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German Pages 417 [420] Year 2011
IM DIENST DER NATION Identitätsstiftungen und Identitätsbrüche in Werken der bildenden Kunst
M N E M O S Y N E . S C H R I F T E N D E S I N T E R N AT I O N A L E N WA R B U R G - KO L L E G S
IM DIENST DER NATION Identitätsstiftungen und Identitätsbrüche in Werken der bildenden Kunst HERAUSGEGEBEN VON MATTHIAS KRÜGER UND ISABELLA WOLDT
Akademie Verlag
INHALT
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Die Nationalisierung der Kunst Eine Einleitung Matthias Krüger / Isabella Woldt
NATIONALE STILE – NATIONALE ORNAMENTE
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Das Krisalline als nationales Ornament Peter Behrens und die deutsche Hoffnung auf einen »Großen Stil« Anna Großkopf
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Von Westen nach Osten Zur Stilisierung einer nationalen japanischen Ästhetik am Beispiel des deutschen Architekten Bruno Taut Vera Wolff
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Der Holzstil Expressionistische Beiträge zur »neuen deutschen Kunst« Monika Wagner
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»… die Kunst muss aus nationalem Boden hervorgehen« Die Erfindung des tschechischen Nationalstils Jindrˇich Vybíral
NATION UND AVANTGARDE
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»... and now what, you biedermänner?« Franz Wilhelm Seiwert and the Germanness of Neue Sachlichkeit Lynette Roth
119 Making the Cosmopolitan National The Politics of Assimilation and the Foreign Artist in Interwar France Kate C. Kangaslahti
141 The Faces of Fascism Re-Reading Giorgio de Chirico’s Self-Portraiture Jennifer Hirsh
KUNSTGEOGRAPHIE
169 Schooling Adam Elsheimer A Case of Disputed Nationality Itay Sapir
187 Die Farben der Heimat Zur Ideologisierung des Lokalkolorits in der Malerei Emil Noldes Matthias Krüger
BAU UND NATIONALER ÜBERBAU
209 Die nationale Dimension von Architektur und Städtebau Umkodierung päpstlicher Repräsentationsanlagen nach 1870 Britta Hentschel
233 Heime der Nation Die Vereinshäuser in Ljubljana und Maribor Monika Pemicˇ
261 »A Church for National Purposes« Sakralbaukunst in Washington im Dienst nationaler Repräsentationsansprüche Anna Minta
287 Macht der Kulisse Der Limburger Dom als politische Projektionsfläche im Nationalsozialismus Jennifer Verhoeven
309 Das Atatürk-Mausoleum in Ankara Paul Bonatz, Rudolf Belling und die Genese eines türkischen Nationaldenkmals Burcu Dogramaci
NATIONALE MYTHEN
325 Garten und Grenze Konstruktionen holländischer Identität in Dünenlandschaften des 16. und 17. Jahrhunderts Miriam Volmert
345 Architekturcodes im barocken Adelssitz Der Sarmatismus als vormoderne Form nationaler Identitätsstiftung in Polen-Litauen Isabella Woldt
373 Fremde Künstler – Eigene Mythen Der polnische Künstler Antoni Piotrowski und das Massaker im bulgarischen Batak Martina Baleva
399 Register 405 Abbildungsnachweis
DIE NATIONALISIERUNG DER KUNST Eine Einleitung MATTHIAS KRÜGER / ISABELLA WOLDT
Nur wenige Tage bevor die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Internationalen Warburg-Kollegs 2006 das erste Mal in Hamburg zusammentrafen, um über die »Nationalisierung der Kunst« zu diskutieren, lieferte die Tagespolitik einen erneuten Beleg für die Aktualität des gewählten Themas. Die hessische Landesregierung hatte der Öffentlichkeit einen Fragebogen vorgestellt, den künftig jeder Zuwanderer zu bestehen habe, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. In diesem Fragebogen wurde nach der Verfassung der Bundesrepublik und ihren politischen Institutionen ebenso wie nach der deutschen Geographie, Geschichte und Kultur gefragt. Zwei der einhundert Fragen galten den bildenden Künsten. So sollte der Einbürgerungswillige den Namen derjenigen Ausstellung zeitgenössischer Kunst nennen, die alle fünf Jahre in Kassel stattfindet. Diese Frage nach der documenta dürfte auch durch den Wunsch motiviert worden sein, die kulturpolitische Bedeutung einer weltoffenen, der künstlerischen Moderne gegenüber aufgeschlossenen Nation zu präsentieren. Die zweite Frage, die sich mit Kunst befasste, lautete: »Der Deutsche Maler Caspar David Friedrich malte auf einem seiner bekanntesten Bilder eine Landschaft auf der Ostseeinsel Rügen. Welches Motiv zeigt dieses Bild?« Die Frage ist etwas unscharf formuliert, denn gleich mehrere bekannte Werke Friedrichs basieren auf Zeichnungen, die der Künstler auf Rügen angefertigt hatte. Gleichwohl ist hier zweifelsohne Friedrichs Gemälde Kreidefelsen auf Rügen gemeint |Abb. 1|. Dieses Bild hat in der kunstgeschichtlichen
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1 Caspar David Friedrich: Kreidefelsen auf Rügen, um 1818, Öl auf Leinwand, 90,5 × 71 cm, Winterthur, Museum Oskar Reinhart
Forschung zu unterschiedlichen Deutungen geführt: Vor allem die in ihm gezeigten Figuren – eine sitzende Frau sowie die beiden Männer, der eine an einem Baum gelehnt, der andere sich vorsichtig zum Abgrund vortastend – geben Rätsel auf.1 Die Frage aus dem Einbürgerungstest galt allerdings nicht den drei Personen, sondern der Landschaft. Die richtige Antwort hatte demnach »Kreidefelsen« zu lauten.2 Außer Friedrich wird kein anderer deutscher Maler oder Bildhauer in dem Fragebogen genannt. Eine ähnliche Sonderstellung wird ihm auch in den drei voluminösen Bänden Deutsche Erinnerungsorte eingeräumt, dem deutschen Äquivalent zu Pierre Noras so einflussreicher Publikation Les Lieux de mémoire.3 Auch dort bleibt Friedrich der einzige deutsche Maler, dem ein eigener Beitrag gewidmet ist. Dieser unterscheidet sich jedoch von dem Fragebogen insofern, als er nicht Friedrich in den Dienst der Nation nimmt, sondern sich kri-
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2 Caspar David Friedrich: Gräber gefallener Freiheitskrieger, 1812, Öl auf Leinwand, 49,5 × 70,5 cm, Hamburger Kunsthalle
tisch mit eben dieser nationalen Vereinnahmung des Künstlers auseinandersetzt.4 Tatsächlich werden in Friedrichs Werken heute gern Ikonen des Deutschtums gesehen; eine nationale Lesart, der auch Hans Belting anheimfiel, als er über die Landschaftsgemälde des Künstlers schrieb: »Nie war die Malerei in der Moderne deutscher als hier.«5 Und auch Der Spiegel bediente ein solches Stereotyp, wenn er für auf dem Titelbild einer der deutschen Geschichte gewidmeten Ausgabe Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer von 1818 in Szene setze.6 Doch wem oder was verdankt Friedrich eine solche Sonderstellung? Zum einen gewiss dem Tatbestand, dass sein Werk sich im Kontext der anti-napoleonischen Kriege verorten lässt, in deren Zuge es in Deutschland zu den ersten systematischen Aufwallungen nationaler Bestrebungen kam. Die politischen Ereignisse dieser Zeit haben in Friedrichs Werk in einer Reihe von Gemälden ihren Niederschlag gefunden. Ein prominentes Beispiel stellen hier etwa die Gräber gefallener Freiheitskrieger von 1812 dar |Abb. 2 |. Vor dem Eingang zu einer Grotte, vor der die Figuren zweier Soldaten auszumachen sind, finden sich auf felsigem Untergrund eine Reihe von Gräbern, deren nur aus Nahsicht beziehungsweise mit einer Lupe zu entziffernden Inschriften auf patriotische Taten verweisen. In einen Obelisken links der Grotte sind die Worte »Edler Juengling, Vaterlands-Erretter« gemeißelt, auf dem Sarkophag links liest man »Friede Deiner Gruft / Retter in Not«, auf seinem
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Gegenstück auf der rechten Bildhälfte: »Des edel Gefallenen fuer Freiheit und Recht«. Schließlich findet sich im dunklen Bildvordergrund noch ein verwitterter Grabstein mit der in rot gehaltenen Inschrift »Arminius«, womit eine historische Gestalt aufgerufen wird, die vor allem in der Zeit der »Befreiungskriege« zu einem deutschen Mythos geworden war.7 In seinem Sieg gegen die Römer schien gleichsam der Sieg gegen Napoleon präfiguriert; ein Gedanke, den Friedrich in seinem Bild durch eine in den Farben der französischen Trikolore gemusterte Schlange veranschaulicht, die über das Arminiusgrab kriecht. Während in den Gräbern gefallener Freiheitskämpfer die Inschriften eine patriotische Botschaft des Gemäldes explizit machen, verweigern andere Bilder des Künstlers eine derart offensichtliche Lesart. Friedrichs Bilder sprechen jedenfalls nicht jene aggressive nationalistische Sprache, die der Maler in einigen seiner Briefe anklingen lässt; etwa in jenem schroffen Antwortschreiben vom 24. November 1808 auf einen Brief seines Bruders, den dieser ihm aus Lyon geschickt hatte. Nicht nur rügt Friedrich ihn für seinen Frankreichaufenthalt, da er Zweifel an seinem »Teutschtum« aufkommen lasse, sondern verbietet sich darüber hinaus jede weitere Postsendung von ihm, solange er nicht wieder die deutsche Grenze überschritten habe.8 Dass Friedrich im Medium der Malerei jedoch vor derart grimmigen Formulierungen nationalen Hasses zurückschreckte, dokumentiert ein Brief an Louise Seidler vom 2. Mai 1814. In ihm berichtet er von der Fertigstellung seines heute verschollenen Gemäldes Stürmische Dämmerlandschaft mit Raben, nicht ohne zu erwähnen, dass ihm ursprünglich ein anders Sujet vorgeschwebt hatte: »Dieses Bild war ganz anders in der Anlage: auf dem öden Sandfleck umher stehen Pfähle, woran Bretter gebunden, vom Winde bewegt, alle mit der Inschrift ›Vaterlandverräter‹. Im mittelsten stak in einem großen Loch ein langer Pfahl, auf dem Pfahl ein Rad, auf dem Rade ein Mensch, an dessen Hände eine Tafel gebunden mit der Inschrift ›Vaterlandsverräter‹. Ich gedachte an manche Bestie dabei, aber das Bild wurde mir doch zu ekelhaft, ich war nicht imstande, es auszuführen.«9 Auch wenn Friedrichs Malerei »in den Bildzeichen unterdeterminiert« erscheint, so lässt sich doch fragen, ob nicht das, was die Ikonographie verweigert, in anderen Bildkomponenten zum Ausdruck kommt.10 Ist es nicht möglich, dass jene Vorliebe für die altdeutsche Tracht, wie sie so viele Figuren auf Friedrichs Bildern als Zeichen ihrer nationalen Gesinnung zur Schau tragen, in seiner Feinmalerei ihre maltechnische Entsprechung hat? Liest sich die akribische Ausführung seiner Gemälde nicht wie eine Reminiszenz an die altdeutsche Malerei, die für Friedrichs Zeitgenossen gern als Zeugnis ehrlichen deutschen Handwerks verehrt wurde?11 Ganz in diesem Sinne konnte eine penible, detailverliebte Ausführung im Kunstdiskurs der Romantik als Gegenwert zur Skizzenhaftigkeit der neueren französischen Malerei ins Feld geführt werden.12 Stereotype dieser Art legen es zumindest nahe, dass auch in Friedrichs »Spitzpinselmalerei« ein nationales Bekenntnis zum Ausdruck kommt. Dennoch
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würde eine lediglich nationale Deutung von Friedrichs Werk zu kurz greifen, nicht zuletzt, weil die meisten seiner Gemälde weniger national als religiös gestimmt waren. Zum Repräsentanten einer spezifischen deutschen Kunstgeschichte wurde Friedrich erst mit seiner Wiederentdeckung gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch eine nationalistisch gesonnene Kunstgeschichtsschreibung. Ihr konnte die »deutschen Innerlichkeit«, wie sie sich in den Werken Friedrichs und anderer Romantiker zu manifestieren schien, als Gegenwert zu der von ihnen ebenso verhassten wie beneideten französischen Moderne dienen.13 Im 19. Jahrhundert avancierte die Nation zu einem »Letztwert«, zu einer Wertekategorie, die über alle anderen gestellt wurde und für die man im Extremfall sein Leben zu geben hatte. Im Zuge dieser Entwicklung wurde auch die Kunst zunehmend von Nationalismen in die Pflicht genommen. Am deutlichsten zeigt sich dies an der Historienmalerei, weshalb es kaum verwundert, dass in kunsthistorischen Untersuchungen zur Beziehung zwischen Kunst und Nationalismus oft Werke mit historischen oder mythologischen Themen im Vordergrund standen.14 Mit der Historienmalerei ist allerdings auch just jene Gattung der Malerei benannt, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts künstlerisch wie keine andere Gattung an ihr ästhetisches Ende geriet. Daher rührt es, dass im Gegensatz zu Friedrich die vielen großformatigen Darstellungen nationaler Mythologie und Historien, die in dieser Zeit entstanden, zumeist von künstlerisch recht dürftiger Qualität sind und nicht selten einer »unfreiwilligen Komik muffiger Kostümstücke mit pathetisch chargierenden Akteuren« anheimfallen.15 Doch nicht nur die Ikonographie konnte Träger nationaler Ideologien sein. In der Moderne und Avantgarde des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gewannen formale Aspekte gegenüber dem Inhalt zunehmend an Bedeutung. Aus diesem Grund wurde im vorliegenden Tagungsband im bewussten Gegensatz zur älteren kunsthistorischen Nationalismusforschung der Fokus von den nationalen Sujets auf primär künstlerische Komponenten verschoben, und nach der nationalen Aufladung bestimmter Techniken und Materialien, Farben und Ornamente gefragt. Dass schließlich aber die Beziehung zwischen Nation und Avantgarde durchaus problematisch wurde, ergibt sich bereits aus den unterschiedlichen Zielvorgaben, widersprach doch die nationale Indienstnahme der Avantgarde deren Credo von der Autonomie der Kunst. Nation und Kunst stehen also in der Moderne in einem durchaus komplexen Spannungsverhältnis.16 Obwohl erst seit dem 19. Jahrhundert Kunst gern »exklusiv als Produkt der Nationalität oder Ethnizität« gesehen wird, bedeutet dies nicht, dass es »Vorstellungen von Nation und ethnischer Zugehörigkeit« zuvor nicht gegeben hätte, doch bedeuteten diese Begriffe, so soll hier mit Thomas DaCosta Kaufmann insistiert werden, »nur eine Form kultureller Identität« neben und in Konkurrenz zu anderen Formen der Identität: »Andere Konzepte scheinen dominierender gewesen zu sein: Familie, Stand, Handwerk, Klasse, Stadt, Religion und Region.«17 Diesen Sachverhalten trägt der vorliegende Sammelband insofern Rechnung, als sich zwar die Mehrzahl der Aufsätze mit der Moderne beschäftigt, zugleich aber auch die
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Vor- und Frühformen nationaler Kunst ins Visier genommen werden. So bilden sich erste nationale Ikonographien bereits zu Beginn der frühen Neuzeit heraus. Die Kunst der Vergangenheit spielte für die nationalistisch motivierte Kunstgeschichtsbeschreibung im 19. und frühen 20. Jahrhundert jedoch noch in einer anderen Hinsicht eine wichtige Rolle, bildete sie doch jenen Fundus, aus dem diese sich ihre jeweiligen nationalen Traditionen »erfinden« ließen. Es handelt sich hier um eine nachträgliche Nationalisierung der künstlerischen Produktion früherer Epochen, um eine Vergangenheitsanverwandlung, die etwa bei der Restaurierung historischer Gebäude durchaus auch den physischen Bestand des Kunstwerks maßgeblich zu ändern vermochte. Im selben Maß wie die Bildkünste diente nämlich auch die Architektur der Konstruktion von nationalen Bildern und Historiographien. Und schließlich bedurfte man ihrer zum Aufbau »kollektiver Nationaldenkmäler«. Die Nationalisierung der Architektur umfasste dabei nicht nur neu zu errichtende Bauwerke, sondern erstreckte sich über historische Stilelemente oder gesamte Komplexe bereits gebauter Architektur bis auf den urbanen Raum. Nicht selten wurde eine bewusste national gestimmte Umkodierung der Architektur, insbesondere von symbolträchtigen oder die herrschaftliche Überlegenheit vermittelnden Repräsentationsbauten vorgenommen. National besetzt wurde nicht nur profane, sondern auch sakrale Architektur, wodurch zugleich das Religionsbekenntnis zum Zweck nationaler Identitätsstiftung vereinnahmt wurde. Dass die Aufträge zur Schaffung nationaler Kunst und Architektur in vielen Fällen an ausländische Künstler erteilt wurden, führte nicht selten zu einer äußerst ambivalenten Rezeption der Werke seitens der einheimischen Bevölkerung. Der vorliegende Band erforscht sowohl jene Kunst, die im nationalen Auftrag beziehungsweise aus nationaler Überzeugung geschaffen wurde, als auch solche Kunst, die von Seiten der Kunstkritik, der Kunstgeschichtsschreibung, der Museen oder der Politik in den Dienst der Nation genommen wurde, unabhängig von der Tatsache, ob die in Rede stehenden Werke tatsächlich national intendiert waren oder nicht. Kunsthistorische Untersuchungen haben immer wieder gezeigt, auf welche Weise die Kunst zur Formung nationaler Identitäten beigetragen hat; und auch in der historischen Nationalismusforschung hat sich längst die Erkenntnis durchgesetzt, dass es sich bei Nationen um historische Konstruktionen handelt.18 Das Thema des vorliegenden Bandes wird also so lange nicht an Brisanz verlieren, wie der Nationalismus in Politik und Gesellschaft auch die Ausdrucksmittel der bildenden Kunst zu seinen Zwecken nutzt, beispielsweise um die Identität nationaler Gruppen durch Bilder, Skulpturen und Architekturen zu stiften oder zu bekräftigen, aber auch um diese Konstrukte mit den Mitteln der Kunst zu attackieren.
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1 Zur Deutung des Gemäldes vgl. Werner Hofmann: Caspar David Friedrich. Naturwirklichkeit und Kunstwahrheit, München 2000, S. 127. 2 Vgl. Herrmann Zschoche: Caspar David Friedrichs Rügen. Eine Spurensuche, Husum 2007, S. 78–90. 3 Vgl. Etienne François u. Hagen Schulze (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde., München 2001; Pierre Nora (Hg.): Les lieux de mémoire, 7 Bde., Paris 1997. 4 Werner Busch: Caspar David Friedrich, in: François, Schulze 2001 (wie Anm. 3), Bd. III, S. 516–530. 5 Hans Belting: Identität im Zweifel. Ansichten der deutschen Kunst, Köln 1999, S. 67. 6 Vgl. Hofmann 2000 (wie Anm. 1), S. 13, Abb. 2. 7 Vgl. Werner M. Doyé: Arminius, in: François, Schulze 2001 (wie Anm. 3), S. 587–602. 8 Hermann Zschoche (Hg.): Caspar David Friedrich. Die Briefe, Hamburg 2005, S. 47. 9 Zitiert nach ibid., S. 89. 10 Werner Busch: Caspar David Friedrich. Ästhetik und Religion, München 2003, S. 80. Gegen eine solche Lesart Friedrichs richtet sich Scholl, der auf die emblematische Struktur verweist, die Friedrichs Gemälden oft zugrundeliegen; vgl. Christian Scholl: Romantische Malerei als neue Sinnbildkunst, Berlin, München 2007. 11 Vgl. Ludwig Tieck: Fanz Sternbalds Wanderungen [1798], Stuttgart 1994, S. 120, wo es in einer fiktiven Rede Albrecht Dürers heißt: »Die Liebe zum Fleiß und zur Mühseligkeit scheint mir übrigens etwas zu sein, was uns Deutschen angeboren ist; es ist gleichsam unser Element, in dem wir uns immer wohlbefinden. Alle Kunstwerke, die Nürnberg aufzuweisen hat, tragen Spuren an sich, daß sie der Meister mit sonderbarer Liebe zu Ende führte, daß er keinen Nebenzweig vernachlässigte und gering schätzte […].« 12 Vgl. Ludwig Richter: Lebenserinnerungen eines deutschen Malers. Selbstbiographie nebst Tagebuchniederschriften und Briefen [1885], Leipzig 1909, S. 176 f.: »Die französischen Maler mit ihren Riesenkasten brauchten zu ihren Studien ungeheure Quantitäten von Farbe, welche mit großen Borstpinsel halb fingersdick aufgesetzt wurde. Stets malten sie aus einer gewissen Entfernung, um nur einen Totaleffekt, oder wie wir sagten einen Knalleffekt zu erreichen. Sie verbrauchten natürlich sehr viel Maltuch und Malpapier, denn es wurde fast nur gemalt, selten gezeichnet; wir dagegen hielten es mehr mit dem Zeichnen als mit dem Malen. Der Bleistift konnte nicht hart, nicht spitz genug sein, um die Umrisse bis ins feinste Detail fest und bestimmt zu umziehen. Gebückt saß ein jeder vor seinem Malkasten, der nicht größer war als ein kleiner Papierbogen, und suchte mit fast minuziösen Fleiß auszuführen, was er vor sich hatte.« 13 Zur Rezeption Friedrichs vgl. Werner Hofmann (Hg.): Caspar David Friedrich und die Nachwelt, Frankfurt am Main 1974. 14 Vgl. Monika Flacke (Hg.): Mythen der Nationen. Ein europäisches Panorama, München et al. 1998. 15 Stefan Germer: Retrovision. Die rückblickende Erfindung der Nationen durch die Kunst, in: Flacke 1998 (wie Anm. 14), S. 33–52, 46. 16 Vgl. Jacek Purchla u. Wolf Tegethoff: Nation, Style, and Modernism, in: id. (Hg.): Nation, Style and Modernism, Krakau, München 2006, S. 7–8. Purchla und Tegethoff erkennen ein sich im 20. Jahrhundert
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herausbildendes Spannungsverhältnis zwischen Nationalismus und einer sich international gebarenden Moderne. 17 Thomas DaCosta Kaufmann: Höfe, Klöster und Städte. Kunst und Kultur in Mitteleuropa 1450–1800, Köln 1998, S. 21. 18 Vgl. Benedict Anderson: Imagined Communities, London 1983; Ernest Gellner: Nations and Nationalism, Ithaca. London 1983; Eric Hobsbawm u. Terence Ranger (Hg.): The Invention of Tradition, Cambridge 1983.
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DAS KRISTALLINE ALS NATIONALES ORNAMENT Peter Behrens und die deutsche Hoffnung auf einen »Großen Stil« ANNA GROSSKOPF
Kunst und Nationen um 1900 Mit der Erweiterung der Märkte im beginnenden Industriezeitalter gerieten die angewandten Künste immer stärker in den Brennpunkt nationaler Kontroversen. Seit 1851 fungierten die Weltausstellungen als Plattform für eine technische und kunsthandwerkliche Leistungsschau der Nationen, die nun zunehmend versuchten, sich in der Gestaltung von Gebrauchsgegenständen durch einen eigenen Nationalstil zu profilieren.1 Um die Jahrhundertwende schließlich war das Interesse am Kunstgewerbe so groß geworden, dass man, zusätzlich zu den Weltausstellungen, eigene Internationale Kunstgewerbeausstellungen zu veranstalten begann, auf denen die Nationen ihre neuen Errungenschaften vorstellten. Bei der Suche nach einem unverwechselbaren Nationalstil im Kunstgewerbe geriet bisweilen auch die Ornamentik, als möglicher Träger eines solchen Stils, in den Blick der national orientierten Kunsttheorie. Das Beispiel des frühen Peter Behrens zeigt solch einen seltenen, doch aussagekräftigen Fall der Nationalisierung eines Ornaments. Dieser Beitrag möchte anhand einer Rezeptionsanalyse der Ornamentik von Peter Behrens zeigen, wie das Kristalline als Ornamentmotiv in den Jahren um 1900 zum Gegenstand einer nationalen Kodierung werden konnte. Dazu wurden vor allem Presseberichte und Rezensionen ausgewertet, die zwischen 1899 und 1902 in zeitgenössischen deutschen Kunstzeitschriften wie Deutsche Kunst und Dekoration, Dekorative Kunst, Die Kunst für Alle oder Die Rheinlande erschienen sind.
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Das Thema einer nationalen Kunst war um 1900 in Europa außerordentlich virulent. Besonders in Deutschland, wo der Wunsch nach einer kollektiven Volksidentität auf politischer Ebene lange Zeit keine Entsprechung gefunden hatte, geriet das Verlangen nach einem eigenen Nationalstil immer mehr in den Vordergrund. Schon die Romantiker hatten nach einer Kunst gesucht, in der sich ein überhistorisches »deutsches Wesen« artikulieren sollte und ihren Blick dabei vor allem auf die Kunst der Vergangenheit gerichtet. Insbesondere die Gotik erschien ihnen als Prototyp eines deutschen Nationalstils. Schon hier geriet das Kristalline in den Blick: Gotische Bauwerke wurden mit natürlichen Kristallisationen verglichen und es entstand der Topos der kristallinen Gotik, der besonders in Caspar David Friedrichs Kathedralenphantasien Gestalt annahm.2 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann die Suche nach einem zeitgenössischen Nationalstil, der von Kunsttheoretikern und -kritikern nun explizit gefordert wurde. Das Argument des Nationalen war als wissenschaftliches Kriterium allgemein anerkannt und gewann Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung. Der von den Romantikern formulierte Gedanke, dass die Zukunft eine Kunst auf der Grundlage des »nationalen Wesens« bringen müsse, war um 1900 in Deutschland bereits zu einem Gemeinplatz der Kunstkritik geworden. In den Kunstzeitschriften erschienen programmatische Aufsätze, die vermeintlichen Manifestationen eines »deutschen Wesens« in der Kunstgeschichte nachspürten und versuchten, ihre Ergebnisse auf die gegenwärtige Kunstproduktion anzuwenden.3 Die zunehmende Internationalisierung weckte den Wunsch nach einem zeitgenössischen deutschen Nationalstil, der zugleich international akzeptabel und konkurrenzfähig sein sollte. Spätestens seit der Jahrhundertwende stand die Frage nach einem adäquaten Ausdruck nationaler Zeitgenossenschaft im Zentrum der Kunstdebatte. Es begann die Diskussion um den »Neuen Stil«. Fast gleichzeitig setzte auf allen Gebieten der bildenden Kunst ein ausgesprochenes »Stilwollen« ein, das auch der Architekt und Designer Peter Behrens in einer kunsttheoretischen Schrift reflektierte: »Der Stil ist das Symbol des Gesamtempfindens, der ganzen Lebensauffassung einer Zeit, und zeigt sich nur im Universum der Künste. Die Harmonie der Kunst ist das schöne Sinnbild eines starken Volkes.« 4 Das Streben des deutschen Kaisers nach Weltgeltung auf politischer Ebene schien sich auf die deutsche Kulturlandschaft regelrecht zu übertragen, und nicht wenige kulturpolitische Initiativen zielten auf die Förderung einer nationalen, deutschen Kunst. Besonders dem Kunstgewerbe wurde dabei großes Interesse entgegengebracht, da es, so die allgemeine Auffassung, »am unmittelbarsten in das Leben des Volkes eingreife«.5 Mit der Darmstädter Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration und der Münchener Dekorativen Kunst existierten in Deutschland gleich zwei große, aufwendig ausgestattete Magazine, die nach dem Vorbild der seit 1893 erscheinenden englischen Jugendstilzeitschrift The Studio ganz dem zeitgenössischen Kunstgewerbe gewidmet waren. Besonders die seit 1898 von Alexander Koch herausgegebene Deutsche Kunst und Dekoration, die das Projekt der Darmstädter Künstlerkolonie publizistisch begleitete, vertrat mit großem Nachdruck den Standpunkt einer nationalen Kunsttheorie.
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So wurde beispielsweise die im 19. Jahrhundert recht verbreitete Mode, sein Haus in unterschiedlichen Nationalstilen einzurichten, also etwa ein französisches, ein altdeutsches und ein chinesisches Zimmer zu besitzen, von zeitgenössischen Kritikern nun polemisch attackiert. Der Deutsche sollte sich in seinem täglichen Lebensraum mit Dingen umgeben, die »deutsches Wesen« und »deutsche Kultur« sinnfällig repräsentierten: »Es mag wohl einer an einem lustigen Winterabend als Türke zur Maskerade gehen, allein was würden wir von einem Menschen halten, der ein ganzes Jahr sich in einer solchen Maske zeigen wollte? Wir würden von ihm denken, dass er entweder schon verrückt sei, oder dass er doch die größte Anlage habe, es sehr bald zu werden.«6 Die 1899 gegründete Künstlerkolonie auf der Darmstädter Mathildenhöhe ist nicht zuletzt vor diesem Hintergrund zu sehen. Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein, der Initiator und Mäzen dieses Unternehmens, versprach sich davon eine Förderung und Belebung des lokalen Kunstgewerbes, die sich nicht nur wirtschaftlich positiv bemerkbar machen, sondern auch dazu beitragen sollte, einem zukünftigen deutschen Nationalstil die günstigsten Entstehungsbedingungen zu verschaffen. In zeitgenössischen Presseberichten wurde der Großherzog als Förderer einer modernen deutschen Kunst gefeiert, die sich endlich von überkommenen Historismen und ausländischen Einflüssen befreien sollte. Die erste Ausstellung der Künstlerkolonie trug daher den programmatischen Titel Ein Dokument deutscher Kunst.
Vom Organischen zum Kristallinen Im Jahre 1899 wurde der damals zweiunddreißigjährige Peter Behrens von Großherzog Ernst Ludwig von Hessen an die neu gegründete Künstlerkolonie auf der Darmstädter Mathildenhöhe berufen. Peter Behrens, der den meisten heute durch seine späteren Arbeiten als Architekt und als Produktdesigner der Allgemeinen Electricitäts-Gesellschaft (AEG) bekannt ist, war bis zu diesem Zeitpunkt vor allem als Kunstgewerbler und symbolistischer Maler hervorgetreten. Als Mitglied der Münchener Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk hatte er seit 1897 eine Formensprache entwickelt, für die, dem damaligen Zeitgeschmack entsprechend, die organologisch-geschwungene Linie des Jugendstils charakteristisch gewesen war. Das bekannteste Werk des Künstlers aus dieser Zeit, der Farbholzschnitt Der Kuss von 1898, wurde zu einer Ikone des organologischen Jugendstils. Doch schon ein Jahr später, inzwischen in Darmstadt und vom hessischen Großherzog mit der neuen Würde als Professor ausgestattet, vollzog Peter Behrens einen radikalen Stilwechsel: Er wählte den Kristall zum Leitmotiv seiner künstlerischen Produktion und entwickelte ausgehend von diesem Motiv eine strenge, abstrakt-lineare Ornamentik, die er zuerst in einigen kleineren graphischen Arbeiten wie seinem Exlibris aus dem Jahr 1900 erprobte |Abb. 1|. Die hier behandelten Arbeiten von Peter Behrens, in denen das Kristalline vielfach als Ornamentmotiv auftaucht, sind zwischen 1899 und 1902 in Darmstadt entstanden und
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haben sich zum größten Teil nicht erhalten. Es handelt sich dabei vor allem um das Wohnhaus von Peter Behrens in Darmstadt, das architektonische Debüt des Künstlers, in dem auch alle Innenräume und Möbel eigenhändig von ihm entworfen waren |Abb. 2|.7 Hinzu kommt ein Interieur, das Behrens 1902 für den Beitrag des Deutschen Reiches auf der Ersten Internationalen Kunstgewerbeausstellung in Turin entwarf.8 In engem Zusammenhang mit diesen größeren architektonischen Projekten entstanden auch einige graphische und kunstgewerbliche Arbeiten. Da der Künstler nach seinem Weggang aus Darmstadt wiederum einen Stilwechsel vollzog, kann man die hier vorgestellten Arbeiten als geschlossene Werkgruppe betrachten. Die Verwendung des Kristallinen als Ornamentmotiv durch Peter Behrens war zu diesem Zeitpunkt nahezu singulär: Die große Karriere des Kristallinen erreichte ihren Höhepunkt etwa zwanzig Jahre später in der Malerei von Lyonel Feininger und Paul Klee, in der Architektur des Expressionismus und in den Ornamenten des Art Déco.9 Die kunstgewerbliche Produktion im Europa der Jahrhundertwende war dagegen noch fast durchgehend von der eleganten, geschwungenen Formensprache des Jugendstils bestimmt. Umso interessanter ist es zu beobachten, wie die zeitgenössische Kunstkritik auf die so ungewohnte, geometrisch-abstrakte Linie des Kristallinen mit dem Versuch einer nationalen Vereinnahmung reagierte.
Auf der Mathildenhöhe 1 Peter Behrens: Exlibris Peter Behrens, 1900, Originalmaße und Aufbewahrungsort unbekannt
Zum feierlichen Auftakt der Ausstellung Ein Dokument deutscher Kunst inszenierte Peter Behrens ein Eröffnungsfestspiel, zu dem der Schriftsteller und Kunstkritiker Georg Fuchs den Text lieferte. Nach dem letzten Kapitel von Friedrich Nietzsches Also sprach Zarathustra erhielt das Stück den Titel Das Zeichen. Dieses Festspiel, das am 15. Mai 1901 vor dem neu erbauten Ernst-Ludwig-Haus, dem gemeinsamen Ausstellungs- und Ateliergebäude, aufgeführt wurde, lohnt zweifellos einer genaueren Betrachtung, denn das im Titel beschworene »Zeichen« war nichts anderes als ein großer Kristall |Abb. 3|. Die Aufführung kulminierte in der feierlichen Enthüllung dieses Kristalls, der anschließend in einer langen Prozession in das Ernst-Ludwig-Haus getragen wurde. Im Text des Festspiels wurde der Kristall als »Sinnbild neuen Lebens« bezeichnet.10 Er symbolisierte die angestrebte Verwandlung aller Lebensbereiche in Kunst, die mit einem natürlichen Kristallisationsprozess verglichen wurde: »Und
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wie der Kohlenstaub, ergriffen von der Gewalt der Elemente, sich in den leuchtenden, reinen, klargeformten Krystall des Demants wandelt, so wird uns das rohe, ungestaltete Leben zur Kunst, wenn wir es läutern durch die uns eingeborene Macht künstlerischen rhythmischen Formens.«11 Der Kristall wurde auf diese Weise als Symbol der Künstlerkolonie und als Leitmotiv ihrer Reformbestrebungen präsentiert und erschien so gleichsam selbst schon als »Dokument deutscher Kunst«. Der Kristall erscheint in der graphischen Produktion von Peter Behrens daher nicht nur auf seinem persönlichen Exlibris, sondern auch auf dem Frontispiz einer dem Großherzog gewidmeten Festschrift zur Eröffnung der Ausstellung und auf dem Umschlag der Feste des Lebens und der Kunst, einer kunsttheoretischen Programmschrift, die der Darmstädter Künstlerkolonie gewidmet war |Abb. 4–5 |. In dem 1901 fertiggestellten Wohnhaus von Peter Behrens, seinem Beitrag zur Darmstädter Ausstellung, waren Kristalldarstellungen und kristalline Ornamentik nahezu 2 Peter Behrens: Haus Behrens, 1901, Fotografie W. Weimer omnipräsent. Schon die Eingangstür zeigte ein kristallines, strahlenförmiges Ornament aus schmiedeeisernen, bronzierten Bändern. Im Tympanon über der Tür befand sich eine gläserne Vignette mit der Darstellung eines Kristalls, von dem stilisierte Lichtstrahlen ausgingen |Abb. 6|. In einer Achse darüber prangte das gerahmte, große »B«, das Signet des Künstlers. Auf diese Weise wurde das Kristalline sowohl dem Künstler als auch dem Haus als eine Art Motto zugeordnet. Eine kristallförmige Lampe diente als Außenbeleuchtung und auch die Deckenlampe in der Diele war als gläserner Polyeder gestaltet. Im Inneren des Hauses zeigte sich durchgehend eine Tendenz zu spitzwinkligen, kristallinen Ornamenten. Besonders prominent wirkten diese jedoch im Musikzimmer, dem größten und wichtigsten Repräsentationsraum des Hauses |Abb. 7|. Das Kristalline erschien hier sowohl attributiv-gegenständlich als auch ästhetisch-strukturell. So wurde die breite Schiebetür, die das Musikzimmer mit dem angrenzenden Speisezimmer verband, von zwei Glasmosaiken flankiert, auf denen überlebensgroße, stilisierte weibliche Figuren je einen strahlenden Kristall in den Händen hielten |Abb. 8|. Aus diesen kristallinen Strahlenbündeln wurde das gesamte dekorative System des
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Raumes entwickelt. Alle Möbel und Einrichtungsgegenstände von den seidenen Vorhängen bis hin zum Parkettfußboden wurden von kristallinen, spitzwinkligen, strahlen- oder rautenförmigen Ornamenten beherrscht. Die Sessel und Beistelltische waren mit kristallinen Ornamenten in Einlegearbeit geschmückt, den Flügel flankierten zwei bronzene Standleuchter mit strahlenförmigem Fuß und die Ablagefläche des Notenständers war als kristallines Strahlenbündel gestaltet. Auch der Flügel zeigte kristalline Ornamente in einer aufwendigen Einlegearbeit und der Parkettfußboden war ein einziges großes kristallines Ornament. Die Wirkung dieses ganz einem einzigen Ornamentmotiv unterworfenen Raumes war offenbar so stark, dass das Musikzimmer schon in einer zeitgenössischen Rezension als »Kristalldruse« bezeichnet wurde.12 3 Wilhelm Pöllot: Aufführung des von Peter Behrens inszeZu den größten Bewunderern der nierten Eröffnungsfestspiels »Das Zeichen« vor dem ErnstLudwig-Haus, Darmstadt, 15. Mai 1901 Werke von Peter Behrens gehörte um 1900 der Berliner Historiker Kurt Breysig, der für verschiedene Kunstzeitschriften als Kritiker tätig war. Breysig verfasste 1901 einen größeren Artikel über das Haus Behrens, der auch im Katalog der Darmstädter Ausstellung abgedruckt wurde. In diesem Aufsatz ordnete Breysig das Haus in eine weltkunsthistorische Perspektive ein und beschrieb ausführlich seine Bedeutung für die Entwicklung einer deutschen Nationalkunst. Ein eigenständiger Nationalstil war für ihn von zentraler Bedeutung für die Entstehung einer nationalen Volksidentität. Noch wichtiger als die Verwirklichung politischer und militärischer Ziele war es in den Augen Breysigs, »daß der Deutsche endlich einmal eine Geste, die deutsche Geste bekomme.«13 In den Arbeiten von Peter Behrens schien sich für ihn, ebenso wie für viele andere, diese »deutsche Geste« zum ersten Mal zu offenbaren. Laut Breysig sehnten sich die Deutschen, »deren Augen durch tausend Glätten zugleich verwöhnt und ermüdet sind« nun nach einem Stil der »harten und zackigen Linien«, den er in der geometrisch-kristallinen Formensprache der Behrens’schen Ornamentik verwirklicht sah.14 Angesichts des Hauses Behrens sah sich Breysig auch zu folgender Betrachtung veranlasst: »Aber es beginnt sich doch unter uns die stolze Meinung
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4 Peter Behrens: Kristall, 16 × 9,5 cm, Illustration aus id.: Ein Dokument deutscher Kunst: Die Ausstellung der Künstler-Kolonie in Darmstadt, 1901. Festschrift Ernst Ludwig, dem Großherzog von Hessen und Rhein, München o. J. [ca. 1901], S. 4
5 Peter Behrens: Feste des Lebens und der Kunst, 1900, Buchumschlag, brauner Pappumschlag, Schmuck gold, Schrift schwarz gedruckt, 21,8 × 17,8 cm, Hamburg, Staatsund Universitätsbibliothek
zu regen, daß es dem germanischen Weltzeitalter nicht ziemt, bis ans Ende der Tage in dienender Haltung dort Schüler und Nachahmer zu sein, wo es endlich, endlich den eigenen Wuchs seines Wesens emporrecken sollte.«15 Was Kurt Breysig hier vornahm, könnte man als die Nationalisierung eines Ornaments bezeichnen. Eine abstrakte Form, die »harte und zackige« Linie des Kristallinen, wurde gedanklich und argumentativ mit einem politischen Inhalt, dem vermeintlichen Aufkeimen eines »germanischen Weltzeitalters« verknüpft. Umgekehrt wurde dem »germanischen Weltzeitalter« ein ganz bestimmter ästhetischer Gestaltungswille zugesprochen, der sich in kristallinen Formen ausdrücken sollte. Wer sich mit der Geschichte einer Symbolik des Kristallinen auseinandersetzt, wird schnell bemerken, dass der Kristall wie kaum ein anderes Symbol im Laufe der Jahrhunderte für die unterschiedlichsten Bedeutungen in Anspruch genommen wurde.16 Seit der Antike galt er als kosmisches, seit dem Mittelalter auch als religiöses und mystisches Symbol. Seine althergebrachte Bedeutung als aristokratisches Herrschaftszeichen verhinderte nicht, dass Lyonel Feininger den Kristall um 1920 in seinen Entwürfen zu kristallinen Kathedralen des Sozialismus zum Sinnbild gesellschaftlicher Utopien umdeuten konnte. Gegensätzliches kann im Bild des Kristallinen symbolisch zur Einheit gebracht werden; so steht das Kristal-
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line einerseits für Leben und Wachstum, während es andererseits als Symbol für Tod und Erstarrung gedeutet werden kann. Seine Form ist abstrakt genug, um als Projektionsfläche für die unterschiedlichsten Themen zu dienen, die es, und darin liegt seine besondere Anziehungskraft, mit tiefer, pseudo-religiöser Bedeutung zu erfüllen vermag.
Das Kristalline als Gegenentwurf Was aber qualifizierte bei einer so großen Bandbreite an möglichen Bedeutungen das Kristalline für eine Indienstnahme als spezifisch deutsche Form? War das Kristalline am Ende das letzte unter den Motiven der großen Ornamentkompendien des 19. Jahrhunderts, das noch nicht historisch belastet oder von anderen Nationen besetzt war?17 Sicherlich muss der Versuch einer Nationalisierung kristalliner Ornamente als kulturelles Symptom einer Zeit gesehen werden, in der auf allen Gebieten händeringend nach Nationalisierungsmöglichkeiten gesucht wurde. Während andere Nationen bereits einen unverwechselbaren und international akzeptierten Nationalstil gefunden hatten, so zum Beispiel Frankreich mit der organologisch-geschwungenen Linie des 6 Peter Behrens: Eingangstür des Hauses Behrens in Darmstadt, 1901, Fotografie Art Nouveau, waren die Deutschen noch auf der Suche W. Weimer und nur zu gerne bereit, den originellen Vorschlag eines jungen Künstlers für ihre Zwecke umzudeuten. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, die wesentlichen Argumentationsstrukturen dieser nationalen Vereinnahmung nachzuzeichnen. Aus welchen ideologischen und philosophischen Quellen speiste sie sich und wie wurde die Abgrenzung gegenüber anderen Nationalstilen gedanklich und argumentativ vollzogen? Das Kristalline galt zunächst als »deutsche Antwort« auf die geschwungenen, »weichen« Formen des französischen Art Nouveau und insbesondere auf eine organologische Variante des Wiener Sezessionsstils, wie sie in Darmstadt von Joseph Maria Olbrich vertreten wurde. Olbrich, der als Schüler von Otto Wagner mit dem Bau des Sezessionsgebäudes in Wien bereits reüssiert hatte, war der Chefarchitekt der Mathildenhöhe und der einzige Ausländer unter den Mitgliedern der Darmstädter Künstlerkolonie. Olbrich plante die gesamte Anlage und entwarf alle Gebäude auf der Mathildenhöhe mit Ausnahme des Hauses Behrens, das so von Anfang an den Charakter eines Gegenentwurfes besaß. Peter Behrens schien sich in
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7 Peter Behrens: Musikzimmer im Haus Behrens in Darmstadt, 1901, historische Fotografie
Darmstadt in einem Konkurrenzverhältnis zu dem prominenteren Kollegen zu sehen und wir wissen durch die Berichte von Zeitzeugen, dass die Künstlerkolonie durch Joseph Olbrich und Peter Behrens vom Tag ihrer Gründung an in zwei Lager gespalten war.18 Dies mag nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, dass sich Behrens mit der Zeit auch zu Olbrichs stilistischem Antipoden entwickelte, während noch um 1898 ihre Stilauffassungen nicht sehr weit voneinander entfernt gewesen waren. Die Berichterstattung in der Fachpresse spiegelt diese Kontroverse. Olbrich und Behrens waren die beiden Pole, um die sich die Debatte um die Art und Zukunft des Neuen Stils auf der Darmstädter Ausstellung vor allem drehte. Während Peter Behrens sein dekoratives System aus anorganischen, kristallinen Formen entwickelte, leitete Joseph Olbrich seine Ornamentik ausschließlich von organischen Vorlagen ab. Als Beispiel hierfür mag die Fassade des Ernst-Ludwig-Hauses gelten |Abb. 9|. Sie zeigt im Eingangsbereich eine ausgesprochen vegetabilische Ornamentik aus stilisierten goldenen Blüten, die für Olbrichs Formensprache charakteristisch war. Schon die Enthüllung des Kristalls vor dieser Fassade in der durch Peter Behrens konzipierten Inszenierung des Eröffnungsfestspiels könnte als selbstbewusste Stellungnahme des Künstlers interpretiert werden. Das Kristalline und das Organologische traten in dieser Szenerie in einen spannungsvollen Kontrast, der die gegensätzliche Ornamentauffassung der beiden Künstlerper-
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8 Peter Behrens: Musikzimmer im Haus Behrens, Tür zum Speisezimmer in Darmstadt, 1901, Fotografie W. Weimer
sönlichkeiten Behrens und Olbrich reflektierte. Olbrichs Ornamentik strahlte eine heitere Beschwingtheit aus, während für die Ornamentik von Behrens ein feierlicher Ernst charakteristisch war, der sich bisweilen ins Monumentale und Pathetische steigerte. Olbrichs Darmstädter Bauten waren beim Publikum durchaus beliebt, wurden von der Kunstkritik jedoch nahezu einstimmig abgelehnt. Dagegen erntete Behrens, ein Autodidakt in der Architektur, für sein Haus das überschwengliche Lob der Fachpresse. Die Debatte um Behrens und Olbrich zeigte dabei eine deutliche nationale Komponente in der Tendenz, den deutschen Künstler Peter Behrens gegen den Ausländer Joseph Olbrich auszuspielen, denn trotz der beinahe inflationär zur Schau gestellten Verehrung für den fürstlichen Mäzen, schien man es Ernst Ludwig von Hessen doch übel zu nehmen, dass er nicht einen deutschen Künstler mit der architektonischen Gestaltung der Mathildenhöhe beauftragt hatte. Dieses Ressentiment fand sogar Eingang in den Katalog der Ausstellung Ein Dokument deutscher Kunst. Dort schrieb der Kunstkritiker Felix Commichau in einem Aufsatz über die neue Architektur auf der Mathildenhöhe: »Darum war es […] verfehlt, die Hauptarbeit, vor allem die so immens wichtige Architektur, in den Händen des Wieners Olbrich zu belassen. […] Wir besitzen deutsche Kräfte innerhalb unserer fortschrittlich gesinnten Künstlerschaft, die an dieser Stelle nicht versagt hätten, das ist gewiss.«19 Da der Österreicher Joseph Olbrich das Feld der vegetabilischen Ornamentik besetzt hielt, war es für die Kritiker natürlich nahelie-
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9 Roman Größer: Wiederaufführung des Eröffnungsfestspiels »Das Zeichen« vor dem Ernst-Ludwig-Haus, Darmstadt, 12. Mai 2001
gend, in der kristallinen Ornamentik von Peter Behrens einen deutschen Gegenentwurf zu erblicken. Interessanterweise wurden die abstrakt-geometrischen Arbeiten anderer Wiener Sezessionskünstler wie Josef Hoffmann und Koloman Moser von den an dieser Debatte beteiligten deutschen Kritikern entweder nicht wahrgenommen oder aber bewusst ausgeblendet, da sie sich weit weniger gut für die angestrebte Polarisierung von deutscher und österreichischer Architektur und Ornamentik nutzbar machen ließen. Die Diffamierung des österreichischen Künstlers Olbrich als »Karnevalsarrangeur« diente nicht allein dazu, das Werk des deutschen Künstlers Behrens als einzig zukunftsweisend zu empfehlen.20 Während das Organologische mit Eigenschaften wie Leichtfertigkeit, Oberflächlichkeit und Substanzlosigkeit identifiziert wurde, die man in Deutschland gerne pauschal »dem Österreicher« und ganz besonders »dem Wiener« zuschrieb, stand das Kristalline für Ernst, Nachhaltigkeit und Substanz – Qualitäten, die man ebenso auch für ein »deutsches Wesen« reklamieren wollte.
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Gralsmystik und »Götzen-Dämmerung« Auch aufgrund der großen symbolischen Tradition und ikonographischen Verbreitung, die das Kristallmotiv seit dem Mittelalter vor allem in Deutschland hatte, mag sich das Kristalline für eine nationale Vereinnahmung angeboten haben: In Wolfram von Eschenbachs Parzival-Mythos, der ersten großen Gralsdichtung in deutscher Sprache, erschien der Gral um 1210 erstmals als Diamantkristall und nicht, wie in allen französischen Vorgängerdichtungen, als Kelch.21 Der Kristall hatte seitdem einen festen Platz in der deutschen Mythologie als heiliger oder wundertätiger Stein und Repräsentant eines übergeordneten Prinzips. Mittelalterliche Gralsmystik erfreute sich in Deutschland seit der Romantik wieder größter Beliebtheit. Besonders Richard Wagner hatte durch seine 1882 uraufgeführte Opernadaption des Parcival zu einer regelrechten Renaissance des Gralskultes beigetragen, der auch, wie die stilistisch an Wagner und Bayreuth angelehnte Inszenierung des Eröffnungsfestspiels der Darmstädter Ausstellung zeigt, für Peter Behrens und die Künstlerkolonie einen wichtigen Bezugspunkt darstellte. Eine weitere Ausprägung hatte die Kristallmetaphorik darüber hinaus in Friedrich Nietzsches Also sprach Zarathustra gefunden. Der Nietzscheaner Karl Scheffler, um 1900 einer der bekanntesten Publizisten auf dem Gebiet der bildenden Kunst und gleichzeitig ein entschiedener Vertreter der nationalistisch orientierten Kunstkritik, sah in den kristallinen Ornamenten von Behrens das »Machtbewusstsein« einer erstarkenden modernen Kunstbewegung in Deutschland verkörpert.22 Die »Herrennatur« von Peter Behrens war in den Augen Schefflers »für die Anschauungsweise, die am besten durch den Namen Nietzsche bezeichnet wird, prädestiniert.« 23 Was aber zeichnete diese Anschauungsweise aus und welche Bedeutung hatte sie für die Konstruktion eines deutschen Nationalstils? Dies sei anhand einer Äußerung von Julius Meier-Graefe erläutert, der bereits 1899 eine kritische Beurteilung der modernen angewandten Kunst in Deutschland vorgenommen hatte. Meier-Graefe, einer der theoretischen Vorkämpfer des modernen Kunstgewerbes, war ein Bewunderer Henry van de Veldes und trug wesentlich dazu bei, seine Werke in Deutschland bekannt zu machen. Zur Gruppe der nationalistisch argumentierenden Kunsttheoretiker gehörte er jedoch zu keinem Zeitpunkt, was seine Einschätzung umso interessanter macht: »Deutschland ist in der glücklichen Lage, noch nicht seine Kräfte gezeigt zu haben […]. Aber hier ist es ganz gewiss der frühe Morgen, den wir erleben. Der Mittag kann uns vielleicht noch schöne Dinge bescheren.«2 4 Meier-Graefe paraphrasierte mit dieser Äußerung die letzten Zeilen aus Friedrich Nietzsches Also sprach Zarathustra, in denen Zarathustra seinen Neuanfang beschwört: »Dies ist mein Morgen, mein Tag hebt an: herauf nun, herauf, du großer Mittag!«25 Es war dies kein absichtsloses Zitat, hatten doch Nietzsches Gedanken eine Schlüsselfunktion innerhalb der Debatte um den Neuen Stil, wie überhaupt der Einfluss Nietzsches auf das kulturelle und geistige Leben im Deutschland der Jahrhundertwende kaum zu hoch eingeschätzt werden kann.26 Besonders der Zarathustra hatte sich seit seinem Erscheinen im Jahr 1886 in Künstlerkreisen zu einem beinahe kanonischen Werk entwickelt und war auch für Peter Behrens
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ein wichtiger Referenzpunkt. So zeigte sich, wie Tilmann Buddensieg bereits 1980 nachweisen konnte, die Gestaltung des Darmstädter Hauses durchgehend von der Bildwelt des Zarathustra beeinflusst.27 Auch das Kristallmotiv ist dem Zarathustra entlehnt: Dort erscheint der Kristall als »Edelstein, bestrahlt von den Tugenden einer Welt, welche noch nicht da ist.«28 Friedrich Ahlers-Hestermann beschrieb die Behrens’sche Ornamentik rückblickend sogar als »Zarathustrastil«.29 Auch viele zeitgenössische Kritiker brachten die künstlerische Produktion von Peter Behrens mit Nietzsches Gedankenwelt in Verbindung.30 Doch nicht nur von den Künstlern selbst, auch von Kunsttheoretikern und -kritikern wurden Nietzsches Werke in der Zeit um 1900 stark rezipiert. Der Philosoph hatte das Fehlen einer eigenständigen deutschen Kultur stets beklagt und bereits in den 1880er Jahren einen neuen »Großen Stil« für die deutsche Kunst gefordert, den er in seiner 1889 erschienenen GötzenDämmerung erstmals definierte: »Das höchste Gefühl von Macht und Sicherheit kommt in dem zum Ausdruck, was grossen Stil hat. Die Macht, die keinen Beweis mehr nöthig hat; die es verschmäht, zu gefallen; die schwer antwortet; die keinen Zeugen um sich fühlt; die ohne Bewusstsein davon lebt, dass es Widerspruch gegen sie giebt; die in sich ruht, fatalistisch, ein Gesetz unter Gesetzen: Das redet als grosser Stil von sich.« 31 Auch wenn die Auslegung von Nietzsches Schriften durch die Kunstkritik oft willkürlich und von Missverständnissen geprägt war, bildeten doch solche und ähnliche Äußerungen des Philosophen die Grundlage für die Vorstellung national orientierter Kunstkritiker von einem neuen deutschen Zukunftsstil. Von den Künstlern wurde nun ein Stil gefordert, der Nietzsches Anforderungen an einen »Großen Stil« gerecht werden und gleichzeitig ein adäquater Ausdruck des »deutschen Wesens« sein sollte.32 Diesen Stil erblickten viele in der kristallinen Formensprache von Peter Behrens. So scheint in den Rezensionen seiner Arbeiten häufig Nietzsches Definition des »Großen Stils« mitzuklingen, wie sich überhaupt die ganze Macht-und-Kraft-Rhetorik der Kritiker an Nietzsches suggestivem Stil orientierte.
Ein »deutsches Ornament« Die nationale Kategorisierung der Werke von Peter Behrens, die schon in den Rezensionen des Darmstädter Hauses vorgenommen wurde, spitzte sich ein Jahr später bei den Besprechungen seines Beitrages für die Turiner Kunstgewerbeausstellung noch erheblich zu. Bei der sogenannten Hamburger Vorhalle, einem Raum, dessen gesamte Ausstattung von Peter Behrens entworfen und von Hamburger Kunsthandwerkern ausgeführt worden war, handelte es sich um den Eingangsbereich zur Ausstellung des Deutschen Reiches. Stand das Kristalline im Haus Behrens noch ganz im Dienste einer sakralisierenden Selbstdarstellung
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des Künstlers, so erlangte es auf der Turiner Ausstellung repräsentative Funktion für die künstlerische Selbstdarstellung des Deutschen Reiches. Die Hamburger Vorhalle war ein großer, rechteckiger Raum, der sich jeweils in der Mitte seiner vier Seiten in breiten Bogentoren öffnete |Abb. 10|. Ein mächtiges Gebälk bildete den Rahmen für ein großes Oberlicht, das von einer gelben Sonne in Opaleszentverglasung geschmückt wurde. Darunter befand sich ein rechteckiges Brunnenbecken, an dessen Schmalseiten je ein stilisierter steinerner Engel postiert war, der mit großen, in Metall getriebenen Flügeln um die Steinpfosten des Beckens herumgriff. Die steinernen Engelsfiguren erinnerten dabei unmittelbar an eine dreidimensionale Variante der Kristallträgerinnen des Darmstädter Musikzimmers. Peter Behrens bediente sich in der Hamburger Vorhalle einer ähnlichen stereometrischen, strahlenartigen Ornamentik, wie er sie bereits im Darmstädter Musikzimmer verwendet hatte. Sehr deutlich erschien das Kristalline in einigen Teilen der Ausstattung, besonders jedoch auf einem Prachteinband für Nietzsches Also sprach Zarathustra, den Behrens für die Turiner Ausstellung entworfen hatte |Abb. 11|. Durch die Präsentation des Buches in einem eigens angefertigten Schrein im Eingangsbereich der Ausstellung erlangte der Zarathustra gleichsam die Aura eines offiziellen Dokumentes. Die kristalline Formensprache von Peter Behrens besaß ein monumentalisierendes Pathos, das in der Hamburger Vorhalle noch deutlicher in Erscheinung trat als ein Jahr zuvor im Haus Behrens und das bereits auf die ambivalente Rolle des Künstlers im »Dritten Reich« vorauszuweisen scheint.33 Georg Fuchs, den man für die Zeit um 1900 sicherlich als einen der entschiedensten Vertreter eines germanischen Kulturimperialismus charakterisieren kann, bezeichnete die Hamburger Vorhalle im Rückgriff auf Nietzsches Definition des »Großen Stils« als »Vorhalle zum Hause der Macht und der Schönheit«: »Denn was sich stummen Mundes kund gibt in dieser Halle, das ist die Macht, das ist die Macht des Kaisertums Wilhelms II., gereift, gerüstet und entschlossen, gleich berechtigt, gleich besitzend, gleich gebietend neben den Welt-Mächten ihren Platz zu behaupten bei der neuen Teilung des ErdBalles […]« Die Hamburger Vorhalle, so Fuchs weiter, weise bereits auf die Notwendigkeit einer »politisch-wirtschaftlichen Erhebung und Erweiterung« des Deutschen Reiches hin und sei damit Ausdruck von »tieferen Vorgängen im dunklen Willen der Seelen und der Rasse.«3 4 Von Peter Behrens selbst sind aus dieser Zeit keine Zeugnisse überliefert, in denen er sich explizit zu der Verortung seines Werkes in nationalen Zusammenhängen geäußert hätte. Er schien die nationalen Zuschreibungen seitens der Kunstkritik jedoch zu billigen und verkehrte freundschaftlich mit den meisten der hier zitierten Theoretiker. Die Attribute, mit denen die Kunstkritik die kristalline Formensprache von Peter Behrens belegte, stimmen weitgehend mit dem Leitvokabular einer deutsch-national argumentierenden Kunsttheorie überein. Die abstrakte Linie des Kristallinen wurde mit bestimmten abstrakten Eigenschaften identifiziert, die auch als »typisch deutsch« empfunden wurden: Es galt als streng, ernst, kraftvoll und feierlich und erschien daher vielen als der adäquate Ausdruck eines überhistorisch gedachten »deutschen Wesens«.
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10 Peter Behrens: »Hamburger Vorhalle« auf der Ersten Internationalen Kunstgewerbeausstellung, Turin 1902, Fotografie, 1902
Von zentraler Bedeutung war außerdem der Begriff der »kristallinen Reinheit«, ein Lieblingstopos der deutschen Kunsttheorie um 1900. Ein »reiner Stil« musste zunächst frei von Historismen sein, um für spätere Generationen wegweisend zu werden. Solche Stilreinheit zeigte sich für die Kunstkritik nicht in den attributiv-gegenständlichen, floralen Mustern der Zeitgenossen von Behrens, sondern einzig in der streng abstrakten, kristallinen Formensprache von Peter Behrens. Die Sehnsucht nach Reinheit als Weg zu höherer Wahrheit und Erkenntnis, die einige Jahre später auch bei den Versuchen einer Nationalisierung der abstrakten Malerei eine Rolle spielen sollte, war auch um 1900 schon virulent und wirkte sich auf die Anforderungen aus, die an einen zukünftigen Nationalstil gestellt wurden.35 Dieser sollte als Vermittler von Geistigem vor allem klar und rein sein – und was konnte reiner sein als ein Kristall? Paradoxerweise war die Nationalisierung kristalliner Ornamente in den Augen der national argumentierenden Kunsttheorie offenbar nur insofern attraktiv, als diese nicht primär in ihrer ornamentalen Funktion betrachtet wurden. In einem bloß dekorativen Beiwerk konnte sich der nationale Gedanke nicht offenbaren, das Kristalline jedoch schien etwas zu versprechen, das weit über seine ornamentale Funktion hinausging. Vor allem in Deutschland war die Abneigung gegen alles Oberflächliche stark ausgeprägt: Die Sehnsucht galt hier stets der Substanz, dem inneren Wesen und Kern einer Sache – ein Topos, der weit in die Tradition
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des deutschen Idealismus zurückreicht. Nicht oberflächlich verschönern, sondern von innen heraus gestalten: Das war die Forderung der Kunstkritik an die deutschen Künstler, die auch in der Debatte um Behrens und Olbrich immer wieder anklingt. So war das Kristalline für Peter Behrens und die Künstler der Mathildenhöhe, ebenso wie für die zitierten Kunsttheoretiker und -kritiker weit davon entfernt, bloß schmückendes Beiwerk zu sein. Dem Ornament wurde deshalb eine so große Wertschätzung entgegengebracht, weil sich in ihm ein geistiges Prinzip zu offenbaren schien: Der Übergang der Natur zur Kunst, versinnbildlicht im Kristall, dem einzigen Objekt, in dem Natur gleichsam »von innen heraus« zur Kunst wird.
Wegbereiter der Abstraktion Obgleich er einige Jahre mit großem Nachdruck betrieben wurde, erwies sich der Versuch einer Nationalisierung kristalliner Ornamente nicht als Erfolgsmodell. Das Kris11 Peter Behrens: Bucheinband zu Friedrich Nietztalline konnte sich als »nationales Ornament« sches »Also sprach Zarathustra«, 1902, Leder mit Metallbeschlägen, Maße und Aufbewahrungsort der Deutschen langfristig nicht etablieren. Die unbekannt Kunstkritik folgte vielmehr dem Künstler Peter Behrens, der das Motiv nach 1902 fallen ließ, um es erst zwanzig Jahre später in einigen expressionistischen Entwürfen wieder aufzugreifen, in denen es keine unmittelbare nationale Konnotation mehr besaß. Für den späteren Werdegang von Peter Behrens hatte das Kristalline dennoch wichtige formal-ästhetische Funktionen, indem es den Weg für eine moderne, abstrakte Formensprache bereitete: In den Jahren nach 1902 überführte Behrens das symbolische Darmstädter »Zeichen« in moderne künstlerische Gestaltungsprinzipien. Die während der Darmstädter Jahre entwickelte kristalline Ornamentik emanzipierte sich allmählich von der symbolischen Bedeutungsebene des Kristallinen, und zwar in umso stärkerem Maße, je mehr sie sich der reinen Abstraktion näherte. Nicht zuletzt die Anknüpfung und enge Rückbindung an das um 1900 überaus populäre Kristallsymbol und seine idealistischen Prämissen ermöglichte Peter Behrens die erfolg-
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reiche Durchsetzung eines abstrakten Formbegriffes. In seinen räumlichen Gesamtkunstwerken zeigte sich bereits um 1900 eine Tendenz zu schlichten, abstrakten Formen, in der die weitere Entwicklung des Künstlers zum modernen Produktdesigner und zu einem der Hauptprotagonisten des neuen, sachlichen Bauens in Deutschland im Keim schon enthalten zu sein scheint. Die Neigung zu schlichten, abstrakt-geometrischen Formen ist schon dem monumentalisierenden Pathos des Darmstädter Musikzimmers wie ein Subtext eingeschrieben. Die Ornamentik dieses Zimmers zeigt so bereits »die dem Kristallmotiv innewohnende Tendenz zur Sachlichkeit«, die den Übergang zu einem neuen, folgenreicheren Stil einleiten sollte.36
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1 Die erste Weltausstellung wurde 1851 in London eröffnet. Bis zum Ersten Weltkrieg fanden in immer kürzer werdenden Zeitabständen Weltausstellungen in zahlreichen europäischen und amerikanischen Metropolen statt; vgl. Winfried Kretschmer: Geschichte der Weltausstellungen, Frankfurt am Main 1999. 2 So schrieb zum Beispiel Friedrich Schlegel über die Bauruine des Kölner Doms, diese sei am ehesten mit »einer ungeheuern Krystallisation zu vergleichen«, in: Friedrich Schlegel: Briefe auf einer Reise durch die Niederlande, Rheingegenden, die Schweiz und einen Teil von Frankreich (1804/5), in: id.: Ansichten und Ideen von der christlichen Kunst, hg. v. Hans Eichner, München 1959 (Kritische Schlegel-Ausgabe, Bd. IV), S. 155–204, S. 178 f.; zum Topos der kristallinen Gotik und zu Caspar David Friedrichs Domvisionen vgl. Regine Prange: Das Kristalline als Kunstsymbol. Bruno Taut und Paul Klee. Zur Reflexion des Abstrakten in Kunst und Kunsttheorie der Moderne, Hildesheim 1991 (Studien zur Kunstgeschichte, Bd. 63). 3 Vgl. Harald Grävell van Jostenoode: Germanische Kunst, in: Deutsche Kunst und Dekoration 3/1899, S. 175–183; Ludwig Wilser: Germanischer Stil und Deutsche Kunst, in: ibid., S. 267–277 u. S. 423–431. 4 Peter Behrens: Feste des Lebens und der Kunst. Eine Betrachtung des Theaters als höchsten Kultursymbols, Leipzig 1900, S. 10. 5 Anonym: Ein deutscher Fürst als Förderer der modernen angewandten Kunst, in: Deutsche Kunst und Dekoration 5/1899, S. 46–50, S. 48. 6 Ibid., S. 47. 7 Bei seinem Weggang aus Darmstadt im März 1903 nahm Behrens zahlreiche Möbel und Teile der Innenausstattung mit, wodurch die Anlage des Hauses als Gesamtkunstwerk weitgehend zerstört wurde. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus ausgebombt, wobei die restlichen Teile der Ausstattung verbrannten. Das Haus ist heute in seinem äußeren Erscheinungsbild weitgehend wiederhergestellt. Die gesamte Inneneinrichtung muss jedoch, mit Ausnahme einiger Möbelstücke, die sich heute im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg befinden, als verloren gelten und ist nur in Fotografien und Texten überliefert. 8 Bei der sogenannten Hamburger Vorhalle handelte es sich um eine ephemere Ausstellungsarchitektur. Einige bewegliche Teile der Ausstattung befinden sich heute im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. 9 Zu diesem Höhepunkt der kristallinen Moderne vgl. Prange 1991 (wie Anm. 2); zur Architektur des Expressionismus vgl. Wolfgang Pehnt: Die Architektur des Expressionismus, Stuttgart 1973; zur Ornamentik des Art Déco vgl. Catharina Berents: Art Déco in Deutschland. Das moderne Ornament, Frankfurt am Main 1997 (Werkbund-Archiv, Bd. 27). 10 Georg Fuchs: Das Zeichen, in: Ein Dokument Deutscher Kunst. Großherzog Ernst Ludwig und die Ausstellung der Künstler-Kolonie in Darmstadt von Mai bis Oktober 1901 [1901], hg. v. Alexander Koch, Ausstellungskatalog, Darmstadt, Mathildenhöhe, 1901, Darmstadt 1989, S. 63–66, S. 66 (Reprint). 11 Die Eröffnungs-Feier vom 15. Mai 1901, in: Kat. Darmstadt 1901 (wie Anm. 10), S. 60. 12 Wilhelm Schäfer: Das Haus Peter Behrens in Darmstadt, in: Die Rheinlande 1/1901, S. 28–31, S. 28. 13 Kurt Breysig: Das Haus Peter Behrens. Mit einem Versuch über Kunst und Leben, in: Kat. Darmstadt 1901 (wie Anm. 10), S. 329–348, S. 337. 14 Ibid.
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15 Ibid. 16 Vgl. Prange 1991 (wie Anm. 2). 17 Vgl. zum Beispiel Owen Jones: Grammatik der Ornamente [1856], Nördlingen 1987 (Reprint). Die maurischen Ornamente aus der Alhambra, die Owen Jones in der Grammatik der Ornamente abbildet, zeigen eine starke Tendenz zu kristallinen, bisweilen prismatischen Rauten- und Sternformen. Dass Peter Behrens sich von diesen Ornamenten inspirieren ließ, erscheint nicht ganz unwahrscheinlich, denn die Grammatik der Ornamente war um 1900 immer noch das vollständigste Kompendium historischer Ornamente und für jeden modernen Stilkünstler ein kanonisches Werk. 18 Dies berichtete zum Beispiel Karl Scheffler 1933 rückblickend in seiner Autobiographie: »Der Häuptling der Künstlerkolonie war Joseph Olbrich aus Wien. Dieser gesellschaftlich gewandte Mann hatte das Ohr des Großherzogs und verstand es, sich am Hofe mit ergebener Dreistigkeit durchzusetzen. […] Dieses durch wienerische Liebenswürdigkeit gemilderte herrische Wesen hatte die sieben Künstler in zwei Gruppen gespalten […]. Peter Behrens war zunächst das Haupt der Gegenpartei. Die Künstler gingen nun auf der grünen Höhe zwischen den Landhäusern mißtrauisch umher, beschnüffelten die Taten der Konkurrenten und führten die fremden Gäste.« Karl Scheffler: Die fetten und die mageren Jahre. Ein Arbeits- und Lebensbericht, Leipzig u. München 1946, S. 36 f. 19 Felix Commichau: Die Außen-Architektur auf der Darmstädter Ausstellung, in: Kat. Darmstadt 1901 (wie Anm. 10), S. 90. 20 Karl Scheffler: Darmstadt, in: Der Lotse 1/1901, S. 701–707, S. 701. 21 Vgl. Wolfram von Eschenbach: Parzival [1205–1214], Studienausgabe, Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann, übersetzt von Peter Knecht, Berlin 1998, IX. Buch, S. 469. 22 Karl Scheffler: Peter Behrens, in: Die Kunst für Alle 5/1902, S. 3–47, S. 22. 23 Ibid. 24 Julius Meier-Graefe: Epigonen, in: Dekorative Kunst 4/1899, S. 129–131, S. 129 f. 25 Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen, in: id.: Werke, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, München 2004 (Kritische Studienausgabe), Bd. IV, S. 408. 26 Jürgen Krause: ›Märtyrer‹ und ›Prophet‹. Studien zum Nietzsche-Kult in der bildenden Kunst der Jahrhundertwende, Berlin 1984 (Monographien und Texte zur Nietzsche-Forschung, Bd. 14). 27 Vgl. Tilmann Buddensieg: Das Wohnhaus als Kultbau. Zum Darmstädter Haus von Peter Behrens, in: Peter Behrens in Nürnberg, Geschmackswandel in Deutschland. Historismus, Jugendstil und die Anfänge der Industrieform, hg. v. Peter-Klaus Schuster, Ausstellungskatalog, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, 1980, München 1980, S. 37–47. 28 Nietzsche 2004 (wie Anm. 25), S. 85. 29 Friedrich Ahlers-Hestermann: Stilwende. Aufbruch der Jugend um 1900, Berlin 1956, S. 79. 30 Peter Behrens war, wie viele Künstler seiner Generation, erstmals im Umkreis des PAN mit der Gedankenwelt Friedrich Nietzsches in Berührung gekommen. Über die befreundeten Schriftsteller Otto Erich Hartleben und Richard Dehmel lernte er Kurt Breysig kennen, der in direktem Kontakt zu Nietzsche und seiner Schwester stand. 1898 schrieb Breysig einen Empfehlungsbrief an Elisabeth
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Förster-Nietzsche, der dem Ehepaar Behrens einen Besuch bei Nietzsche in Weimar ermöglichen sollte. Auch Peter Behrens knüpfte daraufhin eine Korrespondenz zu Nietzsches Schwester an, zu dem geplanten Besuch kam es jedoch nie. 31 Friedrich Nietzsche: Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophiert, in: id.: Werke, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, München 2004 (Kritische Studienausgabe), Bd. VI, S. 119. 32 Diese Forderung erging zunächst vor allem an die Architektur; vgl. Alexandre Kostka u. Irving Wohlfarth (Hg.): Nietzsche and ›An Architecture of Our Minds‹, Los Angeles 1999, darin besonders Tilmann Buddensieg: Architecture as Empty Form. Nietzsche and the Art of Building, S. 259–284. Dass auch die Ornamentik und das Kunstgewerbe nicht frei von dieser Forderung waren, zeigt die zeitgenössische Rezeption der Behrens’schen Ornamentik. 33 Vgl. Georg Krawietz: Peter Behrens im Dritten Reich, Weimar 1995. 34 Georg Fuchs: Die Vorhalle zum Hause der Macht und der Schönheit, in: Deutsche Kunst und Dekoration 6/1902, S. 1– 44, S. 6. 35 Zum Zusammenhang zwischen »kristalliner Reinheit« und abstrakter Malerei vgl. Mark A. Cheetham: The rhetoric of purity. Essentialist theory and the advent of abstract painting, Cambridge 1991. 36 Prange 1991 (wie Anm. 2), S. 48.
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VON WESTEN NACH OSTEN Zur Stilisierung einer nationalen japanischen Ästhetik am Beispiel des deutschen Architekten Bruno Taut VERA WOLFF
»Es ist alles gut« »Die Zikaden / singen // es / ist / alles / gut«, schrieb Bruno Taut 1934 an den Rand einer Zeichnung auf Japanpapier, halb in westlicher Schreibrichtung von links nach rechts, halb in japanischer Manier von oben nach unten |Abb. 1|.1 Die andere Seite des Blatts zeigt in Abbreviatur den Grundriss des Shokintei-Teehauses, das sich im Garten des zwischen 1616 und 1660 erbauten Palastkomplexes von Katsura befindet. In den Grundriss des Teehauses tuschte Taut die schachbrettartige, mattblau-weiße Musterung der Tokonoma, der Bildnische, und fügte das Wort »Teeraum« ein. Taut notierte die »Heiterkeit« der Bildnische und zeichnete weit ausgreifende Tuschepfeile, die auf den anfangs zitierten Satz am oberen rechten Rand zielen. Die Zeichnung gehört zu einer Folge von 28 Tuschezeichnungen, die Taut unter dem Titel Gedanken nach dem Besuch in Katsura zu einem Album zusammenfasste. Der deutsche Architekt, Erbauer des berühmten Glashauses auf der Werkbund-Ausstellung von 1914, Wortführer des sozialistischen Arbeitsrats für Kunst und Initiator der expressionistischen Gläsernen Kette, besuchte den Katsura-Palast bei Kyoto zum ersten Mal im Mai 1933, nur wenige Tage nach seiner Ankunft in Japan. Wegen seines politischen und künstlerischen Engagements von den Nationalsozialisten als »Kulturbolschewist« verfolgt und zur Emigration gezwungen, blieb Bruno Taut für dreieinhalb Jahre in Japan. Er schrieb viel, publi-
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1 Bruno Taut: Gedanken nach dem Besuch in Katsura, Blatt 7, Mai 1934, Tusche auf Japanpapier, 24 × 36 cm, Tokio, Iwanami Shoten
zierte einiges, fand aber kaum Arbeit als Architekt und entwarf stattdessen Gegenstände für den täglichen Gebrauch. 1936 emigrierte Taut schließlich in die Türkei, wo er als Leiter der Architekturfakultät der Istanbuler Akademie der Schönen Künste die Nachfolge von Ernst Egli antreten konnte. Taut war mit der Hoffnung nach Japan gekommen, hier eine bessere, nämlich eine auf die Errungenschaften der Künste gegründete Moderne zu finden. Japan aber hatte kurz zuvor die Mandschurei annektiert und den Völkerbund verlassen. Die Hoffnung, in Japan dennoch einen anderen, ästhetisch begründeten Begriff des Nationalen zu entdecken, erläuterte Taut in einem Brief an den Redakteur der Bauwelt in Berlin im Oktober 1933 folgendermaßen: »Ein großes Weltphänomen: Die Nation entfaltet 2 Kräfte, die eine zur politischen Einigung mit den Waffen, die andere zur Schaffung der nationalen Form, die von den Inhabern der Gewalt bedroht war. Und das Erstaunlichste liegt darin, daß in Japan der Begriff Nation eine große Kraft in sich schließt, die Kraft zur Kultur.« 2 Im Mai 1934 besuchte Taut den Katsura-Palast ein weiteres Mal. Auf den 28 Tuschezeichnungen, die Taut nach diesem zweiten Besuch anfertigte und zu einem Album zusammenfasste, zeichnete er den Weg nach, den er mit seinen Begleitern durch den Garten und die verschiedenen Gebäude der Anlage nahm. Gleichzeitig bestimmte er damit auch die Stationen eines ästhetischen Rezeptionsganges, der von der in den westlichen Kunstgewerbe-
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bewegungen entwickelten Forderung nach Materialgerechtigkeit geprägt ist. Tauts Suche nach einer Tradition für eine andere Moderne, die er in Japan unternahm, ist exemplarisch für eine Geschichte der Wahrnehmung Japans, in der die Ästhetik des »alten Japan« und die Qualitäten einer vermeintlich traditionell japanischen Materialverwendung gegen die Folgen der Industrialisierung ausgespielt wurden. Das Begriffsfeld um Materialgerechtigkeit, dessen Postulate Taut in seinen Beschreibungen von Katsura und der traditionellen japanischen Handwerks- und Baukunst umsetzte, verdankt sich einer bis heute populären Interpretation von Gottfried Sempers historischer Theorie der Stilentwicklung.3 Für Semper, der seine Theorie programmatisch als »praktische Ästhetik« bezeichnet hatte, bildeten Material, Zweck und Technik die Faktoren der Stilgenese. In den an Semper anschließenden Debatten um die Bedeutung von Material und Form in Architektur und Kunsthandwerk erhielt die Forderung nach dem Einbezug der Materialeigenschaften in die Gestaltung eine immer stärker werdende moralische Aufladung. Im »schillernden Kampfbegriff« Materialgerechtigkeit konvergierten schließlich auch die Ideologien von einander eigentlich entgegensetzten politischen Lagern.4 Bruno Taut gehörte früh zu den Kritikern der »weißen Moderne«, des Formalismus eines Mies van der Rohe und der Maschinenarchitektur Le Corbusiers, die überall, ganz unabhängig von örtlichen Gegebenheiten, gleich modern erscheint – jener Architektur also, für die man den Begriff »International Style« fand und die der Schriftsteller Tom Wolfe sehr viel später polemisch als »mean cubes and grids« bezeichnete.5 Unter dem Eindruck der politischen Entwicklungen und des drohenden Weltkriegs verglich Taut 1938 in seiner zuerst auf Türkisch publizierten Architekturlehre kurzschlussartig die universelle Erkennbarkeit von Bautypen der modernen Architektur in »Berlin, Moskau, Tokyo, Los Angeles etc.« mit der Form moderner Waffen und militärischer Uniformen.6 Dieser für ihn ästhetisch »gewalttätigen« Architektur stellte Taut endemische Traditionen des Bauens gegenüber, die der modernen Architektur überall auf der Welt einen spezifischen Charakter verleihen sollten: »Wir wollen nicht, daß die Erde langweiliger wird. Wir wünschen, daß es interessant und freudeerregend sein möchte, die neuen Bauten eines fernen Landes ebenso wie die der benachbarten Länder und der Bezirke des eigenen Landes zu sehen. […] Die Erde soll reicher werden; denn in den Bauten, aus den Bauten spricht ihr Geist.« 7 Eine Architektur, die neben der Funktion örtliche Gegebenheiten und Traditionen berücksichtigt und zum Prinzip ihres Bauens macht, repräsentierte für Taut das Gute schlechthin, die Moral des Schönen. Taut versuchte so eine nationale Baukunst von nationalistischer Architektur, die ornamentale Versatzstücke als »Kostümierungen mit alten Stilformen« einsetzt, zu unterscheiden.8 Diese Trennschärfe hat sich aber in der Rezeption Tauts nicht immer behaupten können. Sowohl in Japan als auch in der Türkei, wo die von ihm formulierte Idee einer traditionsbewussten architektonischen Moderne das Erstarken des »Zweiten Nationalen Stils« beförderte, erfuhren Tauts Texte nationalistische Lesarten.9 Wie es zur nationalistischen Indienstnahme von Tauts Idee des »Inter-natio-nalen« kommen konnte, ist ein Thema der folgenden Überlegungen |Abb. 2|.10 Am Beispiel des
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2 Bruno Taut: Gedanken nach dem Besuch in Katsura, Blatt 10, Mai 1934, Tusche auf Japanpapier, 24 × 36 cm, Tokio, Iwanami Shoten
Rezeptionsgangs, den Taut Mitte der dreißiger Jahre durch die Anlage von Katsura unternahm, anhand von Tauts Reflexionen über die Schreine von Ise, in deren Tradition er die Architektur von Katsura stellte, und seiner anderen Japan-Schriften wird eine Perspektive auf die kulturellen Austauschbeziehungen zwischen Westen und Osten eröffnet. Dabei ist es von Bedeutung, dass Tauts Vorstellungen von alten japanischen Traditionen auf in der Meiji-Zeit (1868–1912) geprägten Formeln der kulturellen Selbstdarstellung Japans gegenüber dem Westen zurückgehen. Dazu zählen insbesondere die Wiederbelebung der Ästhetik des Teewegs und die Nationalisierung des Shintoismus.11 Am Beispiel intellektueller Übersetzerfiguren wie Okakura Kakuzo (1862–1913), als modernem Theoretiker der Teeästhetik, und Yanagi Soetsu (1889–1961), dem Gründer der japanischen Kunstgewerbebewegung Mingei, wird dieser national kodierte Prozess einer Wiederbelebung der japanischen Ästhetik fassbar. Eine Beschreibung ihrer im Spannungsfeld von Ästhetisierung und Nationalisierung angesiedelten Bemühungen, mit der Konstruktion einer autochthonen japanischen Ästhetik ein der westlichen Moderne überlegenes Differenzmodell zu etablieren, verdeutlicht die Problematik von Tauts Vorhaben, in Japan das Vorbild für eine andere, bessere Moderne zu finden.
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Katsura: Form, Funktion und Materialgerechtigkeit Die Folge von 28 Tuschezeichnungen mit dem Titel Gedanken nach dem Besuch in Katsura verglich Taut in seinen Reisenotizen mit seiner Alpinen Architektur.12 Deshalb handelt die Sekundärliteratur zu Tauts Katsura-Album von diesem mittlerweile als einer zweiten Alpinen Architektur.13 Das orientalische Licht als Metapher der Wahrheit stellt in der visionären Alpinen Architektur die Verbindung zwischen Einheit und Vielheit, zwischen Absolutem und Bedingtem her und generiert die Vorstellung eines paradiesischen Orients, in dem Gegensätzliches aufgehoben und gelöst ist.14 Diese Orient-Vorstellung bildet eine wichtige Vorbedingung für Tauts Rezeption von Katsura. Im Unterschied zu den utopischen Kristallarchitekturen, die Taut in der Alpinen Architektur imaginierte, handelt es sich beim Gegenstand des Katsura-Albums jedoch um ein real existierendes Gebäudeensemble, den im 17. Jahrhundert für den jüngeren Bruder des japanischen Kaisers Prinz Toshihito (1579–1629) und seinen Sohn Toshitada (1619–1662) erbauten Landsitz Katsura bei Kyoto, eines Rückzugsorts der kaiserlichen Familie vor den in Edo regierenden Shogunen. In den einfach wirkenden Bauten von Katsura erkannte Taut die Verwirklichung seiner Forderungen an eine qualitätvolle, moderne Architektur. Als Vorbild für die Moderne entwarf er an ihrem Beispiel eine nationale, japanische Tradition der »Unschuld der Form« und der »Reinheit des Materials«.15 Angelehnt an Vorbilder aus der japanischen Malerei, auf denen Bild und poetischer Text eng verknüpft sind, rekonstruieren Tauts sparsam kolorierte Tuschezeichnungen den Weg, den er und seine Begleiter beim Besuch der Anlage im Mai 1934 nahmen. Verzeichnet sind die räumliche Erschließung der Anlage, Blickachsen sowie besondere Details des Gartens und der Gebäude. Auf dem Areal von Katsura stehen drei in Holzskelettbauweise errichtete Wohnbauten und verschiedene Teehäuser. Die drei eingeschossigen Wohnbauten (KoShoin, Chu-Shoin und Shin-Shoin) haben einen offenen Grundriss und sind übereck mit Dachüberschneidungen aneinander gesetzt |Abb. 3|. Papierbespannte Schiebetüren (Shoji) erlauben es, die pavillonartigen Gebäude je nach Bedarf zum angrenzenden Garten zu öffnen oder zu verschließen. In Katsura verbindet sich die Shoin-Zukuri-Wohnhausarchitektur, in der die Räume vollständig mit Tatamimatten ausgelegt sind und ein besonderer Alkoven für die Präsentation von Kunstgegenständen (Tokonoma) vorgesehen ist, mit Elementen aus der Architektur der Teehäuser, die wiederum an Bauernhäuser oder einfache Hütten erinnern soll. Charakteristisch für den Sukiya-Zukuri, den an der Architektur der Teehäuser orientierten Stil, ist unter anderem die Verwendung von Zypressen-, Zedern- und Kiefernholz, dessen Oberfläche unlackiert bleibt, und der Einsatz von Bambus. Teilweise werden halbe Baumstämme mit naturbelassener Borke verbaut. Im Innenraum der Bauten finden sich Wände aus Lehm, dem Stroh oder zermahlenes Perlmutt beigemischt sein können. Die relative Schmucklosigkeit der Gebäude, die versetzte, asymmetrische Anordnung der Wohnbauten, ihren freien Grundriss und die Verbindung des Gartens mit den Gebäuden bewunderte Taut als Realisierung des Primats der Funktion: »In Katsura kann man wirklich sagen: Was gut funktioniert, sieht gut aus. Katsura erklärt unmittelbar, welche Bedeutung
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3 Unbekannter Fotograf: Katsura Rikyu, Shin-Shoin und Chu-Shoin, zwischen 1620 und 1663, Fotografie, vor 1934
die Funktion für die Architektur hat. Es ist gewissermaßen die gebaute Definition für den Begriff der architektonischen Funktion.«16 Taut verstand unter der in Katsura realisierten »Darstellung der Beziehungen« im Sinne des Funktionalen jedoch nicht nur die Übertragung der Erfordernisse der praktischen Nutzung in eine entsprechende Architektur.17 Vielmehr wies er der Architektur von Katsura eine erzieherische Funktion zu: »Funktionalismus in totaler Durchbildung, […] auch im geistig-philosophischen Sinne, insofern, als die Schönheit der menschlichen Lebensformen durch Bau und Garten und deren Differenzierung im höchsten Maße unterstützt, wenn nicht direkt hervorgerufen wird.«18 Auf die funktionale Struktur der Architektur von Katsura führte Taut auch das Fehlen einer »Schauseite« zurück, einer dekorreichen Fassade.19 Taut begriff das Verhältnis von Baustruktur und Dekor, so wie es in der Metapher von Hülle und Kern bereits seit den Debatten des 19. Jahrhunderts angelegt ist, als ein moralisches Problem der Ästhetik.20 In diesen Debatten galt der tektonische Kern als das Wesentliche und strukturell Notwendige, während eine ornamentierte Fassade zur abzustreifenden Hülle wurde.21 Charakteristisch für die Tradition des Bauens, die er in Katsura verwirklicht sah, sei, so Taut, die »Unschuld der Form«. Diese Formulierung setzt voraus, dass architektonische Formen »schuldig« werden können. Was aber machte eine architektonische Form »schuldig« oder »unschuldig«? Von der Ablehnung des »Peripheren, nach außen Strebende[n], […] Wuchernde[n], sich Kräuselnde[n]« hatte bereits 1924 der erste Band der Werkbund-Publikationsreihe Bücher
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der Form mit dem Titel Die Form ohne Ornament gehandelt.22 Taut gehörte seit 1910 zu den Mitgliedern des Deutschen Werkbunds. Dessen Forderung nach allgemeingültigen Prinzipien des Gestaltens gründete auf der Ablehnung des bloß Ornamentalen, insbesondere der historischen Stilformen. Daher bezog Taut seine Abwertung der etwa zeitgleich zu Katsura erbauten und mit opulentem Dekor versehenen Mausoleen der Tokugawa-Shogune in Nikko, die er als »militärische Unkunst mit ihrer totalen Veräußerlichung und ihrem nichtssagenden Prunk« kritisierte.23 Die Prachtentfaltung der Mausoleen von Nikko verstand Taut als symbolische Entsprechung zur dikatorischen Herrschaft der Shogune, die das japanische Kaisertum jahrhundertelang bis zur Meiji-Restauration faktisch entmachtet, aber nominell beibehalten hatten. Zudem begriff Taut die Bauten von Nikko als das stilistische und geistige Vorbild der japanischen Repräsentationsarchitektur, die sich seit dem Ende der liberalen Taisho-Zeit 1926 und dem politischen Umschwung der konservativen Showa-Zeit in den dreißiger Jahren etabliert hatte. Mit Katsura als ästhetischem Paradigma, »dem eigentlichen Kaisergeschmack«, polemisierte Taut gegen den Stil der Kaiserkrone (Teikan Yoshiki), bei dem es sich um Gebäude zumeist in Stahlskelettbauweise handelt, deren Fassadengestaltung und geschweifte Dachform der modernen Konstruktion gleichwohl ein traditionelles japanisches Gepräge geben sollten.2 4 Dies war für Taut die »schuldige« architektonische Form, instrumentalisierbar für die Repräsentationen der Macht. Demgegenüber fand Taut in Katsura eine von ihrer bloß oberflächlichen Hülle entkleidete, schmucklose »reine nackte Architektur« – die »Erfüllung heutiger Sehnsucht«.25 Wenn nicht als Alternative zu jeglicher Schmuckform, so doch als wichtiges Kriterium für qualitätvolle Gestaltung in den angewandten Künsten galt Vertretern der Materialgerechtigkeit eine materialbewusste Gestaltung. Gemeint war damit, dass die als charakteristisch bewerteten Eigenschaften der verwendeten Materialien die Gestaltung leiten sollten. Für die Mitglieder des Deutschen Werkbunds war diese Forderung prägend. Bruno Taut notierte auf Blatt 15 seines Albums die Schmucklosigkeit der Ranma im Innenraum des Katsura-Palasts – der Öffnung zwischen dem Abschluss der Schiebewände und der Decke – die andernorts oft ornamental dekoriert ist: »Hier, wo das Volk Ornamente liebt, nur Stäbe. Nur Raumabschluß.« |Abb. 4| 26 Etwas später, auf Blatt 17, zeichnete Taut ein Detail der Innenraumgestaltung, eine ihm höchst gelungen erscheinende Verbindung von Schmuckform und Material: »Die Linie des Metalls«, aus dem das auf Holz aufgesetzte, kleine florale Ornament gefertigt ist, »fließt mit den Adern des Holzes«.27 Für Taut zeigte sich – im Sinne der bei Semper vertretenen These von der Genese und Abhängigkeit der Form vom Material – in der Schmuckform die Eigenschaft des Metalls, schmelzbar zu sein und flüssig zu werden. Taut zufolge »fließt« die lineare Form im Einklang mit der anthropomorphisierend als »Adern des Holzes« bezeichneten Holzmaserung, die vom natürlichen Entstehungsprozess des Baumaterials zeugt. Wie für viele Vertreter der Materialgerechtigkeit äußerte sich auch für Taut die Qualität der Gestaltung am Grad ihrer Berücksichtigung der Materialien. Die verwendeten Materialien sollten nicht völlig überformt werden, ihre Charakteristika sollten auch im abgeschlossenen Werk sichtbar und repräsentiert bleiben.
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4 Bruno Taut: Gedanken nach dem Besuch in Katsura, Blatt 15, Mai 1934, Tusche auf Japanpapier, 24 × 36 cm, Tokio, Iwanami Shoten
Im Deutschen Werkbund hatte man sich von Gestaltungsprinzipien wie Materialgerechtigkeit, Zweckmäßigkeit und Nachhaltigkeit das Potential erhofft, das »Durchsichtige, Strukturelle, das Kernhafte, Konzentrierte […] technischer Formen« mit der »Einfachheit […] naturhafter, schlichter Wahrhaftigkeit […] primitiver Formen« zu versöhnen.28 Als Ergebnis der seit dem 19. Jahrhundert um Stilfragen geführten Debatten lässt sich insbesondere die Forderung nach Materialgerechtigkeit als kompensatorische Reaktion auf die Industrialisierung und die damit einhergehende Aufwertung des Naturschönen zurückführen.29
Ise: Natur und Nation Die japanische Holzarchitektur sei Ausdruck eines »ganz anderen Verhältnisses zur Natur, ihren Produkten, eine[r] ganz andere[n] Ästhetik und Technik«, formulierte Taut in Houses and People of Japan, einem Buch, das er 1935–1936 im Auftrag des japanischen Sanseido-Verlags verfasste.30 In der Architektur Japans fand Taut eine »Verbindung des Menschen und seiner Ordnung mit der Natur und ihren Kräften« verwirklicht, die er auf den Einfluss des Shintoismus zurückführte.31 Der Shintoismus ist eine animistische Religion, in der Naturerscheinungen verehrt werden, die an den Ort der Schreine und an die Schreine selbst gebunden sind. Ziel dieser rituellen Praxis ist »die Einbettung des Menschen in eine Welt, in der das Göttliche ganz in den Einzeldingen präsent ist«.32 Dass die japanische Architektur das Klima als funktionales Prinzip berücksichtigt, war für Taut eine Folge dieses
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spezifischen Naturverhältnisses. Schon im Titel Houses and People of Japan deutet sich an, dass hier von einer Abhängigkeit zwischen der in Japan entstandenen Architektur und dem Charakter des japanischen Volks ausgegangen wird, oder dass die Häuser in Japan als ebenso »japanisch« gedacht werden wie das japanische Volk. So, wie bereits Winckelmann in seiner Geschichte der Kunst des Altertums Kunst als »Ausdruck des Denkens eines Volkes« verstand, ging auch Taut von einer Abhängigkeit der Kultur von dem durch das Klima geformten Nationalcharakter aus.33 Durch die Verknüpfung mit Konstanten wie Klima und Natur verlieh Taut dem Nationalen eine überhistorische Dimension. Darüber hinaus verwendete Taut die Begriffe »Volk« und »Nation« wie vor ihrer Differenzierung im 18. Jahrhundert weitgehend deckungsgleich. Damit verband er den politischen, auf die staatliche Ordnung bezogenen Begriff der »Nation« mit dem Begriff des »Volks«, der eine durch gemeinsames Erbe in Sprache und Geschichte zusammengehörige Gruppe bezeichnet.3 4 Vermutlich bezog Taut sein Verständnis von nationaler Kultur aus der bürgerlich-liberalen Ideologie von 1848 und den Vorstellungen des sozialistischen Internationalismus. So ist Tauts These, dass kulturelle Errungenschaften als nationale Werte, etwa die architektonischen Prinzipien des »japanischen Hauses«, Internationalität in sich trügen, Ausdruck eines solchen Geschichtsmodells, in dem die Nation eine erste, anfängliche Stufe in der Entwicklung einer zukünftigen Weltgemeinschaft besetzt. Nach der erzwungenen Öffnung des Landes durch die »schwarzen Schiffe« von Kommodore Perry im Jahr 1855 vollzog sich die Entwicklung Japans zum »modernen« Staat entlang der »internationalen Norm des Nationalismus«.35 Schon früh präsentierte sich Japan als jüngstes Mitglied im Kreis der alten Kulturnationen auf den Weltausstellungen. Bereits auf der Wiener Weltausstellung von 1873 wurde ein Bau gezeigt, der dem Ise-Schrein, der bedeutendsten Kultstätte des Shintoismus, äußerst ähnlich war.36 Seit dieser Zeit galten Ise und der Shintoismus als repräsentative kulturelle Hervorbringungen der japanischen Nation. Taut beglaubigte die repräsentative Funktion des Shintoismus, als er in Houses and People of Japan schrieb: »Doch erst nach dem Besuch von Ise weiß man, was Japan ist.«37 Mit der Wiederherstellung des Kaisertums in der Meiji-Zeit wurde der Shintoismus zur Staatsreligion erklärt und diente der Legitimation des japanischen Nationalismus bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Die staatlich verordnete Kokutai-Ideologie der Meiji-Zeit verband den »ungeschichtlichen Natur- und Seelenkult« mit einer »Geschichte generierende[n] Ahnen- und Heldenverehrung« und begründete so ein ideologisches Bewusstsein von der Sonderstellung Japans, des japanischen Kaisers und der Japaner im Kosmos.38 Denn die wichtigste japanische Göttin, die Sonnengöttin Amaterasu, deren Insignie, der Spiegel, in Ise aufbewahrt wird, gilt als direkte Vorfahrin der japanischen Kaiser. Für Taut, der in Japan »viel gesehen, gehört und in letzter Zeit auch gelesen« hatte, die zeitgenössische kulturelle Selbstdarstellung Japans also durchaus reflektierte, waren die Schreine »gewissermaßen Behälter des Geistes, der in ebenso rätselhafter Weise sein Land und seine Nation geschaffen hat«.39 Die Schreine von Ise figurieren bei Taut als Abstraktion der japanischen Bauernhäuser, als eine »ins Geistige und Künstlerische projizierte Bauernwohnung«, gleichsam als japanische
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5 Unbekannter Fotograf: Schreine in Ise, Außenansicht, Fotografie, um 1900
Urhütte |Abb. 5|. 40 Diese von ihm konstruierte Tradition beanspruchte Taut für Katsura und stützte sich dabei auf die shintoistische Naturauffassung, um das architektonische Prinzip der »Unschuld der Form« und der »Reinheit des Materials« zu begründen. Mit der »Reinheit des Materials«, die er als charakteristisch für die in Katsura verwirklichte Architektur begriff, bezog sich Taut auf den Kern shintoistischer Rituale, die alle der Reinigung dienen. Zugleich differenzierte er die tradierte Vorstellung einer auf das Naturschöne gegründeten japanischen Ästhetik im Sinne eines wichtigen Aspekts der westlichen Forderung nach Materialgerechtigkeit, als er die Holzbehandlung in japanischen Bauernhäusern beschrieb: »Das Holz will ähnlich wie der Mensch behandelt sein. Seine Oberfläche liebt die freie, unbekleidete Atmung.« 41 Taut forderte so einerseits die Ebenbürtigkeit von Mensch und Baumaterial, die das Verhältnis von Subjekt und Objekt in ein auch für das Material »gerechtes« Verhältnis wendet, und nahm außerdem auf das schon lange mit der Forderung nach Materialgerechtigkeit verbundene Gebot der materialsichtigen Verarbeitung Bezug. Dieses Gebot, das auf die in der Materialgerechtigkeit angelegte Verurteilung von Imitation und Surrogat zurückgeht, besagte, dass Hölzer möglichst in einem »natürlichen« Zustand belassen werden sollten.42 Mit solchen Geboten waren Vertreter des »materialistischen Systems« der Materialgerechtigkeit seit dem 19. Jahrhundert gegen die Nivellierung des Materials in der idealistischen Ästhetik angetreten.43 Aber die Materialgerechtigkeit löste das idealistische System nicht ab, »sondern trat sein Erbe an«.4 4 Für das Verständnis von Tauts Interpretation der japanischen Ästhetik ist diese historisch und systematisch nachvollziehbare Verwandtschaft der Materialgerechtigkeit mit dem Idealismus von entscheidender Bedeutung. So lobte Taut zwar die Schönheit unlackierter Hölzer in der Architekturtradition von Katsura, aber er lehnte das »sentimentale Gefühl gegenüber Naturmaterialien« ab, das »selbst die Japaner«
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nicht hätten: »[…] niemals hat man sich so sklavisch gegen das Naturmaterial verhalten, dass man sich einem Diktat heutiger Art fügte, nämlich der Forderung, dass das Material unbedingt in seiner natürlichen Struktur erhalten und gezeigt werden müsse, wenn es eine gewisse Kostbarkeit darstellt.«45 Im idealistischen System ist der Materialwert nicht mit dem Kunstwert gleichzusetzen, wertvolle Stoffe gelten für die künstlerische Idee eher als hinderlich.46 In genau diesem Sinn charakterisierte Taut auf den letzten Blättern seines Albums die idealen Entstehungsbedingungen der Architektur von Katsura, die »keine Grenze der Kosten« kannte: »Das Material ist nicht das Teuerste, er hat es nur genau ausgewählt und hat alle Auswüchse vermieden – gerade auch in Richtung des Prunks. Still ist alles, die Hölzer, der Putz, die Malereien.« 47 Die ästhetische Qualität, der Kunstwert, ergibt sich für Taut nicht aus dem »wertvollen Material an und für sich«, sondern aus der Befriedigung »der Ansprüche, die die edlen Holz- und Steinsorten, auch die Metalle, an die Formen ihrer Verwendung stellen«.48 Andernfalls – sollten diese Ansprüche missachtet werden – »prostituiere« man die Materialien: »Man kann ruhig behaupten, daß das gesamte moderne Kunstgewerbe unter dieser Mißachtung des Materials leidet, und daß darin die Hauptursache der modernen Geschmacklosigkeiten liegt.«49
Idealismus und Materialgerechtigkeit: Arbeit, Form und Mythos Der Baumeister von Katsura habe erkannt, dass die Funktion auch etwas Spirituelles sei, formulierte Taut.50 Ähnlich folgerte er aus dem seit dem 6. Jahrhundert immer wieder erfolgenden Auf- und Abbau der Schreine von Ise: »Sie werden alle 21 Jahre in schönstem neuen Material völlig neu aufgebaut, doch in den uralten Formen rätselhafter Herkunft.«51 Diese Beschreibung der Beibehaltung der Form, also der künstlerischen Konzeption, gefertigt aus »herrlichem Zypressenholz, ohne jegliche künstliche Zutat von Öl und dgl. immer frisch duftend«, entspricht dem Vorrang der künstlerischen Idee gegenüber dem vergänglichen Material in der idealistischen Ästhetik.52 Denn die Form der Schreine als Ausdruck der Idee überdauert das bloß materielle Sein der Schreine. Die Form als geistiger Inhalt, der sich in der Form manifestiert, ist dem Material, das vergänglich ist, weil es stetig erneuert wird, überlegen. Mit seiner Orientierung an idealistischen Argumenten beglaubigte Taut den Status der Ise-Schreine – und damit auch der Bauten von Katsura – als Kunstwerke. Aufgrund ihres vergänglichen Materials, dem Holz, wäre dieser Architektur ein hoher Rang in einer traditionellen Materialhierarchie idealistischer Prägung immer verwehrt geblieben. Denn »Holz ist […] der Werkstoff, der im Wettbewerb mit den härteren Materialien immer unterliegt. Zumindest gilt das für die westlichen Hochkulturen, bei denen der Wechsel von hölzernen Anfängen zu steinernen oder metallenen Endstufen typisch ist«.53 Diese idealistische Bewertungstradition unterlief Taut mit Hilfe ihrer eigenen Argumente. Das Manko der Vergänglichkeit verwandelte er in einen ästhetischen Vorteil auch in totalitarismuskritischer Hinsicht: Mit der »Verfeinerung des Vorübergehenden« begründete er den Antagonismus zwischen der
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Holzarchitektur von Ise und einer für ihn in den steinernen Bauten Ägyptens und Chinas symbolisierten Monumentalisierung menschlicher Ideen und Vorstellungen.5 4 Die Schönheit des Ephemeren, das seit Baudelaire als charakteristisch für die Moderne gilt, diente Taut so als ein weiteres wichtiges Argument zur Qualitätsbeglaubigung der Architekturtraditionen von Ise und Katsura; gerade mit dem Ephemeren ließ sich die wesentliche Modernität dieser alten Architekturen und ihre konzeptionelle Anschlussfähigkeit an die westliche Moderne begründen. Dass Taut auf Erklärungsmuster des Idealismus zurückgriff, um das shintoistische Naturverständnis und eine darauf gründende ästhetische Tradition aus westlicher Sicht auszuwerten, ist jedoch alles andere als unproblematisch. Dem idealistischen Paradigma folgend, stellt Taut die Form dem geistigen Inhalt nicht als äußerlich dar, sondern implizierte zwischen der Form und der künstlerischen Idee eine notwendige Beziehung. Dass in derartigen Annahmen »Wahrheitsmoment und ideologischer Moment« aufs engste verknüpft seien, zumal dann, wenn die Vermittlung von Form und Inhalt durch Arbeit negiert und damit »mythisch, scheinhafte Lösung eines ungelösten Problems« werde, hat Peter Bürger in seiner Kritik der idealistischen Ästhetik entwickelt.55 Der mythische Anteil an Tauts Darstellung der ohnehin schon durch religiöse Bezüge aufgeladenen Architektur von Ise, die zusätzlich von Seiten des japanischen Staates national instrumentalisiert wurde, findet sich auch in der Betonung der »rätselhaften Herkunft« der »uralten Formen« in dem Aufsatz Das architektonische Weltwunder Japans. Obwohl Taut sich ausführlich mit den traditionellen Zimmermannstechniken beschäftigte, die Vermittlung von Form und Geist durch Arbeit also nicht prinzipiell vernachlässigt hat, kommt die handwerkliche Konstruktion der Schreine von Ise oder des Katsura-Palasts in diesem wichtigen Text, der ja das »Wunder« der japanischen Architektur beschwört, nicht vor.56 Auch in den Beschreibungen von Ise an anderer Stelle, zum Beispiel in Houses and People of Japan, ging Taut auf die Techniken der Konstruktion nicht weiter ein. Die einzige Erwähnung tatsächlicher Arbeit an den Schreinen von Ise ist religiös konnotiert: »Das frische Grün der hohen Zedern, in denen der Schrein steht, umrahmt wie die ewig lebende Natur diese sich immer wieder erneuernden Wohnungen des japanischen Nationalgeistes. Die Schreine werden alle 20 Jahre abgerissen und ihr Material als Andenken verteilt. In der Zwischenzeit bereiten Zimmerleute in schneeweißem Ornat wie Priester und mit den gleichen hohen, schwarzen Kappen auf dem Kopf, das Holz vor, und auf einem Platz daneben, der sonst nur mit sauberen Kieseln belegt ist und nicht betreten werden darf, wird der neue Schrein errichtet.« 57 Indem Taut das Moment der Arbeit zugunsten der Schilderung des religiösen Rituals missachtete, unterschlug er das schlichte Faktum des Gemachtseins der Schreine. Dadurch reproduzierte er die mythische Vorstellung einer ursprünglichen, unverfälschten, endemischen, aber dennoch universell gültigen Naturhaftigkeit, die seit der Meiji-Zeit als Charakte-
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ristikum einer japanischen Nationalkultur reklamiert wurde. Die behauptete Ursprünglichkeit und Naturhaftigkeit der japanischen Nationalkultur wurde seitdem nicht nur nach innen, sondern auch nach außen, an den Westen, vermittelt. Tauts Begegnung mit der japanischen Kultur war also von Vorstellungen vorgeprägt, die aus ideologischen Gründen an den Westen vermittelt worden waren. So geriet Taut in die Falle einer staatlich betriebenen Remythisierung: Als westlicher Beobachter und Interpret beglaubigte er, was aus ideologischen Gründen nach außen getragen worden war, indem er es als vor Ort wiedererkannte Wahrheit zurückspiegelte: »Katsura ist, da es ein betont japanisches Werk, d. h. dem Geist und nicht bloß den Händen nach ist, gewissermaßen die Fortsetzung der Schreine von Ise. Diese, das höchste Nationalheiligtum, gehen in ihrer Form auf die Zeit weit vor den chinesischen Einflüssen zurück; Konstruktion, Material und Struktur – alles ist vollkommen klar und selbstverständlich einfach, alles ist rein und darum schön, entsprechend dem japanischen Wort ›kirei‹, das ›rein‹ und ›schön‹ zugleich heißt. Bauwerke aus vorgeschichtlichen Zeiten, wie eine Akropolis Japans, und doch keine Ruine wie die Akropolis von Athen – sie werden alle 21 Jahre in schönstem neuen Material völlig neu aufgebaut, doch in den uralten Formen rätselhafter Herkunft. Und sie sind auch im geistigen Sinne keine Ruinen, in ihnen verehrt der Japaner die Schreine, gewissermaßen Behälter des Geistes, der in ebenso rätselhafter Weise sein Land und seine Nation geschaffen hat. So ist diese unbestimmbare alte und doch im Material stets neue grandiose Architektur das größte architektonische Weltwunder der Gegenwart.« 58
Tee und Bambus: Materialästhetische Konzepte für das Industriezeitalter Auf einem der letzten Blätter des Katsura-Albums schloss Taut seine Überlegungen mit der formelhaften Begriffspaarung »Ise + Teekultur«.59 Taut glaubte fälschlicherweise, Katsura sei von einem bedeutenden Teemeister der Tokugawa-Zeit (1600–1867), dem Daimyo Kobori Enshu Masakazu (1579–1647), geplant worden. Wie schon für viele westliche Betrachter Japans figurierte die Teeästhetik für Taut ebenso als autochthone Kultur Japans wie als Vorbild für eine materialgerechte Moderne. »Jedes Material hat sein bestimmtes Gesicht und seinen Charakter. Im Verhältnis zum Material, seiner Struktur, seinem Verhalten, seinen Eigenschaften, liegt eigentlich das Fundament aller Architektur und gewerblichen Arbeit. Niemand kann volles Kunstverständnis haben, bei dem es nicht mit dem Gefühl für das Material beginnt. Wer den Weg dazu sucht, lese das ›Buch vom Tee‹ von Kakuzo Okakura (Insel-Verlag, Leipzig, 90 Pfennig).«60
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6 Shintoismus und Teekultur vereinigt in einer Allegorie des Japanischen, Rich Pope, New York Times, Book Review, 8. Juni 2003
schrieb der Leiter der Deutschen Werkstätten, Karl Schmidt-Hellerau, in einem, im Kontext des früh gescheiterten Werkbundprojekts für eine Siedlung aus Holz am Stuttgarter Kochenhof publizierten, Artikel im selben Jahr, in dem der exilierte Bruno Taut zum ersten Mal Katsura besuchte. Dass das Image von Japan als »Land der Teekultur« bis heute kolportiert wird, hat wesentlich mit der Wiederbelebung der Teekultur in der Meiji-Zeit (1868–1912) zu tun |Abb. 6|.61 Okakuras Book of Tea, kurz nach dem Sieg Japans über die Flotte des russischen Zaren bei Tsushima 1906 veröffentlicht und gezielt auf Englisch für eine westliche Leserschaft geschrieben, hatte maßgeblichen Anteil daran, die Teeästhetik zum Inbegriff des Japanischen zu stilisieren. Als das Buch erschien, befand sich die präzedenzlose Modernisierung Japans in ihrer Endphase. Die in der Meiji-Zeit nach über zweihundert Jahren bewusster Isolation erfolgte Öffnung Japans und die damit einhergehende Übernahme westlicher Wirtschafts-, Politik-, Gesellschafts- und Kunstmodelle war jedoch keineswegs unumstritten.62 Okakura, der seit seinem sechsten Lebensjahr Englischunterricht erhalten hatte und später an der Universität von Tokio bei Ernest Fenollosa westliche Philosophie studierte, war als hoher Beamter des Erziehungsministeriums in den 1880er Jahren institutionell in die Durchsetzung der Reformen der Meiji-Regierung eingebunden.63 Zugleich gehört Okakura zu den intellektuellen Protagonisten der japanischen Bewegungen, die als Reaktion auf den vom Westen verursachten Modernisierungsdruck eine Rückbesinnung auf die kulturelle Substanz Japans forderten (Nihon kaiki – Rückkehr nach
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Japan).64 Gemeinsam mit Fenollosa, für den er anfangs auch als Übersetzer fungierte, gründete Okakura 1884 die Vereinigung Kanga-kai, die sich der Verbreitung und Förderung der traditionellen japanischen Künste verschrieb und bald zu den einflussreichsten japanischen Kunstorganisationen zählte.65 Ein Ergebnis der Bemühungen der Kanga-kai war 1890 die Gründung der Tokyo Bijutsu Gakko, einer Kunstakademie, welche die seit 1876 etablierte Lehre westlicher Ölmalerei (Yoga) an der westlich orientierten Kobu Bijutsu Gakko um traditionelle Techniken wie Holzskulptur und Malerei im japanischen Stil mit wasserlöslichen Pigmenten auf Papier oder Seide (Nihonga) ergänzte; 1891 wurde Okakura Direktor der Tokyo Bijutsu Gakko |Abb. 7|. Das Buch vom Tee schrieb Okakura während seiner Zeit als Berater der asiatischen Abteilung am Bostoner Museum of Fine Arts, das nach dem Vorbild des ersten Kunstgewerbemuseums, des South Kensington Museums in London, angelegt worden war. Einem kleinen Kreis von Japonisten um die Sammlerin und Mäzenin Isabella Stewart Gardner las er damals regelmäßig Teile des Manuskripts vor, das die Verheißungen der Teeästhetik in Formulierungen fasste wie »Let us dream of evanescence, and linger in the beautiful foolishness of things.«66 Okakuras romantische Versprechung lautete, dass das Unabdingbare eben doch in den Dingen, und seien diese 7 Shimomura Kanzan: Studie zu einem selbst auch noch so vergänglich, aufzufinden sei.67 Die Porträt von Okakura Kakuzo, 1922, Tusche Teeästhetik beschrieb Okakura als geeignetes Mittel, auf Papier, 136,2 × 66,5 cm, Tokio, Geijutsu Daigaku die infolge der Industrialisierung defizitär gewordene ästhetische Gestaltung des Alltags zu erneuern: »Nowadays industrialism is making true refinement difficult all the world over. Do we not need the tea-room more than ever?«68 Das Teetrinken übernahmen die Japaner im frühen 9. Jahrhundert von den Chinesen. Während der Heian-Zeit (794–1185) wurde es zunächst zur höfischen Mode, bis es in der Muromachi-Zeit (1333–1568) zu einer der bevorzugten ästhetischen Formen der herrschenden Kriegerklasse avancierte. Dem Teemeister Sen no Rikyu (1522–1591), der dem Militärherrscher Hideyoshi Toyotomi (1536–1598) diente, wird zugeschrieben, den entscheidenden Wandel des Chanoyu (Teezeremonie) von der prachtvollen Inszenierung unter Verwendung
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chinesischer Gegenstände hin zu einer schlichten, weniger prunkvollen Gestaltung herbeigeführt zu haben. Diese Form des Chanoyu wird Wabi-cha genannt. Mit seiner hochpoetischen Beschreibung der Teeästhetik als »worship of the Imperfect«, die Okakura mit dem bis heute in unzähligen Auflagen und Übersetzungen publizierten Buch vom Tee lieferte, bezog er sich, ohne diesen je explizit zu nennen, auf den mittelalterlichen Begriff Wabi.69 Dieser Begriff bezeichnet ein ästhetisches Konzept von materieller Armut, allgemein des Mangels, der jedoch ins Positive gewendet ist. Anschaulich wird Wabi in der Gestaltung des Teeraums beispielsweise durch möglichst wenig bearbeitete Hölzer, lehmverputzte Wände oder durch die Verwendung von rustikal wirkenden Gegenständen, etwa von Keramiken in der Teezeremonie.70 Hideyoshi hatte nach einer Invasion Koreas im Jahr 1592 koreanische Töpferfamilien als Kriegsgefangene nach Japan gebracht, das zu diesem Zeitpunkt nur wenig Keramik produzierte. Koreanische beziehungsweise unter der Anleitung koreanischer Töpfer seitdem in Japan hergestellte Keramiken, wie zum Beispiel Raku oder Karatsu, gelten als ein charakteristischer Ausdruck der Wabi-Ästhetik.71 Zwischen Okakuras Beschreibung des Teeraums und Tauts Theorien zum japanischen Haus, dessen Geist die Vergänglichkeit der Materialien überdauert, gibt es Parallelen, die Tauts Vorstellungen zuweilen wie ein entferntes Echo Okakuras erscheinen lassen: »Zennism, with the Buddhist theory of evanescence and its demand for the mastery of spirit over matter, recognized the house only as a temporary refuge for the body. The body itself was but a hut in the wilderness, a flimsy shelter made by tying together the grasses that grew around […]. In the tea-room fugitiveness is suggested in the thatched roof, frailty in the slender pillars, lightness in the bamboo support, apparent carelessness in the use of commonplace materials. The eternal is to be found only in the spirit which, embodied in these simple surroundings, beautifies them with the subtle light of its refinement.«72 Seitdem er von Okakura so beschrieben wurde, hat der Wabi-Stil des Chanoyu die westliche Imagination ebenso nachhaltig beschäftigt wie die japanische. Okakura verstand sich als kulturellen Übersetzer. Mit seinen Schriften versuchte er seine Vorstellungen einer japanischen Nationalästhetik vor allem im Westen zu vermitteln; mit der Gründung von Institutionen nach westlichem Vorbild bemühte er sich, dasselbe in Japan zu erreichen. Seine Texte zeichnen sich darüber hinaus neben der sprachlichen durch eine weitere spezifische Übersetzungsleistung aus. Denn Okakura nutzte den Zentralbegriff der Hegelianischen Philosophie, den Weltgeist, dessen historischen Ursprung Hegel im Osten, in Indien, lokalisiert. Mit dem Verweis auf die bereits geglückte Realisierung nondualistischer Universalität im indischen Buddhismus setzt Okakura die dialektische Struktur der Geschichte, wie sie Hegel darstellt, jedoch außer Kraft.73 Japan und seiner Kunst kommt in dieser Konstruktion die Funktion eines Museums aller asiatischen Kultur zu:
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»Thus Japan is a museum of Asiatic civilization; and yet more than a museum, because the singular genius of the race leads it to dwell on all phases of the ideals of the past, in that spirit of living Advaitism which welcomes the new without losing the old […]. The history of Japanese art becomes thus the history of the Asiatic ideals – the beach where each successive wave of Eastern thought has left its sandripple as it beat against the national consciousness.« 74 Der erste Satz von Okakuras 1903 publizierten Ideals of the East klingt dementsprechend wie ein vorweggenommenes Fazit: »Asia is one«.75 Mit dem auf Japanisch erst 1938 erschienen Buch lieferte Okakura dem japanischen Imperialismus, der sich auf politischer Ebene mit dem als Befreiungsbewegung vom westlichen Kolonialismus konzipierten Pan-Asianismus rechtfertigte, eine kulturelle Begründung.76 Vielleicht war es trotzdem nicht das Museum, von dem Okakura geträumt hatte, das Yanagi Soetsu 1936 in Tokio gründete, um das kulturelle Erbe Japans auszustellen. Neben Keramiken, Korbflechtereien, Textilien und anderen Gegenständen traditioneller Handwerkskunst aus den verschiedenen Regionen Japans, zum Beispiel aus weit entfernten Präfekturen wie Okinawa, zeigte das Mingei-Museum Volkskunst aus den von Japan im Zuge seiner imperialistischen Expansion seit dem Ende des 19. Jahrhunderts beanspruchten Ländern Taiwan, Korea und China.7 7 Aber wie die japanischen Nationalisten der 1930er und 1940er Jahre bezog sich auch Yanagi auf Okakura und insbesondere auf die Teeästhetik.78 Die Mingei-Gruppierung, eine Mischung aus Volkskunst- und Kunstgewerbebewegung, war schon durch ihr englisches Mitglied, den Töpfer Bernard Leach, stark von der Rezeption der Texte des Arts and Crafts Movement um William Morris geprägt.79 Knapp vierzig Jahre nach der Entstehung des Arts and Crafts Movement verfocht der Mingei-Gründer Yanagi die Erhaltung durch die Industrialisierung obsolet gewordener handwerklicher Techniken und favorisierte zudem die Verwendung natürlicher Materialien als authentischen Ausdruck der kulturellen Identität Japans: »Der Mensch ist der Auffassung, künstliches Material […] sei rein, aber vom Standpunkt der Natur aus ist es unrein und erkünstelt. Wenn wir auf die großen Epochen zurückblicken, sind wir versucht zu sagen, das Material sei gleichbedeutend mit der Handwerkskunst. Ein Aspekt der Schönheit von handwerklichen Erzeugnissen ist die Schönheit der Materialien. Müssen wir nicht das Handwerk als wesensmäßig ortsgebunden ansehen? Handwerk entsteht dort, wo die benötigten Rohstoffe gefunden werden. Je näher wir der Natur sind, um so sicherer sind wir; und je weiter entfernt von ihr, um so gefährdeter.«80 Die gestalterische Umsetzung dieser Ablehnung der ubiquitären Materialien der Moderne zugunsten einer Bevorzugung natürlicher und lokal vorkommender Werkstoffe, die in der Nationalisierung dieser Materialien mündet, wirkt im Falle der 1941 von Kawai Kanjiro entworfenen Sitzgruppe aus Bambus tatsächlich ebenso sentimental wie brachial |Abb. 8|.
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8 Kawai Kanjiro: Bambusmöbel, 1941, Kyoto, Kawai Kanjiro Kinenkan
Taut, der in Japan mit Yanagi bekannt geworden war und dessen Projekt grundsätzlich befürwortete, kritisierte die am Vorbild der Volkskunst geschulten Arbeiten der Mitglieder der Mingei-Bewegung bisweilen heftig, weil sie nicht auf das von ihm so geschätzte »moderne« Element der vormodernen japanischen Kunst zurückgriffen.81 Die Designhistorikerin Yuko Kikuchi hat in ihrer ausführlichen Untersuchung der Mingei-Bewegung vorgeschlagen, deren Theorie und ihre kunstgewerblichen Gegenstände als Ausdruck einer Selbstorientalisierung zu verstehen.82 Tatsächlich könnte man die artifizielle Volkskunst der Mingei-Mitglieder als einen Exotismus des Unvollkommenen bezeichnen. Dass die Nobilitierung des einfach Gefertigten und die bewusst inszenierte Unvollkommenheit von Gegenständen aber nur in einer Welt denkbar sei, in der solche Gegenstände die Ausnahme von der Regel billiger, industriell perfekt hergestellter Produkte darstellen, bemerkte schon der amerikanische Soziologe Thorstein Veblen in seiner 1899 erschienen Theory of the Leisure Class und kritisierte damit das Arts and Crafts Movement.83 Mit der »Schönheit des Unvollkommenen« wollte auch Okakura Kakuzos Buch vom Tee den bürgerlichen Industriegesellschaften des Westens ein ästhetisches Differenzmodell anbieten. Okakuras japanische Teeästhetik versprach, die materielle Kultur der Industriegesellschaften mit einer Spiritualität anzureichern, deren Verschwinden in der Verdinglichung die Zeitgenossen nicht nur im Westen beklagten. Denn Okakuras Differenzmodell einer »Schönheit des Unvollkommenen« offerierte zugleich eine kulturelle Selbstbehauptungsstrategie für Japan. Die Anschlussfähigkeit an westliche Diskurse erreichte Okakura durch Argumente, die er in Auseinandersetzung mit der westlichen Philosophie des Idealismus gewonnen hatte.84 Okakuras Strategie war die der
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Übersetzung: Die vermittels der englischen Sprache geleistete Übersetzung einer kulturellen Praxis des japanischen Mittelalters ins 20. Jahrhundert, und deren Einpassung in das theoretische Passepartout des Idealismus.
