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German Pages [190] Year 2020
Schriften zum deutschen und internationalen Persönlichkeits- und Immaterialgüterrecht
Band 51
Herausgegeben von Professor Dr. Haimo Schack, Kiel, Ehemaliger Direktor des Instituts für Europäisches und Internationales Privat- und Verfahrensrecht
Juliane Kotzur
Verstoßene Werke Rechtliche Möglichkeiten der Desavouierung von Werken der bildenden Kunst
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber https://dnb.de abrufbar. Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung der Studienstiftung ius vivum. 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-6398 ISBN 978-3-7370-1188-4
Meinen Eltern
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Kernproblematik . . . . . . . . . A. Werke der bildenden Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Werke der bildenden Kunst im System des Urheberrechts: Werkbegriff und Werkgattung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begrenzung der Untersuchung auf bildende Kunst im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bildende Kunst im Spannungsfeld zwischen Urheberrecht und Sacheigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterscheidung zwischen geistigem Werk und Werkstück . . 2. Urheberrecht und Eigentum am Werkstück . . . . . . . . . . 3. Stellenwert des Sacheigentums am Originalwerkstück . . . . 4. Verbundenheit zwischen Urheber und Werk . . . . . . . . . 5. Konflikt zwischen Urheber und Sacheigentümer . . . . . . . 6. Kein grundsätzlicher Vorrang einer Rechtsposition . . . . . . B. Die Desavouierung eines Werkes im Konflikt zwischen Sacheigentümer und Urheber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unterscheidung zwischen Desavouierung zu Lebzeiten und nach dem Tode des Künstlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Interessenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eigentümerinteresse an der Verbundenheit des Künstlers mit dem Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Urheberschaft eines bestimmten Künstlers als wertbildender Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
b. Authentizität des Kunstwerkes . . . . . . . . . . . . . . . c. Auswirkung einer Desavouierung auf Authentizität und Wert des Kunstwerkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Urheberinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Denkbare Motive für die Desavouierung eines Werkes . . aa. Beeinträchtigung des Werkes . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Unvollendetheit des Werkes aus der Sicht des Künstlers . cc. Geringschätzung des eigenen Werkes durch den Künstler dd. Verkauf gegen den Willen des Künstlers . . . . . . . . . . ee. Problematisches Verhältnis zwischen Künstler und Eigentümer des Originalwerkstücks . . . . . . . . . . . . ff. Wirtschaftliches Interesse des Künstlers an der Limitierung der Werkstückzahl . . . . . . . . . . . . . . gg. Falsche Zuschreibung des Werkes . . . . . . . . . . . . . b. Möglichkeiten des Rückrufs nach Veräußerung des Werkstücks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung § 42 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Anwendbarkeit des Rückrufsrechts aus § 42 UrhG gegenüber dem Sacheigentümer . . . . . . . . . . . . . . C. Gesamtergebnis zu Teil 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil 2: Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten: Denkbare Formen und ihre rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . A. Vernichtung des Werkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anspruch auf Vernichtung von Kunstfälschungen . . . . . . . 1. Anspruch auf Vernichtung des Werkstücks aus § 98 I UrhG a. Qualität der Kunstfälschung als Vervielfältigungsstück . aa. Abgrenzung Vervielfältigung – Bearbeitung . . . . . . . bb. Abgrenzung Bearbeitung – freie Benutzung . . . . . . . cc. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Rechtswidrige Herstellung oder Verbreitung . . . . . . c. Im Eigentum oder Besitz des Verletzers . . . . . . . . . d. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . e. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anspruch auf Vernichtung des Werkstücks aus dem Namensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Schutzinhalt des Namensrechts aus § 12 BGB . . . . . . b. Anspruchsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . .
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c. Vernichtung des Werkstücks als mögliche Rechtsfolge des Beseitigungsanspruchs aus § 12 BGB . . . . . . . . . d. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anspruch auf Vernichtung aus §§ 823, 1004 I 1 BGB wegen Verletzung des droit de non-paternit8 . . . . . . . . . . . . . a. Schutzinhalt und dogmatische Einordnung des droit de non-paternit8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Abgrenzung zu anderen Schutzinstrumenten . . . . . . . aa. Abgrenzung zu § 98 I UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Abgrenzung zu § 12 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Vernichtung des Werkstücks als mögliche Rechtsfolge des Beseitigungsanspruchs aus § 1004 I 1 BGB . . . . . . d. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis zu I. Desavouierung von Kunstfälschungen durch deren Vernichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anspruch auf Vernichtung entstellter Werke aus §§ 97 I 1, 14 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzinhalt und dogmatische Einordnung des Entstellungsverbots aus § 14 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anspruchsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Entstellung oder anderweitige Beeinträchtigung . . . . . b. Eignung zur Interessengefährdung . . . . . . . . . . . . . c. Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Widerrechtlichkeit der Verletzung . . . . . . . . . . . . . 3. Formen der Entstellung von Werken der bildenden Kunst . . a. Beeinträchtigung der körperlichen Substanz . . . . . . . aa. Alters-, umwelt- oder umgangsbedingte Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Restaurierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc. Konservierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd. Bewusste Veränderung der Werkgestalt . . . . . . . . . . b. Entstellung durch veränderten Sachzusammenhang . . . 4. Vernichtung des Werkstücks als mögliche Rechtsfolge des Beseitigungsanspruchs aus §§ 97 I 1, 14 UrhG . . . . . . . . . a. Anspruchsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Die Vernichtung entstellter Werke als zulässige Rechtsfolge des § 97 I 1 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis zu II. Desavouierung entstellter Werke durch deren Vernichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis zu A. Desavouierung durch Vernichtung des Werkes .
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10 B. Verbot der Namensnennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Recht auf Anerkennung der Urheberschaft, § 13 UrhG . . . . . 1. Schutzinhalt des § 13 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachlicher Umfang des Anonymitätsrechts aus § 13 S. 2 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Körperliche oder unkörperliche Werknutzung . . . . . . b. Nur urheberrechtsrelevante oder jede Form der Werknutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitlicher Umfang des Anonymitätsrechts aus § 13 S. 2 UrhG. a. Möglichkeit der Mehrfachausübung des Bezeichnungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Unverzichtbarkeit des Urheberpersönlichkeitsrechts . . . bb. Erschöpfung nach erstmaliger Wahrnehmung . . . . . . cc. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Zulässigkeit einer nachträglichen Ausübung mit Blick auf gesetzlich geschützte Interessen . . . . . . . . . . . . . . aa. Ausgleich gegenläufiger Interessen über vertragliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Interessenabwägung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . cc. Umgehung von Erschöpfungs-, Schranken- und Rückrufsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis zu I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Recht auf Werkintegrität, § 14 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . III. Namensrecht, § 12 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Droit de non-paternit8, §§ 823 I, 1004 I 1 BGB iVm Art. 2 I iVm Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Falsche Zuschreibung eines fremden Werkes . . . . . . . . . 2. Verfremdung eines ursprünglich eigenen Werkes . . . . . . . 3. Ergebnis zu IV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis zu B. Desavouierung durch Verbot der Namensnennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Entfernen der Signatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Kennzeichnung als Fälschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Verbot der Ausstellung des Werkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Öffentliche Distanzierung vom Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Leugnen der Urheberschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wahrheitswidriges Leugnen der Urheberschaft . . . . . . . . 2. Leugnen zum Schutz der eigenen Anonymität, § 13 S. 2 UrhG II. Kundgabe der Ablehnung des Werkes . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Distanzierung von einem entstellten Werk . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis zu F. Desavouierung durch öffentliche Distanzierung vom Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Schaffung eines »neuen Originals« . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Urheberstrafrechtlicher Verstoß gegen § 107 I Nr. 2 UrhG . . . II. Vertragsrechtliche Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachmängelhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Deliktsrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis zu G. Desavouierung durch Schaffung eines »neuen Originals« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Verweigerung der Authentifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Authentifizierungspflicht des Kunstexperten . . . . . . . . 1. Deutsche Rechtsprechung: Karl Hofer . . . . . . . . . . . . . 2. Kartellrechtliche Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bewertung und Übertragbarkeit auf das Verhältnis Eigentümer – Künstler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis zu H. Desavouierung durch Verweigerung der Authentifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesamtergebnis zu Teil 2: Desavouierungsmöglichkeiten des Künstlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil 3: Desavouierung nach dem Tode des Künstlers . . . . . . . . . . . A. Desavouierung durch die Erben des Urhebers in Ausübung des Urheber- und Eigentumsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Urheberrecht nach dem Tode des Künstlers . . . . . . . . . 1. Rechtsnachfolge in das Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfang der Rechtsnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Maßgebliche Interessen bei der Ausübung des Urheberpersönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Maßgeblichkeit der Interessen der Rechtsnachfolger . . . b. Maßgeblichkeit der Interessen des verstorbenen Urhebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ermittlung der Interessen des verstorbenen Künstlers . . . . 5. Keine Verpflichtung der Rechtsnachfolger zur Wahrnehmung des Urheberpersönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 6. Gewicht der Urheberinteressen mit zunehmendem Abstand zum Tode des Urhebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konsequenzen für die Desavouierung eines Werkes . . . . . . .
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Inhalt
1. Anspruch auf Vernichtung von Kunstfälschungen aus § 98 I 1 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansprüche aus §§ 97 I 1, 14 UrhG wegen Verletzung der Werkintegrität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vernichtung eines im Nachlass befindlichen Werkstücks durch die Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schaffung weiterer Werkexemplare anhand geerbter Vorlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis zu A. Desavouierung durch die Erben des Urhebers in Ausübung ihres Urheber- und Eigentumsrechts . . . . . . . . . B. Desavouierung durch die Angehörigen und Erben in Wahrnehmung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach dem Tod des Künstlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anerkennung eines postmortalen Persönlichkeitsschutzes . . 2. Wahrnehmung der ideellen Bestandteile durch die Angehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Übergang der vermögenswerten Bestandteile auf die Erben . 4. Schutzdauer des postmortalen Persönlichkeitsrechts . . . . . 5. Maßgebliche Interessen bei der Rechtswahrnehmung . . . . . 6. Zusammenspiel der Befugnisse der Angehörigen und der Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Namensrecht aus § 12 BGB nach dem Tod des Künstlers . . III. Konsequenzen für die Desavouierung eines Werkes . . . . . . . C. Desavouierung durch Verweigerung der Authentifizierung: Angehörige und Erben als Kunstexperten . . . . . . . . . . . . . . . D. Gesamtergebnis zu Teil 3: Desavouierungsmöglichkeiten nach dem Tode des Künstlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel im Wintersemester 2019/2020 als Dissertation angenommen. Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater Professor Dr. Haimo Schack für die engagierte Betreuung des Dissertationsprojekts und die Aufnahme in seine Schriftenreihe zum deutschen und internationalen Persönlichkeits- und Immaterialgüterrecht. Herzlich danken möchte ich auch Professor Dr. Joachim Jickeli für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Der Studienstiftung ius vivum danke ich für die großzügige Unterstützung bei den Druckkosten. Ich danke meiner lieben Freundin und Mitdoktorandin Ruth Lecher dafür, dass sie mir die Welt des Kunstrechts eröffnet und mir unzählige wertvolle Ratschläge gegeben hat. Meinem Freund Dr. Julien Berger gebührt besonderer Dank für seine Fürsorge während des gesamten Projekts. Seine unermüdliche Begeisterung für meine Arbeit hat mich stets von neuem motiviert. Vor allem aber danke ich meinen Eltern Dr. Beate Brenner-Kotzur und Dr. Joachim Kotzur : Ohne ihren bedingungslosen Rückhalt und ihre liebevolle Unterstützung wäre diese Arbeit nicht entstanden. Berlin im Juni 2020
Juliane Kotzur
Einleitung
Wertschätzung zu erfahren ist ein urmenschliches Bedürfnis, das auch im künstlerischen Bereich existiert. Dem Bedürfnis, als Schöpfer eines Werkes in Erscheinung zu treten und sich die sprichwörtlichen »Lorbeeren« abzuholen, trägt das Urheberrecht u. a. in § 13 UrhG Rechnung: Danach haben Urheber ein Recht darauf, dass ihre Urheberschaft anerkannt wird und sie – wenn gewünscht – als Urheber bezeichnet werden. Künstlerinnen und Künstler rücken aber als Persönlichkeiten oft noch über die Anerkennung ihrer kreativen Leistung hinaus in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Die Selbstinszenierung des Künstlers als Berühmtheit wurde von Andy Warhol perfektioniert und ließ manch einen Künstlernamen zur weltbekannten Marke werden, so z. B. Hirst und Murakami. Befeuert wird dieser Personenkult noch dadurch, dass immer mehr Künstlerinnen und Künstler ihre eigene Persönlichkeit, ihre Selbstwahrnehmung, Lebensentwürfe und Lebenskrisen bis hin zu temporären Befindlichkeiten in das Zentrum ihrer Kunst stellen und damit über das dem Kunstschaffen immanente Schöpfen aus eigenen Erfahrungen und Emotionen noch hinaus gehen. So stellte Tracey Emin (* 1963) mit der Installation »My Bed« 1999 ihr zerwühltes Bett, in dem sie eine schwer depressive Phase verbracht hatte, in der Londoner Tate Gallery aus. Die Künstlerin Marina Abramovic (* 1946) erklärte sich selbst zum Kunstwerk, indem sie sich in der Performance »The Artist is Present« 2010 drei Monate lange in das New Yorker MoMa setzte und Tausende Besucher ihr gegenüber Platz nahmen und in Blickkontakt zu ihr traten. Die Präsenz des Künstlers ist somit etwas, woran sich die Kunstwelt inzwischen gewöhnt hat: Kunst und Künstler verschmelzen miteinander oder können zumindest nicht mehr getrennt voneinander gedacht werden. Was geschieht aber, wenn eine Künstlerin oder ein Künstler genau diese Trennung will? Wenn ein Werk von seinem Schöpfer verstoßen wird und die zuvor erwähnte Anerkennung nicht mehr ersehnt, sondern abgelehnt wird? Diese Fragen sind nicht nur als Widerspruch zu dem zuvor beschriebenen Personenkult in der modernen Kunst höchst interessant. Sie stellen sich tat-
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Einleitung
sächlich in der Praxis aufgrund einer Art Gegenbewegung, bei der einige zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler sich aus der Beziehung zu einem bestimmten Werk lösen, sich der Öffentlichkeit entziehen oder gar der Kunst insgesamt den Rücken zukehren wollen. Die vorliegende Arbeit etabliert für eine solche Verstoßung eines Werkes den Begriff der Desavouierung und beleuchtet diesen Vorgang unter rechtlichen Gesichtspunkten. Neben möglichen Gründen für die Trennung eines Künstlers von einem Werk und den Auswirkungen, die dies auf die wirtschaftliche Verwertung des Werkes haben kann, werden vor allem die rechtlichen Instrumente erarbeitet, mit denen die Desavouierung betrieben werden kann. Hierbei werden die Interessen des Eigentümers des verstoßenen Kunstwerkes als starkes Gegengewicht berücksichtigt. Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert. Teil 1 erläutert den Untersuchungsgegenstand und die Kernproblematik. In Teil 2 geht es um die Desavouierung durch den Künstler selbst zu dessen Lebzeiten. Hier werden denkbare Formen der Desavouierung vorgestellt und rechtlich bewertet. Teil 3 richtet den Blick auf die Desavouierung nach dem Tode des Künstlers durch die dazu Berechtigten und untersucht, inwiefern es hier zu Abweichungen von den in Teil 2 gefundenen Ergebnissen kommt. Ein Hauptfokus der Untersuchung liegt auf dem Urheberrecht. Dabei verwendet die Arbeit wie das UrhG den Begriff des Urhebers und des Künstlers im Interesse sprachlicher Kohärenz und eines unkomplizierten Leseflusses im generischen Maskulinum. Damit ist selbstverständlich keine Abwertung weiblichen Kunstschaffens beabsichtigt, sondern alle Künstlerinnen sind in gleichberechtigter Weise als Rechtssubjekt angesprochen.
Teil 1: Untersuchungsgegenstand und Kernproblematik
Zunächst wird der Untersuchungsgegenstand Werke der bildenden Kunst vorgestellt (unten A.). Die Besonderheiten dieser Werkart leiten dann über zur Problematik der Desavouierung von Werken der bildenden Kunst (unten B.).
A.
Werke der bildenden Kunst
Der Begriff Werke der bildenden Kunst scheint den meisten Lesern geläufig. Doch versteht nicht jeder exakt dasselbe darunter, weshalb im Folgenden erläutert wird, welches Begriffsverständnis dieser Arbeit zugrunde liegt (unten I.). Danach wird das besondere Spannungsfeld zwischen Urheberrecht und Eigentum, das die Grundlage für die Desavouierungsproblematik ist, abgesteckt (unten II.).
I.
Begriffsbestimmung
Den Begriff Kunst abstrakt zu definieren scheint ein unmögliches Unterfangen zu sein.1 Der Begriff taucht im verfassungsrechtlichen Zusammenhang mit der Kunstfreiheit in Art. 5 III 1 GG und im Urheberrecht in § 1 und § 2 UrhG auf. Der verfassungsrechtliche Kunstbegriff spielt in dieser Arbeit, die sich hauptsächlich auf das Urheberrecht konzentriert, jedoch keine Rolle. Im Folgenden wird zunächst der Begriff der Werke der bildenden Kunst im System des Urheberrechts eingeordnet (unten 1.). Danach wird die Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes auf die sogenannte bildende Kunst im engeren Sinne erläutert (unten 2.). 1 Vgl. BVerfGE 67, 213, 225 = NJW 1985, 261, 262 – Anachronistischer Zug; Bullinger, Kunstwerkfälschung, 22; Schack, KuR, Rn 2; Schricker/Loewenheim/Loewenheim, § 2 Rn 157.
18 1.
Untersuchungsgegenstand und Kernproblematik
Werke der bildenden Kunst im System des Urheberrechts: Werkbegriff und Werkgattung
§ 1 UrhG schützt u. a. Werke der Kunst, hierunter fallen gemäß § 2 I Nr. 4 UrhG insbesondere Werke der bildenden Kunst. Aus dieser Gesetzesformulierung darf allerdings nicht geschlossen werden, dass es für den urheberrechtlichen Schutz auf die Qualität als Kunst ankomme. Es ist die Eigenschaft als Werk, die den Urheberschutz begründet. Für den Rechtsbegriff Werk hält das Urheberrecht in § 2 II UrhG eine Definition bereit: Werke im Sinne des UrhG sind nur persönliche geistige Schöpfungen.2 Sobald ein Gegenstand diese drei Bestandteile des Werkbegriffs erfüllt, tritt automatisch die Rechtsfolge ein, dass der Schöpfer des betreffenden Werkes urheberrechtlichen Schutz genießt. Da die Arbeit vor allem urheberrechtliche Fragen behandelt, sind nur nach § 2 II UrhG geschützte Werke Gegenstand der Untersuchung. Bildende Kunst in § 2 I Nr. 4 UrhG bezeichnet dagegen nur eine Werkgattung, die unter den Oberbegriff Kunst in § 1 und § 2 I UrhG fällt. Die Liste der Werkgattungen in § 2 I UrhG ist nicht abschließend, sondern beispielhaft, wie die Formulierung insbesondere deutlich macht. Es sind neue, nicht aufgezählte Werkgattungen, wie etwa Multimediawerke, denkbar, die dennoch über § 2 II UrhG geschützt sind. Allein die Gattungszugehörigkeit reicht aber nicht aus für die Schutzfähigkeit, vielmehr muss das Werk Schöpfungshöhe iSv § 2 II UrhG aufweisen.3 Die Urheberschutzfähigkeit hängt somit nicht von der Einordnung in eine Werkgattung ab.4 Die verschiedenen Werkgattungen dienen lediglich der Illustration, gelegentlich auch der Unterscheidung untereinander : Bildende Kunst als Gattungsbegriff spielt nur dort eine Rolle, wo Spezialvorschriften allein auf diese Werkgattung anwendbar sind, wie z. B. das Zugangsrecht aus § 25 UrhG.5 Somit hat der Begriff bildende Kunst im UrhG eine abgrenzende Funktion, wobei eine trennscharfe Abgrenzung aufgrund von Mischformen nicht möglich ist.6 Beispiele hierfür sind die Umsetzung eines Bildes in ein Happening, welches sowohl der bildenden Kunst als auch der Tanzkunst zugeordnet werden kann,7 oder die Verfremdung einer Fotografie, die zugleich als bildende Kunst und als Lichtbildwerk angesehen werden kann.8 2 Diese weite Legaldefinition ist im Laufe der Jahre durch Rspr. und Lit. umfassend konkretisiert worden, dazu die Kommentierungen zu § 2 II UrhG, z. B. bei Dreier/Schulze/Schulze; Wandtke/Bullinger/Bullinger. 3 Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 2 Rn 2. 4 BGH GRUR 1985, 529 – Happening. 5 Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 2 Rn 4. 6 Möhring/Nicolini/Ahlberg, § 2 Rn 2. 7 BGH GRUR 1985, 529 – Happening; Möhring/Nicolini/Ahlberg, § 2 Rn 2. 8 OLG Koblenz GRUR 1987, 435 – Verfremdete Fotos.
Werke der bildenden Kunst
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Die Gattung bildende Kunst wird von der Rechtsprechung durch eine formgebende Tätigkeit9 gekennzeichnet, was begrifflich eine gewisse Gestaltungsmöglichkeit voraussetzt, ohne dass es darauf ankommt, ob es sich bei dem Werk um Kunst handelt.10 Vorzugsweise soll bildende Kunst für die ästhetische Anregung des Gefühls durch Anschauung bestimmt sein.11 Weitergehende Anforderungen an den künstlerischen Gehalt sind nicht bei der Feststellung der Werkgattung, sondern bei der Subsumtion unter den Werkbegriff des § 2 II UrhG zu beachten.
2.
Begrenzung der Untersuchung auf bildende Kunst im engeren Sinne
Das Kriterium der Formgebung eröffnet ein relativ umfassendes Verständnis von dem, was unter bildende Kunst fällt. Dies entspricht der Verwendung von bildender Kunst in § 2 I Nr. 4 UrhG als Sammelbegriff für die sogenannte bildende Kunst im engeren Sinne (auch zweckfreie oder reine Kunst genannt) wie für die Baukunst und die angewandte Kunst.12 Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf bildende Kunst im engeren Sinne. Sie unterscheidet sich von der angewandten Kunst dadurch, dass sie nicht als Bedarfs- oder Gebrauchsgegenstand dient, sondern gänzlich zweckfrei ist.13 Auch Werke der Baukunst verfolgen in der Regel einen Gebrauchszweck, Ausnahmen sind z. B. Triumphbögen oder Denkmäler.14 Lange Zeit bestand außerdem nur bei Werken der bildenden Kunst im engeren Sinne schon bei geringer Werkqualität ein urheberrechtlicher Schutz (sogenannte kleine Münze).15 Von diesem Standpunkt ist der BGH in seiner Entscheidung Geburtstagszug16 abgerückt, sodass nun für Werke der reinen bildenden wie der angewandten Kunst dieselbe Gestaltungshöhe gilt.17 Zu den klassischen Formen der bildenden Kunst im engeren Sinne zählen Gemälde, Zeichnungen, Grafiken und Plastiken,18 aber auch die bereits erwähnten Mischformen, wie z. B. Happenings, Videokunst, Konzeptkunst, Computerkunst oder Objektkunst.19 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
BGH GRUR 1959, 289, 290 – Rosenthal-Vase; BGH GRUR 1979, 332, 336 – Brombeerleuchte. Möhring/Nicolini/Ahlberg, § 2 Rn 22. BGH GRUR 1972, 38, 39 – Vasenleuchter. Schricker/Loewenheim/Loewenheim, § 2 Rn 156. Vgl. Ebling/Bullinger/Bullinger, S.43; Schricker/Loewenheim/Loewenheim, § 2 Rn 156. HK UrhG/Dreyer, § 2 Rn 258. BGH GRUR 1995, 581, 582 – Silberdistel; HK UrhG/Dreyer, § 2 Rn 252. BGHZ 199, 52 = GRUR 2014, 175 – Geburtstagszug I. Schack, UrhR Rn 182; Schack, Anm. JZ 2014, 207 zu BGH – Geburtstagszug I. Schack, KuR, Rn 222; Schricker/Loewenheim/Loewenheim, § 2 Rn 169. Vgl. Schack, KuR, Rn 222; Ebling/Schulze/Nordemann/Dustmann, S. 103.
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Untersuchungsgegenstand und Kernproblematik
Die bildende Kunst im engeren Sinne steht auf besondere Weise im Spannungsfeld zwischen Sacheigentum und Urheberrecht (unten II.). Dieses Spannungsfeld tut sich bei anderen Werkgattungen wie Musik oder Literatur in der Regel gar nicht auf. Zwar kann die Problematik der Desavouierung auch bei den anderen Werken der bildenden Kunst iSv § 2 I Nr. 4 UrhG auftreten, sie hat in Bezug auf angewandte Kunst und Bauwerke aber unter Umständen einen anderen Schwerpunkt. Die Eingrenzung des Untersuchungsgegenstand dient hier vor allem der Scherpunktsetzung und der Zuspitzung der zu untersuchenden Problematik. 3.
Zwischenergebnis
Im Folgenden sind unter Werken der bildenden Kunst oder schlicht Kunst nur Werke iSd Urheberrechts, also persönliche geistige Schöpfungen zu verstehen, die der Werkgattung der bildenden Kunst im engeren Sinne angehören.
II.
Bildende Kunst im Spannungsfeld zwischen Urheberrecht und Sacheigentum
Die für alle Werkarten geltende Feststellung von Johann Gottlieb Fichte, dass bei ein und demselben Gegenstand das Körperliche und das Geistige zu unterscheiden sei,20 beschreibt den Ausgangspunkt der Problematik. Daher ist zunächst die grundlegende Unterscheidung zwischen geistigem Werk und körperlichem Werkstück (unten 1.) und den damit jeweils verbundenen Rechten des Urhebers und des Eigentümers (unten 2.) darzulegen. Das »Spannungsfeld«21 zwischen Urheberrecht und Sacheigentum wird dadurch verschärft, dass das Eigentum am Werkstück in der bildenden Kunst einen hohen Stellenwert hat (unten 3.). Zugleich besteht auf der anderen Seite eine besonders enge Verbundenheit des Urhebers zum Werk (unten 4.). Diese jeweils sehr starken, mitunter divergierenden Interessen können zu einem Konflikt zwischen Urheber und Eigentümer führen (unten 5.). In diesem Konflikt hat weder das Sacheigentum noch das Urheberrecht grundsätzlich Vorrang (unten 6.).
20 Fichte, Berlinische Monatsschrift 1793, 443, 447, Nachdruck in UFITA 106 (1987), 155, 156. 21 van Waasen, Das Spannungsfeld zwischen Urheberrecht und Eigentum im deutschen und ausländischen Recht.
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1.
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Unterscheidung zwischen geistigem Werk und Werkstück
Das Werk im Sinne des Urheberrechts ist, wie bereits erwähnt, eine persönliche geistige Schöpfung (§ 2 II UrhG). Diese Definition legt zum einen die Voraussetzungen für den urheberrechtlichen Schutz fest. Zum anderen wird deutlich, was unter dem Begriff Werk zu verstehen ist: Es handelt sich um ein geistiges Gut, also um einen unkörperlichen Gegenstand (Immaterialgut). Demgegenüber ist das Werkstück die körperliche Erscheinungsform des Werkes in der Außenwelt.22 Das Werkstück ist als körperlicher Gegenstand eine Sache iSv § 90 BGB. Der Unterschied zwischen Werk und Werkstück lässt sich gut an einem Beispiel verdeutlichen: Malt ein Künstler ein Gemälde, so entsteht zum einen ein geistiges Werk, zum anderen ein Werkstück. Das Werk als Produkt seines schöpferischen Geistes bezieht sich auf die künstlerische Gestaltung, also die individuelle Kombination aus Motivwahl, künstlerischer Aussage, Farbkomposition und Pinselführung. Das Werkstück ist in diesem Fall die mit Farbe versehene Leinwand.
2.
Urheberrecht und Eigentum am Werkstück
An einem Werk kann geistiges Eigentum in Gestalt des Urheberrechts bestehen. Am Werkstück hat der Berechtigte demgegenüber materielles Eigentum iSv § 903 BGB. Im Zusammenhang mit den Rechten am geistigen Werk wird vom Urheber gesprochen, im Zusammenhang mit dem Werkstück vom Eigentümer. Handelt es sich bei dem Kunstwerk um ein Werk iSv § 2 UrhG, dann steht das Urheberrecht gemäß § 7 UrhG dem Schöpfer des Werkes zu und ist als solches gemäß § 29 I UrhG zu dessen Lebzeiten nicht übertragbar. Gemäß § 11 UrhG schützt das Urheberrecht den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk, zugleich soll es eine angemessene Vergütung für die Nutzung des Werkes sichern. Es gewährleistet diesen doppelten Schutz durch das Urheberpersönlichkeitsrecht (§§ 12ff. UrhG) und die Verwertungsrechte (§§ 15ff. UrhG). Dabei folgt das UrhG der sog. monistischen Theorie, wonach das Urheberrecht ein einheitliches Recht bildet, dessen persönlichkeits- und vermögensrechtliche Seite untrennbar miteinander verbunden sind und sich mitunter überschneiden.23 So sichert das Urheberpersönlichkeitsrecht als besonderes Persönlichkeitsrecht zwar schwerpunktmäßig die ideellen Interessen des Urhebers an der geistigen Beziehung zu seinem Werk, es hat aber auch einen materiellen Gehalt. Das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft aus § 13 22 Schack, UrhR, Rn 34. 23 Dreier/Schulze/Schulze, § 11 Rn 2.
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Untersuchungsgegenstand und Kernproblematik
UrhG etwa dient nicht nur dem Interesse des Urhebers, öffentlich mit seinem Werk in Verbindung gebracht zu werden, sondern auch dem materiellen Interesse an einem positiven Werbeeffekt.24 Entsprechendes gilt umgekehrt für die Verwertungsrechte. Die Notwendigkeit, Nutzungsrechte vom Urheber einzuholen, dient neben dem wirtschaftlichen auch dem ideellen Interesse, selbst zu bestimmen, von wem, in welchem Zusammenhang und auf welche Art und Weise das Werk in der Öffentlichkeit genutzt wird. Das Eigentum am Werkstück liegt in der Regel zunächst ebenfalls beim Künstler : Wenn er bereits Eigentümer der Ausgangsstoffe (z. B. der Leinwand) ist, behält er auch das Eigentum an dem Produkt, das aus den Ausgangsstoffen entsteht. Möglich ist aber auch, dass er Eigentum am Werkstück erst durch die Bearbeitung eines nicht in seinem Eigentum stehenden Ausgangsstoffes erwirbt. Nach § 950 I 1 BGB erlangt nämlich, wer einen fremden Stoff bearbeitet (z. B. eine fremde Leinwand bemalt) und dadurch eine neue bewegliche Sache schafft, Eigentum an der neuen Sache. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn der Wert der Verarbeitung nicht erheblich geringer ist als der Wert des Ausgangsstoffes (§ 950 I 1 BGB). Besprüht ein Künstler beispielsweise ein fremdes Auto mit Graffiti, dann erwirbt er in der Regel kein Eigentum an dem Auto.25 Eigentum durch Bearbeitung kann jedoch nur an beweglichen Sachen erworben werden. Wer etwa eine fremde Hauswand bemalt, erwirbt nicht das Eigentum am Gebäude, sondern der Gebäudeeigentümer erwirbt das Eigentum an dem Wandgemälde, § 946 BGB.26 Auch wenn Graffiti an Gebäuden in der Regel ein Ärgernis für den Hauseigentümer darstellen, gibt es doch Ausnahmen, in denen das neu erworbene Eigentum einen finanziellen Vorteil bedeuten kann. So wurde z. B. ein walisischer Stahlarbeiter unverhofft Eigentümer eines über Nacht an seiner Garagenwand angebrachten Kunstwerkes des Streetart-Künstlers Banksy, das jener für einen sechsstelligen Betrag veräußern konnte.27 Das geistige Eigentum, d. h. das Urheberrecht am Werk, und das Sacheigentum am Werkstück können also in Ausnahmefällen von Beginn an auseinanderfallen. In der Regel wird das zunächst beim Künstler liegende Eigentum am Werkstück jedoch erst durch Veräußerung gemäß §§ 929ff. BGB auf einen anderen übertragen. Das Urheberrecht ist hingegen unübertragbar und verbleibt daher beim Urheber, dieser kann einem anderen lediglich Nutzungsrechte am Werk einräumen (§ 29 I und II UrhG). Wie auch Werk und Werkstück selbst, existieren Urheberrecht und Sacheigentum grundsätzlich unabhängig voneinander und selbstständig nebenein24 25 26 27
Wandtke/Bullinger/Bullinger, vor §§ 12ff. Rn 3. Schack, GRUR 1983, 56, 60. Ebling/Schulze/Siehr, S. 91. Morris, Banksy artwork found on garage in Wales sold for six-figure sum, The Guardian, 18. 01. 2019.
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ander.28 Mit dem Untergang des Werkstücks geht auch das Eigentum daran unter, während das geistige Werk und das Urheberrecht daran unverändert fortbestehen. Es ist damit beispielsweise allein dem Künstler vorbehalten, ein untergegangenes Gemälde zu wiederholen oder zu vervielfältigen. Umgekehrt besteht das Eigentum an dem Werkstück weiter, auch wenn das Urheberrecht gemäß § 64 UrhG 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers erloschen ist. Diese Selbstständigkeit der einzelnen Rechtspositionen macht § 44 I UrhG deutlich: Mit der Veräußerung des Werkstücks wird im Zweifel kein Nutzungsrecht mitübertragen. Ein solches müsste separat eingeräumt werden, die diesbezüglichen Befugnisse verbleiben beim Urheber. Meist schließen Urheber und Sacheigentümer nur Verträge über das Werkstück in Gestalt eines Kaufvertrags nach § 433 BGB und der Übereignung des Werkstücks nach § 929 BGB, die der Erfüllung des Kaufvertrags dient. Über das geistige Gut, das Werk, werden dagegen meist keine vertraglichen Abreden in Gestalt von Nutzungsvereinbarungen getroffen. Mangels vertraglicher Abreden über die beiderseitigen Rechte und Pflichten im Hinblick auf das Urheberrecht muss auf die gesetzlichen Regelungen zurückgegriffen werden, welche die Beziehung zwischen beiden Parteien regeln; somit besteht zwischen Urheber und Eigentümer in Bezug auf das Werk meist nur ein gesetzliches Schuldverhältnis.29 Ein Beispiel für eine ausdrücklich das Verhältnis Urheber-Sacheigentümer betreffende gesetzliche Regelung ist der bereits erwähnte § 44 UrhG; andere Normen, wie z. B. das Entstellungsverbot in § 14 UrhG30 oder das Folgerecht in § 26 UrhG, regeln dieses Verhältnis nur unter anderem.31 Es ist daher festzustellen, dass in der Regel zwei Arten von Rechten an einem Kunstwerk bestehen, das Urheberrecht und das Sacheigentum, deren Zusammenspiel vertraglich nur selten und gesetzlich nur dürftig geregelt ist. 3.
Stellenwert des Sacheigentums am Originalwerkstück
Bildende Kunst unterscheidet sich von anderen Werkgattungen dadurch, dass ihr Wert in der Regel mehr im Sacheigentum am Originalwerkstück liegt als in den urheberrechtlichen Verwertungsrechten. Bei Schriftwerken etwa ist das bloße Eigentum an dem gedruckten Buch, also dem Papier an sich, nicht viel wert, solange man nicht über die urheberrecht-
28 29 30 31
BGHZ 129, 66, 70 – Mauer-Bilder. Schöfer, Rechtsverhältnisse, 41. Genauer dazu unten in Teil 2. Schöfer, Rechtsverhältnisse, 43.
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Untersuchungsgegenstand und Kernproblematik
lichen Nutzungsrechte verfügt, um das Werk zu verwerten. Bei einer Skulptur oder einem Gemälde ist es hingegen das Objekt selbst, das am wertvollsten ist. Zwar ist es auch bei Kunstwerken erst das kreative Geistesgut, das eine gewöhnliche Sache zum urheberrechtlich geschützten Werk erhebt.32 Im Unterschied zu anderen Werkarten hat die Körperlichkeit bei einem Werk der bildenden Kunst aber eine elementare Funktion: Die Ausstellung des Werkes ist an den körperlichen Werkträger gebunden.33 Dadurch sind das geistige Werk und das körperliche Werkstück nicht so leicht zu trennen wie bei anderen Werkarten.34 Ein Musikstück etwa muss nicht in Notenschrift fixiert sein, um wahrnehmbar zu werden, dazu genügen Töne. Töne sind sogar zwingend, damit das geistige Werk des Komponisten überhaupt Gestalt annehmen kann: Die Betrachtung der geschriebenen Noten allein wäre nicht ausreichend, denn diese geben das Musikwerk nur abstrakt wieder.35 Bei Werken der bildenden Kunst ist das anders: Sie müssen körperlich fixiert werden, um überhaupt wahrnehmbar zu sein. Die Betrachtung des Originalwerkstücks reicht meist allerdings aus, um das Werk ganz erfassen zu können. Somit ist die bildende Kunst stärker werkstückfixiert als andere Werkarten. Bildende Kunst wird am besten durch Betrachtung des Originals rezipiert. Was genau unter den Begriff Original fällt, definiert treffend Art. 2 I der Folgerechtsrichtlinie36. Als Originale von Kunstwerken erfasst die Richtlinie Werke der bildenden Künste wie Bilder, Collagen, Gemälde, Zeichnungen, Stiche, Bilddrucke, Lithografien, Plastiken, Tapisserien, Keramiken, Glasobjekte und Lichtbildwerke, soweit sie vom Künstler selbst geschaffen worden sind oder es sich um Exemplare handelt, die als Originale von Kunstwerken angesehen werden. Unter letzteren sind nach Art. 2 II 1 der Richtlinie Exemplare von Kunstwerken zu verstehen, die vom Künstler selbst oder unter seiner Leitung in begrenzter Auflage hergestellt wurden. Derartige Exemplare müssen in der Regel nummeriert, signiert oder vom Künstler auf andere Weise ordnungsgemäß autorisiert sein. Als Original kann somit nicht nur das Unikat bezeichnet werden, sondern auch Multiples, wie z. B. Lithografien oder gegossene Plastiken, bei denen der Künstler nur die Urform geschaffen hat, die Drucke/Abgüsse aber von Helfern nach seiner Anleitung hergestellt wurden.37 Klaunig/Müller, ZUM 2013, 935, 937. Klaunig/Müller, ZUM 2013, 935, 936. Wiesner, Veräußerung, Rn 19. Tölke, UPR, 30; Wiesner, Veräußerung, Rn 18. Richtlinie 2001/84/EG vom 27. 09. 2001 über das Folgerecht des Urhebers des Originals eines Kunstwerkes, EG-ABl. Nr. L 272, 32. 37 Ganz h. M., siehe z. B. Schack, KuR, Rn 23; Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 26 Rn 7; Hamann, Originalbegriff, 140, 198. 32 33 34 35 36
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Die Richtlinie bestimmt den Originalbegriff zwar nur bezüglich des Folgerechts des Urhebers eines Originalwerkes (in Deutschland § 26 UrhG). Um eine kohärente Verwendung des Begriffs zu gewährleisten, ist es aber sinnvoll, diese Definition im Wesentlichen für das gesamte Urheberrecht heranzuziehen, also z. B. auch für § 6 und § 107 UrhG.38 Originale haben aufgrund ihrer Einzigartigkeit eine gewisse »Aura«.39 Um das Kunstwerk auf sich wirken zu lassen und die künstlerische Intention begreifen zu können, ist es notwendig, das Objekt selbst zu betrachten, das aus der (gegebenenfalls verlängerten) Hand des Künstlers stammt. Eine Replik kann die äußere Gestalt eines Werkes zwar imitieren, sie hat in der Regel aber nicht dieselbe Wirkung auf den Rezipienten wie das Original. Weil der Genuss von Werken der bildenden Kunst grundsätzlich durch Wahrnehmung des Originals erfolgt, hat der Gesetzgeber für sie die Sonderregelung des § 44 II UrhG getroffen. Abweichend von der allgemeinen Auslegungsregel in § 44 I UrhG, dass bei der Veräußerung eines Originals im Zweifel kein Nutzungsrecht eingeräumt wird, berechtigt Absatz 2 den Eigentümer eines Originalwerkes der bildenden Kunst, das Werk – selbst wenn es noch unveröffentlicht ist – öffentlich auszustellen, es sei denn, der Urheber hat dies bei Veräußerung ausdrücklich ausgeschlossen. Diese für ein Werk der bildenden Kunst höchst relevante Form der Nutzung durch den Sacheigentümer muss also nicht lizenzvertraglich vereinbart werden, sie kann nur vertraglich abbedungen werden. Zur Begründung weist der Gesetzgeber auf die besondere Interessenlage hin: Wenn der Urheber das Werk aus seiner persönlichen Sphäre entlassen habe, sei davon auszugehen, dass er mit der Ausstellung auch des noch unveröffentlichten Werkes einverstanden sei.40 Hat er das Originalwerkstück veräußert und dem neuen Eigentümer übergeben, dann kann der Künstler selber von seinem Ausstellungsrecht keinen Gebrauch machen, weil er nicht mehr im Besitz der Sache ist. Insofern ist es sinnvoll, dass Eigentum und Ausstellungsbefugnis in einer Person zusammenfallen. Möchte der Eigentümer eines Kunstwerkes das Werk aber auf andere Weise nutzen, etwa vervielfältigen oder im Internet öffentlich zugänglich machen, so muss er die entsprechenden Nutzungsrechte erwerben. Diese Nutzungen spielen aber allenfalls eine untergeordnete Rolle. Meist werden über Werke der bildenden Kunst nur Kaufverträge geschlossen, die zur Übereignung des Werkträgers verpflichten, und keine Lizenzverträge, wie das für andere Werkarten wie z. B. Musik oder Literatur typisch ist.
38 Vgl. Wandtke/Bullinger/Reinbacher, § 107 Rn 2; Dreier/Schulze/Dreier, § 107 Rn 6. 39 Benjamin, Reproduzierbarkeit, 14; Schack, KuR, Rn 21. 40 RegE BT-Dr IV/270, S. 62.
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Untersuchungsgegenstand und Kernproblematik
Wegen dieser Besonderheiten der bildenden Kunst hat der Eigentümer des Originalwerkstücks eine besonders starke, wertvolle Rechtsposition.41 4.
Verbundenheit zwischen Urheber und Werk
Der Konflikt zwischen Urheberrecht am Werk und Sacheigentum am Werkstück wird bei der bildenden Kunst im engeren Sinne dadurch intensiviert, dass nicht nur der Eigentümer eine besonders starke Rechtsposition innehat, sondern auch der Urheber in der Regel besonders eng mit seiner geistigen Schöpfung verbunden ist. Ein Grund dafür ist die bereits erwähnte Zweckfreiheit, welche die bildende Kunst im engeren Sinne von den anderen bildenden Künsten, der angewandten und der Baukunst, abhebt.42 Die Zweckfreiheit gibt dem Künstler den größtmöglichen Spielraum bei der Gestaltung des Werkes und ermöglicht ihm, dem Werk starke eigenpersönliche Züge zu verleihen.43 Selbst Bauwerke, die als zweckfrei gelten, wie z. B. Denkmäler, unterliegen bestimmten bauplanungsund bauordnungsrechtlichen Vorgaben und Grenzen. Reine Kunstwerke hingegen stellen nur selten eine bauliche Anlage dar und fallen daher in aller Regel nicht unter das Bauordnungs- oder Bauplanungsrecht. Neben der Abwesenheit rechtlicher Vorgaben existieren auch keine funktionalen Erwägungen, die die Form des Werkes beeinflussen könnten. Das Werk entsteht, wenn es sich nicht um eine Auftragsarbeit handelt, allein aus dem inneren kreativen Antrieb heraus und nimmt die Form an, die der Künstler dafür vorgesehen hat. Diese größtmögliche Gestaltungsfreiheit mag der Grund dafür sein, dass die bildende Kunst im engeren Sinne auch freie Kunst genannt wird. Das Werk eines freien Künstlers ist in besonderem Maße ein Spiegel seiner selbst und daher im Regelfall aufs Engste mit ihm verbunden, weit mehr als dies bei Werken der anderen bildenden Künste im Sinne des § 2 I Nr. 4 UrhG, also Bauwerken und angewandter Kunst, der Fall ist. Daraus ergibt sich zum einen eine besondere Sensibilität des Urhebers was die Verbindung zu seinem Werk betrifft. Zum anderen hat, wie noch zu zeigen sein wird, auch der Sacheigentümer am Erhalt dieser Verbindung, die im Zentrum des Werkes und seiner Aussage steht, ein großes Interesse.44
41 42 43 44
Zur Einschränkung des Besitzers durch § 25 I UrhG s. unten 5. Siehe oben A.I.2. Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 2 Rn 86. Siehe unten Teil 1 B.III.1.
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5.
27
Konflikt zwischen Urheber und Sacheigentümer
Die eben beschriebenen starken Interessen des Urhebers und des Sacheigentümers am Werk bzw. Werkstück können schnell kollidieren, sobald die Rechteinhaber personenverschieden sind. Dieser Konflikt entsteht trotz der Wesensverschiedenheit der Rechtsgüter (Immaterialgut bzw. Sache), weil eine Rechtsausübung durch den Urheber oder den Eigentümer den jeweils anderen in seinen Rechten beeinträchtigen kann. Da nach der eindeutigen Auslegungsregel des § 44 I UrhG mit Veräußerung des Werkstücks im Zweifel keine Nutzungsrechte eingeräumt werden, betreffen die Konflikte zwischen Sacheigentümer und Urheber weniger die Verwertungsrechte der §§ 15ff. UrhG als vielmehr das Urheberpersönlichkeitsrecht.45 Möchte der Eigentümer eines Werkstücks an diesem optische Änderungen vornehmen oder es gar zerstören,46 so kann dies die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interessen des Urhebers massiv berühren, da mit der körperlichen Veränderung die vom Urheber intendierte Aussage des Werkes verändert wird. Umgekehrt können die Interessen des Eigentümers, der in der Regel zugleich Besitzer des Werkstücks ist, beeinträchtigt werden, wenn der Urheber z. B. von seinem Zugangsrecht aus § 25 UrhG Gebrauch macht, um das Werk zu vervielfältigen mit der Folge, dass das Werkstück des Eigentümers kein Unikat mehr ist.47 Konflikte zwischen Sacheigentümer und Urheber können somit aus unterschiedlichen Gründen entstehen. Einer davon ist die gleich zu erläuternde Problematik der Desavouierung des Werkes durch seinen Urheber (unten B.).
6.
Kein grundsätzlicher Vorrang einer Rechtsposition
Im Falle einer Interessenkollision kann der Konflikt zwischen Urheber und Sacheigentümer nicht abstrakt zur einen oder anderen Seite aufgelöst werden. Weder aus dem Grundgesetz noch aus den einfachgesetzlichen Vorschriften lässt sich ein genereller Vorrang des Sacheigentums oder des Urheberrechts ableiten, die beiden Rechtspositionen stehen sich vielmehr gleichrangig gegenüber.48 Zum einen sind sowohl das Eigentumsrecht als auch das Urheberrecht grundrechtlich geschützt: Auch die vermögenswerten Befugnisse des Urhebers 45 Schöfer, Rechtsverhältnisse, 1. 46 Siehe etwa BGH JZ 2019, 680 mit Anm. Schack – HHole (for Mannheim); BGH ZUM 2019, 521 – PHaradise; RGZ 79, 397 – Felseneiland mit Sirenen; BGH GRUR 2008, 984 – St. Gottfried. 47 Schack, KuR, Rn 167. 48 Vgl. Fromm/Nordemann/Dustmann, § 14 Rn 30; Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 14 Rn 14; van Waasen, Spannungsfeld, 50f.
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Untersuchungsgegenstand und Kernproblematik
am Werk, die Verwertungsrechte, sind »Eigentum« iSv Art. 14 GG.49 Sie werden daher genauso wie das Sacheigentum am Werkstück durch Art. 14 GG und Art. 17 GRCh gewährleistet. Zusätzlich ist der urheberpersönlichkeitsrechtliche Teil des Urheberrechts, also die persönlichen und geistigen Interessen des Urhebers, über das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 1 I GG iVm Art. 2 I GG geschützt.50 Auf einfachgesetzlicher Ebene gewährt § 903 BGB die Eigentümerbefugnisse nicht schrankenlos, vielmehr werden sie u. a. durch das Urheberrecht beschränkt. Gemäß § 903 BGB kann der Eigentümer grundsätzlich nach Belieben mit der Sache verfahren und andere von jeder Einwirkung auf die Sache ausschließen, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen. Zu diesen Rechten gehört auch das Urheberrecht.51 Ein genereller Vorrang der Eigentümerbefugnisse lässt sich aus § 903 BGB daher nicht ableiten.52 Aber auch die urheberrechtlichen Befugnisse, die sich in verschiedenen Vorschriften des UrhG wiederfinden, sind nicht schrankenlos. So gewährt beispielsweise § 25 I UrhG dem Urheber ein Zugangsrecht nur, soweit dem nicht berechtigte Interessen des Besitzers entgegenstehen. Auch nach § 14 UrhG kann der Urheber Entstellungen seines Werkes nur verbieten, wenn sein Werkintegritätsinteresse gegenüber dem Interesse des Eigentümers an der freien Disposition über sein Eigentum überwiegt.53 Grundsätzlich gilt, dass »das Urheberrecht nur unbeschadet des Eigentumsrechts und das Eigentumsrecht nur unbeschadet des Urheberrechts ausgeübt werden« kann.54 Der Konflikt zwischen Urheber und Sacheigentümer muss daher jeweils im Einzelfall im Wege einer Interessenabwägung aufgelöst werden.
49 Zum Schutz des Urheberrechts nach Art. 14 GG: BVerfGE 31, 229, 238f. = GRUR 1972, 481, 483 – Kirchen und Schulgebrauch; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, Art. 14 Rn 315; Schack, UrhR, Rn 91ff. 50 Neumann-Duesberg, NJW 1971, 1640, 1641; Schack, GRUR 1985, 352, 353. 51 Schon bei RGZ 79, 397, 401f. – Felseneiland mit Sirenen; ebenso Schack, GRUR 1983, 56; Goldmann, GRUR 2005, 639, 642; Fromm/Nordemann/A. Nordemann, Einl. Rn 91. 52 van Waasen, Spannungsfeld, 51. 53 Dazu ausführlich unten Teil 2 A.II.2.c. 54 RGZ 79, 397, 400 – Felseneiland mit Sirenen.
Die Desavouierung eines Werkes im Konflikt zwischen Sacheigentümer und Urheber
B.
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Die Desavouierung eines Werkes im Konflikt zwischen Sacheigentümer und Urheber
Die Desavouierung eines Werkes der bildenden Kunst ist ein Vorgang, bei dem der Konflikt zwischen Urheber und Sacheigentümer besonders deutlich wird. Zunächst sollen der Begriff der Desavouierung eingeführt (unten I.) und die Differenzierung zwischen der Desavouierung zu Lebzeiten und nach dem Tode des Künstlers begründet werden (unten II.), bevor ausführlich auf die außergewöhnliche Interessenkollision rund um die Desavouierung eines Werkes eingegangen wird (unten III.).
I.
Begriffsbestimmung
Der Begriff Desavouierung ist dem Französischen entlehnt; das Verb d8savouer bedeutet etwas abstreiten, verleugnen, widerrufen, nicht als das Seinige anerkennen oder etwas in Abrede stellen.55 Der Begriff ist damit sehr weit und schließt sowohl einen aktiven Vorgang (den Widerruf) als auch einen reaktiven Vorgang (das Abstreiten oder Leugnen) ein. Aufgrund dieser umfassenden Bedeutung eignet sich der Begriff Desavouierung als Sammelbegriff für alle unterschiedlichen Formen des Auflösens der Verbindung des Urhebers zu seinem Werk. Darunter fallen das Abstreiten oder Aberkennen der Urheberschaft und jede Form der Distanzierung vom Werk. Der Begriff umfasst alle möglichen Aktionen und Reaktionen des Künstlers, die der Trennung vom Werk dienen, von der einfachen Weigerung, sich durch Aufnahme des Werkes in den Werkkatalog zu ihm zu bekennen, bis hin zur Forderung, das Werk zu vernichten. Diese Arbeit versteht den Vorgang der Desavouierung als einen von außen wahrnehmbaren Akt. Eine rein innere Entfremdung, die nicht auf irgendeine Art und Weise kommuniziert wird (und sei es durch ein Unterlassen) genügt nicht. Neben der Bedeutungsbreite ist Grund für die Wahl des Begriffs auch eine Bestimmung im US-amerikanischen Recht. 17 USC § 106 A (a) (1) (B) und (a) (2) des Visual Artists Rights Act (VARA) gibt dem Urheber eines Werkes der bildenden Kunst das Recht, die Verwendung seines Namens als Urheber zu verhindern, wenn er das betreffende Werk nicht geschaffen hat oder wenn es entstellt, verschandelt oder anderweitig verändert wurde, sodass es seiner Ehre 55 Siehe Duden Fremdwörterbuch 2007, 318, »desavouieren«; auch Widmer Lüchinger und Bandle sprechen von »desavouierten (Kunst-)Werken«, beide in: Mosimann/Schönenberger, S. 7–13 bzw. S. 107–129.
30
Untersuchungsgegenstand und Kernproblematik
oder seinem Ruf abträglich wäre.56 Macht ein Künstler von diesem Recht aus dem Visual Artists Rights Act Gebrauch, so wird dies von der US-amerikanischen Fachliteratur und den Medien häufig als disavowal oder right to disavow bezeichnet.57 Zwar geht das Verständnis der Desavouierung, welches dieser Arbeit zugrunde liegt, weit über den Inhalt des US-amerikanischen right to disavow hinaus und umfasst nicht nur den Vorgang, dass der Urheber die Verwendung seines Namens verhindern will. Dennoch bietet sich die begriffliche Anleihe beim US-amerikanischen Recht an, weil das die entsprechende Regelungslücke im deutschen Recht verdeutlicht. Der Begriff Desavouierung soll im Folgenden als rechtlicher Oberbegriff eingeführt und in dem eben erläuterten weiten Sinne verwendet werden.
II.
Unterscheidung zwischen Desavouierung zu Lebzeiten und nach dem Tode des Künstlers
In Deutschland gilt eine monistische Auffassung des Urheberrechts.58 Mit dem Tod des Urhebers gehen die untrennbar miteinander verbundenen persönlichkeits- und verwertungsrechtlichen Elemente einheitlich gemäß § 28 UrhG auf den oder die Erben über und erlöschen 70 Jahre später (§ 64 UrhG). Eine Desavouierung kommt daher nicht nur durch den Künstler selbst in Frage, sondern auch durch dessen Erben. Unter Umständen können auch die Angehörigen ein Desavouierungsrecht geltend machen, soweit dies auf das postmortale allgemeine Persönlichkeitsrecht gestützt werden kann.59 Eine Desavouierung zu Lebzeiten durch den Urheber und nach dessen Tode durch seine Rechtsnachfolger oder Angehörigen kann unterschiedlich zu beurteilen sein. Einerseits können sich Abweichungen bei der Rechtsgrundlage 56 17 U.S.C. Sec. §106 A. Rights of certain authors to attribution and integrity (a) Rights of Attribution and Integrity.–Subject to section 107 and independent of the exclusive rights provided in section 106, the author of a work of visual art–(1) shall have the right–(A) to claim authorship of that work, and (B) to prevent the use of his or her name as the author of any work of visual art which he or she did not create; (2) shall have the right to prevent the use of his or her name as the author of the work of visual art in the event of a distortion, mutilation, or other modification of the work which would be prejudicial to his or her honor or reputation (…). 57 So z. B. Zuber, 23 Pac. L. J.1992, 445; Plaster, 66 Duke L.J. 2017, 1113; Hoefer, 25 J. Intell. Prop. L. 2018, 241; Marber, 41 Colum. J.L. & Arts 2018, 319; Grant, Artistic Paternity : When and How Artists Can Disavow Their Work, The Observer, 28. 07. 2016; Kinsella, Cady Noland Disowns $1.4 Million Log Cabin Artwork Sparking Collector Lawsuit, Artnet News, 25. 06. 2016. 58 Siehe oben A.II.2. 59 Siehe unten Teil 3 B.I.2.
Die Desavouierung eines Werkes im Konflikt zwischen Sacheigentümer und Urheber
31
ergeben, je nachdem ob ein Rechtsnachfolger in die Rechtsstellung des Urhebers eintritt und damit ein eigenes Recht im eigenen Namen geltend macht oder ein Angehöriger ein Recht des Verstorbenen für diesen treuhänderisch wahrnimmt. Andererseits kann – auch bei gleicher Rechtsgrundlage – eine Abwägung der gegenläufigen Interessen unterschiedlich ausfallen, je nachdem ob der Urheber selbst oder seine Erben bzw. Angehörigen ein Werk desavouieren wollen. Die Desavouierung durch den Künstler selbst zu Lebzeiten und post mortem durch Dritte ist daher getrennt zu untersuchen (unten Teile 2 und 3).
III.
Interessenkollision
Im Folgenden ist aufzuzeigen, inwiefern die Interessen des Sacheigentümers (unten 1.) mit denen des Urhebers (unten 2.) im Fall einer Desavouierung kollidieren können. 1.
Eigentümerinteresse an der Verbundenheit des Künstlers mit dem Werk
Der Eigentümer eines Werkstücks hat ein großes Interesse daran, dass das Werk mit einem bestimmten Künstler assoziiert und von diesem als von ihm stammend anerkannt wird. Denn die Herkunft von einem prestigeträchtigen Künstler spielt bei der Wertbildung eines Kunstwerkes eine entscheidende Rolle (unten a.). Eine Desavouierung ist dann nicht im Interesse des Eigentümers, wenn sie sich auf die Authentizität (unten b.) des betreffenden Werkes und dessen Wert auswirkt (unten c.). a. Urheberschaft eines bestimmten Künstlers als wertbildender Faktor Die für Kunstwerke erzielten Preise klettern bisweilen ins Unermessliche. Den Rekord hielt seit 2015 Pablo Picassos »Les femmes d’Alger (Version ›O‹)«, das Bild wurde bei Christie’s in New York für umgerechnet 160 Millionen Euro versteigert.60 Im November 2017 stieg der Spitzenpreis dann auf mehr als das Doppelte: Der angeblich von Leonardo da Vinci gemalte »Salvator Mundi« wurde für umgerechnet 384 Millionen Euro ebenfalls bei Christie’s in New York zugeschlagen.61 Aber auch Werke lebender Künstler erzielen teilweise sehr hohe Preise, wie die Versteigerung von David Hockneys (* 1937) »Portrait of an Artist (Pool with Two Figures)« bei Christie’s in New York im November 2018 gezeigt hat. Das Bild brach mit umgerechnet fast 80 Millionen Euro den Rekord für das teuerste Werk 60 Skiba, Die teuersten Kunstwerke der Welt, Deutsche Welle, 16. 11. 2017. 61 Kutscher, Da Vinci-Gemälde sprengt alle Rekorde, Handelsblatt, 16. 11. 2017.
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Untersuchungsgegenstand und Kernproblematik
eines lebenden Künstlers.62 Diese Beispiele sind nur die Spitze des Eisbergs und nicht repräsentativ für den Kunstmarkt als Ganzes. Sie regen aber zu der Frage an, wie die Preisbildung auf dem Kunstmarkt von statten geht. Die Preise auf dem Kunstmarkt bilden sich wie bei jedem anderen Handelsgut nach Maßgabe von Angebot und Nachfrage.63 Im Falle des »Salvator Mundi« wurde die Tatsache, dass dieser da Vinci als sein letztes Gemälde in Privatbesitz gilt, geschickt bei der Vermarktung eingesetzt und trieb den Preis in die Höhe. Angebot und Nachfrage lassen sich zwar objektiv beziffern; warum ein Kunstwerk besonders gefragt ist, lässt sich allerdings nicht eindeutig beantworten. Beckert und Rössel kritisieren, dass eine rein wirtschaftswissenschaftliche Analyse des Kunstmarktes die Rolle von Angebot und Nachfrage zu wenig spezifiziert und außer Acht lässt, dass Käufer – besonders von zeitgenössischer Kunst – vor einer fundamentalen Ungewissheit stehen: Kunstwerke sind überwiegend Einzelstücke, deren objektive Qualität nur schwer zu bestimmen und deren Wertentwicklung als Investitionsobjekt kaum abzuschätzen ist.64 Kostspielige Materialien oder ein knappes Angebot seien nicht vornehmlich ausschlaggebend für den ökonomischen Wert eines Kunstwerkes. Außerdem lasse sich, besonders bei zeitgenössischer Kunst, Qualität kaum noch an äußerlichen oder handwerklichen Kriterien festmachen. Den Autoren zufolge wird diese Ungewissheit durch die Reputation eines Kunstwerkes, die gleichbedeutend mit der Reputation seines Künstlers ist, reduziert.65 Der einem Werk durch die Kunstszene beigemessene Wert orientiert sich damit hauptsächlich an der Bedeutung des Künstlers.66 Das Beispiel »Salvator Mundi« veranschaulicht dies: Der Wert des Gemäldes ist stark gestiegen, seit es 2011 von den maßgeblichen Experten als »echter« da Vinci eingestuft wurde. Andere halten es für lediglich aus dessen Werkstatt stammend.67 Wäre es bei objektiv gleicher Qualität als Werk eines Leonardo-Schülers angeboten worden, wäre ein solch hoher Verkaufspreis niemals erreicht worden. Noch 1958 war das Gemälde, das damals noch nicht dem berühmten Renaissance-Maler zugeordnet war, für nur 45 brit. Pfund versteigert worden.68 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie ein Künstler überhaupt eine entsprechende Reputation erlangt. Wirtschaftssoziologische Analysen kommen 62 Reyburn/Pogrebin, David Hockney Painting Sells for $90 Million, Smashing Record for Living Artist, The New York Times, 15. 11. 2018. 63 Vgl. Beckert/Rössel, KZfSS 2004, 32, 35. 64 Beckert/Rössel, KZfSS 2004, 32, 34. 65 Beckert/Rössel, KZfSS 2004, 32. 66 Siehe auch Driesch, Kunst und ökonomische Theorie, 14; Schack, KUR 2017, 130. 67 Zöllner/Nathan, Da Vinci, 249. 68 Vahland, Große Kunst? Nein, großes Geld, SZ, 16. 11. 2017; Illies, Der teuerste Quadratmeter der Welt, Die Zeit, 22. 11. 2017.
