werden und damit der spezifische Server, auf dem die Daten gespeichert sind, visualisiert werde. Dies ist ein Ort der Aura, das ›Jetzt und Hier‹ von Netzkunst, ein digitales Medium, in dem Original und Kopie identisch sind. Dies ist – wie auf der Hand liegt – eine Rekonzeptualisierung bzw. Aktualisierung der Terminologie Walter Benjamins. Falls die Authentizität von Netzkunst in der URL zu finden ist, so könnte man annehmen, dass es die Adresse ist (in diesem Fall eine Telefonnummer), die eine physische Seite der Temporalität der Network Art in Fukui und des Mobile ECI anzeigt – als Authentizität ihrer ephemeren Räume.

Anhang zu 4.1: Das erste FIYMF (1990) Titel: Japan–France Network Art via ISDN: Persona and Body Datum: 1. und 2. November 1990, 14:00-17:00 Uhr (JST UTC+9, einheimische Version) 5. November 1990, 17:00-19:00 Uhr (JST UTC+9, internationale Version) Veranstaltungsorte: Zero-One Shop Fukui (Fukui), Zero-One Shop Shinjyuku (Tokio), Zero-One Shop Nagoya (Aichi), Nancy City Moving Image Laboratory (Nancy, France) Konzept: Don Foresta, Hiroshi Maeda, Keigo Yamamoto zu 4.2: Die vierte FIVB (1991) Titel: Japan–France–Germany Network Art: Ecology Datum: 15. August 1991, 16:00-20:00 Uhr (JST UTC+9)/9:00-13:00 Uhr (CET UTC+1) Veranstaltungsorte: Phoenix Plaza (Fukui), La Villette (Paris), Media Park (Köln) Konzept/Beteiligung: Don Foresta, Klaus vom Bruch, Axel Wirths, Eiichi Matsuki, Keigo Yamamoto Kooperation: Sony, NTT Fukui, KDD, Französische Telekom, Deutsche Telekom, Canon, Apple Computer Japan, Koyo Enterprise, Focal Point Computer, Deiden, Zero-One Shop Fukui

42  D  omenico Quaranta: The Unbearable Aura of a Website. Originality in the Digital Age. In: ders.: In Your Computer. Brescia: LINK Editions 2011, S. 157-161, hier S. 160.

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zu 4.3: Das zweite FIYMF (1992) Titel: VR Network: Sound Performance Datum: 28. Oktober bis 3. November 1992 Veranstaltungsorte: Darumaya Seibu (Fukui), Osagoe Park (Fukui) zu 4.4: Die fünfte FIVB (1993) Titel: Network Art: Fukui, Venice, Paris, Cologne and other Datum: 30. und 31. Juli, 1., 6., 7. und 8. August 1993, 17:00-20:00 Uhr (JST UTC+9), freitags für die Öffentlichkeit zugänglich Veranstaltungsorte: Fukui Fine Arts Museum (Fukui), Casino Container (The 45th Venice Biennale, Italy), am 15. und 20. Juni 1993 Musashino Art University (Tokyo), wo Yamamoto zu der Zeit als Professor tätig war, verbunden mit dem Casino Container in Köln Aus dem Englischen übersetzt von Jessica Nitsche

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Das Electronic Café International 1992 »the state of the art of network-art«1 Jessica Nitsche »Casino Container/100 Tage 1 Projekt anläßlich der documenta 9 vom 13. Juni bis 20. September ʼ92 in Kassel/mit dem Electronic Café International und Künstlern, Wissenschaftlern, Köchen, Designern und Musikern aus aller Welt/Sie können teilnehmen …«2 Dieses Zitat lässt ein partizipatorisches, interdisziplinäres wie auch aktionsorientiertes Kunstverständnis bereits erahnen und war der ›Werbeslogan‹ für das Projekt, dem ich mich in diesem Beitrag widmen werde: das mobile Electronic Café International (ECI) im Casino Container, das auf der documenta 9 erstmalig in dieser Form installiert wurde. Maßgeblich an der Leitung und Realisierung beteiligt waren 235 Media – das heißt Axel Wirths (künstlerische Leitung/Organisation) und Ulrich Leistner (Technik) –, Sabine Voggenreiter (künstlerische Leitung/ Management), Detlev Meyer Voggenreiter (künstlerische Leitung/Design und Architektur), Reinhard Müller (Design/Architektur) und Uwe Wagner (Design/ Architektur). Da es für das Sponsoring3 notwendig war, eine Firma zu gründen, wurde das Unternehmen MASA ins Leben gerufen. Kooperationspartner waren unter anderem Keigo Yamamoto (Fukui/Nagoya, Japan), Jeffrey Shaw (Karlsruhe), Manfred Eisenbeis (Köln), Don Foresta (Paris), Kit Galloway und Sherrie Rabinowitz (Santa Monica, USA). Axel Wirths bildete darüber hinaus zusammen mit Uta Brandes und Michael Erlhoff den beratenden und koordinierenden Beirat zu diesem Projekt. 1  A  xel Wirths: Artistic Electronic Networking. Experiences with the first Mobile Electronic Café International, Casino Container. In: Minna Tarkka (Hg.): ISEA. The Fifth International Symposium on Electronic Art. Lahti: University of Art and Design Helsinki UIAH 1994, S. 172. 2  K  onzeptpapier zum Casino Container/ECI, S. 2. Bei dem Konzeptpapier handelt es sich um einen bislang nicht publizierten Aktenfund im documenta-Archiv zum ECI/Casino Container (die Seitennummerierung ist daher der pdf-Datei entnommen, die der Stiftung imai zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellt wurde). Mit Dank an Gerd Mörsch (Leiter des documenta-Archivs von 2013 bis 2015), der dieses Dokument gefunden und der Stiftung imai zur Verfügung gestellt hat. 3  Die Sponsoren des Projekts waren: König Brauerei, Philip Morris und Apple Computer. Ebd., S. 12.

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1. Vorgeschichte I: Kit Galloway und Sherrie Rabinowitz: Electronic Café (Los Angeles 1984) »[…] the counterforce to the scale of destruction is the scale of communication, and […] our legacy or epitaph will be determined in many ways by our ability to creatively employ informal, multi-media, multi-cultural, conversational, telecommunications and information technologies.« 4 Die Idee eines ›elektronischen Cafés‹ wie auch dessen erste Realisierung im Jahr 1984 gehen auf Kit Galloway und Sherrie Rabinowitz zurück. Es handelte sich dabei um ein multimediales Echtzeit-Computer-/Videonetzwerk, das für die Dauer von sieben Wochen während der olympischen Sommerspiele in fünf Schnellimbiss-Restaurants wie auch im Museum of Contemporary Art in Los Angeles installiert wurde. Ausgewählt wurden Stadtteile mit ganz unterschiedlicher Bevölkerungsstruktur, um einen Austausch zwischen diesen herzustellen und um einen Eindruck von der kulturellen Vielfalt der Stadt und der Spiele erhalten zu können. Wer die Restaurants bzw. das Museum besuchte, konnte dort »mit Hilfe der Video/Computer/Robotikhardware Zeichnungen, Fotos, Gedichte oder Nachrichten austauschen«5. Galloway berichtet, »dass die Restaurantbetreiber Tische reservierten – und das in Los Angeles während der olympischen Spiele, weil sie etwas für die ›Community‹ tun wollten«6. Als Ort für die Electronic Cafés Schnellrestaurants auszuwählen, war ein wichtiger Teil des Projekts, weil diese als ein für alle zugängliches, öffentliches ›Gemeingut‹ genutzt werden sollten. Auf diese Weise wurden sie von Personen wahrgenommen und ausprobiert, die sich möglicherweise niemals in einem Museum einfinden würden. Hier zeigt sich das für die Arbeiten von Galloway und Rabinowitz typische soziale und demokratisierende

4 Kit Galloway/Sherrie Rabinowitz: The challenge: We must create at the same scale as we can destroy. A Manifesto for the original 1984 Electronic Café Network Project. www.ecafe.com/museum/about_festo/84manifesto.html. Alle Internetzugriffe in diesem Beitrag stammen, sofern nicht anders angegeben, vom 15.03.2019. 5 Hier zitiert nach www.medienkunstnetz.de/werke/electronic-cafe-project/ (dort wird als Quelle angegeben: InfoWorld, September 10, 1984); vgl. auch www.ecafe.com/1984.html. Verwiesen sei auch auf die umfassende Studie InterPARES (The International Research on Permanent Authentic Records in Electronic Systems), innerhalb derer eine Fallstudie zum Electronic Café entstanden ist. Eine übersichtliche und anschauliche Zusammenfassung der Fallstudie zum ECI mit Bildmaterial findet sich unter www.interpares.org/display_file.cfm?doc=ip2(besser)_emg2004.pdf. Sie wurde von Howard Besser (New York University) für die Jahrestagung des American Institute for Conservation of Historic and Artistic Works (Portland, Oregon 2004) angefertigt. Die Studie liefert unter anderem exakte Angaben dazu, welche Medien und Datenträger verwendet wurden. Komplett einsehbar ist sie unter www.interpares.org/ip2/ip2_case_studies.cfm?study=21. 6 Zitiert nach www.medienkunstnetz.de/werke/electronic-cafe-project/.

Das Electronic Café International 1992: »the state of the art of network-art«

Element. Sie waren nicht an »Telekommunikationsprojekten als elitären und exklusiven ›Kunstevents‹ interessiert, sondern beton[t]en das soziopolitische Engagement ihrer Projekte«7. Ein weiterer Aspekt war, die Idee des Cafés für den elektronischen Raum zu aktualisieren bzw. zu etablieren, der ebenso als Ort des kulturellen Austauschs gedacht wurde.8 Youngblood beschreibt das Electronic Café als ein »hybrides, multimediales Telekommunikationssystem«, als Besonderheit stellt er heraus, dass diese verschiedenen Technologien bis dato »noch niemals zu einem einzigen Netz zusammengeschlossen worden waren«9. Das Projekt wurde mit Mitteln des Los Angeles Museum of Contemporary Art gefördert und fand im Rahmen des Olympic Arts Festival statt. Es ist in all seinen Facetten dokumentiert auf: www.ecafe. com/museum/hilites/1984.html. Galloway und Rabinowitz haben die weltumspannende Wirkung ihrer Idee weiter mitverfolgt und sie standen mit dem ECI-Team aus Deutschland in Kontakt, was ebenso auf der genannten Homepage dokumentiert ist: »›MOBILE-ECI‹ Launched at Documenta 9, Kassel, Germany, (June 13 - Sept. 20) 100 DAYS of interactive and public participatory telecommunications events. (Yes, we were there to[o].)10 The ISDN-based ECI at Documenta 9 was a centerpiece at the worldʼs largest contemporary art exhibition. The 235 Media Art Gallery created a unique MOBILE ECI built to travel out of three industrial shipping containers. The MOBILE ECI was a traveling interactive multimedia arts telecommunications exhibition introducing cities all over Europe to the ECI concept. Collaborative international ISDN applications, and the innovative cultural possibilities of participatory multimedia cyberspace were demonstrated with link-up throughout Europe, Japan, Canada and the United States.« 11 Ihre Vision haben Galloway und Rabinowitz 1984 in einem Manifest mit dem Titel The Challenge: We must create at the same scale as we can destroy zusammengefasst. Darin geht es – wie so oft in den Avantgarden des 20. Jahrhunderts – um die Auflösung der Grenzen zwischen Kunst und Leben und um die Anforderung an den

7  I nke Arns: Interaktion, Partizipation, Vernetzung. Kunst und Telekommunikation. www.medien kunstnetz.de/themen/medienkunst_im_ueberblick/kommunikation/1/, o.S. 8  Vgl. dazu auch die Ausführungen zum Salon in Medias in diesem Beitrag. 9  G  ene Youngblood: Der virtuelle Raum. Die elektronischen Umfelder von Mobile Image. http://90.146.8.18/de/archiv_files/19862/1986b_289.pdf, S. 12. 10  w  ww.ecafe.com/1992.html (sie wurden innerhalb einer Videotelefonkonferenz am 21.06.1992 zugeschaltet). 11  Ebd.

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Künstler/die Künstlerin, unter Verwendung multimedialer Netzwerke neue Situationen und Kontexte zu produzieren, um nur einige wenige Aspekte zu nennen.12 Dass Galloway und Rabinowitz bereits zuvor Projekte realisiert hatten, die als ›Vorläufer‹13 des ECI angesehen werden können, sei nur am Rande angemerkt: Mit ihrem »›Satellite Arts Project‹, bei dem zwei Gruppen von Tänzern an verschiedenen Orten miteinander interagierten«14, waren sie bereits auf der documenta 6 (1977) vertreten, 1980 realisierten sie ein weiteres Satellitenprojekt mit dem Titel Hole in Space. Hier wurde für die Dauer von drei Tagen eine Satellitenverbindung zwischen Los Angeles und New York hergestellt, die sowohl Teleperzeption wie auch Teleaktion ermöglichte, also interaktiv angelegt war. Diese öffentliche ›Kommunikations-Skulptur‹ ermöglichte Passanten, über Bild und Ton Kontakt mit Menschen auf der jeweils anderen Seite des Kontinents aufzunehmen. Die Dramaturgie der drei Tage schildern Galloway und Rabinowitz wie folgt: »Es gab den Abend der Entdeckung, gefolgt von dem Abend der mündlich verabredeten Treffen, gefolgt schließlich am dritten Abend von einem Massenandrang und einer transkontinentalen Begegnung mit Geliebten und Familienmitgliedern, die sich zum Teil schon zwanzig Jahre nicht mehr gesehen hatten.«15 In einer Zeit, in der Skype und Videokonferenzen zu selbstverständlich genutzten Technologien gehören, lässt sich die spektakuläre Dimension dieses Projekts im Jahr 1980 nur noch erahnen. Die Projekte von Galloway und Rabinowitz sind ein eindrückliches Beispiel dafür, wie Technologien, die erst Jahrzehnte später für den privaten Gebrauch zugänglich und genutzt werden, im Feld der Kunst bereits zum Einsatz kamen. Doch für diesen Kontext ist der frühe Zeitpunkt hervorzuheben, denn in größerem Umfang entstanden künstlerische Konzepte technologischer Interaktivität erst in den 1990er-Jahren. 235 Media und die weiteren Mitglieder der Kölner Gruppe, die 1992 das ECI für Kassel realisierte, standen in der Planungsphase in Kontakt mit Galloway und Rabinowitz, auch wurden die beiden in einer von Axel Wirths und Meyer Voggenreiter moderierten Videotelefonkonferenz während der documenta zugeschaltet.16 Obschon die Grundidee des ECI wie auch dessen Name übernommen wurden, möchte ich dafür plädieren, das in Kassel und später in Venedig und Köln im Casino Container installierte ECI als eigenständiges Projekt anzusehen. Denn es 12  D  as komplette Manifest ist nachzulesen unter www.ecafe.com/museum/about_festo/84manifesto.html. 13  A  uf ihrer Homepage stellen Galloway und Rabinowitz eine kleine Early History of Electronic Café vor, vgl. www.ecafe.com/museum/vintageeci/vintageeci.html. 14  Arns: Interaktion, Partizipation, Vernetzung. Kunst und Telekommunikation, o.S. 15  Zitiert nach www.medienkunstnetz.de/werke/hole-in-space/. 16  D  iese Videotelefonkonferenz fand am 21.06.1992 im ECI in Kassel statt und ist vollständig filmisch dokumentiert, sie befindet sich im Archiv der Stiftung imai.

Das Electronic Café International 1992: »the state of the art of network-art«

wurde in seiner 90er-Jahre-Version so signifikant erweitert und verändert, dass es zu kurz greifen würde, es auf eine Variante seines Namenspatrons aus Kalifornien zu reduzieren. Auch dem ECI-Team aus Köln war es (insbesondere retrospektiv) wichtig, die Differenz zu ihrem kalifornischen Vorläufer deutlich zu machen wie Selbstständigkeit zu demonstrieren. Daher wurde für die europäische Realisierung mitunter die Bezeichnung Mobile Electronic Café International (Mobile ECI) gewählt;17 auch wurden ECI und Casino Container zum Teil synonym verwendet. Die Bezeichnungen sind folglich nicht einheitlich, daher sei darauf hingewiesen, dass mit ECI, Casino Container und Mobile ECI jeweils das gleiche Projekt gemeint ist.18

2. Electronic Café International und Casino Container in Kassel — Idee und Konzeption »Die Nutzer ›lungern im elektronischen Raum herum‹, so wie es die Dadaisten und Surrealisten in den Pariser Cafés der zwanziger Jahre taten.« 19 Das im Konzeptpapier formulierte Anliegen war, zur documenta 9 einen »meeting point« zu schaffen, »der mit einem entsprechenden Aktionsprogramm unterhaltsam und interaktiv einen angemessenen Rahmen entfaltet. […] Das Aktionsprogramm soll sich dabei auch mit Grenzbereichen der Kunst, wie Photographie, den neuen Medien, Design, Musik und ihren darstellenden Formen wie Performance beschäftigen […].«20 Darüber hinaus sollte das Programm Radio, Installationen, eine Aktionszeitung, Konzerte, Theaterveranstaltungen, Lesungen, Diskussionen, Talkshows, Tagungen und Ausstellungen enthalten.21 Für die Gestaltung des Ortes, der hier entstehen sollte, orientierte man sich nicht an dem für die Kunst traditionellen Ort des Museums, sondern an der Tradition der Künstlercafés. Es ging darum, einen Raum zu schaffen, in dem man sich gerne auf hielt, in dem auch gegessen und getrunken werden konnte,22 in

17  V  gl. dazu auch den Beitrag Netzwerk-Kunst | Network Art |ネットワーク芸術 innerhalb der Festivals in Fukui 1990-1993 von Hiroko Kimura- Myokam in diesem Band. 18  I ch selbst verwende im Folgenden die Bezeichnung Electronic Café International für das Gesamtprojekt und Casino Container als Bezeichnung für dessen architektonischen Raum. 19  Youngblood: Der virtuelle Raum. Die elektronischen Umfelder von Mobile Image, S. 13. 20  Konzeptpapier zum Casino Container/ECI, S. 3. 21  D  em Konzeptpapier ist ein ausführlicher Plan der geplanten Aktionen beigefügt, auf einige von ihnen und deren Realisierung werde ich an späterer Stelle konkret eingehen. Ebd., S. 9 und 13-22. 22  » Künstler kochen im Casino Container. Die Container/Gastronomie ist kontinuierlicher Programmpunkt. 10-15 Künstler kreieren zu bestimmten Themen Menues. Hierzu wird von

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dem Veranstaltungen unterschiedlichster Art stattfanden und in dem man sich ›vernetzen‹ konnte. Der Unterschied zum traditionellen Café bestand darin, dass diese Vernetzung nicht nur unter den körperlich Anwesenden stattfinden, sondern dass virtuelle Kommunikationsmöglichkeiten auf dem damals aktuellsten Stand der Technik geschaffen werden sollten. Dies bedeutete bereits Anfang der 90er-Jahre eine weltweite Vernetzungsmöglichkeit und bildete (unter anderen technischen Voraussetzungen) einen Anfang von dem, was später als weltweites Netz(werk) genau diesen Namen erhalten sollte: World Wide Web. Im Konzept liest sich dieses Anliegen so: »Da sich schon immer Kunst und Leben im Café verbunden haben, ist die Idee, einen mobilen und medial vernetzten Café-Container mitten in das documenta-Geschehen zu stellen und über ein offenes Aktionskonzept die Kunst zu einem interaktiven Prozeß zu gestalten. […] Ziel und Thema des Gesamtprojekts ist die Kommunikation. Von daher ist die Programmausrichtung primär medial orientiert. Mediales Kunstwirken wird dabei über den Einsatz der entsprechenden Kommunikationsmittel wie Zeitung, Radio, TV und Electronic Café International stattfinden.«23 Das ECI sollte in der oberen Etage des Casino Containers als »permanent eingerichtetes multimediales Café« installiert werden, in dem die Kommunikation »ihre Erweiterung durch interaktive Kommunikation über eine Vernetzung mit anderen ECI in aller Welt« findet.24 Konkret sollte sich dies wie folgt gestalten und wurde auch genau so realisiert: »Ausgestattet mit allen Möglichkeiten der modernen Informationsvermittlung wie Videokamera, Videostillkamera, digitaler Tonaufnahme, Bildbearbeitungscomputer, Scanner etc., kann das ECI unter Anleitung eines künstlerischen Operators von jedermann genutzt werden. Hierbei können Botschaften, Texte, Bilder, Musik, Unterhaltungen nicht nur ausgetauscht, sondern auch zusammen entwickelt und präsentiert werden. Es können Treffs arrangiert werden, Parties gefeiert werden, Globaltalkshows, interaktive Gameshows oder internationale Pressekonferenzen abgehalten werden. Vielfältige Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den anderen Aktionskonzepten sind somit möglich, z.B. die Zusammenarbeit mit Presse, TV- und Radiosendern oder auch die Durchführung weltumspannender Diskussionen. Durch die revolutionierenden neuen Möglichkeiten der Kommunikationstechnologie, insbesondere die weltweite Einführung des ISDN-Telefonnetzes, ist eine direkte Verbindung, vom meeting point aus, zu fast jedem beliebigen Ort auf dem Globus möglich.«25 Manfred Schneckenburger ein Kochbuch herausgegeben.« Ebd., S. 9 (die Existenz eines solchen Kochbuchs konnte nicht verifiziert werden). 23  Ebd., S. 3 und 9. 24  Ebd., S. 7. 25  Ebd.

Das Electronic Café International 1992: »the state of the art of network-art«

Bemerkenswert ist, dass der Ausstellungsraum bzw. dessen individuelle Architektur eigens für dieses Projekt konzipiert wurde bzw. elementarer Bestandteil des Projekts war (Abb. 1). Mit Design und Architektur selbst gestaltend in den öffentlichen Raum einzugreifen und diese Architektur zugleich so mobil zu entwerfen, dass sie in ganz unterschiedlichen Umgebungen errichtet werden kann, ist ein signifikanter Unterschied zwischen dem ECI im Casino Container und dem Projekt von Galloway und Rabinowitz, die vorhandene Lokalitäten für die Installation der Electronic Cafés genutzt hatten. Abb. 1: Container/Zeltfächer. Aufriss aus dem Konzeptpapier zum Casino Container/ECI (S. 12)

Die Konstruktionsbeschreibung lautet: »Der Container ist in mehrere Richtungen ausklappbar und entfaltet eine zweite Ebene als Veranda und einen rundum transparenten Caféraum, der sich in seitlich ausklappbaren Zeltfächern fortsetzt. So entsteht […] ein Casino von 24 m Länge, 5 m Breite und 6 m Höhe. Die Gesamtnutzf läche von 135 qm bietet Raum für ca. 100, bei zusätzlicher Außenbestuhlung für 220 Sitzplätze und ebenso viele Stehplätze. Alle Anbauten der Basis sind als Zeltbauweise konstruiert. […] Im Basiscontainer ist die Theke mit der gesamten für Küche und Bar notwendigen Technik fest installiert. In einer Kombination aus Take away und Service werden hier nach speziellen Casino-Rezepturen zubereitete Speisen und Getränke angeboten.«26

3. Vorgeschichte II: Pentagon: Das Café Casino (documenta 8, Kassel 1987) »Es sind ›verlorene Cafés‹, die Cafés ›Certâ‹, ›Pittoresque‹, ›Voltaire‹, ›Central‹, die für so verschiedene Kunstbewegungen stehen wie Surrealismus, Konstruktivismus (Agitprop), Wiener Moderne, Dada. […] Es gibt aber Gelegenheiten – und die 26  Ebd., S. 6.

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documenta ist deren eine – die auch heute nach der besonderen Öffentlichkeit und dem Intellektuellen oder künstlerischen Ambiente eines Künstler-Treff-Cafés verlangen. Die Designergruppe Pentagon war dazu aufgefordert, hier ein solches Ambiente, einen solchen Raum zu schaffen.«27 Bevor ich auf die konkrete Umsetzung des Projekts Casino Container/ECI eingehe, seien einige Anmerkungen zu einem weiteren wichtigen Vorgängerprojekt vorangestellt (zu dem auch personelle Überschneidungen bestehen): Im September 1985 gründeten Wolfgang Laubersheimer, Reinhard Müller, Ralph Sommer, Detlef Meyer Voggenreiter und Gerd Arens die Gruppe Pentagon, sie kamen aus unterschiedlichen Städten und Kontexten (Bildhauerei, Architektur, Design etc.) zusammen, ihr Vorläufer war die 1982 gegründete Gruppe Unikate, in der bereits vier der fünf Mitglieder zusammengearbeitet hatten. Mit ihrer Ausrichtung stand die Gruppe Pentagon im Kontext des Neuen Deutschen Designs, einer antifunktionalistischen Designbewegung, die in den 1980er-Jahren in Deutschland entstand. Es ging darum, sich dem hier »vorherrschenden Diktum der ›Guten Form‹«28 entgegenzustellen, Ideen aus anderen subkulturellen Strömungen (wie Punk und ›Genialem Dilletantismus‹) aufzugreifen und auf dieser Basis ein alternatives Designverständnis zu entwickeln, das sich sowohl in neuen Formen als auch in der Verwendung anderer Materialien niederschlug.29 Der Name der Gruppe Pentagon ist wie auch der von 235 Media nicht frei von Zahlenmystik. Dies verrät ein Artikel, in dem Meyer Voggenreiter auf John Cage zurückgreifend über die Zahl 5 zu berichten hat: Diese »sei die kleinste Zahl der Vielheit, mit der man sich das Universum alles Möglichen eröffnen könne. Eins ist gleich Gott, Zwei die Dualität, Drei Dreieinigkeit und Synthese, Vier die einfache Verdoppelung des Dualen und Fünf endlich referenzlose Vielheit. Wenn man Fünf aus was auch immer hat, kann das Komponieren losgehen […].«30 Dass Pentagon ein erweitertes Verständnis von Design hatte, das nicht in erster Linie kommerziell 27  S abine Voggenreiter: Zur Eröffnung des Cafés ›Casino‹ auf der documenta 8 in Kassel. In: dies./ Uta Brandes/Wolfgang Schepers/Michael Erlhoff (Hg.): Pentagon. Informal Design. Köln: Taschen 1990, S. 115-118, hier S. 115. Auszüge dieses Beitrags erschienen zuvor unter dem Titel Pentagon in: Kunstforum International, Bd. 99, 1989 (Design III: Deutsche Möbel), S. 124. 28  w ww.designlexikon.net/Fachbegriffe/N/neuesdeutschesde.html. 29  V  gl. dazu auch den Beitrag Neue Tendenzen im deutschen Design von Wolfgang Schepers in: Uta Brandes/Sabine Voggenreiter/ders./Michael Erlhoff (Hg.): Pentagon. Informal Design. Köln: Taschen 1990, S. 9-13, wie auch den Ausstellungskatalog Gefühlscollagen. Wohnen von Sinnen zur gleichnamigen Ausstellung vom 26. April bis zum 13. Juli 1986 im Kunstmuseum Düsseldorf (hg. v. Volker Albus, Claudia Schneider Esleben u.a. Köln: DuMont Reiseverlag 1986). 30  U  ta Brandes/Sabine Voggenreiter/Michael Erlhoff: Pentagon – Fünf Personen als Autoren. In: dies./Wolfgang Schepers (Hg.): Pentagon. Informal Design. Köln: Taschen 1990, S.  26-41, hier S. 30.

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orientiert war und sich zur Kunst hin öffnete, zeigt sich neben der Namensgebung auch daran, dass mit der Gründung die Eröffnung einer eigenen Galerie einherging, die den Beteiligten »eine freiere, konzeptionelle Arbeit an den Objekten ermöglichen und außerdem ein Ausstellungsforum für die eigenen Arbeiten bieten«31 sollte. Hier organisierten sie Ausstellungen, Aktionen wie auch den Vertrieb von Design-Objekten. Die Gruppe Pentagon hatte den Café-Gedanken, der später für das Electronic Café International elementar war, bereits im Kontext der documenta 8 in ihrem Café-Projekt Casino umgesetzt. Als man die Einladung nach Kassel erhielt, stellte Michael Erlhoff als Designbeirat verschiedene Möglichkeiten für realisierbare Projekte zur Auswahl. Die Gruppe entschied sich für die temporäre Installation eines Künstlercafés, das »in einer heruntergekommenen Provinzdisko im Zentrum von Kassel«32 temporär installiert wurde. In diesem Projekt zeigte sich ein Selbstverständnis, dem zufolge »Design über die Koordination von Holz und Stahl und anderen handfesten Materialien hinaus längst die Koordination des gesamten Umfeldes verlangt«, hier sind nicht nur die Einrichtungsgegenstände von Bedeutung, sondern auch die »Metastruktur« des Designs.33 Pentagon-Mitglied Meyer Voggenreiter sagt über dieses Projekt im Rückblick: »Die Einladung zur documenta 8 bedeutete für uns eine wunderbare Verschwendung, die zwar ruinös war, aber das, was man jetzt als Gruppe Pentagon bezeichnet, begründete«, »so etwas wie die Initiation der Gruppe, über die sie zu ihrem Selbstverständnis fand.«34 Diese Einschätzung rührt daher, dass Pentagon seine Auffassung von »Design als Prozeß«35, durch die sich Schnittstellen zu Kunst, Performance und auch ›Dienstleistung‹ ergaben, auf ganz unterschiedlichen Ebenen realisieren konnte. Und so begann die Arbeit an dem Projekt für die documenta 8 mit der »Zusammenführung dreier Faktoren: Möbel, Essen und Kunst«36. Man engagierte den Koch Chin Tsching Jin, und die Designergruppe bereitete sich darauf vor, für 100 Tage ein Café zu betreiben. Wie die künstlerische Konzeption des Café Casino aussah, beschreibt Meyer Voggenreiter wie folgt: »Das Café ›Casino‹ sollte ein Gesamtkunstwerk werden, bei dem alles – das Mobiliar, die Speisen, die Farbig-

31  S abine Voggenreiter: Fünf Jahre Gruppe Pentagon. In: dies./Uta Brandes/Wolfgang Schepers/ Michael Erlhoff (Hg.): Pentagon. Informal Design. Köln: Taschen 1990, S. 14-21, hier S. 15. 32  Ebd., S. 17. 33  M  ichael Erlhoff: Pentagon. Design und Konsumtion. In: Monika Goedl/Ursula Frohne/Wanda Lemanczyk (Hg.): documenta 8 (Ausstellungskatalog). Kassel: Weber & Weidemeyer 1987, Bd. 2, S. 190-191, hier S. 191. 34  B  eide Zitate aus: Brandes/Voggenreiter/Erlhoff: Pentagon – Fünf Personen als Autoren, S.  34 und 35. 35  Schepers: Neue Tendenzen im deutschen Design, S. 9. 36  Brandes/Voggenreiter/Erlhoff: Pentagon – Fünf Personen als Autoren, S. 34.

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keit, das Licht, die Kleidung des Personals, sogar die Art und Weise der Bestellung – eigens konzipiert war. […] Es war eine eigenartige Randexistenz, die wir in dieser Zeit auf der d8 führten und die uns erkennen ließ: ›Die Peripherie, das ist das Zentrum‹. Wir haben in dieser historisch erdrückten Provinzstadt Kassel für kurze Zeit das Nachtleben erfunden und in Gang gesetzt.«37 Mit dem Casino, so Sabine Voggenreiter, stellte Pentagon »den Versuch der möglichen Gestaltung des halböffentlichen Raums vor, mit historischen und aktuellen Hintergründen, zwischen Tradition […] und dem post- oder transmodernen heutigen Standpunkt. Das Thema ›Künstler-Café‹ sollte weitergedacht werden und gleichzeitig sollte die Wahl des Materials Stahl und seine Verarbeitung in der Konstruktion sich an die Tradition der hohen Zeit des Cafés und seiner zeitgenössischen Gestaltung anlehnen.«38 Café Casino passte nur zu gut in die Konzeption der documenta 8, über die ihr Kurator Manfred Schneckenburger schrieb, sie solle »Metaphern für soziale Systeme und Modelle für gesellschaftliches Handeln« entwerfen, »ein subjektiver Brennspiegel von Geschichte und Gesellschaft« sein und nach »den ironischen, lockeren, preziösen Einlassungen der Kunst mit Gebrauch, Alltag, Verwertungswelt« fragen.39 Mit dem späteren Projekt Casino Container/ECI hat das Café Casino bereits Gemeinsamkeiten. Anders als das spätere ECI war es zwar in der bereits vorhandenen Architektur einer alten Discothek eingerichtet worden, aber auch bereits auf Mobilität ausgerichtet. Denn sein Mobiliar war »so f lexibel kombinierbar, daß es nach der documenta als kompakte Ausstellung zum Thema ›Café‹ durch verschiedene europäische Städte auf Reisen gehen«40 konnte. So war das Café Casino in variiertem Design 1989 im Rahmen der Art Frankfurt und des Kölner Kunstmarkts zu sehen.41 Eine weitere Ähnlichkeit ist, dass auch im Café Casino die damaligen technischen Möglichkeiten der Vernetzung genutzt wurden: »Der Café-Besucher sieht sich als Anwender alsbald in verschiedene technologische Projekte verstrickt, die ihn die Reminiszenzen des Materials vergessen lassen und ein anderes, künstliches und zukünftiges Café entwerfen: Datenbänke sind mit Übersee verbunden und geben Auskunft über alle herbeigewünschten Besucher des Cafés, nämlich all jene Künstler, die je an einer documenta teilgenommen haben.«42 Wie diese technische Ausstattung konkret aussah, ist jedoch kaum dokumentiert und schwer rekonstruierbar. 37  Ebd., S. 36. 38  Voggenreiter: Zur Eröffnung des Cafés ›Casino‹ auf der documenta 8 in Kassel, S. 115. 39  M  anfred Schneckenburger: documenta und diskurs. In: Monika Goedl/Ursula Frohne/Wanda Lemanczyk (Hg.): documenta 8 (Ausstellungskatalog). Kassel: Weber & Weidemeyer 1987, Bd. 1, S. 15-19, hier S. 15-16. 40  Voggenreiter: Zur Eröffnung des Cafés ›Casino‹ auf der documenta 8 in Kassel, S. 116. 41  Voggenreiter: Fünf Jahre Gruppe Pentagon, S. 19. 42  Voggenreiter: Zur Eröffnung des Cafés ›Casino‹ auf der documenta 8 in Kassel, S. 117.

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Abb. 2 und 3: Aufnahmen aus dem von Pentagon installierten, betriebenen und anschließend zerstörten Café Casino auf der documenta 8

Für die Gruppe Pentagon war Design nichts Statisches, für die Ewigkeit Gedachtes. Wie konsequent sie ihr dynamisches Design-Verständnis umsetzte, zeigte sich in der Abschlussperformance im Café Casino, die mit der Zerstörung einzelner Möbelstücke endete.43 Nach dem Café-Casino-Projekt im Rahmen der documenta 8 erhielt Pentagon mehrere Anfragen, bei Kunst- und Kulturveranstaltungen erneut ein Café zu installieren. Dies war der Ausgangspunkt dafür, ein Café 43  D  iese Abschlussperformance wurde von 235 Media filmisch dokumentiert und befindet sich im Archiv der Stiftung imai.

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im Container zu planen, das als Ganzes mobil und variabel einsetzbar sein sollte. Und so entstand der Casino Container – »ein doppelter Seecontainer, in dem alle für ein Café erforderlichen Funktionen berücksichtigt und baulich installiert sind, und der von einer auffaltbaren Peripherie umgeben ist«44. Im Konzeptpapier für die documenta 9 wird er wie folgt beschrieben: »Er ist mobil und anpassungsfähig […]. Dort, wo er steht, setzt er sich in Beziehung zur gebauten Architektur, verändert vertraute in neue Umgebung. In diesem Spannungsverhältnis wird öffentliches Leben aktiviert, Platz und Straße als Ort wiederentdeckt, ein Treffpunkt entsteht – public design im besten Sinne.«45

4. Vom Café Casino zum Casino Container mit ECI — die Realisierung(en) (1992-1993) »Schließlich wird die Kiste reisetauglich und will die Welt sehen.« 46 Während bisher insbesondere aus der Planungsphase des ECI berichtet wurde, geht es im Folgenden um die konkrete Umsetzung des Projekts – zunächst in Kassel und anschließend in Venedig und Köln. Abb. 4: Casino Container mit ECI während der documenta 9 in Kassel

44  Voggenreiter: Fünf Jahre Gruppe Pentagon, S. 21. 45  Konzeptpapier zum Casino Container/ECI, S. 5. 46  Ebd., S. 6.

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Abbildung 4 zeigt den Casino Container mit dem ECI an seinem ersten Aktionsort in Kassel, in unmittelbarer Nähe zu der barocken Orangerie in der Karlsaue, wo er 1992 für die gesamten 100 Tage der documenta installiert war. Die Selbstbeschreibung, die sich heute auf der Homepage von 235 Media wie auch der Plattform medienkunstnetz.de findet, fasst die Realisierung des ECI wie folgt zusammen: »In rund 60 Einzelprojekten erforschten, diskutierten und kritisierten Künstler, Designer, Musiker, Architekten, Schriftsteller und Kritiker die veränderten Möglichkeiten von Technik und Produktion. Ihr Atelier auf Zeit war das ELECTRONIC CAFÉ INTERNATIONAL in der oberen Etage des Containers mit Anschlüssen an verschiedene Netzwerke und Arbeitszusammenhänge (direkte ISDN-Verbindungen, Internet, Bildtelefon, Audiokonferenzen etc.), die sie als ›artists in residence‹ nutzen konnten. Die Einseitigkeit der sendergesteuerten Kommunikation sollte ebenso durchbrochen werden wie die Beliebigkeit eines offenen Kanals, in dem sich alle Äußerungen gegenseitig auslöschen. Casino Container entwickelte für die mediengesellschaftliche Gegenwart das Konzept eines mobilen öffentlichen Raumes, der dort eingesetzt werden kann, wo er gebraucht wird. Er kombiniert das traditionelle Café und die mediale Workstation zu einer zeitgemäßen Form des Palavers, die das öffentliche Leben vor Ort mit den Netzwerken des globalen Dorfes verbindet. Für eine gewisse Zeit wird ein Ort besetzt, aktiviert und verändert. Dann geht die Reise weiter.« 47 Diese Reise führte 1993 zunächst zur 45. Biennale nach Venedig (13.06.-10.10.1993). Mit seiner mobilen Architektur passte der Casino Container sehr gut in das Konzept der Ausstellung. Denn deren Leiter Achille Bonito Oliva hatte auf Grundlage 47  h  ttp://235media.de/235cms/1992/02/mobile-electronic-cafe/ und www.medienkunstnetz.de/ werke/electronic-cafe/. Aus dieser Beschreibung geht unmissverständlich hervor, dass die Schriften Marshall McLuhans für Netzwerk-Projekte wie das ECI eine zentrale Referenz waren. Hatte dieser doch bereits in den 1960er-Jahren beschrieben, wie die Welt durch die elektronische Vernetzung zu einem ›global village‹ zusammenwächst (vgl. Marshall McLuhan: Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters. Düsseldorf: Econ 1968 und ders.: The global village. Der Weg der Mediengesellschaft in das 21. Jahrhundert. Paderborn: Junfermann 1995). In Projekten wie dem Electronic Café International und auch Piazza Virtuale von Van Gogh TV scheint sich das globale Dorf wiederum zu einem Ort zu materialisieren, der nicht nur virtuell existiert. – Bazon Brock beschreibt die Bedeutung von McLuhan (und Benjamin) für die Videoszene wie folgt: »Also: als wir […] zum ersten Mal die Chance erhielten, das neue Medium [Video] auszuprobieren, hieß unser Großvater Benjamin. Dessen Sohn McLuhan hatte mit uns etwas Großes vor: Welteroberung im heimischen Sessel. Der zeitgemäße Imperator blies sich global auf, Extension der Haut, der Hände und Füße, der Augen und Ohren […].« Bazon Brock: Eine Zukunft dem Video? Fragt die alten Männer! In: Wulf Herzogenrath (Hg.): Videokunst in Deutschland: 1963-1982. Videobänder, Installationen, Objekte, Performances. Stuttgart: Verlag Gerd Hatje 1982, S. 126-128, hier S. 126.

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der These, dass sich die zeitgenössische Kunst nicht nur durch ihre Geschichtlichkeit und Tradition, sondern insbesondere durch Bewegung auszeichne, »die Losung des ›Nomadism‹ ausgegeben« und zu einem »friedlichen Nomadentum« aufgerufen.48 Für das ECI-Team aus Deutschland verlief das Nomadentum jedoch nicht so friedlich wie erwartet. So war in jenem 123. Band des Kunstforum International, der sich vollständig der Biennale widmete und bereits vor der Ausstellung erschien, zu lesen: »VENEDIG (I) – Ob das zum offiziellen Programm der Biennale gehörende Projekt Casino Container an der Riva dei Sette Martiri durchgeführt werden kann, war bei Redaktionsschluß noch fraglich, da die Stadtregierung von Venedig kurzfristig den gastronomischen Teil des mobilen Künstlercafés von Reinhard Müller, Meyer Voggenreiter, Sabine Voggenreiter, Uwe Wagner und Axel Wirths untersagte. Von seiner Konzeption her ist der Casino Container ein Kommunikationsexperiment, das die Möglichkeiten des weltumspannenden Netzwerks des Electronic Café International nutzt […].«49 Anlass für die Ablehnung der Stadt Venedig war, dass das Café des ECI als Konkurrenz zur Gastronomie vor Ort wahrgenommen wurde. Es wurde schließlich in der Nähe des Biennale-Geländes aufgebaut und in Betrieb genommen, konnte jedoch aufgrund der angedeuteten Probleme nicht für den gesamten Zeitraum der Ausstellung bestehen bleiben.50 Umso erfreulicher war es für das Team, die Einladung zu erhalten, das ECI noch im gleichen Sommer im neu entstehenden Kölner MediaPark51 aufzubauen.

4.1 ECI in Kassel, Köln und Venedig Im Folgenden wird konkret beschrieben, was sich an den verschiedenen Standorten des ECI abgespielt hat. An allen drei Orten haben unterschiedliche Projekte stattgefunden, die zum Teil jedoch strukturelle Ähnlichkeiten aufwiesen und in deren Titeln die zwei Begriffe ›interaktiv‹ und ›tele-‹ dominieren: Es gab Interak48  N  achrichtenforum: Biennalen. In: Kunstforum International, Bd. 123, 1993 (Kunst Geschichte Kunst), S. 412. 49  Ebd. 50  E in filmisch dokumentiertes Gespräch lässt darauf schließen, dass der Casino Container lediglich eine Woche in Venedig installiert war, denn darin ist die Rede davon, dass man noch bis zum 20.06. abwarten und dann abbauen wolle, sofern sich vonseiten der Stadt nichts tue, was vermutlich so umgesetzt wurde (im Archiv der Stiftung imai). Eröffnet worden war die Biennale am 13.06.1993. 51  E s handelt sich bei dem MediaPark um ein 1986 gestartetes Stadtentwicklungsprojekt, das im Zuge des Ausbaus der ›Medienstadt Köln‹ entstehen sollte (und im Jahr 2003 abgeschlossen wurde): ein neuer Medienstandort auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Gereon. Vgl. www.mediapark.de/index.php?id=150.