»Ich liebe die japanische Kultur« Bruno Tauts Bewertung der japanischen Architektur hat die westliche Kunstgeschichtsschreibung bis weit in die 1980er Jahre geprägt, ohne dass in der westlichen Forschung genauer nach dem diskursgeschichtlichen Hintergrund seiner Einschätzungen gefragt worden ist. Dabei hat Taut selbst immer wieder Hinweise auf das besondere Projektionsverhältnis gegeben, das er zu Japan unterhielt. »Ich liebe / die japanische / Kultur«, schrieb er 1934.85 In einer selbstreflexiven Passage gegen Ende von Houses and People of Japan ließ er einen Herrn Suzuki auftreten und über Tauts Manuskript sagen: »Aber die Deutung ist eine europäische und kann auch nicht anders sein, da sie von einem Europäer stammt. Sie fühlen sich in die europäische Systematik ein und sagen: von ihr aus kann man es so ansehen. Aber, wenn der Westen den Osten und ebenso umgekehrt der Osten den Westen verstehen soll, dann genügt das nicht.«86 Wie für Okakura verkörperte eine »japanische Moderne« auch für Taut die Hoffnung auf die Versöhnung von Geistigem und Materiellem, für deren Beschreibung Taut auf die durchaus unscharfe und gerade deshalb besonders integrative Vorstellung der Materialgerechtigkeit zurückgriff. Beschreibungsformeln wie die »Unschuld der Form« und die »Reinheit des Materials«, die Taut für die Architekturtradition von Katsura und Ise fand, spiegeln die Wahrhaftigkeitsethik der Debatten um Gestaltungskriterien für das Kunstgewerbe und die Architektur, wie sie in den Reformbewegungen seit dem ausgehenden 19. Jahrhunderts geführt wurden. »Unschuld der Form« und »Reinheit des Materials« charakterisierten für Taut eine funktionale Baustruktur, die sich aus den Erfordernissen von Material, Zweck und Technik ergibt. Und die architektonische Form wird, da Taut zufolge lokale Traditionen und klimatische Bedingungen diese Form prägen, notwendig zur sinnlichen Erscheinung des nationalen Geistes. Katsura war für Taut ein »betont japanisches Werk, d. h. dem Geist und nicht bloß den Händen nach«.87 In der gelungenen technisch-funktionalen Form offenbarte sich für Taut der Geist. So konnte Taut diese Architektur als Kunstwerk im Sinne des idealistischen Werkbegriffs verstehen, weil in ihr die Versöhnung der Dualität von Form und Inhalt geglückt war. Diese verabsolutierende Qualitäts- und Kunstbeglaubigungsstrategie verfährt jedoch mythisierend und öffnet sich dadurch auch nationalistischen Lesarten – was den Absichten und Wünschen Tauts allerdings eindeutig zuwiderlief. Wie schwierig es aber war, eine »japanische Moderne« tatsächlich zu gestalten, kann das Beispiel einer 1934 von Taut entworfenen Tischlampe aus Bambus illustrieren |Abb. 9|. Während die Lampe, wie Mihara Tokuguen 1980 feststellte, eine »typisch europäische Formgestaltung« aufweist, fungieren allein die Materialien der Lampe, Bambus und Washi-
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9 Bruno Taut: Tischlampe, 1934, Bambus, Schilfrohr, Washi-Papier, (Höhe) 54,5 cm, (Durchmesser) 44,0 cm, Rekonstruktion von 1989, Takasaki, Gunma Prefectural Museum of History
10 Charlotte Perriand: Bambusliege, 1941, Paris, Archiv Charlotte Perriand
Papier, als Signifikanten des Japanischen.88 Ähnlich wie bei Kawai Kanjiros Bambusmöbeln oder der von Charlotte Perriand 1941 auf Einladung des japanischen Ministeriums für Industrie und Handel erstellten Bambusversion einer der berühmten Stahlrohrliegen, die sie mit Le Corbusier entworfen hatte, wird das Material auch in Tauts Entwurf nationalisiert |Abb. 10|. Der Unterschied zwischen national und nationalistisch, dessen Trennschärfe Taut immer erhalten wollte, erweist sich spätestens in der Gestaltung von Gegenständen, die als Materialisierung einer »japanischen Moderne« gelten wollten, als undeutlich oder ambivalent.89 Die Berührungsfläche, die Taut dem japanischen Nationalismus und seiner »Ästhetisierung der Politik« geboten hat, war wohl auf tragische Weise zu groß.90 Tauts 1934 auf Japanisch veröffentlichtes Buch NIPPON wurde, wie Manfred Speidel berichtet, offiziell vom japanischen Kultusministerium empfohlen.91 Und eine Schriftensammlung Tauts, posthum von Shinoda Hideo unter dem Titel Die Wiederentdeckung der japanischen Schönheit herausgegeben, begleitete japanische Soldaten im Tornister mit in den Zweiten Weltkrieg.92
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Und Katsura? Katsura hatte Tauts Erwartungen erfüllt, denn Taut glaubte zu verstehen, was er in Katsura sah. Die aktuelle Forschung ist jedoch davon überzeugt, dass die Architektur und der Garten von Katsura keinesfalls rein funktionalen Gesichtspunkten entsprechen, sondern durch vielfältige Anspielungen auf Motive aus der klassischen chinesischen und japanischen Literatur Bezug nehmen und so architektonische Bilder erzeugen. Gerade für ihre »Bildwirkung« aber hatte Taut die Mausoleen in Nikko scharf verurteilt. Die Einfachheit von Katsura gilt heutigem Kenntnisstand nach eher als »hochstilisierte Kunstform«, in der eklektizistisch mit Momenten des ästhetischen Schocks gespielt wird, denn als reiner Ausdruck des Funktionalen.93
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Während im Aufsatztext alle japanischen Namen in ihrer ursprünglichen Gestalt belassen sind, der Familienname also voran steht und danach der persönliche Name oder ein Schriftstellername folgt (Okakura Kakuzo), entspricht die Nennung japanischer Namen in den Anmerkungen westlichen Konventionen (Kakuzo Okakura). 1 Bruno Taut: Gedanken nach dem Besuch in Katsura [Mai 1934], Blatt 7, in: Bruno Taut. Retrospektive. Natur und Fantasie 1880–1938, hg. v. Manfred Speidel, Ausstellungskatalog, Kulturhistorisches Museum, Magdeburg 1995, S. 313. 2 Brief von Taut an Paulsen [29. Oktober 1933] in: id.: Ich liebe die japanische Kultur. Kleine Schriften über Japan, hg. v. Manfred Speidel, Berlin 2003, S. 69–75, S. 73. Tauts Beschreibung fußt auf älteren Vorstellungen von Japan als »Künstlernation«, wie sie bereits 1889 von Rudyard Kipling zitiert wurden; vgl. Rudyard Kipling: From Sea to Sea and other Sketches. Letters of Travel, New York 1899, S. 292 (März– September 1889): »And I was in Japan – the Japan of cabinets and joinery, gracious folk and fair manners. Japan, whence the camphor and the lacquer and the shark-skin swords come; among – what was it the books said? – a nation of artists.« 3 Vgl. Gottfried Semper: Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik [1860–1863], hg. v. Friedrich Piel, 2 Bde., Mittenwald 1977; zur Geschichte des Begriffsfelds ›Materialstil, Materialstimmung, Materialgerechtigkeit‹ vgl. Dietmar Rübel, Monika Wagner u. Vera Wolff (Hg.): Materialästhetik. Quellentexte zu Kunst, Design und Architektur, Berlin 2005, S. 94–139. 4 Rübel, Wagner u. Wolff 2005 (wie Anm. 3), S. 10 (Vorwort). 5 Tom Wolfe: From Bauhaus to our House, New York 1981, S. 4. Die Bezeichnung »International Style« verdankt sich dem Titel der berühmten New Yorker Ausstellung The International Style. Modern Architecture since 1922, New York, Museum of Modern Art, 1932. 6 Zuerst 1938 auf Türkisch als Mimari Bilgisi, 1948 dann als Kenchiku Geijutsuron auf Japanisch erschienen; Bruno Taut: Architekturlehre. Grundlagen Theorie und Kritik Beziehung zu den anderen Künsten und zur Gesellschaft [1938], hg. v. Tilmann Heinisch u. Goerd Peschken, Berlin u. Hamburg 1977, S. 49: »Schon ein Kind kann in Berlin, Moskau, Tokyo, Los Angeles etc. sagen: das ist ein Theater, das ist eine Schule u. dgl. mehr, beinahe ebenso, wie es sagt: dieser Mann ist ein Soldat – auch wenn er kein Gewehr bei sich hat. Die Welt uniformiert sich mehr und mehr. Die Uniform der Soldaten ist eine Folge der gleichen Waffen, und Waffen sind in der Welt das Internationalste, was es gibt, trotzdem sie gewöhnlich nicht internationalen Zwecken dienen. Waffen sind Geräte und Maschinen, mit denen schließlich jeder schießen kann. Aber daß jeder für ihre Bedienung einfach das Kleid des anderen anzieht, daß sich also die riesigen Heere der Völker auf der Erde so gleichförmig uniformieren, daß man sie oft kaum unterscheiden kann – dagegen wehrt sich auch heute noch das Gefühl.« 7 Bruno Taut: Die neue Baukunst in Europa und Amerika, Stuttgart 1929, S. 67. 8 Taut 1977 (wie Anm. 6), S. 184. 9 Zur Rezeption Tauts in der Türkei vgl. Bernd Nicolai: Bauen im Exil. Bruno Tauts Architektur und die kemalistische Türkei 1936 bis 1938, in: Winfried Nerdinger et al. (Hg.): Bruno Taut 1880–1938. Architekt zwischen Tradition und Avantgarde, Stuttgart u. München 2001, S. 192–207; vgl. auch die kritische Abgrenzung der Position Tauts von der Position der Protagonisten der Nationalen Architekturbewegung in der Türkei bei Sibel Bozdogan: Nationalizing the Modern House. Regionalism Debates and Emigré Architects in Early Republican Turkey, in: Bernd Nicolai (Hg.): Architektur und Exil. Kulturtransfer und architektonische Emigration zwischen 1930 und 1950, Trier 2003, S. 185–197. 10 In Anlehnung an Tauts japonisierende Schreibweise auf Blatt 10 der Gedanken nach dem Besuch in Katsura [1934], in: Kat. Magdeburg 1995 (wie Anm. 1), S. 314.
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11 Vgl. Helen Hardacre: Shinto and the State 1868–1988, Princeton 1989; Klaus Antoni: Shinto und die Konzeption des japanischen Nationalwesens (kokutai). Der religiöse Traditionalismus in Neuzeit und Moderne Japans, in: Handbuch der Orientalistik, hg. v. Horst Hammitzsch, Leiden, Boston u. Köln 1998, Bd. VIII, S. 387–414. 12 Vgl. Tauts Reisenotizen, 10. Mai 1934, zitiert nach Yoshio Dohi: Bruno Taut. Sein Weg zur KatsuraVilla, in: Bruno Taut 1880–1938, Ausstellungskatalog, Akademie der Künste, Berlin 1980, S. 122: »Dieser 10. Mai 1933! Mein großer Tag in Japan. Wie eine neue Alpine Architektur. Es wird nachgeahmt werden. Noch nirgends – auch in Japan – habe ich diese Betrachtungsweise gefunden. Ein Gruß an den Geist, der doch die Welt regiert.« 13 Vgl. zum Beispiel Manfred Speidel: Bruno Taut in Japan, in: Taut 2003 (wie Anm. 2), S. 24–26. 14 Bruno Taut: Alpine Architektur [1919], Blatt 25, in: Kat. Magdeburg 1995 (wie Anm. 1), S. 170: »Europa das Helle – Asien das Hellere/ im Dunkel der farbigen Nacht.«. Whyte hat darauf hingewiesen, dass Tauts Ablehnung eines rein positivistischen Rationalismus und seine Paradies- und Versöhnungsvisionen in den Kontext der theoretischen Reaktionen auf den Ersten Weltkrieg zwischen Chiliasmus und Aktivismus einzuordnen sind; vgl. Ian Boyd Whyte: Bruno Taut. Baumeister einer neuen Welt. Architektur und Aktivismus 1914–1920, Stuttgart 1981, S. 40–72. 15 Bruno Taut: Das architektonische Weltwunder Japans [geschrieben 1934 und als Aufsatz erschienen in: Nippon. Zeitschrift für Japanologie 2/1935, hg. v. Japaninstitut Berlin und dem Japanisch-Deutschen Kulturinstitut Tokio, S. 2–4], in: Taut 2003 (wie Anm. 2), S. 93–100, S. 95. 16 Taut 1977 (wie Anm. 6), S. 128. 17 Taut (Das architektonische Weltwunder), in: Taut 2003 (wie Anm. 2), S. 98. 18 Bruno Taut: Neues Bauen in Japan [zuerst als Architecture Nouvelle au Japon in: l’architecture d’aujourd’hui 4/1935, S. 46–83], in: Taut 2003 (wie Anm. 2), S. 122–151, S. 128. 19 Taut (Das architektonische Weltwunder), in: Taut 2003 (wie Anm. 2), S. 96 (»Eine besondere Schwierigkeit begegnet da dem modernen Menschen: Er ist es gewohnt, die Architektur als Bild und auf ihre ›Bildwirkung‹ hin anzusehen. Die mißverstandene griechische Antike und vor allem die Tyrannei der Symmetrie seit Rom und der Renaissance führte zur ›Fassade‹, in Verdeutschung sehr bezeichnend ›Schauseite‹ genannt, und unterschied Vorne und Hinten, – alles Dinge und Vorstellungen, in denen Katsura keinen Platz findet.«). 20 Anhand verschiedener Bauten Tauts hat Wolfgang Pehnt das architektonische Motiv »Kern und Schale« untersucht; vgl. Wolfgang Pehnt: »Kern und Schale«. Ein architektonisches Motiv bei Bruno Taut, in: Pantheon 1/1982, S. 16–23. 21 Vgl. Werner Oechslins ausführliche Auseinandersetzung unter anderem zur Rezeption der Theorien Sempers und Böttichers, die im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts in diese Formeln der Moderne mündeten. Werner Oechslin: Stilhülse und Kern. Otto Wagner, Adolf Loos und der evolutionäre Weg zur modernen Architektur, Zürich 1994. 22 Wolfgang Pfleiderer: Die Form ohne Ornament, in: Die Form ohne Ornament. Werkbundausstellung 1924, Stuttgart 1924, S. 3–22, S. 8. 23 Taut (Das architektonische Weltwunder), in: Taut 2003 (wie Anm. 2), S. 128. 24 Speidel 2003 (wie Anm. 13), S. 29.
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25 Tagebucheintragung von Taut nach dem ersten Besuch in Katsura im Mai 1933, zitiert nach Speidel 2003 (wie Anm. 13), S. 21. 26 Taut (Gedanken), Blatt 15, in: Kat. Magdeburg 1995, S. 315. 27 Ibid., Blatt 17, S. 315. 28 Pfleiderer 1924 (wie Anm. 22), S. 8. 29 Vgl. auch Günther Bandmann: Der Wandel der Materialbewertung in der Kunsttheorie des 19. Jahrhunderts, in: Helmut Koopmann u. J. Adolf Schmoll gen. Eisenwerth (Hg.): Beiträge zur Theorie der Künste im 19. Jahrhundert, 2 Bde., Frankfurt am Main 1971, Bd. I, S. 129–157, S. 156 ff. 30 Bruno Taut: Das japanische Haus und sein Leben. Houses and People of Japan [zuerst als Houses and People of Japan, Tokio 1937], hg. v. Manfred Speidel, Berlin 32000, S. 68. 31 Bruno Taut: Shinto. Reichtum in Einfachheit [1933], in: Taut 2003 (wie Anm. 2), S. 77–91, S. 79. 32 Peter Pörtner u. Jens Heise: Die Philosophie Japans. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 1995, S. 60. 33 Taut erläutert das Verhältnis von Klima und Architektur als Funktionszusammenhang: »So mag es auch armselig klingen, wenn man für eine große Kunst im heutigen Zustande nichts mehr zur Grundlage finden kann als das Klima. Doch irgendwo muß man anfangen, und wenn der Anfang zwar bescheiden, aber im Prinzip richtig ist, so bleibt das weitere der Arbeit überlassen. Widerspricht also ein Bau nicht dem Klima, so spielt fast automatisch die Körperproportion der Menschen eines Landes hinein und erhöht die Eigenart, die das Klima bedingt. Das Temperament der verschiedenen Völker gibt ihm dazu noch den besonderen Charakter, die Klangfarbe. Haben die Architekten eines Landes zuerst auf rationalem Wege den Typ gefunden, so beginnt mit jenen Berücksichtigungen der Körperproportionen und des Temperamentes bereits ein Feld der Kunst […].«; Taut 1977 (wie Anm. 86), S. 63. Für den Bezug auf Japan sei hier nur beispielhaft Tauts Brief an einen Redakteur der Bauwelt zitiert, in dem Taut einen Artikel, den er der Zeitschrift anbieten wollte, skizzierte: »Das unbedingt Überwiegende an diesem Land ist doch seine Eigenart und Besonderheit, wie auch seine Inselwelt in Form von schroffen Felsen aus dem unerhört tiefen Meer aufsteigt. Die Bevölkerung trägt viel von dieser Natur in sich und die fremden Einflüsse spülen wie die Wogen dagegen, bringen kleine Veränderungen, doch ganz und gar nicht im Kern.«; Taut 2003 (wie Anm. 2), S. 70. Hubert Locher legt Winckelmanns These und die Geschichte der Vorstellung einer »Kunst der Nation« ausführlich dar; vgl. Hubert Locher: Kunstgeschichte als historische Theorie der Kunst 1750–1950, München 2001, S. 99–202, S. 119. 34 Zum historischen Diskurs über Volk und Nation vgl. Wolfgang Kaschuba: Volk und Nation. Ethnozentrismus in Geschichte und Gegenwart, in: Heinrich August Winkler u. Hartmut Kaelble (Hg.): Nationalismus – Nationalitäten – Supranantionalität, Stuttgart 1993, S. 57–61. 35 Benedict Anderson: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt am Main u. New York 42005, S. 101. 36 Peter Pantzer: Japonismus in Österreich oder: die Kunst kennt keine Grenzen, in: Verborgene Impressionen. Hidden Impressions, Ausstellungskatalog, Wien, MAK, 1990, Wien 1990, S. 12 (»In dieser Anlage konnte der ererbte Sinn des Landes der aufgehenden Sonne für Stilgebung und Symbolik in Haus und Garten und bis zum unscheinbarsten Gegenstand zu seinem Recht kommen. Ein hübscher Wasserfall, Hügel, Teich und Brücke, dem Nationalheiligtum Ise nachempfunden […]. Stilgerechte Bäume und Pflanzen steigerten in diesem Miniatur-Japan die Illusion eines Ausflugs nach dem Fernen Osten.«).
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37 Taut 2000 (wie Anm. 30), S. 143. 38 Pörtner, Heise 1995 (wie Anm. 32), S. 55; Kokutai heißt soviel wie »nationale Eigenschaft« oder »Volkscharakter«. Im Prozeß der Modernisierung und Militarisierung Japans seit der MeijiZeit wurde Kokutai zur Herrschaftsideologie. Der Staats-Shintoismus sollte als Integrationsprinzip die Voraussetzung für das konstitutionelle Regierungssystem abgeben und erzeugte faktisch eine Religionisierung der Politik; vgl. Masao Maruyama: Denken in Japan, Frankfurt am Main 1988, S. 43–45. 39 Taut (Brief an Paulsen), in: Taut 2003 (wie Anm. 2), S. 69; id. (Das architektonische Weltwunder), in: Ibid., S. 95. 40 Taut 2000 (wie Anm. 30), S. 138. Zum Topos der Urhütte vgl. Joachim Gaus: Die Urhütte. Über ein Modell in der Baukunst und ein Motiv in der bildenden Kunst, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 33/1971, S. 7–70; Joseph Rykwert: On Adam’s House in Paradise. The Idea of the Primitive Hut in Architectural History, Cambridge/Ma. 21981 sowie die Auseinandersetzung mit dem Topos im Kontext der Primitivismuskritik bei Mari Hvattum: Origins Redefined. A Tale of Pigs and Primitive Huts, in: Jo Odgers, Flora Samuel u. Adam Sharr (Hg.): Primitive. Original Matters in Architecture, London u. New York 2006, S. 33–42; Jonathan A. Hale: Gottfried Semper’s Primitive Hut, Duration, Construction and Self-creation, in: Ibid., S. 55–62; Stephen Cairns: Notes for an Alternative History of the Primitive Hut, in: Ibid., S. 86–95. 41 Taut 2000 (wie Anm. 30), S. 68; zur Vorstellung einer auf dem Naturschönen beruhenden japanischen Ästhetik vgl. zum Beispiel Curt Glaser: Die Kunst Ostasiens. Der Umkreis ihres Denkens und ihres Gestaltens, Leipzig 1913, S. 143–177. 42 Seit dem 19. Jahrhundert finden sich in kunsthistorischen Texten zur japanischen Architektur immer wieder lobende Erwähnungen der japanischen Holzbearbeitung, die man schon damals als materialgerecht verstand; vgl. Ralph Adams Cram: Impressions of Japanese Architecture and the Allied Arts, London 1906, S. 118 (»The great temples are the apotheosis of this system of building, but the private houses are its base, and in them one feels equally the logic of the construction, the clear knowledge of the essential beauty of the material. To the Japanese, wood, […] is almost sacred, and he handles it with a fineness of feeling that at best we only reveal when we are dealing with precious marbles. From all wood that may be seen close at hand, except such as is used as a basis for the rare and precious lacquer, paint, stain, varnish, anything that may obscure the beauty of texture and grain is rigidly kept away.« In den Texten japanischer Autoren, die in westlichen Sprachen verfasst, die Selbstdarstellung Japans im Westen prägten, findet sich auch der Topos von der »Reinheit« seit Mitte der 1930er Jahre stark national konnotiert; vgl. zum Beispiel Jiro Harada: The Lesson of Japanese Architecture, London u. New York 1936, S. 46: »Primarily Japanese buildings were not painted; the wood was left plain, the natural colours of the different species harmonized beautifully. […] No one would ever think of soiling such a surface with paint. […] This attitude toward the plain surface of wood is a manifestation of the love of nature so strong in the Japanese. It reveals a phase of our national characteristic, which is the keynote of our architecture. […] The cleanliness of our people, which we have already mentioned, cannot be over-emphasized.«); vgl. auch Huzisima-Gaiziro: The Purity of Japanese Architecture, in: Bulletin of Eastern Art 1/1943, S. 8 (»What is the genuineness of Japanese architecture? It is the expression of the purity of the Japanese spirit which centers in the Tenno and which is based on the special national constitution proper to Japan. It is an architecture which uses wooden material, without any embellishment, necessarily chosen because of the geographical condition of Japan, and plans plainly fit the national way of living, born from the Japanese climatic conditions. Here we find architecture of constructive rationality in such a high grade as rarely found in other nations.«). Für einen Überblick über die westliche Polemik gegen Surrogate und Imitationen vgl.: Materialimitation, in: Rübel, Wagner u. Wolff 2005 (wie Anm. 3), S. 142–193. 43 Bandmann 1971 (wie Anm. 29), S. 135.
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44 Wolfgang Kemp: Material der bildenden Kunst. Zu einem ungelösten Problem der Kunstwissenschaft, in: Prisma. Zeitschrift der Gesamthochschule Kassel 9/1975, S. 25–34, S. 25. 45 Taut 1977 (wie Anm. 6), S. 81–82; Taut 2000 (wie Anm. 30), S. 208 (»Die Liebe des Japaners zum Naturholz ist keine schematische und doktrinäre. Abgesehen von der Färbung nach außen, früher in schwarz durch Anräuchern gemacht und heute nur noch selten durch Ruß der Holzkohle mit dem Saft der Kakifrucht – in Kyoto auch mit rotbrauner Farbe-, wird im Innern nach dem guten Kyotoner Stil gerade auch das edelste Holz, Zypresse oder Hinoki, in ähnlichen Mischungen mit rotbrauner Erde überzogen. Und die allerdelikatesten, klassischen Werke wie Katsura wurden in vielen, heute verloren gegangenen Techniken der Färbung ausgeführt, trotzdem sie jetzt so erscheinen, wie wenn alles pures Naturholz wäre.«). 46 Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, hg. v. Karlheinz Barck u. Martin Fontius, 7. Bde., Stuttgart u. Weimar 2001, Bd. III, S. 871–873, s. v. »Material« (Monika Wagner). 47 Taut (Gedanken), Blatt 22, in: Kat. Magdeburg 1995 (wie Anm. 1), S. 316. 48 Taut 1977 (wie Anm. 6), S. 82 u. S. 90. 49 Ibid. 50 Taut (Das architektonische Weltwunder), in: Taut 2003 (wie Anm. 2), S. 98. 51 Ibid., S. 94–95. 52 Taut 2000 (wie Anm. 30), S. 139. 53 Lexikon des künstlerischen Materials. Werkstoffe der modernen Kunst von Abfall bis Zinn, hg. v. Monika Wagner, Dietmar Rübel u. Sebastian Hackenschmidt, München 2002, S. 145–152, S. 145, s. v. »Holz« (Wolfgang Kemp). 54 Taut 2000 (wie Anm. 30), S. 143. Als Reflex der zeitgenössischen japanischen Einschätzung scheint bei Taut die Bewertung Chinas als dekadenter Kultur auf. Zur Abwertung des »orientalischen« China im Japan der Meiji-Zeit vgl. Stefan Tanaka: Japan’s Orient. Rendering Pasts into History, Berkeley, Los Angeles u. London 1993. 55 Peter Bürger: Zur Kritik der idealistischen Ästhetik, Frankfurt am Main 21990, S. 94 f. 56 Zur traditionellen Technik vgl. dazu das Kapitel »Der Zimmermann« in: Taut 2000 (wie Anm. 30), S. 189–210. Taut legt zudem dar, dass die Verwendung wertvoller Materialien auch mehr Arbeit erfordert, »Gliederung, Profilierung«, kurz »Mehrarbeit in den Details«, um diesen Materialien gerecht zu werden; vgl. Taut 1977 (wie Anm. 6), S. 89–90. 57 Taut 2000 (wie Anm. 30), S. 139–140. 58 Taut (Das architektonische Weltwunder), in: Taut 2003 (wie Anm. 2), S. 94–95. 59 Taut (Gedanken), Blatt 22, in: Kat. Magdeburg 1995 (wie Anm. 1), S. 316. 60 Karl Schmidt-Hellerau: Deutsches Holz, in: Moderne Bauformen. Monatshefte für Architektur und Baukunst 32/1933, S. 279–282, S. 279. 61 Zur Wiederbelebung der Teekultur in der Meiji-Zeit vgl. Christine Guth: Art, Tea and Industry. Matsuda Takashi and the Mitsui Circle, Princeton 1993.
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62 Kakuzo Okakura: The Ideals of the East with Special Reference to the Art of Japan, London 1903, S. 219–220 (»Not only in their armaments, industry and science, but also in philosophy and religion, they sought the new ideals of the West, blazing as that [sic] was with a beautiful luster to their inexperienced eyes, as yet indiscriminating of its lights and shadows. Christianity was embraced with the same enthusiasm which welcomed the steam engine; the Western costume was adopted as they adopted the machine gun. Political theories and social reforms, worn out in the land of their birth, were hailed here with the same new delight with which they took to the stale and old-fashioned goods of Manchester.«). 63 Ernest F. Fenollosa (1853–1908) kam 1878 nach Japan um, an der Universität von Tokio die Philosophie Hegels und Herbert Spencers evolutionäre Ethik zu lehren. Seine Schriften zur japanischen Kunst und Literatur hatten überragenden Einfluss auf die westliche und die japanische Kunstgeschichtsschreibung und Kunsttheorie; vgl. Lawrence W. Chisholm: Fenollosa. The Far East and American Culture, New Haven 1963. Ausführlich zur Biographie und den Schriften Okakuras vgl. F. G. Notehelfer: On Idealism and Realism in the Thought of Okarura Tenshin, in: Journal of Japanese Studies 16/1990, H. 2, S. 309–355. 64 Vgl. dazu Ken’ichi Mishima: Ästhetisierung zwischen Hegemoniekritik und Selbstbehauptung, in: Iwo Amelung et al. (Hg.): Selbstbehauptungsdiskurse in Asien: China – Japan – Korea, Tokio 2003 (Monographien aus dem Deutschen Institut für Japanstudien, Bd. 34), S. 25–47. 65 Einen kompakten Abriss über die Verflechtung amerikanischer Japonisten in die Institutionalisierungsgeschichte japanischer Museen und Kunsthochschulen bietet Mimi Hall Yiengpruksawan: Japanese Art History 2001. The State and the Stakes of Research, in: Art Bulletin 83/2001, H. 1, S. 111–115; zum Kontext vgl. Naoteru Uyeno (Hg.): Japanese Arts and Crafts in the Meiji Era, Tokio 1958. 66 Kakuzo Okakura: The Book of Tea [1906], Tokio, New York u. London 1989, S. 40. 67 Als den »William Morris seines Vaterlandes« bezeichnete ihn folgerichtig Nivedita in ihrer Einleitung zur deutschen Übersetzung von Okakuras Ideals of the East. Die Ideale des Ostens, Leipzig 1923, S. 6. Bei der in der nationalen Freiheitsbewegung Indiens engagierten Nivedita handelt es sich um die Irin Elisabeth Margaret Noble; zu Nivedita und Okakura vgl. (Shigemi Inaga): Sister Nivedita and her Kali the Mother. The Web of Indian Life and Art Criticism. New Insights into Kakuzo Okakura’s Indian Writings and the Function of Art in the Shaping of Nationality, in: Japan Review 16/2004, S. 129–159. 68 Okakura 1989 (wie Anm. 66), S. 91–92. 69 Ibid., S. 29. 70 Vgl. Haga Koshiro: The Wabi Aesthetic through the Ages, in: Nancy G. Hume (Hg.): Japanese Aesthetics and Culture. A Reader, Albany 1995, S. 245–278, S. 247–248. 71 Zum kolonialen Ballast dieser japanischen Ästhetik vgl. Kim Brandt: Objects of Desire. Japanese Collectors and Colonial Korea, in: positions. east asia cultures critique 8/2000, H. 3, S. 711–746; Kim Brandt: Kingdom of Beauty. Mingei and the Politics of Folk Art in Imperial Japan, Durham u. London 2007. 72 Okakura 1989 (wie Anm. 66), S. 86. 73 Okakura bezieht sich auf den Begriff des Advaita, der »Nicht-Zweiheit«, die auf der Vorstellung der Identität zwischen dem Absoluten (Brahman) und der ewigen Substanz im Einzelwesen (Atman) basiert. Die Vielheit der Welt wird nur als Illusion verstanden, die durch das Unwissen des erkennenden Subjekts entsteht; vgl. E. Deutsch, J. A. B. Buitenen: A Source Book of Advaita Vedanta, Honolulu 1971.
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74 Okakura 1903 (wie Anm. 62), S. 8–9; vgl. Kojin Karatani: Japan as Art Museum. Okakura Tenshin and Fenollosa, in: Michael F. Marra (Hg.): A History of Modern Japanese Aesthetics, Honolulu 2001, S. 43–52, S. 46–49. 75 Ibid., S. 4 (»ASIA is one. The Himalayas divide, only to accentuate, two mighty civilizations, the Chinese with it communism of Confucius, and the Indian with its individualism of the Vedas. But not even the snowy barriers can interrupt for one moment that broad expanse of love for the Ultimate and Universal, which is the common thought-inheritance of every Asiatic race, enabling them to produce all the great religions of the world, and distinguishing them from those maritime people of the Mediterranean and the Baltic, who love to dwell on the Particular, and to search out the means, not the end, of life.«). 76 Vgl. Kakuzo Okakura: Toyo no riso, Tokio 1938; zum Begriff Toyo vgl. Tanaka 1993 (wie Anm. 54), S. 108: »Toyo played a dual role: like the Western Orient, it was the respected antiquity, but for Japan it was also one that was older than the beginning of Europe. In this way Japan was able to place itself on the same level as the occident and incorporate the figurative future – the West – into its world. However contemporary shina (China) was a disorderly place – not a nation – from which Japan could both separate itself and express its paternal compassion and guidance.« 77 Im von Japan besetzten Seoul hatte Yanagi bereits in den 1920er Jahren ein anderes, der koreanischen Volkskunst gewidmetes Museum gegründet, das Chosen Minzoku Bijutsukan. 1894–1895 fiel Formosa (das heutige Taiwan) nach dem 1. Japanisch-Chinesischen Krieg an Japan, 1905 Südsachalin, 1910 annektierte Japan Korea, 1931 besetzte Japan die Mandschurei und errichtete das Kaiserreich Mandschuko. Die Stellung Yanagis zum imperialistischen Nationalismus Japans ist umstritten. Moeran und Kikuchi (Anm. 79) schließen sich koreanischen Wissenschaftlern an, die in Yanagis Projekt vor allem kolonialistische Interessen erkennen, Steele versucht Yanagis Projekt mit dem Verweis auf pluralistische Anteile seines Nationalismus zu retten; vgl. M. William Steele: Nationalism and Cultural Pluralism in Modern Japan. Soetsu Yanagi and the Mingei Movement, in: John C. Maher u. Gaynor Macdonald (Hg.): Diversity in Japanese Culture and Language, London u. New York 1995, S. 27–48. 78 Vgl. unter anderem Soetsu Yanagi: Die Schönheit des Unregelmäßigen, in: id.: Die Schönheit der einfachen Dinge. Mingei. Japanische Einsichten in die verborgenen Kräfte der Harmonie, hg. v. Bernard Leach, Bergisch Gladbach 1999, S. 57–75, S. 58–61; vgl. auch das Kapitel Mingei as Modern Visual Representation of Tea Aesthetics, in: Yuko Kikuchi: Japanese Modernisation and Mingei Theory. Cultural Nationalism and Oriental Orientalism, London u. New York 2004, S. 202–205. 79 Vgl. Brian Moeran: Bernard Leach and the Japanese Folk Craft Movement. The Formative Years, in: Journal of Design History 2/1989, H. 2/3, S. 139–144; Yuko Kikuchi: The Myth of Yanagi’s Originality. The Formation of »Mingei« Theory in its Social and Historical Context, in: Journal of Design History 7/1994, H. 4, S. 247–266. 80 Soetsu Yanagi: Der Weg des Handwerks [1927], in: Yanagi 1999 (wie Anm. 78), S. 204–234, S. 233– 234. 81 Vgl. Bruno Taut: Tauto zenshu. Bijutsu to kogei (übers. und hg. v. Hideo Shinoda), Tokio 1943, Bd. III, S. 436–450. 82 Vgl. Kikuchi 2004 (wie Anm. 78). 83 Vgl. Thorstein Veblen: The Theory of the Leisure Class [1899], New York 101934, S. 162. 84 Ein Beispiel für diese Anschlussfähigkeit Okakuras liefert zum Beispiel ein Aufsatz von Irmtraud Schaarschmidt-Richter: … vom Tee-Bereiten der Rauch. Eine die Vollkommenheit transzendierende Unvollkommenheit, in: Daidalos 31/1989, S. 39–46.
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85 Auf einem Widmungsblatt für den Tempel Shorizan, abgebildet auf dem Titel von Taut 2003 (wie Anm. 2). 86 Taut 2000 (wie Anm. 30), S. 254. 87 Taut (Das architektonische Weltwunder), in: Taut 2003 (wie Anm. 2), S. 94. 88 Tokuguen Mihara: Bruno Taut. Herstellung von Kunsthandwerk in Takasaki, in: Kat. Berlin 1980 (wie Anm. 12), S. 137–142, S. 142. 89 Das Geschäft, das Taut und Inoue Fusaichiro 1935 für den Vertrieb dieser Gegenstände auf der Tokioter Ginza eröffneten, warb auf seiner Visitenkarte mit dem Satz: »At Miratiss we invite you to see products in pure Japanese material, technic [sic] and taste for souvenir and gifts suitable to life of today.«, zitiert nach Speidel 2003 (wie Anm. 13), S. 38 (Anm. 27). 90 Ken’ichi Mishima: Die Schmerzen der Modernisierung als Auslöser kultureller Selbstbehauptung. Zur geistigen Auseinandersetzung Japans mit dem »Westen«, in: Irmela Hijiya-Kirschnereit (Hg.): Überwindung der Moderne? Japan am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1996, S. 86–122, S. 105. 91 Bruno Taut: Nippon, Tokio 1934; Speidel 2003 (wie Anm. 13), S. 39 (Anm. 48). 92 Vgl. Bruno Taut: Nihonbi no saihakken: kenchikugakuteki kosatsu, hg. v. Hideo Shinoda, Tokio 1939. 93 Corinna Elsesser: Die Rezeption der japanischen Architektur bei Josef Frank und Bruno Taut, Zürich 2004, S. 196–205, S. 204. Dass der angenommene Eklektizismus von Katsura wiederum eine Projektion der postmodernen japanischen Architekturtheorie sein könnte, muss an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Isozaki verwendet den Ausdruck »ästhetischer Schock«; vgl. Arata Isozaki: Katsura Space and Form, Tokio 1983, S. 20.
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DER HOLZSTIL Expressionistische Beiträge zur »neuen deutschen Kunst« MONIKA WAGNER
Holz als künstlerisches Material Holz gehörte für expressionistische Künstler, insbesondere für die des Brücke-Kreises, zu den privilegierten Werkstoffen. Für sie war der Holzschnitt das bevorzugte druckgrafische Medium und Holz das wichtigste skulpturale Material. Nun ist Holz – wie viele andere künstlerische Werkstoffe auch – nahezu ubiquitär verfügbar und diente in den unterschiedlichsten Kulturen nicht allein Handwerkern, sondern auch Künstlern als Ausgangsmaterial. Obwohl die verschiedenen Hölzer weder dieselben Eigenschaften besitzen, noch dasselbe Erscheinungsbild zeigen, und daher die Wahl der Holzart für die Werkherstellung aufschluss- und folgenreich ist, tritt Holz im Kunstkontext meist in der Sammelbezeichnung auf und wird durchweg als vergleichsweise einfacher und einfach zu bearbeitender Naturstoff charakterisiert. Doch gilt es Theodor W. Adornos Warnung zu berücksichtigen, dass »Material auch dann kein Naturmaterial [ist], wenn es dem Künstler als solches sich präsentiert, sondern geschichtlich durch und durch.«1 Die geschichtliche Kontaminierung von Holz als künstlerischem Werkstoff haben in Deutschland Ende der 70er Jahre Künstler wie Anselm Kiefer oder Georg Baselitz für ihre Auseinandersetzungen mit der deutschen Kunst und der deutschen Geschichte genutzt. Das wurde vor allem 1980 im deutschen Pavillion der Biennale von Venedig deutlich, dessen Exponate zu lang anhaltenden Debatten führten. Die von Klaus Gallwitz getroffene Auswahl
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1 Georg Baselitz: Modell für eine Skulptur, 1980, Lindenholz, 78 × 147 × 244 cm, Köln, Museum Ludwig
von Baselitz roh behauener Holzskulptur und Kiefers Arbeiten wie der Holzschnittmontage Wege der Weltweisheit: Die Hermanns-Schlacht wurde in der Presse gleichzeitig als neoexpressionistisch charakterisiert und – so etwa von Willi Bongart oder Werner Spies – mit »Teutonischem« identifiziert |Abb. 1|.2 Das heißt, die Berichterstatter verbanden die als neoexpressionistisch bezeichneten Holzarbeiten mit einer nationalistischen Ästhetik, vor der sie glaubten warnen zu müssen. Das ist insofern bemerkenswert, als der Expressionismus spätestens seit 1937 selbst zu den sogenannten »Entartenen« gezählt hatte. Doch scheint es, dass das demonstrative Vorführen von Holz zu den nationalistischen Assoziationen beigetragen hat, die zu problematisieren die Künstler durchaus beabsichtigten. Es geht daher um die Frage, wodurch Holz in Deutschland national belastet war und was der Expressionismus damit zu tun hatte. Im Unterschied zu früheren Epochen war die Moderne weder für die Architektur noch für die bildenden Künste eine Hoch-Zeit des Holzes. Im Gegenteil, Holz wurde in der Architektur sukzessive durch Gusseisen, später durch Eisenbeton ersetzt. Die Skulptur favorisierte weiterhin die tradierten und in der Hierarchie der Werkstoffe höher rangierenden Materialien Marmor und Bronze.3 Hinzu kamen neue galvanische Verfahren und gießfähige Materialien für die Herstellung von Serien. Holz war im sogenannten eisernen Zeitalter der ersten Industrialisierung kein charakteristisches Material. Je stärker gießbare, plastische Materialien des Industriezeitalters wie Guttapercha oder Zelluloid im Alltag Verbreitung fanden, um so traditioneller, naturgebundener und provinzieller musste Holz erscheinen. Und erst unter dem Eindruck fortschreitender Industri-
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alisierung konnte Holz als Werkstoff der Volkskunst und als künstlerisches Material neu entdeckt werden. Holz als künstlerischer Werkstoff der Moderne war also durch die Erfahrung des Verlusts geprägt.
Holz als rückständiges Material In Anton Springers äußerst populärem Handbuch der Kunstgeschichte, das 1899 in der fünften Auflage erschien, heißt es: »In den Alpen und ähnlich in den Küstenländern von Holstein bis zu den baltischen Landschaften hat sich die Holzskulptur jahrhundertelang, bis zu unsern Tagen herab, als Volkskunst erhalten. Fischer, Hirten, außer ihnen auch die Bergleute in den Ostländern haben ihre Wintermuße mit Vorliebe auf die Handfertigkeit im Schnitzen verwandt […]. Aber gerade diese Volkstümlichkeit wurde auch wieder eine Schranke in der Entwickelung der Holzskulptur. Die Volksphantasie hält zähe am Überlieferten fest […] naturgemäß offenbart auch die von ihr befruchtete Holzschnitzerei einen konservativen Charakter.« Daher müsse die künstlerische Holzskulptur trotz ihrer Bedeutung für »das Verständnis des deutschen Volksgeistes […] in einer historischen Schilderung […] gegen die Steinskulptur und insbesondere gegen die vornehmere Erzkunst zurücktreten.« 4 Die auf Innovation ausgerichtete internationale Entwicklungsgeschichte der Kunst war zunächst nicht an solchen rückständigen Phänomenen interessiert. Doch das, was als einfach, provinziell und allem Fortschritt abhold galt, wurde kurze Zeit später, nachdem Paul Gauguins auf Tahiti entstandene Skulpturen aus tropischen Hölzern in Paris zu sehen waren und 1907 Pablo Picassos roh zugehauene Holzskulpturen entstanden, als neue Qualität zeitgenössischer Kunst diskutiert |Abb. 2|. Es ging um die Bezugnahme auf das, was Gauguin »jenseits der Pferde des Parthenon« zu finden hoffte. Die neue Skulptur suchte ihre Wurzeln nicht mehr in der Geschichte der europäischen Hochkunst, sondern außerhalb Europas, in der Stammeskunst und in der Volkskunst. Die expressionistische Skulptur war Teil dieser Bewegung. Doch im Unterschied zu den internationalen primitivistischen Tendenzen, für die nicht-europäische Kulturen, auf Tahiti ebenso wie im Pariser Trocadero Impulse gaben, ließen sich in den ländlichen Gebieten wie in den neu gegründeten volkskundlichen Sammlungen Bezugspunkte zur Konstruktion nationaler Traditionen finden. Obwohl auch andere Länder ihre Holzepochen entdeckten, entstand in Deutschland eine spezielle Holzideologie.5 Seine Rohheit, sein individueller Wuchs, der sich der Reproduktion widersetzte und sein niederer Rang in der tradierten Materialhierarchie ließen Holz zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Intervention gegen Dekadenz und Raffinement in den Künsten erscheinen, Charakteristika, die tendenziell in Paris lokalisiert wurden. Für die Revitalisierung der Skulptur erschien Holz dank seiner natürlichen Herkunft, seiner frühen kulturgeschichtlichen Rolle und seiner Bedeutung für die Volkskunst das geeignete Remedium. Während Anton Sprin-
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ger die Holzschnitzerei in der Volkskunst Ende des 19. Jahrhunderts aus distanzierter Perspektive als retardierendes Element beschrieben hatte, feierte Karl Schmidt-Rottluff sie 15 Jahre später als inzwischen rare archäologische Entdeckung, die zu neuen künstlerischen Schöpfungen inspiriere. Während des Ersten Weltkriegs traf er als Soldat genau in den von Springer erwähnten abgelegenen Gegenden des Baltikums auf Holzschnitzer und schrieb 1915 an Wilhelm Niemeyer, einen Lehrer an der Hamburger Kunstgewerbeschule, voller Begeisterung: »Ein wirklich bodenständiges Kunstgewerbe gibt’s doch. Der Bauer in der ganzen Gegend ringsum hat nur ein Material zur Verfügung, das Holz. Daraus macht er […] schlechtweg alles, sein gesamtes Hausgerät – meist alles aus einem Stück.«6 Das traf sich mit Schmidt-Rottluffs eigenen Ambitionen, hatte er doch vor dem Krieg nicht allein Holzskulpturen zu schnitzen begonnen, sondern auch Holzkästen und größere Holzschränke – unter anderem für die Hamburger Kunsthistorikerin Rosa Schapire – gebaut |Abb. 3|.
Holz als »nationales« Material 2 Pablo Picasso: Karyatide, 1907, Eichenholz, teilweise bemalt, 80,5 × 24 × 20,8 cm, Paris, Musée Picasso
Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wie Holz als Material, das ubiquitär genutzt wurde und in der internationalen Moderne eine avantgardistische Rolle spielte, zu einem deutschen Material mutierte. Es geht also um die Rekonstruktion eines historisch-mentalen Kontexts, in den hinein die Holzarbeiten der Brücke-Künstler wirkten und mit dem sie interagierten. Diese Kontextualisierung ermöglicht es, auch unabhängig von der persönlichen Intention des jeweiligen Künstlers zu argumentieren. Ich unterstelle also nicht, dass Brücke Künstler wie Kirchner, Schmidt-Rottluff oder Heckel von Anfang an intentional an einem deutschen Holzstil gearbeitet hätten. Doch hat namentlich Kirchner im Laufe der Zeit erklärtermaßen an der Entwicklung eines spezifisch »deutschen Stils« mitgewirkt, für den das Material Holz eine zentrale Rolle spielte. Während Kirchner in der programmatisch in Holz geschnittenen Brücke-Chronik von 1913 für sich beanspruchte, den Holzschnitt aus Süddeutschland mitgebracht und im Brücke-Kreis eingeführt zu haben, während Erich Heckel »wieder Holzfiguren« geschnitzt habe, äußerte sich Kirchner in den zwanziger Jahren essentialistischer zum nationalen Charakter des Arbeitens in Holz |Abb. 4|. Dem rohen, harten Naturstoff, einen »geistigen Gehalt« abzuringen, bezeichnete er gegenüber der Leichtigkeit französischer Materialbearbeitungen als »spezifisch deutsche Eigenart«.7 Das mag als Versuch zu werten sein, die eigene Kunst nach dem Ersten Weltkrieg den inten-
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siver werdenden nationalen Debatten besser anzupassen. Doch fügt sich dieses Argument in die über Jahrzehnte wiederholte Konfrontation zwischen französischem Impressionismus als Ausdruck eines oberflächlichen Augenreizes gegenüber einer deutschen Expression aus dem Inneren, die durch den Widerstand des Materials ihre Größe gewinne. Nach dem Ersten Weltkrieg dienten einem Teil der Kritiker, Sammler und Galeristen die expressionistischen Holzskulpturen und Holzschnitte zur Konstruktion einer eigenständigen »neuen deutschen Kunst« aus der »Seele des Holzes«.8 Holz schien in den Debatten zu einem »neuen deutschen Stil« beizutragen, wie er nun von politisch durchaus unterschiedlichen Seiten gefordert wurde. Um eines der zentralen Argumente herauszugreifen, sei der Kurator für Decorative Arts am Metropolitan Museum of Art, Wilhelm R. Valentiner zitiert, der während des Ersten Weltkriegs nach Deutschland zurück kehrte und sich 1919 der Novembergruppe anschloss, in der er unter anderem Schmidt-Rottluff kennen lernte. Dessen Holzskulpturen würdigte Valentiner in seinem Band Junge Kunst von 1920 als Wiederbelebung einer uralten Verwendungsweise des Holzes:
3 Karl Schmidt-Rottluff: Möbel und Skulpturen im Berliner Atelier, Fotografie, um 1916
»Seit der ältesten Holzbaukunst der Germanen, seit der Holzplastik der deutschen Gotik und der Renaissance, seit der Kunst des Holzschnittes zur Zeit Dürers hat der deutsche Künstler das Holz mit Vorliebe verwendet. Es ist, als ob die Bildung des rohen Stammes mit seiner knorrig ungefügen Form, die sich dem leidenschaftlich schnitzenden Messer doch so willig fügt, dem halb Barbarischen, halb rührend sich hingebenden deutschen Wesen besonders gemäß sei. […] So konnte es nicht fehlen, daß die neue deutsche Kunst mit einem mächtigen Anlauf den Holzschnitt und die Holzplastik wieder neu belebte, nachdem beider Wesen so lange verkannt worden war. Ein unbewußter Rasseninstinkt trieb auch Schmidt-Rottluff, sich mit Leidenschaft diesen Gebieten zuzuwenden.«9 Demgegenüber hatte die international orientierte Kunstgeschichtsschreibung eines Anton Springer für die Tradition der Holzskulptur bezeichnenderweise nicht die rohe Kunst der Germanen, sondern die der Griechen – so zum Beispiel die vergoldete Athena Parthenos von Phidias – angeführt. Vergleichbare Argumente wie sie Valentiner geltend machte, auch wenn sie nicht explizit den Begriff der Rasse nutzen, finden sich auch bei anderen Autoren, so dem Direktor des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, Max Sauerlandt, der eine ganze Reihe von Skulpturen der Brücke-Künstler für die Sammlung des Museums erwarb. Sauerlandt pries zum Beispiel die »blutsverwandten nordischen Stämme« die jene Ver-
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gleichbarkeit im »männlichen Umgang mit dem Material« erzeugten, die er zwischen der Kunst der Brücke und skandinavischen Künstlern bemerkte.10 Als Paradebeispiel für diesen »nordischen« Menschen, der gewissermaßen aus dem Material emporzuwachsen schien, diente immer wieder Edvard Munchs Holzschnitt Der Urmensch, auf den schon Paul Westheim im Zusammenhang mit den Holzschnitten der BrückeKünstler 1918 als genuinen Ausdruck des Holzstils hingewiesen hatte, ohne allerdings eine Blutsverwandtschaft zu konstruieren |Abb. 5|.11 Von der Identifikation des Nordischen, insbesondere des Deutschen, mit dem Holz führte ein »Holzweg« geradewegs in die Ideologie des Nationalsozialismus.12 In der Folge resümierte der Kunsthistoriker Alfred Stange 1940 die Affinität von Holz und Rasse in seiner Schrift Die Bedeutung des Werkstoffes für die deutsche Kunst: Holz »ist für deutsches und germanisches Schaffen ähnlich bezeichnend wie Marmor für die griechische Kunst«. Der nordische Künstler habe »mit innigster Vertrautheit […] die Möglichkeiten des Holzes erfasst«.13 4 Ernst Ludwig Kirchner: Chronik KG Brücke, 1913, Holzschnitt, Trotz der für die Volkserziehung des NS-Regimes wichtigen 67 × 51 cm Holzideologie entsprachen in der öffentlichen Skulptur den »Worten aus Stein« vor allem Figuren aus »ewiger Bronze«. Bei der Nationalisierung des Holzes lassen sich zwei Argumentationsstränge unterscheiden. Der eine stellt allgemeine Voraussetzungen zur Verfügung und gehört in den Bereich der politischen Konstruktion nationaler Mythen. Der andere betrifft eine spezielle Ausprägung der Kunstdebatte in Deutschland, die im Zeichen der Materialideologie stand. Die politische Metaphorik der nationalen Mythisierung soll nur kurz angedeutet, die kunsttheoretische Aufwertung des Materials, insbesondere des Holzes, etwas ausführlicher diskutiert werden.
Die Deutschen und ihr Wald Die in Deutschland seit der Aufklärung, insbesondere aber seit den napoleonischen Kriegen, verbreitete patriotische Metaphorik bezieht sich zuallererst auf den Wald.14 Simon Schama hat dies in seinem 1995 erschienenen Buch Landscape of Memory ausführlich dargestellt. Unter Berufung auf Tacitus’ Germania wurde der Wald als Ort der Freiheit und der Kraft reklamiert. Hier sammelte der erste Nationalheld, Hermann der Cherusker, seine Stammesgenossen, um durch die Befreiung aus römischer Knechtschaft ein gemeinsames Germanien zu begründen. Dieser Gründungsmythos des Staates aus dem Wald wurde
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immer dann reaktiviert, wenn es um Befreiung aus politischer Unterdrückung oder um nationale Einigung ging. In der umfangreichen Literatur, in Liedern, Gedichten, in Dramen und Romanen wurde jeder Baum als Individuum gefeiert. Im Unterschied zu den Bäumen im gestutzten Garten, dem Inbegriff der Monarchie, stehen – so etwa Hölderlin – die Eichen »als Söhne des Berges […] wie ein Volk von Titanen – jeder ein Gott, in freiem Bunde zusammen«.15 Ein solcher freier Bund der Bäume leistete Widerstand gegen die napoleonische Besatzung des Landes. Alle noch so verschieden gewachsenen Bäume bildeten in dieser Vorstellung eine Einheit, die im Vormärz als Hoffnung auf eine Deutsche Republik figurierte. Nach der Reichseinigung 1871 und dem deutsch-französischen Krieg wurde wiederum das Bild von den verschiedenen deutschen Stämmen, die sich zu einem mächtigen Wald vereinigen, genutzt. Tatsächlich pflanzte man Heldenhaine für alle um das gemeinsame Vaterland Gefallenen und Wälder als 5 Edvard Munch: Der Urmensch, 1905, Holzschnitt, 61,5 × 46,0 cm Symbol des Zusammenschlusses zu einem gemeinsamen Deutschen Reich; ihre Erhaltung galt als nationale Aufgabe. Der Wald aus unterschiedlichen Bäumen diente als Metapher für die Zusammengehörigkeit aller deutschen Stämme. Der einzelne Baum mit seinen verschiedenen Ästen, die alle aus einem »Stamm« herauswachsen, beschwor, dass alle vom demselben Holz »stammten«. Diese Metaphorik wurde während des Deutschen Kaiserreichs (1871–1918) immer wieder eingeübt. So publizierte zum Beispiel die von Ferdinand Avenarius herausgegebene erzkonservative Zeitschrift Der Kunstwart in den ersten Jahrgängen des 20. Jahrhunderts zahlreiche Beiträge, in denen Bäumen »Eigenwillen – Trotz – ungebändigter Kraft – unbeugsame Energie« zugesprochen wurde, und die »Charaktereigenschaften« des Holzes und der Deutschen gleichgesetzt wurden. Solange es solche Eichen und Buchen, solange es solch widerstandsfähiges Holz gebe, heißt es dort, solange sei es um die »Volkskraft« und die »Ideale« Deutschlands gut bestellt.16 Während des Ersten Weltkriegs forderte Der Kunstwart gar seine Leser auf, deutsche Bäume, ja ganze deutsche Wälder zu kaufen, um sie dem Zugriff für »unwürdige Zwecke« – damit war die Industrieproduktion gemeint – zu entziehen.17 Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das handwerkliche Basteln mit dem organischen Material in Deutschland zu einem ideologisch aufgeladenen Erziehungsinstrument.18 Es verwundert daher nicht, dass dem Holz auch in den Künsten, die ihrerseits ein Aushängeschild der Nation sein sollten, besondere Bedeutung zukam.
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Materialgerechte Arbeit im Holz Insgesamt nahm die Sensibilität für Materialien und ihre Verarbeitung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu. Allen voran hatte Gottfried Semper die Genese und Entwicklung des Stils, seit Winckelmann der zentralen Kategorie der Kunst, in seinem 1860 in deutscher Sprache erschienenen, gleichnamigen opus magnum in Abhängigkeit von Funktion, Material und Werkzeugen begründet. Obwohl es Semper vor allem um die nützlichen Künste zu tun war, brachten die Auseinandersetzungen mit Sempers »Materialismus« eine Aufwertung der künstlerischen Materialien mit sich. Innerhalb einer idealistisch orientierten Tradition, in der das Material des Kunstwerks lediglich mediale Bedeutung besaß, hatte Holz im Verhältnis etwa zu dem als »rein« gepriesenen weißen Marmor so gut wie keine Rolle gespielt. Seine Maserung, seine Textur und Eigenfarbe, sowie seine Unregelmäßigkeiten im Wuchs standen dem Ideal der Materialüberwindung entgegen. Vielmehr wurde in der Ästhetik eines Georg Friedrich Hegel oder Friedrich Theodor Vischer Holz als ein Material bewertet, das zwar seit Urzeiten gebräuchlich, aber ärmlich sei und das aufgrund seines Wuchses die künstlerische Invention beschränke. Lediglich für kleinformatige Objekte, nicht aber für die hohe Kunst schien Holz tauglich. Dem folgte auch Moritz Carriere, der den »primitiven und ländlichen Charakter« der »Holzschneiderei« betonte.19 Und noch Hermann Riegel befand in seiner Allgemeinen Kunstlehre: »Das Holz ist nur ein sehr unedler Stoff für Kunstwerke.«20 Auch ihm diente als Hauptargument, dass Holz nicht homogen wachse und im Vergleich zum Stein kurzlebig sei. Gegenüber derartigen Abwertungen des Holzes als gestalterisches Material finden sich bei Semper grundsätzliche Überlegungen im Hinblick auf die Besonderheiten von Holz und seiner Bearbeitung, die für die Skulpturen des Brücke-Kreises von Interesse sind. Zunächst einmal hielt Semper Holz als »Bildnerstoff« bei weitem für »spezifischer, als die plastische Masse, der Thon, für die seinige« es sei: »Seine Vorzüge […] wie seine Mängel zwingen bei seiner Anwendung zu entschiedenster Stoffkundgebung«.21 Diese Charakterisierung spitzte Kirchner in seiner Polemik gegen plastische Materialien zugunsten des Holzes zu.22 Semper, der durchaus auch auf die Nachteile von Holz im Verhältnis zu anderen Materialien einging, vertrat wohl als erster die bemerkenswerte Ansicht, dass für den Holzstil »außer den Vorzügen […] die Mängel des Stoffes fast ebenso wichtige Elemente der Kunstgestaltung« seien.23 Das Eigenleben des Materials, sein Wuchs, seine Faserigkeit, seine Maserung, seine Unregelmäßigkeiten und seine Textur in Verbindung mit einer diesen »Eigensinn« respektierenden Bearbeitung machten in Sempers Sicht erst den Holzstil aus. Das bedeutete nichts Geringeres als die Umwertung der sonst als störend betrachteten Materialeigenschaften des Holzes. Aus Sempers Perspektive war die Neubewertung vor allem gegen die unspezifische, dem Material nicht angemessene Bearbeitung seitens der zeitgenössischen Industrie und ihrer »sculpteurs du bois« gerichtet.2 4 Denn gerade die spezifischen Eigenarten des Holzes wurden durch neue technische Verfahren, so der Herstellung eines weitgehend homogenen Materials aus gepressten Holzspänen, negiert.25
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Sempers Schrift war in der deutschsprachigen Kunstgeschichtsschreibung bis in das 20. Jahrhundert hinein außerordentlich folgenreich. Selbst für jene, die Semper des Materialismus beschuldigten und das in Alois Riegls »Kunstwollen« mündende Gegenkonzept favorisierten, blieb Material ein beachtenswerter Faktor. In den jahrzehntelang währenden Debatten um den Stellenwert des Materials in den schönen wie den nützlichen Künsten hat sich eine spezifisch deutsche Begrifflichkeit und Vorstellungswelt herausgebildet. Obwohl John Ruskin and das Arts and Crafts Movement »truth to material« propagiert hatten, wurde in keinem anderen Land die Debatte um Materialgerechtigkeit, Materialstimmung und Materialstil so intensiv und so lange geführt wie in Deutschland.26 Holz spielte in diesen Materialdebatten eine wichtige Rolle. Sempers Charakterisierung eines Holzstils, der die spezifischen Eigenschaften und die »Mängel« des Holzes berücksichtigen sollte, wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert auf breiter Front als materialgerechter Umgang mit dem Holz propagiert und vom Werkbund bis zur Heimatschutzbewegung popularisiert. Zudem ging die aus der Auseinandersetzung mit Sempers Materialstil entstandene Forderung nach Materialgerechtigkeit nach 1900 eine Verbindung mit dem Gegenkonzept, mit Riegls »Kunstwollen«, ein. Die Verquickung des materialistischen Konzepts vom Materialstil mit der Vorstellung von der Sublimierung des Materials im Kampf mit einem meist als »männlich« apostrophierten »Kunstwollen« diente in der Argumentation als erfolgreiche Strategie zur Kreation des »neuen deutschen Stils« für die freien wie für die angewandten Künste. Holz, das organisch gewachsene Material, sollte zum »Sprechen« gebracht werden, aber es sollten zugleich auch die Spuren seiner Unterwerfung zum Ausdruck kommen. Die Holzbildhauerei und der Holzschnitt der Brücke-Künstler und ihres Umkreises, bei denen ungeglättete Werkzeugspuren und rohes Material erkennbar blieben, entsprachen genau diesen Vorstellungen eines »organisch belebten« Materials.27 Der Graben, den es angesichts der beiden Argumentationslinien zu überbrücken galt, ist offensichtlich: die mit allen Mitteln beförderte »Liebe zum Material« und die dem Material zugebilligten »Sinnenfreuden«, mussten, um nicht nur einen Oberflächenreiz zu bieten, sondern in die erwünschte »Tiefe« vorzudringen, mit »Geistigem«, mit »Willen«, gewissermaßen durchtränkt werden. Als eines von vielen möglichen Beispielen sei hier aus einem Artikel von Hugo Lang-Danoli, der gleichermaßen als Künstler wie als Kritiker tätig war, zitiert. Der Artikel erschien 1909 unter dem Titel Von der Freude und vom Material in dem für den deutschsprachigen Raum wichtigen Forum für die angewandten Künste, in der Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration. Der Bereich der angewandten Künste war Kirchner und den übrigen Gründungsmitgliedern der Brücke schon seit ihrem Studium bei Fritz Schumacher in Dresden, Kirchner darüber hinaus durch sein Studium bei Hermann Obrist in München bestens vertraut. Anlässlich der Besprechung neuer Holzmöbel der Wiener Werkstätten kam Lang-Danoli auch auf die seiner Ansicht nach grundlegenden Fragen im Umgang mit dem Holz zu sprechen: »Die Freude der Sinne, die von der physischen Berührung des Holzes herrührt, muß geläutert werden«. Erst »als dienendes Medium zu höheren Zwecken erfährt das Material seine Verklärung«. Diese Erkenntnis führe den Künstler zu
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einer »Freude an der durchgeistigten Materie«, denn: »Wir müssen fühlen: alle Materie ist uns verwandt, ist Fleisch von unserm Fleisch«.28 Aus dieser von romantischen Traditionen gespeisten, aber mit dem Darwinismus kompatiblen Verwandtschaft alles Lebendigen resultierte nach Meinung des Autors die »Sehnsucht des Materials nach einer Läuterung durch den schaffenden Künstler, für die Liebe der Materie zu ihrem Herrn und Meister, der heute noch so wenig Ahnung von seiner ungeheuren Macht besitzt.«29 Es ist unschwer zu erkennen, dass der Autor sich hier auf die platonische Denkfigur des Verhältnisses von Form und Material bezog, welche zwei Jahrtausende durch die abendländische Kunsttheorie geisterte.30 Doch angesichts der Aufwertung des Materials und der Debatte um Materialgerechtigkeit musste seine Unterwerfung den Gestaltern neu ins Bewusstsein geprägt werden und angesichts der Bedeutung des Holzes sollte klar gestellt werden, dass diese »Durchgeistigung« selbst bei einem so unraffinierten Material möglich sei. 1913, also noch vor dem Beginn des Kriegs, heißt es in derselben Zeitschrift, nun aus der Feder des Kritikers und späteren Emigranten Robert Breuer unter der Überschrift Die Seele des Holzes: »Die Seele des Holzes ist die Lebensachse dieser Räume« und die Basis der »deutschen Kultur«.31 Holzmöbel »erlösen die Seele des gewachsenen und nun scheinbar toten und zerschnittenen Stammes; sie erlösen durch die Offenbarung der Konstruktion die Energien des Wurzelns und des sturmfesten Emporstrebens, die das Wesen des Baumes umschlossen«. »Möbel, die zu solch metaphysischer Betrachtung anregen, müssen wahrhaft aus dem Holze heraus gedacht und empfunden sein«. Denn nur, wenn »der Seele des Materials Gerechtigkeit geschieht«, dann reife auch »eine charaktervolle und männlich tapfere Schönheit« als Kern des neuen Stils.32 Auch Vertreter des deutschen Werkbunds teilten derartige Visionen. Die metaphysische Dimension, die sich sogar im materialgerecht verarbeiteten Holz des Möbels erweise und die sich dem Nutzer gewissermaßen interaktiv mitteilen sollte, schien für Werke der bildenden Kunst noch weitaus verpflichtender. Immer wieder wurde betont, dass gerade Holz das geeignete Material für die »organische Belebung« und Durchgeistigung durch materialgerechte Gestaltung sei. Eines der besonders häufig angeführten Argumente liest sich folgendermaßen: »Das spröde Holz erzieht den Bildner zur geistigen ernsten Arbeit, während der schmiegsame Ton ihn leicht zur spielerischen Tätigkeit verführt«.33 Eine derartige Gegenüberstellung von Holz und Ton war, wie oben schon für Semper dargelegt, ein beliebtes Mittel, um den Topos vom Widerstand im Material neu zu beleben und wurde von Kirchner in der Besprechung seiner eigenen Skulpturen Mitte der 20er Jahre fast wörtlich wiederholt.3 4 Die Abwertung des Tons hing aufs engste mit dessen lange Zeit geschätzter Flexibilität zusammen. Durch die Entwicklung neuer plastischer Industriematerialien wurde Flexibilität für künstlerische Materialien jedoch problematisch, so dass auch Ton, Wachs oder Gips so anpassungsfähig erschienen, dass Alfred Kuhn sie 1921 in seiner der Moderne verpflichteten Schrift Die neuere Plastik von 1800 bis zur Gegenwart als »dirnenhaft« bezeichnen konnte.35 Im Holz dagegen blieb die Handschrift des Künstlers und damit auch die Spur des Kampfes mit dem Material erhalten. Dieser Kampf
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musste beim Holz schon deshalb entschieden und mit sicherer Hand geführt werden, weil Korrekturen nur mit Materialverlust erkauft werden konnten.
Figuren im Stamm Nach dem Ersten Weltkrieg wimmelte es in Kunstbesprechungen nur so an zum Teil polemischen Gegenüberstellungen von plastischen und bildhauerischen Materialien: Die von Michelangelo überlieferte Charakterisierung, die Plastik entstehe durch Hinzufügen, die Bildhauerei durch Wegnehmen, erhielt unter der Prämisse des materialgerechten Arbeitens im deutschen Diskurs eine klare Wertung zugunsten der arbeitsintensiven Bildhauerei. Der expressionistische Bildhauer Bernhard Hoetger zum Beispiel publizierte 1919 eine Serie schematischer Zeichnungen, in denen er in Auseinandersetzung mit Adolf von Hildebrandt plastische und bildhaue- 6 Bernhard Hoetger: Der Bildhauer und der Plastiker, aus: rische Formen kontrastierte und klar- Der Cicerone 11/1919, S. 16 stellte: »Das Bildhauerische ist höher als das Plastische.«36 Hoetger konfrontierte zum Beispiel die Blockhaftigkeit einer Barlach’schen Holzfigur mit einer Figur von Wilhelm Lehmbruck, einem Bildhauer, dem »das Gefühl für die Begrenztheit des Blocks« fehle |Abb. 6|. Während Hoetger ägyptische, aztekische und indische Figuren als blockhafte Formen der Bildhauerei zuzählte, stufte er Rodin und das Prinzip der bewegten Figur insgesamt als plastisch, aber unbildhauerisch ein. Die auch von anderen Künstlern und Theoretikern diskutierte Polarisierung ließ Blockhaftigkeit zu einem Argument des materialgerechten Arbeitens im Holz werden. Kirchner rühmte seine »frühe Hockende aus Holz« als »in den Cubus zusammengedrängte Komposition des Körpers« und pries den »Zwang zur geschlossenen Blockform«.37 Auch Max Pechstein betonte das Arbeiten aus dem Block und Max Sauerlandt hielt Schmidt-Rottluffs Holzfiguren deshalb für so gelungen, weil sie »gleichsam aus dem Material selbst herausgewachsen« seien und auf diese Weise »in der Zusammengehaltenheit der Blockform, in der gesammelten Wucht der Gestaltung« zum »entschlossensten Träger des neuen Wollens«
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7 Ernst Ludwig Kirchner: Hockende, 1910, Holz, bemalt, 32,7 × 17,5 × 14 cm, Sammlung Hermann Gerlinger
8 Ernst Ludwig Kirchner: Skizze für eine Skulptur, 1912, Bleistift auf Papier, 48,5 × 38 cm, Chur, Bündner Kunstmuseum
würden.38 Dem Holz noch gemäßer mussten die entsprechend dem gewachsenen Stamm aufrecht stehenden Figuren erscheinen. Brücke-Künstler haben dieser Herkunft aus dem Stamm häufig dadurch Rechnung getragen, dass die Plinthen der Figuren die Rundung des Holzstamms bewahrt haben, so dass die Figur aus der Naturform heraus geschält zu sein scheint |Abb. 7|. Eine Zeichnung Kirchners lässt den Topos von der »Befreiung« der Figur aus dem Material durch die Einschreibung in den Holzstamm besonders gut nachvollziehbar werden |Abb. 8|. Gebunden war diese Vorstellung von dem sichtbaren Herausarbeiten der Figur aus dem Material an die taille directe und die ihr zugrunde liegende Verbindung von Kopf- und Handarbeit. Selbst gealtertem und verwittertem Holz, einem Materialmangel also, wurden eigene Qualitäten im Sinne der Patina zugebilligt, auch wenn Unterschiede zum Altern des gewachsenen Steins als Ausdruck naturgeschichtlicher Zeit bestehen. Brücke-Künstler berichteten verschiedentlich, dass sie altes, in Wind und Wasser verwittertes Holz für eine Skulptur ver-
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wendeten. Damit wurde dem organischen Material und den aus ihm gebildeten Werken die Würde einer über das Alter des gewachsenen Baums hinausgehenden Zeit verliehen. Der Hamburger Sammler Gustav Schiefler berichtete zum Beispiel in zwei Artikeln der Jahre 1918 und 1919 über Erich Heckel, der manchmal die Natur zu Hilfe nehme, um das Thema aus dem Material hervorgehen zu lassen. »So hat er das verwitterte Gesicht eines alten Mannes in Eichenholz geschnitten, das Jahrhunderte im Moore gelegen hatte.«39 Auch Kirchner setzte eine abgelagerte alte Eiche für den Kopf von »Erna« ein. Auf diese Weise ließ sich der Alterungsprozess des Materials für den dargestellten Gegenstand nutzen, ohne dass beide identisch wurden. Denkbar, dass für das Interesse an sichtbar gealtertem Material archäologische Funde wie die auf der Fischerinsel im Pollensee in Neubrandenburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Rolle spielten |Abb. 9|. Jedenfalls war das verwitterte Holz in der Lage, sowohl die Geschichtlichkeit des Werkstoffs als auch seine künstlerische Gestaltung in ältester Zeit zu suggerieren. Vielleicht erhellt sich durch die Skizzierung dieser nationalen Materialgeschichte Anselm Kiefers gezielter 9 Unbekannter Künstler: Fragment Einsatz von Holz in Werken, die sich mit der deutschen einer doppelköpfigen Holzfigur von der Fischerinsel im Pollensee, NeuKunst und der deutschen Geschichte befassen. In Büchern brandenburg, Verbleib unbekannt wie Das deutsche Volksgesicht ließ der Künstler Gesichter mit dem Trägermaterial Holz verschmelzen |Abb. 10|. Sie scheinen aus dem Holz hervorwachsen beziehungsweise in das Holz einzusinken. Während Emil Noldes Holzschnitt eines jungen Männerkopfes |Abb. 11| ganz materialgemäß aus den Zufälligkeiten des Holzbrettes hervortritt – ein Verfahren, auf das sich Kiefer offensichtlich bezieht – hat er jedoch dem Abdruck eines rohen Holzbretts das Gesicht eines alten Bauern völlig eingeschrieben. Die Vorlage stammt aus Erna Lendvai-Dierksens im Nationalsozialismus hoch geschätztem Fotobuch Das deutsche Volksgesicht, das auch Kiefers Künstlerbuch den Titel gab. Kiefer hat Gesicht und Holz so miteinander verwachsen dargestellt, dass die Ortsgebundenheit von Bauer und Baum, beider Bodenständigkeit, Rohheit und Naturzugehörigkeit aufgerufen werden. Kiefer verquickt damit das typisch expressionistische Verfahren die spezifischen Eigenschaften des Holzes zu nutzen mit einem NS-Ikon und kontaminiert auf diese Weise den expressionistischen Lieblingswerkstoff mit der nationalsozialistischen Ideologie. Damit hat Kiefer eine Rezeptionsgeschichte expressionistischer Holzarbeiten hergestellt, wie sie so zwar nicht stattgefunden hat, aufgrund des bis 1937 unentschiedenen Konflikts innerhalb
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10 Anselm Kiefer: Das deutsche Volksgesicht, Kohle für 2000 Jahre, 1974, Buch mit verschiedenen Techniken, Privatbesitz
11 Emil Nolde: Junger Mann, 1917, Holzschnitt, 33,2 × 25,7 cm
des NS-Regimes um den deutschen Expressionismus aber doch hätte stattfinden können. Die Reaktionen von Teilen der deutschen Pressekritik auf Baselitz’ und Kiefers Exponate im deutschen Pavillon anlässlich der Biennale von Venedig im Jahr 1980 scheinen das jedenfalls nahe zu legen.
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1 Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main 1970, S. 223. 2 Vgl. Klaus Wagenbach: »Neue Wilde« teutonisch, faschistisch?, in: Freibeuter 5/1980, S. 138–147, S. 138 f. 3 Vgl. Dietmar Rübel, Monika Wagner u. Vera Wolff (Hg.): Materialästhetik. Quellentexte zu Kunst, Design und Architektur, Berlin 2005. 4 Anton Springer: Handbuch der Kunstgeschichte, Leipzig 51899, Bd. IV, S. 56–57. 5 Das trifft vor allem auf Balkanländer wie Rumänien und auf Skandinavien zu. 6 Karl Schmidt-Rottluff, Brief an Wilhelm Niemeyer, 1. September 1915, in: Gerhard Wietek: SchmidtRottluff. Plastik und Kunsthandwerk, München 2001, S. 57. 7 L. de Marsalle (Pseudonym für E. L. Kirchner): Über die plastischen Arbeiten von E. L. Kirchner, in: Der Cicerone 17/1925, Nr. 14, wieder abgedruckt in: Stephanie Barron (Hg.): Skulptur des Expressionismus, München 1984, S. 216, zur Diskussion weiterer nationaler Charakterisierungen seitens Kirchners vgl. Werner Hofmann: Wie deutsch ist die deutsche Kunst? Eine Streitschrift, Leipzig 1999, S. 45, eine ausführliche Dokumentation in Christian Saeghert: Ernst Ludwig Kirchner und der Zeitgeist der Weimarer Republik. Ein Künstler mit nationalem Sendungsbewußtsein?, in: Magazin III, Kirchner Museum Davos 2001, S. 59–66. 8 Robert Breuer: Die Seele des Holzes, in: Deutsche Kunst und Dekoration 31/1913, S. 483–498. Der Titel findet sich auch noch in gegenwärtigen Publikationen über Holzbildhauer. 9 Wilhelm R. Valentiner: Junge Kunst, Bd. XVI, Leipzig 1920, wieder abgedruckt in: Wietek 2001 (wie Anm. 6), S. 150. 10 Max Sauerlandt: Karl-Schmidt-Rottluff-Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe, in: Hamburger Fremdenblatt [1925], wieder abgedruckt in: Wietek 2001 (wie Anm. 6), S. 151–154, S. 153. 11 Vgl. Paul Westheim: Das Holzschnittbuch, Potsdam 1921, S. 164. 12 Holzwege lautete der Titel einer Sammlung von Texten Martin Heideggers aus den Jahren 1936–1946. 13 Alfred Stange: Die Bedeutung des Werkstoffs in der deutschen Kunst, Bielefeld, Leipzig 1940, S. 11. 14 Die Deutschen und ihr Wald lautet der Untertitel von Albrecht Lehmann: Von Menschen und Bäumen, Reinbek bei Hamburg 1999. 15 Monika Wagner: Germania und ihre Freier. Zur Herausbildung einer nationalen Ikonographie um 1800, in: Ulrich Hermann (Hg.): Volk, Nation, Vaterland, Hamburg 1996, S. 244–268. 16 Von Eiche und Buche, in: Der Kunstwart 22/1909, H. 8, S. 107–108; zur sozialen Gerechtigkeit der Pflanzen im Wald vgl. Vom alten Eichenbaum, in: Ibid. 17 Vgl. Gedenkbäume ankaufen!, in: Der Kunstwart 31/1918, H. 9, S. 79. 18 Vgl. Gottfried Korff: Holz und Hand. Überlegungen zu einer »deutschen« Werkstoffkunde der Zwischenkriegszeit, in: Monika Wagner u. Dietmar Rübel (Hg.): Material in Kunst und Alltag, Berlin 2002, S. 165–186.
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19 Vgl. Moritz Carriere: Ästhetik. Die Idee des Schönen und ihre Verwirklichung in Leben und Kunst, Leipzig 1885, 2. Teil, S. 141. 20 Hermann Riegel: Die bildenden Künste. Allgemeine Kunstlehre, Frankfurt am Main 1895, S. 162. 21 Gottfried Semper: Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik [1860–1863], hg. v. Friedrich Piel, 2 Bde., Mittenwald 1977, Bd. II, S. 250. 22 Vgl. L. de Marsalle 1925 (wie Anm. 7), S. 219. 23 Semper 1977 (wie Anm. 21), S. 254. 24 Diesen Begriff verwendet Semper abwertend für die fabrikmäßige Herstellung von Holzdekorationen. 25 Auch dies teilte Kirchner in seinem Plädoyer für die taille directe. 26 Vgl. Rübel, Wagner u. Wolff 2005 (wie Anm. 3). 27 Vgl. Konrad Lange: Schön und praktisch. Eine Einführung in die Ästhetik der angewandten Künste, Esslingen 1908, S. 11 ff. 28 Hugo Lang-Danoli: Von der Freude und vom Material, in: Deutsche Kunst und Dekoration 24/1909, S. 201–205, S. 204. 29 Ibid., S. 204. 30 Vgl. Monika Wagner: Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne, München 2001. 31 Breuer 1913 (wie Anm. 8), S. 492. 32 Ibid., S. 483. 33 D ell’ Antonio: Der Werdegang einer Holzplastik, in: Der Kunstwart 25/1912, H. 22, S. 275. 34 Vgl. L. de Marsalle 1925 (wie Anm.7), S. 216. 35 Vgl. Alfred Kuhn: Die neuere Plastik. Von Achtzehnhundert bis zur Gegenwart, München 1922, S. 14. 36 Bernhard Hoetger: Der Bildhauer und der Plastiker, in: Der Cicerone 11/1919, S. 165–173, S. 165. 37 L. de Marsalle 1925 (wie Anm. 7), S. 216; L. de Marsalle (Pseudonym für E. L. Kirchner): Über Kirchners Graphik, in: Genius. Zeitschrift für werdende und alte Kunst [1921], S. 252. 38 Sauerlandt 1925 (wie Anm.10), S. 153. 39 Gustav Schiefler: Erich Heckels graphisches Werk, in: Das Kunstblatt [1918], wieder abgedruckt in: Erich Heckel 1883–1970. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Graphik, hg. v. Zdenek Felix, München 1983, S. 219.
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»… DIE KUNST MUSS AUS NATIONALEM BODEN HERVORGEHEN« Die Erfindung des tschechischen Nationalstils J I N D Rˇ ICH VYBÍRAL
Nationalität als Grundlage moderner Identität Eine Reihe grundlegender Arbeiten über die Kunst und Kultur des 19. Jahrhunderts sprechen diesem Zeitalter, wenn nicht geradewegs den »Verlust der Mitte« (Hans Sedlmayr), doch zumindest eine Denkweise zu, in der kein höchster Wert und keine absolute Schönheit mehr existierten, in der alle Inhalte und Formen auf gleichem Niveau stünden (Werner Hofmann).1 In den Texten verschiedenster Denker des vorletzten Jahrhunderts finden wir genügend Argumente, die eine solche Sichtweise zu belegen scheinen. Zum Beispiel weigerte sich Georg Wilhelm Friedrich Hegel, in der bildenden Kunst seiner Zeit nach einer dominierenden Idee zu suchen und erkannte in ihren Werken nur noch freie, persönliche Aussagen, die an keine bestimmte Weltanschauung mehr gebunden seien.2 Die Suche nach einer Idee, welche die höchste unter allen Ideen sei, kann uns an die vergebliche Anstrengung des biederen Generals aus Robert Musils berühmtem Roman erinnern. Indes ist kaum zu leugnen, dass in jener Zeit wenigstens Mitteleuropa für einige Jahrzehnte seine universelle Konstante gefunden hatte: den Nationalismus. »Die Nationalitätenfrage ist die moderne Weltfrage: Sie ist für das heutige Europa folglich die Frage der Fragen, so wie die Reformation die Frage auf Leben und Tod für das Europa des XVI. und XVII. Jahrhunderts war«, schrieb zu diesem Thema der tschechische Philosoph Emanuel Rádl.3 Die Liebe zur Nation und dem Vaterland gewährte schon den Aufklärern
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einen neuen Glauben an überpersönliche, allgemeine Werte, der die Ziele der Gemeinschaft über private oder ständische Interessen erhob. Mit der Demokratisierung der Politik gelangten diese Vorstellungen sogar bis an die Spitze gesellschaftlicher Ideen. In ihren Namen wird sich in den Jahren von 1830 bis 1918 die politische Karte Europas durchgreifend verändern. Der Nationalismus gebar die neuzeitliche Nation und führte zur Entstehung der Moderne.4 Die neuen bürgerlichen Gemeinschaften formten sich als Staatsnationen oder als schwer beherrschbare, ethnische Gruppen, die noch den Status einer vollberechtigten Nation zu erlangen hatten. Letzteres galt für die Tschechen, die an der Schwelle zum 19. Jahrhundert weder eine eigene Literatursprache noch eine auf »Blutsverwandtschaft« gegründete Herrschaftsklasse besaßen. Deutsch war die Sprache der Verwaltung, des öffentlichen Lebens und der Kultur. Die tschechischsprachige Einwohnerschaft wurde nur als minderwertige Masse von Untertanen wahrgenommen, und die Entfaltung einer eigensprachlichen Kultur besaß lediglich den Status eines gelehrten Privatvergnügens. Im Laufe einiger weniger Jahrzehnte änderte sich dieses Bild jedoch überraschend. Die ehemalige kleinstädtisch-bäuerliche Gemeinschaft befreite sich aus der Abhängigkeit und wurde zu einer modernen Nation mit einer ausgeprägten Sozialstruktur und hoch entwickelten Kultur. Es entstanden zwei parallele, wechselseitig rivalisierende Nationalgemeinschaften. Die tschechischsprachige Partei beherrschte ab 1861 die Prager Stadtverwaltung und erlangte 1883 die Mehrheit im Landtag. Die deutsche Kultur wurde in den meisten Bereichen in eine Randposition zurückgedrängt.5
Nationale Tradition zwischen objektiver Notwendigkeit und willkürlicher Wahl Zeitgenössische Historiker begreifen die »Nation« durchweg als eine künstliche Konstruktion und keineswegs als eine uralte, transhistorische Erscheinung. Die Nationalgemeinschaft und ihre Kultur sind für sie nicht die Quelle nationaler Ideologie, sondern ihr Produkt. Einer solchen Auffassung verdankt sich auch das Interesse am ästhetischen Ausmaß des Nationalismus und der Aufgabe der Kunst bei der Ausbildung der gemeinschaftlichen Identität. Nicht nur in Böhmen, sondern auch in den westeuropäischen Ländern waren es vor allem Dichter, Historiker und Künstler, welche die kollektiven Vorstellungen und den mythologischen Schatz der Nationalbewegungen schufen.6 Auf dem Feld der Architektur war dieses Programm in der Forderung enthalten, dass »hinsichtlich des Charakters […] jedes eigenthümliche Volk seine eigene Baukunst haben« müsse.7 Der Düsseldorfer Professor Rudolf Wiegmann äußerte diese Überzeugung schon im Jahre 1841. Die nationale Architektur sollte sich ihm zufolge im Zusammenhang mit der Landschaft, dem Klima, dem Baumaterial, aber auch den religiösen Bräuchen und Lebensgewohnheiten der Bewohner des Landes entwickeln. Das älteste Monument des deutschen Nationalismus, die damals kaum vollendete Walhalla von Leo von Klenze bei Regensburg, wurde noch in griechischen Formen entwor-
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fen. Aber schon kurze Zeit später hatte sich die Ansicht durchgesetzt, dass der angemessene Ausdruck der germanischen und christlichen Wurzeln des Nationalcharakters die mittelalterlichen Stile seien.8 Die deutsche Nationalbewegung stellte für die tschechischen Patrioten eine machtvolle Antriebsquelle dar. Die nationalen Inhalte fanden allerdings nur zögerlich Eingang in die tschechische Architektur und ihre Programme. Noch beim Bau des Nationaltheaters in Prag (1868–1883), das als »starke Feste tschechischer Sprache und Nationalkultur« geplant war, drangen patriotische Ideen nur bis zur skulpturalen und malerischen Ausschmückung durch, während die architektonische Lösung von Josef Zítek an Vorlagen des norditalienischen und römischen Cinquecento anknüpfte.9 Die kosmopolitische italienische Neorenaissance wählten Anfang der 1870er Jahre gleichermaßen Tschechen in Brünn und Deutsche in Budweis für den Bau ihrer Vereinshäuser. Die Wahl des Stils bezeugt die fehlende nationale Ausrichtung beider Gesellschaften sowie ihre Bemühungen um ein friedliches Zusammenleben. »Denn schließlich sind wir doch eine politische Nation«, meinte im Oktober 1871 der Führer der tschechischen politischen Vertretung, Frantisˇek Ladislav Rieger.10 Zugleich können wir hier jedoch den Einfluss der staatlichen Ideologie der Habsburgermonarchie ahnen, in welcher der »hellenischen« Renaissance als bevorzugter Stil für die zentralen staatlichen Institutionen und als Ausdruck einer liberalen, in nationalen Dingen unbefangenen Regierung der Vorrang gegeben wurde. Als »Wiener Stil« entsprach sie der Vorstellung von einer Hauptstadt als Symbol »überparteiischer Gerechtigkeit«, wie sie von der staatstragenden Publizistik lanciert wurde: Gemäß Rudolf von Eitelberger kannte Wien »weder Nationalund Glaubenshass, noch Nationalpolitik«.11 In der Zeit, als Eitelberger über die Verbindung klassischer künstlerischer Tradition und moderner, industrieller Technologie nachdachte, verstärkte sich in Mitteleuropa jedoch die Abneigung gegenüber den Bestrebungen zur Schaffung einer Österreich oder gar die Welt überspannenden Zivilisation. Den Zwist zwischen dem universell ausgerichteten Klassizismus und dem national gefärbten Relativismus romantischer Provenienz, der sich schon in Johann Gottfried Herders Essay über Winckelmann von 1777 angekündigt hatte, löste die nachfolgende Generation der Positivisten zugunsten nationaler Eigenart.12 In Böhmen wurde Otakar Hostinsky´ zum Sprecher einer Auffassung, die in Nachfolge Hippolyte Taines die stilbildende Rolle der Umgebung hervorhob. In seiner Studie von 1869 lesen wir: »Soll ihr überhaupt irgendeine Zukunft blühen, muss die Kunst aus nationalem Boden hervorgehen.«13 Während die wissenschaftliche Erkenntnis ganz kosmopolitisch sei, ordne sich die Kunst dem Nationalgeschmack unter und sei Bestandteil, ja Bindeglied des Nationallebens. Hostinsky´ setzte kein Gleichheitszeichen zwischen nationalen und patriotischen Inhalten, und verstand sie schon gar nicht als Maßstab der ästhetischen Qualität des Werkes. Dennoch forderte er, »dass der Hauptcharakter und die Richtung unserer Kunst […] entschieden national wird und bleibt, da wir allein darin eine Garantie für eine frohe Zukunft finden«.14 Gemäß dem Gründer einer nationalen tschechischen Ästhetik waren für die Gestalt der Architektur »objektive« Faktoren wie Zweck, Material und Klima bestimmend. Der Natio-
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nalcharakter kam dagegen in den Rhythmen und Verhältnissen der Linien zu Wort, bildete also »sozusagen den musikalischen Eindruck des Baus«.15 Hostinsky´s Zeitgenossen lag eine so feine Überlegung fern. Das Gebot nach einer nationalen Kunst reduzierte sich bei ihnen weiterhin auf die Frage nach dem für Bauunternehmen mit »patriotischer« Sendung angemessen Stil. Als für die Kirche in Karlín (Karolinenthal, 1854–1863) neoromanische Formen gewählt wurden, billigte der Maler und Kunstkritiker Karel Purkyneˇ diese Wahl, denn dieser Stil sei angeblich »für uns Slawen passender als der gotische Spitzbogen und die Renaissance«.16 Gleichermaßen forderte die Zeitschrift Lumír, dass patriotische Baumeister Versuche »einer ähnlichen Popularisierung von romanischen, oder wie man ihnen überhaupt sagt, byzantinischen, ohnedies von uralt her so verbrüderten Formen mit slawischem Geschmack unternehmen sollten.«17 Die Behauptung vom östlichen Ursprung der romanischen Kunst ging jedoch nicht aus der Werkstatt von Erfindern aus der Bewegung der slawischen Wiedergeburt hervor. Ihr Urheber war der Berliner Kunsthistoriker Franz Kugler, der in seiner Schrift von 1842 den romanischen Stil mit dem Attribut »byzantinisch« der »deutschen« Gotik gegenübergestellt hatte.18 Diese Annahme weckte in Böhmen ein ungewöhnliches Interesse an den ältesten Baudenkmälern, dessen Frucht zum Beispiel die Erneuerung der Prager Heilig-Kreuz-Rotunde war. Als Kugler später seine Meinung änderte und den französischen Ursprung der Gotik anerkannte, begannen die tschechischen Patrioten auch über ihre Verwendung zu grübeln: »Eine vereinfachte Gotik würde sich auch für uns eignen, und sie ist nicht ausschließlich deutsch«.19
Die tschechische Renaissance: politisches oder ästhetisches Programm? Die größten Aussichten auf die Gunst der tschechischen Nationalromantiker hatte jedoch die Neorenaissance, die als vielseitigster und anpassungsfähigster der Bewerber siegreich aus dem »Krieg der Stile« hervorging. Die Bemühungen um eine Ausarbeitung ihrer tschechischen Lokalvariante kündigte sich schon im Jahre 1866 in einem Artikel des Národní listy (Nationalblattes) über Zíteks Entwurf eines Nationaltheaters an, das bereits »im Stil unserer einheimischen Renaissance durchgeführt werden« sollte.20 Der erste bedeutende Versuch einer spezifisch tschechischen Version der Neorenaissance war jedoch die höhere Mädchenschule in Prag, ein Werk von Ignác Ullmann aus den Jahren 1866–1867 |Abb. 1|. Die Fassade, deren Komposition noch von den Prinzipien des späten Klassizismus oder Rundbogenstils ausgeht, bedeckt figürlicher und ornamentaler Sgraffito-Schmuck. In der Entstehungszeit wurde diese Technik aber nicht eindeutig als Träger einer nationalen Symbolik begriffen. Der Kommentar der zeitgenössischen Presse verweist vielmehr auf den Zusammenhang dieser Leistung mit den Theorien Gottfried Sempers. Der Architekt Josef Schulz, der diese Technik an seinen Bauten oft benutzte, hob zudem ihre ökonomischen Vorteile hervor.21
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1 Ignác Ullmann: Höhere Mädchenschule in Prag, 1866–1867, historische Fotografie
Zum tatsächlichen Urheber der »tschechischen Neorenaissance« wurde der Architekt Antonín Wiehl (1846–1910). Dieser Schüler Josef Zíteks aus dem Prager Polytechnikum hatte sich schon Anfang der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts mit einer Reihe von Entwürfen und ausgeführten Bauten vorgestellt, die von den damals geläufigen Palladianischen Formen abwichen. Für das Mietshaus in der damaligen Poststraße in Prag jedoch entwarf er ˇenísˇek nicht nur eine elegante Sgraffito1876 in Zusammenarbeit mit dem Maler Frantisˇek Z Fassade, sondern änderte auch während des Baus das ursprüngliche Vorhaben und schloss die Fassade mit dem einheimischen Motiv des Lünnettengesims ab.22 Gemäß des Zeugnisses von Wiehls gelegentlichem Mitarbeiter, dem Architekten Jan Koula, war dieser Schritt völlig spontan und keiner programmatischen Absicht geschuldet: »Am Anfang seiner künstlerischen Tätigkeit dachte er nicht einmal an die kontinuierliche Pflege böhmischer Renaissanceformen und hatte damals auch in dieser Richtung überhaupt keinen großen Überblick.«23 Sechs Jahre später erweiterte Wiehl bei der Lösung für das Haus in der Park-Straße, das er als Bauunternehmer in eigener Regie errichtete, das Register der Elemente aus der böhmischen Renaissance um hohe Giebel |Abb. 2|. Zugleich bedeckte nun ornamentales oder figürliches Sgraffito beinahe den ganzen Mantel des Baus. Nach Koula spielte auch hier insofern der Zufall eine Rolle, als das Bauamt Wiehl plastisch gegliederte Giebel verbot.2 4 So waren gleich am Anfang die Möglichkeiten der neuen Stilposition abgegrenzt. Sein in den Jahren 1882– 1895 entwickelte Konzept einer »einheimischen Renaissance« war gekennzeichnet durch in
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unverputztem Backstein ausgeführte oder mit Sgraffito bedeckte flache Fassade, die mittels eines Lünettengesims und hohem, gestuften Volutengiebel abgeschlossen wurden. Von parallelen Erscheinungen in der deutschen Architektur unterschieden sich die Bauten Wiehls durch ihre Symmetrie und die Neigung zum eher maßvollen Ausdruck. Bei der Entfaltung dieses Ansatzes war der Architekt jedoch bereits weit entfernt von archäologischer Genauigkeit und der Wissbegierde des reifen Historismus. Nach Koula kannte Wiehl am Anfang »außer den Prager und Pilsener Denkmälern ganz wenig«, und wie der Kunsthistoriker Zdeneˇk Wirth aufzeigte, stammte auch später fast die ganze Sammlung seiner »tschechischen« Motive von lediglich vier Bauten – dem königlichen Sommerschloss (Belvedere) und dem Schwarzenberg-Palais in Prag, dem Rathaus in Pilsen sowie dem Schloss in Kacerˇov (Floriansburg).25 Eine Reihe dekorativer Details, einschließlich der gesamten Dekoration für die Durchfahrten und Treppenhäuser entnahm Wiehl dagegen weiterhin dem Formen2 Antonín Wiehl: Mietshaus in der Park-Straße in Prag, 1882, historische Fotografie vokabular der italienischen Renaissance. Der einheimischen Tradition war auch die unverputzte Wand fremd, welche die besonders malerisch behandelten Flächen zur Geltung brachte. Die Weiterentwicklung dieses Stils, wie er in den Projekten des Altstädter Wasserwerks (1882–1884), des Mietshauses in der Skorˇepka Straße (1889) oder des Pfarrhauses von St. Peter (1893) manifest wird, lässt sich als Wiehls Antwort auf die Reformbemühungen des Wiener Vertreters der Neorenaissance, Heinrich Ferstel, begreifen |Abb. 3|. Die für diese Architektur bezeichnende Steigerung der Effekte nahm schon Kompositionsverfahren des späten Historismus vorweg. Am experimentierfreudigsten zeigte sich der Architekt bei der Lösung des eigenen Hauses am Wenzelsplatz (1895–1896), dessen ganze Front er mit Freskomalerei bedecken ließ |Abb. 4|. Die »tschechische Renaissance« traf auf ein sehr wohlgesinntes Echo. Zu ihren Promulgatoren gehörten auch die Mitarbeiter Antonín Wiehls, Josef Fanta, Karel Gemperle, Jan Koula und Jan Zeyer sowie seine Nachfolger wie Rudolf Sˇtech |Abb. 5|. Ihr Schaffen wurde von Miroslav Tyrsˇ, dem prominentesten tschechischen Kunsthistoriker dieser Zeit, mit theoretischen Überlegungen unterstützt. Schon Anfang der siebziger Jahre setzte sich dieser
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für eine Entwicklung einer künstlerischen Formensprache im nationalen Geist ein und schwärmte im Sinne der Lehre Hippolyte Taines für eine Kunst, die »ihre Wurzeln vor allem auch im Charakter des Klimas und Landes [hat], das die Nation bewohnt«.26 Die überwiegende Orientierung der Zeitgenossen an italienischen Mustern hielt er für einseitig und anachronistisch. Für die Unterstützung der tschechischen Neorenaissance sprach sich Tyrsˇ in einem 1882 in den Národní listy veröffentlichten Artikel aus. Das Hauptargument, mit dem er die Wiederbelebung von Formen der einheimischen Architektur des 16. und 17. Jahrhunderts begründete, war die Forderung, das althergebrachte Gepräge tschechischer Städte, namentlich Prags, zu bewahren. In einer historischen Umgebung, wo der künstlerische Ausdruck der Spätrenaissance vorherrsche, »macht ein Haus im modernen Mietsstil so häufig einen geradezu unerträglichen Eindruck«.27 Dagegen empfahl Tyrsˇ den von 3 Antonín Wiehl: Pfarrhaus von St. Peter in Prag, 1893, historische Fotografie Wiehl entwickelten Stil als ästhetisch annehmbare und wirtschaftliche Lösung: »Dort pflegen wir an neuen Bauten vor allem diese malerische und bei aller künstlerischen Wirksamkeit doch keineswegs kostspielige Art unserer eigenen Renaissance«. Der Ton gemäßigter nationaler Agitation fehlt in den Texten von Tyrsˇ nicht, und sein Aufruf zum Anknüpfen an die heimische Tradition sollte zweifellos zur Steigerung des nationalen Selbstbewusstseins beitragen: »Wenn die Franzosen und die Deutschen ihre Renaissance pflegen, so sollten wir unsere tschechische Renaissance nicht vergessen.« 28 Aber können wir die Antwort Wiehls auf diesen Aufruf als tschechischen Nationalstil auffassen? Wohl mitnichten. In der tschechischen Neorenaissance ist kaum ein Mittel »politischer Liturgie« zu erblicken, durch deren Vermittlung sich Nationalmythen im kollektiven Bewusstsein einbürgern und der »Gemeinwille« der Nation zu einer säkularen Religion wird.29 Der national gefärbte Historismus, für den sich Tyrsˇ einsetzte und zu dessen Umsetzung der Architekt Wiehl am stärksten beitrug, war kein Träger einer politischen Botschaft, sondern entstand fast ausschließlich aus ästhetischen Beweggründen. Die tschechische Neorenaissance sollte Ersterem zufolge zur Steigerung der Prager Eigenart beitragen. Sie trug in ihre von banalen,
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einförmigen Bauten überschwemmten Straßen Geschichte hinein. »Sie bewirkte […], dass sie durch dieses Element von Individualität, in dem auch der Humor seinen Platz hat, unsere Straßen wieder interessanter machte, dass sie das historische Gepräge unserer Stadt an den gebührenden Orten, auf der Grundlage historischer Erinnerungen, die sich mit unseren Plätzen, Straßen und Häusern verbinden, in harmonischer Verbindung der Malerei mit der Architektur hervorhob.« 30 Dass Wiehls Absicht tatsächlich eine »sprechende Architektur« war, zeigt sein sammlerisches Interesse für die an historischen Bauten angebrachten Sentenzen, die er als Träger »von Witz, Humor, Ironie, aber auch Weisheit und Moral« verstand.31 Die bunte Farbigkeit und die Themen aus der nationalen Mythologie, welche die bekanntesten tschechischen Künstler jener Jahre für diese Fassaden schufen, machten sich womöglich mehr um das »tschechische« Gepräge dieses Schaffens verdient als die heimischen Architekturmotive. Der histori4 Antonín Wiehl: Eigenes Haus am Wenzelsplatz in Prag, 1895–1896, historische Fotografie sche Stoff, dargestellt auf den Fassadenflächen, stammte nicht aus der großen Geschichte, sondern vorwiegend aus der Vergangenheit der Stadt: Für das Altstädter Wasserwerk gestaltete ˇ enísˇek einen Karton mit dem Kampf der Prager gegen die Schweden, das Haus des Frantisˇek Z Architekten schmückte Mikolásˇ Alesˇ mit Ereignissen aus dem Leben rudolfinischer Kaufleute. Die Hauptqualitäten dieser wenig prunkvollen städtischen Architektur sind im Unterschied zur Strenge ihrer klassischen Vorbilder keinesfalls Pathos und weihevolle Würde, sondern ein malerisches Aussehen, Verspieltheit und Intimität. Wegen dieser Erscheinung kam sie lange Zeit nur in der Mietshausarchitektur zur Geltung und erst durch das Verdienst von Jan Vejrych, dem Architekten der Rathäuser in Kolín (Kolín, 1887) und Pardubice (Pardubitz, 1893–1894), drang sie später auch in die Sphäre öffentlicher Bauten ein. Wiehl wählte für monumentale Aufgaben grundsätzlich das Stilkostüm der italienischen Renaissance. In diesem internationalen Stil gestaltete er gemeinsam mit Jan Koula auch den Wettbewerbsentwurf für das Landesmuseum (1884) und sogar ein Nationaldenkmal – den Slavín, auf dem Vysˇehrader Friedhof (1889–1890).
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Die Suche nach einem authentischeren Modell Der Auftritt der tschechischen Neorenaissance in den siebziger Jah-ren fiel mit der größten Ausbreitung einer parallelen Erscheinung in der deutschen Architektur überein. Beide Richtungen, anknüpfend an das Vermächtnis transalpiner Architektur aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg, kamen sich durch ähnliche formale Prinzipien nahe, aber nur partiell bezüglich der Ideologien. Die Sprecher der deutschen Neorenaissance, wie zum Beispiel der Berliner Architekt Hubert Stier, suchten ein historisches Modell für die Kultur des neu entstandenen Reiches in einer Zeit, in der die Deutschen eine große künstlerische Unabhängigkeit zu besitzen schienen.32 Ihre tschechischen Kollegen waren in einer viel schwierigeren Situation: Tyrsˇ gab sich bei der Analyse der einheimischen Architektur des 16. und 17. Jahrhunderts damit zufrieden, die Spezifik der einheimischen Renaissance in sehr allgemeiner Weise festzulegen. Die Nichtursprünglichkeit und zweitrangige Qualität der Werke dieser Zeit stellten jedoch ein großes Hindernis für eine größere Verbreitung des Wiehlschen Modells dar. Damit sich der tschechische Ableger des Stils mit der deutschen Renaissance messen konnte, mussten ihre Ideologen zu einem harmonischen Ausgleich zwischen italienischem Import und einheimischen Gegebenheiten gelangen, um auch den inländischen Baumeistern eine würdige Rolle zuerkennen zu können. Mit diesen Aufgaben begann der Architekt Jan Koula. Ihm zufolge waren die italienischen Meister ihrer Zeit gezwungen gewesen, Rücksicht auf die tschechische Tradition zu nehmen, denn »die Bauten, die in dieser Zeit entstanden, können wir ohne Widerspruch Denkmäler der tschechischen Renaissance nennen«.33 Das Beispiel der Wiehlschen Neorenaissance bestätigt eine Beobachtung zur tschechischen Kultur des 19. Jahrhunderts, die schon mehr als einmal ausgesprochen und niedergeschrieben wurde: Dass sie sich auf dem Weg ihrer »Tschechisierung« und »Slawisierung« in »negativer Koppelung« gegenüber der deutschen Kultur bildete.3 4 Die Dauer der tschechischen Neorenaissance deckt sich aber nicht nur mit der Entfaltung der deutschen, sondern auch des ungarischen Nationalstiles »cifraszür«, dessen dekorative Sprache von der Volkskunst der Siebenbürger Székler ausging.35 Warum die nationale Romantik gerade in dieser Zeit in der Architektur Mitteleuropas auftrat, ist nicht eindeutig zu erklären, weder aus der inneren Logik des Stils, noch aus außerkünstlerischen Tatsachen. Der deutsche Kunsthistoriker Kurt Milde verbindet diesen Prozess zum Beispiel mit der Abkehr vom System des freien Handels und dem mit ihm ideologisch verbundenen Kosmopolitismus, welche auf die Wirtschaftskrise von 1873 folgte.36 Der Autor dieses Beitrags hält eher die Entstehung des deutschen Kaiserreiches zwei Jahre zuvor für den grundlegenden Anlass. In Böhmen fällt der Antritt der heimischen Neorenaissance in den Zeitraum, als nach der Herausgabe von Stremayrs Sprachanordnungen 1882 die nationale Leidenschaft einen ersten Höhepunkt erreichte.37 In der Zeit verschärfter politischer Zusammenstöße am Ende der neunziger Jahre verlor jedoch dieser Stil seine Beliebtheit und verlagerte sich auf das Land. Die Landesbank am Graben (Na Prˇikopeˇ) von 1894–1896, ein Werk Osvald Polívkas, eines ehemali-
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gen Mitarbeiter Wiehls, war ein großartiges Zeugnis seiner formalen Möglichkeiten, aber zugleich auch sein »Schwanengesang«. Wiehl selbst entwarf zwar noch 1909 den Ausbau des Altstädter Rathauses in den Formen der »heimischen« Renaissance, um die Jahrhundertwende verlagerte sich sein Interesse jedoch auf das Feld des einheimischen Barocks: Sein bedeutendstes Dokument ist die neubarocke Pfarrei von St. Johann von Nepomuk am Felsen aus den Jahren 1902–1904. Der Barock wurde bis zu dieser Zeit als eine stillose, minderwertige Erscheinung in der Geschichte der Kunst aufgefasst. Beurteilt mit dem Maßstab des klassischen Kanons, erschienen seine Denkmäler als Zeugnis des Verfalls, der in Italien nach der Erschöpfung des großen Stils des Cinquecento einsetzte. Allmählich setzte sich jedoch gegen solche abstrakten, ästhetischen Normen unter den Kunsthistorikern ein empirischer Zu5 Jan Zeyer: Mietshaus in Prag-Smíchov, um 1890, historische Fotografie gang durch, der dieser Architektur gewisse Qualitäten nicht abstreiten konnte. Die Anerkennung des Barocks als vollgültiger Stil brachten die Schriften Cornelius Gurlitts und Heinrich Wölfflins von 1887 und 1888. Der Dresdner Gelehrte zeigte zuerst die Einzigartigkeit der Raumwirkung barocker Architektur, wohingegen sein schweizer Kollege die schöpferische Vorstellungskraft der Barockmalerei hervorhob.38 In der Habsburgermonarchie wurde der Kunsthistoriker Albert Ilg zum Verkünder dieser neuen Ansichten. Die programmatischen Überlegungen in seinem Buch Die Zukunft des Barockstils erkannten nicht nur den historischen Wert dieser Erscheinung an, sondern stellten sie den Zeitgenossen sogar als Vorbild hin. Der Barock als Verkörperung des österreichischen Charakters und wertvollste Frucht der heimischen Kultur sollte die Grundlage der modernen Identität der Donaumonarchie werden. Das Bekenntnis zur kosmopolitischen Ständegesellschaft war zugleich ein Aufruf, die engen Nationalinteressen im Namen der Staatsidee zu überwinden.39 Die neue Wertschätzung des böhmischen Barocks war mit den Namen der Kunsthistoriker Karel Chytil und K. B. Mádl, aber besonders des Architekten Friedrich Ohmann verbun-
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den. Dieser beteiligte sich noch vor seinem Antritt an der Prager Kunstgewerbeschule an der Ausgabe einer Sammlung von Musterblättern mit barocken Motiven. Die Wiederbelebung dieses Stils wurde zum Leitmotiv seines architektonischen Schaffens in Böhmen. Die früher verachteten barocken Bauten der Dientzenhofer und ihrer Zeitgenossen ernteten jetzt plötzlich Bewunderung für ihre Großartigkeit und Anmut, weil sie die Vorliebe des späten Historismus für blendenden dekorativen Ausdruck befriedigten. Die Wiederbelebung ihrer Formen in der zeitgenössischen Architektur bot sich als ein Modus an, Neubauten im Einklang mit der historischen Bebauung so einzuführen, »dass sich die neuzeitlichen Gebilde mit dem verbinden, was uns frühere Zeitalter von dem Schönen hinterlassen haben«.40 Für die moderne Stadt wurde der Barock zum perfekten Vorbild. Bei der Sanierung der Prager Altstadt wurde er schon kompromisslos als Stil der Neubauten gefordert. Auf ihren Fassaden finden wir sogar Kopien einzelner Motive der abgerissenen Häuser. Von den Schöpfern der tschechischen Neorenaissance beteiligte sich nicht nur Wiehl an dieser Welle. Jan Koula entwarf (1901–1902) ein edles neobarockes Haus in der Nachbarschaft Dientzenhofers Altstädter Niklaskirche und Jan Zeyer, ein weiterer Mitarbeiter Wiehls, gab schon in den neunziger Jahren eine Sammlung Prager Barockmotive heraus.41 Der Barock dieses Architekten zog durch seine besonders malerische Erscheinung und sein einheimisches Gepräge an. Seine Wiedergeburt wurde so zu einer gewissen Fortsetzung der tschechischen Neorenaissance, die er jedoch in der Verwendbarkeit auf dem Feld öffentlicher Bauten übertraf.
Die Politisierung der nationalen Architektur Die Forderung nach »originellem architektonischen Schaffen auf der Grundlage heimischer Baudenkmäler« gehörte noch Anfang des 20. Jahrhunderts zum ideologischen Rüstzeug Prager Architekten.42 Welcher historische Stil der Ausgangspunkt für die moderne tschechische Architektur sein solle und welche gesellschaftlichen oder ästhetischen Ideale sich in ihm widerspiegeln sollten, war nicht einmal nach Jahrzehnten der Versuche und Auseinandersetzungen klar. Im Wechsel der Meinungen, der 1898 zu diesem Thema verlief, entschied sich ein Lager für Renaissance und Barock durch, ein zweites für die mittelalterlichen Stile, während die Modernisten schließlich eine nationale Kunst forderten, die ohne die Nachahmung der Vergangenheit auskam.43 Der Wunsch, sich von der Kultur des unterdrückerischen Regimes zu unterscheiden und eine eigene Identität zu zeigen, war so stark, dass sich auch die Architekten und Theoretiker der Moderne, ansonsten programmatische Individualisten, zum nationalen Programm bekannten. Nicht die Architektur der Vergangenheit sollte das Vorbild sein, sondern die Baukunst des Volkes. Doch trotz aller Bemühungen um einen eignen Weg entstand damals in den böhmischen Ländern nur eine Variante der folkloristischen Architektur, die unter dem Einfluss der britischen Arts and CraftsBewegung damals buchstäblich ganz Europa bewegte.
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Der nationale Stil gelangte erneut im Zusammenhang mit der Entstehung des selbständigen tschechoslowakischen Staates auf die Tagesordnung. Noch vor seiner Ausrufung forderte der Architekt Pavel Janák seine Freunde zur gemeinsamen Suche nach typisch tschechischen Formen auf. In der Antwort auf seinen Aufruf umriss Otakar Novotny´ seine Vision der zukünftigen Entwicklung als »Kulturkampf«, in dem den Tschechen als Vorhut des slawischen Stammes die Hauptrolle zufalle. Vlastislav Hofman, ein weiterer Vertreter aus der Gruppe kubistischer Architekten, spekulierte über den slawischen Geist und schlug vor, den neuen Stil aus altslawischen, elementaren Rhythmen und Proportionen zu formen. Selbst Janák dachte über die Verknüpfung der Architektur mit den Mysterien des nationalen Lebens nach. Diese Überlegungen, paradoxerweise keineswegs durch die panslawische Ideologie inspiriert, sondern hauptsächlich von den Schriften Wilhelm Worringers, wurden durch Texte des ihm nahe stehen6 Josef Gocˇár: Frontansicht der Bank der Tschechoˇtech beslowakischen Legionen in Prag, 1922, historische Fotoden Kunsttheoretikers Václav Vilém S grafie gleitet, der ornamentalisierende Formen als bezeichnendsten Ausdruck tschechischen 44 Nationalgeistes auffasste. Das neue Formenrepertoire, eine gemeinsame Leistung von Pavel Janák, Josef Gocˇár und ihren zahlreichen Nachfolgern, wurde für einige Jahre zu architektonischer Repräsentation der jungen, staatlichen Nation. In Hinsicht auf das charakteristische Element der kleinen Bögen oder Halbkreise an der Fassade gebrauchte die tschechische Kunstgeschichtsschreibung dafür bis vor kurzem die etwas irreführende Bezeichnung »Rondokubismus«. Die Ambition der Schöpfer, tatsächlich einen »Nationalstil« zu schaffen, zeigt sich jedoch deutlich in der Expansion des neuen, dekorativen Idioms in den Bereich der angewandten Künste, insbesondere des graphischen Designs. Die Mehrheit der architektonischen Visionen, die im patriotischen Rausch nach der Entstehung des tschechoslowakischen Staates entstanden, blieben indes Papier, und so avancierten zu den bedeutendsten Baudenkmälern dieser Zeit solche dem nationalen Gedanken wenig angemessenen Gebäude wie eine Bank, ein Krematorium und das Gebäude einer italienischen Versicherung |Abb. 6–8|.
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7 Josef Gocˇár: Halle der Bank der Tschechoslowakischen Legionen in Prag, 1922, historische Fotografie
Wodurch unterschied sich das Phänomen des »Bogenstils« von der tschechischen Version der Neorenaissance oder des Neobarocks? Ich vermute, dass der Unterschied aus dem ideologischen Programm und der Priorität der politischen und erzieherischen Funktionen herrührte, welche die Schöpfer der »nationalen« Architektur nach 1918 ausdrücklich deklarierten. Schon für Sˇtech war die ersehnte nationale Kunst notwendig aufklärerisch und kulturformend, was im gegebenen Fall eine Idealisierung des Fleißes, der Sittlichkeit und des Patriotismus der Landbevölkerung bedeutete.45 Der neue, dekorative Stil sollte als Abbild eines einheitlichen kulturellen Systems gestaltet werden. Umgekehrt haben wir keinen Beweis, dass die tschechische Neorenaissance ein ähnliches Ziel gehabt hätte. Mit Sgraffito oder Malereien bedeckte Giebelfassaden stellten am ehesten eine Antwort auf die zwingende Frage des Historismus dar: »In welchem Style sollen wir bauen?« (1828, Heinrich Hübsch) Die Versuche um einen nationalen, charakteristischen Ausdruck wurden von Anfang an ohne höhere Ambitionen unternommen. Die Öffentlichkeit nahm die Werke Wiehls in erster Linie als ästhetische Innovation wahr. Es ist hier wichtig festzuhalten, dass diese fehlende ideelle Zuspitzung nicht mit Zensur oder anderen Formen der Machtausübung zu erklären ist. Als Beweis kann die aggressive, nationalistische Diktion dienen, die sich damals in der tschechischen politischen Publizistik einbürgerte. Erst die nächsten Generationen begannen, den Stil der Neorenaissance instrumental als einen Ausdruck des sich entfalten-
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8 Pavel Janák: Krematorium in Pardubice, 1921–1923, historische Fotografie
den Nationalbewusstseins zu begreifen. Weil sie sich auf keine authentische ideologische Verlautbarung stützen konnten, grenzten die Kunsthistoriker den angeblichen »Nationalstil« reichlich ungenau ab. Die Formulierung Zdeneˇk Wirths von 1921 deutet dahin, dass die ästhetische Erscheinung einen politischen Inhalt getragen und dass die tschechische Neorenaissance eine gewisse Aufgabe im Kampf für nationale Ansprüche gespielt habe. Trotz der offensichtlichen Vagheit der Definition sollte es für das Publikum klar gewesen sein, dass der ideelle Nährboden der tschechischen Neorenaissance »das Programm der nationalen Architektur« war.46 Für das richtige Verständnis dieser Auslegung ist es jedoch unabdingbar, sich bewusst zu machen, dass Wirth seine Abhandlung kurz nach der Entstehung des tschechoslowakischen Staates schrieb, und dass er demselben Kulturkreis angehörte wie die kubistischen Architekten, die damals künstlerische Formen zur Repräsentation der jungen Demokratie suchten. Ullmanns und Wiehls Vermächtnis war ihnen dabei Ansporn und Beispiel. Der Prager Barock mit seinen Bindungen an den österreichischen Gedanken eignete sich im Unterschied zur tschechischen Renaissance nicht für den gegebenen Zweck. Dabei war die gewisse Tendenziösität, von der Wirth spricht, der tschechischen Neorenaissance nicht weniger und nicht mehr zueigen als dem Neobarock. Seine Pflege wurde am Ende des Jahrhunderts ebenfalls »durch patriotische Pflichten diktiert«.47 Zur »Erfindung« der künstlerischen Tradition gehörte jedoch nicht nur die Einbeziehung (inclusion), sondern auch der Ausschluss (exclusion).48
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Zdeneˇk Wirth projizierte einfach Probleme und Sehnsüchte seiner eigenen Zeit in die Vergangenheit und aus dieser Projektion ging der angeblich erste tschechische »Nationalstil« hervor. Die erfundene Vergangenheit sollte die zeitgenössischen Bemühungen rechtfertigen und bestätigen. Ich erlaube mir deswegen diese Darlegungen mit der Behauptung zu schließen, dass der tatsächliche Urheber des Gedankens der tschechischen Neorenaissance als Nationalstil nicht der Architekt Antonín Wiehl war, sondern dieser Kunsthistoriker, sein Gefährte und Nachfolger. Hier zeigt sich exemplarisch, wie historische Erzählungen stets in Hinsicht auf ihre soziale und politische Funktion formuliert werden, die sie im Rahmen ihrer eigenen Kultur erfüllen sollen. Um es mit Eric Hobsbawm zu sagen, die Erfindung der Vergangenheit erklärt nicht nur die Gegenwart, sondern modelliert auch die Zukunft.49 In unserem Fall hatte jedoch das utopische Projekt eine kurze Dauer: Der tschechische Nationalstil wurde schon nach 1923 zur Randerscheinung der tschechischen Architekturszene. Als sich später Josef Gocˇárs Schüler bei ihm nach seinen Werken aus jenen Jahren erkundigten, antwortete ihnen der alternde Professor zurückhalten: »Wir hatten damals so eine Periode.«50
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1 Vgl. Hans Sedlmayr: Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit, Salzburg 1984; Werner Hofmann: Das irdische Paradies. Kunst im neunzehnten Jahrhundert, München 1960. 2 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Ästhetik, 3 Bde., Berlin u.Weimar 1976, Bd. I, S. 576–580; vgl. Karl-Heinz Klingenburg: Nachdenken über Historismus, in: id.: Historismus – Aspekte zur Kunst im 19. Jahrhundert, Leipzig 1985, S. 7–29. 3 Emanuel Rádl: Válka Cˇechu° s Neˇmci (Der Krieg der Tschechen mit den Deutschen), Prag 1928. 4 Vgl. Ernest Gellner: Nations and Nationalism, Ithaca 1983; Eric J. Hobsbawm: Nations and Nationalism since 1780. Programme, Myth, Reality, Cambridge 1990; Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London u. New York 1991. 5 Vgl. Miroslav Hroch: Na prahu národní existence (An der Schwelle der nationalen Existenz), Prag 1999; Jaroslav Marek: Cˇeská moderní kultura (Die tschechische moderne Kultur), Prag 1998. 6 Vgl. David Carroll: The Aesthetics of Nationalism and the Limits of Culture, in: Salim Kemal u. Ivan Gaskell (Hg.): Politics and Aesthetics in the Arts, Cambridge 2000; vgl. auch Lawrence J. Vale: Architecture, Power, and National Identity, New Haven u. London 1992. 7 Rudolf Wiegmann: Gedanken über die Entwicklung eines zeitgemäßen nationalen Baustyls, in: Allgemeine Bauzeitung 6/1841, S. 207; vgl. Klaus Döhmer: »In welchem Style sollen wir bauen?« Architekturtheorie zwischen Klassizismus und Jugendstil, München 1976, S. 102. 8 Vgl. Barbara Miller Lane: National Romanticism in Modern German Architecture, in: Richard A. Etlin (Hg.): Nationalismus in the Visual Arts. Studies in the History of Art 19/1991, S. 111–147, S. 111. ˇ ákavec: Chrám znovuzrození (Der Dom der tschechischen Wiedergeburt), Prag 1918. 9 Frantisˇek Z 10 Frantisˇek Ladislav Rieger: Rˇecˇi Dra Frantisˇka Ladislava Riegra (Die Reden des Dr. Frantisˇek Ladislav Rieger) [1868–1878], hg. v. Hugo Traub, 4 Bde., Brno 1923, Bd. I, S. 153. 11 Rudolf Eitelberger von Edelberg: Die Kunstentwicklung des heutigen Wien, in: id.: Gesammelte Kunsthistorische Schriften, 4. Bde., Bd. I: Kunst und Künstler Wiens der neueren Zeit, Wien 1879, S. 1–36, S. 16. 12 Vgl. Michael Podro: The Critical Historians of Art, New Haven u.London 1989, S. 1–2. 13 Otakar Hostinsky ´ : Umeˇní a národnost (Kunst und Nationalität), in: O umeˇní, hg. v. Josef Císarˇovsky ´, Prag 1956, S. 67–74, S. 68. 14 Ibid., S. 71. 15 Ibid., S. 73. 16 Karel Purkyneˇ : Chrám sv. Cyrila a Metodeˇje v Karlineˇ (Die Kirche der hll. Cyrill und Methodius in Karolinenthal), in: Národní listy 3/1863, Kritische Beilage Nr. 2, S. 52–54, S. 53; vgl. Jindrˇ ich Vybíral: Ignác Vojteˇch Ullmann, Ausstellungskatalog, Praha, Národní Galerie, Klásˇter sv. Anezˇky Cˇeské (Prag, Nationalgalerie, St. Agnes Kloster), 1994, Prag 1994, S. 4. 17 Unbekannter Autor in: Lumir 7/1857, S. 12–23. 18 Vgl. Franz Kugler: Handbuch der Kunstgeschichte, Stuttgart 1842, S. 513–516.