Die Desavouierung eines Werkes im Konflikt zwischen Sacheigentümer und Urheber
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zu dem Schluss, dass der künstlerische Wert eines Kunstwerkes sozial konstruiert und die Reputation dem Künstler durch einen »intersubjektiven Prozess« verliehen wird.69 Die beteiligten Akteure, wie Kunstkäufer und -konsumenten, Galerien, Auktionshäuser oder Kunstkritiker, entscheiden in einem interaktiven und kommunikativen Prozess über die Qualität eines Künstlers und seiner Werke: Reputation und Preis steigen bei den Künstlern, die sprichwörtlich »in aller Munde« sind.70 Diese Erkenntnisse gelten vor allem für zeitgenössische Kunst. Bei alten Meistern kristallisiert sich über die Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte hinweg heraus, welche Künstler und welche ihrer Werke als Meilensteine der Kunstgeschichte gelten und eine steile Wertentwicklung aufweisen. Allerdings ist auch diese kunsthistorische Würdigung letzten Endes das Ergebnis eines subjektiven, kommunikativen Prozesses aller am Kunstmarkt Beteiligten. Festgehalten werden kann jedenfalls, dass bei alter wie bei zeitgenössischer Kunst die Wertschätzung des Künstlers durch die Kunstwelt typischerweise von größerer Bedeutung für den Wert des Kunstwerkes ist als seine äußere Erscheinungsform. Dieses »Gütesiegel«, die Zugehörigkeit eines Werkes zu einem bestimmten Künstler, ist daher als der wertbildende Faktor für den Eigentümer eines Kunstwerkes von höchster Relevanz. b. Authentizität des Kunstwerkes Damit ein Kunstwerk überhaupt durch Zuschreibung zu einem bestimmten Künstler einen bestimmten Wert entwickeln kann, muss seine Authentizität (Echtheit71) gesichert sein. Mit welcher Gewissheit ein Kunstwerk einem bestimmten Künstler zugeschrieben werden kann, ist nicht nur für den materiellen Wert und damit den Handels-, Verkehrs- und Versicherungswert entscheidend; auch der ideelle Wert des Werkes, nämlich seine Bedeutung und Wertschätzung innerhalb der Kunstgeschichte, hängt davon ab.72 Berechtigte Zweifel an der Echtheit eines als authentisch verkauften Werkes machen nicht nur dessen Wert zunichte, sie können den Kunsthändler auch einer Gewährleistungshaftung und den authentifizierenden Kunstexperten Schadensersatzansprüchen wegen fehlerhafter Expertise aussetzen.73 Echtheit ist kein absoluter Begriff, sondern hängt immer von der Kategorie ab, die als Bezugspunkt ausgewählt wird.74 Die Herkunft eines Werkes kann sich 69 Beckert/Rössel, KZfSS 2004, 32, 34. 70 Vgl. Driesch, Kunst und ökonomische Theorie, 14f., 25, 29, 34f. 71 Die Begriffe werden synonym verwendet, s. »Authentizität« im Duden Fremdwörterbuch 2007, 164. 72 Ebling/Schulze/Kirchmaier, S. 283. 73 von Brühl, FS Siehr, 303. 74 von Brühl, FS Siehr, 303, 304.
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aus der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Künstler oder Künstlerkreis, einer bestimmten Epoche oder Kunstlandschaft ergeben.75 Man kann zum Beispiel das Bild »Der Tiger« als Franz Marc, dem Künstlerkreis der Blaue Reiter oder der Epoche des Expressionismus zugehörig bezeichnen. Von größtem Interesse für die Kunstwelt ist freilich die Herkunftskategorie Künstler. Echt ist ein Kunstwerk, wenn die zugewiesene mit der tatsächlichen Herkunft übereinstimmt.76 Ein Bild, das Rembrandt zugewiesen ist, ist also nur echt, wenn es tatsächlich von Rembrandt gemalt wurde. Für die Zuweisung können sowohl werkimmanente, d. h. sich aus der Werkgestalt ergebende,77 als auch äußere Umstände, genauer der Konsens der maßgeblichen Experten,78 entscheidend sein, wobei dieser Konsens meist auf Untersuchungen der Werkgestalt (z. B. der Signatur) beruht.79 Die Feststellung ist problematisch, wenn der Künstler schon lange verstorben ist und die Urheberschaft nicht mehr sicher rekonstruiert werden kann. Dann ergibt sich die Echtheit eines Werkes praktisch allein aus der Zuweisung durch die maßgeblichen Experten. Das regt zu der zynischen Frage an, wie vieler anerkannter Experten es bedarf, um ein Kunstwerk für echt erklären zu können. Die Tatsache, dass – vor allem bei alten Meistern – Echtheit gleichbedeutend mit mehrheitlicher Expertenzuweisung ist, bringt das Konzept der Authentizität als solches ins Wanken. Diese Herangehensweise ist aber unumgänglich, will man nicht sämtliche Werke, deren Herkunft nicht genau zurückverfolgt werden kann, als unecht bezeichnen. Hinzukommt, dass die tatsächliche Herkunft ebenfalls von Experten erforscht oder bestätigt wird und somit von der zugewiesenen Herkunft eigentlich nicht abgegrenzt werden kann. Im Ergebnis ist die tatsächliche daher meist gleichbedeutend mit der mehrheitlich zugewiesenen Herkunft. Echtheit ist letzten Endes genauso wie die Bedeutung eines Künstlers ein durch die Kommunikation der am Kunstmarkt Beteiligten beeinflusstes soziales Konstrukt. c. Auswirkung einer Desavouierung auf Authentizität und Wert des Kunstwerkes Echtheit ergibt sich also aus der (richtigen) Zuweisung eines Werkes. Wenn bestimmte Experten faktisch eine Zuweisungsmacht beanspruchen, gilt dies erst recht für den Künstler, der das Werk selbst geschaffen hat. Wegen dieser unanfechtbaren Expertise des lebenden Künstlers ist die Echtheit zeitgenössischer 75 76 77 78 79
Vgl. Schack, KuR, Rn 39. von Brühl, FS Siehr, 303, 304. Gerlach, Kunstexpertise, 17. Schack, KuR, Rn 39. Für eine Kombination der verschiedenen Definitionsansätze: von Brühl, FS Siehr, 303.
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Kunst, anders als bei alten Meistern, selten in der Diskussion.80 Denn wenn ein Werk von vermeintlichen Experten einem noch lebenden Künstler fälschlicherweise zugeschrieben wird, kann er das schnell korrigieren und dem Werk die Authentizität absprechen. Denkbar ist aber auch, dass ein Künstler ein Werk desavouiert, indem er dessen Zuweisung zu seiner Person widerspricht, obwohl er es tatsächlich einmal geschaffen hat. Die Gründe dafür können vielfältig sein.81 Der Künstler, der das eigene Werk zurückweist, begreift dieses möglicherweise – entgegen der Ansicht der Experten – aus bestimmten Gründen als unecht. Es kommt somit darauf an, wessen Zuweisungsmacht man für maßgeblich hält, wem man gewissermaßen das Authentifizierungsmonopol zuschreibt, dem Künstler oder dem Experten. Der Begriff der Echtheit ist daher ein relativer. Wenn dem Kunstwerk nach einer Desavouierung durch seinen Urheber die Authentizität nicht abgesprochen wird, bedeutet das einen Widerspruch zur Einstellung des Schöpfers zu seinem Werk, ein Übergehen seiner Zuweisungsmacht. Das führt zu der essentiellen Frage, was das geistige Band zwischen Werk und Urheber noch wert ist, wenn der Urheber es selbst durchtrennt hat. Gerade weil die Person des Künstlers auf dem Kunstmarkt für den Wert des Kunstwerkes maßgeblich ist und es dem Erwerber entscheidend auf die Assoziation des Werkes mit dem Künstler ankommt, kann eine Zurückweisung durch ihn (auch wenn sie das Werk nicht zu einer eigentlichen Fälschung macht) gravierende Auswirkungen auf den Wert haben. Nach dem Tod des Urhebers kann die Zurückweisung des eigenen Werkes natürlich in Vergessenheit geraten. Eine Authentifizierung durch die maßgeblichen Experten könnte dann den Wert des Werkes wiederherstellen. Zu seinen Lebzeiten aber wird die Authentifizierung eines Werkes durch den Künstler von Auktionshäusern regelmäßig vorausgesetzt. Streitet er die Urheberschaft am Werk ab, dann sagt der Veranstalter in der Regel die Auktion ab, selbst wenn die Leugnung der Urheberschaft wahrheitswidrig ist. Auf diese Weise reagierte z. B. das Auktionshaus Sotheby’s auf die Desavouierung durch die Künstlerin Cady Noland (* 1956). Deren Werk »Cowboys Milking« sollte 2011 versteigert werden. Sotheby’s sagte die Versteigerung kurzfristig ab, nachdem es die Künstlerin zwecks Authentifizierung konsultiert hatte und diese dem Werk – obwohl es tatsächlich von ihrer Hand stammte – die Urheberschaft abgesprochen hatte.82
80 Heinbuch, NJW 1984, 15, 16. 81 Siehe unten Teil 1 B.III.2.a. 82 Schilderung des Sachverhalts bei: Bandle, in: Mosimann/Schönenberger, 107, 119; Buskirk, Marc Jancou, Cady Noland, and the Case of the Authorless Artwork, Hyperallergic, 09. 12. 2013.
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Die Gründe für eine vom Künstler bestätigte Authentizität als Verkaufsvoraussetzung können vielfältig sein: Im Vordergrund steht die Furcht vor einer möglichen Sachmängelhaftung gegenüber dem Käufer. Im deutschen Recht stellt es einen Sachmangel iSv § 434 I 1 BGB dar, wenn die Ist- von der vereinbarten Soll-Beschaffenheit abweicht, das erworbene Kunstwerk also nicht von dem versprochenen Künstler stammt. Bei einem desavouierten Werk müsste der Kunsthändler mindestens die Zuschreibung so anpassen, dass der Künstlerwille darin klar festgehalten wird.83 In der Praxis lassen es die Auktionshäuser und die Verkäufer lieber nicht darauf ankommen. Daneben ist sicher auch die Angst vor der Reaktion des Künstlers auf den Verkauf eines desavouierten Werkes unter seinem Namen der Grund für die Vorsicht der Verkäufer und Kunstagenten. Der Abbruch ihrer geschäftlichen Beziehungen zu dem betreffenden Künstler könnte die Folge sein. Die Authentizität eines Kunstwerkes muss daher vor dem Verkauf gesichert sein, nur dann kann von der wertbildenden Herkunft eines Bildes profitiert werden. Der Urheber hat dabei das letzte Wort und kann durch seine Zurückweisung dafür sorgen, dass ein Werk – zumindest was den lukrativen Verkaufskanal der Kunstauktion angeht – praktisch unverkäuflich ist. Ob und unter welchen Umständen ein Künstler ein Werk desavouieren kann, ist für den Eigentümer deshalb von größter Relevanz: Hiervon hängt die Authentizität und damit der Wert des Werkes ab. Der Sacheigentümer hat daher ein großes Interesse daran, die Desavouierungsmöglichkeiten des Künstlers so weit wie möglich zu beschränken. d. Zwischenergebnis Die Künstlerzugehörigkeit bestimmt maßgeblich den Wert eines Kunstwerkes. Voraussetzung dafür ist, dass die Authentizität des Werkes zweifelsfrei feststeht. Sie hängt vom Urteil der maßgeblichen Experten ab und somit auch davon, wem man die Zuweisungsmacht zuschreibt. Dies ist im Fall eines noch lebenden Künstlers dieser selbst. Desavouiert der Künstler ein Werk, so hat dies – selbst wenn das Werk nach Meinung von Kunstexperten authentisch ist – gravierende Auswirkungen auf den Wert des Werkes bzw. dessen Vermarktbarkeit. Nicht nur haftet ihm der Makel der Zurückweisung an, auch setzen die großen Auktionshäuser die Authentifizierung durch den Künstler für den Verkauf meist voraus. Insofern hat der Sacheigentümer ein großes Interesse daran, dass ein Werk nicht desavouiert wird.
83 Bandle, in: Mosimann/Schönenberger, 107, 119.
Die Desavouierung eines Werkes im Konflikt zwischen Sacheigentümer und Urheber
2.
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Urheberinteresse
Der Urheber kann dagegen ein berechtigtes Interesse daran haben, ein Werk desavouieren zu können. Ziel einer Desavouierung ist es grundsätzlich, in der Öffentlichkeit nicht länger mit dem Werk assoziiert zu werden und das Kappen der geistigen Verbindung zum Werk auch nach außen zu kommunizieren. Die Motive hierfür sollen im Folgenden erläutert werden (unten a.). Für die Relevanz des Desavouierungsrechts des Urhebers ist außerdem entscheidend, welche Rückrufsmöglichkeiten das geltende Urheberrecht nach Veräußerung des Werkstücks bietet (unten b.). a. Denkbare Motive für die Desavouierung eines Werkes Im Folgenden werden die Motive für eine Desavouierung im Einzelnen vorgestellt. Dabei wird zum Großteil auf reale und nur teilweise auf fiktive Sachverhalte zurückgegriffen. Eine rechtliche Bewertung und Einordnung der verschiedenen Szenarien erfolgt nicht an dieser Stelle, sondern erst im Zusammenhang mit den möglichen Desavouierungsmitteln (unten in Teil 2). aa. Beeinträchtigung des Werkes Der Wunsch, sein eigenes Werk zu verstoßen, kann unter anderem dann entstehen, wenn dem Künstler der aktuelle Zustand seines Werkes missfällt und er es dadurch insgesamt als beeinträchtigt empfindet. Ein bekanntes Beispiel aus den USA ist der bereits angesprochene Fall der Künstlerin Cady Noland. Ihr Werk »Cowboys Milking« wollte der Genfer Kunsthändler und Sammler Marc Jancou 2011 über das Auktionshaus Sotheby’s in New York versteigern. Das Auktionshaus konsultierte vor der Versteigerung die Künstlerin und bat sie um Bestätigung der Authentizität. Die Künstlerin besah das Werk und stellte eine Beschädigung fest, da alle vier Ecken des Bildes durch die Aufhängung kleine Kratzer und leichte Verbiegungen aufwiesen. Infolgedessen sprach sie dem Werk die Urheberschaft ab und die Auktion wurde abgesagt.84 Die Reaktion der Künstlerin, die als schwierig im Umgang gilt, mag mit Blick auf die Geringfügigkeit der Beeinträchtigung übertrieben erscheinen. Je nachdem wie stark beeinträchtigt ein Werk ist,85 kann eine Desavouierung durch den Künstler aber durchaus nachvollziehbar sein. Weicht das Werk in seiner veränderten Gestalt stark vom Ursprungszustand ab, so kann der Künstler es als 84 Buskirk, Marc Jancou, Cady Noland, and the Case of the Authorless Artwork, Hyperallergic, 09. 12. 2013. 85 Zu den verschiedenen Formen der Beeinträchtigung und ihrer rechtlichen Würdigung s. unten Teil 2 A.II.
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entstellt oder völlig verfremdet empfinden und in dieser Form nicht mehr als sein Werk ansehen. Eine Beeinträchtigung kann der Künstler auch in einer nicht seinen Vorstellungen entsprechenden Ausstellung sehen und darauf mit einer Desavouierung der ausgestellten Werke reagieren. Viel Streit gab es zwischen Carl Andre (* 1935) und dem Whitney Museum of American Art. Das Museum stellte das Werk »12th Copper Corner«, bestehend aus auf dem Boden liegenden Kupferplatten, in einer anderen als der vom Künstler gewünschten Ecke des Museums aus. Kurz vor Ausstellungseröffnung bemerkte Andre, dass sein Werk nicht nur nicht in seiner Wunschecke lag, sondern zu allem Übel auch noch unter ein grün leuchtendes Notausgangsschild gelegt worden war. Sein Missfallen war so groß, dass Andre das Werk augenblicklich von der Ausstellung abzog und noch ein anderes, im Eigentum des Museums stehendes Werk desavouierte.86 bb. Unvollendetheit des Werkes aus der Sicht des Künstlers Kunstwerke bleiben aus vielerlei Gründen unvollendet. Teilweise werden Werke bewusst unvollendet gelassen, weil die Unfertigkeit neue Interpretationsspielräume eröffnet. Alte Meister wie Titian und Rembrandt, C8zanne, aber auch zeitgenössische Künstler wie Jackson Pollock und Robert Rauschenberg bedienten sich dieses Stilmittels und verliehen den Narrativen ihrer Werke bewusst ein offenes Ende, um die Fantasie des Betrachters anzuregen. Manchmal kommt es jedoch aus Zufall nicht zur Vollendung, so wie im Fall des Porträts von Präsident Roosevelt, dessen Tod die Porträtistin Elizabeth Shoumatoff an der Vollendung hinderte.87 Manche künstlerischen Arbeiten werden immer wieder zur Seite gelegt, sei es, weil der Künstler ihres Themas überdrüssig ist, weil ihm die nötige Inspiration fehlt oder weil er es als missglückt und eine Fertigstellung als derzeit unmöglich empfindet. Außer wenn die Nichtvollendung als Stilmittel fungiert, wird der Künstler strikt dagegen sein, dass sein unfertiges Werk in Umlauf gerät. Dann wird er das Werk entweder nicht veräußern oder es sogar zerstören. Diese Möglichkeit hat der Künstler nicht, wenn das Werk eine Auftragsarbeit ist, an der schon fremdes Eigentum besteht. Der Schweizer Künstler Christoph Büchel (* 1966) zum Beispiel sollte im Massachusetts Museum of Contemporary Art (Mass MoCA) eine gigantische Installation mit dem Titel »Training Ground for Democracy« anfertigen, deren Realisierung an einem Streit über die explo86 Zu diesem Fall s. unten S. 129 und die Schilderung von Merryman/Elsen/Urice, Law, Ethics and the Visual Arts, 452. 87 Shoumatoff, FDR’s unfinished portrait: a memoir, 71.
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dierenden Kosten scheiterte.88 Büchel brach die Arbeiten an der Installation ab, diese verblieb im Mass MoCA. Das Museum wollte das unfertige Werk später in einer Ausstellung zeigen, wogegen Büchel sich zur Wehr setzte. Er sah es insbesondere als Verletzung seiner Urheberrechte an, dass dieses Werk unautorisiert als von ihm stammend präsentiert werden sollte. Letztlich entsprach das Museum, obwohl es in erster Instanz obsiegt hatte,89 dem Desavouierungsbegehren Büchels und demontierte die Installation.90 cc. Geringschätzung des eigenen Werkes durch den Künstler Der künstlerische Stil kann sich im Laufe eines Künstlerlebens mehrfach ändern. Durch gesammelte Erfahrungen und Experimentieren kann sich die künstlerische Technik ändern. Vor allem durchläuft jeder Künstler einen Entwicklungsprozess, der Auswirkungen auf seine Persönlichkeit, den künstlerischen Ausdruck und das ästhetische Empfinden hat. Hinzu kommt ein nicht zu vernachlässigender Einfluss von außen: Der Künstler wird durch verschiedene kreative Strömungen, Moden und auch die Bedürfnisse des Marktes in seinem Tun beeinflusst. So kann es sein, dass am Anfang und am Ende des künstlerischen Schaffens Werke stehen, die man auf den ersten Blick nicht demselben Künstler zuschreiben würde. Das Frühwerk eines Künstlers kann ein wichtiges Zeugnis der beschriebenen künstlerischen Entwicklung sein. Es kommt aber auch vor, dass sich ein Künstler seines Frühwerkes wegen schämt oder sich schlichtweg nicht mehr mit ihm identifizieren kann und sich deshalb von ihm distanzieren, es also desavouieren möchte. Gerhard Richter (* 1932) zum Beispiel desavouierte ein Frühwerk, welches das Hüttenwerk Rheinhausen zeigt und das Richter 1962 als Auftragsarbeit angefertigt hatte: Das Bild sei noch Teil der künstlerischen Orientierungssuche gewesen, lautete seine Begründung.91 dd. Verkauf gegen den Willen des Künstlers Eine Desavouierung geschieht oft im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Veräußerung, die dem Künstler missfällt. Wie bereits gesehen92, ist die gesicherte Authentizität eines Werkes nicht nur dafür Voraussetzung, dass das Werk seinem Wert angemessen verkauft werden kann, sondern auch dafür, dass es 88 Schilderung des Sachverhalts bei: Bandle, in: Mosimann/Schönenberger, 107, 109f. 89 Vgl. Massachusetts Museum of Contemporary Art Foundation Inc. v. Büchel, 593 F.3d 38 (1st Cir. 2010). 90 Rosenbaum, Massachusetts Museum of Contemporary Art Foundation v. Büchel: First Circuit Holds That Artists Have Moral Rights In Unfinished Works, Harvard Journal of Law and Technology Digest, 02. 02. 2010. 91 Goldmann/Kuhn, Gerhard Richter. Das verstoßene Bild, Der Tagesspiegel, 01. 12. 2012. 92 S. oben B.III.1.c.
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überhaupt auf einer Auktion verkauft werden kann. Die großen Auktionshäuser verlangen eine offizielle Anerkennung der Authentizität durch den Künstler selbst und nach dessen Tod durch die seinen Nachlass verwaltende Instanz. Diese Gegebenheit können Künstler, Erben und Nachlassverwalter nutzen, um missliebige Kunstverkäufe durch eine Desavouierung zu verhindern. Der Grund, weshalb ein Künstler gegen den Verkauf eines Werkes sein kann, liegt meist darin, dass es schlichtweg nicht zum Verkauf durch einen Dritten vorgesehen war, vor allem wenn der Künstler dem potentiellen Verkäufer das Eigentum an dem Kunstwerk und damit die Verfügungsberechtigung abspricht. Im Fall von Damien Hirsts (* 1965) »Bombay Mix« sieht Science Ltd., die sein Werk unter seiner Aufsicht verwaltet, das Werkstück als ihr Eigentum an und möchte alleine darüber verfügen. »Bombay Mix« ist eines der ersten hoch geschätzten und viel verkauften »Spot paintings« des Künstlers, es wurde 1988 direkt auf die Tapete im Kinderzimmer des Sohnes eines Londoner Kunstsammlerpaares gemalt. Zum Tapetenwerk gehört ein handgeschriebenes Eigentums- und Authentizitätszertifikat. Das Haus, in dem die Tapete hing, wurde 2005 verkauft. Der Sohn tauschte vor Verkauf des Hauses das Zertifikat bei der Science Ltd. gegen ein »Spot painting« auf Leinwand aus, beließ die Tapete aber im Haus. Die neuen Hauseigentümer ließen die Tapete 2007 von Spezialisten abnehmen und auf einer Aluminiumplatte anbringen. Dann versuchten sie, das Werk zu verkaufen, wobei sie auf den Widerstand der Science Ltd. stießen. Diese verbot den Verkauf des Werkes als echter Hirst und forderte die Zerstörung des Werkes mit dem Argument, die Tapete sei durch Rückerwerb des Zertifikats wieder in ihr Eigentum gelangt und hätte zerstört werden müssen. Mangels einer gerichtlichen Auseinandersetzung ist nicht bekannt, wer sich letztendlich durchsetzen konnte. Zwar liegt hier der Streitpunkt in einer Eigentumsfrage, die nicht Inhalt dieser Arbeit sein soll. Der Fall zeigt aber anschaulich, dass Künstler oder die ihr Werk verwaltenden Unternehmen oder Stiftungen die Macht haben, einen Verkauf ihrer Kunst durch eine Desavouierung zu verhindern: Durch die Zurückhaltung des Eigentums- und Authentizitätszertifikats und die Forderung nach Zerstörung des Werkes ist »Bombay Mix« nun in den Worten seines ehemaligen Eigentümers »ein wertloser Haufen verschiedenfarbiger Punkte«.93 Neben solchen Eigentumsfragen existiert häufig noch ein ideeller Grund für die Ablehnung eines Verkaufs: Der Künstler hat das Werk nicht als Handelsgut, sondern zu anderen Zwecken geschaffen. Klassisches Beispiel ist die sogenannte Streetart. Diese wird vom Künstler im öffentlichen Raum geschaffen, um dort eine Zeit lang zu verbleiben und nicht kommerzialisiert zu werden. Oft enthält 93 Bryant/Mendick, Spot of bother over Damien Hirst wall art painting, The Telegraph, 12. 07. 2014.
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Streetart politische Botschaften, wie etwa bei den zahlreichen Werken an der Berliner Mauer oder der israelischen Grenzmauer in Bethlehem. Andere Werke sollen ein Geschenk an die Öffentlichkeit oder ein Mittel sein, um mit ihr zu kommunizieren. Ein Entfernen dieser Kunst aus dem öffentlichen Raum, um sie wirtschaftlich nutzbar zu machen, widerspricht solchen Absichten diametral. Auffällig oft aus dem Straßenbild entfernt werden die Bilder des bedeutendsten Streetart-Künstlers Banksy. Der pseudonym agierende und bislang nicht enttarnte Graffitikünstler ist strikt dagegen, dass seine Kunst von ihrem ursprünglichen Standort entfernt und somit aus ihrem Kontext gerissen wird. Aus diesem Grund hat Banksy ein großes Interesse an der Desavouierung solcher zweckentfremdeter Werke durch das für sein Werk autorisierte Büro Pest Control, das grundsätzlich keine Straßenkunst authentifiziert. Das erschwert den Verkauf für die Kunsthändler, welche die Graffiti meist unter dem Vorwand abtragen, sie vor Zerstörung oder Veränderung schützen und für die Nachwelt erhalten zu wollen. Die Weigerung, ein Authentizitätszertifikat auszustellen, erschwert den Verkauf zum einen, weil gerade im Fall von Banksy viele Fälschungen seiner leicht nachzuahmenden Schablonenbilder kursieren und der Verdacht schnell auf nicht authentifizierte Werke fällt. Zum anderen belegt die Zurückweisung das Werk mit dem Stigma der Missbilligung durch den Künstler. Einen Verkauf, gegen den sich der Künstler vehement wehrt, wollen Auktionshäuser und Sammler, die einen guten Ruf zu verlieren haben, nicht unterstützen. Somit fungiert im Fall Banksy das Authentizitätszertifikat auch als eine Art Einverständniserklärung hinsichtlich des Verkaufs eines Werkes. ee.
Problematisches Verhältnis zwischen Künstler und Eigentümer des Originalwerkstücks Ein Desavouierungswunsch muss nicht unbedingt etwas mit dem Werk als solchem zu tun haben. Es kann auch sein, dass der Künstler nicht die Verbindung zu seinem Werk, sondern zum Eigentümer des Werkstücks kappen möchte. Beim Künstler und Kunstkäufer treffen oft Welten aufeinander : Kreativität und Großkapital. Der Kunstkäufer begehrt etwas, das nur der Künstler kreieren kann, der Künstler wiederum ist auf den Verkauf seiner Kunst als Einnahmequelle angewiesen. Somit versuchen Künstler häufig einen Spagat zwischen ihrer künstlerischen Freiheit und den Bedürfnissen des Marktes. Sie wollen sich selbst treu bleiben und gleichzeitig eine marktfähige Ware produzieren. Der Künstler könnte sich aus einer persönlichen Abneigung heraus oder als politisches Statement vom Eigentümer distanzieren wollen. Ein Beispiel ist der Fall Richard Prince (* 1949). Der Künstler hatte 2014 ein auf einem InstagramFoto von Ivanka Trump basierendes Porträt geschaffen, das sie beim Haar- und Make-up-Styling zeigt. Er verkaufte das Bild über einen Vermittler letztlich an
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Ivanka Trump selbst. Als Donald Trump Anfang 2017 Präsident der USA wurde, zahlte Prince den erhaltenen Kaufpreis an Ivanka Trump zurück und desavouierte das Bild, indem er ein Foto eben jenes Portraits auf seinen Twitteraccount lud und schrieb: »This is not my work. I did not make it. I deny. I denounce. This is fake art.«94 In dieser Desavouierung imitiert Prince den Tonfall von Donald Trump und spielt mit dem Begriff fake art auf Trumps Denunzierung USamerikanischer Medienberichte als fake news an. Prince erklärte, dass er es mit der Aberkennung seiner Urheberschaft ernst meine und das Bild aus politischem Protest zur Fälschung erklärt habe. Warum aber kümmert es einen Künstler überhaupt, in wessen Händen sich sein Werk befindet, und inwiefern ist die Desavouierung ein probates Mittel, um sich vom Eigentümer des Werkstücks zu distanzieren? Dafür muss man sich erneut vor Augen führen, dass jedes Werk eine persönliche geistige Schöpfung und somit Ausdruck der Künstlerpersönlichkeit, seiner Erfahrungen, Emotionen und Erinnerungen ist. Insofern kann es für den Künstler unerträglich sein, diesen Teil seiner selbst bei einer Person zu wissen, mit der er durch nichts verbunden sein möchte. Zwar kann der Urheber das Werkstück als körperlichen Gegenstand nicht mehr zurückholen;95 über die Desavouierung kann er es aber von sich stoßen und damit auch die Verbindung zum Eigentümer des Werkstücks lösen. Theoretisch kann der Künstler das Werk auch desavouieren, um dem Eigentümer durch den eintretenden Wertverlust gezielt Schaden zuzufügen. Balthus etwa soll die Urheberschaft an dem Bild »Colette en Profil« bestritten haben, um sich an seiner früheren Gefährtin Fr8d8rique Tison zu rächen, die das Bild an die Galerie Gertrud Stein verkauft hatte.96 ff. Wirtschaftliches Interesse des Künstlers an der Limitierung der Werkstückzahl Neben den zuvor erörterten können auch wirtschaftliche Gründe den Urheber zu einer Desavouierung bewegen. So kommt es vor, dass zu viele Stücke desselben Künstlers auf dem Markt kursieren und diese Übersättigung zu einem Preisverfall führt. Kunst lebt von ihrer Einzigartigkeit.97 Diese »Aura« des Kunstwerkes verkümmert durch eine massenhafte Produktion und Reproduktion mehr und mehr.98 Dazu tragen nicht nur Vervielfältigungen bei, sondern auch Originale, die der Urheber in leicht abgewandelter Form immer wieder neu schafft (Reprise), z. B. weil ein bestimmtes Motiv sehr stark nachgefragt ist.99 94 Kennedy, Richard Prince, Protesting Trump, Returns Art Payment, The New York Times, 12. 01. 2017. 95 Dazu eingehend unten Teil 1 B.III.2.b.bb. 96 Widmer Lüchinger, in: Mosimann/Schönenberger, 10. 97 Schack, KuR, Rn 21. 98 Benjamin, Reproduzierbarkeit, 14. 99 Vgl. Schack, KuR, Rn 349.
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Die »Spot paintings« zum Beispiel verkaufen sich so gut, dass Damien Hirst sie in großer Zahl von seinen Assistenten fertigen ließ. Die genaue Anzahl war lange Zeit ungewiss. Um den Bildern ein Stück ihrer eingebüßten Einzigartigkeit zurückzugeben, gab Hirst schließlich einen catalogue raisonn8 heraus, der eine Gesamtzahl von fast 1400 Bildern festlegte. Diese Limitierung sollte die hohen Preise stabilisieren und potentielle Käufer beruhigen, die weit mehr Bilder im Umlauf vermuteten.100 Werke, die in einem solchen Werkverzeichnis nicht enthalten sind, werden automatisch desavouiert. Oft sind das gefälschte Werke, die nichts im Werkkatalog verloren haben. Möglich ist aber auch, dass der Künstler bei einer Massenproduktion durch seine Assistenten den Überblick verliert und nicht alle Bilder protokolliert werden. Egal, ob die offizielle Limitierung der Werkstückzahl nun der Wirklichkeit entspricht oder nicht: Sie hat in der Regel eine preisstabilisierende oder -steigernde Wirkung. gg. Falsche Zuschreibung des Werkes Der häufigste Grund für die Zurückweisung eines Werkes besteht jedoch darin, dass der Künstler dieses Werk tatsächlich nicht geschaffen hat, es ihm also fälschlicherweise zugeschrieben wird. Diese Konstellation stellt insofern einen Sonderfall dar, als es dem Künstler nicht darum geht, eine existierende Verbindung zu einem von ihm geschaffenen Werk zu kappen; er möchte vielmehr seine Nichturheberschaft klarstellen und durchsetzen. Nach dem Begriffsverständnis dieser Arbeit101 handelt es sich auch hierbei um eine Desavouierung, wenn auch um die eines fremden Werkes. Die Desavouierung eigener zusammen mit der fremder Werke zu untersuchen ist deshalb angezeigt, weil die Grenze zwischen eigenen und fremden Werken fließend sein kann: Im Zusammenhang mit extremen Entstellungen eines Werkes kann auch von einer Falschzuschreibung gesprochen werden, da das Werk in dieser Form nicht mehr als von dem Künstler stammend bezeichnet werden kann. Eine fälschliche Zuschreibung fremder Kunstwerke kann unterschiedliche Ursachen haben: Zum einen – und das gilt fast ausschließlich für alte Meister – können Informationslücken rund um ein Werk bestehen, sodass Kunsthistoriker über die Urheberschaft eines Werkes nur mutmaßen können. Wenn das betreffende Werk in keinem Verzeichnis aufgeführt, die Provenienz unvollständig ist und auch keine Signatur vorliegt, wird das Werk anhand stilistischer Merkmale und chemischer Untersuchungen einer bestimmten Epoche und bestenfalls einem bestimmten Künstler zugeordnet. Hierbei können den Experten natürlich Fehler unterlaufen. Ein Bespiel hierfür ist Rembrandts be100 Bowley, Hirst counts the dots, or at least the paintings, The New York Times, 11. 06. 2013. 101 S. oben B.I.
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Untersuchungsgegenstand und Kernproblematik
rühmter »Mann mit dem Goldhelm«. Das Bild aus der Berliner Gemäldegalerie soll nach dem Ergebnis einer ausführlichen Untersuchung nicht vom Künstler selbst, sondern nur aus dessen Umkreis stammen.102 Eine solche Falschzuschreibung aufgrund von Informationslücken kommt bei lebenden Künstlern freilich nur selten vor, da diese um eine Authentifizierung gebeten werden können. Zum anderen kann auch eine gezielte Fälschung die Ursache für eine Falschzuschreibung sein, deren Entlarvung durch die eben beschriebenen Informationslücken erschwert wird. Der Unterschied zum vorherigen Beispiel besteht darin, dass das Kunstwerk in Täuschungsabsicht angefertigt wird,103 es sich also um eine gezielte Irreführung handelt, die als Betrug strafbar ist. Die große Nachfrage nach Werken bestimmter Künstler, der oft nur ein begrenztes Angebot gegenübersteht, beflügelt das Kunstfälschertum und erhöht damit die Anzahl von Falschzuschreibungen. Kunstfälschungen entstehen durch Nachbildung eines bereits existierenden Werkes oder durch Neuschöpfung eines neuen Werkes in Stil und Technik eines fremden (berühmten) Künstlers (Stilimitation).104 Allein das Nachahmen eines ästhetischen Vorbilds (beispielsweise zu Übungszwecken im Kunstunterricht) reicht nicht aus, erst die Täuschungsabsicht und das wahrheitswidrige Behaupten einer bestimmten Urheberschaft machen ein Werk zur Fälschung.105 Häufig wird zu diesem Zweck auch die Signatur des betreffenden Künstlers nachgeahmt.106 Opfer von Fälschungen sind überwiegend bereits verstorbene Künstler, da das Angebot todesbedingt begrenzt ist. Außerdem ist hier der Fälschungsbeweis sehr viel schwerer zu erbringen, wohingegen zeitgenössische Künstler die Fälschungen ihrer Werke einfach aufdecken können.107 Dies gilt allerdings nicht für den Maler Giorgio de Chirico, der neben Amedeo Modigliani zu den meist gefälschten Künstlern des 20. Jahrhunderts gehört. De Chirico soll Fälschern seinerzeit in die Hände gespielt haben, weil er Fälschungen seiner Werke (wissentlich oder unwissentlich) nicht als solche erkannte.108 Falschzuschreibungen jeglicher Art haben negative Folgen für Verkäufer und Käufer dieser Werke, für den Verkäufer, weil die fehlende Echtheit eine Sach102 Siehe die ausführliche Dokumentation in Kelch, Der Mann mit dem Goldhelm; Schack, KuR, Rn 47. 103 Würtenberger, Das Kunstfälschertum, 35; Löffler, NJW 1993, 1421, 1422. 104 Vgl. Jacobs, GRUR 2013, 8, 9. 105 Vgl. Schack, KuR, Rn 43. 106 Löffler, NJW 1993, 1421, 1422. 107 Heinbuch, NJW 1984, 15, 16. 108 Baumann/Hartmann/Plath, Fake News: Original + Kopie + Fälschung + …, Begleitende Broschüre zur gleichnahmigen Ausstellung des Sprengel Museum Hannover 2018, S. 11.
Die Desavouierung eines Werkes im Konflikt zwischen Sacheigentümer und Urheber
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mängelhaftung auslösen kann.109 Der Käufer wiederum ist der Leidtragende, wenn er den Verkäufer nicht in Regress nehmen kann, etwa weil dieser eine haftungsvermeidende Formulierung wie »Künstler X zugeschrieben« verwendet hat.110 Aber auch den Künstlern, die Opfer von Falschzuschreibungen werden, erwachsen daraus gewichtige Nachteile. So können Falschzuschreibungen in ideeller Hinsicht das Ansehen des Künstlers und seine künstlerische Wertschätzung beeinträchtigen.111 Doch haben sie auch wirtschaftliche Konsequenzen. Das Bekanntwerden von in Umlauf geratenen Fälschungen schürt ein generelles Misstrauen gegen Arbeiten des Künstlers. Diese Unsicherheit und ein durch Fälschungen aufgeblähtes Angebot haben negative Auswirkungen auf den Marktwert des Künstlers. Sind – wie im Fall von Salvador Dal& – unzählige Fälschungen im Umlauf, so kann dies schlimmstenfalls zu einem Zusammenbruch des Marktes für echte Kunstwerke des Künstlers führen.112 Somit hat der Künstler in der Regel allen Grund dazu, Falschzuschreibungen aufzudecken und das entsprechende Werk zu desavouieren. Gleiches gilt nach dem Tod des Künstlers für die seinen Nachlass verwaltenden natürlichen oder juristischen Personen. b. Möglichkeiten des Rückrufs nach Veräußerung des Werkstücks Wie stark das Interesse des Urhebers an einer Desavouierung ist, hängt davon ab, welche Rückrufsmöglichkeiten das Urheberrecht ihm nach einer Veräußerung des Werkstücks bietet. Ein Rückruf des Werkes könnte in vielen Fällen eine attraktive Alternative zur Loslösung vom Werk sein und ist dazu in seinen Voraussetzungen und Rechtsfolgen ausführlich gesetzlich geregelt. Das deutsche Urheberrecht kennt im Wesentlichen zwei113 Arten von Rückrufsrechten: das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung (§ 41 UrhG) und das wegen gewandelter Überzeugung (§ 42 UrhG). Letzteres scheint für die Rückholung beispielsweise eines Frühwerkes, das der Überzeugung des Künstlers nicht länger entspricht, in Frage zu kommen.
109 110 111 112 113
von Brühl, FS Siehr, 303. von Brühl, FS Siehr, 303, 311. BGHZ 107, 384, 391 = JZ 1990, 37, 39 mit Anm. Schack – Emil Nolde. Schack, KUR 2017, 130, 133f. Daneben räumt auch § 34 III 2 und 3 UrhG dem Urheber unter bestimmten Voraussetzungen ein Rückrufsrecht ein, wenn ein Nutzungsrecht aufgrund einer Unternehmens(teil)veräußerung übertragen wurde oder sich die Beteiligungsverhältnisse an dem Unternehmen des Nutzungsrechtsinhabers geändert haben.
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Untersuchungsgegenstand und Kernproblematik
aa. Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung § 42 UrhG Gemäß § 42 UrhG kann der Urheber Nutzungsrechte gegenüber deren Inhaber unter Umständen wegen gewandelter Überzeugung zurückrufen. Das eröffnet dem Urheber die Möglichkeit, das Werk aus dem Verkehr zu ziehen, sodass es nicht mehr als von ihm stammend wahrgenommen werden kann. Das Rückrufsrecht kann der Urheber durch eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung ausüben und damit eine Rechtsänderung herbeiführen (Gestaltungsrecht).114 Ist der Rückruf wirksam, so fällt das betreffende Nutzungsrecht ex nunc weg.115 Dazu müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein: Das Werk darf nicht mehr der Überzeugung des Künstlers entsprechen und eine weitere Verwertung kann ihm nicht zugemutet werden (§ 42 I 1 UrhG). Absatz 3 sieht einen Interessenausgleich vor, der rückrufende Urheber muss den Inhaber des Nutzungsrechts angemessen entschädigen. Wie bereits festgestellt, existieren Urheberrecht und Sacheigentum selbstständig nebeneinander, sodass auch an Werken, die in fremdem Eigentum stehen, Nutzungsrechte eingeräumt und zurückgerufen werden können. So kann ein Künstler einem Dritten beispielsweise das Recht zur Vervielfältigung in Form von Postkarten auch an einem bereits veräußerten Werk einräumen. Gegenüber dem Inhaber des Vervielfältigungsrechts findet § 42 UrhG unproblematisch Anwendung. bb.
Anwendbarkeit des Rückrufsrechts aus § 42 UrhG gegenüber dem Sacheigentümer Da Werke der bildenden Kunst in der Regel veräußert werden, ohne dass dabei auch Nutzungsrechte eingeräumt werden, fragt sich, ob nach gewandelter Überzeugung ein Rückruf des Werkes gemäß § 42 I 1 UrhG auch gegenüber dem Eigentümer möglich ist. Ein Rückruf des veräußerten Werkstücks selbst im Sinne eines Herausgabe-, Rückkauf- oder Vernichtungsanspruchs in Bezug auf den körperlichen Gegenstand ist über § 42 UrhG jedoch nicht möglich.116 Die Norm erfasst nur den Rückruf von Nutzungsrechten (also dem unkörperlichen Gut) und auch nur mit Rechtswirkung für die Zukunft, sodass schon im Verkehr befindliche Werkexemplare nicht zurückgezogen werden können.117 Einziges Mittel, um das Originalwerkstück zwar nicht körperlich zurückzuerhalten, es aber dennoch aus dem Verkehr zu ziehen, wäre ein Rückruf des Ausstellungs- (§ 18 UrhG) und des Verbreitungsrechts (§ 17 I UrhG). Dann 114 Schack, UrhR, Rn 633. 115 Wandtke/Bullinger/Wandtke, § 42 Rn 15. 116 Schack, KuR, Rn 304; Dreier/Schulze/Schulze, § 42 Rn 12; Schricker/Loewenheim/Dietz/ Peukert, § 42 Rn 14; Schöfer, Rechtsverhältnisse, 193; van Waasen, Spannungsfeld, 179. 117 Rechtsausschuss, BT-Dr IV/3401, S. 6; Schöfer, Rechtsverhältnisse, 193.
Die Desavouierung eines Werkes im Konflikt zwischen Sacheigentümer und Urheber
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dürfte das Werk nicht mehr öffentlich zur Schau gestellt und nicht öffentlich weiterveräußert werden, sodass es praktisch aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwände. Wie bereits erwähnt, liegt das Ausstellungsrecht gemäß § 44 II UrhG in der Regel beim Eigentümer des Originalwerkstücks.118 Problematisch ist hierbei, dass das Ausstellungsrecht dem Eigentümer nicht gesondert durch den Urheber, sondern über § 44 II UrhG eingeräumt wird, es handelt sich um ein gesetzliches Nutzungsrecht. Ob sich der Anwendungsbereich des § 42 UrhG auch auf gesetzliche Nutzungsrechte erstreckt, also auch Nutzungsrechte zurückgerufen werden können, die im Sinne des UrhG gar nicht eingeräumt wurden, ist umstritten.119 Der Streit soll an dieser Stelle auf sich beruhen, denn selbst wenn man einen Rückruf des gesetzlich eingeräumten Ausstellungsrechts erlauben würde, wäre dessen Relevanz äußerst gering. Denn das Ausstellungsrecht ist mit einer rechtmäßigen Erstveröffentlichung verbraucht.120 Nach der Veröffentlichung des Werkes stellt die öffentliche Zurschaustellung also keine urheberrechtlich relevante Handlung mehr dar.121 Besteht aber an dem Werk kein Ausstellungsrecht mehr, kann dieses auch nicht mehr zurückgerufen werden. Ähnliches gilt für das Verbreitungsrecht gemäß § 17 I UrhG. Dieses Recht ist gemäß § 17 II UrhG erschöpft, wenn das Werk mit Zustimmung des Berechtigten durch Veräußerung in Verkehr gebracht worden ist. Somit kann ein Künstler, der sein Werkstück veräußert hat, die Weiterveräußerung nicht unterbinden. Mit Erschöpfung des Verbreitungsrechts kann dieses auch nicht mehr zurückgerufen werden. Das Rückrufsrecht des Urhebers in Bezug auf § 17 I und § 18 UrhG könnte also allenfalls vor Veräußerung bzw. vor Veröffentlichung des Werkes als Mittel eingesetzt werden, um das Werkstück aus der Öffentlichkeit zu nehmen. Vor einer Veräußerung des Werkes ist ein Rückruf des Verbreitungsrechts gemäß § 17 I UrhG für den Urheber aber selten interessant. Er hat dann in der Regel selbst das Sacheigentum inne, es kommt also gar nicht zu einem Spannungsverhältnis zwischen Urheber und Eigentümer. Einzige Ausnahme ist der Fall, dass das Werkstück nicht iSv § 17 II UrhG durch Veräußerung in Verkehr gebracht wurde, sondern das Eigentum (z. B. im Fall einer bemalten Hauswand) gesetzlich nach § 946 BGB auf einen anderen übergegangen ist,122 wenn man auf diesen Fall § 17 II UrhG nicht analog anwenden will.123 118 S. oben S. 25. 119 Verneinend: HK UrhG/Kotthoff, § 42 Rn 3.; bejahend: Wiesner, Veräußerung, Rn 445; Dreier/Schulze/Schulze, § 42 Rn 30; Schricker/Loewenheim/Vogel, § 44 Rn 20. 120 Dreier/Schulze/Schulze, § 18 Rn 9; Schack, UrhR, Rn 441. 121 Wiesner, Veräußerung, Rn 456. 122 Schricker/Loewenheim/Loewenheim, § 17 Rn 44.
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Untersuchungsgegenstand und Kernproblematik
Ein Rückruf des Ausstellungsrechts vor der Veröffentlichung ist ebenso wenig relevant. Oft erschöpft sich das Ausstellungsrecht noch vor dem Verbreitungsrecht, wenn es im Rahmen einer Verkaufsausstellung zur Veröffentlichung des Werkes kommt.124 Der Begriff öffentlich ist iSv § 15 III UrhG zu verstehen, d. h. dass das Werk einer Mehrzahl von Personen frei zugänglich ist, die weder untereinander noch mit dem zur-Schau-Stellenden persönlich verbunden sind.125 Somit wird ein Kunstwerk beispielsweise nicht dadurch veröffentlicht, dass es bei einer privaten Vernissage ausgestellt wird, auch wenn die Anwesenden jeweils nur den Gastgeber kennen.126 Bei einer Ausstellung auf Kunstmessen, Kunstauktionen und in Galerien, durch die das zu veräußernde Werk in der Regel beworben wird, hat hingegen eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit Zugang zum Werk, sodass das Ausstellungsrecht mit dieser Veröffentlichung verbraucht ist. Somit ist nach der Veräußerung ein Rückruf des Verbreitungsrechts gar nicht mehr und ein Rückruf des Ausstellungsrechts (sofern man ihn überhaupt für möglich hält) nur noch selten möglich, nämlich wenn das Werk immer noch unveröffentlicht ist. Zudem muss ein Überzeugungswandel in Bezug auf das Werk vorliegen, was die meisten der aufgeführten Desavouierungsmotive127 ausschließt. Allein bei einer neuen künstlerischen oder inhaltlichen Orientierung128 könnte man von einer gewandelten Überzeugung sprechen, wobei zusätzlich das Kriterium der Unzumutbarkeit erfüllt sein muss. Ein Rückruf nach § 42 UrhG ist dem Urheber daher wegen der engen rechtlichen Voraussetzungen und des Fehlens eines rückrufbaren Rechts in aller Regel versperrt und überdies wegen der Entschädigungspflicht in § 42 III UrhG teuer. Die Desavouierung des Werkes ist daher nach dessen Veräußerung die einzige Möglichkeit für den Urheber, die Verbindung zu seinem Werk zu kappen und deshalb für ihn von größter Relevanz.
C.
Gesamtergebnis zu Teil 1
Der Untersuchungsgegenstand beschränkt sich auf die bildende Kunst im engeren Sinne, an der aufgrund der rechtlichen Unterscheidung von Werk und Werkstück geistiges und sachenrechtliches Eigentum besteht. Im Unterschied zu 123 Vgl. Schack, Anm. JZ 1995, 837, 839 zu BGH – Mauer-Bilder. 124 Erdmann, GRUR 2011, 1061, 1063. 125 Möhring/Nicolini/Kroitzsch/Götting, § 18 Rn 8; Dreier/Schulze/Schulze, § 18 Rn 11; Fromm/ Nordemann/Dustmann, § 18 Rn 6. 126 Möhring/Nicolini/Kroitzsch/Götting, § 18 Rn 8; Schricker/Loewenheim/Vogel, § 18 Rn 19. 127 Siehe oben Teil 1 B.III.2.a. 128 Siehe oben B.III.2.a.cc. zum Motiv der »Geringschätzung des eigenen Werkes«.
Gesamtergebnis zu Teil 1
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anderen Werkarten ist nicht nur das Urheberrecht am Werk, sondern vor allem das Eigentum am Werkstück von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Fallen das Eigentum am Werkstück und das Urheberrecht am Werk auseinander, so kann ein Interessenkonflikt zwischen Sacheigentümer und Urheber entstehen, der nicht einseitig zugunsten einer der beiden Rechteinhaber aufgelöst werden kann. Eine Interessenkollision besteht insbesondere bei der Desavouierung des Werkes durch den Urheber oder nach seinem Tod durch seine Rechtsnachfolger. Die Auflösung der Verbindung des Künstlers zu seinem Werk wirkt sich negativ auf den Marktwert des Werkes und damit auf die Rechtsposition des Sacheigentümers aus. Die Motive des Urhebers, ein Werk zu desavouieren, sind vielfältig und gehen weit über einen Rückruf wegen gewandelter Überzeugung hinaus. § 42 UrhG erlaubt nur einen Rückruf von Nutzungsrechten, bereits in Verkehr befindliche Werkstücke zurückholen kann der Urheber auf diesem Wege nicht, erst recht nicht, sobald das Ausstellungsrecht und das Verbreitungsrecht erschöpft sind (§§ 18, 17 II UrhG). Die rechtliche Bewertung der Desavouierung durch den Künstler wird im folgenden Teil untersucht.
Teil 2: Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten: Denkbare Formen und ihre rechtliche Bewertung
Nachdem im ersten Teil erläutert wurde, warum ein bildender Künstler ein Werk desavouieren wollen könnte, geht es nun darum, auf welche Weise er ein Werk desavouieren kann. Auf welche Rechtsgrundlagen kann er sich stützen und welche Anspruchsziele erreichen? Und inwiefern schränken die Rechte des Sacheigentümers die verschiedenen Formen der Desavouierung ein? Die möglichen Formen der Desavouierung, die im Folgenden untersucht werden sollen, entsprechen dem in Teil 1 erläuterten weiten Begriffsverständnis: Die Auflösung der Verbindung des Urhebers zu (s)einem Werk kann aktiv oder reaktiv erfolgen, die Werksubstanz oder die Werknutzung betreffen oder auf rein kommunikativer Ebene geschehen. Die Gerichtsurteilen und der gängigen Praxis im Kunstgeschäft entnommenen Fälle haben gemein, dass die Beziehung des Künstlers zum Werk nach außen wahrnehmbar gekappt wird. Unterschiede bestehen darin, wie drastisch die Loslösung vom Werk ist und wie stark sie jeweils in die Interessen des Eigentümers des Werkstücks eingreifen. Bei jeder Form von Desavouierung soll untersucht werden, wie dieses Spannungsverhältnis aufgelöst werden kann und damit wie weit die Desavouierungsmöglichkeiten des Urhebers reichen. Je nach Form und Umständen der Desavouierung überwiegen dabei die Interessen des Urhebers oder die des Sacheigentümers. Folgende Formen der Desavouierung sollen auf ihre rechtlichen Voraussetzungen und Konsequenzen hin geprüft werden: die Vernichtung des Werkes (unten A.), das Verbot der Namensnennung (unten B.), das Entfernen der Künstlersignatur (unten C.), die Kennzeichnung eines Werkes als Fälschung (unten D.), das Verbot der Ausstellung (unten E.), die öffentliche Distanzierung des Künstlers vom Werk (unten F.), die Schaffung eines »neuen Originals« (unten G.) und die Authentifizierungsverweigerung (unten H.).
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A.
Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
Vernichtung des Werkes
Der effizienteste und drastischste Weg, die Verbindung zu einem Werk zu kappen, ist die Vernichtung des Werkstücks. Existiert die Verkörperung des Werkes nicht mehr, dann stellt sich auch die Frage nach der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Künstler nicht mehr. Solange sich das Kunstwerk noch im Eigentum des Künstlers befindet, steht es ihm selbstverständlich frei, es zu zerstören. Hat er es aber veräußert, so stehen einer Vernichtung des Werkstücks fremde Eigentümerinteressen entgegen, welche die Rechtsordnung durch das Abwehrrecht aus §§ 903, 1004 BGB schützt. Der Eigentümer kann demnach Andere von der Einwirkung auf sein Eigentum ausschließen. Dem Künstler ist es in der Regel auch gar nicht möglich, an das veräußerte Werk heranzukommen, sobald ein Anderer die tatsächliche Sachherrschaft hat. Eine Ausnahme ist das Bild »Girl With Balloon« von Banksy. Banksy (oder das Kollektiv, das hinter dem Pseudonym steht) hatte den Rahmen des Bildes mit einem Schredder präpariert und diesen Sekunden, nachdem das Bild von Sotheby’s in London für 1,04 Millionen Pfund zugeschlagen worden war, per Fernsteuerung betätigt.129 Vor aller Augen wurde das Bild zur Hälfte in feine Streifen geschnitten. Die teilweise Vernichtung des Werkstücks könnte allerdings das Gegenteil des mit der Aktion möglicherweise verfolgten Zwecks erreicht und den Wert des neuen Werkes durch das große Medienecho noch gesteigert haben.130 Fraglich ist, ob dem Urheber unter bestimmten Umständen ein Vernichtungsanspruch gegen den Eigentümer zustehen kann, mittels dessen jener das Werk desavouieren könnte. Da die Werkvernichtung den denkbar schwersten Eigentumseingriff darstellt, bedarf es einer starken Rechtsposition des Urhebers, um diesen Eingriff ausnahmsweise zu rechtfertigen. Diese könnte sich daraus ergeben, dass bestimmte Rechte des Urhebers zuvor verletzt wurden und die Beeinträchtigung nur durch Vernichtung des Werkes beseitigt werden kann. Das könnte bei einer in Umlauf geratenen Fälschung seines Werkes (unten I.) oder bei einer irreversiblen Entstellung des Werkes (unten II.) der Fall sein.
I.
Anspruch auf Vernichtung von Kunstfälschungen
Kunstfälschungen kommen in der Praxis häufig vor;131 zuletzt sorgte der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi mit der von ihm erfundenen Sammlung Jägers bei Händlern, Gutachtern und Sammlern für große Aufregung. 129 Gierke, Banksy-Werk vernichtet sich selbst – sofort nach der Versteigerung, SZ, 06. 10. 2018. 130 Trinks, A(u)ktionskunst, FAZ, 07. 10. 2018. 131 Siehe dazu Teil 1 B.III.2.a.gg. (S. 31f.).
Vernichtung des Werkes
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Wird dem Urheber eine Kunstfälschung als eigenes Werk zugeschrieben, so kann sein Desavouierungsbedürfnis besonders stark und die bloße Existenz dieser Fälschungen für ihn unerträglich sein. In einschlägigen Fällen wurde daher immer wieder auf Vernichtung der in Umlauf geratenen Fälschungen geklagt.132 Der Zerstörungsanspruch wird in diesen Fällen auf verschiedene Rechtsgrundlagen gestützt: auf den Vernichtungsanspruch gemäß § 98 I UrhG (unten 1.), auf das Namensrecht gemäß § 12 BGB (unten 2.) und auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des droit de non-paternit8 (unten 3.). 1.
Anspruch auf Vernichtung des Werkstücks aus § 98 I UrhG
Als besondere Form des Beseitigungsanspruchs aus § 97 I UrhG133 gewährt § 98 I UrhG dem Urheber unter bestimmten Umständen das Recht, Fälschungen zu vernichten und sie durch Zerstörung zu desavouieren. Voraussetzung dafür ist, dass das Urheberrecht des Künstlers durch ein Vervielfältigungsstück (unten a.), welches rechtswidrig hergestellt, verbreitet oder zur rechtswidrigen Verbreitung bestimmt ist (unten b.) und sich im Eigentum oder Besitz des Verletzers befindet (unten c.), verletzt wird. Zusätzlich muss die Vernichtung gemäß § 98 IV UrhG verhältnismäßig sein (unten d.). a. Qualität der Kunstfälschung als Vervielfältigungsstück Für einen Anspruch aus § 98 I UrhG muss es sich bei der Fälschung um ein Vervielfältigungsstück handeln. Originale werden vom Vernichtungsanspruch nicht erfasst.134 Der Begriff des Vervielfältigungsstücks in § 98 I entspricht § 16 UrhG.135 Als Vervielfältigung gilt jede körperliche Festlegung des Werkes, die geeignet ist, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Weise unmittelbar oder mittelbar wahrnehmbar zu machen.136 Der Begriff ist weit auszulegen und umfasst u. a. die Zeichnung oder Fotografie eines dreidimensionalen Kunstwerkes, die Übertragung in einen anderen Werkstoff, die Speicherung auf einer Festplatte, auf dem Arbeitsspeicher eines PC und auf jedwedem Datenträger, der das Werk
132 So z. B. in OLG Hamburg ZUM 1998, 938 – Echte Fälschungen; OLG Schleswig JZ 1987, 774 mit Anm. Schack – Emil Nolde. 133 Dreier/Schulze/Dreier, § 98 Rn 1; Schack, UrhR, Rn 801. 134 Schack, KUR 2015, 159, 164; Schack, UrhR, Rn 800; Wandtke/Bullinger/Bohne, § 98 Rn 21; Fromm/Nordemann/ J. B. Nordemann, § 98 Rn 7; Schricker/Loewenheim/Wimmers, § 98 Rn 10. 135 Dreier/Schulze/Dreier, § 98 Rn 6. 136 RegE BT-Dr IV/270, S. 47.
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Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
enthält, zur Wahrnehmbarkeit aber weitere Gerätschaften wie z. B. einen Bildschirm benötigt.137 Das Werk muss aber körperlich fixiert sein.138 Doch ist längst nicht jede Kunstfälschung eine bloße Vervielfältigung iSv §§ 98 I, 16 UrhG. Sie kann auch eine Bearbeitung (§ 23 UrhG) oder eine freie Benutzung (§ 24 UrhG) sein und damit selbst Urheberschutz genießen. Die freie Benutzung eines Werkes erlaubt § 24 UrhG ohne Einschränkungen; deren Herstellung und Verwertung entzieht sich damit völlig dem Urheberrecht an der Vorlage, die als Inspiration gedient hat. Nach § 3 S. 1 UrhG urheberschutzfähige Bearbeitungen von Werken anderer Künstler sind als Originale ebenfalls nicht von § 98 I UrhG erfasst.139 Selbst wenn die Bearbeitung eines Werkes ohne die nach § 23 S. 1 UrhG erforderliche Einwilligung des Vorlageurhebers und damit rechtswidrig verbreitet worden ist, stellt sie dennoch eine eigene schöpferische Leistung des Fälschers dar, deren Vernichtung unerträglich wäre.140 Um die urheberrechtliche Relevanz einer Kunstfälschung bestimmen zu können, muss also ihre Eigenschaft als Vervielfältigung, Bearbeitung, oder freie Benutzung festgestellt werden. Diese drei Erscheinungsformen eines Werkes unterscheiden sich durch den Grad ihres Abstands zum Original: von der keinen Abstand aufweisenden Vervielfältigung bis zur freien Benutzung mit dem größten Abstand. Die drei Erscheinungsformen gehen fließend ineinander über, entsprechend schwierig und häufig umstritten ist deren Abgrenzung.
aa. Abgrenzung Vervielfältigung – Bearbeitung Zunächst ist die einfache Vervielfältigung in § 16 UrhG von der Bearbeitung in § 23 UrhG abzugrenzen. Einfache Vervielfältigung deshalb, weil nach herrschender Meinung jede Bearbeitung oder Umgestaltung des Werkes auch eine Vervielfältigung ist: Sie enthält das Ursprungswerk, wenn auch in abgewandelter Form.141 Eine Bearbeitung ist also eine Vervielfältigung, die bestimmte qualifizierende Merkmale erfüllt. Umgekehrt ist nicht jede Vervielfältigung auch eine Bearbeitung. Für die Tatbestandsprüfung des § 98 I UrhG muss es sich um eine einfache Vervielfältigung gemäß § 16 UrhG handeln.142 137 Vgl. Dreier/Schulze/Schulze, § 16 Rn 6ff.; Fromm/Nordemann/Dustmann, § 16 Rn 10ff. 138 Wandtke/Bullinger/Heerma, § 16 Rn 4; Dreier/Schulze/Schulze, § 16 Rn 6. 139 Schack, KUR 2015, 159, 164; Schack, UrhR, Rn 800; Fromm/Nordemann/ J. B. Nordemann, § 98 Rn 7; Schricker/Loewenheim/Wimmers, § 98 Rn 10. 140 Bullinger, Kunstwerkfälschung, 51f. 141 Vgl. BGH GRUR 1991, 529, 530 – Explosionszeichnungen; GRUR 1963, 441, 443 – Mit Dir allein; Schricker/Loewenheim/Loewenheim, § 16 Rn 8; Leistner, ZUM 2011, 468, 473; Dreier/Schulze/Schulze, § 16 Rn 10; Wandtke/Bullinger/Heerma, § 16 Rn 7; a. A. Fromm/ Nordemann/A. Nordemann, § 24 Rn 9; Fromm/Nordemann/Dustmann, § 16 Rn 11; Möhring/Nicolini/Kroitzsch/Götting, § 16 Rn 10. 142 Vgl. Dreier/Schulze/Dreier, § 98 Rn 6; Wandtke/Bullinger/Bohne, § 98 Rn 21.