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tive Bildbearbeitung, Interaktive Soundperformance und -installation, ein Interaktives Literatur-Projekt sowie Tele-Diskurs, Tele-Flirt, Tele-Roboting, Tele-Sightseeing und Tele-Talk. Die beteiligten Städte waren: Deutschland (Köln und Kassel), Italien (Venedig), Dänemark (Aarhus), Schweden (Stockholm), Kanada (Toronto), Japan (Tokio und Fukui), Finnland (Helsinki), Frankreich (Paris), USA (Santa Monica und Los Angeles). Zunächst eine Vorbemerkung zum Forschungsstand: Das Archiv der Stiftung imai beherbergt umfangreiches Dokumentationsmaterial zu den Electronic Cafés in Kassel, Venedig wie auch in Köln. Den folgenden Ausführungen liegt die Sichtung und Analyse des kompletten Archivbestands zu diesem Thema zugrunde. Da die von dem deutschen Team organisierten Electronic Cafés bislang – abgesehen von wenigen sehr kurzen und allgemeinen Darstellungen – unerforscht geblieben sind, bietet das Archivmaterial den einzig möglichen Zugang, die einzelnen Projekte in ihrer jeweiligen Realisierung zu erfassen. Auch wenn nicht alle von ihnen auf der Grundlage des vorhandenen Materials präzise zu rekonstruieren sind, können die folgenden Ausführungen einen Überblick über die künstlerischen Projekte bieten und einen Eindruck davon vermitteln, wie technisch basierte, interaktive Netz(werk)-Kunst vor dem Internet praktiziert wurde.52 Sofern nicht anders vermerkt, handelt es sich bei den Abbildungen dieses Kapitels um Videostills aus dem Archivmaterial der Stiftung imai.

4.1.1 Projekte im ECI/Casino Container, documenta 9, Kassel (1992) Round Tables und Telefon- bzw. Videotelefonkonferenzen Wie oben bereits angedeutet, existiert zur ›Premiere‹ des ECI/Casino Container im Rahmen der documenta 9 im Vergleich zu Köln und Venedig am wenigsten Dokumentationsmaterial. Bemerkenswert sind die jeweils vollständigen Aufzeichnun-

52  A  xel Wirths danke ich für jene zahlreichen Informationen über das Projekt ECI/Casino Container, die kein Buch zu lesen gibt; Angelika Gwozdz danke ich für die gemeinsame Sichtung und den Austausch über das nicht immer leicht rezipierbare Material. – Ein Teil des Archivmaterials zu den ECI ist visuell bereits gut aufgearbeitet und strukturiert, insbesondere jenes zum Casino Container im MediaPark in Köln. Auch zum Casino Container in Venedig liegt bereits eine Dokumentation der Einzelprojekte vor. Zu der ersten Realisierung des Projekts im Rahmen der documenta 9 existieren hingegen lediglich unbearbeitete Mitschnitte. Im Rahmen des Forschungsprojekts konnten wir weitere Archivbestände ausfindig machen, die für die Erforschung des ECI/ Casino Container von Bedeutung sind: 30 wiedergefundene S-VHS-C-Kassetten dokumentieren umfänglich Gespräche, Round Tables, Konferenzen und Interviews. Darüber hinaus erhielt die Stiftung imai, vermittelt durch Axel Wirths, 10 bislang privat gelagerte S-VHS-C-Kassetten von Boscher Theodor, der das Programm des Salon in Medias während der documenta 9 filmisch dokumentiert hat.

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gen der Round Tables, die als Telefon- bzw. Videotelefonkonferenzen abgehalten wurden. Die Videotelefonkonferenz am 21. Juni wird von Axel Wirths und Meyer Voggenreiter initiiert und moderiert, die technische Leitung hat Ulrich Leistner. Nach und nach werden die Gesprächspartner aus dem Ausland zugeschaltet: Don Foresta aus Frankreich, Kit Galloway und Sherrie Rabinowitz aus Santa Monica, der Medienkünstler Ralf Urban Bühler von der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und Stan Goldberg von der Kunsthochschule für Medien in Köln. Als alle miteinander verbunden sind, was einige Zeit in Anspruch nimmt, wird auf der Basis der neuen technischen Möglichkeiten auch über eben diese gesprochen. Das ECI bildet dabei ungefähr den Status quo dessen ab, was zu jener Zeit technisch möglich war. Wirths betont, dass es ein wichtiges Anliegen des ECI sei, eine Atmosphäre (der Kommunikation) zu schaffen. Diese könne die Technik für sich genommen nicht erzeugen, wohl aber ein gestalteter Raum, in dem die Menschen sowohl unmittelbar wie auch medial zusammenkommen, kommunizieren, musizieren, essen, trinken und feiern. Die technischen Hürden des Projekts werden in dieser Dokumentation dadurch deutlich, dass Verbindungen schlecht sind, der Sound korrigiert werden muss und sich viel Kommunikation um das Herstellen der Voraussetzungen für Kommunikation dreht. Abb. 5: Videotelefone im ECI

Die Telefonkonferenz am 10. und 11. Juli ist ein Round Table zum Thema Medienkunst, Netz- bzw. Netzwerk-Kunst wie auch zum Verhältnis von Kunst und Technologie. Im ECI in Kassel sind zum Gespräch versammelt: Raphael Montañez Ortiz (New York, Künstler und Kurator), Denys Zacharopoulos (Co-Kurator der documenta 9/Professor für Kunstgeschichte in Wien), Meyer Voggenreiter und Axel Wirths als Leiter des ECI in Kassel. Zugeschaltet werden: Kathelyn Rogers aus London, die zu Virtual Realities forscht, Gina Daniel, die einer Forschungs-

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gruppe zu Kunst und Technologie in Montreal angehört, darüber hinaus Soundund Medienkünstler*innen. Hier werden beispielsweise die Fragen aufgeworfen, ob neue Technologien zugleich eine neue bzw. andere Art von Kunst hervorbringen, wie sich dies auf die Anforderungen an die Technologien innerhalb von Museen und Ausstellungen auswirkt und wie die Verbindung von Kunst, Design und Technik zu denken ist.

Der Salon in Medias Ein Projekt, das sehr gut dokumentiert ist und in dieser Form nur in Kassel stattgefunden hat, ist der Salon in Medias. Es handelt sich um ein von dem ECI-Team organisiertes Veranstaltungsprogramm, das vom 22. bis 31. Juli im Casino Container stattfand, weitere Mitarbeiter waren Pit Jahnke und Boscher Theodor (Abb. 6). »Salon und Kaffeehaus haben vieles gemeinsam. Historisch gesehen bilden sie die Basis für ein öffentliches – und literarisches – Räsonieren einzelner Privatleute. Aus geselliger Konversation konnte hier wie dort öffentliche Kritik entstehen […]. Die Kaffeehäuser allerdings waren damals Männerangelegenheit, während der Salon in der Macht der Frauen stand. […] In jedem Falle aber haben wir es mit zum Publikum versammelten Privatleuten zu tun, zu dem sich Experten und Amateure (oder Dilletanten53) mischten. Aber was geschieht im Salon? Er war einmal die literarische Vorform der politisch fungierenden Öffentlichkeit. Er ist also auf Wirkung nach außen angelegt und insofern durchlässig. Im Innern geschieht vielleicht die allmähliche Verfertigung des Gedankens beim Reden, die bewußte Unterscheidung zwischen Schrift und Rede, die prozeßhafte Aneignung und Kritik einer Idee in der persönlichen Auseinandersetzung. […] Poesie, Konkrete Poesie zumal entfaltet im Vortrag eine Dimension, die die Schrift nicht kennt.« 54 Dieser Text ist einer filmischen Aufzeichnung zum Salon in Medias entnommen. Es handelt sich um einen Auszug aus dem Gesamtkonzept des Projekts, das innerhalb des Films in Schriftform zusammengefasst ist. Darüber hinaus werden auf

53  O  b der Rechtschreibfehler in diesem Fall beabsichtigt ist, sei dahingestellt. Unabhängig davon lässt sich mit dem Interesse an Amateuren und Dilettanten als Zielgruppe ein Bezug zum ›genialen Dilletantismus‹ der 1980er-Jahre herstellen, auf den ich im ersten Teil der Studie ausführlich eingegangen bin (vgl. »Geniale Dilletanten«. Zum (sub)kulturgeschichtlichen Hintergrund von 235 Media). 54  T extauszug aus dem Filmmaterial zum Salon in Medias (ohne Angabe eines Autors/einer Autorin), im Archiv der Stiftung imai.

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diesem Datenträger das gesamte Programm, alle beteiligten Personen wie auch deren Gedichttexte, Zeichnungen und Fotografien vorgestellt. Abb. 6: Programmf lyer des Salon in Medias (mit internen Notizen zum vorhandenen Dokumentationsmaterial)55

Der Salon in Medias war angelehnt an die Idee eines europäischen Literatursalons, in dem Themen aus Kunst, Gesellschaft und Literatur verhandelt werden.56 Die Besonderheit bestand jedoch darin, dass die ›klassischen Formen‹ der Kommunikation und die Tradition von Salon und Kaffeehaus, auf die man sich berief, mit den neuesten medialen Möglichkeiten verbunden werden sollten, beispielsweise »die Kunst des Vortrags mit computer-organisierter Sound-Poesie, literarische 55  F ilmisch dokumentiert sind neben dem oben genannten Gesamtkonzept die folgenden Teile des Programms: Mittwoch, 22.07.: Familienalbum; Donnerstag, 23.07.: Imaginäre Bibliothek; Freitag, 24.07.: Text/Sound-Performance mit Ralf Löhnhardt und Fried Dähn; Dienstag, 28.07.: Salon-Spaziergang zum Schlößchen Schönfeld mit Lesungen; Mittwoch, 29.07.: Tafelrunde an der Löwenburg; Donnerstag, 30.07.: Rapping Tracy G. about salon and ECI. Es handelt sich um unbearbeitete Mitschnitte. 56  E in Vorläufer für diese Idee war das Kölner Projekt Arsen & Spitzendeckchen, vgl. Konzeptpapier zum Casino Container/ECI, S. 14.

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Spaziergänge mit zufallsgenerierten Sonetten, nachbarliche Liebhaber-Gespräche am Lagerfeuer mit Einwürfen internationaler Experten.«57 Umgesetzt wurde das Projekt als zehntägiges Veranstaltungsprogramm, von dem ein Programmf lyer (Abb. 7) und das unten aufgeführte filmische Dokumentationsmaterial, aufgenommen von Boscher Theodor, erhalten geblieben sind.58

4.1.2 Projekte im ECI/Casino Container, 45. Biennale, Venedig (1993) Folgende Projekte aus dem in Venedig installierten ECI wurden filmisch dokumentiert und werden im Folgenden lediglich kurz skizziert und illustriert: Tele-Flirt (Venedig/Paris); Tele-Sightseeing (Venedig/Stockholm); Tele-Roboting – Graham Smith: Toronto Cyber City (Venedig/Toronto); Interaktive Soundinstallation – Andres Bosshard: Telefonia (Venedig/Köln); Interaktive Soundinstallation – Keigo Yamamoto: Hurin (japanisches Windspiel) (Venedig/Fukui); Interaktive Soundperformance – Roberto Paci Dalò und Christophe Charles (Venedig/Tokio). Dieses Material vollständig und im Detail auszuwerten, bleibt weiteren Studien vorbehalten.

Tele-Flirt (Venedig/Paris) Abb. 7

Eine männliche Person im ECI in Venedig nimmt Kontakt zu einer Frau in Paris auf, sie unterhalten sich über Verschiedenes, unter anderem bringt er sie dazu, einen ›Lovesong‹ zu singen und zu tanzen. Beide Akteure spielen mit dem Ausschnitt der Kamera, indem sie sich beispielsweise auf die Kamera zubewegen oder die Frau auf57  Ebd., S. 15. 58  B  oscher Theodor sei in diesem Kontext für wichtige Hinweise gedankt wie auch dafür, dass er der Stiftung imai das Material zur Verfügung gestellt hat.

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steht, die Arme weitet und aus dem Bildausschnitt ›herausf liegt‹. Beide Personen sind im ECI in ihren jeweiligen Umgebungen auf zwei Monitoren zu sehen.

Tele-Sightseeing (Venedig/Stockholm) Ein Auto, an dessen Frontscheibe sich eine Kamera befindet, fährt durch Stockholm und die darin befindliche Person bzw. die für die Rezipient*innen zu hörende Frauenstimme gibt eine Stadtführung. Diese Fahrt wird auf Leinwand und Bildschirme ins ECI in Venedig übertragen, von wo aus Anweisungen gegeben werden, wo das Auto hinfahren soll. Zugleich wird die Strecke mit einem Stift auf einem Stadtplan mitverfolgt. Eine Person aus einem Studio in Schweden gibt Hinweise, welche Route sinnvoll ist, und liefert weiterführende Informationen zur Stadtgeschichte. Auf diese Weise erhalten die Besucher des ECI in Venedig eine Stadtführung durch Stockholm (in dem filmisch dokumentieren Teil dieses Projekts folgt das Auto der vorgegebenen Route nicht und gerät auf Abwege). Mit Blick auf das Konzeptpapier, das in Vorbereitung des ECI/Casino Container für die documenta 9 entstanden ist, ist dieses Projekt den Tele-Roboter-Spielen zuzuordnen, die beinhalteten, dass Spielzeugroboter oder Autos von anderen ECI aus gesteuert werden konnten.59 Abb. 8

59 Vgl. Konzeptpapier zum Casino Container/ECI, S. 21.

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Tele-Roboting — Graham Smith: Toronto Cyber City (Venedig/Toronto) Abb. 9

Ein weiteres Projekt, das dem Tele-Roboting zuzuordnen ist, wurde von Graham Smith im Rahmen des Mc Luhan Program in Toronto geleitet. Es handelt sich um eine Modell-Ausstellung mit dem Titel Le Salon des Refusés. Mithilfe eines Roboters, der mit einer Kamera ausgestattet war, konnte diese Ausstellung vom ECI in Venedig aus besichtigt werden. Während der Roboter die Ausstellung abfährt, erläutern die zehn beteiligten Künstlerinnen und Künstler ihre Projekte (darunter Anthropo von Johanna Householder und Interactive Environment for a Video-Robot von Steve Morgan). Die Rezipient*innen können von Venedig aus Fragen zu den jeweiligen Projekten stellen.

Interaktive Soundinstallation — Andres Bosshard: Telefonia (Venedig/Köln) Das Interesse des Musikers und Soundinstallationskünstlers Andres Bosshard gilt dem Zusammenwirken von Sound und Raum. Seiner Arbeit liegt die – für Klanginstallationen oft zentrale – These zugrunde, dass Klänge nicht lediglich akustische Signale sind, sondern auch neue Räume erschaffen können. Dies wird insbesondere dort interessant, wo der elektronische als ein neuer und zugleich unendlich erscheinender virtueller Raum zur Verfügung steht. Bosshard, der sich selbst auch als »visionären Klangarchitekten«60 bezeichnet, hat das Anliegen, solche Räume bzw. Klangarchitekturen oder Klangraumdesigns elektronisch zu konstruieren. Wichtig ist ihm dabei jedoch nicht die vollständige Neuerfindung von Klängen, sondern der Umgang mit den vor Ort vorhandenen. Er nimmt sich in einer bereits bestehenden Klanglandschaft wahr, die aus Stimmen, Wind und sonstigen Geräusche aller Art besteht und die er für sein Projekt nutzt, verwendet, verwandelt. Sein eigenes Instrumentarium ist ein ›Mini-Netz60  w ww.soundcity.ws/about/.

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werk‹, in das er Klänge einspeist. Ein Bestandteil seines ›Instruments‹ sind Lichtschranken, sodass eine Person, die eine Lichtschranke durchschreitet, Klänge produziert. Das ECI beschreibt Bosshard als eine Auffächerung des Raums, mit der – um im architektonischen Bild zu bleiben – Klangbrücken zwischen ganz unterschiedlichen Orten der Welt ›gebaut‹ und gesteuert werden können.61

Interaktive Soundinstallation — Keigo Yamamoto: Hurin (japanisches Windspiel) (Venedig/Fukui) Abb. 10

»Das Café findet so seine Erweiterung im Klangraum.« 62 Mit der Klanginstallation Hurin von Keigo Yamamoto, der persönlich in Venedig war, werden Klänge aus Venedig nach Fukui übertragen. ›Eingefangen‹ werden sie durch ein Windspiel, vor dem ein Mikrofon installiert ist, das sie aufzeichnet und auf den Computer überträgt. So treten die beiden Orte in Konstellation zueinander und werden über die räumliche Distanz hinweg als medialer Klangraum zu einem neuen, gemeinsamen Ort.63 In Fukui fand zur gleichen Zeit die fünfte FIVB (Fukui International Video Biennale) statt. Eines ihrer Hauptthemen war: Creation of time and space through wind. Die hier angesprochene Klanginstallation ist im Kontext der intensiven Zusammenarbeit zwischen Axel Wirths und Keigo 61  Z  war liefert das Interview mit Bossard einen guten Einblick in seine Interessen und Arbeitsweise, wie das Projekt in Venedig konkret ausgesehen hat, ist auf der Basis des davon vorhandenen Materials jedoch nur schwer nachzuvollziehen. 62  Konzeptpapier zum Casino Container/ECI, S. 16. 63  I n der Dokumentation dieses Projekts wurde versucht, die Überlagerung auf der Tonebene durch eine Überblendung auf der Bildebene wiederzugeben.

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Yamamoto im Hinblick auf Netzwerk-Kunst zu sehen, die im vorangegangenen Beitrag von Hiroko Kimura-Myokam dargelegt wurde.

Interaktive Soundperformance — Roberto Paci Dalò und Christophe Charles (Venedig/Tokio) Abb. 11

In der Dokumentation der Soundinstallation sind als Splitscreen ein Saxofonist im ECI in Venedig und Stadtaufnahmen aus Tokio zu sehen. Letztere zeigen aus unterschiedlichen Perspektiven Straßenansichten, vorbeilaufende Menschen wie auch Menschen in der U-Bahn. Auf der Tonebene überlagern sich Stimmen und Straßenlärm aus Tokio und die Töne des Saxofons, sodass aus beiden Orten ein neuer virtueller Klangraum entsteht. Der Saxofonist scheint dabei auf die Geräuschkulisse der Übertragung aus Tokio zu reagieren.

4.1.3 Projekte im ECI/Casino Container, MediaPark Köln (1993) Folgende Projekte im ECI/Casino Container im MediaPark in Köln sind einzeln dokumentiert: Interaktive Bildbearbeitung – The creation of Man – Michelangelo (Köln/ Aarhus); Interaktives Literatur-Projekt – The Text … that exploded … (Köln/Aarhus/Helsinki/Paris/Los Angeles); Interaktives Konzert – Mia Zabelka: The Virtual Violin (Köln/ Aarhus); Tele-Diskurs – Satelite Earth News (Köln/Aarhus); Tele-controlled Music-Roboter – Hybrid Band (Köln/Aarhus); Tele-Talk – Kids News (Köln/Aarhus); Wolf D. Wolf: Swinging Buddha (Köln). Darüber hinaus gibt es den Langfilm Works. Eine Dokumentation von Schulte/Sigg, der einen umfassenden Einblick in die Aktivitäten im ECI in Köln vom 7. bis 21. August bietet und einige der Konzerte bzw. Soundperformances, die für das gesamte Projekt eine große Rolle spielten, in voller Länge

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zeigt. Eröffnet wird der Casino Container im MediaPark mit dem Konzert Violent Music for a Restaurant mit Jon Rose (Violine), Anna Homler (Vocals) und Frank Schulte (Electronics) am 7. August 1993. Es handelt sich um ein Konzert, in dem die Violine dominiert und zum Teil von elektronischem Sound und Sprechgesang begleitet wird.

Telefonkonzert — Axel Otto (Köln/Fukui) Am 8. August folgt ein Telefonkonzert mit Fukui. Der Künstler Axel Otto64 hat auf einem Tisch alle erdenklichen Gegenstände ausgebreitet, mit denen er seine Klangkomposition produziert, unter anderem Audiokassetten, Legosteine, Spielzeugfiguren und Küchengeräte. Abb. 12

64  A  xel Otto hat 1991 zusammen mit Frank Schulte und David Moss das Album The Day We Forgot herausgebracht (Electronic, Jazz, Free Improvisation, Experimental), vgl. https://www.discogs. com/David-Moss-Axel-Otto-Frank-Schulte-The-Day-We-Forgot/release/2225859.

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Interaktives Konzert — Mia Zabelka: The Virtual Violin Abb. 13

Am 17. August 1993 findet im ECI in Köln das interaktive Konzert mit Mia Zabelka (vor Ort) und Mik Aidt, FRIW und Lars Mondrup im ECI in Aarhus statt.65 Es ist den im Konzeptpapier für die documenta bereits angekündigten Cyberspace-Konzerten zuzurechnen: »Die Musiker musizieren im Cyberspace – geographisch losgelöst, ungebunden. […] Bei gleichzeitigem Einsatz von Bildtelefonen kann man die Band auf dem Bildschirm vereinen.«66 Das interaktive Konzert The Virtual Violin beginnt damit, dass Mia Zabelka Geige spielend den See vor dem ECI im MediaPark umkreist, um schließlich durch das Publikum hindurch ins ECI zurückzukehren. Die Geige der Künstlerin ist jedoch nicht das klassische Instrument, das die Zuschauer*innen zu sehen glauben. Zabelkas ›virtuelle Violine‹ wird im Gegensatz zur akustischen mit einem Datenhandschuh und Körperinterfaces gespielt, die Körperbewegung in Klang übersetzen.67 Zurück im ECI begibt sich Zabelka an einen Synthesizer, der wiederum an eine Kamera und einen Computer angeschlossen ist. Zur gleichen Zeit wird im ECI-Studio in Aarhus Keyboard und Klarinette gespielt, hier jedoch nicht vor Publikum. Die Tonsignale werden an den jeweils anderen Ort übermittelt, sodass die Musizierenden jeweils aufeinander eingehen können. Für 235 Media ist dieses Konzert nicht die erste Zusammenarbeit mit Zabelka, denn bereits 1989 hat die Medienkunstagentur eine Audiokassette mit zwei be65  D  as Konzert ist in der Dokumentation von Schulte/Sigg in einer Länge von 45 Minuten (und damit vermutlich vollständig) dokumentiert. 66  Konzeptpapier zum Casino Container/ECI, S. 13. 67  Vgl. dazu auch das Interview mit Zabelka von 1990 aus dem Archiv der Stiftung imai.

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merkenswerten Projekten von ihr herausgegeben. Die A-Seite enthält das von der Ars Electronica in Auftrag gegebene Projekt Bewegt–Erstarrt. Es handelt sich dabei um eine vierteilige elektroakustische Performance, »bei welcher die physische präsenz der musiker konfrontiert wird mit der synthetischen wirklichkeit der bildund tonspur. jedem dieser 4 großen teile ist ein videozwischen- bzw. -nachspiel integriert.«68 Die B-Seite enthält den Livemitschnitt einer im Frankfurter Dom realisierten ›Klangskulptur‹, an der neben Mia Zabelka (Violine, Stimme, Orgel, Zither und Elektronik) auch Günter Müller (Schlagwerk und Elektronik) und Andres Bosshard (Kassettenmaschinerie und Lautsprecherturm) beteiligt waren.69

Tele-controlled Music-Roboter — Hybrid Band (Köln/Aarhus) Abb. 14

Drei Roboter im Gewand von Musikern und ausgestattet mit Instrumenten (Bass, Trompete, Keyboard) bilden die Hybrid Band. Sie wurden in Aarhus auf einer Modell-Bühne mit entsprechender Lichtdramaturgie installiert. Gesteuert werden konnte die Band mithilfe von Computern – sowohl ausgehend von Aarhus wie auch von Köln. Insofern ist auch dieses interaktive Projekt den Tele-Roboter-Spielen zuzuordnen.

68  h  ttp://90.146.8.18/de/archives/festival_archive/festival_catalogs/festival_artikel.asp?iProject ID=9080, vgl. auch die ausführliche Darstellung des Projekts ebd. 69  D  iese Informationen sind der Kassettenhülle entnommen, vgl. https://www.discogs.com/ Mia-Zabelka-Bewegte-T %C3 %B6ne/release/5818961 (29.08.2019).

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Interaktive Bildbearbeitung — The creation of Man — Michelangelo (Köln/Aarhus) Abb. 15

Die Basis für das Projekt The creation of Man – Michelangelo ist ein Bildbearbeitungsprogramm, auf das von Köln und Aarhus gleichzeitig zugegriffen werden kann. Die Dokumentation des Projekts zeigt die Künstler*innen Ulla Didrichsen (ECI Aarhus), Albert Merz und später Igor Sacharow-Ross (beide ECI Köln) als Splitscreen, jeweils mit einem Grafiktablet ausgestattet. Darüber hinaus ist im Hintergrund das Grafikprogramm zu sehen, in dem eine Bilddatei geöffnet ist, die eine Schwarz-WeißVersion eines Ausschnitts des weltberühmten Deckenfreskos Die Erschaffung Adams von Michelangelo zu sehen gibt. Diesen gilt es zu bearbeiten, sodass neue Bilder entstehen, die mit dem Ausgangsmaterial nicht mehr viel zu tun haben müssen. Didrichsen erhält von Merz erste Anleitungen, das Programm zu bedienen. Über diese Interaktion hinaus zeigt die ca. zehnminütige Dokumentation einen Bildbearbeitungsprozess, durchgeführt und zugleich kommentiert von Sacharow-Ross. Das Ursprungsbild von Michelangelo bleibt dabei in mehr oder weniger deutlichen Ansätzen erkennbar, entwickelt sich jedoch zugleich zu ganz eigenen elektronischen Bildwelten.70 70  B  eschreibung des gesamten Bildbearbeitungsprozesses in Anlehnung an die Ausführungen von Sacharow-Ross innerhalb der filmischen Dokumentation (deren Ton in diesem Teil von sehr schlechter Qualität ist): »Von unterem und oberen Bildrand wächst jeweils ein Blatt simultan zu dem Punkt, an dem sich die Finger von Adam und Gott berühren – Blattstruktur wird in grellem Grün blinkend über das Bild gelagert – Doppelhelix wird am Berührungspunkt der Finger ein- und ausgeblendet – Ausblenden in graues Vollbild, dann wieder Einblenden der Erschaffung Adams (s/w) – Zwei weiße Kreise werden über Adam und Gott geblendet, sodass sich diese überschneiden – Im Überschneidungsbereich erscheint ein kleiner Globus über den sich berührenden Fingern – Apfelkonturen auf Adams Brust, aus dem sich rote Strahlen Richtung

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Interaktives Literatur-Projekt — The Text … that exploded … (Köln/Aarhus/Helsinki/Paris/Los Angeles) »Imagine that a Fifties beat club went electronic, and you have some idea of a Telepoetics night at the Electronic Café International« 71 Abb. 16

Dieses interaktive Literatur-Projekt geht auf die im Rahmen des ECI in Santa Monica bereits realisierte »Tele-Dichtung« zurück, die dort von Merilene M. Murphy kuratiert wurde.72 Diese war selbst Lyrikerin und wird retrospektiv beschrieben als »an early participant in the Internet revolution«, als literarische Aktivistin oder – in ihrer Selbstbeschreibung – als »Poet-Tech«.73 Denn sie verwendete alle ihr zur Verfügung stehenden technischen Mittel, um einen Austausch über Literatur bzw. Lyrik zu befördern (»Murphy gathered poets in Los Angeles and linked

Gott bewegen – Negativbild von Erschaffung Adams, Globus wächst, auf Gott rieseln schwarze Punkte nieder – Adam vor schwarzem Grund auf weiß konturiertem Thron mit der Welt auf seiner Schulter – Überblendung eines roten Schemas der Planetenlaufbahnen, Sockel kommt von unten ins Bild und erhebt Adam auf den Thron – Mikroskopische Vergrößerung von Krebszellen im Hintergrund – Sockel vergrößert, sodass er den Adam überdeckt, auf der Frontseite des Sockels erscheint wieder das Negativbild der Erschaf fung Adams – Animation beginnt, gerahmt durch den Sockel, von vorne – abschließend wird ein schwarzes Bild mit Jalousie bzw. weißen Streifen langsam bis auf das volle Format vergrößert.« 71  w ww.ecafe.com/1993.html. 72  K  onzeptpapier zum Casino Container/ECI, S. 15-16 (hier in der falschen Schreibweise Mreilene M. Murphy). 73  w ww.poetix.net/merilenemurphy.htm.

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them to poets gathered in cities such as New York or Chicago for readings and dialogue about the arts«74). Insofern passte sie in die Logik des ECI. Das interaktive Literatur-Projekt in Köln The Text … that exploded … verband die Electronic Cafés aus fünf unterschiedlichen Städten und Ländern (Aarhus, Helsinki, Paris, Los Angeles und Köln). Filmisch dokumentiert ist eine Lesung von Ralf Löhnhardt im ECI in Köln. Wie die Dokumentation nahelegt, ist der Text, den er in englischer Sprache verliest, eine Gemeinschaftsproduktion verschiedener Autorinnen und Autoren.

Tele-Diskurs — Satelite Earth News (Köln/Aarhus) Abb. 17

Das Projekt Satelite Earth News führt die Möglichkeit vor, die Welt mit Satellitenbildern vollständig zu erfassen. Die Satellitenbilder werden innerhalb eines einfachen Bildbearbeitungsprogramms geöffnet (ob die Bearbeitung dieser Bilder Teil des Projekts ist, geht aus dessen filmischer Dokumentation nicht hervor). Innerhalb des Tele-Diskurses findet ein Austausch über die damals neue technische Errungenschaft statt, die Welt vollständig durch Satellitenbilder zu erfassen und dies zugleich beständig aktualisieren zu können. Durch Google Earth etc. sind solche weltumspannenden Visualisierungen heute zu einer Selbstverständlichkeit geworden.75

74  Ebd. 75  V  gl. zu dieser Thematik aus medienwissenschaftlicher Perspektive (exemplarisch) Jörg Döring/ Tristan Thielmann (Hg.): Mediengeographie. Theorie – Analyse – Diskussion. Bielefeld: transcript 2009.

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Tele-Talk — Kids News (Köln/Aarhus) Eine Gruppe von fünf Kindern im ECI in Köln (Ina, Moritz, Maja, Janni, Lisa) spricht mit Jugendlichen aus dem ECI in Aarhus. Die Kinder aus Köln präsentieren die Umgebung des Kölner ECI: das entstehende Kino Cinedom, ein Hochhaus, den Fernsehturm, den See und eine Brücke wie auch den Winke-Winke-Roboter.

Winke-Winke-Roboter — Horst Hörtner und Gerfried Stocker (Köln) Auf dem Außengelände des ECI/Casino Containers im MediaPark befand sich der an ein Computerterminal (Tastatur und Monitor) angeschlossene überlebensgroße Winke-Winke-Roboter. Er übersetzte die in den Computer eingegebenen Nachrichten unmittelbar in die Zeichen des internationalen Flaggenalphabets (auch: Winkeralphabet) für Seefahrer. Über eine Netzwerkanbindung konnten aus der ganzen Welt Nachrichten an diesen Roboter gesendet werden. Die Signale, die der Roboter aussendete, wurden wiederum mit einem Teleobjektiv aufgenommen und in einen Computer eingespeist. Dieser konnte mittels Bildmustererkennung die Flaggenzeichen erkennen und sie wiederum als lesbaren Text am Bildschirm anzeigen. Auf diese Weise durchliefen die übertragenen Nachrichten verschiedene Codierungsformen.76

Lesung und Tele-Roboting mit Olli Gold und dem Winke-Winke-Roboter (Köln) Abb. 18

Im Rahmen der Aktion Lovesymbolcollection verlas Olli Gold Liebesgedichte. Diese wurden – so legt es zumindest die Dokumentation nahe – von dem Winke-Winke-Roboter in das Winkeralphabet übertragen. 76  http://kunstradio.at/ZEITGLEICH/INSTALLATIONS/WINKE/index.html#top.

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Picturephonetalk: Lovesymbols (Köln/Santa Monica) Um ›Lovesymbols‹ geht es auch in einem Bildtelefon-Gespräch mit Galloway und Rabinowitz in Santa Monica, bei dem man Liebessymbole austauscht, die innerhalb der ECI übertragen werden und unabhängig von der Sprache verständlich sind. Abb. 19

Swinging Buddha — Wolf D. Wolf (Köln) Abb. 20

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Bei dem Projekt Swinging Buddha handelt es sich um eine Laserprojektion auf ein noch im Bau befindliches Gebäude des MediaParks in Köln. Zu sehen ist eine schaukelnde, in blauen Linien projizierte Buddhafigur, die das Gebäude in voller Höhe (ca. 5 Stockwerke) ausfüllt.

5. Überblick der ECI-Projekte nach künstlerischen Kategorien Art des Projekts

Projekt

Orte

Tele-Roboting

Tele-controlled Music-Roboter – Hybrid Band

Köln/Aarhus

Graham Smith: Toronto Cyber City

Venedig/ Toronto

Horst Hörtner/Gerfried Stocker: Winke-Winke-Roboter

Köln

CyberspaceKonzerte/ Interaktive Konzerte/ Soundperformances

Klanginstallationen

Interaktive Bildbearbeitung

Interaktives Konzert: Mia Zabelka: The Virtual Violin/Mik Aidt, Köln/Aarhus (17.08.1993) FRIW und Lars Mondrup Soundperformance/Konzert: Mia Zabelka (Gesang/Violine)/ Frank Schulte (Electronics)

Köln

Interaktives Konzert: Roberto Paci Dalò und Christophe Charles

Venedig/ Tokio

Soundperformance: Frank Schulte (Soundproduktion mit allen möglichen Geräten, Abendaktion im ECI)

Köln

Telefonkonzert/Soundperformance: Axel Otto (Soundproduktion mit verschiedenen Gegenständen)

Köln/Fukui (08.08.1993)

Konzert: Violent Music for Restaurants mit Jon Rose (Violine), Anna Homler (Vocals) und Frank Schulte (Electronics)

Köln (Eröffnungskonzert am 07.08.1993)

Konzert: King Gong mit Manos Tsangaris & Reiner Winterschladen (Konzert mit Trompete, Schlagzeug, Sprechgesang)

Köln

Konzert: Rapping Tracy G. about salon and ECI

Kassel (Salon in Medias, 30.07.1992)

Andres Bosshard: Telefonia

Venedig/Köln

Keigo Yamamoto: Hurin (japanisches Windspiel)

Venedig/ Fukui

The creation of Man – Michelangelo

Köln/Aarhus

Das Electronic Café International 1992: »the state of the art of network-art« Interaktive LiteraturProjekte

The Text … that exploded … (mit Ralf Löhnhardt)

Köln/Aarhus/ Helsinki/ Paris/Los Angeles

Text-Sound-Performance mit Ralf Löhnhardt und Fried Dähn

Kassel (Salon in Medias, 24.07.1992)

Salon-Spaziergang zum Schlößchen Schönfeld mit Lesungen. Impresario: Ralf Löhnhardt, Co-Poet: Rolf Persch

Kassel (Salon in Medias, 28.07.1992)

Olli Gold verliest im Rahmen der Lovesymbolcollection Liebesgedichte

Köln

Tele-Talk – Kids News

Köln/Aarhus

Tele-Diskurs – Satelite Earth News

Köln/Aarhus

Tele-Flirt

Venedig/Paris

Tele-Sightseeing

Venedig/ Stockholm

Picturephonetalk – Lovesymbols Nights

Köln/Santa Monica

Fax-Art

Imaginäre Bibliothek/Literatur interaktiv

Kassel (Salon in Medias, 23.07.1992)

Weitere künstlerische Projekte

Wolf D. Wolf: Swinging Buddha (Laserprojektion)

Köln

Familienalbum (Diashow)

Kassel (Salon in Medias, 22.07.1992)

Diskurs

Videotelefonkonferenz

Kassel (21.06.1992)

Telefonkonferenz/Round Table

Kassel (10. und 11.07.1992)

Audiovisuelle Ferngespräche

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An allen drei Orten, an denen das ECI von 235 Media und Team installiert wurde, wurden unterschiedliche Projekte realisiert. Diese lassen sich wiederum übergreifenden Kategorien zuordnen, die zum Teil bereits im Konzeptpapier für die erste Realisation auf der documenta in Kassel skizziert worden sind. Hier finden sich jedoch auch Projektideen, die letztlich nicht umgesetzt wurden, und umgekehrt wurden Projekte realisiert, die in jener Planungsskizze noch nicht enthalten sind. Die folgende Tabelle gewährt einen an der Kunstform orientierten Überblick über diejenigen Projekte, die filmisch dokumentiert und über das Archiv der Stiftung imai eingesehen werden können.77

6. Das ECI im Casino Container aus medien- und kunstgeschichtlicher Perspektive »Mehr denn je werden Aktion und Kommunikation im Mittelpunkt des Designkonzepts stehen. In Kooperation mit Axel Wirths und 235 Media und dem Electronic Café International wird der Casino Container zur medialen Zauberkiste und Hexenküche, verbunden und vernetzt mit anderen Cafés rund um die Welt.« 78 Das Electronic Café International im Casino Container ist medien- und kunstgeschichtlich in einem Kontext von Begriffen zu sehen, die im Laufe des 20. Jahrhunderts eine Virulenz entwickelt haben, die bis in die Gegenwart fortwirkt: mediale Vernetzung, Aktion und Interaktion, Partizipation, Kommunikation und Mobilität. Einhergehend mit diesen Begriffen ändert(e) sich vieles: das Verständnis dessen, was ein künstlerisches ›Werk‹ ist, die Rolle der Rezipierenden wie auch die der Kunstschaffenden/Produzierenden. Diese Veränderung lässt sich sehr kurz zusammengefasst als eine Entwicklung »vom statischen Objekt zum dynamischen Prozess«, »von der kontemplativen Rezeption hin zur aktiven Partizipation«, vom passiven Betrachter zum Akteur und von einem einseitigen Sender-Empfänger-Verhältnis zur Interaktion beschreiben.79 Diese Interaktivität – und das ist für den Kontext dieser Studie entscheidend – verändert sich mit den zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten. Inke Arns schreibt dahingehend mit Rekurs auf Dieter Daniels, der Begriff der sozialen Interaktion sei »in den frühen 1990er Jahren dem einer vornehmlich technologischen Inter-

77 Nicht alle Projekte können genau datiert werden. In der Tabelle werden auch jene Projekte aufgeführt, die im vorangegangenen Kapitel nicht im Einzelnen erläutert wurden. 78  Konzeptpapier zum Casino Container/ECI, S. 5. 79  Arns: Interaktion, Partizipation, Vernetzung. Kunst und Telekommunikation, o.S.

Das Electronic Café International 1992: »the state of the art of network-art«

aktivität gewichen«80, und diagnostiziert einen »ideologischen Paradigmenwechsel von den ästhetisch-sozialen Entgrenzungsideen der 1960er zu Konzepten der technologischen Interaktivität der 1990er Jahre«81. Das Projekt Electronic Café International im Casino Container ist für genau diese Entwicklung symptomatisch; es repräsentierte damals – wie Wirths es formuliert hat: »the state of the art of network-art«82. Er beschreibt das Projekt auch als technische/experimentelle Auseinandersetzung mit der Frage nach (neuen) öffentlichen Räumen in einem Medienzeitalter, in dem sich virtuelle und elektronische Räume eröffnen, die es auszutesten und zu erschließen gilt. Dabei geht es nicht lediglich um eine technische, sondern auch um eine kommunikative und soziale Dimension, die sich auf der Höhe des technischen Fortschritts bewegt, diesen jedoch nicht in erster Linie kommerziell, sondern intellektuell, kommunikativ und künstlerisch nutzt. Wirths spricht von einem elektronischen Nomadentum, das Teil eines neuen ›way of life‹ werden könne, das ECI verstand er auch als Treffpunkt und Künstlercafé für elektronisch Reisende.83 Indem man den realen mit dem virtuellen Raum verband, wurde mit diesem Projekt ein visionärer sozialer und kommunikativer Ort geschaffen, der zum einen weit über ein Statement innerhalb des Kunstsystems – als »the state of the art of network-art« – hinausreicht und zum anderen nach wie vor – unter anderen technischen Voraussetzungen – hochaktuell geblieben ist. Die Geräte und Techniken, die verwendet wurden, bildeten den damaligen Status quo der technischen Möglichkeiten ab. Sie wurden weiterentwickelt und sind in ihren perfektionierten Formen inzwischen sogar im privaten Gebrauch längst zu Selbstverständlichkeiten geworden (Skype, Mobil- und Videotelefonie, Google Maps, Google Earth, Bild- und Filmbearbeitungsprogramme, Handyfilmund -fotografie etc.). Das ECI hat die Idee und Medienutopie verkörpert, die technischen Innovationen nicht lediglich kommerziell zu nutzen, sondern den neuen

80  Ebd. 81  E bd.; vgl. dazu auch Dieter Daniels: Strategien der Interaktivität. In: Rudolf Frieling/ders. (Hg.): Medien Kunst Interaktion. Die 80er und 90er Jahre in Deutschland. Wien/New York: Springer 2000, S. 142-169. 82  Wirths: Artistic Electronic Networking, S. 172. 83  Ebd.

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kommunikativen und sozialen Möglichkeiten, die diese bieten, im buchstäblichen Sinne Raum zu geben.84

84  N  ach 1993 wurde das ECI von der Kölner Gruppe nicht weitergeführt und der Casino Container ging mit Meyer Voggenreiter und Uwe Wagner, die fortan unter dem Namen casino.container mobile Systeme, Einrichtungen und Ausstellungen gestalteten, seine eigenen Wege. Die weitere Geschichte des Casino Containers belegt anschaulich dessen Flexibilität nicht nur hinsichtlich seines Standorts, sondern auch seiner Nutzung. Im Rahmen der Hannovermesse diente er 1994 als ›Truckercafé‹ eines Automobilkonzerns, in Hamburg beherbergte er ein Infocenter für den Architektensommer. Während des Schüttorfer Open Air Festivals (1994 und 1995) war er Pressezentrum und ›Begegnungsstätte‹, zum Beispiel für Interviews und Talks mit den anwesenden Bandmitgliedern (beispielsweise der Toten Hosen, der Rolling Stones, Element of Crime etc.). Und als die Rolling Stones am 27. August 1995 im Rahmen ihrer Voodoo Lounge Tour in Luxemburg haltmachten, diente der Casino Container als VIP-Lounge. 1997 wurde er noch einmal wie in seiner ursprünglichen Mission als ›Netzwerk-Café‹ eingesetzt. Unter dem Motto »Café-Cyber Action For Europe« gastierte er erneut in Luxemburg. Für 100 Tage beherbergte er ein für die Öffentlichkeit zugängliches Internet-Café auf dem dortigen Heilig-Geist-Plateau. Besucher*innen wurde hier die Gelegenheit gegeben, »sich gemäß dem Motto ›Europa ohne Grenzen‹ mit Hilfe von geschultem Personal mit der weiten Welt des Internets vertraut zu machen«, www. meyer-strassfeld.de/casinocontainer/Stationen.htm.