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19 Lumír 1857 (wie Anm. 17). 20 Anonym: Plány ke stavbeˇ národního divadla (Die Pläne zum Bau des Nationaltheaters), in: Národní listy, 20. Oktober 1866, Nr. 288, S. 1. 21 Vgl. Josef Schulz: O sgraffitu (Über das Sgrafitto), in: Zprávy Spolku inzˇeny´ru° a architektu° v Království cˇeském [im Folgenden ZSIA] 8/1873, S. 89–91. 22 Vgl. Zdeneˇk Wirth: Antonín Wiehl a cˇeská renesance (Antonín Wiehl und die böhmische Renaissance), in: Umeˇní (Sˇ tencovo) 1/1918–1921, S. 294–336. 23 Jan Koula: Du°m architekta A. Wiehla na Václavském námeˇstí (Das Haus des Architekten A. Wiehl auf dem Wenzelsplatz), in: ZSIA 33/1898, S. 3–5, S. 4. 24 Vgl. Jan Koula: Cˇinzˇovní du°m architekta A. Wiehla a K. Gemperle v parku meˇstském v Praze (Das Mietshaus der Architekten A. Wiehl und K. Gemperle im Pager Stadtpark), in: ZSIA 18/1883, S. 7–8. 25 Vgl. Koula 1898 (wie Anm. 23); Wirth 1918–1921 (wie Anm. 22). 26 Miroslav Tyrsˇ : O podmínkách vy´voje a zdaru cˇinnosti umeˇlecké (Über die Bedingungen der Entwicklung und des Gedeihens der Kunsttätigkeit), Prag 1873, wieder abgedruckt in: id.: O umeˇní, Prag 1932, Bd. I, S. 39–71, S. 55. 27 Id.: O prostrˇedcích k povznesení umeˇlecky´ch pomeˇru° nasˇich (Über die Mittel zur Erhebung unserer künstlerischen Zustände), in: Kveˇty 1/1879, S. 61–71, wieder abgedruckt in: Tyrsˇ 1932 (wie. Anm. 26), S. 77–89. 28 Id.: Ve prospeˇch renaissance cˇeské (Zugunsten der böhmischen Renaissance), in: Národní listy, 11. u. 16. November 1882, Nr. 304 u. 308, wieder abgedruckt in: Tyrsˇ 1832 (wie Anm. 26), S. 61–64. 29 Vgl. George L. Mosse: Die Nationalisierung der Masse. Politische Symbolik und Massenbewegungen von den Befreiungskriegen bis hin zum Dritten Reich, Frankfurt am Main u. New York 1993. 30 Tyrsˇ 1832 (wie Anm. 28), S. 64. 31 Antonín Wiehl: Pru°povídky na stavbách (Die Sprüche auf den Gebäuden), in: ZSIA 18/1883, S. 58. 32 Vgl. Hubert Stier: Die deutsche Renaissance als nationaler Stil und die Grenzen ihrer Anwendung, in: Deutsche Bauzeitung 18/1884, S. 427–435; vgl. Mitchell Schwarzer: German Architectural Theory and the Search for Modern Identity, Cambridge/MA. 1995, S. 76–77. 33 Koula 1898 (wie Anm. 23), S. 7. 34 Vladimír Macura: Znamení zrodu. Cˇeské obrození jako kulturní typ (Zeichen der Geburt. Die tschechische nationale Wiedergeburt als Kulturtyp), Prag 1983, S. 44. 35 Vgl. Ákos Moravánszky: Competing Visions. Aesthetic Inventions ans Social Imaginations in Central European Architecture, 1867–1918, Cambridge/MA. u. London 1998, S. 219. 36 Vgl. Kurt Milde: Neorenaissance in der deutschen Architektur des 19. Jahrhunderts. Grundlagen, Wesen, Gültigkeit, Dresden 1981, S. 299. 37 Vgl. Otto Urban: Cˇeská spolecˇnost (Tschechische Gesellschaft) 1848 –1918, Prag 1982, S. 354– 362.
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38 Vgl. Cornelius Gurlitt: Geschichte des Barockstils in Italien, Stuttgart 1887; Heinrich Wölfflin: Renaissance und Barock, München 1888. 39 Vgl. Albert Ilg (Bernini d. Jüngere): Die Zukunft des Barockstils, Wien 1880; vgl. Alphons Lhotsky Albert Ilg, in: Aufsätze und Vorträge, hg. v. Hans Wagner u Heinrich Koller, 5 Bde., München 1974, Bd. IV, S. 277–302; Schwarzer 1995 (wie Anm. 32), S. 78–80. 40 Antonín Balsˇánek: Architektura strˇech doby barokové v Praze (Die Architektur der Dächer im Barockzeitalter in Prag), Prag 1907. 41 Vgl. Alena Janatková: Barockrezeption zwischen Historismus und Moderne. Die Architekturdiskussion in Prag 1890–1914, Zürich u. Berlin 2000. 42 Prohlásˇení Antonína Cechnera a Aloise Cˇenského (Erklärung von Antonin Cechner und Alois Cˇensky´ ), in: Architektonicky´ obzor 2/1903, S. 13. 43 Vgl. Jindrˇich Vybíral: Aufbruch zur Moderne, in: Tomásˇ Valena u. Ulrich Winko (Hg.): Prager Architektur und die europäische Moderne, Berlin 2005, S. 9–24. 44 Vgl. Vlastislav Hofman: O dalsˇ ím vy´voji architektury (Über die weitere Entwicklung der Architektur), in: Volné smeˇ ry 19/1918, S. 193–206; Otakar Novotny´: Zápisky z interregna (Notizen aus dem Interregnum), in: Volné smeˇry 19/1918, S. 208–217; Pavel Janák: Ve trˇetineˇ cesty (Nach einem Drittel des Weges), in: Volné smeˇ ry 19/1918, S. 218–226; vgl. Janatková 2000 (wie Anm. 41), S. 95–98; Rostislav Sˇvácha: The Pyramid, the Prism and the Arc. Czech Cubist Architecture 1911–1923, Prag 2000. ˇvácha 2000 (wie Anm. 44). 45 Vgl. S 46 Zdeneˇ k Wirth u. Antonín Mateˇ jcˇek: Cˇeská architektura 1800–1920, Prag 1922, S. 48. 47 Jan Zeyer: Baroc a rococo, Wien 1895. 48 Vgl. Billie Melman: Claiming the Nation’s Past. The Invention of an Anglo-Saxon Tradition, in: Jehuda Reinharz u. George L. Mosse (Hg.): The Impact of Western Nationalisms, London, Newbury Park u. New Dehli 1992, S. 221–241. 49 Vgl. Eric Hobsbawm u. Terence Ranger (Hg.): The Inventing of Tradition, Cambridge 1984. 50 Jan Sokol: Dlouhá léta s architekturou (Lange Jahre mit der Architektur), Prag 1997, S. 34.
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VYBÍRAL
NATION UND AVANTGARDE
»… AND NOW WHAT, YOU BIEDERMÄNNER?« Franz Wilhelm Seiwert and the Germanness of Neue Sachlichkeit LYNETTE ROTH
»Neue Sachlichkeit« and German Nationalism The study of German representational art of the Weimar period has been marked by the question of »continuity« between art associated with the term Neue Sachlichkeit and a National Socialist aesthetic. Following the Second World War, the art of Neue Sachlichkeit was initially overlooked by a scholarship wary of its supposed fascist reputation and preoccupied with the international dominance of abstraction. As of the 1960s, attention to Weimar art then sought – directly or indirectly – to dispel the stubborn notion that German representational painting in general figured as a springboard for that favored by Nazi doctrine. The frequent equation of Neue Sachlichkeit with the Weimar period itself, a period of artistic production then claimed to have ended abruptly in 1933, has been one way to disassociate the two eras.1 Originating in the 1970s, the continuity claim focused on the consistent use of certain compositional and stylistic principles, as well as pictorial genres, both during and after the Weimar period. In so doing, this strategy recast Neue Sachlichkeit in a »middle« position, whereby the idealizing tendencies in the 1920s did not preclude their misuse after 1933.2 More recently, the claim has been further refined and an argument has been made for an antidemocratic tendency in the art of Neue Sachlichkeit on the basis of several thorough case studies.3 Protestations against continuity, on the other hand, have been made primarily on an individual basis and rely on depicted subject matter or biographical information (e.g. party
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affiliation, allusions to inner emigration). Because it arose precisely in response to a lack of specificity in previous accounts of Neue Sachlichkeit (which often avoided the period after 1933 altogether), the continuity debate now seems trapped in oscillation between two poles, with either »side« offering, at least in recent scholarship, compelling evidence to support its claim. While many contributions represent necessary steps toward increased art-historical specificity, resolution is unlikely, as the seeds of the debate go back to the Weimar period itself. In fact, just as the extant scholarship often deploys the term Neue Sachlichkeit as a catchall phrase for German art between the wars, the term was also generalized in the 1920s, becoming one of the most popular catchphrases of the time amidst a multitude of others intended to designate the representational turn of post-expressionist painting (New Naturalism, Magic Realism, New Nature Painting, etc.).4 For much of the German Left, the term Neue Sachlichkeit quickly became a code word for artistic and, by extension, political conservativism, even fascism. Significantly, Neue Sachlichkeit was often then no longer solely a reference to painting, but to a broader bourgeois »consciousness« (Bewusstsein) parallel to the stabilization period in Germany after 1924. The associations made by both the term’s contemporary supporters and detractors have contributed to the art-historical confusion regarding the term and, moreover, the stylistic affinities and political loyalties of its proponents; the post-war scholarship revolves as heavily around the question of political and social responsibility as did the debates of the Weimar period. Implicit in the continuity debate is the fact that the art in question was both categorized as »representational« and associated in the contemporary criticism with very particular formal qualities. Despite the prevalence of iconographical studies, very few investigations deal with the art of the Weimar period on the level of form. A close examination of a contemporary critique of Neue Sachlichkeit by Cologne artist Franz Wilhelm Seiwert will reveal the stakes behind one artist’s challenge to the popular catchphrase. In Seiwert’s opinion, artwork associated with Neue Sachlichkeit ultimately fails – artistically and politically – not on the highly debated iconographic or stylistic level, but on the level of pure form, more specifically surface finish. Moreover, the artist makes this argument by pejoratively associating this formal quality with the concept of German nationalism. This case study will explore national associations akin to the post-war continuity debate, as well as the persistent, oversimplified equation of formal qualities with political ideologies, particularly as regards the medium of painting, both then and now.
Gustav Friedrich Hartlaub’s »Neue Sachlichkeit« First introduced in 1923 by curator Gustav Friedrich Hartlaub as a way to unify a wide variety of artists working in a representational (gegenständlich) vein, Neue Sachlichkeit (translated predominantly as »New Objectivity«) was a problematic term from its very inception.5 From the start, Hartlaub designated two »wings« (Flügel) within the emerging development, whereby the left or »verist« wing arose out of the »negation of art« and was thought
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to reveal the »true face of our time«. The other, »classicist« wing was described as »purely drawing from nature« and was said to have roots in French and Italian models.6 Hartlaub’s exhibition entitled »Neue Sachlichkeit German Painting since Expressionism« (Neue Sachlichkeit Deutsche Malerei seit dem Expressionismus) two years later in the Kunsthalle Mannheim included artists from each proposed wing. Max Beckmann, George Grosz and Otto Dix, among others, represented the verist camp, thereafter associated with caricature and biting social satire.7 Grosz’s Portrait of Herrmann-Neisse (1925) shows the artist’s friend Max Herrmann-Neisse seated cross-legged in a flowered armchair in an otherwise empty space, as if facing the threshold of another room |fig. 1|. Still visible pencil lines and the 1 George Grosz: The Writer Max Herrmann-Neisse, 1925, oil on canvas, 100 × 101 cm, Mannheim, Städtische sketchy quality of the right back chair leg Kunsthalle contrast with the careful paint application afforded to the sitter’s head and hands. The un-idealized portrait of the Expressionist author drew a great deal of attention at the time and has since become an icon of Neue Sachlichkeit painting. Hartlaub’s right wing was dominated by the Munich »classicists«, artists such as Alexander Kanoldt, Carlo Mense and Georg Schrimpf. Illustrated opposite Grosz’s Portrait of Herrmann-Neisse in the exhibition catalogue is Kanoldt’s Olevano I of 1924 |fig. 2|. A series of rising cubic forms comprises a landscape devoid of human presence. Kanoldt’s meticulous paint application and his compact, almost airless compositions, along with his investment in Italianate landscapes and traditional still-life motifs, has also come to typify what is understood by the term Neue Sachlichkeit.8 Although the exhibition catalogue follows the lackluster alphabetical organization typical of the period, Hartlaub breaks this order not just once, but twice, in order to juxtapose illustrations of the work of Grosz and Kanoldt, the seemingly irreconcilable »wings«. The obvious political connotations of the curator’s characterization of a verist or »left« and a classicist or »right« wing were also mirrored in the reception.9 While the bulk of the contemporary press took the term Neue Sachlichkeit and the two wings seemingly at face value (inheriting as well their inherent disunity), Hartlaub was fully aware of the possible incoherence of his division and, above all, that of his overarching term. His catalogue essay distinctly warns that his designations do not wholly describe current art production and that »-isms« themselves are inadequate retroactive historical constructions.
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The popularity and generalization of Neue Sachlichkeit as a catchphrase (Schlagwort) eventually led Hartlaub to disassociate himself from certain traveling versions of his exhibition and to try and redefine the term in the 1930s.10 And yet, following the clarifications and disclaimers, the last sentence of Hartlaub’s 1925 catalogue text explicitly re-unifies the exhibition’s disparate artworks: specific subject matter – whether that of the verist’s hardened look at the modern world or the classicist still-life – takes a backseat to the two central interests of all the painters: truth (Wahrheit) and craft (Handwerk).11 Verisimilitude (the exact, so-called »truthful« rendering of objects in the outside world, exemplified in Herrmann-Neisse’s bulging veins) and a carefully »crafted« painterly technique are considered common to, and thus thought to unite, the works on display. A far cry from the curator’s description of the left wing as the »nega2 Alexander Kanoldt: Olevano I, 1924, oil on canvas, size and location unknown tion of art« a few years prior, Hartlaub’s emphasis on »technical detail« (technische Ausführlichkeit) here echoes contemporary responses to recent representational painting which privileged a »skilled craftsmanship« (Fertigkeit des Handwerks). The German reception of Giorgio de Chirico’s essay Return to Craft, wherein the artist calls for a return to meticulous, old master techniques, likely plays a significant role here.12
»Neue Sachlichkeit« and the Surface Although artists associated with Neue Sachlichkeit were undoubtedly heterogeneous in their choice of motifs and, in many ways, their painterly style, there was nonetheless a seemingly strong consensus regarding the degree – and the value – of painterly finish. Such opinion was even known to exceed Hartlaub’s own criteria for Neue Sachlichkeit. In the wake of the Mannheim exhibition, for example, Alexander Kanoldt criticizes Hartlaub’s inclusion of Max Beckmann, as well as George Grosz’s work from 1916–1919.13 The right wing thus retrospectively attacked not the subject matter of the left wing (which was often the case with the
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controversial work of the »Verists« in the early 1920s), but rather Grosz’s »lousy, wildest expressionist effort« (Machwerk), which Kanoldt felt destroyed the unity of the exhibition. Artist and critic Franz Roh, who also collaborated on the Mannheim exhibit, goes on to associate post-expressionism in general with notions like »smoothing« (glättend) and refers to such painting as »obliterating the working process« (Arbeitsprozess austilgend). In his 1925 publication Nach-Expressionismus – Magischer Realismus, Roh contrasts these characteristics with Expressionist facture that allows instead for a sense of the artwork’s production in the visible brushstroke, the lack of finish, etc.14 While Roh sets up a series of descriptive oppositions, art critics of the 1920s – deploying any number of terms alongside the popular Neue Sachlichkeit – make clear-cut value judgments, praising artwork exhibiting a lack of the »material«.15 During the Weimar period, emphasis on just such a painted surface even led to comparisons of Neue Sachlichkeit painting with photography. That is, the two media were associated not solely in the supposed aim of both to objectively render the outside world, but also in reference to a shared, glossy surface.16 The correlation of Neue Sachlichkeit painting with a surface devoid of any trace of the artist’s hand is also sustained by the (admittedly fraught) post-war reception of the term. In his definitive 1969 publication, Wieland Schmied lists the »effacement of the traces of the painting process« (Austilgung der Spuren des Malprozesses) as one of five characteristics of Neue Sachlichkeit painting, alongside an »unsentimental« focus on details and everyday, literally »banal«, subject matter.17 It thus follows that those painters now generally considered to be exemplary instances of a so-called Neue Sachlichkeit style are precisely those whose meticulous application of paint leaves little or no trace of the process of making (for example, Carl Grossberg and Christian Schad), instead of more questionable figures from Hartlaub’s initial exhibition, such as Max Beckmann.18 It is this particular aspect of Neue Sachlichkeit painting that is vehemently criticized by Cologne artist and theorist, Franz Wilhelm Seiwert, in the 1920s. Eliding distinctive differences in the work of specific artists, and, notably, Hartlaub’s two »wings«, Seiwert argues that Neue Sachlichkeit is both artistically ingenuous and regressive, and thus, by extension, politically reactionary. Seiwert’s criticism of Neue Sachlichkeit could thus be seen as a precursor of post-war continuity claims and, more specifically, of Marxist accounts desiring to link representational painting in general with reactionary tendencies.19 Notably, however, the leftist artist dismisses neither representational forms nor painting per se as a potential medium for social change. Instead, at a time when the viability of painting in the service of leftist politics was being heavily debated, Seiwert champions a radical conception of easel painting. Taking recourse to regional, medieval traditions of art-making, the artist criticizes a lack of formal ingenuity solely on the part of his own countrymen, revealing much about the uniqueness of his own artistic and duly political project. Seiwert’s writings and artwork thus prove extremely useful for a historically grounded investigation of the term Neue Sachlichkeit as well as the question of Weimar period painting in general.
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Franz Wilhelm Seiwert’s Critique By the end of his short life, Franz Wilhelm Seiwert (1894–1933) was at the nucleus of the Cologne Progressives, a loosely organized and ultimately international artistic circle. On the first page of the first issue of the monthly mouthpiece of the Progressives group, entitled a bis z, Seiwert announces a dialectical theory of art |fig. 3|.20 The upheaval of existing (and seemingly stable) artistic forms is hereby linked to changes in the economic base. Seiwert believes this transformation to be currently in motion – the result being, quite literally for the artist, artistic »revolution«. For Seiwert in this essay, the current, seemingly stable platform to be overthrown is none other than the widely recognized trend in German art popularized under the catchphrase Neue Sachlichkeit. The 1929 article, aptly titled es ist noch nicht aller tage abend (the German-language equivalent of »it’s not over yet«), provides the reader with a description of art’s development over the last two decades and, ultimately, a hefty critique of recent German art production. Seiwert believes that Germans are blindly appropriating the artistic developments of other countries and denounces Neue Sachlichkeit with the following words: »Profiting from the italian futurists, germany started the neue sachlichkeit. but it is the old un-objectivity. because the surface of things and their retinal image is un-objective. it doesn’t capture the essence of things. the new german romanticism skips over the renaissance and lands right in the middle of the biedermeier. and now what, you biedermänner?«21 The essay repeatedly addresses German artists directly as »bieder-men« (Biedermänner), scolding them for their actions and warning them of their impending fall. The Biedermeier, known as the period between 1815 and 1848, is historically associated with conservative nationalism. By the 1920s, »bieder« had become a German-language pejorative for the bourgeoisie, which, unlike the equally common »philistine« (Spießer), had a decidedly national stigma.22 Seiwert’s conflation of the term Biedermeier with Neue Sachlichkeit is, to a large extent, the product of contemporary critical language. Seiwert’s published text in a bis z draws largely (often word-for-word) on a shorter unpublished manuscript entitled An Art Letter from Paris by Franz Wilhelm Seiwert, written during the artist’s first visit to the French capital. »My trip to Paris was like an escape from Germany. I sort of ran away from German coziness (Gemütlichkeit) and security (Gesichertheit). I wanted to see if things in Paris had already become so ossified, so stabilized that all work against it would be hopeless. But Paris showed me: There is hope. No, much more. All stabilization is hopeless.«23 The handwritten draft dates to 1926 and is therefore a more or less direct response to the recently widespread reception of German representational art, due in no small part to Hartlaub’s Mannheim exhibition. The artist’s blatant addition of the word »art« to the title of the manuscript underscores Seiwert’s text as a critique of painting in
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3 Title page (with photographs of works by Heinrich Hoerle, Otto Freundlich and Jankel Adler), a bis z: organ der gruppe progressiver künstler 1, October 1929
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particular, distinguishing him from many of his leftist contemporaries who broadly applied the term Neue Sachlichkeit. Gemütlichkeit and Gesichertheit, are, here, like references to the Biedermeier period, shorthand for petty-bourgeois, specifically German, culture. In both versions of the critique, Seiwert’s writing combines art critical and political lingo; the dialectical turn in art as described by the artist thus calls to mind a revolutionary fervor more reminiscent of the period prior to 1923. In these lines, Paris, »the classical revolutionary city«, confronts Germany, according to Seiwert, the »classical land of stabilizations« or »bieder«, middle-class comfort.2 4 Writing from Paris, the artist warns his own countrymen: »watch out, you biedermänner, you’re tumbling!« Modifications made to the published version three years later reflect significant changes in the discourse around representational German painting and further strengthen the artist’s pejorative view of German nationalism. For example, whereas Seiwert uses the term Neue Sachlichkeit in his earlier text, in 1929 he also employs the increasingly popular synonym »New German Romanticism«, invoking the even stronger national connotations associated with it.25
»Neue Sachlichkeit« and the Biedermeier Seiwert’s specific attack on German artists, on the markedly »bieder«, warrants closer examination. Although Hartlaub’s exhibition specifically emphasized »German Painting« (Deutsche Malerei), the curator, like many of his contemporaries, recognized international sources of – or parallels to – the German turn to representational painting from the very start.26 Franz Roh defined the return to representation as a broader European phenomenon, including artists such as Picasso, Carlo Carrà, Gino Severini, André Derain and Auguste Herbin. Indeed, both versions of Seiwert’s critique present Neue Sachlichkeit as stemming from – literally »profiting« from – the former Italian futurists. Although the Italian futurists were, according to Seiwert, once at the forefront of revolutionary art, they have now, backed by Mussolini, returned to the »Romanticism of the Renaissance«. Germans who appropriate this artwork are said to »skip over« the Renaissance and »land« in the Biedermeier, however, because they have no access to the historically and nationally grounded Italian artistic tradition. Furthermore, because Seiwert sees cultural forms as the expression of the economic foundation »for Germany, the country of the highly-developed industrial corporations (Konzerne), the [Italian] fascist Romanticism is nonsense.«27 Thus there is more than formal regression or repetition at stake in mimicking artistic forms inappropriate for one’s own nation. One may end up appropriating Mussolini’s fascism. Seiwert also appears to have accepted initially the German post-expressionist teleology in which Picasso’s Neo-Classicism parallels, if not acts directly as a catalyst for, German developments. In 1925, for example, Seiwert refers to the Cubist or »inventor« (Neuschöpfer) Picasso as »dead«.28 During his first visit to Paris, however, the artist saw a Picasso retrospective of the years 1918–1926 that excluded all neo-classical works typically associated with that
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period.29 Seiwert thus saw that Picasso was working in a different manner in 1926, indeed that he had been doing so all along. The Cologne artist writes from Paris: »Picasso hasn’t retired yet. He has not abandoned trying to rigorously solve the pictorial problem.«30 Although Seiwert does acknowledge the general existence of French parallels to the German Neue Sachlichkeit in his critiques, he affords them a qualitatively higher »painterly« (malerisch qualitativ) value – not by any means political value, however – than their German manifestation because those French artists are nonetheless engaging with their own Academic tradition. Despite what the artist adamantly believes to be the irrelevance of these painterly traditions under current conditions, he recognizes the Renaissance as the cultural heritage of the Italians and the legacy of Academic painting as that of the French. German artists unable or unwilling to look to their own tradition – one unfortunately marred by the values of the Biedermeier period – reveal, for Seiwert, their own artistic and political ignorance. Sparked in 1926 and fully articulated in 1929, Seiwert’s belief was that the time had come for German artists to reform their artistic approach. The alternative he offered them was the dialectical opposition of their current practice.
The Material Reality of the Picture In both versions of his Neue Sachlichkeit critique, Seiwert refers to the so-called new development in Germany as the old »un-objectivity« (Unsachlichkeit). Here, current art production, praised for its smooth, old-masterly elimination of every trace of the artistic process, offers the viewer a »retinal image« (Netzhautbild), appealing fleetingly to the eye. Seiwert contrasts German painters’ depiction of the »surface« (Oberfläche) of things with a desire for the depiction of the »essence« (Wesen) of things. Surface and essence are, for Seiwert, analogous to the material construction of the artwork, whereby the latter is understood as the plasticity or solidity of the painted canvas. The term Neue Sachlichkeit and the smooth painted surface associated with it signify what the artist understands to be both figurative, pettybourgeois superficiality, as well as literal or formal superficiality, that is, the obliteration of the visible material surface. For Seiwert, this »superficiality« is equal to the failure of painting in his own country. This recognition »is what Paris shows. And that is why Paris, the classical revolutionary city, is a confirmation for those of us who are no longer trying to make the world a picture, but to change the world.«31 Again, political and aesthetic language converge in Seiwert’s writing. In addition to being a statement against strictly mimetic art, Paris acts here as an impetus for the sluggish land of stabilizations, neighboring Germany. Seiwert’s objection to the licked surface of the »retinal image« (Netzhautbild) is deeply rooted in his conviction that, in art, form and content must be united in the service of radical social change. Writing for the Berlin journal Die Aktion in the early 1920s, Seiwert partakes in debates between Russian and German artists and theorists regarding the possibility of (and the appropriate form for) a proletarian culture. According to Seiwert, »proletarian art
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will only exist once content and form are proletarian.«32 These early theorizations will amount to an ongoing critique of art that makes use of bourgeois art forms. Because bourgeois forms are associated with an impeccably smooth surface finish, Seiwert’s is an argument in favor of thickly and visibly applied paint. As the example of Picasso suggests, attention to formal issues often seems to outweigh the inclusion of explicit socialist content. As early as 1919, the artist had clearly articulated the significance of materiality for his work and that of his close contemporaries. Following the secession from Cologne Dada, Seiwert outlines the goals of the newly formed Neukölnische Malerschule as follows: »We want to do simple work beyond all chatty intellectualism. Because we are just painters, sculptors we will start there, start with ourselves, where there can be no chance occurrence. We will try to be so simple and so unambiguous in the forms given to us, the picture, the sculpture, so that everyone can understand us…We know that there is no reality that can be mistaken for the reality of the picture, of the sculpture. Thus we want to let the reality of the picture, of the sculpture become so unambiguously real that no one will be able to mistake it for another reality anymore.«33 Seiwert’s repetitive emphasis on reality (Wirklichkeit) here has a focus distinctly different from Hartlaub’s verisimilitude of four years later. Instead of the representation of the outside world, the simple, legible work of the newly seceded group is bound only to the reality of the canvas or sculpture itself. Despite an equally repetitive insistence on the clear-cut or unambiguous (eindeutig) nature of the respective form, Seiwert’s letter does not offer any concrete sense of what the reality of a picture or a sculpture actually looks like. By 1920, Seiwert has, however, already produced the small painting entitled simply »Kopf« (Head) |fig. 4|. Marking a distinctive break from the more organic forms and meshing colors of his earlier expressionist work, Seiwert divides a total of thirteen different bright color planes into distinctive segments. Despite overlapping forms, each area of the small canvas is distinguished from the next by shaky, pencil outlines and by the hardened, varied directions of the brushstrokes, which, like Seiwert’s prose, will retain the expressionist characteristics of his formative years well into the 1920s. Seiwert’s monogram (»FWS«) and the year (»20«) are scratched into the still wet paint with pencil. With each visible application of brush to canvas, »Kopf« continually references its own making. Thus, for Seiwert, the evidence of the artistic process remains visible to the viewer in order that the painting or sculpture may be perceived of »as its own reality«: reality not in the sense of the outside world (»to make the world a picture«), but the reality of the material nature of paint or sculptural materials. And yet the artwork is not exhausted in an abstract materiality, nor is Seiwert’s critique of Neue Sachlichkeit a criticism of representational painting per se. Although the straightforward content of »Kopf« does not carry an explicit socialist message, elements present here will recur in Seiwert’s work for years to come: the circular sun shape to the lower right and
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the figure itself as transversed in several places by the background surfaces. The dictum of legibility realized in the deployment of recurring, simplified figures and symbols, will play an equally large role for the Cologne Progressives.
The Cologne Progressives Although Seiwert argues that almost all materials are capable of revealing the process of their making, he nonetheless turns increasingly to painting as of 1924.3 4 In the same issue of a bis z as Seiwert’s criticism of Neue Sachlichkeit, Carl Oskar Jatho describes the artist’s painting as an intervention into the habitual »sublimated experience of the retina« (sublimiertes erlebnis der netzhaut).35 In Seiwert’s 1932 Stadt und Land (»City and Country«), one of his most mature and wellknown canvases, hectors of land on the left (like the darkened urban buildings on the right) are mapped out vertically, covering the entire canvas, compressing the space and intensifying the con4 Franz Wilhelm Seiwert: Kopf, 1920, oil on cardboard, 25,5 × 20,4 cm, private collection frontation of the viewer with the materiality of paint on canvas |fig. 5|. The thick, and yet contained, brushstrokes and the overall construction of Seiwert’s object-like painting aims to offer the viewer a distinctly different and necessarily tactile relationship to the artwork and its subject matter, an experience in opposition to art incapable of conveying anything beyond a simple optical stimulus. The interlocking hands of factory worker and farmer across the clear juxtaposition of the two spheres provides a legible, utopian message. Disparaging German art in 1926, Seiwert locates what he sees as the impending dialectical turn in art production in the current work of the former figures of the Cubist school. In addition to Picasso, Constantin Brancusi, Ferdinand Leger and Jean Lurçat, by 1929 Seiwert has added artists as diverse as Auguste Herbin, Albert Gleizes, Georges Braque, Wladimir Tatlin, Kazimir Malevich, Alexander Rodchenko and Max Ernst to his list of artists dedicated to »pictorial« or formal problems.36 The appearance of Seiwert’s Neue Sachlichkeit critique as the inaugural title page of a bis z also underscores that an attack on the superficiality of current German art production is at the same time a programmatic statement about the values of Seiwert’s own artistic group, the Cologne Progressives. The three artworks illustrating the text are by Heinrich Hoerle, Otto Freundlich and Jankel Adler, all three of whom are signifi-
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5 Franz Wilhelm Seiwert: Stadt und Land, 1932, oil on canvas, 70,6 × 80,7 cm, Köln, Museum Ludwig
cant members of Seiwert’s artistic circle engaging with the mode of foregrounding materiality in specific ways in their work at various times.37 The interest in the visible, material reality of the artwork is, however, most strongly articulated in Seiwert’s response to the graphic artist Gerd Arntz, above all his work in wood. In the same year during which he came into contact with Seiwert, Arntz claims to have torn up everything that was not drawn on wood and thus could not be carved. »Printing«, continues the artist in 1925, »is secondary for me«.38 Vornehme Straße (»Classy Street«) of 1924 can be considered a representative example of Arntz’s practice of painting his previously used wooden printing plates and displaying them as art objects in their own right |fig. 6|. The composition here is typical in its division into distinct segments (here as three different buildings), introducing only slight breaks in the horizontal and vertical construction.39 First the product of a graphic artist carving on a horizontal carving table, Vornehme Straße is then painted in subdued colors with minimal details in blue and red. Like Seiwert, Arntz scratches his signature (»arntz 24«) into the black paint in the lower right hand corner. Despite the dominance of Arntz’s print work in a 1925 exhibition, Seiwert’s accompanying catalogue text privileges the means of production (the strong and defined forms of Arntz’s wood blocks) above the resulting print. He writes: »one has to take his wooden plates in one’s hands, they feel like good old craftsmanship. An energy is transferred to our bodies, a beneficial warmth which allows us to experience the working
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6 Gerd Arntz: Vornehme Straße, 1924, painted wood block, 23,7 × 35,8 cm, Köln, Galerie Glöckner
process during the creation of the work.«40 For Seiwert, by holding the wood plate in one’s hands the viewer can experience a physical transmission of warmth, the residue of the artist’s physical investment in the work during the process of its making. Praise is not limited to formal issues, however, and Arntz’s interest in the social condition is also duly noted. The depiction of the well-to-do Malkastenstrasse in Düsseldorf here was, in fact, conceived as a pendant to the less affluent district portrayed in the woodcut Straße (»Street«) of the same year (the painted wood block is now lost) |fig. 7|. Operating with visual oppositions within a series (e.g., here the wide hips of the proletariat women contrast with the sleek female figure in Vornehme Straße) or often within one and the same work, Arntz fulfills Seiwert’s mandate for both legible socialist content and material form. Seiwert’s aforementioned statement on the »reality« of the picture or the sculpture coincides with his involvement in 1919 with the Neukölnische Malerschule, a direct allusion to the fifteenth-century Kölnische Malerschule. Indeed, craft or Handwerk will become a leitmotif of the Cologne Progressives bound directly to the interest in the materiality of the artwork, lending the early letter a manifesto-like quality. Seiwert repeatedly compares the wood printing plates of Gerd Arntz to the product of »good old craft« and links art-making explicitly to the work of the medieval craftsman: »The wooden printing plate is worked like a good relief. The blood of old families of craftsmen who built precise functioning tools runs
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7 Gerd Arntz: Straße, 1924, woodcut, 25,5 × 37,5 cm, Neuss, Clemens-Sels Museum
through his veins.«41 The Cologne Progressives thus re-write the German artistic legacy by rooting it not in the Germanness of the Biedermeier, but by reviving positive notions of craft (Handwerk) as rooted in a regional, Rhenish tradition. This, not the pejoratively national product of the nineteenth century, is literally the blood coursing through their veins. Just as the guild structure of the Kölnische Malerschule provides a German tradition with a distinctly different political valence, the notion of craftsmanship offers a different relationship of the artist’s and the viewer’s body to the artwork. The effect on the viewer, who is encouraged to physically engage with the work, is haptic, and the artwork reveals, in Seiwert’s words, »essence« instead of merely optic »surface«.
Content and Form Needless to say, Seiwert’s understanding of the term craft (Handwerk) is diametrically opposed to that propagated by Giorgio de Chirico in his essay Return to Craft, or that associated with what was understood as Neue Sachlichkeit painting at the time. Instead, Seiwert’s emphasis on Neue Sachlichkeit’s surface quality or »retinal image« (Netzhautbild) provides the perfect foil for the physical, material nature of Seiwert’s own artistic project and that of his close contemporaries, the Cologne Progressives. Although he offers many positive examples of artists concerned with new forms, Seiwert does not name specific proponents of Neue
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8 Otto Dix: Der Salon I, 1921, oil on canvas, 86 × 120,5 cm, Stuttgart, Staatsgalerie
Sachlichkeit in his 1926–1929 attacks. His writings throughout the period do, however, include recurring criticisms of the art of George Grosz and Otto Dix precisely for their insistent use of so-called bourgeois art forms for the depiction of socially critical (what Hartlaub dubbed »veristic«) content.42 In Hans Faber’s 1931 article in a bis z entitled Content and Form, an article that almost certainly grew out of close discussion with Seiwert himself, the author compares two paintings: Bordell (»Bordello«) (1921), now known as Salon I, by Otto Dix and Seiwert’s Freudlose Gasse (»Joyless Street«) (1927) |fig. 8–9|.43 Dix’s painting shows four prostitutes of various ages seated at a table in an interior lit by an unseen light source. The cracked wallpaper and »bieder« lace table runner suggest a worn-down bourgeois interior. Wearing negligees or lace panties, all four female figures nonetheless sport elaborate hairdos and jewelry. While the others look distractedly beyond the framing edge, the figure in the left foreground grabs her breast suggestively in the direction of the viewer. According to Faber, Dix depicts the »obstinately attendant sadness of a bordello…certainly a highly socially critical motif.«4 4 Dix’s canvas is, however, further described as »painted in that disturbing contemporary naturalism of the post-war period. And yet with the formal principles of bourgeois painting techniques.«45 In the a bis z article, the critical content of Bordell is therefore doomed to fade along with the initial visual excitement or »stimulus« (Reiz) of its smooth surface. For the author, Dix’s painting of »old whores« could just as easily be mistaken for the work of a moralizing bourgeois satiricist. In other words, the canvas could be understood by the viewer as critical not of a society that promotes prostitution, but rather of the women
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9 Franz Wilhelm Seiwert: Freudlose Gasse, 1927, oil on canvas, 65 × 80 cm, private collection
who practice it. Faber’s decision to compare an earlier painting by Dix with Seiwert’s work may have resulted from the inclusion of both paintings in the 1930 exhibition »Socialist Art Today« in Amsterdam. Dix’s involvement in the Amsterdam exhibition, as well as the fact that his canvas duly informs Hartlaub’s initial understanding of Verism, further underscores that Faber, like Seiwert, takes issue strictly with Dix’s paint application. Seiwert’s painting, on the other hand, is described as »painting first, that is surface (Fläche) and the strictest organization.«46 Painting is understood here as the thick, painted surface and the strict composition of forms. Seiwert’s Freudlose Gasse depicts not just prostitutes, but a policeman and a male client as well. The bright orange, pink, yellow and red hues used for the female figures and the spaces they inhabit, including the lit interior space to the left of the canvas, set them apart from their darker surroundings. The nude or half-nude figures (an utter rarity in the work of an artist who barely distinguishes a female body from a male one) appear here in a similar constellation to that of male workers in Seiwert’s frequent depictions of demonstrations, whereby the working class is surrounded on either side by representatives of the bourgeois order. Prostitutes are, according to the artist, »human material« (Menschenmaterial) for the capitalist bourgeois power structure, not unlike their male counterparts in the factory or on the battlefield.47 The nude female body here comprises various planar forms, and each female figure appears without detailed physiognomy. Only the bright red lips, navel and nipples of the central figure serve as an exception, acting as overt signs of potential titillation. As in the much earlier »Kopf«, Seiwert’s small brushstrokes vary
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from segment to segment, whereby each plane is delineated along still visible pencil lines. Several segments, such as the head of the female figure left of center, are so thickly painted that the canvas appears to bulge and swell. For Faber, although both canvases ostensibly have a similar message, namely the social reality of prostitution, form is the deciding factor by which the successful transmission of that message to the viewer can be judged. The a bis z article suggests that the status of Freudlose Gasse as a painting above all else will prove it capable of revealing the class-based social structure at work. In this, Faber’s account is a reiteration of Seiwert’s own articulation of his project: formal qualities are equated with either artistic and, by extension, political success or failure. As the theoretical spearhead of the Cologne Progressives, Seiwert levels a myriad of contemporary German trends (some of which lay claim to similar political goals) in his pejorative handling of the term Neue Sachlichkeit. The term Neue Sachlichkeit functions here as a code word for formal and political conservatism, and yet the artist’s use of the term remains tied directly to concerns about the status and the future of painting. By distancing himself from artists directly associated with the term, Seiwert, along with the Progressives group, strengthens his claim for the necessity of new forms in Germany. Working against a German artistic legacy most recently defined by the conservative values of the Biedermeier, the artist identifies with a notion of craft located in a local, medieval Rhenish tradition, one closely tied with physical, unalienated labor. Regionalism, invoked in place of the national, provides what a broader nationalism cannot, an untainted legacy of art-making. Wieland Schmied’s 1969 Neue Sachlichkeit und Magischer Realismus, which reintroduced and redefined Hartlaub and Roh’s terms for a post-war generation, includes the work of Franz Wilhelm Seiwert.48 This subsumption of the artist under the very term Seiwert so strongly criticized in the Weimar period is symptomatic of the failure to, until recently, in vestigate Neue Sachlichkeit as an historical term. Furthermore, Seiwert’s painting has long been considered inconsistent with his earlier graphic work and articulated political goals. Long-sustained oppositions between representational and non-representational trends have also relegated the Progressives to a kind of way station between the two. Instead, Seiwert develops a motivated form of art-making arising precisely out of his strong political convictions. The artist’s attempt to achieve a radical correspondence between form and content explains his engagement with – and enthusiasm for – artists working far outside of what can be considered socialist art. And, although he may equate the specific formal attribute of surface finish with national ideology, unlike many of his contemporaries (and more recent art historical assessments), Seiwert does not insist on locating the political potential of an artwork in any one specific medium or even in the representation of socialist motifs. The location of the revolutionary quality of art in the artist’s and the viewer’s body as described by the artist (and inscribed in the canvas’ very facture) aims for a more »legible«, direct transmission of socialist values via the visible process of art-making; the alienated proletarian viewer is addressed on a very physical level. Where form itself was believed to be capable of transmitting socialist experience, the so-called pictorial problem became politically charged.
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1 Olaf Peters has rightly questioned the widespread equation of the term with the Weimar period. Peters has shown that the lack of a National Socialist party line regarding Neue Sachlichkeit (at least until 1937) made it possible for many artists associated with the term to continue to work and even to flourish without, so Peters, »notably changing their style.« Olaf Peters: On the Problem of the Continuity of New Objectivity Painting during the Consolidation of the Third Reich. The Case of Rudolf Schlichter 1930–1937, in: History of European Ideas 24/1998, pp. 93–112 (english); id.: Eine demokratische Kunst? Aspekte der Neuen Sachlichkeit seit 1930, in: Zeitnah Weltfern, Exhibition Catalogue, Würzburg, Städtische Galerie, 1998–1999, Würzburg 1998, pp. 21–28, or the in-depth study Neue Sachlichkeit und Nationalsozialismus. Affirmation und Kritik 1931–1947, Berlin 1998. 2 Cf. Adam Oellers: Zur Frage der Kontinuität von neuer Sachlichkeit und Nationalsozialistischer Kunst, in: kritische berichte 6/1978, pp. 42–54. Although Oellers briefly mentions the role of the dominant formal qualities of the art of Neue Sachlichkeit, his focus will continue to be primarily iconographic; cf. id.: Ikonographische Untersuchungen zur Bildnismalerei der Neuen Sachlichkeit, Mayen 1983. 3 Cf. Peters 1998 (as note 1); for a helpful critical account of fairly recent contributions on Neue Sachlichkeit, see id.: Malerei der Neuen Sachlichkeit. Die Wiedergewinnung und Neubewertung eines Epochenstils, in: Kunstchronik 53/2000, pp. 379–391. 4 The inclusion of a wide array of artists under the term Neue Sachlichkeit occurs simultaneously with the renewed interest in the topic in the 1960s, beginning with Emilio Bertonati: Neue Sachlichkeit in Deutschland, Munich 1974 (Original Italian published 1969) and Wieland Schmied: Neue Sachlichkeit und Magischer Realismus in Deutschland 1918–1933, Hannover 1969, and continues to this day. 5 Thus etymological discussions are, or rather should be, inherent to any examination of Neue Sachlichkeit art. Although many authors refer generally to »realism« when discussing the period, the term overwhelmingly employed by Hartlaub and many of his contemporaries is gegenständlich, translated here as »representational.« Due to the problematic translation of the German word Sachlichkeit, translated alternatively as »objectivity« and »sobriety«, but also carrying with it connotations of the »thing« or »task« (Sache), the original German will be maintained here whenever possible; on this issue, cf. Fritz Schmalenbach: The Term Neue Sachlichkeit, in: Art Bulletin 22/1940, pp. 161–165. 6 G. F. Hartlaub, in: Das Kunstblatt 6/1922, p. 390: »Ich sehe einen rechten, einen linken Flügel. Der eine konservativ bis zum Klassizismus, im Zeitlosen Wurzel fassend, will nach so viel Verstiegenheit und Chaos das gesunde, Körperlich-Plastische in reiner Zeichnung nach der Natur, vielleicht noch mit Übertreibung des Erdhaften, Rundgewachsenen wieder heiligen. Michelangelo, Ingres, Genelli, selbst die Nazarener sollen Kronzeugen sein. Der andere linke Flügel, grell zeitgenössisch, weniger kunstgläubig, eher aus Verneinung der Kunst geboren, sucht mit primitiver Feststellungs-, nervöser Selbstentblössungssucht Aufdeckung des Chaos, wahres Gesichts unserer Zeit.« In preparation for the Mannheim exhibition Hartlaub will go on to associate these preliminary wings with specific artists. 7 For more on the Mannheim exhibition, cf. also Helen Adkins: Neue Sachlichkeit. Deutsche Malerei seit dem Expressionismus, in: Stationen der Moderne. Die bedeutenden Kunstausstellungen des 20. Jahrhundert in Deutschland, red. by Michael Bollé, Exhibition Catalogue, Berlin, Berlinische Galerie, 1988–1989, Berlin 1988, pp. 216–235. 8 Cf. for example, Kristina Heide: Form und Ikonographie des Stillebens in der Malerei der Neuen Sachlichkeit, Weimar 1998. 9 Political affiliation directly influenced which art was discussed and supported by particular groups or critics; cf. Karoline Hille: Spuren der Moderne. Die Mannheimer Kunsthalle von 1918 bis 1933, Berlin 1994, p. 144. The fact that Hartlaub’s wings are often presented as two separate, coherent movements, allowing for the socio-critical Verists to be siphoned off from the more politically suspect, »idealist« Munich artists, was also at the heart of the post-war continuity claim.
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10 Following Mannheim, the exhibition was shown in varying constellations in venues in Dresden, Chemnitz, Erfurt and Dessau. The exhibitions thereafter (in Halle and Jena) were no longer under Mannheim’s direction. For a thorough account of the development and reception of the term and the exhibition, as well as Hartlaub’s numerous writings on the topic; cf. Hille 1994 (as note 9), pp. 84–155. 11 Die neue Sachlichkeit. Deutsche Malerei seit dem Expressionismus, ed. by G. F. Hartlaub, Exhibition Catalogue, Mannheim, Städtische Kunsthalle, 1925, Mannheim 1925. According to Hille, Hartlaub was fully aware of the radical difference between his two wings, despite the fact that this ran counter to his otherwise established attempts towards harmony and reconciliation (Versöhnung) – thus possibly motivating the closing rhetorical attempt at unity in the text; cf. Hille 1994 (as note 9), p. 99. 12 De Chirico’s essay was published in the journal Valori Plastici in 1919 and made available via the Munich gallery of Hans Goltz. Although several authors have more recently questioned the direct and swift influence this journal is said to have on German developments (cf. for example, Peter-Klaus Schuster: Neo-Neo-Klassizismus. Neusachliche Tendenzen im Vergleich Italien-Deutschland, in: Mythos Italien Wintermärchen Deutschland, Munich 1988, pp. 71–76), the language of the article was no doubt influential (and useful) in the rising diatribes against expressionism. 13 Letters from Kanoldt to Hartlaub dated November 24, 1925 and December 1, 1925, in: Hille 1994 (as note 9), pp. 132–134. Whether Hartlaub may have included the earlier work due to a lack of recent oil painting available from Grosz or because a work such as Metropolis (Blick in die Grosstadt) of 1916–1917 was in the permanent collection of the Kunsthalle is unclear. Kanoldt scholarship to this day remains concerned with the issue of surface finish, e.g. the motivation behind Kanoldt’s »careful execution« (sorgfältige Ausführung); cf. Alexander Kanoldt. Graphik und Malerei aus dem Besitz der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, Exhibition Catalogue, Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle, 2000–2001, Karlsruhe 2000. 14 Franz Roh: Nach-Expressionismus. Magischer Realismus, Probleme der neuesten europäischen Malerei, Leipzig 1925. 15 The German art criticism of the time thus joins a long history of debates regarding visible artistic process and the material qualities of the artwork itself. 16 Despite the compelling overlap between the use of term Neue Sachlichkeit for both photography and painting during the Weimar period, an investigation of the relationship does not exist; cf. nonetheless Hans Gotthard Vierhuff: Die Neue Sachlichkeit. Malerei und Fotografie, Köln 1980. 17 Cf. Schmied 1969 (as note 4), p. 26. 18 In the extant scholarship, Beckmann is often argued out of the discussion of Neue Sachlichkeit altogether despite his extreme significance in the 1925 exhibition, which included a total of 14 paintings by the artist. Not just Kanoldt, but Paul F. Schmidt questioned Hartlaub’s inclusion of Beckmann whom the critic associated with the Expressionists (Ausdruckskünstler), e.g. Emil Nolde, Oskar Kokoschka. That is, Beckmann was associated with artists working with a distinctively thicker, more visible facture; cf. Letter from Schmidt to Hartlaub, 23.5.1923, in: Hille 1994 (as note 9), p. 345 (note 52). 19 For example, Benjamin Buchloh’s Figures of Authority, Ciphers of Regression, in: October 16/1981, pp. 39–68. 20 Cf. Franz W. Seiwert: es ist noch nicht aller tage abend, in: a bis z 1/1929, pp. 1–2. In the wake of Jan Tschichold’s The New Typography of 1928, in which Seiwert’s work appears, the journal a bis z appeared completely in lower-case letters. Seiwert would continue to revise and expand his theory of dialectical development, drawing on examples as early as the twelfth century.
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21 Seiwert 1929 (as note 20), p. 1: »deutschland hat profitierend an den italienischen futuristen, die neue sachlichkeit gestartet. aber es ist die alte unsachlichkeit. denn die oberfläche der dinge und ihr netzhautbild ist unsachlich. es begreift nicht das wesen der dinge. die neue deutsche romantik überspringt die renaissance und sitzt mitten drin in der biedermeierei. und nun ihr biedermänner?« 22 It is interesting to note that in his response to Paul Westheim’s 1922 Kunstblatt poll (which also initiated Hartlaub’s first writings on the subject), George Grosz criticized the new representational trend (Gegenständlichkeit) as a bad »Biedermeier fashion« (Biedermeiermode) and a return to French classicism. Grosz (who will be understood as a leading proponent of the new representational trend just a few years later) claims here that the future is in the film medium. 23 Franz W. Seiwert: Ein Kunstbrief aus Paris, 1926 (Handwritten manuscript), Franz Seiwert Papers, International Institute for Social History (IISG), Amsterdam, reprinted in: Uli Bohnen and Dirk Backes (ed.): Franz W. Seiwert Schriften, Berlin 1978, pp. 227–228: »Meine Reise nach Paris ist so etwas wie eine Flucht vor Deutschland gewesen. Die deutsche Gemütlichkeit und Gesichertheit, vor der bin ich was ausgerissen. Ich wollte sehen, ob auch in Paris die Dinge bereits wieder so fest geworden, so stabilisiert seien, dass alle Arbeit dagegen fast hoffnunglos sei. Aber Paris hat mir gezeigt: es ist Hoffnung.« 24 Historically, the Biedermeier period originated with the coming together of conservative powers (haunted by the French Revolution) under the Congress of Vienna. Although Seiwert’s use of the word »stabilization« (Stabilisierung) in his critique has been understood as a reference to the development after 1924 (as many of his contemporaries will equate Neue Sachlichkeit with Weimar period stabilization), it is significant to note that Seiwert’s text also uses the plural form »stabilizations«, thus implying recurring phenomena. This is in tune with what Seiwert sees as the long history of the dialectical development of art. 25 »New German Romanticism« appeared as a synonym for Neue Sachlichkeit painting in the criticism of the late 1920s. The term and, alternatively, that of »Neo-Romanticism«, go on to feature prominently in a series of exhibitions employing the term as either a synonym or a privileged successor of Neue Sachlichkeit or both between 1931 and 1935, all of which have an explicitly national character (e.g. Die deutsche Neuromantik in der Malerei der Gegenwart, Frankfurt, Frankfurter Kunstverein, 1931; Neue Deutsche Romantik, Hannover, Kestner-Gesellschaft, 1933); for more on the relationship between the two terms, see Markus Zehentbauer: Der Begriff »Neue Deutsche Romantik« und sein Verhältnis zur Neuen Sachlichkeit und zur Romantik-Rezeption, in: »Der stärkste Ausdruck unserer Tage« Neue Sachlichkeit in Hannover, Exhibition Catalogue, Sprengel Museum Hannover, 2001–2002, Hildesheim 2001, pp. 93–96; James A. Van Dyke: ›Neue Deutsche Romantik‹ zwischen Modernität, Kulturkritik und Kunstpolitik 1929–1937, in: Adolf Dietrich und die Neue Sachlichkeit in Deutschland, Exhibition Catalogue, Winterthur, Kunstmuseum, 1994, Winterthur 1994, pp. 137–165. Olaf Peters views the terminological shift and direct connection made to Caspar David Friedrich and other nineteenth-century painters as an attempt to legitimate Neue Sachlichkeit under the new regime, albeit to no avail; cf. Peters (Eine demokratische Kunst) 1998 (as note 1), p. 24. 26 For example, Hartlaub mentions his interest in »certain works« by Pablo Picasso and »certain drawings« by Alexander Archipenko for inclusion in the right, classicist wing and was thus planning to situate the German development within the European scope; cf. letter from 18.5.1923, in: Hille 1994 (as note 9), p. 102. 27 Seiwert 1929 (as note 20), p. 1. 28 Franz W. Seiwert, Manuscript draft, 1. Ausstellung der Kölner Sezession im Kunstverein, Franz Seiwert Papers, in: Bohnen and Backes 1978 (as note 29). These comments are crossed out in the original manuscript and do not appear in the published version in 1926; cf. Sozialistische Republik, 2. 1. 1926, published version reprinted in: Bohnen and Backes 1978 (as note 23), p. 49. Notably, in these edited lines Seiwert considers himself to be a combatant of Picasso »followers« (Nachläufer), thus locating his
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project within a Cubist lineage, one he will return to explicitly in a later description of his early work as »cubist-expressionist.« 29 This according to an undated, typed introduction to the 1926 Kunstbrief manuscript which provides more specific details about what Seiwert saw in Paris that summer, including the Picasso exhibition at the Rosenberg gallery; for original see Franz Seiwert Papers IISG, Amsterdam, reprinted in: Bohnen and Backes 1978 (as note 23), p. 227. The details mentioned here are then partially incorporated into the 1929 version. 30 Seiwert 1929 (as note 20), p. 2: »picasso hat sich noch nicht zur ruhe gesetzt. er hat die bemühung um die konsequente lösung des bildproblems nicht aufgegeben.« This due to the fact that works existed from 1918-1926 that could not be considered »neo-classical«; cf. Lisa Florman: Myth and Metamorphosis. Picasso’s Classical Prints of the 1930’s, Cambridge/MA. 2000 on the artist’s anti-teleological stance, often ignored in favor of biographical or political turning points. 31 Seiwert 1926, in: Bohnen and Backes 1978 (as note 23): »Dass ist das was Paris zeigt. Und darum ist Paris, die klassische Stadt der Revolution, eine Bestätigung für uns, die wir versuchen, nicht mehr die Welt zum Bild zu erklären, sondern zu ändern.« 32 Franz W. Seiwert: Offener Brief an den Genossen A. Bogdanov, in: Die Aktion 11/1921, Heft 27/28, pp. 373–74, reprinted in: Bohnen and Backes 1978 (as note 23), pp. 23–24; cf. Franz W. Seiwert: forminhalt, in: a bis z 18/1931, pp. 71–72. 33 Franz W. Seiwert, Letter to Pols Michels, c.1919, Franz Seiwert Papers, IISG, Amsterdam, reprinted in: Bohnen and Backes 1978 (as note 23), p. 79: »Wir wollen jenseits von aller schwatzhaften Geistigkeit einfache Arbeit tun. Da wir nur Maler, Plastiker sind, fangen wir bei uns, fangen wir dort, wo uns ein nicht zufälliges Geschehen einsetzte, an. Wir versuchen innerhalb der uns gegebenen Form, des Bildes, der Plastik, so einfach, so eindeutig zu werden, dass jeder uns verstehen kann […]. Wir wissen, dass es keine Wirklichkeit gibt die mit der Wirklichkeit des Bildes, der Plastik zu verwechseln ist. Darum wollen wir die Wirklichkeit Bild, die Wirklichkeit Plastik so eindeutig wirklich werden lassen, dass niemand sie mehr mit anderer Wirklichkeit verwechseln kann.« The artists referred to here as the »Neukölnische Malerschule« (Seiwert, Heinrich Hoerle, Angelika Hoerle, Anton Räderscheidt, Marta Hegemann and Willy Fick) will be known shortly thereafter as »Stupid«, a name considered to be a response to the group’s secession from the Cologne Dada group (Max Ernst, Hans Arp, Johannes T. Baargeld) called »Weststupiden«. 34 Indeed, Seiwert often pushes the argument for materiality to the breaking point, arguing for example that the bronze sculptures by Brancusi (who is high on Seiwert’s list of artists concerned with the visible materiality of the artwork) reveal their material nature via the reflection of light; cf. Franz W. Seiwert: constantin brancusi, der bildhauer, in: a bis z 2/1929, p. 5. 35 C. O. Jatho: zu den arbeiten franz wilhelm seiwerts, in: a bis z 1/1929, p. 4. 36 Seiwert 1929 (as note 20), p. 2. 37 The role of individual artists in Seiwert’s circle, Heinrich Hoerle and Gerd Arntz in particular, is addressed in greater detail in my dissertation on the Cologne Progressives (The Cologne Progressives: Political Painting in Weimar Germany, unpubl. PhD, The Johns Hopkins University, Baltimore 2009). 38 Gerd Arntz: Autobiographical statement, in: Gerd Arntz: Holzschnitte, Exhibition Catalogue, Köln, Neuer Buchladen, Köln 1925: »Seit 1920 zerreisse ich alles was nicht auf Holz gezeichnet ist und nicht geschnitten werden kann […]. Das Drucken kommt bei mir als Zweites.«
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39 The central horizontal line descending left to right is the result of an unfortunate break in the block (in order to separate it from an unpainted, carved motif on the verso) and is not part of the original composition. 40 Franz W. Seiwert: Gerd Arntz, in: Ex. Cat. Köln 1925 (as note 38): »Man muss seine Holzplatten in die Hand nehmen, sie fühlen sich an wie gutes altes Handwerk. Es überträgt sich durch eine Spannung auf unsere Körper, eine wohltuende Wärme, die uns den Arbeitsprozess bei der Entstehung des Werkes nachfühlen lässt.« 41 Seiwert 1925 (as note 40): »Die Holzschnittplatte ist gearbeitet wie ein gutes Relief. In seinem Blut pulst das Blut alter Handwerkerfamilien, die exakt arbeitende Werkzeuge bauten.« 42 Significantly, although Seiwert’s decreasing collaboration with Cologne artist Anton Räderscheidt in the 1920s has been attributed to Räderscheidt’s inclusion (as the sole Cologne representative) in Hartlaub’s exhibition and thus his association with Neue Sachlichkeit, Seiwert never criticizes Räderscheidt’s art specifically in any surviving critique. Josef Mangold is, however, criticized directly, notably as adapting the work of Valori Plastici like a »recipe« (Rezept). In addition to including Seiwert’s first pejorative mention of the Neue Sachlichkeit (as »fraud« or Schwindel), a 1926 exhibition review by the artist singles out Mangold as leading the Germans into »Biedermeierei«; cf. Seiwert, in: Bohnen and Backes (as note 28). 43 Hans Faber: inhalt und form, in: a bis z 20/1931, pp. 77–78. Hans Faber is the pseudonym for Hans Schmitt-Rost, a close contemporary of Seiwert’s particularly during the last years of his life and executor of the artist’s estate after the Second World War. 44 Ibid., p. 77: »die sture abwartende traurigkeit eines bordells … ein gewiss höchst gesellschaftskritisches motiv.« 45 Ibid., p. 77: »gemalt in jenem unheimlichen, stark sinnungsmässigen naturalismus der nachkriegszeit. jedoch mit dem formungsprinzip bürgerlicher malweise.« Fritz Löffler (Otto Dix. Leben und Werk, Dresden 1960, p. 56) has referred to Dix’s obliteration of »craft« (understood as visible, individual brushstrokes in the painterly surface) around this time: »Das Wie des Handwerks, dessen Sichtbarmachung für den Beschauer die jüngst vergangene Generation so beglückte, wurde durch das Vertreiben der Farbe, wodurch die einzelnen Pinselstriche in der Malschicht sich auflösten, wieder getilgt.« »Naturalism« was, of course, also one of the initial terms for what is later called Neue Sachlichkeit painting. 46 Faber 1931 (as note 43), p. 77: »zuerst malerei, d. h. fläche und strengste gliederung.« 47 Cf. Franz W. Seiwert: Gesellschaft und Prostitution, in: Die Aktion 11/1921, Heft 9/10, pp. 134–36, reprinted in: Bohnen and Backes 1978 (as note 23), pp. 22–23. 48 Cf. Schmied 1969 (as note 4). Although Schmied includes the caveat that Seiwert and Heinrich Hoerle really belong to no group other than the Cologne Progressives, their overwhelmingly »representational« artwork nonetheless qualifies them for inclusion. In other instances the use of perspective is the deciding factor: Although citing Seiwert’s adamant 1929 critique directly, Hans Richter includes Seiwert as a Cologne proponent of Neue Sachlichkeit due to a period of Seiwert’s work c. 1930 with distinctive recessive space interpreted as contrary to the flat or planar (flächig) pictorial principle of the Progressives; cf. Hans Richter: Neue Sachlichkeit in Cologne, in: Von Dadamax zum Grüngürtel. Köln in den 20er Jahren, red. by Wulf Herzogenrath, Exhibition Catalogue, Köln, Kölnischer Kunstverein, 1975, Köln, 1975, pp. 132–135. In both cases, no mention is made of the artist’s facture.
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MAKING THE COSMOPOLITAN NATIONAL The Politics of Assimilation and the Foreign Artist in Interwar France KATE C. KANGASLAHTI
»I was born in Vitebsk, but I was also born in Paris.« Marc Chagall, 1925 »I needed Paris. The root-soil of my art was Vitebsk, but, like a tree, my art needed Paris like water, otherwise it would wither and die […]. To achieve the combination of refined expression with an art of the earth, I felt I had to seek the vitalizing waters of Paris.« Marc Chagall, 1946 »I labored with all my heart […] in gratitude to France and her École de Paris, for without them there would be no color, there would be no freedom.« Marc Chagall, 1964
The Artist as »Émigré« Marc Chagall recalled the circumstances under which he left his native Russia in 1910 with great consistency throughout his life, drawn to the French capital by the promise of what he articulated as »the light of Paris, its freedom, its refinement and the skills of the craft […]. It seemed to me, as it still does, that there can be no greater revolution of the eye than that I experienced on my arrival in Paris.«1 The works that he produced following his arrival bear witness to his attempts to reconcile both the »revolution of the eye« he underwent and the expatriate condition he typically described. Chagall’s first self-portrait, Self-Portrait with Seven Fingers, 1912–1913, accordingly constitutes a synthesis in which the artist at once demonstrates the pervasive influence of his newly adopted city and reflects upon his own national and ethnic origins |fig. 1|. Ensconced in his studio in »La Ruche« in Montparnasse, Chagall has here absorbed the fractured perspective and geometric forms of Cubism and its offshoot Orphism, whose chief exponent Robert Delaunay was both a friend and neighbor.2 To the left of the artist’s head, Hebrew characters form the word »Paris« beside a view of the city itself seen through the atelier window as an assemblage of modern emblems: an automobile, a parachutist, a couple promenading at leisure, and, unsurprisingly, the Eiffel Tower. Alternatively, to the right reads the Hebrew for »Russia« next to an image of the artist’s Belarusian birthplace, Vitebsk, remembered through time and distance, appearing cloud-like
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on the wall of Chagall’s studio, while also reproduced on the canvas upon which the sevenfingered painter works.3 The physical anomaly makes reference to the Yiddish idiom »mit ale zibn finge« (with all seven fingers), normally used to suggest that a task is completed well, quickly and with commitment. It might also be explained by the extent to which the number seven figures in the Judaic concept of creation: with the seven fingers on his one hand, and the tools of his trade in the other, Chagall creates a new world, or rather a reconciliation of old and new, in paint on canvas. Chagall’s enchantment with Paris is similarly encapsulated in his Paris through the Window of 1913 |fig. 2|. The view of the city, as glimpsed through the studio window in his earlier self-portrait, here consumes the entirety of the canvas. The emblems of Parisian modernity have likewise returned in the form of the Eiffel Tower and the parachutist who once again drifts slowly past that icon. The 1 Marc Chagall: Self-Portrait with Seven Fingers, 1912–1913, oil on canvas, 128 × 107 cm, Amsterdam, promenading couple has also reappeared, but Stedelijk Museum, loan from the Netherlands this time its figures float horizontally before the Institute for Cultural Heritage city skyline. The view of Paris that Chagall offers is not real but imagined: a train moves upside-down past the window; a strange yellow cat with a human-like face sits on the sill. The scene is a conflation of the artist’s inner vision and outward experience as represented through a play upon interior and exterior space, whereby an outside perspective is offered from inside, courtesy of the half-open window. Furthermore, by way of the Janus-like figure in the right-hand corner, the artist equally dwells upon the duality of his worldview and upon past and present, looking westward towards his new home in France and eastward to Russia. In his negotiation between the categories of »inside« and »outside«, past and present, East and West and, ultimately, »insider« and »outsider«, as evident in both paintings, Chagall thus stands as a paradigm for the foreign artist practicing in France during the first half of the twentieth century.4
A Mechanism of Exclusion? Artistic migration by nature engenders such a process of negotiation, visible not only in the artist’s attempt to reconcile old and new, as personified by Chagall, but equally in the
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reception offered by his or her newly adopted home and audience, a negotiation between recognition and neglect, acceptance and rejection. Yet the complex fortunes with which migrant artists met in France in the first half of the twentieth century has attracted little sustained attention or debate. Art-historical explorations of the period, and more specifically of the interwar period, have seemed rather to negate this very process of negotiation to insist instead upon the exclusion of the foreign artist from critical, institutional and popular circles. Perhaps as an antidote to the formalist approach dominating the discipline of Art History following the Second World War, AngloAmerican scholarship has focused 2 Marc Chagall: Paris through the Window, 1913, oil on canvas, 135,8 upon excavating the not-so-covert × 141,4 cm, New York, Solomon R. Guggenheim Museum relationship between art and politics in France in the first half of the twentieth century and the subsequent marginalization of foreigners practicing in France. Benjamin Buchloh and Kenneth Silver have aligned renewed classical and Antique references in art following the First World War to the ascendancy of cultural and political conservatism in its aftermath, building upon wartime propaganda which had depicted France as the defender of Mediterranean classical purity against German Gothicism: civilisation versus Kultur.5 Christopher Green has likewise drawn a correlation between reactionary French sentiment, both in the lead-up to and after the war, and hostility towards the Cubist movement, outlining the way in which suspicion engendered attempts to reject Cubism and its practitioners as foreign, specifically Germanic.6 According to such accounts, far from the bastion of modernity, liberality and vanguardism it might once have been, and that Chagall imagined, the cultural landscape post-1918 in France was increasingly driven by reactionary politics and xenophobic nationalism. Within this arthistorical trope, the designation École de Paris, as it applied to Chagall and his (foreign) peers, stands as a mechanism of exclusion, a label specifically intended to indicate work other than French painting produced by French men and to maintain the position of the foreign artist as working outside the French tradition, namely the École française. There is a strong residual measure of culpability at work here. Romy Golan has subsequently tied the École de Paris as
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an exclusionary and pejorative construction to the emergence of a cultural landscape in France in which the seeds of Pétain’s Révolution Nationale might reasonably be sown.7 Michèle Cone has gone further to suggest that the metaphoric segregation of French from foreign implied by the term foretold of (and condoned) the literal liquidation of the École de Paris via the deportation of its members during the Occupation of Paris, further proof for the author of the existence of a »Vichy before Vichy«.8 Explicating the interwar period in France as a continuity in cultural terms, tracing a direct line, as it were, from Verdun to Vichy, occurs at the expense of historical complexity, favoring an examination of written and visual artifacts drawn from the margins and negating mainstream evidence which might otherwise complicate neat determinations. With regards to the fate of the foreign artist practicing in France it is an implacable position, and one based upon three apparent assumptions that this essay seeks to re-evaluate. The first is that national self-conception and nationalism exist in a finite form, that nationalistic fervor can and will only seek to exclude, driven entirely by ethnic and racial discrimination. To the contrary, the French patriotic ideal was historically formed by a contractual, territorial and political concept of nation which advanced the principle of assimilation, that is cultural inclusion. Consequently, the claim that the designation École de Paris only ever existed to describe and, by extension, marginalize the work of foreign-born, Jewish artists practicing in Paris, and more specifically the cosmopolitan area of Montparnasse, begs re-examination as well.9 As it was originally conceived, the term was a means of integrating French and foreign. Lastly, I will revisit the argument that the situation of the foreign-born artist practicing in France systematically deteriorated throughout the interwar period, as well as the suggestion that cultural polemics, once »played out in the political arena […] led directly to Vichy«.10 An examination of Raymond Escholier’s monumental exhibition, the Maîtres de l’art indépendant, which celebrated the work of French and foreign artists alike as a source of national pride, will demonstrate that even in 1937 the École de Paris was seen to represent the true perpetuation of the nation’s art, of the national tradition.11
The Assimilatory Model France as a nation was formed by deliberate centralized attempts to assimilate culturally distinctive territories into a given state, in sociological terms an instance of civic or statebuilding nationalism in which the cohesive power of upbringing, residence and political volition is given equal standing with, or precedence over, ethnicity.12 While its origins might be traced back to the fifteenth century, the French perspective was arguably crystallized in response to nineteenth-century German claims to the territory of Alsace-Lorraine. Ernest Renan most memorably refuted the ethnic mandate by which Germany asserted its right to the province in his 1882 address to the Sorbonne, »Qu’est-ce qu’une nation?«, in which he insisted that »man is a not a slave to his race, his language, or his religion; nor to the course of
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rivers or the direction of mountain ranges«.13 Renan argued instead that the existence of a nation was a »daily plebiscite« and that at its heart lay two equally important parts, one located in the past, one located in the present: »one is the common possession of a rich legacy of memories; the other is actual consent, the desire to live together, the volition to continue to value the joint heritage received«.14 Underpinning Renan’s arguments was an expansive understanding of what constituted a nation and who fell within its embrace. Rogers Brubaker has argued accordingly that we find a concrete avenue for analysis in a nation’s citizenship policy and practice and that a state’s self-understanding or self-definition is both determined and described by those whom it includes and excludes from state membership.15 Enshrined in legislation from 1889 onwards was the attribution of French citizenship to a child born in France of foreign parents as »French from the point of view of spirit, inclination, habits and morals«, an ascription which served to legitimate both the role of residence and the concept of socialization in membership of a community or state.16 As a result it was also possible for a foreigner with no ties to France through birth to acquire French nationality, once a formal link had been established either via marriage or an extended period of residence and a request for citizenship. The expansive embrace of French citizenry was indicative of an assimilationist – that is inclusive – self-understanding, predicated upon a large degree of confidence in the superior assimilatory power of French culture, specifically that it exerted an irresistible influence over all those who fell within its grasp. Superiority, it should be added, that was defined not biologically, but as ultimately bridgeable cultural and intellectual difference.17 National self-conception is far from immutable and fixed, and indeed the prevailing French idiom – assimilationist – has frequently been challenged by those promoting instead a concept of nationhood as ethnically determined. It was in the polarization of politics spawned by the Dreyfus Affair at the turn of the century that a counter idiom of ethnic nationalism most visibly emerged, firmly anchored in the Right and the writings of Charles Maurras and Maurice Barrès. Virulently anti-Semitic and staunchly opposed to the Enlightenment legacy of individualism, democracy and secular rationalism, the influence of Maurras and Barrès’s mystical politics both persisted and even grew well into the 1930s, most notably through the platform of Action Française. But this must, however, still be understood as a »counter« idiom or »counter« nationalism formed precisely as a challenge to the strength of Republican assimilationist self-conception which prevailed up until the eve of the Second World War.18 Ultimately it was the reliably expansive nature of French nationhood, as outlined above, which allowed for the production of foreign artists practicing on French soil and under the pervasive influence of French mores to be politically and culturally assimilated. Furthermore, assimilation, namely the inclusion of foreign artists within the canon of French art, was performed under the guise of the École de Paris.
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The »École de Paris« Exists The term itself emerged in the critical writings of André Warnod, specifically by way of two articles appearing in the literary journal Comœdia in January 1925, reprised and expanded in October of the same year in his publication Les berceaux de la jeune peinture, in which he asserted: »The École de Paris exists. Later art historians will be able, better than we, to define its character and study the elements of its makeup, but we can still affirm its existence and its power of attraction, which brings to us artists from all around the world«.19 If Warnod’s characterization lacked a degree of clarity, his objective was nevertheless both clear and two-fold: to legitimize those artists working outside the purview of the Société des artistes français and to elevate the artistic production of l’art vivant over and above that of its dated academic rival; secondly, to recognize the contribution of foreign artists working in Paris to the success and proliferation of l’art vivant. The author’s position was made explicit by both the title of his first commentary, »The State and l’art vivant«, and his rhetorical musings: »What secret power privileges academic art, which no longer represents any of today’s experiments, which runs counter to […] the life of French art, to everything that the École de Paris accomplishes?«20 Warnod was here drawing on the earlier arguments of the critic André Salmon who, in his 1920 publication L’Art vivant, had outlined the existence of a contemporary creative practice to render all academic production sterile, anachronistic and moribund.21 Pursuant to Salmon’s initial premise, Warnod likewise fêted those French artists leading the battle against academic orthodoxy. He also more specifically sought to confirm »the role played in the art of today« by those foreign-born artists whose ideas and styles had been shaped in Paris, working »alongside […] and in the same direction« as their French counterparts, naming the examples of Chagall, Pablo Picasso, Jules Pascin, Léonard Tsuguharu Foujita, Amedeo Modigliani, Chaim Soutine, Jacques Lipchitz, Kees Van Dongen, Juan Gris, Ossip Zadkine, Moïse Kisling and Louis Marcoussis.22 Intrinsic to Warnod’s conceptualization of both l’art vivant and the École de Paris was the emergence of alternative artistic instruction, to which he made reference when he suggested that while »the École des Beaux-Arts offers an education without hope, elsewhere lively activity reigns. The Church is empty, but mass is celebrated in the forests, and the service is no less beautiful«.23 Warnod’s »forests« are to be understood as the independent schools and academies which had been established in the French capital and of which some fourteen had opened by the mid-1920s in Montparnasse alone. Accepting both French and foreign as well as female students, the independent schools offered a freer form of tuition, as well as contemporary practices and ideas. Henri Matisse perhaps most notably had, through the assistance of friends and patrons, founded the Académie Matisse in 1908 as an antidote to his own experiences. His early experiments with color and the human form had often met with either silence or ridicule; moreover, his stubbornness, belligerent attitude and inability to conform had seen him thrown out of more than one studio.2 4 Antoine Bourdelle and Charles Guérin, whom Warnod names, as well as André Lhote, Fernand Léger and Amédée Ozenfant
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had all followed Matisse’s example, collectively forming throughout the 1920s and 1930s a network of visual artists, both French and foreign, who had studied and worked together with the intention of internalizing French culture, all the while seeking new artistic expression, pursuing l’art vivant. The inspiration which the lively atmosphere of Montparnasse clearly afforded its protagonists has preserved its bohemian spirit for posterity; specifically, the numerous paintings of friends and colleagues attest to the nature of its experience as shared, much like the space of its shambolic artistic residence, »La Ruche«. Jules Pascin’s 1921 work André Salmon et Montmartre, a near life-size portrait of one of the most influential advocates of l’art vivant, perhaps most profoundly represents both the sense of that shared experience and its painted record | fig. 3|. The loosely painted figure of the poet and critic stands before, and yet is subsumed by, the motley life of the metropolis: the unmistakeable domes of Sacré Cœur, the arches of the Pont Neuf spanning the Seine, and the revelers inhabiting the city’s cafés and bars, which the artist himself often frequented.25 In the bottom right-hand corner of the work, Pascin has written his tribute both to the writer and Salmon’s recently published novel, La 3 Jules Pascin: André Salmon and Montmartre, 1921, oil on canvas, 195 × 129,8 cm, Sapporo, négresse du Sacré Cœur. Inspired by life in Mont- Hokkaido Museum of Art martre prior to the First World War, Salmon’s roman à clef celebrated the youthful exuberance and friendships of its central characters, Pablo Picasso, Salmon himself, and the writers Pierre Mac Orlan and Max Jacob. Pascin’s reference to the novel within his portrait further emphasizes the intertwined existence of visual artists and their literary colleagues, both French and foreign, united by a common sense of experimentation, an interaction of which the painting itself is equally indicative.26 Such portraits of colleagues and friends, as well as the documentation of the city’s lively cabarets, cafés and private spaces, and the repeated depiction of its iconic figure, Kiki de Montparnasse, collectively offers us an artistic corpus in which the quintessence of Warnod’s École de Paris lies, that is, not in the ethnic background of its artists, nor in a stylistic specificity defined by modernists, but rather in a combination of the societal, artistic and even economic dynamics driving the relationships between artists |fig. 4|. A division along national or racial lines is historically inaccurate on two counts, isolating foreigners on the one hand and
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denying the role of French artists on the other. In 1882, Ernest Renan had defined the nation as a »daily plebiscite«, founded not upon the quantifiable traits of language, race or religion, but rather upon a (past) legacy of memories, and a (present) self-determination.27 A half century later, by virtue of the École de Paris, artists were likewise united, irrespective of discernible ethnic, national or even stylistic traits via the attribution of a commonality of intent, belonging likewise predicated upon volition and shared influence and experience.
The Parisian School versus French Art Warnod’s inclusive, heterogeneous thesis found both its supporters and detractors. For Fritz Vanderpyl, writing shortly after the publication of Warnod’s initial two articles, the École de Paris did not represent the true perpetuation of French art, 4 Moïse Kisling: Buste de Kiki, 1927, oil on canvas, 100 × 81 cm, Geneva, Petit Palais, Musée d’Art but rather its hideous decadence and the loss of all moderne »local feeling, local spirit, local subjects and local color« to Jewish cosmopolitanism.28 In having lost any sense of locality, contemporary French painting, in Vanderpyl’s terms, had ceased to be the incarnation of the national genius. Camille Mauclair pursued a similar line of assault with an even greater degree of venom and anti-Semitism in his frequent columns for Le Figaro, later collated for publication in two volumes, in which Jewish artists were seen to be no less than the catalysts of Occidental decline.29 The criticism of Adolphe Basler and Waldemar George, two Polish immigrants of Jewish origin writing in largely mainstream publications, has been seen as particularly problematic, each accused of a brand of xenophobia which, while not explicitly attacking Jewish artists, was implicitly anti-Semitic.30 Basler, much like Vanderpyl, lamented the École de Paris as a stylistic »Esperanto« which signaled the end of all pictorial idioms.31 It is however, Waldemar George’s 1931 article, appearing in two-parts in the journal Formes under the title The École française versus the École de Paris, that is most typically cited as indicative of the way in which, in critical terms, the (Parisian) work of foreign-born artists was held in opposition to pure indigenous (French) culture. George insisted that the École de Paris was nothing but a »neologism« which »presupposed an extension and an enrichment of the national domain of French painting« but which was rather a »card-castle […] sterile movement«. While acknowledging that the name commanded a premium on the world’s market, that
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France was credited with its success and to the world at large thus seemed »a potent source of enlightenment«, George argued that she would do better »to repudiate works unworthy of her genius«.32 The author’s position certainly indicates the way in which Warnod’s »neologism«, as George maligned it, although originally intended to describe the innovative and integrative practice of both French and foreign artists, might operate instead to describe that which was the antithesis of or, even worse, a threat to, the true and worthy French tradition. His criticism, however, also implicitly demonstrates the extent to which Warnod’s thesis had been accepted and that the École de Paris was indeed perceived as the means by which the sovereignty of French art was perpetuated and acknowledged worldwide. Within the context of French nationhood and nationalism, the ethnocentric view of nation advanced in the vitriol of Charles Maurras and Maurice Barrès formed a counter idiom, a challenge to the persistence of French belief in assimilation. Similarly, any insistence, such as George’s, that the École de Paris stood outside or posed a threat to indigenous French tradition must likewise be seen as a protest against the point to which it had already been embraced as an enrichment of the national domain of French painting, to reprise George’s own words. Camille Mauclair, for example, attributed his own tirades to the indignation that he had felt following the publication of Wilhelm Uhde’s Picasso et la tradition française.33 Underscoring the frequently ambiguous and ambivalent nature of Waldemar George’s own position was his contribution, still in 1931, to an extensive four-volume publication presenting a much more expansive perspective of contemporary art practice in France. The Dictionnaire biographique des artistes contemporains, covering the period 1910–1930, documented the work of both French and foreign artists working in France, the latter touted as de facto French by virtue of the assimilatory influence that »the atmosphere of the gentle French soil« had exercised upon them, as suggested another contributor, the editor of the periodical L’art vivant, Georges Charensol.3 4 The critic Charles Fedgal had earlier promoted a near-identical perspective when he argued in his 1927 publication, Essais critiques sur l’art moderne, that over each and every artist that came to Paris, the city »exercises her marvelous and inevitable hold […] insinuates herself into (their) hearts and minds«. In fact »French art, to which they give their voluntary ardor and feverish faith […] gives birth to these foreign artists«. Accordingly, »each day passing brings with it certain naturalization«; they are, as Marc Chagall had himself suggested in 1925, (re)born French.35 Notably, a further significant interwar publication, René Huyghe and Germain Bazin’s vast collaboration, Histoire de l’art contemporain, a near-encyclopaedic account of contemporary European art, likewise embraced an expansive position: the entirety of artistic production in France – from Postimpressionism, to Fauvism, to Cubism, to Surrealism, to non-objective art – was elucidated under the overarching title L’École de Paris.36 Within the context of exhibitions, both in France and elsewhere, the denomination École de Paris, invariably favored Warnod’s inclusive thesis as well as, to a certain extent, the ambiguity of that inclusion: exactly which artists fell within its embrace was largely idiosyncratic. The 1928 exhibition L’École de Paris at the Galerie Pleyel included the works of five foreign-
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ers – Chagall, Picasso, Pascin, Maria Blanchard and Wilhelm Gimmi – amongst those belonging to 23 French artists, whose number included Matisse, Pierre Bonnard, Georges Braque, André Derain, and the recently naturalized Kisling. The proportion of French-to-foreign was inverted – but still integrated – the following year at an exhibition at the Galerie de la Renaissance. 1932 saw the work of Modigliani and Picasso shown alongside that of Matisse, Bonnard, Braque, Derain, Raoul Dufy and Henri Rousseau under the auspices of the Alex Reid Lefebvre Gallery in London and its grandly named Masterpieces by Twentieth-Century French Painters: L’École de Paris. While in Amsterdam, again in 1932, the Stedelijk Museum’s panoramic vision of L’École de Paris extended to the post-war development of Surrealism, through its inclusion of the work of Hans Arp, Salvador Dalí, Max Ernst, André Masson and Joan Miró alongside that of Braque, Chagall, Derain, Modigliani, Pascin, Soutine, Van Dongen, Piet Mondrian, Albert Gleizes and others.37 Each exhibition should be taken as indicating, as well as perpetuating, the persistent influence of Warnod’s thesis as a means of framing contemporary artistic production in France. Definitive consecration, however, of the painters of the École de Paris as French, as masters and as the true inheritors of the French tradition, was concluded within the context of Raymond Escholier’s substantial 1937 presentation, the Maîtres de l’art indépendant, 1895–1937, at the Petit Palais.
The »Maîtres de l’art indépendant« Escholier’s exhibition formed part of the wider French program for the last of the Parisian Expositions Universelles, the Exposition Internationale des arts et techniques dans la vie moderne, an event which itself is often presented as a paradigm of the national and cultural debates then dominating Europe: tradition versus modernity; autonomy versus commitment; the rights of the individual versus the needs of the collective; nationalism versus internationalism.38 From the perspective of the host nation, the occasion, historically implicated by a post-revolutionary project to redefine and redeploy »Frenchness«, was destined to depict unity, consensus and prosperity in the face of the actuality to the contrary.39 France in the 1930s was a country increasingly wracked by political, social and economic instability.40 Yet in the subsequent battle of representations, it was in fact France’s rivals who systematically exploited the formal aspects of nation, most memorably translated by the confrontation of the German and Soviet pavilions | fig. 5|. In fact, Alice Kaplan has suggested that the exposition fairgrounds offered an undeniable visual metaphor for French anxiety about the country’s very existence as a European power and as a nation. Built for the 1889 Exposition Universelle, the Eiffel Tower stood as a monument to a bygone fair and era of prosperity, when French technological prowess was recognized the world over, a nineteenth-century tribute to the aging institution of the Third Republic, now squeezed on either side by the impressive stone edifices of two newly invigorated, twentieth-century regimes.41 Within this context of heightened political tension and insecurity it is unsurprising that French au-
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5 Unknown Photographer: Exposition Internationale fairgrounds, with Albert Speer’s German pavilion, left, facing the Soviet pavilion, right, designed by Boris Iofan, with sculpture by Vera Mukhina, Photography, 1937
thorities invested heavily in the exhibition of what remained an undisputed area of national dominance, the production and collection of the fine arts. That production in this instance extended to include the work of foreign-born artists is nevertheless noteworthy. Officially under the auspices of the municipality, the Maîtres de l’art indépendant formed a pendant to the state’s monumental retrospective devoted to French art from 1400–1900, the Chefs-d’œuvre de l’art français at the newly built Palais de Tokio, an event itself equally implicated by the projection of national identity.42 Escholier’s exhibition was accordingly devoted to a celebration of contemporary French practice from 1895–1937, presenting some 1500 works by 115 artists. Drawing upon the earlier critiques of Warnod and Salmon, the curator was at pains to point out that the subject of his display was by no means all contemporary French art: »L’art indépendant or, as André Salmon christened it, l’art vivant, is rather its most compelling aspect, that which for thirty years has imposed itself here and overseas, where it has carried to great heights the prestige of the École de Paris«.43 Dedicated ostensibly then to l’art indépendant or l’art vivant as the most »audacious« tendency in contemporary production, the curator laid greater claim to boldness than was subsequently realized within his display, which favored instead an exploration of the (post-war) influences of Fauvism and Cubism through some of the leading, but also many of the peripheral figures of the Parisian art world. The more recent developments of Surrealism and abstraction, or non-objective art,
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6 Catalogue entries for Jean Lurçat, Louis Marcoussis, Georges Bouche and Moïse Kisling, pages 82 and 83 of Exhibition Catalogue, Paris, Maîtres de l’art indépendant 1895–1937, Éditions Arts et Métiers Graphiques, Paris 1937
were notably absent. Pablo Picasso, as the patriarchal figure of Cubism, was one of the stars of the display in which some thirty-two of his works appeared. In its representation of the artist’s œuvre, however, the exhibition noticeably favored not the more difficult »decorative complexities of the ›rococo‹ cubist style« characteristic of Picasso’s earlier works, but rather the gravity and simplicity of later pieces, as in the work chosen to illustrate his catalogue entry, Three Musicians (1921), here titled Les trois masques |fig. 6|.4 4 The sharply articulated, flat planes of color underpinned the popular French perception of Cubism as a geometric rationality following the unbridled sensuality of the Fauves.45 The potency of the exhibition, however, lay not in its representation of the most »audacious« tendencies in contemporary French art, but in its inclusion of foreign-born artists as de facto French nationals by virtue of their residence in France and their subsequent contribution to the renown of the nation and its art. As Escholier made clear in his »Préambule« to the catalogue, the artists included in the exhibition, »often from all corners of the world,
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7 Catalogue entry for Pablo Picasso, pages 106 and 107 of Exhibition Catalogue, Paris, Maîtres de l’art indépendant 1895–1937, Éditions Arts et Métiers Graphiques, Paris 1937
are Parisians above all«.46 The work of, among others, Chagall, Picasso, Soutine, Lipchitz, Modigliani, Kisling, Pascin, Van Dongen, Zadkine, Gris, Gino Severini and Giorgio de Chirico, appeared alongside that of Matisse, Delaunay, Derain, Braque, Bourdelle and Ozenfant. The elevation of Warnod’s inclusive premise, explicitly articulated in the pages of Escholier’s catalogue in which foreign artists appeared along side their counterparts, was equally made manifest on the walls of the Petit Palais by the nature of the exhibition’s very arrangement | fig. 7|. As consecrated within its title, the display privileged the singularity of the individual master, or maître. Accordingly, the gallery space of the Petit Palais eschewed a sequential hanging to present instead an array of mini-retrospectives. The purpose, as recalled by the critic of the daily L’Intransigeant, was to avoid »the ›artistic bedlam‹ which is an aspect of most Salons […] to present instead a sequence of personal exhibitions in which the different styles of each artist, the genius of his talent, unfurls in luminous fashion«.47 Furthermore, there was no obvious progression to the way in which artists subsequently
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appeared side by side, to the sequence described, which rather transgressed generations and apparent stylistic similarities; rooms were labeled only by the names of the artists featured.48 The arrangement of paintings and artists throughout the honeycomb-like rooms of the Petit Palais seemed to defeat further classification.49 Pursuant to Warnod’s original, ambiguous coinage, the Maîtres de l’art indépendant likewise understood the École de Paris not only as the integration of French and foreign, but also as a group of artists united, irrespective of tangible ethnic, national or even stylistic traits, by intangible intent, the pursuit of independence, of l’art vivant. If Warnod’s thesis had, in the decade previous, found detractors and advocates in near equal measure, the manifest realization of his vision of the École de Paris within Escholier’s exhibition was, in critical terms, universally embraced. It was reported within Le Figaro illustré that the display, following on from the State’s retrospective, was the means of tracing the unity and continuity of artistic developments in France over the last five hundred years, right up until the present day.50 Le matin celebrated the idea of Paris and France as forming a cosmopolitan crucible for the best and brightest in art, which served specifically to perpetuate the pre-eminence of the French tradition. The »incontestable mastery and global superiority« of French artists was therefore extended to include those foreign-born contemporaries who were in fact, according to Le matin, »no longer foreigners, but rather painters of the École de Paris«.51 Even Gringoire, the Fascist weekly which made no secret of its Italian and German sympathies, extolled the École de Paris as that for which France was envied »from Japan to America, from Norway to Italy, the world over«.52 Echoing Warnod’s much earlier declaration that through the École de Paris »the sovereignty of French art« was both sustained and »perpetually spread throughout the world«, the contemporary accounts of Escholier’s exhibition stand as a final indication of the critical consensus with which the Masters of independent art, both French and foreign, were inducted into the French canon.53 Historically, exhibitions of art within the forum of international expositions are implicated by a projection of national identity.5 4 In 1937, the Maîtres de l’art indépendant, as part of a wider cultural program, is similarly implicated, and should therefore be seen as symptomatic of the persistence not only of Warnod’s inclusive thesis, but also equally of the French ideal of assimilation; the two are inextricably linked. In 1937, every artist displayed on the walls of the Petit Palais, via his contribution to Paris as an artistic capital, via the consequent renown brought to his home, adopted or otherwise, had performed the equivalent of the »daily plebiscite« which in French terms formed the existence of a nation.
Chagall: »All that I have achieved I owe to Paris« The purpose of this essay has been to dispute attempts either to define the École de Paris solely along racial, national or stylistic lines, or to insist upon its determined function as a means of excluding that which was foreign from that which was indigenous. The
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French politics of assimilation continued throughout the interwar period, ultimately rendering the cosmopolitan de facto French. It has not, however, been my intention to argue that foreign artists were necessarily better served by a label that designated their assimilation than by one which sought to exclude their work from the French canon. Warnod alone had the audacity to suggest that »it is difficult to specify what foreign artists have borrowed from us and what we borrow from them«.55 Implicit even to an integrative understanding of the denomination École de Paris was its composition of (French) masters and their (foreign) protégés. Assimilation was otherwise predicated upon a fixed direction of influence, which sought in the work of foreign artists specific French sources, but which largely negated both the stimulus artists drew from their origins, or the inspiration they might have in turn offered their French peers. Accordingly, the work of 8 Chaim Soutine: Still Life with Skate, c. 1923, oil on canvas, Chaim Soutine, as a final example, was 80,5 × 64,5 cm, Cleveland, Cleveland Museum of Art celebrated in terms of the eighteenthcentury models referenced within his paintings, as in his portrait of a humble Parisian pastry chef (1927) and, more specifically, in his 1924 homage to Jean-Baptiste-Siméon Chardin, The Ray, both of which featured in Escholier’s exhibition | fig. 8|. Chardin indeed had appeared as one of the nation’s leading lights within the Chefs d’œuvre de l’art français, the State’s retrospective at the Palais de Tokio, where he stood as the epitome of French artistic sensibility, lauded for his ability to elevate the real and the ordinary to »the sublime« through his atmospheric rendering of modest subjects.56 Implicit to the inclusion of Soutine’s œuvre within the Maîtres de l’art indépendant was the extent to which the artist, in his expressionistic style and like choice of subjects was indebted to French antecedents, a debt underscored all the more by the fact that Henri Matisse’s earlier copy of Chardin’s still life, Le raie d’après Chardin, 1901, was likewise on display at the Petit Palais. To thus neglect the influence Soutine himself exerted on a number of artists in Paris, including the French-born Jean Fautrier, arguably represents as great a disservice to the painter as the suggestion that his work stood entirely outside the French tradition.
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In conclusion, I wish to return to the words of the artist with whose recollections I began, namely those of Marc Chagall: »All that I have achieved I owe to Paris, to France, whose atmosphere, men and nature have been for me the true school of my life and my art«.57 Believing that »the root-soil of his art«, the artistic sources of his native land, found expression only in the vitality of the French capital, the artist repeatedly acknowledged his debt. His reminiscences and his artistic production, however, attest to the way in which Chagall equally eschewed the categories of »insider« and »outsider«. Rather, his works, which draw both on his own ethnic and national origins and the culture of his newly adopted city, illustrate the fluidity of those categories and the artist’s successful negotiation between the two. École de Paris consequently remains a problematic label to apply to the work of artists practicing in the interwar period in France, be they French or foreign. Yet conflicting historical definitions allow us to explore the conditions under which artists worked in Paris and under which their production was received, circumstances that nevertheless should be distinguished from those under which many, including Chagall himself, left, or were forced to leave, so soon after.
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1 Marc Chagall: Quelques impressions sur la peinture française. A lectured delivered at Mount Holyoke College, August 1943, in: Renaissance. Revue trimestrielle de l’École des Hautes Etudes de New York, 2–3/1944–1945, pp. 45–57, p. 46. 2 La Ruche, or the »Beehive«, was so-called due to its arrangement of eighty-four artists’ studios around a central staircase. Created as a home for artists by Alfred Boucher in 1902, Amedeo Modigliani, Fernand Léger, Alexander Archipenko, Jules Pascin, Chaim Soutine, André Derain, Robert Delaunay, Moïse Kisling, Léonard Tsuguharu Foujita, Marie Laurencin, Ossip Zadkine, Guillaume Apollinaire and Chagall all lived for years in La Ruche, or later Montparnasse. 3 The canvas upon which the artist works in his self-portrait is recognisable as his 1911–1912 painting To Russia, to the Asses and Others. 4 Chagall himself was reluctant to be drawn into any definitive explanation of his own work and when questioned on the subject was insistent that: »I don’t understand them at all. They are not literature. They are only pictorial arrangements of images that obsess me […]. The theories that I would make up to explain myself and those which others elaborate in connection with my work are nonsense […]. My paintings are my reason for existence, my life, and that’s all.« Quoted after James Johnson Sweeney: Marc Chagall, New York 1946, p. 7. 5 Cf. Benjamin Buchloh: Figures of Authority, Ciphers of Regression. Notes on the Return of Representation in European Painting, in: October, 16/1981, pp. 39–68; Kenneth Silver: Esprit de Corps. The Art of the Parisian Avant-Garde and the First World War 1914–1925, London 1989. Buchloh, in his seminal essay, sought to challenge the push for a »return to painting« and the neo-Romantic ideology of the period in which he was writing via the assertion that the post-war rappel à l’ordre and return to classicized figuration signalled the demise of the historical avant-gardes. His critique of all such artistic production as political retrograde and without value, however, precludes any nuanced examination of the period. I would argue, for example, that while classicism may have been the presiding orientation of the new artistic climate in France immediately following 1918, by the 1930s the heritage of Antiquity had largely been appropriated as an idiom by the totalitarian powers, diminishing its appeal in France. While the nation’s pretension to the title of torchbearer of civilisation remained as important as ever, it was a claim that could no longer be staked in the currency of Antique classicism. 6 Cf. Christopher Green: Cubism and its Enemies. Modern Movements and Reaction in French Art, 1916–1928, New Haven 1987. The rejection of Cubism as Germanic was particularly implied by a wartime and post-war tendency in France to refer to the movement as kubisme. 7 Cf. Romy Golan: Modernity and Nostalgia. Art and Politics in France between the Wars, New Haven and London 1995. An exclusionary École de Paris forms part of a wider interwar cultural scene, which in Golan’s terms allowed »the archaizing, infantilizing, and racist tropes of Pétain’s Révolution Nationale to seem benign and similar […] enough to what preceded them as to be acceptable […] to the French nation at large by 1940« (ibid., p. 11). 8 Michèle Cone: French Modernisms. Perspectives on Art before, during and after Vichy, Cambridge 2001, p. 2. Cone here makes reference to the work of Pierre Laborie; cf. Michèle Cone: Artists under Vichy. a Case of Prejudice and Persecution, Princeton 1992. 9 This is a claim that both Silver and Golan have consistently maintained; cf. Kenneth Silver: Made in Paris, in: Jean-Louis Andral and Sophie Krebs (ed.): L’École de Paris 1904–1929, la part de l’autre, Paris 2001, pp. 41–57, p. 44; Romy Golan: The »École française« vs. the »École de Paris«. The Debate about the Status of Jewish Artists in Paris between the Wars, in: Kenneth Silver and Romy Golan (ed.): The Circle of Montparnasse. Jewish Artists in Paris 1905–1945, New York 1985, pp. 80–87. 10 Golan 1985 (as note 9), p. 82.
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11 Tradition is to be understood here as something akin to an organic entity and a measure of authenticity, something to which the true artist belonged, from which he learnt and which, through his contribution, he perpetuated. As Eric Hobsbawm has shown, however, tradition is a retrospective »invention«, intended to validate and »inculcate certain norms of behaviour through repetition and an implied continuity with the past«; cf. Eric Hobsbawm: Introduction: Inventing Traditions, in: Eric Hobsbawm and Terence Ranger (ed.): The Invention of Tradition, Cambridge 1983, pp. 1–14, p. 1. 12 Cf. for example Michael Hecter: Containing Nationalism, Oxford, New York 2000, pp. 15–17. 13 Ernest Renan: Qu’est-ce qu’une nation? in: id.: Œuvre complètes, vol. I, ed. by Henriette Psichari, Paris 1947, pp. 887–906, p. 905. 14 Renan 1947 (as note 13), p. 904. 15 Cf. Rogers Brubaker: Citizenship and Nationhood in France and Germany, Cambridge/MA., London 1992. 16 Attributed to the judiciary commission of the Chambre des députés of 1889, quoted by Patrick Weil: Nationalities and Citizenships. The Lessons of the French Experience for Germany and Europe, in: David Cesarani and Mary Fulbrook (ed.): Citizenship, Nationality and Migration in Europe, London 1996, pp. 74–87, p. 78. 17 The French example is typically contrasted against that of Germany, where laws governing citizenship, instated during the Wilhelmine era in 1913, were devoted to the preservation of the German Volkstum and indicative of the way in which German self-understanding conflated the concept of ethnicity, essentially a cultural construct, with the biological concept of race; cf. Douglas Klusmeyer: Aliens, Immigrants and Citizens. The Politics of Inclusion in the Federal Republic of Germany, in: Dædelus 122/1993, pp. 81–114. 18 Brubaker, interestingly, has argued that Barrès and Maurras, despite their anti-Semitism, lacked a consistently ethnic understanding of nationhood, »like that routinely articulated by nineteenth-century German intellectuals«; cf. Brubaker 1992 (as note 15), p. 102. 19 André Warnod: L’École de Paris, in: Comœdia, 27 January 1925. 20 André Warnod: »L’État et l’art vivant«, in: Comœdia, 4 January 1925. 21 André Salmon: L’Art vivant, Paris 1920. 22 Warnod 1925 (as note 19). 23 Ibid. 24 The specific impact of Matisse’s Académie, brief though its lifespan from 1908–1911, has yet to be the subject of any major scholarship, although it has on occasion been examined within the context of an exhibition, twice in Germany: Pariser Begegnungen, 1904–1914. Café du Dome, Académie Matisse, Lehmbrucks Freundeskreis at the Wilhelm-Lehmbruck-Museum in Duisberg in 1965, and Die grosse Inspiration. Deutsche Künstler in der Académie Matisse at the Kunstmuseum in Ahlen in 1997; and once in the United States: Académie Matisse: Henri Matisse and his Nordic & American Pupils at the New York Studio School of Drawing, Painting and Sculpture in New York in 2001. 25 Pascin himself was immortalized in Ernest Hemingway’s A Moveable Feast, within a chapter entitled With Pascin at the »Dôme«, ostensibly relating an evening in 1923. Hemingway’s relation of his meeting with the artist, apparently flanked, as he so often was, by two models, has in itself become an
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iconic description of the heady existence of Montparnasse in the 1920s; cf. Ernest Hemingway: A Moveable Feast, New York 1996, pp. 97–104. 26 Pascin also makes a written reference within the painting to la fanfare de Montparnasse, the name given to the small publishing house which in 1925 published André Warnod’s Les Trois Petites Filles dans la rue, a novella which Pascin himself illustrated. 27 Cf. Renan 1947 (as note 13), p. 904. 28 Fritz R. Vanderpyl: Existe-t-il une peinture juive? in: Mercure de France, 15 July 1925, pp. 386– 396. 29 Mauclair’s sentiments were made explicit even in the titles of his two volumes: La Farce de l’art vivant: une campaigne picturale 1928–1929 (The farce of modern art: a pictorial campaign 1928–1929), Paris 1929; and Les Méteques contre l’art français (Wogs against French art), Paris 1930. The original publication of Mauclair’s invectives in the widely circulated Le Figaro was due to its then owner, François Coty, a staunch supporter, financially and otherwise, of the far right Action Française; cf. Golan 1995 (as note 7), p. 151. 30 Cf. Golan 1995 (as note 7), pp. 152–154. I would argue that there is to be found within the critical corpus of the two writers a greater degree of ambiguity and ambivalence than Golan acknowledges; cf. for example Matthew Affron: Waldemar George: A Parisian Art Critic on Modernism and Fascism, in: Matthew Affron and Mark Antliff (ed.): Fascist Visions. Art and Ideology in France and Italy, Princeton, 1997, pp. 171–204. 31 Cf. Adolphe Basler: Le cafard après la fête, Paris 1929, p. 13. 32 Waldemar George: École française ou École de Paris? in: Formes, 16. June 1931, pp. 92–93, p. 92. 33 Cf. Wilhelm Uhde: Picasso et la tradition française, Paris 1928. Uhde was a Paris-based German critic and dealer; cf. Golan 1995 (as note 7), p. 152. 34 Cf. Dictionnaire biographique des artistes contemporains, ed. by Georges Charensol, vol. II, Paris 1931, p. 249. 35 Charles Fedgal: Essais critiques sur l’art moderne, Paris 1927, p. 65. 36 René Huyghe and Germain Bazin: Histoire de l’art contemporain, Paris 1935. Waldemar George was again among the contributors, as were Jacques-Emile Blanche, Jean Cassou, Raymond Cogniat, Pierre du Colombier, Charles Fedgal, Jacques Guenne, Paul Jamot, Charles Kunstler, André Lhote, Claude RogerMarx, André Salmon, Gino Severini, Wilhelm Uhde, and Christian Zervos. 37 Details of these exhibitions are taken from Gladys Fabre: Qu’est-ce que l’École de Paris, in: Andral/ Krebs 2001 (as note 9), pp. 25–40, p. 36. 38 Cf. for example Dawn Ades et al.: Art and Power. Europe under the Dictators 1930–1945, London 1995 – the catalogue which accompanied an extensive exhibition of the same name at the Hayward Gallery in 1995; cf. also Sarah Wilson: Art and Politics of the Left in France c. 1935–1955, PhD diss., Courtauld Institute of Art, University of London, 1991 (especially chapter two). 39 Eric Hobsbawn, for instance, has argued that the Expositions Universelles were a »tradition« within a wider »invention of public ceremonies«, which played an essential role in the legitimacy and safeguarding of the Republic; cf. Eric Hobsbawm: Mass-Producing Traditions. Europe 1870–1914, in: Eric Hobsbawm and Terence Ranger (ed.): The Invention of Tradition, Cambridge 1983, pp. 263–308, p. 271;
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Paul Greenhalgh: Ephemeral Vistas. The Expositions Universelles, Great Exhibitions and World’s Fairs 1851–1939, Manchester 1988 (especially chapter 5: The National Profile). 40 For further discussion of this point, cf. Eugen Weber: The Hollow Years. France in the 1930s, New York 1994; Jean-Baptiste Duroselle, La décadence 1932–1939, Paris 1979. 41 Cf. Alice Kaplan: Reproductions of Banality. Fascism, Literature and French Intellectual Life, Minneapolis 1986, pp. 128–29. 42 That le patrimoine here stood as a likeness for la patrie was made explicit by Henri Focillon, in his introduction to the exhibition catalogue, when he declared the exhibition »a portrait of France«; cf. Chefsd’œuvre de l’art français, ed. Henri Focillon, Exhibition Catalogue, Paris, Palais National des Arts, 1937, Paris 1937, pp. 9–15, p. 13 (Introduction). 43 Raymond Escholier: Préambule, in: Maîtres de l’art indépendant 1895–1937, Paris 1937, pp. 5–6, p. 6. 44 The term »rococo Cubist style« is taken from Kirk Varnedoe, and his catalogue entry in: Matisse Picasso, ed. by Elizabeth Cowling et al., Exhibition Catalogue, London, Tate Modern, 2002, London 2002, p. 134. 45 Jean Cocteau summarized this position in his declaration that »Cubism was a classicism following the romanticism of the Fauves«; Jean Cocteau: Rappel à l’ordre, Paris 1926, p. 34. 46 Escholier 1937 (as note 43), p. 6. 47 G. Brunon-Guardia: Les Maîtres de l’art indépendant présentés au Petit-Palais, in: L’Intransigeant, 19 June 1937. 48 James Herbert, for example, points out that two older artists, Édouard Vuillard and Pierre Bonnard did not appear until Salles 15 and 16, while the oldest by far, Auguste Rodin, was in Salle 19. Furthermore, »painters routinely considered members of the Fauves circle […] showed up in Halls 5, 6, 7, 9, 14 and 18«; cf. James D. Herbert: Paris 1937. Worlds on Exhibition, Ithaca 1998, p. 101. 49 Interestingly, the very layout of the exhibition implicitly recalled the physical space of »La Ruche« and its intrinsic role in the development of contemporary art, as sometime home and studio to many of those artists whose works were then hanging on the walls of the Petit Palais. 50 Cf. Paul Hermant: Les Maîtres de l’art indépendant, in: Le Figaro illustré, July–August 1937, pp. 44–57, p. 44. 51 Anonymous: Au Petit Palais. L’exposition des maîtres de l’art indépendant, in: Le matin, 21 June 1937; cited in: Herbert 1998 (as note 48), p. 108. 52 André Villebœuf: Au Petit Palais, in: Gringoire, 16 July 1937. Gringoire was notoriously right-wing, keeping up an almost continuous outcry for the suppression of the French Communist Party and equally fierce against even the mildest politicians of the Left. One can get an idea of the moral level at which it conducted political controversy from the fact that it once published a cartoon showing the Prime Minister Léon Blum in bed with his own sister. Its advertisement columns were full of ads for clairvoyants and books of pornography. Following the Liberation, several of its best-known contributors were tried and sentenced to death or life imprisonment for collaboration with the Germans. 53 Cf. Warnod 1925 (as note 19). 54 Cf. Greenhalgh 1988 (as note 39), especially chapter 8: The Fine Arts.
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55 Warnod 1925 (as note 19). 56 See for example the contemporary descriptions of Jacques Combe: Le XVIIe et XVIIIe siècles, in: Centtrente chefs d’œuvre de l’art français du moyen âge au XXe siècle, ed. by René Huyghe et al., Exhibition Catalogue, Paris, Palais de Tokio, 1937, Paris 1937. 57 Quoted by Maurice Raynal: Anthologie de la peinture en France de 1906 à nos jours, Paris 1927, p. 96. Chagall repeated these sentiments verbatim in an interview with James Johnson Sweeney in 1946.
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THE FACES OF FASCISM Re-Reading Giorgio de Chirico’s Self-Portraiture JENNIFER HIRSH
»without meaning to we paint ourselves with a clown’s face; we go out into the street not knowing that we have arabesques drawn on our back and our nose painted green, which naturally makes people laugh and turn around as we pass by« Giorgio de Chirico, 19291
The Visualisation of Political Power Both the Reich Chamber of Visual Arts in Nazi Germany and the Central Committee in Stalinist Russia endorsed the exclusive promotion of neo-classical and realist art and architecture as part of monolithic policies regarding the visualization of political power, as seen in now-familiar icons of totalitarian art by artists such as Arno Breker and Vera Mukhina, best known for their sculptures that adorned the German and Soviet pavilions, respectively, at the Paris 1937 Exposition.2 In both cases, the political dictatorship and the aesthetic dictatorship colluded to suspend opposition between art and mass culture, producing a stark »eclectic realism«.3 In both cases, modernism, whether expressionist or avant-garde, was derided and disparaged as incommensurate with an art that appealed to public taste in official state journals: Kunst im Deutschen Reich in Nazi Germany and Lef in Stalinist Russia. Unlike these two totalitarian regimes’ reliance on the arts to publicize the so-called »new German« or »Soviet man« by harking back to imperial models through eclectic realist programs, fascist Italy sanctioned a broad spectrum of stark modernist (Giuseppe Terragni) as well as traditional, antique-inspired (Mario Sironi) styles within the realms of painting, sculpture, and architecture in the 1920s, 1930s, and early 1940s. Notably, the Italian Fascist regime neither prescribed official stylistic requirements for the arts, nor did it rule against the modernist forms and avant-garde abstraction that had so quickly met their demise in the
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National Socialist and Soviet dictatorships.4 And until the adoption of Mussolini’s Racial Laws in 1938, the appropriateness of modernist art and architecture was not seriously questioned in Italy; rather, while neo-classical figurative works visually echoed the greatness of an imperial past or extolled heroic figures, abstract artworks and monuments gestured toward Italy’s sophistication as a modern and technologically savvy nation-state. In some respects, the distinctiveness of Italian Fascism can be explained by socio-political differences. Italian Fascism was an extreme, even »ethnic« nationalism; Hitler’s racial state and Stalin’s multinational empire were not merely nationalist but rather based on more totalizing ideologies that required representation. Most historians now agree that Italian Fascism was not fully totalitarian.5 Nor was its art. Hitler’s Germany and Stalin’s Russia, by contrast, launched large-scale efforts to create complete dictatorial control over state and civil society, including all cultural realms. Fascist Italy, despite its invocation of the term totalitario (as in the writing of Giovanni Gentile), reflected the overriding authority of the state as an »ethical ideal« but, in most cases, did not demand complete control of daily affairs.6 While this particular policy of broad inclusion in the arts (and especially in architecture) has had a significant amount of scholarly attention during the last twenty years, what remains to be studied further are the specific ways in which Mussolini’s and, by extension, the Fascist regime’s relatively liberal posture toward painting, sculpture, and architecture fostered a unique rhetoric of cultural expression within Italy and her colonies. Though a significant amount of state influence operated through competitions for commissions and exhibitions, artists were largely given a wide berth to create works in their preferred styles. Indeed, once realized, this stylistic freedom then publically reinforced the regime’s policies by promoting wider possibilities for state-supported venues for artistic expression. When considered more broadly, the resulting amalgam of contemporary art created a complex mythology predicated on both the past and the future of a new modern Italy.7 In addition to the internationally acclaimed Venice Biennale (which, since its establishment in 1895, was Italy’s most high-profile, international contemporary art venue), the regime inaugurated additional expositions to promote and disseminate the best and the brightest Italian talent. Beginning in 1923, for example, the Milan Triennale offered a showcase of architecture, design, installation art, and mural decoration under the direction of figures such as Margherita Sarfatti, Carlo Carrà, and Mario Sironi. By 1931, Cipriano Oppo had successfully mounted the first Rome Quadriennale, an exclusively Italian venue that promised diversity through its eclectic jury devoted to promoting »art of all tendencies«.8 Alongside these exhibition venues, the state held a steady stream of competitions for prestigious architectural and decorative public commissions throughout Italy. These official patronage projects, in turn, accommodated a range of tastes, though almost always expressive of the fascist order. The promotion of the myth of individual creativity within the visual arts promised membership in an equally mythic fascist collective.9 Despite the regime’s lack of a single, officially endorsed artistic style, large-scale public commissions like Marcello Piacentini’s Rectorate Building at the University of Rome and
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Mario Sironi’s Fascist Work mosaic installed in the Palazzo dell’Informazione in Milan, both completed in 1936, reflect the achievement of a near court status among certain architects and artists working in Italy between 1922 and 1943. To forge a fuller account of this oft-forgotten period in the history of Italian art, however, art historians must also assess the role of less conspicuously »Fascist« artists who subtly promoted Mussolini’s cultural agenda both within Italy and abroad. Therefore, what constitutes »Italian« in this context must be acknowledged as a fluid rather than fixed imago, as the definition shifted constantly not only according to changes in government, borders, and political alliances, but also due to the shifting identities of key artistic figures whose notoriously slippery political ideology and national affiliation before, during, and after the Second World War remained in flux. After all, even the canonical Enciclopedia italiana article of 1932, The Social and Political Doctrine of Fascism – authored by Mussolini himself though penned by Giovanni Gentile – contained two highly divergent, perhaps even contradictory, definitions of Fascist ideology, describing it, on the one hand, as an utter lack of doctrine replaced by dynamic »action« and, on the other hand, as the »ethical« ideal of the state. The place of the artist in the Fascist era – not synonymous with the Fascist artist – is illustrated by any number of important figures, such as painters Mario Sironi and Giorgio Morandi, or architects Marcello Piacentini and Giuseppe Terragni. And yet none of these figures is as difficult to situate as Giorgio de Chirico, whose career under Fascism is often neglected for reasons that I will outline in what follows.10 The case of de Chirico, whose career was fraught with personal, political, and pictorial paradox, highlights the difficulties of modernism considered in the context of interwar Italy.
The Dilemma of de Chirico De Chirico, perhaps the most restless traveler in the Italian artistic context between 1922 and 1943, remains best known as the itinerant artist memorialized for his Nietzschean-inspired metaphysical compositions, or haunting Italian piazze beset with fragments of both antiquity and the modern world.11 In staging together familiar fragments of classical sculpture – think of the Apollo Belvedere or the Vatican Sleeping Ariadne – with banal details drawn from everyday contemporary life (such as a ball, a glove, flags, a factory smokestack, an artichoke, a clock, a moving train), de Chirico’s metaphysical canvases simultaneously signal both the past and its inaccessibility in the modern moment. Oneiric and illogical, they index tradition’s haunting presence along with de Chirico’s melancholic disposition toward the disjuncture and loss of meaning that such disconcerting combinations featuring fragments of the past lay bare.12 But though most readily acknowledged for his metaphysical compositions, de Chirico began to expand his repertoire of images in two ways during the 1920s. On the one hand, he issued »copies« of metaphysical works; on the other, he explored various styles and themes, many of which featured classical architectural details and mythological characters.13 In parti-
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cular, in the 1920s (and after, he invested significant energy into self-portraiture, which became increasingly heterogeneous under Fascism. In what follows, I explore de Chirico’s ongoing project of self-representation as a means of retracing his shifting subjectivity. In one Self-Portrait executed in 1920, clenching his fist on an inscribed plinth, the anxious artist asks in Latin, »And what shall I love if not the metaphysical?« | fig. 1|.14 As history would go on to prove in word and in image, de Chirico continued to love the metaphysical and much, much more. De Chirico sets the stage early for a life-long career of impersonations and appropriations; he is a modern player who clutches a classical plinth and who speaks a vulgarized classical tongue. This essay will survey de Chirico’s paradoxical position in this fraught period of modern Italian history through an examination of his production and reception during the ventennio. While presenting de Chirico’s remarkably heterogeneous 1 Giorgio de Chirico: Self-Portrait, 1920, oil on panel, 51 × 40 cm, München, Pinakothek der Moderne reception history, I implicitly argue that the sheer expansiveness of his continual enterprise of self-representation points to the artist’s own fixation with his ever-changing image as both artist and critic. While generally recognized today as a painter, de Chirico was also an extremely prolific writer; therefore, in investigating his self-representation, I touch upon both his visual and literary works. Between 1922 and 1943 alone, he produced more than forty images of the self, only a few of which I will highlight in this essay. In short, I aim to point out issues related to de Chirico’s engagement with self-portraiture, as well as to highlight more generally the potential of that genre to critique the complex relationship between art and politics in Italy in the first half of the twentieth century. While I believe that de Chirico’s pictorial project is symptomatic of larger issues at stake for artists attempting to work under the regime, I also see his opportunism and his resulting ambiguous position with respect to the regime’s increasingly anti-Semitic rhetoric as unique. As shown by his self-portraiture and more, de Chirico did not have an easy time in the 1920s, which was arguably one of his richest periods of production in terms of both stylistic and thematic experimentation. Writing in 1928, the Surrealist André Breton commented that
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2 Giorgio de Chirico: Metaphysical Composition, 1913, oil on canvas, 81,3 × 54,6 cm, New York, private collection
3 Giorgio de Chirico: Self-Portrait, 1941, oil on canvas, 66 × 51 cm, private collection
de Chirico’s »countless portraits with receding chins and stupid Latin tags can only have been produced by some evil spirit«, preferring instead to refer to random metaphysical canvases as »self-portraits« despite de Chirico’s rightful titling of images such as this one as simply Metaphysical Composition (1913) |fig. 2|.15 Masquerading as countless characters ranging from the anxious philosopher-painter to a flamboyantly dressed theatrical player, de Chirico mobilizes self-portraiture to arrest and unsettle the viewer by means of variety and volume. His self-portraits from the 1920s often include other figures, real and imagined, as in his SelfPortrait with Mother (of which there are three, dating to 1919, 1921, and 1923), Self-Portrait with Brother (1923), or, moving into a more mythological framework, his Self-Portrait with Mercury (1923) and Self-Portrait with Euripides (1922–1923). In the 1930s and 1940s, de Chirico’s self-portraits grew increasingly fanciful, as in his Self-Portrait (1941), featured in the 1942 Venice Biennale, with elaborate, anachronistic costumes more appropriate for Rembrandt or Rubens than for our modern de Chirico |fig. 3 |.