Vernichtung des Werkes
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Eine Vervielfältigung iSv § 16 UrhG liegt nicht nur bei identischer oder nahezu identischer Werkwiedergabe vor, sie erfasst auch in einem weiteren Abstand vom Original liegende Werkumgestaltungen, die keine eigene scho¨ pferische Ausdruckskraft besitzen und sich daher »noch im Schutzbereich des Originals halten, weil dessen Eigenart auch in der Nachbildung erhalten bleibt und ein u¨ bereinstimmender Gesamteindruck besteht.«143 Die Bearbeitung ist ein Unterfall der Umgestaltung (vgl. § 23 S. 1 UrhG) und zwar eine, die selbst eine persönliche geistige Schöpfung ist, § 3 S. 1 UrhG.144 Eine Bearbeitung gibt das Originalwerk so verändert wieder, dass sie nach dem Gesamteindruck nicht mehr mit dem Originalwerk übereinstimmt, und grenzt sich dadurch von einer schlichten Umgestaltung wie einer Vervielfältigung ab. Die Veränderung kann durch Umgestaltung des Werkes selbst oder durch Verbindung einer Kopie des Originals mit einem anderen Werk oder Gegenstand herbeigeführt werden.145 Überführt der Fälscher das Original in ein anderes Bildmedium (z. B. ein Foto in ein Ölgemälde) oder stellt er einzelne Bildsymbole oder typische Gestaltungselemente des Originals neu zusammen, so liegt eine Bearbeitung iSv § 23 UrhG vor.146 Wird ein Originalbild hingegen nur verkleinert, vergrößert oder retuschiert, so liegt lediglich eine einfache Vervielfältigung vor.147 Teilweise wird in der Literatur angenommen, eine von Hand hergestellte, originalgetreue Kopie sei stets eine Bearbeitung und keine bloße Vervielfältigung, da die Kopie immer von der eigenen Auffassung des Kopisten und seiner Handschrift geprägt sei.148 Diese Auffassung ist abzulehnen: Es spielt grundsätzlich keine Rolle, auf welche Art und Weise ein Werk kopiert wurde.149 Außerdem besitzt eine Kopie nicht schon wegen ihrer eigenhändigen Herstellung eine eigenschöpferische Ausdruckskraft, wenn der Gesamteindruck ansonsten mit dem Originalwerk
143 BGH GRUR 1988, 533, 535 – Vorentwurf II; GRUR 1991, 529, 530 – Explosionszeichnungen; GRUR 2010, 628, 629 – Vorschaubilder. 144 Schack, UrhR, Rn 268; Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 23 Rn 3; Fromm/Nordemann/A. Nordemann, § 3 UrhG Rn 15; a. A. HK UrhG/Dreyer, § 3 Rn 24; Schricker/Loewenheim/ Loewenheim, § 23 Rn 5; Dreier/Schulze/Schulze, § 23 Rn 5. 145 Loschelder, GRUR 2011, 1078, 1083. 146 Pfennig, ZUM 1998, 942f.; OLG Köln ZUM-RD 1997, 386 – Unzulässige Verwendung typischer Gestaltungselemente des Malers Mirj. 147 BGHZ 185, 291, 296 = GRUR 2010, 628, 629 – Vorschaubilder I; BGH GRUR 1990, 669, 673 – Bibelreproduktion. 148 Bullinger, Kunstwerkfälschung, 43f. 149 Dreier/Schulze/Schulze, § 16 Rn 7; Wandtke/Bullinger/Heerma, § 16 Rn 5.
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Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
übereinstimmt. Ein originalgetreu nachgemaltes Gemälde bleibt als reine Kopie eine einfache Vervielfältigung iSv § 16 UrhG.150 So sah es auch das OLG Hamburg in einem Fall, in welchem die Beklagten so bezeichnete »echte Fälschungen« berühmter Gemälde, u. a. von Chagall, Mirk, Magritte, Picasso und Kandinsky, auf einer Ausstellung im Hamburger Hotel »Vier Jahreszeiten« angeboten hatten.151 Das Gericht hielt diese manuellen Kopien trotz geringer Abweichungen für reine Vervielfältigungen, es sei unerheblich, ob es zur Fälschung besonderer Fähigkeiten bedurfte und in welchem Verfahren und in welcher Zahl die Kopien angefertigt wurden.152 Interessant ist an diesem Fall auch, dass die Absicht der Fälscher, urheberrechtlichen Ansprüchen durch eine öffentliche Bezeichnung der Kopien als »echte Fälschungen« zu entgehen, fehlschlug. Zu Recht wies das Gericht darauf hin, dass für die Klassifizierung als Vervielfältigungsstück nicht entscheidend ist, dass die Kopisten vorliegend nicht die Signatur der Originalurheber übernommen, sondern die Gemälde mit ihren eigenen Namen und einem Hinweis versehen hatten, dass die Gemälde kopiert seien.153 bb. Abgrenzung Bearbeitung – freie Benutzung Von der freien Benutzung (§ 24 UrhG) unterscheidet sich die Bearbeitung darin, dass sie infolge der Übernahme schöpferischer Elemente noch vom Vorlagewerk geprägt sein muss.154 Hat dagegen das Vorlagewerk bloß als Anregung für eine Neuschöpfung gedient, so liegt eine freie Benutzung vor. Die Trennlinie zwischen Bearbeitung und freier Benutzung liegt dort, wo die Eigenart des neuen Werkes die entlehnten eigenpersönlichen Züge des geschützten älteren Werkes verblassen lässt.155 Dabei spielen der Grad der Individualität des Ausgangswerkes wie des neuen Werkes eine entscheidende Rolle: Je größer die Eigenart der entlehnten Züge des Ausgangswerkes, desto mehr muss sich das neue Werk in seiner Eigenart von der Vorlage abheben, um als freie Benutzung zu gelten. Umgekehrt ist der ausreichende Abstand zum Ausgangswerk umso schneller erreicht, je geringer der Grad an Komplexität und Individualität des Ausgangswerkes ist.156 150 OLG Hamburg ZUM 1998, 938, 941 – Echte Fälschungen; LG Düsseldorf ZUM-RD 2012, 684, 685 – Ready-Made de l’Histoire dans Caf8 de Flore; LG Berlin ZUM-RD 2017, 150, 152 – Anspruch auf Vernichtung eines gefälschten Gemäldes. 151 OLG Hamburg ZUM 1998, 938 – Echte Fälschungen. 152 OLG Hamburg ZUM 1998, 938, 941f. – Echte Fälschungen. 153 Vgl. OLG Hamburg ZUM 1998, 938, 942 – Echte Fälschungen. 154 Leistner, ZUM 2011, 468, 473. 155 BGH GRUR 1994, 191, 193, m. w. N. – Asterix-Persiflagen; Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 275; Schack, UrhR, Rn 274. 156 Ständige Rspr., z. B. BGH GRUR 1982, 37, 39 – WK-Dokumentation; Dreier/Schulze/ Schulze, § 24 Rn 8; Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 24 Rn 10.
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Sind die vom Fälscher aus dem Originalwerk übernommenen Elemente nicht urheberrechtlich geschützt, sondern Gemeingut, wie z. B. Motive, Stile und Techniken, so handelt es sich immer um eine freie Benutzung.157 Ein Beispiel für eine Fälschung in Form einer freien Benutzung ist der Fall Emil Nolde.158 Hier hatte der Eigentümer zweier im Stile Noldes gemalter und mit dessen Signatur versehener Aquarelle diese zum Zwecke der Authentifizierung der Nachlassverwalterin, der Stiftung Ada und Emil Nolde in Seebüll, übergeben. Diese stellte fest, dass es sich bei beiden Aquarellen um Fälschungen handelte und verweigerte die Herausgabe. Der Eigentümer klagte zunächst erfolgreich auf Herausgabe, woraufhin die Stiftung Widerklage erhob mit dem Antrag auf Vernichtung der beiden Aquarelle, hilfsweise auf deren Kennzeichnung als Fälschung, allerdings ohne Erfolg. In diesem Fall wiesen die mutmaßlich gefälschten Aquarelle keine Ähnlichkeit zu einem konkreten Vorlagewerk, sondern lediglich die für Nolde typischen allgemeinen Stilmerkmale auf. Da diese im Interesse der Allgemeinheit gemeinfrei sind, stellte deren Übernahme durch den Fälscher keine Urheberrechtsverletzung dar.159 Der Grat zwischen der Verwendung gemeinfreier Elemente und der rechtswidrigen Vervielfältigung eines Werkes ist allerdings schmal. Anders als im Fall Emil Nolde wurde Ende 2016 die Max Pechstein-Fälschung »Strandszene mit Boot« vom Landgericht Berlin nicht als freie Benutzung, sondern als Vervielfältigung der Pechstein-Tuschezeichnung »Ausfahrendes Kanu I« qualifiziert.160 Das Gericht befand, dass die Zeichnung nach der Art ihrer Gestaltung vorgebe, aus dem während Pechsteins Aufenthalts in Palau 1914 angefertigten Bilderzyklus zu stammen, und dass die unverwechselbaren Eigenschaften eines Bildes, wie Motiv, Strichführung und Darstellungsform ebenso vor Vervielfältigung geschützt seien.161 Wann aber ein Motiv oder Stil eine unverwechselbare Eigenschaft des Vorlagewerkes darstellen und wann sie als allgemeine Stilmerkmale gelten und damit als gemeinfrei wie bei den Nolde-Fälschungen, hat das LG Berlin leider offengelassen. Es befand lediglich, das Hauptmotiv sei nahezu identisch übernommen worden und Original und Fälschung sähen einander sehr ähnlich. Die Problematik der Abgrenzung liegt darin, dass sich jedes urheberrechtlich geschützte schöpferische Element beispielsweise eines Gemäldes als Kombina157 Vgl. Dreier/Schulze/Schulze, § 24 Rn 3f.; Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 24 Rn 3f. 158 OLG Schleswig JZ 1987, 774 mit Anm. Schack – Emil Nolde; in höchster Instanz BGHZ 107, 384 = JZ 1990, 37 mit Anm. Schack – Emil Nolde. 159 BGHZ 107, 384, 393f. = JZ 1990, 37, 39 mit Anm. Schack – Emil Nolde; Schack, Anm. JZ 1987, 776 zu OLG Schleswig – Emil Nolde. 160 LG Berlin ZUM-RD 2017, 150 – Anspruch auf Vernichtung eines gefälschten Gemäldes. 161 LG Berlin ZUM-RD 2017, 150, 152 – Anspruch auf Vernichtung eines gefälschten Gemäldes.
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tion bestimmter Techniken, Motive und Farbtöne beschreiben lässt, die als Einzelne gemeinfrei sind. Auch wenn die Einzelelemente eines Werkes nicht geschützt sind, muss es doch ihre Komposition sein. Diese macht gerade die schöpferische Eigenart eines Werkes aus. Sind mehrere (eigentlich gemeinfreie) Einzelelemente in gleicher oder zumindest ähnlicher Zusammensetzung übernommen worden, sodass die Komposition des Vorlagewerkes noch erkennbar ist, dann handelt es sich wohl um eine Vervielfältigung in umgestalteter Form. Wenn Einzelelemente übernommen, aber in einer anderen Komposition eigenschöpferisch verwendet wurden, liegt eine freie Benutzung vor. Aus dem Urteil im Pechstein-Fall wird diese wichtige Unterscheidung leider nicht deutlich. Unzutreffend ist außerdem die Argumentation des Gerichts, es liege schon deshalb keine freie Benutzung vor, weil mit dem Bild der Eindruck erweckt werden sollte, es stamme aus der Hand Pechsteins.162 Die Täuschungsabsicht des Imitators spielt aber bei der Abgrenzung zwischen Vervielfältigung und freier Benutzung keine Rolle.163 Die Abgrenzung erfolgt vielmehr rein objektiv anhand der Gestalt des konkreten Werkes. Handelt es sich bei der Fälschung um eine eigenschöpferische Bearbeitung oder eine freie Benutzung, so kommt ein Vernichtungsanspruch nach § 98 I UrhG nicht in Betracht, weil er nur Vervielfältigungsstücke erfasst. Das heißt aber nicht, dass der Künstler sich nicht gegen das nachgeahmte Werk wehren könnte. Auch bei einer Neuschöpfung durch Nachahmung der Technik des Künstlers kann es sich um eine Fälschung handeln, wenn der Imitator in betrügerischer Absicht, den Eindruck erwecken will, es handele sich um ein Werk des berühmten Künstlers.164 Dann stehen dem Betroffenen andere, später vorzustellende rechtliche Mittel zur Verfügung (s. unten 2. und 3.). cc. Zwischenergebnis Als Vervielfältigungsstücke iSv § 98 I UrhG gelten nur reine Vervielfältigungen gemäß § 16 UrhG und nicht schöpferische Umgestaltungen gemäß § 23 UrhG. Bearbeitungen unterscheiden sich durch ihre eigene schöpferische Ausdruckskraft (§ 3 UrhG) von reinen Vervielfältigungen iSv § 16 UrhG und durch die unveränderte Prägekraft der Vorlage von der freien Benutzung iSv § 24 UrhG. b. Rechtswidrige Herstellung oder Verbreitung Das Vervielfältigungsstück, dessen Vernichtung verlangt wird, muss entweder rechtswidrig hergestellt, verbreitet oder zur rechtswidrigen Verbreitung be162 Gegen LG Berlin ZUM-RD 2017, 150, 152 – Anspruch auf Vernichtung eines gefälschten Gemäldes. 163 Siehe auch BGHZ 107, 384 = JZ 1990, 37 mit Anm. Schack – Emil Nolde. 164 Jacobs, GRUR 2013, 8, 9; s. oben zur Definition der Fälschung Teil 1 B.III.2.a.gg.
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stimmt sein, § 98 I UrhG. Das ist dann der Fall, wenn der Herstellende bzw. Verbreitende nicht Inhaber des Vervielfältigungs- bzw. Verbreitungsrechts ist und ihm eine solche Nutzung auch nicht über eine Schrankenbestimmung gestattet ist.165 Nicht rechtswidrig ist die Handlung, wenn dem Handelnden ein Nutzungsrecht eingeräumt wurde oder der Urheber im Sinne einer Verpflichtung, von seinem Verbotsrecht keinen Gebrauch zu machen,166 in die Herstellung und/oder Verbreitung des Vervielfältigungsstücks eingewilligt hat. Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht sind unabhängig voneinander, sodass auch rechtmäßig hergestellte Vervielfältigungsstücke rechtswidrig verbreitet werden können.167 Bei einer reinen Vervielfältigung iSv § 16 UrhG ist (wenn keine Schrankenregelung greift) die Einwilligung des Urhebers bereits zur Herstellung erforderlich. Fehlt diese, so liegt ein rechtswidrig hergestelltes Vervielfältigungsstück iSv § 98 I UrhG vor. Auch die Verbreitung eines Vervielfältigungsstücks erfordert gemäß § 17 I UrhG die Zustimmung des Urhebers. Die Herstellung einer Umgestaltung verletzt zwar nicht das Bearbeitungsrecht des Urhebers in § 23 S. 1 UrhG, da nur die Veröffentlichung und Verwertung der Umgestaltung der Einwilligung des Urhebers bedarf.168 Eine einfache Umgestaltung, die die Schwelle der persönlichen geistigen Schöpfung nicht erreicht, unterfällt aber dem Vervielfältigungsrecht.169 Ihre Herstellung verletzt daher ggf. § 16 UrhG, wenn sie nicht (z. B. gemäß § 53 I UrhG) gesetzlich privilegiert ist.170 Bei einer rechtmäßig hergestellten Umgestaltung hängt die weitere Verwertung von der Einwilligung des Originalurhebers ab (§ 23 S. 1 UrhG). Wenn die Umgestaltung ohne dessen Einwilligung verbreitet wurde oder verbreitet werden soll, handelt es sich um ein rechtswidrig verbreitetes oder zur rechtswidrigen Verbreitung bestimmtes Vervielfältigungsstück iSv § 98 I UrhG. Ob eine Einwilligung des Urhebers vorlag, war Gegenstand der Berufung des Eigentümers eines falschen Immendorff vor dem OLG Düsseldorf.171 Das LG Düsseldorf hatte der Klage von Immendorffs Witwe stattgegeben, die einen angeblichen Immendorff in einem Auktionshaus entdeckt hatte.172 Das Gemälde 165 Dreier/Schulze/Dreier, § 98 Rn 7. 166 Vgl. Schricker/Loewenheim/Ohly, § 29 Rn 28. 167 Dreier/Schulze/Dreier, § 98 Rn 7. Das kann im internat. Warenverkehr wichtig werden, vgl. Schack, UrhR, Rn 423, 425. 168 Schack, UrhR, Rn 469; Dreier/Schulze/Schulze, § 16 Rn 5. 169 BGH GRUR 2014, 65, 70 mit Anm. Jacobs/Elmenhorst – Beuys Aktion; Schack, UrhR, Rn 268, 469; Schack, KuR, Rn 334; Dreier/Schulze/Schulze, § 16 Rn 10. 170 Schack, UrhR, Rn 469; Dreier/Schulze/Schulze, § 23 Rn 16, § 16 Rn 10; a. A. Wandtke/ Bullinger/Bullinger, § 23 Rn 25. 171 OLG Düsseldorf NJW 2014, 3455 mit Anm. Elmenhorst – Ready-Made de l’Histoire dans Caf8 de Flore. 172 LG Düsseldorf ZUM-RD 2012, 684 – Ready-Made de l’Histoire dans Caf8 de Flore.
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»Ready-Made de l’Histoire dans Caf8 de Flore« stammte nach Meinung der Gutachter nicht von der Hand Immendorffs und war auch kein Assistentenwerk nach seiner Anweisung. Auch das Echtheitszertifikat hatte Immendorff nicht selbst ausgestellt, die Unterschrift darauf war mit einem Tintenstrahldrucker aufgetragen worden. Der beklagte Eigentümer war nicht der Hersteller des Werkes, sondern hatte es von einem Dritten erworben, sodass ein Anspruch aus § 98 I UrhG wegen einer rechtswidrigen Verbreitung des Werkes geprüft wurde. In der zweiten Instanz wurde publik, dass Immendorff Atelierverkäufe von Kopien, die seine Mitarbeiter hergestellt hatten, als echte »Immendorffs« duldete, so auch im Fall dieses Werkes. In dieser Duldung sah das OLG, welches das Gemälde als Umgestaltung iSv § 23 UrhG einstufte, eine zumindest stillschweigende Einwilligung nach § 23 S. 1 UrhG, sodass die Verbreitung des Gemäldes nicht rechtswidrig war und der Anspruch der Witwe aus § 98 I UrhG scheitern musste.173
c. Im Eigentum oder Besitz des Verletzers § 98 I UrhG verlangt außerdem, dass sich die Vervielfältigungsstücke im Eigentum oder Besitz desjenigen befinden müssen, der das Urheberrecht widerrechtlich verletzt hat. Denkbar ist zum einen eine Geltendmachung des Vernichtungsanspruchs gegen denjenigen, der das Vervielfältigungsstück rechtswidrig hergestellt hat, also den Fälscher selbst, soweit dieser noch Eigentümer der Fälschung ist.174 Steht die Fälschung aber im Eigentum eines Dritten, der an der rechtswidrigen Herstellung weder als Täter noch als Teilnehmer beteiligt war, so kann dieser dennoch Verletzer iSv § 98 UrhG sein, wenn er an der rechtswidrigen Verbreitung mitgewirkt oder das Vervielfältigungsstück dafür bestimmt hat. Der Eigentümer des gefälschten Pechstein beispielsweise hatte die Fälschung nicht selbst hergestellt, durch die Einlieferung zur Versteigerung aber in das Pechsteins Erben zustehende Verbreitungsrecht aus § 17 UrhG eingegriffen.175 § 98 I UrhG setzt kein Verschulden voraus,176 weshalb auch vom Eigentümer der Pechstein-Fälschung die Vernichtung verlangt werden konnte, obwohl er die Fälschung gutgläubig erworben hatte und sie auch gutgläubig weiterverkaufen wollte.177 Unabhängig von Vorsatz oder fahrlässiger Unkenntnis ist die Weiter173 OLG Düsseldorf NJW 2014, 3455f. mit Anm. Elmenhorst – Ready-Made de l’Histoire dans Caf8 de Flore. 174 So z. B. in OLG Hamburg ZUM 1998, 938 – Echte Fälschungen. 175 LG Berlin ZUM-RD 2017, 150, 151 – Anspruch auf Vernichtung eines gefälschten Gemäldes, zu diesem Fall s. oben A.I.1.a.bb. 176 Loewenheim/Vinck, § 81 Rn 76; Möhring/Nicolini/Reber, § 98 Rn 1. 177 LG Berlin ZUM-RD 2017, 150, 152 – Anspruch auf Vernichtung eines gefälschten Gemäldes.
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verbreitung einer Fälschung rechtswidrig und damit eine Urheberrechtsverletzung. d. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Nach § 98 IV UrhG ist die Vernichtung jedoch ausgeschlossen, wenn sie im Einzelfall unverhältnismäßig ist. Das heißt, dass die Vernichtung geeignet und erforderlich sein muss, um die Rechtsverletzung zu beseitigen, und unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs, des Verschuldensgrades und des dem Verletzer bei einer Vernichtung entstehenden Schadens verglichen mit dem durch die Urheberrechtsverletzung eingetretenen wirtschaftlichen Schaden angemessen sein muss.178 Das Korrektiv der Verhältnismäßigkeit steht aber unter der Prämisse, dass die Vernichtung der Verletzungsobjekte die Regel und ein Rückgriff auf mildere Mittel die eng auszulegende Ausnahme ist.179 Der Gesetzgeber hat mit § 98 UrhG eine grundsätzliche Abwägung zuungunsten des Verletzers vorgenommen.180 Die Regelung besitzt Sanktionscharakter und soll generalpräventiv wirken.181 Daher reicht das bloße Vorhandensein eines schonenderen Mittels nicht aus, um die Ansprüche nach Absatz 1 wegen Unverhältnismäßigkeit auszuschließen.182 Im oben erläuterten Fall Echte Fälschungen hielt das OLG Hamburg die Vernichtung der rechtswidrig hergestellten Vervielfältigungen für verhältnismäßig, insbesondere weil eine mildere Maßnahme wie die Kennzeichnung der Bilder als Fälschungen nicht ausreichend sei, um den Interessen der Verletzten gerecht zu werden: Die Vervielfältigungen wären trotzdem auf den ersten Blick nicht von den Originalen zu unterscheiden und die Kennzeichnung als Fälschung könne im Laufe der Zeit verloren gehen oder beseitigt werden.183 Das OLG verpflichtete die Beklagten daher, in die Vernichtung der rechtswidrig hergestellten Vervielfältigungen einzuwilligen. e. Zwischenergebnis Ein Künstler kann eine Fälschung, die ihm unrichtigerweise zugeschrieben wird, dadurch desavouieren, dass er gemäß § 98 I UrhG ihre Vernichtung verlangt. Allerdings können nur Vervielfältigungen und einfache Umgestaltungen des Vorlagewerkes Gegenstand des Vernichtungsanspruchs sein. Fälschungen, die nur den Stil des berühmten Künstlers oder von ihm verwendete Motive in freier 178 Dreier/Schulze/Dreier, § 98 Rn 22f.; Fromm/Nordemann/J.B. Nordemann, § 98 Rn 29. 179 Zur Parallelvorschrift in § 18 MarkenG ausdrücklich BGH GRUR 1997, 899, 901 – Vernichtungsanspruch. 180 Vgl. Wandtke/Bullinger/Bohne, § 98 Rn 4. 181 Amtl. Begr., BT-Drs. 11/4792, S. 28. 182 Dreier/Schulze/Dreier, § 98 Rn 23. 183 OLG Hamburg ZUM 1998, 938, 942f. – Echte Fälschungen.
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Benutzung aufgreifen, fallen nicht darunter, auch wenn die Werke in der Absicht hergestellt wurden, sie als echte Werke des Künstlers in Umlauf zu bringen. Der Anspruch richtet sich nicht nur gegen den Fälscher selbst, sondern auch gegen den Besitzer oder Eigentümer, der die rechtswidrige Verbreitung durch Anbieten der Fälschung fördert, selbst wenn er sich der Fälschung nicht bewusst ist. Deren Vernichtung ist als Rechtsfolge indiziert und nur in Ausnahmefällen unverhältnismäßig.
2.
Anspruch auf Vernichtung des Werkstücks aus dem Namensrecht
Gefälschte Kunstwerke sind häufig mit einer falschen Signatur versehen. Die Signatur soll Gewähr für die Urheberschaft des signierenden Künstlers bieten, also dafür, dass das Kunstwerk echt ist.184 Erst eine nachgeahmte Signatur macht die Fälschung perfekt. Ihr Fehlen kann sogar negativ auffallen, wenn der gefälschte Künstler sein Werk stets signiert. Nimmt man (anders als oben 1.) nicht das Werk als solches, sondern nur die falsche Signatur in den Blick, so kommt eine Verletzung des Namensrechts aus § 12 BGB in Betracht. Werden die Interessen des berechtigten Namensträgers dadurch verletzt, dass ein anderer unbefugt denselben Namen gebraucht, so kann der Berechtigte über § 12 BGB die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. a. Schutzinhalt des Namensrechts aus § 12 BGB Das Namensrecht aus § 12 BGB ist ein gegen jedermann wirkendes absolutes Recht, das überwiegend dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zugeordnet wird, teilweise aber auch als Immaterialgüterrecht oder als Mischform aus beiden eingeordnet wird.185 Es schützt nämlich nicht nur den Namen als Kennzeichen der individuellen Persönlichkeit einer natürlichen Person, sondern auch die Bezeichnungen juristischer Personen und damit wirtschaftliche Interessen an der Unternehmensidentität im Wettbewerb.186 Auch bei einem Künstler, der seinen bürgerlichen Namen verwendet, schützt das Namensrecht sowohl ideelle als auch kommerzielle Interessen der Persönlichkeit. Das Namensrecht hat damit eine Doppelfunktion.187 § 12 BGB schützt nicht nur den bürgerlichen Namen, sondern auch Pseudonyme und Künstlernamen in ihrer Funktion als Identitätskennzeichen.188 184 185 186 187 188
Löffler, NJW 1993, 1421; Schack, KuR, Rn 252. Vgl. MüKo BGB/Säcker, § 12 Rn 2 m. w. N. MüKo BGB/Säcker, § 12 Rn 2 m. w. N. Vgl. auch § 37 HGB und § 5 MarkenG. Vgl. BGHZ 143, 214 = GRUR 2000, 709 – Marlene Dietrich. MüKo BGB/Säcker, § 12 Rn 8, 10, 97.
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b. Anspruchsvoraussetzungen § 12 BGB schützt unter anderem vor einer Namensanmaßung. Eine solche liegt vor, wenn der Störer denselben oder einen verwechslungsfähigen Namen unbefugt gebraucht und dadurch die Gefahr einer Zuordnungsverwirrung entsteht.189 Durch die Benutzung muss eine erkennbare Beziehung zum Namensträger hergestellt werden, eine bloße Namensnennung reicht nicht aus, solange nicht der Eindruck entsteht, dass das Werk vom berechtigten Namensträger stammt.190 Der Tatbestand des § 12 BGB ist auch dann erfüllt, wenn der Namensträger zu bestimmten Einrichtungen, Gütern oder Erzeugnissen in Beziehung gesetzt wird, mit denen er nichts zu tun hat.191 Bei Kunstfälschungen wird der Name des Künstlers iSv § 12 BGB gebraucht, wenn das Werk mit der gefälschten Signatur des Namensinhabers versehen wird, obwohl dieser es nicht geschaffen hat. Eine Zuordnungsverwirrung entsteht aber auch ohne falsche Signatur, wenn wahrheitswidrig behauptet wird, der Künstler sei der Urheber des Werkes.192 Über diese Behauptung wird der Namensträger zu einem fremden Gut in Beziehung gesetzt. Durch den unbefugten Gebrauch des Namens muss ein Interesse des Berechtigten verletzt werden, welches sich rein ideell, als Vermögens- oder lediglich als Affektionsinteresse darstellen kann.193 Das Vermögensinteresse des Künstlers wird dadurch beeinträchtigt, dass ein anderer an seiner statt Profit aus seinem Namen schlägt, wenn dieser auf einer Fälschung angebracht ist. Außerdem kann der Name des Künstlers insgesamt an Wert verlieren, wenn er, wie bei Dal&, häufig im Zusammenhang mit Fälschungen auftaucht und damit nicht mehr als Qualitätsmerkmal fungieren kann. Auch die ideellen Interessen des Künstlers sind betroffen, wenn sein Name unter Fälschungen gesetzt wird und sein guter künstlerischer Ruf unter der falschen Zuordnung leidet. Wann der Tatbestand der Namensanmaßung gemäß § 12 BGB im Bereich der Kunstfälschung erfüllt ist, lässt sich anhand des Nolde-Falls zeigen. Nachdem der Anspruch auf Vernichtung aus § 98 I UrhG mangels Urheberrechtsverletzung abgelehnt wurde, da die beiden Aquarelle im Stil von Nolde lediglich eine freie Benutzung waren,194 prüfte der BGH als alternative Anspruchsgrundlage für eine Vernichtung des Werkes eine Verletzung von § 12 BGB.195 Doch verneinte der 189 BeckOK InfoMedienR/Leyendecker-Langner, § 12 BGB Rn 25, 27 m.w.N. 190 BGHZ 30, 7, 8f. = GRUR 1959, 430, 431 mit Anm. Bußmann – Caterina Valente; MüKo BGB/ Säcker, § 12 Rn 113. 191 BGH GRUR 1964, 38, 40 – Dortmund grüßt… . 192 So auch Gantz, Das droit de non-paternit8, 55f.; a. A. Seemann, UFITA 128 (1995), 31, 55. 193 MüKo BGB/Säcker, § 12 Rn 144 m.w.N. 194 BGHZ 107, 384, 393f. = JZ 1990, 37, 39 mit Anm. Schack – Emil Nolde, s. oben A.I.1.a.bb., S. 57. 195 Zur Frage, ob das Namensrecht grundsätzlich mit dem Tod erlischt oder als Teil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch nach dem Tod Noldes fortwirken konnte, bezog der
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Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
BGH schon das Gebrauchen des Namens »Emil Nolde« durch den Eigentümer der Aquarelle. Eigentum und Besitz an den Aquarellen seien dafür nicht ausreichend.196 Zwar ist die Kennzeichnung einer Sache mit einem fremden Namen ein Namensgebrauch,197 sodass der Fälscher durch Anbringen der fremden Signatur Noldes Namen gebraucht hat. Eine so gekennzeichnete Sache lediglich zu besitzen stellt aber keinen Gebrauch iSv § 12 BGB dar.198 Zu der Annahme des OLG Schleswig, dass ein Namensgebrauch auch dann nicht vorläge, wenn der Eigentümer das gefälschte Bild dem Kunsthandel anbieten würde,199 nahm der BGH keine Stellung. Zumindest wenn der Eigentümer das Werk mit Verweis auf die Künstlersignatur als echt anbietet, sollte man einen Namensgebrauch annehmen. Ein Namensgebrauch liegt bei jeder Benutzung des fremden Namens für eigene Zwecke, z. B. im Zusammenhang mit Waren und der Werbung für sie, vor.200 Diese Auslegung entspricht dem oben erläuterten Normzweck, die wirtschaftlichen und ideellen Interessen des Namensträgers vor einer falschen Namenszuordnung zu schützen. Dem Eigentümer ist es zuzumuten, die Echtheit der Signatur zu überprüfen, bevor er von der Authentizität des Werkes profitieren kann. c.
Vernichtung des Werkstücks als mögliche Rechtsfolge des Beseitigungsanspruchs aus § 12 BGB Der BGH kürzt die Prüfung der Schutzvoraussetzungen des § 12 BGB ab und weist darauf hin, dass selbst bei deren Vorliegen die Zerstörung des Werkes nicht gerechtfertigt wäre: Es könne nur die Verwendung des Namens in der konkret benutzten Form untersagt und die Entfernung der Signatur verlangt werden.201 In der Tat darf der Anspruch aus § 12 BGB nicht weitergehen als zur Abwehr der Verletzung erforderlich, sodass die Vernichtung ausscheidet, wenn die Zuordnungsverwirrung auch durch weniger einschneidende Mittel beseitigt werden kann.202 Eine vollständige Vernichtung des Werkstücks würde über das Ziel hinausschießen und den Eigentümer der Fälschung unverhältnismäßig belasten. Das gilt nicht nur, wie im Nolde-Fall, für Stilimitationen, sondern genauso für
196 197 198 199 200 201 202
BGH hier keine Stellung. Hierzu unten in Teil 3, der sich mit der postmortalen Desavouierung befasst. BGHZ 107, 384, 390 = JZ 1990, 37, 38 mit Anm. Schack – Emil Nolde. BGHZ 81, 75 = GRUR 1981, 846 – Carrera. Richard/Junker, GRUR 1988, 18, 21. OLG Schleswig JZ 1987, 774, 775 mit Anm. Schack – Emil Nolde; diesbezüglich zweifelnd Richard/Junker, GRUR 1988, 18, 21. BRHP/Bamberger, § 12 Rn 79 m.w.N. BGHZ 107, 384, 390 = JZ 1990, 37, 38 mit Anm. Schack – Emil Nolde. Gegen einen generellen Anspruch auf Beseitigung der Signatur und für eine vorrangiges Verbot des Anbietens und Ausstellens Bullinger, Kunstwerkfälschung, 146. Vgl. MüKo BGB/Säcker, § 12 Rn 162, 166.
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exakte Kopien, die durchaus einen eigenen wirtschaftlichen Wert haben können. Die Verletzung des § 12 BGB erfolgt nur durch die falsche Signatur, sodass sich der Beseitigungsanspruch auch nur gegen diese richten kann. d. Zwischenergebnis Das Namensrecht eines Künstlers aus § 12 BGB wird durch den Kunstfälscher verletzt, wenn er die fremde Signatur am Werk anbringt. Der Eigentümer einer Fälschung kann § 12 BGB nur verletzen, wenn er sich die falsche Signatur als Echtheitsbeweis bei einer Veräußerung des Werkes zu Nutze macht. Davon abgesehen scheitert ein Vernichtungsanspruch des Künstlers aus § 12 BGB in der Regel an der Erforderlichkeit dieser Beseitigungsmaßnahme. Statt einer Vernichtung genügt die Entfernung der Signatur oder die dauerhafte Kennzeichnung als Fälschung.203 3.
Anspruch auf Vernichtung aus §§ 823, 1004 I 1 BGB wegen Verletzung des droit de non-paternité
Die zentrale Rechtsgrundlage, mit der sich Künstler gegen falsche Zuschreibungen wehren können, ist das sogenannte droit de non-paternit8. Im Folgenden soll es hinsichtlich seines Inhalts und seiner dogmatischen Einordnung erläutert (unten a.) und von den anderen bereits vorgestellten Schutzinstrumenten abgegrenzt werden (unten b.). Sodann ist zu untersuchen, ob das droit de nonpaternit8 einen Anspruch auf Werkvernichtung trägt (unten c.). a. Schutzinhalt und dogmatische Einordnung des droit de non-paternité Das droit de non-paternit8 ist das Recht auf Anerkennung der Nichturheberschaft. Mit ihm kann sich der Künstler dagegen wehren, »dass ihm ein fremdes geistiges Kind untergeschoben wird«204, ihm also ein fremdes Kunstwerk fälschlicherweise zugeschrieben wird. Unabhängig von der Qualität des untergeschobenen Werkes muss niemand hinnehmen, dass ein fremdes Werk als das seine ausgegeben wird.205 Fälschungen werden oft auch mit einer Signatur versehen, an die das UrhG in § 10 I grundsätzlich eine Urheberschaftsvermutung knüpft.206 Diese Vermutung gilt aber nur für urheberrechtliche Ansprüche und nur zugunsten des be-
203 204 205 206
Siehe unten C. und D., S. 118–121. Neumann-Duesberg, UFITA 50 (1967), 464, 467. KG UFITA 48 (1966), 274, 285 – Die goldene Stimme. Eingehend zur Urheberschaftsvermutung Schack, UrhR, Rn 309.
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zeichneten Urhebers und hindert diesen nicht daran, sich auf seine Nichturheberschaft zu berufen und sein droit de non-paternit8 geltend zu machen.207 Das droit de non-paternit8 greift aber nicht nur bei einer bewussten Falschzuschreibung durch eine Kunstfälschung, sondern auch wenn ein anonymes Werk aus Versehen dem falschen Künstler zugeordnet wird. Das Recht erfasst jegliche Form der Falschzuschreibung. Das droit de non-paternit8 ist die Kehrseite des Rechts auf Anerkennung der Urheberschaft in § 13 UrhG.208 Im Unterschied zu ihm ist das droit de nonpaternit8 aber nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Mitunter wurde das Recht auf Anerkennung der Nichturheberschaft ebenfalls dem Urheberpersönlichkeitsrecht zugeordnet. Wilhelm Nordemann greift dazu die Wertung des BGH im Nolde-Fall auf, wonach durch das Unterschieben fremder Werke das künstlerische Gesamtbild verzerrt und die Künstlerpersönlichkeit schwer beeinträchtigt werde.209 Dieser Vorgang betreffe den Urheber als solchen und nicht als beliebige Persönlichkeit und sei daher als Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts anzusehen. So sei der Urheber gegen eine Verzerrung seines Gesamtbildes durch den umgekehrten Fall der Nichtnennung des Urhebers oder durch eine Entstellung jeweils über § 13 bzw. § 14 UrhG als Teil des Urheberpersönlichkeitsrechts geschützt. Nordemann stützt das Recht, sich gegen das Unterschieben fremder Werke zu wehren, mangels Spezialregelung im UrhG auf die Generalklausel des § 11 UrhG. Diese schütze den Urheber auch in seinen persönlichen Beziehungen zu seinem Gesamtwerk. Durch diese Zuordnung stehe das droit de non-paternit8 durch eine klar geregelte Schutzdauer und die Wahrnehmungsbefugnis der Erben auf sicheren Füßen. Die Zuordnung des droit de non-paternit8 zum Urheberpersönlichkeitsrecht ist indessen verfehlt. Das Urheberpersönlichkeitsrecht schützt den Urheber gemäß § 11 UrhG in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk. Es ordnet dem Urheber gewissermaßen das »Seine« zu210 und schützt daher nur die Beziehung zwischen dem Urheber und seinem Werk. Eine solche Beziehung besteht aber gerade nicht zu fremden Werken, sodass das Urheberpersönlichkeitsrecht durch Falschzuschreibungen nicht verletzt wird.211 Das Urheberper-
207 Vgl. Schack, KUR 2017, 130; allgemein zu § 10 UrhG: Riesenhuber, GRUR 2003, 187, 190f.; Fromm/Nordemann/A. Nordemann, § 10 Rn 21, 71; Schricker/Loewenheim/Loewenheim/ Peifer, § 10 Rn 4. 208 Zu § 13 UrhG eingehend unten B.I. 209 Nordemann, GRUR 1996, 737, 738 mit Verweis auf BGHZ 107, 384, 391 = JZ 1990, 37, 39 – Emil Nolde. Vgl. die Regelung zur »false attribution« eines Werkes im britischen Urheberrecht, § 84 CDPA 1988. 210 Seemann, UFITA 128 (1995), 31, 63. 211 Vgl. KG UFITA 48 (1966), 274, 284f. – Die goldene Stimme; Neumann-Duesberg, UFITA 50 (1967), 464, 465ff.; Bisges/Nennen, Kap 2 Rn 60.
Vernichtung des Werkes
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sönlichkeitsrecht schützt außerdem nur einzelne Werke, nicht das Gesamtwerk; nur dieses wird jedoch durch Falschzuschreibungen verfälscht.212 Eine Verfälschung des Gesamtwerkes betrifft das künstlerische Ansehen und die künstlerische Wertschätzung, die dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zuzuordnen sind.213 Das droit de non-paternit8 gehört daher richtigerweise zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das aus Art. 2 I iVm Art. 1 I GG abgeleitet wird.214
b.
Abgrenzung zu anderen Schutzinstrumenten
aa. Abgrenzung zu § 98 I UrhG Auf das droit de non-paternit8 wird in der bildenden Kunst zurückgegriffen, wenn wie im Nolde-Fall die Fälschung urheberrechtlich irrelevant ist: Ein Fälscher, der lediglich Stilelemente nachahmt, verletzt nicht das Vervielfältigungsrecht des Künstlers an seinem konkreten Werk. Stil und Manier eines Künstlers sind grundsätzlich gemeinfrei, sodass an ihnen kein Urheberrecht bestehen kann.215 Bei Fälschungen muss also unterschieden werden, ob ein konkretes Werk des angeblichen Urhebers unerlaubt vervielfältigt wurde oder ob die Fälschung sich nur allgemeiner Motive und des Stils des Künstlers bedient. Im letzten Fall hat der Sachverhalt keine urheberrechtliche Relevanz, sondern es muss auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht zurückgegriffen werden.216 Das droit de non-paternit8 unterscheidet sich also vom urheberrechtlichen Vernichtungsanspruch aus § 98 I UrhG durch die Beziehung des Fälschungswerkes zur Originalvorlage. Zudem muss für § 98 I UrhG das Vervielfältigungsstück dem Originalurheber nicht unbedingt untergeschoben werden. Im Fall Echte Fälschungen217 beispielsweise trugen die Vervielfältigungsstücke auf der Rückseite den Hinweis, dass es sich um nachgemalte Bilder handelte, und den Namen des Kopisten. Daher war zwar der Tatbestand des § 98 I UrhG erfüllt, eine Verletzung des droit de non-paternit8 kam indes nicht in Betracht. Handelt es sich bei der Fälschung um die Vervielfältigung eines konkreten Werkes und wird diese dessen Urheber untergeschoben, so können beide Rechtsgrundlagen nebeneinander einschlägig sein. 212 Schack, UrhR, Rn 43; Pietzcker, GRUR 1997, 414, 415. 213 BGHZ 107, 384, 391 = JZ 1990, 37, 39 mit Anm. Schack – Emil Nolde. 214 Statt vieler : Neumann-Duesberg, UFITA 50 (1967), 464, 467; Schack, UrhR, Rn 43; Bisges/ Nennen, Kap 2 Rn 60. 215 Schack, Anm. JZ 1987, 776 zu OLG Schleswig – Emil Nolde; Pietzcker, GRUR 1997, 414, 415. 216 Pietzcker, GRUR 1997, 414, 415. 217 OLG Hamburg ZUM 1998, 938 – Echte Fälschungen.
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Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
bb. Abgrenzung zu § 12 BGB Das Namensrecht aus § 12 BGB bietet als spezielle Ausformung des Persönlichkeitsrechts dann Schutz, wenn ein anderer unbefugt denselben Namen gebraucht und dadurch die Interessen des rechtmäßigen Namensträgers beeinträchtigt werden. Ein Gebrauch des Namens liegt vor, wenn der Fälscher ein Werk mit dem gefälschten Namenszeichen eines anderen Künstlers versieht. Daneben gebraucht auch der Eigentümer, der die Signatur zur Vermarktung des Bildes einsetzt, nach hier vertretener Ansicht den Namen iSv § 12 BGB.218 Der Urheber kann aber aus dem Namensrecht nicht gegen den Eigentümer eines gefälschten Werkes vorgehen, wenn dieser selbst den Namen nicht iSv § 12 BGB gebraucht hat. Das bloße Eigentum an einem gefälschten Bild, selbst wenn es eine falsche Signatur aufweist, reicht hierfür nicht aus.219 Es ist allerdings keine Falschzuschreibung denkbar, bei der der Name des Künstlers nicht genannt wird. Die nebulöse Beschreibung eines Künstlers, ohne dessen Namen zu nennen, ist weder üblich noch dazu geeignet, ihm ein Werk zuzuschreiben. Tatsächlich verursacht jeder, der unter Namensnennung einem bestimmten Künstler ein fremdes Werk zuschreibt, eine Zuordnungsverwirrung und gebraucht somit dessen Namen iSv § 12 BGB. Wenn ein Fälscher sein Werk mit einer falschen Signatur versieht, der Eigentümer eines Werkstücks dieses als Werk des Namensträgers vermarktet oder ein Kunstexperte eine Falschzuschreibung vornimmt, sind in der Regel beide Abwehransprüche, aus § 12 BGB und aus dem droit de non-paternit8, zugleich erfüllt. Da hier verschiedene Schutzgüter des Persönlichkeitsrechts betroffen sind, können diese Anspruchsgrundlagen nebeneinander bestehen.220 Das besondere Persönlichkeitsrecht des § 12 BGB entfaltet gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, dem das droit de non-paternit8 zugeordnet wird, grundsätzlich keine Sperrwirkung im Sinne eines lex specialis, sondern wird von diesem ergänzt und erweitert.221 Bei der Falschzuschreibung zu einem lebenden Künstler besteht im Ergebnis zwar kein Unterschied zwischen beiden Anspruchsgrundlagen, doch kann die Unterscheidung nach dem Tod des Künstlers mit Blick auf den postmortalen Schutz der Rechtsgüter eine Rolle spielen.222
218 219 220 221 222
Siehe oben Teil 2 A.I.2.b. BGHZ 107, 384, 390 = JZ 1990, 37, 38 mit Anm. Schack – Emil Nolde. Bullinger, Kunstwerkfälschung, 156. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 172; Schulze BGB/Staudinger, § 823 Rn 91f. Siehe unten Teil 3 B.I. und II.
Vernichtung des Werkes
c.
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Vernichtung des Werkstücks als mögliche Rechtsfolge des Beseitigungsanspruchs aus § 1004 I 1 BGB Wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht als absolutes Rechts aus § 823 I BGB verletzt, so steht dem Betroffenen der allgemeine negatorische Abwehranpruch aus § 1004 BGB in entsprechender Anwendung zu.223 Bei bereits erfolgter Verletzung kann der Betroffene gemäß § 1004 I 1 BGB die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Fraglich ist, ob der Beseitigungsanspruch auch auf die Zerstörung des Werkes gerichtet sein kann. Im Nolde-Fall nahm der BGH grundsätzlich einen Anspruch aus dem droit de non-paternit8 auf Beseitigung der Signatur gestützt auf §§ 823 I, 1004 BGB iVm Art. 1 I GG an, sofern es sich tatsächlich um Fälschungen handelte und zu befürchten sei, dass diese als Originalwerke auf den Kunstmarkt gerieten.224 Die bloße Existenz einer Fälschung im Privatbereich berühre indes nicht ohne weiteres das Persönlichkeitsrecht des vorgeblichen Urhebers. Bullinger hingegen hält den Künstler schon durch die bloße Existenz der signierten Fälschung für beeinträchtigt.225 Er müsse in der ständigen Angst leben, dass die Fälschung irgendwann, sei es durch den gegenwärtigen Eigentümer oder durch dessen Erben, an die Öffentlichkeit gelange. Der BGH hat insofern Recht, als die Falschzuschreibung im Sinne einer privaten Fehlvorstellung den sozialen Geltungsanspruch des Urhebers nicht berührt, dafür bedarf es der falschen Zuordnung durch die Öffentlichkeit.226 Im Ergebnis machen die beiden Auffassungen allerdings keinen Unterschied, wenn man für die Befürchtung einer Verbreitung (wie sie der BGH verlangt) schon die ersten konkreten Anhaltspunkte genügen lässt. Im Nolde-Fall hatte der Eigentümer die zwei Aquarelle der Nolde-Stiftung zur Authentifizierung überlassen. Dieser Vorgang ist zwar noch keine öffentliche Zugänglichmachung, sie deutet aber daraufhin, dass der Eigentümer vorhatte, das Werk demnächst als Nolde zu präsentieren oder zu verkaufen, wofür er eine Echtheitbestätigung benötigte. Das Gericht musste das Vorliegen dieser Voraussetzungen allerdings nicht abschließend klären, da es die von der Stiftung allein beantragte Vernichtung der vermeintlichen Fälschungen schon wegen Unverhältnismäßigkeit ablehnte. Wie für den auf das Namensrecht gestützten Vernichtungsanspruch wurde auch für den Anspruch aus dem droit de non-paternit8 angeführt, dass der Beseitigungsanspruch aus §§ 823 I, 1004 BGB, Art. 2 I iVm Art. 1 I GG nicht weiterreichen könne als zur Abwehr der Verletzung erforderlich.227 Da aber nur freie Stilmerkmale Noldes verwendet wurden, stellte das Werk selbst keine Beein223 224 225 226 227
Schulze BGB/Schulte-Nölke, § 1004 Rn 1. BGHZ 107, 384, 393 = JZ 1990, 37, 39 mit Anm. Schack – Emil Nolde. Bullinger, Kunstwerkfälschung, 173f. Vgl. Gantz, Das droit de non-paternit8, 19; Schack, KuR, Rn 246. BGHZ 107, 384, 393 = JZ 1990, 37, 39 mit Anm. Schack – Emil Nolde.
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trächtigung dar, gegen die sich der Abwehranspruch hätte richten können. Vielmehr war die rechtswidrige Verletzungshandlung in der gefälschten Signatur zu verorten, auf deren Entfernung sich der Abwehranspruch hier beschränken musste.228 Ein Anspruch auf Vernichtung wird in aller Regel auch dann abzulehnen sein, wenn die Fälschung keine Vervielfältigung oder einfache Umgestaltung, sondern eine eigenschöpferische Bearbeitung ist. Denn hier stehen den Interessen des Scheinurhebers nicht nur die Eigentümerrechte, sondern auch die des Fälschers entgegen, der an der Fälschung – ungeachtet ihrer Rechtswidrigkeit – ein Bearbeiterurheberrecht besitzt.229 Nur wenn das nicht der Fall ist, fragt sich, ob ein Vernichtungsanspruch auch aus dem droit de non-paternit8 abgeleitet werden kann. Anders als bei § 98 I UrhG wäre die Vernichtung als Rechtsfolge hier aber nicht indiziert,230 sondern sie unterläge einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Hier ist vor allem die Erforderlichkeit einer vollständigen Vernichtung zu bezweifeln. Die Beeinträchtigung des droit de non-paternit8 ergibt sich nur aus der Falschzuschreibung und kann schon durch Anerkennen der Nichturheberschaft beseitigt werden. Einer solchen Anerkenntnis steht die gefälschte Signatur im Wege (so denn das Fälschungswerk mit ihr versehen ist), die Urheberbezeichnung schreibt dem Künstler das Werk fälschlicherweise zu. Die Entfernung der Signatur ist somit eine zielgenaue Beseitigung der Beeinträchtigung, mehr ist nicht geschuldet. Bei einer unsignierten Vervielfältigung begünstigt die Kopie zwar die Falschzuschreibung, sie ist aber nicht identisch mit der Beeinträchtigung. Beeinträchtigt wird durch die Werkgestalt nur das Vervielfältigungsrecht des Originalurhebers. d. Zwischenergebnis Mit dem droit de non-paternit8, dem Recht auf Anerkennung der Nichturheberschaft, kann sich ein Künstler gegen die falsche Zuschreibung eines Werkes wehren. Dieses Recht ist vor allem bei Stilimitationen relevant, weil sich der Künstler gegen sie nicht urheberrechtlich wehren kann. Eine Falschzuschreibung geht regelmäßig mit einer Verletzung des Namensrechts aus § 12 BGB einher. Ein auf das droit de non-paternit8 gestützter Vernichtungsanspruch scheitert allerdings an der Erforderlichkeit: Die vollständige Vernichtung schießt über das Ziel der Störungsbeseitigung hinaus und kann meist durch mildere Mittel, insbesondere die Entfernung der Signatur, ersetzt werden. 228 BGHZ 107, 384, 393f. = JZ 1990, 37, 39 mit Anm. Schack – Emil Nolde, die beklagte Stiftung hatte die Entfernung der Signatur in ihrer Widerklage aber nicht beantragt. 229 Schack, Anm. JZ 1987, 776 zu OLG Schleswig – Emil Nolde; Bullinger, Kunstwerkfälschung, 180 mit Hinweis auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Fälschers. 230 Siehe oben Teil 2 A.I.1.d.
Vernichtung des Werkes
4.
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Ergebnis zu I. Desavouierung von Kunstfälschungen durch deren Vernichtung
Im Ergebnis können Kunstfälschungen nur unter sehr engen Voraussetzungen durch eine Vernichtung desavouiert werden. Ein Anspruch auf Vernichtung des gesamten Werkstücks gegen den Eigentümer einer Kunstfälschung scheitert oft an der Verhältnismäßigkeit, genauer an der Erforderlichkeit der Maßnahme. Entscheidend für die Erforderlichkeit der Desavouierung durch Vernichtung ist die Frage, wovon die Verletzung ausgeht: Von der Werkgestalt oder nur von der falschen Signatur oder der Falschzuschreibung. Erforderlich könnte die Vernichtung nur sein, wenn die Werkgestalt als solche das Urheberrecht des Künstlers verletzt und die zu beseitigende Beeinträchtigung somit in der Existenz des Fälschungsstücks liegt. Wenn das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht verletzt wird, hat der geschädigte Künstler einen Anspruch auf Vernichtung aus § 98 I UrhG. Geht die Beeinträchtigung aber nur von einer gefälschten Signatur oder einer Falschzuschreibung aus, dann ist die vollständige Vernichtung des Werkes nicht erforderlich. Zur Beseitigung der Störung reicht es aus, die Signatur zu entfernen oder die Zuschreibung zu unterlassen.
II.
Anspruch auf Vernichtung entstellter Werke aus §§ 97 I 1, 14 UrhG
Wie gesehen, kann sich ein Vernichtungsanspruch gegen den Eigentümer eines Kunstwerkes wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur aus einer Rechtsverletzung ergeben, die lediglich durch eine vollständige Vernichtung des Werkes abgewehrt werden kann. Dafür muss die Beeinträchtigung in der Werkgestalt angelegt sein. Neben der Kunstfälschung durch Vervielfältigung kommt eine solche Beeinträchtigung auch in Betracht, wenn ein echtes Werk des Künstlers entstellt wird. Die Entstellung eines Werkes ist ein in der Praxis häufiger Grund dafür, dass der Urheber sein eigenes Werk desavouieren möchte.231 Die Schutznorm gegen die Entstellung eines Werkes ist § 14 UrhG. Wird ein nach dem UrhG geschütztes Recht widerrechtlich verletzt, so gewährt § 97 I UrhG dem Verletzten einen Anspruch auf Unterlassung und Beseitigung der Beeinträchtigung und in Absatz 2 bei Vorsatz oder Fahrlässigkeit auch auf Schadensersatz. Die Vernichtung des Werkes könnte eine Form dieses Beseitigungsanspruchs sein. Zunächst wird das Entstellungsverbot aus § 14 UrhG, das auch im weiteren Verlauf der Arbeit eine Rolle spielen wird, in seinem Schutzinhalt beschrieben 231 Siehe oben Teil 1 B III.2.a.aa.
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Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
und dogmatisch eingeordnet (unten 1.). Zur Erläuterung des Tatbestands (unten 2.) werden dann verschiedene Formen der Entstellung von Werken der bildenden Kunst anhand konkreter Beispiele vorgestellt (unten 3.). Zuletzt soll untersucht werden, ob und unter welchen Voraussetzungen der Anspruch aus §§ 97 I 1, 14 UrhG auf die Vernichtung des Werkes gerichtet sein kann (unten 4.). 1.
Schutzinhalt und dogmatische Einordnung des Entstellungsverbots aus § 14 UrhG
Das UrhG enthält mehrere Vorschriften, die das Interesse des Urhebers am Bestand und der Integrität seines Werkes schützen: §§ 14, 39, 62 und 93 UrhG.232 In einer Gesamtschau enthalten diese Regelungen den einheitlichen Gedanken des Schutzes der Werkintegrität, wobei § 14 UrhG die Grundnorm ist.233 §§ 39, 62 und 93 UrhG haben daneben eine klarstellende und konkretisierende Funktion.234 § 14 UrhG ist Teil des Urheberpersönlichkeitsrechts, das den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk (§ 11 S. 1 UrhG) schützt. § 14 UrhG schützt das Interesse des Urhebers an der Integrität seines Werkes; dieses soll der Öffentlichkeit in der Gestalt dargeboten werden, die sein Schöpfer ihm verliehen hat.235 Das Entstellungsverbot schützt dazu den in der konkreten Form des Werkes zum Ausdruck kommenden geistig-ästhetischen Gesamteindruck des Werkes vor unerlaubten Änderungen.236 Unter Berufung auf § 14 UrhG kann der Urheber jede Entstellung oder andere Beeinträchtigung seines Werkes verbieten und hat bei drohender oder bereits erfolgter Verletzung gemäß § 97 I UrhG einen Anspruch auf Unterlassung und Beseitigung der Beeinträchtigung und unter Umständen gemäß Absatz 2 auch auf Schadensersatz. 2.
Anspruchsvoraussetzungen
Verlangt der Urheber gestützt auf §§ 97 I 1, 14 UrhG, die Vernichtung des Werkes, so muss die widerrechtliche Verletzung des § 14 UrhG in drei Schritten geprüft werden: Es muss eine Entstellung oder anderweitige Beeinträchtigung 232 Dietz, Werkintegritätsschutz, 30. 233 Vgl. LG Hamburg GRUR-RR 2001, 259, 260 – Handy-Klingeltöne; Wandtke/Bullinger/ Bullinger, § 14 Rn 1f.; Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, § 14 Rn 5; Dieselhorst, UPR, 120f.; Dietz, Werkintegritätsschutz, 43; Federle, Werkintegrität, 38; Flechsig, FuR 1976, 589, 594; Tölke, UPR, 76; van Waasen, Spannungsfeld, 41f.; Wallner, Entstellungen, 71. 234 Federle, Werkintegrität, 38; van Waasen, Spannungsfeld, 43. 235 Schack, UrhR, Rn 380. 236 Vgl. von Gamm, UrhG, § 15 Rn 10.
Vernichtung des Werkes
73
vorliegen (unten a.), die geeignet ist, die berechtigten Interessen des Urhebers zu gefährden (unten b.), die im Rahmen einer Interessenabwägung (unten c.) überwiegen müssen. Nach § 97 I 1 UrhG muss die Verletzung widerrechtlich (unten d.) sein. a. Entstellung oder anderweitige Beeinträchtigung Für eine Verletzung des § 14 UrhG muss das Werk entstellt oder anderweitig beeinträchtigt worden sein. Die Beeinträchtigung ist der Oberbegriff, die Entstellung ist eine schwerwiegendere Form der Beeinträchtigung.237 Beeinträchtigung ist sehr weit zu verstehen und umfasst jede objektiv nachweisbare Änderung des geistig-ästhetischen Gesamteindrucks des Werkes.238 Eine solche Änderung kann nicht nur durch einen Eingriff in die körperliche Substanz, sondern auch durch einen entstellenden Sachzusammenhang bewirkt werden.239 Wie sich eine Beeinträchtigung bei Werken der bildenden Kunst im Einzelnen äußern kann, wird unter 3. erläutert. b. Eignung zur Interessengefährdung Die Beeinträchtigung muss geeignet sein, die geistigen oder persönlichen Interessen des Urhebers zu gefährden. Da anzunehmen ist, dass der Urheber grundsätzlich ein Interesse an Bestand und Unversehrtheit seines Werkes hat, wird die Eignung zur Interessengefährdung durch das objektive Vorliegen einer Beeinträchtigung bereits indiziert.240 Dieses Indiz wird jedoch entkräftet, wenn der Urheber die Änderungen gemäß § 39 I UrhG wirksam gestattet oder ein Bearbeitungsrecht (§ 23 UrhG) eingeräumt hat.241 c. Interessenabwägung § 14 UrhG verlangt als ungeschriebenes Merkmal eine Interessenabwägung, da ein absolutes Entstellungs- oder Beeinträchtigungsverbot die Allgemeinheit vor allem mit Blick auf Werke, die einem Gebrauchszweck dienen, behindern würde.242 Ausgangspunkt der Interessenabwägung ist das Bestands- und Integritätsinteresse des Urhebers, also das Interesse, selbst darüber zu entscheiden, in welcher Gestalt sein Werk öffentlich wahrgenommen wird.243 Dieses Interesse 237 Dreier/Schulze/Schulze, § 14 Rn 5; Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 14 Rn 3. 238 BGH GRUR 1989, 106, 107 mit Anm. Loewenheim – Oberammergauer Passionsspiele II; Schack, UrhR, Rn 383; Dreier/Schulze/Schulze, § 14 Rn 10. 239 Dreier/Schulze/Schulze, § 14 Rn 11. 240 Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, § 14 Rn 23; Fromm/Nordemann/Dustmann, § 14 Rn 15; OLG München GRUR Int 1993, 332, 333 – Christoph Columbus; Wallner, Entstellungen, 135; Schöfer, Rechtsverhältnisse, 50f. 241 Schack, UrhR, Rn 386; Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, § 14 Rn 24. 242 Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 14 Rn 10. 243 Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, § 14 Rn 26.
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Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
muss, wenn das Werkexemplar in fremdem Eigentum steht, mit den Interessen des Eigentümers abgewogen werden. Dieser hat in der Regel ein berechtigtes Interesse daran, mit seinem Eigentum nach Belieben zu verfahren.244 Die Interessenabwägung wird anhand einiger von Rechtsprechung und Literatur entwickelter Bewertungskriterien vorgenommen. Diese bilden keinen abschließenden Katalog, im Einzelfall können weitere hinzukommen. Ein stets angeführtes Kriterium ist die Intensität des Eingriffs.245 Je stärker der Eingriff, desto gewichtiger müssen die Interessen des Eigentümers an der Änderung des Werkstücks sein und desto eher wird dem Urheber zugestanden, die Beeinträchtigung zu verbieten. Die Interessenbewertung hängt maßgeblich auch vom Grad der Öffentlichkeit ab.246 Nur bei einer möglichen Kenntnisnahme durch die Öffentlichkeit kann der Ruf des Urhebers darunter leiden, dass der Eindruck entsteht, er selbst habe das Werk in der verfälschten Form geschaffen oder einer Änderung zugestimmt.247 Diese Wertung folgt aus § 23 S. 1 UrhG, der (mit gewissen Ausnahmen) die Einwilligung des Urhebers erst für die Veröffentlichung einer Bearbeitung, nicht aber für deren Herstellung verlangt.248 Ein weiteres Abwägungskriterium ist die Gestaltungshöhe (der Grad der schöpferischen Eigenart) des Werkes.249 Je höher die Gestaltungshöhe, desto schwerer wiegen die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interessen und desto weniger sind Änderungen zulässig.250 Da die in dieser Arbeit relevanten Werke der reinen bildenden Kunst meist ein hohes Maß schöpferischer Eigenart aufweisen, wiegen die Urheberinteressen hier in der Regel schwer. Erheblich ist auch, ob das Werk einem Gebrauchszweck oder allein dem ästhetischen Genuss dient.251 Werke der bildenden Kunst im engeren Sinne sind zweckfrei und müssen daher nicht einer bestimmten Funktion angepasst oder verändert werden.252 Hier steht die Authentizität des Werkes, der Erhalt der ihm
244 245 246 247 248 249 250 251 252
Dreier/Schulze/Schulze, § 14 Rn 25. Vgl. statt vieler Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, § 14 Rn 28. Statt vieler Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 14 Rn 20. LG Berlin GRUR 1007, 964, 969 – Hauptbahnhof; Bullinger, Kunstwerkfälschung, 81; Dietz, Werkintegritätsschutz, 86. Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, § 14 Rn 25. Siehe z. B. BGHZ 62, 331, 339 = GRUR 1974, 675, 678 – Schulerweiterung; OLG Frankfurt M. GRUR 1986, 244 – Verwaltungsgebäude; Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 14 Rn 16; HK UrhG/Dreyer, § 14 Rn 28, 52. BGHZ 62, 331, 339 = GRUR 1974, 675, 678 – Schulerweiterung; Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 14 Rn 16; Dreier/Schulze/Schulze, § 14 Rn 31. Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, § 14 Rn 26. Ganz anders bei Bauwerken, die einem bestimmten Zweck dienen, siehe z. B. BGHZ 62, 331, 338 = GRUR 1974, 675, 678 – Schulerweiterung; BGH GRUR 1982, 107, 110f. – KirchenInnenraumgestaltung; BGH GRUR 2012, 172 – Stuttgart 21.