Video | Kunst | Vermittlung

Fernseh-Utopien und Videokunst Jessica Nitsche

Fluch und Segen. Fernsehkritik und Fernsehutopie 1969 bis 1992 — eine Skizze »Television is in its infancy Television is in its idiocy Television is asleep Television is a sleeping idiot infant giant« (Howard Wise 1971)1 Innerhalb der Videokunst hat von Beginn an eine Ref lexion des Televisuellen stattgefunden, ihre Geschichte ist mit der des Fernsehens eng verwoben. John G. Hanhardt konstatiert, die Anfänge der Videokunst seien nur unter Berücksichtigung des Fernsehens vollständig rekonstruierbar, und er stellt die Opposition der Videokunst zu dem in den 60er-Jahren dominanten kommerziellen Fernsehen als bestimmend heraus. Die Leistung der Pioniere der Videokunst sieht er unter anderem darin, das Massenmedium Fernsehen »als machtvolle Kraft in der kapitalistischen Gesellschaft« sichtbar gemacht zu haben.2 – Ohne auf diese Frühphase ausführlich eingehen zu können, sei zumindest auf die richtungsweisende Ausstellung von Howard Wise verwiesen, die das Fernsehen bereits 1969 als

1  H  oward Wiseʼs speech: The Electronic Hokkadim at the Corcoran Gallery of Art, June 12, 1971 and broadcast over station WTOP/TV, https://www.eai.org/supporting-documents/176/w.1008.0 (15.02.2019). 2  H  anhardt bezieht sich hier konkret auf Wolf Vostell und Nam June Paik. John G. Hanhardt: Décollage/Collage. Anmerkungen zu einer Neuuntersuchung der Ursprünge der Videokunst. In: Wulf Herzogenrath/Edith Decker (Hg.): Video-Skulptur retrospektiv und aktuell. 1963-1989. Köln: DuMont 1989, S. 13-24, hier S. 13-14. Zu dieser frühen Phase und den Differenzen zwischen den USA und Deutschland vgl. Wulf Herzogenrath: Versuche, die verdammte Kiste abzuschaffen – oder: die Anfänge eines Kunstmediums in Europa mit Fluxus. In: ders. (Hg.): Videokunst in Deutschland: 1963-1982. Videobänder, Installationen, Objekte, Performances. Stuttgart: Verlag Gerd Hatje 1982, S. 26-29.

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ein Medium aufgegriffen hat, in dem Wise großes künstlerisches Potenzial sah.3 Ganz in diesem Sinne trug sie den Titel TV as a Creative Medium. Sie fand in der Howard Wise Gallery in New York statt und wird beschrieben als »the landmark 1969 exhibition that served to link the kinetic and art and technology movements of the 1960s with the emergent medium of video art«4. 1970 gab Wise die Galerie auf und gründete Electronic Arts Intermix. Auch in seinem 1973 verfassten Positionspapier zur Gründungsidee von EAI spielt das Fernsehen noch eine bedeutende Rolle.5 Er beschreibt darin die (heute nicht minder relevante) Problematik, dass das Fernsehen aufgrund der Kosten ein größtmögliches Publikum erreichen muss und aus diesem Grund nicht zu provokant, kontrovers und offensiv sein kann und will. Genau darin sieht er aber die Aufgabe des Künstlers/der Künstlerin: »the artist must […] seek to provoke the viewer out of his complacency, he must attempt to stimulate the viewerʼs imagination, and he must seek the truth and make visible regardless of the consequences«6. Für Videokünstler*innen wurde das Fernsehen vielfach zum Gegenstand der Kritik. Bereits 1944 hatten Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in der Dialektik der Auf klärung ihre Kritik an der Kulturindustrie formuliert, der zufolge die Massenmedien als »Instrumente zur Kontrolle und Lenkung der Masse im 3  E inen aktuellen Einblick in die Zusammenhänge von Fernsehen und bildender Kunst liefern die Aufsätze und künstlerischen Positionen in dem Ausstellungskatalog TeleGen. Kunst und Fernsehen (2015), herausgegeben von Dieter Daniels und Stephan Berg. Die von den beiden Herausgebern kuratierte Ausstellung im Kunstmuseum Bonn setzte sich mit der Bedeutung des Fernsehens für die bildende Kunst von 1960 bis 2015 auseinander. Das Anliegen war eine »Reflexion des ›Televisuellen‹ durch alle Gattungen, von der Malerei, Skulptur und Zeichnung über die Fotografie bis hin zu installativen Arbeiten«, bewusst wurde die Videokunst nicht in den Mittelpunkt gestellt, ebd., S. 11. Thematisch ähnlich ausgerichtet, aber auf einen kürzeren Zeitraum beschränkt, war 2010 die Ausstellung Changing Channels. Kunst und Fernsehen 1963-1987 im museum moderner kunst stiftung ludwig wien (mumok), kuratiert von Matthias Michalka mit Manuela Ammer. Der gleichnamige Ausstellungskatalog wurde vom mumok herausgegeben und ist 2010 im Verlag der Buchhandlung König erschienen. 4  h  ttps://www.eai.org/webpages/1003 (15.02.2019). Ira Schneider hat diese Ausstellung in seinem gleichnamigen Video dokumentiert. Die beteiligten Künstler*innen und Werke waren: Serge Boutourline: Telediscretion, Frank Gillette/Ira Schneider: Wipe Cycle, Nam June Paik: Participation TV, Nam June Paik/Charlotte Moorman: TV Bra for Living Sculpture, Earl Reiback: Three Experiments within the TV Tube, Paul Ryan: Everyman’s Moebius Strip, John Seery: TV Time Capsule, Eric Siegel: Psychedelevision in Color, Thomas Tadlock: The Archetron, Aldo Tambellini: Black Spiral, Joe Weintraub: AC/TV (Audio Controlled TV). Die Ausstellungsdokumentation von TV as a creative Medium befindet sich im Archiv der Stiftung imai. 5  D  as Positionspapier (Electronic Arts Intermix, Inc. – at the leading edge of art) wie auch weiteres Material zu Howard Wise steht auf der Homepage von Electronic Arts Intermix zum Download bereit: https://www.eai.org/supporting-documents/288/w.1008.0 (15.02.2019). 6  H  oward Wise: Electronic Arts Intermix, Inc. – at the leading edge of art (1973), S. 4, https://www.eai. org/supporting-documents/288/w.1008.0 (15.02.2019).

Fernseh-Utopien und Videokunst

Dienste des Kapitals und der politisch Mächtigen«7 dienen. Diese Auffassung wurde in der Videoszene vielfach geteilt. So schreibt beispielsweise Ulrike Rosenbach in ihrem richtungsweisenden Aufsatz Video als Medium der Emanzipation über die Vormachtstellung des Fernsehens: »Das Fernsehen in diesem Land war auf dem geraden Weg, eine Festung technologischer Ideologie zu werden, unzugänglich für kritische Experimente […].«8 Folglich eignete sich das Massenmedium Fernsehen auch als Ausgangspunkt für eine Kritik an den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Und so nahmen viele Videokünstler*innen die Fernsehästhetik zum Anlass, eine Gegenästhetik zu entwickeln. Dies geschah auf unterschiedlichen Ebenen, von denen ich einige anhand von Beispielen skizzieren möchte: Zunächst kann das Fernsehgerät selbst zum Motiv werden. So zeigt Volker Anding in seiner TV-Trilogie (1984-87)9 in allen drei Teilen ein Setting aus Fernsehgerät und Zuschauer; das Gleiche ist in Microwaved Hotdog (1989) von Petr Vrána der Fall, in der eine Frau einem didaktischen Musikvideo zuschaut, das darüber auf klärt, dass Mikrowellen für Hunde nicht geeignet sind. Weiterhin können die visuelle Ästhetik des Fernsehbildes und fernsehspezifische Inhalte aufgegriffen werden. Klaus vom Bruch beispielsweise knüpft mit seinen Arbeiten Duracellband und Softi Band (beide 1980) an die Werbeästhetik der 80er-Jahre an, in Das Schleyer Band (1977/78) arbeitet er mit Mitschnitten aus der Berichterstattung über die RAF aus der Zeit des ›Deutschen Herbst‹. Claus Blume nimmt in Variationen zu einem patriotischen Thema (1987) eine Nachrichtensendung zum Ausgangspunkt und lässt den Sprecher eine verfremdete Form der Nationalhymne intonieren. Das Video- und Filmteam Kaos10 kombiniert in Unsere Volkswirtschaft blüht (1985) Ausschnitte aus verschiedenen Werbeclips der 80er-Jahre und einem Pornofilm; für die Tonebene werden Ausschnitte aus einem Interview

7  S tephan Berg: Die Kunst des Fern-Sehens. In: ders./Daniels: TeleGen, S. 33-41, hier S. 35, mit Rekurs auf Theodor W. Adorno/Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt a.M.: Fischer 2010 (19. Auflage, Erstauflage 1944), S. 128-176 (Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug). 8  U  lrike Rosenbach: Video als Medium der Emanzipation. In: Wulf Herzogenrath (Hg.): Videokunst in Deutschland: 1963-1982. Videobänder, Installationen, Objekte, Performances. Stuttgart: Verlag Gerd Hatje 1982, S. 99-102, hier S. 100. Dieser Text wurde jüngst noch einmal in englischer Sprache veröffentlicht in: Eugeni Bonet (Hg.): Video Writings by Artists (1970-1990). Mailand: Mousse Publishing 2017, S. 44-49. 9  D  er zweite Teil der TV-Trilogie von Volker Anding trägt den Titel Dienstag, stammt aus dem Jahr 1986 und war 1989 in der Ausstellung Zeitzeichen. Stationen Bildender Kunst in Nordrhein-Westfalen in Bonn, Leipzig und Duisburg zu sehen. Später diente die Arbeit als Inspiration für die Fernsehsendung Donnerstag. Vgl. dazu ausführlich das Kapitel Die Fernseh-Utopie der 1980er-Jahre am Beispiel des TV-Magazins Donnerstag in diesem Band.  m Kaos Film- und Video-Team aus Köln beteiligt waren Peter Kleinert (auch Gründungsmit10  A glied von Kanal 4), Reinhold Böhm, Wolfram Seeger, Wilfried Kaute und Yoash Tatari.

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von Friedrich Nowottny mit Helmut Kohl verwendet, in denen dieser über die blühende Volkswirtschaft spricht.11 Die hier nur sehr verkürzt angesprochenen Positionen lassen erahnen, dass auf vielfältige Weise – oft auf zugleich satirisch-humorvolle Art – Fernsehkritik geübt wurde. Diese lässt sich zumeist auf eine Medien- und Gesellschaftskritik ausweiten, da das Fernsehen vonseiten der Videokünstler*innen vielfach als Repräsentation des herrschenden und für problematisch befundenen Systems aufgefasst wurde. Daniels nennt diese (»post-utopische«) Strategie die »analytische De-Konstruktion des Massenmediums mit den Mitteln der Kunst«12. Ein weiterer und ganz anderer Ansatz, als das Massenmedium Fernsehen einer Kritik zu unterziehen, war, es für sich zu nutzen; das heißt sich im Sinne von Benjamin und Brecht die kulturellen Produktionsapparate selbst anzueignen und Strategien für diese zu entwickeln, um sie schließlich von innen heraus zu verändern. Diese Hoffnung formuliert auch Ulrike Rosenbach: »Das eigentliche Zauberwort hieß: ›Senden‹ – ›Broadcasting‹ und ›Fernsehen‹. Endlich würden wir in der Lage sein, mit den technischen Fähigkeiten von Video autonom zu senden […]. Das Fernsehgerät, der ›Altar‹ der modernen Familie, würde es mindestens 60 % aller Mitbürger ermöglichen, unsere Sendungen zu empfangen.«13 Von dieser Vision getragen war das Projekt Alternativ TV, das sie 1975 zusammen mit Klaus vom Bruch und Marcel Odenbach ins Leben rief.14 Von ihrem Studio in Köln sendeten sie in sehr kleiner, lokaler Reichweite selbst produziertes Fernsehen. Darüber hinaus haben sie ihre Videoproduktionen im Vorspann als ATV-Produktionen gekennzeichnet und sich damit explizit vom kommerziellen Fernsehen abgegrenzt. Zu einer Zusammenarbeit mit dem kommerziellen Fernsehen kam es nur selten. Ein Beispiel dafür ist die Arbeit Westprotest, mit der die Gruppe 1981 gegen die Kölner Großausstellung Westkunst rebellierte. Die Ausstellung war mit dem Anspruch angetreten, einen Überblick über die zeitgenössische Kunst seit 1939 11  Das Video Unsere Volkswirtschaft blüht ist Teil der 8. Folge des Video Congress (Metasprache I und II). 12  V  gl. dazu Dieter Daniels: Fernsehen – Kunst oder Antikunst? – Konflikte und Kooperationen zwischen Avantgarde und Massenmedium in den 1960er/1970er Jahren. In: Rudolf Frieling/Dieter Daniels (Hg.): Medien Kunst Netz 1. Medienkunst im Überblick. Wien: Springer 2004, S. 5154; wie auch online: www.medienkunstnetz.de/themen/medienkunst_im_ueberblick/massenmedien/ (15.02.2019), im Folgenden wird die Online-Version verwendet. Daniels unterscheidet in seinem Beitrag die folgenden drei Phasen der Beziehung von Kunst und Fernsehen: 1) 19621964: Der Kampf mit der Fernseh-Kiste, 2) 1968-1969: Künstler gehen auf Sendung, 3) Interventionen und Kooperationen seit 1970. Im Ausblick zeigt er vier verschiedene Varianten des künstlerischen Umgangs mit den Massenmedien seit Ende der 1970er-Jahre, die er als »post-utopisch« kennzeichnet, vgl. ebd., S. 29. Zugunsten der Komplexitätsreduktion verzichte ich in meinem Beitrag auf die Differenzierung zwischen utopisch und post-utopisch. 13  Rosenbach: Video als Medium der Emanzipation, S. 99. 14  Vgl. www.medienkunstnetz.de/werke/atv-studio/ (15.02.2019).

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zu bieten, ignorierte dabei jedoch die Medien Fotografie und Film wie auch die aktuellen Entwicklungen in der Videokunst. Ein Fernseh-Reporter besuchte die Mitglieder von Alternativ TV in ihrem Studio und bot der Gruppe eine Plattform für ein eigenes Statement wie auch zur Präsentation ihrer Videoarbeit zu diesem Thema. Westprotest wurde am 5. Juni 1981 im ZDF als Beitrag in der Sendung Aspekte übertragen.15 Frieling beschreibt Alternativ TV treffend als »›Mikrofernsehen‹ gegen das noch existierende staatliche Monopol« und als »ein Akt anti-autoritärer Fernsehpiraterie von selbsternannten ›Videorebellen‹, ganz im Geist einer medialen Gegenöffentlichkeit«16. Als Piratensender in weitaus größerem Stil wurde 1990 Kanal X in Leipzig ins Leben gerufen.17 Realisiert wurde der Sender durch die Videokünstler Ingo Günther und Norbert Meissner wie auch den Kunsthistoriker Jörg Seyde. Die Idee entstand bereits, als sich diese am 9. November 1989 auf der Vernissage zu der Ausstellung Zeitzeichen trafen (zufällig und kurioserweise also am Tag des Mauerfalls). Meissner und Günther waren darin mit Videoarbeiten vertreten.18 Die Ausstellung mit dem vollständigen Titel Zeitzeichen. Stationen bildender Kunst in Nordrhein-Westfalen war ein ›Westimport‹, in Auftrag gegeben durch das Land NRW im Rahmen des ›Kulturaustauschs‹ mit der DDR. Sie hatte zuvor in Bonn stattgefunden und für Leipzig war der Zeitraum vom 10. September 1989 bis zum 7. Januar 1990 im Museum der bildenden Künste und der Galerie der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) angesetzt. Im Anschluss war die Ausstellung in Duisburg zu sehen. Anders als noch die Überblicks-Ausstellung Westkunst (1981) ignorierte Zeitzeichen die Videokunst nicht, sondern enthielt ein ambitioniertes, von Dieter Daniels kuratiertes Videoprogramm.19 Weil die Ausstellung eine West-Ost15  V  gl. www.medienkunstnetz.de/werke/westprotest/ (15.02.2019). Westprotest befindet sich im Archiv der Stiftung imai. 16  R  udolf Frieling: VT ≠ TV – Die Anfänge der Videokunst. In: ders./Dieter Daniels (Hg.): Medien, Kunst, Interaktion. Die 60er und 70er Jahre in Deutschland. Wien: Springer 1997, S. 115-121, hier zitiert nach: http://medienkunstnetz.de/quellentext/63/ (10.02.2019). 17  D  en folgenden Ausführungen über Kanal X liegen diese Quellen zugrunde: www.kanalx.org/ about/ (15.02.2019); Dieter Daniels: Medien Momente. Leipzig 1989-1994. In: Beatrice von Bismarck/Christine Ring (Hg.): Die Galerie der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig 1980-2005. Bielefeld: Kerber 2005, S. 76-83; Felix Hügel: Mut zur Lücke im Osten. Kanal X – der einzige Piratenfernsehsender der DDR (13.03.2010), https://www.deutschlandfunk.de/mutzur-luecke-im-osten.761.de.html?dram:article_id=114303; www.medienkunstnetz.de/werke/ kanal-x/ (15.02.2019). 18  V  on Ingo Günther waren zu sehen: Hi Tao (1980, 8:30 Min.); Eleven Waiters (1982, 10 Min.); Rotorama (1985, 7 Min.); von Norbert Meissner & Mike Krebs die Arbeit Dialog (1987, 5 Min.) (Rotorama und Dialog befinden sich im Archiv der Stiftung imai). 19  N  eben Arbeiten von Ingo Günther und Norbert Meissner waren Arbeiten der folgenden Künstler*innen ausgestellt: Nam June Paik, Ulrike Rosenbach, Marcel Odenbach, Gábor Bódy, Klaus vom Bruch, VA Wölfl, Volker Anding, Bettina Gruber und Maria Vedder. Vgl. Dieter Daniels:

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Kooperation war und sich die politischen Ereignisse am Tag ihrer Eröffnung und danach überschlugen, erhielt sie eine besondere Aufwertung. Dies führte dazu, dass Daniels den Auftrag zu einem Symposium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst erhielt. Dazu lud er auch Ingo Günther ein und vermittelte diesem zuvor den Kontakt zu der Bürgerbewegung Neues Forum, dem es an jeglicher medialer Ausstattung fehlte und in dem sich wiederum Jörg Seyde engagierte.20 Zu dem Symposium, das am 13. und 14. März stattfand, brachte Günther das notwendige technische Equipment mit: »Zwei Tage vor Sendebeginn traf Günther aus Düsseldorf ein, die Satellitenschüssel auf dem Dachgepäckträger. Den DDR-Zöllnern erzählte er von einer künstlerischen Aktion. Mit vereinten Kräften wurde die ›Videoinstallation‹ auf dem Dach des Hauses der Demokratie ans Netz gehängt.«21 Am 17. März 1990 ging Kanal X auf Sendung. Die Zielsetzung bestand darin, den Umwandlungsprozess der DDR zu dokumentieren, aktiv mitzugestalten und der Bürgerbewegung des Neuen Forums22 eine mediale Infrastruktur und damit ›eine Stimme‹ und Bilder zu geben. In diesem Fall stand also nicht im Zentrum, künstlerische Arbeiten ins Fernsehen zu bringen, sondern »Beiträge zu politischen, sozialen, ökologischen Problemen ebenso wie zur stadtgeschichtlichen Entwicklung und zu kulturell-künstlerischen Positionen und Events«23. Das Projekt wurde als künstlerisches initiiert und sollte als »Experimentierfeld für

Video-Programm. In: Karl Ruhrberg (Hg.): Zeitzeichen. Stationen bildender Kunst in Nordrhein-Westfalen. Köln: DuMont 1991, S.  383-393, wie auch ders.: Medium und Kunst. Anmerkungen zum Video-Programm der Ausstellung, ebd., S.  381-382. Bemerkenswert ist, dass die Ausstellung neben dem Video-Programm auch eine von Wibke von Bonin kuratierte Sektion zu Kunstprogrammen im Fernsehen enthielt, vgl.: Wibke von Bonin: Fernsehen – Nahsehen. Probleme und Chancen der Kunstprogramme, ebd., S. 395-405. Hier ging es überwiegend um Kunst-Dokumentationen, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt worden waren, zum Beispiel Künstlerporträts (von Ulrich Rückriem, Jörg Immendorf, Gerhard Richter, Günther Uecker, Nam June Paik, Joseph Beuys – Künstlerinnen waren in dieser Auswahl leider nicht vertreten), Filme über wichtige Ausstellungen (zum Beispiel die Skulptur Projekte in Münster), bestimmte Zeiträume (zum Beispiel die 60er-Jahre), wichtige Strömungen (zum Beispiel Happening) etc. 20  D  ie weiteren Beteiligten waren der damalige Direktor des ZKM Heinrich Klotz, der Videokünstler Klaus vom Bruch und aus Leipzig die Kunstkritikerin Ina Gille, der Architekt Bernd Sikora sowie der Künstler Jörg Herold. Vgl. Daniels: Medien Momente. Leipzig 1989-1994, S. 79. 21  Der Tagesspiegel, 21.04.1990, hier zitiert nach www.kanalx.org/about/ (15.02.2019). 22  Vgl. http://neues-forum-leipzig.de/uber-uns/ (28.08.2019). 23  w  ww.kanalx.org/about/ (15.02.2019). Auf der Homepage von Kanal X teilt sich das Themenspektrum in die folgenden Kategorien auf (und weist damit, wenn auch mit einigen thematischen Abweichungen, Ähnlichkeit zu der Struktur einer Lokalzeitung auf): Wir über uns; Leipzig; Industrie; Verkehr; Umland; Sitzungen; Demonstrationen; Sendungen und Berichte; Kunst und Kultur; Stadtgeschichte; Medienpraktiker Ausbildung, vgl. www.kanalx.org/video-more/ (15.02.2019).

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interessierte Künstler und andere Bürger«24 fungieren, die konkrete Arbeit von Kanal X war in erster Linie eine journalistische oder mit Dieter Daniels anders formuliert: ein »Projekt, das mit der gesellschaftlichen Wirkung von Kunst ernst machte«25, und eine »subversive Strategie der künstlerischen Besetzung von Nischen in der expandierenden Medienlandschaft«26. Empfangen werden konnte der Sender im Umkreis von rund 5 Kilometern, darüber hinaus wurde durch eine Satellitenempfangsanlage ermöglicht, in Leipzig die internationale Berichterstattung über die Wende zu verfolgen.27 Juristisch bewegte man sich mit Kanal X auf unsicherem Gebiet, wie Felix Hügel in seinem Deutschlandfunk-Beitrag Mut zur Lücke im Osten. Kanal X – der einzige Piratenfernsehsender der DDR auf der Basis eines Gesprächs mit Norbert Meissner darlegt: »Der von der Volkskammer im Februar 1990 neu verabschiedete Medienbeschluss gab gesellschaftlichen Gruppen die Möglichkeit, sich in den Medien darzustellen. Kanal X hat aber gegen die Bestimmungen der DDR-Post verstoßen. Die versuchte daher auch mehrfach, den Sender zu schließen. […] Als 1991 dann die Bundespost verstärkt Druck ausübte und der Versuch der Legalisierung scheiterte, da habe der Piratensender den Betrieb schließlich eingestellt, so Meissner.«28 Bis dato war Kanal X rund zwölf Mal auf Sendung gewesen und hat darüber hinaus auch Beiträge für die Öffentlich-Rechtlichen produziert, die »auf DFF (ehemaliges DDR-Fernsehen), ARD, ZDF, RTL, SAT1 u.a. ausgestrahlt«29 wurden. Norbert Meissner hat für das Projekt ein Online-Filmarchiv erstellt, in dem die produzierten Beiträge von Kanal X erhalten und abruf bar sind: www.kanalx.org/video-home/. Im Folgenden sei ein Fernseh-Projekt vorgestellt, dessen Anliegen darin bestand, interaktives Fernsehen zu realisieren: Van Gogh TV.30 Zeitlich fiel das 24  w ww.kanalx.org/about/ (15.02.2019). 25  Daniels: Medien Momente. Leipzig 1989-1994, S. 79. 26  Vgl. dazu Daniels: Fernsehen – Kunst oder Antikunst?, S. 29. 27  Vgl. Daniels: Medien Momente. Leipzig 1989-1994, S. 79. 28  F elixHügel:MutzurLückeimOsten.KanalX–dereinzigePiratenfernsehsenderderDDR(13.03.2010), https://www.deutschlandfunk.de/mut-zur-luecke-im-osten.761.de.html?dram:article_id =114303 (15.02.2019). 29  w ww.kanalx.org/about/ (15.02.2019). 30  T ilman Baumgärtel, Jens Schröter und Anja Stöffler riefen jüngst das Forschungsprojekt Van Gogh TV. Erschließung, Aufarbeitung und historisch-theoretische Einordnung ins Leben, das seit 2018 von der DFG gefördert wird (Projektleitung: Tilman Baumgärtel, Hochschule Mainz – Institut für Mediengestaltung). In den nächsten Jahren ist daher mit einer umfassenden Aufarbeitung dieses Themas zu rechnen. Langfristig soll das umfangreiche Material von Van Gogh TV (analoge Videomitschnitte, Akten, digitale Dateien und E‑Mails) im documenta-Archiv in Kassel bewahrt werden. Ausführliche Informationen sind zu finden auf der Website: http://vangoghtv. hs-mainz.de/ (09.03.2019). Produktionen von Van Gogh TV waren bereits 2015/16 im Rahmen der Ausstellung TeleGen. Kunst und Fernsehen in Bonn zu sehen. Vgl. Daniels/Berg: TeleGen, S. 324.

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Projekt in die Phase, in der das Internet noch in den Kinderschuhen steckte und das Fernsehen als Leitmedium noch nicht abgelöst hatte. Dennoch ist es durch zahlreiche Aspekte gekennzeichnet, die sich später nicht innerhalb des Fernsehens, wohl aber innerhalb des Internets realisiert und weiter ausdifferenziert haben (beispielsweise in den sozialen Medien facebook, Instagram, Twitter etc.).31 Das Künstlerkollektiv Van Gogh TV wollte dem so vielfach als zu kommerziellen, affirmativen und ›kontrollierten‹ Medium Fernsehen eine neue Form entgegensetzen, die eine unmittelbare Interaktion zwischen den Zuschauer*innen ermöglichen und diese von passiven Konsument*innen zu aktiven Produzent*innen (Prosument*innen) werden lassen sollte. Für die documenta 9 realisierte Van Gogh TV das Projekt Piazza Virtuale, das zu seinem wichtigsten wurde und gezeigt hat, dass das Interesse an interaktiven Massenmedien in jener Zeit bereits groß war. Bis heute gehört es mit zeitweise 25.000 Anrufer*innen (und 110.000 Anrufversuchen32) pro Stunde zu den erfolgreichsten interaktiven Fernsehprojekten weltweit.33 Das Konzept von Piazza Virtuale geht zurück auf Mike Hentz, Karel Dudesek (beide zuvor Minus Delta t), Benjamin Heidersberger und Salvatore Vanasco, die das Projekt zugleich leiteten. Für dessen Realisierung arbeiteten sie mit einem großen Team, dem unter anderem Gérard Couty der Künstlergruppe FRIGO in Lyon angehörte.34 Der virtuelle Raum, den die Piazza Virtuale entstehen ließ, materialisierte sich in Kassel in einer Container-Stadt, die »aus einem Satelliten-Uplink mit Sendewagen, Sende- und Produktionsstudio, Räumen für Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit, einem Café und einer kleinen Piazza unter freiem Himmel«35 und rund 30 festen Mitarbeiter*innen bestand. Zeitgleich fand innerhalb der documenta 9 das Electronic Café International statt, in das 235 Media bzw. Axel Wirths maßgeblich involviert war.36 Beiden Projekten lag die gleiche Vision zugrunde: Kunst sollte zu einem interaktiven Prozess werden, Ziel und Thema war die Kommunikation. Und gearbeitet wurde mit ähnlichen technischen Mitteln – allen elektronischen Medien nämlich, die kurz vor dem Auf kommen des Internets zur

31  Vgl. http://vangoghtv.hs-mainz.de/?page_id=2 (09.03.2019). 32  V  gl. Dieter Daniels: Kunst als Sendung. Von der Telegrafie zum Internet. München: C.H. Beck 2002, S. 250 (Daniels nennt diese Zahl mit Rekurs auf Angaben der Telekom). 33  Vgl. www.medienkunstnetz.de/werke/piazza-virtuale/bilder/3/?desc=full (15.02.2019). 34  E ine Liste aller Mitglieder des Teams findet sich unter http://vangoghtv.hs-mainz.de/?page_ id=2 (09.03.2019). 35  http://medienkunstnetz.de/werke/piazza-virtuale/bilder/4/ (09.03.2019). 36  V  gl. dazu meinen Beitrag Das Electronic Café International 1992 – »the state of the art of network-art« in diesem Band.

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Verfügung standen. Aufgrund der Vorgeschichte37 verwundert dies wenig: Seit 1985 kooperierte 235 Media mit den Gruppen Minus Delta t und FRIGO im Rahmen des Europe Media Art Network.38 Für die vorangegangene documenta 8 (1987) hatten sie gemeinsam das Projekt Ponton Media Bus realisiert; 1988 folgte für die dritte Videonale in Bonn das Ponton European Mobile Art Project.39 Konkret sahen die interaktiven Möglichkeiten, die Piazza Virtuale bot, wie folgt aus: »Per Telefon, Fax, Mailbox, Bildtelefon und sogar dem damals noch weitgehend unbekannten Internet konnte man auf die Gestaltung der Sendungen Einf luss nehmen. So gab es je nach Sendeblock die Möglichkeit, miteinander zu diskutieren, sich kennenzulernen, gemeinsam Musik zu machen oder zu malen, eine Kamera im Kasseler Studio zu bewegen, zu chatten und vieles mehr.«40 Dies war von zu Hause aus möglich wie auch auf Knopfdruck an den ›Entrypoints‹ auf dem documenta-Gelände. Die Protagonist*innen von Van Gogh TV verwendeten damit eine Strategie, die von Dieter Daniels als »Zusammenarbeit mit dem Fernsehen zur Entwicklung innovativer Medientechniken«41 gekennzeichnet wird. Van Gogh TV arbeitete nicht nur unmittelbar mit Fernsehsendern zusammen, sondern konnte die an dem Projekt interessierte Fernseh- und Telekommunikationsindustrie auch als Sponsor gewinnen.42 Vom Sendestudio in Kassel wurde das Liveprogramm über eine Videostandleitung zum ZDF nach Mainz geschickt wie auch über die Olympus-Satelliten an die European Space Agency. Empfangen werden konnte Piazza Virtuale während der gesamten documenta zweimal täglich über den Fernsehsender 3sat wie auch täglich nach 24 Uhr europaweit über fünf Olympus-Satelliten.43 In zahlreichen

37  Z  u den Vorgängerprojekten und zu Minus Delta t vgl. auch mein Kapitel documenta 8 – »Let’s Kunst!«: 235 Media, Die tödliche Doris und Minus Delta t in diesem Band, zu FRIGO vgl. den Beitrag Punk on Video. Synergien zwischen Musik, Videokunst und Subkultur von Angelika Gwozdz in diesem Band; darüber hinaus: Gérard Couty (09.09.1999): Frigo und die elegante Alternative. In: Mike Hentz (Hg.): Works 4. Köln: Salon Verlag 1999, o.S. 38  D  ie Idee zur Gründung des Europe Media Art Network geht auf FRIGO zurück. Das Projekt sollte der strukturierten europaweiten Vernetzung der Video- und Medienkunstszene dienen wie auch dazu, computerbasierte Vertriebsstrukturen zu entwickeln. Beteiligt waren: Softvideo (Rom), Bela Balasz Studio (Ungarn), Montevideo (Amsterdam), Beurscherverbourg (Belgien), London Video Artists (England), Infermental (Deutschland), Videografia (Barcelona), 235 Media (Deutschland) und FRIGO (Frankreich). Vgl. http://2016.emaf.de/emaf.de/_emaf/www.emaf. de/1988/ponton.html (15.02.2019). 39  Vgl. Petra Unnützer (Hg.): 3. Videonale. Bonn: Videonale e.V. 1988, S. 155-163. 40  h  ttp://vangoghtv.hs-mainz.de/?page_id=2. Für eine ausführliche Darstellung einzelner Projekte vgl. http://medienkunstnetz.de/werke/piazza-virtuale/bilder/4/ (09.03.2019). 41  Vgl. dazu Daniels: Fernsehen – Kunst oder Antikunst?, S. 29. 42  Vgl. Daniels: Kunst als Sendung, S. 250. 43  Vgl. www.medienkunstnetz.de/werke/piazza-virtuale/bilder/3/?desc=full (15.02.2019).

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Ländern (unter anderem in Italien, Deutschland, Frankreich, Lettland, Russland und der Schweiz) gab es sogenannte ›Piazzettas‹, die mit eigenen Sendeformaten, Performances und vielfältigen weiteren Projekten zugeschaltet wurden.44 Bezogen auf Van Gogh TV macht Dieter Daniels auf eine wichtige Problematik aufmerksam und kommt zu dem Schluss: »Das Projekt scheitert an seinem Erfolg, denn der Andrang auf dem Piazza Virtuale lässt die Kommunikation auf ein banales Hallo-Hallo-Niveau sinken, zumal keine thematischen Vorgaben existieren. […] Deshalb könnte man Van Gogh TV ganz im Sinne Benjamins interpretieren: ein grandios gescheiterter Versuch, die Effekte des World Wide Web mit Hilfe von TV und Telefon zu antizipieren.«45 Bei Van Gogh TV ging es nicht darum, Kunst und Kultur im Radio zu präsentieren, sondern »den Sender und das Programm zur Kunst zu machen«46. Das Gleiche trifft auf die schon früher realisierten Projekte von Gerry Schum zu, um die es im folgenden Kapitel gehen soll und auf die die Charakterisierung »grandios gescheiterter Versuch« ebenso zutrifft – wenn auch in anderer Hinsicht.

Fernseh- und Videovisionen der 60er- und 70er-Jahre: Gerry Schum »Die einzige Chance, die ich für die bildende Kunst sehe, ist die bewußte Verwendung des Mediums Fernsehen« – schrieb Gerry Schum am 29. Juni 1969 in einem Brief an Gene Youngblood.47 Der weitere Brief besteht in einer detaillierten Darstellung der Fernsehausstellung Land Art, realisiert von der Fernsehgalerie Gerry Schum.48 Schum war daran gelegen, Kunst über das Fernsehen einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und so jenseits des etablierten Kunstmarkts zu agieren. Das Bemerkenswerte an der Fernsehgalerie Gerry Schum war, dass es nicht darum gehen sollte, Kunstwerke und Ausstellungen im Fernsehen zu 44  V  gl. http://medienkunstnetz.de/werke/piazza-virtuale/bilder/11/?desc=full, eine Liste aller Orte der Piazzettas findet sich unter http://vangoghtv.hs-mainz.de/?page_id=2 (15.02.2019). 45  Daniels: Kunst als Sendung, S. 250. 46  S abine Vogel: Interview mit Minus Delta t in Lenins Arbeitszimmer (1. Mai 1989). In: Kunstforum International, Bd. 103, 1989 (Im Netz der Systeme), S. 115. 47  G  erry Schum: Brief an Gene Youngblood. In: Wulf Herzogenrath (Hg.): Videokunst in Deutschland: 1963-1982. Videobänder, Installationen, Objekte, Performances. Stuttgart: Verlag Gerd Hatje 1982, S. 55-65, hier S. 55. Schum hoffte, dass Youngblood diese Ausführungen in sein Buch Expanded Cinema aufnehmen würde, was jedoch nicht geschah, vgl. ebd., S. 65. 48  V  gl. dazu Dorine Mignot: Gerry Schum – Die Idee einer Fernseh-Galerie. In: Herzogenrath: Videokunst in Deutschland: 1963-1982, S. 44-54. Für eine ausführliche Darstellung der Arbeit von Schum vgl. außerdem Ulrike Groos u.a. (Hg.): Ready to Shoot – Fernsehgalerie Gerry Schum/ videogalerie schum. Ausstellungskatalog, Kunsthalle Düsseldorf. Köln: Snoeck 2003.

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dokumentieren und zu erläutern, sondern Arbeiten allein »für die Reproduktion durch das Medium Fernsehen« zu schaffen und den »Vorgang des Filmens und Sendens« zum wesentlichen Bestandteil des Kunstwerks werden zu lassen.49 Auf diese Weise wurde das traditionelle Dreieck von Atelier, Galerie und Sammler*in durchbrochen.50 Der ›Galerieraum‹ der Fernsehgalerie war das Fernsehen. Schum schreibt dazu treffend, dies sei »kein Ort, um greif bare Kunstobjekte zu zeigen, die man kaufen und nach Hause tragen kann«, und lässt an die Stelle des »Besitzes von Kunstobjekten« die »Kommunikation von Kunst« treten.51 In der Konzeption von Schums Fernsehgalerie wird der Film selbst zum Kunstwerk erklärt, und dieses ereignet sich ausschließlich im Moment der Ausstrahlung. Schum beschreibt es in seinem Brief wie folgt: »Die Fernsehgalerie besteht nur in einer Serie von Fernseh-Ausstrahlungen, das bedeutet, die Fernsehgalerie ist mehr oder minder eine geistige Institution, die nur im Augenblick der Ausstrahlung durch das Fernsehen Wirklichkeit wird.«52 Die Ausstellung Land Art war das erste Projekt der Fernsehgalerie Gerry Schum und umfasste mit 16-mm-Film aufgenommene Werke von Richard Long, Barry Flanagan, Dennis Oppenheim, Robert Smithson, Marinus Boezem, Jan Dibbets, Walter de Maria und Michael Heizer. In diesen Arbeiten sind die Künstler die Regisseure und gegebenenfalls Protagonisten und ist Schum der Kameramann. Land Art wurde am 15. April 1969 vom Sender Freies Berlin für die ARD ausgestrahlt.53 Das zweite und zugleich letzte Fernsehausstellungsprojekt von Schum trug den Titel Identifications und zeigte Beiträge von 20 Künstlern, darunter Joseph Beuys, Klaus Rinke, Ulrich Rückriem, Daniel Buren, Gilbert & George, Mario Merz und Richard Serra, und wurde am 30. November 1970 um 22:50 Uhr vom Südwestfunk Baden-Baden gesendet.54 Zum Konzept der beiden rund halbstündigen Fernseh-Ausstellungen gehörte, die künstlerischen Arbeiten unkommentiert zu präsentieren. Das Fernsehen sollte zum Übertragungsmedium für Kunst werden, nicht zum Vermittlungsmedium. Es ging nicht darum, dokumentarisch zu vermitteln, was Kunst bzw. Videokunst ist, sondern darum, diese ›unvermittelt‹ als solche zu senden und das Fernsehen 49  S chum: Brief an Gene Youngblood, S. 59. Dieser Wendepunkt trat erst mit dem Projekt Land Art ein, zuvor hatte Schum selbst zwei dokumentarische Filme über Kunst gemacht: einen Dokumentarfilm über die 6. Kunstbiennale von San Marino (1967) und Kunstkonsum – Konsumkunst (1968), vgl. Mignot: Gerry Schum – Die Idee einer Fernseh-Galerie, S. 49. 50  Mignot: Gerry Schum – Die Idee einer Fernseh-Galerie, S. 47. 51  Schum: Brief an Gene Youngblood, S. 56. 52  Ebd. 53  Der Brief an Youngblood enthält einige detaillierte Beschreibungen der Arbeiten. 54  Vgl. dazu auch http://medienkunstnetz.de/werke/identifications/ (09.03.2019).

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als Massenmedium zu nutzen, um viele Menschen zu erreichen. Schum schrieb dazu: »Das einzige, was man sehen sollte, ist das Kunstwerk. […] Ich denke, daß ein Kunstobjekt, im Bezug auf das Medium Fernsehen entstanden, keiner gesprochenen Erklärung bedarf.«55 Dies erwies sich als Fehleinschätzung. Während dies mit Literatur (ein Autor liest aus seinem Werk) oder Musik (ein Konzert wird übertragen) im Fernsehen durchaus möglich war, befand man die von Schum präsentierten Kunstwerke ohne erläuternden Kommentar für unzumutbar. Er war daher mehr oder weniger gezwungen, sich in die tradierten Strukturen des Kunstmarkts zurückzubegeben. Aus der Fernsehgalerie Gerry Schum wurde 1971 die Videogalerie Schum in der Ratinger Straße in Düsseldorf. Für Dieter Daniels ist dieser Wendepunkt bezogen auf den deutschen Kontext von historischer Bedeutung, da Video(kunst) sich hier erstmalig vom Fernsehen löst und zu einem eigenständigen ›Kunstmedium‹ wird. Er schreibt in seinem Beitrag Video/ Kunst/Markt: »Der Wandel von dieser utopischen Haltung der 1960er Jahre, welche sich noch auf das Fernsehen als Mastermedium bezieht, zu einem kunstimmanenten Begriff der Videokunst lässt sich zumindest in Deutschland sehr genau bestimmen. Es ist der Moment, als Gerry Schum 1970 sein Projekt der Fernsehgalerie mangels Unterstützung durch die Sendeanstalten aufgibt und vergeblich versucht, mit seiner Videogalerie erstmals limitierte Kunstvideos marktfähig zu machen.«56 In der Zeit, in der Schum anfing, mit Video zu arbeiten, war dies noch mit horrenden Kosten verbunden. Er hatte in das neue Medium investiert und einen Transporter zum Videoproduktionsauto umgebaut. 1972 war er auf der Biennale in Venedig vertreten und bespielte den italienischen Pavillon mit einer internationalen Videoausstellung – und auch im Rahmen der documenta 5 erhielt er Gelegenheit, seine Produktionen zu präsentieren. Neben den Kosten, die die Anschaffung der Geräte für die Produzent*innen mit sich brachte, bestand zu jener Zeit die weitere große Herausforderung darin, das Medium Video in den bestehenden Kunstmarkt zu integrieren. Wulf Herzogenrath fasst die schwierige Gemengelage wie folgt zusammen: »Die Produktion auf Film war immer noch sehr kostspielig (Videotechnik erst allmählich und sehr teuer im handlichen Format vorhanden und sonst nur bei TV-Sendern!), die Distribution benötigte die Videorekorder und Monitore und überhaupt ein Verständnis, dass diese Werke wichtige Teile des 55  Schum: Brief an Gene Youngblood, S. 64. 56  D  ieter Daniels: Video/Kunst/Markt. In: Rudolf Frieling/Wulf Herzogenrath (Hg.): 40jahrevideokunst.de, Teil 1. Digitales Erbe: Videokunst in Deutschland von 1963 bis heute. Ostfildern: Hatje Cantz 2006, S. 40-49, hier S. 45; vgl. auch ders.: Kunst als Sendung, S. 241-249. Zum Verhältnis von Videokunst und Fernsehen vgl. auch die Bestandsaufnahme aus dem Jahr 1986 von Gislind Nabakowski: Utopien? Folgen? … Passagen! Zwischenzeiten! Überlegungen zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen in der Bundesrepublik. In: Österreichischer Rundfunk, http://90.146.8.18/de/ archives/festival_archive/festival_catalogs/festival_artikel.asp?iProjectID=9298 (09.03.2019).