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An Itinerant Life The first fifty-five years of de Chirico’s life were rife with geographical shifts: born in Greece to Italian parents in 1888, he relocated to Germany in 1906 for two years. Between 1909 and 1911, he lived in Milan and Florence, and then from 1911 to 1915, he settled in Paris. The First World War sent de Chirico back to Italy to fill a non-combat military post in Ferrara, where he worked with former Futurist Carlo Carrà until the end of the war in 1918. He then migrated between Rome, Florence, and Milan until 1925, never residing in one place for more than a few months at a time. De Chirico returned to Paris from 1925 until 1930, and from 1931 until 1936, he shuttled between Italy and France, unsatisfied with both art markets and eager to revitalize his career. In July 1936, de Chirico went to New York City, where he remained until January 1938. De Chirico’s poor reception upon his return to Italy in 1938 led him back again to France, until the threat of war and the impending German invasion of France sent him back to Italy for good in late 1939. I turn now briefly to an episode in de Chirico’s autobiography that emblematizes the artist’s assumed and mistaken identities. As de Chirico made his last exodus from France back into Italy, he mysteriously slipped by a key checkpoint in Nice. »The car had a Milan registration number, so that at the back, next to the number plate, were the letters MI. These letters were interpreted by the good [French soldiers] as standing for the word ›military‹ and this made them think that I was a senior officer in the French Republican army who, wearing civilian clothes and accompanied by his wife, was […] on some important and secret mission.«16 At first glance, this anecdote adds colorful intrigue to de Chirico’s wartime memories. But what is perhaps more significant than the facts (which are dubious) is that the passage illustrates the artist’s tendency to manipulate and mythologize his own biography. If the first thirty-five years of de Chirico’s life established a nomadic pattern, the following twenty years – Fascism – cultivated an ambiguous identity in a series of exhibition venues that publicized his varied styles and affiliations. The Surrealists’ contempt for de Chirico’s post-metaphysical production (his artworks executed after 1918) – perpetuated by later critics – has inappropriately posited de Chirico in the history of modern art as an artist whose creative impetus »died« in 1918. And yet the formal Surrealist lament only began in the late 1920s, and their formal break did not occur until about 1930.17 Moreover, not all of the Surrealists adopted André Breton’s antagonistic position toward de Chirico’s post-1918 work. Simply stated, for the Surrealists under Breton’s tutelage, Freud was the only key with which to unlock the dream-like combinations of disparate details of quotidian modernity that defined pittura metafisica. De Chirico, in turn, refused to accept psychoanalytic readings of his work, which for him represented the »decadence of modern painting«.18 Further strain on the relationship between de Chirico and his supposed followers was prompted by de Chirico’s quasi-aban-
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donment of his earlier iconography in favor of pursuing copies of Old Master images in conjunction with visual images drawn from the ersatz culture that for him was analogous to the modern world. As a result, the surrealists condemned de Chirico to a premature critical death, petrifying the still vibrant artist, as suggested by his Self-Portrait (1925), which stages a perpetual pictorial dilemma | fig. 4|. But the viewer cannot resolve whether this portrait represents a flesh body turned to stone or a sculpture that has come alive, as de Chirico deftly alludes at once to the familiar classical myths of both Perseus and Pygmalion. In addition to his wide range of unsettling self-portraits, in the 1920s and 1930s, de Chirico painted copies of his early metaphysical images, as well as new subjects, such as his classically inspired series of Horses on the Beach, Gladiators, and Archaeologists.19
Exhibiting Fascism: de Chirico during the Ventennio During the years of the regime, de Chirico executed a number of key fascist commissions and participated in state-sponsored exhibitions both at home and abroad. Although the visibility of de Chirico’s work remained relatively consistent, the identity of the painter who produced it was not. De Chirico was a member of the original Novecento group of artists first gathered together by Margherita Sarfatti, incidentally Mussolini’s Jewish mistress, who organized them as the only officially state-sponsored group of artists. But even the activities of the Novecento artists were short-lived, and the artists exhibited together under that rubric only until 1927.20 De Chirico was included in the group’s shows both in Italy and abroad, and was himself living in Paris at the time of its first large-scale exhibition in 1926. Shortly thereafter, de Chirico publicly denied the existence of any truly »modern« Italian art in a Parisian newspaper interview in 1927 that was syndicated throughout Europe.21 By claiming that he and Amedeo Modigliani had been the only Italians to understand modern art, de Chirico succeeded in greatly angering Italian artists, critics, and ministers of the regime. Indeed, Antonio Maraini, secretary general of the Venice Biennale under whom the international exposition acquired its Fascist flavor from the late 1920s onward, publicly revoked de Chirico’s invitation for the 1928 exposition.22 De Chirico then virtually disappeared from the scene of contemporary Italian artists until 1930, when his work appeared in the first show of Les Italiens de Paris (the label given to describe Italian avant-garde artists living in Paris, such as Modigliani, Gino Severini and others) held in Milan. In 1932, for the first time since 1924, de Chirico participated in the Venice Biennale with Les Italiens de Paris, including sixteen recent works. Gino Severini’s catalogue description of de Chirico’s work stands out as one of the few critical accounts to acknowledge favorably the stylistic gap between de Chirico’s so-called »early« – that is, metaphysical, or pre-1918 work – and his more recent painting, noting that though stylistically different, all of the canvases portrayed similar »human sensibilities«.23 Described as a collective, though they did little together and failed to share a similar style, Les Italiens exhibited as a group for the last
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time in 1933. In 1931, de Chirico’s inclusion was heavily contested for the first Rome Quadriennale, the exposition designed and inaugurated by Mussolini as the juried showcase of the best native Italian talents to be held every four years at the prominent Palazzo delle Esposizioni in Rome. During the planning meetings for the first Quadriennale, prominent art critics (including Margherita Sarfatti, Ardengo Soffici, and Carlo Carrà) argued strongly in support of de Chirico’s participation, but Cipriano Oppo, then ruling president of the organization, ultimately vetoed the invitation.2 4 Similarly, de Chirico was notably absent from the infamous 1932 Mostra della Rivoluzione fascista, the multimedia visual extravaganza celebrating the ten-year anniversary of Mussolini’s so-called »March on Rome«. Rather, this fascist spectacle featured works by the more strident fascist artists and architects, including Mario Sironi, Giuseppe Terragni, and Adalberto Libera.25 In 1933, de Chirico officially joined the Fascist par4 Giorgio de Chirico: Self-Portrait, 1925, tempera on linen, 75 × 62 cm, Venice, ty; shortly thereafter, in the same year, he was commisDeanna Collection sioned to paint a large-scale mural of the Cultura del Tempo for the main Palazzo at the fifth Milan Triennale.26 No doubt, his membership status played a role in his newly found fortune. Rather than combining icons culled from GrecoRoman antiquity, as he had in his earlier metaphysical project, here de Chirico cites explicitly Italian monuments including the ancient Coliseum in Rome, the Renaissance Duomo and Campanile in Florence, and the two medieval towers in Bologna. For this didactic mural program, de Chirico presented a new view of italianità, though his contribution to the overall program was overshadowed by the celebration of more visibly fascist artists, namely Mario Sironi, Massimo Campigli, Achille Funi, and Gino Severini. De Chirico’s mural failed to appear in most of the press reviews, and none of the paraphernalia published in conjunction with the exhibition included illustrations of his work, as he later lamented in his autobiography.27 The year 1935 contains a particularly symbolic episode in de Chirico’s exhibition history. From May until July, de Chirico showed at the Parisian exhibition of nineteenth- and twentieth-century Italian art hung at the Musée des Écoles Étrangères au Jeu de Paume. This statesponsored Fascist exhibition, organized by Ugo Ojetti and Antonio Maraini, showcased contemporary Italian art and was designed as a pendant to a simultaneous Parisian exhibition of earlier Italian masterworks.28 The image of de Chirico at this event belies the conflict within his artistic identity as well as tensions in his relationship with the curators of the exhibition and, by extension, with the official promoters of Fascist cultural expression in general. Three
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works by de Chirico from the 1920s were installed alongside Mario Sironi’s paintings and Arturo Martini’s sculpture. De Chirico presented two gladiator paintings and a third canvas of horses on a beach littered with fragments of classical architecture, choices whose iconography appealed to the modern classicism favored by Mussolini for images of italianità. De Chirico, however, had also submitted more recent work from the early 1930s – so-called »Baroque« paintings – only to realize after the exhibition had already opened, that his submissions had been replaced by works from the 1920s that he had not selected or approved.29 This disavowal of de Chirico’s preferences instigated a litany of polemical commentary by the artist in both the French and Italian press.30 At the same time, de Chirico continued to be promoted »at home« in Italy and was even invited to participate with a personale at the second Quadriennale in 1935, for which he sent forty recent works from Paris. According to de Chirico, most critics reacted negatively: »These canvases caused more anger than any others; one of my big paintings which showed a few bathers on a beach and a large portrait of myself in my Paris studio with my palette and brushes in my hands, standing at the easel.«31 Though harshly criticized for his retrograde style and iconography by various art critics, such as Roberto Longhi and Roberto Farinacci, de Chirico was, at least in part, celebrated for his presence as a mature, middle-aged painter who represented a historical thread in the tradition of Italian modernism, as articulated by Mussolini’s own delighted reaction to de Chirico’s contribution.32 De Chirico’s participation functions as an absent presence, or present absence, depending on how one approaches the matter. Busy with affairs back in Paris, de Chirico did not oversee the proper stretching or hanging of his canvases, since he failed to travel to Rome for the event. His absence from related Fascist-sponsored events further tarnished his reputation. But in terms of the images themselves, consider the subtle but arguably potent, »anti-Fascist« symbolism of the seemingly minute detail of slippers included in Self-Portrait in Paris Studio (1934); Margherita Sarfatti and other historians and biographers of Mussolini note the Duce’s well-publicized association of slippers with the contemptuous egoism of the bourgeoisie, the direct opposite of the heroism promised by the Fascist imaginary.33 De Chirico’s eighteen-month independent exhibition campaign coincidental with his sojourn in the United States (July 1936–January 1938) created the impression of an artistic duality (at least on a formal level) not unlike the competing images that constituted his artistic identity back in Europe. While his early metaphysical works were featured in venues such as his solo exhibition at the Pierre Matisse Gallery and Alfred Barr’s Fantastic Art, Dada, Surrealism at the Museum of Modern Art in late 1936, his more recent work – such as his Gladiators, Horses on the Beach, and Archaeologists – was shown by the Julian Levy Gallery and commissioned and collected by individuals such as Albert Barnes.3 4 Thus, as Emily Braun’s 1996 De Chirico and America exhibition judiciously demonstrated, de Chirico’s critical fortune during his time in America was relatively favorable; the artist was celebrated equally for his earlier and for his later works, since the taste for the one was not deemed mutually exclusive with the other. During his time in New York City, de Chirico associated
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with a vast array of artists and literati, including characters such as Carl Van Vechten, who photographed the artist. Moreover, de Chirico’s artistic activities took a variety of forms, including fashion layouts for the upscale department store Bergdorf Goodman and for Vogue magazine. Interestingly, while de Chirico received a favorable reception of the later works from commercial galleries and private collectors, he was celebrated for the earlier works primarily by institutions with mainstream values, such as the Museum of Modern Art.35 And contrary to today’s art-historical assumptions, at that time, American critics based in both types of venues understood de Chirico’s ironic dialogue with the past. Meanwhile, the inclusion of de Chirico’s work in the roster of offensive avant-garde artists labeled Bolshevik and/or Jewish, collated in conjunction with the 1937 Degenerate Art (Entartete Kunst) exhibition in Munich, led to the removal of his works from German collections such as the Folkgang Museum in Essen in 1940. Soon after de Chirico’s public vilification in the Third Reich, a similarly motivated, homegrown diatribe ques5 Giorgio de Chirico: Portrait of Edda Ciano, 1942, oil on canvas, 134 × 95 cm, private tioned the appropriateness of avant-garde and collection modernist art in Italy, as shown in a 1938 editorial in Il Tevere.36 De Chirico’s metaphysical iconography was deemed »Semitic«, and various editorials refer to him as Jewish, though in fact only his second wife, Isabella, who, like his first wife Raissa, was a Russian Jew. In his autobiography, de Chirico notes that »in Rome some dear witty friends, including the producer Anton Giulio Bragaglia, started the rumor that I and my brother Savinio were Jewish, and they would say, with a hypocritical air of concern, ›What will the poor de Chiricos do now?‹«37 A delayed and calculated response to such accusations appear in his 1942 article Considerations on Modern Painting, published in the fascist architectural journal Stile directed by Gio Ponti.38 In this widely publicized but very curious piece, de Chirico falls back on the familiar distinction between Jewish and Christian forms of representation, aligning the prescribed iconoclasm of Judaism with the abstraction of the avant-garde, inadvertently but ironically recreating the basis of the anti-Semitic stereotypes in his defense of an essential »Jewish« aspect to certain styles of modern art. As if to accept the diatribes against him, he writes:
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»We believe that the great interest that the Jews have shown for modern art derives from the fact that they love abstraction and all that has a connection with abstraction; instead, they do not love concrete creation. They are a people who have not ever had the desire to see the divine image translated into reality, fearing perhaps diminishing the abstract side of the idea of God. Almost all other people have instead felt the very human need to be able to touch, kiss or at least admire the image of their Gods or of their God. Art was born from this need to represent God in the most ideal and most perfect way, and real art is precisely a little piece of the divine spirit that lives amongst us.«39 Moreover, in praising alternative, that is figurative, forms of Christian art, de Chirico aligned his own contemporary painting with this latter, more legitimate form of representation that makes accessible even the divine. In his memoirs, first published after the war in 1945, however, he reiterates the philo-Semitic (pro-Jewish) 6 Giorgio de Chirico: Portrait of Galeazzo Ciano, 1942, oil on canvas, size unknown, private lessons of his father who had taught both him and collection his brother Alberto Savinio to refer to Jews as »Israelites«, since the term »Jew« implied a connection to Christ’s traitor Judas, though in fact it merely referred to Judea, one of the twelve tribes of Israel.40 Thus de Chirico’s rhetorical investment in Considerations of Modern Painting in the relative merits of Jewish or Christian aesthetic principles seems to reflect the political climate. In 1942, de Chirico was granted yet another solo exhibition at the Venice Biennale, where he exhibited thirty-one paintings, including his portrait of Mussolini’s daughter, the Countess Edda Ciano, wife of Galeazzo Ciano, the Duce’s hand-picked minister of foreign affairs |fig. 5 |. De Chirico’s paintings included his most recent works, mostly executed in Renaissance or Baroque styles. Rather than reading the paintings as illustrative of an effeminate and flamboyant style as critics of High Modernism would go on to do in the postwar period, critics saw de Chirico’s works as a homage to earlier European artists ranging from Michelangelo and Raffael to Rubens and Rembrandt. At this particular juncture in Italian history, de Chirico’s art-historical appropriations were seen as a sign of his artistic bravado, and his prominent position at the Biennale signals his good standing with the regime by this time.
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De Chirico created a pendant to his portrait of Mussolini’s daughter Edda, a likeness of her husband, Galeazzo Ciano, the same son-in-law who would go on to betray Mussolini in the construction of his government at Salò in 1943 | fig. 6|. This portrait, however, was not quite finished in time to be shown at the Biennale. Taken together, these two canvases suggest an almost court-like position for the artist who by then had ingratiated himself in the upper echelon of the regime. A selection of works by de Chirico shown at the 1942 Biennale were included in the Biennale highlights subsequently sent to Linz, Austria, for an exhibition of Italian art sponsored by the National Socialist regime.41 This exhibition underscored de Chirico’s contribution to Italian cultural patrimony; his name is the only one listed twice on the invitation to the event, once for his Portrait of Edda Ciano (1942) and then again separately for two undated paintings entitled Laocoon and Peaches. Notably, he is one of the only artists with multiple works in this exhibition of more than 200 objects. One wonders then why de Chirico’s masquerade was later read as an effeminate betrayal of the masculinist ideal, analogous with Greenbergian High Modernism in the postwar period. De Chirico exhibited only three works at the next Quadriennale in 1943, and his limited visibility at that venue suggests the lingering of a personal conflict with Cipriano Oppo, who continued to direct the event. Clearly not as marginalized as he would later claim in his autobiography, the itinerant painter had finally come home. Indeed, in the first edition of his autobiography, published just after the war in 1945, de Chirico refers to the regime as »the government of the time«, while in the 1962 edition, he nominates the regime as fascist, a logical revision since the postwar period had already confirmed his artistic invisibility after 1918. In other words, the striking combination of de Chirico’s critical failure as an artist initiated by the Surrealists and his failure to be as prominent a fascist artist as Mario Sironi, for example, allowed him to distance himself from the regime.
Replacing Poussin: A Case Study I turn now to a pair of key examples of de Chirico’s self-portraiture during this period to tease out the tension underlying de Chirico’s stylistic shifts. In Self-Portrait of 1930, the artist’s image appears amidst three framed canvases |fig. 7|. Looking out with a furrowed brow, he sits in a classical, three-quarter pose familiar in the tradition of portraiture. Two of the painted images within the composition are partially visible, while a third canvas-withinthe-canvas remains mostly invisible, its content obscured by another canvas placed before it. The painting to the right of the painter shows part of a still life of peaches.42 Much of a second painting, slightly behind and to the left of the artist, is interrupted by the painter’s own body, save for one of de Chirico’s trademark wooden mannequin heads, a familiar motif in his images of Hector and Andromache as well as archaeologists.43 While de Chirico’s body partially blocks the two canvases behind him, their extension beyond the physical limitations of the
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7 Giorgio de Chirico: Self-Portrait, 1930, oil on canvas, 72 × 60 cm, private collection
8 Giorgio de Chirico: Self-Portrait, 1933 [1925], oil on canvas, 42 × 35 cm, Brescia, Collezione C. Pelizzari
painting itself further deprive the viewer of their content. Wedged between two of his iconographic interests, the mannequin and the still life – the former, a sign of self, the latter, a sign of other, as part of his growing fixation with Old Master techniques and topics – the painter meets the viewer with a preoccupied expression. De Chirico executed a second, more schematic version of this image three years later. His Self-Portrait of 1933 is an unrefined and less painterly version of the earlier painting |fig. 8|. De Chirico reappears here in front of three ambiguous, gray-colored vertical planes: what were in 1930 representations of his framed paintings have become schematically rendered plinths akin to gravestones. These plinths allude to the conventions of early Roman portraiture providing another instance of de Chirico’s revival of past tradition. Although still legible as a selfportrait, this image is characterized by a sketchiness that points to its quick execution. Fewer, more extended brushstrokes rearticulate the composition of the 1930 painting, and the texture of the canvas shows through the thinly layered paint. Accepting the image as incomplete is one explanation for de Chirico’s darker rendering of his hair, as if he were younger-looking than he had been three years before. He may have originally planned to apply more white and lighter gray paint on top of the lower layer of dark gray paint to signify his salt-and-pepper hair, a traditional marker of the transition between youth and old age, life and death. The
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transfiguration of his framed paintings into schematic gravestones reminds the viewer of de Chirico’s fixation with his own (im)mortality. Further, he has painted his signature onto – as if inscribed into – one of those not-yet-complete tombstones. These two arguably linked self-portraits should be carefully compared with two self-portraits executed by Nicolas Poussin, whose Self-Portrait of 1650 in the Louvre served as the most immediate prototype for de Chirico’s self-portraits |fig. 9|).4 4 Was de Chirico’s choice to paint himself in an image mimicking Poussin’s famous painting a gesture of homage? If so, he is Poussin’s double in reverse, the Italian whose artistic odyssey had lead him to Paris, the opposite of Poussin’s own movement to Rome. Given de Chirico’s growing interest in Poussin as an imaginary mentor whose work guaranteed his return from the dead, we can imagine how such a revered artistic figure might have substituted for de Chirico’s own absent father, similarly lost to him in death and available only in his imagination.45 Further compa9 Nicolas Poussin: Self-Portrait, 1650, oil on canvas, 98 × 74 cm, Paris, Musée du Louvre rison exposes de Chirico’s more subtle alterations to Poussin’s prototype. The faceless mannequin head replaces the sculptural bust-come-alive that appears on a canvas located in a similar position in Poussin’s painting. Although his resemblance to the French painter is limited, de Chirico underscores the connection by emphasizing his own cleft, sagging chin and thick lips, both reminiscent of Poussin’s own aging features. De Chirico has further altered the three paintings that overlap one another in Poussin’s image. De Chirico has lessened that layering, cleared more central space in the image for himself, and lightened considerably their dark backgrounds. De Chirico’s omission of any inscription on the surfaces of the paintings-within-thepainting (that is the two self-portraits from 1933) is notable, given one of his early strategies for including texts in his painted self-portraits. Looking back, we remember that many of de Chirico’s self-portraits dating to around 1920 included representations of stone plinths decorated with Latin inscriptions. In his self-portrait of 1933, however, he does sign one of the tombstones, thereby loosely alluding to the inscription on the painting behind the painter in Poussin’s self-portrait of 1650. Executed in the early 1930s at a moment when de Chirico began to be critically invisible or, for most of the art world, even dead, de Chirico’s entrance into Poussin’s pictorial domain figures a desire to retreat to Poussin’s imaginary realm as if his impersonation of the French painter could repair his own critical misfortune. De Chiri-
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co’s replacement of Poussin’s austere, black robes with his own casual sweater and patterned ascot signals a shift in the self-perceived positioning of the artist. The bourgeois character of de Chirico’s soft woolen cardigan belies a sense of domestic confinement consistent with his public rejection by the art world.46 The multiple tombstones of the 1933 Self-Portrait can also be interpreted as fractured pieces of the more substantial tomb surrounding the painter in Poussin’s 1649 Self-Portrait.47 I read these three slabs synecdochically, a tomb only partially built for the painter not yet in the grave. Lacking the public accolades granted to Poussin, de Chirico constructs a less grand tomb for which there are no garland-bearing putti to honor him perpetually. The signature G. de Chirico is much briefer than Poussin’s inscription, which reads: »Nicolaus Poussinus andelyensis academicus romanus primus pictor ordinarius Ludovici iusti regis galliae anno Domini 1649 Romæ Aetatis Suae 55.« 48 Poussin decorates his grave with more than his name; proudly announcing his status of pictor ordinarius of the King of France. De Chirico seems instead to protest his compromised critical position by emphasizing the blankness of his textless tomb, a departure from his earlier refrain as pictor optimus in his images of the 1920s. In line with his call for a ritorno al mestiere (or, return to craft), de Chirico experiments with building up the surface of his 1930 Self-Portrait. The backgrounds of the individual paintings within the larger canvas are covered by pastel-colored hatch marks. De Chirico’s attention to filling the background of the entire canvas with marks slightly larger than those that in turn signify the background of the paintings resting next to him reminds the viewer of the stylistic shift informing his work. His earlier metaphysical canvases, by comparison, featured lusterless surfaces covered with flat, monochromatic sections across the canvas. In those images, his individual brushstrokes are not easily discernible and, within his planar sections, the effect of the application of color resembles staining, as the colors were applied in thin layers of paint. In the 1930 SelfPortrait, however, the surfaces are built up much more substantially. Agitated brushstrokes constitute not only parts of a whole image but also the material index of the painter’s labor. Further underscoring de Chirico’s desire to identify his »self« by means of the objects framing his image, the composite »background« of beige, gray, and flesh tones recurs in the face of the painter as well. The consistency of these tones encourages closer examination of the chromatic symmetry between the hues representing the skin that is de Chirico’s complexion and the background colors applied to a second skin, the canvas. De Chirico disrupts the viewer’s perception of foreground and background, as the exuberant brushwork of the background disrupts the more blended colored areas of his similarly colored face.
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»The White Elephant« and Mussolini In closing, we should consider an unfinished drawing, for which no painting was ever executed. Was de Chirico’s next project in 1943 an equestrian portrait of Mussolini? Such a commission would allude to canonical images of romanità seen in equestrian monuments like that of Marcus Aurelius in Rome | fig. 10|. One wonders if the turn of events in 1943 that lead to Mussolini’s downfall dramatically altered our sense of how de Chirico traveled with Fascism first abroad, and then at home, if we can rightly call Italy his »home«. The misrepresentation of de Chirico’s invisibility during the Fascist period suggests greater art-historical complexities. Whether we read de Chirico’s identity as an example of both/and or neither/ nor, we must first acknowledge the seriousness of his opportunistic engagement with the Fascist regime both at home and abroad. Moreover, does de Chirico’s relentless polemic against the consensus as to the nature and legitimacy of what constitutes »modern« Italian art amount to a condensed explanation of the very crisis encompassed by calling for a definition of Italian art in the interwar and wartime periods? This crisis resonates with Italian modernism’s problematic absence from politicized accounts of the avant-garde, such as Peter Bürger’s Theory of the Avant-Garde.49 Endless press coverage of de Chirico’s art and its evolution entrapped his contribution in a critical and commercial purgatory that would be institutionalized in the postwar period. Thus, this oscillation between identities ultimately constructs an image of de Chirico as necessarily ambiguous, as an artist whose Frenchness is accentuated by his Italianness, whose avant-garde tendencies are highlighted by his Neo-Classicism, and whose Fascism is confirmed and undermined at every turn. The instability of de Chirico’s enigmatic persona motivates deeper questions about other artists of the time, such as Carlo Carrà and Gino Severini, former Futurists who reinvented themselves and whose later careers similarly occupy the liminal critical space between the French and Italian worlds of modern art. Thus, does de Chirico’s description of Mussolini as »above all an impotent intellectual and a failed writer [who] threw himself into politics [and] created Fascism and did all those terrible things in order to express himself« amount to anything more than an attempt to salvage his reputation after the war?50 Was this simply an ex post facto judgment on the black-shirts and the occupation by the German National Socialists? I would suggest that de Chirico’s engagement with the Fascist regime during the interwar and wartime periods, as well as his representation of what I see as a case of opportunism, changed dramatically at key junctures in both his personal history and the history of the Italian nation. Similarly unstable, for example, was the significance of his iconography, whose classical disposition aligned it with the regime. If in the 1920s de Chirico briefly enjoyed some popularity due to the resonance of his metaphysical iconography with Mussolini’s cultivation of a new image for Italy as a formidable imperial empire, by the early 1930s, his desire to shift styles toward a neoBaroque aesthetic pushed him away from the central pictorial motifs of the regime. But soon after, de Chirico’s recuperation of Renaissance and Baroque styles moved him into a new
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light, as the regime re-evaluated its relationship to those moments in Italy’s long artistic heritage and, as a matter of fact, caught up with de Chirico’s »taste«. Hence, by the early 1940s, de Chirico’s move away from his earlier, restrained metaphysical canvases toward more lush, theatrical pictorial projects re-inscribed him into the fold of another past moment in Italy’s history. But we should remember too that more than just an artistic career was at stake for de Chirico. By 1944, life in Rome would have been difficult for him and his Russian Jewish wife, especially in light of the passing of Mussolini’s racial laws in January 1938, which called for deportation of foreign-born Jews. Under German occupation, the situation for Italian Jews deteriorated further, with all of Rome’s Jews called up for deportation for nearcertain death in Auschwitz. De Chirico’s increasing girth and trademark white hair inspired his nickname as The White Elephant, as seen in caricatures by 10 Giorgio de Chirico: Untitled Drawing, medium and both Ivo Paneggi and Enrico Prampolini in size unknown, private collection the 1920s.51 Yet perhaps the term accounts for the way in which standard histories of modern art have shied away from the greater phenomenon of Italian modernism in the Fascist era, for this period is so rich and yet so obfuscated by its political character. Did de Chirico’s relentless lobbying for his rightful place in the canon of artistic mastery require a redressed and erased postwar version of his own history that effaced the Fascist period? Did he ultimately reconfirm the invisibility prescribed for his artistic contribution in accounts of High Modernism – a self-refashioning analogous to his 1949 retouching of his (formerly) nude self-portrait from 1943 | fig. 11|? Or, did he believe that such efforts were all in vain and that he had no ability to control the way in which he would be regarded by posterity? If this is so, we might very well imagine de Chirico’s postwar predicament as a double bind. On the one hand, he was left with a sordid history in terms of his relationship with the regime, whose favor he ultimately gained. On the other hand, this redemptive position was problematic, since after the war it was in his best interest to distance himself from that regime, since Italians sought to preserve their wartime position as that of a victim of Nazi Germany rather than as an aggressor under Mussolini.
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11 Giorgio de Chirico: Self-Portrait, 1943–1949, oil on canvas, 60,5 × 50 cm, Rome, Galleria Nazionale d’Arte Moderna, and a photography of Giorgio de Chirico and his Self-Portrait before being retouched in 1949
Having reviewed some of de Chirico’s activities, we can consider the relationship between de Chirico and the Surrealists more critically. In pre- and postwar American accounts that perpetuated the French criticism generated by the Surrealists (such as those disseminated by Alfred Barr, James Thrall Soby, and William Rubin through the exhibitions that they each curated at the Museum of Modern Art in 1936, 1955, and 1982, respectively), these socalled later images – both in terms of de Chirico’s »copies«, or reproductions of his own earlier works and in terms of his new iconography, arguably »copied« from earlier artistic periods – were relegated categorically to an inferior critical reading by virtual exclusion from exhibitions and critical accounts.52 And so in the postwar period, American critics of High Modernism internalized and repeatedly reproduced Breton’s attack first launched in his 1928 Surrealism and Painting: »I do not know exactly what significance to attach to the sequence which came to a halt when, without much doubt, inspiration suddenly abandoned Chirico [in 1918], this same Chirico whose main preoccupation today is to prevent us proving his fall from grace.«53 Moreover, given the inappropriate American and French retrospective application of this criticism, that is to say, as if it had been launched as early as 1918, the Surrealist antagonism toward de Chirico was destructive not only for de Chirico’s reputation in postwar accounts of modern art but also for the history of art history in general between 1918 and 1945. Ultimately, such paintings have been marginalized for their derivative qualities and nearly
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12 Giorgio de Chirico: Self-Portrait, 1922, tempera on canvas, 39,4 × 51 cm, Toledo, Toledo Museum of Art
erased from a comprehensive account of interwar (Italian) art history.5 4 Indeed by 1932, established Parisian art critics such as Waldemar George had already referred to de Chirico as a »living cadaver«, not unlike de Chirico’s Self-Portrait of 1922, arguably another pictorial analog of the living dead artists as staged in this pre- post mortem gesture of self-memorialization |fig. 12 |.55 And so, this artist’s life after his supposed death in 1918 or, for my purposes here, his precise dealings with the Fascist regime, remain ambiguous at best – at times ignored, at others celebrated – but always overshadowed by his subsequent critical mourning in the twenty-five years following that »death«. Ultimately, the post-1940 American codification of the French surrealist attitude toward de Chirico’s work led to the institutionalization of the critical rejection of his later works. De Chirico’s own opportunistic activities and affiliations during the Fascist period, however, seem to explain his own postwar silence for it seems strange that the artist did little to recuperate his reputation as an artist during the ventennio, despite having been infamous for his polemical and outspoken behavior. By reconstructing the artistic activity and critical reception of these two particularly fraught decades of de Chirico’s so-called »late« work, I hope to have shown that de Chirico’s identity in the interwar period defies simple categorization, certainly if we account for both his Surrealist detractors and his Fascist patrons. His personal, artistic, and political history constitutes a case of unstable identity riddled with shifts from Italian to French, avant-garde to regressive, modernist and traditionalist, and Fascist to anti-Fascist, depending on the geo-
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graphy and chronology in question, as well as the perspective from which these terms were defined and the critical voices that employed them. De Chirico’s ambiguous and fragmented persona as simultaneously the early and the late de Chirico, as well as his own seemingly selfconscious polemical oscillation between these two identities during the fascist period, secured a dynamic position for the artist in both commercial and critical terms. Moreover, the marginalized de Chirico represents an artistic »genius« whose regularly disputed integrity and contribution guaranteed his centrality in the contemporary critical discourse. Recalling de Chirico’s words in Hebdomeros, his »surrealistic« novel first published in French in 1929 and then republished in Italian in 1944 (at the moment of the regime’s collapse), provides a productive glance into the artist’s vision. »Without meaning to we paint ourselves with a clown’s face; we go out into the street not knowing that we have arabesques drawn on our back and our nose painted green, which naturally makes people laugh and turn around as we pass by.«56 I would argue that here de Chirico points to some of the pitfalls not only of his own self-portraiture but also of artistic representation in general by highlighting the instability and unpredictability of the images that we, as individuals, and he, as an artist, might project into the world. Perhaps he is alluding specifically to his own career and the bitter rejection he faced first by the surrealists and then by the postwar art world invested in High Modernism. But perhaps, more subtly, he is alluding in the most serious of ways to the inevitable humor so often evoked by images conceived.
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1 Cf. Giorgio de Chirico: Hebdomeros [1929], Cambridge 1992, p. 42. 2 Cf. Boris Groys: The Total Art of Stalin, Princeton 1992, p. 9; Jonathan Petropoulos: The Faustian Bargain, New York 2000. 3 Groys 1992 (as note 2). 4 Cf. Boris Groys: Stalinism as Aesthetic Phenomenon, in: Tekstura. Russian Essays on Visual Culture, ed. and translated by Alla Efimova and Lev Manovich, Chicago 1993, pp. 115–122. Groys is not as concerned with showing the isolation of the avant-garde under Stalinist policies as he is with providing a holistic approach to the situation at large and how the arts changed, that is how they both flourished and perished under Stalinist totalitarian policies. Groys’ larger study is found in The Total Art of Stalin 1992 (as note 2). 5 Cf. for example Anson Rabinbach: Moments of Totalitarianism, in: History and Theory 45/2006, pp. 72–100. 6 Cf. Stanley G. Payne: Fascism. Comparison and Definition, Madison 1980. 7 For an introduction to the Fascist regime’s relatively laissez-faire approach to the arts, cf. Philip Cannistraro: Fascism and Culture, in: Emily Braun (ed.): Italian Art in the Twentieth Century, Munich 1989, pp. 147–154. As Cannistraro explains, a limited number of bureaucratic ministries, such as the Sindicato delle Belle Arti, directed by Cipriano Efisio Oppo, operated a massive network of annual biennial, triennial exhibitions in principal Italian cities. For example, between 1927 and 1939, the Sindicato held more than 300 regional exhibitions. 8 Cannistraro 1989 (as note 7), p. 150. 9 The two main institutions behind this, according to Giuseppe Bottai, who was Italy’s Minister of Education from 1936–1943 as well as editor of several cultural journals, were the sindicati and the Accademia d’Italia. Roberto Farinacci directed the Premio Cremona, whereas Bottai oversaw directly the Premio Bergamo. Bottai stressed, however, that while attached to tradition, the new art should incorporate modern taste and sensibility that is, the novecento tradition (promoted by Sarfatti as forged in Milan after the First World War). 10 Janet Abramowicz (Giorgio Morandi. The Art of Silence, New Haven 2005) provides the most thorough account of Morandi’s activities and associations during the fascist period. Abramowicz dismantles the myth of Morandi as a solitary, apolitical artist; cf. also Emily Braun: Speaking Volumes. Giorgio Morandi’s Still Lifes and »Strapaese«, in: Modernism/Modernity 2/1995, pp. 89–116. 11 Cf. Ivor Davies: Giorgio de Chirico. The Sources of Metaphysical Painting in Schopenhauer and Nietzsche, in: AA International 26/1983, pp. 53–60. Davies expands on James Thrall Soby’s earlier study of the influence of Nietzsche’s philosophy on de Chirico’s iconography to include Schopenhauer as well, suggesting that Schopenhauer’s philosophy was in fact more important to de Chirico’s work than was that of Nietzsche. 12 Cf. Emily Braun: Mario Sironi and Italian Modernism. Art and Politics under Fascism, New York 2000 (esp., Chap. 4 for a compelling analysis of melancholy and the construction of pictorial allegory by de Chirico). 13 The issue of »copies« is a central one in de Chirico scholarship, which can be divided into four principle categories: 1) the copies that he generates of his own work, often with intentionally inaccurate dates, 2) the copies that he produces of works by other (typically much earlier) artists, 3) the copies of his work executed self-consciously by postwar artists (such as Andy Warhol and Mike Bidlo), and 4) the
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»false« copies of his work that were passed off as »original« de Chirico paintings. Thus, »copying« is a recurrent topos that permeates de Chirico’s œuvre, and a proper treatment of it exceeds the limits of this essay; for a discussion on the politics of the third and fourth categories of copies, in particular, cf. Jennie Hirsh: Representing Repetition. Appropriation in de Chirico and After, in: Luca Somigli and Mario Moroni (ed.): Italian Modernism. Italian Culture between Decadentism and Avant-Garde, Toronto 2004, pp. 403–449. 14 This self-portrait restages the famous photograph of Friedrich Nietzsche in a similarly melancholic pose. 15 André Breton: Surrealism and Painting, translated by Simon Watson Taylor with introduction by Mark Polizzotti, Boston 2002 (translation of original 1928), p. 16. 16 Cf. Giorgio de Chirico: The Memoirs of Giorgio de Chirico, translated by Margaret Crosland, New York 1994, p. 150. The original text reads »Senegalese«, rather than »French Soldiers«. I would argue that de Chirico’s inclusion of the Senegalese soldiers suggests his interest in hybrid identities, in this instance combining French and African cultural milieus. 17 For a full analysis of the break between de Chirico and Breton’s circle, cf. Paolo Baldacci: Giorgio de Chirico. Betraying the Muse. De Chirico and the Surrealists, New York 1994, pp. 11–104. I return to the implications of the Surrealist contempt for de Chirico toward the end of this essay. 18 Cf. de Chirico 1994 (as note 16), p. 116. 19 For further discussion of de Chirico’s initial practices of copying his earlier works, cf. James Thrall Soby: Giorgio de Chirico, New York 1955, p. 135, which contains a footnote describing Madame Breton’s (here mislabeled as Gala Eluard) request to purchase the original Disquieting Muses. Since it had already been sold, de Chirico proposed re-painting another version for Mme. Eluard. De Chirico’s self-copying remains a source of great interest for his critics; cf. for example Giuliano Briganti: De Chirico e l’altro se stesso. Il problema delle repliche, in: Giorgio de Chirico 1888–1978, Rome 1981, pp. 24–27. Briganti notes that in his youth, de Chirico would have been surrounded by not only images derived from classical culture, but also the Byzantine icons that would have enveloped him during his childhood in Greece, where visual culture granted high status of copies. 20 The Novecento group held large exhibitions first in Zurich and Amsterdam, and then in Berlin and Hamburg; for more information on Margherita Sarfatti, cf. Philip Cannistraro: Il Duce’s Other Woman, New York 1993. 21 Le Arti plastiche, Milan, December 16, 1927 cited the Parisian newspaper Comoedia interview of December 12, 1927, in which de Chirico says »[i]l n’y a pas en Italie, de mouvement d’art moderne. Ni marchands, ni galleries. La peinture italienne moderne n’existe pas. Il y a Modigliani et moi; mais nous sommes presque Français.« 22 Cf. Anonymous: Il Caso de Chirico. L’intervento di Maraini, in: Gazzetta di Venezia, December 20, 1927 »Giorgio de Chirico non è invitato a una sala nella XVI Biennale, ma soltanto compreso tra gli invitati all’opera. Comunque deploro sua intervista lesiva arte italiana invocando provvedimento.« (Giorgio de Chirico is not invited to [exhibit in] a hall at the sixteenth Biennale, but is instead included only amongst the invitees to [see the] works. In any case, I deplore his interview damaging Italian art, which calls for disciplinary action.) Thus, although de Chirico was only to be one among several artists shown in the Mostra della Scuola di Parigi, even this limited invitation was revoked. 23 Cf. Gino Severini: Mostra degli italiani a Parigi, in: Catalogo of the XVIII Biennale [1932], pp. 100–102 (nn. 1–15).
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24 ASQ I, Verbali delle sedute della Giunta esecutiva, b. 1, u. 3 (Verbale della seduta della Giunta esecutiva del giorno 26 maggio 1930 VIII tenuta al Palazzo dell’Esposizione.) Minutes from the meeting have been recently published in: Bruna Colarossi (ed.): Quadriennale d’Arte di Roma. Inventario dell’Archivio, Rome 2000, p. 250. 25 For an overview of the Mostra della Rivoluzione Fascista [MDRF], cf. Emily Braun (Mario Sironi) 2000 (as note 12), pp. 145–157. 26 Cf. De Chirico. Gli anni trenta, ed. by Maurizio Fagiolo dell’Arco, Exhibition Catalogue, Verona, Galleria dello Scudo, Museo di Castelvecchio, 1998–1999, Milan 1999. 27 Cf. de Chirico 1994 (as note 16), p. 127. De Chirico notes that the other murals by Sironi, Massimo Campigli, and Achille Funi overshadowed his own work: »This mural painting of mine gave rise to much envy; it was not reproduced in the newspapers or even in the illustrated leaflets which were on sale at the exhibitions and included instead the paintings of Carrà, Funi, and Sironi.«; for illustrations of this mural, cf. Ex. Cat. Verona 1998–1999 (as note 26). 28 Cf. Emily Braun: Leonardo’s Smile, in: Claudia Lazzaro and Roger J. Crum (ed.): Donatello Among the Blackshirts, Ithaca 2005, pp. 173–186. 29 Cf. Ex. Cat. Verona 1998–1999 (as note 26), p. 272. 30 Polemical letters were published in Paris in Beaux-Arts under the title Le coin des artistes and then again on May 31, 1935 in L’Ambrosiano in Milan, as quoted in: Ex. Cat. Verona 1998–1999 (as note 26), p. 272. Letter from de Chirico to Carrà dated May 29, 1935 from Paris, preserved in the Archivio del Museo d’Arte Moderna e Contemporanea di Trento e Rovereto. 31 Cf. de Chirico 1994 (as note 16), p. 128. 32 Cf. de Chirico 1994 (as note 16), p. 142. De Chirico notes that Mussolini stopped before his paintings and smiled with delight: »It was even reported to me, by persons present at the scene, that on the day of the opening Mussolini, in the room [where my paintings were exhibited], stopped before some of my paintings, praising them and showing great interest; but he was immediately almost whisked away and into another hall by those who were surrounding him.« Cf. Braun’s reading of these paintings as »porno-kitsch« in her introduction to Giorgio De Chirico and America, ed. by Emily Braun, Exhibition Catalogue, New York, Bertha and Karl Leubsdorf Art Gallery, 1996, Turin 1996, pp. 13–24; a revised version of which appeared in her Kitsch and the Avant-Garde: The Case of De Chirico, in: Rethinking Images Between the Wars. New Perspectives in Art History, Copenhagen 2001, pp. 73–90. 33 Cf. Gerd Roos: Come san Luca, come Zeusi, in: Ex. Cat. Verona 1998–1999 (as note 26), p. 218. Roos’ arguments relies on Hibbert’s biography of Mussolini; cf. Christopher Hibbert: Mussolini, Frankfurt am Main 1963, p. 68: »Il credo del fascista è l’eroismo/quello del borghese è l’egoismo.« Roos also evokes Sarfatti on Mussolini’s rejection of slippers in: Mussolini – Lebensgeschichte, Leipzig 1927, p. 228: »Per me una poltrona da salotto? Via, portatela via immediatamente, altrimenti la faccio volare dalla finestra! Poltrone e pantolfole sono la rovina dell’uomo!«. [A living room armchair for me? Out, take it out immediately, otherwise I will send it flying out of the window! Armchairs and slippers are the downfall of man!]. 34 Cf. Lynda Klich: De Chirico and Dr. Barnes, in: Ex. Cat. New York 1996 (as note 32), pp. 59–72. 35 Cf. Jennifer Landes: Giorgio de Chirico and the American Critics 1920–1940, in: Ex. Cat. New York 1996 (as note 32), pp. 33–44.
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36 Cf. Ex. Cat. Verona 1998/1999 (as note 26), p. 281 (for a facsimile of Telesio Interlandi’s editorial attacking degenerate art in Il Tevere, November 24–25). 37 Cf. de Chirico 1994 (as note 16), p. 145. Alberto Savinio to Anton Giulio Bragaglia, De Chirico non è ebreo, Letter published in Il meridiano di Roma, Rome, November 28, 1937. 38 De Chirico attributes this article to his wife four years later in his autobiography, the first half of which was published in 1945, claiming that as a woman (but probably more so as a Jew), Isabella would not have been able to publish her »philosophical« musings on pictorial modernism. This piece was later syndicated and published in serial installments in the prominent newspaper Il corriere padano later the same year. 39 Cf. de Chirico: Considerazioni sulla pittura moderna, in: Lo stile nella casa e nell’arredamento January 13, 1942, pp. 1–15, p. 1 ff. (»Noi crediamo che il grande interessamento che gli ebrei hanno dimostrato per l’arte moderna derivi dal fatto che essi amino l’astrazione e tutto ciò che con l’astrazione ha un legame; invece non amano la creazione creta. È un popolo che non ha mai avuto il desiderio di veder tradotta in realtà l’immagine divina, temendo forse così di diminuire il lato astratto dell’idea di Dio. Quasi tutti gli altri popoli hanno invece sentito il bisogno molto umano di poter toccare, baciare, o almeno mirare l’immagine dei loro dei o del loro Dio. Da questo bisogno di rappresentare Dio nel modo più ideale e più perfetto è nata l’arte e la vera arte è proprio una parcella dello spirito divino che vive tra noi.«). 40 Cf. de Chirico 1994 (as note 16), pp. 144–145. 41 These two paintings appear in an invitation card for the exhibition held in Linz, Austria; see the collection of rassegna stampa for the Biennale of 1942, Busta 1, ASAC Archivio, Venice. 42 Though I use the term »still life« here for the purposes of genre identification, I should note that de Chirico was uncomfortable with the Italian term natura morte, and he nominated that genre instead »vita silente«. 43 Full treatment of the significance of the mannequin in the early twentieth century exceeds the limits of this essay. While the roots of de Chirico’s interest in depicting the mannequin can be linked, to begin, with the figure model as well as the marionette’s prominence in Pinocchio, by the 1920s, faceless prosthetic bodies became pervasive, especially in the context of shopwindows throughout European cities like Paris quickly undergoing modernization; cf. Tag Gronberg: Beware Beautiful Women. The 1920s Shopwindow Mannequin and a Physiognomy of Effacement, in: Art History 20/1997, pp. 375–396; for more on the mannequin as a fetish, cf. Hal Foster: Exquisite Corpses, in: id.: Compulsive Beauty, Cambridge/MA 1993, pp. 125–153. 44 Cf. Louis Marin: Topic and Figures of Enunciation. It is myself that I Paint, in: Stephen Melville and Bill Readings (ed.): Vision and Textuality, Durham/CT 1995, pp. 195–214; translation/reprint of Topique et figures de l’énonciation, in: La Pacte de l’oeil, 1989, pp. 141–153; id.: Variations on an Absent Portrait. Poussin’s Self-Portraits, 1649–1650, in: Sublime Poussin, translated by Catherine Porter, Stanford 1999, pp. 183–208; Elizabeth Cropper and Charles Dempsey: Painting and Possession. Poussin’s »Self-Portrait« for Chantelou and the »Essais« of Montaigne, in: id.: Nicolas Poussin. Friendship and the Love of Painting, Princeton 1996, pp. 177–215. 45 The limits of this essay do not permit full treatment of the theme of the lost father, though this figures prominently in my forthcoming monograph on de Chirico entitled Speculations. On Giorgio de Chirico and Self-Representation. 46 Not illustrated in this essay, a second, smaller and less complete version of this self-portrait (whose inscription misdates the painting to 1925) introduces another costume: a sweater worn over a white shirt with a pointed collar. In both cases, de Chirico unapologetically appears as a bourgeois painter.
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47 Poussin’s Self-Portrait of 1649 seems to have been important to de Chirico even earlier, as the artist’s Self-Portrait of 1922 alludes to this image as well. 48 »Nicolas Poussin of Les Andelys, Roman Academician and first painter of Louis the Just (XIII), the King of France in the year of the Lord 1649 in Rome, at the age of 55« (translation J. Hirsh). 49 Peter Bürger: Theory of the Avant-Garde, translated by Michael Shaw with foreword by Jochen Schulte-Sasse, Minneapolis 81996. 50 de Chirico 1994 (as note 16), p. 159. 51 Cf. De Chirico. Gli anni Venti, Exhibition Catalogue, Verona, Galleria d’Arte Moderna e Contemporanea Palazzo Forti, Galleria Dello Scudo, 1986–1987, Milan 1986. 52 Cf. Ex. Cat. New York 1996 (as note 32); Alfred H. Barr: Fantastic Art, Dada, Surrealism, New York 1936; James Thrall Soby: Giorgio de Chirico, New York 1941; Giorgio de Chirico, ed. by id., Exhibition Catalogue, New York, Museum of Modern Art, 1955, New York 1955; William Rubin (ed.): De Chirico, New York 1982. 53 Cf. Breton 2002 (as note 15). 54 Emily Braun describes the late works’ reception as »trash« in her Introduction: A New View of de Chirico, published on the occasion of the exhibition De Chirico and America 1996 (as note 32), pp. 13–24; focused on reconstructing the history of de Chirico’s exhibition, criticism, production and collection in America, this show aimed to override the split in »early« and »late« de Chirico. This essay is slightly different from the version published in 2000 in Rethinking Art Between the Wars. New Perspectives in Art History 2001 (as note 32); cf. Luigi Cavallo: Il »barocco« di de Chirico ovvero de Chirico il barocco, in: De Chirico, il barocco. Dipinti degli anni ’30–’50, Exhibition Catalogue, Milan, Galleria d’Arte Moderna Farsetti, Focette et al. 1991, pp. 5–25. 55 Waldemar George: Art Contemporain. Vie et mort de de Chirico, in: L’Amour de l’Art, April 1932, pp. 129–134 (»Chirico est un cadavre vivant, un spectre.«). George had formerly been a great supporter of de Chirico’s work, seeing him as a quintessential neo-humanist; Matthew Affron: Waldemar George: A Parisian Art Critic on Modernism and Fascism, in: Matthew Affron and Mark Antliff (ed.): Fascist Visions. Art and Ideology in France and Italy, Princeton 1997, pp. 171–204. 56 Cf. de Chirico (Hebdomeros) 1992 (as note 1), p. 42.
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KUNSTGEOGRAPHIE
SCHOOLING ADAM ELSHEIMER A Case of Disputed Nationality ITAY SAPIR
Schools as Tools Schools of artists are one of the most persistent fictions in the history of painting, second only perhaps to periodization. But whereas few would claim today that words like »Renaissance« or »Baroque« genuinely represent monolithic, homogeneous entities, labels such as »Italian artist« or »Florentine painter« typically remain unquestioned. In contrast with the elusiveness of time, space is usually seen as a more clear-cut category, or so it seems. In other words, schools are conceived as the spatial parallel not of »periods« as such, but of simple, factual chronology. An artist was born at a certain time and in a certain place; if he remained there to work, then there you have it. Unless an artist’s biographical data are disputed, there remains little for discussion. Needless to say, art-historical matters are rarely that simple, and »schools«, as opposed to birthplaces, are an artificial, even prejudiced construct employed by art historians for their own categorizations. No doubt remains if we recall that schools are, historically, completely contingent. As Thomas DaCosta Kaufmann claims in his attempt to advance Toward a Geography of Art, the concept of schools has its origins as far back as Pliny the Elder, whose term genera is still often translated precisely as »schools«, and was indeed considered by sixteenth-century authors as a precedent for their own first actual use of scuole.1 Pliny created thus, according to DaCosta Kaufmann, a »key tool for the historiography of art«. And where-
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as the scuole at first referred simply to the artist’s birthplace, they were »gradually coming to approximate the contemporary sense of modern nations«.2 The idea that in different places different types of art were created became more and more common in the seventeenth century; by the end of the eighteenth century, »the idea of national schools has become a standard category for the newly defined discourse of art history throughout Europe«.3 Indeed, Hubert Locher dedicates a long section of his book, telling the story of art history as a historicist discipline from 1750 to 1950, to the development of »the art of the nation«, in his account a product of the Enlightenment and a staple of nineteenth-century writings on art.4 Interestingly enough, according to Locher, in the first decade after 1800, the discussion about national styles in paintings existed only in Germany.5 Later, however, a whole current of »patriotic art history« develops, and the nation becomes the principal subject of art-historical writing.6 Far from being a given aspect of human nature, then, the idea of »schools« has not only a geographical basis but also a history. Furthermore, although schools are comfortably used for labelling »Old Masters« paintings in books and in museum exhibitions alike, they dissolve in the historiography of nineteenthand twentieth-century art only to be replaced by a flood of »-isms«: Impressionism, Fauvism, Cubism and so forth. This modern taxonomical analog is no less artificial, even though these »isms« are often based on the artists’ own observations and intentions. Such »isms« lack, however, clear geographical coordinates. On the other hand, the recent resurgence of more geographically-oriented categories has only confirmed that schools are an artificial convention and not a natural category. The famous YBAs (Young British Artists) are one germaine example, along with, more recently, the new school of German painting, sometimes even more specifically referred to as the »Leipzig School«. But if schools are not adequate for the description of modern art movements, London and Leipzig notwithstanding, it is perhaps modern life itself that shuns geographical labels because of the pervasiveness of extreme mobility in contemporary culture. We all know the kind of biographical data about contemporary, and even twentieth-century artists: John Doe, lives and works in New York, Tokyo, Paris and Kinshasa. We ourselves may even be living in this cosmopolitan universe, so brilliantly described – and critiqued – by thinkers such as Timothy Brennan, who shows to what extent, in a neo-colonialist environment, »cosmopolitanism« has never ceased to be »occidentocentric«.7 Under these conditions, it seems hardly possible to establish »schools« anymore; after all, they have to include one, and only one, place name in their title. This argument, however, sins in its presentism. It supposes that mobility has never been as common as it is now, and that Europe, for one, is a more unified cultural environment than it has ever been before. To some extent this is true: the influence of technology – both in terms of transportation and communication – in making mobility »more accessible« cannot be denied. But some social groups – in particular artists and intellectuals, such as those who interest us here – were surprisingly mobile in Early Modern Europe. Indeed they often knew of each other’s work, travelled abroad for their careers, and conferred with visitors and for-
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eigners much more than what we might imagine was possible for people dependant on horses and postal pigeons. And yet what remains important concerning artificial constructs is their heuristic value, their function as tools. More simply stated, the interest and usefulness of a term, and thus its justification, depends on the answer to the following question: what purpose does it serve? One can certainly pose that question in relation to schools of painting. Of course, it is interesting to know that an artist worked in such-and-such a place, but the notion of a »school« implying a common entity incorporating several artists who bear certain affinities, pretends much more than that. In what follows, I aim to show how this rather rigid notion, nuanced with the help of contemporary concepts – neologisms in many cases – finds renewed value in speaking about Old Masters’ art from a geographical – and thus necessarily political – point of view. Before proceeding to my own case-study, however, a general methodological orientation is in order: unfortunately, too often we find that the older the art one is considering, the more traditional and non self-reflexive is the art history commonly practiced in relation to it. Rewritings of the history of Early Modern art do exist; but they remain, quantitatively, an oft ignored, avant-garde form of art history, a slowly growing area of study that I would like to amplify. This situation is diametrically opposed to that found in studies of contemporary art, and this is why concepts developed not only there but also in literary studies and other disciplines are so crucial for those struggling to consider older art beyond the sacred trinity of attribution, iconography and biographical anecdote. I hope, as a by-product of this study, to show also how this productive borrowing might work.
Adam Elsheimer and his Multiple »Schools« Adam Elsheimer is an excellent case of artistic mobility in the Early Modern period. He was born in 1578 in Frankfurt am Main, in what is now Germany and was then already part of the German-speaking world. He grew up there, learning the craft of painting not only from a Frankfurt master, but also arguably from some artists of the Low Countries. At the age of 20, just two years before the end of the sixteenth century, Elsheimer left Frankfurt and began his journey south, passing most likely through Munich and certainly through Venice, where he remained for two years. In 1600, he arrived in Rome, where he lived for the first decade of the new century, just as baroque art was being »invented« in the Eternal City by figures like Caravaggio and the Carraccis. In 1610, not insignificantly also the year of Caravaggio’s death, Elsheimer died in Rome at the age of 32. This rather banal biographical note, maintaining a factual, to-the-point tone, is a rather common way of describing artists in the pages of art history and in the paragraphs of museum wall labels. In the case of Elsheimer, even this skeletal biography reveals characteristics that in turn render him such an interesting case for a reflection on schools and nationality in art history.
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The fact that Elsheimer grew up in one culture and then worked in another is not in and of itself exceptional for his time. Claude Gellée, significantly known as Le Lorrain, or Claude Lorrain, after the region of his birth, was an artist from France – to say »French artist« will already betray a decision of principle – working in Italy; Holbein was a German-born artist conquering Basel and Britain; Caravaggio a Lombard painter in Rome – arguably a no less significant cultural gap. Elsheimer’s case, however, seems particularly confusing, insofar as no one really knows how to categorize him. As we shall see, museums and galleries constantly hesitate about his »location«, and histories of art that mention him can be read as a long and ultimately inconclusive series of attempts at appropriation and categorization. The main question on which historians writing on Elsheimer seem to fixate is, »What is Adam Elsheimer? Or where should he be placed?« In an art-historical tradition accepting without questioning notions of influence, cultural environment and local style, this is perhaps not so surprising. The saga of Elsheimer’s national characterization begins very early, within the painter’s own lifetime, from an unexpected cultural zone when the Dutch biographer of artists, Karel van Mander, first mentions Elsheimer in his bio-historical project, the Schilder-boeck, dated to 1603–1604.8 Van Mander’s own »Netherlandish« identity is interesting given that the battle over Elsheimer’s identity has always been more than an Italian-German duel: although Elsheimer has never visited the Low Countries, his artistic affinity with their art, not least because he had apparently frequented some Dutch artists in Frankfurt, is mentioned repeatedly.9 The duel image is further complicated by the fact that Venice and Rome are always considered, in the case of Early Modern art, two totally separate – and very different – »schools«.10 Elsheimer is, thus, »fought over« by at least four cultural-artistic environments.11 For van Mander, in any case, the matter is quite simple. »At the moment there still lives in Rome an excellent German painter called Adam«, he writes, »who was born in Frankfurt, the son of a tailor. When he came to Italy his skill in painting was still rather poor, but in Rome he made amazing progress and through hard work became a skilled craftsman«. Van Mander already hints at one of the long surviving themes of Elsheimer scholarship, namely that his »Germanness«, though modified and refined by his new-found Italian environment, somehow remained present in his art. Also of interest is the specific section in which Elsheimer is mentioned, prefiguring here as well a possible choice made later by many museums: Elsheimer is included in a category titled »The life of Hans Rottenhammer, painter of Munich, and some others«. Our painter is one of the »others«, that is to say a member of a group of German painters whose common feature, then, is their German identity. The Italian Macini, writing around 1620, asserted a different view, claiming that Elsheimer, »praticando con pittori italiani subito prese la lor maniera«, or »having worked with Italian painters, he immediately adopted their manner.«12 Some 55 years later, in Germany itself, the other canonical art biographer – or the other Northern Vasari – discusses Elsheimer again, and this time dedicates to him a much longer biographical text. I refer here to Joachim von Sandrart and his bilingually titled book L’Aca-
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demia Todesca della Architectura, Scultura et Pittura, Oder Teutsche Academie der Edlen Bau-, Bild-, und Mahlerey-Künste published in Nuremberg in 1675.13 Despite the nod to Italy, still the capital of the arts then, if not for long, this work is an overtly national, not to say nationalistic, piece of art history; its whole project is precisely to create, almost ex-nihilo, a tradition, a genealogy and an identity for German art. In this context, it comes as no surprise that Elsheimer’s »nationality« – the term itself is of course anachronistic – is not explicitly or elaborately discussed. The very fact that he is included in the work suffices for his characterisation as a German artist, a painter essentially belonging to the newly defined German cultural heritage. Sandrart was also a Frankfurter, a fact that could only enhance his interest in Elsheimer. It is interesting to note that Sandrart first says that Elsheimer went to Rome because his nobility directed him towards perfection, and then subtly reverses the implied hierarchy by saying that »there was nothing else people talked about in Rome other than Elsheimer’s newly invented [neu-erfundenen] art«. Elsheimer’s glory in the capital of arts, a glory with which the biography also ends, is the best proof of the vivacity and the importance Sandrart tries to establish for German art. The biographer places Elsheimer at the beginning of a dynasty of sorts, and, in a pun on his first name, compares his unprecedented type of painting to Adam having been the first man. His ending is so pompously proud of Elsheimer as a fellow Frankfurter that it merits full quotation: »He had such a reputation in the wide, broad world, that all notable connoisseurs, as well as eager foreign travellers, expect to see something rare and important from his famous hand in the town hall of his native city, because he is universally called Adam of Frankfurt. And whilst Rome boasts with Raphael of Urbino, Florence with Michelangelo, Venice with Titian, Basle with Holbein, Nuremberg with Albrecht Dürer, Leiden with Lucas van Leiden, and other cities with other native works of art in their town hall to show strangers and tourists as choice rarities, the noble magistrate of Frankfurt, which has a town hall filled with curiosities and works of art, cannot show a single work by this man […] In spite of this, however, the fame and glory of this praiseworthy artist will not fade […]«. As we will shortly see, Frankfurt has since paid its debt to its native son. In striking contrast to Sandrart’s appropriation and hyperbolical eulogy of Elsheimer, Luigi Lanzi’s famous early nineteenth-century history of »Italian« art mentions Elsheimer quite briefly. Lanzi relegates Elsheimer to the category of »foreigners« and the ten lines he dedicates to him – in a six-volume mammoth work – repeat the common observation that in Rome the German artist, emphatically called »Adamo Elzheimer, o Adamo di Francfort, o Tedesco«, has refined his taste.14 Our next stop in this brief survey, or rather collection, of interesting episodes, is the end of the nineteenth century, an age not only prone to national ideas in general, but more partic-
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ularly so in the recently formed nation-state of Germany. In 1880, the art historian and museum director Wilhelm von Bode published his short monograph on Elsheimer, whose title seems to state explicitly to what extent the painter’s Germanness had become by then an essential fact to be insisted upon: the book was titled Adam Elsheimer. Der römische Maler deutscher Nation, or the Roman Painter of the German Nation.15 Bode’s agenda is clearly a conservative one, as he summons Elsheimer to deliver some art of »true feeling« to an age »fascinated by decadent art«. This mission is specifically national, however: Bode tells us, at the very beginning of his text, that Elsheimer was forced, in a period of decline of »our fatherland« almost as bad as »our current desperate state«, to travel abroad, but that he clung even there to his »German way« (Art).16 Later in the book, Bode returns repeatedly to the issue of Elsheimer’s Germanness, and to the sorry state of the country in Elsheimer’s days, which purportedly prevented the emergence there of real art. Wilhelm Seibt, in an 1885 text clearly written as a response to Bode’s first edition, also puts Elsheimer first in the context of art in Frankfurt; he uses Sandrart as his principle source. Although Seibt is very critical of many of Bode’s claims, his German/Netherlandish contextualization of Elsheimer is similar: he discusses the artists that influenced Elsheimer while still in Frankfurt, emphasizes the fundamental differences between him and Caravaggio (Elsheimer shows a »quiet sense of beauty«) and even frames his art by elaborated discussions on more general cultural trends in Germany.17 Given that Elsheimer was a relatively obscure artist, and since he was certainly not a member of the top »league« of painting stars, not much was written about him for about three centuries. And then suddenly, in the 1930s, the two most comprehensive, canonical monographs on the artist appeared at virtually the same time: Willi Drost’s Adam Elsheimer und sein Kreis, published in Potsdam in 1933, and then Heinrich Weizsäcker’s enormous Adam Elsheimer, der Maler von Frankfurt, published by the Deutscher Verein für Kunstwissenschaft in Berlin in 1936.18 It would be superfluous to elaborate extensively on the cultural atmosphere reigning in Germany in those years, and one can readily imagine that, once again, Elsheimer had to be inserted into a glorifying historiography of German art: German art as particularly, specifically German. Weizsäcker’s title seems to imply just that, e.g., that Elsheimer’s principal biographical feature was his coming from Frankfurt, that is, his being German, and that this fact automatically inscribed him into the newly established lineage of German art. This book, even more so than Drost’s, was published in a period when Nazism was already well established and its cultural project well under way. Although I will not claim that this is a piece of National Socialist art history as such, the historical context of the work cannot be ignored. A detailed analysis of these two massive works – incidentally still the largest Elsheimer monographs – cannot be offered here. But some details suffice to nuance – though not invalidate – the idea one might have of a German book about a German artist published in the mid-1930s. Drost begins with a very general cultural contextualization of Elsheimer’s art that appears, if anything, rather pan-European: it mentions Kepler, Shakespeare, Galileo just
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as much as it links Elsheimer to German figures such as Jakob Boehme.19 When the analysis becomes more specifically artistic, Drost continues to question Elsheimer’s influences and mixed cultural heritage; in fact, the single most important point in which he seems interested is the precise mapping of the painter’s genealogy in terms of schools. Drost extensively explores Elsheimer’s connections to former German masters – Dürer, Altdorfer, Grünewald, and Holbein – his proximity to painters from the Netherlands, to the Venetian »mannerists« and, finally, to Caravaggio. Every detail and element of Elsheimer’s art is linked either to one of these traditions or to an interaction between two of them. Arguably, this established what continues to be the main focus of Elsheimer scholarship even today. Whereas Drost’s final conclusion implies that Elsheimer gradually internalized his Italian influences and shed his »Germanness«, Weizsäcker, who discusses at length the same question of Elsheimer’s essential affiliation, takes a more Germanocentric point of view.20 As I have already mentioned, his title moves in this direction, and, although he opens by stating that Elsheimer became Roman in Rome, this is merely the prelude to an affirmation of his real roots as lying in his native, that is to say German, heritage. And yet Weizsäcker continues to identify Venetian and Roman elements in Elsheimer’s art, while describing the attempt to create a »German genealogy« for Elsheimer as a »play on words« and denying the possibility of speaking of a real »school of Frankfurt«.21 Ultimately, however, he concludes that Germany was the painter’s real and only spiritual homeland, and that his landscapes, at least, stem from a particularly German imaginative power and proximity to nature.22 After the war, Elsheimer was the object of scarce though not altogether non-existent scholarship. Keith Andrews, a Scottish scholar, was the one non-German art historian to write not only a monograph but also many articles on the artist.23 Otherwise, most of the scholars writing about Elsheimer were German, and the question of »schools«, though to a large extent now without nationalistic overtones, remained at the forefront of the art historical debate, in the same form of painstakingly listing elements from different schools commingling in specific works. This kind of discourse makes Elsheimer’s paintings seem like patchwork quilts of different artistic traditions, or strange products of cross-breeding, rather than as the works of a single creative mind.
Exhibiting Elsheimer Throughout the twentieth century, Elsheimer’s national affiliation has been a pressing issue for museum collections and exhibitions as well. By virtue of a series of historical circumstances, Elsheimer’s presence in European collections bears little connection with the geo/biography of the artist’s own career. Today, Elsheimer’s approximately 40 universally recognized paintings are more or less equally divided between German and British collections;2 4 Italy, however, the place where he reached artistic maturity and, indeed, worked for almost his entire adult life, does not hold, as far as is known, any paintings by Elsheimer, with
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the single exception of the Uffizi Self-Portrait, a work in Elsheimer’s corpus that is anomalous from nearly every point of view.25 Frankfurt is home to the most extensive collection of works by its native son; Munich, Braunschweig, Berlin, Dresden, Bonn and Cologne each own one or two Elsheimer works; London has at least five, Petworth a host of particularly small pieces (with one of the group residing in Montpellier), and Liverpool and Edinburgh two each. Other works have entered the collections of the Prado in Madrid, the Hermitage in Saint-Petersburg and the Kimbell Art Museum in Fort Worth, Texas. The museums that exhibit Elsheimer seem no less embarrassed about his »school« affiliation than do the art historians who write about him; indeed, this crisis is intensified by the fact that collections of Old Masters’ works, wherever they are, are almost invariably structured according to the »school principle«.26 The most striking example is the National Gallery in London, where, over the past ten or so years, Elsheimer’s place has shifted several times. Needless to say, artists with a clear »school identity« maintain a more stable hanging history in the formidable English national collection. To begin, up until nine or ten years ago, Elsheimer’s three works in the National Gallery’s collection were hung in a small room focused on examples of the Venetian influence on European painting; the room included, amongst others, works by Tintoretto, El Greco and, indeed, Elsheimer. Shortly thereafter, Elsheimer disappeared from the exhibition spaces for some time – further proof of his »minor master« status, at least in England – and reappeared in a room, or rather a corridor, with other small-scale works by artists working in Italy at the same time, though not including the »bigger« masters – bigger both in glory and in scale. Interestingly enough, never properly at home geographically, Elsheimer occupies a similarly ambiguous position temporally, working – both chronologically and stylistically – on the cusp between the sixteenth and seventeenth centuries. And indeed, in a museum organized into four wings, of which the middle two include sixteenth- and seventeenth-century works respectively, Elsheimer’s position remained temporally muddled as well. The last change to date in the National Gallery involved two simultaneous revolutions in the painter’s positioning: he was moved to the seventeenth-century wing and to the Flemish school rooms, as a sideshow to the works of his early admirer – Peter Paul Rubens. This time, the school affiliation of Elsheimer was taken in an even less literal way, since he was not Flemish nor had he ever even lived in Flanders. Elsheimer was nevertheless presented in London as a precursor to the greatest master of the Flemish Baroque. Elsheimer’s ambiguity, then, remains intact, despite museums’ need to subscribe to a particular painter’s »school«. As long as this remains one of the main criteria for organizing an art gallery, it cannot be ignored. Indeed, any decision will be interpreted as a geo-artistic – not to say geopolitical – choice.
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The 2006 Elsheimer Exhibition: Different Venues, Different Approaches But how should we treat Elsheimer now? The question remains as urgent as ever given that, as I have already intimated, 2006 stands out as a landmark year for this artist since it witnessed a large-scale itinerant Elsheimer exhibition – indeed the first comprehensive exhibition of the artist in 40 years. Not surprisingly, as a consequence of the collections that actually possess paintings by Elsheimer, the show’s venues were limited to Germany and the United Kingdom; unlike Elsheimer himself during his lifetime, his enigmatic paintings did not reach Rome or Venice this time around. The exhibition was launched by the Städelmuseum in Frankfurt in March, travelled to the National Gallery of Scotland in Edinburgh for the summer, and then closed at the Dulwich Picture Gallery in London. The show provides a unique opportunity to track the ways in which Elsheimer is being presented today in two or three different national contexts.27 This travelling exhibition comprised nearly all of Elsheimer’s extant paintings – indeed even their attribution remains a controversial topic for debate in Elsheimer studies. The show also included works on paper – significantly more in Frankfurt than in Britain – and some works after Elsheimer executed by his contemporaries and copyists. While these basic components were consistent in the various venues, what is striking is how different the shows actually were in terms of their spatial organization, their viewing conditions, and, most of all, in their accompanying discourse in wall texts, gallery notes and other accoutrements. Upon entering the Städel exhibition venue, the visitor would find two massive reproductions of early modern engravings representing two cities: Frankfurt and Rome, which flanked each side of the artist’s chronology. The curatorial message was unambiguous: the exhibition was essentially a tale of two cities. In other words, the exhibition told the story of an artist who wandered between his native city – the one, incidentally, in which this exhibition took place – and a foreign city, more precisely the most important centre of the arts at the time. The symmetrical installation self-reflexively reinforced the two cities as equal. No trace of the engravings and the two cities was to be found in the British venues; the difference was no less significant in the textual component of the introduction to the exhibition. The textual introduction included, in all three venues, two elements: wall text and a small, portable guide, available free of charge to curious visitors. In Frankfurt, the text stated from the very beginning that Elsheimer was that city’s greatest artist. The section of the museum’s website dedicated to the exhibition, announces in its first sentence that Elsheimer »is one of the few German artists of renown in the context of European Baroque painting«. Thus, Elsheimer’s »Germanness« is emphasized very early on, whereas the visitor to the National Gallery of Scotland would have had to read carefully Elsheimer’s life chronology in order to discover that the painter was in fact German. In London, the erasure of Elsheimer’s origin reached almost grotesque proportions, as the introductory wall text began unconventionally with the event usually relegated to the end: »Adam Elsheimer died in Rome on 11 December, 1610 – the same year as Caravaggio – aged only 32 years.« The most important
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event in Elsheimer’s life – the formative moment of his career – was, then, his death in such a well-chosen location. Moreover, the Scottish introduction cast Elsheimer as a universal artist; after stating that although he is not well known today, he had in fact been recognized in his own lifetime as a genius, the claim is substantiated by a long quote from »the great Flemish artist Peter Paul Rubens« and then by an Italian saying about Elsheimer. After mentioning Flanders and Italy, it was only in the second paragraph of the brochure that we learn that the artist was born in Frankfurt and that »his apprenticeship and early works were very much in the German tradition of the earlier sixteenth century.« The wall text panels within the exhibition space proper supplied this information only in the first room of the exhibition itself, whereas the general text included in the introductory space on the ground floor ignored it altogether. The Scottish exhibition website states that »Adam Elsheimer is one of the unsung heroes of in the history of European art« (my emphasis). In London too, Elsheimer’s »international« followers, such as Rubens, Rembrandt and Claude Lorrain, were mentioned early on; in a striking contrast to Frankfurt, it was here only the second paragraph of the introductory wall text that mentioned the artist’s hometown, and even that after a disclaimer stating that »little is known of his life«. Germany is not mentioned any more, and even the scholarship »on« Elsheimer is described as having reached a high point only in the writings of Keith Andrews, who presumably cleared the field of any previous partial and prejudicial scholarship, mainly German. The spatial organization of the exhibition also differed slightly, but significantly, from one venue to the next. Frankfurt’s installation, richer in drawings and copies and equal in the (almost complete) presentation of paintings, followed a more strictly chronological order. Here, again, the Edinburgh gallery opted for a »universalist« approach. Whereas its arrangement was also roughly chronological, it allowed for more flexibility in order to create interesting visual confrontations, symmetries, and dramatic presentations. In London, the exhibition as a whole was relegated to a smaller, peripheral venue, there to be almost seamlessly integrated into the Dulwich’s permanent collection. The German variation of the exhibition seemed, then, surprisingly in tune with Sandrart’s project of three centuries ago: to insert Elsheimer into a canon and lineage of specifically German art. This was supplemented by a healthy dosage of local patriotism, as the artist was celebrated not only as German, but more specifically as the son of a city that has failed to enjoy much fame in the field of the visual arts over the centuries. One brochure tells us that »Elsheimer was closely attached to his city of birth«, just before boasting that the museum’s collection of the artist’s works is, incidentally, »the biggest in the world«. The British public, one can assume, was deemed less sensitive to this kind of discourse; ostentatious Germanness could either alienate or leave the public indifferent, less because of history’s painful memories than simply because Germany, as a land of art, does not generally have an appealing aura. Italy, on the other hand – Elsheimer’s adopted country – is a more promising marketing anchor for any artistic enterprise, a fact that could have been exploited even more strongly in a British context. Although the exhibition was jointly organized by institutions
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from both countries, it was modified according to the different functions it should – and could – have had within their respective cultural national discourses and contexts. The »schools paradigm« was thus overtly invoked in the German context but wilfully blurred in the British one. After all, Britain’s own irrelevance to Elsheimer’s life and work could only be countered by insisting on the universal value of his art. Another significant component of this triple exhibition and its surrounding discourse is its catalogue, indeed the most important scientific, posterity-oriented product of every exhibition today.28 Here it is more difficult to discern the national discourse since the Englishlanguage and the German-language versions of the book are identical down to their pagination, graphic design, and format – a rare occurrence in exhibitions travelling between countries in which different languages are spoken. Only the cover design differentiates the two versions of the book, a difference that serves to make a practical distinction between the two more easily discernible. Whereas in the exhibition itself the question of Elsheimer’s nationality was never explicitly explored, and its ambiguities only deduced from the chronology of the painter’s life, the catalogue addresses the nationality/school problem in a different way. Instead of emphasizing the importance of schools by differentiating between national groups of visitors, it tackles directly, in the text itself, the question of Elsheimer’s identity. This engagement with the dilemma, however, maintains the traditional approaches and prejudices that have shaped arthistorical accounts of this artist from his lifetime onward. The main catalogue essay, by Rüdiger Klessmann, follows the familiar narrative vein of Adam Elsheimer, His Life and His Art, providing a linear account of the artist’s career. As such, the piece resembles most closely the Frankfurt installation, and indeed its emphasis on beginnings, sources and origins – for every stage of Elsheimer’s career – coheres with earlier attempts to locate the painter’s »school affiliation« in precise terms and with an art history that sees artistic development as explicable, rational and teleological. More specifically, in Klessmann’s article the Flemish sources are minimized in importance, whereas the »altdeutsche« genealogy is repeatedly brought to the fore and the importance of Italy and, in particular, Venice is also given pride of place.29 Thus, expressions such as »mediterrane Klang der Malerei« and »altdeutsch empfundene Detailfreude« allude to the eternal obsession with linking artistic characteristics to national identities.30 The painstaking analysis of precisely what is »German« and what is »Italian« in Elsheimer’s different works thus continues uninterrupted. The second major essay in the catalogue discusses a different theme altogether: the much more specific issue of Elsheimer’s works in British collections.31 Emilie Gordenker’s text aims to explain the peculiar phenomenon of Elsheimer’s ubiquity in a country that has no claim on the artist’s identity and that is, geographically, quite distant from the trajectory of Elsheimer’s life. Though the issue merits consideration, a second, parallel question remains completely ignored: how can one explain Elsheimer’s even more pronounced presence in German collections? The vast majority of the paintings that are today in German collections
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were not painted in Germany; one can only take for granted their presence if one is taking very seriously Elsheimer’s German »nationality« and identity. If Elsheimer was indeed a German painter, then it might not be surprising that his works ended up in his country; otherwise, the question is as intriguing as his many paintings’ presence on British soil. In fact, Gordenker’s essay tells us that some German collections acquired works by Elsheimer at a later stage than their British counterparts. In this case, a very strong case can be made for a particularly German interest in Elsheimer as part of a newly invented German canon, given his re-adoption by his compatriots centuries after his death; this phenomenon, however, is never discussed in the catalogue, as if these paintings’ long journey from Italy, often via other countries, to the painter’s native country merits no explanation. Gordenker also observes that in the seventeenth century some paintings by Elsheimer were in Italian collections, which then consistently sold or donated them, so that today only one work by Elsheimer remains in the very country where he spent most of his career. For a discussion of national artistic identities, it would be very interesting to find out why such a talented artist garnered so little respect in Italy that collectors seemed to make an effort to remove his works from their collections. Did they perceive something quintessentially German in his paintings, something that no Italian training could possibly »italianize«? This is a, if not the, critical factor in studying this artist, who seems simultaneously to transcend nationalities and to have them irremediably stick to him, and yet this issue remains unaddressed in the catalogue and, indeed, in the exhibition itself.
Elsheimer’s Inherent Ambiguity Perhaps instead of deciding if Elsheimer is more German than Italian, more Roman than Venetian, or more Flemish than Frankfurtian, we should reformulate the question of Elsheimer’s identity entirely. Perhaps its very ambiguity and undecidability is one of Elsheimer’s great strengths. It seems, in fact, that contemporary currents in cultural analysis supply us with some new tools that can make Elsheimer a more complex, and less categorical, object of study. Through Elsheimer, the larger issue of »schools« can thus receive a fresher and more productive look. Although some of these tools are concepts originally developed to address phenomena in our contemporary world, they are surprisingly well-suited for talking about Elsheimer. While the use of such concepts is obviously anachronistic, so too is, in any case, writing on Elsheimer from the vantage point of the twenty-first century; in fact, art history, or any historical discipline for that matter, often involves the use of an arsenal of concepts derived from the writer’s world for analyzing an artist’s works from an earlier time – the only variation is the extent to which this inevitable anachronism is recognized and defined as such. In the context of Elsheimer, consider, for instance, »hybridity«: the idea that cultural objects – and, even more so, cultural subjects – should never be analyzed as demonstrating some kind
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of purity, but are instead always a mixture of diverse, perhaps incompatible, components. The whole notion of a »school« seems unproductive when considered with this contemporary idea in mind. It is, however, the case that artists in Elsheimer’s time were in no respect more easily divided into pure categories than are cultural agents in our own contemporary world. And whereas no artist is intrinsically »pure«, some are more hybrid than others. Elsheimer is a case in point, and thinking of him in that way might not only stave off the eternal impulse to account for (and the resulting confusion concerning) his artistic »homeland«, but also possibly undermine the very foundations of the entire »school system« as an efficacious organizational premise. When art historians analyzed the different influences on this painter’s development, they did, to be sure, describe him as a mixture of several cultures; but the different components were left as discrete, easily identifiable units of »Germanness«, »Roman art« and so forth. Real hybridity, on the other hand, cannot be separated out into its constituent parts; it is always already (and necessarily) a fusion that can only be treated as such. Thus, both declaring Elsheimer a pure German artist and showing how different elements in his art derived from different traditions will not suffice: the elements themselves are far from pure, and mere attribution of them to specific »sources« is sometimes a dangerous cliché. Another concept developed in order to theorize contemporary culture, closely related to »hybridity«, is what Mieke Bal has called »migratory aesthetics«.32 Again, the concept seems to fit Elsheimer in more ways than one: he was not only literally a nomadic personality, a migrant, but also, artistically, the creator of an »unfixable« aesthetics, an aesthetics »on the move«. As we have seen in the National Gallery of London, for example, the result is sometimes the physical mobility of Elsheimer’s works inside a system based on relative stability. In other cases, one has to analyze carefully Elsheimer’s style in order to reach the conclusion that the intellectual game of distinguishing the different national artistic traits of his work is both challenging and ultimately vain. Not because of some artistic unity or integrity that prevents the fragmentation of his art, but rather simply because the interaction of different traditions is far too complex and starts far too early to make such an analytic endeavour possible. In short, the different components of the hybrid style are themselves hybrid. The undecidability of Elsheimer’s national affiliation is, in my opinion, symptomatic of deeper historical phenomena. A link can be shown between the emergence of early baroque tenebrism – painting whose main physical component is darkness – and contemporary epistemological currents. In an attempt to suggest a different archaeology of modernity, the years around 1600 can be thought of as pivotal in that paintings whose visibility was emphatically problematic were produced in the same cultural environment that saw the emergence of new skepticisms such as that of Montaigne and, more subtly, Giordano Bruno. Caravaggio is, of course, the main protagonist of tenebrism, but Elsheimer was also, significantly, known to be a master of nocturnal scenes. Moreover, Elsheimer’s works often contain an extremely sophisticated play on questions of vision and knowledge, epistemological fissures through which an entire epistemological crisis can be glimpsed.33
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If this reading of Elsheimer is valid, then it would be appropriate to extend it to other questions related both to his person and to his art, and the epistemological status of the »nationality« question should not be an exception. Discussing this question requires the same inherent ambiguity and the same sense of nuance that Elsheimer’s small, highly subtle paintings demonstrate at such a high level. Poised before these complex works, the art historian is forced to suspend judgment, and, along with it, to use significant quantities of that rare commodity that I would simply call interpretative tact.
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1 Thomas DaCosta Kaufmann: Toward a Geography of Art, Chicago and London 2004, pp. 25–26. DaCosta Kaufmann’s main point is precisely the historicity of art historical geography and, conversely, the dependency of art historical writing on constructed notions of place. 2 Ibid., p. 29. 3 Ibid., p. 38 and p. 46. 4 Hubert Locher: Kunstgeschichte als historische Theorie der Kunst, Munich 2001, pp. 99–202. For Locher, it is only at the aftermath of the enlightenment that art historians begin to distinguish different national schools, and during the nineteenth century the schools are linked to the specific character of each nation (ibid., p. 106). He discusses Winckelmann as a prime example (ibid., pp. 109–122), for the myth of a specific character of German art is structured as similar to the myth created by the German art historian concerning Greek art (ibid., p. 128). 5 Ibid, p. 156. 6 Ibid., pp. 195–196. 7 Timothy Brennan: At Home in the World: Cosmopolitanism Now, Cambridge/MA. and London 1997. 8 Cf. Carel van Mander et al.: Lives of Adam Elsheimer, London 2006, p. 39, trans. Keith Andrews; Karel van Mander: The Lives of the Illustrious Netherlandish and German Painters, from the first edition of the Schilder-boeck (1603–1604), ed. by Hessel Miedema, Doornspijk 1994, p. 443. 9 In fact, Elsheimer’s Netherlandish connections are so well-known that the Spanish painter Jusepe Martinez, writing in 1673 some decades after seeing Elsheimer’s Exaltation of the Cross in Rome, speaks about him as »a Flemish painter who had studied in Rome for fifteen years, called Adam del Samar« van Mander (Lives of Adam Elsheimer) 2006 (as note 8), p. 47. This is less surprising if we remember the fact mentioned by DaCosta Kaufmann, that »[i]n the early seventeenth century Netherlanders constituted almost 20 percent of the population in Frankfurt am Main, where […] they also largely dominated the visual arts« DaCosta Kaufmann 2004 (as note 1), p. 117. 10 After all, as notes DaCosta Kaufmann, »differences within the Italian peninsula […] could be as great as those between places in Italy and those beyond the Alps or seas« Da Costa Kaufmann 2004 (as note 1), p. 192. 11 Having said that, Italy and Germany were a topos of very different, even contrasting and incompatible approaches to art, so that the placing of Elsheimer between these two worlds is particularly poignant; cf. DaCosta Kaufmann 2004 (as note 1), pp. 192–193. 12 Quoted in Willi Drost: Adam Elsheimer und sein Kreis, Potsdam 1933, p. 10, also included in: van Mander (Lives of Adam Elsheimer) 2006 (as note 8), p. 43. Translation I. Sapir. 13 Cf. Joachim von Sandrart: L’Academia Tedesca della Architectura, Scultura & Pittura, Oder Teutsche Academie der Edlen Bau-, Bild-, und Mahlerey-Künste, Nürnberg 1675, pp. 294–295; Elsheimer’s biography can also be found in: van Mander (Lives of Adam Elsheimer) 2006 (as note 8), pp. 65–84. 14 Luigi Lanzi: Storia pittorica della Italia dal risorgimento delle Belle Arti fin presso al fine del XVIII Secolo, ed. terza, tomo secundo (Scuola Romana e Napolitana), Bassano 1809. 15 I refer here to the much later edition of the study, Wilhelm von Bode: Adam Elsheimer. Der römische Maler deutscher Nation, Munich 1920.
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16 Bode 1920 (as note 15), p. 15 (»Um unsere Zeit, die sich für dekadente Kunst begeistert, dem Genuß wahrer tiefempfundener Kunst wieder zuzuführen, sind die Werke dieses jung verstorbenen Freundes von Rubens, seines Genossen während seines mehrjährigen Aufenthaltes in Rom, besonders geeignet. Sie sind es zumal für uns Deutsche, vor allem in unserer jetzigen verzweifelten Lage, weil sie uns einen Künstler kennen lehren, der in der Zeit eines Verfalls unseres Vaterlandes so tief fast, wie der von heute, gezwungen war, in das Ausland zu gehen, um sich als Künstler auszubilden, und dort als Künstler zu schaffen, und der dabei seine deutsche Art doch gewahrt, ja erst zu voller Reife und Reinheit entwickelt hat«). 17 Wilhelm Seibt: Studien zur Kunst- und Culturgeschichte, vol. IV: Helldunkel 2. Adam Elsheimer’s Leben und Wirken, Frankfurt am Main 1885. 18 Drost 1933 (as note 12); Heinrich Weizsäcker: Adam Elsheimer, der Maler von Frankfurt, vol. I, Berlin 1936. 19 Ibid., pp. 16–17. 20 For Drost 1933 (as note 12), p. 25, Elsheimer spent his first years in Rome trying to efface his lateGothic German heritage, which made his paintings lose their vivacity, and appear somewhat schematic; only from 1604 on did he develop a more personal expression (p. 26), though Drost does not say that this was achieved by returning to the afore-mentioned German elements. A similar process of gradual liberation from early, northern influences and growing Italian influence is described in Götz Adriani: Deutsche Malerei im 17. Jahrhundert, Köln 1977, p. 16. 21 Weizsäcker 1936 (as note 18), p. 296. 22 Ibid., pp. 301–303. 23 Cf. Keith Andrews: Adam Elsheimer: Paintings, Drawings, Prints, Oxford 1977. 24 Already in 1792, Jean-Baptiste Le Brun reports that Elsheimer’s »most excellent (works), although generally rare, are found in Germany« van Mander (Lives of Adam Elsheimer) 2006 (as note 8), p. 90. 25 The Uffizi self-portrait is of a bigger scale than other Elsheimer paintings, it is painted on canvas rather than copper, and it is the only known painted portrait he has made. 26 Needless to say, this phenomenon also has a history: DaCosta Kaufmann places the beginning of exhibition spaces organized according to national schools at the end of the eighteenth century, and gives as examples the Uffizi in Florence and the Upper Belvedere in Vienna; see DaCosta Kaufmann 2004 (as note 1), p. 39. The persistent survival of such practices is further discussed by DaCosta Kaufmann, who gives interesting examples from museums, university curricula and book series (ibid. p. 100); for museums, see also Locher 2001 (as note 4), p. 107. 27 The question of whether England and Scotland should be considered one and the same or two distinct »nations« is of course highly charged, and the present essay does not seem to be an adequate place for expressing an opinion on this issue. 28 Michael Maek-Gérard (ed.): Im Detail die Welt Entdecken. Adam Elsheimer 1578–1610, Frankfurt am Main 2006 (German version); Michael Maek-Gérard (ed.): Adam Elsheimer 1578–1610, Edinburgh 2006 (English Version). 29 Rüdiger Klessmann: Adam Elsheimer, sein Leben und seine Kunst, in: Maek-Gérard 2006 (as note 28), p. 12.
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30 Ibid., p. 15 and p. 21. 31 Emilie E.S. Gordenker: Verborgene Schätze. Elsheimers Gemälde in Großbritannien, in: Maek-Gérard 2006 (as note 28), pp. 193–203. 32 See, for example, Mieke Bal: Migratory aesthetics, in: Another Publication, Rotterdam 2008, pp. 13–19. 33 For Elsheimer’s epistemological significance, see my article Narrative, Memory and the Crisis of Mimesis. The Case of Adam Elsheimer and Giordano Bruno, in: The Travelling Concept of Narrative, in: Collegium 1/2006, pp. 84–96, URL: http://www.helsinki.fi/collegium/e-series/volumes/volume_1/ index.htm; For Caravaggio, see my article L’art, transmission d’un savoir? in: Images Re-vues I/2005, http://www.imagesre-vues.org/Article_Archive.php?id_article=2.
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DIE FARBEN DER HEIMAT Zur Ideologisierung des Lokalkolorits in der Malerei Emil Noldes MATTHIAS KRÜGER
Bunte Stimmungen über der Marsch Das um 1930 gemalte Aquarell Abendhimmel über der Marsch ist ein typischer »Emil Nolde« |Abb. 1|. Über einer Landschaft mit einem sehr flachen Bodenrelief ballt sich ein buntes Wolkengebirge aus roter, gelber und tiefblauer Farbe, das sich nur auf der rechten Bildseite etwas lichtet. Auf der in gelblich grünen und braunen Farbtönen gemalten Ebene ist links ein Haus zu erkennen, das mit einer dahinter angedeuteten Baumgruppe zu einer Einheit verschmilzt. Die Glut der Farben, in der die Wolken gemalt sind, die relative Dunkelheit der Ebene und das Verschwimmen der Konturen lassen an eine Abendstimmung denken – eine Assoziation, die im Bildtitel aufgegriffen wird. Die von einem bewölkten Himmel überspannte weite Ebene der nordfriesischen Marsch ist von Nolde immer wieder dargestellt worden. Bisweilen ist auf ihr ein Gehöft oder eine Mühle zu sehen, manchmal findet sich hier ein Priel oder ein Binnensee, seltener noch ein paar weidende Tiere: Kühe, Schafe oder Pferde. Doch wirken diese Elemente in der Weite der Landschaft oft verloren, ja, sie betonen die Unermesslichkeit der Landschaft eher, als dass sie diese zu durchbrechen vermögen. Nicht diese Szenerie indes ist es, die diesen Bildern ihren unverwechselbaren Reiz verleiht. Was jeden kundigen Betrachter sofort an Nolde denken lässt, ist vielmehr das kraftvolle Kolorit, das die dargestellte nordfriesische Landschaft in die unterschiedlichsten Stimmungen taucht.
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1 Emil Nolde: Abendhimmel über der Marsch, um 1930, Aquarell auf Papier, 34,3 × 48 cm, Privatsammlung
So typisch das Aquarell Abendhimmel über der Marsch auch für Noldes Bilder der nordfriesischen Marsch ist, so war der Künstler weder der erste, der die Marsch für sich als Bildmotiv »entdeckte«, noch kann er als der Erfinder des beschriebenen Bildschemas gelten. Ein mögliches Vorbild für Nolde dürfte etwa der eine Generation ältere Heimatmaler Hans Peter Feddersen (1848–1941) gewesen sein, dessen Bilder der nordfriesischen Marsch denjenigen Noldes nicht nur in der Strenge des Bildaufbaus gleichen, sondern auch in ihrem Kolorit mit diesen konkurrieren können |Abb. 2|. Wie bei Noldes Landschaften waren es bei Feddersen vor allen die Wolken, die Farbe in seine Bilder brachten. Die Wolken und die Nebelmassen, so urteilte Gustav Schiefler, der dem Künstler 1913 eine Monographie widmete, seien die handelnden Figuren in seinen Gemälden. In ihrem Kolorit erweise Feddersen die ganze Kraft seiner künstlerischen Phantasie.1 Dennoch waren die Farben für Schiefler keine rein subjektive Zutat von Seiten des Malers. Vielmehr vertrat er die Meinung, dass auf den Bildern Feddersens Wind und Wetter derart präzise festgehalten seien, dass sie es einem Meteorologen ermöglichen würden, die Temperatur und Windstärke zu ermitteln, die der Künstler in der Natur vorgefunden habe.2 Auch in der Nolde-Literatur wird immer wieder die Meinung vertreten, dass die Werke des Künstlers ihre Eigenart im Wesentlichen dem Charakter der Landschaft verdankten, in die Nolde hineingeboren war. Aufgrund ihrer Lage an der Nordsee, deren Winde ungehindert über das flache Land hinwegziehen, ist die nord-
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2 Hans-Peter Feddersen: Wolkenstimmung, o. D., Aquarell, 2 4 × 30 cm, Privatsammlung
friesische Marschlandschaft einem ständigen Wetterwechsel ausgeliefert. Der dadurch bewirkte ständige Wandel der atmosphärischen Stimmungen wurde in zeitgenössischen Heimatbüchern gern als der besondere Reiz eines ansonsten recht eintönigen Landschaftsbildes herausgestellt: »Das Landschaftsbild, das sich hier dem Auge bietet, hat nichts von dem unmittelbar bestrickenden Reiz, der von der sozusagen ständig im Sonntagsstaat prangenden Ostseeküste ausgeht. Die eigenartige Schönheit der Marschlandschaft erschließt sich nicht dem flüchtig Durchreisenden, der hier nur langweilige Eintönigkeit zu sehen glaubt, sondern erst dem, der wochen- und monatelang mit offenen Sinnen darinnen lebt; dem aber wird die Marsch mit ihrem schier unerschöpflichen Wechsel der Luftstimmungen, die jedes Mal den Charakter der Landschaft völlig zu verändern scheinen, zu einem starken Erlebnis: diese Vermählung von Kraft und Größe mit Zartheit und Duft, diese Durchdringung schrankenloser Weite und Freiheit mit vollkommenster Abgeschlossenheit und mitunter fast beklemmender Einsamkeit hat etwas ungemein Beruhigendes und doch zugleich Befreiendes, was aber nicht wie die Heide den Besucher in Träumerei einlullt, sondern vielmehr die ursprünglichen gesunden Kräfte zu neuem Schaffen auslöst.«3
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Während die Marschlandschaft also dem Touristen, dem flüchtig Durchreisenden, nicht nur reizlos, sondern in ihrer Monotonie geradezu langweilig erscheinen müsse, werde sie sich demjenigen, der in ihr lebe, in ihrem ganzen Reichtum offenbaren. Wenngleich nämlich die sich endlos erstreckende Ebene oberflächlich betrachtet eintönig wirke, erschlösse sich dem aufmerksamen Betrachter im ständigen Wechsel der »Luftstimmungen« eine Fülle von transitorischen Eindrücken.4 Das Heimatbuch bleibt jedoch nicht bei einer reinen Beschreibung der landschaftlichen Stimmungen stehen, sondern schildert zugleich die beruhigende und befreiende Wirkung, die sie auf das Gemüt des Betrachters ausübten. Dabei werden der Landschaft zugleich bestimmte moralische Eigenschaften zugeschrieben. So zeichnet sich der gepriesene Charakter der Marsch eben dadurch aus, dass ihm nichts Bestrickendes, Einlullendes eigne, dass sie also nicht zur Passivität verführe, sondern dass sie vielmehr im Gegenteil zu neuer Schaffenskraft und neuem Tatendrang ansporne. Dass Nolde solche Wertungen teilte, zeigt eine Passage aus seiner Autobiographie, in welcher er das nordfriesische Marschland in sehr ähnlichen Worten beschreibt: »Es gibt Menschen, welche absolut nicht verstehen können, daß wir, die es wohl auch anders haben könnten, in dieser flachen, ›langweiligen‹ Gegend wohnen mochten, wo es keinen Wald gibt und keine Hügel oder Berge, und wo nicht einmal an den Ufern der kleinen Wasser Bäume sind. So denken wohl alle üblichen, schnell durchfahrenden Reisenden. – Unsere Landschaft ist bescheiden, allem Berauschenden, Üppigen fern, das wissen wir, aber sie gibt dem intimen Beobachter für seine Liebe zu ihr unendlich viel an stiller, inniger Schönheit, an herber Größe und auch an stürmisch wilden Leben.« 5 Auch Nolde kontrastiert also den oberflächlichen Blick des »schnell durchfahrenden Reisenden« dem eines intimen Beobachters, der sich ganz in die Landschaft versenkt. Ersterer, nur für eine aufreizende Schönheit empfänglich, bleibt für den spröden Charme der Marsch unempfindlich, während letzterer für seine Immersion reichlich belohnt werden soll: nämlich durch die unerschöpfliche Mannigfaltigkeit der in der Marsch auftretenden Stimmungen. Auch Noldes Schilderung sind moralische Wertungen implizit: Der Oberflächlichkeit wird Intimität, dem Buhlerischen Bescheidenheit, äußerlicher Opulenz Innigkeit und dem Süßen das Herbe entgegengesetzt. Noldes Ansicht, dass das Bescheidene, Intime, Innige und Herbe spezifische Eigenschaften nicht nur Nordfrieslands, sondern allgemein des Nordens darstellten, wurde dabei von vielen seiner Zeitgenossen auch mit dem ihm zugrunde liegenden Werturteil geteilt. Die verbalen Beschreibungen scheinen in Noldes und Feddersens Bildern ihre Entsprechung zu finden: Die Bilder zeigen stets dieselbe weite, monotone, von einem flachen Horizont hinterfangene Ebene, deren Strenge durch die wenigen stereotypen Einsprengsel kaum gemildert wird. Wäre da nicht die Farbe, die Bilder schienen austauschbar. Die Farbe jedoch taucht jedes einzelne in eine nur ihm eigene Stimmung, deren Spektrum durchaus von »stiller, inniger Schönheit« bis zum »stürmisch wilden Leben« reicht.
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Die Farben der Heimatmaler Nolde und Feddersen hatten sich nicht nur wochen- und monatsweise, sondern Jahre in dieser Landschaft aufgehalten und sie versuchten genau den geschilderten »unerschöpflichen Wechsel der Luftstimmungen« in ihren Gemälden festzuhalten. Sie taten damit das, was allgemein gern als Leistung der Heimatmalerei herausgestellt wurde, nämlich Schönheit auch in scheinbar anspruchslosen Landschaften entdeckt zu haben. 1895 waren es die Worpsweder, denen von Seiten der Kritik das Verdienst angerechnet wurde, die Schönheit des Moores für die Malerei erschlossen zu haben. In diesem Fall war es nicht der »unmittelbar bestrickende Reiz« der Ostseeküste, sondern die Anmut des Südens und die Erhabenheit des Gebirges, die mit der schlichteren, jedoch deshalb nicht weniger eindrucksvollen Schönheit der Moore verglichen wurde: »Das Moor galt sonst als der Inbegriff landschaftlicher Oede, Einförmigkeit und Trostlosigkeit, und nun hier in den Gemälden, welcher Reichtum an malerischen Motiven, welche Farbentönung, welche Fülle individuellen Lebens! Dieses weltabgelegene Worpswede mit seiner Umgebung ist, wie sich nun durch die Entdeckung dieser Künstler-Vereinigung herausgestellt hat, ein wahres Eldorado für Maler, so reich, wie die schönsten Stätten des gepriesenen Südens und der majestätischen Hochgebirge.«6 Was Worpswede und seiner Umgebung seinen so singulären Charakter verlieh, war nach Ansicht der Künstler und ihrer Förderer jener bereits in dieser frühen Kritik herausgestellte Reichtum an Farbentönung. Besucher des Ortes vermeinten Worpswede in einer ungeahnt »lodernden Farbenpracht« zu erleben, in der jeder Gegenstand zu phosphoreszieren schien – eine Farbenpracht, die den Kunsthistoriker Richard Muther bei einem Besuch des Teufelsmoors zu der Frage provozierte: »Haben diese Bauern einen Farbendämon im Leib? Oder ist’s die Luft, die weiche, feuchtigkeitsgesättigte Luft, die alles so farbig macht, so tonig und strahlend?«7 Der eigentliche Ausgangspunkt solcher Beobachtungen dürfte freilich nicht so sehr in der Landschaft selbst, als in den Gemälden der Worpsweder Künstler gelegen haben. Als Beispiel kann hier etwa Otto Modersohns Bild Herbstmorgen am Moorkanal von 1895 dienen, in welchem die herbstliche Färbung der Landschaft, die Spiegelung der Bäume im Wasser und die reiche Textur der Pinselstriche dafür sorgen, dass man die Farbe als flirrend wahrnimmt |Abb. 3|. Die Glut der Farben, welche sich über die Worpsweder Malerei ergoss, verbreitete sich bald wie ein Flächenbrand über die deutsche Heimatmalerei. Bereits 1910 konnte den Heimatmalern dafür gedankt werden, »uns die Augen wieder für die heimlichen Schönheiten der heimischen Landschaft geöffnet haben.« Mochte demnach die landschaftliche Gestaltung an Abwechslung entbehren, so wurde dieser Mangel durch den stetigen Wandel ihrer farbigen Erscheinung mehr als kompensiert:
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3 Otto Modersohn: Herbstmorgen am Moorkanal, 1895, Öl auf Leinwand, 96 × 151 cm, Worpswede, Museum am Otto-Modersohn-Haus, Sammlung Bernhard Kaufmann
»Wir wissen nun von neuem alles das zu schätzen, was wir an Schönheiten auf unseren Feldern und Triften besitzen, und wir haben gelernt, auf das reiche Farbenspiel zu achten, das täglich anders, aber stets reizvoll und beglückend, je nach der Tagesstunde und Jahreszeit, je nach der Sonnenklarheit und Nebeldämmerung über unsere nächste Umgebung mit all ihrer bescheidenen Flächenabwechselung leuchtet.«8
Farbe und Klima Die Auffassung, dass es die klimatischen Bedingungen waren, die einem Ort seine spezifische Farbigkeit, sein Lokalkolorit verliehen, ist ein Gedanke, der sowohl in der Heimatliteratur als auch in kunsttheoretischen Schriften der Zeit immer wieder auftaucht. Er begegnet einem auch in einer erstmals 1901 publizierten Abhandlung Alfred Lichtwarks über die Erziehung des Farbensinns. Für Lichtwark stand fest: »Der Feuchtigkeitsgrad der Luft, der Stand der Sonne, die unendlich kleinen Staubteilchen, die die mechanische Wirkung der Luft und des Lichtes von den Körpern loslöst und die in der Atmosphäre eines Kalkgebirges anders das Licht brechen als in der Granitformation oder am Salzmeer, bedingen sehr grosse Unterschiede.«9
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Solchen Unterschieden maß Lichtwark eine große Rolle bei der Ausbildung des Farbsinns zu. Er ging davon aus, dass dieser sich aufgrund dieser Gegebenheiten je nach der Gegend, in der man aufwuchs, verschieden entwickle. So sah er etwa für angehende Künstler eine Gefahr darin, die heimatlichen Gefilde zu früh zu verlassen. Wie widrig ein solcher Schritt für die Entfaltung des Farbsinns sei, belegt Lichtwark anhand einer Reihe Hamburger Künstler, die – sei es, um andernorts ein Akademiestudium aufzunehmen, sei es, um Italien oder andere ferne Länder zu bereisen – bereits in jungen Jahren das Weite suchten, um schließlich in den Schoß der Heimat zurückgekehrt die bittere Erfahrung machen zu müssen, »den Ton und die Farbe der heimatlichen Landschaft jahrzehntelang nicht mehr treffen zu können«.10 Die Liste beginnt mit Julius Oldach, über den es bei Lichtwark lakonisch heißt, nach seiner Lehrzeit bei Cornelius in München sei »sein Auge hin wie eine Stimme, die einen ungeeigneten Lehrer gehabt hat«.11 Laut Lichtwark hinderte die unterschiedliche Disposition des Farbsinns die Maler aber auch daran, ein ihnen fremdes Lokalkolorit in ihren Bildern richtig zu erfassen. Diese vermeintliche Gesetzmäßigkeit galt für den damaligen Direktor der Hamburger Kunsthalle nicht nur in Blick auf die Heimatmaler, sondern war eine naturgegebene Gesetzmäßigkeit, dem sich selbst das sensibelste Auge zu beugen habe: »Hat doch selbst der scheinbar objektivste französische Landschafter, dessen Formel mit einer fast mathematischen Sicherheit das Wesen von Farbe und Licht zu bezwingen scheint, Claude Monet, wenn er eine Reihe grün gestrichener holländischer Häuser hinter Bäumen am Wasser festhält, das farbige Wesen der Seineufer mit hineingemalt.«12 Lichtwark war sogar überzeugt, dass die unterschiedliche Gewöhnung des Auges dazu führe, dass Bilder französischer Landschaftsmaler von einem deutschen Betrachter nicht ganz verstanden werden könnten. Auch Nolde war von einem solchen Naturgesetz überzeugt. Immer wieder kommt er in den Lebenserinnerungen auf den Nord-Süd-Gegensatz zu sprechen: »Die südlich geborenen Menschen sind gewandter als wir, mit zartem weicherem Sinn, und sie mögen das herbere, dynamische Eckige der nordischen Völker nicht. In peitschendem Regen, in Frost und Sturm und Schneegestöber fühlen wir in der Kälte geborenen Menschen uns herzlich wohl, ja wir lieben das Toben der Elemente dort, wo der Südländer friert. In der Kunst ist es auch so […]. «13 Aus diesem Grund hätten seine auf einer Ausstellung in Venedig gezeigten Bilder bei den Italienern nur Grauen auszulösen vermocht, ja, schon in München habe man für seine herbe Kunst nur geringes Verständnis. Dass die klimatischen Bedingungen Einfluss auf die künstlerische Produktion eines Landes auszuüben vermöge, ist ein sehr alter Topos, der im 19. Jahrhundert vor allem von der positivistischen Kunsttheorie aufgegriffen wurde. Deren
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prominenteste Vertreter, Hippolyte Taine, hatte in seiner Philosophie de l’art den Unterschied zwischen der italienischen und niederländischen Kunst auch mit dem verschiedenen Klima erklärt: »Die Objekte sehen nun einmal anders aus, je nachdem, ob man sich in einer trockenen Gegend, wie zum Beispiel in der Provence und in der Umgebung von Florenz befindet oder in einer feuchten Ebene, wie in den Niederlanden. In der trockenen Gegend ist die Linie vorherrschend und zieht als erstes die Aufmerksamkeit auf sich. Die Berge zeichnen sich am Himmel wie mächtige, in großem und edlem Stil errichtete Bauten ab, alle Gegenstände erheben sich scharfkantig in der klaren Luft. Hier jedoch hat der flache Himmelsrand nichts Anziehendes und die Umrisse der Dinge werden von dem unbemerkbaren, ewig in der Luft liegenden Dampf aufgeweicht, verwischt und getrübt; vorherrschend ist der Fleck.«14 Taines Gegenüberstellung von nordischer und südlicher Malerei wurde zum Topos, der sich auch noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts durch die Kunstliteratur zog. Auch Noldes Begriffe vom Nordischen und Südlichen zehren davon. Die Vermutung liegt daher nahe, dass Vorstellungen dieser Art ihn auch bei der Konzeption und Ausführung seiner Werke beeinflussten. In Abendhimmel über der Marsch nutzt Nolde die Vorteile der Aquarelltechnik, um mit ihnen Umrisse zu erzielen, die sich zweifelsohne treffend mit den Worten »aufgeweicht, verwischt und getrübt« beschreiben lassen. Das Bild weckt zugleich jedoch in anderen Hinsichten Erinnerungen an die niederländische Malerei – etwa in der Evokation einer bestimmten Atmosphäre – galten doch die Landschaftsmaler Hollands als Spezialisten auf diesem Feld. Oswald Spengler zufolge malten sie sogar »ganz eigentlich nur Hintergründe, nur Atmosphäre«.15 Vor allem aber ist es das gewählte Bildschema – der niedrige, flache Horizont, über dem sich ein fast das gesamte Bildfeld einnehmender Himmel wölbt –, ein Bildschema, wie es einem so oft in den Bildern Jacob Ruisdaels und Jan van Goyens begegnet, das dafür spricht, dass Nolde auch bewusst auf die Tradition der niederländischen Landschaftsmalerei zurückgriff.
»Schwarzrothgold« Diese Vorbildfunktion der niederländischen Malerei mag sich schon deswegen angeboten haben, weil die holländische Landschaft derjenigen Schleswig-Holsteins topographisch sehr ähnlich ist. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn Nolde auf einer Hollandreise »Land wie mein Land« zu erblicken meint und grüßend Kanälen und Mühlen zuwinkte.16 Es ist jedoch anzunehmen, dass Noldes bewusste Bezugnahme auf die niederländische Malerei zugleich politisch motiviert war. 1890 hatte Julius Langbehn in seiner nicht nur in Künstlerkreisen einflussreichen Schrift Rembrandt als Erzieher eine enge Verwandtschaft zwi-
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schen Schleswig-Holstein, seinem eigenen Geburtsland, und den Niederlanden behauptet. Sie führte ihn zu der Prognose, dass von Schleswig-Holstein zukünftig die Erneuerung des deutschen Geisteslebens ausgehen werde, wie sie zu Zeiten Rembrandts von Holland ausgegangen sei.17 Dafür sprach Langbehn zufolge auch die geographische Lage, schien diese doch Schleswig-Holstein gleichsam zum prädestinierten Mittler zwischen den Nordwestgermanen – ein Begriff, unter dem er sowohl die Skandinavier als auch die Engländer subsumierte – und den Reichsdeutschen zu machen. Ähnliche Gedanken finden sich auch bei Nolde, der darüber spekuliert, ob seiner Kunst nicht eine »vermittelnde Rolle« zwischen den drei germanischen Völkern Nordeuropas, den Engländern, den Skandinaviern und den Deutschen, zufalle.18 Die Realität sah freilich anders aus: In Schleswig hatte sich der Konflikt zwischen Deutschen und Dänen bereits in den Jahren vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs verschärft, nach dessen Beendigung sich Nordschleswig in einer Volksabstimmung gegen das Deutsche Reich und für die Angliederung an Dänemark entschied – sehr zum Ungemach Noldes, der damit wider Willen zum dänischen Staatsbürger wurde. Vor diesem geographischen und historischen Horizont gewann die Heimatmalerei – immer schon des Chauvinismus verdächtigt – beinahe zwangsläufig an politischer Brisanz. Das zeigt sich etwa in Gustav Schieflers Würdigung der Malerei eines Hans Peter Feddersen. Schiefler zufolge bildeten die Werke der Schleswig-Holsteiner Künstler und Literaten einen »gemeinsamen Besitz, welcher dem Gefühl politischer Zusammengehörigkeit einen idealen Inhalt und damit eine festere Fügung gibt«. Die Kunst Hans Peter Feddersens erfüllte seiner Ansicht nach diese hehre Mission, »sie stärkt das Heimatgefühl und schmiedet dadurch mit an dem Bande, das den Ring des Reiches bildet«.19 Langbehn hatte sogar argumentiert, dass eine wirklich nationale Kunst stets an den heimatlichen Boden gebunden bleiben müsse: »der holsteinische Maler soll holsteinisch, der thüringische thüringisch, der bairische bairisch malen: durch und durch, innerlich und äußerlich, gegenständlich wie geistig.«20 Auch Nolde glaubte daran, dass die Kunst stets einer solchen Bodenhaftung bedürfe.21 Langbehns Rembrandt als Erzieher erhält allerdings keine Angaben darüber, wie die von ihm visionierte deutsche Kunst der Zukunft auszusehen habe. Das Buch, das schnell zur Bibel vieler Heimatkünstler wurde, war als Fibel kaum zu gebrauchen. Langbehn lieferte der deutschen Heimatmalerei ihren theoretischen Überbau, hinsichtlich der künstlerischen Praxis jedoch blieben seine Ausführungen zu vage, als dass sich ein Künstler an ihnen hätte orientieren können. Das galt auch hinsichtlich seiner Ausführungen zur Farbe. Wie plakativ Langbehns Vorstellungen hier sind, zeigt etwa eine Passage, in welcher der Autor erläutert, dass Rembrandt buchstäblich »schwarzrothgold« gemalt habe. Langbehn wartet angesichts der drei Farben der deutschen Fahne mit einer ausgeklügelten Farbsymbolik auf: So ist Schwarz für ihn unter anderem die »Farbe des Eisens, welches alle Völker befriedet und das deutsche Volk befreite«, zugleich aber auch die »Farbe der Erde, welch der Bauer pflügt und welcher der vaterländische Künstler seine besten Kräfte verdankt«, Gold steht dagegen für das Bleibende (da es nicht rostet), Rot-Gold für »Blut und
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Eisen« etc. Bei Rembrandt findet Langbehn Schwarz und Gold in dessen berühmten Clair-Obscur wieder, wo er sie als Symbole von Licht und Finsternis begreift. Zusammengehalten würden sie in den Gemälden Rembrandts oft durch einen blutroten Farbton.22 »Blut«, so erläutert Langbehn, »bindet.« Damit greift er eine Metapher auf, die im deutsch-französischen Krieg von 1870–1871 oft beschworen wurde. Immer wieder wurde das auf den Schlachtfeldern vergossene Blut zum Kitt erklärt, der die deutschen Stämme eine.23 Rembrandts Palette wird von Langbehn jedoch nicht nur national, sondern zugleich auch antipreußisch gedeutet, stellte doch Schwarz-Rot-Gold damals die Farbe der föderativ und großdeutsch gesinnten Opposition zum preußisch-hegemonialen Reich dar, dessen Fahne Schwarz-Weiß-Rot gestreift war.2 4
Heimatliches und exotisches Kolorit Dass eine solche Farbsymbolik sich kaum in künstlerische Praxis übersetzen lässt, liegt auf der Hand. In stärkerer Tuchfühlung mit der Malerei der Zeit scheint dagegen ein anderer Abschnitt aus Langbehns Werk, der den Titel Abtönung trägt. In ihm geht es um das abgetönte Kolorit, das Langbehn als ein Charakteristikum nicht nur der Malerei Rembrandts, sondern eben auch des Nordens überhaupt herausstellt. Sie wird bei ihm mit dem Farbenreichtum des Südens kontrastiert: »Die sogenannte exotische Farbenpracht ist im Grunde nur exotische Farbenarmuth; und dies darf man nicht übersehen; die nordischen Naturerzeugnisse im Tier- und Pflanzenreiche sind in bezug auf künstlerische Wirkung reicher als jene südlichen […]. Die tropische Sonne vergröbert; sie läßt die Natur in schreienderen, aber eben darum unfeineren Tönen reden: ein Papagei, ein Goldfisch, eine Orange können sich an wirklichem Farbenreichtum und wirklicher Formenvornehmheit mit einem Huhn, einem Häring, einem Apfel nicht messen. Diese entwickeln, auf kleiner Fläche und mit Beibehaltung eines gleichartigen Lokaltons, eine weit reichere Menge von Nuancen als jene.«25 Vom koloristischen Standpunkt war also der Norden für Langbehn dem Süden überlegen. Unter dessen grellen Sonne mochten Fauna und Flora zwar eine üppigere Farbenpracht entfalteten, ohne dabei jedoch jene feine Nuanciertheit zu entwickeln, wie sie das Licht des Nordens hervorbringe. Dieser Vergleich zwischen dem nordischen und südlichen Kolorit dient Langbehn nicht nur dazu, die Vornehmheit der Malerei Rembrandts herauszustreichen, sondern soll darüber hinaus die wesensmäßige Überlegenheit des Nordens über den Süden quasi wissenschaftlich belegen. Nicht zuletzt liefert er mit ihm auch der damals vor allem in Nordeuropa beliebten »Graumalerei« einen ideologischen Überbau.26 Noldes bunte Farbigkeit lässt sich freilich nicht auf Langbehns Vorstellungen von nordischem Kolorit zurückführen. Die Graumalerei, wie sie noch in den regionalistischen »Schu-
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len« der 1880er Jahre vorherrschte, war dort bereits Ende des 19. Jahrhunderts einer helleren, farbenfreudigeren Palette gewichen. Unter diesen veränderten Vorzeichen ist Noldes eigener Vergleich zwischen den Farben des Südens und denen des Nordens zu sehen, der gleichwohl Langbehns Glauben an die Überlegenheit des Niederdeutschen beibehält. Bei Nolde ist es nun freilich nicht mehr die Abtönung, sondern die der Farbe innewohnende Kraft, auf welcher sich dieser Vorrang begründet. Heimgekehrt aus der Südsee notiert er: »[…] merkwürdigerweise waren es nicht die Farben, die mir als Erlebnis geblieben waren. Ja, ich hatte und habe jetzt den Eindruck, daß die Tropen gar nicht so vollfarbig sind wie allgemein angenommen wird, farbig nur waren die Menschen, die Vögel, die Fische, die roten Hibiskus und das Laub der Bougainville. Auch die Sonnenuntergänge konnten mit ihren Brechungen herrliche Farbenorgien sein, doch nur während ganz weniger Minuten; dann war es dunkel. In der kühlen Zone unserer nordischen Länder, wo die sattgrünen Wiesen sind, wo in feuchten Septembertagen die Blumen so wundervoll leuchten, und wir die langen, in Glut glühenden Morgen- und Abendhimmel haben, da ist es vollfarbiger als unter der bleichenden, brennenden Äquatorsonne. Und auch die in ungebrochenen Farben bemalten Bauernstuben, die originalen Volkstrachten, die heimischen Stickerinnen und Webereien – alles ist in naturgegebener, heimischer Farbenfreudigkeit entstanden. Wir nordisch geborenen Menschen lieben Wärme und Farben.«27 Dass der Süden das eigentliche Reich der Farbe sei, gehört zu den langlebigsten Topoi in der Geschichte der Kunst. Insbesondere der »Orient« galt als Schule der Koloristen. So schrieb man Eugène Delacroix’ Marokkoreise eine prägende Bedeutung für seinen Kolorismus zu.28 Seinem Beispiel folgten andere, unter ihnen Henri Matisse und Paul Klee, der später in seinem Tagebuch behaupten wird, auf seiner Tunesienreise der Farbe erlegen zu sein (»Die Farbe hat mich«).29 Doch immer wieder gab es auch starke Vorbehalte gegenüber der üppigen Farbenpracht des Südens, der eine verführerische Wirkung nachgesagt wurde. Von ihrer prickelnden Sinnlichkeit schien eine Gefahr für die rationalistischen Traditionen des Abendlandes auszugehen.30 Nolde greift diese Vorbehalte auf, wenn er die Sonnenuntergänge als Farborgien beschreibt – impliziert doch das Wort Orgie wilde Ausschweifungen, deren berauschende Wirkung jedoch nur eine kurze Weile währt, bevor sie in Erschlaffung und Ernüchterung übergeht. Den Morgen- und Abendhimmeln Nordfrieslands wird gegenüber dem sich schnell verzehrenden Feuer der Äquatorsonne eine lange Glut bescheinigt. Für den Nordmenschen barg in Noldes Augen der Süden sogar eine reale Gefahr. Insbesondere in der seit der Renaissance oft als Teil der künstlerischen Ausbildung unternommenen Italienreise sah Nolde ein Übel, hätten sich die Künstler doch auf ihr nur ihre Flügel verschwelt, ähnlich wie bereits zuvor die germanischen Stämme der Völkerwanderung »in Italiens Sommerwärme verweichlicht, zerschmolzen, vernichtend geschlagen, befruchtend verkommen« seien.31 Ähnlich pathetisch heißt es an anderer Stelle: »Sonne des
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Südens. Seit Anbeginn uns nordische Menschen umschmeichelnd, das Eigenste uns nehmend, das Starke, Herbe, Innige.«32 Die Kunst büßte also jene Eigenschaften ein, die Nolde auch an der nordfriesischen Marschlandschaft so sehr schätzte. Solche Einwände gegen die Italienreise waren unter deutschen Heimatkünstlern en vogue. Auch Kunsthistoriker begannen damals, die Vorteile der Italienreise für die künstlerische Ausbildung in Frage zu stellen. Zu ihnen gehörte nicht nur der bereits zitierte Alfred Lichtwark, sondern auch Heinrich Wölfflin, in dessen Dürer-Monographie es über dessen Italienreise heißt: »Im Schoß der italienischen Verführerin hat Simson seine Locken verloren.«33
Die schwindenden Farben der Volkskunst Die koloristische Überlegenheit des Nordens über den Süden zeigte sich für Nolde nicht nur in der Landschaft mit ihren sattgrünen Wiesen und glutvollen Sonnenuntergängen, sondern auch in der einheimischen Volkskunst: den bunt bemalten Bauernstuben und den farbenfrohen Trachten. Den in ihnen zum Ausdruck gelangenden »hohen Kultursinn des schleswigschen Bauern« sah Nolde jedoch im Zeitalter der Industrialisierung – Nolde selbst spricht von der »Fabrikantenzeit« – vom Aussterben bedroht. Die billigeren Produkte industrieller Fertigung verdarben den Geschmack, während »die alten köstlich geschnitzten Eichenschränke und Truhen und das viele Zinn- und Kupfergeschirr, die blauen und weißen Webereien und all die verzierten Gebrauchsgegenstände« leichtsinnig verhökert würden.3 4 Mit den Trachten und dem tradierten Kunsthandwerk schienen auch die Farben aus dem zunehmend grauer werdenden Alltag zu verschwinden. Dergleichen Klagen kamen von Heimatkundlern aus dem ganzen Reich. Resigniert musste auch der prominente Schwarzwaldmaler Hans Thoma feststellen, dass die primitive Bauernkunst, wie sie noch von dem Großvater und den Brüdern seiner Mutter betrieben worden sei, bereits dem »modischen städtischen Kunstgewerbe« habe weichen müssen, dass »schönfarbig bunte, mit Blumen bemalte Schränke mit Nussbaumfarbe überzogen wurden und man sich der Buntheit schämte, die man »Bauernkilbe« nannte.«35 Dass mit dem heimischen Kunsthandwerk zugleich auch der heimische Farbsinn verloren gehe, hatte auch Alfred Lichtwark in der bereits zitierten Schrift über Die Erziehung zum Farbsinn mit Sorge konstatiert. Lichtwark sah diese Entwicklung auch unter einem nationalökonomischen Gesichtspunkt als nachteilig an: Wie in vielen anderen Dingen neigten die Deutschen dazu, sich an ihren Nachbarn zu orientieren und anstatt eine eigene »koloristische Kultur« auszubilden, diese nur zu importieren. Sammler kauften für hohe Summen Bilder aus dem Ausland an, ja, alles, »was an Hausrat und Zimmerzier beweglich ist, wird durch den Handel herbeigeschafft«. Der dadurch geschwächten einheimischen Kunstproduktion bliebe schließlich nichts anderes mehr übrig, als sich den aus dem Ausland kommenden Moden zu unterwerfen.36
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Noldes nationalistisches Farbbekenntnis Noldes feindliche Haltung gegenüber jedem künstlerischen Internationalismus zeigt sich etwa in seiner Ablehnung des Kubismus. Wie Nolde in seinen Lebenserinnerungen zu berichten weiß, sei es Otto Freundlich gewesen, der den Kubismus unter der deutschen Künstlerschaft als Erster bekannt gemacht habe: »Der junge Maler Freundlich kam aus Frankreich zugereist, in einer Rede uns erzählend, daß man in Paris angefangen habe, alle Gegenstände und Formen in Kuben und Prismen zu konstruieren oder aufzuteilen, sogar den menschlichen Körper.«37 Nolde jedoch lehnte den Kubismus schon deshalb ab, weil es sich bei ihm um ein Importgut handelte. So mochte er in Frankreich seine künstlerische Berechtigung besitzen, nicht aber in Deutschland. Doch wollte Nolde zugleich nicht ausschließen, dass es sich beim Kubismus in Wahrheit um eine spezifisch jüdische Erfindung handele – eine Vermutung, die, sofern sie sich bestätige, nach Ansicht des Künstlers »herrlich klärend« sei, hätten doch die Juden bislang »– ihre selbsteigenen rassischen Eigenschaften verleugnend, – entweder französisch oder deutsch oder in Vermischung dieser beiden Länder Kunst« gemalt. Nicht ohne Hintersinn hatte Nolde in seiner Erzählung just den jüdischen Maler Otto Freundlich zum Verkünder der neuen Kunst gemacht.38 Die deutsche Kunst sollte jedoch Noldes Ansicht nach sich auf das Eigene besinnen und anstatt eine internationale Kunstrichtung zu kopieren, Bodenhaftung bewahren, also das tun, was am nachdrücklichsten Julius Langbehn eingefordert hatte. Langbehn zufolge konnte große Kunst in Metropolen nicht gedeihen. Insbesondere Paris sei zu einem Sündenpfuhl verkommen, in dessen lärmendem Getriebe echtes Schöpfertum unmöglich sei. Schlimmer jedoch wog, dass in der Großstadt die Kunst notgedrungen zur Modesache und das Kunstwerk zur Ware herabsinke.39 Nolde teilte diese insbesondere im kulturpessimistischen Schrifttum der Zeit weit verbreiteten Vorbehalte gegen die modernen »Millionenstädte«: In Berlin, wo er regelmäßig die Wintermonate verbrachte, fühlte er sich aufgrund der städtischen Hektik am kreativen Arbeiten gehindert.40 Noch übler erging es ihm freilich in Paris, wo er im »Sumpf« der Demimonde beinahe sein Leben hätte drangeben müssen.41 Und auch Nolde sieht in Paris die Hauptstadt der Mode. Anlässlich einer zusammen mit seiner Frau Ada unternommenen Frankreich-Reise heißt es in seinen Lebenserinnerungen: »In Paris waren wir. Paris ist die Stadt der Moden. Der Moden, von gewinnsüchtigen Kaufleuten erfunden, die Welt überschwemmend, die Volkskleidung und Trachten verdrängend. In Paris herrschten auch in der Kunst seit langen Moden, die neue die alte jeweils ablösend. Was neue Mode war, sehr schnell war es wieder veraltet.« 42 Nolde ging daher davon aus, dass auch der Kubismus eine reine Modeerscheinung sei, der schließlich dasselbe Schicksal widerfahren werde wie dem Pleinairismus und Impressionismus – Modewellen, die in den Vorjahren »Deutschland und Europa überschwemmt« hätten.