Vernichtung des Werkes
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durch seinen Schöpfer verliehenen Form, im Vordergrund; Änderungen wiegen daher besonders schwer.253 Kein Kriterium bei der Interessenabwägung sollten Rang und Ansehen des Künstlers oder der Wert seiner Kunst sein, denn diese Faktoren lassen sich gerichtlich nicht beurteilen.254 d. Widerrechtlichkeit der Verletzung Liegt eine tatbestandsmäßige Verletzung des § 14 UrhG vor, wird deren Widerrechtlichkeit, die das zweite Tatbestandsmerkmal des § 97 I 1 UrhG bildet, indiziert.255 Sie entfällt, wenn ein Rechtfertigungsgrund, insbesondere eine Einwilligung oder Genehmigung durch den Urheber, vorliegt.256 3.
Formen der Entstellung von Werken der bildenden Kunst
Im Folgenden sollen Formen der Entstellung von Werken der bildenden Kunst kategorisiert und einzelne Besonderheiten einer Verletzung von § 14 UrhG aufgezeigt werden. Eine Entstellung kann entweder durch Eingriff in die körperliche Substanz (unten a.) oder durch einen dem Werk abträglichen Sachzusammenhang erfolgen (unten b.). a. Beeinträchtigung der körperlichen Substanz Beeinträchtigungen der körperlichen Substanz können in unterschiedlicher Gestalt auftreten, die hier nach ihrer Ursache bzw. Zielsetzung geordnet werden. Daraus ergeben sich folgende Kategorien: Alters-, umwelt- oder umgangsbedingte Beeinträchtigungen (unten aa.), Eingriffe zur Restaurierung (unten bb.) oder Konservierung (unten cc.) und zur bewussten Veränderung der Werkgestalt (unten dd.). aa. Alters-, umwelt- oder umgangsbedingte Beeinträchtigungen Eine Veränderung des Werkzustandes muss nicht auf einer bewussten Entscheidung desjenigen, in dessen Besitz sich das Werkstück befindet, beruhen, sie kann auch auf die Sacheigenschaften des Werkstücks zurückzuführen sein. Als Sache muss es aus einem bestimmten Material bestehen. Jedes Material verändert sich mit der Zeit durch äußere Einflüsse. Wie stark die Veränderung ausfällt, hängt von den Eigenschaften des jeweiligen Materials und der Intensität 253 Vgl. Dietz, Werkintegritätsschutz, 86; Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 14 Rn 18. 254 Bullinger, Kunstwerkfälschung, 79 stellt damit gleichzeitig den Grad der schöpferischen Eigenart als Kriterium der Interessenabwägung in Frage; Dietz, Werkintegritätsschutz, 85; van Waasen, Spannungsfeld, 82f. 255 Vgl. MAH UrhR/Schlüter, § 35 Rn 24; Dreier/Schulze/Specht, § 97 Rn 14. 256 Dreier/Schulze/Specht, § 97 Rn 15.
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der Einflüsse, denen das Werkstück ausgesetzt ist, ab. Kunstgegenstände sind Handelsobjekte, werden also bewegt, transportiert und unter unterschiedlichen Bedingungen gelagert. Sie unterliegen damit erheblichen äußerlichen Einflüssen, die ihre Spuren auf dem Werk hinterlassen. Es liegt daher im wahrsten Sinne des Wortes in der Natur der Sache, dass die meisten Veränderungen von Kunstwerken auf schädliche Umwelteinflüsse, den Umgang mit dem Werk oder gewöhnliche Alterserscheinungen zurückzuführen sind. Ergebnis sind etwa Craquelure oder durch Sonneneinstrahlung verblasste Farben auf einem Gemälde, aufgrund von Feuchtigkeit oxidierte Stahlskulpturen oder durch Transport oder die Präsentation entstandene Schäden. Ein Beispiel ist der im ersten Teil geschilderte Fall der Künstlerin Cady Noland, deren Werk »Cowboys Milking« in allen Ecken leichte Kratzer und Verbiegungen von der Aufhängung davontrug, welche die Künstlerin zur Desavouierung bewegten.257 Museen oder andere professionelle Aussteller haben meist die entsprechenden Vorrichtungen und Experten zur Hand, um diese Beeinträchtigungen zu vermeiden oder zu reduzieren. Werden Werkstücke von einem privaten Eigentümer aufbewahrt und ausgestellt, so hat dieser unter Werterhaltungsgesichtspunkten ebenfalls ein Interesse daran, alters-, umwelt- oder umgangsbedingten Veränderungen entgegenzuwirken. Das geschieht aus Mangel an Expertise oder wegen der hohen Kosten oft aber nicht. Es ist umstritten, ob überhaupt und wenn ja, ab wann alters-, umwelt- oder umgangsbedingte Beeinträchtigungen als Entstellung iSv § 14 UrhG zu werten sind und den Eigentümer womöglich Ansprüchen des Urhebers aussetzen. Wollte man Veränderungen des Werkes, die beim gewöhnlichen Umgang mit dem Werk durch einen privaten Eigentümer unvermeidbar sind, als Entstellung werten und nach § 14 UrhG verbieten, hieße dies, dass den Eigentümer besondere Sorgfalts- und Erhaltungspflichten im Umgang mit dem Werk träfen. Selten werden die aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht fließenden Befugnisse generell höher bewertet als das dem Eigentümer gemäß § 903 BGB zustehende Recht, mit der Sache nach Belieben zu verfahren. Nach einer extremen Ansicht hat der Urheber das Recht, »der durch unpflegliche und verständnislose Behandlung drohenden Vernichtung entgegenzutreten« und den Eigentümer zu Erhaltungsmaßnahmen zu verpflichten.258 Nach ganz herrschender Lehre hingegen trifft den Eigentümer keine Pflicht, sich für das Werk aufzuopfern und mitunter kostspielige Erhaltungsmaßnahmen zur Konservierung und Restaurierung zu treffen; Erhaltungspflichten können sich lediglich nach Maßgabe des öffentlich-rechtlichen Denkmal-
257 Siehe oben Teil 1 B.III.2.a.aa. 258 Samson, UrhR, 37.
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schutzes oder vertraglicher Vereinbarungen ergeben.259 Zu den vom Urheber hinzunehmenden Einflüssen werden jegliche nicht durch den Eigentümer bedingten Einwirkungen gezählt.260 Teilweise wird angenommen, dass dem Eigentümer selbst der sorglose Umgang mit dem Werkstück nicht vorwerfbar sei, weil er ein Recht zur Fahrlässigkeit in Bezug auf sein Eigentum habe.261 Allerdings kann der Grat zwischen einem sorglosen Umgang mit dem Werkstück und der vorsätzlichen Entstellung sehr schmal sein, wenn der Eigentümer beispielsweise ein für einen Innenraum gedachtes Kunstwerk der Witterung im Freien aussetzt.262 Wieder andere Autoren wenden sich gegen jede pauschale Beurteilung und wollen die Rechte und Pflichten des Eigentümers in Bezug auf das Werk losgelöst von jedwedem Verschuldensgrad durch Abwägung des Integritäts- mit dem Eigentümerinteresse im Einzelfall bestimmen.263 Der herrschenden Lehre ist darin zuzustimmen, dass das Aufhalten des natürlichen Verfalls eines Kunstwerkes nicht grundsätzlich dem Eigentümer aufgebürdet werden darf. Eine pauschale Erhaltungspflicht würde den Eigentümer unverhältnismäßig belasten: Er wäre gezwungen, das Werkstück mit viel Aufwand zu konservieren und unter optimalen Bedingungen aufzubewahren und auszustellen und es im Fall von Zustandsverschlechterungen restaurieren zu lassen. Dies würde den Eigentümer über den gezahlten Kaufpreis hinaus einem kaum kalkulierbaren finanziellen Risiko aussetzen, das mangels Stütze im Gesetz kaum zu rechtfertigen ist. Durch eine Restaurierungspflicht würde er aber auch mit dem Risiko eines juristischen Nachspiels belastet. Denn wie wir noch sehen werden, sind insbesondere Restaurierungsmaßnahmen geeignet, in das Urheberpersönlichkeitsrecht des Urhebers einzugreifen und Streit auszulösen.264 Eine Pflicht zur schonenden Aufbewahrung unter optimalen Bedingungen würde den Eigentümer zudem unverhältnismäßig stark in seinen – dem Urheberrecht grundsätzlich gleichwertigen – Eigentümerbefugnissen aus § 903 BGB und in dem ihm von § 44 II UrhG eingeräumten Ausstellungsrecht beschränken. Diese Auslegung entspricht auch der Absicht des Gesetzgebers, wie in der amtlichen Begründung zu § 25 UrhG deutlich wird. Hiernach ist der Besitzer eines Originals nicht verpflichtet, dieses vor Beschädigung oder Vernichtung zu
259 Schack, FS Boguslavskij, 433, 435; Schack, KuR, Rn 470; Wiesner, Veräußerung, Rn 334; Häret, DS 2008, 169, 171f. 260 van Waasen, Spannungsfeld, 141f.; Wiesner, Veräußerung, Rn 334. 261 Vgl. Schack, KuR, Rn 186; van Waasen, Spannungsfeld, 142. 262 Vgl. van Waasen, Spannungsfeld, 142; Schack, FS Boguslavskij, 433, 435. 263 So z. B. HK UrhG/Dreyer, § 14 Rn 73. 264 Siehe unten Teil 2 A.II.3.a.bb.
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schützen oder es besonders pfleglich zu behandeln.265 Den Eigentümer trifft also grundsätzlich keine Pflicht zu Erhaltungsmaßnahmen. Auch der Verschuldensgrad spielt grundsätzlich keine Rolle. Die Unterscheidung zwischen dem Hinnehmen eines Verfallsprozesses, einfacher Sorglosigkeit und mutwilliger Beschädigung ist, wie bereits gesehen, fließend und vom Tatbestand des § 14 UrhG nicht vorgegeben. § 14 UrhG setzt lediglich eine objektive Beeinträchtigung voraus,266 auf ein Verschulden kommt es nicht an. So kann ein Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch gemäß § 97 I UrhG auch gewährt werden, wenn den Verletzer kein Verschulden trifft. Theoretisch kommt damit auch bei alters-, umwelt-, und umgangsbedingten Verschlechterungen des Werkes, die nicht (grob) fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt werden, eine Verletzung des Entstellungsverbots in Betracht. Das Tatbestandsmerkmal der Entstellung oder anderweitigen Beeinträchtigung ist zunächst erfüllt, da darunter schon jede objektiv nachweisbare Änderung des geistig-ästhetischen Gesamteindrucks des Werkes fällt.267 Die Eignung zur Interessengefährdung ist damit indiziert.268 Die Differenzierung zwischen einer zulässigen Eigentümerhandlung und einer unzulässigen Verletzung von Urheberrechten ist richtigerweise in der Interessenabwägung im Einzelfall zu verorten. Hier kann der Grad des Verschuldens des Verletzers in die Abwägung einfließen und zugunsten der einen oder anderen Seite ins Gewicht fallen. Daneben sind die bereits vorgestellten Abwägungskriterien maßgeblich.269 Auch wenn ein rein künstlerisch-ästhetisches Werk in der Regel zweckfrei ist, hilft hier der Gedanke des Gebrauchszwecks als Abwägungskriterium270 weiter : Das Kunstwerk soll grundsätzlich in üblicher Weise genutzt werden dürfen.271 Daher sind solche Beeinträchtigungen, die durch die übliche Verwendung typischerweise entstehen, vom Urheber hinzunehmen. Dieser muss bei seiner Entscheidung, das Werk einem anderen zu überlassen, damit rechnen, dass dessen Einsatz zu einem bestimmten Zweck – und sei es nur ein künstlerisch-ästhetischer – Spuren hinterlässt. Somit sind von der üblichen Verwendung eines Kunstwerkes solche Schäden abgedeckt, die z. B. mit Lagerung und Präsentation des Werkes typischerweise einhergehen. Die Prüfung einer Entstellung durch gewöhnliche alters-, umgangs- oder umweltbedingte Beeinträchtigungen wird daher im Rahmen der Interessenabwägung in § 14 UrhG meist zu Gunsten des Eigentümers ausfallen. Ausnahmen 265 266 267 268 269 270 271
RegE BT-Dr IV/270, S. 52. Dreier/Schulze/Schulze, § 14 Rn 10. Siehe oben Teil 2 A.II.2.a. Siehe oben Teil 2 A.II.2.b. Siehe oben Teil 2 A.II.2.c. Siehe oben Teil 2 A.II.2.c. Dreier/Schulze/Schulze, § 14 Rn 13.
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könnten sich aber aus den konkreten Umständen ergeben, wenn beispielsweise ein besonders empfindliches Werk in dem Bewusstsein und mit dem Versprechen erworben wird, den Zustand so gut wie möglich zu erhalten. bb. Restaurierung Ein in der Praxis häufiger Substanzeingriff ist die Restaurierung des Werkstücks durch seinen Eigentümer. Unter einer Restaurierung wird zumeist die Wiederherstellung des früheren Zustands verstanden, die nur der Erhaltung des Werkes dient und dieses nicht verändern soll.272 Der Restaurator und der ihn beauftragende Eigentümer haben also in der Regel gute Absichten, und eine gelungene Restaurierung entspricht meist auch dem Willen des Urhebers, der sein Werk für die Nachwelt erhalten wissen will.273 Dennoch kann es hier zu Konflikten kommen. Ob eine Restaurierung misslungen oder geglückt ist, kann von dem Künstler, Restaurator und Eigentümer sehr unterschiedlich beurteilt werden. Eine Restaurierung, die dem Eigentümer gefällt, kann den individuellen Vorstellungen des Künstlers widersprechen. Wurde das Werk unsachgemäß restauriert und z. B. die Farbgebung in einem Gemälde verfälscht, kann das Recht auf Werkintegrität aus § 14 UrhG beeinträchtigt sein. Ob das Originalwerk durch eine Restaurierung entstellt ist, muss in einer wertenden Betrachtung der Erhaltungsinteressen des Eigentümers und der beeinträchtigten Urheberinteressen festgestellt und vom Wesen des Werkes her bestimmt werden.274 Teilweise wird dabei auf den individuellen Gesamteindruck des Werkes abgestellt und ob sich dieser verändert hat.275 Tendenziell wird mit zunehmendem Umfang der Abweichungen das Urheberpersönlichkeitsrecht stärker berührt und die Interessenabwägung verschiebt sich zu Lasten des Eigentümers und seines Erhaltungsinteresses.276 Kleinere Ausbesserungen schadhafter Stellen sind z. B. weit weniger einschneidend als eine umfangreiche Ergänzung fehlender Teile.277 Es ist oft ein schmaler Grat zwischen Restaurierung und Rekonstruktion, letztere ist als (Teil-)Nachbildung eine Vervielfältigung iSv § 16 UrhG und damit grundsätzlich dem Urheber vorbehalten.278
272 So z. B. Dreier, FS Beier, 365; Schack, KuR, Rn 465; van Waasen, Spannungsfeld, 94; a. A. Bullinger, Kunstwerkfälschung, 100ff., wonach es gar keine Wiederherstellung des früheren Zustands geben könne, das Werk werde notwendigerweise verändert. 273 Vgl. Bullinger, Kunstwerkfälschung, 102; van Waasen, Spannungsfeld, 94. 274 Vgl. van Waasen, Spannungsfeld, 94; Bullinger, Kunstwerkfälschung, 102f. 275 Schack, FS Boguslavskij, 433, 437; Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, § 14 Rn 16. 276 van Waasen, Spannungsfeld, 94. 277 Schack, FS Boguslavskij, 433, 437. 278 Schack, KuR, Rn 465.
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Als Orientierungshilfe zur Grenzziehung zwischen einer sach- und einer unsachgerechten Restaurierung wird u. a. die Richtlinie des Internationalen Museumsrates empfohlen.279 Die Richtlinie stellt die Authentizität des Werkes in den Vordergrund und will eine dauerhafte Verfälschung der ästhetischen Wirkung des Werkes verhindern; daher sollen Restaurierungsmaßnahmen grundsätzlich umkehrbar sein und größere Ergänzungen des Werkes deutlich von den originalen Werkteilen unterscheidbar sein. Trotz der Gefahr einer das Urheberpersönlichkeitsrecht verletzenden Restaurierung hat der Urheber keinen Anspruch darauf, auf die restauratorischen Maßnahmen auch nur beratend Einfluss nehmen zu können,280 oder die Restaurierung gar selbst vorzunehmen.281 Dies wäre eine unzumutbare Einschränkung der Privatautonomie des Sacheigentümers.282 Doch liegt es durchaus im Interesse des Eigentümers an einer gelungenen Restaurierung, den Urheber hinzuzuziehen oder zumindest zu benachrichtigen. Denn der mit einer erfolgreichen Restaurierung verbundene Werterhalt des Kunstwerkes, die Kostenersparnis durch Auskunft des Künstlers über Materialien und Technik und die Vermeidung von Ansprüchen wegen Entstellung aus § 14 UrhG werden den Eigentümer meist zu einer Kooperation mit dem Künstler bewegen.283 Durch Hinzuziehung des Urhebers können die Authentizität des Kunstwerkes eher bewahrt und das Risiko einer Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts verringert werden.284 So wäre vielleicht auch der aufsehenerregende Streit um das Werk »Log Cabin« von Cady Noland zu verhindern gewesen.285 Bei dem Werk handelt es sich um die hölzerne Fassade eines Blockhauses, die von 1990 bis 2014 im Eigentum eines deutschen Kunstsammlers stand und die meiste Zeit vom Aachener Suermondt-Ludwig-Museum im Freien ausgestellt wurde. Aufgrund der Feuchtigkeit, der es ausgesetzt war, begann das hölzerne Werk zu modern. 2010 ließ der Eigentümer fast sämtliche Holzbestandteile des Werkes erneuern, allerdings ohne die Künstlerin vorab zu konsultieren. Nachdem Noland von der 279 Bullinger, Kunstwerkfälschung, 102f.; Richtlinie in: Standards für Museen, 2006, Deutscher Museumsbund e. V. gemeinsam mit ICOM-Deutschland, 16f. 280 Bullinger, Kunstwerkfälschung, 104; Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 14 Rn 45; Häret, DS 2008, 169, 172. 281 RegE BT-Dr IV/270, S. 45; Honscheck, GRUR 2007, 944, 948. 282 Bullinger, Kunstwerkfälschung, 104; Häret, DS 2008, 169, 172; Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 14 Rn 45. 283 Bullinger, Kunstwerkfälschung, 105; Häret, DS 2008, 169, 172. 284 Schack, FS Boguslavskij, 433, 436. 285 Schilderung des Sachverhalts bei: Bandle, in: Mosimann/Schönenberger, 107, 113; O’Donnell, Art Advisors are Not Always Fiduciaries—Lawsuit over Cady Noland »Log Cabin« Dismissed, Sullivan Art Law Report, 14. 12. 2016; Kinsella, Cady Noland Disowns $1.4 Million Log Cabin Artwork Sparking Collector Lawsuit, Artnet News, 25. 06.2016.
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Restaurierung erfahren hatte, leugnete sie die Urheberschaft des zwischenzeitlich verkauften Werkes und löste damit eine gerichtliche Auseinandersetzung zwischen dem neuen Eigentümer und den am Verkauf beteiligten Galerien und Beratern aus.286 Seit Juli 2017 geht auch Noland selber gerichtlich gegen die von ihr nicht autorisierte Restaurierung vor und beanstandet eine Urheberrechtsverletzung. Der Fall zeigt, wie unterschiedlich der Erfolg einer Restaurierung beurteilt werden kann, und dass die Abstimmung mit den betreffenden Kunstschaffenden im ureigenen Interesse des Eigentümers liegt. Im Fall von »Log Cabin« wurde das Werk optisch in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Problematisch war hier eher, dass die Künstlerin sich übergangen fühlte, weil fast alle Teile des Werkes ohne ihr Einverständnis ausgetauscht worden waren. Hier stellt sich nicht nur die Frage nach einer Entstellung des Ausgangswerkes, sondern auch nach der Grenze zwischen zulässiger Restaurierung und unzulässiger Vervielfältigung des Werkes.287 Letztere könnte den bereits behandelten288 Anspruch auf Vernichtung rechtswidrig hergestellter Vervielfältigungsstücke aus § 98 I 1 UrhG auslösen. cc. Konservierung Von der Restaurierung zu unterscheiden ist die Konservierung, d. h. die bloße Sicherung des Istzustandes.289 Grundsätzlich sind Konservierungsmaßnahmen weniger geeignet das Urheberpersönlichkeitsrecht des Künstlers zu verletzen. Sie haben rein bewahrende Wirkung, da sie den Zustand des Werkes stabilisieren und den Eintritt künftiger Schäden verhindern.290 Besonderheiten ergeben sich, wenn der Künstler es bewusst auf den Verfall des Werkes angelegt oder ihn zumindest in Kauf genommen hat. Einige Künstler spielen bewusst mit der Vergänglichkeit von Materialien, etwa Damien Hirst, dessen Kunstwerk »AThousand Years« einen verwesenden Kuhkopf, an dem sich Fliegen ernähren, zeigt. Auch Joseph Beuys trat mit der Verwendung von Fett dem musealen »Ewigkeitsanspruch« entgegen.291 In diesen Fällen besteht die Integrität des Werkes in dessen Gestalt im jeweiligen Verfallsstadium, weshalb eine der künstlerischen Intention zuwider286 Mueller v. Michael Janssen Gallery Pte. Ltd., 225 F.Supp.3d 201 (S.D.N.Y. 2016). 287 Halperin/Kinsella, Cady Noland Sues Three Galleries for Copyright Infringement Over Disavowed Log Cabin Sculpture, Artnet News, 21. 07. 2017; Frye, Theseus’s Paradox and the Ontology of the Work of Authorship, The Faculty Lounge, 28. 07. 2017. 288 S. oben S. 53ff. 289 Schack, KuR, Rn 465. 290 Standards für Museen, 2006, Deutscher Museumsbund e.V. gemeinsam mit ICOMDeutschland, 17. 291 Bullinger, Kunstwerkfälschung, 100f.
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laufende Hemmung des Alterungs- und Zerfallsprozesses das immaterielle Werk derart verändern würde, dass die persönlichen und geistigen Interessen des Urhebers am Werk gefährdet würden.292 Da dem Eigentümer das Konzept und der Wille des Künstlers beim Erwerb bekannt sein sollten, muss er den Verfall des Werkes hinnehmen, wenn er sich bewusst für dessen Erwerb entschieden hat.293 dd. Bewusste Veränderung der Werkgestalt Der wohl häufigste Fall einer bewussten Änderung eines Kunstwerkes ist der Kunstvandalismus. Meist fallen ihm Kunstwerke im öffentlichen Raum zum Opfer, weil diese in der Regel ungeschützt frei zugänglich sind. Im Rahmen der Münsteraner »Skulptur Projekte« 2017 veränderten Unbekannte das Kunstwerk der Künstlerin Nicole Eisenman (* 1965), indem sie u. a. eine ihrer Brunnenfiguren enthaupteten.294 Solche Fälle blinder Zerstörungswut verstoßen eindeutig gegen das Entstellungsverbot aus § 14 UrhG.295 Es kann auch vorkommen, dass der Eigentümer selbst das Kunstwerk verändert. Nicht selten bewegen den Eigentümer geschmackliche Entwicklungen oder ein gewandelter Zeitgeist zu ästhetischen Umgestaltungen. Musterbeispiel ist der Fall Felseneiland mit Sirenen296. Hier hatte die Hauseigentümerin bei einem Maler ein Wandfresko bestellt, das ein Felseneiland mit nackten Sirenen zeigte. Die dargestellte Nacktheit erschien ihr mit den Jahren zu obszön, sodass sie die Sirenen mit leichten Gewändern bekleiden ließ. Der Maler sah sich in seinem Urheberpersönlichkeitsrecht verletzt und hatte vor dem Reichsgericht Erfolg.297 Diesem kam es weder auf die Beweggründe der Beklagten, die das Fresko aus Gründen der Schicklichkeit verändert hatte, noch auf die Qualität der Übermalungen an. Vielmehr wurde dem Künstler das Recht zugesprochen, »dass das von ihm geschaffene Werk, als ein Ausfluss seiner individuellen künstlerischen Schöpferkraft, der Mit- und Nachwelt nur in seiner unveränderten individuellen Gestaltung zugänglich gemacht bzw. hinterlassen werde.«298
292 Dreier, FS Beier, 365, 376; Häret, DS 2008, 169, 173; Bandle, in: Mosimann/Schönenberger, 107, 125. 293 So auch van Waasen, Spannungsfeld, 94f.; Bullinger, Kunstwerkfälschung, 103f.; Häret, DS 2008, 169, 173; Schack, FS Boguslavskij, 433, 437; für eine ergebnisoffene Interessenabwägung Dreier, FS Beier, 365, 376. 294 Kohler, Kopflos in Münster, SZ, 02. 08. 2017. 295 Dazu, ob in diesen Fällen ein Anspruch aus § 14 UrhG auch gegen den Eigentümer des Kunstwerkes (oft ein öffentlicher Träger) geltend gemacht werden kann, siehe unten Teil 2 A.II.4.a. 296 RGZ 79, 397 – Felseneiland mit Sirenen. 297 RGZ 79, 397, 401 – Felseneiland mit Sirenen. 298 RGZ 79, 397, 399 – Felseneiland mit Sirenen.
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Die Entscheidung des Reichsgerichts macht deutlich, dass das Entstellungsverbot auch dann verletzt sein kann, wenn Dritte die Veränderung der Werkgestalt als »gelungen« bezeichnen würden.299 Eingriffe zur ästhetischen Veränderung des Originalwerkes führen immer zu einer Entstellung iSv § 14 UrhG,300 erst recht, wenn Dritte das Werk verändern, um eine neue künstlerische Aussage zu erreichen. In dieser Absicht besprühte der Künstler Thomas Baumgärtl die Skulptur »Ruhender Verkehr« von Wolf Vostell auf dem Kölner Hohenzollernring vollständig mit Bananen.301 Auch wenn manch einem die eher unscheinbare Skulptur Vostells erst mit der Bananenverzierung richtig gefiel, stellte sie doch eine Verletzung von Vostells Urheberpersönlichkeitsrecht dar und wurde schnell entfernt. Um die Tragweite eines fremden Eingriffs in das künstlerische Werk zu verdeutlichen, sei nochmals auf den Stellenwert der Authentizität eines Werkes der bildenden Kunst hingewiesen.302 Für den Genuss von bildender Kunst muss man das Originalwerk in der Form, in der es der Urheber geschaffen hat, direkt wahrnehmen. Anders als beispielsweise bei Musikwerken, bei denen neben der Schöpfung durch den Komponisten immer die künstlerische Leistung des Interpreten nötig ist, um das Werk sinnlich wahrnehmen zu können, kommt bei Werken der bildenden Kunst keine künstlerische Fremdleistung hinzu.303 Wird die Gestalt des Originalwerkes verändert, dann kann das Werk nicht mehr in seiner ursprünglichen Aussage wahrgenommen werden. Außerdem wird durch die ästhetische Veränderung die Funktion des Werkes als Zeugnis des künstlerischen Wirkens eines Künstlers beeinträchtigt.304 b. Entstellung durch veränderten Sachzusammenhang Eine Entstellung des Werkes setzt nicht notwendigerweise einen Substanzeingriff voraus. Der individuelle Gesamteindruck wird auch durch außerhalb des Werkes liegende Faktoren geprägt.305 Urheberpersönlichkeitsrechtliche Interessen am Werk können daher auch durch Form und Art seiner Wiedergabe und Nutzung beeinträchtigt werden.306 So kann z. B. die Einfassung von Kunstdrucken in von Dritten an das Bild angepasste Rahmen den Eindruck erwecken, es handele sich um ein vom Urheber so vorgesehenes Gesamtkunstwerk.307 299 300 301 302 303 304 305
Vgl. auch van Waasen, Spannungsfeld, 65f. Bullinger, Kunstwerkfälschung, 90f. Bullinger, Kunstwerkfälschung, 91. Siehe oben Teil 1 B.III.1.b. Bullinger, Kunstwerkfälschung, 92. van Waasen, Spannungsfeld, 65f. Vgl. Wiesner, Veräußerung, Rn 298; siehe auch Kommentierung zu § 14 UrhG, z. B. Dreier/ Schulze/Dreier, § 14 Rn 11. 306 BGHZ 150, 32, 41 = GRUR 2002, 532, 534 – Unikatrahmen. 307 BGHZ 150, 32, 42 = GRUR 2002, 532, 534 – Unikatrahmen.
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In der Praxis kommt es häufig zu Konflikten rund um die Gestaltung von Ausstellungen. Teilweise wird schon die Zusammenstellung der Werke vom Künstler als entstellend empfunden. So missfiel z. B. Giorgio de Chirico eine geplante Retrospektive seines Werkes auf der Biennale in Venedig deshalb, weil nach seiner Auffassung sein Frühwerk gegenüber dem Spätwerk viel zu sehr betont worden und die Ausstellung somit nicht repräsentativ für sein Oeuvre sei.308 Er wehrte sich auch dagegen, dass die ausgestellten Werke unter der sogenannten »metaphysischen Richtung«, von der sich de Chirico inzwischen distanziert hatte, eingereiht wurden.309 Eine Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts ist hier jedoch – entgegen dem persönlichen Empfinden des Künstlers – abzulehnen. Ein wesentliches Merkmal des Urheberpersönlichkeitsrechts ist der Werkbezug, es schützt nur die ideellen Interessen des Urhebers an einem konkreten Werk und nicht an seinem Gesamtwerk. Ob eine Ausstellungsauswahl für das Gesamtwerk repräsentativ ist oder nicht, ist somit nicht Gegenstand des Integritätsschutzes aus § 14 UrhG. Hier kommt lediglich eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Betracht, wenn die Ausstellung das gesamte Werkschaffen des Künstlers verzerrt und dadurch das Ansehen des Künstlers und seine Wertschätzung beeinträchtigt.310 Bei der Einreihung unter die metaphysische Periode des Künstlers handelte es sich um eine Kategorisierung, die unter die Kunstkritik fällt und nicht in sein Urheberpersönlichkeitsrecht eingreift.311 Deshalb hatte de Chirico mit seiner Klage gegen die Veranstalter letztlich keinen Erfolg.312 Ein entstellender Sachzusammenhang mit Werkbezug lag hingegen bei der Münchener Ausstellung »Entartete Kunst« im Jahre 1937 vor. Die dort gezeigten Werke wurden sowohl durch das Thema der Ausstellung als auch durch die Präsentationsweise und die abwertenden Kommentare zu den Bildern im Ausstellungsführer zutiefst herabgewürdigt und verzerrt.313 In abgeschwächter Weise traf das auch im sogenannten »Weimarer Bilderstreit« zu. Dieser entbrannte um die missglückte Ausstellung von 1999 »Aufstieg und Fall der Moderne« zur Kunst in der DDR. Hier wurden Meisterwerke von namhaften Künstlern wie Neo Rauch und mittelmäßige Dekorationsstücke schlecht beleuchtet vor einer Plastikplane dicht an dicht neben- und übereinander gehängt, sodass das einzelne Bild kaum noch zur Geltung kam und die fast
308 309 310 311 312 313
Sachverhalt bei Richard/Junker, GRUR 1988, 18, 25; Schack, KuR, Rn 698. Pedrazzini, Schweizerische Mitteilungen 1956, 72, 74. Erdmann, GRUR 2011, 1061, 1064 mit Verweis auf BGHZ 107, 384, 392 – Emil Nolde. Pedrazzini, Schweizerische Mitteilungen 1956, 72, 92. Corte di Appello di Venezia, Foro Italiano 1955 I, 717ff. Bullinger, Kunstwerkfälschung, 121; von Detten, Kunstausstellung, 109f.
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am Boden hängenden Bilder kaum zu betrachten waren.314 Der individuelle Gesamteindruck der einzelnen Werke wurde hier durch die Art und Weise der Präsentation stark beeinträchtigt.315 Auch eine falsche Hängung einzelner Bilder kann entstellend wirken, so z. B. wenn die Gemälde von Georg Baselitz, die nach dem Willen des Künstlers auf dem Kopf stehen sollen, »richtig« herum aufgehängt werden.316 Bei der Interessenabwägung ist zu bedenken, dass die entstellende Art und Weise der Präsentation auch durch Verkehrssicherungspflichten des Ausstellungsbetreibers bedingt sein kann, die der Sicherheit der Ausstellungsbesucher dienen.317 Absperrungen, Hinweisschilder oder eine zusätzliche Panikbeleuchtung können die künstlerische Aussage zwar stören, sind aber unter Umständen unvermeidlich, wenn das Werk der Öffentlichkeit ohne Sicherheitsrisiko präsentiert werden soll. Der entstellende Sachzusammenhang kann auch dadurch hergestellt werden, dass ein ortsbezogenes Kunstwerk an einen anderen als ursprünglich vorgesehenen Ort verbracht wird. Beispiele für einen besonderen Ortsbezug sind die Stahlskulpturen von Richard Serra (* 1939), deren Größe und Proportion genau an die örtliche Umgebung angepasst sind.318 Sein Werk »Tilted Arc« schuf der Künstler in den 1980er Jahren für die Federal Plaza in Manhattan. Es bestand aus einer mehr als mannshohen Stahlplatte, die sich fast über den gesamten Platz erstreckte und diesen dadurch zerschnitt. Aufgrund anhaltender Proteste der Bevölkerung wurde das Werk wieder entfernt, worin Serra eine Urheberrechtsverletzung sah und sich zu wehren versuchte – ohne Erfolg.319 In Deutschland gab es 2001 einen ähnlich gelagerten Fall vor dem OLG Hamm. Hier hatte das Gericht darüber zu urteilen, ob der Künstler Wilfried Hagebölling (* 1941) gestützt auf § 14 UrhG die Verbringung seiner Stahlgroßplastik »Keilstück« von seinem vorgesehenen Platz, dem Martinikirchplatz in Minden, in einen privaten Bauhof verbieten durfte. Das OLG Hamm hielt die Entfernung des Werkes für eine Entstellung: Das Werk sei für den Martinikirchplatz konzipiert worden und entfalte seine Aussagekraft erst in dieser bestimmten Umgebung.320 Die Umgebung der Skulptur sei Bestandteil des
314 Beschreibung der Gestaltung der Ausstellung bei: von Detten, Kunstausstellung, 23ff. 315 Auch das LG Erfurt, Urt. v. 17. 6. 1999–3 u O 15/99 (unveröffentlicht), nahm hier eine Urheberrechtsverletzung an. 316 Beispiel bei Schack, KuR, Rn 683. 317 Vgl. Ebling/Schulze/Kirchmaier, S. 337. 318 Gelungene Erläuterungen zum Werk Serras bei Bahners, Ich will euch kein Bildnis machen, FAZ, 02. 11. 2009. 319 Serra v. United States Gen. Serv. Admin., 664 F.Supp. 798 (S.D.N.Y. 1987); 667 F.Supp. 1042 (S.D.N.Y. 1987); 847 F.2d 1045 (2d Cir. 1988). 320 OLG Hamm ZUM-RD 2001, 443, 444 – Keilstück.
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Kunstwerkes, sodass es durch die Entfernung in zwei Teil zerfalle.321 Zwar bejahte das Gericht zutreffend das Vorliegen einer Entstellung, doch berücksichtigte es bei der Interessenabwägung nicht zu Gunsten der Stadt als Eigentümerin, dass sie die Skulptur nicht an einen anderen öffentlichen, sondern an einen privaten Ort verbringen wollte. Dies ist aber von ausschlaggebender Bedeutung: Zum einen muss es dem Eigentümer bei einer Großplastik im öffentlichen Raum genauso wie bei einem Bild im Museum möglich sein, das Werk aus dem Verkehr zu ziehen und zu archivieren.322 Alles andere käme einer Ausstellungspflicht gleich und würde unverhältnismäßig stark in die Eigentümerbefugnisse aus § 903 BGB eingreifen. Vor allem aber spielt der Öffentlichkeitsbezug bei der Interessenabwägung eine tragende Rolle: Ohne Rezipienten wirkt sich die Entstellung nicht negativ auf Ehre und Ansehen des Künstlers aus.323 Zutreffend entschied das OLG Schleswig 2006 daher in einem ähnlichen Fall, dass die Verbringung eines ortsbezogenen Kunstwerkes auf einen privaten Bauhof zwar eine Beeinträchtigung des § 14 UrhG darstellt, dass sie aber zur Interessengefährdung nicht geeignet ist, wenn das Werk in seiner veränderten Form nicht öffentlich in Erscheinung tritt.324 Neben einer Entfernung des Werkes von seinem angestammten Ort ist es auch denkbar, dass das Werk seinen Ortsbezug dadurch verliert, dass die Umgebung verändert wird. Würde man die Umgebung rund um Serras Skulpturen verändern, beispielsweise die Bebauung verdichten, abreißen oder erhöhen, so gingen die genau berechneten Proportionen verloren und das Werk würde in seinem künstlerischen Gesamteindruck verfälscht. Gleichzeitig steht außer Frage, dass bei im öffentlichen Interesse stehenden und im Bauplanungsrecht angelegten Projekten und Veränderungen nicht in jedem Fall auf die ortsbezogene Kunst Rücksicht genommen werden kann. 4.
Vernichtung des Werkstücks als mögliche Rechtsfolge des Beseitigungsanspruchs aus §§ 97 I 1, 14 UrhG
Auf der Rechtsfolgenseite ist zunächst zu klären, wer überhaupt Anspruchsgegner sein kann (unten a.). Sodann ist zu diskutieren, ob als zulässige Rechtsfolge des § 97 I 1 UrhG bei irreversibel entstellten Werken ein Anspruch auf Werkvernichtung bestehen kann (unten b.).
321 OLG Hamm ZUM-RD 2001, 443, 446 – Keilstück. 322 Vgl. BGH JZ 2019, 680 mit Anm. Schack – HHole (for Mannheim); BGH ZUM 2019, 521 – PHaradise; Dreier/Schulze/Schulze, § 14 Rn 36. 323 Siehe oben Teil 2 A.II.2.c. 324 OLG Schleswig ZUM 2006, 426, 427.
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a. Anspruchsgegner Anspruchsgegner in § 97 I 1 UrhG ist der Verletzer, also der Täter oder Teilnehmer, der die Urheberrechtsverletzung begangen hat, oder der Störer.325 Täter ist, wer die Tatbestandsmerkmale des urheberrechtlichen Verletzungstatbestands selbst erfüllt,326 also § 14 UrhG durch eine Entstellung des Werkes selbst verletzt hat. Der vorsätzlich handelnde Teilnehmer haftet als Anstifter oder Gehilfe an der von einem Dritten begangenen Tat wie ein Täter, vgl. § 830 II BGB. Störer ist, wer willentlich und adäquat kausal an der Herbeiführung oder Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Beeinträchtigung mitgewirkt hat, sofern es ihm tatsächlich und rechtlich möglich und zumutbar gewesen wäre, die konkrete Rechtsverletzung zu verhindern.327 Die Störerhaftung erfordert kein Verschulden,328 begründet dafür aber auch nur Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche.329 Für einen Vernichtungsanspruch aus §§ 97 I 1, 14 UrhG muss der Eigentümer des Werkstücks selbst Verletzer oder zumindest Störer sein, damit er als Anspruchsgegner zur Vernichtung des Werkstücks verpflichtet werden kann. Ein Dritter hätte als Anspruchsgegner nicht die entsprechende Dispositionsbefugnis über das Werkstück. Er könnte weder an Stelle des Eigentümers in die Vernichtung des Werkstücks einwilligen noch selbst das Werkstück zur Verletzungsbeseitigung zerstören, weil der Eigentümer ihm sein Abwehrrecht aus §§ 903, 1004 BGB entgegenhalten würde. Veranlasst der Eigentümer selbst die Entstellung, wie im Fall Felseneiland mit Sirenen durch den Auftrag, das Bild übermalen zu lassen, dann ist er ohne Zweifel Anspruchsgegner des § 97 I 1 UrhG. Gleiches gilt für den eine entstellende Restaurierung oder Konservierung in Auftrag gebenden Eigentümer. In Fällen des Kunstvandalismus durch Dritte ist fraglich, ob der Eigentümer als Störer in die Haftung genommen werden könnte. Die Störerhaftung soll nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, welche die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben.330 Die Verpflichtung, geeignete Vorkehrungen zur Verhinderung von Rechtsverletzungen zu treffen, besteht daher nur im Rahmen des Zumutbaren und Erforderlichen.331 Bei der Zumutbarkeit
325 Möhring/Nicolini/Reber, § 97 Rn 35, 42. 326 BGH GRUR 2013, 1229, 1231 – Kinderhochstühle im Internet II; BGHZ 185, 330, 333 = GRUR 2010, 633, 634 – Sommer unseres Lebens. 327 BGH GRUR 2011, 152, 155f. m. w. N. – Kinderhochstühle im Internet I. 328 Statt aller Schricker/Loewenheim/Leistner, § 97 Rn 73. 329 Vgl. BGHZ 185, 330, 335 = GRUR 2010, 633, 634 – Sommer unseres Lebens. 330 Ständige Rspr., z. B. BGH GRUR 2018, 642, 644 – Internetforum. 331 BGH GRUR 1984, 54, 55 – Kopierläden.
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sind u. a. die Funktion des möglichen Störers, eine Gewinnerzielungsabsicht sowie die Eigenverantwortung des Verletzers ausschlaggebend.332 Bei Entstellungen von Kunst im öffentlichen Raum könnte dem Eigentümer (meist ein öffentlicher Träger) die Rechtsverletzung als Störer vorgeworfen werden, weil er das Werk ungeschützt aufgestellt und so die Rechtsverletzung durch Dritte erst ermöglicht hat. Der öffentliche Träger, der das Kunstwerk aufgestellt hat, müsste dann die zumutbare Pflicht, für besondere Schutzvorkehrungen rund um das Kunstwerk zu sorgen, verletzt haben. Dem öffentlichen Träger ist es aber nicht zuzumuten, das Kunstwerk rund um die Uhr bewachen zu lassen. Eine darauf gerichtete Sicherungspflicht würde das Konzept »Kunst im öffentlichen Raum« als solches abschaffen, da es anders als in einem öffentlichen Museum mit festen Öffnungszeiten ein zu großer finanzieller Aufwand wäre, z. B. einen Wärter zur Bewachung abzustellen. Außerdem muss zugunsten des öffentlichen Trägers, der Kunst im öffentlichen Raum ausstellt, bei der Zumutbarkeit bedacht werden, dass er ohne Gewinnerzielungsabsicht im öffentlichen Interesse handelt.333 Einem privaten Eigentümer, der seine Kunstgegenstände zu Hause aufbewahrt und ausstellt, wären gesonderte Sicherheitsvorkehrungen aus denselben Gründen nicht zumutbar. Im Privatbereich muss noch weniger mit Kunstvandalismus gerechnet werden.334 Öffentliche Museen beschäftigen in der Regel Wärter, die eine Verletzung des Urheberrechts, z. B. durch unerlaubtes Fotografieren oder durch Vandalismus, verhindern sollen, und kommen damit etwaigen Schutzpflichten nach. Keine Störerhaftung dürften die Fälle von Kunstvandalismus trotz Bewachung (wie etwa im Fall der »Nachtwache« von Rembrandt in Amsterdam schon mehrfach geschehen) auslösen: Ein solches vorsätzliches Eingreifen Dritter ist mit zumutbaren Mitteln nicht zu verhindern, es würde letztlich dazu führen, dass Werke nur noch hinter Glas gezeigt werden könnten. Für die Entstellung des Werkes durch einen Dritten ist der Eigentümer daher nur in seltenen Ausnahmefällen als Störer verantwortlich. Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass der Eigentümer ein von einem Dritten entstelltes Kunstwerk weiterhin öffentlich ausstellt. Eine Ausstellung des entstellten Werkes gegen den Willen des Künstlers könnte ebenfalls dessen Integritätsrecht verletzen. Zunächst erscheint es widersinnig, den Eigentümer auf diesem Wege doch noch zum Verletzer zu machen, wo er doch für den ursprünglichen Eingriff in 332 Dreier/Schulze/Specht, § 97 Rn 28 m.w.N. 333 Vgl. Fromm/Nordemann/J.B. Nordemann, § 97 Rn 157 m.w.N. 334 Zu beachten ist außerdem, dass eine Entstellung das Urheberpersönlichkeitsrecht erst ab einem gewissen Grad der Öffentlichkeit beeinträchtigen kann, s. oben Teil 2 A.II.2.c.
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die Sachsubstanz nicht verantwortlich ist. Andererseits wirkt der Eigentümer an der Verletzung des § 14 UrhG mit, indem er das Werk einem öffentlichen Publikum präsentiert.335 Wie bereits gesehen, ist die Entstellung nämlich erst durch ihre öffentliche Wahrnehmung geeignet, die Interessen des Urhebers zu beeinträchtigen.336 Das Interesse des Eigentümers, mit der Sache nach Belieben zu verfahren, muss daher gegenüber dem Urheberinteresse, zu bestimmen, wie die Werkgestalt von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, zurücktreten. Da die rechtswidrige Handlung aber auf die Ausstellung des Werkes beschränkt ist, können sich Abwehransprüche des Urhebers auch nur auf die Unterlassung der öffentlichen Ausstellung richten. Dass der Eigentümer das Werk nicht mehr im entstellten Zustand zeigen darf, wird im Ergebnis freilich oft dazu führen, dass er die Entstellung selbst beseitigt. Dann kann er den Täter der Substanzverletzung in Regress nehmen. Wenn dieser scheitert, liegt dies im allgemeinen Lebensrisiko des Werkstückeigentümers. b. Die Vernichtung entstellter Werke als zulässige Rechtsfolge des § 97 I 1 UrhG Sind die Tatbestandsvoraussetzungen des Entstellungsverbots aus § 14 UrhG erfüllt und ist der Eigentümer des Werkstücks richtiger Anspruchsgegner, so muss im konkreten Fall untersucht werden, ob über den Beseitigungsanspruch des § 97 I 1 UrhG eine vollständige Vernichtung des Werkstücks verlangt werden kann. Dies ist zunächst mit dem Wortlaut des § 97 I 1 UrhG vereinbar, der nicht festlegt, in welcher Form die Beseitigung der Beeinträchtigung erfolgen muss. Bedenken gegen die vollständige Vernichtung bestehen wegen der Eigentümerinteressen an der Erhaltung seines Sacheigentums. Die Interessenabwägung in § 14 UrhG ist dazu kein geeignetes Korrektiv, da diese sich nur auf den Tatbestand der Rechtsverletzung und nicht auf etwaige Rechtsfolgen bezieht. Auf der Rechtsfolgenseite ist aber zu beachten, dass der Beseitigungsanspruch dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgebot unterliegt und die Beseitigungshandlung somit geeignet, erforderlich und zumutbar sein muss.337 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung wird anhand einer umfassenden Interessenabwägung vorgenommen.338 Die vollständige Vernichtung kann mangels Erforderlichkeit abzulehnen sein, wenn die Beeinträchtigung durch mildere, gleich geeignete Mittel beseitigt 335 Vgl. HK UrhG/Dreyer, § 14 Rn 73, die schon den Besitz eines entstellten Werkes uU für ausreichend hält, wenn die Gefahr der Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit besteht. 336 Siehe oben A.II.2.c. 337 Dreier/Schulze/Specht, § 97 Rn 70; Wandtke/Bullinger/v. Wolff, § 97 Rn 43; Möhring/Nicolini/Reber, § 97 Rn 87; Wiesner, Veräußerung, Rn 387. 338 Möhring/Nicolini/Reber, § 97 Rn 87 mit Verweis auf BGH GRUR 1960, 500, 503 – Plagiatsvorwurf; BGH GRUR 1965, 104, 107 – Personalausweise; BGH GRUR 1984, 54 – Kopierläden.
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werden kann. Bei einer bereits eingetretenen Entstellung des Werkes kann zunächst versucht werden, die Entstellung z. B. mit Hilfe restauratorischer Maßnahmen zu beseitigen. So musste im Fall Felseneiland mit Sirenen339 die Hauseigentümerin die Übermalungen des Freskos wieder entfernen lassen. Auch Entstellungen durch einen abträglichen Sachzusammenhang sind meist umkehrbar : Entstellende Ausstellungen können beendet werden und ortsbezogene Kunst kann an den Ursprungsort verbracht werden. Eine Vernichtung des Werkes kann aber dann erforderlich sein, wenn die Entstellung irreversibel ist: Dann kann die Störung des Urheberpersönlichkeitsrechts unter Umständen nur durch Vernichtung des Werkstücks beendet werden.340 Dies ist denkbar, wenn ein Kunstwerk überwiegend zerstört ist und dessen Restaurierung nur zu einer Replik des ursprünglichen Werkes führen würde, oder wenn ein ortsgebundenes Werk durch die Veränderung des Umfeldes herabgewürdigt wird.341 Im Rahmen der Zumutbarkeit muss bedacht werden, dass die vollständige Vernichtung den schwersten, wiederum irreversiblen Eingriff in die Rechte des Sacheigentümers darstellt. Die Zumutbarkeit wird daher in der Regel zu verneinen sein. Statt einer Vernichtung könnte der Urheber vom Eigentümer als Minus verlangen, dass dieser das Werk nicht länger öffentlich ausstellt.342 Denn nur bei einer Kenntnisnahme durch die Öffentlichkeit kann der Eindruck entstehen, der Urheber selbst habe das Werk in der verfälschten Form geschaffen oder einer Änderung zugestimmt.343 Das Verbot der öffentlichen Ausstellung ist zwar im Vergleich zur Vernichtung kein gleich geeignetes Mittel zur Verletzungsbeseitigung: Erstens beseitigt das Ausstellungsverbot die Entstellung selbst nicht, es wird nur verhindert, dass diese die Urheberinteressen gefährdet. Zweitens besteht weiterhin die Gefahr, dass das Werk doch an die Öffentlichkeit gelangt und dem Urheber wieder schadet. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann es aber angemessen sein, den Urheber auf diesen Anspruch zu beschränken. Hier sind die Intensität und die Umstände der Entstellung zu berücksichtigen: Ist das Werk zwar irreversibel, aber hinsichtlich der Intensität nur geringfügig entstellt, so ist das Risiko, dass das Werk trotz Ausstellungsverbots wieder an die Öffentlichkeit gelangt, eher hinzunehmen.
339 RGZ 79, 397ff. – Felseneiland mit Sirenen. 340 Häret, DS 2008, 169, 175; Bullinger, Kunstwerkfälschung, 106; Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 14 Rn 46; Wiesner, Veräußerung, Rn 387. 341 Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 14 Rn 46. 342 Wiesner, Veräußerung, Rn 387; Bullinger, Kunstwerkfälschung, 106f. 343 LG Berlin GRUR 2007, 964, 969 – Hauptbahnhof; Bullinger, Kunstwerkfälschung, 81; Dietz, Werkintegritätsschutz, 86.
Vernichtung des Werkes
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Auch die Rolle des Eigentümers bei der Verletzung muss in die Bewertung der Zumutbarkeit der Rechtsfolge miteinbezogen werden. Ist der Eigentümer des Kunstwerkes für die entstellende Änderung des Werkes nicht verantwortlich, sondern nur für dessen weitere Ausstellung, so ist eine Vernichtung des Werkstücks unangemessen. Der Abwehranspruch muss sich auf die konkrete Beeinträchtigung beziehen, dem Eigentümer kann dann nur die öffentliche Ausstellung des Werkes untersagt werden. Wenn jedoch dem Eigentümer die Entstellung besonders vorwerfbar ist, z. B. weil er sie vorsätzlich begangen hat, oder aufgrund seines Vorverhaltens davon auszugehen ist, dass er sich nicht an das Ausstellungsverbot halten wird, kann eine Vernichtung des Werkstücks als Rechtsfolge angemessen sein. Außerdem kann eine Vernichtung unumgänglich sein, wenn eine Entfernung des irreversibel entstellten Werkes aus der Öffentlichkeit überhaupt nur durch Zerstörung des Werkes möglich ist wie bei unbeweglichen Werken. Auch hier müssen die Interessen des Urhebers mit den Eigentümerinteressen am Erhalt seines Sacheigentums unter Berücksichtigung der Intensität des Eingriffs und des Verschuldens des Eigentümers abgewogen werden. Somit ist eine Desavouierung durch Werkzerstörung zumindest bei irreversiblen Entstellungen grundsätzlich möglich, doch muss im Einzelfall die Zumutbarkeit der Maßnahme genau geprüft (und meist verneint) werden. In der Praxis kommt – neben dem Urheber und dem Sacheigentümer – häufig noch ein dritter Akteur hinzu: die Kunstversicherungen. Ist ein Werk irreparabel beschädigt, so erstattet die Versicherung den Betrag, den das Werk ursprünglich wert war, und übernimmt das Werkstück. Es steht dann im Eigentum der Versicherung, darf aber nicht länger ausgestellt werden. Die beschädigten Werke werden manchmal eingelagert in der Hoffnung, dass in der Zukunft verbesserte Restaurierungstechniken die Entstellung doch noch beheben können.344 5.
Ergebnis zu II. Desavouierung entstellter Werke durch deren Vernichtung
Der Urheber kann unter engen Voraussetzungen die Vernichtung eines entstellten Werkes gemäß §§ 97 I 1, 14 UrhG verlangen. Neben den allgemeinen Voraussetzungen des § 14 UrhG muss der Sacheigentümer der richtige Anspruchsgegner und die Vernichtung als Beseitigung der Entstellung verhältnismäßig sein. Verhältnismäßig kann die extreme Rechtsfolge der Vernichtung nur sein, wenn das Werk irreversibel entstellt ist. Andernfalls wäre die Beseitigung der Entstellung – z. B. durch Restaurierung des Werkstücks – ein gleich geeignetes, milderes Mittel. 344 Krause, Am Ende der Kunst, SZ Magazin 23/2018, S. 10.
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Selbst bei einer irreversiblen Entstellung ist jedoch zu beachten, dass das Entfernen aus der Öffentlichkeit eine mildere Alternative ist. Ist das Entfernen nicht ohne Vernichtung des Werkstücks möglich oder ist es nicht geeignet, die Beeinträchtigung dauerhaft zu beseitigen, dann kann die vollständige Beseitigung des Werkstücks im Einzelfall auch verhältnismäßig sein. Auch wenn die Entstellung eines Werkes der bildenden Kunst in den seltensten Fällen seine Vernichtung rechtfertigt, kommt sie doch in vielfältigen Formen in der Praxis vor. Eine Entstellung ist daher ein häufiger Grund für das Desavouierungsbegehren des Urhebers.345
III.
Ergebnis zu A. Desavouierung durch Vernichtung des Werkes
Künstler können ein Werk, sei es ihr eigenes oder ein ihnen untergeschobenes fremdes Werk, nur in den seltensten Fällen durch Vernichtung desavouieren. Die berechtigten Interessen des Sacheigentümers (§ 903 BGB) stehen diesem Begehren im Wege; die Vernichtung als intensivster Eingriff in das Sacheigentum ist meist nicht erforderlich oder aber unzumutbar. Eine Ausnahme sind Fälschungen konkreter vom Künstler stammender Werke, die als Vervielfältigungsstücke gemäß § 98 I UrhG in der Regel vernichtet werden können. Die Vernichtung bloßer Stilimitationen kann der Künstler dagegen nicht verlangen, weder über § 12 BGB, noch über das droit de non-paternit8. Über den Entstellungsschutz aus §§ 97 I 1, 14 UrhG kann der Urheber in Ausnahmefällen die Vernichtung irreversibel entstellter Werke verlangen, wenn die Beeinträchtigung nur so effektiv beseitigt werden kann und die Vernichtung auch verhältnismäßig ist. Die Werkvernichtung als extremstes Mittels der Desavouierung ist daher für Künstler nur selten relevant.
B.
Verbot der Namensnennung
Eine Möglichkeit, ein Werk zu desavouieren, ohne es gleich zu vernichten, eröffnet sich über die Urheberbezeichnung: Könnte der Künstler die ihn als Urheber ausweisende Bezeichnung unterdrücken, so würde er künftig nicht mehr als Urheber des Werkes wahrgenommen werden. Dann verschwände zwar nicht das Werk als solches, wohl aber dessen Verbindung zum Urheber aus dem öffentlichen Bewusstsein. 345 S. oben S. 37f.
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Hierfür müsste der betreffende Künstler die Nennung seines Namens im Zusammenhang mit dem Werk verbieten können. Hat er das Originalwerkstück signiert, so wäre ein Nennungsverbot allein aber wirkungslos, denn jeder könnte den Namen des Künstlers auf dem Werkstück selbst nachlesen. Eine vollständige Unterdrückung der Urheberbezeichnung wäre dann nur durch Entfernung der Signatur denkbar. Dafür müsste in die Werksubstanz eingegriffen werden. Dazu, ob die zum Namensnennungsverbot gefundenen Ergebnisse auf diese einschneidende Desavouierungsform übertragen werden können, s. unten C. Zunächst sollen verschiedene Rechtsgrundlagen untersucht werden, auf die ein Namensnennungsverbot gestützt werden könnte: das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft aus § 13 UrhG (unten I.), das Recht auf Werkintegrität aus § 14 UrhG (unten II.), das Namensrecht aus § 12 BGB (unten III.) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Gestalt des droit de non-paternit8 (unten IV.).
I.
Recht auf Anerkennung der Urheberschaft, § 13 UrhG
§ 13 UrhG, der unter das Urheberpersönlichkeitsrecht fällt, hat die namentliche Verbindung von Werk und Urheber zum Inhalt und könnte damit eine passende Rechtsgrundlage für ein Namensnennungsverbot sein. Trotz seines positiven Titels »Anerkennung der Urheberschaft« enthält die Norm auch ein Recht auf Anonymität,346 aus dem sich ein solches Verbot ableiten ließe. Zunächst ist der Schutzinhalt des § 13 UrhG zu erläutern (unten 1.). Sodann ist zu untersuchen, ob sich aus dem Anonymitätsrecht ein umfassendes Namensnennungsverbot ableiten lässt. Das hängt vom Umfang des Anonymitätsrechts in sachlicher (unten 2.) sowie in zeitlicher Hinsicht (unten 3.) ab. 1.
Schutzinhalt des § 13 UrhG
Ungefähr seit dem 12. Jahrhundert sind Künstler nicht länger anonyme Handwerker, sondern treten namentlich als Urheber in Erscheinung.347 Gemäß § 13 UrhG hat jeder Urheber in Deutschland »das Recht auf Anerkennung seiner Urheberschaft am Werk. Er kann bestimmen, ob das Werk mit einer Urheberbezeichnung zu versehen und welche Bezeichnung zu verwenden ist.« § 13 UrhG enthält das »Anerkennungsrecht« in Satz 1 und das »Benennungsrecht« in Satz 2. Hieraus können sich sowohl positive Leistungs- als auch negative Abwehransprüche ergeben:348 Über das Anerkennungsrecht in Satz 1 346 Siehe unten B.I.1. 347 Schack, UrhR, Rn 370. 348 Fromm/Nordemann/Dustmann, § 13 Rn 9.
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kann der Urheber gegen jeden vorgehen, der seine Urheberschaft bestreitet oder sie sich selbst anmaßt, und gemäß Satz 2 kann der Urheber bestimmen, ob und, wenn ja, auf welche Weise zum Ausdruck gebracht werden soll, wer das Werk geschaffen hat.349 Unter die »Urheberbezeichnung« in § 13 S. 2 UrhG fällt die Kennzeichnung des Werkes mit dem bürgerlichen Namen, dem Künstlernamen, einem Decknamen (Pseudonym) oder einem sonstigen Zeichen.350 Die Art und Weise der Urheberbezeichnung kann Gegenstand einer ausdrücklichen oder auch konkludenten Vereinbarung zwischen Urheber und Nutzer sein.351 In welchem Verhältnis das Anerkennungs- (Satz 1) und das Benennungsrecht (Satz 2) zueinanderstehen, ist im Einzelnen umstritten. Die wohl herrschende Meinung geht davon aus, dass § 13 S. 1 UrhG das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft als allgemeines Schutzprinzip enthält und Satz 2 den wichtigsten Anwendungsfall dieses Prinzips darstellt.352 § 13 UrhG hat eine Doppelfunktion: Die Anerkennung der Urheberschaft stellt den Schwerpunkt des Schutzes der persönlichen und geistigen Interessen dar, sie hat aber auch große wirtschaftliche Bedeutung.353 Dem ideellen Interesse des Urhebers entspricht es in der Regel, dass seine Verbindung zum Werk offengelegt wird und er somit die »Lorbeeren« seines Schaffens ernten kann. Wirtschaftlich profitiert er von der Anerkennung seiner Urheberschaft durch einen steigenden Bekanntheitsgrad und den positiven Werbeeffekt, den das ihm zugeschriebene Werk für sein weiteres Schaffen haben kann.354 Es kann aber auch sein, dass der Urheber sich nicht öffentlich mit dem Werk schmücken möchte, die Gründe dafür können vielfältig sein.355 Da § 13 S. 2 UrhG dem Urheber die Entscheidung über das Ob der Urheberbezeichnung überlässt, umfasst das Benennungsrecht auch das Recht anonym zu bleiben.356 Oft unterlassen bildende Künstler in Wahrnehmung ihres Anonymitätsrechts die Signierung eines Werkes. Setzte sich jemand über diesen Wunsch hinweg und brächte dennoch eine Urheberbezeichnung auf dem Original selbst357 an, so würde er sich wegen unzulässigen Anbringens der (zutreffenden) Urheberbe349 350 351 352 353 354 355 356 357
RegE BT-Dr IV/270, S. 44. RegE BT-Dr IV/270, S. 44. öst. OGH GRUR Int. 2004, 159, 161 – Universum. BGHZ 126, 245, 248 – Namensnennungsrecht des Architekten; Loewenheim/Dietz/Peukert, § 16 Rn 68f.; Möhring/Nicolini/Kroitzsch/Götting, § 13 Rn 1; a. A. Schack, UrhR, Rn 370; Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 13 Rn 10. Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, § 13 Rn 1. Vgl. Dreier/Schulze/Schulze, § 13 Rn 7. Siehe dazu auch die Desavouierungsgründe oben Teil 1. B.III.2.a. LG Köln ZUM-RD 2007, 201, 205 – Schwammskulptur ; Dreier/Schulze/Schulze, § 13 Rn 32. Nach h. M. genügt es nicht, wenn die Bezeichnung nur auf dem Rahmen oder dem Sockel des Werkes, in einem Katalog oder auf einem Schild zu finden ist; vgl. Schricker/Loewenheim/Kudlich, § 107 Rn 5 m.w.N.