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Diskurses der bildenden Kunst waren.«57 Ein Auszug aus den Marktnotizen der Zeit aus dem Jahr 1972 macht die damalige Preispolitik für Video im Allgemeinen und Videokunst im Besonderen deutlich, die sich 10 Jahre später, als 235 Media sich gründete, bereits ganz anders gestaltete: »Gerry Schum, erster deutscher Videogalerist (Düsseldorf), hat in diesem Jahr Gelegenheit, seine Videoprojekte einem breiteren Publikum vorzuführen: Während der Biennale in Venedig wird Schum ein internationales Programm von Baldessari und Beuys bis zu Sonnier und Weiner vorstellen. Außerdem wird ein Workshop eingerichtet, der Künstlern die Möglichkeit gibt, Videoideen zu realisieren. Ebenso wird die Videogalerie auf der documenta in Kassel vertreten sein. – Schum verkauft Video-Tapes zu Preisen zwischen 550 (Rinke) und 1800 Mark (Buren), die Auflage ist unlimitiert. Video-Tapes in limitierter Auflage kosten zwischen 3000 (Ruthenbeck) und 9800 Mark (Beuys). Die Bänder sind mit den signierten Zertifikaten der Künstler ausgestattet. Interessierte Sammler müssen allerdings zuerst etwa 3500 Mark für die Videorecorder-Anlage ausgeben. Die Geräte gibt es seit vier Jahren auf dem deutschen Markt.« 58 Herzogenrath stellt mit Verweis auf Schums Preisliste heraus, dass dessen ökonomische Strategie Käufer zum Teil sehr verstören musste, denn dort hieß es unter anderem: »2 Gründe veranlassen uns, die Preise der unlimitierten Videotapes um jährlich 20 bis 30 % marktunabhängig zu steigern: 1. möchten wir die Künstler voll an der Marktentwicklung partizipieren lassen, 2. möchten wir mit Rücksicht auf die früh und mit Risiko kaufenden Avantgarde-Sammler inf lationäre Tendenzen bei unlimitierten Objekten verhindern.«59 In dieser Strategie werde die Kollision der kulturpolitischen Überlegungen »des ›68ers‹ Schum mit den Bedingungen des sich gerade erst entwickelnden Kunstmarkts für die jüngste Kunst mit neuen Medien«60 sichtbar, so Herzogenrath. Die enge Verwobenheit von Technikentwicklung und Kunstmarkt wird an diesem Beispiel besonders deutlich. Bereits früh – seit Ende der 1960er-Jahre nämlich, verfügte das Museum Folkwang über ein Videostudio. Dieses wurde von der Industrie kostenlos zur Verfügung gestellt, »um den didaktischen Einsatz der neuen Videotechnik im Museum als eine Vorstufe für den privaten Gebrauch zu demonstrieren«61. Produziert 57  W  ulf Herzogenrath: Videokunst und die Institutionen: Die ersten 15 Jahre. In: ders./Frieling: 40jahrevideokunst.de, S. 20-33, hier S. 27. 58  w ww.zeit.de/1972/16/marktnotizen (31.08.2016). 59  G  erry Schums Preisliste (31.12.1971), hier zitiert nach Herzogenrath: Videokunst und die Institutionen, S. 26. 60  Ebd. 61  Ebd., S. 27.

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wurden unter Mitarbeit einer Museumspädagogin beispielsweise Einführungen zu Künstler*innen und Kunstwerken.62 Von 1973 bis 1988 unterhielt das Museum dann ein voll ausgestattetes Videostudio, das Künstler*innen für ihre Arbeit zur Verfügung gestellt wurde (beispielsweise Volker Anding, Michael Buthe, Jochen Gerz, Barbara Hammann, Klaus Osterwald, Planstudio Siepmann arbeiteten dort).63 Videokunst wurde hier also bereits zu einem frühen Zeitpunkt nicht nur präsentiert, sondern auch produziert. Für die Leitung des Videostudios sollte Gerry Schum gewonnen werden, wozu es aufgrund von dessen frühem Tod im Jahr 1973 nicht mehr kam.64

Die Fernseh-Utopie der 1980er-Jahre am Beispiel des TV-Magazins Donnerstag Mit 235 Media hat Axel Wirths – wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt wurde – auf vielen Ebenen daran gearbeitet, Videokunst einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dafür nutzte er buchstäblich alle Kanäle. 1986 war das Projekt Video Congress für beendet erklärt worden. Als Grund führte Wirths unter anderem an, dass die Zuschauer*innen mit dieser Form eines Video-Magazins überfordert gewesen seien, da ohne jegliche Überleitung und Moderation unterschiedlichste Arten von Videos verschiedener Künstler*innengruppen aufeinander folgten.65 Und obschon das Magazin Video Congress von 235 Media im VHS-Format vertrieben und auf Festivals etc. gezeigt wurde, blieb die Zielgruppe, die man auf diese Weise erreichen konnte, sehr überschaubar. Den Zugang zu einer großen Öffentlichkeit in ganz anderen Dimensionen versprach – in den 80er-Jahren noch einmal – das Fernsehen. Dieses existierte als Massenmedium zwar bereits seit den 1950er-Jahren und wurde – wie dargelegt – in den 1960er-Jahren bereits von Gerry Schum als Medium für zeitbasierte Kunstwerke erkannt, in den 1980er-Jahren tat es sich jedoch aus verschiedenen Gründen noch

62  Vgl. ebd. 63  V  gl. https://www.museum-folkwang.de/de/ueber-uns/sammlung/malerei-skulptur-medien kunst.html (30.08.2016). 64  A  ls Produktionsort wurde das Video-Studio 1994 geschlossen und der daraus resultierende Bestand digitalisiert und aufgearbeitet. Heute dient es dazu, der Öffentlichkeit die Sammlung der Film- und Videokunst des Folkwang Museums zugänglich zu machen wie auch wechselnde Positionen aktueller Medienkunst zu präsentieren. 65  V  gl. Axel Wirths: Vertrieb von künstlerischen und kulturellen Videoproduktionen. Rückblick und Tendenzen. In: Hamburger Filmbüro e.V. (Hg.): Videovertrieb. Eine Materialsammlung zur Vertriebssituation kulturell produzierter Videofilme in der Bundesrepublik. Hamburg: edition black box 1988, S. 79-81, hier S. 79.

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einmal anders als vielversprechendes Feld für die Vermittlung von Videokunst auf. Bereits Anfang der 1980er-Jahre, als 235 Media seine Arbeit aufgenommen hatte, war das Unternehmen mit einer viel weniger widrigen Situation konfrontiert als zuvor Gerry Schum. Denn in der Zwischenzeit war die Technik sowohl handhabbarer als auch preisgünstiger geworden (daher wurde Video auch als Medium für Alternativ- und Subkultur immer interessanter), zugleich vergrößerte sich die Akzeptanz von Video als Kunstform. Eine ganz entscheidende Veränderung, die Ende der 80er-Jahre noch hinzukam, bestand darin, dass neben den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten privatwirtschaftlich organisiertes Fernsehen möglich wurde. Das Bundespostministerium stellte durch Breitbandverkabelung die technische Infrastruktur für privates Fernsehen bereit. Die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, unterliegt der in Deutschland der Kulturhoheit der Bundesländer. In NRW dauerte es vergleichsweise lange, bis durch eine Neufassung des Rundfunkgesetzes Privatfernsehen möglich wurde. Im Jahr 1988 wurde mit der Vergabe der Lizenzen für die terrestrischen Frequenzen, jenen also, die über die normale Haus- oder Zimmerantenne empfangen werden konnten, die Voraussetzung für den Durchbruch der Privatsender geschaffen. Doch das Landesrundfunkgesetz stellte hohe Anforderungen, was die Programmgestaltung betraf – und genau hier sahen die Kulturschaffenden ihre große Chance. So heißt es in der Bekanntmachung der Neufassung des Rundfunkgesetzes für NRW (kurz LRG NW) unter dem Stichwort Zulassungsgrundsätze (§ 6): »Interessenten aus dem kulturellen Bereich ist eine angemessene Beteiligung zu ermöglichen.« In Bezug auf den Programmauftrag (§ 11) heißt es weiter: »Die Rundfunkprogramme haben entsprechend der jeweiligen Programmkategorie zu einer umfassenden Information und freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung beizutragen, der Bildung, Beratung und Unterhaltung zu dienen und dem kulturellen Auftrag des Rundfunks zu entsprechen.«66

66  B  ekanntmachung der Neufassung des Rundfunkgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LRG NW), vom 11. Januar 1988, hier zitiert nach Jörg Adolph: Donnerstag – Ein Fernsehmagazin von Kanal 4. Marburg 1993 (Magisterarbeit), S. 16. Die Studie wurde nie vollständig, sondern nur in Auszügen publiziert, vgl. Jörg Adolph: Kanal 4 – Konturen eines anderen Fernsehens. In: Joan Kristin Bleicher (Hg.): Programmprofile kommerzieller Anbieter. Analyse zur Entwicklung von Fernsehsendern seit 1984. Opladen: Westdeutscher Verlag 1997, S.  219-260 (die Sendung Donnerstag spielt in der Publikation nur eine untergeordnete Rolle). Ein Exemplar der Magisterarbeit (aus dem im Folgenden zitiert wird) wie auch die ersten drei Folgen von Donnerstag befinden sich im Archiv der Stiftung imai.

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Fernsehen als Labor, Experiment und Utopie: Über Kanal 4 und die Idee zu Donnerstag »Die unabhängigen Produzenten und freien kulturellen Gruppen wollten verwirklichen, wovon seit ’68 (und mit Brechts Radiotheorie als Vorbild) immer wieder geträumt wurde und was doch lange außerhalb aller Möglichkeiten schien: den direkten Zugriff auf das Medium.« 67 Auf der Grundlage der geschilderten Gemengelage hat sich Kanal 4 gegründet, als ein »Zusammenschluß von mittelständischen nordrhein-westfälischen Video- und TV-Produzenten, sowie Vertretern kultureller Gruppen mit Interesse an politischer und kultureller Basisarbeit«68. Gründungsgesellschafter waren Peter Kleinert (KAOS-Film- und Video-Team), Joachim Ortmanns (Lichtblick Film- und Fernsehproduktion, Köln), Bernd Hutschenreuter (Medienzentrum Ruhr, Essen), Ulrich Hünermann (Jugendfilmclub Köln), Dieter Zeppenfeld (Magenta Videoproduktion, Aachen) und Klaus Keuter (1. Vorsitzender des Freien Lokalrundfunks Köln). 1989 wurde dieser Kreis um drei weitere Gesellschafter erweitert: Theater am Dom, AIH Verlag & Leasing GmbH (Komödie, Düsseldorf) und Concert Team Düsseldorf GmbH, die durch Konzert- und Theatersendungen zusätzliche Programmimpulse beitrugen. Sie alle verband das Anliegen, dass man »einen Fuß in die Tür des Privatfunks bekommen und mit eigenen Beiträgen mitmischen«69 wollte. Man hatte das Ziel, »jenseits der Zwänge dieser Fernsehlandschaft, einfach ein Programm als Fernsehlabor anzubieten; experimentelles Fernsehen mit Kontinuität und Wiedererkennungswert«70. Ganz konkrete Vorstellungen, wie ein solches Programm im Massenmedium Fernsehen gestaltet werden könnte, gab es zunächst kaum. Ortmanns schildert die anfängliche Situation wie folgt: »Ich sagte dann, da gibt es jetzt diesen Kanal 4, und wir können uns was ausdenken. Das war natürlich eine interessante Situation, so vor einem leeren Blatt Papier zu sitzen«71. So entstand in Zusammenarbeit von Volker Anding, Axel Wirths, Peter Nadermann und Joachim Ortmanns die Idee zu dem Fernseh-Magazin Donnerstag.72 Auch Wirths 67  Adolph: Donnerstag, S. 21. 68  Vgl. ebd., S. 20. 69  Joachim Ortmanns, zitiert nach ebd., S. 21. 70  Ortmanns, zitiert nach ebd., S. 55. 71  Ortmanns, zitiert nach ebd., S. 57. 72  D  ass auf das TV-Magazin so ausführlich eingegangen werden kann, verdankt sich der bereits zitierten, nicht veröffentlichten Magisterarbeit von Jörg Adolph. Dieser hat die Sendung in seiner Studie fernsehwissenschaftlich und medienhistorisch kontextualisiert, einzelne Folgen detailliert analysiert und Interviews mit wichtigen Protagonist*innen geführt. Insbesondere die

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beschreibt diese Idee als Produkt der neuen Möglichkeiten, die das Fernsehen plötzlich zu bieten schien: »Wie wir dazu gekommen sind? Das hat sehr viel mit der Gründung von Kanal 4 zu tun und mit den verschiedenen Interessen, etwas in dem Bereich neue Bildästhetik zu machen. Da stießen dann Interessen aus Musikvideo, neues Magazin und, von mir aus, das Interesse Videokunst zu präsentieren aufeinander.«73 Ganz ähnlich schildert es Ortmanns: »[…] und dann haben wir bestimmte Dinge, die in der Luft lagen und die uns interessierten, zusammengepackt. D.h., auf der einen Seite diese Präsentation von Videokunst und Kurzfilmen – und in einer gewissen Weise gehören da auch bestimmte Musik- und Werbeclips dazu – und auf der anderen Seite diese Lust auf eine eigene Art von Inszenierung«74. Auf dieser Folie entstand schließlich eine Sendung, die sich aus vier wesentlichen Elementen zusammensetzte: erstens einer Rahmenhandlung mit Rolf Donner und seinem Double (beide Martin Zuhr), seinem Fernsehgerät und Gästen, zweitens Musikvideos, drittens Kurzfilmen und viertens Videokunst. Diese Zusammenstellung lässt bereits erahnen, dass Donnerstag visuell extrem vielfältig war und zeigte, was um 1990 in experimentellen filmischen Formaten möglich war. Zugleich war es eine Sendung, die den Brückenschlag zwischen Unterhaltung und künstlerischem/visuellem Anspruch versuchte. Jörg Adolph beschreibt deren Konglomerat treffend als eine Mischung aus »Qualitäts-, Kult- und TrashTV«, in der sich Kunst und Populärkultur vermengen: »Donnerstag würdigt die Clip-Formen, das Bruchstückhafte, die Kürze und Präzision eines schnellen heutigen Fernsehens, ob diese nun in unabhängiger Produktionsform entstanden sind (indem z.B. Kurzfilme […] gezeigt werden) oder hochkommerzialisiert (in Form der Musikvideos und Werbeclips) daherkommen.«75 Ab der 3. Staffel haben die einzelnen Folgen explizite Schwerpunktthemen. Hinsichtlich ihrer medialen Selbstreferenzialität sind insbesondere die beiden Folgen mit den Schwerpunktthemen Telephon – Fernseher – Radio (Folge 9) und Fernsehen (Folge 15) hervorzuheben. Ganz aus dem luftleeren Raum entstand Donnerstag nicht. Dies zeigt sich dann, wenn man der Geschichte des gewählten Titels der Sendung nachgeht. Denn ursprünglich sollte diese Dienstag heißen, der Titel war jedoch bereits von einem Magazin auf Hessen 3 übernommen worden (Dienstag – das starke Stück der Interviews mit Axel Wirths, Joachim Ortmanns und Volker Anding bzw. das, was von ihnen in die Studie von Adolph eingeflossen ist, sind für den Kontext der vorliegenden Untersuchung von großem Wert (die vollständigen Interviews sind nach Auskunft von Jörg Adolph leider nicht erhalten). Im Anhang seiner Studie findet sich zudem eine Aufschlüsselung aller Folgen und der darin enthaltenen Einzelbeiträge. 73  A xel Wirths, zitiert nach Adolph: Donnerstag, S. 57. 74  Ortmanns, zitiert nach ebd. 75  Ebd.

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Woche), wie sich erst kurz vor Sendestart herausstellte. Diese Spur des Ursprungstitels führt weiter zu Volker Andings TV-Trilogie aus den Jahren 1984 bis 1987, deren zweiter Teil ebenso den Titel Dienstag trägt.76 Die knapp 4-minütige Arbeit zeigt einen jungen Mann, der sich im Stil der 80er-Jahre auf seinen Fernsehabend vorbereitet. Er setzt sich in den Fernsehsessel, greift zur Fernsehzeitung Hörzu und hat neben sich einen Fernsehtisch mit zu jener Zeit fernsehtypischer Verköstigung vorbereitet (Brot, Wurst, Gurken, Bier, Salzstangen). Im Fernsehen läuft die Quizsendung Was bin ich? von Robert Lemke. Als ›Urgestein‹ des deutschen Nachkriegsfernsehens symbolisiert diese zugleich das Fernsehen einer anderen Generation und lässt die inzwischen ›veraltete‹ Fernsehästhetik einer bestimmten Zeit sichtbar werden.77 Greift man auf die Begriffe Umberto Ecos zurück, konfrontiert Anding hier das als ›Fenster zur Welt‹ fungierende »Paläo-Fernsehen« der 1960er-Jahre mit dem visuell experimentierfreudigen und selbstreferenziellen »Neo-Fernsehen« der 1980er-Jahre.78 Im weiteren Verlauf von Andings Dienstag werden Aufnahmen aus Was bin ich? mit Aufnahmen des vollständig in Anspruch genommenen Protagonisten gegengeschnitten. Dieser schüttet so unauf hörlich Bier in sein Glas, dass nach und nach das komplette Zimmer gef lutet wird. Er verharrt bis zum Schluss wie hypnotisiert in seiner Pose vor dem Fernseher. Mit dieser Pose in seinem selbst erschaffenen ›Aquarium‹ spiegelt er zugleich den Betrachter, der seinerseits vor einem Fernsehgerät sitzt. Insbesondere in diesem Teil der Trilogie, aber auch in den beiden anderen Teilen, stehen die Konstellation einer Person und eines Fernsehgeräts im Zentrum. Darin ist die Rahmenhandlung von Donnerstag bereits ›vorformuliert‹, und zwar namentlich, inhaltlich und personell. Denn auch diese spielt sich in einem Fernsehzimmer ab und ist geprägt durch die Beziehung zwischen Rolf Donner und seinem Fernsehgerät. Martin Zuhr, der Protagonist des zweiten Teils der TV-Trilogie, kehrt in Donnerstag zurück. Hier sollte er gemäß dem ursprünglichen Titel zunächst Herr Dienst heißen, wurde aber im Zuge der Titeländerung umbenannt in Rolf Donner (dies zugleich in Anspielung auf den Film und Fernsehkritiker Wolf Donner).79 1993 wurde das Magazin zugunsten einer stärkeren Fokussierung auf Herrn Donner von Donnerstag in Donner’s Tag umbenannt; gesendet wurde es

76  V  olker Andings TV-Trilogie befindet sich im Archiv der Stiftung imai und ist in deren Online-Katalog einsehbar. Sie besteht aus den drei Teilen Ever’nd Sallad (1984), Dienstag (1986) und Kelvin (1987).  gl. Volker Anding: TV-Trilogie. In: Veruschka und Gábor Bódy (Hg.): Video/Buch: AXIS. Köln: du77  V mont creativ 1986, S. 28-30, hier S. 30. 78  V  gl. Dieter Daniels: Paläo- und Neo-Fernsehen bei Umberto Eco. In: ders./Stephan Berg: TeleGen. Kunst und Fernsehen. München: Hirmer 2015, S. 194, und ders.: Das Fernsehen anschauen (als Kunst), ebd., S. 14-32, hier S. 15. 79  Vgl. Adolph: Donnerstag, S. 69.

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meistens sonntags oder montags gegen Mitternacht.80 Bereits Andings TV-Trilogie arbeitet mit zahlreichen surrealen Elementen, die in Donnerstag wiederkehren bzw. gesteigert werden, beispielsweise durch die Ausstattung der Räume und die Inszenierung von Rolf Donner und seinem Double. Sowohl Andings TV-Trilogie als auch Donnerstag arbeiten selbstreferenziell und sind ›Metafilme‹ über das Massenmedium Fernsehen.81 In der Zeitschrift Kunstforum International wurde die Sendung 1989 wie folgt angekündigt: »Am 4.7.89 wird DIENSTAG zum ersten Mal zu sehen sein und ab dann jeden 1. Dienstag im Monat bei Kanal 4, einem unabhängigen TV-Programmanbieter in NRW. Die Rundfunkgesellschaft Kanal 4 wurde 1988 von Filmund Videoproduzenten und anderen Kulturschaffenden gegründet und wird auf den Frequenzen von RTL Plus und SAT 1 ausgestrahlt.«82 Aus der Ankündigung im Kunstforum geht auch hervor, um was für eine Sendung es sich handeln sollte, und dass dafür zum Einreichen von Beiträgen aufgerufen wurde: »DIENSTAG ist ein Magazin, das Filme/Videos präsentieren will, die nicht nur einem bestimmten Genre zugehörig sind, also Kunst und Kitsch, Musik-Clips, erzählende und dokumentarische Arbeiten. […] Produzenten von Filmen/Videos können ihre Arbeiten im Rahmen von DIENSTAG für eine ›Neuinszenierung‹ zur Verfügung stellen. Dabei kann es sich um unterhaltsame und visuell attraktive Produktionen aus den Entwicklungsschubladen der Musikindustrie oder auch um Bänder von freien Produzenten, Film-/Videomachern und Künstlern handeln. Die Filme/Videos sollten nicht länger als 5-7 Minuten sein. Bei längeren Produktionen sind kürzere eigenständige Sequenzen, die auch als Ausschnitt bestehen können, möglich. Zur Programmauswahl sind U-Matic- oder VHS-Ansichtskopien, Angaben über Originalstandard und Informationen über Produktion und Produzenten zuzusenden.« 83 In der Formulierung, dass Arbeiten zur »Neuinszenierung« zur Verfügung gestellt werden können, deutet sich bereits an, dass es nicht darum ging, den ›Werkcharakter‹ einzelner Arbeiten zu ›bewahren‹, geschweige denn, ihn ins Zentrum 80  Vgl. ebd., S. 10. 81  E in zweiminütiger Ausschnitt aus dem ersten Teil der Trilogie – Ever’nd Sallad (1984) – wurde in die 9. Folge von Donnerstag integriert. Der Titel ist ein Anagramm aus den beiden US-amerikanischen Fernsehserien Denver und Dallas. Ein anderthalbminütiger Ausschnitt des zweiten Teils – Dienstag – war in der 15. Folge zu sehen. 82  Kunstforum International, Bd. 100, 1989, Nachrichtenforum: Medien, S. 535. 83  E bd. Es ist nicht belegt, wie sehr dieser Aufruf zum Einreichen von Beiträgen angenommen wurde und in welchem Maße die Macher von Donnerstag darauf zurückgegriffen haben. Zumindest in Bezug auf die Videokunstbeiträge lässt sich sagen, dass Wirths aus dem eigenen Fundus geschöpft und Beiträge von Künstler*innen eingebracht hat, die von 235 Media vertreten wurden.

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zu stellen. Hier verbarg sich ein Konf liktpotenzial, denn für viele Künstler*innen – und ebenso für Wirths, der diese vertrat – stellte es ein Problem dar, dass Videokunst im Fernsehen nur »verkürzt oder ›verklippt‹« präsentiert und deren Werkcharakter im Programmf luss nivelliert wurde.84 Ich werde darauf später zurückkommen. Erstmalig ausgestrahlt wurde Donnerstag anders als im Kunstforum angekündigt am 17. Mai 1990. Für die ersten drei Folgen erhielt das Team 1991 den Grimme-Preis in Silber im Bereich Unterhaltung. Die Begründung der Jury lautet: »Fernsehunterhaltung als mediale Bastelei: Volker Anding und sein Team demonstrieren, was das sein kann. Aus dem anderswo simplen Verfahren, Clips aneinanderzureihen, wird ein virtuoses Spiel, das ein schräger Zeitgenosse als clownesker TV-Freak zu seinem und unserem Spaß in Gang setzt und zusammenhält. Zitate aus der Filmgeschichte, aus Musikvideos und Werbespots werden nach einer Dramaturgie der Überraschung gekoppelt und in einen Gesamtrhythmus gefügt, dessen Tempo wiederum spannungsvoll gedehnt oder beschleunigt wird. Das Anding-Team baut kunstvoll neue Ebenen in das Spiel, indem es die Kulisse zum mitgestaltenden Schanier wandelt und parallel aus Szenen-Arrangements eigene musikalische Stücke entwickelt: so im Höhepunkt der Montage, einem Trommel-Material-Mix, der den Bogen vom Schrottplatz bis zum Polizeifunk spannt. Intelligenz, Witz, Musikalität und hohe Sicherheit im kreativen Aufgreifen der Altmuster sowie im Inszenieren neuer Fernsehmöglichkeiten […].« 85

Videokunst und/oder Fernsehen?! »Die Fernbedienung hat das Bewußtsein des Zuschauers mehr verändert, als alle Experimentalfilme zusammengenommen.« (Volker Anding, 1989)86 In den bisherigen Ausführungen hat sich bereits abgezeichnet, dass sich Donnerstag aus einer Interessengemeinschaft zusammensetzte, deren Mitglieder unterschiedliche Anliegen hatten. Joachim Ortmanns verfolgte mit seinen Filmen ursprünglich ein politisch orientiertes dokumentarisches Interesse: »Ich habe angefangen mit dokumentarischen Videosachen. (Wir gehen zusammen, 47 min. (1982), Dokumentation über den Ostermarsch und die Friedensbewegung – Allen Ginsberg

84  Adolph: Donnerstag, S. 91. 85  Zitiert nach ebd., S. 68. 86   Zitiert nach ebd., S. 124 (Adolph gibt an, das Zitat stamme aus einem unveröffentlichten Manuskript Andings für ein noch zu schreibendes Buch).

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on tour, 90 min. (1983), Dokumentation über den Beat Poet und seine Freunde.)«87 Die Orientierung hin zu künstlerischen filmischen Formaten ergab sich erst durch seinen Kontakt zu Volker Anding, über den er sagt, »der kam aus der Kunstrichtung […]. Wir hatten schon diese Firma mit ein paar Geräten und Räumen, haben einen Verleih und Kino gemacht, und Volker hat dann seine Videos mit unserer Unterstützung realisiert, und dadurch sind wir als Team in diesen Videokunstbereich gekommen.«88 Ortmanns und Anding sahen in der Orientierung hin zur Videokunst eine Möglichkeit, »zwischen der inhaltlich gesellschaftskritischen Ursprungsmotivation und dem Willen zu mehr Professionalität (marktwirtschaftlich und qualitativ gesehen) zu vermitteln«89. Andings Haltung war jedoch ebenso gekennzeichnet durch eine Skepsis gegenüber übertriebenem Künstlerpathos und eingefahrenen Begriffen und Diskursen der Kunst- bzw. Videoszene, was sich beispielsweise in der Äußerung andeutet: »Mich interessiert nicht, ob ich Videokunst mache oder Filme.«90 Diese Position ging einher mit einer großen Aufgeschlossenheit gegenüber Comedy- und Unterhaltungsformaten. Als ein Ziel, das er mit Donnerstag verfolgte, gibt Anding an, eine in Deutschland bis dato nicht vorhandene Running-Gag-Kultur zu etablieren. Und es ist durchaus überraschend, welche Fernsehsendung er als Ideengeber angibt: »Das Vorbild für Donnerstag ist die Muppet-Show, über die bin ich zu diesem Konzept gekommen. Bei der hast du diese etablierte Rahmenhandlung, sprich, da ist diese Theatershow und du arbeitest mit Running-Gags. In Deutschland gibt es keine Running-Gag-Kultur, das ist tragisch, und mit Donnerstag versuche ich eine Running-Gag-Struktur aufzubauen.«91 Diese Running-Gags machten auch vor der Videokunst nicht halt. In einer der Folgen sagt Rolf Donner auf dem Sofa sitzend und als Künstler verkleidet: »Ich werde immer wieder gefragt, was denn eigentlich ›Videokunst‹ ist. Also, ich versuchʼ es mal so zu sagen« – darauf folgt die Schrifteinblendung: »Die nachfolgenden Sendungen verschieben sich voraussichtlich um 16 Stunden.«92 – Rolf Donner reagiert wütend und es folgen einige Videokunstclips als anschauliche Exempel. Ein derart allgemein angelegter Einblick in das, was Videokunst sein kann, macht die Auswahl der Arbeiten relativ beliebig und kann der Einzelarbeit nicht gerecht werden.

87  Ebd., S. 58. 88  Ebd. 89  E bd., S. 59. Nur am Rande sei erwähnt, dass Ortmanns beispielsweise auch den Schnitt für das ambitionierte Videokunst-Magazin Axis von Veruschka und Gábor Bódy gemacht hatte, vgl. ebd., S. 58. 90  Ebd., S. 92. 91  Ebd., S. 97. 92  Ebd., S. 92.

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Wirths nennt den Stil von Andings Komik »fernsehorientiert«93 und es liegt auf der Hand, dass sein Interesse ein anderes war. Er sah im Fernsehen die Chance, Videokunst einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und Künstler*innen zu ›promoten‹, die durch 235 Media vertreten wurden, beispielsweise Paul Garrin, Rafael Montañez Ortiz, Peter Callas, Julian Alvarez, Max Almy, Petr Vrána, Michael Langoth und George Barber. Donnerstag gehörte auf Kanal 4 zu den Sendungen mit hohen Zuschauerzahlen, wie Adolph in seiner Studie zeigt.94 Folglich erreichte die darin enthaltene Videokunst sicherlich mehr Personen als jemals auf Festivals oder an anderen alternativen Präsentationsorten. Aber inwiefern die Form der Präsentation von Videokunst im Fernsehen, wie sie in Donnerstag praktiziert wurde, dieser Kunstform gerecht wurde, muss fraglich bleiben. Einer der Gründe dafür war, dass die Videokunstbeiträge – anders als die Musikvideos95 – nicht in voller Länge gezeigt, sondern lediglich angespielt wurden, oft nur um die 40 Sekunden. Der längste Ausschnitt in sämtlichen Donnerstag-Folgen ist Perfect Leader von Max Almy (1983), von dem knapp drei Minuten gezeigt wurden (Gesamtlänge: 4 Min.), gefolgt von Microwaved Hotdog (1989) von Petr Vrána (2:23 von 4:30 Min.) und Ever’nd Sallad (1984), dem ersten Teil der TV-Trilogie von Volker Anding (2:09 von 5:21 Min.). Mit solchen Kürzungen den Werken gerecht zu werden, stellte ohne Zweifel eine Herausforderung dar, die Wirths anfangs offenbar nicht unmöglich erschien. Er sagte dazu: »[…] als jemand, der wie ein Galerist, wie eine Art Agentur die Künstler vertritt und deren Arbeiten, habe ich sowieso nur Arbeiten ausgesucht, bei denen ich wußte, da kann man was herausnehmen, oder wo ich zuvor den Künstlern gesagt habe, ›paß auf, wir verhackstückeln deine Arbeit, ist das ok?‹. Nichtsdestotrotz muß auch in einem Zitat die Arbeit des Künstlers und deren Inhaltlichkeit erkennbar bleiben.«96 – Letzteres ist aus Wirths Perspektive schließlich doch nicht gelungen. Denn die Arbeiten wurden nicht lediglich gekürzt, sondern oft auch auf (bewusst) absurde Art und Weise in die Rahmenhandlung integriert, im Extremfall buchstäblich als Bildstörung: Die Arbeit The Kiss von Rafael Montañez Ortiz zeigt eine verfremdete Spielfilmszene: ein Paar, das sich in stakkatoartiger, permanenter Wiederholung küsst. Es handelt sich um eine von Rafael Montañez Ortizʼ Computer-Laser-Video-Works, bei denen der Künstler eine Laserbildplatte von einem Computer ansteuern und 93  Ebd., S. 97. 94  Vgl. ebd., S. 37. 95  Z  um Verhältnis von Musikvideo und Videokunst vgl. Axel Wirths: Musikclips und Videokunst. In: Herbert Gehr (Hg.): Sound & Vision. Musikvideo und Filmkunst. Frankfurt a.M.: Lang 1993, S. 43-47. In diesem Beitrag werden viele derjenigen Videokunst-Arbeiten besprochen, die auch in Donnerstag gezeigt wurden. Darüber hinaus vgl. zum Musikvideo aus jener Zeit Veruschka Bódy/Peter Weibel (Hg.): Clip, Klapp, Bum. Von der visuellen Musik zum Musikvideo. Köln: DuMont 1987. 96  Adolph: Donnerstag, S. 88.

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diesen die Schnittfolge ausführen lässt.97 Die 6-minütige Originallänge von The Kiss wird für Donnerstag auf 45 Sekunden gekürzt und so eingespielt, als handele es sich um das Resultat des von Rolf Donner produzierten Kurzschlusses. Abb. 1-3: Stills aus Donnerstag, 1. Folge, 00:20:56-00:20:59

Die gewählte Kombination des Filmmaterials ist zwar durchaus komisch, nichtsdestotrotz ist auch Wirthsʼ Kritik hinsichtlich des ungleichen Verhältnisses von Rahmenhandlung und eingespielten Clips berechtigt: »Die Videokunstbeiträge wurden zunehmend in Funktion zu den mehr oder weniger gelungenen Sketchen gestellt. Das war nicht das ursprüngliche Konzept, in dem vorgesehen war, eine stärkere Synthese herzustellen. Das halte ich für legitim, und darauf sollten sich die Gags von Zuhr beziehen. Wenn es aber so ist, daß die Gags von Zuhr den Mittelpunkt bilden und alles drumherum, vor allem die Videokunst, die in Fernsehaugen sowieso nichts zählt, nur noch als Bildarchiv genommen wird, ohne Rücksicht auf das Werk, dann kann ich das nicht mehr gutheißen.«98 Ein weiterer Kritikpunkt war, dass man den Künstler*innen auch dadurch nicht gerecht wurde, dass deren Namen und die Titel von deren Videoarbeiten nur im Abspann zu lesen waren. Eine Zuordnung wurde auf diese Weise nahezu unmöglich, Werk und Künstler*in wurden unkenntlich und vielmehr für das ›Gesamtkunstwerk‹ Donnerstag vereinnahmt. Wirths zog daraus die Konsequenz, nach der sechsten Folge aus dem Team für die Gesamtkonzeption der Sendung auszusteigen. Er hat jedoch weiterhin einige Videokunstbeiträge aus dem Vertriebsprogramm von 235 Media beigesteuert (vgl. Anhang). Wirths stellte sich Magazinformate für Videokunst vor, in denen die Werke mit Titeln und den wichtigsten Credits versehen werden und als Einzelwerke erkennbar bleiben. Nur am Rande sei angemerkt, dass genau dies auf die beiden ambitioniert produzierten Video-Congress-Folgen Nr. 8 (Metasprache) und Nr. 9 (Reisebekanntschaft), die 1985 und 1986 entstanden waren, zutraf. Wirthsʼ Intention von ›Videokunstvermittlung‹ hat dem Magazin Video Congress also rückblickend mehr entsprochen als Donnerstag.

97  Vgl. ebd., S. 87. 98  Ebd., S. 90.

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Der Ausstieg ist aus seiner spezifischen Perspektive nachvollziehbar, doch lohnt es ebenso, die Argumente der anderen Seite in Betracht zu ziehen. So ist Volker Anding sich durchaus im Klaren darüber, dass Donnerstag den Werkcharakter künstlerischer Arbeiten vernachlässigt. Zugleich sieht er aber ein Potenzial darin, sich auch bezogen auf das Fernsehen wie ein Collage-Künstler beliebig zu bedienen und zu verfremden: »[…] es wäre schon eine ideale Vorstellung: man spielt mit dem Medium, man ordnet Dinge neu zu und manchmal stellen sich by accident auch neue Inhalte ein.«99 Aus seiner Sicht handelt es sich um eine Form des Zitierens und Neuorganisierens, die auszeichnet, »daß man keine Ehrfurcht mehr vor einem Werk hat, sondern sich zu einer radikalen Form bekennt.«100 Dieses Verständnis von Collage bzw. Montage ist keinesfalls eine Erfindung des Fernsehens, sondern eine bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vielfach praktizierte Strategie der Avantgarde. Anders als Wirths sieht Anding das »Sendematerial als Archiv«, »das beim gezielten Sichten und Sammeln von Materialien ein Rohstoff-Quell für nahezu unerschöpf liche Bildideen, Neu-Kombinationen und Re-Interpretationen sein kann.«101 Adolph stellt in seiner Studie den Bezug zur Musikkultur her und überträgt deren Strategie auf visuelle Phänomene: »Das in der Pop-Musik fest etablierte Sampling, Re-Mixing etc. hat seine Berechtigung auch in der visuellen Praxis. […]«102 Das Magazin Donnerstag setzt dieses Sampling mit seinem zappenden Protagonisten Rolf Donner in Szene und verfährt in der Zusammenstellung der Einzelbeiträge in einer für die massenmediale Populärkultur ganz und gar typischen Weise. Auf Basis dieser Ausführungen muss festgehalten werden, dass die Protagonisten von Donnerstag mit sehr unterschiedlichen Ansprüchen ans Werk gegangen sind, wie sich im Arbeitsprozess mehr und mehr herausgestellt hat. Während für Wirths eine starke Künstler- und Werkorientierung wichtig war, sah Anding den Reiz eher darin, mit einem radikalen Remix – das heißt, ohne das Ursprungsmaterial identisch erhalten zu wollen – etwas Neues zu schaffen. Beide Positionen haben ihre Berechtigung: Anding argumentiert zugunsten des neu entstehenden ›Gesamtkunstwerks‹ und zugunsten der uneingeschränkten künstlerischen Freiheit. Der Anspruch der Künstler*innen auf ihr originäres Werk tritt dahinter zurück. Wirths hingegen ist daran gelegen, dass die Videokünstler*innen und ihre Werke innerhalb des Programms als solche sichtbar bleiben. Seine Position ist aus einer urheberrechtlichen wie auch vermarktungspolitischen Perspektive nachvollziehbar, schränkt jedoch die von Anding propagierten Möglichkeiten zur weiteren Verwendung des Materials und zum Experiment ein. 99  Anding, zitiert nach ebd., S. 81. 100  Anding, zitiert nach ebd., S. 118. 101  Ebd., S. 132. 102  Ebd., S. 133.

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Wie die verschiedenen Orientierungen erahnen lassen, schlagen die Macher von Donnerstag später unterschiedliche Richtungen ein. Ortmanns erklärt, die Videokunst habe sich dann »aufgesplittet in den mehr Galerie- und Museumsbereich und in den fernsehmäßigen oder auch unterhaltsameren Bereich« – und es liegt nahe, wo er sich selbst und Anding verortet: »Volker wollte immer auch unterhalten und ein breites Publikum ansprechen. Die Videokunst war eine Phase, zumindest wie wir sie betrieben haben, aber im Prinzip, davon zu leben war nicht möglich, und wir haben uns dann immer mehr in Richtung Fernsehen entwickelt. D.h. also Sachen gemacht, die auch ganz stark geprägt waren von den künstlerischen und experimentellen Arbeiten. Aber wir sind zu Fernsehmachern geworden«103, das Gleiche gilt für Peter Nadermann. In die entgegengesetzte Richtung verlief die Entwicklung für Wirths und 235 Media. Da Videokunst im Fernsehen nicht in der von ihm angestrebten Weise zu etablieren war, setzte er mit 235 Media seinen Schwerpunkt nicht länger im Kontext der Massenmedien, sondern mehr und mehr innerhalb des Kunstsektors.

Anhang: Liste der in Donnerstag gesendeten Videobeiträge Die folgende Liste zeigt jene Videokunstbeiträge aus Donnerstag (in der Reihenfolge ihres Vorkommens in den Sendungen), die nachweislich aus dem Vertrieb von 235 Media stammen und deren Integration in das TV-Magazin folglich auf die Initiative von Axel Wirths zurückgeht.104 • Rafael Montañez Ortiz: The Kiss (1984/85, 45 Sek. von 6:00 Min.)/Folge 1 • Paul Garrin: Free Society (1988, 1:48 von 4:00 Min.)/Folge 1 • Gorilla Tapes (auch: Vulture Video): Lo Pay No Way (1988, 1:28 von 6:30 Min.)/ Folge 2 • Peter Callas: Nights High Noon. An Anti-Terrain (1988, 1:13 von 7:25 Min.)/Folge 2 • Julian Alvarez: El Ring (1989, 1:57 v. 26:30 Min.)/Folge 3 und 12105 • Max Almy: Perfect Leader (1983, 2:59 v. 4:00 Min.)/Folge 3 und 12 • Petr Vrána: Microwaved Hotdog (1989, 2:23 v. 4:30 Min.)/Folge 3

103  Ebd., S. 59-60. 104  D  ie Aufstellung der Videokunstbeiträge wurde der Studie von Jörg Adolph entnommen. Da diese während der vierten Staffel von Donnerstag fertiggestellt wurde, fehlen für die Videokunstbeiträge der letzten 5 Folgen die Nachweise. Alle aufgeführten Videos befinden sich heute im Archiv der Stiftung imai. 105  D  ie zwölfte Folge war ein ›Best-of‹, daher wurden vier der Videokunstbeiträge in zwei Folgen gezeigt.

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• Megan Roberts/Raymond Ghirardo: Godzilla Hey (1988, 34 Sek. von 2:22 Min.)/ Folge 3 • Peter Callas: Neo Geo. An American Purchase (1:31 v. 9:17 Min.)/Folge 4 und 12 • Phillippe Andrevon: Star Life: The Beach (1990, 37 Sek. von 1:05 Min.)/Folge 5 und 12 • Michael Langoth: Retracer (1991, 1:15 v. 3:40 Min.)/Folge 5 • George Barber: The Greatest Hits of Scratched Videos Vol. 1 (1985, 40 Sek. von 30 Min.)/Folge 7106 • Volker Anding: TV-Trilogie I: Ever’nd Sallad (1984, 2:09 von 5:21 Min.)/Folge 9 • Georg Snow: Motorway (1992, 1:22 von 19:29 Min.)/Folge 11 • Bruce und Norman Yonemoto: Blinky (1988, 2:42 von 15:32 Min.)/Folge 13 • Gavin Hodge: Zygosis – John Heartfield und die politische Darstellung (1991, 37 Sek. von 26:07 Min.)/Folge 13 • Ellen El Malki: Hits 4 Love (1991, 3:33 von 6:11 Min.)/Folge 15 • Kain Karawahn: Dokumentales Verpuffen (1992, 1:17 von 6:30 Min.)/Folge 15 • Volker Anding: Dienstag (1986, 1:25 von 3:49 Min.)/Folge 15

106  E s handelt sich hier um eine 30-minütige Kompilation, die sich aus zahlreichen unmittelbar aufeinanderfolgenden Scratched-Video-Arbeiten zusammensetzt und in der keine Angaben zu den Künstler*innen und Titeln gemacht werden. Es wurde darauf verzichtet, zu recherchieren, welche 40 Sekunden aus dieser Kompilation in der siebten Donnerstag-Folge gezeigt wurden und um welches und wessen Video es sich dabei handelt. Die gesamte Kompilation ist im Online-Katalog der Stiftung imai einsehbar.