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Geblieben seien jedoch nur die Werke derjenigen vereinzelten Künstler, »die außerhalb dieser Moden standen«. Schließlich jedoch wähnte sich Nolde als der Einzige, der »unwandelbar« geblieben und dem Einfluss des Kubismus nicht erlegen sei.43 Sein Missfallen am Kubismus gründete sich nicht nur auf der Ablehnung des »Geschmacklichen«, sondern zugleich auch auf dem Unbehagen gegenüber der »technisierenden Schärfe«, die er in der neuen Kunstrichtung auszumachen vermeinte: »Ich sah die kristallenen Wolken, die konstruktiven Farbflächen, die kubischen Städtebilder, sie erregten mich, und vor dem eigenen Leinen sträubten sich mir Wille und Empfindung. In Naturverneinung konnte ich nicht arbeiten, in bejahendem, vertieftem Naturmöglichen nur vermochte ich mich zu finden.« 4 4 In den Bildern des Kubismus widerspiegelte sich für Nolde demnach dieselbe Vergewaltigung der Natur, die von konservativer Seite damals in der modernen Technik erblickt wurde – eine Technik, welche in die Welt seiner Bilder keinen Eingang gefunden hatte. Die Windmühlen auf seinen Bildern erzählen vielmehr noch von einer Zeit, in welcher die menschgemachte Technik noch dem Rhythmus der Natur untergeordnet war. Doch Noldes Kritik richtete sich nicht nur gegen die Technik, sondern allgemeiner gegen jegliche Konstruktion auf dem Feld der Kunst. Wahre Kunst hatte seiner Ansicht nach dem Instinkt zu entspringen, nicht dem Intellekt.45 In der Konsequenz hieß dies für ihn auch die Bevorzugung der »irrationalen« Farbe gegenüber der »rationalen« Form. Tatsächlich waren auch diese Vorstellungen in einen nationalen Diskurs eingebunden, galt doch das Instinktive als deutsch, das Konstruierte dagegen als undeutsch bzw. romanisch. Besonders deutlich wird dies erneut in der kunsthistorischen Diskussion über Dürers Italienreise. Vor allem Dürers Interesse an der Proportionslehre wurde auf italienische Einflüsse zurückgeführt und als unpatriotisch verurteilt. Zu den Kritikern gehörte auch Heinrich Wölfflin, in dessen Monographie über den Nürnberger Künstler es in Bezug auf diesen heißt: »sein Kultus der italienischen Form scheint den angeborenen deutschen Charakter in unheilvollster Weise bei ihm untergraben zu haben. Wir verlangen die lebendige Farben.« 46 Auch Nolde verspürt keine Sympathie mit Dürers Absicht, »den menschlichen Körper in ein Schema hineinbringen zu wollen«.47 Ähnlich wie er das Vorhaben der Kubisten missbilligte, »sogar den menschlichen Körper« in »Kuben und Prismen zu konstruieren oder aufzuteilen«. Doch Nolde sah im Kubismus nicht nur ein konstruktives, sondern zugleich ein destruktives Moment, ja, eine »anarchische Zertrümmerung der Form und Festigkeit« am Werk – ein Widerspruch, auf den der Maler nicht eingeht. Noldes Mutmaßungen zufolge setzte sich in Kubismus und Abstraktion fort, was mit der Fleckenmalerei des Impressionismus seinen Anfang genommen habe: »eine völlige Auflösung aller Form«. Diese Entdeckung habe ihn zunächst verunsichert«, schreibt Nolde:
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»Aber bald im landgeborenen Menschen bäumten sich alle Kräfte, es glühte die Liebe zur heimatlichen Landschaft, zum Meer, zu den Blumen, den Tieren und Menschen noch heftiger denn je zuvor. Und anstatt Auflösung suchte ich Bindung, anstatt Geschmack und Technisierung vertieften Ausdruck, breite Flächen und gesunde starke Farben.«48 Auch diese Äußerung liest sich wie ein Echo auf Diskussionen, die damals in kulturkonservativen Kreisen geführt worden. Diese machten gern die Metropole für den Verlust jeglicher Bindungen verantwortlich. Das Dorf, so konnte man etwa in Spenglers Untergang des Abendlandes lesen, liege »ganz in der Landschaft verloren und eingebettet. Die Landschaft bestätigt das Land […].« Die moderne Großstadt hingegen widerspreche bereits mit ihrer Silhouette der Natur: »Sie verneint alle Natur.«49 An die Stelle des Bodens trete als abstrakte Größe nun das Geld, »von allen Beziehungen zum Sinn des fruchtbaren Bodens, zu den Werten des ursprünglichen Lebens gelöst.«50 Entsprechend unterschied sich der Bauer vom Großstadtmenschen. Während jener stets tief in dem Boden wurzle, den er bestelle, sei dieser ein »entwurzeltes« und »heimathloses« Geschöpf, zu jeder Bindung unfähig.51 Für Spengler war die Großstadt ein Symptom der »Zivilisation«, wie er die Verfallsphase einer »Kultur« bezeichnete. Diesen beiden Begriffen waren jedoch zugleich national kodiert: So wurde der deutschen Kultur gern die französische Zivilisation gegenübergestellt, beispielsweise in Thomas Manns 1918 publizierten Betrachtungen eines Unpolitischen. Um das unterschiedliche Wesen von Kultur und Zivilisation deutlich zu machen, verwendete Mann dasselbe Begriffspaar, mit dem Nolde den Gegensatz zwischen seiner naturverbundenen Malerei und dem in seinen Augen destruktiven Kubismus beschrieb. Lapidar heißt es bei Mann: »Kultur ist Bindung, Zivilisation ist Auflösung.«52 Da Nolde den Kubismus für eine aus Frankreich importierte Kunstrichtung hielt, liegt es nahe, dass für ihn die Substantive »Bindung« und »Auflösung« national kodiert waren. In der Ablehnung des Kubismus bündelt sich also antisemitisches, antifranzösisches und fortschritts- und großstadtfeindliches Gedankengut. Dass Nolde unter die drei künstlerischen Mittel, mit denen er auf den Kubismus zu antworten sucht, neben vertieftem Ausdruck und breiten Flächen auch die »gesunde starke Farbe« zählt, zeigt einmal mehr, wie nationalistisch das Kolorit in den Gemälden Noldes aufgeladen ist. Die bunten Stimmungen, in die der Künstler die Schleswiger Marsch so gern tauchte, waren also nicht zuletzt ideologischer Natur.
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Für die kritische Lektüre danke ich Christine Krüger, Aldona Krüger-Kuczkowska, Hendrik Ziegler, Isabella Woldt und in ganz besonderem Maße Rainer Donandt. 1 Gustav Schiefler: Hans Peter Feddersen. Ein nordfriesischer Maler, Glücksstadt 1913, S. 21. 2 Ibid., S. 17. 3 Jacob Bödewadt: Schleswigs Westküste, in: Hermann Krumm u. Fritz Stoltenberg: Unsere meerumschlungene Nordmark. Ein Heimatbuch in Wort und Bild, 2. Bde., Kiel 1914, Bd. I: Das Land, S. 121–153, S. 130. 4 Tatsächlich galten »einfache« Landschaften damals allgemein als stimmungsvoller; vgl. etwa Max Haushofer: Die Landschaft, Bielefeld u. Leipzig 1903, S. 89 (»Je einfacher im ganzen die Erscheinung eines Landschaftsbildes ist, um so mehr wird sie durch die über ihm liegende Stimmung verändert. Die schlichteste Heidegegend wird durch die Stimmung ungleich stärker verändert, als die kühnsten Hochgebirgsformen.«). 5 Emil Nolde: Reisen, Ächtung, Befreiung, Köln 62002, S. 9; vgl. Emil Nolde: Welt und Heimat, Köln 2002, S. 147 (»Alsen ist sehr schön, uns nur war des Milden, des Lieblichen und Idyllischen zu viel. Ich hatte oft Kopfschmerzen. Mich sehnte nach hoher, freier Luft, nach herber, starker Schönheit, so wie es die Westküste mit ihren weiten Himmelsspannung und den Wolken über Marschland und Wasser besonders in den rauhen Jahreszeiten sie so verschwenderisch gibt.«).
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6 Generalanzeiger Düsseldorf und Umgebung, 18. Mai 1895, zitiert nach Der Durchburch. Die Worpsweder Maler in Bremen und im Münchner Glaspalast. Fritz Mackensen, Hans am Ende, Otto Modersohn, Fritz Overbeck, Heinrich Vogeler, Ausstellungskatalog, Bremen, Kunstsammlungen Böttcherstraße, 1995, Worpswede 1995, S. 11. 7 Richard Muther: Worpswede, in: id.: Studien [vor 1909], hg. v. H. Rosenhagen, Berlin 1925, S. 640– 641, zitiert nach Nina Lübbren: Rural Artists’ Colonies in Europe. 1870–1910, New Brunswick (N.J.) 2001, S. 128. 8 Richard Bürkner: Kunstpflege in Haus und Heimat, Leipzig 31910, S. 39. 9 Alfred Lichtwark: Die Erziehung des Farbensinnes, Berlin 1901, S. 22. 10 Ibid., S. 22–23. 11 Ibid., S. 55–57. 12 Ibid., S. 23. 13 Nolde (Reisen, Ächtung, Befreiung) 2002 (wie Anm. 5), S. 57–58. 14 Hippolyte Taine: Philosophie der Kunst, Berlin 1987, S. 155; fr. : Hippolyte Taine: Philosophie de l’art […], Paris 1985, S. 202 (»Remarquez l’aspect différent que revêtent les objets, selon que vous êtes dans une contrée sèche, comme la Provence et les environs de Florence, ou dans une plaine humide, come les Pays-Bas. Dans la contée sèche, la ligne prédomine et attire d’abord l’attention ; les montagnes découpent sur le ciel des architectures étagées d’un style grand et noble, et tous les objets s’enlèvent en arêtes vives dans l’air limpide. Ici l’horizon plat n’a pas d’intérêt, et les contours des choses sont amollis, estompés, brouillés par la vapeur imperceptible qui nage éternellement dans l’air ; ce qui prédomine, c’est la tache.«). 15 Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes [1918], München 111993, S. 309.
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16 Emil Nolde: Jahre der Kämpfe [1934], Köln 72002, S. 187. 17 Julius Langbehn: Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen, Leipzig 141890, S. 234–237. Wenn es auch keinen Beweis gibt, dass Nolde Langbehns Schrift gelesen hat, so sprechen dafür doch eine Reihe von schlagenden Indizien; vgl. William Bradley: Emil Nolde and German Expressionism. A prophet in his own land, Ann Arbor 1986, besonders S. 47–80. 18 Nolde (Reisen, Ächtung, Befreiung) 2002 (wie Anm. 5), S. 37. 19 Schiefler 1913 (wie Anm. 1), S. 6. 20 Langbehn 1890 (wie Anm. 17), S. 17. 21 Nolde (Reisen, Ächtung, Befreiung) 2002 (wie Anm. 5), S. 58 (»Eine wahrhaft innerliche und äußerliche große Kunst kann nur aus eigenem Boden erwachsen, um der reinigenden unnachsichtigsten Kritik der Zeiten zu widerstehen.«). 22 Langbehn 1890 (wie Anm. 17), S. 299. 23 Vgl. Christine Krüger: »Sind wir denn nicht Brüder?« Deutsche Juden im nationalen Krieg 1870/71, Paderborn et al. 2006, S. 47. 24 Zu den Konnotationen von Schwarz-Rot-Gold vgl. Dieter Langewiesche: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000, S. 71. 25 Langbehn 1890 (wie Anm. 17), S. 42–43. 26 Langehns Parteinahme für die Abtönung und Nuancierung der Farbe hindert ihn indes nicht daran, an anderer Stelle seines Traktats vielmehr der »klaren Scheidung von Hell und Dunkel, Schwarz und Weiß« das Wort zu reden, denn diese sei »besser als das fade Grau des Großstadtnebels, in welches sich die Bildung und Gesinnung des modernen Menschen allmählich aufzulösen droht. Will er wiedergeboren werden, so muß er sich neu schaffen; und jede Schöpfung beginnt mit einer Scheidung von Licht und Finsterniß« (Langbehn 1890 [wie Anm. 17], S. 285); zur Graumalerei vgl. Nina Lübbren: North to South. Paradigm Shifts in European Art and Tourism. 1880–1920, in: David Crouch u. Nina Lübbren (Hg.): Visual culture and tourism, Oxford u. New York 2003, S. 125–146, besonders S. 129–131 (The Rise and Fall of the Grey Paradigm); vgl. auch speziell in Bezug auf die Weimarer Malerschule Hendrik Ziegler: Die Kunst der Weimarer Malerschule. Von der Pleinairmalerei zum Impressionismus, Köln et al. 2001, S. 139 passim. 27 Nolde (Welt und Heimat) 2002 (wie Anm. 5), S. 146. 28 Vgl. etwa Allgemeines Lexikon der bildenden Künste von der Antike bis zur Gegenwart, hg. v. Ulrich Thieme u. Felix Becker, 37 Bde., Leipzig 1907–1950, Bd. VIII, S. 573. 29 Paul Klee: Tagebücher von Paul Klee 1898–1918, Köln 1957, S. 307 (Eintrag vom 16. April 1914). 30 Vgl. John Gage: Kulturgeschichte der Farbe von der Antike bis zur Gegenwart, Ravensburg 2001, S. 10. 31 Nolde (Jahre der Kämpfe) 1934 (wie Anm. 16), S. 51. 32 Ibid., S. 196. 33 Heinrich Wölfflin: Albrecht Dürer, Darmstadt 1922, S. 10. 34 Emil Nolde (Welt und Heimat) 2002 (wie Anm. 5), S. 9.
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35 Zitiert nach Badnerland. Ein Heimatbuch, hg. v. Hans Adalbert Berger, Leipzig 1923, S. 231. 36 Lichtwark 1901 (wie Anm. 9), S. 63. 37 Nolde (Jahre der Kämpfe) 1934 (wie Anm. 16), S. 221. 38 Ibid., S. 222; vgl. auch die Passage aus Noldes Lebenserinnerungen über den jüdischen Schriftsteller und Galeristen Herwarth Walden. Zunächst lobt Nolde Walden, »der mit intellektuellem Sinn so viele Künstler damals schon erkannte und mit Entdeckerfreude in seinem Sturmsalon ausstellte«, darunter auch Marc, Kokoschka, Klee, Feininger, Kandinsky, Chagall, Archipenko, Lissitzky – eine Auswahl die Nolde jedoch als einseitig empfindet: »Es war dieser Flügel der sich schnell entwickelnden Bewegung, im wesentlichen auf abstrakte Formen gerichteten, konstruktiven, oft gegenstandslosen Kunst seine besondere Freude, die sinnliche, urwesenhafte, seelisch tief im Heimatlichen wurzelnde war ihm wie fremd. Von meinen Bildern hing keines in seinem Salon. Von denen der Brückekünstler wohl auch nicht. Ebenso wenig hier wie im Hause Cassirer, wo nur französische Künstler und deren deutsche Nachahmer gezeigt wurden. Im deutschen Volk regte sich niemand, dies erkennend. Unter den Künstlern auch nicht, oder doch nur, indem sie die erstaunlichen Preise für französische Bilder tadelten. Mir schon früh kochte das Blut in Erregung, bis dann meine Auflehnung und die schweren Kämpfe folgten«. Auf diesen Absatz folgen Überlegungen zum Verhältnis von Kunst und Rasse. Die Äußerungen über Freundlich und Walden zeigen, dass Nolde das Abstrakte beziehungsweise Kubistische als eine heimatlose, entwurzelte oder internationale Kunst ansah. Gängigen rassistischen Vorurteilen folgend, vermeint Nolde offenkundig in der abstrakten beziehungsweise kubistischen Malerei den künstlerischen Ausdruck eines »jüdischen Internationalismus« erkennen zu können – als Gegenpol zu einer deutschen Kunst, die ihre Wurzel im heimatlichen Boden haben müsse; Nolde (Jahre der Kämpfe) 1934 (wie Anm. 16), S. 136–137. 39 Langbehn 1890 (wie Anm. 17), S. 188–190; zur Großstadtfeindlichkeit vgl. allgemein Klaus Bergmann: Agrarromantik und Großstadtfeindschaft, Meisenheim am Glan 1970. 40 Nolde (Welt und Heimat) 2002 (wie Anm. 5), S. 147; vgl. auch Emile Nolde: Briefe aus den Jahren 1894–1926, hg. v. Max Sauerlandt, Berlin 1927, S. 38. 41 Emil Nolde: Das eigene Leben [1931], Köln 82002, S. 207–208. 42 Nolde (Reisen, Ächtung, Befreiung) 2002 (wie Anm. 5), S. 42 43 Nolde (Jahre der Kämpfe) 1934 (wie Anm. 16), S. 211. 44 Ibid., S. 221–222. 45 Ibid., S. 210. 46 Wölfflin 1922 (wie Anm. 33), S. 1; Franz Bock: Die Werke des Mathias Grünewald, Straßburg 1904, S. 63 ( »Kaum hatte er [Dürer] den ersten Ansturm der fremden italienischen Renaissance, den mächtigen Einfluß Mantegnas, einigermaßen überwunden, so zog ihn die südliche Sirene aufs Neue in ihre Netze. Ein künstlerischer Schwächling, wie Jacopo de Barbari, der in seiner Heimat ausgelacht wurde, konnte ihm damals gefährlich werden. Ja, dieser reizte durch seine Geheimniskrämerei den sowieso in Dürer steckenden Gelehrten und theoretischen Grübler, sodaß er auf den bedenklichen Abweg verstandesmäßig-mathematischer Konstruktion geriet. So sind seine Schöpfungen dieser Jahre eine unorganische Kunst, die den sicheren Leitstern in der eigenen Brust und den festen Heimatboden unter den Füßen verloren hatte.«). 47 Nolde (Jahre der Kämpfe) 1934 (wie Anm. 16), S. 140.
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48 Ibid., S. 222. Interessanterweise sieht auch Paul Klee diese Polarität zwischen abstrakter Malerei und der Heimatmalerei eines Emil Nolde: »Erdferne oder erdflüchtige Abstrakte vergessen manchmal, dass Nolde ist. Nicht so ich, selbst auf meinen weitesten Flügen nicht, von denen ich immer zur Erde zurückzufinden pflege, mich auszurasten in wiedergewonnener Schwere«, zitiert nach Christian Geelhaar (Hg.): Paul Klee. Schriften, Rezensionen und Aufsätze, Köln 1976, S. 129; vgl. hierzu Hans Ernst Mittig: Paul Klees Alternativen zur Heimatmalerei, in: Henry Keazor (Hg.): Psychische Energien bildender Kunst. Festschrift Klaus Herding, Köln 2002, S. 185–216, S. 208. 49 Spengler 1918 (wie Anm. 15), S. 666. 50 Ibid., S. 46. 51 Ibid., S. 660–661 und passim. 52 Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen [1918], Frankfurt am Main 1988, S. 162.
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BAU UND NATIONALER ÜBERBAU
DIE NATIONALE DIMENSION VON ARCHITEKTUR UND STÄDTEBAU Umkodierung päpstlicher Repräsentationsanlagen nach 1870 BRITTA HENTSCHEL
Rom als Hauptstadt des Königreichs Italien Mit der Eroberung Roms im Herbst 1870 durch das Königreich Italien wurde die weltliche Macht der katholischen Kirche und ihre Herrschaft über Rom beendet. Die junge Nation sah sich unter anderem mit dem Problem eines immensen Kulturgüterreichtums konfrontiert, der über Jahrhunderte päpstlich konnotiert und interpretiert worden war. Der Umgang mit diesem ererbten Stadtgewebe aus Antike und Papsttum und seinen inkorporierten Bedeutungszusammenhängen wird im Folgenden näher beleuchtet werden. Anhand von Beispielen soll nach den Strategien des Nationalstaats Italien gefragt werden, sich den römischen Stadtraum mittels Umkodierung des Bestehenden visuell und realiter anzueignen.1 Rom als Hauptstadt des Königreichs Italien war eines der zentralen Anliegen und Forderungen des Risorgimento gewesen.2 Eine Zerstörung der città eterna nach dem Vorbild der Haussmanisierung in Paris kam also kaum in Frage. Es wurde daher eine Überformung der bestehenden Bausubstanz angestrebt. Neben der Modernisierung und Anpassung Roms an die Lebensverhältnisse und europäischen Standards des ausgehenden 19. Jahrhunderts bestand das Ziel vor allem in der inhaltlichen Neuaufladung der antiken und klerikalen Bausubstanz und in der Schaffung nationaler Gedächtnisorte. Im Zentrum der folgenden Untersuchung soll die Okkupation und Neukodierung päpstlicher Repräsentationsbauten
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und Straßenanlagen stehen. Die zahlreichen Neubauprojekte des Dritten Rom werden hingegen hier nur eine untergeordnete Rolle spielen.3 »Ohne Rom als Hauptstadt Italiens kann Italien sich nicht konstituieren.« 4 Mit diesem programmatischen Ausspruch Camillo Cavours wurde bereits am 25. März 1861 im Rahmen einer Parlamentssitzung in Turin ein Ziel der italienischen Einigungsbestrebungen klar formuliert. Doch der Weg nach Rom gestaltete sich auf Grund des vehementen Widerstandes des Vatikans als schwierig und langwierig. Erst neun Jahre später, am 20. September 1870, sollten es die internationalen und innenpolitischen Umstände erlauben, dass die Stadt am Tiber Hauptstadt der jungen italienischen Nation werden konnte. Zunächst erstreckte sich der Kirchenstaat noch über weite Teile des italienischen Stiefels.5 Der Papst genoss den Schutz französischer Truppen und ignorierte die nationalen Territorialansprüche des Risorgimento. Damit sah sich die italienische Regierung in einer nahezu ausweglosen Lage, hatte man doch anfänglich auf eine politische Lösung dieses Interessenkonflikts mit dem Heiligen Stuhl gehofft, entsprechend dem Credo Cavours »Libera chiesa in libero stato«, das Italien zur Schutzmacht der Kirche erklärte. Eine gewaltsame Eroberung Roms sollte im fast rein katholischen Italien des 19. Jahrhunderts vermieden werden, zumal man außenpolitische Konsequenzen fürchtete. Die so genannten Septemberkonventionen, in denen Italien und Frankreich ihr Verhältnis zueinander neu definierten, führten 1864 zu einer Verlagerung der italienischen Hauptstadt aus dem piemontesischen Turin nach Florenz.6 König Viktor Emanuel II., der drei Jahre zuvor vom italienischen Parlament zum König ernannt worden war, wählte den Florentiner Palazzo Pitti als Residenz und der Architekt und Ingenieur Giuseppe Poggi strukturierte die Stadt in den folgenden Jahren urbanistisch neu. Im September 1870 unterlag die französische Armee bei Sedan den deutschen Truppen und Papst Pius IX. (1846–1878) sah sich ohne weitere militärische Unterstützung Frankreichs, nur auf seine Schweizer Leibgarde und einige ausländische Söldner gestützt, allein in Rom. Die Italiener hatten sich hingegen schon Monate zuvor über die Septemberkonventionen hinweggesetzt: Sie waren ohne große Gegenwehr in den Kirchenstaat vorgerückt und lagerten bereits vor der Aurelianischen Stadtmauer. Am 20. September durchbrachen sie den Mauergürtel bei Michelangelos Porta Pia im Osten der Stadt und der lang gehegte italienische Traum einer geeinten Nation mit Rom als Hauptstadt wurde endlich Wirklichkeit. Unmittelbar nach diesem relativ unblutigen Einmarsch in Rom setzte die italienische Regierung eine städtebauliche Planungskommission ein. Fehlender Wohn- und Büroraum, das enge mittelalterlich geprägte Straßennetz, das nicht den Verkehrsanforderungen des 19. Jahrhunderts genügte, und der Umgang mit den päpstlichen Repräsentationsarchitekturen kristallisierten sich schnell als die Hauptproblematiken im Umgang mit der Stadt Rom heraus. Diese Aufgaben galt es zu lösen. Während der Behördenbetrieb der Kurie in Rom ungehindert weiterlief, zog sich Papst Pius IX. in den Vatikan zurück und lehnte jegliche Verhandlungen mit der italienischen Regierung ab. Um seine totalitären Ansprüche auf Rom auch theologisch auf ein festes Fundament zu stellen und seine Position gegenüber der Nation Italien unantastbar zu
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machen, proklamierte Pius IX. unmittelbar nach dem Einmarsch der Italiener das Unfehlbarkeitsdogma.7 Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche sollte auf Grund der kompromisslosen Haltung des Heiligen Stuhls für Jahrzehnte desolat, angespannt und ungelöst bleiben. Erst 1929 wurde es durch die Lateranverträge unter Mussolini geregelt.
Der Quirinal »Re desidera Quirinale ovvero Consulta« – der König wünscht den Quirinal oder den Palazzo della Consulta – Dies übermittelte der Ministerpräsident Lanza dem königlichen Statthalter General Lamarmora per Telegramm am 30. Dezember 1870 von Florenz nach Rom. Lamarmora bestätigte den Quirinal, den ehemaligen Sommerpalast der Päpste, als königliche Unterkunft nach Florenz |Abb. 1|.8 Auf Grund der prekären Situation zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien sah König Viktor Emanuel II. nach der Bresche von Porta Pia erst einmal davon ab, nach Rom zu reisen. Eine verheerende Tiberüberschwemmung kurz vor Neujahr 1871 gab ihm jedoch einige Monate später die Gelegenheit, unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe und Anteilnahme seine Hauptstadt erstmals zu betreten und eine Nacht in ihr zu weilen. Ohne großes Empfangszeremoniell und fast unbemerkt von der römischen Bevölkerung traf Viktor Emanuel um halb vier Uhr morgens an dem noch unter päpstlicher Direktive entstandenen Bahnhof Termini ein und wurde in einer Kutsche zum Quirinalpalast gebracht. Als der Wagen in den Innenhof des Palazzo einfuhr, soll Viktor Emanuel in breitem Piemonteser Dialekt gemurmelt haben »Finalment i suma«, was sich zum Slogan der italienischen Regierung nach 1870 in Rom weiterentwickeln sollte: »Finalmente ci siamo e ci resteremo«.9 So wurde der Quirinalpalast, der Jahrhunderte lang den Päpsten als Sommerresidenz auf dem höchsten Hügel Roms gedient hatte, Königshof des ersten italienischen Monarchen. 1574 unter Papst Gregor XIII. als malariasicherer Sommersitz anstelle einer Villa des Kardinals Ippolito d’Este begonnen, konnte der Palazzo del Quirinale bereits ab 1592 von den Päpsten als sommerliches Refugium genutzt werden. Nacheinander arbeiteten Mascherino, Domenico Fontana, Flaminio Ponzio, Carlo Maderno, Gianlorenzo Bernini und Ferdinando Fuga an dem weitauskragenden L-förmigen Palastkomplex mit seinen innen liegenden Gartenanlagen.10 Im 19. Jahrhundert diente der Quirinal mehrfach anstelle der Capella Sistina des Vatikans als Ort des Konklaves und auch Pius IX. wurde 1846 in der apostolischen Sommerresidenz zum Oberhaupt der Christenheit gewählt.11 Im Vorfeld der Eroberung Roms war der Quirinalpalast bereits 1859 als möglicher römischer Königsitz von der italienischen Regierung angedacht worden.12 Die erhöhte Lage des Baus und die Zentralität des Quirinalhügels machten den Palast nicht nur für den Heiligen Stuhl, sondern auch für das Dritte Rom attraktiv. 1873 erarbeitete der Ingenieur Alessandro Viviani den ersten Generalplan für Rom ( piano regolatore) |Abb. 2|. Entsprechend der direktionalen Stadtentwicklungsideen des italienischen Finanzministers Quintino Sella sah er für
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1 Unbekannter Fotograf: Rom, Piazza del Quirinale, Luftansicht, Fotografie, um 1970
das bis dato wenig bebaute Gebiet zwischen der Via XX Settembre und der seit Mitte der 1860er Jahre entstehenden Via Nazionale die Anlage von Ministeriumsbauten und repräsentativen Büroeinheiten vor.13 Sella schwebte vor, den historischen Kern Roms unangetastet zu lassen und im Osten der Stadt, der auch innerhalb der Aurelianischen Mauer bisher fast ausschließlich landwirtschaftlich genutzt wurde, eine moderne nationalstaatliche Verwaltungskapitale zu errichten, die parallel zum päpstlichen Rom existieren könne. Nicht die Industrie sollte die Stadt dominieren, sondern Rom ein Zentrum der italienischen Geistesund Wissenschaftswelt werden. Diese Hoffnungen Sellas fanden unter anderem auch in den nie ausgeführten Planungen einer Universität auf dem Virminal ihren Niederschlag.14 Letztlich siegte die Idee einer Öffnung und Erschließung des alten Rom durch das junge Italien und damit auch die Umwertung und Umkodierung bestehender Architektur. Städtebaulich gesehen befindet sich der Quirinalpalast am Ende der Via XX Settembre, der bereits unter
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2 Alessandro Viviani: Piano Regolatore, 1873 (schraffiert hervorgehoben Quirinalpalast), bearb. v. Britta Hentschel
Pius IV. angelegten ehemaligen Via Pia, die vom Stadttor der Porta Pia als gerade Achse bis zu den Dioskuren auf der Piazza del Quirinale verläuft. In ihrer Verlängerung führt die Via XX Settembre am Quirinal vorbei und kulminiert in der neu angelegten Via Nazionale, die vom Bahnhof Termini ins historische Zentrum der Stadt führt. Über die Exedra der Diokletianthermen, die Via V.E. Orlando und die Via XX Settembre ist der Quirinal leicht vom Bahnhof her zu erreichen, der insbesondere im urbanistischen Zusammenhang mit der halbkreisförmigen Piazza Esedra (1886–1902) als Zeichen von Modernität, Weltoffenheit und modernes Stadttor angesehen werden kann. Die irreguläre Piazza del Quirinale wird an drei Seiten von Gebäuden umschlossen: Im Nordosten durch den Quirinal, im Südosten durch den Palazzo della Consulta, nach Südwesten hin durch die päpstlichen Stallungen (scuderie papali oder pontificie) |Abb. 3|.15 Nach Nordwesten öffnet sich die Platzanlage als weite Aussichtsterrasse zur Stadt hin. In
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3 Anlage der Piazza del Quirinale in Rom
direkter Blickachse befindet sich der Vatikan mit St. Peter, dessen Kuppel die Vedute dominiert |Abb. 4|. Mit der Wahl des Quirinals als Königsresidenz traf der italienische Nationalstaat daher eine dezidierte Entscheidung innerhalb der bereits existierenden Bedeutungszusammenhänge der Stadt. Der Papst wurde mit der Besetzung seines Sommerpalasts von den Italienern geradezu herausgefordert. Die italienische Monarchie präsentierte sich Pius IX. auf gleicher Höhe und führte ihm so seine Niederlage unmittelbar vor Augen. Die Wahl eines anderen römischen Adelspalazzo hätte bereits einen Kompromiss Italiens mit der katholischen Kirche angedeutet.16 Mit dieser städtebaulichen Gegenüberstellung von päpstlichem Petersdom und königlichem Hof standen sich nach Giovanni Spadolini nicht nur zwei politische Herrscher, sondern auch zwei Konzeptionen von Geschichte, zwei Versionen
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4 Gaspar van Wittel: Piazza del Quirinale, 1682, Tempera auf Pergament, 26,5 × 47,2 cm, Rom, Pinacoteca Capitolina
der Welt gegenüber.17 Die Epochenwende innerhalb der italienischen Geschichte vollzog sich somit nicht nur politisch und geistesgeschichtlich, sondern wurde mit der Umkodierung des päpstlichen Sommerpalasts auf dem Quirinal gleichsam architektonisch und urbanistisch visualisiert. Symptomatisch ist auch die Tagebuchnotiz des deutschen Schriftstellers und Historikers Ferdinand Gregorovius (1821–1891), datierend vom 31. Dezember 1870: »Welch ein merkwürdiger Jahresschluss für Rom ist diese Erscheinung des Königs des einigen Italiens! Sie schließt das Mittelalter ab.«18 Italiens erster Monarch Viktor Emanuel II. fühlte sich allerdings nie im ehemals apostolischen Sommerpalast wohl. Der alltägliche Vergleich mit dem Vatikan störte ihn. Es wird überliefert, er hätte sich sogar geekelt, das päpstliche Refugium von den Fenstern seiner Residenz aus ständig vor Augen zu haben. Der König litt unter der Exkommunikation durch den Heiligen Stuhl und bemühte sich im Gegensatz zur Politik der italienischen Regierung um einen Ausgleich mit dem Vatikan.19 Erst unter seinem Sohn Umberto I. und dessen charismatischen Ehefrau Margherita öffnete sich der Quirinal einer königlichen europäischen Residenz entsprechend mit rauschenden Bällen dem weißen und damit nicht papsttreuen Adel, Politikern, Intellektuellen und hohen Beamten der jungen Nation. Der Quirinal wurde immer mehr zum Symbol des laizistischen Staates, der Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur in Opposition zur katholischen Kirche, sondern auch zu den aufkommenden sozialistischen Arbeitergruppen stand. Viktor Emanuel III. (Regierungszeit 1900–1943) gab den Quirinal als
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königliche Residenz auf und nutzte ihn nur noch als Arbeitsort, während er mit seiner Familie ein eher großbürgerliches Leben außerhalb der Stadtmauern vorzog.20 Seit 1947 ist der Quirinal Sitz des Präsidenten der Republik Italien. Erstaunlich ist, dass die Monarchie kaum bauliche Veränderungen am Außenbau des Quirinalpalasts vorgenommen hat. Einzig die Innenraumdekorationen wurden mehrfach überarbeitet. Zu Ehren des Besuchs des deutschen Kaisers Wilhelm II. wurden die Kirchen Santa Maria Maddalena, Santo Sacramento und Santa Chiara mit den dazugehörigen Konventen an der Via XX. Settembre abgerissen, um an der Südflanke des Quirinalpalastes einen Garten unterhalb der kaiserlichen Gästeappartements anzulegen.21 Die topographische Bedeutung der ehemaligen päpstlichen Sommerresidenz war den Planern des Dritten Rom somit vollends bewusst. Das äußere Erscheinungsbild des Palasts blieb demnach unverändert, um den historischen »landmark«-Charakter des Baus nicht zu stören. Eine städtebauliche Neukonnotierung reichte aus, um den Status des Quirinals von einem architektonischen Manifest des Papsttums in einen neuen kollektiven Gedächtnisort der jungen Nation und Monarchie zu verwandeln. Die Reaktionen des Vatikans auf die Okkupation der päpstlichen Sommerresidenz waren verhalten. Der zuständige Kardinal Antonielli verweigerte die Herausgabe der Schlüssel, sodass Lamarmora gezwungen war, den Quirinal aufbrechen zu lassen. Pius IX. ließ zudem verlauten, er sei zu alt, um Pius VII. zu imitieren und Viktor Emanuel sei schließlich nicht Napoleon. Damit verwies er auf die Okkupation des Quirinalkomplexes 1809–1814 durch die napoleonischen Truppen, die ihn in einen kaiserlichen Palast umwandeln wollten. Hatte der Quirinalpalast Pius VII. zunächst noch von Februar 1808 bis Juli 1809 als Fluchtburg vor den Franzosen gedient, wurde Raffaele Stern 1811 nach der Gefangennahme des Pontifex mit der Umgestaltung dessen Sommerresidenz in einen kaiserlichen Palast beauftragt. Eingebunden war der Umbau des apostolischen Palasts in ein von Camillo de Tournon erarbeitetes urbanistisches Konzept, das die klerikal geprägte città eterna in eine moderne europäische Stadt nach französischem Vorbild verwandeln sollte. Innerhalb von nur acht Monaten wollte Stern zusammen mit Marziale Daru den gesamten Quirinalkomplex inklusive der Palazzi della Dataria und della Consulta und verschiedener Klöster und Gärten umgestalten, den Platz ebnen und in eine symmetrische Anlage verwandeln. Damit wäre das Platzkonzept Berninis, das auf verschiedene Betrachterstandpunkte angelegt worden war, zerstört worden. Der Sturz Napoleons 1814 verhinderte jedoch diese Pläne. Es wurden lediglich Restaurierungsarbeiten am Palast eingeleitet, die später von dem zurückgekehrten Pius VII. fortgeführt werden sollten. Erst Pius IX. nahm die napoleonischen Ideen für den Quirinal wieder auf und ließ durch Virginio Vespignani den Platz ebnen, den Block der Dataria neu gestalten und eine Zugangsrampe von der Fontana di Trevi her anlegen. Schon vor der Eroberung Roms im Jahre 1870 gab es Überlegungen, Vespignanis Neuerungen städtebaulich mit dem neuen Bahnhof Termini auf dem Gelände der Villa Massimo alle Terme und der durch den päpstlichen Kriegsminister Frédéric François Xavier de Mérode begonnene Via Nazionale bei den Diokletianthermen zu verbinden, doch dazu blieb den Päpsten keine Zeit mehr.22
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Die Idee einer dezidierten städtebaulichen Gegenüberstellung von altem und neuem Staatssystem in Rom ist daher keine Erfindung des Dritten Rom: Neben den Franzosen hatte auch Giuseppe Mazzini während der kurzen römischen Republik 1849 den Quirinal als seine Residenz gewählt. Jedoch war es erst die parlamentarische Monarchie Italien, der es gelang, den Päpsten den Quirinal endgültig zu entreißen, für sich ideologisch in Anspruch zu nehmen und ihn als Königshof in das kollektive Gedächtnis der Italiener einzuschreiben. Diese ersten Erfolge der städtebaulichen Implantierung der Monarchie in Rom können jedoch nicht über die große Unsicherheit hinwegtäuschen, die der italienische Staat in den ersten Jahren gegenüber dem Papst, der katholischen Kirche und dem eignen Herrschaftsanspruch an den Tag legte. Gustav Seibt spricht von einer symbolischen Überforderung, »mit der Rom den jungen Nationalstaat fortan belastete«.23 Die offiziellen Stadtregulierungspläne der römischen Stadtverwaltung von 1873 und 1883 waren ein Instrumentarium, um sich in Rom nicht nur mit eigenen Neubauten, sondern – ähnlich dem frühen Beispiel der Inbesitznahme des Quirinals – mittels Umwidmung und Umkodierung bestehender päpstlicher Bauten und Straßenzüge in der ererbten Kapitale Rom zu präsentieren und damit auch jene anfängliche Unsicherheit abzulegen.2 4
Die Via Nazionale Mit der Errichtung des Bahnhofs Termini 1867–1874 durch Salvatore Bianchi im Auftrag von Pius IX. wurde Rom an das Schienennetz angeschlossen und damit die Entwicklung der Stadt gen Osten vorgezeichnet. Unter anderem präsentierte Antonio Cipolla einen städtebaulichen Plan für die Umgebung und urbanistischen Einbindung des Bahnhofs: Die Porta Pia sollte in einer geraden Achse mit dem Obelisken von Santa Maria Maggiore verbunden werden. Nur die Stazione Termini tangierte diese Achse. Der Bahnhof als neues modernes Tor zur Stadt wäre so mit dem alten Stadttor, der Porta Pia verknüpft worden. Vorausschauend kaufte der findige päpstliche Kriegsminister Frédéric François Xavier de Mérode (1820–1874) seit Ende der 1850er Jahre systematisch Land um die antike Exedra der Diokletianthermen (298–306 n. Chr.) in Bahnhofsnähe auf. Seine Besitzungen dehnten sich über die Jahre den Quirinalhügel entlang bis zur Piazza del Boschetto auf der Höhe des heutigen Palazzo delle Esposizioni aus. So schuf er nach Jahrzehnten der städteplanerischen Stagnation die Grundlage für das erste komplette Neubaugebiet Roms – noch vor dem Anschluss Roms an Italien. 1864 wurden die ersten Bauten zwischen Via Torino und Via di San Vitale begonnen. Weitere folgten im Verlauf der nächsten Jahre zwischen der Piazza delle Terme und der Via delle Quattro Fontane. In diesen ersten Projekten wurde die Via Nazionale noch als Via Madonna degli Angeli bezeichnet.25 Damit nahm man Bezug auf die ab 1561 in den Ruinen der Thermenanlage nach Entwürfen von Michelangelo errichtete Kirche Santa Maria degli Angeli, die als Hintergrundsfolie der neuen Achse diente.26
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5 Verlauf der Via Nazionale nach Viviani, 1871, bearb. v. Britta Hentschel
Nach der Eroberung Roms durch die Italiener legte Alessandro Viviani im November 1871 einen Plan für die nun in Via Nazionale umgetaufte Via Madonna degli Angeli vor, der diese über die Via delle Quattro Fontane hinaus weiterdachte: In der Manier französischer Boulevards sollte sie gerade auf das historische Zentrum Roms zulaufen |Abb. 5|. Das starke Gefälle des Quirinalhügels und die antiken Trajanmärkte mit dem angrenzenden mittelalterlichen Torre delle Milizie machte jedoch eine Kurve auf der Höhe der Via del Quirinale, der heutigen Via XXIV Maggio nötig. Viviani sah vor, die Via Nazionale über die Piazza di Trevi und die Via del Corso zum Pantheon zu leiten. Eine Umsetzung dieser städtebaulichen Konzeption hätte unweigerlich zur Zerstörung der intimen Platzsituation vor dem Trevibrunnen geführt, aber für das Dritte Rom wirkungsvolle städtebauliche Bezüge ergeben.27 Über verschiedene Blickachsen wären die Dioskuren vor dem Quirinal, die Thermen des Diokletian und die Fontana di Trevi von Salvi miteinander verbunden worden. Das Pantheon hätte als Schluss- und Höhepunkt der Straße fungiert. Vivianis Vorschlag einer monumentalen Schaustraße vom Bahnhof zum Pantheon wurde jedoch aus verkehrstechnischen Gründen abgelehnt und stattdessen, nach einer Reihe von Gegenvorschlägen, nur eine sehr reduzierte Kompromisslösung realisiert, auf die noch die heutige Straßenführung zurückgeht.28 So mündete die Via Nazionale nun in zwei engen Kurven in die erweiterte Piazza Venezia. Aufgegeben wurde eine Verbindung zur Fontana di Trevi und dem Pantheon, das, seit Jahrhunderten als katholisches Gotteshaus genutzt, nach dem Tode Viktor Emanuels 1878 als Basilica Palatina dei Re d’Italia, d.h. als Grablege der italienischen Könige, eine neue Bestimmung fand.29 Im Zuge dieser Maßnahmen wurde das Pantheon 1881–1882 städtebaulich isoliert und die beiden Kirchtürme Berninis abgerissen, um den antiken Ursprungszustand wiederherzustellen.30
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6 Unbekannter Fotograf: Via Nazionale, Fotografie, um 1890
Neben dieser spektakulären Neukodierung des Pantheons ist die Einbindung der Diokletianthermen bzw. der christlichen Kirche Santa Maria degli Angeli besonders interessant: Über Jahrhunderte lagen die antiken Thermenruinen mit dem von Michelangelo eingeschriebenen Gotteshaus in einer ländlichen, wenig beachteten Villengegend. Der erhebliche Bevölkerungsschwund seit der Antike hatte dazu geführt, dass weite Teile des Gebiets innerhalb der Aurelianischen Stadtmauer als Obstgärten, Weidefläche und adeliges Erholungsgebiet genutzt wurden. Mit der Anlage der Via Nazionale wurden nicht nur die De MérodePlanungen überformt, sondern der gut erhaltene »Zwitter« aus Thermenanlage und Kirche als Hintergrundmotiv der Prachtstraße des Dritten Rom gewählt |Abb. 6|. Die italienische Monarchie bezeichnete sich selbst gerne bis zu ihrem Ende 1943 als Terza Roma, in Abgrenzung und Anlehnung an das erste Rom der Antike und das zweite Rom der Päpste. Vor der durch die Diokletianthermen und Santa Maria degli Angeli gebildeten Synthese des ersten und zweiten Rom, geleitet das dritte Rom den Besucher über die von Gaetano Koch ab
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1886 überformten Thermenexedren und die Via Nazionale in das historische Zentrum und zum Vittoriano, dem nationalen Denkmal für Viktor Emanuel II. Mit der Anlage der Via Nazionale gelang der italienischen Nation auf eindrückliche Weise die Architekturversatzstücke der Antike und der Katholischen Kirche als Staffage und Passepartout der eigenen Ambitionen und Erfolge zu inszenieren. Die Änderung des ursprünglich von Viviani geplanten Straßenverlaufs der Via Nazionale im Juni 1876 war zudem von integraler Bedeutung für die Gesamtanlage der Stadt Rom. Ursprünglich hatte man geplant, ein neues Stadtzentrum an der Piazza Colonna mit Banken, Kaufhäusern und einer großen Galerie nach Pariser Vorbildern zu errichten. Zugunsten einer Konzentration auf die Ost-West-Achse wurde dieses Vorhaben nur in reduziertem Umfang realisiert.31 Die spätere Errichtung des Vittoriano an der Piazza Venezia wurde damit überhaupt erst möglich. Zugleich wurde der Corso Vittorio Emanuele II an den Bahnhof im Osten der Stadt angebunden.
Der Corso Vittorio Emanuele II In seinen Grundzügen war der Corso Vittorio Emanuele II bereits im piano regolatore 1873 von Alessandro Viviani enthalten gewesen. Auf Grund fehlender kommunaler Finanzmittel konnte der Stadtregulierungsplan, der auf »ingradimento ed abbellimento« abzielte, zunächst nicht realisiert werden.32 Erst mit der Bereitstellung staatlicher Fonds über ein eigens für den Hauptstadtumbau erlassenes Gesetz trat eine modifizierte Fassung des Generalplans zehn Jahre später in Kraft |Abb. 7|.33 Unmittelbar nach der Bresche von Porta Pia hatte 1870 eine immense Bautätigkeit und Grundstücksspekulation in der Stadt eingesetzt, das so genannte febbre edilizia (Baufieber). Der piano regolatore von 1883 kann daher in vielen Punkten nur als nachträgliches Regulativ einer seit dreizehn Jahren andauernden Entwicklung angesehen werden, da er bereits Entstandenes integrieren musste. Die großen städtebaulichen Veränderungen, wie die Sanierung des jüdischen Ghettos oder der Durchbruch des Corso Vittorio durch das eng besiedelte Tiberknie wären ohne ihn jedoch nicht realisierbar gewesen. Der Corso Vittorio Emanuele führt die Via Nazionale jenseits der Piazza Venezia fort und durchschneidet das mittelalterlich geprägte städtebaulich engmaschige Gewebe des Tiberbogens von Osten nach Westen in Richtung Vatikan. Dabei folgt er im Abschnitt zwischen den Kirchen Il Gesù, der Patronatskirche der Farnese, und San Pantaleo dem Verlauf der alten Via Papalis. Diese päpstliche Triumphstraße verband die beiden apostolischen Hauptkirchen San Pietro und San Giovanni in Laterano miteinander und hatte einen hohen religiösen Stellenwert als Prozessionsstraße innerhalb des römischen Straßengefüges: Sie war Teil des Inthronisationsritus des Papstes. Jeder neu gewählte Pontifex musste in einer Prozession (ordo romanus) als Bekanntmachung seiner geistigen und zeitgebundenen weltlichen Macht über die Stadt vom Vatikan aus den Lateran als Sitz des Bischofs von Rom in Besitz nehmen.3 4
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7 Alessandro Viviani: Piano Regolatore, 1883
Nach der Rückkehr der Päpste aus dem Exil in Avignon 1377 wurde die Via Papalis für die Angehörigen des päpstlichen Hofs und für die reiche Adelsschicht zu einer bevorzugten Wohngegend. Zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert entstanden an ihr eine Reihe von Palästen, wie der Palazzo Caffarelli Vidoni und der Palazzo della Cancelleria. Doch büßte die Via Papalis bereits im 17. Jahrhundert an Attraktivität ein – die Via del Corso, die von der Porta del Popolo dem Verlauf der antiken Via Lata folgend auf die Piazza Venezia zuführt, lief ihr den Rang als noble Wohnmeile ab.35 Es scheint somit eine fast zwingende Folgerung der Historie zu sein, wenn die Terza Roma sich dieser ideologisch aufgeladenen Strecke bemächtigte und sie in ihrem Sinne überformte. Nichts zeigt deutlicher die veränderten Machtverhältnisse auf der italienischen Halbinsel als die Einverleibung und Umkodierung der alten Via Papalis in einen Straßenzug, der den Namen jenes Monarchen trägt, welcher das Papsttum entmachtete: Vittorio Emanuele II.
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N 8 Anlage des Corso Vittorio Emanuele II nach 1886 in Rom
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Während die Via Papalis die beiden apostolischen Hauptkirchen miteinander verband, löst der Corso Vittorio diese stadtinhärenten Bedeutungszusammenhänge auf: Als Verlängerung der Via Nazionale verknüpft er heute den Bahnhof Termini mit dem Vatikan. An der Piazza di San Pantaleo verlässt der Corso Vittorio die Via Papalis, die über die Via del Governo Vecchio und die Engelsbrücke gen Vatikan führt, und durchbricht die enge Bebauung des quartiere del rinascimento. Hinter dieser Abweichung von der päpstlichen Prozessionsstraße im letzten Straßendrittel stand das Ziel, den Palazzo della Cancelleria und die Chiesa Nuova mit dem Oratorium der Philippiner städtebaulich einzubinden |Abb. 8|. Die Bauten entlang des Corso Vittorio, der sich in meanderndem Verlauf an ihnen vorbei windet und damit so gar nicht den Pariser Avenues Haussmanns entsprechen möchte, könnten jedes Architekturlehrbuch illustrieren: Hier finden sich die großen Kirchen der Gegenreformationsorden, die Jesuitenkirche Il Gesù, und das Theatinermutterhaus Sant’Andrea della Valle, die Renaissancepalazzi Alteri, Caffarelli Vidoni und Massimo alle Colonne, die apostolische Kanzlei im Palazzo della Cancelleria, die kurvierte Piazza della Chiesa Nuova mit der gleichnamigen Kirche und Borrominis Oratorio dei Filippini. Durchblicke erlaubt der Corso Vittorio zudem auf die Piazza Navona, den Palazzo Farnese, die Engelsburg und die Kirche San Giovanni dei Fiorentini. Eine ursprünglich geplante Gabelung des Corso Vittorio auf der Höhe der Florentiner Patronatskirche San Giovanni wurde 1886 zugunsten einer geraden Straßenführung auf die andere Tiberseite aufgegeben. Der Engelsbrücke, die als päpstliche Triumphbrücke die antike Hadrianbrücke inkorporiert und überformt, wurde der Ponte Vittorio Emanuel II als Apotheose des re galantuomo Viktor Emanuel gegenübergestellt.36 Eine Einbindung des Vatikans in das städtebauliche Konzept des Dritten Rom war mit dem Abriss der spina di borgo und der Anlage einer breiten Geraden auf Sankt Peter im piano regolatore von 1873 vorgesehen gewesen. Zehn Jahre später wurde diese Idee jedoch wieder verworfen, da sich das Verhältnis zwischen Heiligem Stuhl und italienischer Regierung nach den Wahlen von 1876 erneut verschlechtert hatte. Erst durch Mussolinis Friedensschluss mit dem Vatikan kam es in den 1940ern anlässlich des bevorstehenden Heiligen Jahres 1950 mit dem Bau der Via della Conciliazione zur Realisierung dieses Vorhabens.
Geschickt nutzte das Dritte Rom die päpstlichen Inkunabeln der Renaissance und des Barock für seine eigenen repräsentativen Zwecke und gegen den Vatikan. Dank des Corso Vittorio Emanuele II wurden die Bauten aus ihrer kleinteiligen und engen städtebaulichen Umgebung herausgelöst und auf besondere Weise ins Licht gerückt. So instrumentalisierte der sanft kurvierte Corso Vittorio die kunst- und kulturhistorisch bedeutsamen Bauwerke im Sinne der neuen Machthaber. Schlaglichter werden auf die Kunst- und Kulturleistungen der päpstlichen Epoche und mit den Ausgrabungen am Largo di Torre Argentina durch Antonio Muñoz 1926–1929 auch auf die Antike geworfen. Zusammengehalten und in einen neuen Rahmen gegossen werden diese Zeugnisse überwundener Gesellschafts- und Staatsformen durch den neuen Straßenzug des Dritten Rom. Diese Perlenschnur der Architekturdenkmäler, die der Corso Vittorio durch das Tiberknie legt, wird durch Neubauten komplettiert, die den Anforderungen des abbellimento genügen sollten.37 Besucher, Pilger und Einheimischem wurde entlang des Corso Vittorio vorgeführt, welche Schätze der Nation Italien durch die Eroberung Roms 1870 zugefallen waren, als deren rechtmäßige Erbin sie sich präsentierte. Der dadurch entstandene Charakter eines großen Freilichtmuseums war also explizit gewollt.
Die Antikenintegration und -neukodierung durch das Dritte Rom Doch nicht nur die Neuinszenierung von Bauten und Komplexen der päpstlichen Regierungszeit über Rom, sondern auch antike Bauten und Ruinen wurden für die staatliche Selbstrepräsentation in Anspruch genommen, wie bereits in Bezug auf das Pantheon und die Diokletianthermen ausgeführt wurde. Anlässlich des Stadtregulierungsplans für Rom wurde in den 1880ern Jahren zwischen drei Entwicklungsebenen differenziert: die città attuale, zu der vor allen die neu angelegten Straßenachsen gehörten, die città futura, die mit der Errichtung neuer Wohnvierteln entstehen sollte, und die città antica, welche die Schaffung archäologischer Zonen vorsah.38 Der königliche Stadthalter Lamarmora löste bereits im November 1870 das päpstliche Commissariato delle Antichità e Belle Arti auf und gründete mit der Sopraintendenza per gli Scavi eine eigene Behörde, unter deren Direktive Ausgrabungen auf dem Forum Romanum zum Ruhme der Terza Roma unternommen werden sollten.39 Über Jahrhunderte hinweg war das antike Forum östlich des Kapitols totes städtisches Gebiet gewesen. Zwischen dem Septimus Severus Bogen und dem Titusbogen ragten nur wenige Ruinen aus dem hohen Gras. Die Bevölkerung verspottete das ehemalige römische Forum entsprechend als Campo Vaccino (Kuhweide) |Abb. 9|.40 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts änderte sich dies und die päpstliche Kapitale wurde zur Stadt der Ausgrabungen. Die kurze napoleonische Herrschaft über Rom zu Beginn des 19. Jahrhunderts führte zu einer nochmaligen Zunahme der Ausgrabungen mit der Intention, nicht nur antike Kunstschätze zu Tage zu fördern, sondern auch der Hoffnung, den antiken Geist zu Ehren
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9 Unbekannter Fotograf: Ansicht des Forum Romanum in Rom, Fotografie, um 1870
Napoleons wiederbeleben zu können.41 Die Grabungen der zumeist aus anderen europäischen Nationen stammenden Forschungsteams konnten jedoch nichts daran ändern, dass Rom 1870 immer noch als »ricchissimo museo quasi addormentato« galt und als »Bella addormentata«, als schlafende Schöne – im Italienischen gleichbedeutend mit Schneewittchen – bezeichnet wurde.42 Dank des Engagements des Kultusministers Guido Baccelli wurde das Forum nicht in die urbanistische Umgestaltung Roms der 1880er Jahre miteinbezogen, sondern blieb rein archäologisches Gebiet.43 Ursprüngliche hatte es Überlegungen gegeben, die neu angelegte Via Cavour bis nach Trastevere fortzusetzen und die Foren, den Palatin und den Circus Maximus mit einer Eisenbrücke zu überspannen. Die Stadtplaner sahen jedoch den utopischen Charakter ihres Vorhabens ein und ließen die vom Bahnhof kommende Via Cavour am Forum Romanum enden.4 4 Ziel der Kommune war es, die antiken Monumente mittels Gartenanlagen und Alleen zu verbinden, doch schlug sich diese Idee kaum in den piani regolatori nieder. Daher stellte Baccelli 1887 den Antrag, eine passeggiata archeologica, einen archäologischen Spaziergang anzulegen. Ein eigener piano regolatore sollte für das Gebiet zwischen Tiber, Via dell’Arco di San Lazzaro und Porta San Paolo erstellt werden. Weiter sollte sich dieser archäologische Park entlang der Aurelianischen Mauer bis zur Porta San Sebastiano und zu den Katakomben außerhalb der Mauern entwickeln. Zurück ins Zentrum sollte er über die Via delle Sette Sale, die Via della Salara Vecchia und die Via Cremona (über die Achse der heutigen Via de Fori Imperiali) bis zur Bocca della Veritá bei Santa Maria in Cosmedin führen. Das heißt, alle
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10 Unbekannter Fotograf: Teilstück der Passeggiata Archeologica zwischen Circus Maximus und Caracallathermen in Rom, Fotografie, um 1911
wichtigen antiken Monumente – das Forum, der Palatin, das Kolosseum, die Caracallathermen, das Kapitol, der Circus Maximus, die Via Appia Antica mit ihren Grabmälern und Katakomben und das Marcellustheater – wären darin enthalten gewesen. Erstmalig hätte so in Italien ein großes, denkmalgeschütztes Areal entstehen und eine große innerstädtische Grünfläche geschaffen werden können.45 Rodolfo Lanciani, Herausgeber des berühmten archäologischen Kartenwerks Forma Urbis Romae (1896), wurde als Leiter dieser Planungen berufen, doch hielt er die von der Kommune geforderte zehnjährige Entwurfsfrist nicht ein und ignorierte die finanziellen Rahmenbedingungen, die dem Projekt von der Stadt zugedacht waren. Erst anlässlich der Feiern zum fünfzigjährigen Bestehen des italienischen Staates 1911 wurde eine reduzierte Version der passeggiata archeologica vom Kapitol bis zu den Caracallathermen umgesetzt |Abb. 10|.46 Der Ausgrabungseifer des Dritten Rom hatte aber leider nicht zur Folge, dass das archäologische Erbe außerhalb der Zone um Kolosseum und Palatin geschützt wurde. Während des allgemeinen Baufiebers der 1880er Jahre wurden viele archäologische Stätten trotz großen Widerstands von Forschern und Funktionären – unter ihnen Rodolfo Lanciani – zerstört.47 Eindrücklichstes Beispiel ist hierfür die Errichtung des Vittoriano nach den Plänen Giuseppe Sacconis an der nordöstlichen Flanke des Kapitolhügels. Neben dem Konventsgebäude von Santa Maria in Ara Coeli und dem Turm Pauls III. wurden die Reste einer Reihe von antiken Bauten nicht konserviert, sondern vernichtet.48 Der römische Bürgermeister Leopoldo Torlonia rechtfertigte diesen sehr ambivalenten Umgang mit der Antike mit dem lapidaren Verweis darauf, dass jede Generation unwillkürlich Werke der vorangegangenen zerstöre.49
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Damit öffnet sich eine Kluft zwischen den archäologischen Interessen und der Einbindung und Neukodierung der Antike im Zeichen nationaler Selbstrepräsentation. Einerseits strebte der italienische Staat aus den gleichen propagandistischen Beweggründen, wie sie allen Herrschern über Rom zu eigen waren, danach, die Erinnerung an das kaiserzeitliche Rom aufrecht zu erhalten, standen die Monumente der römischen Kaiser doch für Weltherrschaft, Expansion und auch technische Innovation.50 Alle diese drei Attribute wollte sich auch das Dritte Rom gerne auf die Fahnen schreiben und sich auf diese Weise seiner legitimen Nachfolgerschaft versichern. Andererseits waren viele antike Monumente schlechthin im Weg! Republikanische Antikenfunde stießen hingegen bei den Vertretern der parlamentarischen Monarchie auf nur geringes Interesse. Die demokratischen Strömungen um Mazzini und Garibaldi, die von einer italienischen Nation ohne Monarchie träumten, waren neben der Katholischen Kirche schon seit Anbeginn des Risorgimento von den Königsbefürwortern bekämpft worden. Endlich in Rom angekommen, wollte die parlamentarische Monarchie Italien nicht durch gesonderte Ausgrabungen an diese ebenso antike Tradition erinnern. Die Ausgrabungen, die unter der Herrschaft der Päpste erfolgt waren, versuchte man zudem als unwissenschaftlich abzuwerten. Insbesondere die Wiederverwendung gefundener Statuen und Architekturfragmente als Spolien wurde missbilligt. Das vorgebliche Ziel des Dritten Rom war ein wissenschaftliches Interesse an der Vergangenheit und die Erforschung der römischen Topografie – ein Interesse, das indes immer nur dann zum Tragen kam, wenn eine nationale Vereinnahmung der Fundstücke möglich war und keine verkehrsoder wohnungstechnischen Ziele ihrem Erhalt entgegenstanden.51
Strategien Die Geschichte des Stadtumbaus Roms von der päpstlichen Kapitale zur Hauptstadt Italiens ist sehr komplex, wechselvoll und oftmals widersprüchlich. Ambitioniertes Ziel der jungen Nation Italien war es, sich in das Palimpsest aus antiken und päpstlichen Strukturen dieser geschichts- und symbolträchtigen Stadt einzuschreiben und die Zeugnisse der Kaiserzeit und der Katholischen Kirche als würdige Kulisse nationaler Ideale zu inszenieren. Auch wenn es vordergründig so scheint, als hätte das Dritte Rom dabei nicht nach einem einheitlichen Muster oder Schema verfahren, sondern lediglich auf bestehende Bedeutungszusammenhänge reagiert, so lassen sich für die Stadtplanung zwischen 1870 und 1909 doch eine Reihe von Strategien benennen, die das römischen Stadtbild nachhaltig geprägt haben und heute noch an ihm ablesbar sind.52 Hinsichtlich der Auswahl an inszenierungswürdigen Bauten und Straßenzügen des Dritten Rom lässt sich festhalten, dass insbesondere Gebäude, Kirchen und Ensembles inhaltlich und städtebaulich neu besetzt wurden, die zuvor klerikal oder kaiserzeitlich konnotiert waren. Wie die republikanischen Antikenfunde kam auch das Kapitol als Ort könig-
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licher und nationalstaatlicher Selbstinszenierung nicht in Frage: Seit Cola di Rienzo Mitte des 14. Jahrhunderts dort – wenn auch vergeblich – versucht hatte, den republikanischdemokratischen Traditionsstrang des alten Roms wiederzubeleben, war das Kapitol immer wieder Schauplatz ähnlicher Ansinnen gewesen und ins kollektive Gedächtnis der Römer entsprechend eingegangen. Generell sind drei Strategien im Ungang des Nationalstaats mit seiner neuen Hauptstadt Rom erkennbar: Zum einen werden mittels neuer Achsen bestehende Bedeutungszusammenhänge überformt und mit nationalen Intentionen aufgeladen, wie anhand der Beispiele des Corso Vittorio Emanuele II oder der nicht realisierten ursprünglichen Planungen für die Via Nazionale gezeigt werden konnte. Zum anderen werden »landmarks« des imperialen oder klerikalen Rom mit neuen nationalstaatlichen Funktionen versehen, wie hier am Beispiel der Umwandlung des Quirinalpalasts von der päpstlichen Sommerresidenz zum Königshof oder der Nutzung des Pantheon als Grablege der italienischen Monarchie ausgeführt wurde. Die historischen Bauten werden gleichzeitig nahezu immer in einen neu kodierten innerstädtischen Bedeutungsrahmen eingebunden. Die einzelnen Solitäre werden semantisch neu aufgeladen und dadurch verändert sich die Syntax der Stadt. Ergänzt werden diese beiden Strategien um die hier außen vorgelassene Implantierung eigener Großbauten wie Parlament, Nationalbank oder Justizpalast und neuer Wohnviertel auf den Parti di Castello, am Esquilin und anstelle der Villa Ludovisi am Pincio. Neben den neuzeitlichen Ensembles rekurriert der Nationalstaat auch auf Relikte der kaiserzeitlichen Antike als Autorepräsentations- und Spiegelfläche. Der Via Nazionale dienen die Diokletianthermen als adäquate Folie, vor der sich der laizistische Prachtboulevard entwickelt, während die herauspräparierte passeggiata archeologica eine würdige Kulisse und Bezugsebene für das gesamte moderne Rom bietet. Das Prinzip der Neukodierung bestehender Stadtstrukturen und Architekturen ist keine Erfindung des Dritten Rom und auch nicht auf die Hauptstadt zu beschränken. Jedoch tritt dieses Phänomen der Raumaneignung zur herrschaftlichen Selbstpräsentation und Machtinstallation nach 1870 in Rom besonders prägnant und stadtprägend auf. Das Palimpsest der Ewigen Stadt aus Antike und Papsttum mit all seinen Bedeutungsbezügen und Allmachtsansprüchen bot sich geradezu zur Vereinnahmung durch den italienischen Nationalstaat und seiner Inszenierung als rechtmäßige Erben dieses Machtkonglomerats an. Erstaunlich bleibt, dass während der langen Vorbereitungszeit des Risorgimento so wenig Augenmerk auf den praktischen Umgang mit der ersehnten Hauptstadt Rom gelegt wurde. Die Italiener scheinen von der sich plötzlich auf internationaler politischer Ebene ergebenden Möglichkeit der Eroberung Roms am 20. September 1870 überrascht worden zu sein. Dennoch geben die Stadtregulierungspläne – ungeachtet ihrer langen Vorlaufzeiten und verspäteten Umsetzung – die politische Richtung bei der Vereinnahmung und Umgestaltung der città eterna klar vor: Nicht das Auslöschen der päpstlichen Vergangenheit Roms war das Ziel, sondern eine Umkodierung des Bestehenden wurde gewünscht. Zusätzlich sollte die Antike durch Ausgrabungen in das Stadtbild mit eingewoben werden. Ergänzt wurde dieses
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Konglomerat aus national neukonnotierten Monumenten durch repräsentative Ministeriumsneubauten und Platzanlagen des Dritten Rom. Den Höhepunkt dieser bis in den Faschismus fortwährenden Entwicklung bildet die Errichtung des Vittoriano in Erinnerung an Italiens ersten König an der Piazza Venezia, mit dem Sankt Peter nicht nur städtebaulich sondern auch politisch ein optisches Gegengewicht gesetzt wurde.
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1 Zur Begriffsdefinition von Code bzw. Kode vgl. Umberto Eco: Funktion und Zeichen (Semiologie der Architektur), in: Alessandro Carlini u. Bernhard Schneider (Hg.): Architektur als Zeichensystem, Tübingen 1971, S. 19–68, S. 21–23 u. S. 42; id.: Einführung in die Semiotik, München 1972, S. 334–335; zur weitern wissenschaftlichen Diskussion unter anderem die umfassende Studie von Reinhard Bauernfeind: Sozio-Logik. Der kulturelle Code als Bedeutungssystem, Frankfurt am Main 1995. Jedoch interessieren sich sowohl Eco als auch Bauernfeind kaum für den Prozess der Neu- und/oder Umkodierung. Nach Eco wird lapidar die erste Funktion eines Objekts neu kodiert, wenn dem Objekt eine neue Funktion zuteil wird; vgl. Eco (Einführung), S. 335. Dass Architektur Trägerin verschiedener Inhalte und Funktionen sein kann, die oftmals zeitlichen Grenzen unterworfen sind, hat hingegen bereits Günter Bandmann 1951 eindrücklich dargelegt; vgl. Günter Bandmann: Ikonologie der Architektur, in: Jahrbuch für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 1/1951, S. 67–109. 2 Bereits 1847 gründete Camillo Cavour zusammen mit Cesare Balbo die Zeitschrift Risorgimento. Der Name Risorgimento (dt. Wiederauferstehung) wurde bald zum Synonym für die Erneuerung und das Einigungsbestreben Italiens. Mittlerweile ist er zum festen historischen Epochenbegriff der Zeit zwischen 1815 und 1870 geworden. Die Inbesitznahme des päpstlichen Roms als Hauptstadt eines neuen italienischen Nationalstaats unter Führung des Savoyers Viktor Emanuel II. war das erklärte Ziel und oftmals kleinster gemeinsamer Nenner aller unterschiedlichen politischen Gruppierungen des Risorgimento. 3 Die Monarchie Italien bezeichnete sich, seine Zeit und seine Hauptstadt als das Dritte Rom (Terza Roma) in Anlehnung und Abgrenzung zum ersten Rom der römischen Antike und zum zweiten Rom der Päpste; vgl. Gustav Seibt: Rom oder Tod. Der Kampf um die italienische Hauptstadt, Berlin 2001, S. 260. 4 Zitiert nach Seibt 2001 (wie Anm. 3), S. 261. 5 Der Kirchenstaat breitete sich zwischen 1860 und 1870 vom Bolsenasee über Orte und Arsoli bis hinunter nach Ceprano und Terracina aus und schloss Rom als politisches und geistliches Zentrum der katholischen Kirche zum Tyrrhenischen Meer hin ein. 6 In den Septemberkonvention von 1864, einem »der missverständlichsten Vertragswerke der Diplomatiegeschichte« (Seibt 2001 [wie Anm. 3], S. 32) verpflichtete sich Frankreich zu einem Abzug seiner Truppen innerhalb der folgenden zwei Jahre aus dem Kirchenstaat und Rom (der de facto nicht erfolgte), während die Italiener versicherten, die Grenzen des Kirchenstaats zu respektieren und vor Angriffen durch die revolutionäre Partei zu schützen. Der französische Kaiser Napoleon III. hoffte, durch eine Hauptstadtverlegung von Turin nach Florenz die italienischen Hoffnungen auf Rom endgültig zu zerstreuen, während die italienische Regierung in der Verlagerung ihrer Kapitale nur einen weiteren Schritt in Richtung Rom sah. 7 Vgl. Thorsten Rodiek: Das Monumento Nazionale Vittorio Emanuele II. in Rom, Frankfurt am Main 1983, S. 17. 8 Vgl. Giovanni Spadolini: Il Quirinale nella storia d’Italia, in: Franco Borsi (Hg.): Il Palazzo del Quirinale, Rom 1974, S. 9–22. 9 Zitiert nach Spadolini 1974 (wie Anm. 8), S. 11–12 (»Hier sind wir endlich und hier bleiben wir.«; übers. B. Hentschel). 10 Vgl. Tci (Hg.): Guida d’Italia del Touring Club Italiano. Roma e dintorni, Mailand 1962, S. 295. 11 Zuvor waren auch Leo XII. 1823 und Pius VII. 1829 in der Capella Paolina im Quirinalpalast zum Papst gewählt worden; vgl. Spadolini 1974 (wie Anm. 8), S. 15.
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12 Vgl. Vittorio De Feo: La Piazza del Quirinale. Storia, architettura, urbanistica, Rom 1973, S. 151. 13 Idid., S. 152–153. 14 Vgl. dazu Spiro Kostof: The Third Rome 1870–1950. Traffic and Glory, Berkeley 1973, S. 10–12; Giovanni Accasto, Vanna Fraticelli u. Renato Nicolini: L’Architettura di Roma Capitale 1870–1970, Rom 1971, S. 155; Giuseppe Miano: Roma. I piani urbanistici, in: Amerigo Restucci (Hg.): Storia dell’Architettura italiana. L’Ottocento, Mailand 2005, S. 28–32. 15 Unter Clemens XII. wurde der Bau des Palazzo della Consulta von Ferdinando Fuga 1732–1734 als Gericht der Sacra Consulta errichtet; nach 1870 fungierte der Bau als Außenministerium, dann als Ministero dell’Africa Italiana und heute als Verfassungsgericht; vgl. TCI 1962 (wie Anm. 10), S. 296. 16 Vgl. Spadolini 1974 (wie Anm. 8), S. 10. 17 Ibid., S. 13. 18 Ferdinand Gregorovius: Römische Tagebücher 1852–1889, hg. v. Hanno-Walter Kruft u. Markus Völkel, München 1991, S. 301. 19 Viktor Emanuel II. vermied zwar offizielle Begegnungen mit Vertretern des Vatikans, entwaffnete aber die stärksten Antiklerikalisten und kehrte vor allem auf internationaler Ebene die garantierte geistige Freiheit des Oberhaupts der katholischen Kirche heraus. Damit griff er Cavours Risorgimentopolitik einer freien Kirche in einem freien Staat wieder auf; vgl. Spadolini 1974 (wie Anm. 8), S. 13–14. 20 Vgl. Spadolini 1974 (wie Anm. 8), S. 18–21. 21 Vgl. De Feo 1973 (wie Anm. 12), S. 153. 22 Vgl. Spandolini 1974 (wie Anm. 8), S. 10–15; De Feo 1973 (wie Anm. 12), S. 125–144. 23 Seibt 2001 (wie Anm. 3), S. 108. 24 Der Premierminister Francesco Crispi in einer Rede vom 10. März 1881: »[…] wer auch immer diese große Stadt betritt, findet die Synthese zweier großer Epochen, eine wundervoller als die andere, vor. Die Gebäude, die dieses Epochen feiern, sind der Stolz der Welt; für die Italiener sind sie eine starke Erinnerung an ihre Verpflichtungen […] Wir müssen uns selbst in Rom etablieren und Bauten der Kultur errichten, damit spätere Generationen sagen können, dass wir genauso groß gewesen wären, wie unsere Väter.« Italienische Originalfassung vgl. Robin Brentwood Williams: Rome as state imagine. The architecture and urbanism of the royal Italian government, 1870–1900, Ann Arbor 1993, S. 125. 25 Vgl. Silvio Pasquarelli: Via Nazionale. Le vicende urbanistiche e la sua architettura, in: Architettura e urbanistica. Uso e trasformazione della città storica, Ausstellungskatalog, Rom, Museo dei Fori Imperiali nei Mercati di Traiano, 1984, Venedig 1984 (Roma capitale 1870–1911, Bd. 12), S. 295–324, S. 295–298. 26 Vgl. Dorothee Heinzelmann: S. Maria degli Angeli, in: Stefan Grundmann (Hg.): Architekturführer Rom. Eine Architekturgeschichte in 400 Einzeldarstellungen, Stuttgart u. London 1997, S. 158–159. 27 Zur möglichen Zerstörung der Platzsituation vgl. Kat. Rom 1984 (wie Anm. 25), S. 298–302. 28 Die bis 1875 eingereichten Gegenvorschläge hatten vor allem mit dem starken Gefälle des Quirinalhügels zu kämpfen. Eine Kurvierung der Achse war unerlässlich. Einige lösten das Verkehrsproblem indem sie den Verkehr über mehrere Straßen in unterschiedliche Richtungen ableiteten. In allen Projekten blieb die Erweiterung der Via del Arco della Pilotta bis zur Fontana di Trevi erhalten, auch
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wenn die Piazza Venezia nun zum Hauptkulminationspunkt der Via Nazionale wurde. Moretti, Gabet und Luzi verbanden die Via Nazionale zudem mit der Via Panisperna und damit in deren Verlängerung mit dem neuen Wohnviertel um die Kirche Santa Maria Maggiore auf dem Esquilin; vgl. dazu Manfredo Tafuri: La prima strada di Roma moderna. Via Nazionale, in: Urbanistica 27/1959, S. 95–104. 29 Vgl. Lorenzo Quilici: La tutela archeologica nei piani regolatori e nella legislazione, in: L’archeologia in Roma capitale tra sterro e scavo, Ausstellungskatalog, Rom, Auditorium di Mecenate, 1983–1984, Venedig 1983 (Roma capitale 1870–1911, Bd. 7), S. 48–74, S. 54. 30 Vgl. Anna Maria Ramieri: L’archeologia in Roma capitale. Le scoperte, i metodi e gli studi, in: Kat. Rom 1983–1984 (wie Anm. 29), S. 18–29, S. 21. 31 Vgl. Francesco Giovanetti: La sistemazione di piazza Colonna, in: Kat. Rom 1984 (wie Anm. 25), S. 379–405. 32 Miano 2005 (wie Anm. 14), S. 277. 33 Erst die von erstarkten Antiklerikalismus, Patriotismus und Modernitätswillen geprägte Politik der Premierminister Agostino Depretis und Francesco Crispi stellte eine Finanzierung des Stadtumbaus mit 50 Millionen Lire über das 1881 verabschiedete Legge concernente il concorso dello Stato nelle spese edilizie e della città di Roma sicher. Bis dahin musste die Stadt Rom alleine für die Kosten des Hauptstadtumbaus aufkommen, was sie nicht leisten konnte; vgl. Kostof 1973 (wie Anm. 14), S. 26 und Giuseppe Cuccia: Urbanistica Edilizia Infrastrutture di Roma Capitale 1870–1990, Rom u. Bari 1991, S. 42. 34 Vgl. Williams 1993 (wie Anm. 24), S. 130. 35 Vgl. Roberto Luciani: Una singolare evoluzione urbanistica, in: Roberto Luciani (Hg.): Palazzo Caffarelli Vidoni, Rom 2002, S. 123–131; Alberto Maria Racheli: Corso Vittorio Emanuele II. Urbanistica e architettura a Roma dopo 1870, Rom 1985. 36 Viktor Emanuel II. inszenierte sich selbst als bourgeoiser re galantuomo. Als König mit mächtigem Schnauzbart wurde er zu einer großen volkstümlichen Identifikationsfigur; vgl. Spadolini 1974 (wie Anm. 8), S. 12. 37 Meeks betont die harmonische und natürliche Wirkung der Straßenzüge Roms im Vergleich zur Uniformität der Pariser; vgl. Carroll Meeks: Italian Architecture 1750–1914, New Haven u. London 1966, S. 320. 38 Vgl. Cuccia 1991 (wie Anm. 33), S. 17 f. 39 Vgl. Antonio M. Colini: La riscoperta dell’antico, in: Saverio De Paolis u. Armando Ravaglioli (Hg.): La terza Roma. Lo sviluppo urbanistico, edilizio e tecnico di Roma Capitale, Rom 1971, S. 113–117, S. 113. Diese systematischen Grabungen wurden zunächst von Pietro Rosa und dann von Giuseppe Fiorelli und Rodolfo Lanciani geleitet. Ab 1898 übernahm Giacomo Boni die Grabungen und beschränkte sich nun nicht mehr auf kaiserzeitliche Anlagen, sondern widmete sich auch den Bauten der römischen Republik; vgl. Massimiliano David: Urbanistica e Archeologia in Roma capitale, in: Roberto Cassanelli at al. (Hg.): Frammenti di Roma antica nei disegni degli architetti francesi vincitori del Prix de Rome 1786–1924, Novara 1998, S. 36–51, S. 40. 40 Vgl. David 1998 (wie Anm. 39), S. 40. 41 Vgl. Mario Sanfilippo: La costruzione di una capitale. Roma 1870–1911, Mailand 1992, S. 125.
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42 Zitiert nach Quilici 1983 (wie Anm. 29), S. 49 (»ein sehr reiches/wertvolles, fast eingeschlafenes Museum«); Colini 1971 (wie Anm. 39), S. 113. 43 Vgl. David 1998 (wie Anm. 39), S. 40–41. 44 Vgl. Archivio Centrale dello Stato, Ministero dei Lavori Pubblici, Ufficio per le opere governative e edilizie per Roma, busta 155, fasc. 437; Sanfilippo 1992 (wie Anm. 41), S. 105. Mit der Errichtung des Vittoriano ab 1884 neben dem Kapitol wurde über Anbindung der Via Cavour an die Piazza Venezia nachgedacht. Doch erst Mussolini realisierte dies mit der Anlage der Via Imperiale (heute Via dei Fori Imperiali). 45 Vgl. Quilici 1983 (wie Anm. 29), S. 51–67. 46 Vgl. Colini 1971 (wie Anm. 39), S. 113; Quilici 1983 (wie Anm. 29), S. 67–69. Die Idee eines archäologischen Spaziergangs wurde erst wieder von Marcello Piacentini aufgenommen, dem ein cuneo verde (grüner Keil) vom Kapitol bis zu den Albaner Bergen vorschwebte; Sanfilippo 1992 (wie Anm. 41), S. 128. 47 Vgl. Sanfilippo 1992 (wie Anm. 41), S. 129. 48 Vgl. David 1998 (wie Anm. 39), S. 39. 49 »Ogni generazione ha […] distrutto le opere della generazione precedente.« – so Torlonia in einem Brief an die Morning Post 1886; zitiert nach Quilici 1983 (wie Anm. 29), S. 62. 50 Eine noch größere Instrumentalisierung der Antike erfolgte unter Mussolini, der den Kaiserkult für sich persönlich in Anspruch nahm. Neben der Anlage der Via del Mare Richtung Ostia und der Via Imperiale von der Piazza Venezia zum Kolosseum und ihren flankierenden Forenausgrabungen sind vor allem die Freilegung des Forums am Largo di Torre Argentina längs des Corso Vittorio und die des Augustusmausoleums zu nennen. 51 Vgl. Ramieri, in: Kat. Rom 1983–1984 (wie Anm. 30), S. 18. 52 1909 wurde der neue piano regolatore von Edmondo Sanjust de Teulada verabschiedet, der sich mit der Anlage von Stadtvierteln außerhalb der Aurelianischen Stadtmauern des Prinzips des zoning bediente und damit anders gelagerte Intentionen wie auch der Generalregulierungsplan von 1931 verfolgte.
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HEIME DER NATION Die Vereinshäuser in Ljubljana und Maribor MONIKA PEMICˇ
Ein geschichtlicher Umriss »Ein Haus, zu dessen Ausbau ein ganzes Volk jahrelang beigetragen, um für sein gesamtes geistiges Leben ein eigenes Heim zu gründen, ein solches Haus spricht eine deutliche Sprache von Opferfreudigkeit und nationaler Begeisterung«, stellte der Journalist der deutschsprachigen Laibacher Zeitung fest, als er den Bericht zur Eröffnung des Vereinshauses »Narodni dom«, des slowenischen »Nationalen Heims«, im Jahr 1896 in Ljubljana (Laibach) verfasste |Abb. 1|.1 Nur zwei Jahre später eröffneten auch die Bauherren des slowenischen Vereinshauses in Maribor (Marburg) an der Drau ein eigenes Gebäude |Abb. 2|.2 Um 1900 entstanden solche repräsentativen gesellschaftlichen Zentren der sich formierenden slowenischen Nation auch in Celje (Cilli) (1893–1896), Trieste (Triest/Trst) (1902– 1904) und Gorizia (Görz/Gorica) (1903–1905). Sie stellten Kulminationspunkte der Agitationsphase der nationalen Bewegung dar.3 Nachdem es der katholischen Kirche mit der 1852 gegründeten Hermagoras-Gesellschaft und der bis 1868 von ihr ausgeübten Schulaufsicht gelungen war, die bäuerlichen Schichten für die nationale Idee zu gewinnen, bemühten sich die slowenischen Patrioten nun mit einem auf die bürgerliche Kultur und Umgangsformen zugeschnittenen Auftritt. Als Vorbild diente ihnen die im bürgerlichen Milieu stärker verankerte tschechische Nationalbewegung. Der Aufbau von Vereinshäusern erforderte eine über
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1 Frantisˇek Sˇkabrout: Vereinshaus Narodni dom in Ljubljana, 1894–1896, Fotografie, 1901
Jahre und sogar Jahrzehnte hinaus andauernde national-politische Aufklärung, um neue Mitstreiter sowie finanzielle Mittel anzuwerben. Bereits während dieses Prozesses wurden die Projekte national vereinnahmt. Angesteckt von den national-politischen Bestrebungen des slowenischen Volkes, das nach dem Ersten Weltkrieg nur eine bedingte Autonomie innerhalb der jugoslawischen Monarchie erlangen und erst 1991 den lang gehegten Traum nach einem eigenen Staat verwirklicht sehen sollte, betont die Forschung fast ausschließlich das nationale Moment als ausschlaggebend für den Bau dieser Zentren.4 Ein nationales Statement sei demnach auch an der Architektur selbst abzulesen. Bis heute besteht in der slowenischen Fachliteratur Konsens darüber, dass Ende des 19. Jahrhunderts »bei den größeren öffentlichen Bauaufgaben unverkennbar die Bestrebungen zur Anknüpfung an Prager Architekturvorbilder mit[spielten]«.5 Diese vorherrschende Meinung soll im vorliegenden Aufsatz anhand von zwei ausgewählten Bauten, den Vereinshäusern in Ljubljana und Maribor, kritisch überprüft werden. Ausgangspunkt dabei bildet die Auswertung zeitgenössischen Quellenmaterials. Erst sie ermöglicht es, die Architektur in ihrem sozialpolitischen Kontext zu betrachten. Im Zentrum steht die Frage, ob und inwiefern die proklamierten nationalen Ansprüche in den Bauwerken selbst umgesetzt wurden. Es soll analysiert werden, inwiefern eine nationale Strategie seitens der Bauherren bei der Planung ihrer Häuser verfolgt wurde. Gerade diese Aspekte lassen sich vor dem Hintergrund eines sowohl in nationaler, politischer und sozialer Hinsicht äußerst heterogenen Umfelds besonders prägnant herausarbeiten. Damit soll der von der
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Forschung bisher betriebenen nationalen Indienstnahme der Architektur eine differenziertere Betrachtung entgegengesetzt werden. In der Habsburgermonarchie war das Siedlungsgebiet von Slowenen verwaltungstechnisch auf mehrere Kronländer verteilt. Ljubljana, die Hauptstadt des Kronlandes Krain, und Maribor, nach der Landeshauptstadt Graz die zweitgrößte Stadt der Steiermark, zählten zu den wichtigsten Städten auf ihrem Territorium. Sie waren von einem ländlichen slowenischsprachigen Gebiet umgeben; Ljubljana lag in seinem Zentrum, Maribor am nordwestlichen Rand. Ihr Stadtbild war durch die überwiegende Verwendung der deutschen Sprache im öffentlichen Leben auch noch nach dem Völkerfrühling, der das erste national-politische Programm der Slowenen, Zedinjena Slovenija (Vereinigtes Slowenien), entstehen ließ, deutsch geprägt. Obwohl die Deutschen in Krain und in der Untersteiermark zahlenmäßig den Slowenen unterlegen waren, blieben sie ihnen im Prozess der Nationenwerdung überlegen. Sie verfügten über eine großbürgerliche Elite und eine fest verankerte Kulturtradition in der eigenen Sprache.6 Zudem konnten sie sich immer 2 Jan Vejrych: Vereinshaus des Spar- und Vorschussvereins Posojilnica in Maribor, wieder aus den staatspolitischen Erfolgen des Deut1897–1899, Ansicht vom Südwesten, schen Reiches eine Rückversicherung verschaffen. Den Fotografie, um 1904 Slowenen hingegen fehlten zwei dieser drei Merkmale, die nach Miroslav Hroch für eine erfolgreiche nationale Bewegung unentbehrlich sind: Ihre Elite war nur schwach ausgebildet und es bestand keine politische Bestrebung, nicht mal eine Hoffnung, auf einen eigenen Staat. Da das Schulsystem von der deutschen Sprache dominiert wurde und es keine Universität gab, hatten sich in der slowenischen Sprache eine kulturelle Tradition und ein eigenes Geschichtsbewusstsein nur begrenzt entwickeln können. Die slowenischen Patrioten konzentrierten ihre nationalen Forderungen primär auf die Anerkennung ihrer Sprache und der mit dieser in engem Zusammenhang stehenden Kultur. Hier sind vor allem die Bereiche: Literatur, Gesang und Theater zu nennen. Das war bei anderen slawischen Völkern in der Habsburgermonarchie ganz ähnlich.7 Die Sprache wurde zum Hauptmerkmal der Nation sowie zum Dreh- und Angelpunkt des nationalen Streits. Auf den sprachlich gemischten Territorien kamen der Sprache allerdings mehrere Rollen zu. Bereits vor ihrer Nationalisierung diente sie neben den kommunikativen, kulturellen und administrativen Zwecken auch der sozialen Abgrenzung.8 Die Bürger waren zwar größtenteils imstande, sich mit den Bauern und dem Hauspersonal auf Slowenisch zu verständigen,
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sie bedienten sich jedoch des Deutschen, um sich von den unteren Gesellschaftsschichten zu unterscheiden. Als die Sprache national vereinnahmt wurde, übertrug sich diese soziale Geringschätzung auf das gesamte slowenischsprachige Volk und seine Kultur. Mit der Forderung nach Gleichstellung der slowenischen Sprache und Kultur wurde zugleich die Anerkennung eines eigenen slowenischen Bürgertums eingeklagt. Die Träger dieser sowohl sozialen als auch nationalen Bewegungen waren unter Slowenen in Ljubljana vor allem Offiziere, Ärzte, Professoren, Juristen, Lehrer sowie Hausbesitzer, Handels- und Gewerbetreibende, in Maribor gehörten neben Lehrern, Juristen, Haus- und Grundbesitzern auch Geistliche dazu.9 Damit sind zugleich diejenigen Professionen genannt, die den aufstiegswilligen Mitgliedern der kleinen Nation gerade noch offen standen.10 Die Inhaber dieser Berufe konnten innerhalb der kleineren Gruppe der slowenischen Bürger leichter Anerkennung erwerben als unter der alten Elite. Die deutschen Bürger reagierten auf diese aufstrebenden Kräfte irritiert und verteidigten ihre althergebrachten Privilegien. Unter dem Deckmantel des nationalen Kampfes wurden also zugleich gesellschaftliche und wirtschaftliche Auseinandersetzungen ausgefochten. Das angestrebte Ziel der slowenischen Patrioten war es, die Sprache unter der städtischen Bevölkerung in allen Bereichen des Lebens zu verbreiten, um damit die eigene Elite zu stärken. Die klassischen Bürgertreffs wie Kasino und Theater sowie die meisten Kaffee- und Gasthäuser bildeten sich im Prozess der nationalen Differenzierung zu Treffpunkten des deutschsprachigen Bürgertums heraus. Wenn es darum ging, das Nationale im slowenischen gesellschaftlichen Leben hervorzuheben, fand das in eigens dafür gemieteten Lokalitäten statt. In Ljubljana mietete sich der Leseverein Narodna cˇitalnica über einen längeren Zeitraum beim slowenischen Hausbesitzer Fran Ksaverij Souvan ein. Als dieser die Räumlichkeiten kündigte, setzten sich die Lesevereinsmitglieder verstärkt dafür ein, dringend ein eigenes Gebäude zu erbauen, da die neuen gemieteten Lokalitäten »dem Leseverein unwürdig« seien.11 In Maribor hingegen hatten Slowenen größere Schwierigkeiten, einen geeigneten Raum zu finden. Die Deutschnationalen übten hier immer wieder Druck auf die dem slowenischen Verein Räume zur Verfügung stellenden Hauseigentümer aus, so dass der Leseverein seinen Stammplatz öfters wechseln musste.12 Zudem waren die gemieteten Lokalitäten nach außen hin nicht repräsentativ. Das schmälerte die Möglichkeiten der Slowenen erheblich, die öffentlichen Räume zu besetzen und sich dadurch in der Stadt entsprechend zu verankern. Daher wurde unter den slowenischen Patrioten die Forderung zunehmend lauter, ein eigenes Gebäude zu bauen, das allen nationalen Vereinen der Stadt Räumlichkeiten für ihre Aktivitäten biete und sie zugleich nach außen hin repräsentiere. Zu diesem Zeitpunkt hatte die tschechische Nationalbewegung mit dem Bau eigener Gesellschafts- und Vereinshäuser bereits einen erfolgreichen Vorstoß in diese Richtung geleistet.13
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Ljubljana (Laibach) Die slowenische Nationalbewegung in Krain hatte sich zum Ziel gesetzt, die eigene Landeshauptstadt Ljubljana, die sich durch ihre zentrale Lage inmitten des slowenischsprachigen Territoriums auszeichnete, zur gesamtslowenischen (Kultur)Metropole auszubauen. Dafür engagierten sich vor allem die verschiedenen slowenischen Vereine, die sich seit den Verfassungsänderungen von 1861 und 1867 in der Monarchie wieder konstituieren durften. Sie waren das Gegenstück zu den bereits existierenden deutschen Vereinen. Die deutschen Vereine bildeten sich aus den noch Ende des 18. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründeten Gesellschaften heraus, die in der Zeit vor der nationalen Spaltung allen Bürgern offen standen. In Ljubljana waren die Philharmonische Gesellschaft (1794), die Kasino-Gesellschaft (1810) und der Historische Verein für Krain (1843–1846) besonders geachtet.14 Später gesellten sich noch Ortsgruppen des Deutschen Turnvereins und des Deutschen Schulvereins sowie ein deutscher Gesangverein hinzu.15 Unter dem slowenischnationalen Vorzeichen entstanden in Ljubljana unter anderem der Leseverein Narodna cˇitalnica (1861), der Turnverein Juzˇni Sokol (1863), der literarische Verein Slovenska matica (1864), der Theaterverein Dramaticˇno drusˇtvo (1866) sowie der Musikverein Glasbena matica (1872). Allen gemeinsam war eine hauptsächlich auf kulturelle und gesellschaftliche Veranstaltungen ausgerichtete Tätigkeit, denn jegliches explizites Vordringen auf das Feld der Politik war gesetzlich verboten.16 Dennoch oder gerade deshalb kam den Vereinen eine zunehmend politische Rolle zu, war doch die Verbreitung der slowenischen Sprache durch die Vereinsaktivitäten bereits ein wichtiger Bestandteil der nationalen Bestrebungen geworden. Der Vorschlag, ein eigenes Slowenisches Haus zu bauen, wurde schon 1869 geäußert.17 Auf den ersten erfolglosen Versuch folgten zwei weitere in den Jahren 1878 und 1882.18 Letzterer führte zur Gründung des eigens dafür bestimmten Vereins für den Bau des »Narodni dom« in Ljubljana.19 In diesem Verein waren Patrioten vertreten, die bereits in einem oder – häufiger noch – mehreren Vereinen aktiv waren. Sie setzten sich zum Ziel: »[…] allen nationalen Vereinen aus Ljubljana, die sich der Kunst [und] der Wissenschaft widmen oder der gesellschaftlichen Unterhaltung dienen, eine feste und schöne Heimstätte [zu] bauen und auf derartige Weise die nationale Bildung und Unterhaltung [zu] fördern.«20 Da der neugegründete Verein keine finanzielle Basis besaß, wurde beschlossen, die erforderlichen Mittel durch die Zeichnung von Anteilen sowie durch verschiedene Sammelaktionen zusammenzutragen.21 Die Spendenaufrufe richteten sich an alle Slowenen, ungeachtet ihrer sozialen Herkunft, denn es ging schließlich darum, die Errichtung eines zentralen »nationalen Heims« voranzutreiben. Auch die Slowenen außerhalb der krainischen Landesgrenzen waren aufgerufen, sich am Bau zu beteiligen. Eine größere Summe brachte die Effektenlotterie ein. Für diese wurden die Lose in fünf slawischen Sprachen verfasst, was als ein Appell an die Solidarität der »slawischen Brüder« verstanden werden konnte.22 Eine wichtige Sammelaktion, die sich vor allem an den unteren Gesellschaftsschichten orientierte, wurde vom Kreuzerverein veranstaltet, dessen Name sich dem Ziel verdankte, keine auch noch so kleine
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Spende auszuschlagen – und handele es sich auch nur um einen Kreuzer.23 Die verschiedenartigen Aktionen übten darüber hinaus eine stark integrative Wirkung auf das geteilt lebende slowenische Volk aus.2 4 Die Patrioten von Ljubljana behaupteten sich so einerseits gegenüber den deutschgesinnten Mitbürgern, welche die Auffassung vertraten, dass Kultur und Bildung in Krain rein deutsch seien. Zwar sprachen sie niemanden seine ethnische Herkunft ab, doch meinten sie zugleich in jedem an einer deutschen Schule ausgebildeten Slowenen zugleich auch einen Vertreter deutscher Kultur erblicken zu können.25 Andererseits bezogen die slowenischen Bürger von Ljubljana durch die Betonung ihres kulturellen Vorsprungs Position gegenüber der Konkurrenz in Celje, Maribor und Trieste, die ihnen – da wirtschaftlich überlegen – beim Bau eines eigenen nationalen Zentrums dicht folgte bzw. sie sogar zu überholen drohte. Die schwache wirtschaftliche Situation machte sich bei der Finanzierung des Bauvorhabens bemerkbar. Bis in die 1890er Jahre hinein konnten von den vorgesehenen 150.000 Gulden gerade einmal zwei Drittel zusammengetragen werden. Im Vergleich zu dem von den deutschen Bürgern Ljubljanas 1888 errichteten Landesmuseum, dessen Kosten sich auf 220.000 Gulden beliefen, war das eine bescheidene Summe. Es stand auch kein zentral gelegenes Baugrundstück zur Verfügung, wodurch es den slowenischen Vereinen möglich gewesen wäre, in unmittelbarer Konkurrenz zu den deutschen Vereinen zu treten. Die Gebäude von der Kasino-Gesellschaft und der Philharmonischen Gesellschaft befanden sich auf dem Kongressplatz in der Nähe des Landtags. Die Stadtgemeinde, in der die Slowenen seit 1882 eine Mehrheit besaßen und die somit dem Bauvorhaben wohlgesonnen war, hatte dem Verein ein günstiges Grundstück in der neuerschlossenen Kapuziner Vorstadt (Kapucinsko predmestje) angeboten. Einige Mitglieder des Vereinsausschusses sahen diese Lage allerdings als zu peripher an. Auch wegen der unausreichenden Finanzen plädierten viele gegen das Bauvorhaben.26 Das engagierte Vereinsmitglied Ivan Hribar berichtet in seinen Memoiren, dass Ende 1892 nur mit der knappen Mehrheit von einer Stimme der Entschluss gefasst wurde, den Bau mit den beschränkten finanziellen Mitteln am angebotenen Ort zu realisieren.27 Im Jahre 1896 wurde das Vereinshaus nach Plänen des Prager Architekten Frantisˇek Sˇkabrout (1858–1899) fertiggestellt und schloss sich gleichwertig an die kurz davor in der unmittelbaren Nachbarschaft errichteten historistischen Gebäude des Landesmuseums (1883– 1888) und des Landestheaters (1890–1892) an.28 Es handelt sich um einen zweigeschossigen, freistehenden Bau mit einem hervorgehobenen mittleren Teil, der seitlich von zwei Flügeln flankiert wird. Das Erdgeschoss ist rustiziert und mit Rundbogenfenstern versehen. Diese werden im ersten Stock wiederholt. Der mittlere Teil überragt das Gebäude in seiner Höhe und tritt an der Hauptfassade als Risalit hervor. Hier befindet sich der dreiteilige Haupteingang. Das darüber liegende piano nobile wird durch größere halbrunde Fenster markiert, die mit phantastischen Masken in den Schlusssteinen sowie Festons in den Fensterzwickeln dekoriert sind. Sie werden durch die Halbsäulen voneinander getrennt und seitlich von zwei leeren Nischen flankiert. Das einzige Merkmal, wodurch der nationale Cha-
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3 Frantisˇek Sˇkabrout: Vereinshaus Narodni dom in Ljubljana, 1894–1896, Seitenansicht, Fotografie, 1930er Jahre
rakter des Vereinshauses zum Vorschein tritt, sind die auf einem Fries an der Fassade angebrachten slowenischen Worte »Narodni dom«. Die Fassadendekoration mit den phantastischen Masken deutet dagegen eher auf eine Theaterarchitektur hin. Der Risalit wird mittels einer Balustrade abgeschlossen und mit einer kuppelartigen Überdachung bekrönt. Das Bauwerk wird von der Vorderansicht bestimmt. In der Seitenansicht ist das Gebäude weniger markant |Abb. 3|. Es wird durch drei Risalite gegliedert. Im mittleren Risalit befindet sich der Seiteneingang. Die halbrunden Fenster wiederholen sich in den beiden Geschossen der Seitenfassade. Von der Seite ist in dem erhöhten mittleren Teil die dreiteilige Gliederung des Gebäudes zu erkennen. Das kuppelartige Dach bedeckt den kleinen Saal über dem Vestibül, das Walmdach den großen Festsaal, unter dem im Keller der Turnsaal liegt. Beide Teile sind mit dem Treppenhaus verbunden, das mit einem Flachdach gedeckt ist. In dieser dreiteiligen Konzeption lässt sich das umgewandelte Theatermotiv Vestibül – Zuschauerraum – Bühnenturm erkennen. Um die Jahrhundertwende wetteiferten die Bürger geradezu in der Errichtung eigener Theaterhäuser. Das Vorbild, auf das dabei zumeist zurückgegriffen wurde, hatte das Wiener Architektenduo Ferdinand Fellner und Hermann Helmer geliefert. Es handelt sich um eine aus einzelnen Modulen aufgebaute Architektur. Die Projektierung nach diesem Schema war extrem wirksam und kostengünstig. Denn bei der Planung wurden die für die einzelnen Zwecke bestimmten Gebäudeteile separat behandelt und erst anschließend zusammengefügt. Nach außen hin wurde dies durch unterschiedliche Höhen und Überdachungen sichtbar. Ferdinand Fellner und Hermann Helmer haben auf diese Art Ende des
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4 Ferdinand Fellner u. Hermann Helmer: Deutsches Schauspielhaus in Hamburg, 1899–1900, Längenschnitt
19. Jahrhunderts über 40 Theaterbauten monarchieweit und sogar über die Grenzen der Monarchie hinaus erbaut. Darunter befindet sich auch das Schauspielhaus in Hamburg |Abb. 4|.29 Auf eine solche kostengünstige modulare Bauplanung griff auch der Architekt des »Narodni dom« zurück. Im Gebäudeinneren des »Narodni dom« folgt auf das Vestibül eine festliche zweiarmige Treppe, die die Besucher direkt in den großen Festsaal führt |Abb. 5|. Gegenüber dem großen liegt der kleine Festsaal. Die beiden Festsäle sowie die daran anschließenden Lese- und Spielräume standen dem Leseverein Narodna cˇitalnica, dem gesellschaftlich wichtigsten der hier versammelten Vereine, zur Verfügung |Abb. 6|.30 Im Keller befanden sich eine große und eine kleine Turnhalle für den Turnverein Sokol. Im Erdgeschoss waren eine Gaststätte und ein Kaffeehaus untergebracht. Im oberen Stockwerk des multifunktionalen Gebäudes befanden sich weitere Räumlichkeiten für den literarischen Verein Matica slovenska, den Theater-, Schul-, Alpen- und Juristenverein.31 Die festlichen Räumlichkeiten sind mit Dekorationswerk im Stil der Neorenaissance geschmückt, der damals vor allem mit bürgerlicher Architektur assoziiert wurde und keine nationalen Konnotationen beinhaltet. Der Bau ging auf einen Architekturwettbewerb zurück, den der Verein 1893 nicht nur in Ljubljana, sondern über die Tageszeitungen und die Fachpresse auch in Zagreb, Wien und Prag angekündigt hatte – Städte, an denen sich die slowenischen Bürger von Ljubljana offenbar zu orientieren suchten.32 In der Ausschreibung des Wettbewerbs wurde eine Anweisung
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5 Frantisˇek Sˇkabrout: Vereinshaus Narodni dom in Ljubljana, 1894–1896, Großer Festsaal, Fotografie, 2004
gegeben, dass »in erster Linie auf eine klare und geeignete Verteilung der bestimmten Räumlichkeiten zu achten ist. Das Gebäude hat seinen Zweck würdig und ernst auszudrücken und deswegen ist eine übermäßige oder kleinteilige Dekoration zu vermeiden.«33 Die Zurückhaltung hinsichtlich einer üppigen Baudekoration ist um 1900 auch in den benachbarten (nichtslawischen) Landeshauptstädten zu beobachten, wie zum Beispiel in Graz, wo auch das Jurymitglied Adolf Wagner zu dieser Zeit tätig war.3 4 Ihm wurden später auch die Aufgaben des ausführenden Architekten übertragen. In diesem Rahmen war er auch für die Dekorationsentwürfe zuständig. Für die Auswahl der Projekte wurde eine Jury gegründet, in der der Vereinspräsident der einzige Vertreter nationaler Interessen war. Neben ihm waren ein Baurat, der Stadtingenieur, zwei Architekten, ein Fachschuldirektor und der Landesingenieur in der Jury vertreten.35 Sie wählten aus 17 verschlüsselt eingereichten Entwürfen das mit dem Motto »OJO« gekennzeichnete Projekt aus.36 Bei der Öffnung des ˇkabrout aus Prag Begleitbriefs stellte sich heraus, dass es sich um den Architekten Frantisˇek S handelte. In der Literatur wurde immer wieder versucht, die Auswahl des Architekten auf seine Abstammung zurückzuführen und die Architektur des Vereinshauses als Ausdruck eines slowenischen Patriotismus zu deuten. So heißt es etwa 1998 bei Gojko Zupan, Autor des jüngsten Forschungsbeitrags zum Vereinshaus in Ljubljana:
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6 Frantisˇek Sˇkabrout: Vereinshaus Narodni dom in Ljubljana, 1893, drei Grundrisse (von links: Souterrain, Erdgeschoss, erstes Obergeschoss)
»Der Gestalter des Palastes ›Narodni dom‹ konnte nur ein Slawe sein; ein Deutscher oder ein Ungar war nicht besonders erwünscht. Unsere Landsmänner haben vor allem ältere, geschulte und erfahrene Patrioten, die Tschechen, zu Hilfe gerufen. […] Der erste Preis, […], fiel zu Recht an Frantisˇek Edmund Sˇkabrout, dem auch ohne den nationalen Verteilungsschlüssel der höchste Preis zugestanden hätte. Der Baukörper hat zahlreiche Betrachter verständlicherweise an das Nationaltheater in Prag erinnert.«37 Inwiefern das tschechische Nationaltheater als Vorbild für den Bau dienen sollte, wird weder hier noch in den anderen Beiträgen zu dieser Thematik näher ausgeführt.38 Das tschechische Nationaltheater wurde 1866 von Josef Zítek entworfen |Abb. 7|. Der Architekt nutzte das enge, unregelmäßige Grundstück am Moldauufer geschickt aus, indem er einen relativ schmalen und hohen Baukörper konzipierte. Der zentrale Teil, in dem sich der Zuschauerraum und der Bühnenbereich befinden, wird durch ein einheitliches Dach überspannt, das die gesamte Länge des Gebäudes einnimmt. Dadurch wirkt der Baukörper geschlossen und ist zugleich auf die Fernwirkung der Längssilhouette hin konzipiert. Die innere Raumaufteilung spiegelt sich im Gegensatz zu Ljubljana nach außen hin nicht wider. Die Hauptfassade befindet sich an der Straße, die dem Betrachter jedoch nicht genügend Platz bietet, um die Fassade auf einen Blick erfassen zu können. Sie ist mit einer vorspringenden Loggienfront ausgestattet, die von den etwas zurückgetretenen höheren Treppentürmen flankiert ist. Die reiche skulpturale Ausstattung stellt musische und nationale Bezüge her. Das Vestibül ist flach überdacht, das große Dach hebt sich erst aus dem dahinter liegenden
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7 Josef Zítek u. Josef Schulz: Nationaltheater in Prag, 1868–1883, Kaifassade, historische Fotografie
Baukörper heraus. Bei der Suche nach dem Vorbild des »Narodni dom« in Ljubljana wurde vor allem von slowenischen KunsthistorikerInnen angenommen, dass die Vestibülüberdachung nach der Silhouette des Prager Nationaltheaters entworfen worden sei.39 Aufgrund des Vergleichs der beiden Bauten ist diese Annahme jedoch nur schwer nachvollziehbar. Zudem ist die Innenausstattung des Tschechischen Theaters stark national betont, wohingegen sie in Ljubljana sehr historistisch und allgemein gehalten ist. Auch angesichts der Tatsache, dass die Entwürfe für den Wettbewerb anonym eingereicht wurden, lassen sich die Vermutungen der slowenischen Architekturhistoriker, die Entscheidung sei von nationalen Motiven beeinflusst gewesen, nicht aufrechterhalten. Die Zusammensetzung des eigens für diesen Wettbewerb eingesetzten Preisgerichts erfolgte ohne jedes nationale Vorzeichen. So überrascht es nicht, dass vier der anwesenden Preisrichter gleichzeitig bei Konkurrenzunternehmen involviert waren, zum Beispiel bei der Krainischen Baugesellschaft, die das deutsche Kapital und Großbürgertum vertrat, oder bei der Planung des Konzerthauses der Philharmonischen Gesellschaft (1888) und des Deutschen Jubiläumstheaters (1909–1911).40 Bei den beiden letztgenannten Bauaufgaben handelte es sich um wichtige Repräsentationsbauten der deutschen Kultur in Ljubljana. Darüber hinaus wurde die Bauleitung und die Detailplanung dem aus Graz berufenen Architekten Adolf Wagner übertragen.41 Das Zusammenleben beider Volksgruppen in der Stadt scheint von den national-politischen Kämpfen weniger beeinträchtigt gewesen zu sein, als das tägliche politische Leben vermuten lässt. Dass selbst die Sprache der Sitzungsproto-
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kolle Deutsch war, deutet nicht gerade auf eine nationalslowenische Gesinnung der Auswahlkommission hin. Für die Entscheidung des Preisrichterkollegiums und ihrer Billigung durch den Bauverein scheinen andere Gründe ausschlaggebend gewesen zu sein. Vor dem Hintergrund des knappen Budgets – bei der Wettbewerbsausschreibung lagen lediglich 104.000 Gulden vor 42 – war der Kostenvoranschlag, den Sˇkabrout seinem Projekt beigefügt hatte, gewiss mitentscheidend. Mit einer veranschlagten Summe von 126.000 Gulden war der von ihm vorgeschlagene Bau der günstigste von allen, was vom Architekten in seiner Projektbeschreibung entsprechend hervorgehoben wurde.43 Mit Frantisˇek Sˇkabrout hat man aber zudem einen Architekten gewählt, der mit seinem nicht national ausgewiesenen historistischen Stil die Wünsche des Bürgertums bediente.4 4 Sˇkabrout baute in Prag neben einer Reihe von Bürgerhäusern im Viertel Mala Strana noch zwei weitere Vereinshäuser: 1894 das Vereinshaus der Buchdrucker und 1895–1896 das der Fleischer. Seine bürgerliche Architektursprache scheint auch für die Bauherren in Ljubljana von Bedeutung gewesen zu sein. Den Mangel an architektonischer Symbolik überspielte das aufwendige, national-geprägte Kulturprogramm anlässlich der feierlichen Eröffnung im Oktober 1896.45 Im Festprogramm gab es zahlreiche Bezüge auf die volkstümliche Kultur und die eigene Geschichte. Die in diesem Rahmen aufgeführte Oper Urh, grof celjski (Urh, der Graf von Cilli) war einem der wichtigsten Herrscher auf slowenischem Siedlungsgebiet gewidmet und das Publikum erteilte »den politischen Kräften auf offener Scene warme Ovationen«.46 Auch die Ouvertüre aus Smetanas Libusˇa gelangte zur Aufführung – ein Beleg für die starke Vorbildfunktion der tschechischen Nationalbewegung für die Slowenen. Zugleich jedoch wurde dem Österreichischen Kaiser Tribut gezollt, indem er in den Festreden besondere Erwähnung fand und das Kaiserlied »vom gesamten Publikum stehend angehört und mit rauschendem Beifall angenommen« wurde.47 Außerdem wurde in den Festreden auch dem Bauleiter Adolf Wagner namentlich gedankt, während der Architekt selbst unerwähnt blieb. Die jubelnden Stimmen, die vor allem der slowenischen liberalen Presse sowie dem offiziellen Organ des Landes, der Laibacher Zeitung, zu entnehmen waren, können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die anfangs dem Bau des Vereinshauses zugeschriebene eminente nationale Bedeutung durch die lange Vorlaufzeit und vor dem Hintergrund veränderter politischer Rahmenbedingungen sich weitgehend gewandelt hatte.48 In Krain erlangten die vereinten slowenischen Parteien, die später in einen katholisch-konservativen und einen liberalen Flügel zerfallen sollten, bereits 1882 eine Mehrheit. Die nationale Aufgabe, für die sich bis dato beide Parteien einträchtig eingesetzt hatten, trat seitdem zunehmend hinter den Parteiprogrammen zurück. Der politische Graben vertiefte sich zunehmend bis 1895, als bei den Landtagswahlen beide Parteien separat antraten. Da keine der Parteien allein stark genug war, um die Regierung zu stellen, gingen schließlich die slowenischen Liberalen mit der liberal gesinnten deutschen Partei Ljubljanas eine Koalition ein.49 Diese Entscheidung bestätigt die vorrangige Bestrebung der Mitglieder der slowenischen liberalen Partei, als Bürger den Deutschen gegenüber Anerkennung zu finden.
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Durch die pompösen Eröffnungsfeierlichkeiten kristallisierte sich auch das »Narodni dom« zu einem Treffpunkt der slowenischen Bürger und ihrer Sympathisanten heraus. Als eine ganz besonders glänzende Veranstaltung wurde bereits im Vorfeld der vom Leseverein organisierte Ball gepriesen. Er sollte einen »wahren historischen Moment« im slowenischen Gesellschaftsleben bilden und zum »Höhepunkt nationaler Repräsentation« werden.50 Die nationale Intelligenz wurde dazu aufgerufen, sich nicht als »indolent« zu zeigen und »an allen Programmpunkten, vor allem aber an dem glänzendem Ball« teilzunehmen.51 Die ländliche Bevölkerung, die zuvor einer starken Agitation ausgesetzt war, wurde nun aus dem Kreis der Feiernden ausgegrenzt.52 Diese Verbürgerlichung des als national geltenden Vorhabens traf auf heftige Kritik seitens der konservativen Presse. Die katholisch-nationale Partei, die sich als Vertreterin der nicht-bürgerlichen Schichten verstand, bemühte sich schon 1907 um den Bau eines eigenen Volkshauses »Ljudski dom«, in welchem mit einer Armenküche ein deutlicher sozialer Gegenakzent gesetzt werden sollte.53
Maribor (Marburg) Die gesellschaftliche Stellung der Slowenen in der Stadt Maribor war deutlich schwächer als in Ljubljana. Das dortige Bürgertum wurde vom deutschen Liberalismus beherrscht.5 4 Den slowenischen Liberalen mangelte es vor allem an wirtschaftlichen Mitteln, um sich in der Stadt zu positionieren, die ländliche Bevölkerung des Umlandes dagegen wurde bereits von der slowenischen katholisch-nationalen Partei dominiert. Um überhaupt in der Stadt Fuß fassen zu können, arbeiteten die Vertreter beider slowenischen Parteien hier viel enger als in Ljubljana zusammen. Die nationale Ausgangslage, die sich bis in die 80er Jahre in Krain und in der Steiermark ähnlich entwickelte, spitzte sich in der Steiermark im ausgehenden 19. Jahrhundert zunehmend zu. Maribor lag an der deutsch-slowenischen Sprachgrenze und wurde daher von den Deutschen als eine ihrer südlichsten Festungen aufs äußerste verteidigt, was im Gegenzug auch zu einer Radikalisierung des slowenischen Nationalismus führte. Die Vereine, die als Träger nationaler Gesinnung auftraten, versuchten hier nicht einmal, ihre politische Ausrichtung zu verbergen. Die deutschen Anhänger einer zentralistischen Ordnung setzten sich gegen die föderalistische Umgestaltung der Monarchie ein und agierten damit ausdrücklich gegen die slowenischen Bestrebungen nach einem »Vereinigten Slowenien«. Sie gründeten 1868 den politisch-volkswirtschaftlichen Verein Fortschritt.55 Diesem folgte 1870 der Verein der Deutschnationalen. Die steiermärkischen Deutschen orientierten sich viel stärker am Deutschen Reich als die Deutschen aus Krain. Sie begeisterten sich für Sedan, pflegten engere Kontakte zum Deutschen Reich und propagierten in der sogenannten Los-von-Rom-Bewegung den Übertritt vom katholischen zum protestantischen Glauben, um damit ihre Nähe zu den Reichsdeutschen zu demonstrieren.56 Die immer stärkeren deutschnationalen Tendenzen wurden ferner von den 1890 gegründeten Ortsgruppen
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des Deutschen Schulvereins und der Südmark verkörpert, deren ausschließliches Ziel die Erhaltung des Deutschtums auf den Gebieten mit sprachlich gemischter Bevölkerung war.57 Der Mutterverein aller slowenischen Vereine in Maribor war der 1861 gegründete slawische Leseverein Slovanska cˇitalnica. Anlässlich seiner Gründung wurde in der Zeitung Novice der Ausruf abgedruckt: »Im Leseverein werden wir gemeinsam durch das Lesen slowenischer und slawischer Zeitungen und Bücher und durch den Austausch über nationale Angelegenheiten [die Sprache] üben.«58 Neben dem Lesen und Diskutieren wurden im Rahmen des Lesevereins noch weitere Aktivitäten gefördert: das Schauspiel, Chorsingen sowie gesellige Abendveranstaltungen. Von panslawistischen Ideen durchdrungen, wurde der Leseverein nicht nur zum wichtigsten Verein der Slowenen, sondern auch zu ihrem politischen Versammlungsort in Maribor. Erst 1882 gründeten die slowenischen Patrioten einen eigenen politischen Verein.59 Da sie sich der Tatsache bewusst waren, dass ihre politischen Ziele in der vom deutschen Kapital dominierten Stadt ohne eine zuverlässige wirtschaftliche Grundlage nicht erreicht werden konnten, wurde zugleich noch ein Spar- und Vorschussverein Posojilnica eingerichtet. Dieser hatte zum Ziel, die Slowenen in Maribor und seinem Umland durch günstige Kredite bei ihren Investitionen zu unterstützen, um sie auf diese Weise vor Konkursen zu bewahren.60 Weil die deutsche Sparkasse auf Slowenisch verfasste Anträge in der Regel ablehnte, trug sie in erheblichem Maße dazu bei, dass die Zahl der Kunden des slowenischen Vereins rasch anstieg und die neu gegründete Körperschaft sich schnell konsolidieren konnte. Ende der 1880er Jahre war der Sparverein aus Maribor ein potentes slowenisches Geldinstitut. Sein Umsatz war bereits halb so groß wie derjenige der deutschen Sparkasse in der Stadt und sein Kapital überstieg das des Sparvereins aus Ljubljana um das Doppelte.61 Von Anfang an setzte sich sein ökonomisch kompetenter Vorsitzender Jernej Glancˇnik dafür ein, dass die erwirtschafteten Überschüsse den slowenischen Vereinen zugute kamen.62 Schon Ende 1889 beschloss die Mitgliederversammlung, ein Grundstück für den Bau des Vereinshauses zu kaufen.63 Damit hatten die Patrioten von Maribor die Slowenen von Ljubljana nicht nur eingeholt, sondern vorübergehend sogar überholt. Anfang 1892 erwarb der Verein nach gründlichen Überlegungen eine Parzelle im neuen Stadtviertel zwischen dem Bahnhof und dem alten Stadtzentrum an der Ecke der ehemaligen Bad- und Nagygasse |Abb. 8|.64 Wie der Zeitungsbericht anlässlich der Fertigstellung des Hauses belegt, hegten die Bauherren Erwartungen, dass mit der Errichtung einer geplanten Brücke über die Drava (Drau) die Badgasse zur Hauptverkehrsader der Stadt werden könnte.65 Noch Anfang 1900 schrieb Jernej Glancˇnik in einem Brief an seinen Freund: »Dass es keine geeignetere Stelle für eine Brücke als die beim ›Narodni dom‹ gibt, daran zweifelt kein vernünftiger Mensch, obschon manchen nicht lieb ist, dass gerade das ›Narodni dom‹ diese günstigste Stelle besetzt.«66 In der Tat scheint es dem deutschgesinnten Stadtrat nicht recht gewesen zu sein, dass das slowenische Zentrum durch den Bau der Brücke aufgewertet werden könnte. Die deutschen Mitbürger beobachteten argwöhnisch die Vorbereitungen der Bauherren. In ihrem offiziellen Organ, der Marburger Zeitung, riefen sie dazu auf, »daß die
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8 Stadtplan von Maribor, 1893
Deutschen alles aufbieten müssen, um die Absicht der Slovenen zu vereiteln.«67 Daher zögerte der Stadtrat lange mit dem Bau der dringend erforderlichen Brücke und beschloss erst 1913, die neue Brücke auf der Höhe des Hauptplatzes fast parallel zur alten Drau-Brücke zu errichten.68 Verkehrstechnisch war dies eine ungünstige Umleitung im Vergleich zur direkteren Verbindung zwischen der damaligen Badgasse und Triester Strasse.69 Außerdem wurde das Ensemble des Hauptplatzes durch den Abriss von neun Häusern stark beschädigt. Durch diese Entscheidung signalisierten die Deutschen, dass sie noch immer die stärkere Partei in der Stadt waren und dass sie nicht bereit waren, das »Schloß, das sich in der Mitte der deutschen Festung von Marburg erhebt« zu akzeptieren.70 Neben dem Kampf mit den deutschnational gesinnten Mitbürgern hatten die slowenischen Bauherren mit Meinungsverschiedenheiten in den eigenen Reihen zu kämpfen. Unter den Mitgliedern scheint sich Unmut breit gemacht zu haben, da die Befürchtung bestand, dass der Sparverein durch den Bau des Vereinshauses in finanzielle Schwierigkeiten geraten könne. Zudem gab es Stimmen, die dafür plädierten, die zur Verfügung stehenden Mittel direkt den slowenischen Bauern zugute kommen zu lassen. Auch wurde nicht von allen das
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luxuriöse Gebäude als angemessen erachtet. Obwohl das Grundstück bereits 1892 gekauft und auch das für den Bau nötige Holz schon bestellt worden war, verzögerte sich der Baubeginn aufgrund dieser Unstimmigkeiten schließlich.71 Erst auf der Mitgliederversammlung von 1897 konnte der Vorsitzende berichten, dass Pläne für das »Narodni dom« bereits 1892 angefordert worden waren.72 Hier scheint der tatkräftige Vorsitzende auf eigene Faust gehandelt zu haben. In der Forschungsliteratur wird wiederholt behauptet, dass er sich vom tschechischen Architektenverein beraten ließ.73 Tatsächlich wurde das Vereinshaus in Maribor 1898 nach den Plänen des Prager Stararchitekten Jan Vejrych (1856–1926) angefertigt.74 Vejrych hatte sich mit den Um- und Neubauten mehrerer Rathäuser in Böhmen, unter anderem in Josefov (Josefstadt) (1887), Kolín (Kolin) (1887) und Pardubice (Pardubitz) (1892– 1894), bereits einen Namen gemacht. Seinen ersten, auf 1892 datierten Entwurf für das Vereinshaus in Maribor hat er 1895 noch einmal überarbeitet und zusammen mit einem Kostenvoranschlag von über 120.000 Gulden vorgelegt.75 Zu diesem Zeitpunkt gab es einen neuen Anlauf, um mit dem Bau zu beginnen. Die den Slowenen feindlich gesinnte Marburger Zeitung schlug Alarm: »Die im Vorjahre gemachten, darauf [auf den Bau] abzielenden Versuche schlugen fehl, jetzt aber scheint die Gelegenheit in der That günstig zu sein, weshalb sich denn auch der von stärkerem nationalen Bewusstsein erfüllten Kreise der deutschen Bevölkerung eine gewisse Unruhe bemächtigte.«76 Dennoch kam es nicht zur sofortigen Realisierung. Noch Anfang 1896 mahnte die slowenische Presse: »Zögern sie nicht mehr hinaus, Herrschaften! Es ist die höchste Zeit. […] wenn alle nationalen Vereine und alle nationalen Einrichtungen unter dem gemeinsamen Dach sein werden, wird sich das slowenische Volk in voller Kraft zeigen.«7 7 Auf der Mitgliederversammlung am 11. April 1897 stimmte schließlich eine knappe Mehrheit von 58 Ja- gegen 50 Neinstimmen für den Bau.78 Dieses Ergebnis spiegelt die stark divergierenden Erwartungen des slowenischen Bürgertums einerseits und der ländlichen Bevölkerung andererseits wider. Gerade letztere war in Maribor – im Gegensatz zu Ljubljana – über ihre Vertreter bei allen Entscheidungsfindungen immer präsent. Ohne ihre Unterstützung hätten sich auch die wenigen slowenischen Bürger in der Stadt nicht entsprechend etablieren und behaupten können. »Sogar die deutschen Herrschaften beim Stadtrat interessieren sich für das Gebäude, das nach Äußerungen des Bürgermeisters zum schönsten Bau in Marburg und zur Zierde für den neuen Stadtteil wird«, berichtete Jernej Glancˇnik, Direktor des Spar- und Vorschussvereins Posojilnica und Leiter des Bauausschusses, nachdem der Beschluss für die Errichtung des Vereinshauses gefasst worden war.79 Zum Ende des darauffolgenden Jahres wurde dieses prominente Gebäude – im Volksmund »Narodni dom« genannt – fertiggestellt.80 Der kubische Bau überragte die umliegenden Häuser und wurde mittels eines Turms zusätzlich akzentuiert |Abb. 9|. Hierdurch trat das nahe am Fluss Drava (Drau) gelegene »Narodni dom« in einen Wettstreit mit den Türmen der Kathedrale und des Rathauses und schrieb sich ent-
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9 Stadtvedute von Maribor, vor 1904, Postkarte
scheidend in die Stadtansicht ein. Als eines der wichtigsten architektonischen Akzente der Stadt fehlte es auf keinem Stadtpanorama. Auf dem Eckgrundstück Nagy-/Badgasse entstand ein zweiflügeliges Gebäude. Beide Fassaden sind in ihrer Ausführung und Bedeutung gleichwertig, auch wenn sie sich im Detail unterscheiden. Die flache Rustika über dem Sockel im Erdgeschoss zieht sich um das Gebäude herum. Sie wird durch rechteckige Fenster und Eingänge durchbrochen. In der elf Achsen umfassenden Fassade zur Nagygasse sind die drei mittleren durch einen Risalit betont. Der Haupteingang führte in die ehemaligen Räumlichkeiten des Spar- und Vorschussvereins sowie zum Festsaal und ist durch eine Arkadenvorhalle und einen darüber liegenden Balkon hervorgehoben. Die rechteckigen Fenster wiederholen sich über dem plastisch ornamentierten Gurtgesims auch im Hauptgeschoss und erhalten durch die Fensterverdachungen ihre Akzentuierung. 2004 wurde eine zeitgenössische Fotografie des Bauwerks veröffentlicht.81 Bis dahin galt der Bau als weiß verputzt. Tatsächlich kam aber bei der Fassadendekoration die Sgraffitotechnik großflächig zum Einsatz. So war das piano nobile mit einer Quadermusterung in Sgraffitotechnik dekoriert. Das mit einer plastischen Verzierung gerahmte Feld trug die slowenische Aufschrift »Posojilnica« (Vorschussverein). Sgraffitoornamente befanden sich auch neben den kleineren Zwillingsfenstern im Halbgeschoss darüber und in dem Feld unter dem Kranzgesims. Der Risalit wird mit einem Volutengiebel abgeschlossen, hinter dem aus dem Dach ein Turm emporsteigt. Die symmetrische Fassade mit der durch Balkon, Volutengiebel und Turm betonten Mitte ist mit den typischen Merkmalen eines Rathauses ausgestattet.