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zeichnung gemäß § 107 I Nr. 1 UrhG strafbar machen. Die Anonymität bliebe durch ein Weglassen der Signatur allein aber nicht länger gewahrt, wenn der Urheber von anderen als solcher bezeichnet würde, etwa im Zusammenhang mit einer Ausstellung des Werkes. Das Anonymitätsrecht kann damit nur durch einen Anspruch auf Unterlassung der Namensnennung, mithin durch ein Namensnennungsverbot, gesichert werden. Wie weit die Möglichkeit einer Desavouierung durch Namensnennungsverbot reicht, hängt zum einen vom sachlichen Umfang des Anonymitätsrechts ab: Von wem und in welchem Zusammenhang darf der Künstler verlangen, nicht als Urheber benannt zu werden? Zum anderen fragt sich, zu welchem Zeitpunkt der Urheber sich für die Anonymität entscheiden muss: Kann er nur von vorneherein auf Anonymität bestehen oder darf der Urheber seine Meinung später ändern und sein Werk auch nach dessen Veröffentlichung unter seinem Namen gestützt auf § 13 S. 2 UrhG durch ein Namensnennungsverbot desavouieren? Hierzu muss der zeitliche Umfang358 des Anonymitätsrechts geklärt werden (unten 3.).
2.
Sachlicher Umfang des Anonymitätsrechts aus § 13 S. 2 UrhG
Wie weit das Anonymitätsrecht in sachlicher Hinsicht reicht, hängt zum einen davon ab, ob sich das Benennungsrecht aus § 13 S. 2 UrhG nur auf körperliche Werkstücke bezieht oder auch auf die unkörperliche Werknutzung (unten a.). Zum anderen ist entscheidend, ob es sich auf urheberrechtlich relevante Werknutzungen beschränkt oder aber auf jegliche Form der Werknutzung erstreckt (unten b.). Ob § 13 S. 2 UrhG so weit oder eng ausgelegt werden muss, ist umstritten. a. Körperliche oder unkörperliche Werknutzung Nach der amtlichen Begründung soll dem Urheber kein allgemeines Recht zustehen, die Angabe seines Namens bei jeder Nutzung seines Werkes verlangen zu können.359 Vereinzelt wurde daraufhin in der Literatur eine besonders enge Auslegung des § 13 S. 2 UrhG vertreten und das Benennungsrecht auf körperliche Werkstücke, also das Originalwerkstück oder Vervielfältigungsstücke, begrenzt und für die unkörperliche Werknutzung (§ 15 II UrhG) ausgeschlossen.360 Das hieße, dass der bildende Künstler z. B. nur im Zusammenhang mit der Ausstellung des Originalwerkes oder mit dessen Abbildung in einem Museums358 Unter »zeitlich« ist der Zeitpunkt der Geltendmachung gemeint, z. B. vor/nach Veröffentlichung. 359 Vgl. RegE BT-Dr IV/270, S. 44. 360 Tölke, UPR, 61; Hock, Namensnennungsrecht, 51.
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oder Verkaufskatalog die Entscheidung über das Ob und Wie der Urhebernennung treffen könnte, während er z. B. auf die Bezeichnung einer Darstellung seines Werkes im Internet keinen Einfluss nehmen könnte, weil es sich dabei um eine unkörperliche Wiedergabe nach § 19a UrhG handelt. Nach herrschender Meinung gilt das Benennungsrecht hingegen für die körperliche wie unkörperliche Werknutzung gleichermaßen.361 Das ist mit Blick auf den Wortlaut der Norm, die vom Werk und nicht vom Original oder Vervielfältigungsstück spricht, überzeugend.362 Der Urheber hat mithin bei der körperlichen wie bei der unkörperlichen Werknutzung das Recht, auf seiner Bezeichnung als Urheber zu bestehen oder diese in Ausübung seines Namensnennungsverbots zu unterdrücken. b. Nur urheberrechtsrelevante oder jede Form der Werknutzung In sachlicher Hinsicht besteht Einigkeit darüber, dass der Anonymitätsschutz des § 13 S. 2 UrhG nur den Werknutzer bindet: Der Urheber kann nicht das Bekanntwerden der wahren Urheberschaft in der Öffentlichkeit verhindern und Dritten untersagen, die wahre Urheberschaft offenzulegen.363 Jedermann ist frei, außerhalb der Nutzung des Werkes über eine bestehende Urheberschaft zu berichten,364 sodass beispielsweise ein Journalist in der Besprechung einer Ausstellung das Geheimnis vom Urheber lüften kann. Der Anonymitätsschutz des § 13 S. 2 UrhG greift nur bei einer konkreten Verwertungsbeziehung.365 Der sachliche Umfang muss aber dahingehend bestimmt werden, ob er nur eine urheberrechtlich relevante Nutzung oder jede Form der Nutzung umfasst. Urheberrechtlich relevante Nutzungen sind solche, zu denen dem Werknutzer grundsätzlich erst Nutzungsrechte gemäß § 31 UrhG durch den Urheber oder, im Falle des Ausstellungsrechts in § 44 II UrhG, durch das Gesetz eingeräumt werden müssen. Unter den anderen, nicht urheberrechtlich relevanten Nutzungen werden solche verstanden, die das Urheberrecht zwar als Form der Verwertung kennt, zu denen aber keine Nutzungsrechte gemäß § 31 UrhG eingeholt werden müssen. Die Bestimmung des sachlichen Umfangs ist bei einem Desavouierungsbegehren gegen den Eigentümer eines Kunstwerkes relevant, da dieser meist nicht 361 Vgl. BGHZ 126, 245, 247f. – Namensnennungsrecht des Architekten; Möhring/Nicolini/ Kroitzsch/Götting, § 13 Rn 25.; Dreier/Schulze/Schulze, § 13 Rn 3; Wandtke/Bullinger/ Bullinger, § 13 Rn 7; Fromm/Nordemann/Dustmann, § 13 Rn 22f. 362 So auch Wiesner, Veräußerung, Rn 247; Dreier/Schulze/Schulze, § 13 Rn 4; Schricker/ Loewenheim/Dietz/Peukert, § 13 Rn 25. 363 LG Köln ZUM-RD 2007, 201, 205 – Schwammskulptur ; Fromm/Nordemann/Dustmann, § 13 Rn 28; Loewenheim/Dietz/Peukert, § 16 Rn 71; Häret, DS 2008, 169, 175; Schack, UrhR, Rn 374. 364 LG Köln ZUM-RD 2007, 201, 205 – Schwammskulptur. 365 Loewenheim/Dietz/Peukert, § 16 Rn 71.
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auch als Werknutzer im Sinne des § 31 UrhG auftritt: Selbst wenn das Werk im Rahmen einer Ausstellung oder zum Verkauf öffentlich ausgestellt wird, handelt es sich um eine urheberrechtlich relevante Nutzung iSv § 18 UrhG nur solange das Werk noch unveröffentlicht ist. Mit der ersten Ausstellung tritt Erschöpfung ein,366 sodass nur für die allererste Ausstellung ein Nutzungsrecht benötigt wird; alle folgenden Ausstellungen sind urheberrechtlich nicht mehr relevant. Das Verbreitungsrecht des § 17 I UrhG ist nach Absatz 2 ebenfalls mit der Erstveräußerung erschöpft, sodass jede Weiterveräußerung durch den neuen Eigentümer ohne Nutzungsrechtseinräumung vonstattengehen kann.367 Keine Erschöpfung, aber eine Schranke gilt gemäß § 58 UrhG für die mit dem Verkauf oder einer Ausstellung oft einhergehende Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung des Werkes zu Werbezwecken, z. B. durch seine Abbildung in einem Katalog, einer Ankündigung oder einer Onlinewerbung. Soweit diese Formen der Nutzung zur Förderung der Veranstaltung erforderlich sind, greift die Schranke des § 58 UrhG und die eben bezeichneten Nutzungshandlungen sind zulässig, ohne dass ein Nutzungsrecht eingeholt werden müsste. Die Werbung für eine Auktion, Kunstmesse oder Ausstellung ist somit ebenfalls keine urheberrechtlich relevante Form der Nutzung. Bei einer Eingrenzung des sachlichen Umfangs von § 13 S. 2 UrhG auf urheberrechtlich relevante Nutzungshandlungen wären all diese Nutzungen vom Benennungsrecht ausgeschlossen. Solch ein eng ausgelegtes Benennungsrecht würde indes dem Telos des § 13 UrhG nicht gerecht. Wie bereits gesehen, dient § 13 UrhG den ideellen und wirtschaftlichen Interessen des Urhebers, die sich nicht allein aus urheberrechtlich relevanten Nutzungen des Werkes ergeben, sondern mit dessen Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit zu tun haben. Im konkreten Anwendungsfall der bildenden Kunst käme man zu dem seltsamen Ergebnis, dass der Künstler nicht bestimmen könnte, ob und mit welcher Bezeichnung sein bereits veröffentlichtes Werk bei künftigen Ausstellungen präsentiert wird, dagegen aber z. B. die Urheberbezeichnung auf Postkarten mit Abbildungen von seinem Werk festlegen könnte. Ein solcher Wertungswiderspruch lässt sich nicht rechtfertigen. Dieser Interessenlage wird die Rechtsprechung gerecht, indem sie – teilweise gestützt auf das allgemeine Anerkennungsrecht aus § 13 S. 1 UrhG – den Anspruch auf Namensnennung grundsätzlich auf die Fälle erstreckt, in denen das Werk an die Öffentlichkeit herangeführt wird, z. B. in Gestalt von Ankündi-
366 S. oben Teil 1 B.III.2.b.bb. 367 S. oben Teil 1 B.III.2.b.bb.
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gungen oder Werbedrucksachen.368 Gleiches gilt für das spiegelbildliche Anonymitätsrecht, wie aus der Entscheidung Schwammskulptur369 des LG Köln hervorgeht. Hier ging es um eine Skulptur aus blauen Schwämmen, von der der Beklagte behauptete, er habe sie gemeinsam mit einem bereits verstorbenen Künstler geschaffen. Die Skulptur sollte unter Nennung der beiden vermeintlichen Miturheber ausgestellt werden, wogegen sich die Erben des verstorbenen Künstlers zur Wehr setzten.370 Sie begehrten unter anderem die Unterlassung der Nennung des Verstorbenen als Urheber. Ob die Skulptur tatsächlich miturheberschaftlich geschaffen wurde, blieb streitig. Das Gericht gab den Erben aber auch für den Fall einer tatsächlichen Urheberschaft des Verstorbenen Recht, gestützt auf ein Namensnennungsverbot: Aus dem Namensnennungsrecht des Künstlers nach § 13 UrhG ergebe sich auch das Recht, nicht genannt zu werden. Zudem befand das Gericht ausdrücklich, dass der Unterlassungsanspruch die Bezeichnung des Künstlers als Urheber auch im Zusammenhang mit der Verwertung des Werkes, also schon beim Ausstellen, Anbieten oder Bewerben des Werkes umfasse.371 Das Anonymitätsrecht aus § 13 S. 2 UrhG gilt mithin auch für urheberrechtlich nicht relevante Nutzungen. Das Telos der Norm, das diese weite Auslegung gebietet, begrenzt den sachlichen Anwendungsbereich des § 13 S. 2 UrhG aber auch. Um eine übermäßige Belastung der Werknutzer zu vermeiden, ist im Einzelfall zu prüfen, ob das jeweilige Werk derart an die Öffentlichkeit herangeführt wird, dass schützenswerte ideelle und/oder wirtschaftliche Interessen des Urhebers an der (Nicht-) Nennung bestehen.
c. Zwischenergebnis In sachlicher Hinsicht bezieht sich der Anonymitätsschutz aus § 13 S. 2 UrhG grundsätzlich auf die körperliche wie auf die unkörperliche Werknutzung. Zudem gilt er auch bei urheberrechtlich nicht relevanten Werknutzungen, wenn das jeweilige Werk derart an die Öffentlichkeit gelangt, dass ein berechtigtes Interesse des Urhebers an der Ausübung seines Bezeichnungsrechts besteht. Das Recht auf Anonymität gilt allerdings nur im Zusammenhang mit der Verwertung des Werkes. Dritten gegenüber, die das Werk nicht auf eine der im UrhG angeführten Nutzungsarten nutzen, kann das Anonymitätsrecht aus § 13 S. 2 UrhG nicht geltend gemacht werden (z. B. in der Kunstkritik). 368 BGH GRUR 1963, 40, 43 – Straßen – gestern und morgen; BGH GRUR 2007, 691, 693 – Staatsgeschenk. 369 LG Köln ZUM-RD 2007, 201 – Schwammskulptur. 370 Eingehend zu den Besonderheiten, die sich bei der Desavouierung durch die Erben und Angehörigen des Künstlers ergeben, siehe unten Teil 3. 371 LG Köln ZUM-RD 2007, 201, 205 – Schwammskulptur.
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3.
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Zeitlicher Umfang des Anonymitätsrechts aus § 13 S. 2 UrhG
In der Literatur wird der Anonymitätsschutz meist nur in seiner am häufigsten auftretenden Form besprochen, der Anonymität bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Werkes.372 Ein Werk ist gemäß § 6 I UrhG veröffentlicht, wenn es mit Zustimmung des Berechtigten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Die Möglichkeit eines nachträglichen Anonymitätsschutzes durch ein Namensnennungsverbot wird dagegen kaum behandelt. Nachträglicher Anonymitätsschutz meint, dass der Urheber die Urheberbezeichnung nach der Veröffentlichung des Werkes unter seinem Namen doch noch unterdrücken will. Der Sinn und die Wirksamkeit eines solchen nachträglichen Namensnennungsverbots mögen auf den ersten Blick bezweifelt werden. Was nützt es dem Künstler, auf Anonymität zu bestehen, wenn sein Name bereits bekannt ist? Selbstverständlich kann der Urheber die bereits vorhandene Kenntnis seiner Urheberschaft nicht auslöschen und auch nicht verhindern, dass sein Werk von Dritten als von ihm stammend gewürdigt oder kritisiert wird.373 Durch ein späteres Namensnennungsverbot könnte er aber verhindern, dass er in künftigen Ausstellungen des Werkes als Urheber benannt wird und weitere Personen ihn darüber mit dem Werk in Verbindung bringen. Zudem könnte der Künstler durch ein Namensnennungsverbot die wirtschaftliche Verwertbarkeit des Werkes unterminieren. Darf ein Werk nicht unter dem Urhebernamen verkauft werden, so kann die Künstlerpersönlichkeit nicht werbewirksam eingesetzt werden. Der wertsteigernde Effekt, den die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Künstler haben kann,374 bleibt dann aus. Zudem verweigern Auktionshäuser in der Regel den Verkauf des Werkes eines zeitgenössischen Künstlers, wenn dieser die Authentizität nicht bestätigt.375 Spricht der Urheber ein Namensnennungsverbot aus, dann weckt dies auch Zweifel an der Authentizität. Die wenigen Beiträge, die sich der nachträglichen Anonymität widmen, zeigen, dass die Existenz eines derartigen Desavouierungsrechts umstritten ist. Im Folgenden sollen die verschiedenen Argumente für und gegen ein nachträgliches Namensnennungsverbot diskutiert werden. Zunächst ist die Möglichkeit der Mehrfachausübung des Bezeichnungsrechts zu untersuchen (unten a.). Erst danach kann auf die Zulässigkeit einer nachträglichen Ausübung mit Blick auf gesetzlich geschützte Interessen Dritter eingegangen werden (unten b.).
372 So z. B. Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 13 Rn 12; Möhring/Nicolini/Kroitzsch/Götting, § 13 Rn 10. 373 Siehe oben Teil 2 B.I.2.b. 374 Dazu eingehend oben Teil 1 B.III.1.a. 375 S. oben Teil 1 B.III.1.c.
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a. Möglichkeit der Mehrfachausübung des Bezeichnungsrechts Die Ausübung eines Namensnennungsverbots, nachdem das Werk bereits mit der Urheberbezeichnung veröffentlicht wurde, hängt zum einen davon ab, ob das Bezeichnungsrecht aus § 13 S. 2 UrhG mehrfach ausgeübt werden kann. Dafür sprechen sich einige Autoren mit Verweis auf die Unverzichtbarkeit des Urheberpersönlichkeitsrechts aus (unten aa.). Andere halten das Bezeichnungsrecht für erschöpft, wenn der Urheber das Ob und Wie der Urhebernennung einmal bestimmt habe (unten bb.). Die Stellungnahme (unten cc.) spricht sich für die grundsätzliche Möglichkeit einer Mehrfachausübung des Bezeichnungsrechts aus. aa. Unverzichtbarkeit des Urheberpersönlichkeitsrechts Gelegentlich wird die Unverzichtbarkeit des Urheberpersönlichkeitsrechts, die auch für das Namensnennungsrecht in § 13 S. 2 UrhG gilt, dafür ins Feld geführt, dass der Urheber die einmal festgelegte Bezeichnung jederzeit soll ändern dürfen.376 Das Urheberpersönlichkeitsrecht ist eine Erscheinungsform des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das aus Art. 2 I iVm Art. 1 I GG, die die freie Entfaltung der Persönlichkeit und Würde des Menschen garantieren, abgeleitet wird.377 Was für die unverzichtbare Menschenwürde aus Art. 1 I GG gilt, soll auch für die auf ihr beruhenden Rechte gelten: Zwischen ihnen und ihrem Rechtsträger besteht eine unauflösliche Verbindung.378 Aufgrund dieser Unverzichtbarkeit verbleibe das Bezeichnungsrecht auch nach seiner Ausübung beim Urheber, dieser könne nicht unwiderruflich auf eine bestimmte Urheberbezeichnung festgelegt werden.379 Mit der Unverzichtbarkeit argumentiert die Entscheidung Universum380 des österreichischen Obersten Gerichtshofs. In dem Fall hatte ein Filmkomponist auf Unterlassung seiner Nennung als Komponist im Abspann eines Dokumentarfilms geklagt. Grund dafür war, dass nur eine etwa vierminütige Sequenz der Filmmusik tatsächlich von dem Komponisten stammte. Dieser beanstandete, dass aus seiner Bezeichnung als mitwirkender Komponist nicht hervorgehe, welche Musikteile von ihm komponiert worden waren oder dass diese insgesamt nur vier Minuten lang zu hören waren. Der Kläger empfand seine Namens-
376 öst. OGH GRUR Int. 2004, 159, 161f. – Universum; Möhring/Nicolini/Kroitzsch/Götting, § 13 Rn 18, 28. 377 Dreier/Schulze/Schulze, vor §§ 12ff. Rn 5; Schack, UrhR, Rn 46. 378 Wandtke/Bullinger/Bullinger, vor §§ 12ff. Rn 5; teilweise wird die Unverzichtbarkeit des UPR auch aus dessen Unübertragbarkeit (§ 29 I UrhG) abgeleitet: Rehbinder, ZUM 1986, 365, 366. 379 Möhring/Nicolini/Kroitzsch/Götting, § 13 Rn 28. 380 OGH GRUR Int. 2004, 159 – Universum.
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nennung neben anderen Komponisten als seinem Ruf abträglich, da deren Musik von äußerst bescheidenem Niveau sei. Da das Namensnennungsrecht im österreichischen Recht (§ 20 I öUrhG) der deutschen Regelung in § 13 S. 2 UrhG gleicht, kann die Argumentation auf die Desavouierungsproblematik in Deutschland übertragen werden. Der OGH entschied, dass der Urheber grundsätzlich die vereinbarte Urheberbezeichnung nachträglich einseitig ändern könne. Die Unverzichtbarkeit des Urheberpersönlichkeitsrechts spreche nicht nur für das nachträgliche Anbringen einer Urheberbezeichnung, sondern auch für deren nachträgliches Verbot. Dieses Verbotsrecht sei ebenso Teil des Urheberpersönlichkeitsrechts. bb. Erschöpfung nach erstmaliger Wahrnehmung Nach anderer Ansicht ist das Bezeichnungsrecht aus § 13 S. 2 UrhG nach erstmaliger Ausübung verbraucht und der Urheber damit auf die einmal gewählte Bezeichnung festgelegt.381 Eine auf die erste Anbringung beschränkte Befugnis aus § 13 S. 2 und das Änderungsverbot des § 39 UrhG griffen sinnvoll ineinander.382 Überdies spreche das schutzwürdige Interesse des Eigentümers gegen eine Neuausübung des Bezeichnungsrechts: Nach der Veräußerung dürfe der Urheber keine Änderungen mehr am Werk vornehmen, die Ausübung des Bezeichnungsrechts sei aber oft mit der Signierung des Werkstücks und damit einer Veränderung der Werkgestalt verbunden.383 Eine nochmalige Entscheidung über das Ob kraft eines Namensnennungsverbots wäre damit ausgeschlossen. Diese Ansicht widerspricht de facto dem Unverzichtbarkeitsargument (oben aa.). cc. Stellungnahme Im Folgenden sollen die Argumente zur Unverzichtbarkeit des Urheberpersönlichkeitsrechts und zur Erschöpfung des Bezeichnungsrechts bewertet werden. Die Begründung eines nachträglichen Namensnennungsverbots mit dem Hinweis auf die Unverzichtbarkeit des Urheberpersönlichkeitsrechts überzeugt nicht. Zunächst ist fraglich, ob in den Fällen, in denen der Urheber ein Werk ursprünglich mit einer Urheberbezeichnung versehen hat, überhaupt von einem Verzicht gesprochen werden kann. Man könnte hier statt eines Verzichts auf das Anonymitätsrecht auch eine Ausübung des Bezeichnungsrechts annehmen. Das liegt an der Doppelnatur des § 13 S. 2 UrhG, der dem Urheber sowohl positive als auch negative Befugnisse verleiht: Es steht ihm offen, sich zu seiner Urheber381 Vgl. Wiesner, Veräußerung, Rn 250; Schack, FS Boguslavskij, 433, 438 ; Hock, Namensnennungsrecht, 35. 382 Hock, Namensnennungsrecht, 35. 383 Wiesner, Veräußerung, Rn 252f.
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schaft zu bekennen (Positivbefugnis) oder sie zu verschleiern (Negativbefugnis).384 Aufgrund dieser Doppelnatur kann in der ursprünglichen Festlegung einer Urheberbezeichnung eine Ausübung der Positivbefugnis oder ein Verzicht auf die Negativbefugnis gesehen werden.385 Im Einzelfall muss die Ausübung des Bezeichnungsrechts vom Verzicht auf das Anonymitätsrecht abgegrenzt werden. Das Kriterium hierfür kann mangels äußerer Unterscheidbarkeit der beiden Verfügungstypen nur die ursprüngliche Willensrichtung des Urhebers sein:386 Wollte er das Werk von vornherein mit der Urheberbezeichnung versehen, so ist deren Festlegung eine Rechtsausübung; hat der Urheber das Werk von Anfang an anonym veröffentlichen wollen, sich aber dem Wunsch eines Vertragspartners (z. B. des Eigentümers) gefügt, so läge ein Verzicht auf das Anonymitätsrecht vor.387 Das Unverzichtbarkeitsargument kann somit nur in den Fällen angeführt werden, in denen der Urheber das Werk von Anfang an anonym veröffentlichen wollte und nur dem Eigentümer oder einem Nutzungsberechtigten zuliebe die Urheberbezeichnung angebracht und damit auf die Anonymität verzichtet hat. Hat der Urheber sein Bezeichnungsrecht positiv ausgeübt, so liegt schon kein Verzicht auf das Anonymitätsrecht vor. Er kann sich dann nicht auf die Unverzichtbarkeit des Anonymitätsrechts berufen, wenn er später Anonymität begehrt. Aber selbst wenn man das Festlegen einer Urheberbezeichnung als Verzicht auf das Anonymitätsrecht einordnen würde, könnte dieser Verzicht zulässig sein. Ein absolutes Verzichtsverbot stünde im Widerspruch zu den Verwertungsrechten, die teilweise urheberpersönlichkeitsrechtliche Elemente enthalten.388 Ein Eingriff in das Urheberpersönlichkeitsrecht kann für die Werkverwertung unerlässlich sein; daher muss der Urheber, soweit es der konkrete Vertragszweck erfordert, über seine Rechte disponieren können.389 Dies gilt insbesondere für die bildende Kunst und das Urheberpersönlichkeitsrecht aus § 13 UrhG: Eine wirtschaftlich erfolgreiche Verwertung in Form der Ausstellung, Vervielfältigung oder Veräußerung des Werkes ist in der Regel nur unter Nennung des Urhebers möglich, da dieser als Künstler im Zentrum der Aufmerksamkeit der Rezipienten steht.390 Eine absolute Unverzichtbarkeit der Urheberpersönlichkeitsrechte ginge zu Lasten der Verwertbarkeit des Werkes und
384 385 386 387 388 389 390
Osenberg, Unverzichtbarkeit, 8. Vgl. Osenberg, Unverzichtbarkeit, 8. Osenberg, Unverzichtbarkeit, 8. Vgl. Osenberg, Unverzichtbarkeit, 8. Wallner, Entstellungen, 56. Statt vieler Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, vor §§ 12ff. Rn 16. Siehe oben Teil 1 B.III.1.a.
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damit auch zu Lasten des Urhebers.391 Daher muss man einen Verzicht auf das Anonymitätsrecht, der dessen spätere Ausübung ausschließt, grundsätzlich zulassen. Die Grenze der Verzichtbarkeit bildet der unantastbare Kernbereich des Urheberpersönlichkeitsrechts.392 Ein Verzicht soll solange möglich sein, wie er erhebliche persönliche Interessen des Urhebers nicht beeinträchtigt.393 Eine solche Beeinträchtigung durch den Ausschluss des Anonymitätsrechts ist bei bildender Kunst denkbar, wenn das Werk z. B. in entstellter Form wiedergegeben wird und dadurch der Ruf des Künstlers leidet.394 Das Unverzichtbarkeitsargument spricht somit für ein nachträgliches Anonymitätsrecht, nur soweit dieser Kernbereich beeinträchtigt würde. Andererseits kann man auch nicht ohne weiteres von einer Erschöpfung des Bezeichnungsrechts ausgehen. Der Hinweis, dass das Änderungsverbot gemäß § 39 UrhG mit einer Erschöpfung des Bezeichnungsrechts in Einklang stehe, verfängt nicht, richtet sich das Verbot des § 39 UrhG doch an den Nutzungsberechtigten.395 Die Regelung trifft keine Aussage über eine spätere Änderung der Urheberbezeichnung durch den Urheber selbst. Das Argument, das Bezeichnungsrecht sei verbraucht, da der Urheber nach der Veräußerung des Werkstücks nicht mehr in das Sacheigentum des Eigentümers eingreifen und die Werkgestalt nicht ändern dürfe,396 ist nur valide, wenn es um die Signatur auf einem Werkstück geht. Es greift nicht, wenn der Urheber nur ein Namensnennungsverbot aussprechen will. Auch der Wortlaut des § 13 S. 2 UrhG gibt keine Erschöpfung vor. Das ist anders beim Veröffentlichungsrecht in § 12 UrhG, das denklogisch auf unveröffentlichte Werke begrenzt ist und sich mit Erstausübung verbraucht.397 Ebenso ist das das Veröffentlichungsrecht absichernde398 Ausstellungsrecht in § 18 UrhG schon nach seinem Wortlaut auf unveröffentlichte Werke beschränkt. Bezüglich des Verbreitungsrechts besagt der Erschöpfungsgrundsatz in § 17 II UrhG, dass sich das Verbreitungsrecht mit der erstmaligen rechtmäßigen Veräußerung verbraucht. In § 13 S. 2 UrhG hat der Gesetzgeber es hingegen unterlassen, das Bezeichnungsrecht auf unsignierte oder nicht bezeichnete Werke zu begrenzen oder es nur einmalig zuzugestehen. So könnte man im Umkehrschluss argu391 392 393 394 395 396 397
Osenberg, Unverzichtbarkeit, 24. Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, vor §§ 12ff. Rn 17. Osenberg, Unverzichtbarkeit, 38. Zur Möglichkeit eines Namensnennungsverbots bei Entstellungen s. unten B.II. Und ggf. analog an den Sacheigentümer, Dreier/Schulze/Schulze, § 39 Rn 2. Wiesner, Veräußerung, Rn 252. Eine Veröffentlichung beschreibt einen einmaligen unwiderruflichen Vorgang: Ein bereits veröffentlichtes Werk kann nicht erneut veröffentlicht werden; vgl. Schack, UrhR, Rn 366. 398 Erdmann, GRUR 2011, 1061, 1062; Schack, UrhR, Rn 441.
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mentieren, dass der Gesetzgeber dort, wo eine Erschöpfung der Urheberrechte eintreten soll, diese auch explizit anordnet. Zudem spricht das Telos des § 13 UrhG für die grundsätzliche Möglichkeit einer Mehrfachausübung des Namensnennungsrechts. Die Norm dient dem Bedürfnis des Urhebers, die zwischen ihm und seinem Werk bestehende Beziehung offenzulegen oder zu verschweigen.399 Für den Fall, dass der Urheber z. B. seinen (Künstler-)Namen ändert, muss es ihm gestattet sein, auch die Urheberbezeichnung zu ändern, um weiterhin mit dem Werk in Verbindung gebracht zu werden.400 Das Urheberpersönlichkeitsrecht hat den Schutz der ideellen und wirtschaftlichen Interessen des Urhebers zum Ziel. Deshalb muss eine erneute Ausübung des Benennungsrechts im Einzelfall möglich sein. Von einem Verbrauch des Bezeichnungsrechts nach erstmaligem Gebrauch ist daher nicht auszugehen. Zugleich folgt aus der Unverzichtbarkeit des Kerns des Urheberpersönlichkeitsrechts nicht zwangsläufig, dass der Urheber die Nennung seines Namens stets nachträglich verbieten kann. Zumindest aber scheint eine Mehrfachausübung und damit ein nachträgliches Unterdrücken der Urheberbezeichnung grundsätzlich mit dem UrhG vereinbar zu sein.401 b.
Zulässigkeit einer nachträglichen Ausübung mit Blick auf gesetzlich geschützte Interessen Nachdem eine mehrfache Ausübung des Bezeichnungsrechts für grundsätzlich möglich befunden wurde, ist nun zu prüfen, ob ein nachträgliches Namensnennungsverbot berechtigten Interessen des Werknutzers zuwiderläuft, die in gesetzlichen Bestimmungen ihren Niederschlag gefunden haben. Manche gehen nicht von solch einer gesetzlichen Wertung aus, sondern halten ein nachträgliches Namensnennungsverbot für grundsätzlich zulässig. Einen angemessenen Interessenausgleich sehen sie in der Möglichkeit des Werknutzers, sich über vertragliche Regelungen abzusichern (unten aa.). Teilweise wird auch diskutiert, den Konflikt zwischen Eigentümer- und Urheberinteressen durch eine Abwägung im Einzelfall zu lösen (unten bb.). Wieder andere Autoren meinen, dass ein nachträgliches Anonymitätsrecht bestimmten, den Werknutzer schützenden Erschöpfungs-, Schranken- und Rückrufsbestimmungen entgegenstünde (unten cc.). In der abschließenden Stellungnahme (unten dd.) wird sich zeigen, dass § 13 S. 2 UrhG keinen nachträglichen Anonymitätsschutz gewährt.
399 Wiesner, Veräußerung, Rn 251. 400 Wiesner, Veräußerung, Rn 251 401 So Rehbinder, ZUM 1991, 220, 227.
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aa. Ausgleich gegenläufiger Interessen über vertragliche Regelungen Czernik, der sich ausführlich mit dem nachträglichen Namensnennungsverbot des Künstlers auseinandersetzt, bejaht ein solches Distanzierungsrecht in Anlehnung an die OGH-Entscheidung Universum ausdrücklich auch dann, wenn das Werk ursprünglich unter Namensnennung an die Öffentlichkeit gelangt ist.402 Czernik weist darauf hin, dass der Werkverwerter sich über vertragliche Vereinbarungen schützen könne, eine spätere Distanzierung könne vertraglich ausgeschlossen werden.403 Allerdings finde diese vertragliche Einschränkungsmöglichkeit ihre Grenze im unverzichtbaren Kern des Benennungsrechts, weshalb ein genereller Ausschluss des Distanzierungsrechts nicht möglich sei.404 Eine entsprechende vertragliche Vereinbarung müsse eine Öffnungsklausel beinhalten, damit der Urheber beispielsweise gegen eine Änderung seines Werkes vorgehen könne. Auch Rehbinder erachtet eine nachträgliche Rückziehung des Namens mit Blick auf eine mögliche Schadensersatzpflicht des sich von seinem Werk lossagenden Urhebers als zulässig: Die Interessen des Nutzers könnten durch eine Haftung des Urhebers wegen Verletzung vertraglicher Abreden gewahrt werden, sodass nichts gegen die Annahme eines Widerrufs der Urheberbezeichnung spreche.405 bb. Interessenabwägung im Einzelfall Einige Stimmen in Literatur und Rechtsprechung wollen die Frage eines nachträglichen Namensrückzugs durch eine Interessenabwägung im Einzelfall lösen.406 Sie unterscheiden sich in der Herleitung einer solchen Einzelfallabwägung. Die einen leiten die Interessenabwägung aus dem allgemeinen Verbot des Rechtsmissbrauchs her.407 Dieses Verbot folgt aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und gilt im gesamten Privatrecht, einschließlich des Urheberrechts.408 Eine missbräuchliche Rechtsausübung liegt dann vor, wenn das Interesse des Berechtigten in keiner Weise schutzwürdig ist oder wenn schutzwürdige Interessen der Gegenseite derart überwiegen, dass die Rechtsausübung (in diesem Fall die Geltendmachung des Namensnennungsverbots) zu einem 402 Czernik, Das Distanzierungsrecht des Kunstschaffenden, KUR 2016, 69, 70. 403 Czernik, KUR 2016, 69, 71. 404 Czernik, KUR 2016, 69, 71f. mit Verweis auf BGHZ 126, 245 – Namensnennungsrecht des Architekten. 405 Rehbinder, ZUM 1991, 220, 227. 406 BGHZ 126, 245, 251 – Namensnennungsrecht des Architekten; OGH GRUR Int. 2004, 159, 161 – Universum; v. Ungern-Sternberg, GRUR 2017, 760, 764f.; vgl. Möhring/Nicolini/ Kroitzsch/Götting, § 13 Rn 28. 407 Möhring/Nicolini/Kroitzsch/Götting, § 13 Rn 28. 408 BGH GRUR 2013, 176 – Ferienluxuswohnung; vgl. Jauernig BGB/Mansel, § 242 Rn 10f.
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grob unbilligen, mit der Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnis führen würde.409 Dabei ist zu beachten, dass nicht jede Unbilligkeit oder jedes Interessenungleichgewicht eine unzulässige Rechtsausübung begründet.410 Eine Rechtsausübung, die den Gegner hart treffen würde, reicht nicht aus, es müssen Umstände hinzukommen, welche die Rechtsausübung für die andere Seite als »schlechthin unzumutbar« erscheinen lassen.411 Von Ungern-Sternberg hingegen wendet (bezogen auf eine positive Ausübung des Benennungsrechts) die Interessenabwägung nach Treu und Glauben zwischen Urheber und Nutzer in § 39 II analog auf § 13 S. 2 UrhG an.412 § 39 UrhG behandelt den umgekehrten Fall, dass nicht der Urheber, sondern der Nutzungsberechtigte die Urheberbezeichnung bestimmen möchte. Absatz 1 stellt den Grundsatz auf, dass der Nutzungsrechtsinhaber kein Recht zur Änderung des Werkes, dessen Titels oder der Urheberbezeichnung hat, soweit nichts anderes mit dem Urheber vereinbart ist. Dieser Grundsatz erfährt in Absatz 2 eine Rückausnahme, wenn der Urheber seine Einwilligung zu Änderungen des Werkes und des Titels nach Treu und Glauben nicht versagen kann. Die Urheberbezeichnung ist indes nicht Teil dieser Ausnahme. Von Ungern-Sternberg hält eine analoge Heranziehung des § 39 II UrhG zur Beschränkung des Benennungsrechts für passend, weil die Vorschrift den Konflikt zwischen dem Urheberpersönlichkeitsrecht und dem Bedürfnis eines Verwerters regelt, bei der Nutzung des Werkes nicht allzu sehr durch das Urheberpersönlichkeitsrecht eingeengt zu sein. Genau um diesen Konflikt gehe es auch bei der Frage, in welcher Weise das Urheberbezeichnungsrecht vernünftigerweise zu beschränken ist.413 Übertragen auf unseren Fall der Desavouierung wäre der Urheber damit nicht berechtigt, die Nennung seines Namens zu verbieten, wenn er seine Einwilligung zur Nennung seines Namens als Urheber nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht versagen dürfte. Als innerhalb der Abwägung nach Treu und Glauben relevante Gesichtspunkte zählt von Ungern-Sternberg die Art des Werkes, seine Schöpfungshöhe, den Zweck der Werknutzung, die Art und Weise der Werkpräsentation in der Öffentlichkeit, das Interesse der Öffentlichkeit an der Kenntnis, wer Urheber ist, sowie Branchenübungen, Verkehrsgewohnheiten und den Zeitabstand zur Schaffung des Werkes auf.414 Diese Abwägungsgesichtspunkte lassen sich teilweise in abgewandelter Form auf die Ausübung eines Namensnennungsverbots übertragen. So könnte etwa 409 410 411 412 413 414
Jauernig BGB/Mansel, § 242 Rn 37. MüKo BGB/Schubert, § 242 Rn 202. Vgl. BGH NJW 1977, 1234, 1235; Jauernig BGB/Mansel, § 242 Rn 41. v. Ungern-Sternberg, GRUR 2017, 760, 764f. v. Ungern-Sternberg, GRUR 2017, 760, 764. v. Ungern-Sternberg, GRUR 2017, 760, 764f.
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der zunehmende Zeitabstand, der für von Ungern-Sternberg das Nennungsbedürfnis des Urhebers verblassen lässt, im Fall der Nichtnennung eher umgekehrt eine Rolle spielen: Je weiter zurück die Erschaffung des Werkes liegt, desto größer kann das Interesse des Urhebers sein, nicht mehr mit seinem Frühwerk assoziiert zu werden. Außerdem könnten, wie bereits erwähnt, die Umstände der Desavouierung, insbesondere die Motivation des Urhebers eine Rolle spielen. Auch in der Entscheidung Universum wägt der österreichische Oberste Gerichtshof die widerstreitenden Interessen – des Urhebers an der nachträglichen Entfernung der Urheberbezeichnung und des Produzenten an der Verbindlichkeit der getroffenen Vereinbarung – gegeneinander ab.415 Ergebnis war in diesem Fall ein Überwiegen der Urheberinteressen des klagenden Komponisten, da der geringe Aufwand zur Änderung des Nachspanns nicht schwerer wiege als das Distanzierungsinteresse des Urhebers an der für seinen Ruf als abträglich empfundenen musikalischen Gestaltung des Films.416 Einige Stimmen in der Literatur lehnen eine Interessenabwägung als allgemeine Regel indes ab, weil der Gesetzgeber oft schon eine Entscheidungen vorgenommen habe, die keinen Spielraum für weitere Abwägungen lasse.417 Diese im Gesetz konkretisierte Regelung dürfe der Rechtsanwender nicht durch eine Interessenabwägung umgehen; sie sei nur zulässig, wo der Gesetzgeber sie ausdrücklich vorsehe (z. B. in § 14 UrhG) oder eine planwidrige Regelungslücke bestehe.418 Stattdessen seien die gesetzlichen Regelungen darauf zu untersuchen, ob sie zur jeweiligen Frage eine Lösung bereithielten.419 Bei § 13 UrhG habe der Gesetzgeber schon eine eindeutige Zuordnung vorgenommen; nur bei der Art und Weise, wie die Urheberbezeichnung anzubringen ist, sei eine Interessenabwägung zulässig.420 cc. Umgehung von Erschöpfungs-, Schranken- und Rückrufsregelungen Auch Schmidt-Gabain verweist auf bereits bestehende gesetzliche Bestimmungen zum Schutz des Werknutzers gegen ein nachträgliches Namensrückzugsrecht.421 Er kritisiert, dass in der Literatur die Auswirkungen einer nachträglichen Anonymisierung nicht erörtert werden und das Verhältnis des Rechts auf Anonymität zu den Erschöpfungstatbeständen und Schrankenregelungen nicht berücksichtigt werde. Genau daraus ergäben sich aber einige Einschränkungen 415 416 417 418 419 420 421
OGH GRUR Int. 2004, 159, 161f. – Universum. OGH GRUR Int. 2004, 159, 162 – Universum. Erdmann, FS Piper, 655, 666 ; Wiesner, Veräußerung, Rn 36, 38. Wiesner, Veräußerung, Rn 38. Wiesner, Veräußerung, Rn 39. Erdmann, FS Piper, 655, 666. Zum Folgenden Schmidt-Gabain, Kein umfassendes Recht des Urhebers auf Anonymität, KUR 2016, 130, in Replik auf den Beitrag von Czernik, KUR 2016, 69.
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des Rechts auf Anonymität. Einem nachträglichen Namensnennungsverbot stünde z. B. die Erschöpfung des Verbreitungsrechts nach § 17 II UrhG entgegen, wonach, sobald der Urheber das Werk im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht hat, dessen Weiterverbreitung (mit Ausnahme der Vermietung) zulässig ist.422 Wegen der Zielrichtung der Norm, den Erwerber bei der Weiterverbreitung des Werkes nicht zu behindern, sei unter Weiterverbreitung eine solche unter namentlicher Nennung des Künstlers zu verstehen. Könne der Urheber dem Eigentümer verbieten, bei der Weiterveräußerung seinen Namen zu nennen, dann könne er sie auf indirektem Wege doch verhindern, weil gerade in der bildenden Kunst die Veräußerbarkeit entscheidend davon abhängt, dass der Urheber des Werkes bekannt ist. Gleiches gelte für § 18 UrhG, aus dem sich e contrario schließen lässt, dass das Ausstellen veröffentlichter Werke auch ohne Zustimmung des Urhebers zulässig ist.423 Auch darüber könne der Urheber sich hinwegsetzen, wenn man ihm ein nachträgliches Namensnennungsverbot gewährte: Die Bekanntheit des Urhebers sei auch für die Ausstellbarkeit des Werkes von wesentlicher Bedeutung. Aber nicht nur diese Erschöpfungstatbestände, sondern auch die Schrankenregelung des § 58 UrhG würden laut Schmidt-Gabain durch ein nachträgliches Anonymitätsrecht umgangen.424 Hiernach sind bestimmte Verwertungshandlungen im Zusammenhang mit einer öffentlichen Ausstellung oder einem öffentlichen Verkauf zulässig, soweit dies zur Förderung der Veranstaltung erforderlich ist.425 Gleiches gilt für die Verwertungshandlungen, die für das Erstellen von Werkverzeichnissen durch bestimmte Institutionen notwendig sind. Auch hierbei sei die Verwendung des Werkes in der durch die Schrankenregelung zulässigen Weise ohne entsprechende Namensnennung sinnlos, der Name des Urhebers sei in aller Regel auch in einem Ausstellungs- oder Museumskatalog unentbehrlich.426 Für alle angeführten Einschränkungen des nachträglichen Anonymitätsrechts (also die Erschöpfungstatbestände und die Schrankenregelungen) gilt laut Schmidt-Gabain allerdings eine Ausnahme: Wenn der Identität des Urhebers keinerlei Bedeutung für die Veräußerung oder Ausstellung zukomme oder wenn im Falle des § 58 UrhG der Schrankenbegünstigte kein Interesse an der Nennung des Urhebers habe, spreche auch nichts gegen ein nachträgliches Anonymitätsrecht.427
422 423 424 425 426 427
Schmidt-Gabain, KUR 2016, 130, 131. Schmidt-Gabain, KUR 2016, 130, 131. Schmidt-Gabain, KUR 2016, 130, 131f. Siehe auch oben Teil 2 B.I.2.b. Schmidt-Gabain, KUR 2016, 130, 132. Schmidt-Gabain, KUR 2016, 130, 131f.
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Als weiteres systematisches Argument gegen die Annahme eines nachträglichen Nennungsverbots wird öfters angeführt, dass dadurch das Rückrufsrecht in § 42 UrhG mit seinen speziellen Voraussetzungen umgangen würde.428 Durch das Rückrufsrecht in § 42 UrhG sei das Interesse des Urhebers, sich bei gewandelter Überzeugung vom Werk zu distanzieren, abschließend geregelt.429 Ein nachträgliches Namensnennungsverbot sei kein zulässiges Mittel, um sich beispielsweise von einem Frühwerk loszusagen.430 dd. Stellungnahme Das Argument, dass der Werknutzer durch vertragliche Vereinbarungen wie etwa den Ausschluss eines Namensrückzugsrechts ausreichend geschützt ist, greift bei vertraglichen Nutzungsvereinbarungen. Wenn mit einem Künstler ein Ausstellungsvertrag geschlossen wird, lassen sich die Modalitäten der Urheberbezeichnung gut festlegen. Eine vertragliche Einschränkung des Bezeichnungsrechts aus § 13 S. 2 UrhG kann sich (außerhalb seines unverzichtbaren Kerns) auch schon dadurch ergeben, dass sich bestimmte Verkehrsgewohnheiten oder allgemeine Branchenübungen gebildet haben, die bei Vertragsabschluss mangels abweichender Abreden stillschweigend zugrunde gelegt werden.431 Bei Kunstausstellungen, die das Schaffen eines bestimmten Künstlers dokumentieren sollen, ist es üblich, den Urheber zu nennen. Ein Namensnennungsverbot könnte hier den Vertragszweck erheblich gefährden.432 Über Werke der bildenden Kunst werden aber hauptsächlich Kaufverträge geschlossen.433 Diese enthalten gerade keine Bestimmungen über künftige Nutzungen und unter welcher Urheberbezeichnung diese vorzunehmen sind. Eine bestimmte Verkehrsgewohnheit oder Branchenübung die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Befugnisse betreffend kann Kaufverträgen in der Regel daher nicht zugrunde gelegt werden. Überdies fehlt es an einem Vertragsverhältnis zwischen Künstler und dem gegenwärtigen Eigentümer, wenn dieser das Werkstück aus dritter Hand erworben hat. Ein Interessenausgleich über vertragliche Vereinbarungen zugunsten des Eigentümers findet in der Regel nicht statt und ist daher kein überzeugendes Argument für ein nachträgliches Namensnennungsverbot.
428 Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, § 13 Rn 19; vgl. auch Schack, KuR, Rn 253 (zu § 13 S. 1 UrhG). 429 Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, § 13 Rn 19. 430 Schack, KuR, Rn 253. 431 BGHZ 126, 245, 249f. – Namensnennungsrecht des Architekten. 432 Mues, Der Ausstellungsvertrag, 126f. 433 Siehe oben Teil 1 A II.3.
110
Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
Eine Interessenabwägung im Einzelfall kann nur da stattfinden, wo der Gesetzgeber hierfür Raum lässt.434 Das Spannungsverhältnis zwischen Urheberund Eigentümerinteressen kann nicht grundsätzlich zur einen oder anderen Seite aufgelöst werden.435 Was ein nachträgliches Anonymitätsrecht des Urhebers aus § 13 S. 2 UrhG angeht, geben aber die Erschöpfungs-, Schranken- und Rückrufsbestimmungen des UrhG bereits eine Abwägung zugunsten des Werkstückeigentümers vor. In § 18 UrhG beispielsweise hat der Gesetzgeber bereits eine Grundwertung zugunsten des erleichterten Kunsthandels getroffen, indem das Ausstellungsrecht mit Veröffentlichung des Werkes erschöpft ist.436 Ähnliches gilt für die Erschöpfung des Verbreitungsrechts (§ 17 II UrhG): Der Urheber soll den Handel mit dem Werkstück oder Vervielfältigungsstücken nicht behindern dürfen, sobald diese rechtmäßig in Verkehr gebracht wurden.437 Mit der Erschöpfung fördert der Gesetzgeber bewusst die Verkehrsfähigkeit der Werkexemplare.438 Auch die Schranke des § 58 UrhG kommt dem Veranstalter einer Kunstausstellung, -auktion, oder -messe zu Gute, indem er das betreffende Werk frei zu Werbezwecken nutzen kann. Schmidt-Gabains Feststellung, dass ein nachträgliches Namensnennungsverbot diesen Bestimmungen zuwiderlaufen würde,439 ist richtig. Er trifft den Nerv der Desavouierungsproblematik, indem er die (in Teil 1 dieser Arbeit erläuterte) Bedeutung der Künstlerzugehörigkeit für ein Kunstwerk herausstellt und die Weiterveräußerbarkeit, die Ausstellbarkeit und die Werbewirksamkeit des Werkes mit der Urheberbezeichnung verknüpft. Erschöpfungs- und Schrankenbestimmungen dienen dazu, die Ausschließlichkeitsrechte des Urhebers zum Wohle der Allgemeinheit einzuschränken. Der Urheber soll nicht länger auf die Weiterveräußerung, Ausstellung und Bewerbung des unter seinem Namen veröffentlichten und in Verkehr gebrachten Werkstücks Einfluss nehmen können. Mit einem Namensrückzugsrecht aber hätte er indirekt weiterhin Entscheidungsgewalt, er könnte Kunstverkäufe verhindern und die Art und Weise der Ausstellung seines Werkes beeinflussen. Ebenso berechtigt ist der Hinweis, dass das Rückrufsrecht aus § 42 UrhG mit seinen speziellen Voraussetzungen, die gegenüber dem materiellen Eigentümer des Werkstücks kaum je erfüllt sind,440 nicht umgangen werden darf. Könnte der Urheber seinen Namen zurückziehen, so würde er fast denselben Effekt wie durch einen Rückruf des Nutzungsrechts erzielen, eine wirtschaftlich lohnende 434 435 436 437 438 439 440
Dahingehend richtig Erdmann, FS Piper, 655, 666; Wiesner, Veräußerung, Rn 36, 38. S. oben Teil 1 A.II.6. Vgl. RegE BT-Dr IV/270, S. 48. RegE BT-Dr IV/270, S. 48. Wandtke/Bullinger/Heerma, § 17 Rn 27. Schmidt-Gabain, KUR 2016, 130, 131f. Siehe oben Teil 1 B.III.2.b.bb.
Verbot der Namensnennung
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Verwertung des Werkes wäre nicht länger möglich. Der enge Anwendungsbereich des § 42 UrhG macht aber deutlich, dass der Urheber nur unter ganz besonderen Umständen auf die einem anderen zustehende Nutzung des Werkes soll Einfluss nehmen dürfen. Durch die strengen Tatbestandsvoraussetzungen des Rückrufsrechts (Beschränkung auf Nutzungsrechte, Unzumutbarkeit der weiteren Verwertung) und die Entschädigungspflicht (§ 42 III UrhG) hat der Gesetzgeber eine grundsätzliche Interessenabwägung vorgenommen zugunsten des Nutzers, der auf die ungestörte Wahrnehmung der ihm gewährten Nutzungsrechte soll vertrauen dürfen. Dem Urheber wiederum steht es frei, bevor er das Werk aus seinem Einflussbereich entlässt, das Bezeichnungsrecht aus § 13 S. 2 UrhG nach Gutdünken auszuüben und anonym zu bleiben. Außerdem kann er bei einer künftigen Nutzungsrechtseinräumung gemäß § 13 S. 2 UrhG festlegen, dass er bei dieser Nutzung nicht als Urheber genannt werden darf.441 Unabhängig hiervon kann der Urheber Beeinträchtigungen seiner Urheberpersönlichkeitsrechte weiterhin abwehren. Bei einer Verletzung des Entstellungsverbots aus § 14 UrhG z. B. liegen besondere Umstände vor, die eine Einschränkung der Nutzung des Werkes im Einzelfall rechtfertigen können (unten II.). Ist dies nicht der Fall, so muss der Urheber das einmal unter seinem Namen in Verkehr gebrachte Werk als eigenes gelten lassen. Zusammenfassend kann dem UrhG die folgende Wertung entnommen werden: Hat der Urheber das Werk einmal aus seinem Herrschaftsbereich entlassen, dann darf er auf das Werk nicht mehr wie zuvor einwirken. Dem Interesse des Urhebers steht nach der Veräußerung und Veröffentlichung das Nutzungs- und Werterhaltungsinteresse des Eigentümers entgegen. Die Verkehrsfähigkeit und wirtschaftliche Nutzbarkeit des Werkstücks soll nicht ohne weiteres durch ein nachträgliches Namensnennungsverbot eingeschränkt werden können.
4.
Ergebnis zu I.
Nach Abwägung der verschiedenen Argumente und in einer Gesamtschau der urheberrechtlichen Regelungen wird deutlich, dass der Gesetzgeber schon eine Grundwertung gegen ein nachträgliches Namensnennungsverbot aus § 13 UrhG getroffen hat. Der Eigentümer, der ein Kunstwerk unter Urheberbezeichnung erworben hat, hat an ihr ein schützenswertes Werterhaltungsinteresse, das von den Interessen des Urhebers nur unter besonderen Umständen überwogen werden kann. Allein
441 Schack, KUR 2017, 130, 134.
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Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
§ 13 S. 2 UrhG enthält jedenfalls keinen nachträglichen Anonymitätsschutz.442 Bei einem unter Urhebernennung veröffentlichten und verbreiteten Werk kann ein Künstler also nicht schon aus § 13 S. 2 UrhG vom Eigentümer verlangen, dass dieser das Werkstück nicht länger unter dem Namen des Künstlers ausstellt oder weiterveräußert.
II.
Recht auf Werkintegrität, § 14 UrhG
Das Recht, ein Werk durch ein Namensnennungsverbot zu desavouieren, könnte sich aus dem Werkintegritätsschutz ergeben. Das US-amerikanische Recht sieht ein solches Desavouierungsrecht ausdrücklich vor.443 Der Visual Artists Rights Act enthält in § 106 A (a) rights of attribution and integrity, wonach der Urheber zum einen die Verwendung seines Namens im Zusammenhang mit einem Werk untersagen kann, welches er nicht geschaffen hat, § 106 A (a) (1) (B). Diese Regelung entspricht dem deutschen droit de non-paternit8.444 Zum anderen kann der Urheber gemäß § 106 A (a) (2) ein Namensnennungsverbot aussprechen, wenn sein Werk entstellt, verschandelt oder auf eine andere Weise modifiziert wurde, die sich nachteilig auf Ehre oder Ruf des Urhebers auswirken könnte. Das deutsche Recht kennt eine solche Regelung nicht. Ein § 106 A (a) (2) vergleichbarer Anspruch könnte sich aber aus §§ 97 I 1, 14 UrhG ergeben, also der Beseitigung einer Beeinträchtigung der Werkintegrität durch nachträgliche Anonymität. Die überwiegende Meinung in der Literatur befürwortet diese Verknüpfung und sieht in einem Namensnennungsverbot eine mögliche Reaktion auf eine Entstellung.445 Der Urheber habe in Bezug auf sein entstelltes Werk ein berechtigtes Interesse an der Nichtnennung, da in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen könne, er habe das Werk selber in der entstellten Form geschaffen oder zumindest dessen Verbreitung zugestimmt.446 442 Gegen nachträgliche Anonymität auch nach Schweizer Urheberrecht: Bandle, in: Mosimann/Schönenberger, 107, 120. 443 17 U.S.C. §106 A. Rights of certain authors to attribution and integrity (a) Rights of Attribution and Integrity.–Subject to section 107 and independent of the exclusive rights provided in section 106, the author of a work of visual art–(1) shall have the right–(…) (B) to prevent the use of his or her name as the author of any work of visual art which he or she did not create; (2) shall have the right to prevent the use of his or her name as the author of the work of visual art in the event of a distortion, mutilation, or other modification of the work which would be prejudicial to his or her honor or reputation (…). 444 Siehe oben Teil 2 A.I.3.a. 445 Dreier/Schulze/Schulze, § 13 Rn 32; Möhring/Nicolini/Kroitzsch/Götting, § 13 Rn 28; Fromm/Nordemann/Dustmann, § 14 Rn 77; HK UrhG/Dreyer, § 13 Rn 9; Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 13 Rn 17. 446 Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 13 Rn 17.
Verbot der Namensnennung
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Der Urheber könne insbesondere dann auf das Namensnennungsverbot zurückgreifen, wenn er sich nicht gegen die Verwertung eines entstellten Werkes wehren könne.447 Der Filmurheber etwa sei gemäß § 93 UrhG nur gegen gröbliche Entstellungen geschützt und könne bei unter dieser Schwelle liegenden Beeinträchtigungen zumindest seinen Namen zurückziehen.448 Ein Namensnennungsverbot wird außerdem dann als alternative Rechtsfolge bei einer Entstellung begriffen, wenn weder eine Beseitigung der Entstellung noch eine Vernichtung des Werkstücks in Betracht kommt,449 etwa wenn es irreversibel entstellt ist, die vollständige Vernichtung des Werkstücks jedoch unverhältnismäßig wäre.450 Ein Namensnennungsverbot kann dann uU das mildere Mittel sein.451 Es ist allerdings nur dann wirklich effektiv, wenn der Name des Urhebers der Öffentlichkeit nicht schon bekannt ist; ein Ausstellungsverbot bietet im Einzelfall einen wirksameren Rechtsschutz.452 Eine mildere Maßnahme – bei einem Namensnennungsverbot dürfte das Werk immerhin noch gezeigt werden – darf der Urheber aber in jedem Fall wählen. Auch Schmidt-Gabain, der ein Namensnennungsverbot in Anbetracht der Erschöpfungs- und Schrankenbestimmungen ablehnt,453 macht eine Ausnahme bei Werkentstellungen. Das Recht aus § 14 UrhG gehe den Erschöpfungs- und Schrankenbestimmungen vor, sodass gegenüber dem Verbotsgegner nach § 14 UrhG das Recht auf Anonymität weiterhin gelte. Gegenüber dem Erwerber eines bereits entstellten Werkes, an den sich das Verbot des § 14 UrhG nicht richtet, könne ein Namensnennungsverbot nur aus dem droit de non-paternit8 geltend gemacht werden, wenn das Werk aufgrund der Entstellung nicht mehr dem Urheber zugerechnet werden könne.454 Ein Beispiel für ein gerichtliches Namensnennungsverbot nach einer Entstellung ist die Entscheidung des OLG Saarbrücken Politische Geschichte des Saarlandes.455 Es ging um eine Dokumentarfilmreihe, für die ein Kölner Historiker Bildmaterial und Text zusammengestellt hatte. Der Intendant änderte ohne Absprache mit dem Filmurheber Ausschnitte des Sendetexts in einer Weise, die dessen politische Aussage vollkommen veränderte. Der Urheber verlangte als Konsequenz, nicht mehr als Autor des Werkes genannt zu werden. Das Gericht bejahte eine Entstellung iSv § 14 UrhG und argumentierte, dass wenn der Ur447 448 449 450 451 452 453 454 455
Dreier/Schulze/Schulze, § 13 Rn 32; Möhring/Nicolini/Kroitzsch/Götting, § 13 Rn 28. Dreier/Schulze/Dreier, § 13 Rn 32. Fromm/Nordemann/Dustmann, § 14 Rn 77. Dazu oben Teil 2 A.II.4.b. HK UrhG/Dreyer, § 13 Rn 9. Federle, Werkintegrität, 64. S. oben S. 107f. Schmidt-Gabain, KUR 2016, 130, 132. OLG Saarbrücken UFITA 79 (1977), 364 – Politische Geschichte des Saarlandes.
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Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
heber eine Beeinträchtigung seines Werkes sogar hätte verbieten können, er erst recht berechtigt sei, seine Nennung als Urheber zu untersagen.456 Es könne daher dahinstehen, ob der Urheber bereits über § 13 S. 2 UrhG seine namentliche Nennung hätte verbieten können.457 Manche Autoren hingegen lehnen ein Namensnennungsverbot grundsätzlich ab, auch als Minus zu einem Entstellungsverbot nach § 14 UrhG, denn § 42 UrhG sei auch insoweit abschließend und dürfe nicht umgangen werden.458 Eine Verknüpfung des Entstellungsschutzes aus § 14 UrhG mit dem Anonymitätsschutz aus § 13 UrhG ist mit der überwiegenden Meinung als zulässig zu erachten. Ausgangspunkt ist, dass ein Anspruch auf Namensunterdrückung nicht allein auf § 13 UrhG gestützt werden kann, weil dies den Grundwertungen des Gesetzgebers, die in verschiedenen Erschöpfungs-, Schranken- und Rückrufbestimmungen ihren Ausdruck gefunden haben, widersprechen würde.459 Eben jene Bestimmungen begrenzen das Urheberrecht zugunsten der Interessen des Eigentümers des Werkstücks und des Werknutzers. Gleichzeitig enthält das UrhG die in ihrem Kern unverzichtbaren Urheberpersönlichkeitsrechte, darunter § 14 UrhG. Werden diese verletzt, dann liegen besondere Umstände vor, die einen Eingriff in die Nutzung des Werkes zur Beseitigung der Beeinträchtigung rechtfertigen können. Gegen den Verletzer steht dem Urheber ein Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung aus §§ 97 I 1, 14 UrhG zu.460 Wenn das Werk weiterhin unter Namensnennung des Urhebers genutzt wird, ordnet die Öffentlichkeit das entstellte Werk diesem zu; dadurch werden die ideellen und auch wirtschaftlichen Interessen des Urhebers beeinträchtigt. Durch Unterdrückung der Namensnennung verschwindet zwar nicht das entstellte Werk selbst aus der öffentlichen Wahrnehmung, immerhin aber die Zugehörigkeit zum Urheber. Anders als Schmidt-Gabain meint, kann auch der Sacheigentümer, der die entstellende Veränderung nicht selbst vorgenommen hat, Anspruchsgegner in §§ 97 I 1, 14 UrhG sein. Wenn er das Werk weiterhin ausstellt, vertieft er die beeinträchtigende Wirkung der Entstellung und deren öffentliche Wahrnehmung. Das ändert allerdings nichts daran, dass ein Namensnennungsverbot nur dann einen effektiven Schutz vor den negativen Auswirkungen der Entstellung bietet, wenn der Urheber des entstellten Werkes noch nicht weithin bekannt ist. Bei bereits unter Urhebernennung veröffentlichten Werken kann die Beein456 OLG Saarbrücken UFITA 79 (1977), 364, 366 – Politische Geschichte des Saarlandes. 457 Flechsig, FuR 1976, 589, 598 hält dagegen eine Heranziehung des § 14 UrhG für entbehrlich, weil ein Namensnennunsgverbot schon nach § 13 UrhG begründet sei. 458 Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, § 13 Rn 19. 459 S. oben S. 110f. 460 Dazu oben Teil 2 A.II.4.a.