Das kuratorische Konzept der Videonale 5 als Annäherung zwischen Medienkunst und bildender Kunst Darija Šimunović 1991 beauftragte der Verein der Videonale1 Axel Wirths mit der Konzeption und organisatorischen Leitung der fünften Ausgabe des gleichnamigen Videokunstfestivals, das vom 15. bis zum 20. September 1992 an mehreren Austragungsorten in Bonn und Köln stattfinden sollte. Als Gründer von 235 Media und ausgesprochen gut vernetzter Protagonist der damaligen Videoszene stand er seit den Festivalanfängen in Kontakt mit den Videonale-Macher*innen und war für diese Aufgabe prädestiniert.2 In dem im September 1991 verfassten Konzeptpapier zur Videonale 5 schrieb Wirths: »Die Videonale zielt auf eine Auseinandersetzung mit den neuen Technologien unter ästhetischen und multikulturellen Gesichtspunkten ab. Die Berührungspunkte der elektronischen Kunst und der bildenden Kunst und Fragen der künstlerischen Ausbildung sollen Gegenstand eines Symposiums sein.«3 Im Hinblick darauf stellte er ein Programm zusammen, in dem installative Werke eine wesentliche Rolle spielten. Aufgrund ihrer im Unterschied zu Einkanalvideos erschwerten Reproduzierbarkeit entsprachen diese eher der Forderung nach Materialität und Singularität innerhalb der damals immer noch verbreiteten Behauptung vom Original in der bildenden Kunst. In seinem unveröffentlichten Konzeptpapier heißt es weiter: »Die Installationen bilden die wichtigste Verbindung zu den traditionellen 1  V  ideonale e.V. – Vereinigung zur Förderung kultureller Bildung im audiovisuellen Bereich wurde 1984 in Bonn gegründet. Zur Vereinsgeschichte vgl. auch: www.videonale.org/artikel/107-der-verein (25.04.2017). 2  B  ereits 1984 stand 235 Media durch den Video Congress mit der Videonale in Kontakt und zeigte während der ersten Festivalausgabe in der Sektion der Videokunst-Magazine am 25. September ein entsprechendes Programm. Im Videonale-Festivalkatalog von 1986 wird 235 Media in der Danksagung genannt. Vgl. Videonale e.V. (Hg.): videonale 86. 2. Videonale Bonn. Internationales Festival und Wettbewerb für Kunstvideos. Bonn 1986, S. 195. 3  D  ieser Aufsatz basiert primär auf der Recherche der Autorin im Archiv des Videonale-Festivals, dem auch das zitierte Konzeptpapier entstammt.

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bildenden Künsten. Eine Auswahl von Künstlern soll dies mit ihren Arbeiten unterstreichen. Andererseits soll die aktuelle Entwicklung der Installationskunst präsentiert werden, die sich vornehmlich mit Interaktivität, ›Senden – Empfangen‹ und Virtualität beschäftigt.«4 So enthielt das Konzept neben der Festivalausstellung mit interaktiven Videoinstallationen dann auch den Vorschlag zur Einrichtung eines Treffpunkts für Online-Kommunikation nach dem Vorbild des Electronic Café International (ECI)5. Die über das ISDN-Telefonnetz übertragbare Videokonferenzschaltung im geplanten ECI entsprach dem damaligen State of the Art der Technik.6 Die zweite Säule des Konzepts von Wirths bildete der festivalbegleitende Kongress Perspektiven der Medienkunst – Medienhochschulen zwischen Utopie und Praxis, der am 18. und 19. September 1992 im Forum der Kunst- und Ausstellungshalle der BRD stattfinden und Konzepte und Methoden der künstlerischen Ausbildung behandeln sollte. Die Vielfalt verschiedener Ausbildungsmodelle sollte hier vorgestellt werden: einerseits die eher berufspraktisch orientierten Medienhochschulen und andererseits die auf Förderung individueller künstlerischer Talente bedachten Kunsthochschulen. Aber vor allem sollte der Kongress eine Plattform für den bundesweiten Austausch der künstlerischen Hochschulen im neu vereinigten Deutschland bilden.

Zur Geschichte des Videonale-Festivals Im Jahr 2017 blickt die Videonale auf eine über dreißigjährige Geschichte mit sechzehn Festivalausgaben zurück.7 Das Festival für Video und zeitbasierte Kunstformen, so die aktuelle Bezeichnung, wird heute, genau wie in seinen Anfängen, in einem zweijährigen Rhythmus in Bonn ausgetragen. 2005 wurde der Veranstaltungsort jedoch in einen musealen Kontext verlagert, in das Kunstmuseum Bonn. Dies ist symptomatisch für die sukzessive Institutionalisierung des

4  A  xel Wirths: Veranstaltungskonzept 5. Videonale. September 1992. Unveröffentlicht, o.S. Quelle: Archiv der Videonale. 5  D  as mobile Electronic Café International wurde im Sommer 1992 im Casino Container auf der documenta 9 in Kassel realisiert. Vgl. dazu den entsprechenden Beitrag von Jessica Nitsche in diesem Band.  xel Wirths wollte das Vorhaben laut Konzeptpapier in Kooperation mit der Kunsthochschule 6  A für Medien in Köln und dem Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe durchführen. Zu einer Umsetzung im Rahmen der Videonale 5 kam es aber nicht mehr. 7  E ine Übersicht der bisherigen Festivalausgaben mit Angaben zu Preisträger*innen ist im Online-Archiv der Videonale abrufbar: http://archiv.videonale.org/ (25.06.2017).

Das kuratorische Konzept der Videonale 5

Festivals, das ursprünglich in einer jungen Galerie und später im Bonner Kunstverein beheimatet war.8 Die Gründungsgeschichte der Videonale ist bezeichnend für die zeitgleiche Entwicklung in der Videokunst, die eine Alternative zur dominierenden Fernsehkultur anstrebte und gleichzeitig abseits des etablierten Kunstsystems agierte. Der Künstler und Kurator Peter Weibel erinnert sich in einem Kurztext zum dreißigjährigen Jubiläum des Videonale-Festivals: »Videokünstler hatten keine Möglichkeiten, ihre Werke in Galerien und Museen zu zeigen. Sie mussten sich daher zu Videokooperativen zusammenschließen oder selbst Festivals organisieren, um ihre künstlerische Arbeit der Öffentlichkeit zur Kenntnis bringen zu können.«9 Über viele Jahre hinweg blieben Festivals die am besten geeignete Möglichkeit für Videokünstlerinnen und -künstler, ein breites Publikum zu erreichen. Künstlerische Fernsehsendungen, wie beispielsweise die Fernsehgalerie von Gerry Schum, und das Engagement einzelner Galerien, im Rheinland wäre insbesondere das Studio Oppenheim zu nennen, scheiterten zu ihrer Zeit am mangelnden öffentlichen Interesse oder waren finanziell nicht tragbar.10 Die Initiatoren der ersten Videonale als internationales Festival und Wettbewerb für Videokunst in der damaligen westdeutschen Hauptstadt Bonn waren Dieter Daniels, Bärbel Moser und Petra Unnützer.11 Ausgestattet mit einem kleinen städtischen Zuschuss fand das Festival im Rahmen der 1. Bonner Kunstwoche vom 21. bis zum 28. September 1984 statt. Die Bonner Kunstwoche war aus Protest gegen ein konservatives Kunst- und Kulturverständnis der bundesdeutschen Regierung12 von der Initiative Mehr Kunst für Bonn ins Leben gerufen worden und ausschließlich 8  D  er Trägerverein der Videonale wurde 2008 in die Arbeitsgemeinschaft deutscher Kunstvereine (ADKV) aufgenommen. Vgl. Präsentation unter https://kunstvereine.de/de/videonale (18.06.2017).  ttp://v15.videonale.org/peter-weibel (20.06.2017). Anlässlich des Festivaljubiläums wählten 9  h ehemalige Teilnehmer*innen und Macher*innen der Videonale Videowerke für die Ausstellung 30 Jahre – 30 Stimmen aus. Vgl. http://v15.videonale.org/30-jahre-30-stimmen (20.06.2017). 10  D  ie Galeristin Ingrid Oppenheim wandte sich 1985 in einem offenen Brief an den Kurator der großen Überblicksschau von hier aus. Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf (1984) Kasper König, um für die hier unterrepräsentierte Videokunst Partei zu ergreifen. Vgl. Ingrid Oppenheim: Offener Brief an Kasper König. In: Kunstforum International, Bd. 77/78, 1985 (Video – 20 Jahre später. Eine Zwischenbilanz), S. 150-151. 11  D  ie Geschichte der Videonale aus Sicht der Initiatoren wird erzählt im Katalog zum zehnjährigen Festivaljubiläum: Videonale e.V. (Hg.): Videonale 6. Bonn 1994, S. 6-9 und 97-107. Eine kurze Festivalhistorie der Jahre 1984-2004 bietet die Website der Videonale: www.videonale.org/artikel/308-1984-2004 (18.06.2017). 12  E inen Bericht über die kulturpolitischen Forderungen der Macher der Bonner Kunstwoche mit einer Vorstellung des Programms – unter anderem des Videonale-Festivals – enthält der Artikel von Dagmar Streckel: 1. Bonner Kunstwoche. In: Stadt-Revue, Nr. 9, 1984, S. 110-111. Quelle: Archiv der Videonale.

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der Gegenwartskunst gewidmet. Dazu passte das Konzept der Videonale-Gründer*innen, die ein Forum für aktuelle Videokunst in der BRD schaffen wollten. Das im neu eröffneten Raum 41 (später Galerie 41) an der Wolfstraße durchgeführte Festival erhielt ein positives Presseecho. Ein mit Bundeshauptstadt – Kunstprovinz? betitelter Artikel im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung befand sogar, hier »erfüllte die Ausstellungswoche wohl ausnahmsweise die gesetzten Ziele«13. Über einhundert Künstlerinnen und Künstler aus Europa, Japan und den USA sandten ihre Videobänder zum Festivalwettbewerb ein. In der Ausstellung der einkanaligen Videowerke waren unter anderem (später) namhafte Künstler*innen wie Bettina Gruber, Maria Vedder, Hooykaas/Stansfield, Nan Hoover, Gábor Bódy, Monika Funke Stern, Jürgen Klauke, Fabrizio Plessi und Wolfgang Staehle vertreten.14 Abb. 1: Programm der 1. Videonale (1984)

Es wurden ein Förderpreis und drei Geldpreise in Höhe von insgesamt 2.500 DM vergeben, unter anderem an Volker Anding, der danach mehrfach den renommierten Adolf-Grimme-Preis für Fernsehsendungen gewann. Trotz der guten Medienresonanz wurde im darauffolgenden Jahr der Antrag des Trägervereins der Videonale auf Förderung einer zweiten Festivalausgabe durch die Stadt Bonn abgelehnt. Das Kulturdezernat befand, dass keine institutionelle Förderung,

13  S tephan Schmidt-Wulffen: Bundeshauptstadt – Kunstprovinz? »Mehr Kunst für Bonn« – eine Kunstwoche. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 234, 1984, S. 12. Quelle: Archiv der Videonale. 14  V  gl. Angaben im Festivalkatalog videonale 84 (ohne Herausgeberangabe), mit Texten der drei Veranstalter*innen und von Wulf Herzogenrath sowie Georg Schwarzbauer.

Das kuratorische Konzept der Videonale 5

sondern nur eine Förderung »im Bereich der freien Gruppen«15 möglich sei, so eine Meldung der Bonner Rundschau. Auch an diesem Beispiel lässt sich das Nischendasein der Videokunst in den kulturpolitisch begründeten Fördermechanismen ablesen. An dieser Stelle soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass 198416 ein weiterer Preis für Videokunst in der Bundesrepublik Deutschland aus der Taufe gehoben wurde, nämlich der 1. Marler Video-Kunst-Preis17. Im Gegensatz zum internationalen Anspruch der Videonale beschränkte sich der Wettbewerb in Marl auf Künstler aus Westdeutschland.18 Mehrere Teilnehmer*innen der 1. Videonale hatten ihre Videobänder ebenfalls in Marl eingereicht, so beispielsweise Monika Funke Stern, Volker Anding oder der Gewinner des Hauptpreises in Bonn, Jean-François Guiton. Mit dem 1. Marler Video-Kunst-Preis wurde dann Marcel Odenbach für Die Distanz zwischen mir und meinen Verlusten (1983) ausgezeichnet.19 Trotz der Förderabsage der Stadt Bonn verfolgten die Initiatoren der 1. Videonale ihr Anliegen weiter und konnten 1986 die zweite Festivalausgabe ausrichten. Das Festival wurde nicht mehr hauptsächlich von der Stadt Bonn, sondern auch auf Landesebene, vom Kultusministerium Nordrhein-Westfalen, finanziell unterstützt. Die Anzahl der Einreichungen verdreifachte sich und der Hauptpreis wurde auf 5.000 DM erhöht.20 Die Organisation der 2. Videonale fiel zusammen 15  V  ideonale 1985 ohne Zuschuß der Stadt (ohne Autor). In: Bonner Rundschau, Nr. 50, 28.02.1985, S. 16. Quelle: Archiv der Videonale. 16  B  ereits 1982 fand im Rahmen einer Tagung in Marl eine Jurysitzung statt, bei der unter anderem Kriterien zur Bewertung von Videokunst diskutiert wurden. Bei dieser Gelegenheit wurde Klaus vom Bruchs Video Das Alliiertenband (1982) ausgezeichnet. Der damalige Direktor des Skulpturenmuseums Glaskasten in Marl Uwe Rüth nennt es in dem Katalog zum 1. Marler Video-Kunst-Preis »ein Pilot-Projekt«. Vgl. Uwe Rüth: Entstehung und Konzeption des Marler Video-Kunst-Preises. In: Kultursekretariat Gütersloh/Stadt Marl (Hg.): 1. Marler Video-Kunst-Preis. Dokumentation und Katalog zur Ausstellung »Deutsche Video-Kunst 1982 – 1984«. Marl 1984, S. 6-7, hier S. 6. 17  I nteressanterweise fand die Jurysitzung zur Preisvergabe nur wenige Tage vor der 1. Videonale statt, am 18. und 19. September 1984. Vgl. ebd., S. 7. Die Ausstellung zum 1. Marler Video-KunstPreis wurde im Skulpturenmuseum Glaskasten in Marl vom 14. bis zum 28. Oktober 1984 ausgerichtet.  ie Teilnehmer*innen sollten den ersten Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben. 18  D Nur drei in der BRD wohnhafte Künstler*innen aus dem Ausland hatten es in die Ausstellungsauswahl geschafft: Franziska Megert-Vogt (Schweiz), Jean-François Guiton (Frankreich) und Gusztàv Hàmos (Ungarn). 19  I m Gegensatz zur Videonale war der 1. Marler Video-Kunst-Preis kein Geldpreis, sondern mit dem Angebot verbunden, im darauffolgenden Jahr eine Ausstellung im Skulpturenmuseum Glaskasten auszurichten. Das Video der Preisträgerin oder des Preisträgers sollte außerdem in einer Fernsehsendung des ZDF vorgestellt werden. Vgl. auch Kultursekretariat Gütersloh/Stadt Marl: 1. Marler Video-Kunst-Preis, S. 7. 20  V  gl. die Meldung: 300 Bänder wurden zur 2. Videonale eingereicht. Festival im »Raum 41« – Hauptpreis 5000 Mark (ohne Autor). In: Bonner Rundschau, Nr. 189, 16.08.1986, S.  22. Quelle: Pressespiegel, Archiv der Videonale.

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mit dem plötzlichen Tod von Ingrid Oppenheim, die 1980 ihre beachtliche Videokunstsammlung dem Kunstmuseum Bonn als Dauerleihgabe überlassen hatte.21 So fand während der 2. Videonale eine Veranstaltung zu Ehren Oppenheims im Kunstmuseum statt, die vom Museum und den Veranstaltern der Videonale gemeinsam organisiert wurde.22 Die Sammlung Ingrid Oppenheim und das nun regelmäßig stattfindende Videonale-Festival machten Bonn zu einem in der damaligen Bundesrepublik Deutschland einzigartigen Zentrum für Videokunst. Die künstlerische Qualität und das Renommee des internationalen Festivals stiegen mit den folgenden Ausgaben weiter an. So gewannen US-amerikanische Produktionen der renommierten Videokünstler*innen Woody Vasulka, Paul Garrin und Cecelia Condit die Preise der 3. Videonale, die 1988 zum ersten Mal im Bonner Kunstverein ausgerichtet wurde.23 Der Kunstverein fungierte bis zu dem Umzug des Videonale e.V. 2004 ins Kunstmuseum Bonn als fester Veranstaltungsort des Festivals. Von dem ursprünglich dreiköpfigen Gründerteam setzte allein Petra Unnützer, die von 1994 bis 2004 auch im Vorstand des Videonale e.V. aktiv war, ihr Engagement für das Festival fort. Sie kuratierte auch die folgende 4. Videonale, die im September 1990 stattfand. Für die Videonale 5 im Jahr 1992 wurde dann erstmals ein externer Videokunstexperte beziehungsweise eine Expertin für die Konzeption und Festivalleitung gesucht und schließlich Axel Wirths mit dieser Aufgabe betraut. Seine Ernennung zum Kurator der Videonale 5 fußte auf bestehenden Netzwerken innerhalb der internationalen Videokunstszene und seinem vielfältigen Engagement für die Videokunst, insbesondere durch die Medienkunstagentur 235 Media, mit der er ab Anfang der 1980er-Jahre ein Distributionsprogramm für Videokunst auf baute. Beispielhaft ist die Zusammenkunft von Dieter Daniels, Petra Unnützer und Axel Wirths – neben anderen wichtigen Protagonist*innen der Videoszene – in einer Sitzung im 21  N  ach dem Tod Ingrid Oppenheims wurde die Sammlung, die zunächst eine Dauerleihgabe war, dem Kunstmuseum geschenkt. Von ursprünglich 119 Werken von 28 internationalen Künstlerinnen und Künstlern wuchs die Sammlung bis zum Jahr 2008 auf mehr als 380 Videowerke an. Vgl. die Angaben im Bestandskatalog des Städtischen Kunstmuseums Bonn/Alfred M. Fischer (Hg.): Video-Katalog. Dauerleihgabe Ingrid Oppenheim. Bonn 1984, S.  2, und in dem Bericht zum aktuellen Sammlungsbestand von Medienkunst in Nordrhein-Westfalen, der von der Autorin 2008 im Auftrag der Kulturabteilung der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurde, S. 70-74. 22  D  ie Künstlerin Ulrike Rosenbach leitete die Veranstaltung und berichtete über die Produktionen des Videostudios, das die Galeristin und Kunstmäzenin Oppenheim ab 1974 in Köln betrieb. Vgl. die Meldung: Ingrid Oppenheim-Hommage im Kunstmuseum (ohne Autor). In: General-Anzeiger, Nr. 29 389, Feuilleton, 17.09.1986, S. 11. Quelle: Pressespiegel, Archiv der Videonale. Auch der Katalog dieser Festivalausgabe wurde Ingrid Oppenheim gewidmet. 23  D  ie prämierten Videowerke Art of Memory (1987), Free Society (1988) und Not a Jealous Bone (1987) werden heute zu den Klassikern der Videokunst gezählt und befinden sich in Sammlungen und Archiven von Electronic Arts Intermix, Video Data Bank oder Stiftung imai.

Das kuratorische Konzept der Videonale 5

Sekretariat für gemeinsame Kulturarbeit NRW 1985 in Wuppertal zu nennen, bei der Wege zu einer »Vorreiterstellung in der öffentlichen Förderung von Videokunst« im Land Nordrhein-Westfalen besprochen wurden.24 1988 erschien dann im Verlag von 235 Media das vom Sekretariat für gemeinsame Kulturarbeit NRW herausgegebene Handbuch Videokunst in NRW.25 Abb. 2: Poster zur Videonale 5 (1992), Gestaltung: meyerundmeyer (Meyer Voggenreiter und Olaf Meyer)

24  Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Offensive_Video_Kunst (25.06.2017). 25  S ekretariat für gemeinsame Kulturarbeit NRW (Hg.): Videokunst in NRW. Ein Handbuch. Köln: 235 Media 1988.

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Ausstellungen der Videonale 5 Das Festivalkonzept der Videonale 5 sah mehrere Kooperationen mit Ausstellungshäusern in Bonn und Köln vor. Die Hauptausstellung mit ausgewählten einkanaligen Videos aus dem Festivalwettbewerb und mehreren installativen Werken wurde, wie in den Jahren zuvor, im Bonner Kunstverein ausgerichtet. Der Festivalkatalog zur Videonale 5 enthält Beschreibungen von dreizehn installativen Werken, wovon elf im Bonner Kunstverein und zwei im Japanischen Kulturinstitut in Köln gezeigt wurden.26 1992, nur wenige Monate vor der Videonale 5, wurden zwei Museumsneubauten in Bonn eröffnet: das Kunstmuseum Bonn und die Kunst- und Ausstellungshalle der BRD (Bundeskunsthalle). Axel Wirths wollte als Kurator der Videonale 5 die öffentliche Aufmerksamkeit, die den Neueröffnungen voranging, auch für das Festival nutzen und durch gezielte Kooperationen mit den beiden Museumshäusern Synergieeffekte erzielen. Außerdem spielten finanzielle Überlegungen eine Rolle – in einem Interview berichtete er: »Das Festival ist nur dadurch zustande gekommen, daß wir verschiedene Kräfte gesammelt haben: Nur die Kooperation mit dem französischen und japanischen Kulturinstitut, der holländischen Botschaft und der Bundeskunsthalle und die Verbindung zum Kongreß, der vom Bundesbildungsministerium finanziert wird, hat die Videonale überhaupt erst ermöglicht.«27 Konzeptuelle Gründe waren aber nicht minder bedeutend für das Zustandekommen mehrerer Überblicksschauen zu verschiedenen Epochen der Videokunst im Rahmen des Festivals. Wirths dazu: »Auf den meisten Festivals […], die immer nur aktuelle Beiträge zusammenfassen, fehlt ein solcher Zusammenhang. […] Außerdem möchte ich für junges und neues Publikum die Chance eines Vergleichs bieten. Man soll sich ein Bild über die Geschichte und Vielfalt des Mediums machen können.«28 Die damalige Direktorin des Kunstmuseums Bonn Katharina Schmidt ließ in dem neuen Haus einen Videoraum einrichten, um die hochkarätige

26  V  gl. Videonale e.V. (Hg.): Videonale 5. Festivalkatalog. Bonn 1992, S. 45-85, und auch die Angaben auf dem Poster zur Videonale 5. Die Anzahl der gezeigten Installationen variiert in verschiedenen Quellen. In einer Fernsehsendung des WDR und in der Presse werden vierzehn Installationen erwähnt. Vgl. dazu den Fernsehbeitrag Aktuelle Stunde. Kölner Fenster des Westdeutschen Rundfunks (Erstausstrahlung am 15. September 1992). Quelle: Ausschnittbeschaffung Video-Archiv des WDR. Vgl. auch die Meldung: »Videonale« in Bonn (ohne Autor). In: Aachener Nachrichten, 17.09.1992, o.S. Quelle: Pressespiegel, Archiv der Videonale. 27  I ngo Arend: Videonale. Das avantgardistische Stiefkind. In: Schnüss, Nr. 9, 1992, S. 87-90, hier S. 90. Quelle: Archiv der Videonale. 28  J ürgen Kisters: Eine Kunst setzt sich durch. Gespräch mit Axel Wirths, der die Videonale in Bonn und Köln organisiert. Ausschnitt des Zeitungsartikels ohne weitere Angaben. Quelle: Archiv der Videonale.

Das kuratorische Konzept der Videonale 5

Videosammlung von Ingrid Oppenheim angemessen zu präsentieren.29 Zur Videonale 5 wurde dort die Präsenzausstellung Videozentrum Ingrid Oppenheim. Videokunst der 70er und 80er Jahre eröffnet.30 In unmittelbarer Nachbarschaft des neuen Kunstmuseums öffnete am 19. Juni 1992 die für Wechselausstellungen konzipierte Bundeskunsthalle in Anwesenheit des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl feierlich ihre Tore.31 Hier wurde vom 15. September bis zum 11. Oktober 1992 die von Axel und Eckhard Wirths gemeinsam kuratierte Retrospektive Videokunst der 80er Jahre im Rahmen der Videonale 5 gezeigt. Das Forum der Bundeskunsthalle war zudem der Austragungsort der Videonale-Preisverleihung und des festivalbegleitenden Kongresses der Medien(kunst)hochschulen Perspektiven der Medienkunst, von dem im Folgenden noch die Rede sein wird. Die Bonner Galerie Erhard Klein zeigte zur Videonale 5 die filmische Arbeit Reichsstraße 51 von Walter Dahn, Johannes Stüttgen und Nils Boscher Theodor.32 In Köln wurden in Kooperation mit der Videonale 5 die Videoinstallationen von Hiroya Sakurai und Visual Brains im Japanischen Kulturinstitut sowie die Fotoausstellung Work in Process von Catherine Ikam und Tom Drahos im Französischen Kulturinstitut gezeigt.33 Die Besucher*innen der Videonale konnten nach Meldungen der Presse einen Shuttle-Service nutzen, um die insgesamt sechs Ausstellungsorte in Köln und Bonn zu erreichen. Die Kernausstellung im Bonner Kunstverein soll an dieser Stelle als ein zentraler Punkt des kuratorischen Konzepts von Axel Wirths näher betrachtet werden. Hier wurden sowohl die Videos aus dem Festivalwettbewerb als auch elf interaktive Medienkunstinstallationen gezeigt, des Weiteren das Sonderprogramm Prix Ars Electronica mit US-amerikanischen und französischen Computeranimationen, die 1992 auf dem Linzer Festival prämiert wurden.34 In Wirths Intention lag es, dass die 29  V  gl. das Vorwort von Katharina Schmidt und Klaus Schrenk in dem Ingrid Oppenheim gewidmeten Bestandskatalog der Videosammlung von 1992. Kunstmuseum Bonn/Katharina Schmidt (Hg.): Video im Kunstmuseum Bonn. Die Sammlung. Bonn 1992, S. 7. 30  2 005 kuratierte Ruth Diehl im Kunstmuseum Bonn die Ausstellung Sich selbst bei Laune halten – Kunst der 70er aus der Schenkung Ingrid Oppenheim, die parallel zur 10. Videonale stattfand. 31  Vgl. www.bundeskunsthalle.de/ueber-uns/die-bundeskunsthalle/geschichte.html (25.04.2017). 32  V  gl. Veranstaltungsankündigungen auf dem Poster zur Videonale 5. Die Website der Galerie Erhard Klein listet eine Ausstellung von Walter Dahn zur 5. Videonale Bonn auf, datiert mit dem 15. September 1992. www.galerie-klein.de/1990-1999/141-1992/283-15-09-1992-walter-dahn-5-videonale-bonn.html (25.06.2017). Das Video Reichsstraße 51 (1991) ist im Bestand des Archivs der Stiftung imai. 33  Q  uelle: Programmvorschau der Videonale 5, Archiv des Videonale-Festivals. Catherine Ikam und Tom Drahos waren auch im Bonner Kunstverein mit Videoinstallationen vertreten. 34  V  gl. das Videonale-Sonderprogramm (Archiv des Videonale-Festivals) und die Preisträger*innen-Liste der Ars Electronica von 1992, abrufbar im Online-Archiv des Prix Ars Electronica: http://archive.aec.at/prix/ (27.06.2017).

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technischen Möglichkeiten der Computeranimation – die Ars Electronica gilt als wichtige Plattform für künstlerisch-technologische Innovationen35 – den aktuellen Videoproduktionen gegenübergestellt wurden. Die von ihm für die Ausstellung ausgewählten Installationen nutzten vielfach moderne Computertechnologie zur Programmierung und Steuerung von audiovisuellen Effekten oder für die Interaktion mit den Betrachter*innen. So wurde beispielsweise die Bilderwelt in The Fruit Machine von Agnes Hegedüs von einer eigens für das Werk entwickelten Software erzeugt, die in Echtzeit eine Computeranimation generierte. Die Betrachter*innen der interaktiven Installation konnten Joysticks benutzen, um wie bei den gleichnamigen britischen Spielautomaten drei identische Bilder von Früchten in einer Reihe zu erspielen und einen virtuellen ›Geldregen‹ zu erleben. The Other von Catherine Ikam und Louis-François Fléri simulierte die Begegnung mit einem virtuellen, von einer 3-D-Software kreierten Gesicht. Durch Tracking der Kopf bewegungen der Betrachter*innen konnte das virtuelle ›Other‹ seine Blickrichtung an die der Betrachter*innen anpassen und auf diese Weise den Anschein der Kommunikation erwecken, der durch programmierte Gesten verstärkt wurde. In beiden Werken wurden Silicon-Graphics-Rechner eingesetzt, für damalige Verhältnisse sehr leistungsfähige und kostspielige Computer, die nur für wenige Künstlerinnen und Künstler zugänglich waren.36 Die Medientechnik des Festivals wurde von 235 Media konzipiert und realisiert. Ulrich Leistner, der mit Axel Wirths Gründer der Medienkunstagentur ist, war dafür verantwortlich. Die Ausstellungsarchitektur kombinierte die abgeschirmten und intimen Raumbedingungen in zwei Zelten, die bereits bei der 4. Videonale zum Einsatz kamen, mit klassischen Blackbox-Räumen für einzelne interaktive Installationen (darunter The Fruit Machine und The Other) und offenen Raumpräsentationen von skulpturalen Videoinstallationen (zum Beispiel Bill Spinhovens Albert’s Ark und Ivo Dekovićs Trieste). Auch werkspezifische Raumtrennungen, wie der Auf bau der neunkanaligen Monitorpräsentation Les Fragments von Tom Drahos hinter einem Bretterverschlag, wurden realisiert. Die einkanaligen Videos wurden in den im Ausstellungsraum aufgebauten Zelten gezeigt. Einzelne Werke wurden synchron 35  D  as 1979 unter dem Motto »Kunst, Technologie und Gesellschaft« gegründete Festival betreibt inzwischen ein ganzjährig geöffnetes Ausstellungszentrum mit angeschlossenem Medienkunstlabor. Vgl. die Chronik auf der Festivalwebsite: https://www.aec.at/about/geschichte/ (02.07.2017). Die gute Vernetzung von Axel Wirths in internationalen Fachkreisen belegt nicht zuletzt der Auftritt von Gerfried Stocker, dem späteren künstlerischen Leiter der Ars Electronica, mit seiner Gruppe x-space bei der Videonale-Preisverleihung im Forum der Bundeskunsthalle. 36  A  gnes Hegedüs konnte auf die entsprechende Infrastruktur am Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe für diese Produktion zugreifen. Vgl. http://zkm.de/en/artwork/ the-fruit-machine (04.07.2017). Der Verkaufswert von The Other wird in den Projektunterlagen zur Installation mit 250.000 Francs (ohne Technikkosten) angegeben. Quelle: Archiv der Videonale.

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auf zwei mit Lautsprechern ausgestatteten Monitoren abgespielt, die auf Podesten standen. Für die Betrachter*innen standen bewegliche Stühle bereit, die nach Wunsch platziert und gruppiert werden konnten. Nach einem festgelegten Zeitplan wurden hier insgesamt dreizehn Programme mit den Wettbewerbsvideos, dem oben erwähnten Sonderprogramm und einer Best-of-Auswahl von dreizehn Videos, darunter die der Preisträger*innen, präsentiert. Einen guten visuellen Eindruck von dieser Ausstellung, ergänzt durch Künstler*innen-Interviews, vermittelt die halbstündige Fernsehreportage Videovisionen. Die 5. Videonale in Bonn von Christof Boy, die im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks entstand. Axel Wirths nutzte seine Kontakte zu dem Kölner Fernsehsender und initiierte die Produktion eines Films über das von ihm kuratierte Videofestival. Bereits in dem anfangs zitierten Festivalkonzept von 1991 ist von einer entsprechenden Sendung die Rede: »Eine Fernsehsendung entspricht der dem Medium immanenten elektronischen Verarbeitung und Präsentation. Die Thematik des Sendens und Empfangens wie auch eine weitere räumliche Ausstrahlung kann hierdurch erzielt werden. […] Die WDR Kulturredaktion ist an einer Sondersendung zur 5. Videonale interessiert.«37 Außerdem stiftete der WDR im Rahmen der Videonale 5 erstmalig den WDR-Kulturpreis Video.38 In einer am 15. September 1992 veröffentlichten Pressemeldung des WDR heißt es: »Damit werden Künstler geehrt, die in ihrer Arbeit ›gesellschaftlich relevante Themen mit hohem künstlerischen Innovationswert‹ ausdrücken.«39 Aus mehr als 400 eingereichten Videobändern wählte eine Vorjury, bestehend aus Petra Unnützer, Axel Wirths, der Künstlerin und Mitkuratorin der 3. Videonale Bettina Hirsch und dem Bonner Kunstkritiker Andreas Denk, 128 Werke für die Festivalpräsentation aus. Eine internationale Jury, der die Videokunstexpert*innen Rafael Baliña Diaz, René Coelho, Regina Cornwell, Michael Maziere und Thomas Schmitt angehörten, wählte schließlich die Preisträger aus. Der WDR-Kulturpreis Video im Wert von insgesamt 10.000 DM ging an den finnischen Künstler Juha van Ingen für das Video (Dis) Integrator (1991) und an die kanadische Produktion von Istvan Kantor Jericho (1991). Der Filmemacher beim WDR und Jurymitglied Thomas Schmitt verlas bei der Preisverleihung die folgende Begründung der Jury: »Van Ingen appropriated and copied a remarkably 37  Quelle: Archiv der Videonale. 38  1 992 wurde auch erstmals der Deutsche Videokunstpreis ausgelobt, der von dem damaligen Südwestfunk mit Sitz in Baden-Baden und dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe gemeinsam ausgerichtet wurde. Die rund fünfzig »Besten« der eingereichten Videos wurden vom 18. Mai bis zum 5. Juni 1992 im Fernsehprogramm des Südwest 3 ausgestrahlt. Vgl. die Online-Chronik der ARD: http://web.ard.de/ard-chronik/index/107?year=1992 (26.06.2017). 39  D  ie Meldung der Pressestelle des Westdeutschen Rundfunks Köln anlässlich der Erstausstrahlung des Films Videovisionen. Die 5. Videonale in Bonn von Christof Boy am 20. September 1992. Quelle: Archiv der Videonale.

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relevant fragment from a fiction film from the fifties. He electronically copied and recopied, copied and recopied over and over. The result: by the end in Dis-Integrator neither image nor dialogue remains, only noise. […] Jericho contains so much anarchy, angry creativity and energy, as well as interesting imagery, sound and editing, that it almost knocked out the jury.«40 Außerdem wurden zwei Videonale-Preise im Wert von insgesamt 25.000 DM von der Firma Philips Consumer Electronics gestiftet, die auch die Ausstellungstechnik bereitstellte. Den ersten Preis gewannen die slowenischen Künstlerinnen Marina Gržinić und Aina Šmid für ihre Tschechov-Adaption Three Sisters (1992) zu dem damals virulenten Thema des Bürgerkriegs in Kroatien.41 Den zweiten Preis erhielt der US-Amerikaner Ken Feingold für seine Doku-Fiction Un Chien Délicieux (1991).42 In der Begründung der Jury heißt es: »Both titles, as it turns out, deal with classical issues and themes, from contemporary critical postmodern perspectives. Both, as it also turns out, deal with narrative. […] It [Un Chien Délicieux] is a work which toys with the ›truth‹ of traditional anthropological documentary film and our western assumptions about ›primitive cultures‹ and how we represent them. Andre Breton and the Surrealists with their interests in such ›primitive cultures‹ play into this piece about, to quote the artist: ›ethnogra[p]hic representation‹ and ›western culinary ethnocentrism‹. […] Three Sisters. Dramatically weaving Brecht and Beckett with Chekhov and incorporating present-day documentary footage of the war in what used to be Yugoslavia, they create their own very layered text, beautiful to view, even as it addresses issues of history, the present, isolation, love, hate and war.«43 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Kontakte zu den Künstlerinnen und Künstlern, die Axel Wirths im Rahmen der Festivalorganisation herstellte, später im Vertriebsprogramm von 235 Media Nachklang fanden. So listet der vierseitige, von 235 Media herausgegebene Werbeprospekt Media News vom Juni 1993 neue Künstler*innen bei 235 Media auf, darunter die Teilnehmer*innen der Videonale 5 Atsushi Ogata, Michael Bielicky, Susan Hefuna, George Snow und Shelly Silver. Lediglich Valie Export, deren Werke zeitgleich in den Vertrieb von 235 Media aufgenommen wurden, nahm an der Videonale 5 nicht teil. Ulrike Rosenbachs Osho-Samadhi (1990) wird hier als Neuerscheinung auf VHS beworben – ebenfalls ein Titel aus dem Videonale-Wettbewerb.44 The Other von Catherine

40  Quelle: Archiv der Videonale. 41  D  as Video ist im Bestand des Online-Archivs der Videonale und dort in voller Länge abrufbar: http://archiv.videonale.org/videonalen/videonale5 (27.06.2017). 42  Das Video ist im Bestand des Archivs der Stiftung imai. 43  R  emarks delivered on behalf of the Videonale V Jury on Sept. 19, 1992. Quelle: Archiv der Videonale. 44  Inzwischen wird diese Arbeit nicht mehr vertrieben.

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Ikam/Louis-François Fléri konnte im Frühjahr 1993 durch 235 Media im WilhelmLehmbruck-Museum in Duisburg präsentiert werden.45 Auch in der eingangs erwähnten, von Axel und Eckhard Wirths kuratierten Ausstellung zur Videokunst der 1980er-Jahre, die vier Wochen lang in der Bundeskunsthalle lief, wurden größtenteils Videos aus dem Vertriebsprogramm von 235 Media gezeigt. Lediglich sieben der circa 40 beteiligten Künstlerinnen und Künstler waren nicht im Programm von 235 Media vertreten, darunter Bill Viola, Robert Wilson und Laurie Anderson.46 Mit der Retrospektive zur Videokunst der 1980er-Jahre verfolgte Axel Wirths konsequent sein Anliegen, nicht allein aktuelle künstlerische Produktionen auf dem Festival zu zeigen, sondern auch über die Geschichte dieser Kunstform zu informieren.47 Dabei sollte die Video- und Medienkunst in der öffentlichen Wahrnehmung besser verankert und auch eine kulturpolitische Lobby für diesen Bereich der Kulturproduktion kreiert werden. Zur selben Zeit nämlich, als die Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands Berlin wurde und Bonn somit ins Abseits zu geraten drohte, galt es in der BRD als politisch zukunftsweisend, solchen Konzepten besondere Beachtung zu schenken, die sich der Erforschung und Entwicklung von neuen Medientechnologien verschrieben. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Entstehung des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM), die unter großem Einsatz des damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg Lothar Späth und des Gründungsdirektors des ZKM Heinrich Klotz nicht in der Landeshauptstadt Stuttgart, sondern im badischen Karlsruhe vollzogen wurde.48 1994 kritisierte Margarethe Jochimsen in einem Beitrag anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Videonale die städtischen Budgetkürzungen für das Festival »ausgerechnet zu dem Zeitpunkt eines intensiven Nachdenkens über neue Perspektiven der ehemaligen Bundeshauptstadt. Dabei 45  Vgl. 235 Media: Media News, Nr. 1, 06/93, o.S. Quelle: Archiv der Stiftung imai. 46  V  gl. Werkauflistung im Festivalkatalog: Axel und Eckhard Wirths: Retrospektive – Videobänder der 80er Jahre. In: Videonale e.V. (Hg.): videonale 5. Festivalkatalog. Bonn 1992, S. 232-261, hier S. 243-261. Zu dem Bestandskatalog von 235 Media vgl. den Aufsatz von Jessica Nitsche 235 Media als Vertrieb für Videokunst im VHS-Format in diesem Band. Bill Viola gehörte zwar nie zum Vertriebsprogramm von 235 Media, hat aber der Medienkunstagentur die Aufgabe übertragen, die komplexe Medientechnik für seine Werke in Europa bereitzustellen und zu installieren. 47  D  as Jahrzehnt war laut Kuratoren davon gekennzeichnet, »die Integration in die traditionelle Kunstlandschaft auf der einen Seite und eine notwendige Abgrenzung zum Fernsehen auf der anderen Seite« zu vollziehen. Wirths: Retrospektive, S. 232. Es wurden fünf Programme zu folgenden Themen präsentiert: Körper und Seele, Politik und Alltag, Natur und Technik, Musik und Sprache sowie Ironie und Schicksal. 48  D  ank an Susanne Ackers für diesen Hinweis. Hintergründe zu der Berufung von Heinrich Klotz nach Karlsruhe liefert eine Meldung im Ressort Kultur aus der Zeitschrift Spiegel vom 07.11.1988, online verfügbar unter: www.spiegel.de/spiegel/print/d-13530498.html (03.07.2017).

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ist viel die Rede von Bonn als Stadt der Wissenschaft und der Kunst, wobei die Akzentuierung unmißverständlich auf Wissenschaft liegt.«49 Wirths kombinierte strategisch die ökonomischen Interessen seiner Agentur und der von ihr vertretenen Künstlerinnen und Künstler mit dem Anspruch, die Öffentlichkeit über die neuen Formen der künstlerischen Produktion zu informieren und dafür Partei zu ergreifen. Er versuchte auch, die Alleinstellungsmerkmale der Videonale im Vergleich zu anderen Videokunstfestivals der Zeit zu definieren. So beginnt sein Konzeptpapier mit folgender Feststellung: »Die internationale Vielfalt und die damit verbundene Konkurrenz der Video- und Medienfestivals läßt es notwendig erscheinen, das bereits bestehende Profil der Videonale gegenüber den zahlreichen Festivals herauszustellen. Die Videonale wird ihrer Tradition folgend den Schwerpunkt auf die bildende Kunst legen, um sich damit z.B. vom Medienkunstfestival Osnabrück [European Media Art Festival], dem World Wide Videofestival Den Haag und dem International Video & Television Festival Montbeliard abzugrenzen.«50

Der Begleitkongress Perspektiven der Medienkunst — Medienhochschulen zwischen Utopie und Praxis In der Vision von Axel Wirths sollte die öffentliche Debatte über die Video- und Medienkunst auf den Bereich der künstlerischen Ausbildung ausgeweitet werden, um eine weitere Brücke zur bildenden Kunst zu schlagen, über die verschiedenen Ansätze und Modelle an den Kunsthochschulen zu informieren und eine Vernetzung der ausbildenden Institutionen zu ermöglichen. Der bundesweit erste Kongress der Medien(kunst)hochschulen über »Perspektiven der Medienkunst« wurde von Wirths als Kurator der Videonale 5 in den Festivalrahmen eingebunden.51 Die Organisation der Veranstaltung entstand im Team mit Regina Wyrwoll, unter anderem Gründungsmitglied des Vereins der Videonale, Sabine Voggenreiter, die auch die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für die fünfte Festivalausgabe übernahm, sowie Uta Brandes von der Bundeskunsthalle als Gastgeberin der Veranstaltung.52 49  M  argarethe Jochimsen: Forschung fördern in Wissenschaft und Kunst. In: Videonale e.V. (Hg.): videonale 6, Festivalkatalog. Bonn 1994, S. 10-12, hier S. 12. 50  A  xel Wirths: Veranstaltungskonzept 5. Videonale. September 1992. Unveröffentlicht, o.S. Quelle: Archiv der Videonale. 51  V  gl. Bericht von Andreas Denk: Cocooning und Performance-Training. Der erste Kongreß der Medienhochschulen in Bonn. In: Kunstforum International, Bd. 120, 1992 (Kunst und Humor I), S. 410-412, hier S. 410. 52  I n der Pressemitteilung der Videonale zum Kongress der Medienhochschulen wird Prof. Peter Weibel vom Institut für Neue Medien an der Städelschule Frankfurt a.M. als »wissenschaftlicher Berater« des Projekts erwähnt. Quelle: Archiv der Videonale.