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Die Fassade zur Badgasse wird von zwei Eckrisaliten flankiert. Über dem rustizierten Erdgeschoß erhebt sich das piano nobile mit halbrunden Fenstern, hinter denen sich der große Festsaal befindet. Die Wand um die Fenster herum wurde mit floraler Dekoration in Sgraffitotechnik verziert. Im darüber liegenden Mezzanin wiederholte sich das Motiv der Zwillingsfenster und der dekorativen Felder von der anderen Fassadenseite. Hinter den Fenstern dieser Seite befindet sich die Galerie des großen Festsaals. In dem Risalit an der Ecke der Badund Nagygasse war einst der Eingang in das Restaurant, der mit der slowenischen Aufschrift »Restavracija« (Restaurant) versehen war. Durch den anderen Risalit des Erdgeschosses führte die Einfahrt in den Vereinsgarten. Auf den beiden Risaliten wiederholte sich die Quaderbemalung vom Mittelrisalit an der Nagygasse. Die Felder zwischen den darüber liegenden Fenstern waren allerdings mit gemalten allegorischen Figuren dekoriert, darunter z. B. Lectura, Drama, Musica und Tanz |Abb. 10|. Diese Figuren wurden von dem tschechischen Maler Ladislav Novák angefertigt und in einem vom Architekten verfassten Zeitungsbericht veröffentlicht.82 Mit Ausnahme der vier dort abgebildeten Allegorien weiß man weder, welche weiteren Figuren sich hier befanden, noch mit welchen 10 Ladislav Novák: Lectura, Entwurf, 1898 Motiven die Felder des Obergeschosses am Mittelrisalit an der Nagygasse ausgestattet waren. Grundsätzlich vermittelte die Fassade zur Nagygasse mit der Rustika und der Quadermusterung ein für den Sparverein angemessenes solides Aussehen. Die Seite zur Badgasse mit der verspielten floralen Ornamentierung und den Allegorien wies deutlich auf die vielfältigen kulturellen Tätigkeiten des slawischen Lesevereins hin. Sie konterkariert damit gleichsam die Behauptung der Deutschnationalen, dass das slowenische Volk über keine Kulturtradition verfüge. Mit der in der Steiermark unbekannten Sgraffitotechnik wurde dazu ein typisches Merkmal einer slawischnationalen Bauweise, der sogenanntem tschechischen Renaissance, importiert. In Böhmen stellte dieser Stil eine Synthese aus den aus Italien importierten Renaissanceformen und der lokalen böhmischen Bautradition dar. Michaela Marek hat nachgewiesen, dass die Kombination mit der Sgraffitodekoration von den tschechischen Bauherren als Nachweis für ihre nationale Tradition eingesetzt wurde.83 In Maribor wurde mit diesem Stil ein
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11 Jan Vejrych: Vereinshaus des Spar- und Vorschussvereins Posojilnica in Maribor, 1895, Grundriss des Erdgeschosses
Ersatz für die nicht existierende eigene national konnotierte Architektur geschaffen. Jan Vejrych hat sich 1898 auf der Architektur und Ingenieur-Ausstellung in Bubenecˇ (Bubentsch) als einer der führenden Exponenten dieser Bauart präsentiert.84 Wie aus dem Bericht über die Fertigstellung des Mariborer Gebäudes hervorgeht, empfand der Architekt große Sympathie zum slowenischen Volk, das »einen verzweifelten Kampf um jeden Fußbreit der Heimaterde« führte, und betonte insbesondere den nationalen Moment des Vereinshauses.85 Einer
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solchen nationalen Gesinnung entsprechend versuchte man, auch mit den Ausführungsarbeiten tschechische beziehungsweise slowenische Handwerker zu beauftragen.86 Die Aktivitäten der verschiedenen Vereine, für die das multifunktionale Gebäude geplant war, waren auf zwei Flügel verteilt. Der Flügel an der Badgasse blieb dem gesellschaftlichen Leben vorbehalten, während der andere Flügel für die Vereinsräume vorgesehen war |Abb. 11|, so dass die möglichen Geselligkeiten und Veranstaltungen die reguläre Vereinsarbeit nicht störten. Beide Eingänge – der Haupteingang an der Nagygasse und der Eingang an der Ecke Bad- und Nagygasse – führten in das geräumige Vestibül. Aus diesem gelangte man nach rechts in die Räumlichkeiten des Spar- und Vorschussvereins. Darüber befanden sich die Räume für den Leseverein. Im darüber liegenden Mezzanin war eine Mietwohnung eingeplant. In dem »gesellschaftlichen« Flügel an der Badgasse war im Erdgeschoss eine Gaststätte vorgesehen. Im ersten Stock befanden sich der kleine und der große Festsaal mit einer festen Bühne. Die Ga12 Jan Vejrych: Vereinshaus des Spar- und Vorschussvereins Posojilnica in Maribor, 1897–1899, lerie des großen Saals nahm auch das MezzaninFestsaal, aktueller Zustand geschoss ein. Der große Saal wurde als »ein Festsaal im gemäßigten Barock« konzipiert und kommt – wie in Ljubljana – mit seiner Dekoration in Form von Musikinstrumenten ohne jegliche nationale Andeutung aus |Abb. 12|.87 Über dem kleinen Festsaal war im oberen Stockwerk ein Speisesaal vorgesehen. Der Hauptnutzer der Saalräume war der Leseverein mit seinen vielfältigen Tätigkeiten. Er veranstaltete neben Musik- und Gesangsdarbietungen auch Theaterstücke und Gesellschaftsabende mit Tanz. Allen Veranstaltungen gemeinsam war der Umgang in slowenischer Sprache, die auf diese Weise allmählich Eingang in die bürgerliche Lebensart erlangen sollte. »Das ›Narodni dom‹ haben wir glücklich unter Dach und Fach gebracht – aber erst kürzlich vor den Feiertagen«, berichtete Ende Dezember 1897 der stolze Vorsitzende.88 Der Innenausbau nahm noch ein weiteres Jahr in Anspruch. Ende 1898 zog der Spar- und Vorschussverein in das Gebäude ein. Ohne eine feierliche Eröffnung – eine solche hätte die Deutschnationalen zu stark provoziert – kehrte nur allmählich Leben in das Haus ein.89 Als erste Veranstaltung im fertiggestellten Bauwerk fand am 26. März 1899 die Versammlung des
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Sparvereins statt, am 31. Mai 1899 zog der slawische Leseverein ein.90 Erst am 30. November 1899 erhielt die Öffentlichkeit Zutritt zum Haus. Zu Beginn des Jahres 1900 berichtete der Vorsitzende des Sparvereins: »In unserem ›Narodni dom‹ wurden erste Theatervorstellungen und andere Feste mit Erfolg durchgeführt […].«91 Das Vereinshaus wurde zunehmend belebter und beliebter. Schon zehn Jahre später wurden zusätzliche Räumlichkeiten für die slowenischen Vereine in der Stadt benötigt.
Strategien Die beiden dargestellten Architekturbeispiele, die aus nationalen Impulsen entstanden sind, zeichnen sich durch eine bis dato für die Slowenen untypisch aufwendige Bauweise aus. Sie dienten der Festigung der Position der slowenischen Bürger in der Stadt. Dabei handelte es sich sowohl um die nationale als auch um die soziale und wirtschaftliche Konsolidierung des slowenischen Volkes in den vom deutschen (Groß)Bürgertum beherrschten Städten in Krain und in der Steiermark. Die Deutschnationalen assoziierten mit dem Slowenentum untere und vor allem ländliche Bevölkerungsschichten. Aus diesem Grund war es für die aufstrebenden slowenischen Patrioten wichtig, sich durch die Gebäude auch sozial zu verorten und den eigenen Wohlstand zur Schau zu stellen. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die politische Situation im jeweiligen Kronland trugen wesentlich zur unterschiedlichen Ausprägungen des nationalen Kampfs bei, wobei die Patrioten je nach Kronland verschiedene Strategien verfolgten. Diese fanden nicht zuletzt in der Architektur der slowenischen Vereinshäuser in Ljubljana und Maribor ihren Niederschlag. Die Vereinshäuser boten den Rahmen für Aktivitäten, die der Festigung der inneren Zusammengehörigkeit, der Abgrenzung gegenüber der deutschen Mitbürger sowie der eigenen Repräsentation nach außen hin dienten. Während in Ljubljana die für die Slowenen freundlichere Situation dazu führte, dass die Architektur des slowenischen Vereinshauses einen bürgerlichen Akzent setzte, dem jeder nationale Unterton fehlte, verlangten die scharfen nationalen Konflikte in Maribor nach einer eindeutigeren Positionierung. In Krain genügte es, vornehmlich durch kulturelle Aktivitäten die Slowenisierung der Stadt voranzutreiben. In Maribor dagegen nutzten die Patrioten ihr Vereinshaus auch für ihren politischen Auftritt. Hier fand die nationale Gesinnung auch in der Architektur ihren Ausdruck, wobei man den tschechischen Nationalstil importierte. Während in Maribor Jan Vejrych mit der Anlehnung an die Rathausarchitektur die Ansprüche der dortigen Slowenen an der Mitgestaltung der Stadtpolitik bekundete, wählten die liberal gesinnten Patrioten von Ljubljana eine historistische und überall in der Monarchie präsente Theaterarchitektur für die eigene Repräsentation, um auf diese Weise ihre Ebenbürtigkeit gegenüber den deutschen Mitbürgern zu demonstrieren. Zur Nationalisierung dieser Architektur kam es erst in der kunsthistorischen Rezeption nach dem Ersten und noch deutlicher nach dem Zweiten Weltkrieg.
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Ein Teil der hier vorgestellten Ergebnisse zum Vereinshaus in Ljubljana erschien unter: Monika Pemicˇ : Dom za Narodno galerijo. O arhitekturi in nastanku najstarejsˇe galerijske zgradbe na Slovenskem (Das Heim für die Nationalgalerie. Über die Architektur und Entstehung des ältesten Galeriegebäudes auf dem slowenischen Gebiet), in: Mojca Jenko u. Monika Pemicˇ : (Hg.): Od Narodnega doma do Narodne galerije (Vom Narodni dom zur Nationalgalerie), Ljubljana 2009, S. 9–41. Bei der Verfassung des vorliegenden Artikels dankt die Autorin den LeiterInnen und den TeilnehmerInnen des Warburg Kollegs, vor allem Martina Baleva für die wertvollen Kommentare und Matthias Krüger für die sprachliche Korrektur. 1 Laibacher Zeitung, Nr. 234, 12. Oktober 1896, S. 2011. 2 Beim »Narodni dom« handelt es sich um den Bautypus Vereinshaus; vgl. Eduard Schmitt u. Heinrich Wagner: Gebäude für Gesellschaften und Vereine, Darmstadt 21894 (Handbuch der Architektur, T. 4, Halbbd. 4, H. 2), S. 41–133. 3 Hier beziehe ich mich auf die von Miroslav Hroch aufgestellte dreistufige Periodisierung nationaler Bewegungen. Die erste Phase wird vom gelehrten Interesse an nationalen Phänomenen bestimmt. In der zweiten Phase setzt eine organisierte Agitation an, um »allen Mitgliedern der ›kleinen Nation‹ nationales Bewusstsein einzuflößen«. Die dritte Phase ist sodann durch die Verbreitung der nationalen Ideen unter den breiten Schichten gekennzeichnet; vgl. Miroslav Hroch: Das Bürgertum in den nationalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts. Ein europäischer Vergleich, in: Jürgen Kocka (Hg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich, 3. Bde., Göttingen 1995, Bd. III, S. 197–219, S. 199–200. 4 Die frühesten Beiträge zu beiden Vereinshäusern erschienen in den 1930er Jahren: Anton Podbevsˇek: Narodni domovi v Sloveniji. Narodni dom v Ljubljani. Od l. 1869. do 1896 (Nationale Vereinshäuser in Slowenien. Narodni dom in Ljubljana. Von 1869 bis 1896), in: Kronika slovenskih mest (Kronik der slowenischen Städte), Bd. II, Ljubljana 1935, S. 111–116; Anonym: Posojilnica v Mariboru (Narodni dom). Pogled na njeno petdesetletno delovanje (Der Vorschussverein in Maribor [Narodni dom]. Ein Ausblick auf seine 50jährige Tätigkeit), Maribor 1933; vgl. auch Nace Sˇumi: Arhitektura secesijske dobe v Ljubljani (Architektur der Sezession in Ljubljana), Ljubljana 1954, S. 30 (dt.: Architektur der Secessionszeit in Ljubljana, S. 49–61); Emilijan Cevc: Slovenska umetnost (Slowenische Kunst), Ljubljana 1966, S. 153. 5 Damjan Prelovsˇek: Identitätssuche und Nachholbedarf. Zur Ausbildung einer bürgerlichen Architektur in Slowenien, in: Hans Haas u. Hannes Stekl (Hg.): Bürgerliche Selbstdarstellung. Städtebau, Architektur, Denkmäler, Wien, Köln u. Weimar 1995 (Bürgertum in der Habsburgermonarchie, Bd. 4), S. 117–128, S. 123. 6 Hroch stellt die drei notwendigen Faktoren dar, die eine eigenständige nationale Existenz erst ermöglichen. Dies sind: eine eigensprachliche Kulturtradition, eine eigene Elite und ein eigener Staat; vgl. Hroch 1995 (wie Anm. 3), S. 197. 7 Vgl. Miroslav Hroch: Programme und Forderungen nationaler Bewegungen. Ein europäischer Vergleich, in: Heiner Timmermann (Hg.): Entwicklung der Nationalbewegungen in Europa 1850–1914, Berlin 1998 (Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen e.V., Bd. 84), S. 17–29, S. 19; Hroch 1995 (wie Anm. 3), S. 210. 8 Vgl. Andreas Moritsch: Dem Nationalstaat entgegen (1848–1914), in: id. (Hg.): Alpen-Adria. Zur Geschichte einer Region, Klagenfurt, Ljubljana u. Wien 2001, S. 339–405, S. 352. 9 Heidemarie Uhl stellt die soziale Zusammensetzung des slowenischen bzw. deutschen Bürgertums anhand der Untersuchungen der sozialen Herkunft der Mitglieder des deutschen und des slowenischen Musikvereins in Ljubljana Ende des 19. Jahrhunderts dar; vgl. Heidemarie Uhl: Leipzig und Laibach/ Ljubljana. Zur Strukturentwicklung urbaner Leitkulturen. Am Beispiel zweier zentraleuropäischen Städte
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in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Reinhard Kannonier u. Helmut Konrad (Hg.): Urbane Leitkulturen 1890–1914. Leipzig, Ljubljana, Linz u. Bologna, Wien 1995 (Studien zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte, Bd. 6), S. 17–71, S. 53; für Maribor vgl. Posojilnica 1933 (wie Anm. 4), S. 28, S. 31 u. S. 35; Arnold Suppan: Die Untersteiermark, Krain und das Küstenland zwischen Maria Theresia und Franz Joseph (1740–1918), in: id. (Hg.): Zwischen Adria und Karawanken, Berlin 1998, S. 263–348, S. 301. 10 Vgl. Hroch 1995 (wie Anm. 3), S. 204. 11 Ivan Hribar: Moji spomini (Meine Erinnerungen), Ljubljana 21983, Bd. I, S. 77. 12 Zum häufigen Wechsel der Trefforte in Maribor vgl. Bruno Hartman: Slovanska cˇitalnica v Mariboru in njeni knjizˇnici (Der slawische Leseverein in Maribor und seine Bibliotheken), in: Cˇasopis za zgodovino in narodopisje (Zeitschrift für Geschichte und Volkskunde) 1–2/1979, S. 299–310. 13 Vgl. Michaela Marek: »Monumentalbauten« und Städtebau als Spiegel des gesellschaftlichen Wandels in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Ferdinand Seibt (Hg.): Böhmen im 19. Jahrhundert. Vom Klassizismus zur Moderne, Berlin u. Frankfurt a. M. 1995, S. 149–233, S. 217–226. 14 Vgl. Suppan 1998 (wie Anm. 9), S. 305. 15 Ibid., S. 306. 16 Vgl. Vasilij Melik: Razvoj slovenskega narodnega gibanja in drusˇtva (Die Entwicklung der slowenischen nationalen Bewegung und die Vereine), in: id.: Slovenci 1848–1918. Razprave in cˇlanki (Slowenen 1848–1918: Abhandlungen und Beiträge), Maribor 2002 (Documenta et Studia historia recentioris, Bd. 15), S. 269–277. 17 Vgl. Anton Trstenjak: Listek. K zgodovini »Narodnega doma« v Ljubljani (Feuilleton. Zur Geschichte des »Narodni dom« in Ljubljana), in: Slovenski narod (Slowenisches Volk), Nr. 245, 24. Oktober 1896, S. 1; Podbevsˇek 1935 (wie Anm. 4), S. 111; Hribar 1983 (wie Anm. 11), S. 77. 18 Vgl. Podbevsˇek 1935 (wie Anm. 4), S. 111; Hribar 1983 (wie Anm. 11), S. 75–76; Evgen Lah: Listek. Kratka zgodovina »Narodnega doma«. 1881–1896 (Feuilleton. Kurze Geschichte des »Narodni dom«. 1881–1896), in: Slovenski narod (Slowenisches Volk), Nr. 236, 14. Oktober 1896, S. 1. 19 Vgl. Drusˇtvo: »Narodni Dom« (Der Verein »Narodni dom«), in: Ljubljanski zvon (Die Glocke von Ljubljana) 2/1882, S. 123. 20 Pravila drusˇtva »Narodni dom« v Ljubljani (Statut des Vereins »Narodni dom« in Ljubljana), Ljubljana 1883, S. 3 (»S tem hocˇe drusˇtvo vsem narodnim drusˇtvom ljubljanskim, ki se z umetnostjo, znanstvom pecˇajo, ali k druzˇbinskej zabavi sluzˇijo, stalno in lepo domacˇijo napraviti in na tak nacˇin narodno omiko in zabavo pospesˇiti.«). 21 Zur Sammelaktionen für das »Narodni dom« vgl. Evgen Lah: Listek. Kratka zgodovina »Narodnega doma«. 1881–1896 (Feuilleton. Kurze Geschichte des »Narodni dom«. 1881–1896), in: Slovenski narod (Slowenisches Volk), Nr. 236, 14. Oktober 1896, S. 1–2; ibid., Nr. 237, 15. Oktober 1896, S. 1–2; ibid., Nr. 240, 19. Oktober 1896, S. 1–2; ibid., Nr. 241, 20. Oktober 1896, S. 1–2; ibid., Nr. 242, 21. Oktober 1896, S. 1–2; Trstenjak 1896 (wie Anm. 17). 22 Vgl. Podbevsˇek 1935 (wie Anm. 4), S. 112. 23 Vgl. Evgen Lah: Narodni Dom (Der Verein »Narodni dom«), in: Ljubljanski zvon (Die Glocke von Ljubljana) 8/1885, S. 509–510.
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24 Michaela Marek bezeichnet die Sammelaktionen für das tschechische Nationaltheater als ein »Mittel nationaler Integration« (Kunst und Identitätspolitik. Architektur und Bildkünste im Prozess der tschechischen Nationsbildung, Köln, Weimar u. Wien 2004, S. 91). 25 Vgl. Dragan Matic´ : Nemci v Ljubljani: 1861–1918 (Deutsche in Ljubljana: 1861–1918), Ljubljana 2002, S. 28–29. 26 Vgl. Hribar 1983 (wie Anm. 11), S. 78. 27 Ibid. 28 Pavel Vlcˇek und Jirˇi Hilmera liefern die ersten genauen Befunde über das Werk des Architekten; vgl. Encyklopedie architektu° , stavitelu° , zedníku° a kameníku° v Cˇechách (Enzyklopädie der Architekten, Baumeister, Maurer und Steinmetze in Böhmen), hg. v. Pavel Vlcˇek, Prag 2004, S. 643, s. v. »Sˇkabrout, Frantisˇek Eduard« (Pavel Vlcˇek u. Jirˇí Hilmera); Pavel Vlcˇek: Arhitekt Frantisˇek Sˇ kabrout (1858–1899) ˇ kabrout [1858–1899]), in: Mojca Jenko u. Monika Pemicˇ (Hg.): Od Narodnega (Architekt Frantisˇek S doma do Narodne galerije (Vom Narodni dom zur Nationalgalerie), Ljubljana 2009, S. 49–55. 29 Vgl. Friedrich Bouvier: Vom Interimstheater Brünn zum Grazer Opernhaus. Baukünstlerische Kriterien der Theaterbauten von Fellner & Helmer, in: Gerhard M. Dienes (Hg.): Fellner & Helmer. Die Architekten der Illusion. Theaterbau und Bühnenbild in Europa, Graz 1999, S. 53–73, S. 54–55. 30 Vgl. Upravni odbor Drusˇtva za zgradbo »Narodnega Doma« v Ljubljani (Der Verwaltungsausschuss des Vereins zum Bau des »Narodni Dom« in Ljubljana) (Hg.): Bauprogram [sic] für den Neubau des Vereinshauses »Narodni Dom« in Laibach, sˇkatla Narodni dom: vse o gradnji (Schachtel Narodni dom. Alles über den Bau), Arhiv Narodne galerije (Archiv der Nationalgalerie), Ljubljana o. J. 31 Vgl. Anonym: Otvoritev »Narodnega doma« (Die Eröffnung des »Narodni dom«), in: Slovenski narod (Slowenisches Volk), Nr. 234, 12. Oktober 1896, S. 2. 32 Vgl. Upravni odbor, Bauprogram (wie Anm. 30), S. 3: (»Die Ausschreibung des Concurses erfolgt in erster Linie in den Laibacher Tagesblättern und in einigen Zeitschriften in Agram, Wien u. Prag.«). 33 Anonym: Razpis natecˇaja (Wettbewerbsausschreibung), in: Slovenski narod (Slowenisches Volk), Nr. 26, 1. Februar 1893, S. 6 (»Glavno vodilo vsakemu projektantu bodi, da je v prvi vrsti gledati na jasno in ugodno razvrstitev dolocˇenih prostorov. Poslopje izrazˇaj povsem dostojno in resno svoj namen in preprecˇiti je radi tega razno pretirano ali malenkostno okrasˇevanje.«). 34 Vgl. Antje Senarclens De Grancy: »Moderner Stil« und »Heimisches Bauen«. Architekturreform in Graz um 1900, Wien, Köln u. Weimar 2001, S. 12, Anm. 3. Der Architekt Adolf Wagner stammte aus Wildon, war zwischen 1873 und 1883 Vorstand des städtischen Bauamtes in Ljubljana und lebte seit 1883 in Graz; vgl. Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. XXXV, hg. v. Hans Vollmer, Leipzig 1942, S. 27, s.v. »Adolf Wagner« (Bruno Binder). 35 Im Protokoll der Sitzung der Wettbewerbskommission werden folgende Mitglieder als Juroren genannt: k. k. Baurat Johann Svitil als Vorsitzender und Dr. Bleiweis Ritter von Trstenisˇki, der I. Stadtingenieur Johann Duffé, der Architekt Gustav Gerlach, der k.k. Fachschuldirektor Johann Sˇubic, der k.k. Stadt-Gewerbeschul-Professor und Architekt Adolf Wagner sowie der Landesingenieur Jan Vladimír Hrásky´ (bei der Sitzung abwesend) als Mitglieder; vgl. Protocoll der am 7. Mai 1893 abgehaltenen III. Sitzung des Preisrichter-Collegiums zur Beurtheilung der Concurrenz-Entwürfe für die Erbauung des Vereinshauses »Narodni dom« in Laibach, sˇkatla Narodni dom: vse o gradnji (Schachtel Narodni dom: alles über den Bau), Arhiv Narodne galerije (Archiv der Nationalgalerie), Ljubljana 1893, S. 1.
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36 Vgl. Protocoll 1893 (wie Anm. 35), S. 1. 37 Gojko Zupan: Svetilnik slovenskega duha. Narodna galerija – pot iz Narodnega doma v vzorcˇni muzej 21. stoletja (Der Leuchtturm des slowenischen Geistes. Nationalgalerie – Der Weg vom »Narodni dom« zum musterhaften Museum des 21. Jahrhunderts), in: Ferdinand ˇSerbelj (Hg.): Osemdeset let Narodne galerije. 1918–1998 (80 Jahre der Nationalgalerie: 1918–1998), Ljubljana 1998, S. 35–54, S. 37 u. S. 39 (»Palacˇo Narodnega doma je lahko nacˇrtoval samo Slovan; Nemec ali Madzˇar nista bila pretirano ˇ ehe. zazˇelena. Nasˇ i rojaki so poklicali na pomocˇ predvsem starejsˇe, sˇolane in bolj izkusˇene rojake, C […] Prvo nagrado […] je upravicˇeno dobil Frantisˇek Edmund Sˇkabrout, saj bi tudi brez nacionalnega kljucˇa dobil najvisˇjo nagrado. Osnovni volumen je mnoge opazovalce razumljivo spomnil na Narodno gledalisˇcˇe v Pragi.«). 38 Vgl. unter anderem Sˇumi 1954 (wie Anm. 4), S. 30; Cevc 1966 (wie Anm. 4), S. 153; Nace Sˇumi: Pregled razvoja slovenske arhitekture (Eine Übersicht der Entwicklung der slowenischen Architektur), in: id.: Pogledi na slovensko umetnost (Betrachtungen der slowenischen Kunst), Ljubljana 1975, S. 29–56, S. 51. 39 Vgl. vor allem Damjan Prelovsˇek: Stavbarstvo 19. stoletja in iskanje narodne identitete (Die Baukunst des 19. Jahrhunderts und die Suche nach der nationalen Identität), in: Irena Trenc-Frelih (Hg.): Umetnost na Slovenskem (Die Kunst in Slowenien), Ljubljana 1998, S. 245–261, S. 256. 40 Dies waren der Stadtingenieur Johann Duffé, der Landesingenieur Jan Vladimír Hrásky´ sowie die Architekten Adolf Wagner und Gustav Gerlach; vgl. Anonym: Denkschrift über die Thätigkeit der Krainischen Baugesellschaft während des ersten Viertel-Jahrhunderts ihres Bestandes 1873–1898, Laibach 1898, S. 56; Gojko Zupan: Dokumenti slovenskega gledalisˇkega muzeja (Dokumente des slowenischen Theatermuseums) 74–75/2000, S. 47–48, Anm. 53; zur Polarisierung der Kultur in Ljubljana vgl. Uhl 1995 (wie Anm. 9), S. 17–71. 41 Im Archiv der Nationalgalerie in Ljubljana befinden sich 68 Briefe Adolf Wagners, die er als ausführender Architekt des »Narodni dom« vom 27. März 1894 bis zum 27. April 1895 an den Bauleiter Johannes Semlitsch schrieb; Arhiv Narodne galerije, Narodni dom – stara hisˇa – razni dopisi v zvezi z gradnjo (Narodni dom – das alte Gebäude – unterschiedliche Korrespondenz betreffend die Errichtung). 42 Vgl. Lah: Listek. Kratka zgodovina »Narodnega doma«. 1881–1896 (Feuilleton. Kurze Geschichte des »Narodni dom«. 1881–1896), in: Slovenski narod (Slowenisches Volk), Nr. 240, 19. Oktober 1896, 2. 43 Der zweitgünstigste Kostenvoranschlag lag bereits bei 137.683, der höchste sogar bei 167.000 Gulden. Die Liste mit Kostenvoranschlägen befindet sich im Archiv der Nationalgalerie in Ljubljana unter Narodni dom – stara hisˇa – vse o gradnji (Narodni dom – das alte Gebäude – alles über den Bau). Frantisˇek Sˇ kabrout: Národni du°m v Lublani (Narodni dom in Ljubljana), in: Technicky´ obzor (Technischer Horizont) 23/1893, S. 213–216, zu seiner preiswerten Lösung vor allem S. 214 u. S. 216. 44 Vgl. Vlcˇek u. Hilmera 2004 (wie Anm. 28), S. 643. 45 Beschreibung der Eröffnungsfeierlichkeiten in: Laibacher Zeitung 1896 (wie Anm. 1), S. 2011–2012; Slovenski narod 1896 (wie Anm. 31), S. 1–3; Slovenec (Der Slowene), Nr. 234, 12. Oktober 1896, S. 2; Kmetijske in rokodelske novice (Landwirtschaft- und Handwerkernachrichten), Nr. 42, 16. Oktober 1896, S. 420. 46 Laibacher Zeitung 1896 (wie Anm. 1), S. 2011. 47 Ibid. 48 Vgl. ibid., S. 2011–2012; Slovenski narod 1896 (wie Anm. 31), S. 1–3.
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49 Vgl. Matic´ 2002 (wie Anm. 25), S. 306–308. 50 Slovenski narod (Slowenisches Volk), Nr. 220, 25. September 1896, S. 3. 51 Ibid. 52 Vgl. die Kritik der Festlichkeiten in: Slovenec 1896 (wie Anm. 45), S. 2 sowie die klärenden Worte der Liberalen in: Slovenski narod (Slowenisches Volk), Nr. 232, 9. Oktober 1896, S. 2–3. 53 Vgl. Darinka Kladnik: Ljubljanske metamorfoze (Ljubljanaer Metamorphosen), Ljubljana 1991, S. 93. 54 Vgl. Franjo Basˇ : Prispevki k zgodovini severovzhodne Slovenije. Izbrani zgodovinski spisi (Beiträge zur Geschichte des nordöstlichen Sloweniens. Ausgewählte historische Schriften), Maribor 1989 (Documenta et studia historiae recentioris, Bd. 8), S. 27. 55 Vgl. Janez Cvirn: Trdnjavski trikotnik. Politicˇna orientacija Nemcev na Spodnjem Sˇtajerskem (1861–1914) (Das Festungsdreieck. Die politische Orientierung der Deutschen in der Untersteiermark), Maribor 1997, S. 380 u. S. 382 (dt. Zusammenfassung S. 377–389). 56 Vgl. Suppan 1998 (wie Anm. 9), S. 301. Heinrich Wastian, der spätere Abgeordnete in Maribor, hielt z. B. seinen nationalpolitischen Vortrag Der Kampf um Cilli im Vereine zur Erhaltung des Deutschtums im Auslande in München. In der »Los von Rom-Bewegung« ging es eher um eine nationalpolitische Haltung als um eine Glaubensfrage; vgl. Cvirn 1997 (wie Anm. 55) S. 237–241. 57 Vgl. Suppan 1998 (wie Anm. 9), S. 331–334; Cvirn 1997 (wie Anm. 55), 303–305; Werner Drobesch: Der Deutsche Schulverein 1880–1914. Ideologie, Binnenstruktur und Tätigkeit einer (deutsch) nationalen Kulturorganisation unter besonderer Berücksichtigung Sloweniens, in: Feliks J. Bister u. Peter Vodopivec (Hg.): Kulturelle Wechselseitigkeit in Mitteleuropa. Deutsche und slowenische Kultur im slowenischen Raum vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg, Ljubljana 1995 (Wissenschaftliche Bibliothek Österreich – Slowenien, Bd. 1), S. 129–154, S. 135. 58 Novice, Nr. 42, 16. Oktober 1861, S. 350. 59 Vgl. Suppan 1998 (wie Anm. 9), S. 301. 60 Zur Geschichte des Vereins vgl. Posojilnica 1933 (wie Anm. 4). 61 Vgl. ibid., S. 51. 62 Ibid., S. 51–53. 63 Ibid., S. 53. 64 Vgl. Slovenski gospodar (Der slowenische Hausherr), Nr. 3, 21. Januar 1892, S. 22. 65 Vgl. Anonym: Národní du° m v Mariboru (»Narodni dom« in Maribor), in: Sve˘tozor (Weltschau), Nr. 32, 1. Juli 1898, S. 401. 66 Pismo dr. Jerneja Glancˇnika dr. Pavlu Turnerju (Brief Dr. Jernej Glancˇniks an Dr. Pavel Turner), Maribor, 11. Januar 1900, Pokrajinski arhiv Maribor (Landesarchiv Maribor) (zukünftig: SI PAMB), 1917164/1.1.48.22 (»Da primernejsˇega mesta za most ni kakor je ono pri ›Narodnem domu‹, o tem nobeden razsoden cˇlovek ne dovsni, akoravno marsikomur ni ljubo da zavzema to najugodnejsˇe mesto ravno Narodni dom.«).
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67 Anonym: Ein Narodni dom in Marburg, in: Marburger Zeitung, Nr. 12, 10. Februar 1895, S. 1. 68 Vgl. Antosˇa Leskovec: Gospodarstvo v Mariboru od srede 19. stoletja do prve svetovne vojne (Wirtschaft in Maribor von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg), in: Darko Frisˇ u. Franc Rozman (Hg.): Od Maribora do Trsta (Von Maribor bis Triest), Maribor 1998, S. 107–125, S. 122. 69 Die Straßen wurden später mehrmals umbenannt. Heute heißen sie Svetozarevska ulica und Ulica kneza Koclja. 70 Pismo dr. Jerneja Glancˇnika dr. Pavlu Turnerju (Brief Dr. Jernej Glancˇniks an Dr. Pavel Turner), Maribor, 27. Dezember 1897, SI PAMB, 1917164/1.1.48.17 (»grad ki se vzdiguje v sredini mariborske nemsˇke trdnjave.«). 71 Vgl. Posojilnica 1933 (wie Anm. 4), S. 53–57. 72 Ibid., S. 54. Der Entwurf von 1892 ist im Archiv des Prager Technischen Nationalmuseums erhalten. 73 Vgl. ibid., S. 54. °, stavitelu°, zedníku ° a kameníku ° v Cˇechách (Enzyklopädie der 74 Vgl. Encyklopedie architektu Architekten, Baumeister, Maurer und Steinmetze in Böhmen), hg. v. Pavel Vlcˇek, Praha 2004, S. 689, s. v. » Vejrych (Vejrich), Jan Bedrˇich« (Pavel Vlcˇek u. Jirˇi Hilmera). 75 Diese Pläne sind im SI PAMB erhalten; vgl. Posojilnica 1933 (wie Anm. 4), S. 54. 76 Ein Narodni dom 1895 (wie Anm. 67), S. 1. 77 Slovenski gospodar (Der slowenische Hausherr), Nr. 9, 27. Februar 1896, S. 1 (»Ne odlasˇajte vecˇ, gospodje! Skrajni cˇas je. […] ko bodo vsa narodna drusˇtva in vsi narodni zavodi pod skupno streho, pokazala se bode mocˇ slovenskega ˇzivlja.«). 78 Vgl. Posojilnica 1933 (wie Anm. 4), S. 56. 79 Pismo dr. Jerneja Glancˇnika dr. Pavlu Turnerju (Brief Dr. Jernej Glancˇniks an Dr. Pavel Turner), Maribor, 28. April 1897, SI PAMB, 1917164/1.1.48.16 (»Celo nemsˇki gospodje pri obcˇinskem svetu zanimajo se za stavbo, katera bode kakor se je izrazil zˇupan, najlepsˇa v Mariboru in kincˇ za novi del mesta.«). 80 Die Literatur zum Vereinshaus in Maribor ist ziemlich umfassend: Vgl. u. a. Bruno Hartman: Sto let Narodnega doma v Mariboru (Hundert Jahre des »Narodni dom« in Maribor), in: Stane Granda u. Barbara Sˇatej (Hg.): Slovenija 1848–1998. Iskanje lastne poti (Slowenien 1848–1998. Das Suchen nach dem eigenen Weg), Ljubljana 1998, S. 21–28 (dt. Zusammenfassung: Hundert Jahre slowenisches Volkshaus »Narodni dom« in Maribor, S. 28); Vlasta Stavbar: Narodni dom v Mariboru (»Narodni dom« in Maribor), in: Celjski zbornik (Celje Jahrbuch) 1997, S. 95–114; Sergej Vrisˇer: Arhitektura Narodnega doma v Mariboru. Ob njeni stoletnici (Die Architektur des »Narodni dom« in Maribor. Anlässlich ihres 100. Jubiläums), in: Cˇasopis za zgodovino in narodopisje (Zeitschrift für Geschichte und Volkskunde) 3/1999, S. 493–496; Vlasta Stavbar: Narodni dom v Mariboru (»Narodni dom in Maribor«), in: Cˇasopis za zgodovino in narodopisje (Zeitschrift für Geschichte und Volkskunde) 1/2002, S. 75–89. 81 Vgl. Jozˇe Curk u. Primozˇ Premzl (Hg.): Mariborske Vedute (Die Stadtansichten von Maribor), Maribor 2004, S. 116. In den 1920er Jahren unternahm der Sparverein umfassende Renovierungsarbeiten. Diese umfassten sowohl eine Umgestaltung der Innenräume und des Treppenhauses als auch der Fassade, die einen weißen Anstrich bekam.
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° m 1898 (wie Anm. 65), S. 398–399 u. S. 401. 82 Vgl. Národní du
83 Vgl. Marek 2004 (wie Anm. 24), S. 309. 84 Vgl. Vlcˇek 2004 (wie Anm. 74), S. 689. 85 Národní du° m 1898 (wie Anm. 65), S. 401(»[…] zoufaly´ boj o kaz ˇ dou pid’ rodné pu° dy.«). ° m 1898 (wie Anm. 65), S. 401. 86 Vgl. Národní du
87 Ibid. 88 Pismo dr. Jerneja Glancˇnika dr. Pavlu Turnerju (Brief Dr. Jernej Glancˇniks an Dr. Pavel Turner) 1897 (wie Anm. 70) (»›Narodni dom‹ smo srecˇno spravili tudi pod streho – a ˇs e le ravnokar pred prazniki.«). 89 Vgl. Posojilnica 1933 (wie Anm. 4), S. 58. 90 Ibid., S. 61; Stavbar 1997 (wie Anm. 80), S. 79. 91 Pismo dr. Jerneja Glancˇnika dr. Pavlu Turnerju (Der Brief Dr. Jernej Glancˇniks Dr. Pavel Turner) 1900 (wie Anm. 66) (»V nasˇem ›Narodnem domu‹ zacˇele so se gledalisˇcˇne predstave in druge veselice, z vspehom […].«).
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»A CHURCH FOR NATIONAL PURPOSES« Sakralbaukunst in Washington im Dienst nationaler Repräsentationsansprüche ANNA MINTA
Staat und Kirche in den USA Staat und Kirche stehen in den USA, so eine weit verbreitete und beständige Vorstellung, in einem besonderen Verhältnis, in dem sie trotz konstitutioneller Trennung von Politik und Religion versuchen, Einfluss auf den jeweils anderen Wirkungsbereich zu nehmen. Dieses Phänomen benennt bereits der französische Jurist Alexis de Tocqueville in seinem 1835 und 1840 publizierten Werk Über die Demokratie in Amerika. In ihm beschreibt er die enge Verbindung von Staat, Gesellschaft, Politik und Religion: »Die angloamerikanische Gesellschaft ist aus der Religion hervorgegangen: das darf man nie vergessen. In den Vereinigten Staaten verschmilzt die Religion daher mit allen nationalen Gewohnheiten und mit fast allen vaterländischen Gefühlen; das verleiht ihr eine besondere Kraft.« Tocqueville berichtet, dass durch die Verfassung die religiöse von der politischen Ordnung zwar getrennt seien, dennoch habe »das Christentum sich mithin einer großen Macht über den Geist der Amerikaner bewahrt […].« Es ist, fährt er fort, »eine feste und unwiderstehliche Wirklichkeit, die man weder anzugreifen noch zu verteidigen versucht.«1 Es ist diese besondere Durchdringung von christlicher Glaubensgrundhaltung auf der einen Seite und republikanisch-patriotischer Sozialisierung auf der anderen Seite, die als nationales Charakteristikum der US-amerikanischen Gesellschaft beobachtet wird. Staat und Kirchen bemühen sich dementsprechend, eine autoritative Nationalgeschichte zu eta-
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blieren, in der je nach Position der christliche Glaube beziehungsweise das republikanische Staatsverständnis eine zentrale Rolle bei der Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika spielen. Hierin soll auch der behauptete Überlegenheitsanspruch der USA als tugendhafte Republik begründet werden, wobei die Argumente zum einen in einer religiös, zum anderen in einer aufklärerisch interpretierten Siedlungs- und Erweckungsgeschichte gesucht werden. Über diese selektive Traditionsbildung der Staatswerdung hinausgehend wird versucht, Einfluss auf das kollektive Identitätsverständnis zu nehmen und ein gesellschaftlich akzeptiertes System nationaler Werte und Tugenden zu vermitteln. Nationale Narration und kollektives, das heißt handlungsleitendes Wertesystem wirken über die Kraft der Identitätsstiftung sozial disziplinierend und tragen dazu bei, das gesellschaftliche Ordnungs- und Autoritätsgefüge dauerhaft zu stabilisieren. Insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden infolge der Industrialisierung und Säkularisierung sowie den damit einhergehenden sozialen Veränderungen die tradierten Familien-, Gesellschafts- und staatlichen Ordnungsstrukturen zunehmend in Frage gestellt. Vor allem die Kirchen stehen dem Autoritätsverlust im Zeitalter der Moderne meist hilflos gegenüber. Während auf der einen Seite das Vertrauen in die Institution Kirche abnimmt, kann auf der anderen Seite die Institution Staat die Position der Identitätsstiftung in zunehmendem Maß besetzen. Nach dem Sezessionskrieg (1861–1865), den militärischen Erfolgen im Spanisch-Amerikanischen Krieg (1898) und infolge des beschleunigten wirtschaftlichen Fortschritts, der eine machtvolle Stellung auf dem Weltmarkt verspricht, nimmt das republikanische Selbstbewusstsein stetig zu. Die christlichen Kirchen, die sich im Spagat zwischen den historischen Wurzel in der »Alten Welt« und dem Institutionalisierungsprozess in der »Neuen Welt« befinden, sehen sich daher gezwungen, ihre Position innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft und Geschichte neu zu definieren. Denkmale und Architekturen werden in diesem Prozess zu zentralen Vermittlungsinstanzen von Geschichtskonstruktionen und nationalen Geltungsansprüchen – und dies sowohl durch ihre Ikonographie als auch durch ihre rituelle Einbindung in den Alltag. Die Strategien und Inhalte einer Nationalisierung von Kunst und Architektur sind daher im Kontext der sakralen Baukunst in Washington zu untersuchen. Die Frage ist, wie sich die christlichen Kirchen die Verbindung von religiöser Verheißung und republikanischer Geschichte zu eigen machen und in ihre Version einer nationalen Geschichte integrieren und wie sich dies in Architektur und Ikonographie ausdrückt. Die Hauptstadt Washington bietet sich besonders an, die patriotischen Geschichtsinszenierungen und Repräsentationsansprüche zu hinterfragen. Hier konkurrieren unterschiedliche Institutionen um einen zentralen Platz im Machtgefüge, der die jeweils beanspruchte Machtposition in Gesellschaft und Kultur widerspiegelt. Aus einer Vielzahl von Nationalkirchen- und Kathedralprojekten, die von den unterschiedlichen Religionsgruppen um 1900 initiiert, aber nur zum Teil realisiert werden, lassen sich vor allem am Beispiel der episkopalen Washington National Cathedral (1907–1990) und der römisch-katholischen Basilica of the National Shrine of the Immaculate Conception (1920–1959) die Selbstbehauptungsan-
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sprüche beider Konfessionen und deren Objektivation in Architektur und Kunst nachvollziehen. Hierbei ist zu zeigen, dass beide Kirchen sich letztendlich vergeblich bemühen, mit ihren Bauprojekten überkonfessionelle Bedeutung zu erlangen, um sich dementsprechend als Nationalkirche mit Vertretungs- und Repräsentationscharakter für die gesamten Vereinigten Staaten zu etablieren.
Repräsentation und symbolischer Raum: Washington Washington wird 1790 als Hauptstadt der USA auf neutralem Territorium neu gegründet, um die Rivalitäten um den Sitz der Bundesbehörden zwischen den Süd- und den Nordstaaten zu beenden. Die Lage der Stadt und ihr symbolisch auszuformender Raum sollen die Identifikation aller Bundesstaaten mit der neuen Hauptstadt ermöglichen. Ein Jahr später legt der französische Ingenieur Pierre Charles L’Enfant daher monumentale Pläne vor, die das politische System des Staates in den Strukturen der Stadt abbilden. Er schlägt einen an barocken Planungsprinzipien orientierten Grundriss vor in »dimensions proportional to the greatness which […] the Capital of a powerful Empire ought to manifest«.2 Er entwickelt ein Straßenraster mit zentralen Plätzen und Sichtachsen, in dem die Institutionen gemäß ihrer Funktion hierarchisch verortet werden. Als Abbild der Machtkonstellation von Kongress und Präsident bilden Capitol und White House die auf Hügeln gelegenen Mittelpunkte der Anlage. In etwa gleicher Entfernung zu beiden sieht L’Enfant einen repräsentativen Platz für eine Nationalkirche vor. Hier soll jedoch nicht ein Haus konfessioneller Gebundenheit entstehen, sondern ein Monument göttlich-naturrechtlicher Weltinterpretation, in der die Errungenschaften der eigenen Geschichte und Gegenwart weihevoll zu inszenieren sind: »A Church for national purposes, such as public prayer, thanksgiving, funeral orations, etc., assigned to the special use of no particular denomination or sect, but equally open to all. It will be likewise a shelter for such monuments as were voted by the last Continental congress for those heroes who fell in the Cause of Liberty; and for such others as may be decreed by the voice of a grateful nation.«3 Nicht zuletzt durch das verfassungsrechtliche Verbot einer Nationalkirche, wird dieses Projekt jedoch nicht realisiert. Indessen engagieren sich bürgerlich-patriotische Verbände und die Regierung für den Ausbau repräsentativer Institutionen und Denkmale, um mit wachsendem Selbstbewusstsein die Erfolgsgeschichte der amerikanischen Nation in öffentliche Gedächtnisorte zu überführen. Als Orte nationalen Gedenkens entstehen beispielsweise das Washington Monument (1848–1884), das mit seiner Höhe von fast 170 Metern seinerzeit zu den höchsten Bauwerken der Welt zählt, und der nationale Ehrenfriedhof Arlington National Cemetery (ab 1864). Im 20. Jahrhundert folgen das Lincoln Memorial (1911–1922), das General Grant Memorial (1922) und das Jefferson Memorial (1943). Zugleich
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werden staatliche Institutionen – neben zahlreichen Ministeriumsbauten auch die Library of Congress (1886–1892) – ausgebaut, das White House 1902 renoviert, das Capitol erweitert und mit einer monumentalen Kuppel überkrönt (1851–1965) sowie der US Supreme Court (1932–1935) errichtet. Hinzu kommen großangelegte Galerie- und Museumsbauten entlang der zentralen Mall und das National Archives Building (1934–1935): »a magnificent mausoleum« mit Formen eines klassizistischen Tempels, in dem mit Dokumenten wie der Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung das nationale Gedächtnis bewahrt und in »grand manner [that] surpasses even the Supreme Court in majesty and power« ausgestellt werden.4 Zugleich wird eine Senat Park Commission unter der Leitung des Chicagoer Architekten Daniel H. Burnham in Kooperation mit dem Landschaftsarchitekten Frederick Law Olmsted, Jr. eingesetzt, um die gewaltigen Baumassnahmen und Stadterweiterungspläne zu steuern. Ziel der 1902 vorgestellten Pläne ist es, die Hauptstadt als Ort nationaler Repräsentation und Identifikation auszubauen: »to inspire patriotism and a broader love of country« |Abb. 1|.5 Washington wird konsequent zum »show-window of the Nation« ausgebaut, wobei sich die Regierungsbauten und Denkmale auszeichnen durch eine »abstract monumentality which alone was deemded adequate to voice the pride and glory and dignity of our National Government.«6 Schlagworte wie größer, höher, eindrucksvoller und monumentaler kennzeichnen das Milieu, in dem die Inszenierung von Repräsentations- und Erinnerungsorten stattfindet. Als Vorbild für diesen Ausbau eines solch großmaßstäblichen Stadtplanungskonzeptes, dessen auf Sichtwirkung angelegte Straßenachsen und Freiräume mit monumentalen Architektursolitären aufgefüllt werden, dient die Weltausstellung von 1893 in Chicago. Den riesigen Maßstab der White City hatte deren Leiter Daniel H. Burnham mit der spektakulären Eindrücklichkeit dieser geordneten Anlage begründet, die bildhaft für die zivilisatorische Überlegenheit der amerikanischen Nation stehen solle: »Make no little plans. They have no magic to stir men’s blood, and probably themselves will not be realized. Make big plans, aim high in hope and work, remembering that a noble and logical diagram once recorded will never die, but long after we are gone will be a living thing.«7 Inszenierte Stadtplanung und Architektur dienen folglich nicht nur der Vergegenwärtigung historischer Ereignisse, sondern sollen zugleich die Vorstellung von einer glorreichen Zukunft vermitteln. In Washington werden daher bei Regierungsbauten aufwändige Bild- und Skulpturenprogramme entwickelt, die die enge Verbindung zwischen Vergangenheit und hoffnungsvoller Zukunft verdeutlichen.8 Der rasante Ausbau Washingtons zur repräsentativen Hauptstadt wird in Zeitungen immer wieder – meist euphorisch – kommentiert. Das Fehlen visueller Zeichen amerikanischer Religiosität von nationaler Dimension, die für die christlichen Glaubensgrundlagen und das tiefe Gottvertrauen Amerikas stehen, wird jedoch zunehmend kritisiert: »It is true that in Washington one sees everywhere ›national affirmations‹; the power of a national Government is affirmed by the majestic Capitol; patriotism is affirmed by impressive monuments to the great leaders of the nation; art, literature, science, are visib-
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1 Francis L.V. Hoppin: Plan der Senate Park Commission für Washington, D.C., Vogelschau, 1902, Aquarell, 86,4 × 183 cm
ly honored by appropriate buildings; but one finds no national affirmation of the religion which is the only foundation for life, individual or national.«9 Mit dem institutionellen Ausbau der Hauptstadt als Repräsentant nationaler Geschichte und Identität streben jedoch unterschiedliche Konfessionsgruppen nach einer Vertretung in Washington in Form einer monumentalen Architektur, die den Anspruch religiöser Geltungsmacht in einer städtebaulichen Dominante unverkennbar zum Ausdruck bringen soll. Presbyterianer, Methodisten, Universalisten, Kongregationalisten oder die National Christian Church träumen von einem Kathedralprojekt: »a striking architectural symbol of our great communion, able to command the attention of this unique city«.10 Aber nur der Episkopalkirche und der römisch-katholischen Kirche gelingt es, tatsächlich jeweils ein monumentales Kirchenprojekt zu realisieren, das durch den Zusatz »national« im Namen, den Alleinvertretungsanspruch christlicher Glaubengrundlagen in Amerika für sich erhebt.
Kirche und Politik: Washington National Cathedral Insbesondere die Episkopalkirche bemüht sich, die Fehlstelle eines nationalen Zeugnisses religiöser Grundgestimmtheit in den USA mit einem Kathedralbau zu besetzen. Ihre Wurzeln liegen in der anglikanischen Kirche Großbritanniens, in der seit dem Bruch König Heinrichs VIII. mit dem Papsttum (1534) eine enge Verbindung zwischen der staatlichen und kirchlichen Macht bestand. Der erste episkopale Bischof von Washington, Henry Yates
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Satterlee (Bischofsamt 1896–1908), versucht, nicht diese Einheit, jedoch eine vergleichbare Einigkeit zwischen Religion und Staat herzustellen, um damit den Status als Nationalkirche in Anspruch nehmen zu können. Zudem versteht sich die Episkopalkirche in der Tradition der anglikanischen Hochkirche als Vermittlerin zwischen katholischer und reformierter Lehre und beansprucht demzufolge eine den anderen christlichen Gemeinden übergeordnete Position. Bischof Satterlee setzt dieses Argument der konfessionellen Überlegenheit ein, um mit dem Kathedralprojekt eine Nationalkirche Amerikas zu etablieren.11 Seinem Tagebuch vertraut er 1902 an, dass er alles tue »for the sake of nationalizing the Cathedral«.12 Er deutet daher L’Enfants Idee einer patriotischen, nicht konfessionell gebundenen Staatskirche im Sinne eines Panthéons um und beabsichtigt, eine Nationalkathedrale vergleichbar einer »American Westminster Abbey« zu errichten.13 Um sein Ziel – die Nationalisierung der Kathedrale – zu erreichen, bedient sich Satterlee eines breiten Spektrums von Strategien, die vor allem die Wahl des Baustils, die inhaltliche Ausdeutung des ikonographischen Programms und die mediale Inszenierung der Kathedrale umfassen. Im Zentrum steht stets die Absicht, eine enge Anbindung an die Politik sicherzustellen, um an die republikanische Erfolgsgeschichte anschließen zu können. Noch bevor Baupläne für die Kathedrale vorliegen, wird bereits im Oktober 1898, das heißt zeitgleich mit dem Ende des Spanisch-Amerikanischen Krieges, feierlich am künftigen Bauplatz ein Friedenskreuz errichtet.14 Präsident William McKinley wird zu den Feierlichkeiten eingeladen, ebenso wie die anglikanischen und episkopalen Bischöfe, die zur gleichen Zeit auf ihrer Generalversammlung tagen. Die Anwesenheit des Präsidenten und der geistlichen Würdenträger verleiht dem Bauvorhaben nationale Bedeutung und suggeriert Einigkeit zwischen Staat und Kirche. Satterlee berichtet in seinem Tagebuch: »The President […] made a beautiful little address […]. Then I gave the signal. The American flag that enveloped the Cross floated down […]. The presence of the President of the United States and of our General convention had nationalized the Cathedral of Washington. Henceforth it could not fail!«15 Dieses nobilitierende und nationalisierende Ritual wiederholt sich bei der Grundsteinlegung am 29. September 1907. Parallel feiert die Generalversammlung das 300jährige Bestehen der episkopalen Kirche in den USA.16 Der Bischof von London und ein Großteil der anglikanischen Bischöfe nehmen an der Grundsteinlegung teil. Auch der amtierende Präsident Theodore Roosevelt folgt der Einladung. Die Cathedral Foundation versichert sich damit erneut der staatlichen Zustimmung. Die Verschränkung der politischen und der religiösen Sphäre geht soweit, dass mit dem selben Hammer, mit dem George Washington im September 1793 die Grundsteinlegung für das Capitol vollzog, nun die Grundsteinlegung für die Nationalkathedrale zelebriert wird.17 Indem die Kirche dieses symbolische Instrument in Dienst nimmt, werden Capitol und Nationalkathedrale in ihrer repräsentativen Bedeutung gleichgesetzt. Zugleich bestätigt der Londoner Bischof mit seiner Anwesenheit die Traditionslinie von der anglikanischen zur episkopalen Hochkirche und unterstützt damit den Anspruch Satterlees, mit der Episkopalkirche eine traditionsreiche und dementsprechend bedeutungsvolle Kirchengemeinde zu vertreten.18
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2 General John J. Pershing: Ansprache zugunsten des Baus der Washington National Cathedral, 1930, Drucksache der PR-Abteilung
Bischof Satterlee ist demnach ständig bemüht, über die Parallelisierung nationaler Ereignisse und die Integration politischer Persönlichkeiten in die Baugeschichte, Unterstützung für die nationalkirchlichen Aspirationen zu erhalten. So eröffnet General Pershing 1927 die Spendenkampagne für den Kathedralbau |Abb. 2|. Zwei Jahre später erscheint die Broschüre Eminent Opinion Regarding the Cathedral of Washington. Representative Americans State Their View, in der bedeutende Politiker und renommierte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens die nationale Bedeutung des Kathedralprojektes betonen und für ideelle sowie finanzielle Unterstützung werben. Ziel der Episkopalkirche ist es, Nähe und zugleich Abgrenzung zu den Zentren politischer Macht zu demonstrieren, um den eigenen Wirkungsbereich klar abzustecken. Die Kathedrale nimmt auf ihrem erhöhten Standort einen markanten Platz in der Stadtsilhouette ein. Capitol und White House besetzen bereits wichtige Anhöhen in der Stadt, in der Hochhäuser per Gesetz verboten sind, um die symbolische Qualität der Topographie und die herausragenden Positionen einzelner Institutionen nicht zu zerstören.19 Die Kathedrale reiht sich mit dem Ehrgeiz, dritte nationale Autorität zu sein, in den Reigen insti-
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tutioneller, symbolischer und räumlicher Monumente ein. Während der Ort die Präsenz der Kirche im Triumvirat nationaler Mächte garantiert, bildet die Kathedrale zugleich den Kontrapunkt zur staatlichen Macht. Diese Abgrenzung und zugleich Erhöhung der Kirche gegenüber dem Staat erfolgt vor allem über die Stildiskussion. Als Bauherr hatte das Cathedral Chapter zunächst zwei Entwürfe (1895–1896) von dem New Yorker Architekten Ernest Flagg verlangt: einen in »Gothic and Pointed« und einen zweiten in »Romanesque and Renaissance style.« 20 Flagg selbst sah in der französischen Renaissance den Höhepunkt mittelalterlicher und neuzeitlicher Architekturentwicklung, da sie die Gotik in funktionalen und künstlerischen Aspekten weit übertreffe.21 In gotischen Kathedralen sei das überlange Kirchenschiff durch unzählige Stützen verstellt und der Hochaltar durch die große Distanz von der Gemeinde entrückt. Ein überkuppelter Zentralbau hingegen folge praktisch und symbolisch der Idee eines Auditoriums, in dem sich die Gemeinde versammeln könne. Streitigkeiten um einen angemessenen christlichen Stil dauern innerhalb des Cathedral Chapters und einer eigens eingesetzten Stilfindungskommission, an der auch Daniel H. Burnham beteiligt ist, bis in das Jahr 1906 an. Den Vorwurf, die Renaissance sei nur ein »superficial dress of inappropriate Pagan Roman details« 22 versucht Burnham mit dem Verweis auf die Bedeutung der Kathedrale im Kontext der politischen Institutionen Washingtons zu entkräften. So schreibt er im Juni 1906 an Satterlee: »A great Cathedral founded upon Classic motives will harmonize with the Government buildings, which cannot be the case if gothic architecture is used. […] the mere fact that Church and State are legally separated in this country does not change the real quality of the Church itself; if anything, it places it upon a still higher level, and the Cathedral in Washington will be a Government building.«23 Weil die Religion auf die Entwicklung der USA und die Ausformung der Gesellschaft einen ebensolchen Einfluss gehabt habe wie die Politik, sei, so Burnham, die Kathedrale mit einem Regierungsgebäude vergleichbar und müsse sie sich daher diesen Gebäuden stilistisch anpassen. Satterlees Antwort macht deutlich, dass ihn der Vergleich der Kathedrale mit den Staatsbauten zufrieden stellt, er dennoch eine klare Abgrenzung von den säkularen Institutionen fordert. Ein Plakat zum Spendenaufruf Ende der 1920er Jahre stellt den projektierten Kathedralbau monumental in den Mittelpunkt, während die zentralen republikanischen Bauten – das Capitol und das Washington Monument – kleiner und deutlich untergeordnet am Bildrand erscheinen |Abb. 3|. Diese Abgrenzung, schreibt Satterlee 1906, verleihe der Kirche ihren spezifisch christlichen Charakter, werte sie auf und erhebe sie über die Staatsbauten: »First, last & always, a Cathedral is a ›House of Prayer for All People‹ […] we believe that if the Cathedral is gothic the contrast between it and the magnificent classic buildings of Washington will be no loss but a positive gain in effect.« 2 4 Die Gotik, argumentiert er, sei die höchste Ausdrucksform christlicher Kunst. Sie besitze die Kraft, alle Christen zu vereinen.25 Der gotische Stil biete sowohl durch seine Monumentalität als auch durch die ihm zuge-
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schriebene ideelle und formale Vollendung der Kirche die Möglichkeit, sich gegenüber den staatlichen Institutionen zu behaupten und diese mittels architektonischer Zeichen zu überbieten.26 Die Entscheidung fällt schließlich zugunsten eines gotischen Entwurfs, den die Architekten Henry Vaughan und George Frederick Bodley 1906 vorlegen. Diesem Entwurf schreiben sie folgende symbolische Funktion zu: »The Cathedral will be a conspicuous object from the Capitol and other parts of the city. When complete, with its surrounding buildings, it will be ›as a city set on a hill‹.« 27 Hiermit verweisen sie auf die koloniale Siedlungsgeschichte Nordamerikas und die Vorstellung eines »Manifest Destiny«, das einen zentralen Aspekt der amerikanischen Identitätsstiftung darstellt.28 In einer Mischung aus historischer Entwicklung und göttlicher Vorsehung gründet die Vorstellung mit der Besiedlung Amerikas die Perfektionierung menschlicher Gesellschaft in harmonischem Einklang mit den Grundwerten christlichen Glaubens vorange- 3 Unbekannter Künstler: Spendenaufruf für die trieben zu haben. Ihren Ursprung hat sie unter Washington National Cathedral, Ende 1920er Jahre, Handzettel, 23 × 16 cm anderem in John Winthrop, der um 1630 glaubte, mit seiner neuen, vom Christentum bestimmten Lebens- und Glaubensgemeinschaft ein Modell – a »city upon a hill« – begründen zu können. Kirche und säkulare Verwaltung unter dem Primat der christlichen Lehre sollten in dem theokratischen Siedlungsprojekt untrennbar werden und damit das Neue Jerusalem antizipieren, von dem das Matthäus Evangelium (Mt. 4,15) verheißungsvoll kündet. Satterlee und die Architekten beziehen sich mit dem Kathedralprojekt, das von Schulen und anderen Einrichtungen umgeben sein soll, auf diese Idee der »city upon a hill«, das strahlende und missionarische Vorbild einer idealen und im Glauben verwurzelten Gesellschaft. Um die hegemoniale Position der Episkopalkirche dauerhaft zu etablieren, bemüht sich Satterlee, die Kathedrale zum nationalen Identifikationsort – vergleichbar mit Westminster Abbey in London und dem Panthéon in Paris – zu stilisieren. Indem bedeutende Persönlichkeiten und Ereignisse ikonographisch in die Kathedrale eingebunden werden, erhofft sich Satterlee eine enge Beziehung zum amerikanischen Volk und seiner nationalen Geschichte. Religiöse und patriotische Empfindungen sollen sich hier miteinander verbinden.
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Dementsprechend fordert Satterlee die Architekten auf, ausreichend Raum für Gedenktafeln und Skulpturen einzuplanen. In der Erläuterung zu ihrem ersten Entwurf schreiben Vaughan und Bodley 1907: »The Bishop reminds us that as Washington Cathedral is at the Capital of the Nation, and will inspire combined religious and patriotic feelings, it would be well, […] if place could be made for statues, bas-reliefs and other works, commemorating great American heroes and statesmen of the United States, and historical incidents of Colonial times and after the Revolution, which are dear to the hearts of American people.«29 Sie schlagen daher ein fünfschiffiges Langhaus vor, dessen äußere Seitenschiffe als regelmäßige Reihung von Kapellen ausgebildet sind, um Denkmäler aufnehmen zu können. Ausstattung und Ikonographie werden instrumentalisiert, den Geltungsanspruch der Episkopalen in Bilder zu überführen und ihm damit eine materielle, allgemein lesbare Präsenz zu verleihen. Der erst 1990 vollendete Bau inszeniert in seinem ikonographischen und symbolischen Programm eine Nationalgeschichte, in der die Episkopalkirche in einer Synthese aus urkirchlicher und anglikanischer Kirchenentwicklung sowie amerikanischer Staatsbildung den Höhepunkt christlicher Glaubensgeschichte darstellt. Zu diesem hegemonialen Anspruch gehört auch der Einbau nobilitierender Spolien. So sind Steine aus der Nähe der Geburtskirche in Bethlehem in den Grundstein aus amerikanischem Granit eingelassen. Ebenfalls als Zeichen biblischer Geschichte und christlicher Kontinuität muss der Hauptaltar gelesen werden, der mit Blöcken aus den Steinbrüchen Salomons bei Jerusalem und Steinfragmenten aus der Moses-Kapelle auf dem Berg Horeb im Sinai errichtet wird. Die historischen Wurzeln werden damit bis in die Anfänge des Alten Testamentes in das Heilige Land zurückgeführt und sichtbar im Zentrum der neuen Kathedrale inszeniert.30 Zusätzlich zu diesen Zeugnissen der Urkirche nehmen Referenzen zur anglikanischen Kirche eine zentrale Stellung innerhalb des Kirchenbaus ein. So ist die Kanzel aus Steinen gearbeitet, die ursprünglich zur Kathedrale von Canterbury, der anglikanischen Hauptkirche, gehörten.31 Das ikonographische Programm zeigt den Verlauf der Bibelrezeption in England, mit dem zentralen Hinweis auf die Magna Charta (1215), die der englischen Kirche ihre Freiheit und ihren Einflussbereich zusichert. Die Kathedra wiederum ist aus Steinen der Klosterruine Glastonbury aufgebaut, einer Kirche, die von Joseph von Arimathia noch vor der christlichen Missionierung Englands gegründet wurde. Zudem soll sich hier das Grab König Arthurs befinden, so dass dieser Ort für eine enge Verbindung zwischen weltlichem Herrscher und der Kirche steht. Über die Spolien aus Glastonbury and Canterbury wird in der Washingtoner Kathedrale eine Traditionslinie zu den bedeutenden Ereignissen der anglikanischen Hochkirche hergestellt. Satterlee bestätigt diese symbolische Verdichtung in seinem Tagebuch: »Our Cathedral will be likewise a historical witness for the Primitive Church, and therefore I feel a deep interest in the Jerusalem altar, which will be the first stone of our Cathedral, and in the Glastonbury Cathedra, which will be a witness for the historical conti-
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4 Wilbur H. Burnham u. Joseph G. Reynolds, Jr.: American Statesmen: Thomas Jefferson and James Madison, 1946, Glasfenster, Washington National Cathedral, nördliches Querhaus
nuity of the Anglican Church.«32 Die Kathedrale nutzt demnach ein Konglomerat materieller Zeugnisse und symbolischer Verweise, mittels derer die angestrebte hegemoniale Position begründet werden soll. In dieses christliche Bild- und Referenzprogramm des Alten und Neuen Testaments sowie des Christentums in Amerika werden Elemente nationaler Geschichte und Politik integriert, um eine enge und auf gegenseitiger Anerkennung basierende Beziehung zwischen Kirche und Staat zu suggerieren. Im Fußboden des Narthex sind das Staatsiegel und die Siegel der Bundesstaaten als Mosaik eingelassen – »to represent the national significance of the Cathedral« – und im Langschiff hängen die dazugehörigen Bundesflaggen.33 Nationale Feierlichkeiten, vor allem für Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens, werden ausgerichtet, mittels derer die Episkopalkirche wiederum eine enge Anbindung an das politische Geschehen sucht. Den Auftakt bildet die Grablegung von Präsident Woodrow Wilson 1924 in der Bethlehem-Kapelle.3 4 1959 wird der Sarg Wilsons in ein Joch des fertig gestellten Seitenschiffs umgebettet und dieses als Wilson Bay eingeweiht. Figurale Ausschmückung und Glasfenster berichten vom Leben Wilsons, nicht ohne auf seine letzen veröffentlichten Worte hinzuweisen, in denen er die Religion als Grundlage seines politischen Handelns genannt hatte.35 Diese Form des Gedenkens, in der besonders christliche Referenzen hervorgehoben werden, wird in anderen Jochen fortgesetzt. Der erste US-Präsident George Washington erhält 1964 ein Denkmal in Form eines überlebensgroßen Standbildes; in Gedenken an Präsident Abraham Lincoln wird 1984 eine Bronzestatue aufgestellt, wobei die in
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5 Unbekannte Künstlerin: Kniekissen zu Ehren von John F. Kennedy, o. J., farbige Stickerei, ca. 22 × 30 cm, Washington National Cathedral, St. John’s Chapel
die Wand gemeißelten Auszüge aus seiner Rede im Februar 1861 nach seiner Wahl zum Präsidenten auf seine christliche Grundhaltung verweisen: »Without the assistance of that Divine Being who ever attended him, I cannot succeed. With that assistance, I cannot fail« – mit dieser Auswahl aus Lincolns Reden wird erneut der Anspruch von Religion auf übergeordnete Verantwortlichkeit gegenüber der Politik in Szene gesetzt. Auch die Kirchenfenster werden dazu instrumentalisiert, in ihrem Bildprogramm Ereignisse und Personen religiöser und politischer Geschichte miteinander in Beziehung zu setzen und die gegenseitige Abhängigkeit beider Sphären zu thematisieren. Das Nordquerhaus beispielsweise verfolgt das Thema »statesmanship, leadership and diplomacy«.36 Auf der einen Seite sind hier biblische Gestalten, Propheten und das Jüngste Gericht dargestellt, während auf der anderen Seite amerikanische Staatsmänner wie die Präsidenten Thomas Jefferson und James Madison ihnen gegenüber gestellt werden |Abb. 4|. In weiteren Kapellen, Fensterzyklen und den gestickten Kniekissen, den sogenannten needlepoint memorials, wiederholt sich diese Parallelisierung sakraler und republikanischer Themen.37 Vor allem die seit Mitte der 1950er Jahre gestickten Kniekissen sind bedeutenden amerikanischen Persönlichkeiten aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens gewidmet, um den umfassenden Vertretungsanspruch der Episkopalkirche für das amerikanische Volk zu visualisieren. Hierzu gehören Albert Einstein, der Schriftsteller Hermann Melville, verschiedene Generale und Regierungsbeamte, der katholische Präsident John F. Kennedy und die Frauenrechtlerin Susan B. Anthony |Abb. 5|. Zudem werden Kapellen und Glasfenster installiert, die an Ereignisse der jüngsten Vergangenheit erinnern. Hierzu zählen unter anderem das 1974 eingesetzte Space-
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6 Rodney Winfield: Space, 1973, Glasfenster in Erinnerung an die Erforschung des Weltraums und die Landung auf dem Mond, darin eingefasst ein Stück Mondgestein
7 Joseph G. Reynolds, Jr.: Freedom I, 1953, Glasfenster, Maße unbekannt, Washington National Cathedral, War Memorial Chapel
Window in Erinnerung an die Raumfahrt und Mondlandung, das ein Stück des Mondgesteins enthält, und die 1957 geweihte War Memorial Chapel |Abb. 6–7|. In der Kapelle hängt eine Stickerei, die das biblische Motiv des Lebensbaums übernehmend die Entwicklung der USA und ihrer Streitkräfte erzählt. Biblische Symbolik und national-säkulare Kultur verschmelzen hier miteinander.38 Satterlee hatte bereits zur Grundsteinlegung 1907 dem Architekten Bodley erklärt, dass er versuchen wolle, alle Bereiche der Gesellschaft für das Kathedralprojekt zu begeistern, um darüber die Legitimation für eine Nationalkirche zu erhalten. Ziel des ikonographischen Programms müsse es daher sein, »[to integrate] some intensely interesting and religious scenes of American History. […] In this way Washington Cathedral would not only be religious but also National.«39 Mit einer solchen Zusammenführung von amerikanischer Geschichte, christlicher Kirchengeschichte und Glaubensautorität versucht die Episkopalkirche, ihre Überlegenheit sowohl den anderen christlichen Kirchen als auch dem Staat gegenüber für alle lesbar in ihrem Kathedralbau festzuschreiben.
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Kirche und Bevölkerung: National Shrine Es zeigt sich, dass die Kombination aus Bildprogramm, symbolischen Referenzen, Traditionsbildung, Rhetorik, Zeremoniell sowie der Vereinnahmung renommierter Persönlichkeiten wirkungsvoll ist, um aus dem Diözesanprojekt der Espiskopalkathedrale im weit verbreiteten Verständnis die National Cathedral werden zu lassen. Unter den zahlreichen Kathedralprojekten, die etwa zeitgleich in Washington von unterschiedlichen Konfessionsgruppen diskutiert werden, ist vor allem die Basilica of the National Shrine of the Immaculate Conception der römisch-katholischen Kirche als konkurrierendes Projekt um nationale Präsenz und Repräsentanz hervorzuheben. Auch die Katholiken wollen ihren Bau und damit ihre Religionsgemeinschaft im nationalen Repräsentationsgeflecht von Washington an prominenter Stelle verankern. Ein Bild, dass zur Grundsteinlegung des Schreins 1920 verbreitet wird, greift auf vergleichbare Geschichts- und Bildkonstruktionen wie die der Episkopalkirche zurück, indem hier die Einheit von Amerika, Politik und Religion visualisiert wird: Maria Immaculata, die katholische Schutzpatronin Amerikas, erhebt sich über Vertretern des amerikanischen Volkes und seinen beiden wichtigsten Institutionen – dem Schrein als religiöse und dem Capitol als politische Autorität |Abb. 8|. Vermittler zwischen beiden Sphären ist ein Bischof. Jungen Frauen, Mütter, Nonnen und zum Christentum bekehrte Indianer, die als Zeichen der Abkehr von ihrer Stammesreligion einen Totempfahl umgestürzt haben, bringen Maria das Land in Form der amerikanischen Fahne und Landkarte dar. Die Katholiken können jedoch weniger auf Unterstützung seitens der Politik oder der Gesellschaft für ihre nationalen Ambitionen hoffen. Die seit Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmende Einwanderung von Katholiken lässt ein verschärft anti-katholisches Klima entstehen, in dem der Vatikan als imperiale Macht abgelehnt wird, der mit allen Mitteln versuche, von Amerika Besitz zu ergreifen.40 Der Steinblock, den der Vatikan 1854 zum Bau des Washington Monuments stiftet, wird über Nacht gestohlen und im Potomac versenkt. Auch gelingt es der katholischen Kirche nicht, einflussreiche Politiker als Fürsprecher für den Nationalschrein zu gewinnen. Präsident Woodrow Wilson sagt seine Teilnahme zur Grundsteinlegung ab, obwohl Papst Pius X. in seinem apostolischen Schreiben 1914 die Bedeutung des Schreins für die Kirche, aber auch den Staat betonte: »How highly We esteem this project We need not say, since nothing could be more useful to the Church or further more helpfully the welfare of the Republic.«41 Dennoch bemühen sich die Bauherren des Schreins mit patriotischen Bekundungen den nationalen Charakter des Projektes sicherzustellen. Der Grundstein wird in einem Huldigungszug von Connecticut quer durch Cambridge/Mass., New York, Philadelphia und Baltimore transportiert – also Orte, die für die Geschichte Amerikas und die Geschichte des Katholizismus in Amerika von Bedeutung sind, so dass der Schrein als teleologische Vollendung amerikanischer und christlicher Geschichte etabliert werden kann. Um diese historischen Traditionslinien von der »Urkirche« zur Gegenwart deutlich und materiell vor Augen zu führen, bedient sich auch die katholische Kirche weihevoller Spolien wie Steinen aus
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Jerusalem, Marmorsäulen aus verschiedenen Teilen der Welt sowie Geschenken des Vatikans. Der Wettstreit der beiden Kirchen um identitätsstiftende Geltungsmacht wird zudem über die Wahl des Architekturstils ausgetragen. Zunächst werben auch die Bauherrn des National Shrine seit 1914 für Pläne einer Kathedrale im Stile der französischen Gotik: »the Style as being best suited by its delicate tracery and lofty proportions to symbolize Our Lady of the Immaculate Conception« |Abb. 9|.42 Bischof Thomas J. Shahan, Professor für Kirchengeschichte und später Rektor der Catholic University of America, in deren Mitte der Schrein entsteht, plädiert in seiner Faszination für die frühchristliche Kunst gegen einen gotischen Entwurf. Nicht nur, dass die Episkopalkirche bereits mit einem gotischen Kathedralbau begonnen habe, mit einem romanischen oder byzantinischen Stil ließe sich zudem weiter zurück in die Anfänge des Christentums verweisen und damit die Bedeutung der katholischen Kirche als Hort des Christentums hervorheben. So schreibt Shahan bereits 1910 einem Bekannten: »I would not presume to dictate the 8 Unbekannter Künstler: Mary Immaculate, Patroness of the United States, Farbillustration in festlicher Broschüre zur style of it. […] But I have always admirGrundsteinlegung am 23. September 1920, ca. 40 × 28 cm ed a great free open space, unbroken by columns, an ideal space for preaching and singing, for seeing and hearing. Its wall spaces and ceilings ought to be covered with noble historical frescoes depicting the origin and the glories of Catholics in the United States […] no one would think he had truly seen the Capital of the nation unless he had paid a visit to this Church.« 43
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Die Baukommission votiert 1918 schließlich für einen Bau »to be monumental in character and be capable of seating several thousands […] the style of the church be Romanesque, liberally interpreted.« 4 4 Das Bostoner Büro Maginnis & Walsh in Kooperation mit Frederick V. Murphy wird mit der Planung beauftragt.45 Sie entwerfen eine dreischiffige Basilika mit Vierungskuppel und hohem Kampanile, die eine Mischung aus romanisch-byzantinischer Architektur und Formen der Renaissance zeigt |Abb. 10|. Der Schrein, so eine offizielle Beschreibung, stehe in der Tradition großer und berühmter Marienheiligtümer auf der ganzen Welt wie beispielsweise Santa Maria Maggiore in Rom, Lourdes in Frankreich und Guadalupe in Mexiko: »The shrine at Washington will be one of the world’s great Christian temples, in size and monumental character ranking with the most celebrated cathedrals of Europe.«46 Eine Reihe anderer katholischer Großbauten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, wie etwa Sacre Coeur in Paris, Westminster Cathedral in London oder die Kathedrale St. Bavo in Haarlem, zeigt eine ähnlich freie Interpretationen des romanischen und byzantinischen Stils.47 Diese Bauten werden daher häufig – aus unterschiedlichen Gründen – als pro9 Francis Burrall Hoffmann, Jr.: National Shrine of the Immaculate Conception, 1914, Postkarte mit minente Vorbilder für den Schrein genannt: erstem Entwurf, 9 × 14 cm Paris steht stellvertretend für einen Bau, der als Gelöbnis und Zeichen nationaler Frömmigkeit errichtet wurde; London und Haarlem für Repräsentationsbauten katholischer Minderheiten in dominant protestantischen Ländern. Mit dem Schreinentwurf glaubt man daher, dem nationalen Geltungsanspruch deutlichen Ausdruck verliehen zu haben. Die Kuppel in Referenz an das Capitol in Washington und der Kampanile in Anlehnung an christliche Bautraditionen Europas seien geeignete Elemente, um die nationale Dimension des Schreins zu vermitteln. Architektonische Form wird hier zum strategischen Mittel, um sich von Konkurrenten im Kampf um Macht und Repräsentation abzuheben:
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»The Byzantine system has that integrity of structure possessed by no other historical style of architecture except Gothic. The false or external dome of the Renaissance is only one of the insincerities of that particular tradition. The shrine is by no means to be considered as intended to rival the Capitol; architecturally it complements it, rather; its grandly proportions mass will be as manifestly ecclesiastical in motive as that of the Capitol is secular.« 48 Es geht also nicht nur darum, dem Gebäude mittels eines monumentalen Charakters eine höhere Sichtbarkeit zu verleihen, sondern auch um die Verortung des Schreins und der katholischen Kirche im institutionellen Machtgefüge, folglich um die Artikulation von Geltungsansprüchen. Die Kuppel des Schreins »complements« – ergänzt – die Kuppel des Capitol und versucht, durch diese Analogie eine vergleichbar kollektive Bedeutung im kirchlichen Bereich zu erlangen, wie sie das Capitol im weltlichen besitzt. Zugleich wird über die Interpretation der 10 Maginnis & Walsh in Zusammenarbeit mit Frederick V. Romanik und Gotik als christliche Bau- Murphy: Basilica of the National Shrine of the Immaculate Conception, 1920–1959 kunst und der Renaissance als weltlichen Stil eine Positions- und Funktionsverortung zwischen Staat und Kirche, aber auch zwischen den Konfessionen untereinander, vorgenommen. So erklärt Shahan 1919 den vorgelegten Entwurf des Schreins: »The National Shrine will be a Romanesque church, embracing all the distinctive features of the best types of the famous ecclesiastical style which preceded and survived the Gothic, and is represented today in some of the noblest cathedrals of Europe. […] The general impression will be that of majesty and power […]. The crypt […] will be finished in early Romanesque style, making it a unique ecclesiastical creation in our country.« 49
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Die Romanik sei in Bezug auf die historische Stilabfolge nicht nur älter als die Gotik, sondern habe diese auch noch überdauert. Diesen Anspruch auf Alter und Dauerhaftigkeit übernimmt die katholische Kirche auch für sich als christliche Institution. In der Wahl eines zeitlich vor der Gotik liegenden Stils lässt sich also das Bemühen der katholischen Kirche erkennen, mit dem Schrein die Nationalkathedrale an historischer und symbolischer Bedeutung zu übertrumpfen. Sie erlaubt ihr den Anspruch auf die eigene Vorrangstellung gegenüber den reformierten Kirchen und insbesondere der Episkopalkirche architektonisch zu untermauern. Die Unterkirche des Schreins nimmt in ihrer gedrungenen Gestalt und ihrem Dekorationsprogramm Bezug auf die Katakomben in Rom und deren frühchristlichen Malereien und soll hiermit eine Verbindung zu den ältesten erhaltenen Zeugnissen des Christentums herstellen. Der Schrein und im übertragenen Sinne die katholische Kirche Amerikas gründen demnach in der Urkirche und bilden den zentralen Ausgangspunkt für die Entwicklung des Christentums. Alle sich später entwickelnden christlichen Konfessionen sind daher als Ableger dieser Urkirche zu lesen, was in der Architektursprache an der zeitlichen Abfolge von Romanik (= Schrein) zu Gotik (= Nationalkathedrale) nachzuvollziehen ist.
Architektur und Machtdemonstration Der Wettstreit der Episkopalkirche und der katholischen Kirche um eine herausragende städtebauliche Dominante als Zeichen nationaler Geltungsansprüche ist demzufolge in das allgemeinen Baugeschehen in Washington einzuordnen. Der jeweilige repräsentative Anspruch orientiert sich dabei vor allem an Kriterien wie Größe, Höhe und Monumentalität. Größenvergleiche suggerieren Geltungsmacht und werden daher häufig zu Werbungszwecken zitiert: »The Shrine will rank in size amongst the ten largest churches of the world. Although some 60 feet shorter than the National Episcopal Cathedral in Washington, it is larger in area by more than 2,000 Sq.Feet. The National Shrine […] exceeds by more than 25 % the corresponding proportions of St. Patrick’s Cathedral in New York. The great crossing dome is more than twice the diameter of the central dome of St. Mark’s Cathedral in Venice. […] The Crypt [is] the largest Crypt in the world.«50 Zu diesem Streben nach sichtbarer Größe tritt der demonstrative Verweis auf die Tradition und Dauerhaftigkeit der jeweiligen Glaubensgemeinschaft hinzu, was vor allem durch die Wahl eines Baustils, der weit in die Vergangenheit zurückreicht, ausgedrückt wird. Letztendlich aber verfolgen die Bauherren des Nationalschreins und der Nationalkathedrale unterschiedliche Strategien der Nationalisierung ihres Bauprojektes, um den jeweiligen Konkurrenten im Anspruch um übergeordnete nationale Repräsentation zu überbieten. In beiden Gebäuden manifestiert sich der Versuch, die eigene Kirche als Nationalkirche zu eta-
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11 Mary R. Reardon: Kapelle Our Lady of Guadalupe, 1967, Basilica of the National Shrine of the Immaculate Conception, Wandmosaik mit Anbetung der Maria
blieren. Zugleich offenbaren sie jedoch zwei unterschiedliche Konzeptionen von der Idee einer Nationalkirche beziehungsweise der Vorstellung von Nation, mit der eine solche Nationalkirche zu legitimieren sei. Im Hinblick auf die als so charakteristisch für die USA beschriebene Durchdringung von Staat und Kirche beziehungsweise Religion und Politik bemüht sich die Episkopalkirche vor allem um die Unterstützung seitens amerikanischer Politiker und anderer öffentlicher Persönlichkeiten. Ihr Ziel ist es, dadurch die Kathedrale in den Rang eines Regierungsgebäudes zu heben. Über den Aufbau spezifischer Traditionslinien, in der sich republikanische und christliche Geschichte durchdringen, soll in teleologischer Konsequenz die Episkopalkirche eine übergeordnete Stellung als gesellschaftliche Autorität einnehmen, so dass die Kathedrale vor diesem Hintergrund der Rang einer »Church for national purposes«, wie sie L’Enfant vorgesehen hatte, einnehmen kann.51 Die katholische Kirche, die aufgrund der anti-katholischen Stimmung der Zeit, nicht diese politische Unterstützung erhält, versucht stattdessen, sich einer möglichst breiten Zustimmung aus der Bevölkerung zu versichern, um die amerikanische Nation nicht nur auf politischer Ebene, sondern in ihrer größtmöglichen Gesamtheit zu repräsentieren. Um das identitätsstiftende Potential des Schreins für weite Teile der Bevölkerung zu erhöhen, können daher einzelne ethnische Gruppen und Ordensgemeinschaften individuelle Marienkapellen errichten beziehungsweise spezifische Gedenktafeln anbringen lassen. Infolge dessen ent-
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stehen tschechische, litauische, irische, lateinamerikanische, chinesische etc. Marienkapellen, die die Gläubigen einzelner Nationen an den Schrein binden und darüber hinausgehend dem Gebäude den Status einer Nationalkirche verleihen sollen, in der sich alle soziokulturellen Gruppen repräsentiert sehen (Abb. 11). In regelmäßigen Abständen werden daher einzelne Gruppierungen innerhalb der Bevölkerung nach unterschiedlichsten Merkmalen wie beispielsweise auch Schulkinder oder Frauen mit dem Namen Maria/Mary zu besonderen Spendenaktionen aufgerufen. Einzelne Spender unterschiedlichster Herkunft, Klassenzugehörigkeit und mit möglichst großer geographischer Streuung bis zu den »Freuden in Alaska« werden in den Publikationen des Schreins besonders hervorgehoben, da sie den breiten Zuspruch aus allen Teilen des Landes und aus allen Schichten der Bevölkerung dokumentieren |Abb. 12|.52 Die Idee der Nationalisierung einer sakralen Repräsentationsarchitektur wurzelt demnach in der unterschiedlichen Interpretation eines nationalen Referenzsystems. Die Episkopalkirche versucht vor allem, durch die Anbindung an das politische Geschehen und die Befürwortung durch öffentliche Persönlichkeiten an 12 Unbekannter Künstler: Spendenbericht zum Bau des National Shrine, Fotografie, nationaler Bedeutung zu gewinnen. Der katholischen aus: Salve Regina, September 1927, S. 72 Kirche bleibt eine solche Unterstützung verwehrt. Auch sieht sie sich mit dem Vorwurf konfrontiert, bei einer zu großen Nähe zur amerikanischen Politik und einem zu starken Bemühen um patriotische Bekundungen von den religiösen Doktrinen abzuweichen und die enge Verbindung mit dem Kirchenoberhaupt in Rom zu gefährden. Die katholische Kirche bewahrt daher zwangsläufig eine größere Distanz zum politischen Geschehen und bemüht sich vorrangig um eine breite Unterstützung aus unterschiedlichsten Bereichen der amerikanischen Bevölkerung. Beide Konfessionen errichten zwar monumentale Kirchenbauten, die innerhalb des Stadtplans signifikante Zeichen setzen, die ursprüngliche Intention, die Kathedrale respektive den Schrein in Washington als Repräsentant einer Nationalkirche zu etablieren, gelingt letztendlich in beiden Projekten nicht. Die Religion, so schrieb Tocqueville bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, habe sich zwar einer großen Macht über den Geist der Amerikaner bewahrt, die Menschen, die in demokratischen Zeitaltern leben, neigten aber stark dazu, sich jeglicher religiösen Autorität zu entziehen.53 Trotz aller Legitimations-, Geschichts- und Identitätskonstruktionen verlieren beide Bauten zunehmend an Bedeutung,
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was sich sowohl an dem schwindenden Zuspruch aus der Politik beziehungsweise der Bevölkerung niederschlägt. Nur noch zu seltenen Gelegenheiten wie Trauerfeiern für bedeutende Persönlichkeiten, Gedenkgottesdiensten, Staats- oder Papstbesuche oder zu besonderen Konzerveranstaltungen rücken die Kirchen temporär ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit; sie bieten dann die Kulisse für nationale Feierlichkeiten, den Rang einer Nationalkirche kann jedoch keine für sich in Anspruch nehmen.
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1 Alexis de Tocqueville: Über die Demokratie in Amerika, 2. Bde, Zürich 1987, Bd. II, S. 15 f. 2 Frühe, undatierte Schrift L’Enfants zu seinen Planungen; zitiert nach Elizabeth S. Kite: L’Enfant and Washington 1791–1792, Baltimore 1929, S. 43–48; zur Stadtplanungeschichte vgl. Wolfgang Sonne: Representing the State. Capital City Planning in the Early Twentieth Century, München et al. 2003; Joseph R. Passonneau: Washington Through Two Centuries. A History in Maps and Images, New York 1994; John William Reps: Monumental Washington. The Planning and Development of the Capital Center, New Jersey 1967; zur Planung und Ausbau des repräsentativen Zentrums von Washington, der Mall vgl. Richard Longstreth (Hg.): The Mall in Washington, 1791–1991, Hannover u. London 1991; zur ideologischen und mystisch-religiösen Aufladung Washingtons vgl. Jeffrey F. Meyer: Myths in Stone. Religious Dimensions of Washington, D.C. Berkeley/CA. 2001; zur Durchdringung literarischer Vorstellungen und politischer Spekulation vgl. Sarah Luria: Capital Speculations. Writing and Building Washington, D.C, Hanover u. London 2006. 3 Zitiert nach Charles Mason Remey: The National Church and Shrine of the United States of America to be built in the City of Washington, Washington 1928, o. P. L’Enfant scheint wie sein Auftraggeber George Washington von aufklärerischen und deistischen Lehren beeinflusst zu sein. Als Vorbild für eine Nationalkirche könnte der Umbau der Pariser Kirche Sainte-Geneviève zum Panthéon zur nationalen Gedächtnis- und Begräbnisstätte gedient haben. Der Architekt Etienne-Louis Boullée hatte mit der monumentalen Kirche Métropole in seinem Traktat ein ähnliches Projekt vorgestellt; vgl. Jean-Marie Pérouse de Montclos: Etienne-Louis Boullée: Architektur. Abhandlung über die Kunst, Zürich u. München 1987. 4 Washington. City and Capital, hg. v. Federal Writers’ Project, Works Progress Administration, Washington D.C. 1937 (American Guide Series), S. 992–993. 5 William V. Cox (Hg.): Celebrations of the One-Hundredth Anniversary of the Establishment of the Seat of Government in the District of Columbia, 56 th Congress, 2nd Session, House Document No. 552, Washington 1901, S. 21. 6 Washington. City and Capital 1937 (wie Anm. 4), S. 112 u. S. 117. Zu monumentalen Denkmalplanungen und dem nicht realisierten Projekt eines Nationalpantheons vgl. Anna Minta: Representing the Nation. Plans for a National Pantheon in Washington and the Politics of Symbolic Space, in Miles Orvell u. Jeffrey L. Meikle (Hg.): Public Space and the Ideology of Place in American Culture, Amsterdam 2009, S. 21–50. 7 Zitat Burnham nach Washington. City and Capital 1937 (wie Anm. 4), S. 117; zur Weltausstellung in Chicago vgl. Norman Bolotin u. Christine Laing: The World’s Columbian Exposition. The Chicago World’s Fair of 1893, Urbana 2002; Thomas S. Hines: Burnham of Chicago: Architect and Planner, New York 1974. 8 Dies wird beispielsweise am National Archive Buildings deutlich, wo sich am Südportikus die »heroic figures representing Heritage and Guardianship« befinden, auf der Nordseite »massive seated figures placed upon large granite pedestals. The male figure to the right represents the Past; the female figure to the left, the Future.« Washington. City and Capital 1937 (wie Anm. 4), S. 993. 9 Walden Myer: Washington Cathedral, in: New York Times, 02. 07.1926, S. 18; vgl. auch Anonym. On Site of Cathedral, in: The Washington Post, 20. 06. 1903, S. 13. 10 Zitiert nach Anonym. For Great Cathedral, in: The Washington Post, 08. 04.1905, S. 2. 11 Der offizielle Name lautet Cathedral of St. Peter auf St. Paul, dennoch wird bereits in der Planungsphase der Name Washington National Cathedral eingeführt und für Publikationen und Werbematerialien übernommen.
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12 History of the Cathedral of St. Peter and St. Paul, Private Record of Henry Yates Satterlee, Typoskript im Washington National Cathedral Archives (WNC) 2-20-9, S. 70. 13 Ibid., S. 2 f. 14 Vgl. Richard T. Feller u. Marshall W. Fishwick: For Thy Great Glory, o. O. 1965, S. 7; zur Baugeschichte vgl. auch Richard T. Feller: Completing Washington Cathedral. For Thy Great Glory, Washington D.C. 1989; Christopher Dean Hamilton Row: World Without End. Philip Hubert Frohman and the Washington National Cathedral, unver. PhD-thesis, Harvard University Cambridge/MA. 1999; Anna Minta: »Nearer, my God, to Thee«. Die Nationalkathedrale in Washington D.C. im Machtgefüge von Staat und Kirche, in: André Brodocz et al. (Hg.): Institutionelle Macht. Genese – Verstetigung – Verlust, Köln, Weimar u. Wien 2005, S. 39–55. 15 Private Record Satterlee (wie Anm. 12), S. 25–26. 16 Vgl. Row 1999 (wie Anm. 14), S. 84. 17 Vgl. Feller, Fishwick 1965 (wie Anm. 14), S. 14. 18 Vgl. Row 1999 (wie Anm. 14), S. 84–85. 19 Vgl. Kurze Einführung in die Baugeschichte Washingtons in Pamela Scott u. Antoinette J. Lee: Buildings of the District of Columbia, New York, Oxford 1993. 20 Zitiert nach: Cathedral Chapter Minutes, vol. I (1893–1904), April 1895, WNC, S. 60–62; dazu auch Anonym. Imposing Marble Pile, in: The Washington Post, 05. 01.1896; Anonym. Plans for the Great Cathedral, in: New York Herald, 19. 01. 1896, V. Sec., S. 2; J. Parmly Paret: Cathedral of SS: Peter and Paul, Washington D.C., in: The Churchman, 01. 02.1896, S. 22–24. Zuvor hatte Flagg das renommierte Projekt der Corcoran Gallery of Art in Washington ausgeführt; zu Flagg vgl. Mardges Bacon: Ernest Flagg. Beaux-Arts Architect and Urban Reformer, Cambridge/MA 1986. 21 Vgl. Ernest Flagg, Memorandum zum Entwurf, WNC 117-3-12; Plans for the Great Cathedral 1896 (wie Anm. 20); vgl. auch Bacon, ibid., S. 107–109. 22 Charles H. Moore, Mitglied der Kommission, an Henry Yates Satterlee, 19. 05.1906, WNC 162-7-7. 23 Burnhams an Satterlee, 25. 06. 1906, WNC 162-7-7. 24 Satterlees an Burnham, 27. 08.1906, WNC 162-7-7. 25 Zur Gotikrezeption in den USA vgl. Phoebe B. Stanton: The Gothic Revival & American Church Architecture, Baltimore 21997. 26 Canon DeVries, Mitglied des Domkapitels, erinnert 1922 den Architekten Philip Hubert Frohman an Satterlees ambitionierten Wettstreit mit dem Staat um die symbolische Dominanz in der Stadt. Vor allem der Vierungsturm sei Zeichen kirchlicher Geltungsmacht: »Under directions from Bishop Satterlee he [Vaughan] and Bodley definitely attempted a strong square tower as a symbol of strenght and power and in direct contrast to the dome of the Capitol, which expresses worldliness, inclusion and dominion.« (DeVries’ an Frohman, 08. 02.1922, WNC 162-7-12). Kirchturm oder Kuppel werden analog zu Kirche und Staat in Opposition zueinander gestellt. Während die Kuppel des Capitols auf die weltliche Herrschaft verweise, die vom Menschen verliehen wurde und nur nach innen, in die eigene politisch-gesellschaftliche Sphäre reiche, sei der monumentale Kirchturm Sinnbild göttlicher, dem weltlichen Herrscher übergeordneter Allmacht.
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27 Explanation of Preliminary Drawings. Submitted by Henry Vaughan and George Frederick Bodley, 1907, in: Row 1999 (wie Anm. 14), S. 250–254, S. 251 (Hervorhebung im Original). 28 Vgl. Anders Stephanson: Manifest Destiny. American Expansionism and the Empire of Right, New York/NY. 1996; David S. Heidler u. Jeanne T. Heidler: Manifest Destiny, Westport/CT. 2003. 29 Explanation of Preliminary Drawings 1907 (wie Anm. 27). 30 Vgl. Row 1999 (wie Anm. 14), S. 16–17. Auch die Inschrift im Grundstein »The Word was made flesh, and dwelt among us« (Joh 1,14) ist Programm: Mit Christi Geburt wurde dem göttliche Wort eine sichtbare Gestalt verliehen; die Episkopalkirche glaubt, mit dem Kathedralbau ein ebensolches Zeichen zu setzen. In der Kathedrale, deren erster Bauabschnitt die Bethlehem-Kapelle in der Krypta ist, soll sich die göttliche Lehre und Missionskraft materialisieren. Der Baubeginn – die »Geburt« – der Kathedrale wird hier in engen symbolischen Zusammenhang mit der Geburt Christi, dem Beginn der neutestamentlichen Bibelgeschichte, gestellt. 31 Vgl. Anne-Cathrine Fallen: Washington National Cathedral. Guide, Washington D.C. 1995, S. 35. 32 Private Record Satterlee (wie Anm. 12), S. 57–58. 33 Washington National Cathedral 1995 (wie Anm. 31), S. 30. 34 Zuvor wurden verschiedene »nationale« Messen, insbesondere während des Ersten Weltkrieges und nach Kriegsende zelebriert; auch gibt es immer wieder Statements ranghoher Politiker, in denen die übergeordnete Bedeutung der Kathedrale hervorgehoben wird. Zur Chronologie dieser Ereignisse vgl. Communications Office of Washington National Cathedral (Hg.): A Great Church for National Purposes. Step by Step and Stone by Stone. A Chronology of Washington National Cathedral, Washington 1990. 35 Vgl. Washington National Cathedral 1995 (wie Anm. 31), S. 64. 36 Elody R. Crimi u. Diane Ney: Jewels of Light. The Stained Glass of Washington National Cathedral, Washington National Cathedral Guidebook, Washington D.C. 2004, S. 91. 37 Vgl. Anne-Cathrine Fallen: Washington National Cathedral. Guide to Needlepoint, Washington D.C. 1993. 38 Wichtig sind nicht nur die Bildinhalte, sondern auch die Künstler. Die Stickereien der War Memorial Chapel stammen beispielsweise von britischen Frauen, um eine enge Verbundenheit Großbritanniens mit Amerika zu demonstrieren. Den Großteil der Kniekissen stickten jedoch Amerikanerinnen, die somit ihren Beitrag zur Errichtung der Nationalkathedrale leisteten. Die Teilhabe am Aufbau der Kathedrale sowie das Wiederfinden eigener und nationaler Geschichte in dem Bildprogramm sind fundamentale Strategien, um eine möglichst breite gesellschaftliche Identifikation mit der Kathedrale zu erzielen. 39 Satterlee an Bodley, 11. 01.1907, WNC 162-7-2. 40 Im Jahr 1922 gründet sich die Evangelical Protestant Society, um »the Romanist evil« zu bekämpfen: »We will fight Papal Rome and its hierarchy in its attempt to encroach on American institutions.« Anonym. Organize to Combat Papacy, in: The New York Times, 14. 07.1922, S. 1 u. S. 6. 41 Zitiert nach Anonym. Church to be erected as a National Shrine in honor of Mary Immaculate, o. J. [1915], Spendenaufruf für den Bau des National Shrines im Archives of the Basilica of the National Shrine of the Immaculate Conception (ABNSIC), Appeals 1911–1929.
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42 Church to be erected 1915 (wie Anm. 41). Zur Rivalität zwischen Katholischer Kirche und Episkopalkirche vgl. Anna Minta: National Cathedral und National Shrine. Die Konkurrenz der Großkirchen um architektonische Präsenz und kulturell-religiöse Hegemonie in: Anke Köth, Anna Minta u. Andreas Schwarting (Hg.): Building America. Die Erschaffung einer neuen Welt, Dresden 2005, S. 151–180. 43 Shahan an Jenkins, 28. 07.1910, Archives of the Catholic University of America (ACUA), Shahan Papers, Box 39, Folder 6. 44 Report of the Committee on the University Church, Exhibit C, 08. 04.1918, ACUA, Board of Trustees, Exhibits of Meetings, Box 4, Folder 59. 45 Vgl. LXI. Meeting, 21. 02.1919, ACUA, Board of Trustees, Book 1 (1885–1933), 258 und Burrall Hoffman, Sr. an Shahan, 25. 06.1919, ACUA, Shahan Papers, Box 14, Folder 1. 46 Architects of the Shrine, o. J. [1919–1920], ACUA, Shahan Papers, Box 39, Folder 8. 47 Vgl. Thomas J. Shahan: Plans for the National Shrine Nearing Completion, o. J. [1920–1921], ACUA, Shrine Collection, Shrine Publications 1910–1919. 48 Architects of the Shrine, o. J. [1919–1920], ACUA, Shahan Papers, Box 39, Folder 8. 49 Thomas J. Shahan: The Catholic University of America 1889–1919, Washington D.C. 1919. 50 National Shrine of the Immaculate Conception, Washington D.C., o. J., Pressematerial, ABNSIC, Architects. Maginnis, Walsh & Kennedy (2), S. 1 und S. 3. 51 Zitiert nach Remey 1928 (wie Anm. 3). 52 Salve Regina, Sept. 1927. 53 Vgl. Tocqueville 1987 (wie Anm. 1).
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MACHT DER KULISSE Der Limburger Dom als politische Projektionsfläche im Nationalsozialismus JENNIFER VERHOEVEN
Die Entfernung des Verputzes zugunsten eines »deutschen« Stils Mit der Intention, neue Bilder der deutschen Geschichte zu schaffen, griffen die politischen Machthaber während des Dritten Reiches mit teils aktiver, teils indirekter Hilfe der Denkmalpflege gravierend in die Bausubstanz und in das Erscheinungsbild historischer Baudenkmäler ein. Gemäß ihrer Ideologie missbrauchte das nationalsozialistische Regime unter anderem mittelalterliche Sakralbauten propagandistisch und wandelte sie in Kult- und Weihestätten um. Die wohl folgenreichsten Beispiele dieser politischen Indienstnahme stellen die baulichen Eingriffe und die mit ihnen einhergehenden Profanierungen der ehemaligen Stiftskirche St. Servatius in Quedlinburg sowie des Braunschweiger Domes St. Blasius dar. Angesichts dieses Umgangs mit Kirchen unter dem Deckmantel denkmalpflegerischer Maßnahmen wird im Folgenden die Frage gestellt, in welcher Form sich die nationalsozialistischen Machthaber SS. Georg und Nikolaus in Limburg an der Lahn, dem Limburger Dom, durch denkmalpflegerische Maßnahmen genähert haben. Die anlässlich des 700jährigen Weihejubiläums durchgeführte Restaurierung von 1934–1935 beschränkte sich nämlich lediglich auf den Innenraum und ließ das Äußere der Kathedrale außer Acht. Warum unterblieb in dieser Zeit eine Wiederherstellung von Verputz und farbiger Fassung, wenn dadurch die Bausubstanz konserviert worden wäre? Vor dem Hintergrund dieses Aspekts konzentriert sich dieser Beitrag auf den Außenbau des Limburger Domes und versucht zu überprüfen, welcher
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Stellenwert ihm als Baudenkmal von den politischen Machthabern beigemessen wurde und ob eine Beziehung zwischen seiner Relevanz als Monument und den durchgeführten restauratorischen Vorhaben existiert hat. Zwischen 1869 und 1877 war eine umfangreiche Restaurierung am Außen- und Innenbau des Limburger Domes durchgeführt worden, während der man – basierend auf dem Restaurierungskonzept des Architekten Hubert Stier – den Verputz des Außenbaus entfernt und damit das sich aus ortstypischen Materialien zusammensetzende Bruchsteinmauerwerk, bestehend aus Tonschiefer, Kalk- und Schalsteinen, Trachyt, Tuff, Basaltlava und Lahnporphyr, sichtbar gemacht hatte |Abb. 1|. Mit diesem Vorgehen griff man derart stark in die Substanz und das Aussehen des Bauwerks ein, dass Kritik an dem verfälschenden und subjektschädigenden Eingriff laut wurde. Besonders zwischen den Architekten Hubert Stier und Carl Schäfer entbrannte eine Kontroverse über Verputz und Steinsichtigkeit am Limburger Dom.1 Schäfer, der das Restaurierungskonzept Stiers massiv kritisierte, 1 Limburger Dom, Weihe 1235, Ansicht von Nordwesten, Fotografie, um 1930 hielt Ende 1880 im Berliner Architektenverein einen Vortrag über mittelalterliche Putzbauten. Er ging davon aus, dass ein Bruchsteinmauerwerk immer verputzt gewesen sei und dementsprechend steinsichtiges Bruchsteinmauerwerk nicht mittelalterlich sein könne. Das seit der Putzentfernung am Außenbau des Limburger Domes sichtbare, sich aus verschiedenen Steinsorten zusammensetzende und unregelmäßig gearbeitete Bruchsteinmauerwerk sei in Verkennung dieses Sachverhaltes freigelegt worden, weshalb die Putzentfernung aus kunsthistorischer Perspektive unvertretbar sei.2 Hubert Stier, gekränkt in seiner Berufsehre, bezog in der Deutschen Bauzeitung umgehend Stellung zu Schäfers Kritik. Er wies dessen Verputzthese entschieden zurück und berief sich auf seine Bauforschungsergebnisse. Demnach habe er über den Dächern der direkt an den Außenbau anstoßenden Anbauten der Nordseite – wie dem ehemaligen Kreuzgang und der Sakristei – zwar Befunde von Verputz entdeckt, jedoch im Bereich ihrer Dachböden steinsichtiges Mauerwerk angetroffen, so dass er die vorhandene Steinsichtigkeit als bauzeitlichen Zustand deutete und den Verputz einem späteren Zeitpunkt zuschrieb.3 Schäfer antwortete Stier ein weiteres Mal und verwies zur Untermauerung seines Ansatzes auf eigene, 1864 vor der Putzentfernung am Limburger Dom durch-
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geführte Untersuchungen, bei denen er bauzeitliche Fassungsreste festgestellt habe. Abschließend bilanzierte er, dass man Stiers Restaurierung nicht als solche bezeichnen könne, da der dadurch erreichte Zustand seinem Verständnis von einem »echten« mittelalterlichen Bauwerk widerspreche.4 Die Entfernung des Verputzes am Limburger Dom lässt sich im Materialgerechtigkeitsdiskurs jener Zeit verorten, der für die Architektur einen »unentstellten Ausdruck des Baumaterials« forderte.5 Zahlreiche Architekten und Architekturtheoretiker bewerteten Oberflächenbehandlungen und Materialimitationen als fremdartig und verfälschend: Karl Friedrich Schinkel forderte, dass in der Architektur alles wahr sein müsse und jedes Maskieren und Verstecken der Konstruktion ein Fehler sei. Jacob Burckhardt postulierte 1855 im Cicerone, dass sich kein Stoff für etwas ausgeben dürfe, was er nicht sei, und Gottfried Semper trat für eine unverhüllte, natürliche Verarbeitung des Materials ein. August Reichensperger war gegen »solches Schauspielern, Kokettieren und Schwindeln, solches Pappen, Flicken und Klatschen«. Für John Ruskin stellte gemäß seiner Maxime der »truth of material« die Farbe der Steine die rechtmäßige Farbe der Architektur dar. Baukünstlerischer Betrug äußerte sich daher im Bemalen von Oberflächen, um ein anderes Material vorzutäuschen als das, woraus es bestehe.6 Neben rein ästhetischen Werten lagen aber auch moralische Komponenten durch die Betonung des »Wahren«, »Echten«, »Anständigen« oder »Vaterländischen« der Bewertung zugrunde, der man das »Unehrliche«, »Charakterlose« und »Oberflächliche« des Verputzes gegenüberstellte.7 Material sollte nicht zum Schein ein anderes vortäuschen, eine besonders für Sakralbauten geltende Forderung, da besonders jene in natürlichem, »echtem« Material auszuführen waren. Im Kontext dieser Vorstellungen wurden während des 19. Jahrhunderts an zahlreichen mittelalterlichen Sakralbauten der Verputz entfernt und das Mauerwerk freigelegt, wie zum Beispiel an St. Pantaleon in Köln, St. Kastor in Koblenz oder an St. Peter in Trier. Die neue steinsichtige Oberflächengestaltung und -wirkung des Limburger Domes hatte beachtliche Auswirkungen auf seine Rezeption. Als steinsichtiges romanisches Baudenkmal übte er zusammen mit weiteren Bauten dieser Gruppe stilistische und materialästhetische Einflüsse auf die zwei Jahrzehnte später einsetzende neoromanische Architektur der wilhelminischen Nationaldenkmäler und Bauwerke aus, die allesamt als »deutsche« Baudenkmale steinsichtig und in romanisierenden Formen erbaut wurden. Die stilistische Vorbildfunktion von Bauten wie der Pfarrkirche und dem Kaiserpalast in Gelnhausen oder den Kirchen in Maria-Laach, Andernach, Sinzig, Schwarzrheindorf oder Limburg war nicht überraschend, da sie zu den Lieblingsbauten von Kaiser Wilhelm II. zählten. Der Kaiser hatte Franz Heinrich Schwechten und Max Spitta Fotografien von romanischen Sakralbauten für ihre neoromanischen Bauvorhaben – wie die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin, das Posener Kaiserschloss oder die Erlöserkirche in Jerusalem – zur Verfügung gestellt |Abb. 2|.8 Diese durch kaiserliche Initiative geförderten und im »teutschen« Stil errichteten Bauten entstanden auch in politisch »unsicheren« Territorien, zum Beispiel in Posen oder Elsass-Lothringen, und sollten bewusst als »deutsche« Bauwerke erkennbar sein.9 Ihr neoromanisches Aussehen for-
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2 Franz Heinrich Schwechten: Kaiserliches Residenzschloss in Posen, 1905–1910, historische Fotografie
mierte sich so zu einem nationalen, identitätsstiftenden Stilelement, wobei die Steinsichtigkeit mit Assoziationen von Monumentalität, Stärke und Massivität gleichgesetzt wurde, das heißt mit Eigenschaften, die man speziell auf die deutsche Nation appliziert hatte. Die Parallelisierung eines heroischen Mittelalters mit der Heldenzeit der deutschen Geschichte – speziell der Zeit der staufischen Kaiser – war von Literatur und Wissenschaft seit dem gemeinsamen Aufkommen von romantischer Mittelalterbegeisterung und gesteigertem Nationalbewusstsein durch die Befreiungskriege bereits vorbereitet worden und fand nun Eingang in die Architektur.
Der Konflikt zwischen Denkmalpflege und nationaler Ästhetik In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts befand sich die Limburger Kathedrale nach wie vor im Eigentum des preußischen Staates.10 Da durch die politischen Entwicklungen im ersten Drittel des Jahrhunderts die Eigentumsverhältnisse auf das nationalsozialistische Re-
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gime übergegangen waren, war der Staat in die anlässlich des 700jährigen Weihejubiläums 1934–1935 durchgeführte Restaurierung involviert. Die Leitung dieser, sich auf den Innenraum mit seinen mittelalterlichen Malereien und auf die Umgestaltung der liturgischen Ausstattung konzentrierenden Restaurierung lag in den Händen des aus dem Rheinland stammenden Architekten Willy Weyres. Die Fokussierung der Maßnahme auf das Innere verbunden mit einer unterlassenden Sicherung und Konservierung des steinsichtigen Äußeren überrascht, da dieses denkmalpflegerische Versäumnis gravierende negative Auswirkungen auf die Bausubstanz der mittelalterlichen Kirche hatte: Ohne den schützenden Verputz war nach nur sechzig Jahren das Mauerwerk derart stark verwittert, dass sich Steine aus dem Mauerverband gelöst hatten und weitere statische Sicherungsarbeiten notwendig wurden. Auch dominierte mittlerweile in der Fachwissenschaft das Wissen, um den ursprünglichen Verputzungszustand des Limburger Domes.11 Nichts dergleichen erfolgte jedoch Mitte der dreißiger Jahre, so dass Willy Weyres nach Abschluss der Innenrestaurierung erneut die Verputzungsfrage aufgriff. Umfassende Fassadenuntersuchungen hatten ihm Befunde – weiße Flächen mit einer farbig ornamentierten Gliederung in schwarz, gelb und rot – geliefert, weswegen er in einem Gutachten von 1939 explizit auf die Dringlichkeit eines Neuverputzes hinwirkte:
3 Rudolf von Groote: Polychromierungskonzept für den Limburger Dom, Bauaufnahme, Angefertigt: Wiesbaden, 19. Juni 1939, kolorierte Zeichnung, Maße unbekannt (Original verloren), Fotografie
»Der Dom war, wie wahrscheinlich alle spätromanischen Kirchen, ursprünglich von außen verputzt und bemalt. Spuren dieses Verputzes und der Bemalung haben sich, vor allem am Chor, sehr gut erhalten. […] Für eine Wiederherstellung des Putzes sprechen mehrere Gründe: 1. technische. Das Gestein des Domes verwittert in zunehmendem Maße. So kann mit Sicherheit gesagt werden, daß die erheblichen Steinauswechselungen, die an den Türmen vorgenommen worden sind, auf Schäden beruhen, die erst nach 1870 eingetreten sind […] 2. künstlerische. Der Dom hat zwar infolge des vielfältigen verwendeten Materials eine Spur seiner ursprünglichen Farbigkeit bewahrt. […] Ein Verputz, der richtig angebracht ist, könnte den Dom um Vieles monumentaler erscheinen lassen.«12
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4 Baustil: Romanischer Stil. Dom zu Limburg a. d. Lahn, Liebig Sammelbilder (Chokolade Hauswaldt)
Signifikanterweise argumentierte Weyres auf zwei Ebenen: Einerseits verwies er auf den verwitterten Zustand des Mauerwerks, der eine Konservierung mehr als empfehlenswert mache, und führte andererseits das Argument an, ein Verputz steigere die monumentale Wirkung des Baus. Möglicherweise versuchte er mit einer der nationalsozialistischen Ästhetik entgegenkommenden Argumentation, der Steigerung von Monumentalität, den Weg für Verputz und Fassung zu ebnen. Weyres Gutachten wurde noch im selben Jahr bei einem Ortstermin in Limburg diskutiert, an dem neben dem Architekten auch der Konservator der Kunstdenkmäler Ministerialrat Robert Hiecke, Ministerialrat R. Conrad Dammeier als Vertreter des preußischen Finanzministeriums, Ministerialrat Theegarten vom Kirchenministerium, der Wiesbadener Bezirkskonservator Rudolf von Groote, Baurat Schäfer als Leiter des Hochbauamtes in Diez, Domkapitular Jakob Rauch, der Bezirkskonservator der Rheinprovinz Franz Graf von Wolff Metternich sowie Landesbaurat Wildemann teilnahmen. Von Groote stellte während dieses Termins verschiedene Polychromierungskonzepte vor, die sich durch grau-weiße Tönungen auszeichneten |Abb. 3|. Die Wandflächen sollten weiß und die Architekturgliederungen, wie Lisenen, Gesimse und Rundbogenfriese, graufarbig abgesetzt werden. Lediglich die Bögen der Blendarkaturen und die Biforien, die Rose sowie die Fenstereinfassungen waren durch ein alternierendes Farbspiel in rot-gelb-grauen Tönen hervorzuheben. Trotz des Wissens um den ursprünglichen Verputzungszustand, trotz des bereits erarbeiteten Fassungskonzepts, des Gutachtens und der Befürwortung der Maßnahme durch Graf von Wolff Metternich, Wildemann, von Groote, Weyres und mit einigen Einschränkungen auch Hiecke, sprachen
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sich Baurat Schäfer sowie die Ministerialräte Dammeier und Theegarten aufgrund entstehender Kosten gegen eine Neuverputzung aus.13 Ob der finanzielle Aspekt das einzige gegen diese Maßnahme sprechende Argument war, ist aus den Archivalien nicht mehr rekonstruierbar, jedoch liefert ein Beitrag der Kölnischen Volkszeitung vom 1. November 1939 ein Indiz dafür, dass auch ästhetische Vorlieben die Entscheidungsfindung beeinflusst haben werden: »Wenn man auch mit einem Verputz zunächst den Einflüssen der Witterung Einhalt gebieten könnte, so wäre doch dadurch der Architektureindruck auf das stärkste beeinträchtigt, wenn nicht gar zerstört. Der Staatskonservator und alle beteiligten Stellen haben daher entschieden, daß ein Verputz des Domes mit Ueberzug seiner Architekturglieder nicht in Frage komme.«14 Mit der Vorstellung vom steinsichtigen stolzen Felsendom integrierte sich der Limburger Dom in das kollektive Bildgedächtnis der Deutschen, wie seine Aufnahme in die Reihen der weit verbreiteten Sammelbilder von Liebig Fleisch-Extrakt oder Chokolade Hauswaldt belegen. Dargestellt ist der Sakralbau hier als in die Natur eingebettetes und diese zugleich überhöhendes Bauwerk |Abb. 4|.15 Aufgrund welcher Ursachen man in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts derart beharrlich am Bild des steinsichtigen und daher »deutschen« Domes festhielt, wird im Weiteren ebenso zu prüfen sein wie die Frage, weshalb sich die Denkmalpflege zugunsten eines zeitspezifischen Bildes vom Felsendom von ihrem substanzerhaltenden, konservierenden Auftrag distanzierte.
Politisches Material, politische Baustile, politische Funktion Da Material durch seine Erscheinungsform zu einem Empfindungs- oder Stimmungsmedium werden kann, bewirkte das steinsichtige Aussehen des Limburger Domes eine neue Wahrnehmung der Kirche. Zur weiteren Ausführung dieses Gedankens sind einige Überlegungen zur ikonologischen Bedeutung des Materials Stein notwendig, um zu klären, auf welchen Ursachen die Unterlassung eines Neuverputzes von SS. Georg und Nikolaus in Limburg gründete. So wie sich semantische Botschaften von Architektur beispielsweise durch die Rezeption oder Ablehnung von architektonischen Stilen, durch Auf- oder Grundrissformen zum Ausdruck bringen lassen, kann auch die Verwendung eines spezifischen Baumaterials Inhalte und Bedeutungen vergegenständlichen, weshalb auch Material zu einem »Bedeutungsträger« avancieren kann.16 Diesem von der kunsthistorischen Forschung bisweilen vernachlässigten, von Günter Bandmann vorangetriebenen und in der Folgezeit zum Beispiel durch Thomas Raff weitergeführten Ansatz ist die Erkenntnis zu verdanken, dass Bedeutungen und Wertungen von Materialien stets zeitspezifischen Kontexten unterliegen. Entsprechend erlauben
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Bedeutungszuweisungen an ein Material, die Ablehnungen oder Befürwortungen spezifischer Baustoffe Rückschlüsse auf den jeweiligen historischen Zusammenhang. Weitere Forschungsbeiträge lieferten das Hamburger Graduiertenkolleg »Politische Ikonographie« sowie das von Monika Wagner begründete Projekt zur Materialikonographie am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg.17 Die aus diesem Forschungsbereich hervorgegangene Dissertation von Christian Fuhrmeister untersucht etwa die politische Bedeutung von Baumaterialien bei abstrakten, während der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus erbauten Denkmälern.18 Gerade bei nichtfigurativen Monumenten traten Konnotation und Semantik des Materials deutlich in den Vordergrund und unterstrichen Aussagen und Intentionen maßgeblich. Beton lehnten zum Beispiel konservative Architekten und Kritiker ab, da das Material zu deutlich die Bestrebungen nach Internationalität und Modernität hervorrief und vielfach Verwendung bei den Befürwortern des Internationalen Stils fand. Im Naturstein manifestierten sich demgegenüber »deutsche« Werte. Ein Gestein wie Granit nahm man als spezifisch »deutsch« wahr, weswegen er zum Beispiel dem Beton gegenübergestellt wurde. Deutlich zeigt dieser Gegensatz, dass sich in Vorlieben und Affinitäten für Materialien politische Haltungen ausdrücken können. Diese der Steinsichtigkeit unterlegten Konnotationen und Metaphern entstanden jedoch nicht erst in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, sondern basierten auf den erwähnten Diskursen der Materialgerechtheit des 19. Jahrhunderts, so dass während des Nationalsozialismus eine Symbolik und Ästhetik genutzt werden konnte, die schon weit vor 1933 entstanden war.19 Aber nicht nur die Suche nach einem adäquaten Material zum Transport und zur Präsentation politischer Gesinnungen wurde nach der »Machtergreifung« durch die Nationalsozialisten virulent, sondern auch die Suche nach einem typisch »deutschen« Baustil beziehungsweise nach »deutschen« Architekturformen. In seiner Dissertation über romanische Bauformen im monumentalen deutschen Kirchenbau der Zwischenkriegszeit wies Holger Brülls auf zahlreiche Sakralbauten hin, an denen sich eine stilistische Vorliebe für archaisch reduzierte, stereometrische Baukuben, für Zwerggalerien, dominante Flankentürme, Rundbogenfenster und romanisierende Formen registrieren ließ, die Schwere, Monumentalität und Massivität visualisierten.20 Bedeutende Protagonisten dieser konservativen ästhetischen Auffassung waren zum Beispiel Albert Bosslet und German Bestelmeyer, die sich intensiv mit der Romanik auseinandersetzten und durch die Verwendung von sichtbarem Mauerwerk sowie durch die Geschlossenheit von Baukörpern die monumentale Wirkung ihrer Kirchen unterstrichen, wie etwa Bosslets Christus-König-Kirche in Hauenstein von 1932 oder Bestelmeyers Gustav-Adolf-Kirche in Nürnberg von 1930 belegen. Bosslet betonte gegen Ende der zwanziger Jahre: »Wir freuen uns der wuchtigen romanischen Bauten als der monumentalen Denkmäler eines kraftvollen Germanentums.«21 Interessanterweise zeigten sich bei den Nationaldenkmälern des »Dritten Reichs« stilistische Adaptionen einer neoklassizistischen Ausrichtung an der Antike einerseits sowie gedrungener, archaisierender Formen andererseits, die als »germanisch« verstanden wurden. Die beispielsweise zwischen 1929 und 1936 von Paul Bonatz, Karl Dübbers, Wilhelm
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Schäffler und Erwin Scheerer geschaffene Gedenkstätte für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges im Hafermarktturm in Heilbronn beruhte durch die verwendeten Rundbögen und die an mittelalterliche Fugenmalerei erinnernden Steinfugen auf romanischen Formen.22 Aber auch in der Gruft des Tannenberg-Nationaldenkmals, um die das Denkmal nach dem Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg erweitert wurde, fanden schlichte, strenge Formen Verwendung, die als romanisierende Abstraktionen der zeitgenössischen Architektur verstanden werden können. Konsequenterweise wurde diese Ästhetik nicht nur in neu gebauten Sakralbauten und Nationaldenkmälern der Zeit verwendet, sondern kam auch an restaurierten Kirchen zum Einsatz. Eine propagandistische Instrumentalisierung von Sakralbauten durch das politische Regime ging nicht selten mit einer Umnutzung der Kirchen zu nationalen Gedenkstätten einher. Da diesen Bauten durch ihre kultische Funktion die Aura des Sakralen und Weihevollen bereits inhärent war, ließ sich ihr sakraler Charakter für politische Gedächtnisfeiern missbrauchen. Dabei bediente sich die Rhetorik der nationalsozialistischen Rituale des christlichen Formenschatzes auf solche Weise, dass die feierlichen Handlungen und das Baudenkmal zwar aufeinander bezogen waren, jedoch eine gezielte Neuausrichtung des ehemaligen Kultus erfolgte. Die Dialektik dieser sich zwischen Profanierung und kultischer Neuausrichtung befindenden Inanspruchnahme drückte den ideologischen Machtmissbrauch aus.23 Als ausgesprochen hinderlich erwies es sich für das Regime jedoch, dass prominente Kirchen, mit denen sich der Macht- und Herrschaftsanspruch ausgezeichnet hätte propagieren lassen können, nach wie vor ihre liturgische Funktion besaßen, und eine Manipulation ihres Erscheinungsbildes sowie ihre propagandistische Instrumentalisierung auf unterschiedliche Weise erfolgen mussten: Dies konnte entweder durch eine Umgestaltung der Umgebung des Bauwerks – wie zum Beispiel diejenige des Platzes vor dem Wormser Dom St. Peter – oder durch die sukzessiven, erbarmungslos profanierenden und zugleich das Aussehen der Kirchen verändernden Eingriffe – wie beispielsweise am Braunschweiger Dom St. Blasius oder an der ehemaligen Stiftskirche St. Servatius in Quedlinburg – geschehen. Ziel dieses Vorgehens war das Schaffen von geeigneten Kulissen oder Räumen für politische Inszenierungen des Regimes und seiner Verbände. Gerade mit den Umbauarbeiten der letztgenannten mittelalterlichen Kirchen lassen sich paradigmatisch die politische Radikalisierung des Systems, die propagandistische Instrumentalisierung der Bauten sowie das Festigen der Machtstrukturen ab der Mitte der dreißiger Jahre aufzeigen. Der erste Eingriff, mit dem die Nationalsozialisten die Bausubstanz der ehemaligen Stiftskirche in Quedlinburg veränderten, war die Umwandlung der Krypta in eine Kultstätte der SS. Den Anlass hierfür bot der tausendste Todestag des ostfränkischen Königs Heinrich I. am 2. Juli 1936. Für diese Gedenkfeier hatte die SS »in stiller Arbeit ein Fest der Deutschen vorbereitet« und dafür die Krypta nach den Gebeinen des verstorbenen Königs durchsucht.2 4 Als sich zur großen Enttäuschung der Schutzstaffel das Gesuchte nicht auffinden ließ, suchte man nach der Feier (heimlich) weiter und präsentierte Anfang 1937 triumphierend einige gefundene Gebeine als die von Heinrich I.25 In den folgenden Jahren feierte man in der Kirche
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das Heinrichsfest und nutzte sie während der restlichen Zeit für weitere nationalsozialistische Veranstaltungen, zum Beispiel für Aufmärsche, Gedenkfeiern oder Parteiveranstaltungen. Mit dem Ziel, eine Beziehung zwischen altem und neuem Reich zu konstruieren, wurde Heinrich I. in den gegenwartspolitischen Kontext integriert.26 Die Gedenkfeiern in St. Servatius bildeten den Beginn für weitere bauliche Eingriffe. Obwohl das Heinrichsfest 1936 primär in der Krypta stattfand, hatte man auch die Oberkirche hergerichtet, indem der gotische Chor mit einem dunklen Vorhang abgetrennt, Altar und Bänke entfernt und die Wände mit Stoffen drapiert wurden.27 Schon für das Folgejahr lagen Pläne zur Umgestaltung der Kirche in eine Gedenk- und Wallfahrtsstätte vor. Der Gemeinde von St. Servatius widerstrebte diese zweckfremde Nutzung so sehr, dass sie nach Ostern 1938 aus der Kirche auszog. Die nachfolgenden Umbauarbeiten erfolgten unter der denkmalpflegerischen Aufsicht des Staatskonservators Robert Hiecke sowie des Provinzialkonservators Hermann Giesau. Wie von Klaus Voigtländer herausgearbeitet, war der Denkmalpflege an dieser baulichen Veränderung in St. Servatius durchaus gelegen, da hierbei die ungeliebten historistischen Eingriffe des 19. Jahrhunderts endlich rückgängig gemacht werden konnten.28 Infolgedessen wurden die Stufenanlage im Chorbereich und die Grabplatten beseitigt, der Fußboden und die Beleuchtung erneuert und als logische Konsequenz die liturgische christliche Ausstattung (wie Altäre, Kanzel, Gestühl und Leuchter) entfernt. Nach der Fertigstellung präsentierte sich das Innere in einer strengen, nüchternen und monumentalen Form, deren puristischer Eindruck durch das sichtbargemachte glatte Mauerwerk unterstützt wurde. Des Weiteren war der ehemalige polygonale gotische Chor, den man während der Feier von 1936 noch durch einen dunklen Vorhang verdeckt hatte, abgebrochen und durch den Einbau einer halbrunden Apsis mit zentralem Rundfenster – inklusiv Reichsadler und Hakenkreuz – ersetzt worden. Gerade die aus akkurat gearbeiteten Sandsteinquadern gebildete Apsis steigerte den Eindruck der Monumentalität des Bauwerks. Auch in Braunschweig hatte man den Dom seiner liturgischen Funktion enthoben und ihn in den Besitz des Staates überführt.29 Beide Bauwerke, das heißt Quedlinburg und Braunschweig, veranschaulichen den rücksichtslosen, kirchliche Hausherrenrechte missachtenden Umgang des Systems mit Sakralbauten. Maßgeblich wurden diese Vorhaben durch die Konstruktion historischer Bezüge der in den Bauten bestatteten Herrschern (der ostfränkische König Heinrich I. oder der Welfenherzog Heinrich der Löwe) zur gegenwärtigen Politik vorangetrieben. In beiden Beispielen ging der Missbrauch von den zu nationalsozialistischen Kultstätten transformierten Krypten aus, und erst in einem zweiten Schritt integrierte man die Innenräume der Kirche. Angesichts des hergestellten sichtbaren Natursteinmauerwerks in Verbindung mit einer sich als karg gebenden Monumentalität sowie der reduzierten romanisierenden Ästhetik, wiesen beide Innenräume nach den Umbaumaßnahmen eine Affinität zur oben beschriebenen konservativ ausgerichteten Architektur der Zeit auf und waren für die architektonische Repräsentationsästhetik des Nationalsozialismus prädestiniert.30
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Die Innenräume beider Kirchen präsentierten sich in einem »fiktionalen« und daher denkmalpflegerisch unvertretbaren Zustand, der mit ihrem mittelalterlichen Aussehen kaum in Verbindung zu bringen war. Damit wurden die Räume zu einem Ort der Machtdemonstration und der Herrschaftsrepräsentation, die der historischen Legitimation des nationalsozialistischen Regimes dienten. Die Maßnahmen erfolgten im Einvernehmen mit der Denkmalpflege, obwohl sie sich aus denkmalpflegerischer Sicht nicht rechtfertigen ließen; sie dokumentierten Tendenzen einer staatlichen Denkmalpflege, die sich in den Dienst der Politik stellte, die eine legitimatorische Konstruktion von Geschichtsbildern mittrug und gravierende Umdeutungen in der deutschen Geschichte zuließ, welche bis zur gezielten Neuausrichtung der funktionalen Nutzung der Gebäude führen konnte.