Verbot der Namensnennung
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trächtigung unter Umständen nur durch andere Maßnahmen beseitigt werden, wie etwa durch die Restaurierung des Werkes, das Verbot seiner Ausstellung oder gar die Vernichtung des Werkstücks.461 Alle Beseitigungsmaßnahmen aus § 97 I 1 UrhG unterliegen aber dem Verhältnismäßigkeitsgebot. Im Einzelfall kann die Beseitigungsmaßnahme zwar erforderlich, aber unzumutbar sein. So könnte es bei einer nur geringfügigen, aber irreversiblen Beeinträchtigung unzumutbar sein, das Werk für immer aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Die künftige Unterdrückung des Urhebernamens könnte hier ein milderes Mittel sein, das im Verhältnis zum Ausmaß der Beeinträchtigung angemessen ist. Ein Namensnennungsverbot kann der Urheber auch nachträglich noch als Reaktion auf eine Entstellung seines Werkes aussprechen. Das Verbot ist als Minus zur Vernichtung im Beseitigungsanspruch aus §§ 97 I 1, 14 UrhG enthalten.
III.
Namensrecht, § 12 BGB
Ein Namensnennungsverbot kann ein Künstler auf § 12 BGB stützen, wenn durch den unbefugten Gebrauch seines Namens eine Zuordnungsverwirrung entsteht.462 Der Eigentümer gebraucht den Namen nach hier vertretener Ansicht schon dann unbefugt, wenn er den Künstler als Urheber eines Werkes bezeichnet, das dieser nicht geschaffen hat. Über § 12 BGB kann der Künstler verbieten, dass er über seinen Namen zu dem fremden Werk in Beziehung gesetzt wird. Er kann dann zur Beseitigung der Beeinträchtigung vom Verletzer verlangen, dass sein Name von etwaigen Ausschilderungen, Werbungen oder Katalogen entfernt wird und bei Wiederholungsgefahr auch für die Zukunft ein Namensnennungsverbot aussprechen. Der Künstler kann aber nur ein fremdes, ihm über den Namen untergeschobenes Werk durch ein Namensnennungsverbot gemäß § 12 BGB desavouieren. Ein entsprechender Anspruch aus § 12 BGB in Beziehung auf ein eigenes Werk scheidet mangels Zuordnungsverwirrung aus.
461 Zum Anspruch auf Vernichtung entstellter Werke oben Teil 2 A.II., zum Verbot der Ausstellung unten Teil 2 E. 462 Eingehend zu § 12 BGB oben Teil 2 A. I. 2.
116 IV.
Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
Droit de non-paternité, §§ 823 I, 1004 I 1 BGB iVm Art. 2 I iVm Art. 1 I GG
Schließlich könnte der Künstler ein Namensnennungsverbot auf das bereits eingehend erläuterte463 droit de non-paternit8 stützen, wenn ihm ein fremdes Werk fälschlicherweise zugeschrieben wird (unten 1.), aber auch wenn das eigene Werk des Künstlers derart entstellt ist, dass es fortan nicht länger als von ihm stammend angesehen werden kann (unten 2.).
1.
Falsche Zuschreibung eines fremden Werkes
Wie bereits festgestellt, wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Nichturheberschaft verletzt, wenn ein Werk einem Urheber fälschlicherweise zugeschrieben wird. Dem Betroffenen steht dann ein Abwehranspruch aus §§ 823 I, 1004 I BGB (analog) zu.464 Bei bereits erfolgter Verletzung kann der Betroffene gemäß § 1004 I 1 BGB die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Im Fall einer Falschzuschreibung könnte dies durch einen öffentlichen Widerruf der unwahren Tatsachenbehauptung, ein bestimmtes Werk stamme von dem betroffenen Künstler, erfolgen.465 Zudem kann er verlangen, dass die Falschzuschreibung in Ankündigungen, Werkverzeichnissen und ähnlichen Verlautbarungen korrigiert wird und im Wege eines Unterlassungsanspruchs die zukünftige Zuschreibung zu seiner Person verhindern.466 Anspruchsgegner in § 1004 BGB ist der Störer, hier also derjenige, der die Falschzuschreibung vornimmt. Das muss nicht zwingend der Eigentümer oder Nutzer des Werkes sein, sondern es kann auch ein Dritter sein, der durch die falsche Zuschreibung dem Ansehen des Künstlers schadet.467 Im Fall der Schwammskulptur bejahte das Gericht den Unterlassungsanspruch aus §§ 823 I, 1004 I 2 BGB iVm Art. 1 I GG in Gestalt eines Namensnennungsverbots für den Fall, dass der verstorbene Künstler nicht an der Werkschöpfung als Miturheber beteiligt war.468 Dann wäre ihm die blaue Schwammskulptur fälschlicherweise zugeschrieben und sein allgemeines Persönlichkeitsrecht auf Anerkennung der Nichturheberschaft verletzt worden. Der 463 464 465 466
S. oben Teil 2 A. I. 3. a. Schulze BGB/Schulte-Nölke, § 1004 Rn 1. Vgl. MüKO BGB/Rixecker, § 12 Anh. Rn 278f. Dies entspricht der zuvor erwähnten Regelung im US-amerikanischen Recht, wonach der Urheber eines Werkes der bildenden Kunst die Verwendung seines Namens im Zusammenhang mit einem Werk untersagen kann, das er nicht geschaffen hat, § 106 A (a) (1) (B) VARA. 467 Stolz, Der Ghostwriter im deutschen Recht, 83. 468 LG Köln ZUM-RD 2007, 201, 204 – Schwammskulptur, s. oben Teil 2 B. I. 2. b.
Verbot der Namensnennung
117
Anspruch, es zu unterlassen, das Werk als vom Verstorbenen stammend auszustellen, anzubieten oder zu bewerben, richtete sich sowohl gegen den vermeintlichen Miturheber als auch gegen die Galerie, die das Werk ausstellen wollte. 2.
Verfremdung eines ursprünglich eigenen Werkes
Ist ein Werk entstellt, so kommt nicht nur ein Namensnennungsverbot aus § 14 UrhG in Betracht,469 sondern auch eine Geltendmachung des Rechts auf Anerkennung der Nichturheberschaft. Der Urheber kann sich gegen die Zuordnung eines Werkes wehren, wenn es derart entstellt ist, dass es nicht länger als das Seine angesehen werden kann.470 Entscheidend ist der Grad der Verfremdung: Je schwerwiegender die Änderung des geistig-ästhetischen Gesamteindrucks, desto eher lässt sich argumentieren, dass das Werk in dieser Form nicht mehr dem ursprünglichen Urheber zugeordnet werden kann. Dann fragt sich, ob das Namensnennungsverbot auf § 14 UrhG oder auf das droit de non-paternit8 gestützt werden kann oder ob beide nebeneinander anwendbar sind. Es ließe sich argumentieren, dass keine geistig-persönliche Verbindung mehr zum Werk besteht, wenn es dem ursprünglichen Urheber wegen der nachträglichen Veränderung nicht mehr zugeordnet werden kann. Es gäbe dann nur noch ein fremdes, untergeschobenes Werk, an dem kein Urheberpersönlichkeitsrecht mehr bestünde, sodass § 14 UrhG nicht mehr anwendbar wäre. Dagegen spricht aber, dass es mit dem Schutzzweck des Urheberpersönlichkeitsrechts unvereinbar wäre, wenn ein Dritter es durch eine extreme Entstellung einfach aushebeln und dem Urheber somit den Schutz der §§ 12ff. UrhG entziehen könnte. Es ist daher davon auszugehen, dass auch bei einer Entfremdung zugleich eine Entstellung des ursprünglichen Werkes vorliegt, die die persönlich-geistige Beziehung zwischen Urheber und Ursprungswerk beeinträchtigt. § 14 UrhG bleibt daher neben dem droit de non-paternit8 anwendbar. Andererseits hängt die Rechtsgrundlage für ein Namensnennungsverbot wegen der Verfremdung eines eigenen Werkes auch davon ab, gegen wen es sich richten soll.471 Ein Anspruch aus §§ 97 I 1, 14 UrhG kann sich nur gegen den Verletzer oder Störer selbst richten. Auf das droit de non-paternit8 muss zurückgegriffen werden, wenn der Urheber Dritten untersagen möchte, ihn mit dem entstellten Werk in Verbindung zu bringen.472 469 Hierzu oben Teil 2 B. II. 470 Schack, KuR, Rn 469; verkannt von Dreier, FS Beier, 365, 366 ; LG München I ZUM 2006, 664 – Mondkalender. 471 Vgl. Hock, Namensnennungsrecht, 163; Schmidt-Gabain, KUR 2016, 130, 132. 472 Hock, Namensnennungsrecht, 163; Schmidt-Gabain, KUR 2016, 130, 132.
118 3.
Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
Ergebnis zu IV.
Über das droit de non-paternit8 kann der Künstler die Nennung seines Namens verbieten, wenn ihm entweder ein fremdes Werk fälschlicherweise zugeschrieben wird oder ein eigenes Werk durch Entstellung derart entfremdet ist, dass es nicht mehr als sein Werk angesehen werden kann. Im letzteren Fall kann der Künstler über das droit de non-paternit8 auch Dritten, die für die Entstellung nicht verantwortlich sind und gegen die sich der Anspruch aus §§ 97 I 1, 14 UrhG daher nicht richtet, die namentliche Nennung als Urheber untersagen.
V.
Ergebnis zu B. Desavouierung durch Verbot der Namensnennung
Ein Künstler kann ein Werk nicht nach Gutdünken desavouieren, indem er ein Namensnennungsverbot ausspricht. Ein Recht, seinen Namen jederzeit zurückzuziehen, folgt aus dem Bezeichnungsrecht aus § 13 S. 2 UrhG gerade nicht. Eine Rechtsgrundlage für ein Namensnennungsverbot bieten aber §§ 97 I 1, 14 UrhG: Wurde das Werk extrem entstellt, so kann der Künstler verlangen, dass er nicht mehr als dessen Urheber genannt wird. Wird ihm ein fremdes Werk zugeschrieben, so kann er über § 12 BGB und das droit de non-paternit8 ein Namensnennungsverbot aussprechen. Letzteres bietet auch dann eine Handhabe gegen die Urhebernennung durch Dritte, wenn ein ursprünglich eigenes Werk durch Entstellung verfremdet wurde.
C.
Entfernen der Signatur
Künstler üben ihr Bezeichnungsrecht aus § 13 S. 2 UrhG regelmäßig durch die Signierung des Werkes aus. Die Signatur hat in der bildenden Kunst (vor allem in der Malerei) eine besondere Bedeutung: Mit der Signatur kennzeichnet der Künstler das Werk als seine eigene, vollendete Schöpfung; die Signatur versinnbildlicht das geistige Band zwischen Urheber und Werk.473 Der Urheber bringt damit zum Ausdruck, dass er das Werk als das Seine anerkennt und hinter ihm steht.474 Die Signatur soll Gewähr für die Urheberschaft des signierenden Künstlers bieten, also dafür, dass das Kunstwerk echt ist.475 Ist ein Werk mit einer Signatur versehen, so müsste diese physisch entfernt werden, um den Urhebernamen vollständig zu unterdrücken. Ein einfaches 473 Schack, KuR, Rn 252. 474 Tölke, UPR, 62. 475 Löffler, NJW 1993, 1421.
Entfernen der Signatur
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Verbot der Namensnennung wäre nicht ausreichend, weil der Name des Künstlers immer noch vom Werk selbst abgelesen werden könnte. Die Entfernung der Signatur ist eine sehr effektive und drastische Form der Desavouierung. Hierdurch wird das optische Band zwischen Urheber und Werk aufgelöst und der Beweis für die Echtheit des Werkes entfernt. Mit der Entfernung der Signatur wird jedoch in die Substanz des Werkes eingegriffen und dessen Gestalt verändert. Dies würde einen gravierenden Eingriff in das Sacheigentum bedeuten. Insofern ist davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für eine Desavouierung durch Entfernung der Signatur strenger sind als für ein Namensnennungsverbot. Zusätzlich zu den Argumenten, die gegen ein Namensnennungsverbot sprechen, sind hier die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers an der Integrität seines Sacheigentums zu beachten. Einigkeit besteht darin, dass der Urheber am Werkstück nach dessen Veräußerung grundsätzlich keine Änderungen mehr vornehmen darf.476 Der Eigentümer, der das Werkstück wegen seines Erscheinungsbildes erworben hat, muss nicht hinnehmen, dass dieses nachträglich geändert wird.477 Auch die Entfernung der Signatur stellt eine nachträgliche Änderung des Werkstücks dar und ist daher in der Regel nicht zulässig; der Eigentümer muss es nicht dulden, dass durch die Entfernung der Signatur ein Teil des Kunstwerkes zerstört und der Wert des Werkes geschmälert wird.478 Etwas anderes gilt ausnahmsweise, wenn der Eigentümer selbst in das Integritätsrecht des Urhebers eingegriffen hat. Dann darf der Urheber unter Umständen verlangen, nicht länger über die Signatur mit dem entstellten Werk in Verbindung gebracht zu werden und der Eigentümer muss als Minus zur Zerstörung des Werkes die Entfernung der Signatur dulden.479 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung müssen hier die Schwere der Entstellung, der Grad der Öffentlichkeit und andere Faktoren berücksichtigt werden, um die Integritätsinteressen des Sacheigentümers und des Urhebers (am Werk) gegeneinander abzuwägen. Wegen des intensiven Eigentumseingriffs bedarf es auf Seiten des Urhebers einer größeren Beeinträchtigung, als sie für ein schlichtes Namensnennungsverbot erforderlich ist. Auch im Sonderfall der Falschzuschreibung kann ein Eingriff in das Sacheigentum gerechtfertigt sein. Wenn ein Werk mit einer falschen Signatur versehen ist, liegt darin eine Verletzung des Namensrechts aus § 12 BGB, zu deren
476 477 478 479
Vgl. Tölke, UPR, 98; van Waasen, Spannungsfeld, 177f.; Dreier/Schulze/Schulze, § 25 Rn 12. Wiesner, Veräußerung, Rn 252. Vgl. van Waasen, Spannungsfeld, 178f.; Wiesner, Veräußerung, Rn 253. Wiesner, Veräußerung, Rn 387; bei Federle, Werkintegrität, 65, bleibt unklar, ob er mit Namensunterdrückung auch die Entfernung der Signatur meint.
120
Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
Beseitigung der Namensträger die Entfernung der Signatur verlangen kann.480 Auf Entfernung der falschen Signatur kann er auch wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts auf Anerkennung der Nichturheberschaft klagen.481 So entschied der BGH im Fall Emil Nolde gegen eine Werkzerstörung, weil er die in casu nicht beantragte Entfernung der Signatur für ausreichend hielt, um die Beeinträchtigung zu beseitigen.482 Einen Anspruch auf Entfernung der Signatur aus dem droit de non-paternit8 kann der Künstler auch bei einer Entstellung geltend machen, wenn das Werk durch die Veränderung nicht (mehr) als von ihm stammend angesehen werden kann.483 Die Entfernung der Signatur muss der Künstler notfalls gerichtlich durchsetzen, eigenmächtig entfernen darf er sie nicht. Dem Maler Maurice de Vlaminck war das vermeintlich von ihm stammende Gemälde »Champs de bl8« zur Authentifizierung übergeben worden. Überzeugt von der Unechtheit des Gemäldes machte der Maler die Signatur auf dem Gemälde eigenhändig unkenntlich und wurde daraufhin von den Eigentümern auf Schadensersatz verklagt. Das Gericht äußerte sich nicht zu Fragen der Authentizität, sondern stellte fest, dass de Vlaminck in jedem Fall Schadensersatz leisten müsse: Wenn das Werk echt sei, habe der Künstler nach Veräußerung des Gemäldes kein Rückrufsrecht (droit de repentir) mehr, dessen Ausübung man in der Entfernung der Signatur sehen könnte; und wenn es sich um eine Fälschung handele, stelle die eigenmächtige Entfernung der Signatur ebenfalls eine Eigentumsverletzung dar.484 Festzuhalten ist, dass sich ein Anspruch auf Entfernung der Signatur nicht schon aus § 13 S. 2 UrhG ergibt. Es müssen wiederum besondere Umstände, wie eine Verletzung des Integritätsrechts aus § 14 UrhG, oder aber eine Falschzuschreibung vorliegen. Innerhalb der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme ist zu beachten, dass eine Entfernung der Signatur einen schwerwiegenden Eingriff in das Sacheigentum darstellt und somit im Vergleich zum schlichten Namensnennungsverbot erhöhte Anforderungen an die Rechtfertigung zu stellen sind.
480 481 482 483 484
BGHZ 107, 384, 390 = JZ 1990, 37, 38 mit Anm. Schack – Emil Nolde. HK UrhG/Dreyer, § 13 Rn 55; MüKO BGB/Rixecker, Anh. zu § 12 Rn 280. BGHZ 107, 384, 394 = JZ 1990, 37, 39 mit Anm. Schack – Emil Nolde. Schack, FS Boguslavskij, 433, 438. Cour d’appel Paris, 19. 4. 1961, Juris-classeur p8riodique (la semaine juridique) 1961 II 12183; vgl. Schack, KuR, Rn 253.
Kennzeichnung als Fälschung
D.
121
Kennzeichnung als Fälschung
Gegen Kunstfälschungen könnte auch eine Kennzeichnung als Fälschung Schutz bieten. Im Gegensatz zur Entfernung der Künstlersignatur ist die Kennzeichnung eines Kunstwerkes als Fälschung allerdings unverhältnismäßig, wenn die Fälschung selbst keine Urheberrechtsverletzung darstellt. Aus diesem Grund scheiterte die auf Kennzeichnung als Fälschung gerichtete Widerklage im Fall Emil Nolde.485 Denn die Übernahme bloßer Motive und Stilelemente war frei und verletzte Nolde nicht in seinem Urheberrecht. Lediglich die gefälschte Signatur und die dadurch verursachte Falschzuschreibung verletzten sein Namensrecht und sein allgemeines Persönlichkeitsrecht der Nichturheberschaft. Die Kennzeichnung als Fälschung hielt das Gericht für nicht erforderlich, um diese Beeinträchtigungen abzuwehren: Es bleibe dem Sacheigentümer unbenommen, mit seinem Werkstück – selbst wenn es in Stil und Manier eines anderen Malers geschaffen worden sei – ohne eine störende Kennzeichnung nach Belieben zu verfahren, sofern es nicht aufgrund der Signatur fälschlicherweise einem anderen Maler zugerechnet werde.486 Werden wie im Fall Echte Fälschungen487 konkrete Werke bekannter Künstler kopiert und damit deren Vervielfältigungsrecht verletzt, so könnte die Kennzeichnung als Fälschung als Minus zum Vernichtungsanspruch aus § 98 I UrhG in Betracht kommen. Hier befand das OLG Hamburg allerdings zu Recht, dass die bloße Kennzeichnung als echte Fälschung nicht geeignet sei, den Interessen der verletzten Künstler Genüge zu tun.488 Denn eine solche Kennzeichnung könne im Laufe der Zeit verloren gehen oder beseitigt werden und die rechtswidrigen Vervielfältigungsstücke neben die Originale treten. Die dauerhafte Kennzeichnung eines Vervielfältigungsstücks als Fälschung reicht daher nicht aus, und bei bloßen Stilimitationen, die nur das Namensrecht und das droit de non-paternit8 verletzen, ist eine Kennzeichnung als Fälschung gar unzulässig. Mithin spielt dieses Mittel der Desavouierung nur eine untergeordnete Rolle.
485 486 487 488
BGHZ 107, 384, 393f. = JZ 1990, 37, 39 mit Anm. Schack – Emil Nolde. BGHZ 107, 384, 394 = JZ 1990, 37, 39 mit Anm. Schack – Emil Nolde. Siehe oben Teil 2 A.I.1.a.aa. OLG Hamburg ZUM 1998, 938, 942 – Echte Fälschungen.
122
E.
Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
Verbot der Ausstellung des Werkes
Könnte der Künstler die Ausstellung des Werkes untersagen, so wäre dies ein effizientes Mittel, um ein Werk zu desavouieren, denn die Wahrnehmung der originalen Werkgestalt ist für den Genuss von bildender Kunst essentiell.489 Ein Werk, das nicht mehr öffentlich ausgestellt werden dürfte, hätte außer im Privatbereich seines Eigentümers keine Rezipienten mehr und wäre damit nicht mehr auf die bestimmungsgemäße Art und Weise nutzbar. Wie bereits dargelegt, kann der Urheber sein Werk in der Regel nicht über einen Rückruf des Ausstellungsrechts nach § 42 UrhG desavouieren: Ist das Werk bereits mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht, so ist das Ausstellungsrecht verbraucht und kann nicht mehr zurückgerufen werden.490 Kraft Gesetzes zulässige Nutzungen des Werkes muss der Urheber also hinnehmen, das Rückrufsrecht entfaltet insoweit keine Wirkung.491 Wie die Namensnennung kann der Künstler auch die Ausstellung bereits veröffentlichter Werke nicht ohne weiteres verbieten. Das Ausstellungsverbot ist aber als Minus im Beseitigungsanspruch der §§ 97 I 1, 14 UrhG enthalten.492 Freilich richtet sich dieser Anspruch grundsätzlich auf die Beseitigung der Entstellung selbst, z. B. durch Restaurierung des Werkes oder durch Beendigung oder Umgestaltung einer entstellenden Ausstellung. Kann eine irreversible Entstellung aber nicht beseitigt werden und ist die Vernichtung des Werkstücks als stärkstes Mittel der Störungsbeseitigung unzumutbar, dann kann der Künstler als milderes Mittel die öffentliche Ausstellung des Werkes verbieten. Die Gefährdung der Urheberinteressen ist durch Entfernen des Werkes aus der Öffentlichkeit stark gemindert.493 Allerdings gilt, was schon bei der Vernichtung des Werkstücks als Entstellungsbeseitigung festgestellt wurde:494 Das Ausstellungsverbot ist nur realisierbar, wenn das Werkstück überhaupt aus der Öffentlichkeit entfernt werden kann. Zudem ist zu prüfen, ob ein Ausstellungsverbot geeignet ist, d. h. hinreichenden Schutz bietet, und ob bei drohenden weiteren Verletzungen eventuell effektivere Mittel zur Verfügung stehen.
489 490 491 492
S. oben Teil 1 A.II.3. S. oben Teil 1 B.III.2.b.bb. Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, § 42 Rn 15. Bullinger, Kunstwerkfälschung, 106f.; zustimmend Wiesner, Veräußerung, Rn 387; a. A. wohl Bandle, in: Mosimann/Schönenberger, 107, 117. Zum Umfang des Beseitigungsanspruchs bei einer Werkentstellung s. oben Teil 2 A.II.4. 493 Wiesner, Veräußerung, Rn 387. Näher zur Bedeutung der Öffentlichkeit für den Integritätsschutz s. oben Teil 2 A.II.2.b. 494 S. oben Teil 2 A.II.4.b.
Öffentliche Distanzierung vom Werk
123
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Ausstellungsrecht des § 18 UrhG mit der erstmaligen Veröffentlichung erschöpft ist; die Präsentation seines einmal veröffentlichten Werkes muss der Urheber daher dulden, auch wenn das Werk nicht mehr seiner Überzeugung entspricht. Allein bei einer Entstellung seines Werkes kann der Künstler eine öffentliche Ausstellung des Werkstücks in seiner veränderten Form gemäß §§ 97 I 1, 14 UrhG verhindern.
F.
Öffentliche Distanzierung vom Werk
Ein probates Mittel, um in der Öffentlichkeit die eigene Ablehnung eines Werkes auszudrücken, ist die öffentliche Distanzierung vom Werk. Diese kann unter anderem die Gestalt einer Pressemitteilung, eines Interviews, einer Autobiografie, oder einer »Austafelung«495 annehmen. »Austafelung« ist die öffentliche Distanzierung des Urhebers vom Werk in Verbindung mit der Werkverwertung,496 z. B. durch Kundgabe der Ansicht des Künstlers auf einer Tafel im Zusammenhang mit der Werkpräsentation.497 Durch eine öffentliche Distanzierung kann der Künstler nicht nur seine Missbilligung für ein eigenes Werk darlegen, sondern auch die Urheberschaft des Werkes leugnen. Ob diese Form der Desavouierung zulässig ist oder nicht, hängt vom Inhalt und den Umständen der Distanzierung ab. Im Folgenden sollen das Leugnen der Urheberschaft (unten I.), die Kundgabe der Ablehnung eines Werkes (unten II.) und die Distanzierung als Reaktion auf eine Entstellung (unten III.) näher untersucht werden.
I.
Leugnen der Urheberschaft
Erfolgt die Distanzierung durch öffentliches Leugnen der Urheberschaft, so wird damit die Echtheit des Werkes in Zweifel gezogen, was meist einen drastischen Wertverlust zur Folge hat.498 Denn das positive Bekenntnis eines noch lebenden Künstlers zu seinem Werk ist faktisch Voraussetzung für den Verkauf über bestimmte Institutionen.499 Wenn schon das Fehlen eines Authentizitätszertifikats oder eines Eintrags im Werkverzeichnis negative Auswirkungen auf den Marktwert hat, gilt dies erst recht, wenn der Künstler die Urheberschaft aktiv 495 Federle, Werkintegrität, 64; von Detten, Kunstausstellung, 167f.; HK UrhG/Dreyer, § 13 Rn 23; Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, § 14 Rn 43. 496 Vgl. Federle, Werkintegrität, 64. 497 Vgl. von Detten, Kunstausstellung, 168. 498 Schramm, UFITA 50 (1967), 418, 423; Schack, KUR 2017, 130, 131. 499 S. oben S. 35f.
124
Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
abstreitet. Die Zulässigkeit einer solchen Leugnung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. 1.
Wahrheitswidriges Leugnen der Urheberschaft
Erklärt der Urheber wahrheitswidrig in der Öffentlichkeit, dass er nicht der Urheber eines bestimmten Werkes sei, dann können ihn verschiedene Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche treffen. Zum einen kann die Behauptung falscher Tatsachen eine Eigentumsverletzung nach § 823 I BGB darstellen.500 § 823 I BGB schützt das Eigentum auch vor unwahren Behauptungen über Tatsachen, die für die Wertbildung von Bedeutung sind.501 Leugnet der Urheber die Urheberschaft wahrheitswidrig, dann ist der Sachverhalt genauso zu behandeln, wie wenn ein Dritter ein Kunstwerk wahrheitswidrig zur Fälschung erklärt.502 Der öffentlich leugnende Urheber kann dann im Rahmen der Störungsbeseitigung zum Widerruf, also zur Richtigstellung gemäß §§ 1004, 823 I BGB gezwungen werden.503 Außerdem haftet der Urheber gemäß § 823 I BGB auf Schadensersatz in Höhe des Wertverlustes.504 Unter Umständen ist überdies eine Haftung gemäß § 823 I BGB wegen Eingriffs in den Gewerbebetrieb eines professionellen Kunsthändlers, gemäß § 824 BGB wegen Kreditgefährdung, oder auch bei bewusster Behauptung einer als unwahr erkannten Tatsache aus § 826 BGB denkbar.505 Eindeutig rechtswidrig war das Verhalten von Giorgio de Chirico, der mitunter auch eigene Bilder als Fälschungen bezeichnet haben soll, was zu Unsicherheiten bei der Identifizierung seiner »echten« Werke führte.506 Neben einer deliktischen Haftung können den wahrheitswidrig leugnenden Urheber auch Ansprüche aus der Verletzung vertraglicher Nebenpflichten aus §§ 280 I, 241 II BGB treffen.507 Dazu müsste der Künstler selbst dem gegen500 Schramm, UFITA 50 (1967), 418, 422f.; Schack, KUR 2017, 130, 133; dagegen: Stolz, Der Ghostwriter im deutschen Recht, 84f.; Hock, Namensnennungsrecht, 166; OLG Düsseldorf ZUM-RD 2012, 147, prüft eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Sammlers durch die geäußerten Zweifel an der Echtheit einer Skulptur durch deren Urheber. 501 MüKo BGB/Wagner, § 823 Rn 235; Schack, KuR, Rn 151. 502 Schack, KUR 2017, 130, 133f. 503 Vgl. Schramm, UFITA 50 (1967), 418, 423. 504 Schack, KUR 2017, 130, 133f. 505 Schack, KUR 2017, 130, 133; lediglich den Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB bejahend: Hock, Namensnennungsrecht, 166f.; so wohl auch Schramm, UFITA 50 (1967), 418, 424. 506 Baumann/Hartmann/Plath, Fake News: Original + Kopie + Fälschung + …, Begleitende Broschüre zur gleichnahmigen Ausstellung des Sprengel Museum Hannover 2018, S. 11. 507 Hock, Namensnennungsrecht, 166f.
Öffentliche Distanzierung vom Werk
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wärtigen Eigentümer das Werkstück verkauft haben. Einen Vertragspartner treffen auch nachvertraglich, also nach Erfüllung des Kaufvertrags, leistungssichernde Nebenpflichten.508 Hierzu gehören vor allem Unterlassungsplichten,509 insbesondere die Pflicht, schädigende Äußerungen, die den Kaufvertragsgegenstand abwerten könnten, zu unterlassen.510 Ob der Vertragszweck durch die Leugnung gefährdet ist, muss unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen und der Umstände des Einzelfalls bestimmt werden.511 Selbstverständlich zulässig ist die Leugnung der Urheberschaft, wenn das Werk tatsächlich nicht von dem bezeichneten Urheber stammt. Dann liegt schon keine falsche Tatsachenbehauptung vor, und der Künstler hat dann selbst einen Anspruch auf Anerkennung der Nichturheberschaft gegen den Eigentümer, der ihm das Werk fälschlicherweise zuschreibt. Problematisch ist die Einschätzung der Zulässigkeit einer Leugnung der Urheberschaft durch öffentliche Äußerungen, wenn nicht eindeutig festgestellt werden kann, ob es sich um ein Original oder eine Fälschung handelt. So ist z. B. das Gemälde »Blick auf die Jungfrau von Mürren«, welches ehemals Oskar Kokoschka zugeschrieben wurde, nicht im aktuellen Werkverzeichnis Kokoschkas enthalten, rankten sich doch bis zuletzt allerlei Ungereimtheiten um das Bild.512 So stritt Kokoschka zwar dessen Urheberschaft ab, jedoch erst Jahrzehnte nachdem es im Leipziger Kunstverein als sein Werk präsentiert und von Paul Westheim 1918 im ersten Werkverzeichnis des Künstlers aufgeführt worden war. Gleichermaßen wichtig wie problematisch ist, wer das Risiko trägt, wenn die Richtigkeit der behaupteten Tatsache nicht eindeutig festgestellt werden kann.513 Bei § 823 I BGB trifft grundsätzlich den Geschädigten, also in diesem Fall den Eigentümer, die Beweislast.514 Allerdings gilt für die über § 823 II BGB in das Zivilrecht transformierte Beweisregel der üblen Nachrede (§ 186 StGB), dass grundsätzlich der Behauptende die Wahrheit seiner Behauptung beweisen muss.515 Die Leugnung der Urheberschaft bleibt daher riskant, wenn der Künstler
508 BRHP/Sutschet, § 241 Rn 99; Jauernig BGB/Mansel, § 242 Rn 26f.; MüKo BGB/Bachmann, § 241 Rn 95, 109. 509 MüKo BGB/Bachmann, § 241 Rn 109. 510 Hock, Namensnennungsrecht, 167. 511 Hock, Namensnennungsrecht, 167. 512 Im Folgenden: Baumann/Hartmann/Plath, Fake News: Original + Kopie + Fälschung + …, Begleitende Broschüre zur gleichnahmigen Ausstellung des Sprengel Museum Hannover 2018, S. 6f. 513 Schack, KUR 2017, 130, 133. 514 Vgl. MüKo BGB/Wagner, § 823 Rn 85. 515 BGH NJW 1985, 1621, 1622.
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Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
nicht durch eine lückenlose Werkdokumentation aufzeigen kann, dass das Werk nicht von ihm ist.516 2.
Leugnen zum Schutz der eigenen Anonymität, § 13 S. 2 UrhG
Eine Ausnahme gilt für die Leugnung der Urheberschaft, wenn der Künstler von Anfang an anonym bleiben wollte und sein Bezeichnungsrecht gemäß § 13 S. 2 UrhG daher in Form der bewussten Nichtnennung ausgeübt hat. Der Künstler hat hier ein urheberrechtlich geschütztes Interesse an seiner Anonymität. Er muss sich dabei nicht auf ein bloßes Schweigen zur Urheberschaft beschränken, die Anonymität wird vielmehr nur gewahrt, wenn der Urheber die Urheberschaft auch aktiv leugnen darf. Außerdem ist fraglich, ob in Fällen anfänglicher Anonymität überhaupt berechtigte Interessen des Sacheigentümers beeinträchtigt sind. Hat der Urheber das Werk anonym veröffentlicht und verbreitet, dann konnte die Urheberschaft auf die Wertbildung gar keinen positiven Einfluss haben. Aus diesem Grund führt eine Leugnung der Urheberschaft auch nicht zu einem Wertverlust des Kunstwerkes. Somit scheitern Ansprüche aus §§ 1004, 823 I BGB schon an einer Beeinträchtigung des Eigentums. Selbst wenn man eine Eigentumsverletzung annähme – etwa, weil die Urheberschaft über Dritte publik geworden ist und doch ein gewisser Wert daran haftet – entfällt jedenfalls die Rechtswidrigkeit der Eigentumsbeeinträchtigung.517 Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass der zeitliche Umfang des § 13 S. 2 UrhG nach hier vertretener Ansicht nicht die nachträgliche Anonymität umfasst.518 Hat der Urheber sein Bezeichnungsrecht einmal ausgeübt, kann er nicht wieder umschwenken und die Urheberschaft leugnen. Ihm steht dann kein rechtlich geschütztes Anonymitätsinteresse zur Seite.
II.
Kundgabe der Ablehnung des Werkes
Von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 I 1 GG gedeckt und damit zulässig sind reine Werturteile in Bezug auf das Kunstwerk. Kunstexperten können sich, solange sie nicht wider besseres Wissen handeln, bei geäußerten Zweifeln an der Echtheit eines Kunstwerkes auf die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit aus 516 Zur ähnlichen Problematik bei der Abschreibung durch Kunstexperten siehe Schack, KUR 2017, 130, 133. 517 Bei § 823 I BGB ist die Widerrechtlichkeit als Tatbestandsvoraussetzung normiert, bei § 1004 BGB schließt Absatz 2 Ansprüche bei Duldungspflicht des Eigentümers aus. Dies macht nach h. M. keinen Unterschied; statt vieler MüKo BGB/Raff, § 1004 Rn 199f. 518 Siehe oben Teil 2 B.I.3.dd.
Öffentliche Distanzierung vom Werk
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Art. 5 I 1 und III 1 GG berufen; die Kundgabe ihrer subjektiven, gutachterlichen Überzeugung ist ein bloßes Werturteil.519 Bei Aussagen des Künstlers zur Echtheit des Werkes könnte das anders zu beurteilen sein. In der Regel ist die Bewertung der Echtheit eines Werkes durch den Künstler keine wissenschaftliche Stellungnahme, die unter dem Vorbehalt des Irrtums steht und bei der der Rezipient davon ausgeht, dass es sich um eine persönliche Wertung handelt. Vielmehr geht der durchschnittliche Empfänger hier davon aus, dass der Urheber weiß, ob er ein bestimmtes Werk geschaffen hat oder nicht. Er versteht die Aussage des Künstlers mithin als Tatsachenbehauptung.520 Anders wäre es zu beurteilen, wenn der Künstler etwa verkündete, dass er ein bestimmtes Werk ablehne, weil er sich nicht mehr mit ihm identifizieren könne oder es für nicht repräsentativ für sein Werkschaffen halte. Diese Aussage ist keine Tatsachenbehauptung, sondern als Werturteil von Art. 5 I 1 GG geschützt. Eine ablehnende Haltung gegenüber seinem Werk darf der Künstler grundsätzlich äußern, er darf dabei aber keine unwahren Tatsachen behaupten. Eine Distanzierung von früheren, mittlerweile missliebigen Werken ist aber nicht nur durch darauf gerichtete Äußerungen möglich. Der Künstler kann auch eine »aktive Selbstleugnung« betreiben, indem er neue Werke in einem ganz anderen Stil schafft oder im kunstkritischen Diskurs seine neuen Ansichten verficht.521
III.
Distanzierung von einem entstellten Werk
Des Weiteren könnte der Urheber bei extrem entstellten Werken argumentieren, dass das Werk in dieser entstellten Form nicht mehr von ihm stammt, und sein Recht auf Anerkennung der Nichturheberschaft geltend machen, wie das die Künstlerin Cady Noland mit den in ihren Augen entstellten Werken »Cowboys Milking« und »Log Cabin« getan hat.522 Die Frage, ob der Urheber die Urheberschaft im Einzelfall wegen einer Entstellung leugnen darf, erübrigt sich, wenn er gegen den Anspruchsgegner von §§ 97 I 1, 14 UrhG sogar ein Namensnennungsverbot aussprechen darf.523 Ist noch streitig, ob der Eigentümer den Namen des Urhebers weiter nennen darf, Vgl. LG Köln KUR 2013, 105, 107 – Gemälde von Sigmar Polke; Schack, KuR, Rn 151. Vgl. Hoeren/Sieber/Holznagel/Seitz, Teil 8 Rn 97; OLG Düsseldorf ZUM-RD 2012, 147, 149. Pedrazzini, Schweizerische Mitteilungen 1956, 72, 87. Siehe oben Teil 1 B.III.2.a.aa. und Teil 2 A.II.3.a.bb., wobei zumindest im Fall »Cowboys Milking« am Vorliegen einer ausreichenden Veränderung gezweifelt werden kann. 523 Dazu oben Teil 2 B.II.
519 520 521 522
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Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
dann ist der Urheber mit einer Formulierung wie »Dieses Werk habe ich so nicht geschaffen« auf der sicheren Seite. Ist der Eigentümer selbst Anspruchsgegner, so kann die »Austafelung« ein Minus zum Beseitigungsanspruch aus §§ 97 I 1, 14 UrhG sein.524 Bei einer Entstellung durch die Gestaltung einer Ausstellung beispielsweise könnte der Urheber verlangen, dass der Verantwortliche eine entsprechende »Austafelung« vor Ort duldet.525 Solange keine Entstellung vorliegt, kann vom Eigentümer freilich nicht verlangt werden, die Ansicht des Urhebers bei der Ausstellung des Werkes durch »Austafelung« kundzutun. Hier muss der Urheber (geschützt von der Meinungsfreiheit) z. B. durch Pressestatements selbst dafür sorgen, dass die Öffentlichkeit von seiner missbilligenden Haltung gegenüber einem Frühwerk erfährt.
IV.
Ergebnis zu F. Desavouierung durch öffentliche Distanzierung vom Werk
Leugnet ein Künstler wahrheitswidrig die Urheberschaft an einem Werk, sodass dieses an Wert verliert, dann kann der Eigentümer des Werkstücks deliktische und – bei Erwerb des Werkstücks direkt vom Künstler – auch vertragliche Ansprüche gegen diesen geltend machen. Zulässig ist ein wahrheitswidriges Bestreiten nur, wenn der Urheber dadurch seine Anonymität, für die er sich gemäß § 13 S. 2 UrhG entschieden hatte, bewahren will. Außerdem darf sich der Künstler inhaltlich von seinem Werk öffentlich distanzieren, solche Äußerungen genießen den Schutz der Meinungsfreiheit. Ferner darf der Urheber, wenn das Werk entstellt ist und er deshalb gemäß §§ 97 I 1, 14 UrhG ein Namensnennungsverbot aussprechen kann, auch selbst die Urheberschaft leugnen. Bei einer Entstellung kann der Urheber auch verlangen, dass das Werk bei der Verwertung mit einer »Austafelung« versehen wird, in der sich der Künstler vom Werk oder dessen Präsentation distanziert.
G.
Schaffung eines »neuen Originals«
Der Urheber könnte ein Werk auch dadurch desavouieren wollen, dass er es durch ein »neues Original« ersetzt. Auf den ersten Blick erscheint dies widersinnig: Eine Verstoßung des Werkes erreicht der Künstler gerade nicht, wenn er 524 Federle, Werkintegrität, 64f. 525 Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, § 14 Rn 43; für eine differenzierende Rechtsfolge aus §§ 97, 14 UrhG de lege ferenda von Detten, Kunstausstellung, 167ff.
Schaffung eines »neuen Originals«
129
es erneut kreiert. Für außerhalb des Werkes liegende Gründe, wie etwa die Ablehnung entweder des Werkstückeigentümers oder des Umgangs mit dem Werk, ist dies aber ein taugliches Mittel, weil der Urheber durch das zweite Werk ein Stück weit die Kontrolle über das Werk zurückgewinnt und außerdem das fremde Sacheigentum abwerten kann. Das soll der bereits erwähnte Fall des US-amerikanischen Künstlers Carl Andre erläutern.526 Nach einem Streit desavouierte der bekannte Skulpturenkünstler sein im Eigentum des Whitney Museum of American Art stehendes Werk »29th Copper Cardinal«. Das Museum hatte ein anderes Werk Carl Andres, »12th Copper Corner«, nicht in der Ecke des Museums ausstellen wollen, die dieser dafür vorgesehen hatte. Andre zog daraufhin aus Zorn das Werk von der Ausstellung ab und versuchte auch, das im Eigentum des Whitney Museums stehende Werk »29th Copper Cardinal« zurückzukaufen. Als das Museum sich darauf nicht einließ, veranstaltete Andre eine Gegenausstellung, auf der er »12th Copper Corner« und ein Duplikat von »29th Copper Cardinal« als das eigentliche Original präsentierte. »12th Copper Corner« beschrieb er als »vor der Verschandelung durch das Whitney Museum bewahrt« und »29th Copper Cardinal« als »von den dortigen Eigentumsfesseln befreit«.527 Letztere Bezeichnung zeigt die Absicht Andres, durch die Desavouierung das Eigentum des Museums am Original des »29th Copper Cardinal« zu beeinträchtigen und durch ein »neues« Original wertlos zu machen. Ein solcher Vorgang, bei dem der Urheber ältere Werke später erneut verwendet, wird oft als Selbstplagiat bezeichnet.528 Dieser Begriff ist indes ungenau: Als Plagiat bezeichnet man die Übernahme fremden Geistesgutes unter Anmaßung der Urheberschaft.529 Der Künstler, der ein bereits existierendes Werk erneut schafft, bedient sich aber keines fremden, sondern eigenen Geistesgutes und kann sich die Urheberschaft auch nicht anmaßen, weil er selbst der Urheber ist.530 Hinzu kommt, dass das juristische Verständnis eines Plagiats nur die urheberrechtlich unzulässige Übernahme meint.531 Passender sind daher die Begriffe Selbstwiederholung oder Reprise.532 Eine Reprise kann zu Konflikten mit dem Sacheigentümer führen, denn in der Regel verliert das Erstwerk mit jeder Wiederholung an Wert, da die »Aura« eines Kunstwerkes stark von seiner Einzigartigkeit abhängt.533 526 527 528 529 530 531 532 533
Siehe Teil 1 B.III.2.a.aa. Merryman/Elsen/Urice, Law, Ethics, and the Visual Arts, 452. Kritisch zu dieser Begriffswahl Schack, UrhR, Rn 287; Loewenheim/Loewenheim, § 8 Rn 26. Bisges, UFITA 2008-III, 643, 647, 650; Schack, UrhR, Rn 287. Bisges, UFITA 2008-III, 643, 650f. Bisges, UFITA 2008-III, 643, 648, 650. Schack, KuR, Rn 349. Benjamin, Reproduzierbarkeit, 14.
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Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
Je nach Medium rechnet der Erwerber mit einem Unikat oder aber mit der Existenz mehrerer Originalexemplare des Werkes. Plastiken und Grafiken werden bekanntlich in größerer, meist limitierter Anzahl gegossen bzw. gedruckt. Dabei nimmt deren Wirkung und Wertschätzung mit steigender Auflagenhöhe deutlich ab. Bei einem Gemälde oder einer Zeichnung geht der Erwerber dagegen davon aus, dass es sich um ein Unikat handelt und ist bereit, für das einzigartige Stück einen höheren Preis zu zahlen. Das mag daran liegen, dass es bei Gemälden unüblich und ohne eine Druckvorlage auch höchst aufwendig ist, ein Duplikat herzustellen. Der Wertverlust durch eine Selbstwiederholung hängt im Einzelnen stark davon ab, ob ein identisches Zweitwerk geschaffen oder das Erstwerk variiert wird und wie viele Reprisen geschaffen werden. Eine Reprise kann in mehrfacher Hinsicht rechtlich von Bedeutung sein. Im Folgenden soll die Selbstwiederholung zunächst genauer auf einen möglichen urheberstrafrechtlichen Verstoß gegen § 107 I Nr. 2 UrhG untersucht werden (unten I.). Danach ist auf etwaige vertragsrechtliche Beschränkungen (unten II.) und auf die deliktsrechtliche Haftung (unten III.) des sich wiederholenden Künstlers einzugehen. Daneben kommen auch strafrechtliche Konsequenzen wegen Betrugs,534 wettbewerbsrechtliche Verstöße wegen Irreführung535 und eine Verletzung schuldrechtlicher Enthaltungspflichten aus einem Kunstverlagsvertrag536 in Betracht, die hier nicht weiter betrachtet werden sollen.
I.
Urheberstrafrechtlicher Verstoß gegen § 107 I Nr. 2 UrhG
Die Signierung einer Reprise durch den Künstler könnte eine strafrechtlich relevante Handlung iSv § 107 I Nr. 2 UrhG sein. Danach macht sich strafbar, wer ein Vervielfältigungsstück, eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes der bildenden Künste mit einer Urheberbezeichnung versieht, die dem Objekt den Anschein eines Originals gibt. Die Norm schützt auch das Interesse des kunstinteressierten Publikums an der Beweiskraft der Signatur und der Lauterkeit des Kunsthandels, weshalb auch der Urheber selbst Täter des § 107 I Nr. 2 UrhG sein kann.537 Eine Reprise, die das Erstwerk identisch wiederholt, ist eine einfache Vervielfältigung iSv § 16 UrhG.538 Variiert der Künstler das Vorlagewerk in der Reprise, sodass sie nach ihrem Gesamteindruck nicht mehr mit dem Original534 535 536 537 538
Locher, Das Recht der bildenden Kunst, 193. Schack, KuR, Rn 351. Schack, KuR, Rn 303, 351. Dreier/Schulze/Dreier, § 107 Rn 1; Schack, UrhR, Rn 853. Zum Begriff der Vervielfältigung s. oben Teil 2 A.I.1.a.
Schaffung eines »neuen Originals«
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werk übereinstimmt, sondern eine eigene schöpferische Ausdruckskraft besitzt, so liegt eine Bearbeitung iSv § 23 UrhG vor, solange sie nicht den größeren gestalterischen Abstand einer freien Benutzung erreicht (§ 24 UrhG).539 Signiert der Künstler die Reprise, so wäre der Tatbestand des § 107 I Nr. 2 UrhG erfüllt, wenn durch die Urheberbezeichnung der Anschein eines Originals entstünde. Dieses Tatbestandsmerkmal wäre nicht erfüllt, wenn die Reprise selbst als Original zu qualifizieren ist und somit die Signatur nicht nur den Anschein eines Originals erweckt. Für ein Originalwerk setzen einige Autoren zusätzlich zur Eigenhändigkeit der Schöpfung540 die Erstmaligkeit des Werkes voraus.541 Damit wäre ein zweites identisches Ölbild kein Original (sondern ein Vervielfältigungsstück), weil es in dieser Gestalt schon einmal geschaffen wurde. Von Gamm spricht als Konsequenz auch Drucken und Abgüssen in limitierter Auflage die Originaleigenschaft ab.542 Die Tatsache, dass Urheber von signierten Drucken und Güssen nicht wegen § 107 I Nr. 2 UrhG strafrechtlich verfolgt werden, könnte dann nur so zu erklären sein, dass der Kunsthandel nur die Druck- oder Gussform als Original ansieht und mit deren Hilfe produzierte Grafiken und Plastiken gar nicht den Anschein eines Originals erwecken können. Dagegen spricht allerdings, dass auch Drucke oder Abgüsse, die von einer vom Künstler geschaffenen Urform auf dessen Anweisung hin hergestellt werden, in den beteiligten Verkehrskreisen ganz selbstverständlich als Originale gelten.543 Auch multiplen Grafiken und Plastiken wird eine besondere Aura beigemessen, auch wenn diese mit steigender Auflagenhöhe graduell abnimmt.544 Eine andere Meinung, die ebenfalls die erstmalige Schaffung des Werkes voraussetzt, erkennt Drucke und Güsse dennoch als Originalwerke an,545 weil unter Erstmaligkeit nicht Einmaligkeit, sondern »die Unabhängigkeit von einer Vorlage« zu verstehen sei.546 Danach besitzen alle Drucke einer Auflage, soweit sie aus der ursprünglichen Druckform stammen und nicht nach einer Vorlage gedruckt sind, Originalität.547 Die Ursprungsform sei gerade keine Vorlage, von 539 Zur Abgrenzung von Vervielfältigung, Bearbeitung und freier Benutzung s. oben Teil 2 A.I.1.a.aa. und bb. 540 Diese ist nach h. M. auch gegeben, wenn der Künstler Arbeitsschritte an Helfer delegiert, s. oben Teil 1 A.II.3. 541 von Gamm, UrhG, § 26 Rn 5; Hamann, Originalbegriff, 112ff.; Schlütter, Originalbegriff im Urheberrecht, 417. 542 von Gamm, UrhG, § 26 Rn 5; dagegen: Schlütter, Originalbegriff im Urheberrecht, 199f.; Hamann, Originalbegriff, 157f. 543 Ganz h. M., siehe z. B. Schack, KuR, Rn 23; Wandtke/Bullinger/Bullinger, § 26 Rn 7; Hamann, Originalbegriff, 140, 198. 544 Samson, GRUR 1970, 449, 451 spricht von der Abnahme des Affektionswertes. 545 Schlütter, Originalbegriff im Urheberrecht, 199f.; Hamann, Originalbegriff, 157f. 546 Schlütter, Originalbegriff im Urheberrecht, 199. 547 Hamann, Originalbegriff, 157.
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der eine Vervielfältigung hergestellt werde, sondern eine Vorarbeit zu einem Werk, das erst mit den Vervielfältigungsstücken entstehe.548 Die Ansicht, dass die Urform keine Vorlage sei, die durch den Druck/Guss vervielfältigt wird, steht allerdings im starken Kontrast zu der (auch von derselben Meinung eingeräumten) urheberrechtlichen Schutzfähigkeit und Originaleigenschaft einer Druck- und Gussform.549 Es ist widersprüchlich, die Ursprungsform einerseits dem Druck oder Guss als urheberrechtlich geschütztes Werk und Original gleichzustellen, andererseits aber ihre Eigenschaft als selbstständige Vorlage zu verneinen. Woraus sollte sich die Selbstständigkeit einer Vorlage ergeben, wenn nicht aus ihrer Qualität als Originalwerk? Somit ist das Erfordernis der Erstmaligkeit als Voraussetzung für die Eigenschaft als Original abzulehnen, da es mit Blick auf die von der Verkehrsanschauung als Original akzeptierte Druckgrafik und Gussplastik nicht kohärent angewendet wird. Daraus folgt, dass Original und Vervielfältigung einander nicht unbedingt ausschließen.550 Schon der Erstdruck eines Werkes ist eine Vervielfältigung des in Gestalt des Druckstocks geschaffenen Werkes: Er ist eine körperliche Festlegung des Werkes, die geeignet ist, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Weise unmittelbar oder mittelbar wahrnehmbar zu machen und mithin eine Vervielfältigung.551 Gleiches gilt für alle späteren Drucke und Abgüsse derselben Urform. Insofern kann eine Vervielfältigung gleichzeitig ein Original sein. Da die Erstmaligkeit also keine Rolle spielt, geht es bei der Einordnung als Original allein darum, ob das Werk von dem Künstler (oder zumindest unter seiner Leitung) geschaffen wurde. Man könnte den Begriff Original daher auch als Synonym für die Eigenhändigkeit des Schöpfungsprozesses und die Eigenständigkeit des geschaffenen Gegenstandes begreifen.552 Gießt der Künstler also ein zweites identisches Exemplar einer Plastik aus der Urform oder druckt er eine Grafik erneut mithilfe der alten Druckvorlage, so entsteht ein weiteres Original, das der Künstler straffrei signieren darf. Gleiches muss gelten, wenn der Künstler mehrfach das gleiche Bild malt: Es entstehen trotz identischer Gestaltung mehrere Originalwerke553 (und zugleich Vervielfältigungsstücke!). Der Gegenmeinung, wonach das Zweitwerk nur dann ein Original ist, wenn es – einer Bearbeitung entsprechend – durch selbstständige 548 549 550 551 552 553
Schlütter, Originalbegriff im Urheberrecht, 200. Siehe Schlütter, Originalbegriff im Urheberrecht, 207ff., 231f. a. A. Hamann, Originalbegriff, 156, 162; Schlütter, Originalbegriff im Urheberrecht, 41f. Definition in RegE BT-Dr IV/270, S. 47. Heinbuch, NJW 1984, 15, 19. So auch Samson, UFITA 50 (1967), 491, 499; Samson, GRUR 1970, 449, 450; Loewenheim/ Czychowski, § 70 Rn 55.
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künstlerische Gestaltung variierend vom Erstwerk abweicht,554 ist nicht zu folgen. Der gestalterische Abstand zum Erstwerk dient nur der Unterscheidung zwischen einfacher Vervielfältigung, Bearbeitung und freier Benutzung,555 ist aber für die Eigenschaft als Original nicht entscheidend. Ob es sich um ein Unikat oder um die Vervielfältigung eines Vorlagewerkes handelt, ist für den Originalbegriff unbeachtlich. Eine vom Künstler eigenhändig geschaffene, identische Reprise erweckt nicht nur den Anschein, ein Original zu sein, sie ist es tatsächlich. Der Künstler darf sie somit signieren, ohne dass er sich gemäß § 107 I Nr. 2 UrhG strafbar macht.
II.
Vertragsrechtliche Beschränkungen
1.
Sachmängelhaftung
Eine Selbstwiederholung kann, wenn der Urheber vertraglich ein Unikat versprochen hat, eine Haftung begründen. Bei einem Kaufvertrag greift die Sachmängelhaftung des § 437 BGB, wenn das Zweitwerk schon zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs existiert hat.556 Für die vereinbarte Beschaffenheit (§ 434 I 1 BGB) kommt es darauf an, ob die Vertragsparteien sich auf die Übereignung eines Originalwerkes oder eines Unikats geeinigt haben. Nur im letzten Fall begründet die Existenz eines identischen Werkes einen Sachmangel. Der Kaufgegenstand bleibt hingegen auch dann ein Original, wenn der Urheber ein zweites identisches Werk schafft.557 Indes könnte sich der Kaufgegenstand wegen der Reprise nicht für die vertraglich vorausgesetzte oder gewöhnliche Verwendung eignen oder nicht die übliche Beschaffenheit aufweisen (§ 434 I 2 Nr. 1 und 2 BGB). Ist vereinbart, dass das Werk ein Investitions- oder Spekulationsobjekt sein soll, so kann die Existenz weiterer identischer Werke, durch die das Einzelstück an Wert verliert, diesen Zweck gefährden.558 Dient das Werk dem Prestige oder der Sammlerfreude des Käufers, dessen Kunstgenuss oder bloßer Dekoration, so eignet sich auch ein Werkstück, das kein Unikat ist, zur angestrebten Verwendung und ist somit nicht mangelhaft. Was eine gewöhnliche Verwendung ist und welcher der eben erwähnten Kaufzwecke hierunter fällt, kann bei Kunst nicht abstrakt be554 Hamann, Originalbegriff, 121ff., 130; Schlütter, Originalbegriff im Urheberrecht, 356; Schricker/Loewenheim/Katzenberger/Schierholz, § 26 Rn 26. 555 Zur Abgrenzung s. oben Teil 2 A.I.1.a.aa. und bb. 556 Daneben ist auch die Haftung aus einer Beschaffenheitsgarantie (§ 443 I BGB) möglich, wenn der Urheber eine solche übernommen hat. 557 Siehe zuvor Teil 2 G.I. 558 Insoweit ist es ausreichend, dass die vereinbarte Verwendbarkeit gemindert ist, BGH NJW 2017, 2817, 2818.
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stimmt werden, da es auf das jeweilige Motiv des Käufers im Einzelfall ankommt.559 Auch eine objektive Beschaffenheit von Sachen gleicher Art ist bei Kunstwerken schwer zu definieren.560 Hier könnte danach zu differenzieren sein, ob Werke gleicher Art üblicherweise nur als Unikat veräußert werden oder nicht. Gemälde oder Zeichnungen sind in der Regel Unikate, während bei Drucken und Güssen üblicherweise mehrere Exemplare in bestimmter Auflage existieren. Desavouiert der Künstler ein Werk durch Schaffung eines neuen Originals erst nach der Veräußerung des Kunstwerkes, dann ist eine Gewährleistungshaftung ausgeschlossen, da der Sachmangel bereits bei Gefahrübergang bestanden haben muss. Doch kommt auch dann noch eine Verletzung von Nebenpflichten in Betracht, die einen Schadensersatzanspruch nach §§ 280 I, 241 II BGB nach sich zieht.561 Gehen die Parteien davon aus, dass der Kaufgegenstand auch in Zukunft ein Unikat bleiben soll, so verletzt die Herstellung eines den Wert des Kaufgegenstandes mindernden »Konkurrenz«-Originals nachwirkende vertragliche Treuepflichten.562 Es kommt für die vertragliche Haftung des sich selbst wiederholenden Künstlers daher immer auf die individuellen Umstände an, insbesondere ob die Unikateigenschaft Gegenstand der Haupt- oder einer Nebenpflicht geworden ist. Wenn der gegenwärtige Eigentümer das Werkstück aber nicht vom Künstler, sondern von einem Dritten gekauft hat, besteht schon keine vertragliche Verbindung zwischen Eigentümer und Urheber, aus der dieser haften könnte. 2.
Urheberrecht
Eine Selbstwiederholung verstößt außerdem gegen das Urheberrecht, wenn der Urheber einem anderen ein ausschließliches Vervielfältigungsrecht am Original eingeräumt hat (§§ 16, 31 III 1 UrhG).563 Der Nutzungsrechtsinhaber besitzt dann nicht nur ein positives Nutzungs- sondern auch ein negatives Verbietungsrecht, mit dem er gegen Handlungen, die sein Exklusivrecht gefährden,
559 Garbers-von Boehm, GRUR-Prax 2013, 507, 508. 560 Garbers-von Boehm, GRUR-Prax 2013, 507, 508; gegen die Anwendbarkeit des objektiven Mangelbegriffs bei Kunstwerken: Heyers, GRUR 2012, 1206, 1208f.; für eine übliche Beschaffenheit aber BGH GRUR 2014, 96, 97 – Buddha aus Sui-Dynastie. 561 Dazu bereits oben Teil 2 F.I.1. 562 So z. B. der »Venusberg-Fall«, in dem ein Grundstückverkäufers nach Vertragsschluss das Nachbargrundstück bebaut, obwohl die Vertragsparteien von der Unbebaubarkeit ausgegangen waren, RGZ 161, 330, 338. 563 Schack, UrhR, Rn 287; Schack, KuR, Rn 350; Bisges, UFITA 2008-III, 643, 668ff., 689.
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vorgehen kann.564 Auch der Urheber selbst darf dann das Werk nicht in der betreffenden Art nutzen.565 Gegenüber dem Eigentümer ist der Künstler kaum jemals urheberrechtlich zur Enthaltung verpflichtet. Gemäß § 44 I UrhG räumt er dem Eigentümer im Zweifel keine Nutzungsrechte ein. Nur wenn er ihm ausnahmsweise ein ausschließliches Vervielfältigungsrecht eingeräumt hat, könnte der Eigentümer aus §§ 97, 16, 31 III 1 UrhG gegen die Schaffung eines identischen Zweitwerkes vorgehen.566
III.
Deliktsrechtliche Haftung
Eine deliktische Haftung des Künstlers nach § 823 I BGB gegenüber dem Eigentümer des durch die Reprise abgewerteten Werkstücks scheidet in aller Regel aus. Die Selbstwiederholung greift nicht direkt in das fremde Eigentum ein. Anders als bei der Leugnung der Urheberschaft, die sich auf das Werkstück als fremdes Eigentum bezieht, bleibt das Erstwerk als solches bei einer Reprise unangetastet. Der Unterschied ist, dass bei der Leugnung der Urheberschaft tatbestandlich eine Eigentumsverletzung vorliegt, die sich in einem Wertverlust äußert. Eine Selbstwiederholung bewirkt dagegen nur einen Wertverlust und damit einen reinen Vermögensschaden, der von § 823 I BGB nicht umfasst ist.567 Anders wäre es unter Umständen zu beurteilen, wenn der Künstler, wie Carl Andre im obigen Beispiel, die Reprise zum neuen Original erklärte und dem alten Werk die Eigenschaft als Original abspräche. Dann könnte dasselbe gelten wie bei der wahrheitswidrigen Leugnung der Urheberschaft: Die Behauptung falscher Tatsachen, die sich auf die Wertbildung einer Sache auswirken, löst eine Haftung nach § 823 I BGB aus. In Betracht kommen dann ebenfalls Ansprüche aus §§ 824 I und 826 BGB.
IV.
Ergebnis zu G. Desavouierung durch Schaffung eines »neuen Originals«
Auch wenn eine Reprise sich wertmindernd auf das Erstwerk auswirkt und insofern als Desavouierungsmittel geeignet ist, kann sie für den Künstler unter engen Voraussetzungen doch vertragsrechtliche Konsequenzen haben. Hierbei kommt es auf die Umstände des Einzelfalles und insbesondere darauf an, ob 564 Dreier/Schulze/Schulze, vor §§ 31ff. Rn 41, § 31 Rn 56. 565 Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert, vor §§ 31ff. Rn 117; Dreier/Schulze/Schulze, vor §§ 31ff. Rn 41. 566 Bisges, UFITA 2008-III, 643, 687f. 567 BGH NJW 1958, 1041, 1042; BGH NJW 1964, 720, 722; BGH NJW 1983, 2313, 2314.