Das kuratorische Konzept der Videonale 5

Bereits in seinen Anfängen verstand sich das Videonale-Festival als ein Diskursort für aktuelle Themen rund um die Videokunst. 1986 fand im Rahmen der 2. Videonale eine Diskussionsveranstaltung zum Verhältnis zwischen Fernsehen und Kunstvideo statt, an der internationale Vertreter*innen der Fernsehanstalten, Künstler*innen und Videokunstexpert*innen teilnahmen.53 Im Vergleich dazu war die Organisation des Kongresses der Medienhochschulen ein in seinem Umfang und seiner Zielsetzung recht ambitioniertes Projekt. In einer von Sabine Voggenreiter verfassten Pressemitteilung der Videonale heißt es: »Der Kongress ist der erste seiner Art und soll das wachsende Informationsdefizit und die damit verbundenen Mißverständnisse sowohl in der Medienöffentlichkeit als auch bei den Nutzern der Medienhochschulen, den Studenten, beseitigen helfen. Unter anderem sollen folgende Themen diskutiert werden: ästhetische und philosophische Fragestellungen, künftige Urheberrechts- und Verwertungsprobleme, Zusammenarbeit mit Industrie in Hinblick auf Software und Hardware, Möglichkeiten gemeinsamer Projekte und Forschungsvorhaben der Medienhochschulen.«54 Das weite Spektrum an Fragen, das als ein Angebot aufgefasst werden kann, spiegelt den großen Informations- und Diskussionsbedarf über Medienkunst wider, der bis heute aktuell erscheint. Die zweitägige Kongressveranstaltung wurde anschließend in der von 235 Media herausgegebenen Publikation Erlkönigs Erben. Perspektiven der Medienkunst55 dokumentiert. Die eingeladenen Professorinnen und Professoren sowie Institutsleiter*innen an verschiedenen Kunsthochschulen mit Studiengängen im Medienbereich stellten das Curriculum, die technische und personelle Ausstattung sowie bildungspolitische Ziele ihrer Institutionen vor. Durch Referentinnen und Referenten waren vertreten: das Institut für Neue Medien an der Städelschule Frankfurt a.M., die Kunsthochschule für Medien Köln, die Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, die Hochschule der Bildenden Künste Saar, die Kunstakademie Düsseldorf und die Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam. Die Auswahl der Hochschulen spiegelte den Wunsch der Veranstalter*innen wider, eine umfassende Perspektive auf das Thema unter Einbeziehung verschiedener audiovisueller Ausdrucksformen – neben Video

53  V  gl. Eintrag im Festivalkatalog: Bärbel Moser/Petra Unnützer/Dieter Daniels: Vorwort. In: Videonale e.V. (Hg.): videonale 86. 2. Videonale Bonn. Internationales Festival und Wettbewerb für Kunstvideos. Bonn 1986, S. 7. 54  Pressemitteilung der Videonale, Quelle: Archiv der Videonale. 55  S abine Voggenreiter/Axel Wirths (Hg.): Erlkönigs Erben. Perspektiven der Medienkunst. Köln: 235 Media 1993.

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auch Film – zu entwerfen. Der Anspruch, auch neue Bundesländer in das Forum einzubeziehen, konnte jedoch nur bedingt eingelöst werden.56 Das Thema des ersten Kongresstages lautete »Die neuen Medienhochschulen« und am zweiten Tag wurde die »Medienkunst zwischen Autonomie und Anwendung« beleuchtet.57 Für die einzelnen Präsentationen wählten die Organisator*innen das Veranstaltungsformat eines Statements mit anschließender Diskussion in der Expert*innen-Runde. Peter Weibel (Direktor des Instituts für Neue Medien an der Städelschule Frankfurt a.M.), Ulrike Rosenbach (Professorin für Neue künstlerische Medien an der Hochschule der Bildenden Künste Saar), Jürgen Claus (Professor für Medienkunst an der Kunsthochschule für Medien Köln), Lothar Spree (Professor für Medienkunst/Film an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe), Nan Hoover (Professorin für Video an der Kunstakademie Düsseldorf) und Wolf-Dieter Panse (Rektor und Professor an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam) stellten sowohl ihre Institutionen als auch ihre individuellen Perspektiven als Lehrende auf dem Kongress vor. Auch Jeffrey Shaw (Leiter des Instituts für Bildmedien am ZKM in Karlsruhe), Klaus Katz (Gründungsdirektor der KHM Köln) und Kasper König (zu der Zeit Professor an der Städelschule Frankfurt a.M.) nahmen am Kongress als Diskussionsbeteiligte teil. In einem Beitrag der Zeitschrift Kunstforum International wurde der Kongress wie folgt bewertet: »Die unterschiedliche Ausrichtung der Institute bringt von selbst inhaltliche Differenzen, die der Kongreß nur selten ansprechen konnte. […] Wo auch immer der Schwerpunkt der Ausbildung liegen mag: Über die Zukunftsaussichten der Studienabsolventen wollte sich niemand verbindlich äußern.«58 Die bildungspolitisch herausgestellte Autonomie der öffentlichen Kunstakademien und Medienhochschulen in Deutschland ist auch heute, in der Zeit der europaweiten Angleichung von Bildungsabschlüssen, der Grund dafür, dass an den Kunsthochschulen individuelle Studienmodelle zu finden sind.59 56  N  eben der Potsdamer Filmhochschule wird in dem Bericht im Kunstforum International noch der Diskussionsbeitrag eines Leipziger Professors von der Hochschule für Graphik und Buchkunst erwähnt, der die Idee der Gründung eines »Medieninstitut Leipzig« vorstellte. Vgl. Denk: Cocooning und Performance-Training, S. 411. 57  V  gl. das am 3. August 1992 von 235 Media an Dario Ghanai (Festivalorganisation im Bonner Kunstverein) gefaxte Veranstaltungskonzept. Quelle: Archiv der Videonale. 58  Denk: Cocooning und Performance-Training, S. 411. 59  V  iele Hochschulen führten das Master- und Bachelor-Curriculum ein, andere behielten das Diplom-Modell bei (beispielsweise die Kunsthochschule für Medien Köln). Die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Promotion ist an einigen Kunsthochschulen mittlerweile gegeben. Auf der anderen Seite ist eine künstlerisch-praktische Promotion wie beispielsweise in Großbritannien in Deutschland nicht möglich. Der Meisterbrief als postgraduierte Qualifikation von Künstler*innen ist weiterhin verbreitet.

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Die Neugründungen wie das ZKM mit der angeschlossenen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und die 1990 eröffnete Kunsthochschule für Medien in Köln konnten ihren Studierenden ein dem damaligen State of the Art der Technik entsprechendes Umfeld für medienkünstlerische Produktionen anbieten. Die Absolventinnen und Absolventen sollten während des Studiums professionelle Kenntnisse erwerben, die sie unter anderem für Berufe in der Fernseh- oder Filmbranche wie auch für die erst im Entstehen begriffenen Berufsfelder qualifizieren sollten. In ihrem Kongressbandbeitrag kommentierte die Mitorganisatorin Regina Wyrwoll das Spektrum der institutionellen Angebote wie folgt: »Die neuen Einrichtungen bedienen sich anderer Finanzierungs- und Produktionsformen, als man es von den Akademien gewöhnt ist (und dies ist übrigens einer der entscheidenden Nachteile der Videoabteilungen in den klassischen Kunsthochschulen). Wie manche andere Forschungsbereiche der Universitäten können diese Institute ohne Zusammenarbeit mit der Industrie nicht leben.«60 Als ein gelungenes Beispiel künstlerischer Praxis an der Schnittstelle zur Erforschung und Entwicklung neuer Technologien wurde der Regisseur Zbigniew Rybczynski eingeladen, seine Forschung im Bereich neuer Bildtechnologien und seinen technisch avancierten HDTV-Film Kaf ka (1992) im Nachmittagsblock des zweiten Kongresstages vorzustellen. Den letzten Vortrag hielt Dieter Kosslik, zu der Zeit Geschäftsführer der Filmstiftung NRW, die im Auftrag der Landesregierung den wirtschaftspolitischen Schwerpunkt im Medienbereich verfolgte.61 Im Gegensatz zu dem hier gezeichneten Bild standen die Arbeitsbedingungen und Ausbildungsziele im Bereich neuer Medien an den (traditionellen) deutschen Kunsthochschulen. Ulrike Rosenbach berichtete als Professorin an der Hochschule der Bildenden Künste Saar, »daß die Arbeit einer Medienklasse an einer Hochschule für Bildende Künste nicht vergleichbar ist mit der Medienlehre an einer Medienhochschule oder einer Kunsthochschule für neue technische Medien, nicht nur weil hier tatsächlich nur ein Bruchteil der StudentInnen mit Medien arbeiten können, sondern weil die Arbeit mit technischen Geräten wie Video/Computer etc. an einer Kunsthochschule immer andere Schwerpunkte haben muß […]. Die Entwicklung von eigenen künstlerischen Ideen der angehenden KünstlerInnen ist die eigentliche Aufgabe der Kunsthochschule, […] [im Unterschied zu] einer Fachhochschule oder Medienhochschule, an der die Ausbildung zur technischen

60  R  egina Wyrwoll: Geistige Partnerschaften erwünscht. In: Voggenreiter/Wirths: Erlkönigs Erben, S. 69-74, hier S. 72. 61  V  gl. den Bericht im Online-Archiv des WDR anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Filmstiftung NRW am 27.02.2016: http://www1.wdr.de/stichtag/stichtag-filmstiftung-nrw-102~_ variant-html5.html (10.07.2017). Informativ ist auch die Gesellschafterstruktur der Filmstiftung NRW, die von den beteiligten Fernsehanstalten dominiert wird: www.filmstiftung.de/ ueber-uns/gesellschafter/ (10.07.2017).

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Professionalität im Vordergrund steht.«62 Hier zeichnet sich ein Bild der Diskrepanz zwischen verschiedenen Ausbildungsmodellen und pädagogischen Leitlinien ab, das in der Veranstaltungsdiskussion kulminierte. Nan Hoover von der Kunstakademie Düsseldorf bezeichnete den Berichten zufolge die von dem Künstler Jeffrey Shaw auf dem Kongress vorgestellten technopositivistischen Visionen sogar als »inhuman«.63 In ihrem Kurzstatement für die Kongresspublikation schrieb sie: »Technologie kann das Wahrnehmungsvermögen erweitern, sollte jedoch nicht das Endergebnis sein oder als solches benutzt werden.«64 Jeffrey Shaw bekräftigte nochmals seine Ansichten in der WDR-Sendung Videovisionen: »Im Moment müssen die Künstler begreifen, dass es eine Reihe von neuen Technologien gibt, an die wir uns gewöhnen müssen. Wir müssen lernen, mit ihnen zu arbeiten. Ich bin aber zuversichtlich, dass die nächste Generation, die sich an den neuen Medienhochschulen in Deutschland mit der Technik vertraut machen kann […], in der Lage sein wird, mit den neuen Medien ›Magie‹ zu erzeugen.«65 Trotz verschiedener Ansätze in der künstlerischen Ausbildung an den Hochschulen kann gerade in der Medienkunst der Anspruch gelingen, Kreativität und avancierte Technologie nicht als gegensätzlich, sondern als in ›magischen Momenten‹ zu Kunstwerken vereint zu begreifen. Ein pointiertes Statement in diesem Sinne gab die US-amerikanische Künstlerin Catherine M. Judge ab, die zusammen mit Atsushi Ogata die begehbare Videoinstallation Hikari auf der Videonale 5 zeigte und dazu interviewt wurde. Es ist ein treffendes Bild für die möglichen Aufgaben und Herangehensweisen künftiger Künstler*innen-Generationen: »Die wirklich guten Künstler werden die Technik verändern. Sie haben eine Vision, eine Idee, und dann werden sie die Technik so verändern und entwickeln, dass sie ihrem ästhetischen Anspruch genügt.«66 Dieser Gedanke behält seine Gültigkeit auch heute, fünfundzwanzig Jahre nachdem die fünfte Ausgabe des Videonale-Festivals zu Ende ging. Die verschiedenen Positionen der Diskussionsbeteiligten illustrieren sehr gut die Umbruchszeit zu Beginn der 1990er, die einerseits neue Perspektiven für den Kunstbereich eröffnete, andererseits auch Unsicherheiten und Technikkritik auslöste. Genau in diesem Spannungsfeld entfaltete sich die Festivalkonzeption von Axel Wirths und sein Vermittlungsanspruch an eine Annäherung zwischen den 62  U  lrike Rosenbach: Die Hochschule der Bildenden Künste Saar. In: Voggenreiter/Wirths: Erlkönigs Erben, S. 97-100, hier S. 98. 63  Denk: Cocooning und Performance-Training, S. 410. 64  K  urzstatement von Nan Hoover, Kunstakademie Düsseldorf. Speziell zu: Medien und Kreativität. In: Voggenreiter/Wirths: Erlkönigs Erben, S. 111-112, hier S. 112. 65 Videovisionen. Die 5. Videonale in Bonn von Christof Boy (Erstausstrahlung am 20. September 1992). Quelle: Ausschnittbeschaffung Video-Archiv des WDR. 66  Ebd.

Das kuratorische Konzept der Videonale 5

Feldern Medienkunst und bildende Kunst. Dabei setzte er auf ein breit angelegtes Programm, das zum einen aktuelle medienästhetische Ansätze vorstellte (räumliche Dimension von Videoinstallationen, zeitlicher Aspekt von Interaktivität) und zum anderen eine kunstgeschichtliche Kontextualisierung der Videokunst ermöglichte, die ihr den Weg in die Museen bereiten sollte. Auch neues Publikum sollte durch mehrere Ausstellungen an verschiedenen Institutionen – Kunstverein, Museum, Kunsthalle, Kulturinstitute – erschlossen werden. Schließlich sollten verschiedene Akteur*innen der Videokunstszene – neben den Künstler*innen und Ausstellungsmacher*innen auch Lehrende an Kunsthochschulen, Medienfachleute und Kulturpolitiker*innen – zusammenkommen und in Dialog treten, um über Perspektiven dieser Form des künstlerischen Ausdrucks zu diskutieren. Die Aktivitäten (und der Aktivismus) von 235 Media im Bereich Medienkunst fanden in dem Videonale-Konzept von Axel Wirths ihren Ausdruck und ihre Fortführung.

Für die Unterstützung meiner Archivrecherchen gilt mein besonderer Dank Tasja Langenbach und Elisabeth Wynhoff (Videonale) sowie Bettina LindnerZietan (Ausschnittbeschaffung des WDR).

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Trotz der neuartigen Vermittlungswege, die für die Videokunst eingeschlagen wurden – von Fernsehsendungen über Festivals und Screenings bis hin zum Verkauf von unlimitierten VHS-Kassetten –, war auch das konventionelle Format des Ausstellens in gängigen Kunstinstitutionen weiterhin gefragt. Allen Protagonist*innen der Videokunstszene war bewusst, dass zur Lancierung und Akzeptanz dieser Kunstform nicht nur die Erweiterung in experimentelle, ›kunstfremde‹ Räume zu betreiben war, sondern auch der herkömmliche ›Marsch durch die Institutionen‹ zu erfolgen hatte. Selbst in großzügigen Überblicksausstellungen zur Kunst des 20. Jahrhunderts waren die Künstler*innen, die mit Video, Film und anderen technologiebasierten Prozessen arbeiteten, lange Zeit unterrepräsentiert. Als 1981 die viel beachtete Ausstellung Westkunst die Medienkunst nahezu vollständig außer Acht ließ, griffen einige betroffene Künstler*innen zum probaten Mittel des öffentlichen medialen Protests. Ulrike Rosenbach, Klaus vom Bruch, Marcel Odenbach und Rune Mields – von denen sich die ersten drei wenige Jahre später durch den Vertrieb von 235 Media vertreten ließen – äußerten ihren Unmut über die Ignoranz der verantwortlichen Kurator*innen indem sie das Video Westprotest drehten, das unmittelbar vom WDR ausgestrahlt wurde.1 Auch wenn sich die Präsenz von Medienkünstler*innen im Laufe des Jahrzehnts besserte und es der documenta 8 (1987) und einigen thematischen Ausstellungen wie Video-Skulptur retrospektiv und aktuell 1963-1989 zu verdanken war, dass solche Kunst stärker wahrgenommen wurde, blieben institutionelle Ausstellungen, die ihren Fokus auf zeit- und technologiebasierte Kunst legten, in den 1980er-Jahren eher die Ausnahme als die Regel.2 Singulärer Vorläufer in der deutschen Ausstellungslandschaft der 1970er-Jahre war PROSPECT 71. Projection, bei der sich das titelgebende Stichwort ›Projektion‹ in erster Linie als Charakteristikum der 1  Das Video befindet sich im Archiv der Stiftung imai. 2  F rühe Beispiele sind vereinzelt aufgetreten. Vgl. hierzu François Bovier/Adeena Mey (Hg.): Exhibiting the Moving Image. Zürich: JRP Ringier 2015.

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Prozess- und Konzeptkunst abzeichnete. Vor dieser Folie lud die Kunsthalle Düsseldorf internationale Galerien mit Künstler*innen ein, die ihre Ideen »mittels Foto, Diapositiv, Film und Videotape«3 umsetzten. So verfolgte die Ausstellung zum einen die kuratorische Absicht, die Innovation im Bereich der bildnerischen Mittel zu belegen, und zum anderen den Versuch, für die Ausweitung der bildnerischen Mittel auch eine Akzeptanz im Kunstmarkt herbeizuführen. Doch als Einzelerscheinung konnte PROSPECT 71. Projection keine Impulse setzen und änderte nichts an der Tatsache, dass es in puncto zeitbasierter Kunst ebenso vonseiten der Kurator*innen wie auch vonseiten der Galerist*innen Zurückhaltung gab: »as a commercially valuable art form in its own right, early conceptual film and video art would remain marginal for at least two decades«, so auch die Schlussfolgerung von Maxa Zoller, die die Ausstellung hinsichtlich ihres Wirkungsgrades untersucht hat.4 Die lange Reserviertheit von Museen und Ausstellungshäusern gegenüber Medienkunst lässt sich natürlich mit dieser Anhängigkeit zwischen institutionellem Ausstellungssektor und Kunstmarkt sowie vice versa erklären und mit der üblichen Zeitspanne, die eine neuartige Kunstform braucht, um ›institutionsfähig‹ zu werden. Aber bei Medienkunst waren es auch schlichtweg praktische Bedenken, die die Kurator*innen vom Ausstellen solcher Werke abhielten. Die Ausstellungshäuser besaßen weder die technische Ausstattung noch Mitarbeiter*innen, die über Know-how und Erfahrung im Auf bau von medialen Installationen verfügten.5 235 Media konnte diese Lücke füllen und eine Kombination von technischer Kompetenz und Insiderwissen über die zeitgenössische Medienkunst anbieten. Ebenso war das stetig wachsende Netzwerk von 235 Media zu internationalen Medienkünstler*innen nicht nur ein wichtiges Fundament für den Videokunstvertrieb, sondern auch für den Beginn einer kuratorischen Tätigkeit. Den Auftakt bildete im Herbst 1989 die Schmuck-Ausstellung ORNAMENTA in Pforzheim, die zum Ziel hatte, ein großes Publikum für zeitgenössische Schmuckkunst zu

3  Z  itiert aus dem Vorwort von Hans Strelow. In: Konrad Fischer/Jürgen Harten/Hans Strelow (Hg.): PROSPECT 71. Projection. Kat. Kunsthalle Düsseldorf. Düsseldorf: ART-PRESS 1971, o.S. 4  M  axa Zoller: Prospect in Retrospect: the Exhibition Prospect 71: Projection. In: Bovier/Mey: Exhibiting the Moving Image, S. 28-40, hier S. 30. 5  S tephan von Wiese, von 1976 bis 2007 Leiter der Abteilung Moderne am Kunstmuseum Düsseldorf (heute Museum Kunstpalast), erklärt die Situation Anfang der 1980er-Jahre rückblickend wie folgt: »Video war damals auch ein schwieriges Instrument. Man sagte damals: ›Video ist, wenn es nicht funktioniert.‹ Wenn man Videoinstallationen aufbaute, gab es bei der Eröffnung meistens irgendwelche Probleme. Es war schwierig und teuer.« Vgl. Gesprächsreihe Café Deutschland, Franziska Leuthäußer im Gespräch mit Stephan von Wiese am 11. Juni 2016. https://cafedeutsch land.staedelmuseum.de/gespraeche/stephan-von-wiese#stephan-von-wiese-fn-37 (16.04.2019).

Das Neue kuratieren oder: Das neue Kuratieren. Die Ausstellungsprojekte von 235 Media

interessieren.6 Der Hauptkurator Michael Erlhoff engagierte 235 Media für die Aufgabe, zur Ausstellung eine multimediale Konzeption beizusteuern. Zur Erweiterung der ›bloßen‹ Zurschaustellung von Schmuckobjekten sollten das Tragen von Schmuck und die Bedeutung des Ornaments im elektronischen Bild thematisiert werden.7 Zeitgenössische Kunstvideos und kulturgeschichtliche Dokumentationen über Körperschmuck wurden über Monitore ausgestrahlt, die so in blauen monolithischen Stelen eingebettet waren, dass nur die filmischen Bilder – scheinbar ohne technisches Gehäuse − hervortraten. Die »Formation blauer Kuben« gehörte zur Leitidee der Ausstellungsarchitektur, die Günter Zamp Kelp entworfen hatte, und setzte sich entsprechend in allen Ausstellungsbereichen fort.8 Abb. 1: Eingangsbereich zur ORNAMENTA mit der Inszenierung des Videos Glanz und Feuer von Maria Vedder, Still aus Videodokumentation im Archiv der Stif tung imai

Zusätzlich zu dieser Präsentation von Einkanalvideos gab es drei Installationen mit Video: die Videoskulptur Zwei Finger des Österreichers Franz Xaver, in einem Bassin im Innenhof die Installation The Creation No. 1 von Keigo Yamamoto und im äußeren Eingangsbereich das eigens für die Ausstellung installativ arrangier-

6  O  RNAMENTA 1. Internationale Ausstellung Zeitgenössischer Schmuckkunst, Schmuckmuseum Pforzheim, 30. September bis 19. November 1989. 7  V  gl. Axel Wirths: Das Video-Ornament. In: Michael Erlhoff/Fritz Falk/Jens-Rüdiger Lorenzen u.a. (Hg.): ORNAMENTA 1. Internationale Ausstellung Zeitgenössischer Schmuckkunst. München: Prestel 1989, S. 303-310. 8  V  gl. Günter Zamp Kelp: Architektonische Konzeption. In: . In: Erlhoff/Falk/Lorenzen: ORNAMENTA 1, S. 311-313.

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te Video Glanz und Feuer der Kölner Künstlerin Maria Vedder.9 Der Weg ins Museum war – gemäß der durchgängigen Ausstellungsarchitektur – gesäumt von mehreren der auch im Gebäude verteilten blauen monolithischen Stelen mit integriertem Bildschirm (zehn Stelen bilden die »Säulenallee«10 zum Eingang).11 Als Auftakt zum Ausstellungsthema rollten Goldnuggets, Edelsteine und Perlen über die Videobildschirme und f lankierten – auch mit ihrer Bewegungsrichtung − den Eintritt ins Museum. Die zum Video komponierte Ambient-Music von Brian Eno unterstützte die atmosphärische Stimmung, die für das Entree gewählt worden war. Abb. 2: Keigo Yamamoto: The Creation No. 1 auf der ORNAMENTA

Auffällig ist, dass versucht wurde, die Anmutungsqualität der Videotechnik zugunsten einer sinnlichen Wahrnehmung von Bewegtbild und Ton weitgehend zu reduzieren. Keigo Yamamotos The Creation No. 1 war ebenfalls ein Beitrag, mystische Vorstellungen in Hightech-Arrangements einzuschreiben – weniger mit der Absicht, einen unvereinbaren Kontrast aufzuzeigen, als vielmehr mit der Überzeugung einer dualen Existenz von beiden. Wie viele andere Medienkünst9  D  as Video Glanz und Feuer sowie Dokumentationsvideos über die Ausstellung befinden sich im Archiv der Stiftung imai. 10  Vgl. Abschnitt »Glanz und Feuer« im Aufsatz von Axel Wirths: Das Video-Ornament. 1989, S. 309. 11  M  aria Vedder hatte bereits 1984 die dreikanalige Monitorinstallation Der geometrische Ort aller Punkte hergestellt, die seit 1988 im Vertriebskatalog von 235 Media angeboten wurde.

Das Neue kuratieren oder: Das neue Kuratieren. Die Ausstellungsprojekte von 235 Media

ler*innen seit den frühen 1970er-Jahren arbeitete Yamamoto mit dem Abbild des Betrachters, dessen kurzfristige Gegenwart im Instantvideobild des Closed-Circuit-Systems einen verblüffenden Effekt für das damalige Publikum hinterließ. In The Creation No. 1 wurde das Videobild der Betrachter*innen in Feuer- oder Unterwasseraufnahmen hineingestanzt und erschien umrandet von natürlichen Sandsteinblöcken, die die Gehäuse der Monitore vollständig verdeckten und im Wasserbecken des Museuminnenhofes gruppiert waren. Monitorbild und dessen Spiegelbild auf der Wasseroberf läche bildeten eine ästhetische und konzeptuelle Einheit der vermeintlichen Gegensätze von Ursprünglichkeit und Technizismus. Abb. 3: Technisches Diagramm für Das elektronische Schmuckstück

Die kuratorische Tätigkeit für die ORNAMENTA bestand aus weit mehr als der Kompilation von inhaltlich passenden Kunstwerken. Im Vordergrund stand, ein Display zu realisieren, das die Ausstellungsbesucher zur Akzeptanz des multimedialen Zusatzangebotes motivierte. Die unübersehbaren blauen Designobjekte, in die die Monitore eingelassen waren, erfüllten diesen Zweck ebenso wie die räumliche Inszenierung des Videos Glanz und Feuer, die speziell für die Eingangssituation entworfen worden war. Erstmals trat 235 Media auch mit einem medialen Vermittlungsformat hervor, das für die Schmuckexponate ›maßgeschneidert‹ war

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und die konventionelle museale Objektpräsentation der 1980er-Jahre verließ. Die Workstation mit dem Titel Das elektronische Schmuckstück war aus der Überlegung hervorgegangen, dass viele Ausstellungsbesucher*innen die Schmuckstücke in den Vitrinen begehren und selbst tragen möchten. Durch eine digitale Simulation wurde ihnen dieser Wunsch erfüllt: Die Besucher*innen konnten sich ein Schmuckstück aussuchen, das sie im digitalen Bild an ihrem Körper trugen. Zum Abschluss des Vorgangs wurde mittels eines Polaroid-Belichters ein Foto als Giveaway produziert und an die Teilnehmer*innen ausgehändigt – gewissermaßen der analoge Beleg ihres digital erfüllten Wunsches. Die Umsetzung dieses Konzepts war, wie das abgebildete Diagramm belegt, Ende der 1980er-Jahre ein aufwendiger technischer Vorgang und wird viele Besucher*innen fasziniert haben. Im selben Jahr, als die ORNAMENTA stattfand, veranstaltete der Verein Media Art Produktion, zu dessen Initiatoren u.a. Axel Wirths und Ulrich Leistner gehörten, in Zusammenarbeit mit dem Kölnischen Kunstverein die Tagung Kunst – Video − Gesellschaft. Fragen nach der Vermittlung von Neuen Medien.12 Anlass war die zeitgleiche, groß angelegte Schau Video-Skulptur, die für beträchtliches öffentliches Aufsehen sorgte und die Aufmerksamkeit von der zeitlichen Dimension der Videokunst hin zur skulpturalen und räumlichen Qualität von Werken mit Bewegtbildern verlagerte. Die Ausstellung verdeutlichte, wie notwendig es war, sich mit neuen Konzepten der Präsentation für Medienkunst auseinanderzusetzen, die sowohl den Aufführungscharakter solcher Werke als auch ihre Rezipierbarkeit durch die Besucher*innen adäquat berücksichtigen.13 So diskutierte man neben den Verbreitungsformen und Vertriebswegen die Kernfrage nach einer praktikablen Eingliederung von Medienkunst in den musealen Alltag. Der Kunstkritiker Georg F. Schwarzbauer hatte bereits im Handbuch Videokunst in NRW die mangelnden Voraussetzungen für Videokunst im Museum beklagt: »In den fünfundzwanzig Jahren, die seit den ersten Video-Events vergangen sind, haben es vor allem die öffentlichen Kultur-Institutionen nicht verstanden, den Rezipienten auf sinnvolle Weise mit diesem Medium vertraut zu machen.«14 In seinem Fazit forderte er nicht nur eine verbesserte technische Infrastruktur, sondern auch das Entwickeln von geeigneten Vermittlungs- und Präsentationswegen. Sabine Voggenreiter stellte die speziell zur Tagung inszenierte Video Tape Galerie15 vor, mit 12  V  gl. dazu die Publikation: Media Art Produktion e.V. (Hg.): Kunst − Video − Gesellschaft. Zur Vermittlung und Präsentation von Neuen Medien. Köln: Media Art Produktion e.V. 1991. 13  Z  ur Historie von Videokunstdisplays vgl. Katharina Ammann: Video ausstellen. Potenziale der Präsentation. Bern: Peter Lang 2009. 14  G  eorg F. Schwarzbauer: Einige Anmerkungen zur Präsentation der Videokunst im musealen Raum. In: Sekretariat für gemeinsame Kulturarbeit NRW (Hg.): Videokunst in NRW. Ein Handbuch. Köln: 235 Media 1988, S. 65-68, hier S. 65. 15  S abine Voggenreiter: Die Ausstellung Video – Tape – Galerie. In: Media Art Produktion e.V.: Kunst − Video − Gesellschaft, S. 37-48.

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der die Designgruppe Pentagon16 auf dieses Manko reagierte. In Kooperation mit 235 Media – die auch in den folgenden Jahren mit Pentagon gemeinsame Projekte verwirklichte, zum Beispiel das Electronic Café International – hatten sie eine Ausstellungsarchitektur für künstlerische Einkanalvideos entworfen.17 Es handelte sich dabei um variable Präsentationsmodule, die für unterschiedliche Funktionsbereiche einsetzbar waren. Das Design war abgestimmt auf das Aufmerksamkeitsniveau der Besucher*innen, das die Designer*innen in drei Stufen unterteilten: eine offene Abspielsituation für Videos, um die Besucher*innen zu interessieren; eine halb offene Vorführsituation, um ein ungestörtes Betrachten der Videos zu ermöglichen; und eine abgeschlossene Umgebung, um eine konzentrierte Beschäftigung mit Videos anzubieten. Als Wiedergabegeräte wurden Röhrenmonitore verwendet, die dem damaligen technischen Standard entsprachen, weil für Videoprojektoren noch exorbitante Preise zu zahlen waren. Die Monitore waren in turmartige Metallrahmen eingelassen und erfuhren so eine skulpturale Aufwertung. Flexible Stellwände sorgten für die variable Abgrenzung der je nach Besucher*innen-Bedürfnis halb offenen oder geschlossenen Sichtungsbereiche. Dieses Ausstellungsdesign war als »Videothek für Kunst-Videos«, wie es Sabine Voggenreiter nannte, konzipiert und sollte »vom Flughafen über Bibliothek bis zu Galerien und Museen« eingesetzt werden.18 Mit der Frage, wie man Museumsbesucher*innen einen bequemen Zugang zu Videokunst eröffnet, setzte sich 235 Media mit Blick auf den Videokunstvertrieb auch in den Folgejahren auseinander. Doch ebenso wie in der allgemeinen Entwicklung seit den 1990er-Jahren Künstler*innen immer mehr zur Produktion von Videoinstallationen tendierten, setzte auch 235 Media einen neuen Schwerpunkt im Vertriebsprogramm auf zeitbasierte installative Werke. Die erweiterten elektronischen Möglichkeiten, mit virtuellen künstlerischen Räumen und interaktiven Umgebungen die bisherigen Wahrnehmungsdimensionen zu durchbrechen, veranlasste zahlreiche technikaffine Künstler*innen, in diesem Terrain zu experimentieren. Als Dienstleister für technische Medienentwicklung und -produktion wurde 235 Media zum Partner für Künstler*innen und setzte sich dafür ein, solche Kunstwerke in die Öffentlichkeit zu bringen. In diesem Zusammenhang sind vor allem zwei ihrer kuratorischen Projekte nennenswert: der MedienKunstRaum in der Bundeskunsthalle Bonn und die Ausstellung vision.ruhr in Dortmund, die im Folgenden besprochen werden. Die kuratorische Aufgabenteilung zwischen den Inhabern von 235 Media war seit ihrer ersten Ausstellung klar definiert: 16  F ür nähere Informationen zur Designgruppe Pentagon vgl. den Beitrag Das Electronic Café International 1992 – »the state of the art of network-art« von Jessica Nitsche in diesem Buch. 17  Die Ausstellung fand während der Tagung in der Galerie Pentagon in Köln statt. 18  D  er Autorin ist nicht bekannt, ob die Video Tape Galerie in einem Museum zum Einsatz kam. Jedoch wurde sie 1989 auf der Frankfurter Kunstmesse ebenfalls ausgestellt.

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Während Axel Wirths für die inhaltliche Recherche und das Ausstellungskonzept zuständig war, stand Ulrich Leistner mit den Künstler*innen im Austausch über die technische Umsetzung der Werke und war verantwortlich für deren einwandfreies Funktionieren. 1992 hatte Axel Wirths die Leitung des Videonale Festivals übernommen und in diesem Rahmen zusammen mit der Bundeskunsthalle Bonn den Kongress Perspektiven der Medienkunst – Medienhochschulen zwischen Utopie und Praxis organisiert, der die Ausbildungssituation im Bereich der Medienkunst beleuchtete.19 Dieser Austausch hatte offenbar zur Folge, dass Axel Wirths die Kunst- und Ausstellungshalle überzeugen konnte, einen speziellen Raum für wechselnde Medienkunstausstellungen längerfristig einzurichten. Das Bonner Ausstellungshaus, das mit spektakulären Themen, Exponaten und Sammlungspräsentationen einen Publikumsmagneten nach dem nächsten lieferte, kam hier auch seiner bildungspolitischen Verpf lichtung nach, einer weitaus weniger populären Kunstform in ihrem »Nischendasein«20 zu größerem Publikum zu verhelfen. Das Hauptmotiv, um den MedienKunstRaum in das ansonsten weitaus weniger experimentelle Programm aufzunehmen, wird allerdings vielmehr der zukunftsweisende Ansatz der Medienkunst gewesen sein, der aus einem Interesse der Künstler*innen an innovativer Technik und Wissenschaft erwächst. Obwohl es ein Bewusstsein dafür gab, dass mit Medienkunst ein diskursives Denken über die wachsende Technisierung der Gesellschaft in Gang gesetzt wird, hielt es Wenzel Jacob, der damalige Direktor der Kunst- und Ausstellungshalle, für erwähnenswert, wie sehr Museen und Rezipient*innen mit Medienkunstausstellungen überfordert waren: »[Medienkunst] ist kein sonderlich geliebter Gast in Museen. Sie ist oft laut und aufdringlich, stört die Sphäre anderer Kunstwerke, und häufig kann sie nur von einer Person und nicht von mehreren gleichzeitig rezipiert werden. Ferner verursacht sie einen erheblich höheren Aufwand als beispielsweise Gemälde oder traditionelle Skulpturen. Viele Ausstellungshäuser besitzen weder die nötige technische Infrastruktur noch verfügen sie über das Know-how, das für den Betrieb und die Wartung der Medienkunst notwendig ist. Ohne Unterstützung von Sponsoren und Mithilfe externer Spezialisten ist eine Präsentation häufig gar nicht möglich. Wie keine andere Kunstform schöpft die Medienkunst ständig aus dem Reservoir der neusten technischen Möglichkeiten. Dieser permanente Inno-

19  V  gl. hierzu den Beitrag Das kuratorische Konzept der Videonale 5 als Annäherung zwischen Medienkunst und bildender Kunst von Darija Šimunović in diesem Buch. 20  W  enzel Jacob: Vorwort. In: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Der Elektronische Raum. 15 Positionen zur Medienkunst. Ostfildern: Hatje Cantz 1998, S.  7-8, hier S. 7.

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vationsschub scheint dem Prinzip Museum, das auf Dauerhaftigkeit ausgerichtet ist, zu widersprechen.«21 Letzteres Argument war für eine nicht sammelnde Institution wie die Kunst- und Ausstellungshalle nicht wesentlich. Ausschlaggebend war hingegen, dass Axel Wirths sowohl im aktuellen Diskurs der Medienkunst verankert war als auch zusammen mit Ulrich Leistner und der gemeinsamen Firma 235 Media die gesamte Infrastruktur liefern konnte, um die technischen Ansprüche der Medieninstallationen zu bewältigen. Zum Kuratieren gehörte nun mehr als die überlegte Auswahl der Künstler*innen, der Transport von ›fertigen‹ Werken und ihr dialogisches Arrangement im Raum. Das Kuratieren weitete sich aus zu einem kollektiven Prozess zwischen Künstler*innen und Kurator*innen, in dessen Verlauf die technische Machbarkeit von Konzepten eruiert wurde und die konkrete Umsetzung am Ausstellungsort, häufig unter besonderer Berücksichtigung der Besucher*innen-Partizipation, zu erfolgen hatte. So unterstreicht Axel Wirths, dass »die Vermittlungsinstitution […] zum Mitproduzenten [wird], der Know-how, Manpower, technisches Equipment und bauliche Konstruktionen einbringt.«22 Von Januar 1994 bis ins Jahr 2000 fungierte Axel Wirths als Kurator des MedienKunstRaums: Es handelte sich um einen separaten Raum in der Bundeskunsthalle, wo drei bis vier Ausstellungen pro Jahr eingerichtet wurden.23 Insgesamt wurden im MedienKunstRaum fast durchgängig Einzelausstellungen von zwanzig Künstler*innen respektive Künstler*innen-Gruppen gezeigt.24 Das Programm bildete hochaktuelle Resultate aus der Entwicklung und Forschung im Bereich der zeit- und medienbasierten Kunst ab, vorwiegend Werke, die im selben Jahr oder eigens für den MedienKunstRaum entstanden waren. Solche Kunst, die eine gegenwartsbezogene Ref lexion über die Verschränkung von Technologie und Gesellschaft anstrebte, war in musealen Umgebungen so gut wie nicht zu finden. 21  Ebd. 22  A  xel Wirths: Ort und Raum. In: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Der Elektronische Raum. 15 Positionen zur Medienkunst. Ostfildern: Hatje Cantz 1998, S. 9-19, hier S. 12. 23  D  ie Ausstellungen von Januar 1994 bis Juli 1997 sind in einem gemeinsamen Katalog beschrieben. Vgl. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Der Elektronische Raum. 15 Positionen zur Medienkunst. Ostfildern: Cantz 1998. 24  A  lle Ausstellungen im MedienKunstRaum von 1994 bis 2000 finden sich in der Auflistung im Anhang des vorliegenden Beitrags. Im Jahr 2010 ließ der neue Direktor der Bundeskunsthalle Robert Fleck den MedienKunstRaum unter dem Titel Echoraum wieder aufleben und ging dafür eine Kooperation zuerst mit der Kunsthochschule für Medien und später mit der Hochschule für bildende Künste Hamburg ein. Vgl. dazu: Ulrich Best u.a.: Über den Echoraum. Ein Gespräch mit Ulrich Best, Robert Fleck, Nathalie Hoyos & Mischa Kuball. In: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Echoraum. Köln: Wienand 2012, 8-24.

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Man begegnete solchen Kunstwerken, die zumeist kostenintensiv waren, fast ausschließlich auf den spezialisierten einschlägigen Festivals, wie zum Beispiel der Ars Electronica in Linz und dem World Wide Video Festival in Amsterdam und in Ausstellungen des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe, dessen Aktivitäten 1989 begannen, aber erst seit 1997 in einem eigenen Gebäude stattfinden. Nur langsam reagierten zeitgenössische internationale Großausstellungen auf technologiebezogene Kunst. Insofern war der MedienKunstRaum für die Besucher*innen ein Novum und vor allem eine Herausforderung. Es muss bedacht werden, dass die interaktiven Medieninstallationen häufig mit Technologien operierten, mit denen das Gros der damaligen Besucher kaum vertraut war. Dass sie die Erfahrungshorizonte des Museumspublikums überstiegen, ist ablesbar an der Publikation zum MedienKunstRaum, die 1998 herausgegeben worden ist. Ein Glossar erklärt hier noch Termini der Medientechnik wie Cyberspace, Display, E‑Mail, Internet, Joystick oder Netzwerk, deren Anwendung zu den Selbstverständlichkeiten des heutigen Alltags gehört. Das Programm des MedienKunstRaums verdeutlicht, dass sich das Interesse von Axel Wirths respektive 235 Media in den 1990er-Jahren von der Vorführung von Einkanalvideos auf die Vermittlung der räumlich ausgeprägten Medienkunst verlagerte. Thematisiert wird nun das Spektrum der medialen Expansion in der Kunst. Die Inhalte der Ausstellungsreihe resultieren aus der Auseinandersetzung mit dem realen kinoähnlichen Projektionsraum, mit dem konstruierten elektronischen Gestaltungsraum und dem vernetzten sowie zur Partizipation animierenden Datenraum (Internet).25 Künstler*innen wie Klaus vom Bruch, Gary Hill, Nan Hoover, Ulrike Rosenbach und Marcel Odenbach nutzten den MedienKunstRaum, um mit der neu verfügbaren und mittlerweile finanzierbaren Technik der Projektion bildgewaltige Dimensionen und begehbare Installationen zu schaffen. Sie hatten vorwiegend in den 1970er-Jahren mit den vergleichsweise einfachen Gegebenheiten der Videotechnik begonnen, in den 1980er-Jahren mit der Einbeziehung von Monitoren und verschiedenen Objekten die skulpturale Erweiterung verfolgt und empfanden die Wahl von fortschrittlichen Präsentationsmedien als integralen Bestandteil ihrer Werke. Videoprojektoren gestatteten nun die wandfüllende Wiedergabe von Videomaterial, das präzise Platzieren und Collagieren von mehreren Videobildern an den Wänden und deren synchrone bzw. aufeinander abgestimmte Vorführung. Das Prinzip der Black Box − des verdunkelten, separierten Ausstellungsraums − entwickelte sich von da an für die nächsten Jahrzehnte zu einem Standard, der die technische Rahmung der Videobilder abschaffte und ihre panoramaähnliche,

25  V  gl. dazu Ursula Frohne: video cult/ures: multimediale Installationen der 90er Jahre. Kat. Museum für Neue Kunst/ZKM Karlsruhe. Köln: DuMont 1999.