Mediale und politische Projektionen: Ideen und Verwirklichung Nach der Skizzierung der Profanierungen von Sakralbauten in Braunschweig und Quedlinburg ist im weiteren Verlauf zu überprüfen, wie die NS-Machthaber mit dem Limburger Dom verfuhren. In ihrer Dissertation erforschte Ursula Clemens-Schierbaum den Missbrauch mittelalterlicher Sakralbauten als nationalsozialistische Kult- und Weihestätten und entwickelte ein dreistufiges Modell der politischen Vereinnahmung.31 Die erste Stufe besteht demnach in der verbalen Ideologisierung durch Presse, Propagandareden oder Theaterstücke. Die zweite umfasst leicht wahrnehmbare Signale wie das Hissen von Hakenkreuzfahnen, die bewusste architektonische Anlehnung neu gebauter nationalsozialistischer Architektur an mittelalterliche Bauten sowie letztlich die Nutzung mittelalterlicher Gebäude als Kulisse für Aufmärsche oder Veranstaltungen des Regimes. Die dritte Stufe der Vereinnahmung umschließt schließlich bauliche Eingriffe in die historische Architektur, die sich unmittelbar auf das Erscheinungsbild der Bauten auswirken und diese substanziell manipulieren.32 Von einem drastischen Missbrauch blieb SS. Georg und Nikolaus in Limburg verschont, denn der Dom wurde weder profaniert noch zur politischen Weihe- oder Gedenkstätte erklärt, sondern konnte in seiner gottesdienstlichen Funktion bestehen bleiben. Maßgeblich für die vorangehend beschriebene Art der politischen Indienstnahmen in Quedlinburg und Braunschweig waren die Gebeine der in den Kirchen beigesetzten mittelalterlichen Herrscher, die sich für die gegenwärtige Politik und ihr Geschichtsverständnis instrumentalisieren ließen, und entsprechend gingen die Profanierungen von den Krypten aus.33 Historisch gesehen hatte der Limburger Dom für den Ahnenkult der NS-Zeit keine Bedeutung. Der 910 das Limburger St. Georgenstift gründende Stifter Konrad Kurzbold, dessen Gebeine im Dom bestattet sind, war als historische Leitfigur für eine nach Osten ausgerichtete nationalsozialistische Expansionspolitik uninteressant und für eine Geschichte unergiebig, die ihre Ziele im »Werden und Wesen« des Deutschtums definierte; ferner besitzt der Sakralbau keine Krypta, in der weihe- und stimmungsvolle nationalsozialistische Feierlichkeiten hätten abgehalten werden können. Dennoch wurde auch der Limburger Dom als architekturhistori-
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sches Denkmal auf teils subtile, teils weniger subtile Weise missbraucht. Diesen Formen der Instrumentalisierung und des Missbrauchs soll im Folgenden nachgegangen werden, und es ist dabei zu überprüfen, inwieweit sich ClemensSchierbaums Instrumentalisierungskategorien auf das Limburger Beispiel übertragen lassen. Anlässlich von Adolf Hitlers Geburtstag veröffentlichte die Illustrierte Familien- und Modenzeitschrift im Jahre 1941 auf ihrem Titelblatt ein Gemälde der Stadt Limburg mit Dom und der neu gebauten Autobahnbrücke |Abb. 5 |.3 4 Die motivische Vorlage für dieses Blatt lieferte das Gemälde von Oskar Graf, welches 1940 auf der Großen Deutschen Kunstausstellung in München gezeigt wurde |Abb. 6|. Für das Titelblatt wurde das Gemälde auf das Detail des Limburger Domes und eine nur noch zu erahnende Autobahnbrücke im Hintergrund reduziert. Gleichzeitig jedoch ergänzte man das Gemälde um Reichsadler, Schwert, Hakenkreuz und um eine Parole Hitlers: »Es genügt nicht die bloße Ablegung des Bekenntnisses: 5 »Was Ihr wollt.« Illustrierte Familien- und Modenzeitschrift, Titelblatt, H. 9, Berlin 1941 Ich glaube, sondern der Schwur: Ich kämpfe.« Die Limburger Stadtansicht mit Sakralbau wurde zu einem kollektiven Denkmal zu Ehren von Hitlers Geburtstag stilisiert und sodann instrumentalisiert, um sich anlässlich seines Geburtstags an diesen Appell zu erinnern. Noch deutlicher tritt die die nationalsozialistische Expansionspolitik betreffende Intention in der Ausrichtung des Reichsadlers auf, der vom rechten Bildrand gegen den strahlenförmig erhellten Osten blickt. Eindeutiger lassen sich die politischen Ziele kaum ausdrücken, zumal mit der Übernahme der christlichen Vorstellung vom »Licht aus dem Osten« und der Überhöhung des christlichen Credos »Ich glaube« durch ein nationalsozialistisches »Ich kämpfe« in dem erwähnten Hitler-Zitat gerade dem katholischen Betrachter Anknüpfungspunkte geboten wurden, die die tradierten Formen des Katholizismus mit den neuen des Nationalsozialismus verbanden. Sehr informativ für die Haltung des Limburger Domkapitels zum NS-Regime ist ein im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden vorhandener siebenunddreißigseitiger Bericht des »SS-Rottenführers« Willi Fuchs, der die Ergebnisse einer staatlichen Observation während des 700jährigen Weihejubiläums zusammenfasst.35 Die am 11. August 1935 begonnenen und
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6 Oskar Graf: Limburg a. d. Lahn, um 1940, Tempera auf Leinwand (?), Maße und Verbleib unbekannt
sich über sieben Wochen erstreckenden Feierlichkeiten waren an einzelnen Tagen verschiedenen Gruppierungen gewidmet.36 Da die Raumkapazität der Kathedrale für diese großen Menschenmassen restlos erschöpft war, wurden Altstadt und Domvorplatz mit einer Lautsprecheranlage ausgestattet, um die Gläubigen am Geschehen teilhaben zu lassen. Einem opulenten Fest mit diesen Ausmaßen musste das politische System zwangsläufig skeptisch gegenüber stehen, zumal es unter Ausschluss staatlicher Institutionen erfolgte und der Kirche die Möglichkeit zur Selbstdarstellung bot.37 Der antiklerikal gesinnte Willi Fuchs fügte seinen Unterlagen stenographierte Predigten, Fotografien von Prozessionen sowie Auflistungen von teilnehmenden Verbänden bei. Darüber hinaus fotografierte er einzelne Teilnehmer und versah die Aufnahmen mit detaillierten Informationen. An zahlreichen Stellen erhob er den Vorwurf des »politischen Katholizismus«, der darauf abziele, auf religiösen Umwegen das nationalsozialistische Staatsgefüge zu unterwandern.38 Er habe sich daher bemüht, »von den einzelnen Tagen ein anschauliches Bild zu entwerfen, ein anschauliches Bild, vor allem in Bezug auf den politischen Charakter dieser Tage«, hinter dem er die Deutsche Zentrumspartei vermutete. Der Bericht macht das Misstrauen und die Kirchenfeindlichkeit des politischen Regimes gegenüber dem katholischen Bistum in Limburg deutlich. Die bei den Feierlichkeiten zu Tage getretene Renitenz der katholischen Kirche und der daraus resultierende Argwohn des Systems entluden sich beispielsweise während nächtlicher Demonstrationen im Herbst 1935 vor der bischöflichen
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Wohnung, die von Beschimpfungen und Drohungen begleitet wurden.39 Des Weiteren nahm der NS-Staat auch den Limburger Dom für seine ideologische Selbstdarstellung in Anspruch, indem er ihn anlässlich nationaler Feieroder Kreisparteitagen der NSDAP illuminierte und ihn beflaggte.40 Nachdem am 15. September 1935 ein »Reichsbeflaggungsgesetz« die Hakenkreuzfahne zur Reichs- und Nationalflagge bestimmte und eine gesetzliche Zusatzbestimmung vom 4. Oktober des Jahres das Aufziehen der Fahnen an Kirchen und kirchlichen Gebäuden an den Tagen festsetzte, zu denen sie auch an öffentlichen Gebäuden zu hissen waren, kam die katholische Kirche Limburgs diesem Ansinnen nur zögerlich nach.41 Vermehrte Kritiken über die Nichterfüllung der Beflaggungsorder von Seiten der Machthaber gipfelten neben Geldbußen in einen Strafbefehl für den Ungehorsam des Domdekans Matthäus Göbel aufgrund der unterlassenen Beflaggung der Kathedrale am 9. November 1939.42 Die Aufwertung des steinsichtigen 7 Paul Bonatz: Lahntalbrücke Limburg, 1937–1940, Naturstein, Werkstein-Verkleidung, Länge 520 m, Höhe Limburger Domes machte ebenfalls die 60 m, Breite 19 m, (in der Nacht vom 25. auf den 26. März neu installierte Nachtbeleuchtung sowie 1945 von der Wehrmacht gesprengt), Fotografie, um 1941 der Bau der benachbarten steinsichtigen Autobahnbrücke deutlich. Im Zuge des Ausbaus der Reichsautobahn, für die Hitler schon im September 1933 in Frankfurt am Main den ersten Spatenstich vornahm, wurde über dem Lahntal von 1937 bis zum Winter 1939–1940 die Autobahnbrücke des arrivierten Architekten Paul Bonatz vollendet |Abb. 7|.43 Bonatz wurde bereits im Herbst 1934 zum Autobahnbau berufen und beaufsichtigte zusammen mit Fritz Tamms von Königsberg bis Frankfurt am Main fünfzehn Oberbaudirektionen.4 4 Die Limburger Brücke, zwischen Frankfurt und Köln gelegen, bezeichnete er als eine der »edelsten Beispiele von Brücken«, an denen er mitgearbeitet habe.45 Mit ihrer Fertigstellung erfuhr die benachbarte Kathedrale samt ihrer topographisch besonderen Lage eine Aufwertung, denn bei der Konzeption der Straßenführung beabsichtigte man eine bewusste Integration und Inszenierung von landschaftlichen und architektonischen Sehenswürdigkeiten:
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8 Paul Bonatz: Lahntalbrücke Limburg (im Hintergrund Limburger Dom), Fotografie Willy Heinz, 26. Mai 1941
»Wo immer sich die Gelegenheit bietet, ist der Verlauf der Autobahn auf irgendeinen wichtigen Blickpunkt ausgerichtet, sei es auf eine Kirche, eine Bergspitze am Horizont, eine Burg oder eine würdige Baumgruppe, die unter Umständen zur Belebung des Blickfeldes eigens mit Aufwand erheblicher Mittel sorgsam gepflanzt wird.« 46 Die Limburger Brücke korrespondierte aufgrund ihrer Bogenarkaden und der Verwendung von Naturstein für die Verblendung (Trachyt, Phonolith, Lahnmarmor und Granit) mit der Architektur des Domes. In bewusster architektonischer und materialästhetischer Analogie verkörperten die Bauten nach Fritz Todts Auffassung alte und neue Zeit: »Diese Bauwerke [sollen] nicht gedacht sein für das Jahr 1940, auch nicht für das Jahr 2000, sondern sie sollen hineinragen gleich den Domen unserer Vergangenheit in die Jahrtausende der Zukunft.« 47 Diese Korrespondenz der Bauten wurde bereits von den Zeitgenossen gerühmt, wenn Brücke und Dom als »Baugiganten« bezeichnet wurden, die »für Jahrhunderte gegründet das Lahntal und Limburg überragen«.48 Signifikant ist ebenfalls die mediale Inszenierung von Talbrücke und Kirche als Repräsentanten der alten und neuen Zeit. Zahlreiche zeitgenössische Fotografien spielen durch Motivauswahl und Bildausschnitte mit beiden Bauwerken, so dass die Autobahnbrücke vor den
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Türmen des Domes, beziehungsweise die Autobahn zusammen mit dem Dom abgebildet wurden |Abb. 8|.49 Das Motiv der monumentalen, den Dom umfassenden Brücke erfreute sich auf Postkarten und in Publikationen besonders großer Beliebtheit.50 Prächtig und gewaltig überragte die sechzig Meter hohe und 520 Meter lange Brücke das Lahntal, deren Pfeiler sich mit zunehmender Höhe von sechs Metern auf viereinhalb Meter verjüngten.51 Auf den Fotografien verstärkte man durch die gewählte perspektivische Untersicht und durch die Spiegelung im Wasser die Größe und Monumentalität der Brücke zusätzlich. Entsprechend kulissenhaft wirkte der meist im Hintergrund von den Arkadenbögen überfangende Limburger Dom. Der propagandistische Inszenierungscharakter sowie die den Bauwerken unterlegte Wertigkeit wurden in diesem medialen Darstellungsmodus sichtbar und drückte die Intention der Machthaber aus, nicht nur wie das zweite Kaiserreich an das mittelalterliche Reich anzuschließen, sondern möglichst beide noch zu übertreffen. Allzu offensichtlich ist der demonstrative Charakter 9 Limburger Dom, Weihe 1235, Ansicht der Westder Fotografien, der zum einen die baulichen fassade, historische Fotografie Leistungen des Regimes vorführen und zum anderen identitätsstiftend wirken sollte. Als die Autobahnbrücke einem deutschen Sprengkommando im Jahr 1945 zum Opfer fiel und sieben der dreizehn Arkadenbögen einstürzten, fasste Paul Bonatz seine Trauer in die Worte: »Wenn Dreiviertel von allem, was ich gebaut habe, zerstört ist: hier kann ich weinen, dies greift mir mehr an das Herz als die Ruine meines eigenen Hauses, hier war einmal Vollkommenheit erreicht.«52
Eingriff durch Unterlassen Wie lässt sich die unterlassene Konservierung des Außenbaus am Limburger Dom nach Darstellung der medialen und politischen Instrumentalisierung bewerten und welche Rückschlüsse lassen sich ableiten? Das von Clemens-Schierbaum entwickelte dreistufige Modell
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der politischen Vereinnahmung von Sakralbauten durch das nationalsozialistische Regime wurde in all seinen Stufen auch am Limburger Dom vollzogen.53 Die propagandistische Instrumentalisierung des Bauwerks durch gehisste Hakenkreuzfahnen oder durch ideologisch gefärbte Parolen, die in einen Bezug zum Bauwerk gesetzt wurden, dokumentiert, welche Relevanz einem mittelalterlichen, nationalen Baudenkmal zugemessen wurde. Nicht nur der Wunsch nach einer staatlichen Indienstnahme war vorhanden, er wurde auch in die Tat umgesetzt. Das Beibehalten der Steinsichtigkeit am Außenbau lässt sich insofern als Eingriff baulicher Art interpretieren, als dadurch erhebliche Schäden am Mauerwerk hervorgerufen wurden. Die aus der unterlassenen Konservierung resultierenden statischen Probleme ignorierte man zu Gunsten eines zeitspezifischen Mittelalterbildes. Gerade angesichts der Vorliebe des NS-Regimes für Naturstein muss es als wahrscheinlich angesehen werden, dass hinter dem Unterbleiben denkmalpflegerischer Maßnahmen die dezidierte Absicht stand, die Architektur des Domes national zu vereinnahmen. Nur aufgrund der unterlassenen Neuverputzung und -fassung des Außenbaus beziehungsweise der Beibehaltung seiner Steinsichtigkeit sowie der Bedeutungszuweisung an das Material Naturstein konnte der Limburger Dom Monumentalität und Wehrhaftigkeit als »deutsche Werte« repräsentieren – mit einem schützenden Überzug hätte er der zeitspezifischen Vorstellung vom »germanischen« Mittelalter widersprochen. Ein so konstruiertes Mittelalterbild zeigt deutlich, dass eine Beziehung zwischen der Stellung der Kirche als nationalem Monument und der denkmalpflegerischen Maßnahme vorhanden war. Auch ihr Unterlassen dokumentiert, welche Geschichtsbilder eine Gesellschaft in einem Monument versinnbildlicht sehen will: Um den Dom zur Kulisse ihrer weltanschaulichen Spektakel machen zu können, brauchten die Machthaber einen unverputzten Zustand.
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1 Zur Kontroverse zwischen Hubert Stier und Carl Schäfer vgl. Holger Brülls u. Helmut Materna: Natürliche Polychromie. Steinsichtigkeit an ursprünglich verputzten Bauten des Mittelalters als Problem der Denkmalpflege. Die Materialästhetik des Historismus und ihre Bedeutung für die gegenwärtige Praxis der Steinkonservierung, in: Zeitschrift für Kunsttechnologie und Konservierung 10/1996, S. 195–241, S. 216–217. 2 Carl Schäfer: Vortrag über mittelalterliche Putzbauten, in: Deutsche Bauzeitung 14/1880, S. 560–561, S. 560. 3 Hubert Stier: Der Putz am Dome zu Limburg, in: Deutsche Bauzeitung 15/1881, S. 22. 4 Carl Schäfer: Der äußere Putz am Limburger Dome, in: Deutsche Bauzeitung 15/1881, S. 59. 5 Beitrag in der Allgemeinen Bauzeitung von 1843, zitiert nach Klaus Döhmer: In welchem Style sollen wir bauen? Architekturtheorie zwischen Klassizismus und Jugendstil, Passau 1976, S. 121. 6 Zu Karl Friedrich Schinkel vgl. Nicola Borger-Keweloh: Die mittelalterlichen Dome im 19. Jahrhundert, München 1986, S. 152; zu Jakob Burckhardt vgl. Holger Brülls: Farbig statt bunt. Die historische Polychromie der Fassaden in Gründerzeit und Jugendstil, in: Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt 3/1995, S. 20–41, S. 22; Gottfried Semper: Vorläufige Bemerkungen über übermalte Architektur und Plastik der Alten [1843], in: Hans Semper u. Manfred Semper (Hg.): Gottfried Semper. Kleine Schriften, Berlin u. Stuttgart 1884, S. 219: »Backsteine, Holz, besonders Eisen, Metall und Zink ersetzen die Stelle der Quadersteine und des Marmors. Es wäre unpassend, noch ferner mit falschem Scheine sie nachzuahmen. Es spreche das Material für sich und trete auf, unverhüllt, in der Gestalt, in den Verhältnissen, die als die zweckmäßigsten für dasselbe durch Erfahrungen und Wissenschaft erprobt sind. Backstein erscheine als Backstein, Holz als Holz, Eisen als Eisen, ein jedes nach den ihm eigenen Gesetzen der Statik.« Obwohl Semper die Materialgerechtigkeit an dieser Stelle deutlich postuliert, fordert er weiter, dass »das Holz, das Eisen und alles Metall […] der Überzüge [bedarf], um es vor der verzehrenden Kraft der Luft zu schützen. Ganz natürlich, daß dies Bedürfnis auf eine Weise befriedigt wird, die zugleich zur Verschönerung beiträgt«; August Reichensperger: Die christlich-germanische Kunst und ihr Verhältnis zur Gegenwart, Trier 31860, S. 18; John Ruskin: Die sieben Leuchter der Baukunst, in: id.: Ausgewählte Werke in vollständiger Übersetzung, aus dem Engl. v. Wilhelm Schoelermann, Leipzig 1900, Bd. I, S. 95. 7 Vgl. Thomas Raff: Die Sprache der Materialien. Anleitung zu einer Ikonologie der Werkstoffe, München 1994, S. 28. 8 Vgl. Paul Seidel: Der Kaiser und die Kunst, Berlin 1907, S. 78. 9 Vgl. Jürgen Krüger: Rom und Jerusalem. Kirchenbauvorstellungen der Hohenzollern im 19. Jahrhundert, Berlin 1995, S. 189–190; Godehard Hoffman:, Architektur für die Nation? Der Reichstag und die Staatsbauten des Deutschen Kaiserreichs 1871–1918, Köln 2000, S. 220; Niels Wilcken: Architektur im Grenzraum. Das öffentliche Bauwesen in Elsaß-Lothringen (1871–1918), Saarbrücken 2000, S. 277. 10 Diese Eigentumsverhältnisse beruhen auf den Veränderungen im frühen 19. Jahrhundert im Zuge von Reichsdeputationshauptschluss und Säkularisation: 1803 übernahm der nassauische Staat das Eigentum des seit 910 in Limburg ansässigen Kollegiatsstiftes St. Georg, wodurch ihm als neuer Eigentümer die Baulast über die Kirche oblag. Aus der Neuordnung der deutschen Bistümer, der damit verbundenen Gründung des Bistums Limburg sowie seiner endgültigen Einrichtung in den Jahren 1822 und 1827 wurde SS. Georg und Nikolaus zur Kathedrale erhoben. Für die weitere Entwicklung der Eigentumsverhältnisse am Limburger Dom spielte das Jahr 1866 eine wichtige Rolle. Durch den Deutschen Krieg wurde das Herzogtum Nassau, das Kurfürstentum Hessen-Kassel und die Freie Reichsstadt Frankfurt am Main zur preußischen Provinz Hessen-Nassau zusammengefasst und der im ehemaligen Herzogtum Nassau befindliche Limburger Dom fiel dem neuen Regierungsbezirk Wiesbaden zu.
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11 Dem Bericht des Bezirkskonservators über die Jahre 1924–1928 zufolge war der ursprüngliche Verputzungszustand allgemeiner Konsens und eine Neuverputzung zur Sicherung von Bausubstanz und Statik dringend notwendig; dazu vgl. Anonym [Rudolf von Groote]: Die Denkmalpflege im Regierungsbezirk Wiesbaden. Bericht des Bezirkskonservators über die Jahre 1924–1928, o. O. o. J., S. 62. 12 Gutachten von Willy Weyres vom 5. Mai 1939, Diözesanarchiv Limburg (zukünftig = DAL), 60/ A 1. 13 Ibid., Protokoll von Jakob Rauch vom 22. Juli 1939. 14 Erneuerungsversuche am Limburger Dom, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 301, 1. November 1939, S. 3. 15 Vgl. ebenfalls die rückseitige Erläuterung des Sammelbildes: »Der im frühen Mittelalter herrschende Baustil namentlich für kirchliche Bauten war der romanische Stil. Deutschland besitzt noch eine große Anzahl Kirchen und Dome, die in der Blütezeit des romanischen Stils entstanden sind, so den Dom zu Limburg a. d. Lahn. Er gilt als Musterbeispiel dieses Stils und zählt auch wegen seiner schönen Lage auf steilem Fels zu den herrlichsten Kirchenbauten überhaupt. Er wurde im 13. Jahrhundert erbaut«; vgl. dazu auch Bernhard Jussen: Liebig’s Sammelbilder, Berlin 2002, Abbildung 11045_02. Das Bild vom steinsichtigen Felsendom blieb auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten, da der Limburger Dom die ersten 1.000,– DM Geldnoten der Bundesrepublik Deutschland zierte; vgl. Die neuen Banknoten, Sonderdruck des Monatsberichts der Deutschen Bank, 14. November 1962, S. 3–6, S. 4. 16 Vgl. grundlegend dazu Günter Bandmann: Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger, Berlin 1951; zum Terminus »Bedeutungsträger« ibid., S. 10–13. 17 Zur Ikonologie des Materials vgl. die Untersuchung von Günter Bandmann: Der Wandel der Materialbewertung in der Kunsttheorie des 19. Jahrhunderts, in: Helmut Koopmann u. J. Adolf Schmoll gen. Eisenwerth (Hg.): Beiträge zur Theorie der Künste im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1971, S. 129–157; Raff 1994 (wie Anm. 7), S. 18; vgl. ebenfalls den Forschungsüberblick von Edgar Lein: Die Bedeutung der Materialien, in: Kunstchronik 50/1997, S. 65–69; Dietmar Rübel, Monika Wagner u. Vera Wolff (Hg.): Materialästhetik. Quellentexte zu Kunst, Design und Architektur, Berlin 2005. 18 Vgl. Christian Fuhrmeister: Beton, Klinker, Granit. Material, Macht, Politik. Eine Materialikonographie, Berlin 2001. Die Materialikonographie des Nationalsozialismus erfreut sich seit geraumer Zeit in der kunsthistorischen Forschung größerer Beliebtheit; dazu vgl. u. a. Manfred Seifert: Granit in der Architektur des Dritten Reiches, in: Martin Ortmeier u. Winfried Helm (Hg.): Granit, Landshut 1997, S. 147–168; Paul Bourquin Jaskot: The Architecture of Oppression. The SS, Forced Labor and the Nazi Monumental Building Economy, London u. New York 2000. 19 Vgl. u. a. Dieter Bartetzko: Illusion in Stein. Stimmungsarchitektur im deutschen Faschismus. Ihre Vorgeschichte in Theater- und Film-Bauten, Hamburg 1985; Bazon Brock: Kunst auf Befehl, in: id. u. Achim Preiß (Hg.): Kunst auf Befehl? Dreiunddreißig bis Fünfundvierzig, München 1990, S. 9–20; Holger Brülls: Neue Dome. Wiederaufnahme romanischer Bauformen und antimoderne Kulturkritik im Kirchenbau der Weimarer Republik und der NS-Zeit, Berlin u. München 1994; Frank-Bertolt Raith: Der Heroische Stil. Studien zur Architektur am Ende der Weimarer Republik, Berlin 1997. 20 Vgl. Brülls 1994 (wie Anm. 19), S. 178–215; Winfried Speitkamp: Denkmalpflege und Heimatschutz in Deutschland zwischen Kulturkritik und Nationalsozialismus, in: Archiv für Kulturgeschichte 70/1988, S. 149–193, S. 68; Barbara Kahle: Deutsche Kirchenbaukunst des 20. Jahrhunderts, Darmstadt 1990. 21 Albert Bosslet: Gedanken zum neuzeitlichen Kirchenbau, in: Der Seelsorger 4/1929–1930, S. 9.
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22 Vgl. Jürgen Tietz: Das Tannenberg-Nationaldenkmal. Architektur, Geschichte, Kontext, Berlin 1999, S. 116–117. 23 Vgl. Thomas Scheck: Denkmalpflege und Diktatur im Deutschen Reich zur Zeit des Nationalsozialismus, Berlin 1995, S. 169. 24 Gunter d’Alquen: Vorwort, in: Heinrich Himmler (Hg.): Rede des Reichsführers-SS im Dom zu Quedlinburg. Am 2. Juli 1936, Berlin 1936. 25 Zur Suche nach den Gebeinen Heinrichs I. vgl. Klaus Voigtländer: Die Stiftskirche in Quedlinburg, Berlin 1989, S. 41–44. Die Suchmaßnahme erinnerte an mittelalterliche Praktiken der Reliquienvermehrung. 26 Heinrich Himmler stilisierte den ostfränkischen König zu einer politischen Leitfigur; vgl. dazu Himmler 1936 (wie Anm. 24), S. 20: »Dieses einstmalige Grab, auf dem seit Jahrtausenden von Menschen unseres Bluts bewohnten Burgberg mit der wunderbaren, aus sicherem germanischen Gefühl heraus geschaffenen Gotteshalle, soll eine Weihestätte sein, zu der wir Deutschen wallfahren, um König Heinrichs zu gedenken, sein Andenken zu ehren […] und um uns wieder vorzunehmen, daß wir ihn am besten dadurch ehren, daß wir den Mann, der nach tausend Jahren König Heinrichs menschliches und politisches Erbe wieder aufnahm, unserem Führer Adolf Hitler für Deutschland, für Germanien mit Gedanken, Worten und Taten in alter Treue zu dienen.« 27 Vgl. Voigtländer 1989 (wie Anm. 25), S. 43; zur Umwandlung der Unter- und Oberkirche von St. Servatius in Quedlinburg vgl. Katharine Ruf: Der Quedlinburger Dom im Dritten Reich, in: Kritische Berichte 12/1984, H. 1, S. 47–59. 28 Vgl. Voigtländer 1989 (wie Anm. 25), S. 46. 29 Zu Braunschweig vgl. Karl Arndt: Mißbrauchte Geschichte. Der Braunschweiger Dom als politisches Denkmal (1935/45), in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 20/1981, S. 213–244; id.: Mißbrauchte Geschichte. Der Braunschweiger Dom als politisches Denkmal (1935/45), in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 21/1982, S. 189–223; vgl. dazu auch Hans-Dieter Münk: Die Organisation des Raumes im Nationalsozialismus. Eine soziologische Untersuchung ideologisch fundierter Leitbilder in Architektur, Städtebau und Raumplanung des Dritten Reiches, Bonn 1993, S. 149. 30 Diese vereinheitlichte Ästhetik resultierte aus der engen Verknüpfung der Aufgabenbereiche der Architekten; beispielsweise hatten die Brüder Walter und Johannes Krüger die Konzeptionen für die Maßnahmen am Braunschweiger Dom sowie für die Hindenburg-Gruft im Tannenberg-Nationaldenkmal erarbeitet. 31 Vgl. Ursula Clemens-Schierbaum: Mittelalterliche Sakralarchitektur in Ideologie und Alltag der Nationalsozialisten, Weimar 1995. 32 Ibid., S. 225. 33 In diesem Zusammenhang erhalten Gebeine – Gruft – Krypta einen neuen Stellenwert; vgl. dazu Bartetzko 1985 (wie Anm. 19), S. 71–84; Clemens-Schierbaum 1995 (wie Anm. 31), S. 207–226. 34 Vgl. Illustrierte Familien- und Modenzeitschrift, 20. April 1941, Berlin 1941; vgl. dazu Heinz Maibach (Hg.): Dokumente zur Limburger Stadt- und Kreisgeschichte, Limburg 1992, S. 160–161. 35 Zur Observation des 700jährigen Weihejubiläums vgl. Armin Hildebrandt: Das Limburger Domjubiläum 1935 in der Auseinandersetzung zwischen Kirche und NS-Staat. Die Berichterstattung von SD und Gestapo, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 32/1980, S. 147–200. Archiviert ist der
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Bericht des »SS-Rottenführers« Willi Fuchs in: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (zukünftig = HHStAW), 463/1065; zur Entwicklung und Verschärfung der politischen Lage im Bistum Limburg während der nationalsozialistischen Herrschaft vgl. Klaus Schatz: Geschichte des Bistums Limburg, Mainz 1983, S. 256–292. 36 Demnach war der 15. August der Tag der Frauen, der 18. August entsprechend der Tag der Männer, der 25. August der Tag der männlichen Jugend, der 1. September der Tag der Schulkinder und der 8. September der Tag der Jungfrauen. 37 Vgl. Hirtenwort zur 700 Jahrfeier des Domes von Bischof Antonius von Limburg, in: Amtsblatt des Bistums Limburg, Nr. 6, 15. April 1935, S. 39–42. 38 Jetzt und im Folgenden Willi Fuchs zitiert nach Hildebrandt 1980 (wie Anm. 35), S. 166, S. 171 u. S. 192. 39 Vgl. Schatz 1983 (wie Anm. 35), S. 270. 40 Vgl. Schreiben des städtischen Elektrizitätswerkes an das bischöfliche Ordinariat vom 26. April 1933, DAL, 60/EA 5 sowie Schreiben des Bürgermeisters an das Preußische Staatshochbauamt. Betreff: Dombeleuchtung vom 23. Juni 1938, HHStAW, 405/19998. 41 Zur Beflaggungsorder von Kirchen und kirchlichen Dienstgebäuden vgl. Clemens-Schierbaum 1995 (wie Anm. 31), S. 224. 42 Vgl. Briefverkehr inkl. Strafbefehl, DAL, 60/S. 43 Zum Mythos Reichsautobahn vgl. Ian Boyd Whyte: Der Nationalsozialismus und die Moderne, in: Kunst und Macht im Europa der Diktatoren 1930 bis 1945, Ausstellungskatalog, Berlin, Deutsches Historisches Museum, 1996, London 1996, S. 258–269, S. 266–269; Rainer Stommer (Hg.): Reichsautobahn. Pyramiden des Dritten Reiches, Marburg 1982; zu Natursteinbrücken vgl. Claudia WindischHojnacki: Die Reichsautobahn. Konzeption und Bau der RAB, ihre ästhetischen Aspekte sowie ihre Illustration in Malerei, Literatur, Fotografie und Plastik, Bonn 1989, S. 174–189; für Hessen vgl. Richard Vahrenkamp: Autobahnbau in Hessen bis 1945, Darmstadt 2007; zur Limburger Autobahnbrücke vgl. Jennifer Verhoeven: »… hier war einmal Vollkommenheit erreicht.« Die Reichsautobahnbrücke von Paul Bonatz bei Limburg a. d. Lahn, in: Denkmalpflege und Kulturgeschichte 2007, H. 2, S. 2–8. 44 Vgl. Werner Durth, Deutsche Architekten. Biographische Verflechtungen 1900–1970, München 1992, S. 143. 45 Paul Bonatz: Leben und Bauen, Stuttgart 1950, S. 163. 46 Eduard Schönleben zitiert nach Meinhold Lurz: Denkmäler an der Autobahn. Die Autobahn als Denkmal, in: Stommer 1982 (wie Anm. 43), S. 181. 47 Fritz Todt zitiert nach Eckhard Gruber u. Erhard Schütz: Mythos Reichsautobahn. Bau und Inszenierung der »Straßen des Führers« 1933–1941, Berlin 1996, S. 93. 48 Kölnische Volkszeitung, Nr. 76, 16. März 1940; vgl. dazu auch Friedrich Tamms: Paul Bonatz, in: Kunst im Deutschen Reich 6/1942, Ausgabe B, H. 12, S. 218–237, S. 220. 49 Zur medialen Inszenierung der Reichsautobahn vgl. Joachim Petsch u. Wiltrud Petsch: Autobahnarchitektur und Autodesign der 30er und 50er Jahre, in: Margit Kern, Thomas Kirchner u. Hubertus Kohle (Hg.): Geschichte und Ästhetik. Festschrift für Werner Busch zum 60. Geburtstag, Berlin 2004, S. 470–478; Windisch-Hojnacki 1989 (wie Anm. 43), S. 232–244.
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50 Vgl. unter anderem Paul Bonatz u. Fritz Leonhardt: Brücken, Königstein 1951, S. 75. 51 Ihre dreizehn Arkadenbögen besaßen jeweils eine Spannweite von 29,50 Metern. 52 Bonatz 1950 (wie Anm. 45), S. 163. 53 Vgl. Clemens-Schierbaum 1995 (wie Anm. 31), S. 225.
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DAS ATATÜRK-MAUSOLEUM IN ANKARA Paul Bonatz, Rudolf Belling und die Genese eines türkischen Nationaldenkmals BURCU DOGRAMACI
Das Mausoleum: »symbol monumental« Auf einer Anhöhe über der türkischen Hauptstadt Ankara thront ein heller Tempelbau aus Travertin, der Zeit und Ort entrückt zu sein scheint. In diesem weithin sichtbaren Mausoleum liegen die sterblichen Überreste des Gründers der Türkischen Republik Mustafa Kemal Atatürk. Diese als weitläufiger Parcours angelegte Grabstätte dient nicht nur als Ort des Gedenkens an einen bedeutenden türkischen Staatsmann des 20. Jahrhunderts, sondern bietet bis in die Gegenwart eine eindrucksvolle Kulisse für Großdemonstrationen |Abb. 1|. Am Atatürk-Mausoleum versammeln sich regelmäßig viele tausend Anhänger der kemalistischen Staatsidee, um gegen Separatismus oder drohende Islamisierung zu demonstrieren. Die politische Aura des Anıtkabir, so der türkische Name der Gedenkstätte, ist noch 70 Jahre nach dem Tod des Staatspräsidenten und mehr als 50 Jahre nach der Einweihung ungebrochen: Es ist ein Ort von nationaler Bedeutung. Die politische Wirkung ist nicht nur seiner Funktion als Mausoleum des Atatürk, »Vater« der Türken, geschuldet, sondern auch eng verknüpft mit der spezifischen architektonischen Dramaturgie sowie der künstlerischen Ausstattung. Die geistigen Urheber des Großprojekts Atatürk-Mausoleum waren der deutsche Architekt Paul Bonatz und der Bildhauer Rudolf Belling |Abb. 2|. Sie saßen in den Jurys für den Bau und die künstlerische Ausstattung und begleiteten das Projekt und seine Genese über lange Jahre bis zur Einweihung im Jahr 1953. Ihre Entscheidungen hatte Folgen für Konzeption, Stil
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1 Unbekannter Fotograf: Demonstration gegen Aufhebung des Kopftuch-Verbots an türkischen Hochschulen, aus: Süddeutsche Zeitung, 4. Februar 2008
und ideologische Ausrichtung der Gedenkstätte. Unter der Regie der beiden wurde das Anıtkabir in Hinblick auf die beteiligten Künstler zur nationalen Angelegenheit. Retrospektiv kann die Entscheidung für das Mausoleum als Auftakt eines Nationalisierungsprozesses gewertet werden, bei dem es vorrangig um die Definition einer neuen nationalen Kultur ging. Seit Gründung der Türkischen Republik im Jahr 1923 hatte sich Mustafa Kemal intensiv für die Reformierung von Wissenschaft, Rechtssystem, Kultur und Gesellschaft eingesetzt. Sein Ziel war die Loslösung vom Osmanischen Reich und die Anpassung an die westlichen Industrieländer. Zur Beschleunigung des Fortschritts wurden seit 1927 vor allem Spezialisten aus deutschsprachigen Ländern in die Türkei geholt, die wie Hermann Jansen und Clemens Holzmeister den Aufbau des Landes mitgestalten sollten. Nach 1933 kamen Verfolgte des nationalsozialistischen Regimes in die Türkei, darunter profilierte Künstler und Architekten wie Rudolf Belling, Bruno Taut und Martin Wagner. So erklärt es sich, dass nach dem Tod Atatürks im November 1938 ausländische Kulturschaffende in die Planungen um seine Grabstätte involviert waren. Bereits kurz nach Ableben des Präsidenten trat eine Findungskommission zusammen, die im Dezember 1938 nach einem geeigneten Bauplatz in Ankara
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2 Unbekannter Fotograf: Paul Bonatz und Rudolf Belling in Istanbul, Fotografie, um 1950
suchte. Dieser Kommission gehörten die Architekten Bruno Taut und Clemens Holzmeister, der Stadtplaner Hermann Jansen und der Bildhauer Rudolf Belling an.1 Auf Rat eines Abgeordneten entschied man sich für den mitten in Ankara gelegenen Berg Ras¸attepe als Bauplatz.2 Der internationale Wettbewerb um das Mausoleum wurde im März 1941 eröffnet, und trotz des andauernden Krieges erweckte er großes internationales Interesse. Es wurden 49 Entwürfe eingereicht, darunter vor allem italienische, deutsche und türkische. In den Wettbewerbsbedingungen war eine Ehrenhalle für den Sarkophag des Staatsgründers gefordert – Atatürk sollte als Soldat, Präsident, Gelehrter, Begründer und Förderer geehrt werden. Das Anıtkabir sollte weithin sichtbar sein. Zudem war gefordert, durch das Mausoleum »unter dem Namen Atatürks und seiner Persönlichkeit die türkische Nation symbolisch« darzustellen.3 Man verlangte ein symbol monumental, dem zusätzliche Räume für Museum und Verwaltung angegliedert werden sollten. Auf die geforderte Monumentalität antworteten die meisten Architekten mit einem axialen Entwurf. Grundsätzlich dominierten im Wettbewerb neoklassizistische Entwürfe, jenem Anfang der vierziger Jahre in vielen europäischen Ländern beliebten internationalen Nationalstil.
Paul Bonatz und die Genese des Atatürk-Mausoleums Über die Prämierung des Gewinnerentwurfs entschied eine internationale Jury mit dem Stuttgarter Architekten Paul Bonatz als Juryvorsitzenden. Bonatz war unter den Nationalsozialisten vor allem in den Brückenbau involviert, doch im Angesicht der kriegsbedingten,
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3 Emin Onat u. Orhan Arda: Wettbewerbsbeitrag Anıtkabir Ankara, 1942
stagnierenden Bauwirtschaft suchte der Architekt in den frühen vierziger Jahren ein neues Aufgabengebiet, das er in der Türkei fand. Seine Juriertätigkeit innerhalb des Wettbewerbs um das Atatürk-Mausoleum schuf eine günstige Ausgangslage für berufliche Kontakte, die 1943 in einem langfristigen Engagement in der Türkei mündeten. Der Architekt wurde zum gefragten Preisrichter und kann als der Pionier des Architekturwettbewerbs in der Türkei angesehen werden. Zudem erhielt er öffentliche Bauaufträge und lehrte an der Technischen Universität Istanbul. Im Wettbewerb um das Atatürk-Mausoleum wurde Bonatz von zwei ausländischen Juroren, dem Schweden Ivar Tengbom und dem Ungarn Karoly Weichinger, unterstützt. Daneben waren noch drei Türken beteiligt: Bonatz’ ehemaliger Schüler Arif Hikmet Holtay, der Baudirektor von Ankara, Muhlis Sertel, und Muammer Çavus¸og˘lu aus dem Ministerium für öffentliche Arbeiten.4 Bonatz hatte als Jurypräsident bei gleichem Stimmentscheid das Entscheidungsrecht und präferierte einen türkischen oder einen deutschen Entwurf. 1942 schreibt er: »Heute standen die Namen in der Zeitung […] keine reine Freude, zu viel Italiener, es hätte ein weiterer guter Deutscher dabei sein müssen. Erfreulich nur, dass die Türkei selbst sich gut behauptet hat.«5 Neben Bonatz spielte vor allem Ivar Tengbom eine zentrale Rolle bei der Auswahl. Er saß in den Jurys für den Völkerbundpalast in Genf und das Parlament von Ankara und hatte beide Male das Votum für einen neoklassizistischen Entwurf mitgetragen. Die Jury lehnte Beiträge mit islamischem Bezug ab, vor allem der Vorsitzende Bonatz plädierte für ein Herauslösen des Mausoleums aus dem Religiösen. Ein religiöser Kontext sei dem Gedenken Atatürks, der sich stets für eine Trennung von Staat und Religion stark gemacht hatte, nicht angemessen, »so als würde man ihm nach dem Tode einen Fez oder
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Turban aufsetzen«.6 So scheiterten Clemens Holzmeisters Entwurf in Form eines frühtürkischen Grabmals und die turanische Kuppelarchitektur des türkischen Architekten Sedad Hakkı Eldem. Die Jury vergab drei erste Preise an den deutschen Architekten und Erbauer des Tannenberg-Denkmals Johannes Krüger, den Römer Arnoldo Foschini sowie Emin Onat und Orhan Arda von der Technischen Universität Istanbul. Die Regierung als Bauherr hatte letzte Entscheidungsgewalt und prämierte die beiden Türken, glaubte man doch, dass diese das »nationale Thema« erfolgreicher umsetzen könnten.7 Der Gewinnerbeitrag von Onat und Arda zeigte einen in drei Teile gegliederten gewaltigen Tempel, der aus Unterbau, Peripteros und Aufbau mit Relief besteht |Abb. 3|. In einem manifestartigen Papier begründete Bonatz die Entscheidung der Jury und pries die »allgemein gültige klassi- 4 Emin Onat u. Orhan Arda: Anıtkabir Ankara, 1953, sche Form«, eine »europäische Klassik«, die Innenraum mit Sarkophag sich auf einen kubischen Mittelbau mit ihn umgebenden niedrigeren Pfeilerhallen konzentrierte. Zudem glaubte Bonatz, im Gewinnerentwurf das kollektive Streben nach Tradition, Zeitlosigkeit und Ewigkeit zu erkennen.8 Für die Wahl des Vorschlags von Onat und Arda sprach auch das Material, über das Bonatz begeistert schreibt: »Endlich wird wieder einmal in Stein gebaut. Wenn man für viele Jahrhunderte bauen will, gibt es kein anderes Material als dieses von Natur und Gott gegebene.«9 Auf Wunsch der Jury vollzog der Mausoleumskomplex grundlegende Veränderungen: Im Ausführungsverlauf stand die innere Disposition des Sarkophags zur Debatte. Die Architekten hatten zunächst einen kreuzartig gegliederten Innenhof mit Oberlicht vorgeschlagen, in dem wie bei einer islamischen Türbe der Sarkophag in der Mitte stand. Im osmanischen Mausoleum sollten die Besucher das Grabmal umkreisen und dabei ihr Gebet sprechen können. Bonatz hatte wiederholt darauf hingewiesen, dass das »Mausoleum nicht die Form der Türbe eines Sultans haben dürfe«.10 Vermutlich deshalb wurde dieser erste Entwurf revidiert. Bonatz bevorzugte ein Tonnengewölbe, in dem der Sarkophag Atatürks stehen solle, hinter dem ein Fenster nach Nordosten die zentrale Lichtquelle sei. Eine ganz ähnliche Form der weihevollen Lichtinszenierung hatte Bonatz in den dreißiger Jahren für ein GefallenenEhrenmal in Heilbronn verwirklicht.11 In der Folge positionierten Onat und Arda den Sarko-
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5 Emin Onat u. Orhan Arda: Wettbewerbsbeitrag Anıtkabir Ankara, 1942, Ansicht Gesamtgelände
phag Atatürks seitlich in einer Nische, sodass die Besucher zwar ihren Respekt bekunden, aber keine religiöse Zeremonie abhalten konnten |Abb. 4|. Auch andere Änderungen erfolgten im Entwurfsverlauf, der sich über viele Jahre erstreckte. So verzichteten die Architekten auf den hohen zikkuratartigen Aufbau und reduzierten den Entwurf auf einen reinen Pfeilertempel. Zurückzuführen ist diese Abwandlung des ursprünglichen Entwurfs auf Vorschläge einer 1950 gegründeten Kommission, der Paul Bonatz angehörte und die entsprechende Empfehlungen vermutlich auch aus finanziellen Gründen aussprach. Vor allem das dramaturgische Konzept des Mausoleums sollte auf Wunsch der Wettbewerbsjury bereits in der ersten Planungsphase ausdrücklich verändert werden. Bonatz sprach sich gegen die Axialität des ursprünglichen Wettbewerbsentwurfs aus |Abb. 5| und plädierte für eine dreiteilige Anlage, bei der die Besucher über eine Freitreppe auf eine 260 Meter lange Zugangsallee gelangen, die nach Bonatz der »feierlichen Vorbereitung« dienen sollte und auf einem riesigen Versammlungsplatz endigt |Abb. 6|.12 Der Blick der Besucher muss sich auf diesem Platz aktiv zum eigentlichen Mausoleum hinwenden. In dieser Veränderung der Disposition von Weg und Baukörper hin zu einer spektakulären Inszenierung, die den Eintretenden Ehrfurcht abverlangt, ist vermutlich der entscheidende Einfluss des Preisrichters Bonatz zu benennen. Für ihn war das Anıtkabir nicht nur Mausoleum, sondern vielmehr eine Weihestätte, die die Menschenmassen in Scharen anziehen und auf dem zentralen großen Platz sammeln konnte. Das Mausoleum war mehr als ein Ort der Andacht und Trauer, es sollte ein Anziehungspunkt für das Kollektiv sein. Mit dem Wunsch nach einem Versammlungsplatz im Vorhof des Mausoleums schlug Bonatz eine Brücke zum Motiv des Aufmarsches, den die Nationalsozialisten zu einer besonderen ästhetischen Figur erklärten und in ihrer öffentlichen Architektur besonders berücksichtigten.13 Paul Bonatz war
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6 Emin Onat und Orhan Arda: Anıtkabir Ankara, 1953, Vogelperspektive
auch ein wichtiger Berater für die Landschaftsgestaltung um das Anıtkabir und sprach sich für einen Grüngürtel rund um den Mausoleumskomplex aus. Gleichzeitig initiierte Bonatz eine regelrechte »grüne Dramaturgie«, die der ideellen Überhöhung des Komplexes zuträglich sein sollte: »Am Fuße des Anitberges (Ras¸attepe) sollen hohe und mächtige Bäume eine grüne Masse bilden. Je näher man dem Anıtkabir kommt, desto niedriger und weniger farbintensiv ist die Begrünung. Sie wendet sich in die niedrige, graue Flora der Steppe, um dann im Angesicht dem imponierenden Bau des Anıtkabir förmlich zu erlöschen.«14 Diese von Bonatz im Jahr 1946 recht pathetisch formulierte Anweisung für die Begrünung des Mausoleumsbereiches drückt deutlich aus, was dieses Gebäude nach den Wünschen ihrer Planer sein sollte: Eine programmatische Überzeugungs- und Identifikationsarchitektur, die von ihren Besuchern Demut, Loyalität und Stolz abverlangte.
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Rudolf Belling und das künstlerische Programm Bereits seit Ende 1936 hielt sich der Bildhauer Rudolf Belling in der Türkei auf und leitete die Bildhauerabteilung an der Akademie der schönen Künste in Istanbul. Seit 1950, nachdem der Bau des Mausoleums fortgeschritten war, sollte sich eine neue Kommission um das künstlerische Programm kümmern. Belling wurde als einziger Ausländer in diese Arbeitsgemeinschaft berufen. Man entschied, dass Atatürks Wirken weniger in abbildender Form, sondern vielmehr in allegorischer Weise umgesetzt werden sollte. Zudem legte die Kommission Vorschläge für die bildplastische Bestückung des Areals vor und gab Empfehlungen für Figurengruppen, Inschriften, Reliefs und die Gestaltung der zehn Türme, die auf dem Gelände des Anıtkabir situiert waren. Das ikonographische Programm widmete sich dem Leben und Wirken Mustafa Kemal Atatürks sowie dem posthumen Andenken. Die künstlerische Ausstattung des Mausoleums sollte den Charakter des Nationaldenkmals als Symbol nationaler Identifikation unterstreichen. Dafür spricht die Titulierung einzelner architektonischer Bereiche, die im übertragenen Sinne für die republikanische Geschichte stehen. Der Eingang des Anıtkabir wird von zwei Türmen flankiert, die »Unabhängigkeit« und »Freiheit« symbolisieren. Dieser Weg endet wiederum vor zwei Türmen, dem »Mehmetc¸ik«, »dem türkischen Soldaten« und dem »Verteidiger nationaler Rechte«. Dahinter breitet sich der große »Siegesplatz« aus. Weitere Türme auf dem Areal heißen »Frieden«, »Revolution« und »Nation«. Architektur und Skulpturenschmuck schufen die Projektionsfläche für Ideale der nationalen Einheit, Souveränität und historischen Legitimation. Nachdem die zentralen Inhalte festgelegt worden waren, diskutierte die Kommission über die Ausschreibungsmodalitäten. Rudolf Belling setzte sich für eine Begrenzung des Wettbewerbs auf türkische Künstler ein.15 Er begründete sein Plädoyer für eine nationale Ausschreibung damit, dass »die Themen der Skulpturen und Reliefs am Anıtkabir vollkommen national sind und diese aus der türkischen Geschichte resultierenden Inhalte in ihrer Tiefe und Emotionalität nur von türkischen Künstlern verbalisiert und verlebendigt werden können.«16 Belling wurde zum Vorsitzenden der Wettbewerbsjury ernannt, und viele der 200 Einsendungen stammten von Künstler, die von ihm unterrichtet worden waren. Die prestigeträchtige Skulpturengruppe am Eingang sowie den Löwenparcours gewann Bellings Schüler und Assistent Hüseyin Anka Özkan. In der Ausschreibung waren zwei Skulpturengruppen am Eingang der Allee gefordert, die »vor allem den Schmerz des Volkes bei Atatürks Tod repräsentieren sollten.«17 Die Figurengruppen von Anka, drei Männer zur Rechten, drei Frauen zur Linken, repräsentieren das türkische Volk als pars pro toto |Abb. 7|. Deshalb sind die Skulpturen prototypisch gestaltet. Ein Soldat, ein Intellektueller mit Buch und ein einfacher Hirte verkörpern die drei Bereiche, denen Atatürk zeit seines Lebens Bedeutung entgegenbrachte: die Anerkennung der dörflichen Tradition als Grundelement nationaler Identität, den bedingungslosen Glauben in den – geistigen – Fortschritt und den Schutz der kemalistischen Werte und Ziele durch das Militär. Auf der anderen Seite des Eingangs stehen drei Frauen in traditioneller Kleidung |Abb. 8|. Während die zwei vorderen Figuren mit ernstem, unbewegtem Gesicht
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nach vorn blicken, hat die hintere ihre Hand vor das Gesicht geschlagen – ein übernationaler und überzeitlicher Gestus des Schmerzes, der eine lange künstlerische Tradition hat.18 In ihrer steinernen Schwere wirken die kompakten, detailarmen Figuren des Frauenensembles archaisch. Damit griff Anka in seiner Umsetzung die Bedeutung des Mausoleums als letzter überzeitlicher Ruhestätte, als Mittler zwischen Vergangenheit und Zukunft der Türkischen Republik auf. Der von 24 Löwen flankierte Weg zum Aufmarschplatz sollte gemäß Ausschreibung »Ruhe und Stärke« symbolisieren.19 Hüseyin Anka verwirklichte die Löwen in Auseinandersetzung mit hethitischen Skulpturen, womit er auf die von Atatürk geförderten Forschungen zur vorosmanischen Geschichte der Türkei rekurrierte. Damit verankern diese riesigen Löwen die Türkei innerhalb der Weltkulturgeschichte und lassen keine Bezüge zum islamischen Bestattungskultus aufkommen. Während der gesamte Eingangsbereich die Sterblichkeit des politischen Führers in den Mit7 Hüseyin Anka Özkan: Drei Männer aus dem Volk, 1951–1953, weißer Travertin, Anıtkabir telpunkt stellt, würdigen die Reliefs an Türmen Ankara und Treppenaufgängen zum Mausoleum das Wirken Atatürks zu Lebzeiten. Zu beiden Seiten der monumentalen Treppe vor dem Mausoleum sind Reliefs angebracht, die der Schlacht von Sakarya und der so genannten »Letzten Schlacht« der Befreiungskriege gewidmet sind. Belling und seine Mitjuroren legten Wert auf eine symbolische Umsetzung der historischen Ereignisse. Der Belling-Schüler Ilhan Koman verbildlichte den Aufbruch des türkischen Volkes zur Schlacht von Sakarya, die zur Vertreibung der Invasoren und zur Gründung der souveränen Türkei führte |Abb. 9|. Koman setzte das komplexe Thema nicht als Kriegsbericht um, sondern wählte eine stark verkürzte, symbolische Form, wobei er auf eine einheitliche Perspektive und räumliche Disposition des Geschehens verzichtete. Das Relief ist durch seine nur wenig plastisch ausformulierten Figurinen mit der Architektur verschmolzen und entspricht damit der von Belling seit 1949 geforderten Rückbesinnung auf die Einheit von Architektur und Skulptur.20 Gemeinsam mit dem Architekten des Mausoleums, Emin Onat, hatte Belling die Aufsicht über den Fortgang der skulpturalen Arbeiten. Damit war der Bildhauer ganz ähnlich wie Paul Bonatz von der Wettbewerbskonzeption über die Auswahl der Künstler bis hin zur Ausführung entscheidungsbefugt und hatte damit Einfluss auf die gesamte künstlerische Konzeption.
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Nationaldenkmal unter deutschem Einfluss Das Projekt Anıtkabir war neben dem Bau des Parlaments in Ankara das zeitlich und organisatorisch anspruchsvollste Unternehmen der türkischen Regierung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit dem Wettbewerb um das Mausoleum setzte sich ein neues Verständnis von Memorialkultur durch. Im Gegensatz zu den in der Türkei weit verstreuten Personendenkmälern verzichteten die prämierten Entwürfe auf ein Abbild Atatürks und bedienten sich einer rein allegorischen Sprache. Damit wird deutlich, dass das Anıtkabir nicht mehr ein personengebundenes Grabmal sein sollte, sondern als Nationaldenkmal konzipiert wurde. Mit der Entscheidung für Emin Onats klassische Tempelarchitektur ebnete Paul Bonatz den Weg für eine überzeitliche, monumentale Architektursprache. Die für den Bau benutzten Materialien – weißer, schwarzer und roter Travertin für den Außenbau, Marmor für die Innenausstattung – stammten bewusst aus türkischen Steinbrüchen in Polatlı, 8 Hüseyin Anka Özkan: Drei Frauen aus dem Volk, 1951–1953, weißer Travertin, Anıtkabir Malıköy, Kayseri, Afyon und Adana und sollten die Ankara nationale Verwurzelung des Baus zum Ausdruck bringen. Gemeinsam mit Onat suchte Bonatz die Steine für das Mausoleum aus.21 In seinem architektonischen Programm erfüllte sich der komplexe Denkmalgedanke des Anıtkabir. So sollte es weit mehr als ein Mausoleum sein, nicht nur die letzte Ruhestätte eines islamischen Herrschers, denn eine religiöse Kontextualisierung wurde durch die Abwesenheit einer Moschee oder einer traditionellen Aufstellung des Sarkophags grundsätzlich ausgeschlossen. Stattdessen ist das Anıtkabir ein Nationaldenkmal im klassischen Sinne, ein Symbol nationaler Identifikation, das noch im Jahr 2006 auf einem Geldschein reproduziert wurde |Abb. 10|. Im Atatürk-Mausoleum werden nicht nur die sterblichen Reste eines Staatsmannes verwahrt, sondern es wird zugleich die Erinnerung an seine Person und seine politischen Ziele durch den Bau konserviert. Der weiße Travertin, die überzeitliche Tempelarchitektur und die exponierte Stellung hoch über der unkontrolliert wachsenden Stadt Ankara machen das Mausoleum zu einem besonderen, symbolisch aufgeladenen Ort außerhalb weltlicher Koordinaten. So schrieb Paul Bonatz dereinst zur zukünftigen Bedeutung des von Bäumen umsäumten »Löwenwegs«: »Die Besucher, die diesen grünen Korridor betreten, sind visuell von
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9 Ilhan Koman: Schlacht von Sakarya, 1951–1953, gelber Travertin, Anıtkabir Ankara, Rechtes Seitenrelief am Aufgang zum Mausoleum
10 Atatürk-Mausoleum auf einem türkischen Fünf-Lira-Schein, Rückseite, 2006
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der Außenwelt und ihren Verbindungen zur Stadt abgeschnitten und können emotional vorbereitet zu der Ruhestätte Atatürks gelangen.«22 Obwohl mit Paul Bonatz und Rudolf Belling zwei Deutsche in die Entwicklung und Ausführung des Anıtkabirs involviert waren, markierte das Projekt einen Rückzug und die Ablösung der ausländischen Architekten und Künstler. Seit den vierziger Jahren forderten türkische Architekten größeren Einfluss für sich ein, die Zahl der diplomierten Architekten wuchs, und die Dekane der Akademie und Technischen Universität, Sedad Hakkı Eldem und Emin Onat, prägten die bauliche Entwicklung der Türkei. Zudem nahmen immer mehr Türken an den Wettbewerben für Architektur und Bildhauerei teil. Daran hatten nicht zuletzt Bonatz und Belling einen großen Anteil, setzten sie sich doch für die Förderung einer nationalen Kultur ein, und auch ihr Engagement am Anıtkabir trug zur Positionierung türkischer Künstler bei. Wichtige öffentliche Großaufträge wurden von nun an zumeist von türkischen Architekten und Bildhauern verwirklicht.
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1 Vgl. Ulus, 16.12.1938. 2 Vgl. Feridun Akozan: Anıtkabir, in: Türkiyemiz, 11/1973, S. 104–107, S. 105. 3 Zu den Wettbewerbsbedingungen vgl. Necdet Evliyagil: Atatürk ve Anıtkabir, Ankara 1988, S. 50. 4 Vgl. Arkitekt, 7–8/1940, S. 189; vgl. auch Bernd Nicolai: Moderne und Exil. Deutschsprachige Architekten in der Türkei 1925–1955, Berlin 1998, S. 175. 5 Paul Bonatz, Jurytagebuch, 24. 3.1942, Nachlass Familienarchiv Bonatz, Peter Dübbers. 6 Paul Bonatz: Leben und Bauen, Stuttgart 1950, S. 205 f. 7 Vgl. Anıtkabir Tarihçesi, Ankara 1994, S. 21. 8 Paul Bonatz, Die Pläne für das Mausoleum Atatürks, 10.11.1944, S. 2–5, Nachlass Familienarchiv Bonatz, Peter Dübbers. 9 Ibid., S. 5. 10 Ibid., S. 3. 11 Abbildung in Norbert Bongartz, Peter Dübbers u. Frank Werner: Paul Bonatz 1877–1956, Stuttgart 1977 (Stuttgarter Beiträge, Bd. 13), S. 72. 12 Ibid., S. 7. 13 Zur prägenden Ideologie der nationalsozialistischen Denkmalskultur vgl. Hubert Schrade: Das deutsche Nationaldenkmal. Idee, Geschichte, Aufgabe, München 1934, S. 9. 14 Paul Bonatz, in: Anıtkabir 1994 (wie Anm. 7), S. 71. Bonatz’ Vorschläge konnten vermutlich primär aus finanziellen Gründen nicht in ihrer Gesamtkonzeption verwirklicht werden; so verringerte sich das zur Verfügung stehende Areal des »Friedensparks« deutlich. 15 Vgl. Rudolf Belling, in: Cumhuriyet, 5.11.1953. 16 Rudolf Belling, in: Anıtkabir 1994 (wie Anm. 7), S. 40. 17 Nureddin Can Gülekli: Anıtkabir Rehberi, Ankara 1993, S. 31. 18 Beispielhaft sind die von Aby M. Warburg in seinem Mnemosyne-Bildatlas zusammengetragenen Werke seit der Antike zum Thema Trauer und Totenklage, die auch dem Carpaccio als »stilles Ergriffensein« gewidmet sind; vgl. Ilsebill Barta-Fliedl, Christoph Geissmar-Brandi u. Naoki Sato: Rhetorik der Leidenschaft. Zur Bildsprache der Kunst im Abendland, Ausstellungskatalog, Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe, 1999, Hamburg u. München, 1999, S. 202 u. S. 218. 19 Vgl. Anıtkabir 1994 (wie Anm. 7), S. 39. 20 Vgl. den Vortrag Bellings aus dem Jahr 1949 über »Architektur und Skulptur« in Vedat Nedim Tör: Moda Sanatlara Ölüm Canı, in: Aile ve Sanat Dergisi 10/1949, S. 73. 21 Vgl. Paul Bonatz, 5. Reise nach Ankara, 1944, S. 7, Nachlass Familienarchiv Bonatz, Peter Dübbers. 22 Paul Bonatz, in: Anıtkabir 1994 (wie Anm. 7), S. 71.
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NATIONALE MYTHEN
GARTEN UND GRENZE Konstruktionen holländischer Identität in Dünenlandschaften des 16. und 17.Jahrhunderts MIRIAM VOLMERT
»Ein klassischer, historischer Boden?« Ein Dünengipfel bildet den Aussichtspunkt für den Blick auf die holländische Landschaft, den der Dichter David Jacob van Lennep in seiner 1827 erschienenen Verhandeling over het belangrijke van Hollands grond en oudheden voor gevoel en verbeelding (Abhandlung über die Bedeutung von Hollands Grund und Altertümern für Sinn und Vorstellung) unternimmt.1 In dieser Landschaft sieht er das Geschick und die ruhmreiche Geschichte seiner Nation gespiegelt: Das »ungebrochene Schauspiel von Wohlergehen, reich in Erzeugnissen aus Viehzucht, Garten- und Ackerbau« zeigt für ihn die Kraft und den Mut des niederländischen Volkes, sich gegen die »seit jeher mit Holland im Streit« liegende See behauptet und das eigene Land geformt zu haben.2 Zugleich sei die Landschaft »ein Gedenkzeichen des vaterländischen Ruhmes«, indem sie an »frühere Zeiten«, an »edle Kriegstugend oder tapfere Freiheitsliebe« erinnere – denn: »Erdboden und Geschichten stehen bei uns in enger Verbindung«.3 Lennep wirkte mit seiner Konstruktion der »geschichteten Landschaft« an der im Europa des 19. Jahrhunderts aufblühenden Idee der Nation mit.4 In den Niederlanden wurde die Landschaft zu einem wichtigen Knotenpunkt der einheitsstiftenden, nationalen Erinnerungsstrategien. Als ein dem Wasser mühsam abgerungenes »Produkt« ihrer Bewohner bot sie ohnehin einen kollektiven Boden, auf dem identitätsstiftende Mythen gedeihen konnten:
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Es sind Mythen um die sich gegenüber den Römern behauptenden germanisch-batavischen Vorfahren oder um die erfolgreiche Abwehr der Flamen im 14. Jahrhundert unter dem holländischen Grafensohn Witte van Haemstede und nicht zuletzt um den »Befreiungskampf« gegen Spanien, der Holland im 17. Jahrhundert zu seinem »Goldenen Zeitalter« geführt haben soll. Die Dünengipfel fungieren nicht allein als ein wichtiger Aussichtspunkt auf die eigene Landschaft, sondern sind zugleich selbst ein Ort ruhmreicher Erinnerung. Gerade die Haarlemer Landschaft mit ihrer bekannten Düne Blinkert oder Witte Blink ist ein Träger der nationalen Semantik: So soll auf dieser hohen Düne Witte van Haemstede, der Sohn des holländischen Grafen Floris V., 1304 mit erhobenem Banner erschienen sein, um die Holländer zum erfolgreichen Aufstand gegen die anrückenden Flamen aufzurufen – um »Haarlem und Holland aus der Hand der Flamen zu retten«.5 Mit »Triumph und Jubelgeschrei«, so beschreibt es Lennep auch gesondert in seinem Hollandsche duinzang (Holländischer Dünengesang), seien alle in das waldige Dünengebiet bei Haarlem gekommen, um die Flamen an dem nach dieser Schlacht benannten Manpad (Mannenpfad) vernichtend zu schlagen.6 Diese seit dem Mittelalter überlieferte Episode wurde im 19. Jahrhundert als eine Art Auftakt der nationalen Selbstbehauptung ausgelegt; die Haarlemer Dünen galten als sein »authentisches« Erinnerungszeichen. So genügt auch dem Historiker Johan Huizinga in seiner Abhandlung zur ältesten Geschichte Haarlems (1907) allein die bloße Nennung der Blinkert, als er die »schönsten Punkte« aufzählt, an denen die Stadt die »vaterländische Geschichte« berühre.7 In enger Verzahnung reiht er hier landschaftliche und historische Begriffe aneinander – darunter auch den Manpad und den Beleg, also die Belagerung Haarlems durch die Spanier im Jahr 1572, die als ein Schlüsselereignis des holländischen Unabhängigkeitskampfes im ausgehenden 16. Jahrhundert galt. Auf der breiten Projektionsfläche der Landschaft konnten diese verschiedenen Mythen um ruhmreiche Kriegskunst und Grenzsetzung als eine sinnstiftende Einheit wahrgenommen werden. »Ein klassischer, ein historischer Boden«, so hebt es der Historiker Francis Allan 1877 hervor, sei die Blinkert, die an den nationalen Stolz jedes Niederländers appelliere.8 Zu einem stolzen Blick lädt auch der Dünengipfel ein, auf dem der Fahnenschwinger im gleichnamigen Stich von Hendrick Goltzius von 1587 seine große Fahne wie einen Vorhang zur Seite schwenkt |Abb. 1|. Dahinter eröffnet sich eine ausgedehnte Landschaft, in der die spanische Belagerung Haarlems in weiter Ferne vor einer scheinbar unberührten Stadtkulisse verschwindend klein wirkt. Der – zum Zeitpunkt des Stiches einige Jahre zurückliegende – negative Ausgang und der blutige Ablauf der Haarlemer Belagerung sind somit ausgeblendet. Vor diesem Panorama nimmt der Fahnenschwinger die Stellung einer Repräsentationsfigur auf einer überzeitlich anmutenden Empore ein. Es erfolgt eine Art heroisierender Rückblick mit dem Fokus der ruhmreichen Landesverteidigung. So scheint bereits im 16. Jahrhundert der Blickwinkel angedeutet, mit dem dieses Geschehen in der Geschichtsschreibung und Literatur des 19. Jahrhunderts zu einem Mythos verfestigt ist: Die Haarlemer Belagerung, von Huizinga als nationalhistorisches Denkmal angeführt, wurde in
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Historienwerken und Chroniken schon ab 1600 zu einem repräsentativen Ereignis der kollektiven Kriegserfahrung stilisiert. Sie erschien zum einen als ein Exemplum der spanischen Grausamkeit gegenüber der holländischen virtus, zum anderen galt sie in einer höheren Ordnung als Wendepunkt in der Zeitgeschichte des Spanienkrieges, dem eine Reihe holländischer Siege folgten.9 In diesem Sinne hebt beispielsweise der Chronist Samuel van Ampzing in seiner Stadtbeschreibung Haarlems von 1628 hervor, dass die Haarlemer Belagerung »eine der allerdenkwürdigsten ist, die im niederländischen Krieg vorgefallen ist«.10 Es ist weniger das spezifische als das hollandrelevante Ereignis der Belagerung, das mit anderen Haarlemer Ruhmestaten zu einer sinnstiftenden Erfolgsgeschichte Hollands erklärt werden kann. So vergleicht schon Ampzing die Belagerung hinsichtlich ihrer überregionalen Bedeutung auch mit dem von Witte van Haemstede an der Haarlemer Blinkert initiierten Kampf.11 Diese historische Überblendung vollzieht sich ebenso auf visueller Ebene: Wittes Appell an die holländische virtus durch seinen Fahnenschwung auf der Blinkert wird durch den Fahnenschwinger von 1 Hendrick Goltzius: Der Fahnenschwinger, 1587, Kupferstich, 28,6 × 19,9 cm Goltzius aktualisiert. Während einige zeitgenössische Zeichnungen die Haarlemer Belagerung als aktuelles Ereignis in einem kartographischen Überblick aus der Vogelperspektive zeigen, ist sie hier als ein zeitübergreifendes Widerstandsmoment aufgefasst.12 Unter diesem explizit patriotischen Fluchtpunkt ist die »reale« Haarlemer Dünenlandschaft erstmals in Szene gesetzt. Nur wenige Jahre später macht Goltzius mit einigen 1604 angefertigten Zeichnungen dieselbe Landschaft zum eigenständigen Sujet, bevor ihre Motive dann in der Druckgraphik und Malerei das neue Genre der holländischen Landschaft prägen. Für die später von Huizinga und Lennep vorgenommene Verknüpfung verschiedener nationalhistorischer Einheiten scheint somit bereits ein Weg vorgezeichnet: Mit der Kultivierung diverser Mythen um »antike«, mittelalterliche und jüngst ereignete Kämpfe und Siege sind im ausgehenden 16. Jahrhundert Voraussetzungen geschaffen, um das Kollektivbewusstsein des nördlichen Provinzbundes zu stärken. Im 19. Jahrhundert werden diese Mythen unter den neuen nationalen Vorzeichen programmatisch mit der Landschaft konnotiert; Landschaftselemente wie die Dünen werden explizit zu Trägern der kollektiven Geschichte(n) erhoben. Welcher Stellenwert aber kam der holländischen Landschaft in der Zeit um 1600 zu, als Goltzius die Fahnenschwinger-Serie schuf und die ersten autonomen
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Darstellungen der Haarlemer Dünen aufkamen? Ich möchte im Folgenden untersuchen, inwieweit die Dünenlandschaft, von Beginn an ein »Schlüsselmotiv« des Landschaftsrealismus, bereits im 17. Jahrhundert ein identitätsstiftendes Potential besaß. Die kulturhistorischen Ansätze von Simon Schama und Ann Jensen Adams leiteten die Diskussion um die identitätsstiftende Dimension der holländischen Landschaftsmalerei ein, indem sie den Landschaftsrealismus in einen komplexeren Zusammenhang mit der neuen politischen Situation stellten.13 Dabei gehen sie prinzipiell davon aus, dass die Landschaft in den Niederlanden unter den geographischen Umständen von vornherein in einer vergleichsweise intensiven Beziehung zu ihrer Bevölkerung stehe. Diese habe sich zugespitzt, als sich die junge Republik nicht mehr über eine Herrscherfigur europäischen Standards definieren konnte. Schama und Adams weisen die Ansicht zurück, dass die »neutrale« Landschaftsmalerei ein »Porträt von Holland« sei, das durch seine unverstellte Wiedergabe des einheimischen, politisch und wirtschaftlich erstarkenden Landes vom Aufbruch in die erste »nationale Ära« künde.14 Sie konstatieren die selektive Formelhaftigkeit der Landschaftsmalerei und vertreten vor allem im Blick auf die tonalen Bilder der ersten Jahrhunderthälfte die These, dass den typisierten Bildmustern eine identitätsstiftende Wirkkraft innewohne.15 Demzufolge bilden die um 1630 verbreiteten Darstellungen weiter Dünen- und Flussebenen in den Bildern Jan van Goyens oder Pieter de Molijns, die sich durch ihre nahezu monochrome, auf Braun-, Grau- und Gelbtöne reduzierte Farbgestaltung auszeichnen, das holländische Land nicht real ab, sondern bilden es ideell mit |Abb. 2|.16 Sie zeigen ausgedehnte, sandige Ebenen mit wenigen Bäumen, alten Häusern oder Zäunen und vereinzelten Menschen, die zusammenstehen und auf das Land schauen oder sich auf weiten Strecken fortbewegen. Gerade diese neuartige Nähe des »Unspektakulären«, die Schama als »plotless place« bezeichnet, erzeuge die Projektion eines eigenen Landes, einer Einheit von Land und Mensch.17 Diese Einheit sieht Schama als Schnittfläche eines Diskurses um »Landgewinnung«: Die politische Landgewinnung – durch die Unabhängigkeit von Spanien – und die wirtschaftlich-geographische Landgewinnung – durch umfangreiche Entwässerungsmaßnahmen – gehen seiner These zufolge in der »künstlerischen Landgewinnung« der Malerei in einer sinnstiftenden Verbindung auf. Adams spitzt diese These mit dem Verweis auf die Leerstellen in der auf wenige Motive reduzierten Landschaftsmalerei zu: Sie konstatiert, dass in den tonalen Bildern sowohl das neu gewonnene Polderland als auch das moderne Kanalverkehrssystem der 1630er-Jahre ausgeblendet seien; dies deutet sie als eine konstruierte Naturalisierung, welche wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten, politische und religiöse Spannungen nivelliere.18 Die Bildstruktur erschaffe damit ein allen Bewohnern gehörendes »altes« Land, das in der Zeit des politischen, geographischen und ökonomischen Wandels der ersten Jahrhunderthälfte als identitätsstiftende Projektionsfläche wirke. Doch mit dieser aufschlussreichen Analyse der Bildstrategien von Ausblendung und Verdichtung eröffnen sich erst die Koordinaten der Identitätsstiftung im holländischen Landschaftsrealismus: Implizit ist aus ihnen zu lesen, dass – in Abgrenzung zu den Leerstellen des »Neuen«, des »Äußeren« und des »Anderen« – die so »selbstverständlich« dargestellten Dü-
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2 Pieter de Molijn: Dünenlandschaft mit Bäumen und Wagen, 1626, Öl auf Holz, 26 × 36 cm, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum
nen das »Eigene« und »Alte« materialisieren. Doch inwiefern kam ihnen dieser Status zugute, wie entwickelte sich diese Bedeutung? Die weiterführende Frage nach der »Aufladung« der Landschaftsmotive richtet die Perspektive auf die komplexen und beweglichen Mechanismen der nationalisierenden Diskurse. Dabei ist »Nationalisierung« im erweiterten Sinne jenseits ihrer eigentlichen staatsbildenden Dimension im 19. Jahrhundert als ein in fluktuierendem, »experimentellem« Rahmen wirkender Prozess zu begreifen.19 Angesichts der Unsicherheiten und Unbeständigkeiten in der geographischen, sprachlichen und religiösen Grenzziehung galt es in den nördlichen Provinzen gegen Ende des 16. Jahrhunderts zunächst vor allem, ein starkes Feindbild zu zeichnen, um sozusagen ex negativo, aus der Abgrenzung vom genuin »schlechten spanischen Wesen«, die eigene Leidensgemeinschaft zu definieren. In einem weiteren Schritt konnte das »Eigene« auch historisch begründet werden: Mythen um die zeitgenössischen und um vergangene Grenzziehungserfahrungen, kombiniert mit Mythen um die Traditionslinie des holländischen Grafenhauses und die batavische Antike, zeichnen die Konturen dieser »imagined community«, ohne Teil einer festgelegten Staatsflagge zu sein.20 Zudem haben diese Diskurse um 1600 bereits eine Vorgeschichte. Ihre Entwicklung setzte im 15. und 16. Jahrhundert ein, als Holland im bur-
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gundischen und später im habsburgischen Herrschaftsverband aufging: In Chroniken und Stadtbeschreibungen prägte das Interesse an der holländischen Grafendynastie und an einzelnen Städtemythen frühe Formen eines grenzmarkierenden, regionalen Identitätsbewusstseins; um 1500 begannen humanistische Geschichtsschreiber, sich den batavischen Vorfahren zu widmen, die man für das zunehmend als eine eigene natie betrachtete Holland reservieren wollte.21 Das Neben- und Miteinander verschiedener Stränge – heroische Stadtmythen, die Abstammungslinie der Grafenherrschaft und die unterlegte Folie der batavischen Vorfahren des holländischen Volkes – wurde um 1600 mit dem Fluchtpunkt des nordniederländischen Widerstands weiterentwickelt. Mythen oftmals regionaler und lokaler Größenordnung wurden stärker auf die identitätsbildenden Parameter der kollektiven Abgrenzung und Abstammung ausgerichtet und zu größeren Einheiten verknüpft, bei denen sich – auch aufgrund der wichtigen Stellung der Provinz Holland – ein holländischer Schwerpunkt abzeichnete. In diesen Prozessen tritt die holländische Landschaftsmalerei nicht als programmatisches Gefüge einer Staatskunst in Erscheinung, sondern sie entfaltet sich auf dem Kunstmarkt vor einem Publikum, das bereits mit den frühen Erzeugnissen der Widerstandsdruckgraphik vertraut ist.
Abgrenzung und Umgrenzung Auf der höchsten Erhebung eines Dünengipfels befindet sich ein rundes, umzäuntes Terrain |Abb. 3|. Es wird vom äußersten Hügelrand getragen, der direkt über der Wasseroberfläche aufragt. Mutet schon diese hochgetürmte Lage am Abhang etwas bedenklich an, so wird das Gehege jedoch von einer anderen, unmittelbaren Gefahr bedroht, die aus dem Meer an Land gekommen ist: Eine Horde wilder Schweine läuft umher, zerwühlt den Boden und versucht, über den Zaun in das Gehege zu springen, in dem sich ein großer Löwe aufgerichtet hat und seine Lanze schwingt. Die schützende Zaungrenze spezifiziert sein Revier: Die vielen Wappen und Fahnen, die hier befestigt sind, markieren es als das Gebiet der aufständischen nordniederländischen Provinzen, die sich im Krieg mit Spanien befinden. In Abschirmung vor den wütenden »spanischen Schweinen« – eines von ihnen trägt das Banner Albas – schließen sie sich zu einer Einheit zusammen. Dieses Gartengehege, der tuin, war ein prägendes Zeichen der Widerstandspropaganda. Seine runde Grundform war bereits aus holländischen Grafensiegeln und Münzen des 15. Jahrhunderts als eine traditionelle Bezeichnung des Herrschaftsgebietes bekannt.22 Ende des 16. Jahrhunderts wurde sie unter anderen Vorzeichen in der aufständischen Druckgraphik eingesetzt.23 Der neue tuin ist oft vom Löwen, dem Wappentier der Vereinigten Provinzen, oder der Hollandia, der Personifikation Hollands, besetzt; er ist in eine landschaftliche Bildstruktur eingebunden, die ihn mit einem äußeren Angriff konfrontiert. Diese Umformulierung erzeugt die Vorstellung eines alten, in der Grafschaft Holland gefestigten Landes, dessen Privilegien es gegenüber dem unrechtmäßigen Angriff zu verteidigen gilt. So postulieren die vielen tuin-Bilder in der
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3 Unbekannter Künstler: Der Kampf des Holländischen Löwen gegen die Spanischen Schweine, um 1572, Kupferstich, 23,5 × 29,3 cm
Zeit des Spanienkrieges für das aufständische, instabile Gebiet der nördlichen Niederlande ein umkämpftes, widerstandsfähiges und somit schlussendlich existierendes Land. Diese Kennzeichnung wird jedoch nicht allein dadurch gewährt, dass das »gräfliche Gütesiegel« in ein Spannungsfeld von Angriff und Verteidigung gestellt ist. Auch der Schauplatz der den tuin einbettenden Dünenlandschaft selbst garantiert den Anspruch auf eine holländische Tradition. Das Haarlemer Dünengebiet ist bereits im 15. Jahrhundert als ein spezifisch gräflicher Ort markiert: Die um 1490 im Haarlemer Karmeliterkloster entstandene Porträtreihe eines unbekannten Malers konstruiert in 19 Bildern eine dynastische Linie der holländischen Regenten von den mittelalterlichen Grafen des Hauses Holland bis zum letzten, zum Entstehungszeitpunkt der Serie noch lebenden habsburgischen Herrscher Maximilian; umrahmt sind diese von der einleitenden Heroldfigur auf der linken und von der Figur des Todes auf der rechten Seite |Abb. 4|.2 4 Diese Aufreihung der verschiedenen Dynastien fügte sich dem habsburgischen Anspruch auf die direkte Zugehörigkeit zur Regentschaftslinie der einverleibten nordniederländischen Regionen, die sich im 15. Jahrhundert ihrerseits zunehmend über ihre Herrschaftstradition definierten. Der Eindruck einer Kontinuität der Rechtsmacht, eines einheitlichen Stammbaumes von den Grafen des Hauses Hol-
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land über Hennegau, Straubing-Holland und Burgund nach Habsburg wird durch die fortlaufende architektonische Rahmung bestärkt, welche bildübergreifend alle Figuren umschließt. So erscheinen die Regenten im Klostergang des Karmeliterklosters vereint, in welchem sich die Bildserie auch tatsächlich befand. Doch über die Architektur hinaus ist es auch die Haarlemer Landschaft, die einen imaginären Raum dynastischer Tradition erzeugt: Das Fenster auf dem ersten, die Serie einleitenden Heroldbild eröffnet – in Übereinstimmung mit der wirklichen Lage des Klosterganges – einen »authentischen« Ausblick auf die sich im Westen des Klosters befindenden Dünen. Eine der frühesten nordniederländischen Hintergrundlandschaften ist somit unter dynastischen Vorzeichen visualisiert. Die Verortung der Figuren in der Landschaft Haarlems entspricht dem Postulat einer überzeitlich gültigen Landesherrschaft insofern, als Haarlem als mittelalterlicher Sitz der holländischen Grafen bekannt war. Der die Bildserie begleitende Spruchbandtext greift diesen Bezug zu Haarlem an 4 Unbekannter Künstler: Der Herold (erstes Bild der Haarlemer Grafenporträts), um 1490, Öl auf Holz, mehreren Stellen nachdrücklich auf.25 Auch das 180 × 133 cm, Haarlem, Stadhuis Haarlemer Stadtwappen – erkennbar an einem Schwert mit vier Sternen – bekommt einen ausgewiesenen Platz zugeteilt, indem es auf dem Heroldgemälde mit den Wappen von Leiden, Dordrecht und Delft die wichtigsten holländischen Städte repräsentiert.26 Es wird eine historisch und geographisch stabile Einheit von Land und Städten auf verschiedenen Ebenen und im Fokus Haarlems evoziert. Die Berufung auf diese holländische Einheit in der Zeit der Aufstandsjahre hat verschiedene Facetten: Der Grafenporträtserie wurde in den 1580er Jahren, nach der Haarlemer Belagerung, besondere Aufmerksamkeit zuteil, indem man sie von ihrem angestammten Platz im Karmeliterkloster ins Haarlemer Rathaus umhängte. Zudem wurden, beispielsweise von Goltzius, in derselben Zeit weitere Grafenporträts angefertigt, die auch in verschiedene Historienwerke aufgenommen wurden.27 Pamphlete kontrastieren den Machtmissbrauch Philipps II., der die holländischen Privilegien verletzt habe, mit den früheren »guten« Regenten wie Philipp von Burgund, der in einer Schrift etwa als »Vater des Vaterlands« und »Hirte des Volkes« bezeichnet wird.28 Nicht zuletzt sind es aber auch die gräflichen, »altholländisch« aufgeladenen Dünen, die den Kontinuitätsanspruch legitimieren, indem sie den tuin der
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Widerstandspropaganda grundieren: Die Haarlemer Landschaft tritt somit im Kontext identitätsstiftender Mythen um die gräfliche Vergangenheit bereits Ende des 16. Jahrhunderts in der Widerstandsdruckgraphik ins Bild, bevor sie in den ersten realistischen Landschaftsdarstellungen erscheint. Doch neben der Herrschaftstradition prägen auch andere Dimensionen, wie vor allem die eingangs erwähnte virtus, die holländische Semantik der Haarlemer Landschaft. Ihre lokale Vorgeschichte ist komplex. So ist der situs, das schöne Haarlemer Umland, seit 1400 in Stadtlobgedichten und Chroniken ein besonderes Attribut der Stadt, das auch mit Haarlems Vergangenheit als Grafensitz in Verbindung steht.29 Graf Albrecht I. von Straubing-Holland ließ 1391 hier sogar De Baen, einen öffentlichen Erholungspark, errichten.30 Doch das Lob dieses abwechslungsreichen locus amoenus steht schon seit Diric Mathijszens Lofdicht op Haerlem (um 1400), dem frühesten Lobgedicht auf eine nordniederländische Stadt, direkt neben dem Lob der bürgerlichen virtus.31 Dieser Topos etablierte sich in der Geschichte um Witte van Haemstede – deren Schauplatz wiederum die Haarlemer Landschaft selbst ist – und vor allem in der prominenten Kreuzzugslegende um die Eroberung der ägyptischen Stadt Damiate. Sie erzählt, wie einige Haarlemer im Jahr 1219 die ägyptische Hafenstadt Damiate eroberten und gefangene Haarlemer befreiten, indem sie mit ihrem Schiff die die Stadt schützenden Eisenketten zersägten.32 In der Stadtlobdichtung und den Stadtchroniken ergibt sich so eine narrative Annäherung zwischen dem gräflichen situs und der kollektiven virtus. Die Haarlemer Landschaft entwickelt sich zu einer diskursiven Schnittfläche sowohl der gräflichen Abstammungs- als auch der Verteidigungsmythen. So kann sie schließlich im Zeichen des Aufstandes holländisch markiert werden. Sie kann als Träger identitätsstiftender Semantik fungieren und sowohl Projektionen der holländischen Herrschaftstradition als auch der Kampfes- und Verteidigungskraft mitbilden. Die Dünenlandschaft ist das Areal, auf dem der tuin angelegt ist, und zugleich verstärkt sie die Grenzziehung des Zaunes im größeren Rahmen durch ihre Abgrenzung vom feindlichen Meer.33 Sie kann auch selbst ganz unmittelbar den drohenden Angreifer aus dem Meer abwehren: In der Pottwalstrandung bei Ter Heijde staffeln sich drei große, dunkle Walkörper auf einem Strandstreifen bis zum Horizont |Abb. 5|. Von dem riesigen geöffneten Maul des vordersten Wales angezogen, gleitet der Blick des Betrachters zentral und trichterförmig über den wasserspeienden zweiten bis hin zum kurvigen dritten. Dann erst richtet er sich, um die »natürliche« Blickrichtung nachzuholen und den Walen auf den Grund zu gehen, nach links zum Meer: Doch weitere Wale tauchen auf, so weit das Auge reicht. Wasserspeiend drängen sie sich an den Strand. Ihre Dichte am linken oberen Bildrand suggeriert eine Dunkelziffer außerhalb der bildlichen Reichweite, ein unergründliches Kontinuum. Die Dynamik auf der Strandfläche ist so im Wasser in einer zweiten Dimension gesteigert. Damit zeigt diese 1577 entstandene Graphik von Johan Wierix weniger die Konsequenz einer für die Tiere verhängnisvollen Strömung als die Potenz eines gezielten Ansturms, dessen Front den Strand erreicht. Im großen Bogen spannt sich diese Bewegung vom fernsichtigen Walgewühl über die Nahsicht des untersten Walkörpers – hin zu den fliehenden, gestikulierenden Personen am rechten Bildrand, die aus dem Bild hinauslaufen. Ihr mögliches Fluchtziel, auf das der
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5 Johan Wierix: Pottwalstrandung bei Ter Heijde, 1577, Kupferstich, 34,5 × 30,5 cm
eine mit erhobenem Arm weist, der andere blickt, deutet sich weiter oben an: Dort stehen Menschengruppen auf hohen Dünen, die das Treiben beobachten. Die augenscheinliche Ruhe dieses Ortes setzt sich dahinter in einigen in den Dünen eingebetteten Häusern fort. Ihr Schutz ist durch die erste Dünenkette garantiert. Indem diese nicht weich in den Strand hinein ausläuft, sondern sich abrupt in die Höhe klüftet, »bremst« sie den Antrieb der Wale vehement ab. Sie gleicht einem zahnigen Wellenkamm, der sich zusammengezogen und aufgebäumt hat. In horizontaler Schraffur scheint die flache Strandfläche noch in ihrem Sog zu stehen. Die rüschenartigen Meereswellen wirken demgegenüber kraftlos, flach und kleinteilig, als würden sie von den Tieren mitgezogen. Eher drohen die Dünen über das Vakuum der Wallandungsfläche »überzuschwappen«. Sie bieten den Menschen »aktiv« Deckung, während das Wasser »passiv« den Walen als Tragfläche dient. Ab den 1570er-Jahren entstanden etliche Darstellungen von Walstrandungen, die – in Ergänzung zum tuin – die antispanische Propaganda auf ihre Weise umsetzten. Sie prägten die Vorstellung des massiven spanischen Angriffs, indem die Wale als zielgerichtete Ungeheuer eher landen als stranden. In diesem Sinne unterstreicht auch die Inschrift der Pottwalstrandung bei Ter Heijde die Bedrohlichkeit und deutet die Strandung als warnendes Zeichen
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weiterer »Gefahr und Not […] durch gewisse Feinde – so groß wie Monster«. Andere propagandistische bildbegleitende Schriften stellen den Wal auch ganz explizit als spanisches Unwesen vor.3 4 Über die Feindbildzeichnung hinaus weisen jedoch viele Darstellungen auf die Stärke der eigenen Verteidigung: Kein Angriff erscheint grenzenlos gefährlich. Generell ist der Ausschnitt so gewählt, dass den ankommenden Walen eine Dünenkette als eine unüberwindbare Barriere entgegengestellt wird. Diese bietet Sicherheit, wird von ihren »Bewohnern« als ein Beobachtungsposten genutzt und kann, wie in der Graphik von Wierix, als eine aktive Gegenkraft präsentiert sein. Insofern thematisieren die Walbilder weniger eine – wie Müller es formuliert – »Grenzüberschreitung« denn eine Grenzsicherung.35 Mit landschaftlichen Mitteln betonen sowohl die tuin- als auch die Waldarstellungen den Wert der ständigen Wachsamkeit und Abgrenzung gegenüber dem Feind. Es sind die »alten« Haarlemer Dünen, an denen die virtus des Landes konzentriert ist. Mit dieser landschaftlichen Matrix kann die Widerstandspropaganda also verschiedene Codes kollektiver Identität aktivieren: Der »primordiale Code«, der in der Theorie Bernhard Giesens einen »natürlichen«, unveränderlichen Gegensatz – etwa bedingt durch Herkunft oder Rasse – zwischen dem Eigenen und dem Anderen beinhaltet, wird auf der landschaftlichen Ebene in der Opposition von Dünengebiet und Wasserwelt getragen.36 Der »traditionale Code«, der nach Giesen die Gegenwart auf ein »Kontinuitätsmuster« der gemeinsamen Geschichte bezieht, zeigt sich im Dünenland als einem holländisch konnotierten Ort vergangener virtus und dynastischer Tradition.37 Der primordiale Code wird vor allem während der ersten Aufstandsjahre durch das in der Widerstandsrhetorik manifestierte Bild des genuin feindlichen Spaniers erzeugt, das in der Walmetaphorik seinen Ausdruck findet: Dem monströsen Angriff wird in der Bildpropaganda »natürlicherweise« eine Grenze gesetzt.38 Doch zugleich erscheint das Eigene nicht allein ex negativo als Angriffsfläche, sondern ist im umgrenzten Garten und im breiten Dünenfundament auch traditional codiert. So kann gerade die Landschaft die Dimensionen des »natürlich Anderen« und des »traditional Eigenen« ineinanderblenden. Denn das Zeichen der Haarlemer Dünenlandschaft entwickelt sich im Spannungsfeld von Projektionen der Abgrenzung und Projektionen der holländischen Herrschaftstradition.
Eigenes Land Der tuin auf der Titelseite des Flugblattes Maechts Antwoort von 1617 zeigt sich als ein idyllischer, in den Dünen eingebetteter Ort |Abb. 6|. Meer und Düne sind nicht als kämpfende Kontrahenten, sondern eher statisch miteinander konfrontiert – zwischen ihnen steht ein gefestigter Garten, der selbst weit über die zurückgedrängte See gesetzt ist. Er ist zu einem ausgedehnten und fruchtbaren Gebiet mit »Oranje«-Bäumen erstarkt, das aus dem alten Dünengrenzwall hervorgeht. Der hier thronenden Hollandia steht jenseits des Zaunes ein Spanier gegenüber. Seine janusköpfige Gestalt wie auch sein entfernt liegendes, mit einer
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6 Unbekannter Künstler: Maechts Antwoort, 1617, Titelseite des Flugblattes, Kupferstich, 18 × 14,4 cm
Art Ungeheuer ausgestattetes Schiff deuten eine zwielichtige Absicht an – jedoch keinen unmittelbaren Truppenüberfall: Die Grenze des Gartens ist vorläufig anerkannt, und dies verlangt zumindest eine andere Taktik. Hollandia und der Spanier stehen sich mit derselben statischen Haltung gegenüber wie Düne und Wasser. Die Breite der Dünenlandschaft und des Gartens wie auch der feste Thron der Hollandia drängen den Spanier, das Wasser und das Schiff zur Seite. So operiert diese während des zwölfjährigen Waffenstillstandes zwischen Holland und Spanien (1609–1621) entstandene tuin-Landschaft mit den Projektionen von älteren Walstrandungen und tuin-Kämpfen. Der Kampf zwischen der spanischen und der holländischen Seite wird nun auf der Ebene des traditionalen Codes als kollektive Vergangenheit markiert und so – gerade durch die Landschaftszeichen – auch mit den älteren Kämpfen und dem politischen Kontinuitätsanspruch vereint: In der unsicheren Zeit des temporären Friedens, in der Holland durch innere Konflikte bedroht wurde, kann die jüngste Kriegsvergangenheit als kollektives Ereignis historisiert werden. In vielen tuin-Darstellungen dieser Zeit geht es nicht mehr um den plötzlichen Überfall als vielmehr um die Beständigkeit der Grenze. Mit
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dieser Perspektive appellieren sie an weitere Wachsamkeit nach außen hin, blenden die zeitgleichen inneren Gegensätze aus und befördern so das Bild einer nach innen gefestigten Einheit. Sie gedeiht auf dem Dünenboden, der Sphäre der holländischen Vergangenheit. Deshalb wird die Haarlemer Dünenlandschaft auch zum Erinnerungsort der spanischen Belagerung Haarlems, welche bereits in der Zeit des Waffenstillstandes zu einem repräsentativen Pars pro Toto des Widerstandes stilisiert wurde. In verschiedenen Chroniken wurde die Belagerung wegen ihres unglücklichen Ausgangs als ein Auslöser für stärkere Grenzsicherung angeführt; die Standhaftigkeit der Belagerten aber wurde zugleich zu einem besonderen Exemplum holländischer virtus erhoben.39 Doch im Bild der Dünenlandschaft konnte dieses Ereignis der jüngsten Vergangenheit mit den anderen Historien um Witte van Haemstede oder um die Eroberung Damiates zu einer sinnstiftenden Einheit verbunden werden. »Bilder entwickeln […] eine ganz andere Übertragungsdynamik als Texte. Sie stehen der Einprägungskraft des Gedächtnisses näher und der Interpretationskraft des Verstandes ferner. Ihre unmittelbare Wirkungskraft ist schwer zu kanalisieren, die Macht der Bilder sucht sich ihre eigenen Vermittlungswege.« 40 Ein neuer »Vermittlungsweg« eröffnet sich mit den Darstellungen der »reinen« Haarlemer Dünenlandschaft in der Druckgraphik nach 1610. Das Titelblatt der druckgraphischen Landschaftsserie Plaisante Plaetsen von Claes Jansz. Visscher leitet die »schönen Plätze« Haarlems mit einer Düne ein |Abb. 7|. Die Serie wird hier von der Inschrift als »Rundreise« durch das Haarlemer Umland gekennzeichnet, doch zugleich im Zeichen von vicit vim virtus (Die Tugend hat die Kraft besiegt) präsentiert: Dieses Motto der Haarlemer Belagerung, das Ende des 16. Jahrhunderts oft in Stadtlobgedichten und Stadtansichten angeführt wird, ist auf dem Dünenhügel in eine überzeitliche Gültigkeit gerückt. Flankiert von den Allegorien Tempus und Diligentia sind hier verschiedene Symbole der charakteristischen »hollandrelevanten« Ruhmestaten miteinander verschränkt. So ragt über den gemeißelten Inschriftsteinen auf dem Dünenboden das Haarlemer Wappen empor, das wie ein Brustpanzer um einen Schiffskörper gelegt ist. Auf diesem starken, gepanzerten Rumpf breiten sich Äste eines kahlen Baumes aus, welche die Teile einer zerrissenen Kette tragen. Dieser Baum ist wie das Motto vicit vim virtus ein Symbol der Haarlemer Belagerung. So erinnert er daran, dass es während der Belagerungskämpfe zu einem Kahlschlag des bekannten Haarlemer Waldes kam; zugleich verweist er auf das zweite traditionelle Haarlemer Wappen, das einen belaubten Baum trägt.41 Doch ist der entlaubte Baum hier nicht das Zeichen einer Niederlage, sondern des Sieges der virtus: Auf dem Dünenboden geht er aus dem Schiff und dem Haarlemer Wappen hervor – den ruhmreichen Zeichen der Eroberung Damiates. Die Kette, die dieser Legende nach vom Haarlemer Schiff zersägt wurde, scheint wiederum von den Ästen des Baumes selbst auseinandergerissen zu sein. So schließt sich der Kreis: Jüngste und älteste Geschichte sind verwoben und scheinen einander notwendigerweise zu bedingen. Umrahmt von einem Zaun, thront dieses Makrozeichen der virtus zugleich in einer Art tuin. Die
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7 Claes Jansz. Visscher: Plaisante Plaetsen, 1611, Titelblatt zur Serie, Radierung, 9,9 × 15,7 cm
Düne ist der Mittelpunkt der »schönen Orte« Haarlems und der Grafschaft Holland, sie ist das Land des alten und des neuen Kampfes der Holländer – sie ist Grenzmarkierung und eigenes Land.42 Visschers Ansichten der Haarlemer Landschaft erzeugen eine »vollkommene« Durchdringung von holländischer virtus und Tradition. Damit stellen sie eine Ergänzung zu den tuin-Bildern dar. Zwar ist der spätere tuin auch innen »gewachsen« – in manchen Darstellungen gleicht sein Terrain den idyllischen Ansichten Visschers –, doch er operiert stets mit der Grenzformel: Dabei kreuzen sich die Flächen des Gartens und der Düne insofern, als die Düne die Sphäre der eigentlichen Verteidigung ist, während der tuin als Schutzgebiet daraus hervorgeht; die Düne ist sein Untergrund und verstärkt zugleich die im tuin verkörperte Machttradition. Allein das Dünenland, nicht aber die Gartenfläche selbst wird als Schauplatz des Kampfes in Szene gesetzt. Bei der »reinen« Landschaftsdarstellung hingegen entfällt diese Trennung: So zeigen die idyllischen Ruinen ehemaliger Belagerungsschauplätze in den Plaisante Plaetsen die »natürliche« Präsenz der Historie.43 Gerade durch die Dimension der Belagerung wird die reale Haarlemer Landschaft selbst zum eigenen tuin-Land, das die Zeichen des Kampfes »in sich« trägt – weiterhin getragen auf dem Fundament der Dünen: Schon bei Goltzius ist der Dünengipfel ein patriotisch überhöhter »Schutzrand«, der die Aussicht auf das Land bietet und zugleich ein Teil von ihm ist. Bei Visscher sind die Schauplätze tel-
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8 Claes Jansz. Visscher: Plaisante Plaetsen (Lasery van Haerlem), 1611, Radierung, 10,3 × 15,8 cm
lerartig eingebettet zwischen dichten Bäumen am nahen Horizont und den leichten Dünenanhöhen im Vordergrund, die sich schattig absetzen und oft sogar einen rahmenden Zaun aufweisen |Abb. 8|. So zeigen die Bilder regelrecht die Interieurs des tuin.
Altes Land »Erinnerungsorte sind […] nicht nur an ihrem Endpunkt als fertige Orte, sondern auch, soweit möglich, über den Ort ihrer Erzeugung zu begreifen, um durch das Spiel der Erfolge und Misserfolge, der Fortschritte und Störungen besser zu verstehen, wie das Zusammenspiel des Ensembles der konstitutiven Elemente der Erinnerungsorte beschaffen ist.«4 4 Der Prozess, in dem sich lokale Landschaftszeichen zu Trägern vielschichtiger Erinnerung entwickeln und sich schließlich zu einem nationalen »Gedenkzeichen des vaterländischen Ruhmes« verdichten, ist lang.45 Erst vor seinem Hintergrund erschließt sich die identitätsstiftende Dimension der Landschaft in ihrer ganzen Reichweite. So liegt in der tonalen Landschaftsmalerei der plot des scheinbaren »plotless place« in der Semantik der Haarlemer
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Dünenlandschaft selbst, die auch die Ausblendung der modernen Veränderungen »notwendigerweise« bedingt. In der ausgedehnten Sandigkeit ist hier »autonom« die Idee des eigenen Landes verkörpert: Dünenhügel und Zäune sind nicht mehr die Umrahmung einer Gartenenklave. Der Garten ist frei und trägt seine geschichteten Grenzmarkierungen in sich. Der Mensch ist in den Dünen, steht an verstreuten Zäunen und schaut auf die Landschaft. Sie wird zum Ort für die »gheleerde bedenckinghen« über die kollektive Vergangenheit.46
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Dieser Beitrag behandelt einige Aspekte meines Dissertationsprojektes zu landschaftlichen Konstruktionen holländischer Identität im 16. und 17. Jahrhundert. 1 David Jacob van Lennep: Verhandeling over het belangrijke van Hollands grond en oudheden voor gevoel en verbeelding [1827], in: id.: Verhandeling en Hollandsche duinzang, hg. v. Garmt Stuiveling, Zwolle 1966, S. 33–54. 2 Ibid., S. 37 f. 3 Ibid., S. 38. 4 Zur Kultivierung nationalisierender Mythen in den Niederlanden des 19. Jahrhunderts vgl. Nicolaas van Sas (Hg.): Waar de blanke top der duinen en andere vaderlandse herinneringen, Amsterdam 1995; allgemein zu den Prozessen der europäischen Nationenbildung vgl. Herfried Münkler: Nationale Mythen im Europa der frühen Neuzeit. Zur Relevanz mythischer Narrationen bei der Nationalisierung Europas, in: Vorträge aus dem Warburg-Haus, hg. v. Wolfgang Kemp et al., Bd. I, Berlin 1997, S. 107–143; Hagen Schulze: Das Europa der Nationen, in: Helmut Berding (Hg.): Mythos und Nation. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, Frankfurt am Main 1996, S. 65–83. 5 Lennep 1966 (wie Anm. 1), S. 51. 6 Vgl. David Jacob van Lennep: Hollandsche Duinzang, in: Lennep 1966 (wie Anm. 1), S. 55–60, S. 58. 7 Vgl. Johan Huizinga: Over de oudste geschiedenis van Haarlem [1907], in: Johan Huizinga: Verzamelde Werken, 9 Bde., Haarlem 1948–1953, Bd. I, S. 365–389, S. 366. 8 Francis Allan: Geschiedenis en Beschrijving van Haarlem, van de vroegste tijden tot op onze dagen, 4 Bde., Haarlem 1874–1888, Bd. II, S. 135. 9 Schon 1599 betont Emanuel van Meteren in seinen Memoiren der Belgische ofte Nederlantsche Historie van onsen tijden (Delft 1599), dass die Erfahrungen der Haarlemer Belagerung zu einer größeren Wachsamkeit und einer organisierteren Abwehrstrategie beigetragen hätten. Im Klagelied über den Fall Haarlems (Nederlandtsche Gedenck-Clanck, Haarlem 1626) von Adrianus Valerius wird die Belagerung in diesem Sinne als Warnung Gottes aufgefasst. Auch Pieter Cornelisz. Hooft sieht in seinen Nederlandsche Historien (Amsterdam 1642) in der Niederlage der Stadt den positiven Wendepunkt im Krieg gegen Spanien, zugleich erhebt er Haarlems Ausdauer gegenüber den Spaniern zum Vorbild; zu dieser Stilisierung der Haarlemer Belagerung vgl. Catherine Levesque: Journey through Landscape in Seventeenth-Century Holland. The Haarlem Print Series and Dutch Identity, University Park 1994, S. 65 f. 10 Samuel van Ampzing: Beschryvinge ende Lof der Stad Haerlem, Haarlem 1628, S. 165. 11 Ibid., S. 312 f. 12 So geben die während der Belagerung entstandenen Zeichnungen, beispielsweise von Niclaus Liefrincx, zwar auch der Landschaft einen breiten Raum, zeigen aber in erster Linie eine detaillierte Übersicht über den Belagerungszustand; zu diesen Darstellungen vgl. Gary Schwartz u. Marten Jan Bok: Pieter Saenredam. De schilder en zijn tijd, Maarssen u. Den Haag 1989, S. 35 ff. 13 Vgl. Simon Schama: Dutch Landscapes. Culture as Foreground, in: Peter Sutton et al. (Hg.): Masters of 17th-Century Dutch Landscape Painting, Ausstellungskatalog, Amsterdam, Rijksmuseum, 1988, Boston, Museum of Fine Arts, 1988, Philadelphia, Philadelphia Museum of Art, 1988, Boston 1987, S. 64–83; Ann Jensen Adams: Competing Communities in the »Great Bog of Europe«. Identity and Seventeenth-Century Dutch Landscape Painting, in: William J. T. Mitchell (Hg.): Landscape and Power, Chicago 1994, S. 35–76.
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14 Als Vertreter dieser Auffassung vgl. Eugène Fromentin: Die alten Meister, hg. v. Henning Richter, Köln 1998, S. 140. Diese Ansicht war seit dem 19. Jahrhundert lange Zeit vorherrschend. 15 Von einer Formelhaftigkeit gingen prinzipiell bereits Ikonologen seit den 1970er Jahren in Anlehnung an die Forschungen Eddy de Jonghs zur Genremalerei aus. Sie interpretieren die konventionellen landschaftlichen Bildmuster als Träger einer religiös-moralisierenden Sinnschicht; vgl. zum Beispiel Josua Bruyn: Toward a Scriptural Reading of Seventeenth-Century Dutch Landscape Painting, in: Kat. Amsterdam 1988 (wie Anm. 13), S. 84–103. 16 Vor allem zwischen 1630 und 1645 wurden sie in großer Anzahl produziert. Erst in den späten 1640er Jahren wurde diese sogenannte »tonale Phase« durch die Bilder der zweiten Generation der Landschaftsmaler – zu der zum Beispiel Jacob van Ruisdael und Philips Koninck zählen – abgelöst. Die Landschaften wurden farbiger und vielfältiger, und es entwickelten sich verschiedene Unterkategorien wie Panoramalandschaften, nordische oder italianisierende Landschaften; zur Entwicklung der niederländischen Landschaftsmalerei vgl. Christopher Brown (Hg.): Dutch Landscape. The Early Years, Ausstellungskatalog, London, The National Gallery, 1986, London 1986; vgl. auch Kat. Amsterdam 1988 (wie Anm. 13). 17 Schama 1988 (wie Anm. 13), S. 69. 18 Das neu gewonnene Polderland beispielsweise sei deshalb nicht dargestellt, weil es nur einer kleinen Gruppe wohlhabender Investoren zugutekam; vgl. Adams 1994 (wie Anm. 13), S. 51 ff. 19 Vgl. Simon Groenveld: Natie en nationaal gevoel in de sestiende-eeuwse Nederlanden, in: Nederlands Archievenblad 84/1980: Scrinium et Scriptura. Opstellen betreffende de Nederlandse geschiedenis aangeboden aan J. L. van der Gouw, hg. v. Co van de Kieft et al., S. 372–387; Willem Frijhoff: La ville. Lieu de mémoire de l’Europe moderne?, in: Pim de Boer u. Willem Frijhoff (Hg.): Lieux de mémoires et identités nationals, Amsterdam 1993, S. 61–77. 20 Vgl. die Definition des Mythos bei Frank L. Borchardt: German Antiquity in Renaissance Myth, Baltimore u. London 1971, S. 13 (»Veneration of the past, moral lessons, or explanation of otherwise inexplicable phenomena are, however, rarely the primary functions of myths, as they may be of saga, legend, and fairy tale. Myth is rather a means by which a culture organizes, interprets, and gives authority to its most cherished assumptions about itself and the world. The validity of those assumptions depends not on any conformity with empirical reality – they may or may not be supported by the evidence of the senses – but on broad acceptance of the assumptions by the constituents of the culture«). Zum Begriff imagined communities vgl. Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1983. Zu den hier beschriebenen Nationalisierungsstrategien vgl. Simon Schama: The Embarrassment of Riches. An Interpretation of Dutch Culture in the Golden Age, New York 1987, S. 51 ff. 21 Zu den frühen Formen holländischer Identitätsfindung vgl. Karin Tilmans: Aeneas, Bato and Civilis, the Forefathers of the Dutch. The Origin of the Batavian Tradition in Dutch Humanistic Historiography, in: Jean F. Brink u. William F. Gentrup (Hg.): Renaissance Culture in Context. Theory and Practice, Cambridge 1993, S. 121–135; Robert W. Scheller: Representatie en realisme. De vormgeving van het laat-middeleeuwse identiteitsbesef, in: Bram Kempers (Hg.): Openbaring en bedrog. De afbeelding als historische bron in de Lage Landen, Amsterdam 1995, S. 29–59. 22 Zur Entwicklung dieses tuin-Motivs vgl. Pieter J. van Winter: De Hollandse Tuin, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 8/1957, S. 29–121. 23 Zur Verbreitung und den Bildstrategien dieses Motivs vgl. Karsten Müller: Grenzmarkierungen. Argumentationsstrategien und Identitätskonstruktionen in der politischen Druckgraphik der Niederlande zwischen 1570 und 1625, unver. Phil. Diss., Hamburg 2003.
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24 Allgemein zu den Grafenportraits vgl. Wim van Anrooij (Hg.): De Haarlemse gravenportretten. Hollandse geschiedenis in woord en beeld, Hilversum 1997. 25 Haarlem wird hier als Todes- und Bestattungsort einiger Grafen, wie etwa Jan I., erwähnt. Aber auch bei anderen Regenten, deren Hauptsitz nicht in Haarlem war, wird ein bewusster Bezug zu Haarlem gesucht. So heißt es etwa bei Willem III., dass er einmal acht Tage lang zu Haarlem Hof gehalten habe. Der Spruchbandtext ist herausgegeben in: Gerdina H. Kurtz: Onderschriften van de portretten der graven en gravinnen van Holland, in: Jaarboek Haerlem 1958, S. 46–59; vgl. auch Wim van Anrooij: Waar en wanneer ontstond de reeks?, in: Anrooij 1997 (wie Anm. 24), S. 11–19, S. 18 f. 26 Die vier weiteren Wappen kennzeichnen Hollands historische Zugehörigkeit zu Deutschland, Frankreich und »Troja-Aquitanien« und damit seine auch im Text erwähnte trojanische Abstammung; vgl. Reindert Falkenburg: Het verband met andere vijftiende-eeuwse reeksen, in: Anrooij 1997 (wie Anm. 24), S. 59–68, S. 64 f. Dieser seit dem Mittelalter bei europäischen Chronisten verbreitete TrojaMythos ging davon aus, dass sich die vertriebenen Nachkommen des Äneas nicht allein in Italien, sondern auch anderorts in Europa niedergelassen hätten. Diese Trojanachfahren wurden dann auch als Städtegründer und als Vorfahren der holländischen Grafen etabliert; vgl. Tilmans 1993 (wie Anm. 21), S. 124 f. 27 Vgl. Truus van Bueren: Van karmelietenklooster naar stadhuis, in: Anrooij 1997 (wie Anm. 24), S. 73–77, S. 74. 28 Vgl. Pieter A. M. Geurts: De Nederlandse opstand in de pamfletten 1566–1584, Nijmegen 1956, S. 140f. 29 Als ein locus amoenus wird der situs beispielsweise von Hadrianus Barlandus in seiner 1524 verfassten Beschreibung Hollands und Zeelands hervorgehoben; vgl. Hollandiae et Zelandiae compendiosa descriptio, in: Petrus Scriverius: Batavia Illustrata. Seu De Batavorum Insula, Hollandia, Zelandia, Frisia, Territorio Traiectensi Et Gelria, […], Leiden 1609, S. 141–144, S. 142; vgl. allgemein zum locus-amoenusTopos Huigen Leeflang: Dutch Landscape. The Urban View. Haarlem and its Environs in Literature and Art, 15th–17th Century, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 48/1997, S. 53–115. 30 Vgl. Allan 1874–1888 (wie Anm. 8), S. 165. In vielen Stadtbeschreibungen der späteren Jahrhunderte wird diese Einrichtung erwähnt; vgl. zum Beispiel Ampzing 1628 (wie Anm. 10), S. 94. 31 Diric Mathijszen: Lofdicht op Haerlem [ca. 1400], in: J. D. Rutgers van der Loeff (Hg.): Drie lofdichten op Haarlem. Het middelnederlandsch gedicht van Dirk Mathijszen en Karel van Mander’s Twee Beelden van Haarlem, Haarlem 1911, S. 13–17; vgl. zu diesem Topos der Haarlemer virtus Elisabeth de Bièvre: »Violence and Virtue«. History and Art in the City of Haarlem, in: Art history 11/1988, S. 303–334. 32 Aufgrund dieser Tat verlieh der Kaiser der Stadt ein neues Wappen. Diese ruhmreiche Tat wird übrigens auch im Spruchbandtext der Grafenporträts erwähnt; vgl. Wim van Anrooij: Middeleeuwse sporen van de Haarlemse Damiate-legende, in: Elidius K. Grootes (Hg.): Haarlems Helicon. Literatuur en toneel te Haarlem vóór 1800, Hilversum 1993, S. 11–26, S. 18 ff. 33 So kommen in der oben betrachteten tuin-Darstellung die feindlichen Schweine aus dem Wasser. Ungewöhnlicherweise werden sie hier auch durch die seeländischen Verbündeten Hollands und den durch das Wasser stapfenden seeländischen Löwen an Land gejagt. 34 Vgl. Müller 2003 (wie Anm. 23), S. 18. 35 Ibid.
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36 Zum »primordialen Code« vgl. Bernhard Giesen: Kollektive Identität. Die Intellektuellen und die Nation 2, Frankfurt am Main 1999, S. 32 ff. 37 Zum »traditionalen Code« ibid., S. 42 f. (»Entscheidend ist dabei nicht die tatsächliche Kontinuität zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sondern der Versuch, die eigene Gegenwart in ein solches Kontinuitätsmuster einzureihen und damit zu begründen. Auf dem Umweg über die Vergangenheit, die selbst wieder eine Projektion der Gegenwart ist, konstruiert eine Gemeinschaft ihre kollektive Identität als Kontinuität.«). 38 Zur Rhetorik der Natürlichkeit der Feindschaft vgl. Judith Pollmann: Eine natürliche Feindschaft. Ursprung und Funktion der schwarzen Legende über Spanien in den Niederlanden. 1560–1581, in: Franz Bosbach (Hg.): Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit, Köln, Weimar u. Wien 1992, S. 73–93. 39 Vgl. Anm. 9. 40 Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999, S. 229. 41 Vgl. Bièvre 1988 (wie Anm. 31), S. 307. 42 Diese »kulturelle Einheit« (Umberto Eco) manifestiert sich auch in anderen Signifikanten: Der Maler und Dichter Karel van Mander zeigt mit der Düne Witte Blink in seinem 1610 erschienenen Gedicht Strijdt tegen Onverstand (Streit gegen Unverstand) den Wert der holländischen (Kultur-)Landschaft: »Wohin will ich denn reisen, wenn ich es gut bedenk’? Mein Helikon sei fortan nur die witte Blink.« (Waer will ick reysen doch, als ick my wel bedinck? Mijn Helicon zy slechts voortaan den witte Blinck). Die Strophe wird zitiert in: Elidius K. Grootes (Hg.): Haarlems Helicon. Literatuur en toneel te Haarlem vóór 1800, Hilversum 1993, S. 7. Das Gedicht erschien in der Gedichte- und Prosasammlung Den Nederduytschen Helicon (Haarlem 1610). Dieser Auffassung van Manders schließt sich auch der Sprachforscher und Dichter Hendrik Laurensz. Spiegel in seinem didaktisch-philosophischen Werk Hert-spiegel (1612) an, wenn er dem griechischen Parnass die holländische Dünenlandschaft als neue Heimat der Musen entgegenstellt. Die Stilisierung der Landschaft sollte seinen programmatischen Aufruf zur Etablierung einer eigenen Sprachkultur unterstreichen; vgl. Hendrick Laurensz. Spiegel: Hert-spiegel [1612], hg. v. Fokke Veenstra, Hilversum 1992, S. 10 f. 43 Zu den verschiedenen Bildstrategien druckgraphischer Serien dieser Zeit vgl. Levesque 1994 (wie Anm. 9). 44 Frijhoff 1993 (wie Anm. 19), S. 67. »Il faut […] essayer de saisir les lieux de mémoire non seulement à leur point d’aboutissement de lieux constitués, mais, dans la mesure du possible, aussi sur le lieu de leur production, afin de mieux comprendre, par le jeu des réussites et des échecs, des succès et des ratés, quelle est la consonance de l’ensemble des éléments constitutifs des lieux de mémoire.« 45 Lennep 1966 (wie Anm. 1), S. 38. 46 Johan van Heemskerck: Inleydinghe tot het ontwerp van een Batavische Arcadia [1637], hg. v. D. H. Smit, Zwolle 1935, S. 44.