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Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
Künstler und Erwerber die Eigenschaft des Kunstwerkes als Unikat vereinbart haben und wann die Reprise geschaffen wird. Nur wenn der Urheber zusätzlich schädigende Äußerungen über das bereits veräußerte Kunstwerk trifft, indem er ihm die Originaleigenschaft ab- und der Reprise zuspricht, haftet er dem Eigentümer auch unabhängig von vertraglichen Vereinbarungen nach Deliktsrecht. Auch wenn der Künstler wegen der Schaffung eines »neuen Originals« häufig keine rechtlichen Konsequenzen fürchten muss, wird diese Vorgehensweise von anderen Akteuren des Kunstmarkts meist missbilligt werden. Außerdem kann dies als ein Zeichen künstlerischer Sterilität gewertet werden568 und sich somit negativ auf das Prestige des Künstlers auswirken. So kopierte beispielsweise Giorgio de Chirico nachträglich eigene Werke aus seiner metaphysischen Periode, die höhere Anerkennung als seine neueren Werke im Stil des Neoklassizismus genossen, was mit einem zeitweiligen Ausschluss aus dem Kreis der Surrealisten durch Andr8 Breton quittiert wurde.
H.
Verweigerung der Authentifizierung
Ein Künstler könnte ein Werk auch desavouieren, indem er dessen Authentifizierung verweigert. Ein Werkverzeichnis (catalogue raisonn8) soll die Werke eines Künstlers vollständig dokumentieren und möglichst alle Werke mit Abbildungen und/oder Beschreibungen erfassen.569 Das Verzeichnis wird zu Lebzeiten meist vom Künstler selbst geführt, nach seinem Tod übernehmen diese Aufgabe die Erben, Angehörigen oder einschlägig spezialisierte Kunsthistoriker. Die Authentizität von Werken, die im Verzeichnis aufgeführt sind, gilt als geprüft und gesichert. Für nicht aufgenommene Werke gilt das Gegenteil, ihre Authentizität gilt als ungesichert und zumindest zweifelhaft.570 Eine ähnliche Funktion erfüllen Zertifikate, die von denselben Akteuren ausgestellt werden und die Authentizität garantieren sollen. Wo das Werkverzeichnis nur allgemein die Existenz eines solchen Werkes bestätigt, verifiziert das Zertifikat die Echtheit genau jenes Kunstwerkes, das der Eigentümer zur Authentifizierung vorgelegt hat. Die Authentizität eines Kunstwerkes ist entscheidend für seine Wertbildung. Die Bestätigung der Echtheit ist zudem in der Regel die Voraussetzung für dessen Veräußerung über ein Auktionshaus. Des Öfteren wurden Kunstauktionen abgesagt, weil die Aufnahme in das Werkverzeichnis oder die Ausstellung eines 568 Schack, KuR, Rn 349. 569 von Brühl, Marktmacht, 23; Ebling/Bullinger/Bullinger, S. 129. 570 Ebling/Schulze/Kirchmaier, S. 288.
Verweigerung der Authentifizierung
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Echtheitszertifikats verweigert wurde.571 Die Aufnahme des Werkes in ein Werkverzeichnis ist daher für den Eigentümer des Werkstücks von größter Bedeutung. Fraglich ist, ob der Eigentümer eines Werkstücks vom Künstler die Eintragung des Werkes in das Werkverzeichnis oder zumindest die Ausstellung eines Echtheitszertifikats verlangen kann, oder ob der Künstler ein Werk dadurch desavouieren kann, dass er beides verweigert. Zunächst gilt auch hier, was schon für die öffentliche Distanzierung durch Leugnen der Urheberschaft galt:572 Hat der Künstler ein über § 13 S. 2 UrhG urheberrechtlich geschütztes Interesse an seiner Anonymität, weil er von Anfang an seine Nennung als Urheber unterdrückt hat, dann trifft ihn unter keinen Umständen die Pflicht, ein Echtheitszertifikat auszustellen oder das Werk in sein Werkverzeichnis aufzunehmen. Das Anonymitätsrecht aus § 13 S. 2 UrhG würde ansonsten vollständig umgangen. Zudem scheidet eine Authentifizierungspflicht von vornherein aus, wenn der Künstler wegen einer Entstellung seines Werkes gemäß §§ 97 I 1, 14 UrhG sogar ein Namensnennungsverbot aussprechen darf.573 Bei einem ursprünglich unter Urhebernennung veröffentlichten, nicht entstellten Werk steht zwar das Urheberpersönlichkeitsrecht einer Authentifizierungspflicht nicht entgegen, fraglich ist aber, woraus sich eine solche Pflicht zum Tätigwerden ableiten kann. Dazu existieren wenige Beiträge in Rechtsprechung und Literatur und diese äußern sich hauptsächlich zu Ansprüchen gegen Kunstexperten, wenn diese die Authentifizierung verweigern. Der Streitstand soll zunächst dargestellt (unten I.), bewertet und auf das Verhältnis Eigentümer – Urheber übertragen werden (unten II.).
I.
Zur Authentifizierungspflicht des Kunstexperten
In der Literatur wird die Frage, ob ein Künstler berechtigt ist, die Authentifizierung des Werkes zu verweigern, kaum angesprochen. Teilweise wird eine Haftung des Experten, aber auch des Künstlers selbst angenommen, wenn dieser sich böswillig oder leichtfertig weigert, ein echtes Werk zu authentifizieren.574
571 So z. B. durch Sotheby’s New York nachdem Cady Noland sich weigerte, das Werk »Cowboys Milking« zu authentifizieren, s. oben Teil 1 B.III.2.a.aa. 572 S. oben Teil 2 F.I.2. 573 S. oben Teil 2 B.II. 574 Schack, KUR 2017, 130, 135, bezieht sich wohl auf eine deliktische Haftung.
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Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
Mitunter wird eine Pflicht des Künstlers, seine Urheberschaft mündlich oder schriftlich zu bestätigen, aber auch gänzlich575 oder zumindest bei Vorliegen »nachweislich künstlerischer« Gründe abgelehnt.576 1.
Deutsche Rechtsprechung: Karl Hofer
In der bisher einzigen deutschen Gerichtsentscheidung zu diesem Thema verneinte das OLG Hamm eine Pflicht des beklagten Kunstexperten zur Aufnahme des angeblich von Karl Hofer stammenden Werkes »Stillleben mit Gemüse und Früchten« in das Werkverzeichnis des Künstlers.577 Zwar lässt sich der Entscheidung keine generelle Aussage über die Pflicht zur Authentifizierung entnehmen. Das Gericht spricht aber verschiedene Anspruchsgrundlagen an, die zugunsten der Eigentümerin für die Aufnahme ihres Werkes in das Werkverzeichnis in Betracht kommen.578 Im Fall Karl Hofer bestand weder zwischen der Eigentümerin und dem Experten noch zwischen dem Experten und dem verstorbenen Künstler ein Vertrag über die Erstellung eines Werkverzeichnisses. Im letzteren Fall wäre dies ohnehin kein Vertrag zu Gunsten Dritter gewesen und hätte daher auch keinen Anspruch zugunsten der Eigentümerin begründet. Diese berief sich erfolglos auf einen Anspruch auf Anerkennung der Urheberschaft aus § 13 UrhG: Dieser Anspruch steht nur dem Urheber zu und wird bei einer Veräußerung des Werkstücks auch nicht etwa auf den neuen Eigentümer übertragen. Einen Anspruch aus §§ 903, 1004 BGB wegen Einwirkung auf das Eigentum verneinte das Gericht, da hier kein aktives Tun, sondern ein Unterlassen zur Debatte stehe. Zu einem Handeln könne der Experte (oder der Künstler) nur verpflichtet werden, wenn er zuvor eine Gefahrenquelle in Bezug auf das fremde Eigentum eröffnet hätte, wie etwa in den Fällen von §§ 908 und 909 BGB. Die Eröffnung einer Gefahrenquelle in analoger Anwendung der §§ 908, 909 BGB sei aber abzulehnen, weil in der Erstellung des Werkverzeichnisses noch keine Gefährdung des Eigentums liege. Auch einen Zwang zum Abschluss eines Gutachtervertrags als Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 249 BGB lehnte das OLG ab, weil das Nichthandeln des Experten nicht verboten sei und auch kein Schädigungsvorsatz vorliege. Ein solcher Anspruch ergebe sich auch nicht aus dem Kartellrecht. Der Experte habe sich nicht verpflichtet, alle Werke des Künstlers in das Werkverzeichnis aufzunehmen, und besitze auch keine fakti575 Schramm, UFITA 50 (1967), 418, 422, der aber umgekehrt ein aktives Leugnen durch schädigende Äußerungen als unzulässig erachtet, s. oben Teil 2 F.I.1. 576 Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, § 13 Rn 23. 577 OLG Hamm ZUM 2005, 327 – Stillleben Karl Hofer. 578 OLG Hamm ZUM 2005, 327, 328f. – Stillleben Karl Hofer.
Verweigerung der Authentifizierung
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sche Monopolstellung; er habe das Werkverzeichnis bis heute nicht offiziell herausgegeben und sei auch nicht der einzige, der solch ein Werkverzeichnis erstellen könne. Vor allem aber könne er nicht gezwungen werden, gegen seine wissenschaftliche Überzeugung zu handeln, ihm stehe als Wissenschaftler das Grundrecht aus Art. 5 III GG zur Seite. 2.
Kartellrechtliche Relevanz
Kunstexperten, die bezüglich des Schaffens eines bestimmten Künstlers als maßgeblich gelten, bewirken durch ihre Zuschreibung einen vermeintlichen Konsens über die Echtheit des Kunstwerkes.579 Oft gibt es nur einen einzigen Experten, der nach der Verkehrsauffassung solch eine Zuschreibungsmacht besitzt, dass er über die kulturelle Bedeutung eines Werkes bestimmen kann.580 Hat ein Experte eine derart starke »Zuschreibungsautorität«581, dass ein Kunstwerk ohne eine Authentifizierung durch genau diesen Experten praktisch unverkäuflich ist, dann liegt ein kartellrechtlicher Anspruch auf Authentifizierung nahe. Von Brühl erläutert mit Blick auf den Kunstexperten ausführlich die kartellrechtliche Relevanz einer Verweigerung der Expertise als auch der Aufnahme in das Werkverzeichnis. In der Weigerung eines marktbeherrschenden Experten, eine Expertise zu erstellen oder ein Kunstwerk in das von ihm herausgegebene Werkverzeichnis aufzunehmen, kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein kartellrechtswidriges Verhalten iSv §§ 19 I , II Nr. 1, 20 I, III 1 GWB, Art. 102 AEUV liegen.582 Erfüllt der betreffende Kunstexperte die Voraussetzungen der Marktbeherrschung nach § 18 GWB583 oder wenigstens die der relativen Marktmacht nach § 20 GWB584, dann kann er sich unter Umständen nicht weigern, das Werk überhaupt zu untersuchen.585 Die Weigerung, die Echtheit des Werkes zu bestätigen oder es in das Werkverzeichnis des Künstlers aufzunehmen, wird hingegen anders beurteilt: Der 579 580 581 582
Bandle, IJCP 22 (2015), 379, 381. Bandle, IJCP 22 (2015), 379, 381. Begriff von von Brühl, Marktmacht, 47. von Brühl, Marktmacht, 244, dort noch in der alten Fassung des GWB (§ 19 I, IV Nr. 1, § 20 I, II GWB) und vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon noch Art. 82 EG. 583 Eine marktbeherrschende Stellung liegt gemäß § 18 I Nr. 1–3 GWB vor, wenn der Marktteilnehmer keinem oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder im Verhältnis zu seinen Konkurrenten eine überragende Marktstellung besitzt. 584 Ein Unternehmen besitzt relative Marktmacht, soweit von ihm kleine und mittlere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager in der Weise abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen. 585 Ausnahmen können nur in Fällen der fehlenden Zuschreibungsautorität, der Kapazitätsüberlastung und wenn ein Bezug zu illegalen Kunsthandelsaktivitäten vorliegt bestehen, von Brühl, Marktmacht, 244f.
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Inhalt der Expertise ist über die Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 III 1 GG geschützt. Nur wenn der Experte selbst zur Erkenntnis gelangt ist, dass das Werk echt ist, kann die Weigerung, es zu authentifizieren, einen Kartellrechtsverstoß darstellen.586 Bei einer kartellrechtswidrigen Weigerung folgt aus § 33 I 1 GWB die Pflicht, das Werk ordnungsgemäß zu untersuchen und es ggf. durch eine Zertifizierung oder Aufnahme in das Werkverzeichnis zu authentifizieren.587 Andernfalls kann der Eigentümer unter Umständen auch Schadensersatzansprüche gegen den Experten aus § 33a I GWB und bei Sittenwidrigkeit aus §§ 826, 249 BGB geltend machen.588
II.
Bewertung und Übertragbarkeit auf das Verhältnis Eigentümer – Künstler
Die Ablehnung einer Authentifizierungspflicht generell oder bei Vorliegen nicht näher spezifizierter »nachweislich künstlerischer Gründe« wird der Interessenlage nicht gerecht. Das OLG Hamm hat in der Karl Hofer-Entscheidung einen vertraglichen Anspruch mangels eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Experten und der Eigentümerin abgelehnt. Auch im Verhältnis Eigentümer-Künstler gilt: Nur wenn zwischen ihnen ein Kaufvertrag besteht und die Parteien beispielsweise die Aufnahme des Werkes in das Werkverzeichnis als Beschaffenheit vereinbart oder bestimmt haben, dass das Werkstück mit einem Echtheitszertifikat übergeben werden soll, kann ein vertraglicher Anspruch auf Authentifizierung bestehen. Ebenso könnte der Eigentümer mit dem Künstler werkvertraglich die Authentifizierung vereinbaren. Mit der delikts- und kartellrechtlichen Relevanz der Aufnahmeverweigerung setzt sich das OLG Hamm nur am Rande auseinander. Das mag daran liegen, dass nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, ob das Gemälde tatsächlich von Karl Hofer stammte. Der Experte konnte sich in seiner ablehnenden Haltung deshalb zu Recht auf die Wissenschaftsfreiheit berufen. Wegen der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte entfaltet Art. 5 III GG auch im Privatrechtsverkehr seine Wirkkraft.589 Bei einer Authentifizierung durch den Künstler selbst fällt diese Tätigkeit hingegen schon nicht in den sachlichen Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit in Art. 5 III GG. Seine Expertise kann anders als die des Kunstexperten nicht 586 587 588 589
von Brühl, Marktmacht, 245. von Brühl, Marktmacht, 245f. von Brühl, Marktmacht, 246. Vgl. BVerfGE 103, 89, 100 – Unterhaltsverzichtsvertrag.
Verweigerung der Authentifizierung
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»nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit«590 angesehen werden. Der Künstler muss keine Forschung anstellen, um ein eigenes Werk zu authentifizieren. Er weiß in der Regel, welches Werk er geschaffen hat. Daher geht es bei einer Authentifizierung durch ihn nicht um einen Erkenntnisgewinn,591 sondern um eine Auskunft. Das könnte ausnahmsweise anders sein, wenn ein Künstler im hohen Lebensalter und mit einem umfangreichen Werkschaffen um die Authentifizierung eines Frühwerkes gebeten wird, an das er sich nicht mehr mit Sicherheit erinnern kann. Wenn der Künstler seine Weigerung dann nicht auf eine auf sicherem Wissen basierende Tatsachenbehauptung, sondern wie ein unabhängiger Dritter auf ein Werturteil stützt, ist die Authentifizierungsverweigerung über die Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) geschützt. Die (Nicht-)Authentifizierung eines unter Urhebernennung veröffentlichten Werkes ist auch nicht von der Kunstfreiheit in Art. 5 III GG geschützt ist. Die Kunstfreiheit umfasst zwar neben der künstlerischen Betätigung (Werkbereich) auch die Darbietung und Verbreitung des Werkes (Wirkbereich).592 Es geht hier aber nicht um die Freiheit des Künstlers, das Werk der Öffentlichkeit anonym zugänglich zu machen, sondern um seine Authentifizierungspflicht zu einem Zeitpunkt, in dem die Veröffentlichung und Verbreitung des Werkes (unter Namensnennung) bereits abgeschlossen sind. Die spätere Authentifizierung unterfällt somit nicht mehr dem Wirkbereich der Kunstfreiheit. Im Fall Karl Hofer lässt das OLG Hamm eine klare Stellungnahme zu einer möglichen Anspruchsgrundlage für eine Positivexpertise vermissen. Eine deliktsrechtliche Haftung etwa aus § 823 I BGB wegen einer Eigentumsverletzung durch Nichtaufnahme in das Werkverzeichnis kann nicht so einfach angenommen werden. Hier besteht ein wesentlicher Unterschied zu einer öffentlichen Leugnung der Urheberschaft (oben F.). Dort ging es um die vorwerfbare Handlung einer aktiv schädigenden Äußerung. Hier jedoch besteht das Verhalten des Künstlers in einem Unterlassen durch Nichtauthentifizieren. Ein Unterlassen ist aber nur vorwerfbar, wenn eine Pflicht zum Handeln besteht.593 Woraus diese Handlungspflicht abgeleitet werden könnte, bleibt in der Entscheidung offen.
590 So definiert BVerfGE 35, 79, 113 – Hochschulurteil den sachlichen Schutzbereich von Art. 5 III GG. 591 Die von Art. 5 III GG geschützte Forschungstätigkeit muss aber den Erkenntnisgewinn zum Ziel haben, BVerfGE 35, 79, 113 – Hochschulurteil. 592 Vgl. BVerfGE 30, 173, 189 – Mephisto; BVerfGE 36, 321, 331 – Kunstförderung. 593 Tatbestandsverwirklichung des § 823 I BGB durch Unterlassen nur bei spezifischer Pflicht zum Handeln, statt vieler : BRHP/Förster, § 823 Rn 100; Jauernig BGB/Teichmann, § 823 Rn 29ff.
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Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
Von Brühl schließt diese Lücke überzeugend mit der kartellrechtlichen Relevanz der Kunstexpertise. Fraglich ist, ob ihre zur Authentifizierung durch den Kunstexperten gefundenen Ergebnisse auf die Authentifizierung durch den Künstler übertragen werden können. Zunächst ist festzustellen, dass der Künstler mit Blick auf die Kenntnis seines eigenen Werkes eine dem Experten vergleichbare zentrale Stellung auf dem Kunstmarkt haben kann. Fraglich ist eher, ob der Künstler die kartellrechtliche Unternehmenseigenschaft erfüllt. Der kartellrechtliche Unternehmensbegriff umfasst jede selbstständige und nicht lediglich dem privaten Gebrauch dienende Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr.594 Problematisch ist vor allem, ob die Authentifizierung durch den Künstler eine Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr darstellt, weil die Expertise bezüglich seines Werkschaffens eher ein Nebenprodukt seines künstlerischen Schaffens ist. Zudem vermarkten Künstler ihre Expertise meist nicht wie Kunsthistoriker, sondern erklären sich auf Anfrage bereit, ein Werk zu authentifizieren oder führen im eigenen Interesse ein Werkverzeichnis, um den Überblick zu behalten und sich vor Fälschungen zu schützen. Insbesondere verdienen sie ihr Geld hauptsächlich mit der Vermarktung der eigenen Kunst. Die Authentifizierung kann aber als Teil dieser Vermarktung, durch die der Künstler im geschäftlichen Verkehr tätig wird, gesehen werden. Auch kommt es nicht darauf an, ob die Authentifizierungsleistung eine Einnahmequelle für den Künstler ist. Selbst unentgeltlich tätige Kunstexperten sollen Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne sein.595 Eine Gewinnerzielungsabsicht ist nicht erforderlich; für den auf die Freiheit des Wettbewerbs abzielenden Schutzzweck des Kartellrechts ist es unerheblich, aus welchem Grund und in welcher Form der Experte am Wettbewerb teilnimmt.596 Auch wirtschaftliche Auswirkungen der Zuschreibungsleistung des Experten, namentlich der Einfluss auf das Verkaufspotential des Kunstwerkes, sprechen für die Qualifikation als Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne.597 Diese Ergebnisse können auf den Künstler übertragen werden und machen somit auch dessen unentgeltliche, neben der künstlerischen Arbeit herlaufende Authentifizierung zu einer Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr.598 Was aber gilt, wenn der Künstler nur selten authentifiziert oder sich grundsätzlich weigert dies zu tun? Nach von Brühl sind auch selten oder nie authen594 BGHZ 67, 81, 84 – Auto-Analyzer ; BGHZ 110, 371, 380 – Sportübertragungen; Immenga/ Mestmäcker GWB/Zimmer, § 1 Rn 31ff. 595 von Brühl, Marktmacht, 78. 596 von Brühl, Marktmacht, 78 m.w.N. 597 von Brühl, Marktmacht, 78. 598 Seit der neunten GWB-Novelle ist außerdem in § 18 IIa GWB festgeschrieben, dass der Annahme eines Marktes nicht die Unentgeltlichkeit der Leistung entgegensteht.
Verweigerung der Authentifizierung
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tifizierende Experten unter Umständen als Unternehmen zu qualifizieren.599 Schon die gelegentliche Marktteilnahme erfüllt den Unternehmensbegriff, eine ununterbrochene Geschäftstätigkeit ist nicht notwendig.600 Zwar mangelt es an einer geschäftlichen Tätigkeit, wenn ein Experte nie eine Expertise erstellt; selbst dann ist aber die potentielle Aufnahme von Marktaktivität zu überprüfen.601 Es reicht die konkrete Möglichkeit einer Marktteilnahme in absehbarer Zeit.602 Von Brühl macht die konkrete Möglichkeit zur Marktteilnahme davon abhängig, ob der Experte häufig um die Erteilung einer Expertise ersucht worden ist. Dies deute auf eine entsprechende Reputation und eine konkrete Betätigungsmöglichkeit auf dem Kunstmarkt hin. Ein entgegenstehender Wille und der vollständige Verzicht auf die Erstellung von Expertisen könnten den Experten nicht von seiner kartellrechtlichen Verpflichtung befreien.603 Die konkrete Betätigungsmöglichkeit durch häufige Ersuchen um Authentifizierung kann auf den Künstler ebenso zutreffen wie auf den Experten. Gerade weil die Bestätigung der Echtheit durch den lebenden Künstler oft Verkaufsvoraussetzung ist, wird er besonders häufig darum gebeten. Was die Zuschreibungsautorität und somit die Marktbeherrschung angeht, hat die Authentifizierung durch den Künstler noch gravierendere Auswirkungen auf das Verkaufspotential des Kunstwerkes als die durch einen beliebigen Experten. Der Künstler besitzt eine unangefochtene Zuschreibungsautorität über sein Werk, die ihm eine noch stärkere marktbeherrschende Stellung verleiht. Freilich ist der Urheber nur dann zur Authentifizierung verpflichtet, wenn er das Werk tatsächlich geschaffen hat. Aber ob der Urheber das Werk wahrheitswidrig nicht authentifiziert, ist ebenso schwer zu beweisen wie die Tatsache, dass der Kunstexperte zur Erkenntnis der Echtheit gekommen ist und dennoch keine Positivexpertise erteilt. Die kartellrechtliche Relevanz des Authentifizierungsverhaltens von Kunstexperten gilt damit gleichermaßen für den Künstler. Eine Desavouierung durch die Weigerung, ein echtes Werk zu authentifizieren, kann gegen deutsches und europäisches Kartellrecht verstoßen, wenn der Urheber das Werk nicht anonym in Verkehr gebracht hat. Den Künstler kann also gemäß §§ 33 I 1, 19 I, II Nr. 1, 20 I, III 1 GWB, Art. 102 AEUV die Pflicht treffen, das in Frage stehende Werk zu begutachten und bei einem positiven Zuschreibungsergebnis zu authentifizie599 von Brühl, Marktmacht, 79. 600 BGHZ 31, 105, 109f. – Glasglühkörper. 601 Vgl. BGHZ 31, 105, 110 – Glasglühkörper; BGHZ 119, 101, 105 – Freistellungsende bei Wegenutzungsrecht. 602 LG Dortmund, 16. 7. 1981, WuW/E LG/AG 467; KG, 29. 11. 1959, WuW/E OLG 357, 359. 603 von Brühl, Marktmacht, 80; vgl. auch BGHZ 119, 101, 105f. – Freistellungsende bei Wegenutzungsrecht.
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Desavouierung durch den Künstler zu dessen Lebzeiten
ren, sei es durch Aufnahme in das Werkverzeichnis oder durch Ausstellen eines Echtheitszertifikats. Ebenso kommt dann eine Schadensersatzpflicht gemäß § 33a I GWB oder §§ 826, 249 BGB in Betracht.
III.
Ergebnis zu H. Desavouierung durch Verweigerung der Authentifizierung
Wenn ein Künstler – wie in der Regel – durch seine Zuschreibungsautorität eine marktbeherrschende Stellung einnimmt, weil ein Werkstück ohne die Authentifizierung durch ihn praktisch unverkäuflich ist, darf er ein von ihm stammendes, unter seinem Namen veröffentlichtes Werk nicht dadurch desavouieren, dass er dessen Authentifizierung später verweigert. Er kann dann zunächst kartellrechtlich verpflichtet sein, das Kunstwerk in Augenschein zu nehmen. Gelangt er zu einem positiven Zuschreibungsergebnis, so muss er ein Authentizitätszertifikat ausstellen oder das Werk in sein Werkverzeichnis aufnehmen.
I.
Gesamtergebnis zu Teil 2: Desavouierungsmöglichkeiten des Künstlers
Die Untersuchung hat ergeben, dass ein Künstler in seinen Möglichkeiten, ein Werk zu desavouieren, stark beschränkt ist, sobald er nicht mehr Eigentümer des Werkstücks ist. Unter besonderen Umständen kann ihm aber ein Eingriff in die Eigentümerrechte ausnahmsweise erlaubt sein. Ein solcher besonderer Umstand ist zunächst das Vorliegen einer Kunstfälschung. Möchte der Künstler eine ihm zugeschriebene Fälschung desavouieren, so ist zwischen einer Vervielfältigung eines konkreten bereits existierenden Werkes und einer bloßen Stilimitation zu unterscheiden. Im ersten Fall kann der Urheber deren Vernichtung (§ 98 I UrhG) verlangen, während er sich bei einer Stilimitation mit der Entfernung der falschen Signatur oder einem Namensnennungsverbot, gestützt auf das Namensrecht in § 12 BGB und das allgemeine Persönlichkeitsrecht (droit de non-paternit8), begnügen muss. Ein weiterer besonderer Umstand ist die Entstellung des Werkes. Das Entstellungsverbot aus §§ 97 I 1, 14 UrhG umfasst als Minus zur Vernichtung das Recht, das veränderte Werk durch Entfernen der Signatur, ein Verbot der Namensnennung oder der öffentlichen Ausstellung zu desavouieren. Als mildestes Mittel darf der Urheber seine Missbilligung auch über eine Austafelung im Zusammenhang mit der Präsentation des entstellten Werkes kundtun. Nur
Gesamtergebnis zu Teil 2
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ausnahmsweise kann der Urheber bei einer irreversiblen Entstellung die Vernichtung des Werkstücks verlangen. Dafür muss sich aber im Einzelfall aus der Abwägung der widerstreitenden Interessen ergeben, dass ein Ausstellungsverbot als milderes Mittel entweder nicht ausreichend Schutz bietet oder das entstellte Werk überhaupt nur durch Vernichtung aus der Öffentlichkeit entfernt werden kann. Werden die Rechte des Urhebers weder durch eine Kunstfälschung noch durch eine Entstellung des eigenen Werkes verletzt, so kann er nicht in die Sachsubstanz des Werkstücks eingreifen und dem Eigentümer des Werkstücks auch keine Vorgaben bezüglich der Nutzung des Werkes machen. Insbesondere gibt § 13 S. 2 UrhG dem Urheber nicht das Recht, die Nennung seines Namens im Zusammenhang mit einem bereits unter Urhebernennung veröffentlichten Werk zu verbieten. Selbst Handlungen, mit denen der Urheber das Werk ohne Mitwirkung des Eigentümers desavouieren könnte, sind nicht vorbehaltlos möglich. Was die öffentliche Distanzierung vom Werk angeht, so ist der Urheber nicht zum wahrheitswidrigen Leugnen der Urheberschaft eines unter seinem Namen in Verkehr gebrachten Werkes befugt – es sei denn, das Werk ist entstellt und damit ohnehin Gegenstand eines Namensnennungsverbots. Bei einem wahrheitswidrigen Leugnen haftet der Urheber uU aus §§ 823, 824, 826 BGB und bei Vorliegen einer kaufvertraglichen Beziehung zum Eigentümer auch gemäß §§ 241 II, 280 I BGB. Ein Künstler mit einer marktbeherrschenden Zuschreibungsautorität darf sich zudem gemäß §§ 19 I, II Nr. 1, 20 I, III 1 GWB, Art. 102 AEUV und § 826 BGB nicht weigern, ein von ihm stammendes Werk durch Ausstellen eines Echtheitszertifikats oder durch die Aufnahme in das Werkverzeichnis zu authentifizieren, wenn er nicht schon beim Inverkehrbringen des Werkes von seinem Anonymitätsrecht aus § 13 S. 2 UrhG Gebrauch gemacht hat. Außerhalb dieser Anspruchsgrundlagen muss sich der Urheber darauf beschränken, die Ablehnung des Werkes als Werturteil in der Öffentlichkeit kundzutun. Auch steht es ihm nach der hier vertretenen Meinung frei, ein weiteres identisches Werk zu schaffen, wenn er nicht gerade vertraglich für die Unikateigenschaft des Erstwerkes einzustehen oder einem Dritten das ausschließliche Vervielfältigungsrecht eingeräumt hat.
Teil 3: Desavouierung nach dem Tode des Künstlers
Im folgenden Teil geht es um die Besonderheiten der Desavouierung eines Werkes dessen (angeblicher) Urheber verstorben ist. Abhängig von dem jeweiligen Desavouierungsrecht kommen unterschiedliche Berechtigte in Betracht. So können die Rechtsnachfolger des Urhebers eigene Rechte ausüben, andererseits können Rechte des Künstlers treuhänderisch von Dritten wahrgenommen werden. Zunächst soll die Desavouierung des Werkes durch die Erben des Urhebers in Ausübung des Urheber- und Eigentumsrechts (unten A.), danach durch die Angehörigen und Erben in Wahrnehmung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des verstorbenen Künstlers (unten B.) untersucht werden.
A.
Desavouierung durch die Erben des Urhebers in Ausübung des Urheber- und Eigentumsrechts
Mit dem Tod des Künstlers geht dessen Vermögen auf seine Erben über, § 1922 I BGB. Dazu gehört nicht nur das Eigentum an körperlichen Nachlassgegenständen, sondern auch das Urheberrecht an Werken des Verstorbenen (unten I.). Die veränderte Rechtsinhaberschaft kann dabei Konsequenzen für die Desavouierung von Werken des Verstorbenen haben, wenn dessen Erben sich dafür auf das ererbte Urheber- und Eigentumsrecht berufen (unten II.).
I.
Das Urheberrecht nach dem Tode des Künstlers
Zunächst wird die Rechtsnachfolge in das Urheberrecht (unten 1.) und deren Umfang erläutert (unten 2.). Nachdem geklärt worden ist, wessen Interessen bei der Rechtsausübung maßgeblich (unten 3.) und wie diese zu ermitteln sind (unten 4.), ist abschließend auf eine mögliche Pflicht der Erben zur Wahrnehmung der Urheberrechte (unten 5.) und auf das Gewicht der Urheberinteressen
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Desavouierung nach dem Tode des Künstlers
mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Tod des Urhebers einzugehen (unten 6.). 1.
Rechtsnachfolge in das Urheberrecht
Das Urheberrecht ist gemäß § 28 I UrhG vererblich. Die Rechtsnachfolge in das Urheberrecht tritt entweder aufgrund gesetzlicher oder gewillkürter Erbfolge ein. Die gesetzliche Erbfolge richtet sich nach dem Verwandtschaftsgrad: Gesetzliche Erben erster Ordnung sind zunächst die Abkömmlinge des Urhebers (§ 1924 BGB). Danach folgen die Eltern und deren Abkömmlinge (§ 1925 BGB) und die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge (§ 1926 BGB). Neben den Verwandten erbt der Ehegatte gemäß § 1931 BGB. Die gewillkürte Erbfolge bestimmt der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen in Gestalt eines Testaments (§§ 1937, 2064ff. BGB) oder Erbvertrags (§§ 1941, 2274ff. BGB). Diese Verfügungen können neben der Erbeinsetzung auch ein Vermächtnis, eine Auflage und die Anordnung der Testamentsvollstreckung zum Inhalt haben. Um dem Urheber jede erbrechtliche Gestaltungsmöglichkeit zu eröffnen, bestimmt § 29 I UrhG eine Ausnahme vom Grundsatz der Unübertragbarkeit des Urheberrechts.604 Der Urheber soll das Urheberrecht auch einem Vermächtnisnehmer zuwenden können. Bei einem Vermächtnis erwirbt der Bedachte aber lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die mit dem Vermächtnis Beschwerten (§ 2174 BGB). Wäre das Urheberrecht unübertragbar, könnte es dem Begünstigten gar nicht in Erfüllung dieses Anspruchs verschafft werden. Die ausnahmsweise Übertragbarkeit des Urheberrechts in Erfüllung einer Verfügung von Todes wegen ermöglicht außerdem die Erfüllung einer Auflage und die Auseinandersetzung unter Miterben.605 Ein Erblasser, der sein künstlerisches Erbe in guten Händen wissen will, ist gut beraten, es über eine letztwillige Verfügung einer geeigneten Person oder einer Stiftung zuzuwenden.606 Für eine Stiftung entschied sich auch der Maler Emil Nolde, dessen Nachlass nach seinen Vorgaben von der Stiftung Ada und Emil Nolde verwaltet wird. Durch die Satzung einer Stiftung kann der Urheber steuern, dass sein Werk nach seinen Vorstellungen verwaltet wird.607 Wird die Stiftung neben der Familie des Urhebers z. B. als Miterbin oder auch Ver604 RegE BT-Dr IV/270, S. 55. 605 RegE BT-Dr IV/270, S. 55. 606 Rehbinder, ZUM 1986, 365, 368. Zu beachten sind dabei aber die Ansprüche auf den Pflichtteil und die Pflichtteilsergänzungsansprüche (§§ 2303, 2325 BGB) der dazu Berechtigten. 607 Cl8ment, Urheberrecht und Erbrecht, 47ff.; Dreier/Schulze/Schulze, § 28 Rn 6.
Ausübung des Urheber- und Eigentumsrechts
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mächtnisnehmerin zur Wahrnehmung der Urheberrechte eingesetzt, bietet sie den Vorteil, dass der künstlerische Nachlass von anderen familiären Interessen abgeschirmt wird.608 Alternativ kann der Urheber auch einen Testamentsvollstrecker einsetzen (§ 28 II UrhG, §§ 2197ff. BGB), der es ihm ermöglicht »für den Fall, dass ihm seine Erben zur Wahrung seines geistigen Nachlasses nicht geeignet erscheinen, die Ausübung des Urheberrechts einer besser geeigneten Persönlichkeit anzuvertrauen, ohne jedoch zugleich seinen Erben die wirtschaftlichen Früchte aus der Nutzung seiner Werke zu entziehen«.609 Das Urheberrecht kann ein Testamentsvollstrecker entgegen der sonst geltenden 30-Jahres-Schranke des § 2210 BGB bis zum Ablauf der 70-jährigen Schutzfrist des Urheberrechts (§ 64 UrhG) ausüben.610 Für den Fall, dass der Staat gesetzlicher Erbe ist, sahen § 8 II LUG, § 10 II KUG vor 1966 vor, dass das Urheberrecht erlosch. Das darin zum Ausdruck kommende Misstrauen, dass der Staat zur Wahrnehmung des Urheberrechts nicht geeignet sei, ist überholt.611 Die Regelungen wurden daher abgeschafft, wobei allerdings bereits erloschene Urheberrechte nicht wiederauflebten, § 129 I 1 UrhG.612
2.
Umfang der Rechtsnachfolge
Der Rechtsnachfolger des Urhebers hat gemäß § 30 UrhG die dem Urheber nach dem UrhG zustehenden Rechte. Nutzungsrechte, die der Urheber Dritten eingeräumt hat, bleiben auch gegenüber seinen Erben bestehen.613 Das Urheberrecht erlischt erst 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers (§ 64 UrhG) und kann vom Erben des Urhebers innerhalb der Schutzfrist weitervererbt werden. Weil nach der monistischen Theorie die vermögens- und urheberpersönlichkeitsrechtlichen Bestandteile des Urheberrechts untrennbar miteinander verflochten sind, ist auch das Urheberpersönlichkeitsrecht gemäß § 28 UrhG vererblich.614 Dies stellt eine Besonderheit des Urheberpersönlichkeitsrechts gegenüber anderen Persönlichkeitsrechten dar, die meist nicht von den Erben, sondern den nächsten Angehörigen wahrgenommen werden.615 Die einheitliche Vererbung des Urheberrechts dient nicht nur der Einfachheit und Klarheit für 608 609 610 611 612 613 614 615
Schack, UrhR, Rn 652. RegE BT-Dr IV/270, S. 55. Schack, UrhR, Rn 652; Schricker/Loewenheim/Ohly, § 28 Rn 15. Vgl. RegE BT-Dr IV/270, S. 55. Schricker/Loewenheim/Ohly, § 28 Rn 4. Dreier/Schulze/Schulze, § 28 Rn 4. Rehbinder, ZUM 1986, 365, 369; Schack, GRUR 1985, 352, 354f. jeweils m. w. N. Vgl. unten Teil 3 B.
150
Desavouierung nach dem Tode des Künstlers
den Rechtsverkehr, sondern auch der besseren Verwertbarkeit, weil alle urheberrechtlichen Befugnisse in einer Hand (des Erben) bleiben und es somit nicht zu Konflikten mit den Angehörigen des verstorbenen Künstlers kommt.616
3.
Maßgebliche Interessen bei der Ausübung des Urheberpersönlichkeitsrechts
Wie bereits erwähnt, geht auch das mit den Verwertungsrechten untrennbar verbundene Urheberpersönlichkeitsrecht mit dem Tod des Künstlers auf den oder die Erben über. Hier kommt es nun zu einem Widerspruch: Zwar nimmt der Erbe bezüglich des Urheberpersönlichkeitsrechts die Rechtsposition des Urhebers ein; dieses Recht soll aber die Beziehung des verstorbenen Urhebers zu seinem Werk schützen.617 Die zentrale Frage lautet daher, wessen Interessen bei der Ausübung des übergegangenen Rechts maßgeblich sind, die des verstorbenen Urhebers oder die der Erben. Wie in den beiden ersten Teilen der Arbeit deutlich wurde, stehen bei Werken der bildenden Kunst die Interessen des Urhebers und des Sacheigentümers in einem Spannungsverhältnis, das bei der Desavouierungsproblematik besonders deutlich zu Tage tritt. Nach dem Tod des Urhebers und dem Übergang der Urheberrechte auf seine Rechtsnachfolger treten deren persönliche Interessen hinzu. Dabei ist es eher unwahrscheinlich, dass die Interessen der Rechtsnachfolger mit dem mutmaßlichen Interesse des verstorbenen Urhebers deckungsgleich sind. Oft verfolgen die Erben des Urhebers ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen, die dann im Widerspruch zu den Interessen des Verstorbenen wie zu denen des Sacheigentümers stehen können. So könnten die Erben etwa auch grobe Entstellungen des Werkes dulden, solange sie dafür nur eine monetäre Entschädigung erhalten. Andererseits könnten sie auch gute Absichten bezüglich der Erhaltung des Werkes haben und das Werk in einer Weise museal konservieren, wie es der Urheber nie gewollt hätte.618 Würde der Eigentümer ihren Vorstellungen nicht gerecht, so könnten die Erben darauf mit einer Desavouierung des Werkes reagieren oder zumindest mit ihr drohen. Dies wirft die Frage auf, wessen Interessen bei der Prüfung der Desavouierungsrechte mit den Interessen des Eigentümers abgewogen werden müssen. Dabei fragt sich auch, ob die Rechtsnachfolger ein Werk des Verstorbenen gestützt auf das Urheberpersönlichkeitsrecht überhaupt desavouieren dürfen, wenn dies dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Verstorbenen widerspricht. Das gleiche Problem tritt auf, wenn die Erben eine Desavouierung 616 Sattler, UrhR nach dem Tode, 47. 617 Pierer, GRUR 2019, 476, 477. 618 Cl8ment, Urheberrecht und Erbrecht, 58f.
Ausübung des Urheber- und Eigentumsrechts
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rückgängig machen wollen, die der Urheber zu Lebzeiten veranlasst hat. Es hat daher große Auswirkung auf die Desavouierungsmöglichkeiten der Erben, wessen Interessen bei der Ausübung des Urheberpersönlichkeitsrechts maßgeblich sind. a. Maßgeblichkeit der Interessen der Rechtsnachfolger Ein Teil der Literatur nimmt an, dass die Rechtsnachfolger nicht an die Interessen des Urhebers gebunden sind, sondern ganz nach ihren eigenen Vorstellungen vorgehen können.619 Die Tatsache, dass die Rechtsnachfolger gemäß § 30 UrhG in die volle Rechtsposition des Urhebers an dessen Stelle einrücken, spreche dafür, dass sie nicht an die Interessen des Urhebers gebunden seien, sondern ihre eigenen Interessen frei verfolgen könnten.620 Die Rechtsnachfolger könnten auch von vom Urheber einmal getroffenen urheberpersönlichkeitsrechtlichen Entscheidungen abweichen.621 Hingewiesen wird auch auf die Möglichkeit, dass der Urheber zu Lebzeiten seine Interessen auch für die Zeit nach dem Tod wahren könne, indem er zum Beispiel eine testamentarische Auflage macht oder eine Vertrauensperson als Testamentsvollstrecker einsetzt.622 Ein grundsätzliches Abstellen auf die Interessen des Urhebers wird auch als Widerspruch zur monistischen Theorie gewertet, weil es aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht eine bloße Pietätspflicht mache, sodass von einer Vererbung des droit moral als einem subjektiven Recht keine Rede mehr sein könne.623 Zudem wird § 42 I 2 UrhG ein systematisches Argument gegen die grundsätzliche Maßgeblichkeit der Urheberinteressen entnommen.624 Danach kann der Erbe das Rückrufsrecht aus § 42 I 1 UrhG nur ausüben, wenn der Urheber vor seinem Tode zum Rückruf berechtigt gewesen wäre und an der Erklärung des Rückrufs gehindert war oder diese letztwillig verfügt hat. Daraus, dass die Regelung ausdrücklich auf den Urheberwillen als Anspruchsvoraussetzung abstelle, ergebe sich e contrario, dass dies eine Ausnahme vom Grundsatz der freien Rechtsausübung durch die Erben sei.625 619 u. a. Wandtke/Bullinger/Bullinger, vor §§ 12 ff. Rn 12; HK UrhG/Dreyer, vor §§ 12 ff. Rn 34; Gergen/Görög, ZErb 2016, 253, 255; Schricker/Loewenheim/Ohly, § 30 Rn 7; Dreier/ Schulze/Schulze, vor §§ 12 ff. Rn 11, § 30 Rn 4. 620 Vgl. Gergen/Görög, ZErb 2016, 253, 255; Wandtke/Bullinger/Bullinger, vor §§ 12ff. Rn 12; Fromm/Nordemann/J.B. Nordemann, § 30 Rn 10. 621 Dreier/Schulze/Schulze, vor §§ 12ff. Rn 11; Fromm/Nordemann/J.B. Nordemann, § 30 Rn 10; Wandtke/Bullinger/Bullinger, vor §§ 12ff. Rn 12. 622 Gergen/Görög, ZErb 2016, 253, 255; Gergen, ZErb 2009, 42, 45, 48; Dreier/Schulze/Schulze, vor §§ 12 Rn 11. 623 Hunziker, Immaterialgüterrechte nach dem Tod des Schöpfers, 233. 624 Bullinger, Kunstwerkfälschung, 200; Wandtke/Bullinger/Bullinger, vor §§ 12ff. Rn 12. 625 Wandtke/Bullinger/Bullinger, vor §§ 12ff. Rn 12.
152
Desavouierung nach dem Tode des Künstlers
Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass eine Kontrollinstanz fehle, die gegen den Rechtsnachfolger vorgehen könnte, wenn dieser die Urheberinteressen missachte.626 Schließlich habe die volle Entscheidungsgewalt der Erben auch den Vorzug der Einfachheit, Klarheit und Rechtssicherheit.627 Einzige Schranke der Rechtsausübung durch die Rechtsnachfolger ist nach dieser Meinung das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das von den Angehörigen (soweit diese mit den Erben personenverschieden sind) ausgeübt wird.628 Nach dieser Ansicht könnten die Rechtsnachfolger ein anonymes Werk nachträglich mit der Urheberbezeichnung versehen oder ein bis zur Unkenntlichkeit entstelltes Werk als solches des Urhebers gelten lassen, selbst wenn der Urheber dies eindeutig nicht gewollt hätte.629 b. Maßgeblichkeit der Interessen des verstorbenen Urhebers Nach der Gegenansicht sind die Rechtsnachfolger an die Interessen und Vorstellungen des Urhebers gebunden.630 Die Rechtsnachfolger sind demnach was das Urheberpersönlichkeitsrecht angeht bloße Treuhänder.631 Aus § 30 UrhG, der die Rechtsnachfolge anordnet, ergebe sich überhaupt kein Hinweis darauf, wessen Interessen nach dem Tod des Urhebers maßgeblich seien.632 Auch § 42 I 2 UrhG bestätige die Relevanz der Urheberinteressen, Einschränkungen der Dispositionsfreiheit der Erben seien damit Ausdruck eines generellen Prinzips.633 § 42 I 2 UrhG zeige, dass der Wille des Urhebers mit dessen Tod »einfriere« und die Rechtsnachfolger an den persönlichkeitsrechtlichen »eingefrorenen« Zustand gebunden seien.634 Hauptsächlich aber wird die Interessenbindung aus der Natur des Urheberpersönlichkeitsrechts gefolgert. Das Urheberpersönlichkeitsrecht diene weder den Interessen der Allgemeinheit noch den eigenen wirtschaftlichen oder finanziellen Interessen der Erben, sondern es schütze als Individualrecht aus626 627 628 629 630
631 632 633 634
Dreier/Schulze/Schulze, § 30 Rn 4; Gergen, ZErb 2009, 42, 47. Gergen, ZErb 2009, 42, 48. Fromm/Nordemann/J.B. Nordemann, § 30 Rn 10. Vgl. Fromm/Nordemann/J.B. Nordemann, § 30 Rn 10. BGHZ 15, 249, 261 = GRUR 1955, 201, 205 – Cosima Wagner ; BGH GRUR 1989, 106, 107 mit Anm. Loewenheim – Oberammergauer Passionsspiele II; BGH GRUR 2008, 984, 986 – St. Gottfried; BGH GRUR 2012, 172, 172 – Stuttgart 21; Cl8ment, Urheberrecht und Erbrecht, 61ff.; Dietz, droit moral, 141, 181; Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, vor §§ 12ff. Rn 22; von Gamm, UrhG, § 30 Rn 4; Möhring/Nicolini/Kroitzsch/Götting, § 14 Rn 28; Pierer, GRUR 2019, 476, 478; Rehbinder, ZUM 1986, 365, 370; Ruzicka, Ewiges UPR, 73f.; Sattler, UrhR nach dem Tode, 58f.; Schack, GRUR 1985, 352. Pierer, GRUR 2019, 476, 477. von Gamm, UrhG, § 30 Rn 4; Dietz, droit moral, 141; Cl8ment, Urheberrecht und Erbrecht, 61. Ruzicka, Ewiges UPR, 73f.; Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, vor §§ 12ff. Rn 22. Pierer, GRUR 2019, 476, 479f.
Ausübung des Urheber- und Eigentumsrechts
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schließlich die persönliche Beziehung des Urhebers zu seinem Werk.635 Gemäß § 11 S. 1 und § 14 UrhG schütze es den Urheber in seinen berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk und gehe auch nur in dieser Gestalt auf die Erben über.636 Diese Ziel- und Schutzrichtung des Urheberpersönlichkeitsrechts bleibe trotz Vererbung dieselbe, im Mittelpunkt stehen weiterhin der Urheber als individuelle Persönlichkeit und seine Beziehung zum Werk.637 Das Urheberpersönlichkeitsrecht sei untrennbar mit der Person des Urhebers verbunden und überdauere in dieser Form ebenso wie das wesensverwandte allgemeine Persönlichkeitsrecht den Tod des Urhebers.638 Das vererbte Urheberpersönlichkeitsrecht sei somit ein »eigenes Recht im fremden Interesse«.639 Nach dieser Ansicht wären allein die Interessen des Urhebers maßgeblich, wenn es darum geht, ob eine Desavouierung oder deren Rückgängigmachung durch die Rechtsnachfolger gegenüber dem Eigentümer des Werkstücks wirksam ist. c. Stellungnahme Der letztgenannten Ansicht, die auch nach dem Tode des Urhebers dessen (mutmaßlichen) Willen für maßgeblich hält, ist zuzustimmen. Ein grundsätzlicher Vorrang der Erbeninteressen kann weder aus § 42 I 2 noch aus § 30 UrhG abgeleitet werden. Die amtliche Begründung spricht dafür, dass die persönlichkeitsrechtlichen Interessen des Urhebers maßgeblich sind: Das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung diene in besonderem Maße den persönlichen Interessen des Urhebers und solle daher grundsätzlich nur diesem selbst, nicht seinem Rechtsnachfolger zustehen.640 Diese Formulierung betont gerade keine Ausnahme von der Regel, sondern die verstärkte Relevanz der Regel. Die Wesensverwandtschaft mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das nach dem Tod des Künstlers von dessen Angehörigen allein im Interesse des Verstorbenen wahrgenommen wird, spricht für die Maßgeblichkeit der Urheberinteressen auch bei Ausübung des Urheberpersönlichkeitsrechts post mortem.641 Klar und deutlich bestimmen § 11 und § 14 UrhG den Inhalt des Urheberpersönlichkeitsrechts zum Schutz der berechtigten geistigen oder persönli635 BGHZ 15, 249, 261– Cosima Wagner. 636 Schack, GRUR 1985, 352, 356; Schack, UrhR, Rn 651; Wallner, Entstellungen, 122f.; vgl. auch Fromm/Nordemann/Dustmann, § 14 Rn 6. 637 Cl8ment, Urheberrecht und Erbrecht, 64f.; Sattler, UrhR nach dem Tode, 58; Schricker/ Loewenheim/Dietz/Peukert, vor §§ 12ff. Rn 22. 638 Vgl. Cl8ment, Urheberrecht und Erbrecht, 64f., 68; Ruzicka, Ewiges UPR, 73; Sattler, UrhR nach dem Tode, 58f. 639 Schack, GRUR 1985, 352, 360. 640 RegE BT-Dr IV/270, S. 61. 641 Cl8ment, Urheberrecht und Erbrecht, 67f. Eingehend zum postmortalen allgemeinen Persönlichkeitsrecht s. unten B.I.
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Desavouierung nach dem Tode des Künstlers
chen Interessen des Urhebers am Werk. Diese Schutzrichtung behält das Urheberpersönlichkeitsrecht auch nach dem Tod des Urhebers, durch die Rechtsnachfolge ändert sich der Inhalt des übergegangenen Rechts nicht.642 Das vom Urheberpersönlichkeitsrecht geschützte geistige Band besteht allein zwischen dem verstorbenen Urheber und seinem Werk. In der Schöpfung manifestieren sich die individuellen Ideen, Erfahrungen und Gefühle des Urhebers, das Werk ist Ausdruck seiner Persönlichkeit.643 Nur der Schöpfer des Werkes hat diese besondere Beziehung zu seinem Werk, aus der sich die in § 11 S. 1 und § 14 UrhG erwähnten geistigen oder persönlichen Interessen ergeben. Der Urheber bleibt dies auch nach seinem Tod, die Erben rücken nicht etwa in die Schöpferposition ein. Nach der Konzeption des Urheberrechts bestehen also mangels Schöpfungsaktes keine schützenswerten persönlichen und geistigen Interessen der Rechtsnachfolger am Werk. Freilich gibt es neben den persönlich-geistigen auch die wirtschaftlichen Interessen am Werk, die sehr wohl in der Person des Rechtsnachfolgers entstehen können. Diese Interessen finden nach der monistischen Theorie ihren Ausdruck auch in den urheberpersönlichkeitsrechtlichen Befugnissen. Man könnte daher argumentieren, dass diese wirtschaftlichen Interessen der Rechtsnachfolger bei der Geltendmachung der Urheberrechte allein maßgeblich sein sollen und der ideelle Teil des Urheberrechts mit dem Urheber begraben wird. Aus dem Urheberrecht würde dann ein reines Wirtschaftsgut. Dies steht aber im eklatanten Widerspruch zur gesetzgeberischen Intention, wonach das Urheberrecht außerhalb des gewerblichen Rechtsschutzes steht. Der Unterschied zwischen diesen beiden Formen des geistigen Eigentums besteht darin, dass der gewerbliche Rechtsschutz reines Wirtschaftsrecht ist und persönlichkeitsrechtliche Aspekte allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen.644 Das Urheberrecht schützt aber als Kulturrecht gleichgewichtig vermögens- und persönlichkeitsrechtliche Interessen.645 Das Abstellen allein auf die (wirtschaftlichen) Interessen der Erben würde das Urheberrecht posthum zu einem gewerblichen Schutzrecht machen. Das ist eindeutig nicht gewollt. Daher sind die ideellen Interessen des Urhebers am Werk auch nach dessen Tod maßgeblich. Eine treuhändische Rolle des Rechtsnachfolgers deutet auch Art. 6bis II der Revidierten Berner Übereinkunft an: »Die dem Urheber nach Abs. 1 gewährten [Persönlichkeits-] Rechte bleiben nach seinem Tod wenigstens bis zum Erlöschen der vermögensrechtlichen Befugnisse in Kraft und werden von den Personen oder Institutionen ausgeübt, die nach den Rechtsvorschriften des Landes, 642 643 644 645
Sattler, UrhR nach dem Tode, 58. Vgl. Schack, UrhR, Rn 353. Schricker/Loewenheim/Ohly, Einleitung Rn 48. Schricker/Loewenheim/Ohly, Einleitung Rn 48; vgl. auch Schack, UrhR, Rn 68.
Ausübung des Urheber- und Eigentumsrechts
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in dem der Schutz beansprucht wird, hierzu berufen sind.« Die Formulierung der Rechtsausübung indiziert, dass die Rechte für den Urheber wahrgenommen werden sollen und somit eine Interessenbindung besteht.646 Indes ist der Einwand einer fehlenden Kontrollinstanz, die gegen eine Missachtung der Urheberinteressen durch die Erben vorgehen könnte, durchaus berechtigt. Kommt es allerdings zwischen dem Eigentümer des Werkstücks und den Erben des Urhebers zum Streit über die Reichweite des Urheberpersönlichkeitsrechts im Vergleich zum Eigentumsrecht (z. B. bei einer Desavouierung des Werkes durch die Erben), dann muss der Richter eine Interessenabwägung im Einzelfall vornehmen. Hierbei können die Interessen des Urhebers mit den Interessen des Eigentümers abgewogen werden. Damit werden die Interessen des Urhebers in der Regel zwar nicht direkt gegen die Erben geltend gemacht, sie finden aber in der Konstellation Sacheigentümer – Urheberrechtsinhaber indirekt Beachtung.647 Somit sind die individuellen Interessen des Urhebers an der Desavouierung des Werkes, wie sie bereits in Teil 1 exemplarisch dargestellt wurden, auch nach dessen Tod von dessen Erben zu beachten. Das postmortale Urheberpersönlichkeitsrecht kann damit als »eigenes Recht im fremden Interesse«648 bezeichnet werden. Hieraus folgt, dass bei einer Desavouierung durch die Erben zunächst im Verhältnis Erben – Urheber überprüft werden muss, ob die Rechtsausübung überhaupt im Sinne des Urhebers gewesen wäre. Danach muss das ermittelte Urheberinteresse mit den Interessen des Eigentümers am Werkstück abgewogen werden. Die Prüfung der Desavouierungsmöglichkeiten durch die Erben erfordert damit notwendig einen Prüfungsschritt mehr als zu Lebzeiten des Urhebers. 4.
Ermittlung der Interessen des verstorbenen Künstlers
Die Schwierigkeit, die Interessen des Verstorbenen für die Ausübung des Urheberpersönlichkeitsrechts zu ermitteln, ist kein spezielles Problem, sondern besteht immer bei der Ermittlung eines hypothetischen Willens.649
646 Pierer, GRUR 2019, 476, 481. 647 Oder wie in BGH GRUR 1989, 106 – Oberammergauer Passionsspiele II in der Interessenabwägung zwischen der Gemeinde als Veranstalterin der Passionsspiele und den Erben des Bühnenbildurhebers. 648 Schack, GRUR 1985, 352, 360. 649 Pierer, GRUR 2019, 476, 481.
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Desavouierung nach dem Tode des Künstlers
Im besten Fall kann der Wille des Urhebers den Voraussetzungen von § 42 I 2 UrhG entsprechend durch eindeutige Nachweise, z. B. Briefe des Künstlers oder eine letztwillige Verfügung, ermittelt werden.650 Wenn der wirkliche Wille des Urhebers bezüglich einer Desavouierungshandlung nicht festgestellt werden kann, muss sein mutmaßlicher Wille ermittelt werden. Dieser kann sich mitunter aus Tagebucheinträgen, Memoiren, privaten Gesprächen oder öffentlichen Stellungnahmen und Interviews ergeben.651 So könnte der Urheber ein bestimmtes Werk in Privatgesprächen zwar als seines anerkannt, aber den Wunsch geäußert haben, nicht in der Öffentlichkeit damit in Verbindung gebracht zu werden. Es widerspräche dann dem Willen des Urhebers, wenn seine Erben das Werk unter Nennung des Urhebers in die Öffentlichkeit bringen. Liegen solche konkreten Anhaltspunkte nicht vor, ist auf die allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze zurückzugreifen, wie etwa auf die Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Geschäftsherrn bei einer Geschäftsführung ohne Auftrag.652 So entspricht die Geschäftsbesorgung dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn, wenn dieser bei objektiver Beurteilung aller Umstände der Geschäftsführung zugestimmt hätte. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn die Geschäftsführung im objektiven Interesse des Geschäftsherrn lag.653 Geprüft werden muss also, ob ein objektives Interesse des Urhebers an der Desavouierung besteht. Wird das Werk beispielsweise so entstellt, dass sich dies negativ auf Ruf und Ansehen des Künstlers auswirkt, dann ist anzunehmen, dass eine Desavouierung des Werkes im objektiven Interesse des Verstorbenen liegt und damit dessen mutmaßlichen Willen entspricht.
5.
Keine Verpflichtung der Rechtsnachfolger zur Wahrnehmung des Urheberpersönlichkeitsrechts
Anders als nach herrschender Auffassung in Frankreich654 geht im deutschen Recht mit der Rechtsnachfolge in das Urheberrecht keine Pflicht einher, das Werk des Urhebers zu hüten und dessen Ansehen posthum zu pflegen.655 Der Urheber hat selber zu Lebzeiten nicht die Pflicht, seine Persönlichkeitsrechte auszuüben, eine Veränderung dieser Pflichtenlage post mortem zu Lasten der Erben entbehrt jeder Grundlage im Erb- und Urheberrecht.656 650 651 652 653 654 655 656
Pierer, GRUR 2019, 476, 481; Möhring/Nicolini/Spautz/Götting, § 42 Rn 10. Cl8ment, Urheberrecht und Erbrecht, 73. Cl8ment, Urheberrecht und Erbrecht, 73. Schulze BGB/Schulze, § 683 Rn 6; BRHP/Gehrlein, § 683 Rn 3. Zum franz. Recht Dietz, Droit moral, 174f.; Sattler, UrhR nach dem Tode, 83ff. Dietz, droit moral, 181; Schack, GRUR 1985, 352, 357. Cl8ment, Urheberrecht und Erbrecht, 75f.
Ausübung des Urheber- und Eigentumsrechts
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Da die Erben Rechtsinhaber und nicht bloß Hüter des Werkes sind, haben sie außerdem das Recht, z. B. durch Veröffentlichung oder Veränderung aktiv in das Schicksal des Werkes einzugreifen; sie sind nicht etwa darauf beschränkt, eine Verletzung des Urheberrechts durch Dritte zu verhindern.657 Das folgt schon aus § 30 UrhG, der die Nachfolge in alle urheberrechtlichen, nicht nur die Abwehrbefugnisse regelt. Allerdings ist, wie bereits gesehen, darauf zu achten, dass sich die aktive Ausübung des Urheberpersönlichkeitsrechts nach den Interessen des Urhebers richten muss. Hieraus folgt zum einen, dass die Erben des Urhebers nicht verpflichtet sind, dessen Werk bei einer Urheberrechtsverletzung durch den Eigentümer des Werkstücks zu desavouieren. Zum anderen steht ihnen das Desavouierungsrecht nicht bloß im Sinne eines Abwehrrechts als Reaktion auf Einwirkungen Dritter zu, es darf vielmehr auch aktiv ausgeübt werden. Indes haben die in Teil 2 gefundenen Ergebnisse gezeigt, dass eine auf das Urheberpersönlichkeitsrecht gestützte Desavouierung nur dann Erfolg haben kann, wenn sie der Abwehr einer Rechtsverletzung dient.658 6.
Gewicht der Urheberinteressen mit zunehmendem Abstand zum Tode des Urhebers
Nachdem die bei einer Desavouierung maßgeblichen Interessen als die des Urhebers und des Eigentümers identifiziert wurden, bleibt noch zu klären, ob diese stets dasselbe Gewicht haben. Würden die Urheberinteressen mit zunehmendem Abstand zum Tode des Urhebers schwächer, bis sie mit Ablauf der siebzigjährigen Schutzfrist ganz erlöschen, dann würde die Interessenabwägung zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich ausfallen. Die Eigentümerinteressen würden die Interessen des Urhebers dann mehr und mehr zurückdrängen. Einige Stimmen der Literatur widersprechen einem Verblassen des Urheberrechts mit Hinweis auf den Eintritt des Rechtsnachfolgers in die volle Rechtsstellung des Urhebers gemäß § 30 UrhG, oder sie verweisen auf das Fehlen einer entsprechenden gesetzlichen Regelung.659 Der Wortlaut des § 64 UrhG gebe für eine Abschwächung der Urheberinteressen durch Zeitablauf nichts her.660 Nach herrschender Lehre verblassen jedoch die Interessen des Urhebers nach dessen Tod im Laufe der Zeit und können damit an Bedeutung und Gewicht 657 Zur entgegengesetzten Auffassung im französischen Recht Dietz, Droit moral, 176f. 658 Eine auf das Bezeichnungsrecht in § 13 UrhG gestützte Desavouierung ist z. B. nicht möglich, dafür ist sie aber eine zulässige Reaktion auf eine Entstellung iSv § 14 UrhG, s. oben Teil 2 B.II. 659 Vgl. Dreier/Schulze/Schulze, vor §§ 12ff. Rn 8; Wandtke/Czernik, GRUR 2014, 835, 839. 660 Wandtke/Czernik, GRUR 2014, 835, 839.