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illusionistische Atmosphäre provozierte.26 Indem jegliche potenzielle Ablenkung im Dunklen verschwindet, erhöht sich die Intensität der Lichtbilder und damit auch ihre Tiefenwirkung. »Die Black Box«, schreibt Ursula Frohne, »hat sich in der künstlerischen Praxis […] als neuer Ort der Dissimilation des Rahmens behauptet, als eine Sphäre der Virtualität, in der das Publikum bewegte Bilder als All-over-Stimulation der Sinne erlebt und die Grenze zwischen Selbst und den visuellen Repräsentation ins Undefinierbare verschwimmt: Wahrnehmung schlägt um in Partizipation.«27 Anders als im Dispositiv des Kinos, wo den Zuschauer*innen ihr Platz zugewiesen wird, gehört das Bewegen und Flanieren der Zuschauer*innen durch die Videoinstallation zur ganzheitlichen Rezeption des Werkes und erlaubt das intensive Moment der individuellen Teilhabe. Marcel Odenbach konzipierte mit Tabakkollegium oder es brennt mir unter den Nägeln zwei sich gegenüberliegende Doppelprojektionen für den MedienKunstRaum, in denen die Lethargie des genussvollen Rauchens kontrastiert wird mit der Notwendigkeit zum gesellschaftlichen Handeln. Gary Hill nutzte die Black Box des MedienKunstRaums für eine nahezu kinematographische Projektionsbreite, indem er in Circular Breathing fünf vertikale, aneinanderstoßende Projektionen zu einer wandfüllenden Ansicht von 12 x 3,30 m verband. Ulrike Rosenbach ließ einen oktogonalen Einbau errichten, in dem die Betrachterin bzw. der Betrachter vollständig von Videoleinwänden umgeben war und von der Intensität verstörender überlebensgroßer Kinderaufnahmen und disharmonischer Kinderstimmen nahezu bedrängt wurde. Die Arbeit Im Palast der Neugeborenen ist ein kritischer Kommentar zur damaligen Debatte über Reproduktionsmedizin. Zusätzlich zu solchen Künstler*innen, mit denen Axel Wirths bereits über den 235-Media-Vertrieb von Einkanalvideos in engem Kontakt stand, weckten insbesondere die Künstler*innen seine Aufmerksamkeit, die eine gezielte künstlerische Forschung mit neuen Technologien vorantrieben. Ihre Werke waren von dem Willen gekennzeichnet, die Grenze des in sich geschlossenen Kunstwerks zu überschreiten und dabei für die Betrachter*innen einen Radius zuzulassen, in dem sie an den Gestaltungsprozessen beteiligt waren. Interaktion über innovative Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine dominierte in den 1990er-Jahren die künstlerischen Ansätze und bot den Besucher*innen offene Prozesse der ›aktiven Teilnahme‹ an. Beispielsweise stellten Jill Scott, Agnes Hegedüs und Christa Sommerer & Laurent Mignonneau interaktive Environments vor, die Medientechnologien sowohl nutzen als auch hinterfragen. Die Australierin Jill Scott 26  Z  ur Bedeutung der Black Box als künstlerisches Display vgl. Ralf Beil (Hg.): Black Box. Der Schwarzraum in der Kunst. Kat. Kunstmuseum Bern. Ostfildern: Hatje Cantz 2001, und Ralf Beil: Der Schwarzraum – Phänomen, Geschichte, Gegenwart. In: Beil: Black Box, S. 9-23. 27  U  rsula Frohne: Ausbruch aus der weißen Zelle: Die Freisetzung des Bildes in cinematisierten Räumen. In: Beil: Black Box, S. 51-64, hier S. 52.

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verwendete in ihrer Ausstellung Machine Dreams, die auf Geschlechterkonstruktion in der Werbung einging, eine Kombination aus Objektpräsentation, Video, 3-D-Animation und von den Besucher*innen selbst zu bedienenden Informationsstationen. In Agnes Hegedüs’ Between the words wurde den Besucher*innen ein Experimentierfeld für nonverbale Kommunikation zur Verfügung gestellt, das über ein eigens entwickeltes Interface zu einer spielerischen Auseinandersetzung mit virtuellen Handgesten und dem realen Gegenüber motivierte. In der Installation A-Volve von Christa Sommerer & Laurent Mignonneau wurden die Besucher*innen in die Lage versetzt, das Wachsen virtueller ›Geschöpfe‹ zu beobachten und über einen Touchscreen neue Kreaturen in das virtuelle Biotop einzufügen. Abb. 4: Christa Sommerer & Laurent Mignonneau: A-Volve

Solche interaktiven Werke im Museum setzten voraus, dass die Besucher*innen eine gewisse Technikaffinität besaßen oder über Neugier weckende Settings zur Anwendung und Interaktion mit den Apparaten animiert wurden. Häufig wurde dies über einen spielerischen Zugang gelöst, der zugleich einen kreativen Umgang mit den bereitgestellten Potenzialen förderte. Anstelle einer ausschließlich intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk setzte die Künstlergruppe Studio Azzurro auf die Lust der Besucher*innen an der visuellen Täuschung. Studio Azzurro ließ den Aktionsradius der Besucher*innen zu einem interaktiven

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Dialog werden, der auf eine illusionistische Wirkung abzielte. Während die Technik im Verborgenen ablief, gestaltete sich der Besuch der Installation Tavoli – Why these hands are touching me zu einer ›Entdeckungstour‹: Im verdunkelten Raum erzeugten Videoprojektionen auf Tischplatten ein Ambiente des Irrealen, weil die auf die Tischplatten projizierten Gegenstände und Personen auf die Berührung durch die Besucher*innen zu reagieren schienen. De facto wurden neue Videosequenzen durch das Aktivieren von Kontaktf lächen ausgelöst. Abb. 5: Studio Azzurro: Tavoli – Why these hands are touching me

Die Ausstellung vision.ruhr Kunst Medien Interaktion im Jahr 2000 war das Resultat aus den mehrjährigen Erfahrungen mit dem MedienKunstRaum. Das zukunftsorientierte Spektrum der bildenden Kunst, das dort kontinuierlich mit Einzelpositionen gezeigt worden war, konnte nun in einer Gruppenausstellung und in einem spektakulären, nonmusealen Areal in Szene gesetzt werden. Anlass zur Ausstellung war das kulturpolitische Bekenntnis der nordrhein-westfälischen Landesregierung, den Strukturwandel des Ruhrgebiets durch künstlerische Aktivitäten zu unterstützen.28 Der Medienkunst sprach man hierbei eine Schlüsselrolle zu, weil das wechselhafte, spannungsvolle Verhältnis von Mensch und Technologie in die28  V  gl. das Grußwort von Ilse Brusis, damalige Ministerin für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes NRW. In: Museen der Stadt Dortmund/Westfälisches Industriemuseum Zeche Zollern II/IV (Hg.): vision.ruhr. Kunst Medien Interaktion auf der Zeche Zollern II/IV Dortmund, Ausstellungskatalog. Ostfildern: Hatje Cantz 2000, S. 10.

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ser Kunstform zum Ausdruck kommt: Einerseits ziehen Medienkunstwerke häufig aus der Verwendung von technischem Equipment und der Erforschung neuer Technologien ästhetischen ›Nutzen‹, andererseits hinterfragen solche Werke die Abhängigkeit des Menschen von zweckdienlichen technischen Bezügen und Systemen. Die unter Denkmalschutz stehende Zeche Zollern II/IV in Dortmund, die nach ihrer Stilllegung erhalten wurde und seit 1999 als Museum für die industrielle Kultur des Ruhrgebiets zu besichtigen ist, war als Ausstellungsort für vision. ruhr ausgewählt worden, um den historischen Blick auf die Industrialisierung mit der Perspektive auf die einsetzende digitale Umwandlung der Gesellschaft positiv zu verschränken.29 Das Ausstellungsprojekt wurde getragen vom Westfälischen Industriemuseum und dem Dortmunder Museum am Ostwall, die Axel Wirths als Kurator der Ausstellung beriefen und Ulrich Leistner mit 235 Media mit der künstlerischen sowie technischen Leitung beauftragten.30 Gerade wegen der kulturpolitischen Dimension erhielt vision.ruhr Förderung von zahlreichen regionalen Interessenvertretungen und wurde zu einem Vorzeigeprojekt, dessen Finanzvolumen das von regulären Wechselausstellungen überstieg. So konnte für das weitläufige Areal der Zeche Zollern II/IV ein Großaufgebot an technisch komplexen und häufig ortsspezifischen Installationen realisiert werden. Insgesamt waren dreiundzwanzig Installationen auf die verschiedenen Funktionsbereiche der Zeche (Lohnhalle, Waschkaue, Schachthalle, Maschinenhalle, Verwaltung/Innenhof, Werkstätten, Magazin) verteilt und standen im Dialog mit dem stillgelegten industriellen Ort der Kohleförderung.31 Der Kontrast zwischen der Zechenarchitektur des 19. Jahrhunderts und den Hightech-Kunstwerken des beginnenden 21. Jahrhunderts wurde nicht als trennendes, sondern vielmehr als verbindendes Element aufgefasst, das unter dem Aspekt des regionalen Strukturwandels die Bedeutung und die vielfältigen Auswirkungen von Technologie auf die Gesellschaft thematisierte. Alle Werke nahmen auf diesen situativen und kulturgeschichtlichen Kontext Bezug und erfüllten des Weiteren das Kriterium, anstelle der reinen Kunstbetrachtung die Handlung des Mitgestaltens in den Vordergrund zu stellen. Die sich abzeichnenden Innovationen der Telekommunikation und das sich etablierende World Wide Web waren virulente Anliegen, die von Medienkünstler*innen verhandelt wurden, um ›kommunikative‹ Kunstwerke zu schaffen, die einen Informationsaustausch und -zugewinn zwischen Ausstellungsbesucher*innen und IT-Programmen/Maschinen zuließen. Solche künstlerischen Ansätze hatte Axel Wirths bereits seit dem Electronic Café International verfolgt und im Medien29  Vgl. Axel Wirths: Vision als individuelle Strategie. In: ebd., S. 14-16. 30  I m Katalog sind für die Ausstellung folgende Veranstalter genannt: Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Westfälisches Industriemuseum, Museum am Ostwall und Kulturbetriebe Stadt Dortmund. 31  235 Media hat den Ankauf mehrerer dieser Installationen an das Museum am Ostwall vermittelt.

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KunstRaum vorgestellt. Bei vision.ruhr war interaktive Kunst, die die Betrachterin bzw. den Betrachter in den Prozess der kreativen Beschäftigung mit Technologie einbezieht, der kuratorische Leitgedanke: »Den Schwerpunkt von vision.ruhr bilden interaktive Arbeiten, in denen sich die Künstler […] mit der Region und deren strukturellem Wandel auseinandersetzen. Die inhaltlichen und ästhetischen Qualitäten erschließen sich für das Publikum nur durch aktive Teilnahme, die im Gesamterlebnis der Ausstellung eng mit der atmosphärischen Dichte der Architektur der Zeche Zollern II/IV verbunden ist.«32 Der Ausstellungstitel vision.ruhr war in erster Linie hinsichtlich des damit verbundenen politischen Statements zu lesen. Darüber hinaus eröffnete der Titel aber auch das Credo, dass Künstler*innen Visionäres hervorbringen und – als Inbegriff der Moderne – gesellschaftliche Utopien vorantreiben können. Im Rahmen der interaktiven Kunst operierten die Künstler*innen mit der Entwicklung neuartiger Interfaces und fanden über künstlerische Forschung zur Erweiterung von Anwendungsbereichen.33 Axel Wirths betonte die Bedeutung der Interfaces und die damit einhergehende größere Selbstständigkeit der Betrachter*innen: »man [definiert] das Interface als veränderte ästhetische Strategie, um den Dualismus zwischen realer Welt und künstlichen Welten aufzuheben. Die Paradevorstellung von einem ergonomischen Interface ist dabei ein unmerkliches Interface, eine Schnittstelle also, die ohne das Instrumentarium von Tastatur und Maus auskommt, und stattdessen die natürlichen ›Instrumente‹ des Menschen – Stimme, Gestik, Bewegung etc. – zur Kommunikation mit der Maschine bereitstellt. Für die Kunst bedeutet dies die Abkehr vom statischen Werk zugunsten des Kommunikationsprozesses, aber auch den Verzicht des Künstlers auf die ihm seit der Renaissance eingeräumte unantastbare Autorität als Schöpfer einer singulären Wahrheit, die sich im Kunstwerk manifestierte.«34

32  Wirths: Vision als individuelle Strategie, S. 16. 33  Z  ur künstlerischen Relevanz von Interaktivität vgl. Dieter Daniels: Strategien der Interaktivität. In: Rudolf Frieling/Dieter Daniels (Hg.): Medien Kunst Interaktion, die 80er und 90er Jahre in Deutschland. Wien/New York: Springer 2000, S. 142-169; Söke Dinkla: Pioniere Interaktiver Kunst von 1970 bis heute: Hatje Cantz 1997; Annette Hünnekens: Der bewegte Betrachter. Theorien der interaktiven Medienkunst. Köln: Wienand 1997. 34  Wirths: Vision als individuelle Strategie, S. 16.

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Abb. 6: Jef frey Shaw: Place Ruhr auf der vision.ruhr

Aus der großen Anzahl an Installationen soll an dieser Stelle nur Jeffrey Shaws Place Ruhr beispielhaft skizziert werden. Jeffrey Shaw, der seit den 1970er-Jahren als einer der Ersten mit interaktiven Modellen und virtueller Realität experimentierte, stellte in der Maschinenhalle der Zeche Zollern ein immersives 360-Grad-Panorama auf. Die Betrachter*innen betraten eine drehbare Plattform im Zentrum der großf lächigen Installation, wo eine Unterwasser-Videokamera das Interface für die Benutzer*innen bildete. Nachdem eine der elf verschiedenen Stadtansichten aus Dortmund und Umgebung aufgerufen worden war, wurde eine kurze filmische Sequenz als Rundumprojektion abgespielt. Die Benutzer*innen konnten sowohl die reale Plattform drehen und somit die eigene Position zum Panorama bestimmen als auch sich selbst durch den dreidimensional anmutenden Bildraum virtuell navigieren. Über einen zusätzlichen Kontrollmonitor konnte man nachvollziehen, wo man sich in der virtuellen Umgebung gerade befand. Eine weitere Interventionsmöglichkeit erhielten die Benutzer*innen durch ein Mikrofon, das für wenige Minuten die gesprochenen Worte als Schrift im Panoramabild erscheinen und sie dort den virtuellen Weg der Benutzer*innen nachzeichnen ließ. Die historischen Panoramabauten, die mit Rundgemälden im 19. Jahrhundert zu Attraktionen wurden, waren Jeffrey Shaws Ausgangspunkt, um mit heutiger technischer ›Bildsprache‹ den kinematografischen Effekt zu optimieren und die Betrachter*innen zum autonomen Element des Bildraums werden zu lassen. Diese Installation von Jeffrey Shaw wie auch viele andere in der

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Ausstellung vision.ruhr entsprachen dem damaligen neusten Stand der Technik und werden die Besucher*innen gleichzeitig verblüfft und gefordert haben, in das Neuland der technischen Handhabung und der mehrdimensionalen Wahrnehmung einzusteigen. Ab 1989 wurde die Konzeption und Realisierung von Ausstellungen zeit- und technologiebasierter Kunst zu einem weiteren wichtigen Standbein von 235 Media. Im Kunstmarkt fehlte es noch immer an Galerien, die für das Segment der medialen Kunst eintraten, und die Ausstellungsinstitutionen waren weder personell noch infrastrukturell auf den Umgang mit brandneuen Technologien, die nun im Zentrum künstlerischen Arbeitens standen, eingestellt. Durch den intensiven Austausch mit Medienkünstler*innen erkannte 235 Media das bestehende Manko und reagierte stets zeitnah auf die Anforderungen, die sowohl vonseiten der Künstler*innen als auch vonseiten der Ausstellungsinstitutionen aufgerufen wurden. Abgesehen von den zwei öffentlich betriebenen Forschungseinrichtungen, der Kunsthochschule für Medien und dem Zentrum für Kunst und Medien (ZKM), die sich gerade erst etablierten, war 235 Media zu dieser Zeit deutschlandweit der einzige kommerzielle Dienstleister, der die unkonventionellen und innovationsfreudigen Ansprüche medial arbeitender Künstler*innen zu erfüllen in der Lage war. Darüber hinaus entstand der Bedarf an ausleihbarem Equipment, das für das temporäre Ausstellen von Medienkunstwerken eingesetzt werden konnte, da es weder für die Künstler*innen finanzierbar noch für viele Ausstellungshäuser rentabel war, die Geräte anzuschaffen und mit dem schnelllebigen Medienwandel Schritt zu halten. Technologie- und zeitbasierte Kunstwerke zu kuratieren, beinhaltet auch, die vielfältigen Optionen ihrer Präsentation zu ref lektieren und in Abstimmung mit den Künstler*innen am jeweiligen Ausstellungsort eine maßgeschneiderte Lösung anzustreben. Das Neuartige am Kuratieren solcher Kunstwerke bestand darin, dass die Ausstellbarkeit der Werke zuerst einmal mittels einer adäquaten technischen Ausstattung herbeigeführt werden musste. Die kuratorische Praxis von 235 Media deckte anfangs eine Vielzahl von Tätigkeitsfeldern ab, um dem wenig beachteten Segment der medialen Kunst zum Durchbruch zu verhelfen. Dazu zählten der Kontakt zu internationalen Künstler*innen und die Kenntnis ihrer aktuellen Projekte; das Auffinden von Ausstellungsorten und -budgets in einem Kunstbetrieb, für den mediale Kunst ein Novum war; das Zusammenstellen von sinnfälligen inhaltlichen und ästhetischen Programmen; die zuverlässige Abwicklung von medialen künstlerischen Projekten und ihr technischer Support am Ausstellungsort; und nicht zuletzt der Anspruch, die Besucher*innen in einen aktiven Dialog mit medialen, technischen Kunstwerken zu versetzen. Seit den 2000er-Jahren hat die Agentur 235 Media die Beschäftigung mit Medientechnologien ausgeweitet, Künstler*innen-Kooperationen fortgesetzt und sich unter anderem auf museale Medienvermittlungskonzepte spezialisiert.

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Anhang: Ausstellungen von Axel Wirths und 235 Media im MedienKunstRaum der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

21.01.-20.02.1994 Michael Petry The Chemistry of Love (1994) 27.05.-16.06.1994 Woody Vasulka Brotherhood – Table III (1994) 18.06.-10.07.1994 Woody Vasulka Theater of Hybrid Automata (1990-94) 16.09.-13.11.1994 Jill Scott Machine Dreams (1994) 02.12.1994-19.02.1995 Marcel Odenbach Tabakkollegium oder es brennt mir unter den Nägeln (1995) 10.03.-07.05.1995 Agnes Hegedüs Between the Words (1995) 09.06.-20.08.1995 Nan Hoover Movement from either direction (1995) 08.09.-29.10.1995 Klaus vom Bruch Artaud spricht vor den Soldaten. Denn wir haben mehr als einen Feind, der uns auf lauert, mein Sohn (1995) 10.11.1995-14.01.1996 Grahame Weinbren Sonata (1993) 01.03.-12.05.1996 Gary Hill Circular Breathing (1994) 06.06.-28.07.1996 Christa Sommerer & Laurent Mignonneau A-Volve (1993-94) 06.09.-03.11.1996 Bill Seaman Passagen Kombinationen/man manövriert Drehungen auf der Zungenspitze (1996) 13.12.1996-09.02.1997 Studio Azzurro Tavoli – Why these hands are touching me (1996) 07.03.-27.04.1997 Ulrike Rosenbach Im Palast der Neugeborenen (1997) 08.06.-06.07.1997 Jeffrey Shaw Place – a user’s manual (1995) 05.09.-02.11.1997 Masaki Fujihata Beyond Pages (1995) und Global Interior Project (1995) Dez. 1997-21.02.1998 George Legrady Tracing (1997) 15.05.-12.07.1998 Francisco Ruiz de Infante Sprachenraum – Bestiarium No. 2 (1998) 28.08.-08.11.1998 Brian Eno Future – Light Lounge Proposal (1998) 04.12.1998-07.02.1999 Jean-Louis Boissier Second Promenade (1998) 23.04.-20.06.1999 Toshio Iwai Composition on the Table (1998/99) 05.09.-22.10.2000 Marcel Odenbach Nicht alle Wege führen nach Rom (The Idea of Africa) (1998/99)

235 Media und die Stiftung imai Ein Interview mit Axel Wirths von Hiroko Kimura-Myokam 1 Hiroko Kimura-Myokam: Ich möchte heute ein Interview mit Ihnen führen, in dem es grob umrissen um drei Themen geht: erstens um die Geschichte von 235 Media, zweitens um das archivierte Material im Medienkunstarchiv der Stiftung imai2 in Düsseldorf und drittens um einige von 235 Media realisierte Projekte.

1. Die Geschichte von 235 Media HM: Zuerst möchte ich Sie über die Geschichte von 235 Media befragen. Meiner Auffassung nach lassen sich grob vier Phasen ausmachen. Die erste Phase lässt sich bezeichnen als ›vor 235 Video‹, sie beginnt Anfang der 1980er-Jahre; die zweite ist ›235 Video‹ von den frühen 80ern bis ungefähr 1990; die dritte ist ›235 Media‹ von 1990 bis 2005. Die finale Phase beginnt mit der Überführung des Archivs in die damals neu gegründete Stiftung imai im Jahr 2006. Axel Wirths: Nein, nicht ganz. Eigentlich gibt es fünf Phasen. Die erste beginnt noch vor der von Ihnen genannten ersten Phase. Das ist sehr interessant, denn wir werden gerade gefragt, ob wir eine Ausstellung über diese Phase machen wollen. Sie bezog sich mehr auf alternativ und independent music. Und es war die Zeit der ›Genialen Dilletanten‹. Diese Bezeichnung stammt von einem Independent-Musik-Festival in Berlin.3 In den Jahren 1979/80 haben wir mit dem Vertrieb von independent music begonnen. Das war nicht zuletzt eine Art politisches Statement gegen die führende Musikindustrie. Es war sehr leicht, Bands zu gründen und sich selbst zu organisieren. Wer zu einem großen Major-Label ging, musste Tausende von Tapes verkaufen, 1  D  as Interview hat im Jahr 2014 in Köln stattgefunden. Es wurde konzipiert, geführt und transkribiert von Hiroko Kimura-Myokam und aus dem Englischen übersetzt und kommentiert von Jessica Nitsche, lektoriert von Renate Buschmann und Angelika Gwozdz. 2  w ww.stiftung-imai.de/ (01.09.2019). 3  G  emeint ist das Konzert, das am 4. September 1981 unter dem Titel Geniale Dilletanten (in absichtlich falscher Schreibweise) im Tempodrom in Berlin stattfand.

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um Einnahmen von nur 300 bis 500 DM zu haben. Wer seine Musik selbst kopiert und vertrieben hat, musste nur 50 verkaufen und hatte damit sogar mehr verdient. Daher war es die Zeit, in der die Musiker Produktion und Vertrieb selbst in die Hand nahmen. Und wir waren Teil dieses ›Spiels‹. Es war nicht wirklich ein ernsthaftes Projekt – aber in den 1980er- und 1990er-Jahren waren wir einfach begeistert davon. Und interessant ist, dass es solche Verkaufsweisen in der ganzen Welt gab – in Berlin, Hamburg, München, Mailand, Turin, Barcelona, England, an Ost- und Westküste der USA und auch in Tokio und Osaka. Wir hatten Kontakt mit all diesen Leuten, indem wir Fanzines verschickt haben, damals noch mit dem, was man heute ›Schneckenpost‹ (›snail mail‹) nennt. HM: Was für eine Art von Musik haben Sie vertrieben? AW: Oh, sehr, sehr schräge – Punk, Post-Punk und sehr viel industrial music. Einige von diesen Gruppen haben auch mit Video experimentiert, beispielsweise Einstürzende Neubauten oder Der Plan. Und wir dachten uns: Was mit Musik möglich ist, ist auch mit Kunst bzw. Medienkunst möglich. Es ist immer die gleiche Geschichte. Als Videokünstler kann man den gesamten Prozess kontrollieren. Das hat nichts zu tun mit dem üblichen Kunstmarkt wie Galerien und Museen. Zusammen mit den Videokünstlern mussten wir über eine komplett neue Struktur nachdenken. Und es war ein und dieselbe Bewegung, die es zuerst in der Musik und dann in der Videokunst gab. HM: Meine nächste Frage betrifft das Projekt Video Congress, das auch Teil des Archivbestands des imai ist. Mir scheint, Sie hatten damit unmittelbar zu tun. AW: Video Congress war sehr wichtig. Das war ein Kunstmagazin im Videoformat, das von den Künstlern selbst organisiert wurde. HM: Waren Sie Mitglied dieser Gruppe? AW: Ja, ja. HM: Das heißt, Sie waren selbst Künstler. AW: Ja, aber ein sehr schlechter. Ich war ein besserer Organisator als ein Künstler. HM: Haben Sie zu dieser Zeit auch Musik gemacht? AW: Sehr schlechte. Wir hatten eine Band. Zuerst hatten wir eine Band und dann habe ich auch versucht, etwas Videokunst zu machen, aber …

235 Media und die Stiftung imai. Ein Interview mit Axel Wirths

HM: Wie lautete der Name dieser Band? AW: Mutagen Grau. HM: Was bedeutet das? AW: Mutagen ist eine physische oder chemische Einwirkung, die Mutationen veranlasst. Und der graue Himmel lässt einen zum Mutanten werden. Das war die Idee. [lacht] HM: Video Congress scheint mir sehr wichtig zu sein für die Anfänge von 235 Video. AW: Ja, und Video Congress war sehr wichtig für die Künstler selbst. Denn es gab keine Möglichkeiten, Videokunst zu zeigen. Wir hatten mehr oder weniger feste Partner in den Städten, hauptsächlich in Deutschland, aber auch aus dem Ausland. Jede Ausgabe wurde von einem anderen Künstlerteam gestaltet, das sich jeweils ein Hauptthema überlegte. Die anderen sendeten Videoclips zum jeweiligen Redaktionsteam, bei der nächsten Ausgabe war dann wieder ein neues Team für den ganzen Prozess verantwortlich. HM: Sie sagen, es ist ein Video Magazin. Ist es so etwas wie Infermental?4 AW: Es ist ein bisschen wie Infermental. Wir standen auch in Kontakt und waren zugleich Konkurrenten. Infermental war internationaler, offensiver und mehr in der Kunstszene. Wir waren auch in Clubs, aber ebenso in Museen präsent und verkauften die jeweiligen Ausgaben von Video Congress für 49 DM. Unsere Idee war, Videokunst zu ›sozialisieren‹. HM: Um gegen das bestehende System oder den Kunstmarkt zur rebellieren? AW: … nicht so sehr gegen das System, eher, um sie zu einem Teil der Gesellschaft zu machen, um diese Kunst für alle zugänglich zu machen. HM: … sie zu demokratisieren, wie es seit der Studentenrevolte und den 1970er-Jahren hieß? 4 Infermental war in den 1980er-Jahren ebenfalls ein Kunstmagazin auf Videokassetten, das Videokunst, künstlerischen Film und kleine Beiträge veröffentlicht hat. Vgl. Veruschka Bódy (Hg.): Infermental. The First Magazine on Videocassettes. 1980-1986. Köln: Infermental 1986, S. 6. Die Arbeit von Infermental ist online umfassend dokumentiert: www.infermental.de/index.htm (12.08.2015).

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AW: Ja, um sie zu demokratisieren – das ist die richtige Formulierung. Es ging nicht so sehr darum, Geld damit zu verdienen. HM: Der Name von 235 Media war zunächst 235 Video. Ich habe eine Notiz dazu im Katalog der Videonale aus dem Jahr 1990 gefunden. Und ich habe mich gefragt, wann genau der Name geändert wurde. AW: Oh, da gab es noch mehr Wechsel. Ganz am Anfang war der Name nur 235. Wir hatten zunächst ein 235-Label, danach hatten wir 235 Video. Und Media war ein weiter gefasster Begriff für Musik, Kunst etc. – ein Sammelbegriff. In den 1980ern – um 1986 – wurde ganz deutlich, dass viele Künstler anfingen, mit interaktiven Installationen zu arbeiten und Computer in die Videokunst einzubringen. Man konnte nicht mehr länger nur von Videokunst sprechen, sondern vielmehr von Medienkunst. Deshalb änderten wir auch unseren Namen von 235 Video zu 235 Media. HM: Ich denke, das war eine angemessene Reaktion auf die Entwicklungen. Es war die Zeit, in der Multimedia und interaktive Medien Video langsam abzulösen begannen. AW: [zeigt etwas] Schauen Sie hier – dies ist eine Sonderedition, die wir zusammen mit der Band Die tödliche Doris herausgegeben haben. Das Buch ist nach dem Prinzip des Daumenkinos erstellt und trägt den poetischen Titel Die Gesamtheit allen Lebens und alles darüber Hinausgehende.5 Wir haben auch spezielle Projekte mit Klaus vom Bruch, Jürgen Klauke und Strafe Für Rebellion herausgegeben. HM: Nur am Rande – was hat es mit der Zahl 235 auf sich? Ist das eine Adresse oder etwas Ähnliches?

5 Die Gesamtheit allen Lebens und alles darüber Hinausgehende ist zunächst ein 1,83 Sekunden langer Film von Die tödliche Doris. Dieser wurde wiederum in eine Serie von 44 Gemälden transformiert, indem jedes einzelne Filmbild projiziert und mit Lackfarbe auf Leinwand abgemalt wurde. Vgl. Leonhard Emmerling/Mathilde Weh (Hg.): Geniale Dilletanten. Subkultur der 1980er Jahre in Deutschland. Ostfildern: Hatje Cantz 2015, S. 64 (mit Abbildungen). Bei dem Werk, von dem hier die Rede ist, handelt es sich um ein Buch – eine der wenigen und sehr aufwendig gestalteten Sondereditionen von 235. Jede Seite zeigt eins der oben genannten Bilder mit einem aus einem Wort bestehenden Titel; in ihrer Gesamtheit ergeben die Bildtitel einen poetischen Text. Das Buch ist in einen mit 235 bestickten Leinenbeutel gehüllt.

235 Media und die Stiftung imai. Ein Interview mit Axel Wirths

AW: Oh! [lacht] Tatsächlich handelt es sich dabei um ein kabbalistisches Zahlenspiel aus der Trilogie The Illuminatus von Robert Shea und Robert Anton Wilson.6 Das Buch war in den 1980er-Jahren sehr populär und man kann es spielerisch auffassen oder es sehr ernst nehmen; im Grunde sagt es nicht mehr als: Es gibt immer etwas, was hinter den Dingen steckt und hinter dem, was man denkt. So kann ich sagen: 2, 3 und 5 sind die ersten drei Primzahlen – das ist wahr. Auch ist wahr, dass am 23.5. [1949] die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde. Und man braucht Uran235, um Atombomben herzustellen. Alle Aussagen sind wahr. Es ist magisch – hinter allem steckt irgendetwas. Und es gibt nicht nur eine einzige Bedeutung. HM: Hat Sie das Buch inspiriert? AW: Uns hat das Buch begeistert. Und tatsächlich erinnert sich jeder, der das Buch liest oder der in Kontakt mit 235 Media kommt, an diese Zahlen. Es ist eine Art von Science-Fiction. Und es ist auch eine Form radikaler Literatur der 1970er-Jahre. Das Buch ist stark beeinf lusst von William S. Burroughs und dessen literarischer Cut-up-Methode. Es ist wie ein literarischer ACID-Trip. Ich denke, wenn man es heute liest, fallen viele für die späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre typische Begriffe ins Auge. Es gibt einige Begriffe, die in dieser Zeit vielfach verwendet wurden – vielleicht eine Art von Mode in dieser Zeit. HM: Die letzte Phase von 235 Media beginnt mit der Gründung von imai 2006. Warum haben Sie sich dazu entschieden, Ihre Sammlung einer Institution zu stiften? AW: Andere Institutionen – wie zum Beispiel EAI (Electronic Arts Intermix), das Time Based Arts7 in Amsterdam oder andere in Madrid und in Paris – werden mit staatlichen Geldern gefördert. Diese Möglichkeit hatten wir nie. Wir mussten unseren Vertrieb und unser Archiv immer selbst finanzieren. An der Stiftung imai kann man sehen, dass es sehr schwierig ist, mit dieser Art von Vertrieb und Verbreitung Geld zu verdienen. Gleichzeitig erzeugt die sorgfältige Auf bewahrung einer so großen Menge von Videos hohe Kosten. Wir waren irgendwann damit überfordert, alle alten U-matics und VHS-Kassetten zu bewahren und alles zu digitalisieren, was aber aktuell dringend getan werden muss. Das konnten wir 6  R  obert Shea/Robert Anton Wilson: Illuminatus! (Das Auge in der Pyramide; Der goldene Apfel; Leviathan), aus dem Amerikanischen von Udo Breger (erste englischsprachige Veröffentlichung 1975). München: Kailash 2002. 7  T ime Based Arts und Montevideo, eine 1978 von René Coelho gegründete Galerie für Videokunst in Amsterdam, haben sich 1994 zum Netherlands Media Art Institute (NIMk) zusammengeschlossen, das 2012 in die Stiftung LIMA überführt wurde: www.li-ma.nl/site/about (12.05.2015).

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nicht leisten. Auch der Markt hat sich sehr verändert. Um einzelne Videotapes für Galerien oder den Kunstmarkt bereitstellen zu können, werden drei bis fünf Editionen angefertigt – wie bei Fotografien. Und unser Vertriebssystem basiert auf den technischen Möglichkeiten der 1970er-Jahre, ebenso wie das von EAI, und ist nicht mehr auf dem neuesten Stand. Obschon ich immer noch an diese Form des Vertriebs glaube. HM: Wie Sie schon gesagt haben, gibt es ein Paradox zwischen dem Kunstmarkt und der Kunstform Video. Mit Videotechnik oder digitalen Medien lassen sich leicht Kopien anfertigen, aber der Kunstmarkt benötigt limitierte Editionen, um einen Verkaufswert erzeugen zu können. Aber es ist gut zu wissen, dass Sie noch an Ihre ursprüngliche Idee glauben. AW: Ich habe nie verstanden, warum man an der Idee des Originals festhält. Es ist für Künstler auch möglich, mit Editionen von drei bis fünf Kopien ihrer Werke zu arbeiten. Hier ist ebenfalls ein Blick zurück auf die Musik erhellend. Der Vertrieb von Musik hat viel mit dem Vertrieb von Video- und Medienkunst zu tun. Man kann dahin gehend von Musikern eine Menge lernen. Was wir mit Video- bzw. Medienkunst getan haben, ist, dass wir immer die Rechte, diese Arbeiten zu sehen, zu zeigen und zu verbreiten, verkauft haben. Es geht dabei immer um den Verkauf von Rechten. Sobald jemand die Kopie eines Videos, einer DVD etc. kauft, entsteht die Frage, welche Rechte er damit erhält. Das ist die entscheidende Frage. HM: Es geht also nicht um ein konkretes, materielles Objekt. AW: Nein, das Objekt ist mehr oder weniger uninteressant. HM: Und dessen Materialität ist zudem unbeständig und labil. Ich verstehe, warum Sie Ihre Sammlung gestiftet haben, die Situation hat sich vollständig gewandelt. AW: Natürlich sind dadurch, dass wir zwanzig Jahre lang den Vertrieb organisiert haben, alle Videos wie Kinder für uns. Nun sind sie erwachsen. Und auch der Bezug zu den Künstlern war sehr wichtig für uns. Wir haben uns für sie und ihre Arbeiten verantwortlich gefühlt. Zum Glück gab es einige kunstkundige Personen in der Politik – in der Kunststiftung NRW und der Stadt Düsseldorf –, die diese Situation sofort verstanden haben. Und dann haben wir Pläne geschmiedet, wie man die Medienkunst-Sammlung und den Vertrieb von 235 Media in eine öffentliche Stiftung überführen kann. HM: Ich denke, dass das eine sehr wichtige Entscheidung war und sich danach auch 235 Media verändert hat. Denn 235 Media gibt es ja noch.

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AW: Wir haben uns bereits um 1998 verändert und haben schon damals über eine Stiftung nachgedacht. Es hat sechs Jahre gedauert, alle notwendigen Schritte zu gehen, um die richtigen Strukturen für dieses Projekt zu finden, was sehr schwierig ist. HM: Parallel zur Gründung der Stiftung imai haben Sie mediale Produktentwicklung für Künstler betrieben wie auch mit Unternehmen und Museen kooperiert. AW: Ja, wir haben mit den technischen Dienstleistungen für Videokünstler Ende der 1980er angefangen, zum Beispiel für Gary Hill und Bill Viola, mit denen wir noch heute zusammenarbeiten. Gerade arbeiten wir zum Beispiel mit unserem Technik-Team an der großen Ausstellung von Bill Viola in Paris.8 Davon können wir momentan unsere Rechnungen bezahlen. [lacht] Diese Art von Arbeit wurde nach und nach zu unserem Alltagsgeschäft. HM: Eine Kunstausstellung erfordert heute mehr technisches Know-how, als einen Projektor zu installieren. Ich frage mich: Was genau ist 235 Media? AW: 235 Media ist ein privates Unternehmen, wir sind zu zweit, mein Partner Uli Leistner und ich. Wir arbeiten seit 1981 zusammen. HM: Offiziell gegründet wurde 235 Media im Jahr 1982, ist das richtig? AW: Ja. Eigentlich bereits vor 1982, von 1979 bis 1982 entwickelte sich das Ganze langsam zu etwas, das man ein ›Unternehmen‹ nennen kann. Ich glaube, das erste Jahr, in dem wir Steuern gezahlt haben, war 1982. HM: Ich denke, 235 Media ist eine sehr besondere Form eines Unternehmens, in seiner Anfangszeit vermutlich einzigartig. Es war zwar ein Privatunternehmen, aber nicht nur kommerziell ausgerichtet, aber auch etwas anderes als eine kommerzielle Galerie. AW: Wir müssen kommerziell sein. Denn siebzehn bis zwanzig Personen arbeiten hier. Die müssen wir jeden Monat bezahlen. Aber wir haben zum Beispiel besondere Preise für Künstler, Galerien und Museen. Und wir arbeiten – wo dies möglich ist – mit Sponsoring. Wir stehen in engem Kontakt zu den Künstlern – wir machen Dinge möglich.

8  E s handelt sich bei der Ausstellung um die erste große Retrospektive von Bill Viola, die vom 5. März bis 21. Juli 2014 im Grand Palais in Paris zu sehen war.

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HM: Halten Sie nach wie vor an der Idee fest, Video- bzw. Medienkunst zu demokratisieren? AW: Ja, das ist auch der Grund, warum mir die Stiftung imai wichtig ist. Denn sie verfolgt genau diesen Anspruch. Und ich frage mich, wie es in zehn Jahren aussehen wird – und ich bin mir sicher, dass es die Stiftung imai dann noch geben wird. Aber die Kunstwelt und der Kunstmarkt werden sich verändert haben. Daher bin ich gespannt, wie sich imai entwickelt. Imai wird überleben, weil die Stiftung eine gute Struktur für die Ewigkeit bietet. Der Kunstmarkt wird sich verändern, aber die Struktur von imai ist sehr stabil.

2. Das Archivmaterial HM: Ich würde nun gerne über Archivmaterial und die Medienkunst-Sammlung im imai sprechen. Es gibt viele Videos, aber die Sammlung besteht nicht nur aus Kunstwerken, sondern auch aus Dokumentationen von Festivals, Installationen und einigen wenigen Netzkunst-Projekten. Ich denke, dies ist ein für unser audiovisuelles Archiv sehr charakteristischer Aspekt. Denn ich bin besorgt hinsichtlich der Erhaltung von Medienkunst, interaktiven Installationen und Netzkunst. Deshalb ist das audiovisuelle Archivmaterial eine sehr wichtige Ressource für Kunst und Wissenschaft. AW: Meiner Auffassung nach ist das Archivmaterial unglaublich wichtig. Dies ist auch der Grund dafür, dass wir den Online-Katalog in dieser hohen Komplexität entwickelt haben. Natürlich ist die Software inzwischen recht alt und wir würden das heute anders programmieren, aber die Struktur des Online-Katalogs basiert auf dieser Überzeugung und der Absicht, Installationen, Ausstellungen etc. langfristig zu dokumentieren. Und ebenso wie Videokunst und die Literatur darüber sollte man auch Dokumente wie zum Beispiel Skizzen, technische Zeichnungen und Detail-Listen von den ursprünglichen Ausstattungen archivieren. Und auch Gerätelisten, die im Zuge von Fallstudien erstellt wurden, sind wichtig, um nachvollziehen zu können, welche technische Ausstattung ersetzt worden ist und wie die Idee der ursprünglichen Installation weiterhin umgesetzt werden kann. Das war die Idee, die hinter der Software Pixelboxx für den Online-Katalog steckte. Und es würde mich freuen, wenn es imai gelingen würde, die Dokumentation des Archivmaterials zu vervollständigen. Aktuell können wir Ähnliches im Bereich Tanz beobachten. Die Pina Bausch Foundation in Wuppertal hat beispielsweise damit begonnen, ein Videoarchiv anzulegen mit Dokumentationen von Tanz und Choreografie.9 9  Vgl. www.pinabausch.org/en/archive (12.08.2015).

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HM: Brauchen wir eine ›Choreografie‹ für Medienkunst? AW: Ja, aber das ist manchmal kompliziert. Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Beethovens Symphonien sind in den Partituren sehr gut dokumentiert. Und wir müssen einen Weg finden, dies für mediale Installationen umzusetzen. Wirft man einen Blick in die Geschichte von Videokünstlern, so sind deren Installationen viel wichtiger als die Präsentation einzelner Videos. Künstler sind sich darüber manchmal nicht im Klaren. Und sie ändern häufig ihre Meinung. HM: Sie wollen aktuell sein. Es ist schwer zu entscheiden, was das Original ist, was die erste und was die zweite Kopie. – Sammeln Sie auch Archivmaterial über 235 Media? AW: Ende der 1990er haben wir einige von diesen Dokumentationen gemacht. Und wir haben sehr detaillierte Beschreibungen von den Installationen von Studio Azzuro, Bill Seemann, Gary Hill und weiteren Künstlern gemacht. HM: Sind sie digitalisiert? AW: Ja. Aber das sind simple digitale Dokumente, bestehend aus Fotos, Zeichnungen, Gerätelisten etc. HM: Im Rahmen meiner Forschungstätigkeit fertige ich eine Liste derjenigen Kataloge im imai an, die Teil der Sammlung sind. Es gibt circa 700 Kataloge mit dazugehörigen Broschüren und Korrespondenzen zwischen 235 Media, Organisatoren und Künstlern. Ich denke, dass solche Kataloge, Korrespondenzen und Broschüren sehr wichtige Referenzen sind, um die Geschichte der Video- und Medienkunst der 1980erund 1990er-Jahre zu verstehen. AW: Ich bewahre sie immer noch auf und habe noch viel mehr Kisten davon. Ich habe noch alle Korrespondenzen mit den Künstlern. Einige dieser Ordner sind ziemlich dick. HM: Ich war wirklich beeindruckt, denn die Katalogsammlung umfasst nicht nur Deutschland, sondern auch Osteuropa, Nordamerika, Lateinamerika, Japan etc. – sie ist weltumspannend. Ich denke, solche Printmedien bieten eine einzigartige Referenz für weitreichende Recherchen über diese Zeit. Das sollten wir nutzen. Es gibt einige wenige Museen, die Medienkunstsammlungen besitzen. Insgesamt gibt es sehr wenig Archivmaterial zu Medienkunst in öffentlichen Einrichtungen. Das meiste Material gehört den Künstlern selbst oder befindet sich in privaten Archiven.