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verlieren.661 Die Beziehung des Urhebers zu seinem Werk sei wesentlich intensiver als die seiner Erben, daher nähmen die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Befugnisse allmählich ab.662 Die Interessen des Urhebers müssten nach dieser Ansicht mit zunehmendem Abstand zum Tod des Urhebers gegebenenfalls hinter die Interessen des Sacheigentümers zurücktreten. Diese Ansicht vertritt auch der BGH in der Entscheidung Oberammergauer Passionsspiele II.663 In ihr ging es darum, ob die vom verstorbenen Vater der Klägerin entworfenen Bühnenbilder, die jahrzehntelang in dieser Form verwendet worden waren, verändert werden durften. In der konkreten Entscheidung, in der sich der BGH schon zum zweiten Mal mit dem Fall befassen musste,664 war das Vorliegen einer Entstellung der ursprünglichen Bühnenbilder zu prüfen. Der BGH hielt die beanstandeten Änderungen für nicht geeignet, die berechtigten geistigen und persönlichen Interessen des Verstorbenen zu gefährden. Dies wurde unter anderem damit begründet, dass die Urheberinteressen Jahrzehnte nach dem Tod des Urhebers nicht mehr notwendig dasselbe Gewicht hätten wie zu Lebzeiten.665 Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Doch ist die allmähliche Abschwächung der Urheberinteressen gegenüber den Nutzerinteressen kein zwingender allgemeiner Rechtsgrundsatz; die Interessen sind vielmehr stets im Einzelfall zu gewichten.666 Es müssen besondere Umstände festgestellt werden, die im konkreten Fall auf eine Abschwächung der Urheberinteressen hindeuten.667 Ausschlaggebende Faktoren sind die Art des Werkes, die Intensität des Eingriffs und das Gewicht der Nutzerinteressen.668 Vor allem aus der Werkart ergeben sich mitunter große Unterschiede, was das Gewicht der Urheberinteressen an einer unveränderten Werkgestalt angeht. Bauwerke zum Beispiel unterliegen im Laufe der Zeit oft erheblichen Änderungen in ihrer Nutzung und müssen deshalb eher angepasst werden können. 661 Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert, vor §§ 12ff. Rn 23; Fromm/Nordemann/Dustmann, § 14 Rn 6; Schack, GRUR 1985, 352, 360; Cl8ment, Urheberrecht und Erbrecht, 55f., 77. 662 Schmieder, NJW 1990, 1945, 1950; Loewenheim, GRUR 1989, 108, 110. 663 BGH GRUR 1989, 106 mit Anm. Loewenheim – Oberammergauer Passionsspiele II; sich anschließend BGH GRUR 2012, 172 – Stuttgart 21. 664 Im ersten Urteil, BGH GRUR 1986, 458 – Oberammergauer Passionsspiele I, ging der BGH von einem konkludent eingeräumten Bearbeitungsrecht aus, dessen Grenze die Entstellung des Werkes sei, und verwies die Sache zurück. Das Berufungsgericht bejahte daraufhin eine Entstellung bei einigen Bühnenbildern, wogegen die beklagte Gemeinde wiederum in Revision ging. 665 BGH GRUR 1989, 106, 107 mit Anm. Loewenheim – Oberammergauer Passionsspiele II. 666 So auch von Gamm, UrhG, § 30 Rn 4; Sattler, UrhR nach dem Tode, 61ff.; Steinbeck, Anm. GRUR-RR 2011, 64f. zu OLG Stuttgart – Stuttgart 21; Elmenhorst/von Brühl, GRUR 2012, 126, 130. 667 Steinbeck, Anm. GRUR-RR 2011, 64, 65. 668 Vgl. Sattler, UrhR nach dem Tode, 62f.
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Das kann im Einzelfall dafür sprechen, den Interessen des Eigentümers vor den Interessen des Urhebers an der Integrität des Werkes den Vorrang einzuräumen. Bei Werken, die darauf angelegt sind, in der ihnen vom Urheber verliehenen Form bestehen zu bleiben, kann das anders zu beurteilen sein.669 Werke der bildenden Kunst unterliegen in der Regel keiner Nutzungsänderung und sind daher nicht für Änderungen prädestiniert. Daher kann eine Desavouierung als Reaktion auf eine ästhetische Veränderung eines Kunstwerks auch Jahrzehnte nach dem Tod des Urhebers noch gerechtfertigt sein. Des Weiteren können die Interessen des Urhebers an Gewicht verlieren, je mehr er in Vergessenheit gerät; dann ist die Gefahr geringer, dass ihm Veränderungen des Werkes zugerechnet werden.670 In der bildenden Kunst hätte dies zur Folge, dass bekannte Künstler eher vor einer Veränderung geschützt wären als unbekannte. Zugleich stünde einer Desavouierung ein erhöhtes Interesse des Eigentümers entgegen, dass das Werk weiterhin als von dem bekannten Künstler stammend aufgewertet wird. Bei einem in Vergessenheit geratenen Künstler wären die Interessen an einer Desavouierung wohl entsprechend schwächer. Sattler weist darauf hin, dass die Urheberinteressen auch aufgrund rein praktischer Schwierigkeiten verblassen. Mit zunehmendem Abstand zum Tod des Urhebers wird es für die Rechtsnachfolger immer schwerer, den mutmaßlichen Willen des Urhebers festzustellen. Eine Veränderung des kulturellen und gesellschaftlichen Umfelds kann neue Möglichkeiten der Werknutzung eröffnen,671 die der Urheber nicht vorausgesehen und für die er keine Anordnungen getroffen hat. Bei der Wahrnehmung der Urheberinteressen treten somit zwangsläufig die Einschätzungen und Wertvorstellungen der Rechtsnachfolger zunehmend an die des Urhebers.672 Da die Interessen der Rechtsnachfolger, wie bereits erläutert, nicht vom Urheberpersönlichkeitsrecht geschützt sind, kann es bei einer zunehmenden Überlagerung der Urheberinteressen durch die Rechtsnachfolgerinteressen angezeigt sein, dem Urheberpersönlichkeitsrecht in der Abwägung mit den Eigentümerinteressen weniger Gewicht beizumessen.673 7.
Zwischenergebnis
Mit dem Tode des Urhebers geht das Urheberrecht auf die vom Urheber bestimmten Rechtsnachfolger über und bleibt bis zum Ablauf von 70 Jahren post mortem auctoris bestehen. Die Rechtsnachfolger treten in die volle Rechtsposition des Urhebers ein, sind aber bezüglich der Ausübung des Urheberper669 670 671 672 673
Sattler, UrhR nach dem Tode, 63. Steinbeck, Anm. GRUR-RR 2011, 64, 65. Sattler, UrhR nach dem Tode, 61. Sattler, UrhR nach dem Tode, 62. Vgl. Sattler, UrhR nach dem Tode, 62.
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Desavouierung nach dem Tode des Künstlers
sönlichkeitsrechts an den (mutmaßlichen Willen) des Urhebers gebunden. Eine Pflicht zur Wahrnehmung des Urheberpersönlichkeitsrechts besteht hingegen nicht. Mit zunehmendem Abstand zum Tode des Urhebers können dessen Interessen im Einzelfall verblassen und müssen unter Umständen bei einer Desavouierung hinter die Interessen des Werkstückeigentümers zurücktreten.
II.
Konsequenzen für die Desavouierung eines Werkes
Im Folgenden soll untersucht werden, ob sich mit dem Tode des Urhebers und dem Übergang bestimmter Rechte auf die Erben Änderungen hinsichtlich der Desavouierung eines Werkes ergeben. Zunächst geht es um die Ansprüche aus dem übergegangenen Urheberrecht, d. h. um den Anspruch auf Vernichtung rechtswidriger Vervielfältigungsstücke aus § 98 I 1 UrhG (unten 1.) und auf Beseitigung einer Entstellung aus §§ 97 I 1, 14 UrhG (unten 2.). Danach sollen weitere Desavouierungsmöglichkeiten der Erben, die sich aus ihrer Stellung als neue Eigentümer der Nachlassgegenstände ergeben, überprüft werden (unten 3. und 4.). 1.
Anspruch auf Vernichtung von Kunstfälschungen aus § 98 I 1 UrhG
Der Vernichtungsanspruch aus § 98 I 1 UrhG bezieht sich auf rechtswidrig hergestellte, verbreitete oder zur rechtswidrigen Verbreitung bestimmte Vervielfältigungsstücke. Die Norm dient also dem Schutz des Vervielfältigungsrechts aus § 16 UrhG und des Verbreitungsrechts aus § 17 UrhG. Beide Verwertungsrechte gehen mit dem Tod des Künstlers auf dessen Rechtsnachfolger über. Anders als beim Urheberpersönlichkeitsrecht dienen die Verwertungsrechte nicht primär dem Schutz der geistigen und persönlichen Beziehungen des Urhebers zu seinem Werk, sondern wirtschaftlichen Interessen. Nach Übergang auf die Erben sind daher bei der Ausübung der Verwertungsrechte nicht die (mutmaßlichen) Interessen des Urhebers maßgeblich, sondern die der Erben. Die Erben können damit unabhängig davon, ob der Urheber gegen den Störer vorgegangen wäre oder nicht, die Vernichtung der Vervielfältigungsstücke verlangen. Doch bleiben die Erben an lebzeitige Verfügungen des Urhebers über das Vervielfältigungs- oder Verbreitungsrecht gebunden. So war Immendorffs Witwe machtlos gegen die Verbreitung von Kopien von Werken ihres verstorbenen Ehemanns, da Immendorff selbst die Verbreitung dieser von Mitarbeitern
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hergestellten Stücke zu Lebzeiten duldete, worin das Gericht eine stillschweigende Einwilligung nach § 23 S. 1 UrhG erkannte.674 Anders als die Urheberinteressen verlieren die wirtschaftlichen Interessen der Rechtsnachfolger mit der Zeit nicht an Gewicht. Die Interessen der Erben stehen also den Interessen des Fälschers oder des Eigentümers der Fälschung genauso stark gegenüber wie zu Lebzeiten die Interessen des Urhebers. Die Rechtsfolge der Vernichtung in § 98 I 1 UrhG ist die Regel, doch kann sie ausnahmsweise unverhältnismäßig sein.675 Im Fall Echte Fälschungen676 erfolgte die Urheberrechtsverletzung erst nach dem Tod der imitierten Künstler. Hier waren allerdings nicht deren Erben, sondern die VG Bild-Kunst677 für Deutschland Inhaberin ausschließlicher Nutzungsrechte an den Werken von Chagall, Miro, Magritte, Kandinsky und Picasso, sodass die Verwertungsgesellschaft die Rechtsverletzung im eigenen Namen geltend machte. Über § 98 I 1 UrhG können also die Erben des Urhebers oder andere Wahrnehmungsberechtigte effizient gegen rechtswidrige Vervielfältigungen vorgehen. Verpflichtet dazu sind sie aber nicht.678
2.
Ansprüche aus §§ 97 I 1, 14 UrhG wegen Verletzung der Werkintegrität
Bei der Wahrnehmung des Entstellungsverbots durch den Rechtsnachfolger ist zu beachten, dass bei der Ausübung des postmortalen Urheberpersönlichkeitsrechts die Interessen des Urhebers maßgeblich sind. Die Erben können daher keine Desavouierungsrechte geltend machen, wenn der Urheber die Entstellung nicht als solche empfunden hätte.679 Eine Änderung des Werkes kann im Interesse des Urhebers liegen, wenn die Anpassung nötig ist, um das Werk an geänderte Verhältnisse anzupassen und es weiterverwerten zu können.680 Der Urheber eines Werkes möchte nämlich in der Regel, dass der Fortbestand seines Werkes möglichst weit in die Zukunft hinein gewahrt ist.681 674 OLG Düsseldorf NJW 2014, 3455f. – Ready-Made de l’Histoire dans Caf8 de Flore, hierzu oben Teil 2 A.I.1.b.; zu Recht merkt Elmenhorst, NJW 2014, 3456 kritisch an, dass das Gericht die Kopie nicht als eine bereits genehmigungsbedürftige Vervielfältigung iSv § 16 UrhG, sondern als eine Umgestaltung iSv § 23 UrhG einordnet. 675 S. oben S. 61. 676 OLG Hamburg ZUM 1998, 938 – Echte Fälschungen, s. oben Teil 2 A.I.1.a.aa. 677 Durch Gegenseitigkeitsverträge mit der französischen VG ADAGP bzw. SPADEM. 678 Siehe oben Teil 3 A.I.5.: Was für die Urheberpersönlichkeitsrechte gilt, gilt erst recht für die Verwertungsrechte. 679 Schack, GRUR 1985, 352, 356. 680 Cl8ment, Urheberrecht und Erbrecht, 81. 681 Schmieder, NJW 1990, 1945, 1948.
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Desavouierung nach dem Tode des Künstlers
Werke der bildenden Kunst sind zwar – anders als z. B. Theaterstücke682 – nicht auf fortwährende Aktualisierung angewiesen, um verwertbar zu sein. Ein Kunstwerk ist in der Regel ein Zeugnis einer bestimmten Schaffensperiode und Stilrichtung und soll in dieser Gestalt verbleiben. Allerdings kann auch zur Erhaltung des Status quo ein Eingriff in die Sachsubstanz notwendig sein, wenn das Werk restauriert werden soll.683 Eine Entstellung des Werkes kann aber auch ohne Substanzeingriff geschehen, z. B. durch die Art und Weise seiner Ausstellung.684 Im Einzelfall ist zu untersuchen, ob die Restaurierung oder die Ausstellung die mutmaßlichen Interessen des Urhebers gefährdet. Nur, wenn dies der Fall ist, können die Erben das Werk unter Umständen desavouieren. Wenn die Rechtsnachfolger missbräuchlich mit einer Desavouierung drohen, um den Eigentümer etwa zur Zahlung einer Entschädigung zu bewegen, kann dieser den Erben entgegenhalten, dass die Maßnahmen dem (mutmaßlichen) Willen des Urhebers entsprechen.685 Der Wille des Urhebers könnte z. B. daraus hervorgehen, dass er vor seinem Ableben von der Konzeption einer Ausstellung gewusst und diese nicht beanstandet hat. Genauso könnte bei einer Restaurierung relevant sein, wie der Urheber in ähnlichen Fällen reagiert hat.686 Kann der Wille des Verstorbenen nicht ermittelt werden, dann ist zu prüfen, ob die Änderung seinem objektiven Interesse entsprochen hätte. Im Verhältnis zu den Eigentümerinteressen können sich mit zunehmendem Abstand zum Tod des Urhebers abweichende Ergebnisse bezüglich der Desavouierung aufgrund einer Entstellung ergeben. Zum einen könnte innerhalb der Interessenabwägung des § 14 UrhG das Interesse des Eigentümers gegenüber dem Urheberinteresse eher überwiegen. Hier steht dem eventuell bereits verblassten Bestands- und Integritätsinteresse des Verstorbenen das gegenwärtige, starke Interesse des Sacheigentümers entgegen, frei über sein Eigentum disponieren zu können. Selbst wenn eine Entstellung bejaht würde, können sich immer noch Abweichungen hinsichtlich der zulässigen Rechtsfolge ergeben. Desavouierungsmaßnahmen, die sich in Teil 2 dieser Arbeit als in der Regel unverhältnismäßig herausgestellt haben,687 wären nach dem Tod des Urhebers erst recht unzulässig. Das gilt etwa für die Vernichtung irreversibel entstellter Werke und unter Umständen auch für die mit einem Substanzeingriff verbundene Entfernung der Signatur. Ein Namensnennungs- oder Ausstellungsverbot hingegen könnte schon eher auch von den Erben erfolgreich geltend gemacht werden. Allerdings 682 683 684 685 686 687
Grunert, Werkschutz, 122f. Siehe oben Teil 2 A.II.3.a.bb. Siehe oben Teil 2 A.II.3.b. Cl8ment, Urheberrecht und Erbrecht, 84. Vgl. Cl8ment, Urheberrecht und Erbrecht, 84. S. oben S. 89ff., S. 121.
Ausübung des Urheber- und Eigentumsrechts
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gilt auch hier, dass die Nutzungsinteressen des Eigentümers uU gegenüber dem verblassenden Integritätsinteresse des verstorbenen Künstlers überwiegen. Da die Erben aber nicht verpflichtet sind, das Integritätsrecht wahrzunehmen, können sie Entstellungen des Werkes auch einfach ignorieren, selbst wenn der Urheber zu Lebzeiten mit einer Desavouierung reagiert hätte.
3.
Vernichtung eines im Nachlass befindlichen Werkstücks durch die Erben
Mit dem Tod des Urhebers geht neben dem Urheberrecht auch das Eigentum an im Nachlass des Urhebers befindlichen Werkstücken auf die Rechtsnachfolger über. Anders als der Urheber, der als Eigentümer seines Werkstücks zu seinen Lebzeiten mit diesem tun und lassen konnte, was er wollte, könnten die Erben in ihrer Dispositionsbefugnis beschränkt sein. Die Erben sind zwar mit Blick auf das materielle und geistige Eigentum im gleichen Maße Rechteinhaber wie zuvor der Urheber. Doch sind sie im Umgang mit dem Werk an die Interessen des Verstorbenen gebunden und dürfen dessen fortwirkendes Urheberpersönlichkeitsrecht nicht verletzen. So dürfen die Erben beispielsweise das Werkintegritätsinteresse des Urhebers nicht verletzen, indem sie das Werk in seiner originalen Werkgestalt verändern.688 Anders als zu Lebzeiten des Urhebers fragt sich aber, ob die Erben ein in ihrem Eigentum stehendes Werkstück durch dessen Vernichtung desavouieren dürfen. Die mittlerweile herrschende Ansicht geht davon aus, dass die Vernichtung eines Werkes eine Beeinträchtigung iSv § 14 UrhG sein kann und deren Eignung zur Interessengefährdung durch eine Abwägung der jeweiligen Interessen zu ermitteln ist.689 Hierbei spielen die Gestaltungshöhe und die Zweckgebundenheit des Kunstgegenstands eine Rolle.690 Manche halten den Eigentümer eines Werkstücks für verpflichtet, es dem Urheber vor einer Vernichtung zur Rücknahme anzubieten oder ihm zu ermöglichen, Vervielfältigungsstücke anzufertigen, wenn die Rückgabe aufgrund der Werkbeschaffenheit unmöglich ist.691 Diese Form des Interessenausgleichs scheidet natürlich aus, wenn der Urheber schon verstorben ist. Wenn eine Rückgabe unmöglich ist, sollten die Erben nicht schlechter gestellt sein als jeder andere Eigentümer, der das Werkstück dann vernichten dürfte. Im Ergebnis kann jedoch offen bleiben, ob die Erben des Urhebers ein geerbtes Werkstück vernichten dürfen. Denn als Rechtsnachfolger können nur sie die 688 Gegen eine Änderung der Werksubstanz: Schack, GRUR 1985, 352, 356; Cl8ment, Urheberrecht und Erbrecht, 81f. 689 BGH JZ 2019, 680 mit Anm. Schack – HHole (for Mannheim); BGH GRUR 2019, 619 – Minigolfanlage. 690 Vgl. Erdmann, FS Piper, 655, 674; Schack, KuR, Rn 185. 691 Vgl. Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 220; Erdmann, FS Piper, 655, 674 f; Schack, KuR, Rn 190f.
164
Desavouierung nach dem Tode des Künstlers
Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts beanstanden, daher fehlt in der Praxis – solange sich alle Erben über die Vernichtung einig sind – ein Kläger,692 die Vernichtung bleibt sanktionslos. 4.
Schaffung weiterer Werkexemplare anhand geerbter Vorlagen
Die Erben könnten sich auch die wertmindernde Wirkung, die weitere Exemplare für bestehende Werkstücke haben können, zu Nutze machen.693 Im Nachlass des Künstlers befindet sich in der Regel auch seine Werkstatt mit den von ihm verwendeten Arbeitsmaterialien. Dazu können auch Gussformen oder Druckvorlagen gehören, mit deren Hilfe der Urheber Plastiken oder Grafiken herstellte oder herstellen wollte. Mit einer solchen Vorlage ist es den Erben ein Leichtes, weitere Werkexemplare herzustellen. Dies ist den Erben erlaubt, wenn das Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG) mit dem Tode des Urhebers auf sie übergegangen ist. Einen unautorisierten Druck oder Guss als Original zu verkaufen, kann aber Gewährleistungsansprüche nach sich ziehen und unter Umständen auch strafrechtliche Konsequenzen wegen Betrugs (§ 263 StGB). Denn die eigenhändige Herstellung durch den Künstler, wozu auch die Herstellung auf seine Anweisung und unter seiner Aufsicht zählt, ist das zentrale Merkmal eines Originalwerkstücks.694 Nicht vom Künstler autorisierte Drucke oder Abgüsse, die erst nach seinem Tode hergestellt werden, sind daher keine Originale und dürfen auch nicht als solche vertrieben werden.695 Die Erben können daher nicht in gleicher Weise wie der Urheber ein Werk durch Schaffung »neuer Originale« desavouieren. Sie könnten aber posthume Güsse und Drucke in unbegrenzter Zahl herstellen und damit – selbst, wenn sie diese nicht als Originale in Verkehr bringen – dem Sammlerwert der Originalwerkstücke schaden.
III.
Ergebnis zu A. Desavouierung durch die Erben des Urhebers in Ausübung ihres Urheber- und Eigentumsrechts
Die Desavouierungsrechte, die die Erben nach dem Tod des Urhebers als eigene Rechte geltend machen können, weichen in ihrem Umfang von denen des Urhebers zu Lebzeiten ab. Zwar können die Erben in gleicher Weise wie der Ur692 693 694 695
Schack, KuR, Rn 188. Ausführlich oben Teil 2 G. Siehe oben Teil 2 G.I. Heinbuch, NJW 1984, 15, 18; Bullinger, Kunstwerkfälschung, 27.
Wahrnehmung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
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heber die Vernichtung von rechtswidrigen Vervielfältigungsstücken gemäß § 98 I 1 UrhG verlangen. Die Desavouierung eines entstellten Werkes ist aber nur in geringerem Umfang möglich, weil die Urheberinteressen an der Werkintegrität mit der Zeit verblassen und daher zunehmend von den Eigentümerinteressen an der freien Disposition über das Werkstück überlagert werden. 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers erlischt das Urheberrecht vollständig. Die Vernichtung eines im Eigentum der Erben stehenden Werkstücks ist ein effektives Desavouierungsmittel. Ebenso können die Erben anhand geerbter Druckstöcke und Gussformen weitere Exemplare eines Werkes schaffen, die allerdings nicht als »Originale« veräußert werden dürfen.
B.
Desavouierung durch die Angehörigen und Erben in Wahrnehmung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen
Zu Lebzeiten des Künstlers spielten neben dem Urheberrecht auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die daraus abgeleiteten Rechte eine zentrale Rolle bei der Desavouierung von Werken, insbesondere von solchen, die dem Urheber fälschlicherweise zugeschrieben oder durch Entstellung verfremdet wurden.696 Im Folgenden werden das allgemeine Persönlichkeitsrecht (unten I.) und das Namensrecht (unten II.) des Künstlers nach dessen Tod beleuchtet, danach die Konsequenzen für die Desavouierung eines Werkes post mortem (unten III.).
I.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach dem Tod des Künstlers
Zunächst wird die richterrechtliche Entwicklung eines postmortalen Persönlichkeitsschutzes erläutert (unten 1.). Dabei ist zwischen der Wahrnehmung der ideellen Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die Angehörigen (unten 2.) und dem Übergang der vermögenswerten Bestandteile auf die Erben des Künstlers (unten 3.) zu unterscheiden. Nach der Schutzdauer (unten 4.) und den maßgeblichen Interessen bei der Rechtewahrnehmung durch die Angehörigen bzw. Erben (unten 5.) geht es darum, wie die Befugnisse der Berechtigten zusammenspielen (unten 6.).
696 Siehe insbesondere oben Teil 2 B.III. und IV. und C.
166 1.
Desavouierung nach dem Tode des Künstlers
Anerkennung eines postmortalen Persönlichkeitsschutzes
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist als Individualrecht an ein bestimmtes Rechtssubjekt gebunden, was vermuten ließe, dass das Recht zusammen mit seinem Subjekt untergehe. Allerdings erkennt die Rechtsprechung spätestens seit dem Mephisto-Urteil697 einen postmortalen Persönlichkeitsschutz an und wird so dem hohen Stellenwert und dem praktischen Schutzbedürfnis des Persönlichkeitsrechts gerecht.698 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht erfahre, so der BGH,699 mit dem Tod zwar eine einschneidende Einschränkung, da all jene Ausstrahlungen endeten, welche die Existenz einer aktiv handelnden Person voraussetzen. Es sei aber allgemein anerkannt, dass der Verstorbene nicht nur übertragbare materielle Werte hinterlasse, sondern dass auch immaterielle Güter seinen Tod überdauerten, die verletzbar und auch post mortem noch schutzwürdig seien. Nach der verfassungsrechtlichen Wertordnung (Art. 1 I GG) könne nicht angenommen werden, dass nach dem Tod einer Person die übertragbaren Rechte an materiellen Gütern fortbestünden, wohingegen das Ansehen einer Person Eingriffen Dritter schutzlos ausgeliefert sei. Der Schutz der Menschenwürde und die freie Entfaltung zu Lebzeiten seien nur dann hinreichend gewährleistet, wenn der Mensch auf einen Schutz seines Lebensbildes wenigstens gegen grobe Entstellungen nach dem Tode vertrauen und in dieser Erwartung leben könne.700 Ein Mindestmaß postmortalen Schutzes ist Bedingung für eine freie und verantwortungsbewusste Lebensgestaltung.701 Kann ein Mensch beispielsweise nicht darauf vertrauen, dass vertrauliche Aufzeichnungen geschützt bleiben und nicht gegen seinen Willen der Öffentlichkeit preisgegeben werden, so wird er sie eher vernichten als sie für die Nachwelt zu erhalten.702 Das Bundesverfassungsgericht hat die Existenz eines postmortalen Persönlichkeitsschutzes in seiner Mephisto-Entscheidung703 bestätigt. Es widerspräche der Menschenwürde, wenn der Mensch in seinem allgemeinen Achtungsanspruch nach seinem Tod herabgewürdigt werden könnte. Die staatliche Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde ende nicht mit dem Tod.704 Das Bundesverfassungsgericht kritisiert jedoch die Begründung des BGH insoweit, 697 BGHZ 50, 133 = GRUR 1968, 552 – Mephisto. 698 Vgl. MüKo BGB/Leipold, § 1922 Rn 158 m.w.N. Zuvor hatte der BGH bestätigt, dass das Persönlichkeitsrecht eines Verstorbenen über dessen Tod hinaus fortwirkt, ohne dies aber näher zu erläutern. BGHZ 15, 249, 259 = GRUR 1955, 201, 204 – Cosima Wagner. 699 BGHZ 50, 133, 136 – Mephisto. 700 BGHZ 50, 133, 139 – Mephisto. 701 Schack, GRUR 1985, 352, 355. 702 Krüger-Nieland, GRUR 1968, 523, 524. 703 BVerfGE 30, 173 – Mephisto. 704 BVerfGE 30, 173, 194 – Mephisto.
Wahrnehmung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
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als das postmortale Persönlichkeitsrecht nur auf Art. 1 I und nicht auf Art. 2 I GG gestützt werden könne; die freie Entfaltung der Persönlichkeit setze die Existenz einer handlungsfähigen Person zwingend voraus.705 Im Fall eines bildenden Künstlers werden daher auch nach dessen Tod die Gesamtheit seines Werkschaffens (das Œuvre) und das künstlerische Ansehen als Teil seines postmortalen allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschützt.706
2.
Wahrnehmung der ideellen Bestandteile durch die Angehörigen
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist in seinen ideellen Bestandteilen unübertragbar und – anders als das Urheberpersönlichkeitsrecht – unvererblich.707 Ein Rechtsübergang nach § 1922 BGB findet nicht statt. Die Rechtsordnung kann aber bestimmte Rechtsgüter auch unabhängig vom Vorhandensein eines lebenden Rechtssubjekts schützen und diesen Schutz durch jemand anderes wahrnehmen lassen, wie z. B. in § 22 S. 3 KUG das besondere Persönlichkeitsrecht am eigenen Bild,708 das nach dem Tod des Abgebildeten von dessen nächsten Angehörigen für 10 Jahre wahrgenommen wird. Obwohl nicht ausdrücklich normiert, gilt Entsprechendes für das postmortale allgemeine Persönlichkeitsrecht. Bei ihm handelt es sich um ein fremdes Recht, das die Angehörigen treuhänderisch im fremden Interesse wahrnehmen.709 Bei einer Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts können Unterlassungs- und Widerrufsansprüche von demjenigen geltend gemacht werden, den der Verstorbene dazu ermächtigt hat,710 sowie – analog §§ 77 II StGB, § 22 S. 3, 4 KUG und § 60 II UrhG – von den nächsten Angehörigen des Verstorbenen.711 Angehörige sind gemäß § 22 S. 4 KUG der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner und die Kinder des Verstorbenen und, wenn weder ein Ehegatte oder Lebenspartner noch Kinder vorhanden sind, die Eltern des Verstorbenen. Die Angehörigen können aber keinen Anspruch auf Geldentschädigung wegen postmortaler Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen geltend machen: Die Genugtuung, die hierbei im Vordergrund steht, kann dem Verstorbenen selbst nicht mehr verschafft werden.712 705 706 707 708 709 710
BVerfGE 30, 173, 194 – Mephisto. BGHZ 107, 384, 391ff. = JZ 1990, 37, 38f. mit Anm. Schack – Emil Nolde. Vgl. BGHZ 50, 133, 137 = GRUR 1968, 552, 554 – Mephisto; Brändel, FS Erdmann, 49. BGHZ 50, 133, 137 = GRUR 1968, 552, 554 – Mephisto. Schack, GRUR 1985, 352, 361. Das muss nicht zwingend in Form einer Verfügung von Todes wegen geschehen; vgl. BGHZ 15, 249, 259f. – Cosima Wagner ; Schack, GRUR 1985, 352, 361. 711 MüKo BGB/Leipold, § 1922 Rn 158 u. a. mit Verweis auf BGHZ 50, 133, 137 – Mephisto. 712 BGHZ 165, 203, 206f. = GRUR 2006, 252, 253 – Postmortaler Persönlichkeitsschutz.
168 3.
Desavouierung nach dem Tode des Künstlers
Übergang der vermögenswerten Bestandteile auf die Erben
Eine Ausnahme von der Unvererblichkeit macht der BGH seit der Marlene Dietrich-Entscheidung713 für die von ihm entwickelten vermögenswerten Bestandteile des postmortalen allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Danach können dem Namen und anderen Persönlichkeitsmerkmalen von Prominenten ein großer wirtschaftlicher Wert zukommen. Von ihm kann der Persönlichkeitsträger profitieren, indem er Dritten gegen Entgelt gestattet, seinen Namen beispielsweise zu Werbezwecken zu verwenden. Durch eine unerlaubte Verwertung der Persönlichkeitsmerkmale werden daher häufig kommerzielle Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt. Die vermögenswerten Bestandteile sind im Gegensatz zum unübertragbaren, dem Schutz ideeller Interessen dienenden Kern des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vererblich.714 Sie spalten sich post mortem vom Kernrecht ab und gehen auf die Erben über.715 Zu diesen verwertbaren Bestandteilen gehören Bildnis und Name des Verstorbenen,716 aber auch andere unverwechselbare Kennzeichen des Erblassers wie dessen Stimme oder Signatur – wenn diese einen Marktwert haben und kommerziell nutzbar sind.717 Das führt dazu, dass die vermögenswerten und die ideellen Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach dem Tod des Trägers von unterschiedlichen Berechtigten wahrgenommen werden, wenn die Erben und Angehörigen des Künstlers personenverschieden sind.718 Eine weitere Besonderheit besteht neben der Vererblichkeit darin, dass die Erben bei einer Verletzung der vermögenswerten Interessen des Urhebers nicht nur Abwehr- und Beseitigungsansprüche, sondern auch Schadensersatz geltend machen können.719 Auch die Erben können aber in der Regel keine Geldentschädigung wegen Verletzung der ideellen Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Erblassers verlangen, selbst wenn der Anspruch schon zu seinen Lebzeiten entstanden ist: Ihre Genugtuungsfunktion kann die Entschädigung laut BGH nur erfüllen, wenn der Anspruch dem Erblasser noch vor
713 BGHZ 143, 214 = GRUR 2000, 709 – Marlene Dietrich. 714 BGHZ 143, 214, 220 = GRUR 2000, 709, 712 = JZ 2000, 1056 mit abl. Anm. Schack – Marlene Dietrich. 715 Vgl. Brändel, FS Erdmann, 49, 50; Peukert, ZUM 2000, 710, 712. 716 So z. B. in BGHZ 143, 214 = GRUR 2000, 709 – Marlene Dietrich. 717 Brändel, FS Erdmann, 49, 50. 718 Dies gilt auch für das Recht am eigenen Bild: Die Wahrnehmungsbefugnis der Angehörigen in § 22 S. 3 KUG umfasst nur die ideellen Bestandteile des Rechts am eigenen Bild. Dessen kommerzielle Verwertung steht dagegen den Erben zu, BGHZ 143, 214, 220 – Marlene Dietrich. § 22 S. 3 KUG ist insofern kein lex specialis. 719 Vgl. BGHZ 143, 214, 217 = GRUR 2000, 709, 711 – Marlene Dietrich.
Wahrnehmung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
169
seinem Tod rechtskräftig zuerkannt wird; nur in diesem Fall soll der Entschädigungsanspruch auf seine Erben übergehen.720
4.
Schutzdauer des postmortalen Persönlichkeitsrechts
Die Schutzdauer des postmortalen (ideellen) Persönlichkeitsrechts ist durch die Rechtsprechung bislang nicht festgelegt worden. Im Fall Emil Nolde, in dem die Noldes Nachlass verwaltende Stiftung zwei vermeintliche Nolde-Fälschungen desavouieren wollte und sich dafür auf das postmortale droit de non-paternit8 des Verstorbenen stützte, lag der Tod Noldes bereits 30 Jahre zurück. Dennoch sei der Schutz von Noldes postmortalem allgemeinen Persönlichkeitsrecht noch nicht entfallen.721 Die Schutzdauer hänge von den Umständen des Einzelfalles ab, wie der Intensität der Beeinträchtigung, der Bekanntheit und der Bedeutung der Künstlerpersönlichkeit. Das Schutzbedürfnis schwinde in dem Maße, wie die Erinnerung an den Verstorbenen verblasse. Kritisch ist dabei der Vergleich des BGH mit ausübenden Künstlern, deren künstlerischem Ansehen und Wertschätzung er eine kürzere Fortdauer attestiert als denen eines bildenden Künstlers, der ein »bleibendes« Werk schaffe. Die bis dahin unerreichte722 postmortale Schutzdauer von über 30 Jahren begründete der BGH damit, dass Nolde »zu den namhaften Vertretern des deutschen Expressionismus zählt«.723 Diese Bevorzugung eines bildenden Künstlers aufgrund seines Werkschaffens ist verfehlt, weil es beim postmortalen Persönlichkeitsrecht gerade nicht um den Schutz konkreter Werke, sondern um die Schwere der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsbildes geht.724 Eine feste zeitliche Begrenzung des postmortalen (ideellen) Persönlichkeitsrechts haben die Gerichte bislang nicht für notwendig erachtet. Das postmortale Persönlichkeitsrecht könne nur von den Wahrnehmungsberechtigten geltend gemacht werden und diese müssten überdies ein ausreichendes Rechtsschutzbedürfnis dartun, das mit dem Verblassen der Erinnerung an den Verstorbenen schwinde.725 Die Gerichte gehen insofern von einer natürlichen Begrenzung des Schutzes aus. Immerhin stellte das LG Dessau-Roßlau fest, dass eine Verletzung des Persönlichkeitsbildes von Oskar Schlemmer über 70 Jahre nach seinem Tod 720 BGHZ 215, 117, 125f. = JZ 2018, 42, 44 mit krit. Anm. Schack. 721 BGHZ 107, 384, 392f. = JZ 1990, 37, 39 – Emil Nolde; krit. Anm. Schack, JZ 1990, 40. 722 In BGHZ 50, 133 – Mephisto waren es 5 Jahre, in BGH GRUR 1984, 907 – Frischzellenkosmetik 13 Jahre; in OLG Köln NJW 1999, 1969 wurde dann auch Konrad Adenauer über 30 Jahre nach dessen Tod ein postmortaler Persönlichkeitsschutz gewährt. 723 BGHZ 107, 384, 393 – Emil Nolde. 724 Schack, Anm. JZ 1990, 40, 41 zu BGH – Emil Nolde. 725 BGHZ 50, 133, 140 – Mephisto; OLG Köln NJW 1999, 1969.
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Desavouierung nach dem Tode des Künstlers
von dessen Enkel nicht mehr geltend gemacht werden könne.726 Dabei orientierte sich das Gericht an der 70-jährigen Schutzfrist des Urheberrechts, über die hinaus die ideellen Interessen des postmortalen Persönlichkeitsrechts nicht wirken könnten. Ob dieser Deckelung zuzustimmen ist oder ob wegen der unterschiedlichen Schutzrichtung des Urheber(persönlichkeits)rechts und des postmortalen Persönlichkeitsrechts eine Gleichbehandlung ausscheidet, bedarf wegen der geringen Wahrscheinlichkeit eines so langen Schutzbedürfnisses keiner abschließenden Klärung. Eine natürliche Grenze des postmortalen Persönlichkeitsrechts besteht darin, dass nach einer gewissen Zeit (ca. 70 bis 80 Jahre) niemand mehr am Leben ist, der den Künstler noch persönlich gekannt hat.727 Zugunsten von Rechtssicherheit und Kommunikationsfreiheit spräche rechtspolitisch viel für eine kürzere, gesetzlich fixierte postmortale Schutzfrist.728 Die Schutzdauer der vermögenswerten Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hingegen hat der BGH in der Entscheidung kinski-klaus.de klar begrenzt auf zehn Jahre post mortem.729 Damit wendet der BGH die Schutzfrist des postmortalen Rechts am eigenen Bild aus § 22 S. 3 KUG entsprechend an. Diese Schutzdauer beruhe auf dem Gedanken, dass das Schutzbedürfnis mit zunehmendem Abstand zum Tod abnehme, während die Öffentlichkeit ein Interesse an einer Auseinandersetzung mit der bekannten Person und auch an Rechtssicherheit habe.730 Eine längere Schutzdauer für die vermögenswerten Elemente des postmortalen Persönlichkeitsrechts sei mit der Wertung des § 22 KUG daher nicht vereinbar. Diese kurze und klar definierte Frist ist gegenüber der unbestimmten Dauer des postmortalen (ideellen) allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der übermäßig langen urheberrechtlichen Schutzfrist von 70 Jahren post mortem (§ 64 UrhG) begrüßt worden.731 Fraglich ist aber, wie solch eine unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Bestandteile des postmortalen Persönlichkeitsrechts zu rechtfertigen ist. Die drei höchst unterschiedlichen Schutzfristen erschweren nicht nur den Rechtsverkehr, sie spiegeln auch nicht die Wichtigkeit ihrer jeweiligen Schutzgüter wider.
726 727 728 729 730 731
LG Dessau-Roßlau GRUR-RS 2014, 04821. Schack, GRUR 1985, 352, 359. Schack, JZ 2019, 864, 867, schlägt eine Schutzfrist von 10, 20 oder höchstens 30 Jahren vor. BGHZ 169, 193, 198 = JZ 2007, 364, 365 mit Anm. Schack – kinski-klaus.de. BGHZ 169, 193, 199 = JZ 2007, 364, 365f. mit Anm. Schack – kinski-klaus.de. Schack, Anm. JZ 2007, 366, 367 zu BGH – kinski-klaus.de.
Wahrnehmung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
5.
171
Maßgebliche Interessen bei der Rechtswahrnehmung
Da mit dem postmortalen Persönlichkeitsrecht die freie Entfaltung und das Schaffen zu Lebzeiten gesichert werden soll, kann sich auch niemand auf das Persönlichkeitsrecht eines Toten berufen, um Verletzungen abzuwehren, die dieser zu Lebzeiten nicht als solche empfunden hat.732 Da die Angehörigen das Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen lediglich als fremdes Recht treuhänderisch wahrnehmen, sind hier, noch deutlicher als beim Urheberpersönlichkeitsrecht, allein die Interessen des Verstorbenen maßgeblich.733 Obwohl Unterschiede bezüglich der Vererbbarkeit zwischen den vermögenswerten und den ideellen Bestandteilen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bestehen, ist die Rechtsposition der Erben gleichermaßen als Wahrnehmungsberechtigung ausgestaltet.734 Auch die Erben sind an den ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des verstorbenen Trägers des Persönlichkeitsrechts gebunden, da sie ihre Befugnisse von ihm ableiten.735 Für die Ermittlung des Willens des Verstorbenen gilt das zuvor Gesagte.736 Wie beim Urheberpersönlichkeitsrecht nimmt der Umfang des Schutzes des postmortalen ideellen Persönlichkeitsrechts und dessen vermögenswerter Bestandteile nach dem Tod allmählich ab.737 Man könnte daher sagen, dass der hinsichtlich der vermögenswerten Bestandteile postmortal Berechtigte im »Kleid eines Erben« erscheint, seine Rechtsposition aber inhaltlich der zur Wahrnehmung der ideellen Persönlichkeitsrechte berechtigten Angehörigen gleicht.738 6.
Zusammenspiel der Befugnisse der Angehörigen und der Erben
Für die Vererblichkeit und die Schutzdauer müssen die vermögenswerten von den ideellen Bestandteilen des postmortalen allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterschieden werden. Trotz der Vererbung aber bleiben die vermögenswerten Bestandteile zur Wahrung der ideellen Interessen untrennbar mit den unveräußerlichen höchstpersönlichen Bestandteilen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verbunden.739 Hier kann es auch zu Überschneidungen kommen, einige postmor732 733 734 735 736 737
Schack, GRUR 1985, 352, 356. Vgl. Schack, GRUR 1985, 352, 356 m.w.N. Peukert, ZUM 2000, 710, 712. BGHZ 143, 214, 226 = GRUR 2000, 709, 714 – Marlene Dietrich. Siehe oben Teil 3 A.I.4. BGHZ 107, 384, 392 = JZ 1990, 37, 39 mit Anm. Schack – Emil Nolde; BGHZ 143, 214, 226 = GRUR 2000, 709, 714 – Marlene Dietrich mit Hinweis auf BGHZ 50, 133, 140f. – Mephisto. 738 Peukert, ZUM 2000, 710, 712. 739 BGHZ 143, 214, 226f. = GRUR 2000, 709, 714 – Marlene Dietrich.
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Desavouierung nach dem Tode des Künstlers
tale Persönlichkeitsverletzungen können in die Rechte der Erben wie in die Wahrnehmungsbefugnisse der Angehörigen eingreifen.740 Es wäre verfehlt anzunehmen, dass entweder die ideellen oder die vermögenswerten Interessen des postmortalen Persönlichkeitsrechts tangiert sind; vielmehr können einige Eingriffe beide Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betreffen.741 Eine mit einer falschen Signatur versehene Stilimitation macht sich den Marktwert des Künstlernamens zu Nutze und schadet zugleich durch eine Verfälschung des Gesamtwerkes dem künstlerischen Ansehen. In diesem Fall sind sowohl die vermögenswerten Elemente der Persönlichkeit in Gestalt des Namens als auch die ideellen Interessen in Gestalt des droit de non-paternit8 beeinträchtigt.742 Grundsätzlich können dann sowohl die Erben als auch die nächsten Angehörigen gegen die Beeinträchtigung einschreiten.743 Die unterschiedliche Zuordnung der verschiedenen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts zu den Angehörigen oder den Erben wird kritisiert, weil sie zwangsläufig zu Konflikten führe.744 In der Tat kann eine wirtschaftliche Verwertung der Persönlichkeitsmerkmale des Verstorbenen daran scheitern, dass die Angehörigen sie mit Blick auf die ideellen Interessen des Verstorbenen ablehnen. Unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der Wahrnehmung der Persönlichkeitsrechte könnten dann aber am mutmaßlichen Willen oder notfalls am objektiven Interesse des verstorbenen Trägers geprüft werden, denn die Berechtigten sind hieran bei der Rechtewahrnehmung gebunden.745 Stellt sich dabei heraus, dass die Angehörigen im Einklang mit den Vorstellungen des Verstorbenen eine bestimmte Nutzung untersagt haben, so müssten sich die Erben dem beugen. Im Fall einer falschen Signatur können die Erben ohnehin keinen Schadensersatz für eine entgangene Lizenzgebühr verlangen, da der Verstorbene selbst seinen Namen nicht zu Täuschungszwecken auf Werke Dritter hätte setzen dürfen.746
740 BGHZ 143, 214, 226 = GRUR 2000, 709, 714 – Marlene Dietrich; Gregoritza, Kommerzialisierung, 57. 741 Vgl. Wagner, ZEuP 2000, 200, 222. 742 So z. B. in BGHZ 107, 384 = JZ 1990, 37 mit Anm. Schack – Emil Nolde, wobei die Verletzung der vererbten vermögenswerten Interessen Noldes hier noch nicht erkannt wurde. 743 Vgl. BGHZ 143, 214, 227 = GRUR 2000, 709, 714 – Marlene Dietrich. 744 Schack, Anm. JZ 2000, 1060, 1061 zu BGH – Marlene Dietrich; Schack, Anm. JZ 2007, 366, 367 zu BGH – kinski-klaus.de. 745 S. oben Teil 3 B.I.5. 746 Gantz, Das droit de non-paternit8, 71f.
Wahrnehmung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
II.
173
Das Namensrecht aus § 12 BGB nach dem Tod des Künstlers
Das Namensrecht aus § 12 BGB, das eine besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt,747 bietet keine ausreichende Grundlage für eine Desavouierung nach dem Tod des Künstlers. Denn das Namensrecht soll nach überwiegender Meinung mit dem Tod des Rechtsträgers erlöschen.748 Ein Angehöriger mit demselben Namen kann zwar jederzeit aus eigenem Recht, etwa wegen Missbrauchs des Familiennamens, gegen die Falschzuschreibung vorgehen.749 Erben oder Angehörige, die diesen Namen nicht tragen, können aber keine rechtlichen Schritte zur Verteidigung des Künstlernamens einleiten. In der Emil Nolde-Entscheidung hatte der BGH zunächst eine Trendwende angedeutet.750 In einer späteren Entscheidung bekräftigte er allerdings, dass mit dem Tod eines Menschen dessen Eigenschaft als Rechtssubjekt wegfalle und er daher nicht länger Träger des Namensrechts sei.751 Es bestehe keine Schutzlücke, da das Namensrecht eine Erscheinungsform des nach § 823 I BGB geschützten postmortalen allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei; wenn die Nutzung des Namens in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreife, bestehe hierüber weiterhin Schutz.752 Die Ablehnung eines postmortalen Namensrechts aus § 12 BGB wird in mehrfacher Hinsicht kritisiert. So argumentiert Schack, dass es auch nach dem Tod des Namensträgers noch einige Zeit lang zu den Zuordnungsverwirrungen kommen könne, vor denen § 12 BGB schützen wolle.753 Der Schutz über das Namensrecht der Angehörigen sei außerdem unzureichend, wenn es keine gleichnamigen Angehörigen gebe.754 Ein (zeitlich eng begrenztes) postmortales Namensrecht unterstütze die wirksame Bekämpfung von Kunstfälschungen mit falscher Signatur.755 Zum anderen kann selbst bei Verwendung des Nachnamens zusammen mit dem Vornamen des Verstorbenen das Namensrecht des Angehörigen einschlägig sein.756 In diesen Fällen besteht allerdings kein Zweifel 747 BGHZ 143, 214, 218 = GRUR 2000, 709, 712 – Marlene Dietrich; BGHZ 30, 7, 10 = GRUR 1959, 430, 431 – Caterina Valente. 748 BGHZ 169, 193, 195 = JZ 2007, 364 mit Anm. Schack – kinski-klaus.de; BGHZ 8, 318, 324 – Pazifist; OLG Schleswig JZ 1987, 774 mit Anm. Schack – Emil Nolde; a. A.: Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 343f.; Schack, Anm. JZ 1987, 776 zu OLG Schleswig – Emil Nolde. 749 Vgl. BGHZ 8, 318, 323 – Pazifist. 750 BGHZ 107, 384, 390 = JZ 1990, 37, 38 mit Anm. Schack – Emil Nolde. 751 BGHZ 169, 193, 195 = JZ 2007, 364 mit Anm. Schack – kinski-klaus.de. 752 BGHZ 169, 193, 195f. = JZ 2007, 364, 365 mit Anm. Schack – kinski-klaus.de. 753 Schack, JZ 2019, 864, 865. 754 Schack, Anm. JZ 1987, 776f. zu OLG Schleswig – Emil Nolde. 755 Schack, JZ 2019, 864, 865. 756 Angedeutet in BGHZ 107, 384, 389f. = JZ 1990, 37, 38 mit Anm. Schack – Emil Nolde.
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Desavouierung nach dem Tode des Künstlers
daran, dass der Verstorbene und nicht sein Angehöriger gemeint ist; dies zeigt, dass es im Grunde doch um den Namensschutz des Verstorbenen geht.757 Letztlich macht es im Ergebnis aber kein Unterschied, ob ein eigenständiges postmortales Namensrecht gewährt wird oder ob dieses im allgemeinen Persönlichkeitsrecht aufgeht und über dieses geschützt wird.758 Diese Auffangfunktion des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist bei einer lückenhaften gesetzlichen Regelung besonderer Persönlichkeitsrechte anerkannt.759 Somit wird auch das Namensrecht dem einheitlichen Regime des postmortalen Persönlichkeitsrechts unterstellt.760 Der Gebrauch des Namens eines verstorbenen Künstlers im Zusammenhang mit einer Fälschung kann z. B. seine Ehre und sein Ansehen beeinträchtigen. Wird der Name von einem Fälscher kommerziell genutzt und beispielsweise bei der Werbung für seine Fälschungen eingesetzt, so können neben den ideellen auch die vermögenswerten Teile des Persönlichkeitsrechts betroffen sein.
III.
Konsequenzen für die Desavouierung eines Werkes
Die sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergebenden Desavouierungsrechte wirken grundsätzlich über den Tod seines Trägers hinaus. Das zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gehörende droit de non-paternit8 dient dem Künstler zu dessen Lebzeiten als Schutz vor Falschzuschreibungen fremder Werke, gegen die er aus seinem Urheberrecht nicht vorgehen kann.761 Eine Falschzuschreibung verzerrt mit dem Gesamtwerk des Künstlers sein künstlerisches Ansehen und ist daher als ideeller Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einzuordnen.762 Es geht daher mit dem Tod des Künstlers auf seine nächsten Angehörigen über. Exemplarisch hierfür ist der mehrfach herangezogene Fall Emil Nolde. Der Künstler hatte eine Stiftung ermächtigt, sein postmortales Persönlichkeitsrecht in gewillkürter Prozessstandschaft wahrzunehmen.763 Genauso wie der Künstler selbst können nach seinem Tode die Angehörigen verlangen, dass eine falsche Signatur entfernt und der Name des Künstlers nicht länger im Zusammenhang mit dem fälschlicherweise zugeschriebenen Werk genannt wird. Auch bei einer Entstellung, die das Werk so verfremdet, dass es 757 758 759 760 761 762 763
Claus, Postmortaler Persönlichkeitsschutz, 36. Schack, Anm. JZ 2007, 366 zu BGH – kinski-klaus.de. Schack, UrhR, Rn 47. Schack, Anm. JZ 2007, 366 zu BGH – kinski-klaus.de. Siehe oben Teil 2 A.I.3. Vgl. BGHZ 107, 384, 391 = JZ 1990, 37, 39 mit Anm. Schack – Emil Nolde. BGHZ 107, 384, 388f. = JZ 1990, 37, 38 mit Anm. Schack – Emil Nolde.
Verweigerung der Authentifizierung
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nicht mehr als vom Verstorbenen stammend angesehen werden kann, können die Angehörigen ein Namensnennungsverbot auch gegen Dritte geltend machen. Bezüglich der Wirksamkeit des postmortalen droit de non-paternit8 ist allerdings festzuhalten, dass es nicht auf unbegrenzte Dauer gilt, sondern je nach den Umständen des Einzelfalls früher oder später enden kann. Das heißt nicht, dass Kunstfälscher ab einem bestimmten Abstand zum Tode des gefälschten Künstlers ungestraft davonkämen; doch können dann nicht mehr die Angehörigen, sondern die getäuschten Käufer oder der Staatsanwalt gegen die Fälschungen vorgehen. Ein Kunstfälscher macht sich wegen Betrugs (§ 263 StGB) und bei falscher Signatur auch wegen Urkundenfälschung764 (§ 267 StGB) strafbar und gegebenenfalls auch wegen unzulässigen Anbringens der Urheberbezeichnung (§ 107 UrhG). Da das Namensrecht aus § 12 BGB postmortal nicht fortbesteht, kann es nach dem Tode des Künstlers nur Anwendung finden, wenn der Name etwa durch eine gefälschte Signatur im Sinne der Norm gebraucht765 und von einem noch lebenden Angehörigen geteilt wird. Der Angehörige mit demselben Namen kann dann die Verletzung des Namensrechts als eigenes Recht geltend machen. Eine Nutzung des Namens als vermögenswerter Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann zwar auch von den Erben abgewehrt werden. Bei einer Kunstfälschung sind aber vorrangig ideelle Interessen betroffen, die von den nächsten Angehörigen wahrgenommen werden.
C.
Desavouierung durch Verweigerung der Authentifizierung: Angehörige und Erben als Kunstexperten
Ein Kunstexperte kann seinen Sachverstand im Hinblick auf das Werk eines bestimmten Künstlers auch durch die Nachlassverwaltung oder eine familiäre Nähe erlangen. Bei Personen, die dem Künstler nahestanden oder ihn beerben, wird oft eine umfassende Kenntnis über das Werkschaffen des Verstorbenen vermutet, insbesondere wenn sich noch Aufzeichnungen des Künstlers, in denen er sein Schaffen dokumentiert hat, im Nachlass befinden. Häufig werden deshalb neben oder statt außenstehenden Experten auch die Erben oder Angehörigen des Künstlers um eine Bestätigung der Echtheit eines Werkes gebeten. Besitzen diese eine marktbeherrschende Zuschreibungsautorität, so können auch sie kartellrechtlich zu einer Authentifizierungsuntersuchung und gegebenenfalls zur Erstellung einer Positivexpertise verpflichtet sein, 764 Dazu eingehend Schack, KuR, Rn 54ff. 765 Zu den Voraussetzungen siehe oben Teil 2 A.I.2.b.
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Desavouierung nach dem Tode des Künstlers
wenn es sich nicht um ein anonymes Werk (§ 13 S. 2 UrhG) des Verstorbenen handelt.766 Allerdings dürfte in der Regel keine sich zu einem Anspruch verdichtende Marktlage bestehen, in der die Erben oder Angehörigen die einzigen sind, die Expertise über das Werk des Verstorbenen besitzen und daher zu deren Erteilung gezwungen werden können.767 Eine marktbeherrschende Stellung eines noch lebenden Künstlers ist viel wahrscheinlicher als die seiner Rechtsnachfolger und Angehörigen. Solange der Künstler lebt, ist sein Wort faktisch maßgeblich und in seiner Authentifizierungswirkung unangefochten. Nach seinem Tod existieren aber oft mehrere Experten, auf deren Wort der Kunstmarkt vertraut. In einem solchen Fall pluraler Zuschreibungsautorität768 sind Kunstsammler nicht auf die Expertise eines bestimmten Angehörigen oder Erben angewiesen.
D.
Gesamtergebnis zu Teil 3: Desavouierungsmöglichkeiten nach dem Tode des Künstlers
Im Ergebnis bestehen einige Möglichkeiten, ein Werk zu desavouieren, nach dem Tode des Künstlers fort – wenn auch nicht im gleichen Umfang wie zu Lebzeiten des Künstlers. Für die Desavouierung des Werkes zur Abwehr einer Beeinträchtigung gilt: Die Erben des Künstlers können aus dem Urheberrecht als eigenem Recht gemäß § 98 I 1 UrhG gegen gefälschte Vervielfältigungsstücke und gemäß §§ 97 I 1, 14 UrhG gegen Entstellungen des Werkes des Verstorbenen vorgehen. Die Angehörigen des Urhebers hingegen können in Wahrnehmung des postmortalen allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Entstellung verfremdete Werke, signierte Stilimitationen und andere dem Künstler fälschlich zugeschriebene Werke desavouieren. Hinsichtlich der vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts, wie z. B. des Namens, besteht auch ein Abwehrrecht der Erben. Doch gelten für die Rechtewahrnehmung durch die Angehörigen wie durch die Erben Einschränkungen: Zunächst können sie nicht nach Gutdünken ein Werk desavouieren, wenn sie sich auf das Urheberpersönlichkeitsrecht oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Künstlers stützen; sie sind hierbei vielmehr an die Interessen des Verstorbenen gebunden. Mit zunehmendem Abstand zum 766 Zur kartellrechtlichen Authentifizierungspflicht des Künstlers siehe oben Teil 2 H.II. 767 Vgl. Ebling/Schulze/Kirchmaier, S. 288. 768 Ein Beispiel dafür ist die Auseinandersetzung zwischen den Jawlensky-Erbinnen und Bernd Fäthke, geschildert bei von Brühl, Marktmacht, 51f.
Gesamtergebnis zu Teil 3
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Tod des Künstlers verblassen dessen Interessen und führen dazu, dass ein Werkstück immer seltener desavouiert werden darf, weil die Interessenabwägung im Einzelfall immer häufiger zugunsten des Sacheigentümers ausfällt. Das Urheberrecht erlischt 70 Jahre nach dem Tode des Künstlers vollständig, das postmortale allgemeine Persönlichkeitsrecht hingegen verblasst allmählich, seine Dauer hängt stark vom Einzelfall ab. Daneben können die Erben als Eigentümer Werkstücke, die sie geerbt haben, durch deren Vernichtung desavouieren und als Inhaber des Vervielfältigungsrechts (§ 16 UrhG) anhand geerbter Druck- bzw. Gussvorlagen weitere Exemplare eines Werkes herstellen und bestehende Originale dadurch abwerten. Erben und Angehörige können sich – wenn sie nicht ausnahmsweise eine marktbeherrschende Zuschreibungsautorität besitzen – weigern, ein Werk zu authentifizieren. In diesem Fall ist ihre Weigerung allerdings auch kein wirksames Desavouierungsmittel, da Zuschreibungsinteressenten dann auf andere Experten zugreifen können.
Schlussbetrachtung
Dekonstruktion und Destruktion sind immer schon Bestandteile der bildenden Kunst. Paradigmatisch hierfür war Robert Rauschenberg mit seinem Werk »Erased de Kooning Drawing« (1953), heute ist es Banksy, der sein »Girl With Balloon« nach dessen Versteigerung noch im Auktionshaus automatisch schreddern ließ und damit das neue Werk »Love is in the Bin« schuf. Gegenstand von Zerstörung sind aber nicht nur die Werkstücke selbst. Immer öfter wird auch die Urheber-Werk-Verbindung dekonstruiert und hinterfragt, wie die zahlreichen Beispiele in dieser Arbeit belegen. Die durch die Verstoßung eines Werkes aufgeworfenen Rechtsfragen sollte die vorliegende Untersuchung aufzeigen und beantworten. Es hat sich gezeigt, dass es vielfältige Gründe gibt, die einen Künstler zur Desavouierung eines Werkes bewegen können. Zugleich ist deutlich geworden, dass der Künstler in seinen Möglichkeiten, ein Werk zu verstoßen, beschränkt ist: Während der Schutzfrist hält das Urheberrecht das Gleichgewicht zwischen den schutzwürdigen Interessen des Urhebers und den Interessen des Werkstückeigentümers aufrecht. Das Gewicht verlagert sich nach dem Tode des Künstlers immer weiter zu Gunsten des Sacheigentümers. Die Thematik dieser Arbeit ist und bleibt exemplarisch für das Spannungsfeld zwischen Sacheigentum und Urheberrecht an Werken der bildenden Kunst.
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Weitere Bände dieser Reihe Band 50: Christian Kube Die Nutzung von Musik im politischen Wahlkampf 2020. 99 Seiten, gebunden € 25,– D ISBN 978-3-8471-1174-0
Band 49: Nico Einfeldt Open Content Lizenzen und das Bearbeitungsrecht 2020. 227 Seiten, gebunden € 35,– D ISBN 978-3-8471-1107-8
Band 48: Marius Tillwich Kartellverbot bei Mediation und Schiedsgerichtsbarkeit im Immaterialgüterrecht 2019. 141 Seiten, gebunden € 30,– D ISBN 978-3-8471-0972-3
Band 47: Jochen Christoph Hegener Die angemessene Vergütung im Urhebervertragsrecht 2019. 214 Seiten, gebunden € 40,– D ISBN 978-3-8471-0955-6
Band 46: Hannes Henke E-Books im Urheberrecht 2018. 230 Seiten, gebunden € 40,– D ISBN 978-3-8471-0904-4
Band 45: Fei Yang Die Haftung von Plattformbetreibern für die Mitwirkung an fremden Rechtsverletzungen nach deutschem und chinesischem Recht 2018. 176 Seiten, gebunden € 35,– D ISBN 978-3-8471-0854-2
Band 44: Victoria-Sophie Stracke Die öffentliche Wiedergabe nach § 15 Abs. 2 UrhG am Beispiel sozialer Medien 2018. 175 Seiten, gebunden € 35,– D ISBN 978-3-8471-0836-8
Band 43: Jan Hendrik Schmidt Maximalschutz im internationalen und europäischen Urheberrecht 2018. 264 Seiten, gebunden € 40,– D ISBN 978-3-8471-0800-9
Band 42: Lukas Mezger Die Schutzschwelle für Werke der angewandten Kunst nach deutschem und europäischem Recht 2017. 237 Seiten, gebunden € 40,– D ISBN 978-3-8471-0696-8