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Und die Festival-Archive oder Archive, die nur temporär bestehen, sind auch begrenzt. Das Canon Art Lab beispielsweise existierte in Tokio nur in den 1990ern. Nun gibt es kein öffentlich zugängliches Archivmaterial mehr, weil Canon Art Lab von einem Privatunternehmen geführt wurde. Es gibt viele ähnliche Beispiele von Institutionen, die sich auf lösen, oder Festivals, nach deren Abschluss das Material nicht mehr verfügbar ist. Dieses Archivmaterial ist verloren. Das ist ein anderes Problem – unser Archivmaterial ist in einer vorteilhaften Situation, weil es halb privat und halb öffentlich ist. So kann es erhalten bleiben. Das ist aber eine andere Geschichte. Haben Sie eigentlich bestimmte Kataloge für das imai ausgesucht oder ist die Auswahl zufällig? AW: Nein, nicht zufällig. Es waren hauptsächlich Kataloge mit Video- und Medienkunst, Festivals und einige monografische Kataloge – die meisten benötige ich nicht. Dies sind die Bücher [zeigt auf das Bücherregal im Büro], die ich hierbehalten habe. Und auch die ganzen Korrespondenzen sind noch hier, das ist alles unmöglich zu handhaben. Alles andere habe ich der Stiftung imai übergeben, auch Kataloge, die nicht mehr lieferbar sind, und ein sehr gutes Fotoarchiv. HM: Um ehrlich zu sein – und aus der Perspektive einer Archivarin oder Bibliothekarin gesprochen –, ist es nicht gut, dass sich die Sammlung auf zwei Orte aufteilt – das imai in Düsseldorf und das Büro von 235 Media in Köln. Natürlich ist es möglich, sie getrennt zu halten, aber es wäre besser, alles gleichzeitig in eine Datenbank einzupf legen, um die gesamten Daten sicherzustellen. AW: Ja, irgendwann wird der gesamte Bestand im imai sein. [lacht]

3. Projekte der 1980er- und 1990er-Jahre HM: Ich würde nun gerne über konkrete Projekte sprechen. Video Congress wurde bereits angesprochen. Ich möchte jetzt übergehen zu Kanal 4 und dem TV-Programm Donnerstag aus dem Jahr 1990. Ich habe Material gefunden, das sich auf Kanal 4 bezieht und auch eine Magisterarbeit über Donnerstag.10 AW: Donnerstag ist ein interessantes Projekt. Zunächst sei erwähnt, dass es im imai-Archiv viele Dokumentationen über Videokunst im Fernsehen gibt. El Arte del Video war eine wichtige spanische Fernsehsendung, und auch die Sender Ca10  J örg Adolph: Donnerstag – Ein Fernsehmagazin von Kanal 4. Magisterarbeit im Fach Neuere deutsche Literatur und Kunstwissenschaft der Philipps-Universität Marburg 1993 (unpubliziert, ein Exemplar befindet sich im Archiv der Stifung imai).

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nal+ in Paris und Channel 4 in London hatten (und haben) wichtige Programme. Tatsächlich war es einige Jahre lang möglich, Videokunst an Fernsehsender zu verkaufen, um Künstlern ein Einkommen zu ermöglichen. HM: Ist Kanal 4 ein internationaler Fernsehsender? AW: Nein, es geht mir nur darum, einen Überblick zu geben. In jenen Jahren gab es zwei Fernsehsendungen in Deutschland, die eine war Experimente11 im WDR-Fernsehen, die andere Das kleine Fernsehspiel im ZDF. Sie waren insbesondere für den künstlerischen Film gedacht [für fiktionale und nicht fiktionale Formate, Experimentalfilm, Autorenfilm etc.], aber auch für Videokunst. Und dann gab es in Deutschland die Diskussion, ob man Privatsender zulassen soll. Es war eine große politische Diskussion. Beispielsweise war eins der Hauptargumente, dass die Qualität der Fernsehsendungen steigt, sobald man den Markt für Privatsender öffnet. Das ist aus heutiger Perspektive wirklich lustig. RTL und SAT1 waren die ersten Privatsender, die zugelassen wurden. Unabhängigen Produzenten erlaubten sie nur eine bestimmte Anzahl von Minuten oder Stunden pro Monat zu senden. Für diese Dauer wurde dann gezahlt. Dieser Anfang der Privatisierung des Fernsehens war damals für unabhängige Produzenten, Filmemacher und auch Videokünstler sehr interessant für die Verbreitung ihrer Arbeiten, denn sie erhielten auch ein kleines Budget für ihre Produktionen. Aber natürlich sprangen alle auf diesen Zug auf und wollten ein Stück vom großen Kuchen. Donnerstag war eine Gruppe von Leuten, die sich aus TV-Unternehmen, TV-Produzenten, Künstlern, Autoren und mir zusammensetzte. Wir entwarfen ein neues Konzept, das darin bestand, ein unterhaltsames Videokunstmagazin zu machen. Denn es war ganz klar, dass Leute den Fernseher nach fünf Minuten ausschalten, wenn man einfach nur einzelne Arbeiten aus der Videokunst zeigt. Unsere Idee war eine Mischung zwischen Komödie, Videokunst und Musikvideos. Denn zu dieser Zeit gab es viele künstlerisch sehr hochwertige Musikvideos. Diese Mischung war sehr interessant und erfolgreich. Wir erhielten den Grimme-Preis dafür. Wir machten sieben Sendungen, was okay ist für so ein unabhängiges Format. Aber selbstverständlich änderte sich die politische Situation und die Privatsender gaben immer weniger Minuten pro Monat frei. Schließlich kamen sie ins Geschäft mit Alexan-

11  D  ie Reihe Experimente wurde initiiert und redaktionell betreut von Wilfried Reichart, gezeigt wurden beispielsweise Arbeiten von Gabór Bódy, Jürgen Böttcher, Jean-Luc Godard, Peter Greenaway, Gregory Markopoulos, Jonas Mekas, Marie Menken, Heiner Mühlenbrock, Harry Rag, Jan Švankmajer, Agnès Varda. Vgl. www.kunst-der-vermittlung.de/dossiers/experimentalfilmvermittelnde-filme/wdr-reihe-experimente/ (11.08.2015).

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der Kluge, der auf SAT1 nun die Monopolstellung für dieses unabhängige Format im Fernsehen hat.12 HM: Ist Donnerstag der Name einer Gruppe? AW: Nein. Wir überlegten, welchen Namen wir dieser Sendung geben könnten. Es war geplant, sie donnerstags auszustrahlen, daher nannten wir sie Donnerstag, aber dann wurde sie am Dienstag gesendet – sie haben den Sendetermin geändert. [lacht] Sie wurde von 22.30 Uhr bis um 23 Uhr gesendet – eine halbe Stunde also. Das war gut. HM: Das ist sehr interessant, denn in Japan hatten wir eine Fernsehserie, die 11PM hieß. Das war ein legendäres Programm mit Animationen, Videokunst und experimentellen Sachen. 23 Uhr scheint die richtige Zeit für experimentelle Fernsehsendungen zu sein. Stand Donnerstag in Verbindung mit der Idee, die Videokunst zu demokratisieren? AW: Mit der demokratischen Idee des Vertriebs und der Verbreitung, ja. HM: … weil man es kostenfrei anschauen konnte? AW: Ja, und weil die Idee war, damit ein Publikum zu erreichen, das nie ins Museum gehen würde, um sich Videokunst anzusehen. HM: Waren Sie nach Donnerstag noch in weitere ähnliche Projekte involviert?

12  » Im Februar 1987 gründete Kluge gemeinsam mit dem japanischen Werbekonzern Dentsu die DCTP (Development Company for Television Program), die in kurzer Frist genau die Programmformate entwickelte, die die neuen Anbieter auf RTL und SAT 1 benötigten, um eine Lizenz für die Nutzung der begehrten terrestrischen Frequenzen zu erhalten. Die Besonderheit dieser Konstruktion besteht darin, dass die Lizenzen der Sender untrennbar mit eigenen Lizenzen der DCTP verbunden sind. Sie garantieren Kluge und seinen Kooperationspartnern völlige Immunität gegenüber denkbaren Eingriffen von Seiten der Sender.« Christian Schulte: Dialoge mit Zuschauern. Alexander Kluges Modell einer kommunizierenden Öffentlichkeit. In: Irmela Schneider/Christina Bartz/Isabell Otto (Hg.): Medienkultur der 70er Jahre. Diskursgeschichte der Medien nach 1945, Bd. 3. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004, S. 231-250, hier S. 246.

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AW: Ja, mehr oder weniger, weil ich zweimal im Jahr zu MIPTV13 in Cannes gereist bin. Das ist eine Veranstaltung, die für den weltweiten Markt von TV-Programmen sehr wichtig ist. Ich verkaufte dort Videokunst an Fernsehsender – mit mehr oder weniger Erfolg. Ich bin damit niemals reich geworden und auch Künstler konnten damit selten viel verdienen. Aber für drei bis vier Jahre, insbesondere in den späten 80ern und beginnenden 90ern, hat das gut funktioniert. HM: Haben Sie auch Interesse am Radio? Denn Ihre ursprüngliche Motivation kam ja aus der Musik, und das Radio ist auch ein wichtiges Verbreitungsmedium. AW: Ja, aber wie Sie wissen, haben wir uns von Audio und Musik hin zu Video und Medienkunst bewegt. HM: … und die 80er sind ja auch eine wichtige und entwicklungsreiche Zeit für die Video- und Medienkunst. AW: Ja, das war die Ära von Post-Punk und auch noch Punk; aber es ging um mehr als nur die Zerstörung. Es ging darum, aus den verbleibenden Resten etwas Neues zu machen. Das war ein sehr radikaler Ansatz von Musik, Mode und Kunst – diese Bereiche waren sehr stark miteinander verbunden. HM: Es war eine starke Bewegung. Das ist wahr. Zurzeit ist die Erforschung der 60er- und 70er-Jahre sehr beliebt in der akademischen Welt, aber es besteht kein Zweifel: Die Studien über die 80er und 90er werden bald kommen. [Pause] HM: Ich habe im Videokunstarchiv des imai viele Punk-Musikvideos gefunden, beispielsweise von Der Plan, Einstürzende Neubauten und Die tödliche Doris. Solche Videos habe ich in Japan noch nie gesehen. Ich denke, es war eine besondere Bewegung in Deutschland.

13  » MIPTV ist die weltweit größte Messe für TV und digitale Inhalte, bei der sich jedes Jahr im April Fachleute aus der Unterhaltungsbranche treffen. Führende Köpfe und kreative Talente der TV- und Medienbranche aus 100 Ländern kommen nach Cannes, um frühzeitig Geschäftspartner für Medieninhalte zu finden und internationale Abkommen für die Vermarktung im kommenden Jahr zu schließen.« Selbstbeschreibung von MIPTV, www.miptv.com/Landing-pages/ german/ (18.08.2015).

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AW: Ja, irgendwie schon, aber natürlich auch in England und den USA. Performance, Musik und Videokunst standen damals in sehr enger Verbindung zueinander. HM: Im Folgenden soll es um Sie und 235 Media gehen. Sie sind der Direktor des Unternehmens und kümmern sich ebenso um die Technik, den Vertrieb und den Verleih wie auch um das Kuratieren. Ich vermute, das ist das Einzigartige an 235 Media. AW: Manchmal ist es schwierig, weil man als Person gleichzeitig in unterschiedlichen Funktionen agieren muss. Als Kurator muss man den Verkäufer loswerden, weil es unerwünscht ist, diese Funktionen zu vermischen. Denn man hat als Kurator mit Leuten zu tun, die sich mit den Konzepten und Kontexten auskennen, und diese wollen nicht mit jemandem zusammenarbeiten, der sich nur für den Verkauf interessiert. HM: Ich habe den Eindruck, eine wichtige Motivation für Sie war, gegen das ›System Museum‹ zu arbeiten, oder? AW: Wir waren nicht dagegen, es ging vielmehr um ein alternatives Konzept. Noch in den frühen 1980er-Jahren war es nahezu unmöglich, ein Video in einem Kunstmuseum zu zeigen. Und auch Kuratoren, Direktoren und Techniker innerhalb der Museen waren schlichtweg nicht ausgebildet, mit Video- oder Medienkunst zu arbeiten und diese auszustellen. Da gab es keinerlei Infrastruktur. Sogar bis heute lehren einige Kunsthochschulen und Akademien nur Inhalte des frühen 20. Jahrhunderts. Und wenn man nur mit solchen Strukturen und Personen zu tun hat, sucht man nach alternativen Wegen. Das heißt nicht, dass man dagegen ist. Im Gegenteil – wir waren sehr froh, als in den späten 1980ern das erste Museum für Video- und Medienkunst eröffnet wurde.14 HM: Seit den späten 80ern wurde es immer leichter, Videokunst in Museen zu zeigen. Denken Sie, dass man heute keine alternativen Wege mehr benötigt? AW: Doch, wir brauchen immer noch Alternativen, weil die aktuelle Situation auf andere Art dramatisch geworden ist. Die meiste Video- oder Medienkunst, die in Museen gezeigt wird, basiert auf Galerieverkäufen. Die Verbreitung von Medienkunst ist also auf Galerien und den Kunstmarkt reduziert. Und das bedeutet, 14  G  emeint ist das ZKM (Zentrum für Kunst und Medientechnologie) in Karlsruhe, das 1989 »mit der Mission« gegründet wurde, »die klassischen Künste ins digitale Zeitalter fortzuschreiben« (http://zkm.de/ueber-uns, 27.08.2015).

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dass 80 % in Museen gar nicht gezeigt wird. Man erhält dort folglich nur einen sehr eingeschränkten Einblick in die Medienkunst. Dabei sind beispielsweise die Arbeiten von Marina Abramović – ihre über 100 Performance-Projekte – unglaublich wichtig. Denn das sind nicht nur Dokumentationen von Installationen, sondern Installationen mit Performance. Das ist für die Kunstgeschichte sehr wichtig, aber man kann es nicht verkaufen. Wir brauchen viel mehr solcher Arbeiten in den Museen. In Museen gibt es Werke, die irgendwer in einer Galerie gekauft hat, oder eine Galerie drängt die Kuratoren so lange wie möglich – bis einer von ihnen eine Arbeit im Museum zeigt. Das hat meiner Meinung nach nichts mit der großen Bedeutung von Medienkunst zu tun. Es ist für mich schwer nachvollziehbar. HM: Sie denken also immer noch über alternative Konzepte nach? AW: Wir müssen über alternative Konzepte nachdenken. Das imai ist keine kommerzielle Institution. Das Anliegen von imai, Positionen von Künstlern zu präsentieren, ist ein vollkommen anderes. Imai hat dahin gehend viel mehr Gestaltungsfreiheit. Es ist allerdings nicht ganz fair, alle Museen über einen Kamm zu scheren, denn einige zeigen auch Arbeiten unabhängiger Künstler. Aber das sind wenige. HM: Vor zwei Monaten ist Renate Buschmann, die Direktorin des imai, zu der Medienkunst-Messe Unpainted15 in München eingeladen worden. Das war die erste Kunstmesse für Medienkunst in Deutschland; zuvor hatten wir bereits Erfahrungen mit der Videokunst-Messe Loop in Spanien gemacht. AW: Ja, aber das sind immer noch Messen – dort steht der kommerzielle Aspekt im Vordergrund. Wenn Renate Buschmann für das imai diese Messe besucht, muss sie sich fragen: »Okay, was kann ich mitnehmen, was lässt sich verkaufen?« HM: Medienkünstler sind gegenwärtig aber auch sehr aktiv darin, mit der Wirtschaft zusammenzuarbeiten. Japanische Freunde von mir produzieren beispielsweise Popkonzerte. AW: Das ist auch eine interessante Branche. Studio Azzuro in Italien hat viele Projekte zusammen mit Modefirmen wie Ferragamo, Prada etc. gemacht. HM: Der kommerzielle Bereich ist auch eine der möglichen Alternativen für Medienkünstler.

15  https://www.unpainted.net (12.05.2015).

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AW: Ja, nur wenn Sie sagen ›kommerziell‹ – gibt es denn überhaupt irgendetwas, das nicht kommerziell ist? Ich würde sagen, eine der größten kommerziellen Bewegungen ist die Kunst, der Kunstmarkt. Der ist so verdammt kommerziell geworden, abscheulich kommerziell geradezu. [lacht] HM: Ja, auf jeden Fall. Das Kommerzielle ist ein Teil des Kunstmarkts und des Kunstsystems. Deshalb denke ich, dass 235 Media selbst schon ein alternativer Weg ist. AW: Wir sind unserer Idee und Überzeugung treu geblieben, obwohl wir über Jahre keinen besonders großen kommerziellen Erfolg damit hatten. Ich denke, die Idee war gut, aber sie ist natürlich nicht die einzige, sie passte einfach gut zu dem Konzept der Medien selbst. Wenn man einen Blick in die Medientheorie wirft, wird genau dieser Aspekt dort vielfach bearbeitet. Und ich denke, für die Medientheorie ist der Kunstmarkt ziemlich langweilig. HM: Das Künstlerkollektiv Art+Com ist auch sehr interessant. Sie produzieren nicht nur Kunst, sondern arbeiten auch kommerziell, in Kooperation mit großen Unternehmen. AW: Ja, sie haben ihre Wurzeln in der Kunst und in künstlerischen Bewegungen. Sie finden immer Wege, Kunst mit öffentlichen Präsentationen zu verbinden. Und selbst wenn sie für die Deutsche Bank arbeiten, erschaffen sie eine Skulptur innerhalb des Gebäudes und nicht nur eine bloße Präsentation. Sie nehmen das, was sie tun, sehr ernst. HM: Ich denke, Art+Com und 235 Media sind beide Pioniere hinsichtlich ihrer Arbeitsweise. Es ist normal geworden, halb für die Kunst und halb für die Wirtschaft zu arbeiten. Insbesondere in meiner Generation scheint es relativ egal zu sein, für welchen Bereich man arbeitet. AW: Dem stimme ich zu. Viele junge Künstler oder Produzenten arbeiten in beiden Bereichen. Für sie ist es nicht mehr wichtig, sich einer bestimmten Kategorie zuzuordnen. Es gibt einen einfachen Unterschied zwischen unserer und Ihrer Generation: Wir mussten laut sagen: »Wir sind anders« oder »Wir sind alternativ«. Heute sind Sie es einfach, Sie haben mehr Selbstbewusstsein darin zu verkörpern, was Sie sind. HM: Die letzte Frage bezieht sich auf das Projekt Mobile Electronic Café International. Ich würde sagen, dass dies eins der ganz wichtigen Projekte von 235 Media während der 90er war. Von 235 Media gehört habe ich erstmalig durch den Katalog zur Fukui

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International Video Biennale. Im Katalog ist von Network Art die Rede, und es geht dabei um ein Projekt, das Teil von Mobile Electronic Café International war. AW: Die Idee zu dem Projekt Electronic Café stammt von Don Foresta aus Paris und von Kit Galloway und Sherrie Rabinowitz, die das Electronic Café in Los Angeles umgesetzt haben.16 Das war gewissermaßen ein Internet vor dem Internet. Das Konzept, Kunst innerhalb eines Netzwerks zu machen, wurde also bereits erfunden, bevor es das Internet gab. Wir setzten das mit speziellen ISDN-Karten um, die wir in Computer einbauten, so konnte man die Geräte über den Telefonanschluss miteinander verbinden. Dadurch hatte man hohe Telefonkosten. Und es gab weitere ISDNKarten, mit denen man zwei bis vier verschiedene Veranstaltungsorte zur gleichen Zeit miteinander verbinden konnte. Wir stellten eine Verbindung her zwischen Konzerten in Fukui, der Kasseler documenta und Paris. Das Konzert in Fukui fand in einer Halle mit 400 Leuten statt, aber in Kassel und Paris war es früh am Morgen und so hörte niemand zu. Es war ein sehr lustiges und interessantes Kunstwerk. Und für die documenta in Kassel und später die Biennale in Venedig organisierten wir viele Projekte in Zusammenarbeit mit verschiedenen Gruppen aus der ganzen Welt – aus Kanada, Tokio, Sao Paulo, mit dem McLuhan Institute in Maastricht, mit Keigo Yamamoto in Fukui etc. Ich habe gerade einen Kameramann getroffen, der mir mitteilte, dass er noch 30 Stunden Material über das Projekt in Kassel hat. Und ich sagte: »Wirf das bloß nicht weg!« [lacht]17 HM: Ich habe mir mehrere Videos mit Dokumentationen dieser Projekte im imai-Archiv angesehen und glaube, dass diese Dokumentationen zu den wichtigsten Objekten der Sammlung gehören, insbesondere im Hinblick auf die Zeit, bevor es das Internet gab (›pre-internet‹). Ich glaube, dass dieses Material sehr gut wäre, um das imai-Archiv zu bewerben, weil es damit über einzigartiges Material verfügt. Sie haben sich damals sehr für dieses Projekt engagiert, oder? AW: Ja, aber nicht ich alleine! Alles wurde immer von der gesamten Gruppe umgesetzt. Das ist sehr wichtig, das Projekt stammt nicht von Axel Wirths, sondern immer von 235 Media und allen, die mitgearbeitet haben. Vor der documenta 9 haben wir zum Beispiel ein Projekt mit dem Ponton Media Bus18 gemacht, zusammen 16  Vgl. www.medienkunstnetz.de/werke/electronic-cafe-project/ (12.08.2015). 17 Gemeint ist das Filmmaterial von Boscher Theodor, dem wir herzlich dafür danken, dass das Material inzwischen im Archiv der Stiftung imai angekommen ist und sogar noch in den vorliegenden Band einbezogen werden konnte. 18 Bestandteil des Ponton European Mobile Art Project war ein Großraum-Bus, der als Studio und Konferenzraum genutzt werden konnte. Vgl. Katalog zur 3. Videonale vom 11.–16.9. in Bonn, hg. v. Petra Unnützer. Bonn: Videonale e.V. 1988, S. 154-165.

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mit Minus Delta t. Sie waren auch eine sehr aktive Gruppe. Wir machten einige Piratensendungen im Fernsehen und im Radio, ohne Erlaubnis. Wir wurden dazu nicht eingeladen. Wir machten es einfach. Minus Delta t hatte eine ähnliche Vorstellung davon, was es heißt, als Gruppe zu arbeiten. Klar stehen konkrete Personen hinter den Projekten, aber die Idee war, dass Einzelne nicht so wichtig sind, sondern die Gruppe in ihrer gemischten Zusammensetzung zählt. HM: 235 Media und Minus Delta scheinen in enger Verbindung zum imai-Archiv zu stehen, dessen Bestand eine exzellente Sammlung darstellt. Aber sie muss mit der Geschichte von 235 Media in Verbindung gebracht werden, um die Hintergründe zu begreifen. Das würde beispielsweise auch helfen, die Arbeiten, die über den Online-Katalog verfügbar sind, besser zu verstehen. Verbindungen herzustellen zwischen den konkreten Arbeiten und der Geschichte ist außerordentlich wichtig. Das braucht Zeit, aber meine Hoffnung ist, dass irgendwann alles in Verbindung zueinander gebracht und aufgearbeitet sein wird. AW: Im Archiv befinden sich noch viele ungehobene Schätze! [lacht] HM: Vielen herzlichen Dank für das Interview. AW: Ich habe zu danken.

Anhang

Bibliografie

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Abbildungsverzeichnis

alle mit * versehenen Bildquellen stammen aus dem Archiv der Stiftung imai 235 – Audio – Video – Media. Symptomatische Namensgebung Abb. 1: 235 Kompilation Bolsche Vita (1984), Foto: Stiftung imai Abb. 2: Erstes Logo von 235 Abb. 3: Aktuelles Logo von 235 Media Abb. 4: Auszug aus dem Bestandskatalog von 235, Dezember 1983.* »Geniale Dilletanten«. Zum (sub)kulturgeschichtlichen Hintergrund von 235 Media Abb. 1: Poster für die GROSSE UNTERGANGSSHOW. Festival genialer Dilletanten, 1981, aus Wolfgang Müller (Hg.): Geniale Dilletanten. Berlin: Merve Verlag 1982, S. 16. Abb. 2: Werbeplakat der Plattenfirma Rip Off und Eigelstein, ca. 1981, aus Leonhard Emmerling/Mathilde Weh (Hg.): Geniale Dilletanten. Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland. Ostfildern: Hatje Cantz 2015, S. 5. Abb. 3: Cover der Single Viel Feind, viel Ehr von S.Y.P.H, 1979, www.discogs.com/ SYPH-Viel-Feind-Viel-Ehr/release/1208867. Abb. 4: Cover von Mittagspause, Pure-Freude-Label 1983, www.discogs.com/Mittagspause-Mittagspause/release/1531186. Abb. 5: Cover der VHS-Ausgabe von Decoder, ediert von 235 Media, 1987.* Punk – Performance – Kunst. documenta 7 und 8 als Symptom und Schauplatz Abb. 1: »Mehr Kunst in die Musik, mehr Musik in die Kunst!« Werbeanzeige von Ata Tak, o.J., aus Moritz Reichelt: Der Plan. Glanz und Elend der Neuen Deutschen Welle. Die Geschichte einer deutschen Band. Kassel: Schmitz 1993, S. 193. Abb. 2: Auszug zu Minus Delta t aus dem 235-Media-Katalog v. 1984/85.* Abb. 3: Fanzine zur documenta 8, Titelseite, 1987, www.wolfgangmuellerrr.de/Video.

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Punk on Video. Synergien zwischen Musik, Videokunst und Subkultur Abb. 1: Videostills aus Target Video: The Screamers – 122 Hours of Fear (Live at Target) (1978), https://www.youtube.com/watch?v=MdCRcrgX080. Abb. 2: Videostills aus Norbert Meissner: Freies Deutschland I + II (1980-83).* Abb. 3: Tuxedomoon, Ausschnitt aus der NDR-Videonacht am 10.08.1985 in Hamburg.* Abb. 4: Videohüllen von Fun & Art: Musik & Freizeit ’82 und Entartete Lust de Luxe.* Abb. 5: Selbstbeschreibung von Rexiw, https://messinghof.jimdo.com/bands/rexiw/ Von der Musik zum Video zur Videokunst Abb. 1: 235-Media-Werbeanzeige aus dem Fanzine lautt, 1982/83. Abb. 2: Auszug aus dem Vertriebskatalog von 235 Media, Dezember 1983.* Abb. 3: Artikel über 235 in der Kategorie Vertriebs-Spotlight in dem Fanzine 59 to 1. visuell & akustisch, Nr. 2, 1984, S. 19. Video Congress – ein Kollektiv und Magazin künstlerischer Videoaktivisten Abb. 1: Videostill aus Schauinsland, Nr. 0, Prolog.* Abb. 2: Videostill aus Schauinsland, Nr. 4, Angst.* Abb. 3: Verkaufsf lyer zu Video Congress, Nr. 8, Metasprache.* Abb. 4: Still aus dem Fernsehbeitrag Kulturszene am 19.12.1985.* Abb. 5: Booklet und VHS-Kassette Video Congress, Nr. 9, Reisebekanntschaft.* 235 Media und der Videoboom der 1980er-Jahre Abb. 1: Übersicht zur Genreverteilung innerhalb des Videokassettenmarkts im Jahr 1984. Quelle: Faltblatt des Deutschen Video-Instituts im Februar 1984, Titel: Der Video-Markt der Bundesrepublik Deutschland, hier entnommen aus Klaus-G. Loest: Die Videokassette – ein neues Medium etabliert sich. Videotheken aus bibliothekarischer Perspektive. Wiesbaden: Harrassowitz 1984, S. 32. 235 Media als Vertrieb für Videokunst im VHS-Format Abb. 1: Ausschnitt aus dem Booklet zu Video Congress, Nr. 8: Metasprache I und II, 1985.* Abb. 2: Auszüge aus 235 Media: Video, Audio, Literatur, Herbstprogramm 1987.* Abb. 3: Auszüge aus 235 Media: Video, Audio, Literatur, Herbstprogramm 1987.* Abb. 4: Sonderedition der Edition Kümmel (vertrieben durch 235 Media).*

Abbildungsverzeichnis

Video Works made in Japan. Between Art and Entertainment Abb. 1: Videostill aus Peter Callas: Double Trouble (1986).* Abb. 2: Performancestill von Takahiko Iimura: A I U E O NN (1984) in der Komai Gallery, Tokyo, aus Meta Media. Takahiko Iimura, Media Installation. Tokyo: Tokyo Metropolitan Museum of Photography 1995, S. 13. Abb. 3: Performancestill von Takahiko Iimura: Double Identity (1982) im Hara Museum of Contemporary Art, Tokyo, aus ebd. (Foto: Y. Miyazaki). Abb. 4: Videostill aus Ko Nakajima: Mt. Fuji (1985).* Abb. 5: Sony JumboTRON (1985), aus der Sony Corporation. Abb. 6: LP-Cover von Der Plan: Japlan: Evolution Theory (1984), Wave, https://www. discogs.com/Der-Plan-Japlan/release/3302414. LP-Cover von Der Plan: Japlan (2013, re-issued in Germany), Ata Tak. LP-Cover von Einstürzende Neubauten: ½ Mensch (1985), Some Bizzare, https:// www.discogs.com/Einst%C3%BCrzende-Neubauten-%C2%BD-Mensch/release/99406. Abb. 7: Videostill aus Einstürzende Neubauten: Armenia (1986), ½ Mensch (1986) von Sogo Ishii, Wave.* Abb. 8: Scanned image aus Katsuhiro Otomo: AKIRA 3 (1986), aus Katsuhiro Otomo, AKIRA 3 (1986), Kodansha, S. 258-259. Abb. 9: Der Plan in Tokio (1984), Ata Tak. Netzwerk-Kunst | Network Art | ネットワーク芸術 innerhalb der Festivals in Fukui 1990-1993. Kooperationen zwischen Keigo Yamamoto und Axel Wirths Abb. 1: links: Keigo Yamamoto: Hand No.2 (1976), Einkanal-Video, aus Video Performance, Hisanori Gogota (Hg.): Aspects of Fukui Contemporary Art, H. 3, 1992 (Themenheft zu Keigo Yamamoto), S. 30; rechts: Keigo Yamamoto: Hand (1977), Ausstellungsansicht aus dem National Museum of Modern Art Kyoto (1977), aus ebd. Abb. 2: Keigo Yamamoto: Art Crossing Event im Nagoya City Art Museum (1988), aus Hisanori Gogota (Hg.): Aspects of Fukui Contemporary Art, H. 3, 1992 (Themenheft zu Keigo Yamamoto), S. 41. Abb. 3: Fukui Station in Phenix Plaza (1991), aus Kunio Noda/Takeo Yamada (Hg.): The 4th Fukui International Video Biennale. Image Media-crossing Borders. Fukui: Fukui Media City Forum 1991, S. 110. Abb. 4: Verbindungsdiagramm für die VR Network: Sound Performance, aus: Kino Review (木野評論), H. 34, 2003, S. 51. Abb. 5: Fax zwischen Casino Container in Köln und Fukui in Japan am 12. April 1992 um 13:16 Uhr. Archivmaterial aus dem Fukui Fine Arts Museum, Fotografie der Autorin 2011.

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Das Electronic Café International 1992 – »the state of the art of network-art« Abb. 1: Container/Zeltfächer. Aufriss, aus dem Konzeptpapier zum Casino Container/ECI, S. 12 © documenta Archiv. Abb. 2-3: Aufnahmen aus dem von Pentagon installierten, betriebenen und anschließend zerstörten Café Casino auf der documenta 8, aus Uta Brandes/ Sabine Voggenreiter/Wolfgang Schepers/Michael Erlhoff (Hg.): Pentagon. Informal Design. Köln: Taschen 1990, S. 16 und 123. Abb. 4: Casino Container mit ECI während der documenta 9 in Kassel.* Abb. 5: Videotelefone im ECI, Videostill aus dem Material von 235 Media zum ECI Abb. 6: Programmf lyer des Salon in Medias (mit internen Notizen zum vorhandenen Dokumentationsmaterial).* Abb. 7-20 sind Videostills aus den Dokumentationen zum ECI aus dem Archiv der Stiftung imai: Abb. 7: Tele-Flirt (Venedig/Paris)* Abb. 8: Tele-Sightseeing (Venedig/Stockholm)* Abb. 9: Tele-Roboting – Graham Smith: Toronto Cyber City* Abb. 10: Interaktive Soundinstallation – Keigo Yamamoto: Hurin (japanisches Windspiel) (Venedig/Fukui)* Abb. 11: Interaktive Soundperformance – Roberto Paci Dalō und Christophe Charles (Venedig/Tokio)* Abb. 12: Telefonkonzert – Axel Otto (Köln/Fukui)* Abb. 13: Interaktives Konzert – Mia Zabelka: The Virtual Violin.* Abb. 14: Tele-controlled Music-Roboter – Hybrid Band (Köln/Aarhus).* Abb. 15: Interaktive Bildbearbeitung – The creation of Man – Michelangelo (Köln/Aarhus).* Abb. 16: Interaktives Literatur-Projekt – The Text … that exploded … (Köln/Aarhus/Helsinki/Paris/Los Angeles).* Abb. 17: Tele-Diskurs – Satelite Earth News (Köln/Aarhus).* Abb. 18: Lesung und Tele-Roboting mit Olli Gold und dem Winke-Winke-Roboter (Köln).* Abb. 19: Picturephonetalk (Köln/Santa Monica).* Abb. 20: Wolf D. Wolf: Swinging Buddha (Köln).* Fernseh-Utopien und Videokunst Abb. 1-3: Drei Stills aus Donnerstag, 1. Folge, 00:20:56-00:20:59.*

Abbildungsverzeichnis

Das kuratorische Konzept der Videonale 5 als Annäherung zwischen Medienkunst und bildender Kunst Abb. 1: Programmf lyer der 1. Videonale (1984).* Abb. 2: Poster zur Videonale 5 (1992), Gestaltung: meyerundmeyer (Meyer Voggenreiter und Olaf Meyer).* Das Neue kuratieren oder: Das neue Kuratieren. Die Ausstellungsprojekte von 235 Media Abb. 1: Eingangsbereich zur ORNAMENTA mit der Inszenierung des Videos Glanz und Feuer von Maria Vedder* Abb. 2: Keigo Yamamoto: The Creation No. 1 auf der ORNAMENTA, Foto © 235 Media, Köln Abb. 3: Technisches Diagramm für Das elektronische Schmuckstück, aus Axel Wirths: Das Video-Ornament. In: Michael Erlhoff/Fritz Falk/Jens-Rüdiger Lorenzen u.a. (Hg.): ORNAMENTA 1. Internationale Ausstellung zeitgenössischer Schmuckkunst. München: Prestel-Verlag 1989, S. 308. Abb. 4: Christa Sommerer & Laurent Mignonneau: A-Volve (Detail), Foto © 235 Media, Köln Abb. 5: Studio Azzurro: Tavoli – Why these hands are touching me (Installationsansicht), Foto © 235 Media, Köln Abb. 6: Jeffrey Shaw: Place Ruhr auf der vision.ruhr, Foto © 235 Media, Köln

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Autorinnen

Dr. Renate Buschmann war von 2008 bis 2019 Direktorin der Stiftung imai. Nach einer Ausbildung zur Tischlerin studierte sie Kunstgeschichte und Archäologie und promovierte an der Universität zu Köln über Chronik einer Nicht-Ausstellung. Between (1969-73) in der Kunsthalle Düsseldorf. Sie war Juniorkuratorin an der Kunsthalle Düsseldorf, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Kunstakademie Münster und arbeitete als freiberuf liche Kuratorin insbesondere zu Ausstellungsgeschichte, Performancekunst und Fotografie. In den letzten Jahren hat sie sich auf die Archivierung, Konservierung und kuratorische Vermittlung von zeitbasierter Kunst spezialisiert und dazu Forschungsprojekte und Symposien durchgeführt. Sie hat regelmäßig Lehraufträge an Hochschulen in Nordrhein-Westfalen und ist als Referentin international tätig. Sie initiierte und leitete das Forschungsprojekt über die Medienkunstagentur 235 Media und war Kooperationspartnerin im BMBF-Projekt Video Online-Archiv − erschließen/präsentieren/kommunizieren der Hochschule Düsseldorf. Seit 2020 ist sie Professorin für Digitale Künste und Kulturvermittlung an der Universität Witten/Herdecke. Angelika Gwozdz (M.A.) studierte Kunstgeschichte und Germanistik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Dort arbeitete sie als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Kunstgeschichte und engagierte sich als Fachschaftsrätin und Kulturreferentin des AStA. Von 2015 bis 2017 war sie wissenschaftliche Hilfskraft der Stiftung imai, wo sie an zwei Forschungsprojekten beteiligt war: zum einen an dem Projekt über 235 Media, zum anderen an dem Projekt der Langzeitarchivierung. Ihre Masterarbeit im Fach Kunstgeschichte widmete sich dem Thema Punk on Video. Selbstermächtigungen in den 1980er Jahren (2017). Ihr Interesse fokussiert sich insbesondere auf Interaktionen zwischen Videokunst, Musik und Subkultur und feministische Strategien in der Medienkunst. Hiroko Kimura-Myokam (M.A.) ist Kuratorin und Wissenschaftlerin, spezialisiert auf die Archivierung und Konservierung von Medienkunst. Sie hat einen Abschluss für Media Aesthetics vom Institute of Advanced Media Arts and Sciences (IAMAS) (2002) wie auch einen Master in MediaArtHistories der Donau-Universität Krems (2016). Sie war Kuratorin des SKIPCITY Visual Museum (2004-06) und

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des NTT InterCommunication Center (ICC) (2007-09). Darüber hinaus war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Assistenz des Direktors für das Projekt Developing Digital Archive on Media Arts tätig (2010-12), das durch die Kulturverwaltung der japanischen Regierung ermöglicht worden war. Sie arbeitete in Projekten zur Entwicklung von Datenbanken und Konservierung von Videokunst wie auch zur Erforschung des 235-Media-Archivs der Stiftung imai in Düsseldorf (2013-17). Seit 2018 lebt sie mit ihrer Familie in Japan. Dr. Jessica Nitsche ist Kunst- und Medienwissenschaftlerin an der Universität Paderborn; 2018 hat sie dort die Professur für Medientheorie und Medienkultur vertreten. Zuvor war sie im Rahmen des Forschungsprojekts über die Medienkunstagentur 235 Media Postdoc-Stipendiatin der Gerda Henkel Stiftung und Research Fellow der Stiftung imai. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitete sie darüber hinaus an den Universitäten Düsseldorf (Medien- und Kulturwissenschaften) und Frankfurt a.M. (Theater-, Film- und Medienwissenschaft). Während ihrer Promotion über Walter Benjamins Gebrauch der Fotografie war sie DFG-Stipendiatin innerhalb des Graduiertenkollegs Zeiterfahrung und ästhetische Wahrnehmung. Zu ihren Veröffentlichungen zählen Bücher über Walter Benjamin, über Populärkultur, Massenmedien und Avantgarde, Tod und Totentanz im Film wie auch zahlreiche Aufsatzpublikationen. Zu ihren aktuellen Forschungsschwerpunkten gehören Medien- und Videokunst, das Dokumentarische (Diskursanalyse, Erscheinungsformen, Hybridisierungen) und Konstellationen von Medien, Kunst und Politik. Darija Šimunović (M.A.) ist eine bosnisch-deutsche Kulturwissenschaftlerin und in der Stiftung imai seit 2010 für die Videokunst-Sammlung wie auch deren Vertrieb verantwortlich. Sie studierte Kunstwissenschaft, Sprache und Kommunikation sowie Kulturinformatik an der Universität Lüneburg. Von 2003 bis 2005 war sie wissenschaftliche Volontärin am Institut für Bildmedien des ZKM – Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe und parallel als Kunstvermittlerin am dortigen Medienmuseum tätig. Nach weiteren beruf lichen Stationen am Hartware MedienKunstVerein (HMKV) in Dortmund und an der Technischen Universität Dortmund nahm sie ihre Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Stiftung imai auf. Im imai und als freiberuf liche Kuratorin hat sie zahlreiche Kulturprojekte, Screenings und Kunstausstellungen realisiert. Ihre Publikationen und Forschungen widmen sich unter anderem der Materialität ephemerer Kunstformen, der Geschichte der Videokunst wie auch den Zeitreise-Experimenten des Künstlerduos Hörner/Antlfinger.

Medienwissenschaft Christoph Engemann, Andreas Sudmann (Hg.)

Machine Learning – Medien, Infrastrukturen und Technologien der Künstlichen Intelligenz 2018, 392 S., kart. 32,99 € (DE), 978-3-8376-3530-0 E-Book: 32,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3530-4 EPUB: 32,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3530-0

Geert Lovink

Digitaler Nihilismus Thesen zur dunklen Seite der Plattformen 2019, 242 S., kart. 24,99 € (DE), 978-3-8376-4975-8 E-Book: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4975-2 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4975-8

Mozilla Foundation

Internet Health Report 2019 2019, 118 p., pb., ill. 19,99 € (DE), 978-3-8376-4946-8 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation E-Book: ISBN 978-3-8394-4946-2

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Medienwissenschaft Susan Leigh Star (verst.)

Grenzobjekte und Medienforschung (hg. von Sebastian Gießmann und Nadine Taha) 2017, 536 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3126-5 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation E-Book: ISBN 978-3-8394-3126-9 EPUB: ISBN 978-3-7328-3126-5

Ramón Reichert, Karin Wenz, Pablo Abend, Mathias Fuchs, Annika Richterich (eds.)

Digital Culture & Society (DCS) Vol. 4, Issue 2/2018 – Digital Citizens 2019, 220 p., pb., ill. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4477-7 E-Book: 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4477-1

Gesellschaft für Medienwissenschaft (Hg.)

Zeitschrift für Medienwissenschaft 21 Jg. 11, Heft 2/2019: Künstliche Intelligenzen 2019, 208 S., kart., Klebebindung 24,99 € (DE), 978-3-8376-4468-5 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation E-Book: ISBN 978-3-8394-4468-9 EPUB: ISBN 978-3-7328-4468-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de