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ARCHITEKTURCODES IM BAROCKEN ADELSSITZ Der Sarmatismus als vormoderne Form nationaler Identitätsstiftung in Polen-Litauen ISABELLA WOLDT
Barocke Literatur als Grundlage 1659 erschien anonym die Schrift Krótka nauka budownicza dworów, pałaców, zamków podług nieba i zwyczaju polskiego (Kurze Baulehre von Gutshäusern, Palästen und Burgen nach dem polnischen Himmel und Brauch) – eines der wenigen barocken schriftlichen Erzeugnisse in polnischer Sprache zur Architektur.1 Bereits im Titel der Publikation findet sich ein Hinweis auf die Bauaufgabe, die hier propagiert wird: Wohngebäude nach einer bestimmten Art und Weise – nämlich der polnischen – zu bauen. Der Anonymus liefert dem Leser jedoch keinen anschaubaren Grundriss, der seiner Vorstellung über eine polnische ländliche Residenz bildlichen Ausdruck geben würde. Erst Jakub Kazimierz Haur wird in seiner 1675 veröffentlichten Oekonomika ziemian´ska generalna (Allgemeine Landwirtschaftsökonomie) einer solchen Vorstellung im Grundriss und Aufriss ihre sinnhafte Form verleihen. Im Folgenden wird nun gezeigt, dass diese Schriften nicht nur die Vorstellung über den barocken ländlichen Adelssitz zur Anschauung bringen, sondern zugleich das Muster einer polnischen ländlichen Adelsresidenz kodifizieren, uniformieren und popularisieren. Das geschieht durch die Entwicklung einer Bauikonographie, die im Kontext der Kulturideologie des Sarmatismus als identitätsstiftend für die Adelsnation zu werten ist. Das Muster für eine polnische Adelsresidenz ist um die Mitte des 17. Jahrhunderts allerdings keine Neu-
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erscheinung, sondern das Resultat einer systematischen Inkorporation der seit Beginn des Jahrhunderts immer stärker eindringenden internationalen Architekturtendenzen, sowohl in praktischer als auch in theoretischer Hinsicht, sowie einer dazu parallel verlaufenden Wandlung des Feudalsystems und der Adelsgesellschaft in Polen-Litauen im Kontext der Kulturideologie des Sarmatismus. Diese Entwicklung spiegelt deutlich das Werk des führenden Barockarchitekten in Polen-Litauen, Tilman van Gameren, wider. Am Beispiel seiner Profanbauten für den Adel soll die Funktionsweise der ikonographischen Strukturformen im Sinne von »Architekturcodes«, das heißt als für die gesamte Adelsnation geltende und erkennbare architektonischen Muster, verdeutlicht und der Weg zur Ausformung dieser Ikonographie als Ausdruck eines nationalideologischen Charakters des sarmatisch-polnischen ländlichen Adelssitzes vorgestellt werden.
»Kurze Baulehre« Im Vorwort richtet der anonyme Autor die Kurze Baulehre an die »ehrwürdigen« und »vermögenden« polnischen Herren und empfiehlt ihnen den Bau repräsentativer Wohngebäude, nicht nur zum Privatvergnügen oder zur Hebung des dem gesellschaftlichen Stand entsprechenden und angemessenen Wohnstandards, sondern vor allem zur »Verschönerung« der Heimat. Die Architektur – bemerkt der Autor zuvor – sei das beständigste Ausdrucksmittel.2 Unter dem polnischen Himmel werden hier nicht nur die klimatischen Verhältnisse des Landes verstanden, die selbstverständlich in unterschiedlichen Regionen verschieden seien und eine Anpassung der Bauweise erforderten, der Autor rekurriert vielmehr auf das Grundeigentum als Herrschaftsterritorium, aber auch als Heimat. Damit werden das Nationale und das Landschaftliche oder Geographisch-Territoriale in einen engen Bezug zur gebauten Architektur gebracht. Von den Bräuchen der Bauherren sagt der Autor Ähnliches: Sie seien in den Nationen unterschiedlich und die Bauwerke sollten ihnen entsprechen. Bereits im Vorwort dieser Schrift wird also deutlich, dass der Architektur – vornehmlich der adeligen Wohnarchitektur – eine identitätsstiftende Aufgabe zugewiesen wird. Dabei wird das Nationale einerseits landschaftlich, andererseits habituell interpretiert. Mit den ehrwürdigen und vermögenden Herren ist die Aristokratie gemeint und angesprochen; sie fungiert hier als Vertreter der Nation und wird von dem Autor für ihre Heimat in die Pflicht genommen. Wenn hier von einem Versuch, einen nationalen Baustil auszuformulieren, gesprochen werden kann, dann allerdings nicht im historisch modernen Sinne, sondern im kulturpolitischen und landschaftlichen Verständnis der Heimat als Herrschaftsregion, und dem noch vormodernen, ständischen Verständnis der Nation. Erst im Zuge der Aufklärung konsolidieren sich nämlich moderne Formen des Nationalismus, die aus der Identifikation mit dem Staat oder durch sprachliche und ethnische Eigenheit hervortreten.3 In der Frühen Neuzeit ist die Nation noch nicht mit dem gesamten Volk oder den Bürgern eines Staates gleichzusetzen, sie hat auch keinen ethnischen Charakter. Vielmehr handelt es sich dabei um eine
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kulturelle, politische und auch – in Polen-Litauen zum Ende des 17. Jahrhunderts aufkommende – religiöse »Vergemeinschaftungsform«.4 Als polnisches Charakteristikum und Verhaltensnorm bezeichnet der Autor der Kurzen Baulehre das Landleben, im Gegensatz zu anderen Nationen, die vornehmlich in Städten zu leben pflegen, wie er meint. Eben aus diesem Grund widmet er seine Aufmerksamkeit nicht den Stadtpalästen, sondern den ländlichen Adelssitzen. Da die Schrift sich nicht an Fachleute – Architekten oder Bauunternehmer –, sondern unmittelbar an die Bauherren richtet, enthält sie zunächst praktische und klar formulierte Empfehlungen zum Bau adeliger Wohnsitze auf dem Lande. Bevor der Autor allerdings zur Beschreibung und den Empfehlungen bezüglich der Bautypen übergeht, konzentriert er sich auf den Bauort, das Baumaterial und die Bauform. Hinsichtlich des Bauortes werden auf dem Lande nicht ein hoher Berg wie bei den früheren Schlössern und Burgen, sondern eine flache Gegend oder ein Hügel bevorzugt – Orte, die einerseits einen guten Ausblick auf das Bauwerk gewährleisten, andererseits erlauben, dass sich das Gebäude selbst dem Betrachter gut präsentieren kann – der Autor wertet den Bau also nicht nur aus der Perspektive seiner Funktionalität, sondern auch unter dem wahrnehmungsästhetischen Aspekt. Als traditionell polnisches Baumaterial nennt Anonymus das Holz, empfiehlt allerdings eher das Mauerwerk, denn es sei beständiger und feuerfest. Bei der Form seien ein Quadrat oder ein Rechteck aufgrund der Einfachheit der Raumdisposition gegenüber polygonalen Formen vorzuziehen, da die empfehlenswerte symmetrisch geordnete Raumdisposition mit einem großen zentralen Speisesaal – ein aus Sicht des Autors ebenso typisch polnisches Element – dies erfordere. Der Autor spricht ausführlicher über den Speisesaal, der als wichtigster Repräsentationsraum eigens hoch und prachtvoll ausgestattet und ebenso gut beleuchtet sein sollte, am besten von drei Seiten. Hierfür empfiehlt er dessen Disposition in der mittleren Achse, und zwar in Form einer sala terrena, die als Mittelrisalit vor die Fassade treten darf, wodurch eine stärkere Beleuchtung garantiert werden könne. Unter den Bautypen werden zuerst drei ausdifferenziert: eingeschossige aus Holz bzw. Mauerwerk errichtete Herrenhäuser, zweigeschossige gemauerte Paläste in kompakter Bauweise ohne einen Innenhof und schließlich Schlösser, als deren Charakteristik der Autor einen von vier Seiten geschlossenen Innenhof bezeichnet. Als polnisch erachtet er jedoch die erste und die zweite Variante: die hoflosen und kompakten Herrenhäuser und Paläste. Sollte allerdings der Bau eines Schlosses als Wehranlage gewünscht sein, so empfiehlt der Autor eine Form, wie sie von Vincenzo Scamozzi für Stanisław Koniecpolski in Zbaraz˙ geplant wurde, nämlich einen sogenannten palazzo in fortezza – ein mit Bastionen befestigtes Schloss, das sowohl genügend Schutz als auch den geforderten Platz bieten kann. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Anonymus über die Verhaltensgewohnheiten des Landadels in Polen-Litauen sehr gut unterrichtet gewesen sein muss.5 Seine Empfehlungen legen ein Muster für eine polnische Adelsresidenz fest, die vor allem das Hauptgebäude in den Vordergrund rückt: ein rechteckiges, eingeschossiges, hölzernes oder gemauertes Herrenhaus oder einen offenen zweigeschossigen Palast – abhängig davon, über
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welche materielle Möglichkeiten der Bauherr verfügt – auf einem symmetrischen Grundriss mit einem in zentraler Achse platzierten, vor die Fassade tretenden repräsentativen Saal, ein Muster also, für welches mit Sicherheit die frühneuzeitlichen Villen in ihrer ursprünglich italienischen Form bzw. ihrer französischen oder holländischen Überformung als Vorbild gestanden haben. Der Anonymus schöpfte theoretisch bezüglich solcher Kriterien wie Firmitas (Beständigkeit), Utilitas (Bequemlichkeit) und Venustas (schöne Form) aus Vitruvius. Hinsichtlich der topographischen Lage, des Baumaterials, der Bauform und der Ausführung sowie der Ablehnung der unmittelbaren Naturnachahmung und der Aufnahme des Anthropomorphismus lehnte er sich an Scamozzi an. Dennoch kann seine Schrift nicht in die Reihe der populären Architekturtraktate des Barockzeitalters gezählt werden. Die Ausführungen beschränken sich mehr oder weniger auf subjektive Empfehlungen, die der Autor aufgrund von Beobachtung deduziert hat; bautechnische Vermessungen, eine Proportionslehre, Säulenordnungen oder ähnliche theoretische Ausführungen wie sie zahlreichen Architekturtraktaten jener Zeit gemeinsam sind, wird der Leser hier nicht vorfinden. Die zwar gelehrten, aber architekturtheoretisch laienhaft vorgetragenen Empfehlungen richten sich nämlich wie schon eingangs erwähnt nicht an Fachleute, sondern an die »Masse« unterschiedlich gebildeter Bauherren und erfüllen damit einen eher ideologischen als wissenschaftlichen Zweck. Mit »Masse« meine ich den in Polen-Litauen im Vergleich zum übrigen Europa zahlreichen Adelsstand. Er betrug hier etwa 10 bis 15 % der Gesamtbevölkerung und zeichnete sich in der Frühneuzeit durch einen vergleichsweise breiten Anteil des ländlichen Mitteladels aus. In der Kurzen Baulehre ist also ein für diese Schar leicht nachvollziehbares ikonographisches Muster für den Bau einer ländlichen polnischen Residenz beschrieben. Dieses Muster hatte eine national identitätsstiftende Rolle zu erfüllen, denn obwohl es auf Strukturelementen und Kriterien beruhte, die – vor allem von Vitruvius, Palladio und Scamozzi stammend – auch in anderen Ländern verwendet wurden, konnte es aufgrund der gesellschaftspolitischen Struktur nur in Polen-Litauen zu einem »Massenphänomen« werden und damit als identitätsstiftend gewertet werden.6
Haurs »Allgemeine Landwirtschaftsökonomie« Unterstützt wird dieser Ansatz durch das einige Jahre später von Jakub Kazimierz Haur publizierte Werk mit Empfehlungen und Anweisungen zu Agrarwirtschaft und Gutsherrschaft. Hier in der Oekonomika ziemianska ´ generalna (Allgemeine Landwirtschaftsökonomie) findet sich das, was die Kurze Baulehre vermissen lässt – ein Grundriss und ein schematischer Aufriss für ein polnisches Landhaus. Haur präsentiert zwar nur einen Grundriss, beschreibt aber zwei, nämlich einen für ein Bauernhaus und einen für ein ländliches Herrenhaus. Die in der Schrift veröffentlichte Zeichnung präsentiert eine Kompilation von beiden |Abb. 1 |. Der rechteckige Grundriss ist dreigeteilt: An die zentrale Achse, in
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1 Grundriss eines »polnischen« Landhauses, aus: Jakub Kazimierz Haur: Oekonomika ziemia nska ´ generalna, Krakau 1679, S. 13
der sich drei Räume befinden, schließen rechts und links Appartements an. Die Zeichnung zeigt rechts einen großen Saal »Z«, der in dieser Disposition für das Bauernhaus vorgesehen ist, während in der zentralen Achse ein Vorraum »S«, dahinter die Küche »K« und – mit »A« gekennzeichnet – die Vorratskammer platziert sind. Beim Herrenhaus sollten der rechte große Saal in zwei kleinere Wohnräume geteilt werden, während der große repräsentative Speisesaal »C« – so wie schon der Anonymus empfahl – in der zentralen Achse hinter dem Vorraum zu platzieren sei, denn Küche und Vorratskammer sollten aus den vornehmen Herrenhäusern in die umliegenden Wirtschaftsgebäude ausgelagert werden. Mit »W« werden sodann zwei vor die Fassade an der Gartenseite tretende und durch eine Galerie »G« miteinander verbundenen Eckrisalite oder Türme bezeichnet, in denen eine Bibliothek oder ein Kabinett und eine Hauskapelle einzurichten sind.7 Deutlich sichtbar zeigt sich hier, dass Haur auf die Struktur der italienischen Renaissancevillen zurückgreift – die Villa Farnesina für Agostino Chigi von Baldassare Peruzzi (1508–1511), oder die frühen Villen Palladios – Caldogno (1545) oder Pisani in Bagnolo (1542–1544), könnten hier in Erinnerung gerufen werden.
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2 Aufriss eines »polnischen« Landhauses, aus: Jakub Kazimierz Haur: Oekonomika ziemia nska ´ generalna, Krakau 1679, S. 15
Haurs schematischer Aufriss zeigt ein eingeschossiges siebenachsiges Gebäude mit einem zentralen Eingang und hohem, mit Kaminen bekröntem Walmdach |Abb. 2|. Denkt man an die Typologie des Adelssitzes des Anonymus in der Kurzen Baulehre, entspricht dieses Schema dessen allgemeiner Beschreibung für ein Herrenhaus. Dies und der vordergründige Primitivismus der Disposition und der Gestaltung sind jedoch kein Zufall, denn es sollte ja ein Muster für die breite Masse des Adels sein – eines, das unkompliziert ist und in dieser Form auch von den regionalen Handwerkern realisiert werden konnte. Eine stärker ausgeprägte Differenzierung hätte diesen Zweck verfehlt. Haur betont selbst, dass es sich hier um ein allgemeines Schema handele, das wunschgemäß wandelbar sei. Auch in dieser Schrift findet der Leser keine weiteren architekturtheoretischen Ausführungen oder Darstellungen. Das Werk entspringt der Tradition und den Bedürfnissen vor allem des zahlreichen mittleren Adels in Polen-Litauen und gibt Anweisungen zu Führung und Gestaltung der dortigen Landwirtschaft und der Gutsherrschaft. Das hier entworfene Bild eines adeligen Herrenhauses wie auch die Beschreibung des Anonymus in der Kurzen Baulehre uniformieren den ländlichen Adelssitz, sie liefern der Adelsnation ein konkretes Muster, eine Vorlage zum Bau eines polnischen ihrem Habitus entsprechenden Wohnhauses. Beachtenswert ist, dass beide Publikationen in die Epoche der Hochkonjunktur der sogenannten »sarmatischen Adelskultur« in Polen-Litauen fallen. Sie können auf der einen Seite als Ergebnis, auf der anderen Seite als Propaganda dieser Kulturideologie gelten, denn ihr wesentliches Charakteristikum bildet die Verherrlichung des Landlebens.
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Der Sarmatismus als Kulturideologie Keine der beiden erwähnten Schriften, weder die lediglich 30 Seiten umfassende anonym verfasste Kurze Baulehre noch die wesentlich umfangreichere Schrift von Haur, ist revolutionär, denn beide stellen eher ein simples Resümee der bisherigen Entwicklungen im adeligen Wohnbau seit dem 16. Jahrhundert dar. Sie erfinden nicht das polnische Herrenhaus, sondern halten es als solches fest und kodifizieren als typisch für einen polnischen Herrn. Vielmehr sind diese Schriften als propagandistisch zu bezeichnen. Schriften, in denen das Landleben und die ländlichen Wohnqualitäten gepriesen werden, lassen sich nämlich mit einem gesellschaftspolitischen und kulturellen Wandel, der um die Mitte des 17. Jahrhunderts in Polen-Litauen stattfindet, verbinden. In dieser Epoche verändert sich die für den polnischen Adel charakteristische Kultur des Sarmatismus von einer genuin historiographisch und politisch konnotierten Kulturform hin zu einer Kulturideologie des Adels, für die das Landleben als typisch sarmatisch und zugleich als polnisch gilt und zu einem der wichtigsten Charakteristika dieser Kulturideologie wird. Auch die Identifikation des Sarmatischen mit dem Polnischen kann erst für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts und damit für die Herrschaftszeit von Johann III. Sobieski und nicht zuletzt die Zeit der Verbreitung der beiden erwähnten Schriften als geltend angenommen werden. Zuvor durchlaufen die Begriffe Sarmatien, Sarmaten und der Sarmatismus einen Wandlungsprozess, der aber keine allgemeingültige Definition des Sarmatismus selbst erlaubt. Ganz im Gegenteil, schon die polnischsprachige Forschung wies auf die Vielschichtigkeit dieses kulturellen Phänomens hin, das seine Wurzel in der Genese des Sarmaten-Volkes hat.8 Zunächst übernahm die humanistische Geschichtsschreibung die Begriffe Sarmaten und Sarmatien aus der mittelalterlichen Historiographie. Für die Zeit vom Ende des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts verstand man unter dem Sarmatismus sodann eine durch den Adel vertretene Weltanschauung (Roszak, Ulewicz) oder eine Form von Lebensführung und Kultur sowie ein politisches Programm (Cysnarski).9 Anke Heynoldt meint, die polnische Kulturgeschichtsschreibung erfasst den Sarmatismus als eine »epochenübergreifende verbindende Kulturformation. Dabei wird das ›sarmatische‹ (dort in der polnischen Kulturgeschichtsschreibung) entweder weiterhin als das ›einheimische‹ gegenüber dem ›europäischen‹ definiert oder als das ›einheimische‹ im ›europäischen‹.«10 Zuletzt hat der Historiker Hans-Jürgen Bömelburg eine »differenzierende Verwendung« des Begriffes Sarmatismus vorgeschlagen, die explizit auf die Wandlung der Begriffe Sarmaten, Sarmatien und Sarmatismus vor dem Hintergrund der gesellschaftspolitischen Veränderungen in Polen-Litauen vom Mittelalter bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts hinweist. Zuerst versteht Bömelburg den Sarmatismus als »humanistische Konstruktion einer Großregion Sarmatia von der Antike bis zur Frühneuzeit, die einen direkten Rückbezug auf die antike Zivilisation« herstellt.11 Bömelburg bezieht sich hier auf die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche (15.–16. Jahrhundert) humanistische Geschichtsschreibung, eine – man muss es an dieser Stelle betonen – gesamteuropäische Tradition, in der die Begriffe Sarmatien und Sarmaten unter Ein-
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beziehung antiker Quellen für die Genealogie der slawischen Völker ausformuliert wurden. Bereits von den mittelalterlichen Historiographen wie etwa Flodoard von Reims, Gervasius von Tilbury oder Jan Długosz, die die Termini Sarmatien und Sarmaten für die Bezeichnung der slawischen Völker den antiken Schriften (Herodot, Ptolemäus) entnommen haben, wurde diese Ahnentradition propagiert.12 Die Jagiellonendynastie auf dem polnischen Königsthron bediente sich sodann des humanistischen Interesses an der Geschichte und der Historiographie, um diese für ihre politischen Propagandazwecke zu nutzen. Das Großreich der Jagiellonen erstreckte sich vom Baltikum im Norden bis zur Oder im Westen und umfasste ausgedehnte Gebiete im Osten Europas (Litauen, Ruthenien, Ukraine, teilweise Wolhynien bis zum Schwarzen Meer). Um ihre Herrschaft über dieses Territorium zu legitimieren, förderten die Jagiellonen die Geschichtsschreibung, in der die Abstammung der polnischlitauischen Gesellschaft von den diese Gebiete ursprünglich bewohnenden Sarmaten hergeleitet wird. Während bei dem Chronisten Jan Długosz diese Idee nicht offen ausgesprochen wurde, wendete sich Maciej Miechowita (1517) in seiner Beschreibung des asiatischen und europäischen Sarmatiens gegen andere europäische Historiographen wie Flavio Biondo, Enea Silvio Piccolomini (Pius II.) und Marcantonio Sabellico, die die Wiege der Slawen in Asien suchten. Miechowita kreierte nämlich eine europäische Genealogie der Slawen (und damit auch der Polen) von Jawan, Sohn von Jafet, Noahs Enkel und den mit ihnen damit verwandten griechischen Stämmen der Hellener und Äolier, von denen die letzteren über Südosteuropa in den Norden in die Gebiete von Polen-Litauen eingewandert sein sollen. Diese bis in die Antike reichende Genealogie sollte die Bedeutung der Herrschaft von Sigismund I. (1506–1548) stärken. Die Litauer hingegen leitete Miechowita von den Italienern ab, die in diese Gebiete eingewandert seien und das Großherzogtum Litauen begründet haben sollen.13 Den Ursprung der Jagiellonen als litauisches Fürstengeschlecht hat Maciej Stryjkowski (1582) auf Palemon, einen aus dem antiken Venedig stammenden Fürsten, zurückgeführt. Diese Genealogie des litauischen Adels kollidierte nicht mit der Herleitung der Slawen von den Sarmaten, denn Palemon galt als Einwanderer, der sich mit den Sarmaten verbunden und einen neuen Stamm mit gemeinsamer italienisch-lateinischer Sprache gegründet haben soll.14 Die Konstruktion des Sarmatenlandes hatte ihre Gültigkeit auch im internationalen Schrifttum – so findet sich in der Schedelschen Weltchronik (1493) ein möglicherweise von Conrad Celtis verfasster Beitrag De Sarmacia regione Europe, und in der Straßburger Ptolemäus-Ausgabe von 1513 hat Martin Waldseemüller eine Tabula moderna Sarmatie konzipiert und die Bezeichnung Sarmatien für Osteuropa popularisiert. Mit Sarmatien identifizierte man in dieser Epoche also entweder allgemein Gebiete in Osteuropa oder die des multiethnischen und multinationalen Jagiellonenreiches, aber nicht ausdrücklich das polnische Königreich.15 Die Situation änderte sich nach der Bestätigung der Union Polens mit dem Großherzogtum Litauen 1569. Autoren wie Stanisław Sarnicki, Erasmus Glichner, Krzysztof Warszewicki und Wojciech De¸bołe ¸ cki identifizierten Sarmatien nun explizit mit Polen. Dass die Polen als Nachkommen der antiken Sarmaten gelten, da sie dieselben Gebiete bewohnten,
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wurde folglich auch von europäischen Gelehrten wie Erasmus von Rotterdam oder Philipp Melanchthon unterstützt. Der letztere glaubt in seinem Brief über die Herkunft der Nation der Veneter, Polen oder Sarmaten Polen als Nachkommen der gebildeten Veneter-Sarmaten zu erkennen.16 In der Frühneuzeit verändert sich auch die gesellschaftliche Genese der Nachkommen der Sarmaten. Während im Mittelalter die Ableitung der Slawen aus Sarmatien die Gesamtbevölkerung umfasste, wurde diese Tradition seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ausschließlich auf das Adelsgeschlecht bezogen.17 Bedeutende Auswirkung auf diese Entwicklung hatte die Wandlung des politischen Systems in Polen-Litauen von einer Monarchie hin zu einer sogenannten Adelsrepublik im Laufe des 16. Jahrhunderts. Schon 1497 während der Parlamentsversammlung in Petrikau wurde der königliche Rat in ein parlamentarisches Kabinett umgewandelt; 1505 wurde das Parlament zweier Kammern berufen, der Abgeordneten- und der Senatorenkammer. Damit bildete sich ein Gegengewicht zur königlichen Macht. Bestärkt wurde das neue Verhältnis der Eliten zueinander durch die Wandlung der bereits existierenden Personalunion zwischen Königreich Polen und Großherzogtum Litauen in eine »reelle« Union, welche mit der Annahme einer neuen Staatsverfassung und zugleich mit der Stärkung der Rechte des Parlamentes und des Adels gegenüber dem Monarchen einherging. Als Höhepunkt dieser Entwicklung kann die erste freie Königswahl 1573 angesehen werden, an der alle Adelsvertreter teilnehmen konnten (sejm elekcyjny).18 Der König wurde zum primus inter pares – zum höchsten Beamten der Republik Beider Nationen auf Lebenszeit und zugleich zum Vertreter der Interessen führender Eliten. Seit der Einführung des Wahlkönigtums stand der Adel in einer anhaltenden Konkurrenz mit dem Königshof.19 Und es war der Adel, der sich als standesgemäßer Vertreter der gesamten Nation, gar die Nation selbst verstand, und zugleich als Normgeber und als Wächter über Normen und Verhaltensweisen auftrat.20 Allgemein als Schlachta bezeichnet, bildete der Adel allerdings keine homogene und geschlossene Schicht, denn nach der Lubliner Union 1569, der offiziellen Bildung des polnisch-litauischen Großreiches und der Reformation, verwandelte sich das Land in das territorial am meisten ausgedehnte in ganz Europa, in ein multiethnisches und multikonfessionelles Konglomerat mit einer relativen konfessionellen Toleranz.21 Zugleich avancierte im 16. Jahrhundert – ähnlich wie in anderen Regionen Europas – eine Reihe von Mitgliedern der mittleren Schlachta aufgrund der erworbenen materiellen Vermögen zur Magnaterie (Hochadel). Insgesamt entstand in Polen-Litauen eine im europäischen Vergleich breite Schicht eines mittleren, vornehmlich ländlichen Adels.22 Das Erstarken des Adels, das sich selbst als Nation begriff, blieb nicht ohne Einfluss auf dessen Habitus. Trotz der inneren ständischen Differenzierung trat der Adel prinzipiell für die Gleichstellung aller seiner Mitglieder ein. Die damit verbundene Stärkung des Selbstbewusstseins jedes Einzelnen, unabhängig von Amt und wirtschaftlicher Lage, erforderte Maßnahmen, die die Einheit und förmliche Gleichstellung nach außen hin betonten. Die territoriale Ausdehnung nach Osten gebot zugleich Schritte, die den Anspruch auf die Herrschaft über die neuen Gebiete und deren Legitimation unterstützten. Im Sarmatismus fand man ein Fundament, das all diesen Erfordernissen genügen konnte.
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Im Laufe des 17. Jahrhunderts konsolidierte sich sodann die Adelsgesellschaft im Rahmen der Polonisierung, Katholisierung und insbesondere des Sarmatismus.23 Letzterer entwickelte sich im Laufe des 16. und frühen 17. Jahrhunderts von seiner historiographischen Grundlage hin zu einer massenwirksamen Ideologie und erlebte seine Blütezeit während der Herrschaft Johann III. Sobieskis (1674–1696). Die historisch-mythische Ableitung der in diesem Gebiet unter den Jagiellonen seit Mitte des 14. Jahrhunderts vereinten Adelsgesellschaft wurde nun vom Adel selbst politisch instrumentalisiert und als wichtiges Mittel gesellschaftspolitischer Propaganda eingesetzt. Wie schon von den Jagiellonen wurde sie jetzt von der Aristokratie als Argument für die Herrschaftslegitimation und das Eigentumsrecht auf diesem Gebiet sowie für die Expansion nach Osten und Südosten eingespannt.2 4 Bömelburg fasst diesen Kontext des Sarmatismus unter dem Begriff »sarmatische Adelskultur« zusammen: diese könne als »die unifizierende, den ganzen polnischlitauischen Reichsverband des 17. Jahrhunderts übergreifende adelige Massenkultur gefasst werden, die durch Kleidung, Gestik und Rhetorik Zugehörigkeits- und Differenzerfahrung förderte«.25 Diese adelige »Kulturformation«, welche in der Übernahme der Tradition des Rückbezuges auf die Sarmaten und Sarmatien das ganze Reich erfasste, entwickelte im Laufe des 17. Jahrhunderts das »polnische Nationsbewusstsein«.26
Ikonographien des Sarmatismus: Das »sarmatische Porträt« Stellt man nun die Frage nach dem bildhaften Ausdruck dieser gesellschaftspolitisch gestützten Kulturideologie, welche der Adelsnation als Mittel nationaler Identifikation diente, so stößt man erneut auf eine Vielschichtigkeit, nämlich die der Ikonographien. Aufgrund der topografischen Verortung von Sarmatien im Osten Europas und der Wanderwege der sarmatischen Stämme wurde ein Bezug zum Orient konstruiert. Er äußerte sich insbesondere in der Vorliebe für eine orientalisch anmutende Mode, aus dem Orient stammende Dekorationsgegenstände und orientalische Militaria.27 Seinen künstlerischen Ausdruck fand der »sarmatische Orientalismus« in den Bildnissen, den sogenannten »sarmatischen Porträts«.28 Als Beispiel sei hier das Gruppenbildnis von Zbigniew Olesi´nski mit seinen drei Söhnen Jakub, Jerzy und Maksymilian angeführt, das um die Mitte des 17. Jahrhunderts von einem unbekannten, wahrscheinlich aus Masowien stammenden Künstler gemalt wurde |Abb. 3|. Die Protagonisten erschienen im »sarmatischen Porträt« – wie auch in diesem Bildnis – in einer Ganzkörperdarstellung oder als Brustbild, in der Regel frontal zum Betrachter gerichtet, in ein repräsentatives Kostüm gekleidet, bestehend aus einem langen, einreihig geschlossenen, aus kostbarsten Materialien gefertigten Mantel mit kurzem Kragen (kontusz) und einem ebenso langen einreihig geschlossenen, aus Ungarn übernommenen Unterkleid (z˙upan). Die Taille wurde mit einem nicht weniger kostbaren Gurt (pas kontuszowy) orientalischer Herkunft umwickelt. Die repräsentative Oberbekleidung wurde mit einem häufig auch mit Pelz unterfütterten langen Obergewand (delia) ergänzt. Im Olesi´nski-
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Porträt reiht sich die Nachkommenschaft vor ihrem Vater in einer nicht minder stolzen Pose wie der Erwachsene und in gleicher »sarmatischer« Kleidung ein – sie soll die Fortführung der Tradition und des Geschlechts sichern. Als Würdezeichen fügten die Künstler nicht selten mit Edelsteinen und aus Gold gefertigte Amtszeichen hinzu.29 Charakteristisch für solche vornehmlich männlichen Darstellungen war die Haarfrisur, die sich durch einen hochrasierten Nacken oder kahlgeschorenen Köpf auszeichnete und der Frisur der Osmanen ähnelte. Gemeinsam war der sarmatischen Porträtform eine realistische Darstellung des Antlitzes, ein Stilmittel, welches der westeuropäischen Tendenz zur Idealisierung im höfischen Porträt entgegengesetzt war. Die Darstellungsform war flächig, die Konturenführung scharf und deutlich abgesetzt.30 Die polnischsprachige Forschung bezweifelt diese Charakteristika als eine Gemeinsamkeit, welche eine eigenständige Bildgattung unter dem Begriff »sarmatisches Porträts« herausstellen lassen, und meint, sie seien den westeuropäischen verwandt oder von ihnen abgeleitet und ihnen untergeordnet, und wertet als einen regionalen Primitivismus ab.31 Dennoch haben wir es hier eindeutig mit einem für eine konkrete Gemeinschaft typischen Repräsentationsporträt zu tun, welches eine für den »polnischen« Adel charakteristische Bildikonographie entwickelt, die als Erzeugnis der sarma- 3 Unbekannter Künstler aus tischen Kultur zu erkennen ist. Es kann auch als ein Identi- Masowien: Zbigniew Olesin´ ski mit seinen Söhnen Jakub, Jerzy fikationsmittel und Zugehörigkeitszeichen zur sarmatisch- und Maksymilian, um 1654, Öl polnischen Adelsgemeinschaft gesehen werden. Wesentlich zu auf Leinwand, 211 × 110 cm, Schloss Liwa, Rüstungsmuseum bemerken ist, dass diese äußere Stilisierung der männlichen Adelsvertreter zu einem Kleidungskodex unter den Adelseliten und in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zur national polnischen Tracht avancierte und bis ins 20. Jahrhundert als solche in repräsentativen Porträts zelebriert worden ist.32 Dass es sich dabei um ein Stilmittel handelt, dessen Ziel ein nationales Bekenntnis war, davon zeugen auch die Herrscherporträts. Denn auch der König selbst – der sich als »König der Sarmaten« verstand – ließ sich als solcher porträtieren. Als Beispiel können hier die Porträts von Johann III. Sobieski genannt werden, der sich sowohl als Sarmat wie auch, den westeuropäischen Monarchen folgend, im antiken Kostüm als Imperator hat darstellen lassen.33 Der Kurfürst von Sachsen und König von Polen-Litauen August III. versäumte es ebenfalls nicht, sich mit dem polnischen Adel (und damit der polnischen Nation) zu solidarisieren oder gar zu identifizieren, und ließ sich von Louis de Silvestre 1737 in einer »polnischen Tracht« darstellen.3 4
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Ikonographien des Sarmatismus: Der Adelssitz Anders gestalten sich die Repräsentation und die nationale Identifikation in der Wohnarchitektur. Im Rahmen der sarmatischen Kulturideologie wird für sie eine spezifische Bauikonographie, deren Strukturelemente als identitätsstiftende Architekturcodes fungieren, entwickelt. Erinnert man sich nochmals an die eingangs vorgestellten Schriften, dann wird deutlich, dass für die Wohnarchitektur des Adelsstandes nicht der Orientalismus charakteristisch war – auch wenn man die Innenräume gerne mit Gegenständen orientalischer Herkunft wie zum Beispiel Wandtapisserien schmückte –, sondern die klassische Form einer Villa. Deren grundlegenden Strukturelemente und ihre Abwandlungen gemäß dem polnischen Habitus werden zur Bauikonographie als Architekturcodes herausgebildet. Dass gerade der Grundriss einer klassischen palladianischen Villa zum Vorbild eines polnischen Adelssitzes gewählt worden ist, rührt aus der breit propagierten Landliebe als spezifisch polnische Lebensform im Rahmen der sarmatischen Adelskultur. Jene Adelskultur manifestierte sich in einer Ahnentradition, gepaart mit republikanischen Idealen und in einer eigenständigen Antikenrezeption, die auf die humanistische Geschichtsschreibung und die in der Renaissance einsetzende Antikenrezeption in der Kunst und Architektur zurückgeht. Der Sarmatismus bildet also ein Konzept, das sich offenbar aus den Rahmen allgemeineuropäischer Kunst- und Kulturströmungen heraus entwickelt hat. In diesem Kontext kann seit Beginn des 17. Jahrhunderts bei den Bauunternehmungen des Adels ein offensichtliches Interesse an der klassizisierenden italienischen Architektur, insbesondere an dem Villenkonzept, beobachtet werden. Die Verherrlichung des ländlichen Lebensstils durch den Adel und ihr Bezug zum Land als Herrschaftsterritorium, die gerade auch durch die Architekturschriften propagiert werden, bilden ein wesentliches Charakteristikum, das sich vor dem Hintergrund der aus der römischen Antike hergeleiteten Idee der Villa als Lebensstil mit der Antikenrezeption im Barockzeitalter verschränkt. Diesem barocken Interesse an der klassizisierenden italienischen Architektur geht in Polen eine Antikenrezeption der Renaissance voraus. Sie wurde in dieser Region wie anderswo in dieser Epoche durch die humanistischen Kreise, zum Beispiel die von Conrad Celtis gegründete Sodalitas Litteraria Vistulana, vorbereitet, wobei als treibende Kraft zuerst der Königshof von Sigismund I. und Sigismund August auftrat. Die Förderung des Humanismus und der Renaissancekunst und Architektur verstärkte sich als Sigismund I. 1518 die Mailänder Herzogstochter Bona aus dem Hause Sforza heiratete. Das große Interesse des Königshofes an den antikisierenden künstlerischen Formen der italienischen Renaissance, das sich unter anderem in dem von Francesco Fiorentino, Bartholomeo Berecci und Meister Benedikt 1507–1536 errichteten Arkadenhof im Königsschloss auf dem Wawel und einem weiteren ähnlich gestalteten in Niepołomice (1550–1571) artikuliert, wird vor allem damit erklärt, dass es ein geeignetes Mittel für die königliche Repräsentation gewesen sein soll. Es deckt sich aber zugleich mit dem historiografischen Schrifttum, das die Sarmaten aus dem europäischen Süden herleitet. Das Interesse an der Renaissancekunst aus Italien hat neben der
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repräsentativen auch eine propagandistische Funktion. Vom Adel wurde es in dieser Epoche vor allem des Prestiges wegen nachgeahmt.35 In einem Wettstreit mit dem König lag es nahe, ihm in dieser Beziehung nachzueifern, sogar zu übertreffen. Eine noch größere Vorbildfunktion als die beiden ausgedehnten vierflügeligen Schlösser sollte in der Renaissance jedoch das kleinere auf mittelalterliche Wohntürme zurückgehende königliche Schloss in Petrikau annehmen, ein Werk von Meister Benedikt |Abb. 4|. Die mächtige aber schlichte Fassade, die an die französischen Donjons erinnert, entsprach in der Renaissance dem herrschaftlichen Anspruch des zahlreichen polnischen Adels mehr. In den besonders in östlichen Gebieten stets gefährdeten Territorien war in der Renaissance auch der Bau eines mit Eckrisaliten oder Ecktürmen versehenen Kastells populär. Als Beispiel kann das von Rafał Leszczy´nski in Gołuchów auf einem quadratischen Grundriss mit polygonalen Bastionen vierstöckig errichtete Kastell genannt werden.36 Ab Ende des 16. Jahrhunderts lässt sich 4 Meister Benedikt: Königsschloss in Piotrków gleichzeitig mit der Wandlung des gesell- Trybunalski (Petrikau), 1512–1519, Ansicht vom Süden, aktueller Zustand schaftspolitischen Systems zum Wahlkönigtum und der damit einhergehenden Stärkung des Adels, eine Bewegung beobachten, die einerseits große Paläste oder Schlösser für die vermögende Magnaterie und anderseits für den weniger vermögenden Adel in ihren Abmessungen kleinere, auf dem Grundriss einer italienischen Villa basierende Herrensitze hervorbrachte. Fortgeführt wurde der Bau befestigter rechteckiger Residenz, mit einem breiten Innenhof (Baranów, 1591–1606) oder in gestreckter Form (Ksia˛z˙ Wielki, 1585–1595). Ab Anfang des 17. Jahrhunderts verstärkt sich der Bau von Adelssitzen, die an den norditalienischen Villengrundriss anknüpfen mit zum Teil vorgelagerten Ecktürmen wie im Bischofspalais in Kielce (1637–1641) |Abb. 5|. Das mit Bastionen befestigte Schloss öffnete nun seinen Mittelbau mit Eckrisaliten zu einer Dreiflügelanlage. Als prägnantes Beispiel kann hier das in Form eines palazzo in fortezza errichtete Schloss in Podhorce (1635–1640) erwähnt werden |Abb. 6|. All diese Formen werden in der Kurzen Baulehre als Typen adeliger Wohnarchitektur in Polen erwähnt. In der polnischen Architekturlandschaft gewinnt jedoch seit dem Frühbarock der bereits erwähnte
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5 Giovanni Battista Trevano (?): Bischofspalais in Kielce, 1637–1641, moderne Rekonstruktion des Grundrisses des Obergeschosses
Grundriss eines ländlichen Palastes auf villenförmigem Grundriss an Bedeutung. In dieser Zeit hat in Polen das Ideal des Landlebens der Schlachta auf der einen Seite und der Versuch der Humanisten, ein Bild der antiken Villa – vermittelt durch römische Autoren (Plinius, Epistulae, 9, 07) – zu rekonstruieren, auf der anderen Seite, zur Etablierung eines italianisierenden Villentypus geführt. Der Kult des ländlichen Lebens, der von den barocken Dichtern (Piotr Zbylitowski, Hieronim Morsztyn, Wespazjan Kochowski) propagiert wurde, beeinflusste die Aufnahme des italianisierenden Villentypus unter den gebildeten Adelsvertretern, fand aber eine stärkere Verbreitung auch unter dem weniger vermögenden und weniger gebildeten mittleren Adel.37 Denn der Kult des ländlichen Lebens gehörte wie schon angesprochen zu den zentralen Elementen der die Adelsgesellschaft prägenden Kultur des Sarmatismus. Er brachte den Bezug zum Land, zum Grundbesitz, zum Territorium noch stärker zum Ausdruck und legitimierte zugleich den Besitzanspruch und die Herrschaft darüber, offenbarte nicht zuletzt aber auch die kulturelle Stärke des Adels. Berücksichtigt man nämlich die Ahnengeschichte, die die polnisch-litauische Adelsgesellschaft bis zu klassisch-
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6 Andrea dell’ Aqua und Guillaume Levasseur: Schloss Podhorce (Pidhirci, Ukraine), 1635– 1640, aktueller Zustand
antiken Wurzeln zurückführt, verwundert es nicht, dass die Ideologie des Sarmatismus ihre Entsprechung in der Villeggiatura des 16. Jahrhunderts in Venedigs terra ferma fand.38 Für die Architektur des 17. Jahrhunderts in Polen-Litauen im Kontext des Sarmatismus gilt also nicht der Orient, sondern Italien als Vorbild, insbesondere die Villenarchitektur der italienischen Renaissance. Dieses Interesse schlägt zugleich eine Brücke zum klassischen Altertum und dem arkadischen Leben auf dem Land, das in Polen-Litauen als Idealbild angestrebt und verbreitet wurde.39 Es handelt sich dabei sowohl um die unmittelbare Übernahme von Mustern als auch um die Eingliederung ausgewählter Strukturelemente und die Entstehung neuer regionaler Formen im Dienste gesellschaftspolitischer Kommunikation, insbesondere der Identitätsstiftung für die Adelsnation. Vermittelt wurden die Ideen und baukünstlerischen Formen auf mehreren Wegen: durch das Studium antiken Schrifttums, die unmittelbare Anschauung von Zeugnissen antiker Baukunst auf Reisen, aber auch, seit dem Humanismus, durch die vornehmlich italienischen, die antike Kunst rezipierenden Architekturtraktate. In nahezu jeder Bibliothek eines Architekten im Dienst des Königs und des Adels, und in den Bibliotheken der gebildeten Bauherren waren die Traktate von Vitruvius oder den Vermittlern der antiken Bauformen wie Serlio, Palladio oder Scamozzi, und nicht zuletzt zahlreiche Barocktraktate, welche die früheren rezipieren, vorhanden. Zu ihrer Kenntnis trug jedoch auf eine bedeutende Weise auch das polnische Schrifttum bei.40 Unter Berufung auf Vitruvius lieferten die polnisch-
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sprachigen Autoren Anweisungen zum Bau ländlicher, den regionalen Voraussetzungen angepasster Architektur, womit ich zu der eingangs erwähnten Kurzen Baulehre und zu Haurs Oekonomika ziemianska ´ generalna zurückkehre.41 Während die mittlere Schlachta auf den klassischen Renaissance-Formen beharrte, nahm seit dem Ende des 17. Jahrhunderts die Magnatenschicht – vornehmlich die sogenannten »aufgeklärten Sarmaten«, also diejenigen, denen die aktuellen gesellschaftspolitischen und ideengeschichtlichen Entwicklungen in Europa durch die Ausbildung bekannt waren – bewusst die auf ganz Europa ausstrahlenden französischen Lösungen auf, insbesondere das Muster des Palastes entre cour et jardin, und inkorporierte sie den bestehenden italianisierenden und bereits den traditionellen Formen angepassten Baustrukturen. Die Bauform der Residenz selbst blieb aufgrund der Vorliebe für das Landleben noch nach den Vorbildern der italienischen Renaissance gestaltet. Das aus der Antike stammende Verständnis der Villa nicht nur als Bauwerk, sondern als Lebensform wurde als rationaler patriarchalischer Gesellschaftsentwurf angewendet.42 Dies war mit der Ideologie des Sarmatismus durchaus vereinbar. Daraus entstand in dieser Epoche eine Art »polnischer Villeggiatura«, die tief ins 18., aber auch noch ins frühe 19. Jahrhundert wirkte. Die aus dem Verständnis der antiken VillenArchitektur als Kompilation von Wohn- und Wirtschaftsgebäude und als Ausdruck von Würde und gesellschaftspolitischer Stellung des Villenbesitzers hervorgehende Anwendung des Begriffes und der Baustrukturelemente der Villa in der Renaissance erwies sich als geeignet zum Ausdruck der Würde und des Eigentumsrechts des Grundbesitzers in der Adelsrepublik, aber vor allem seiner Zugehörigkeit zur Res Publica (Rzeczpospolita), der Republik Beider Nationen, wie Polen-Litauen genannt wurde.
»Architekturcodes« bei Tilman van Gameren Der führende Architekt der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Polen-Litauen, Tilman van Gameren, verstand diesen Hintergrund offenbar ausgezeichnet. Die zahlreichen aus seiner Hand stammenden Adelspaläste basieren auf dem Muster einer italienischen Villa, das er in den Grundriss eines palazzo in fortezza oder später stärker in die Komposition entre cour et jardin inkorporiert. Das Villen-Muster konnte er aus verschiedenen Quellen beziehen. Sicherlich war van Gameren durch die Ausbildung bei dem holländischen Architekten Jacob van Campen stark geprägt. Nicht ohne Auswirkung auf van Gameren blieb das gesellschaftspolitische System Hollands im 17. Jahrhundert, vor allem das erstarkende nationale Selbstbewusstsein nach dem 30jährigen Krieg und die Bildung der Republik der Sieben Vereinigten Niederlande, sowie die damit verknüpfte Konstruktion einer eigenen Historiographie, die die Bataver als Vorläufer der eigenen Nation beanspruchte. Die Ausstattung des Amsterdamer Rathauses mit Gemälden von Jürgen Ovens zur Geschichte des Aufstandes der Bataver gegen die Römer im Jahr 69/70 n. Chr., durfte van Gameren nicht unbekannt gewesen sein. Dem Ursprung des holländischen Palladianismus ging er während seiner
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Reisen in Italien und vor allem während seiner Tätigkeit in Venedig nach. Nach Polen kam er mit dem ökonomisch wie politisch einflussreichen Magnaten Jerzy Sebastian Lubomirski, der ihn für den Militärbau benötigte.43 Dessen Sohn Stanisław Herakliusz Lubomirski wurde zum langjährigen Mäzen und Freund van Gamerens. Van Gamerens Entwürfe basieren in ihrem Kern auf der norditalienischen Architektur der Spätrenaissance und dem römischen Barock; seit den 1680er Jahren vornehmlich auf dem barocken Palladianismus holländischer Prägung. Das zeigt sich sowohl im Grundriss des Baukörpers als auch in der Gestaltung der Fassaden der von ihm gebauten Paläste und Herren7 Tilman van Gameren: Schloss Puławy, 1671–1676, moderne Rekonstruktion des Grundrisses des piano nobile häuser. Das Wesen seiner Arbeit liegt jedoch im souveränen Umgang mit den tradierten Architekturformen der Renaissance und des Manierismus und einer kreativen Gestaltung aktueller Formen, die er den regionalen Strukturen inkorporiert. 1671 entsteht ein richtungweisender Bau in Puławy, eine Residenz für seinen Mäzen, den Großkronmarschall Stanisław Herakliusz Lubomirski.4 4 Auf dem Grundriss eines Rechtecks errichtet van Gameren hier ein sieben- bzw. neunachsiges Bauwerk |Abb. 7|. Zeichnungen eines unbekannten Künstlers, angefertigt unmittelbar vor der Zerstörung des Schlosses 1706 zeigen, dass an den Ecken sich jeweils Pavillons vorschieben |Abb. 8|. Sie haben zwar ihren Ursprung in der Form des Poggio Reale von Sebastiano Serlio, spiegeln aber auch die Grundstruktur eines Landsitzes aus der Herrschaftszeit der Wasa-Dynastie in Polen im frühen 17. Jahrhundert wider, die van Gameren weiterhin, moderne Impulse berücksichtigend, zum populärsten Typus eines ländlichen Adelssitzes etablieren wird. An das in der mittleren Achse des Schlosses gelegene Vestibül schließen rechts und links zwei symmetrisch angeordnete Appartements an. Der wehrhafte Aufbau, auf den der Palast gesetzt wurde, knüpft an die in Polen bereits bekannte manieristische Form eines palazzo in fortezza an. In Puławy war der wehrhafte Aufbau einerseits durch seine exponierte und topographisch unsichere Lage am hohen Hang der Weichsel begründet, andererseits sollte er dem hohen Repräsentationsanspruch Lubomirskis Ausdruck verleihen. Zum Fluss hin entstand eine Aussichtsplattform mit zwei freistehenden Pavillons, die in der Achse der Pavillons an der Frontseite eingeordnet sind. In die Aussichtsplattform hat van Gameren aus dem
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8 Unbekannter schwedischer Künstler: Frontfassade des Schlosses in Puławy von Tilman van Gameren (erbaut 1671–1676), 1706, Bleistift- und Tuschezeichnung, braun laviert, 31,5 × 39,1 cm, Stockholm, Nationalmuseum
Baukörper eine Art sala terrena vorgeschoben, die im Bereich des Vestibüls in die Wand des Hauses einbiegt und insgesamt ein unregelmäßiges Achteck bildet. Der Rückgriff auf die italienische Renaissance ist in Puławy auch in der Fassadengestaltung sichtbar. Die Ecken des Sockels sind rustiziert, während den zentralen erhöhten Risalit ein in Polen bislang in dieser Form unbekannter, mit Reliefs geschmückter Giebel abschließt. Die Herkunft des Motivs kann wiederum sowohl in Holland bei Jacob van Campen vermutet werden – dieser hatte es schon in Mauritshuis in Den Haag 1635 und im Amsterdamer Rathaus 1648 bis 1665 realisiert – oder aber direkt in Italien: Palladio hat in seinem Traktat Quattro libri di Architettura ähnlich reliefierte Giebel vorgestellt. In Palladios Traktat ist es der Tempel von Castor und Pollux, der beide Elemente – einen reliefierten Giebel und Statuen – in sich vereinigt. Dem Frontgiebel entspricht an der Gartenseite ein einer Attika ähnelnder ebenso reliefierter Aufbau. Diese Giebelkonstruktion erinnert an Palladios Lösungen in den venezianischen Kirchen. Für die polnische und mitteleuropäische Architektur ist also hier die geschickte Kombination von neuen und tradierten Formen von Bedeutung: die Einführung eines repräsenta-
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9 Tilman van Gameren: Entwurf für den Sapieha Palast in Wielopole bei Warschau, 1690er Jahre, Kreidezeichnung, Maße unbekannt, Warschau, Universitätsbibliothek, Kupferstichkabinett, Kriegsverlust
tiven reliefierten Dreieckgiebels, die Umwandlung des Villengrundrisses in eine Palastform, in der zugleich die bekannte und bereits früher etablierte Form eines Mittelblocks mit angeschlossenen Eckpavillons oder Eckrisaliten – hier zu Appartements erweitert – aufgenommen wird, sowie eine bewusste Auseinandersetzung mit der Mittelachse des Palastes, in der das Vestibül und der Gartensalon liegen. Alle diese besonderen Elemente finden sind schon in dem anonymen Traktat von 1659 für einen Adelssitz deutlich angesprochen und in Haurs Zeichnungen eines polnischen ländlichen Herrenhauses veranschaulicht. Zu diesen Merkmalen gehört auch der Einsatz von Wehrmauern für Schlösser, die ihre Wehrfunktion in der Provinz zwar beibehalten, zugleich jedoch eine ästhetisch-repräsentative und symbolische Funktion als Ausdruck von Macht und Stärke des Bauherrn erfüllen. Van Gamerens Verzicht auf die Anwendung von Säulen hat seinen Ursprung sicherlich in Holland, wo Jacob van Campen den Einsatz von flachen Pilastern oder Lisenen als eine dezidiert republikanische Formensprache propagierte und die Fassaden des Amsterdamer Rathauses programmatisch mittels feierlicher korinthischer und kompositer Pilaster gegliedert hatte.45 Aber er fügte sich auch in das in Polen-Litauen vorherrschende Gleichstellungsverständnis der Eliten und gemeinsamer Zugehörigkeit zu einer Adelsrepublik, für die van
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Gameren baute. Säulenordnungen hätten den einen oder anderen Potentaten über seine Adelsnation erhoben. Nicht außer Acht sollte jedoch auch ein praktisches Argument gelassen werden – die Gestaltung von Pilastern oder Lisenen, teilweise ohne ausgeformte Kapitelle, war erheblich einfacher und preisgünstiger in der Herstellung als jene von Säulen. Gerade das letzte Argument bedingte die Popularität dieser vereinfachten Anwendung unter den regionalen Bauhandwerkern. Van Gameren variiert den Grundriss einer polnischen Villa mit angeschlossenen Eckrisaliten oder Eckpavillons für die Wohnhäuser des Adels, entwickelt ihn jedoch insofern weiter, als er hier vollwertige Appartements einbaut – mal als angeschlossene Eckpavillons wie im Sapieha-Palast, mal als Seitenflügel wie im Sandomierski-Palast in Warschau und in Branicki-Palast in Białystok |Abb. 9|. Die Quelle dieses Musters ist bislang nicht endgültig bestimmt worden.46 Auch ist nicht geklärt, wie viel Anteil daran die heimische Gutshausarchitektur hatte und wie viel das Eindringen internationaler Lösungen, vor allem Sebastiano Serlios Grundriss des Poggio Reale |Abb. 10|. Poggio Reale war in Polen schon seit der Renaissance bekannt (angewendet zum Beispiel für Justus Ludwig Decjuszs Villa in Wola Justowska bei Krakau um 1535). Der Einsatz von Eckpavillons oder Eckrisaliten, die im Laufe des 17. Jahrhunderts zu Appartements erweitert werden, hängt zugleich mit der Tradition der Turmbauten mittelalterlicher Burgen und Schlösser zusammen, welche nicht nur in funktionaler Hinsicht einen Schutz vor Angreifern boten, sondern darüber hinaus einen symbolischen Wert besaßen – sie brachten die Erhöhung des Herrn über seine Untertanen zum Ausdruck (im feudalen System von Polen-Litauen ein durchaus wesentliches Element). Ein Turm bezeugte die Machtstellung, die Gerechtigkeit und die Tugendhaftigkeit des Herrn und sollte nicht zuletzt als historische Assoziation des mittelalterlichen Wohnturms oder Donjons als Zeugnis der Herrschaftskontinuität und Gerichtsbarkeit betrachtet werden.47 Dies war auch der Grund für die bereits erwähnte Popularität des in der Tradition des Wohnturms im 16. Jahrhundert erbauten Königsschlosses in Petrikau. In Polen-Litauen hatte der Einsatz der turmartigen Eckrisalite sicherlich auch einen symbolischen Wert, man konnte mit ihnen die Residenzen der ritterlichen Beschützer der Heimat in Erinnerung rufen, die auch zum Inhalt der sarmatischen Kulturideologie gehörten. Die symmetrische und vergleichsweise einfache Raumstruktur einer Villa mit einem in der zentralen Achse disponierten Hauptraum, an den sich rechts und links Appartements anschließen, erwies sich als ein Muster, das sowohl von vermögenden als auch weniger vermögenden Adelsvertretern realisiert werden konnte. Traditionell implizierte es die Assoziation des für die kollektive Identität so wichtigen ländlichen Lebensstils. In pragmatischer Hinsicht erlaubte es die Verbindung eines repräsentativen Wohnobjektes mit praktischen Erfordernissen eines Gutshauses – nicht anders als in der italienischen terra ferma. Auffällig ist, dass das Muster nicht nur beim mittleren Adel zur Anwendung kam, sondern ab Mitte des 17. Jahrhunderts auch zum wesentlichen Vorbild für den höheren Adel, die Magnaterie und selbst den Monarchen wurde (Wilanów), häufig auch im repräsentativen (immer noch als traditionell polnisch betrachteten) Holzbau, für den van Gameren zahlreiche Entwürfe lie-
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10 Sebastiano Serlio: Grundriss des Poggio Reale, aus: Tutte l’opere d’architettura, 1619, Buch III, 122 v.
ferte, angewendet. Der Villengrundriss kann damit als ein Code – ein ikonographisches Identifikationsmuster mit uniformierter Zeichenstruktur, für die Adelsnation betrachtet werden. Zum Ende des 17. Jahrhunderts spaltet sich offenbar die Adelsnation in den im traditionellen Sarmatismus verharrenden mittleren Adel und eine gebildete, in der Regel auch sehr vermögende Adelsschicht, welche sich immer stärker auch den modischen, aus Frankreich und England eindringenden Architekturformen zuwendet. Als herausragendes Beispiel kann der Palast von Jan Dobrogost Bonawentura Krasi´ nski in Warschau gesehen werden. Krasi´nskis Vorstellung von »aufgeklärter« sarmatischer Repräsentation äußert sich einerseits in einer der französischen Mode entsprechenden Streckung des Baukörpers, durch die Einführung eines zentral angelegten Treppenhauses und durch die Verwendung des Musters entre cour et jardin, andererseits durch die Einführung bildplastischer Ausstattung, in der Geschichten über die vermeintlichen römisch-antiken Protoplasten der Bauherrnfamilie präsentiert wurden. Zu Anfang des 18. Jahrhunderts folgen die hochherrschaftlichen Paläste immer öfter dem französischen Schlossbau. Der ländliche Villenbau, nach dem polnischen Himmel und Brauch und nach Haurs Typologie kodifiziert und uniformiert, bleibt jedoch bis ins 19. Jahrhundert insbesondere für die Gutsherrschaft des mittleren Adels verbindlich.
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Letzterer hat nämlich den Sarmatismus, der in der Aufklärungszeit als eine rückständige und konservative Kulturideologie zu gelten begann, jedoch im Adelssitz aus den europäischen allgemeinbekannten Strukturformen eine polnische nationale Besonderheit kreierte, weiterhin als Mittel nationaler Identitätsstiftung gepflegt.
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1 Zur Genese und Stellung des Traktates im Rahmen des europäischen Schrifttums über Architektur vgl. Krótka nauka budownicza dworów, pałaców, zamków podług nieba i zwyczaju polskiego (1659) (Kurze Baulehre von Gutshäusern, Palästen und Burgen nach dem polnischen Himmel und Brauch), hg. v. Adam Miłobe˛dzki, Breslau 1957, S. 17 ff. (Nachwort). 2 Ibid. (»Przedmowa do moz˙ nych i dostatnich panów […] Bierzciez˙ tedy che˛c´ do tej budowniczej zabawy nie tylko dla wygody prywatnej, dla smaku, ukontentowania i wczasu własnego (lubo to najpierwsza), ale i dla ozdoby ojczyzny swej, która wiela˛ przymiotów równa albo lepsza nad inne kraje […])« (Vorwort an die edlen und vermögenden Herren […] Nimmt die Lust zu diesem Bauspiel nicht nur wegen der persönlichen Bequemlichkeit, des Geschmacks, Zufriedenheit und Vergnügen (wenn auch diese sind zuvorderst), aber auch für die Ausschmückung der eigenen Heimat, welche angesichts zahlreicher Vorteile genauso wenn nicht besser ist als die anderen Länder) (übers. I. Woldt). 3 Vgl. Reinhard Wittram: Das Nationale als europäisches Problem. Beiträge zur Geschichte des Nationalitätsprinzips vernehmlich im 19. Jahrhundert, Göttingen 1954, S. 10 f. 4 Zum Begriff »Vergemeinschaftungsform« vgl. Shmuel Noah Eisenstadt: Die Konstruktion nationaler Identitäten in vergleichender Perspektive, in: Bernhard Giesen (Hg.): Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, Frankfurt am Main 1991, S. 21–38. 5 Zur vermeintlichen Autorschaft des Adeligen Łukasz Opalin ´ ski vgl. Miłobe˛dzki 1957 (wie Anm. 1), S. 37–39 (Kommentar). 6 Zur Diskussion über den nationalisierenden Charakter der Schrift vgl. Miłobe˛dzki 1957 (wie Anm. 1), S. 19 ff. 7 Vgl. Jakub Kazimierz Haur: Oekonomika ziemian´ ska generalna (Allgemeine Landwirschaftsökonomie), Krakau 1679, S. 16–18. 8 Bei den Sarmaten handelt es sich nicht um ein mythisches Volk. Tatsächlich sind Sarmaten, auch genannt Sauromaten, als ein nordiranisches, mit den Skythen verwandtes Volk bekannt. Seit 600 v. Chr. sind sie in Südrussland, Südural und in der Ukraine am Schwarzen Meer nachweisbar. Bekannt sind ihre Wanderungen im osteuropäischen Raum sowie die Eingliederung der sarmatischen Soldatentruppen in das römische Heer in der Spätantike. 9 Vgl. Tadeusz Ulewicz: Sarmatia. Studium z problematyki słowian´skiej XV i XVI w. (Sarmatia. Studium zur slawischen Problematik des 15. und 16. Jh.), Krakau 1950, S. 30–31; Stanisław Cysnarski: Program polityczny sarmatyzmu (Das politische Programm des Sarmatismus), in: Seminaria Niedzickie. Zwia˛ zki artystyczne polsko-czesko-we˛ gierskie. Portret typu sarmackiego wieku XVII w Polsce, Czechach, na Słowacji i na Wegrzech (Niedzica-Seminarien. Künstlerische Verbindungen zwischen Polen, Böhmen und Ungarn. Das sarmatische Porträt im 17. Jh. in Polen, Böhmen, Slowakei und Ungarn), hg. v. Stowarzyszenie Historyków Sztuki. Oddział Krakowski Muzeum Narodowego w Warszawie (Kunsthistorikerverband. Krakauer Abteilung des Nationalmuseums in Warschau), Krakau 1985, S. 15–20; Stanisław Roszak: S´ rodowisko intellektualne i artystyczne Warszawy w połowie XVIII w. Mie˛ dzy kultura˛ sarmatyzmu i os´wiecenia (Das intellektuelle und künstlerische Umfeld Warschaus Mitte des 18. Jh. Zwischen der Kultur des Sarmatismus und der Aufklärung), Thorn 1997, S. 11 f. 10 Anke Heynoldt: Die polnische Kulturgeschichtsschreibung und das Problem Sarmatismus, in: Kultursoziologie 8/1991, S. 29–68, S. 56. 11 Vgl. Hans-Jürgen Bömelburg: Sarmatismus: Gelehrtes Konstrukt, politisches Programm, unifizierende Elitenkultur, politischer Bewegungsbegriff, unver. Typoskript für das Handbuch der Geschichte Polens, Bd. 1 (mit freundlicher Genehmigung des Autors zur Verfügung gestellt); id.: Frühneuzeitliche Nationen im östlichen Europa. Das polnische Geschichtsdenken und die Reichweite einer humanistischen
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Nationalgeschichte (1500–1700), Wiesbaden 2006, S. 409–418; Norbert Kersken: Geschichtsbild und Adelsrepublik. Zur Sarmatentheorie in der polnischen Geschichtsschreibung der frühen Neuzeit, in: Jahrbücher für Geschichte Europas, NF, 55/2004, S. 235–260. 12 Herodot (5. Jh. v. Chr.) hat die Sarmaten und Sarmatien territorial im Nordosten Europas, genauer gesagt östlich des Dons (Tanais) verortet. Ptolemäus (2. Jh. n. Chr.) unterteilte Sarmatien in einen asiatischen und einen europäischen Teil mit einer territorialen Grenze an der Donau; vgl. Ulewicz 1950 (wie Anm. 9), S. 150; Jan Długosz: Annales seu cronicae incliti regni Poloniae (1455–1480), Krakau 1511; Flodoardus Remensis: Chroniques féodales (918–978), hg. v. Philippe Lauer: Les Annales de Flodoard, Paris 1905, S. 296; Richerus Remensis: Historiarum libri quattuor, o. O. 991–998; Gervasius von Tilbury: Otia imperialia, o. O. 1209–1214; vgl. dazu Ulewicz 1950 (wie Anm. 9), S. 17–32. 13 Vgl. Długosz 1511 (wie Anm. 12); Ulewicz 1950 (wie Anm. 9), S. 30–31; Maciej z Miechowa: Opis sarmacji azjatyckiej i europejskiej (1517). (Die Beschreibung des asiatischen und europäischen Sarmatiens), Breslau 1972, S. 44–51, u. S. 64; Albertus Krantzius: Rerum germanicarum historici clarissimi, ecclesiastica historia, sive metropolis. De primis christianae religionis in Saxonia […] Poloniae gentisque et Reipublicae Poloniae descriptionis libri duo, Frankfurt am Main 1575, S. 28 u. S. 55. Andere folgen direkt Ptolemäus (Kosmographie) und suchen die Siedlungsgrenze der sarmatischen Stämme und Sarmatiens an der Weichsel oder an der Oder; Marcin Bielski: Kronika wszystkyego swyata (Weltchronik), Krakau 1551; Stanisław Sarnicki: Annales sive de origine et rebus gestis Polonorum et Lithuanorum, Krakau 1582; zum Sarmatismus und der Jagiellonenpolitik vgl. Adam Małkiewicz: Die Einstellung der letzten polnischen Jagiellonen zur Kunst, in: Die Jagiellonen. Kunst und Kultur einer europäischen Dynastie an der Wende zur Neuzeit, hg. v. Dietmar Popp u. Robert Suckale, Nürnberg 2002, S. 49–58; Edward Potkowski: Sarmatismus als politische Ideologie der jagiellonischen Dynastie, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung, NF, 45/1996, S. 364–379. 14 Vgl. Maciej Stryjkowski: Kronika polska (Polnische Chronik), Königsberg 1582; Ulewicz 1950 (wie Anm. 9), S. 120. 15 Vgl. Bömelburg (Sarmatismus) (wie Anm. 11), S. 2–3. 16 Vgl. Bömelburg (Sarmatismus) (wie Anm. 11), S. 4; Bömelburg (Frühneuzeitliche Nationen) 2006 (wie Anm. 11), S. 141–152; Kersken 2004 (wie Anm. 11), S. 248–250. 17 Vgl. Alexander Gwagnin (Guagninus): Sarmatiae Europeae descriptio, quae regnum Poloniae (1578), Speyer 1581. ˙ uchowski: Die Anfänge des ländlichen Adelssitzes. Hauptströme der polnischen 18 Vgl. Tadeusz J. Z Architektur der Wasa-Zeit und der adelige Wohnbau im Herzogtum Preußen, in: »Im Schatten von Berlin und Warschau«. Adelssitze im Herzogtum Preußen und Nordpolen 1650–1850, hg. v. Isabella Woldt u. Tadeusz J. Z˙uchowski, Berlin 2010, S. 19–34. 19 Michael G. Müller: Polen als Adelsrepublik. Probleme der neueren verfassungsgeschichtlichen Diskussion, in: Stände und Landesherrschaft in Ostmitteleuropa in der Frühen Neuzeit, hg. v. Hugo Weczerka, Marburg 1995, S. 100. 20 Vgl. Maria Bogucka: The Lost World of the Sarmatians, Warschau 1996, S. 15. 21 Vgl. Janusz Tazbir: Geschichte der polnischen Toleranz, Warschau 1977. 22 Zum Beispiel die Familien Opalin ´ ski, Leszczyn ´ ski, Potocki, Zamoyski, Koniecpolski, Lubomirski; vgl. dazu Józef Andrzej Gierowski: Rzeczpospolita w dobie złotej wolnos´ci (1648–1763) (Res Publica in der Epoche der Goldenen Freiheit), Krakau 2001, S. 13 ff.; id.: The Polish-Lithuanian Commonwealth, Krakau 1996; Janusz Tazbir: Rzeczpospolita i s´wiat (Res Publica und die Welt), Breslau 1971; id. (Hg.): Polska
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XVII wieku: Pan´stwo, społeczen´ stwo, kultura (Polen im 17. Jh.: Staat, Gesellschaft, Kultur), Warschau 1969. 23 Zur Katolisierung vgl. Henryk Litwin: Katolizacja szlachty ruskiej a procesy asymiliacyjne na Ukrainie w latach 1569–1648 (Die Katholisierung der russischen Schlachta und Assimilationsprozesse in der Ukraine in den Jahren 1569–1648), in: Maria Bogucka (Hg.): Tryumfy i poraz˙ki (Triumphe und Niederlagen), Warschau 1989, S. 51 ff.: Um 1620 waren die meisten der einflussreichsten russischen Magnaten-Familien (Czartoryski, Zbaraski, Zasławski, Wis´ niowiecki) zum Katholizismus übergetreten; Polnisch war zwar eine offizielle Sprache, dennoch dominierte Latein im Gebrauch. Die ethnische Zugehörigkeit basierte weniger auf Sprache als auf der territorialen Herkunft; dazu vgl. Janusz Tazbir: Procesy polonizacyjne w szlacheckiej Polsce (Polonisationsprozesse im adeligen Polen), in: ibid., S. 10 ff.; zur einenden Funktion des Sarmatismus vgl. Bogucka (Lost world) 1996 (wie Anm. 20), S. 6 ff.; Gierowski 2001 (wie Anm. 22), S. 15; Kraj skrzydlatych jez´dz´ców. Sztuka w Polsce 1572–1764 (Das Land der geflügelten Reiter. Kunst in Polen 1572–1764), Ausstellungskatalog, Warschau, Zamek Królewski (Königsschloss), 2000, Warschau 2000, S. 39–41. 24 Bömelburg (Sarmatismus) (wie Anm. 11), S. 1 (»Der Sarmatia-Begriff wie auch die sarmatische Traditionsstiftung boten ein politisch nutzbares Legitimationspotential und wurden so zu Bestandteilen politischer Programme, die außen- wie innenpolitisch von monarchischer wie adelig-ständischer Seite eingesetzt wurden.«). 25 Jene sei von dem Kampfbegriff des späten 18. Jahrhunderts unterschieden worden, mit dem die Modernisierung und Erneuerung der gesellschaftlichen Eliten gefördert wurde; Bömelburg (Sarmatismus) (wie Anm. 11), S. 1. 26 Bömelburg (Sarmatismus) (wie Anm. 11), S. 9. 27 Zu weiteren charakteristischen Merkmalen der sarmatischen Adelskultur wie Sprache, Gestus und dem Einfluss osmanischer Waren auf die materielle Kultur von Polen-Litauen vgl. Bömelburg (Sarmatismus) (wie Anm. 11), S. 9 f. 28 Zum sarmatischen Porträt vgl. Beiträge in: Seminaria Niedzickie 1985 (wie Anm. 9). 29 Vgl. zum Beispiel das Porträt vom Hetman Jan Karol Chodkiewicz mit dem Hetmansstab (Feldherrenstab) in der rechten Hand, Gemälde eines unbekannten Künstlers, um 1620 (Öl auf Leinwand, 80 × 66,5 cm, Tarnów, Muzeum Okre˛gowe [Regionalmuseum Tarnow]), in: Szlachetne dziedzictwo czy przekle˛ty spadek. Tradycje sarmackie w sztuce i kulturze (Edles Erbe oder Teufelserbschaft. Sarmatische Tradition in Kunst und Kultur), hg. v. Joanna Dziubkowa, Ausstellungskatalog, Posen, Muzeum Narodowe (Nationalmuseum), 2004–2005, Posen 2004, S. 30. 30 Die Forschungsliteratur diskutiert, welche Bildnisform als »sarmatisches Porträt« zu bezeichnen ist: handelt es sich dabei um Porträts aus der Zeit der Vorherrschaft der sarmatischen Kultur (16. bis frühes 18. Jahrhundert), oder lassen sich charakteristische formale Kriterien eines solchen Bildnisses herauskristallisieren; zur Diskussion vgl. Adam Małkiewicz: Co to jest »portret sarmacki«? Kilka uwag na temat terminologii (Was ist das »sarmatische Porträt«? Einige Bemerkungen zur Terminologie), in: Seminaria Niedzickie 1985 (wie Anm. 9), S. 43–49; Jan K. Ostrowski: Zjawisko artystyczne czy wytwór kultury. Uwagi o charakterze, metodach badania i wartos´ciowaniu portretu zwanego sarmackim (Künstlerisches Phänomen oder Kulturerzeugnis. Bemerkungen zu Charakter, Untersuchungsmethoden und Wertigkeit des sarmatischen Porträts), in: ibid., S. 51–55. 31 Vgl. Ostrowski 1985 (wie Anm. 30), S. 55. In der deutschsprachigen Forschungsliteratur hat diese Porträtform noch keine nennenswerte Erwähnung gefunden. 32 Vgl. zum Beispiel Jan Franciszek Stanisław Konopkas Porträt aus der Hand von Jan Ba˛kowski, um
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1930 (Öl auf Leinwand, 121 × 85 cm, Muzeum Narodowe Poznan ´ [Nationalmuseum Posen]) und Jan Karol Chodkiewiczs Porträt gemalt von Leon Kaplin ´ ski aus dem Jahr 1868 (Öl auf Leinwand, 130 × 97 cm, Torun ´, Muzeum Okre˛gowe [Regionalmuseum Thorn]), in: Kat. Posen 2004–2005 (wie Anm. 29), Abb. 56, S. 562. 33 Nach dem Sieg über die Armee des Osmanischen Reiches 1683 bei Wien verstärken sich aufgrund des darauf folgenden militärischen Ruhms Sobieskis dessen monarchische und dynastische Aspirationen. Der Bischof Armande de Béthume, dessen Bruder Gaston Schwager von Maria Kasimira, der französischen Gemahlin Johann Sobieskis, und Botschafter in Polen war, plante für Sobieski in der Kathedrale von Le Puy ein Denkmal, das jedoch unvollendet geblieben ist. Für diesen Auftrag engagierte man Pierre Veneau. Die ausgeführte Figur des Königs zeigt den Herrscher in einer den anderen europäischen Monarchen gleichenden Darstellung als römischer Imperator im klassischen Kontrapost (Mahagoni koloriert, 186 × 85 × 65 cm, Zamek Królewski Warszawa [Königsschloss Warschau]), in: Kat. Warschau 2000 (wie Anm. 23), Abb. 14, S. 129; er ließ sich auch im sarmatischen Kostüm darstellen (um 1728, Werkstatt Louis de Silvestre, Öl auf Leinwand, 159 × 106 cm, Muzeum Lubelskie [Lubliner Museum]), ibid., S. 75, Abb. 8. 34 Vgl. das Porträt August III. im polnischen Kostüm, Kopie aus der Werkstatt von Louis de Silvestre (nach 1737, Öl auf Leinwand, 82,5 × 64 cm, Muzeum Narodowe Poznan ´ [Nationalmuseum Posen]), in: Kat. Posen 2004–2005 (wie Anm. 29), Abb. 54, S. 70. 35 Thomas DaCosta Kaufmann: Höfe, Klöster und Städte. Kunst und Kultur in Mitteleuropa 1450–1800, Köln 1998, S. 57. 36 Zu den Residenztypen in der Renaissance vgl. Janusz Ke˛błowski: Dzieje sztuki polskiej (Geschichte der polnischen Kunst), Warschau 1987, S. 99 ff. 37 Vgl. Adam Miłobe˛dzki: Architektura polska XVII wieku (Polnische Architektur des 17. Jh.), 2. Bde., Warschau 1980, Bd. I, S. 339; Jan K. Ostrowski: Sztuka Polska w. XVI–XVIII w konteks´cie społecznym i religijnym (Polnische Kunst des 16.–18. Jh. im gesellschaftlichen und religiösen Kontext), in: Kat. Warschau 2000 (wie Anm. 23), S. 44–45. 38 Reinhard Bentmann u. Michael Müller: Die Villa als Herrschaftsarchitektur. Eine kunst- und sozialgeschichtliche Analyse, Hamburg 1992, S. 59 (»die Beschwörung der lateinischen Baudenkmäler garantiert in der Renaissance-Villa die Teilhabe an Geist und Gestalt der antiken Villa und der antiken Lebensart.«) 39 Miłobe˛dzki betont, dass orientalische Einflüsse vor allem auf dem Gebiet der Ornamentik wesentlich stärker als im adeligen Wohnbau bei den Fassaden der Bürgerhäuser im Osten des polnisch-litauischen Königreiches zu finden waren; Miłobe˛dzki (Architektura Polska) 1980 (wie Anm. 37), S. 24; zum Einfluss orientalischer, vor allem ormianischer (armenischer) und islamischer Formelemente auf die Kunst und Architektur in Polen-Litauen vgl. Tadeusz Man ´ kowski: Orient w polskiej kulturze artystycznej (Orient in der polnischen Kunst), Breslau u. Krakau 1959. 40 Vgl. Zygmunt Mieszkowski: Podstawowe problemy architektury w polskich traktatach od połowy XVI do pocza˛tku XIX wieku (Grundprobleme der Architektur in polnischen Traktaten von der Mitte des 16. bis zum Anfang des 19. Jh.), Warschau 1970, S. 15. 41 Vgl. Mieszkowski 1970 (wie Anm. 40), S. 111. Erst Callitectonicorum seu de pulchro architecturae (1678) des Architekten Bartłomiej Nataniel Wa˛sowski nähert sich stärker den traditionellen europäischen barocken Architekturtraktaten. Der Autor konzentriert sich auf die Fragen des Komforts und der ästhetischen Wirkung und konstruiert eine mit eigenen Überlegungen versehene Kompilation aus Vitruvius, Alberti, Serlio, Vignola, Palladio und Scamozzi; zu Nataniel Wa˛sowski vgl. Jerzy Baranowski: Bartłomiej Nataniel Wa˛sowski. Teoretyk i architekt XVII w. (Bartłomiej Nataniel Wa˛sowski. Theoretiker und Architekt des 17. Jh.), Warschau 1975.
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42 Die Funktion und Struktur der antiken Villa hat vor allem Vitruvius in seinem Architekturtraktat De architectura libri decem vermittelt; allgemein zum antiken Villenbau vgl. Erika Brödner: Wohnen in der Antike, Darmstadt 1989; Alexander G. McKay: Houses, Villas and Palaces in the Roman World, London 1975; Harald Mielsch: Die römische Villa, Architektur und Lebensform, München 1987; zur Villa als patriarchalischer Gesellschaftsentwurf vgl. Bentmann u. Müller 1992 (wie Anm. 38), S. 60 ff. 43 Allgemein zu Tilman van Gameren vgl. v. a. Stanisław Mossakowski: Tilman van Gameren. Leben und Werk, München, Berlin 1994 (mit ausführlichem Literaturverzeichnis); Tilman van Gameren 1632–1706. Een Hollandse architect aan het hof in Polen, Ausstellungskatalog, Amsterdam, Koninklijk Paleis, 2002, Amsterdam 2002; Stanisław Mossakowski: Mecenat artystyczny Stanisława Herakliusz Lubomirskiego (Das künstlerische Mäzenatentum des Stanisław Herakliusz Lubomirski), in: id. (Hg.): Orbis Polonus, Studia z historii sztuki XVII i XVIII wieku (Orbis Polonus. Studien zur Kunstgeschichte des 17. und 18. Jh.), Warschau 2002, S. 198–244. 44 Zum Schloss in Puławy vgl. Mossakowski (Van Gameren) 1994 (wie Anm. 43), S. 64 ff.; Tadeusz Stefan Jaroszewski u. Jerzy Kowalczyk: Puławy – Zarys historyczny rozwoju przestrzennego (Puławy – Versuch einer Geschichte räumlicher Entwicklung), in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 2/1957, S. 217–234; Puławy, in: Teka konserwatorska 5/1962, hg. v. Stanisław Lorentz. 1702, im Zuge der Heirat Lubomirskis Tochter Elisabeth mit Adam Sieniawski, ging das Schloss in den Besitz der Familie Sieniawski über. 1706 wurde es auf Befehl des Königs Karl XII. niedergebrannt. Von 1722 bis 1736 wurde es nach den Plänen von Franz Mayer und Jan Sigismund Deybel neuaufgebaut und später mehrmals umgestaltet (vgl. ibid., S. 220 ff.) 45 Vgl. Gundolf Winter: Sprechende Architektur. Jacob van Campens »Neues Rathaus in Amsterdam«, in: Amsterdam 1585–1672. Morgenröte des bürgerlichen Kapitalismus, hg. v. Bernd Wilczek, unter Mitarb. v. Jos van Waterschoot, Bühl-Moos 1993, S. 213–236. ˙ uchowski 2010 (wie Anm. 18); Matthias Müller: Das Schloß als Bild des Fürsten. Herr46 Vgl. Z schaftliche Metaphorik in der Residenzarchitektur des Alten Reiches, Göttingen 2004, S. 131–132. In seiner Monographie zur frühneuzeitlichen Residenzarchitektur im Alten Reich stellte Matthias Müller fest, dass auch im Schlossbau von Mitteldeutschland der Einsatz von Ecktürmen oder Eckrisaliten nicht sehr stark verbreitet war und grundsätzlich auf den Einfluss des französischen Schlossbaus zurückzuführen sei, wo ein Kabinettturm bereits seit dem 14. Jahrhundert ein Grundelement bildet. Möglicherweise jedoch handelt es sich auch um eine Tradition, die aus der eigenen mittelalterlichen Wohnturmtradition herzuleiten ist. Die Problematik ist sodann weder für die Regionen in Polen-Litauen noch für die Nachbarländer gänzlich geklärt. 47 Zu den verschiedenen Konnotationen des Turms im Residenzbau vgl. Müller 2004 (wie Anm. 46), S. 156 ff. u. S. 259 ff.
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FREMDE KÜNSTLER – EIGENE MYTHEN Der polnische Künstler Antoni Piotrowski und das Massaker im bulgarischen Batak MARTINA BALEVA
»Erinnern ist wissen, was man sah. Wissen ist sich erinnern an das, was man sah. Sehen ist wissen, ohne sich zu erinnern« Orhan Pamuk, 2001 1
Vom Fremden und Eigenen Der Großteil der heutigen Nationalstaaten auf dem Balkan entstand im Verlauf des 19. Jahrhunderts in Folge der sukzessiven Abspaltung vom Osmanischen Reich, das über mehr als fünf Jahrhunderte weite Teile der Balkanhalbinsel beherrscht hatte. Bei der Nationalisierung der Kunst der meisten dieser Nationen spielten ausländische Künstler eine entscheidende Rolle. Das wohl prominenteste Beispiel ist Eugène Delacroix und seine Bedeutung für die Ausbildung einer nationalen griechischen Ikonographie. Man denke an seine Gemälde Das Massaker von Chios (1824) und Das sterbende Griechenland auf den Trümmern von Missolonghi (1826), die unter dem Einfluss der griechischen Unabhängigkeitsbewegung entstanden sind und maßgeblich das Nationalbewusstsein der Griechen geprägt haben. Der tschechische Maler Jaroslav Cˇermák (1830–1878) wiederum nahm sich in seiner Malerei der Montenegriner und Herzegowiner an, denen er einen Großteil seines Œuvres widmete. Und auch die Herausbildung einer nationalen Ikonographie der Bulgaren verdankt sich in erster Linie ausländischen Künstlern, die zumeist aus den slawischsprachigen Gebieten Mittel- und Osteuropas stammten. Im vorliegenden Aufsatz sollen deshalb folgende Fragen erörtert werden, die mit der Rolle »fremder« Künstler für die Nationalisierung der Kunst auf dem Balkan verbunden sind: Welche Rolle spielte Fremdbestimmung für den Entwurf nationaler Ikonographien auf dem Balkan und welche Bedeutung kam Bildern als historischen Akteuren bei der
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nationalen Mythenbildung zu? Diese Fragen sollen am Beispiel des Gemäldes Das Massaker von Batak (1892) vom polnischen Künstler Antoni Piotrowski (1853–1924) diskutiert werden. Im kollektiven Gedächtnis der bulgarischen Nation spielt die kleine Stadt Batak eine zentrale identitätsstiftende Rolle als wichtiger Erinnerungsort. Der Geschichtsmythos von Batak, der die Niederschlagung des so genannten April-Aufstandes von 1876 gegen die osmanische Herrschaft zum historischen Kern hat, legitimiert bis heute die kollektiv empfundene Abneigung der Bulgaren gegen den Islam im Allgemeinen und gegen den Nachbarstaat Türkei im Besonderen. Die kollektiven Ressentiments richten sich vor allem gegen die muslimischen Minderheiten im Land, darunter ethnische Türken sowie Pomaken (bulgarischsprachige Muslime), die bis 1989 das Objekt mehrerer Massenkampagnen zur Zwangsbulgarisierung gewesen sind. Diese politischen Repressionen waren unter anderem durch ein nach wie vor gültiges Geschichtsbild begründet, das die osmanische Epoche, die vom späten 14. Jahrhundert bis 1878 angedauert hatte, als »türkisches Joch« in den dunkelsten Farben schildert. Die zentrale, jedoch durch historische Quellen kaum zu belegende These der nationalen Historiographie lautet, dass es sich bei den heutigen bulgarischen Muslimen um Nachkommen zwangsislamisierter Bulgaren während des »Jochs« handele, welche es zum Bulgarentum rückzubekehren gelte. An dieser kollektiven Vorstellung vermochten auch neuere Studien nichts zu ändern, die anhand der Analyse umfangreichen Quellenmaterials osmanischer Provenienz nachweisen konnten, dass es sich bei der Islamisierung der bulgarischen Gebiete um einen langsamen und kontinuierlichen Prozess gehandelt hatte, in dem Christen freiwillig zum Islam konvertierten.2 Der wohl wichtigste Bestandteil der Meistererzählung vom »500-jährigen Joch« ist der Geschichtsmythos von Batak. Historisch geht er auf die von irregulären Banden, namentlich der Tscherkessen und Baschibozuks, verübten Massaker an der Zivilbevölkerung von etwa hundert Ortschaften im europäischen Teil des Osmanischen Reichs im Frühjahr 1876 zurück, darunter auch an der Bevölkerung von Batak.3 Hier soll sich der Baschibozuk hauptsächlich aus den um Batak liegenden pomakischen Dörfern rekrutiert haben, deren Einwohner die bürgerkriegsähnlichen Zustände nutzten, um einem seit langem bestehenden lokalen Konflikt ein radikales Ende zu setzen. Auch wenn es sich bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen um sozial bedingte Lokalkonflikte gehandelt hat, glaubt die Mehrheit der Bulgaren noch heute, sie als ethnische bzw. nationale Auseinandersetzungen erinnern zu müssen. In der bulgarischen Historiografie wurden sie zu einem nationalen Massenaufstand, dem so genannten April-Aufstand von 1876 gegen die »türkischen« Unterdrücker, stilisiert. Batak wurde zum nationalen Golgatha, durch das die bulgarische Nation vom »türkischen Joch« erlöst worden sei. Integraler Bestandteil des Mythos sind dabei übertriebene Opferzahlen, die sich unter anderem auf sehr einseitige Berichte westeuropäischer Gesandter und Journalisten stützen, welche besonders von anti-islamischen Stereotypen beeinflusst waren.4 Batak erlangte seine traurige Berühmtheit durch die erschütternden Berichte des Journalisten der Daily News, Janarius MacGahan, der die betroffenen Gebiete als Mitglied einer
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internationalen Untersuchungskommission bereist und unter anderem von dem verwüsteten Dorf berichtet hatte.5 Die darin enthaltenen Beschreibungen der grauenhaften Entdeckungen der Kommission lösten eine der heftigsten Kontroversen seit Erfindung des Zeitungswesens aus. Das in den Wäldern der Nordrhodopen fernab von den Hauptverkehrswegen liegende Dorf wurde über Nacht europaweit berühmt und zum Synonym einer Gräueltat schlechthin. Aufgrund des großen Leserinteresses wurden sieben der insgesamt vierzehn Berichte MacGahans bereits im September 1876 als Buchausgabe in London publiziert.6 In kürzester Zeit wurde das Buch in zahlreiche andere europäischen Sprachen übersetzt und entwickelte sich zu einem enormen Verkaufserfolg.7 Nur die bulgarische Übersetzung, die auf der russischen Ausgabe von 1877 beruht, erschien erst vier Jahre später.8
Das Gemälde »Das Massaker von Batak« im ikonographischen Kontext Der polnische Maler Antoni Piotrowski besuchte Bulgarien erstmals 1885 als Illustrator für die Wochenzeitungen The Graphic (London) und L’ Illustration (Paris), um vom Schauplatz des Serbisch-Bulgarischen Kriegs (1885–1886) zu berichten. Hier lernte er den bulgarischen Fürsten Alexander von Battenberg kennen, in dessen Auftrag mehrere Gemälde nach den Kriegszeichnungen entstanden sind. In den Jahren danach besuchte Piotrowski mehrmals Bulgarien, unter anderem auch anlässlich der Ausstellung seiner Schlachtengemälde 1888 in Sofia. Daneben schuf er auch das Gemälde Das Massaker von Batak, das 1892 in Krakau entstanden ist und von August bis Oktober desselben Jahres auf der Ersten Bulgarischen Nationalen Ausstellung in Plovdiv zu sehen war. Vor dem Hintergrund eines nächtlichen Himmels zeigt das Gemälde eine brennende Landschaft, deren Flammen das Bildgeschehen in dramatisches Licht hüllen |Abb. 1|. Das dargestellte Geschehen spielt sich an beiden Ufern eines Flusses ab, der den Blick diagonal in die Bildtiefe leitet. Am linken Ufer haben sich einige Männer neben den entblößten Leichen mehrerer junger Frauen niedergelassen. In der Landschaft verstreut sind weitere Leichen zu sehen, die gerade von Plünderern durchsucht werden. Die im unmittelbaren Vordergrund dargestellten Männer haben indes ihre Beute schon sichergestellt und ruhen sich offenbar unberührt vom grausamen Anblick der sie umgebenden Leichen aus. Nur zwei Frauen links sind immer noch dabei, einen Haufen Kleidung zu durchsuchen. Beide sind durch das Attribut des Kopftuches, das nur einen Schlitz für die Augen offen lässt, ganz offensichtlich als Frauen muslimischen Glaubens gekennzeichnet. Nicht anders verfuhr Piotrowski auch bei der attributiven Kennzeichnung der Männer. Sie tragen einen Turban oder Fez, der sie als Muslime definieren soll.9 Von zwei tscherkessischen Kriegern hinterfangen, die an den hohen schwarzen Fellmützen und den schwarzen Kaftanen zu erkennen sind, besteht der übrige Teil der Gruppe aus variationsreichen Einzelstudien zur orientalischen Männertracht und ihren schillernden Details. Würde man nur den rechten Bildteil bzw. nur die Männergruppe betrachten, so hätte man im Grunde ein Genrebild mit einer präzisen ethnografi-
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1 Antoni Piotrowski: Das Massaker von Batak, 1892, Öl auf Leinwand, 183 × 283 cm, Sofia, Nationalgalerie für ausländische Kunst
schen Schilderung der Modesitten auf dem Balkan im 19. Jahrhundert vor Augen. Dagegen weisen die Frauenleichen im rechten Bildteil keinerlei religiöse, ethnische oder sonstige Identitätsmerkmale auf. Ihre lasziv entblößten Körper legen lediglich die Vermutung nahe, dass ihrem Tod ein sexueller Gewaltakt vorangegangen sein muss. Damit kommt den Frauenkörpern – allesamt jung, schön, hellhäutig und wohlgeformt – im Gegensatz zu der äußerst differenzierten ethnografischen Schilderung der Männergruppe und der ihnen zugeordneten muslimischen Frauen eine verallgemeinernde, ideale Bedeutung zu. Sie bilden den sinnbildlichen Anteil der Bildaussage, der auf der Antithese Täter – Muslime – Männer vs. Opfer – Christen – Frauen beruht. Ikonographisch steht das Gemälde in der langen Tradition der so genannten europäischen Türkendrucke, die sich seit dem 16. Jahrhundert einer enormen Popularität im Abendland erfreuten.10 Oft waren diese Drucke mit Szenen bebildert, die Kinder und Frauen mordende Muslime zeigen. Welche Wirkkraft diese Bildtradition besaß, bezeugt auch die Berichterstattung der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts aufkommenden illustrierten Zeitungen, namentlich die Illustrationen zu den Berichten aus den verwüsteten Dörfern im Sommer 1876 und dem darauf folgenden Russisch-Osmanischen Krieg. Als typisches Bei-
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2 J. Baranovsky: Nachhut der türkischen Armee, 1878, Holzstich, ca. 20 × 30 cm, nach einer Zeichnung von Fritz van Haanen
spiel dieser Bildproduktion kann hier etwa ein Blatt von Fritz van Haanen dienen – einem Mitarbeiter der russischen illustrierten Zeitung Vsemirnaja illjustracija, der höchstwahrscheinlich nie die Region besucht hatte, geschweige denn Zeuge jener Massaker gewesen war, stattdessen aber aus dem reichen Reservoir der christlichen Ikonographie zu schöpfen wusste. Illustrationen wie diese prägten im ausgehenden 19. Jahrhundert die Vorstellung von den Zuständen auf dem Balkan. Stets sind auf ihnen die Täter bis an die Zähne bewaffnete Muslime, während die Opfer zumeist Frauen und Kinder christlichen Glaubens sind. Haanens Darstellung der Nachhut der türkischen Armee ist im Grunde eine Addition heterogener ikonographischer Motive der abendländischen Bildtradition zu einer homogenen Schilderung orientalischer Zustände |Abb. 2|. Denn was konnte vertrauter und mithin glaubwürdiger für das (europäische) Publikum sein als eine ikonographische Paraphrase der Pietà, auf welche Haanen durch den in der Bildmitte dargestellten Körper einer Frau mit zurückgeworfenem Haupt rekurriert, oder etwa die rechts im Bild zu sehende buchstäbliche Übersetzung des gekreuzigten Christus mit blutender Wunde und Lendentuch in die balkanischen Verhältnisse christlichen Leidens.11 Das Gräuelbild wird von der an den Bethlehemitischen Kindermord gemahnenden Gruppe links vervollständigt.
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Dieser dichotomen Ikonographie bedienten sich auch russische Künstler, wie das Gemälde von Konstantin E. Makovsky (1839–1915) mit dem Titel Bulgarische Märtyrer (1877) eindrücklich zeigt |Abb. 3 |. Im Inneren einer verwüsteten christlich-orthodoxen Kirche wird eine – wie der Bildtitel nahe legt – bulgarische Frau mit Kind von drei Männern misshandelt, während eine weitere Frau auf dem Boden liegt. Die Blutlache neben ihrem Körper und die auf ihrem Bauch aufgeschlagen liegende Bibel verweisen auf das unmittelbar bevorstehende Schicksal ihrer Glaubensschwester. Wieder sind die Täter Muslime: Während der an der schwarzen Fellmütze zu erkennende Tscherkesse gerade im Begriff ist, das Kind der Mutter zu entreißen, wird sie von einem lüsternen schwarzhäutigen Baschibozuk entkleidet. Der von Waffen starrende türkische Baschibozuk mit hochgekrempelten Ärmeln schaut indes in erwartungsvoller Haltung der Misshandlung zu. Hinter dieser Repräsentationsform, die man als Ikonographie der ethnischen Demarkation bezeichnen kann, verbirgt sich eine im bzw. vom Abendland geprägte Vorstellung vom Osmanischen Reich, die allein auf die sozialen Missstände in der Region 3 Konstantin E. Makovsky: Bulgarische Märtyrer, 1877, Öl auf Leinwand, 207 × 141 cm, fokussiert war. Das unzulängliche Wissen im christMinsk, Nationalmuseum der Republik Weißlichen Europa über die besondere soziale Struktur russland des islamischen Imperiums erklärt, weshalb die fast sechshundert Jahre andauernde friedliche Koexistenz zwischen den ethnischen und/oder religiösen Gemeinschaften im osmanischen Vielvölkerstaat als historische Tatsache gänzlich ignoriert blieb. Das Fundament der sozialen Struktur der osmanischen Gesellschaft war der Islam, nach dem der Prophet Muhammad als Nachfolger der christlichen Propheten Adam, Abraham, Moses und Jesus verstanden wurde. Aus diesem Grund wurden Christen, Juden und andere Monotheisten als »Menschen des Buchs« (Ehl’l-Kita¯b) anerkannt und genossen damit den Status von Schützlingen (zimmî) des islamischen Staats. Dieses grundlegende Element des Islams bildete die Basis für die gleichberechtigte juristische Stellung und für die weitgehende Selbstverwaltung der Christen unter den Osmanen, auch als Millet-System bekannt. Die unzureichenden Kenntnisse europäischer Künstler über das islamische Imperium erklären, weshalb die auf den religiösen Vorurteilen des Abendlandes beruhende Ikonographie der Türkendrucke im Verlauf des 19. Jahrhunderts für die Darstellung der sozialen Konflikte auf dem Balkan fruchtbar gemacht werden konnte. Mit dem anwachsenden
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Interesse von Künstlern an den ethnografischen Besonderheiten »exotischer« bzw. »unbekannter« Völker erfuhr die Ikonographie der Türkendrucke jedoch eine ethnische Umdeutung, die dazu führte, dass die eigentlich soziale Natur der Konflikte ausgeblendet wurde, um als exponiert ethnische dargestellt zu werden.
Die literarischen Quellen des Gemäldes Die Massaker von 1876 lösten eine Welle der Empörung in ganz Europa aus und sollten damit zum Anlass für den darauf folgenden Russisch-Osmanischen Krieg (1877–1878) werden, dessen unmittelbares Ergebnis die Errichtung des bulgarischen Nationalstaats 1878 war. Doch die blutigen Ereignisse in Batak gerieten noch zu Kriegsbeginn genauso schnell in Vergessenheit, wie sie ans Licht der Öffentlichkeit gelangt waren, um sechzehn Jahre später wieder ins Zentrum des bulgarischen Interesses zu rücken. Aus der Zeit zwischen dem Massaker und 1892 existieren lediglich zwei Fotografien des griechischen Fotografen Dimita˘r Cavra von Überlebenden des Massakers sowie der Kirche von Batak mit sterblichen Überresten von Massakrierten, beide bislang auf 1878 datiert, und die bulgarische Übersetzung der MacGahanschen Reprotragen von 1880. Seit 1892 ist ausgerechnet Batak Thema von zahlreichen historischen Chroniken, Augenzeugenberichten, Romanen, Theaterstücken und Bildern. 1892 erschienen nicht nur die beiden bis heute wichtigsten Quellen der Historiografie zu diesem Thema – die große nationale Widerstandschronik der Bulgaren Aufzeichnungen zu den bulgarischen Aufständen 1876 von Zachari Stojanov sowie der Augenzeugenbericht von Bojcˇo Der Aufstand und das Massaker in Batak. Im selben Jahr wurde auch das bis heute sehr populäre Essay des bulgarischen Nationalpoeten Ivan Vazov Im Schoße der Rhodopen publiziert, in dem sich der Schriftsteller ausführlich mit der nationalen Bedeutung von Batak als bulgarischen Chios beschäftigt, um im Anschluss das Gemälde von Antoni Piotrowski Das Massaker von Batak in pathetischen Worten zu beschreiben, das er 1892 auf der Ersten Nationalen Ausstellung in Plovdiv bestaunen konnte.12 Diese kalendarisch-thematische Koinzidenz wirft die Frage nach der »Wiederentdeckung« der blutigen Geschichte Bataks im Jahr 1892 auf. Im Folgenden möchte ich versuchen, diese Frage zu beantworten, wobei ich gleichzeitig zwei Ziele verfolge: erstens die Bedeutung von Bildern für die Konstruktion nationaler Mythen aufzuzeigen und zweitens die Entstehung des Batak-Mythos zu rekonstruieren. Anhaltspunkte zur Beantwortung dieser Frage bietet die 1911 verfasste Autobiographie von Piotrowski.13 Darin beschreibt der Künstler mit einiger Ausführlichkeit die Entstehung seines Gemäldes. Aufgrund dieser Beschreibungen wurden die genannten Aufzeichnungen von Zachari Stojanov stets als die literarische Vorlage für das Gemälde angesehen, da Piotrowski sie als seine Quelle angibt: »Als ich die Geschichte des bulgarischen Aufstandes von Stojanov las« – schreibt Piotrowski – »traf ich auf die Beschreibung des Massakers von Batak, welches damals für Aufsehen in ganz Europa sorgte und den russisch-türkischen Krieg hervorrief.«14 Und tatsächlich sind die
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letzten dreißig von insgesamt etwa eintausend Seiten der Aufzeichnungen dem Aufstand und dem Massaker in Batak gewidmet. Doch kommen sie sowohl aus inhaltlichen als auch chronologischen Gründen als Quelle für das Bild kaum in Betracht, denn in mehr als der Hälfte des Kapitels zu Batak geht es um die heroische Verteidigung des Dorfs, um tapfer kämpfende bulgarische Männer, Frauen und Kinder, die ihr Blut für die Freiheit des Volkes vergießen. An keiner Stelle ist jedoch die Rede von unschuldig dahingemetzelten Frauen, was im Gegensatz zu Piotrowskis Bild steht, auf dem ja gerade dies suggeriert wird. Ein weiterer und viel entscheidender Grund, der gegen Piotrowskis Aussage spricht, ist die Tatsache, dass die erste Ausgabe der Aufzeichnungen in drei aufeinanderfolgenden Teilen erschienen ist. Während im ersten Band von 1884 Batak kein einziges Mal erwähnt wird und im zweiten von 1887 sich lediglich ein einziger Satz über Batak findet, welcher jedoch für das Gemälde keine Relevanz gehabt haben kann, endet der dritte von 1892 mit einer detaillierten Beschreibung der Ereignisse in Batak auf mehr als dreißig Seiten. Nur dieser Band hätte also die Quelle für Piotrowski darstellen können. Doch wie hätte dies möglich sein sollen, da doch der betreffende Band erst im November 1892 erschien, während das angeblich nach Stojanovs Schilderung gemalte Gemälde bereits im August 1892 auf der Ersten Nationalen Ausstellung zu sehen und damit also zumindest vier Monate vor Erscheinen seiner vermeintlichen Quelle fertiggestellt worden war?15 Man muss deshalb noch nicht die Aufrichtigkeit Piotrowskis in Zweifel ziehen, doch bedenkt man, dass seine Aufzeichnungen retrospektiv geschrieben worden sind und zwischen ihrer Niederschrift und der Entstehung des Gemäldes fast zwanzig Jahre vergangen waren, so ist es durchaus möglich, dass die Chronologie der Ereignisse sich im Licht der Gegenwart dem Autor anders darstellten. Dennoch stellt uns die Behauptung von Piotrowski vor zwei Probleme: Warum nennt der Künstler die Aufzeichnungen von Stojanov als Quelle, wenn sie ihm offensichtlich nicht als solche gedient haben können? Und welche ist die eigentliche Informationsquelle für das Bild? Diese zweite Frage lässt sich schnell beantworten: Zweifellos liegt Piotrowskis Bild der Bericht von MacGahan aus Batak zu Grunde. Es genügt, einige wenige Stellen aus der Reportage in der Daily News anzuführen, um dies deutlich zu machen. Die ersten Leichen, auf die MacGahan in Batak gestoßen war, sollen ausschließlich von Frauen gewesen sein, etwa hundert an der Zahl. Ihre Schädel seien fast alle von den Leibern getrennt und ihre Gerippe nur mit einem Hemd bekleidet gewesen: »Es muß hervorgehoben werden, daß alle weiblichen Gerippe, die wir fanden, nur mit einem Hemde bekleidet waren […] theils um nach Geld oder Schmuck zu suchen, theils um in brutaler Weise erst geschändet und dann getödtet zu werden.«16 Auch die »Ufer waren vor kurzem ganz bedeckt mit Leichen von Männern, Weibern und Kindern, die hier in der Sonne faulten und von den Hunden benagt wurden. Aber der Himmel erbarmte sich und sandte Regenströme, die den kleinen Bach anschwellen und aus den Ufern treten ließ, so dass er die Leichen wegschwemmte.«17 Für die Gräuel in Batak machte MacGahan namentlich Ahmed Aga aus dem benachbarten Dorf Barutina und die pomakischen Nachbarn der Bataker verantwortlich: »Nicht die Tscherkessen, wie man
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glaubte, haben diese Schlächterei en gros verübt, sondern die Türken der Nachbardörfer unter der Leitung von Ahmed Aga.«18 Die Ursache für die Gräuel sei einfach: »[…] ein Muhamedaner ist des Paradies sicher, wenn er eine gewisse Anzahl Ungläubiger getödtet hat.«19 Als weiteren Grund nennt MacGahan den Neid und die Eifersucht der türkischen Nachbarn auf das reiche und blühende Dorf sowie den islamischen Fanatismus: »[…] die Gelegenheit zum Rauben und Plündern, dazu der religiöse Fanatismus und der Vorwand eines Aufstandes […] das waren Versuchungen.«20 Im Bericht von MacGahan findet sich eigentlich alles vorgebildet, was Piotrowski später bildnerisch umgesetzt hat: der »Haufen« von Frauenleichen, alle bis auf das Hemd entkleidet, einige von ihnen geköpft, andere, die gerade durchsucht werden, die mit Leichen bedeckten Ufer entlang des Flusses und die Schlächter, die Pomaken aus den Nachbardörfern von Batak.
Bilder der Nation Hinweise auf die Frage, weshalb Piotrowski dennoch nicht MacGahan, sondern Stojanov als seine Quelle nennt, entnehmen wir der Autobiographie von Piotrowski. Nachdem sich der Künstler angeblich von der Lektüre der Aufzeichnungen von Stojanov inspirieren ließ, fuhr er eigens in Begleitung eines griechischen Fotografen aus Plovdiv namens Kera nach Batak. Piotrowski schreibt: »Für die Absicht unseres Besuchs, nämlich die Stadt, ihre Einwohner und die traurigen Zeugnisse des Massakers zu fotografieren, wurde uns die völlige Unterstützung zugesagt. […] Einige Männer wurden in die umliegenden Dörfer der Pomaken geschickt, um die grausamsten Schlächter von 1876 zu holen. Nach einigen Stunden kamen mehr als zehn von ihnen auf Eseln oder kleinen Pferden. Sie waren auf türkische Art gekleidet, ziemlich ärmlich und dreckig, sprachen aber genauso Bulgarisch wie ihre christlichen Brüder. Aber der Islam hatte einen Graben zwischen ihnen ausgehoben. Schlicht und einfach auf Grund der Religionsunterschiede empfanden sich die einen als offizielle Hinrichtende und die anderen als angestellte Opfer. Aber das merkwürdigste war, dass von einem merkbaren Hass nicht die Rede sein konnte. […] Wir machten einige, 15–16 Fotografien, darunter auch von der Kirche, in der bis heute die sterblichen Überreste vieler Umgebrachter liegen. […] Wir inszenierten die Szene des Massakers vor der Schule. Die Christen hockten sich hin, und die Pomaken, die Ärmel ihrer türkischen Kleidung hochgekrempelt, standen breitbeinig und hielten in ihren Händen Krummsäbel, Dolche und Schwerter. Einige von ihnen versuchten sogar, ihren Gesichtern einen grausamen Ausdruck zu verleihen. Bei den Christen beobachtete ich einen Ausdruck der Angst und der Bitte – ich hatte das Gefühl, dass im nächsten Augenblick tatsächlich Blut fließen werde. Ich kehrte nach Krakau zurück und nach einigen Monaten schickte ich mein Bild nach Plovdiv für die bulgarische Nationalausstellung.«21
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4 Innenansicht der Kirche Hl. Nedelja in Batak, nach 1903, Postkarte, Batak, Archiv des Historischen Museums
Auf der Suche nach den von Piotrowski inszenierten Fotografien besuchte ich das Historische Museum in Batak. Die 1976 eingerichtete Exposition anlässlich der 100jährigen Feiern zum April-Aufstand besteht aus einer endlosen Collage aus Reproduktionen von Fotografien und künstlerischen Werken jeglicher Art und Zeit, darunter auch von Piotrowskis Gemälde, die sich größtenteils dem Aufstand und dem Massaker widmet, als hätte der Ort vor und nach den Ereignissen von 1876 keine Geschichte besessen. Unter dem reichen Bildmaterial befinden sich auch Fotografien, die als Postkartenmotive für die Popularisierung der Geschichte Bataks dienten. Tausende von ihnen wurden hergestellt – Verwandte, Bekannte und Freunde versandten sie als Grußkarten in allen Ecken des Landes. Auf ihrem Rücken findet sich stets die gleichlautende Erläuterung: »Erinnerung an Batak«. Eine der Postkarten zeigt das Innere der Kirche in Batak |Abb. 4|. Anstelle der Ikonostase ist ein Vitrinenschrank zu sehen, in dessen Regalen sorgfältig Schädel aufgestellt sind. Davor befindet sich eine Art Vanitas-Stillleben aus Schädeln, Knochen, Schusswaffen und einem Krummsäbel, flankiert von zwei älteren Frauen. Über dem Stillleben hängt ein morbides Tableau, auf dem mit einer Schrift, deren Buchstaben aus menschlichen Gebeinen zusammengesetzt sind, »Überreste von 1876« geschrieben steht. Wie aus einer anderen Postkarte deutlich wird, welche den Schädel- und Knochenberg vor der Kirche zeigt, erfuhren die Stilleben-Motive mit der Zeit leichte Modifikationen, doch das Tableau blieb stets als unver-
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5 Außenansicht der Kirche Hl. Nedelja in Batak, nach 1925 [?], Postkarte, Batak, Archiv des Historischen Museums
kennbares Zeichen unverändert |Abb. 5|. Die Postkarten wurden bis in die 1940er Jahre hergestellt, wobei eine der späteren und wohl bekanntesten eine in schwarz gekleidete ältere Frau vor dem Eingang der Kirche zeigt |Abb. 6|. Um sie herum sind auf Tischen, pyramidenförmig angeordnet, Totenköpfe zu sehen, und erneut das schon bekannte Tableau. Das kollektive Gedächtnis identifiziert die Frau auf der Fotografie mit Marga Goranova, der Ehegattin des Anführers des Aufstandes in Batak Peta˘r Goranov. Zwei der Fotografien im Museum ziehen die Aufmerksamkeit der BesucherInnen jedoch besonders auf sich. Die erste beeindruckt insofern, als sie vorgibt, eine authentische Aufnahme der berüchtigten Baschibozuks zu sein, welche das Massaker in Batak verübt haben sollen |Abb. 7|. Darauf sind insgesamt elf männliche Personen mit Turbanen zu erkennen, von denen zwei je einen Esel oder ein kleines Pferd mit sich führen. Besonders auffallend ist die symmetrische Bildkomposition in Form eines Bogens, die für ein Gruppenfoto der Zeit zwar nicht untypisch ist, doch die Überschrift »Baschibozuks aus Dospat« hätte den zeitgenössischen Betrachter die Darstellung einer blutrünstigen Horde von Barbaren erwarten lassen, sicher aber nicht ein derart liebenswürdiges Andenkensbild. Wie bei allen sich im Museum befindenden Bildern fehlen auch zu dieser Fotografie jegliche Angaben über den Autor oder die Datierung. Die andere Fotografie zeigt den Innenraum einer Kirche, in dem eine Frauenfigur inmitten von Skelettteilen und Schädeln kniet |Abb. 8|. Neben der halb zer-
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6 Kojo Karagitliev: Marga Goranova vor dem Eingang der Kirche Hl. Nedelja in Batak, 1927, Postkarte, Batak, Archiv des Historischen Museums
störten Ikonostase im Hintergrund ist die nachsinnende Gestalt eines Jungen zu erkennen, der den Blick in die Ferne gerichtet hat. Im linken Bildteil sind drei weitere Frauen zu sehen, zwei kniend, eine sich an einem Bogenpfeiler anlehnend. Die Überschrift zum Bild lautet »Die historische Kirche in Batak nach dem Aufstand im April«. Von wem oder wann konkret die Fotografie gemacht worden ist, bleibt auch in diesem Fall unklar. Die gleiche Fotografie befindet sich jedoch glücklicherweise auch in der Kirche von Batak, die bis heute zu den bedeutendsten nationalen Gedenkstätten der Bulgaren gehört. Sie trägt hier eine ähnliche Überschrift, diesmal aber auch mit Angabe des Autors, Dimita˘r Cavra, sowie des Entstehungsdatums 1878. Sie ist mithin auf zwei Jahre nach dem Ereignis datiert. Gerade die letztere Fotografie wird bei den meisten Bulgaren ein anderes Bild in Erinnerung rufen, ebenfalls im Museum zu sehen, das sich tief in das kollektive Gedächtnis mehrerer Generationen eingeprägt hat. Immer wieder wurde die ebenfalls Dimita˘r Cavra zugeschriebene Fotografie in historischen Abhandlungen, Bildbänden zum April-Aufstand, Gedenk- oder Schulbüchern reproduziert. Auf ihr ist eine große Menschenansammlung von etwa fünfzig Männern, Frauen, Kindern und Greisen in den verschiedensten Posen zu erkennen, aufgenommen vor dem Schulgebäude, das 1877 anstelle der 1876 abgebrannten Schule errichtet wurde |Abb. 9|. Die Aufnahme vermittelt den Eindruck einer ganz normalen, ja durchschnittlichen Fotografie von Angehörigen einer traditionellen Bauerngesellschaft. Die Bildunterschrift lautet meistens »Überlebende nach dem Massaker in Batak von 1878«,
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7 Antoni Piotrowski u. Dimita˘r Cavra: Pomaken, 1888, Fotografie (ursprünglich anonym: Baschibozuks aus Dospat, undatiert), Aufbewahrungsort unbekannt
manchmal mit dem Zusatz »vor der Schule« oder bei etwas unaufmerksameren Autoren »in der verbrannten Schule«. Auch wenn sich die von Piotrowski inszenierten Fotografien nicht im Museum befanden, so wird für unsere weiteren Überlegungen zumindest eines aus den bisherigen Ausführungen deutlich: Im Zeitraum zwischen 1876 und 1892 muss Batak zweimal von zwei Plovdiver Fotografen griechischer Herkunft – Dimita ˘r Cavra und Kera – aufgesucht worden sein, wobei Cavra 1878 offenbar auf eigene Faust nach Batak gereist sein muss, während Kera 1892 von Piotrowski engagiert worden ist. Erneut stellt sich die Frage nach der Koinzidenz, welche diesmal nicht nur das thematische Interesse der beiden Fotografen, sondern auch ihre ethnische Herkunft, ihren Wohnort und nicht zuletzt die Schreibweise beider Namen betrifft.22 Die Identifikation des gesuchten Fotografen ist allerdings unproblematisch, da in dem hier behandelten Zeitraum in Plovdiv lediglich zwei Fotoateliers existierten – dasjenige der Brüder Kacarovi und das von Dimita˘r Cavra. Wir können daraus schlussfolgern, dass es sich bei dem gesuchten Fotografen um eine und dieselbe Person handelt, des seinerzeit berühmtesten Fotografen in Plovdiv, dessen korrekter Name Dimita ˘r Cavra lautet. Doch wenn Cavra innerhalb von vierzehn Jahren zweimal in Batak fotografiert hat – einmal allein 1878 und dann gemeinsam mit Piotrowski 1892 – und wenn seine Fotografien von 1878 bis heute erhalten sind, wo befinden sich dann jene, die er später nach Piotrowskis Anweisungen anfertigte? Im Archiv des Künstlers in Warschau wurden die in der Autobiographie beschriebenen Fotografien bislang nicht ausfindig gemacht, so dass wir uns vorerst mit der Untersuchung der zur Verfügung stehenden Fotografien von 1878 zufrieden geben müssen. Betrachten wir deshalb zunächst die Dimita˘r Cavra zugeschriebene Fotografie der Überlebenden etwas näher. Eine erkennbare Anordnung scheinen die Menschen darauf nicht aufzuweisen. Soweit es die Qualität der Reproduktion erlaubt, kann man zumindest eine Vielzahl an Kindern in der ersten Reihe, mehrere jüngere und ältere Männer daneben und
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8 Antoni Piotrowski u. Dimita˘r Cavra: Inszenierte sterbliche Überreste von Massakrierten in der Kirche Hl. Nedelja in Batak, 1888, Fotografie (ursprünglich Dimita˘r Cavra zugeschrieben: Die historische Kirche von Batak nach dem Massaker, undatiert), Aufbewahrungsort unbekannt
dahinter sowie einige Frauen mit für die Zeit typischen Kopftüchern erkennen. Im linken Bildteil befinden sich zwei weitere, sitzende Frauen mit Kopftüchern, welche neben einem bäuchlings liegenden Jungen den anderen etwas gelangweilt zuschauen. Diese für ein Gruppenfoto ziemlich unübersichtliche Anordnung könnte dafür sprechen, dass die Menschen gerade im Begriff sind, die ihnen von Cavra zugewiesenen Positionen einzunehmen. Gerade diese Unordnung aber verrät zugleich etwas über die Beschaffenheit des Terrains, auf dem die Menschen stehen. Betrachtet man das Auf und Ab der von den Figuren gebildeten Silhouette, so scheinen diese auf einem unregelmäßigen und von links nach rechts abfallendem Gelände zu stehen, das rechts am Ufer eines kleinen Flusses endet. Vom Fluss ist nur wenig zu sehen, weil er von den Figuren verdeckt wird, aber man kann sich seinen logischen Verlauf in der perspektivischen Verkürzung weiterdenken, der das Bild diagonal teilen würde. Ferner ist das gegenüberliegende Ufer zu sehen, das nach rechts hin aufsteigt, wo man im Mittel- und Hintergrund je zwei Holzhütten sieht. Vergleicht man Fotografie und Gemälde, so weisen sie verblüffende Ähnlichkeiten auf in Bezug auf das soeben Beschriebene. Beide Bilder haben eine geradezu identische Anlage. Das Hauptgeschehen spielt sich jeweils am linken Ufer eines Flusses ab, wobei die Silhouetten der Menschengruppen in beiden Fällen ein von links nach rechts verlaufendes Gefälle zum Fluss hin aufweisen. Die Holzhütten am rechten Ufer – auf der Fotografie noch ganz intakt –
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9 Antoni Piotrowski u. Dimita˘r Cavra: Inszenierung des Massakers in Batak, 1888, Fotografie (ursprünglich Dimita˘r Cavra zugeschrieben: Überlebende nach dem Massaker in Batak, 1878), Aufbewahrungsort unbekannt
brennen auf dem Gemälde gerade ab. Weitere Parallelen lassen sich benennen, wie die beiden Frauen im linken Vordergrund – auf der Fotografie sind es noch Bäuerinnen ohne erkennbare Identitätsmerkmale, auf dem Gemälde machte Piotrowski aus ihnen muslimische Frauen. Die sitzende Rückenfigur eines älteren Mannes hinter dem liegenden Jungen findet sich auf dem Gemälde exakt an der gleichen Stelle wie auf der Fotografie wieder. Piotrowski ersetzte lediglich die Fellmütze, den vermeintlich bulgarischen Kalpak, durch einen leuchtend weißen Turban mit rotem Boden. Damit aber diese Ausführungen nicht bloß im Spekulativen verbleiben, sei auf ein entscheidendes Detail hingewiesen, das eindeutig beweist, dass die Fotografie dem Gemälde als Vorlage gedient haben muss. Am rechten Bildrand der Fotografie fallen zwei Figuren besonders auf, nicht nur, weil sie etwas isoliert von der Gruppe stehen. Die linke Figur hat ihr rechtes Bein angewinkelt und hält im darauf ruhenden Arm einen länglichen Gegenstand, der an einem Holzstamm angelehnt ist. Die Ärmel der Figur sind hochgekrempelt. Die Figur trägt zudem einen Turban, der den Kopfbedeckungen in Piotrowskis Bild sehr ähnelt. Vor ihr hockt ein der Kamera zugewandter Junge. Rechts neben ihm stehen weitere Kinder, die zu ihm hinunterblicken und sich die Augen mit den Händen reiben, als würden sie weinen. Am rechten Bildrand steht breitbeinig ein weiterer Mann, er ist dem Betrachter zugewandt und hat seine Ärmel ebenfalls hochgekrempelt. Auch er trägt einen Turban und hält in den Händen einen länglichen Gegenstand, der sich beim nähren
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hinsehen als Säbel zu erkennen gibt. Was haben jedoch diese zwei neben einem Holzstamm stehenden Männer mit Turbanen und Säbeln zwei Jahre nach dem Massaker bei den Überlebenden in Batak zu suchen? Bei dieser Fotografie kann es sich nur um jene Inszenierung des Massakers vor der Schule handeln, die Piotrowski in seiner Autobiographie beschrieben hat. Dies bedeutet, dass die Aufnahme nicht 1878 entstanden ist, sondern erst – wie Piotrowski schreibt – Jahre später, nämlich einige Monate vor der im August 1892 eröffneten Ausstellung in Plovdiv. Insofern kann es sich bei den fotografierten Personen nur um einige wenige tatsächlich Überlebende des Massakers handeln. Mindestens ein Drittel von ihnen dürften 1876 noch nicht einmal geboren gewesen sein. Auch das anonyme Gruppenfoto der Baschibozuks im Museum zeigt offenbar keine blutrünstigen Schlächter, sondern von Cavra fotografierte Pomaken, die, wie wir uns erinnern, von Piotrowski extra für seine Inszenierung nach Batak geholt worden waren. Vergleichen wir auch diese Fotografie mit dem Gemälde, so werden wir feststellen, dass der in der Mitte sich befindende hockende stattliche Pomake das spiegelverkehrte Vorbild für die hockende Figur in der Mitte von Piotrowskis Gemäldes ist – nur dass Piotrowski den ostentativ zur Schau gestellten Krummsäbel in der rechten Hand des Pomaken durch die eher harmlosere Zigarette in der linken Hand des Baschibozuks als Zeichen der Entspannung nach getaner Arbeit ersetzte. Zusammenfassend darf festgehalten werden, dass »authentische« Aufnahmen von Batak aus dem Jahr 1878 nicht existieren – weder von den Überlebenden noch von den Tätern. Wir verfügen lediglich über zwei Reproduktionen der insgesamt 15 oder 16 Fotografien von Dimita˘r Cavra, die unter Piotrowskis Regie entstanden sind. Doch wie kam es dazu, dass ausgerechnet diese Fotografien in Ausstellungen, Schulbücher und seriöse wissenschaftliche Untersuchungen als authentische Bildnachweise bulgarischer Nationalgeschichte Eingang fanden, obgleich es sich bei ihnen eigentlich um künstlerische Nachstellungen eines bereits mehr als zehn Jahre zurückliegenden Ereignisses handelte?
Die Geburt eines Mythos In seinem berühmten Vortrag zur Frage nach dem Wesen der Nation sagte der französische Historiker Ernest Renan, dem Vergessen oder besser dem historischen Irrtum falle bei der Erschaffung einer Nation eine wesentliche Rolle zu. Das Wesen einer Nation, so Renan, bestehe darin, dass ihre Mitglieder vieles miteinander gemeinsam und dass sie alle vieles vergessen hätten.23 Deshalb möchte ich abschließend versuchen zu erinnern, wie der Geschichtsmythos von Batak seinen Anfang nahm, und aufzeigen, welche Rolle das Gemälde von Piotrowski dabei gespielt hat. Wieder finden sich die entscheidenden Hinweise in Piotrowskis Autobiographie. Darin erwähnt der Künstler, dass er auf seiner Bulgarienreise 1886 die Bekanntschaft eines berühmten bulgarischen Politikers namens Zachari Stojanov gemacht habe, jenes Mannes also,
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der die vermeintliche Quelle für sein später entstandenes Gemälde verfasste. Zwar enthält die Autobiographie keine Einzelheiten über den Kontakt zu Stojanov, doch zählt Piotrowski mit minutiöser Genauigkeit die Stationen und Aufenthaltsorte beider Reisender auf, was dafür spricht, dass beide Männer während der Reise genügend Zeit hatten, sich ausgiebig auszutauschen.2 4 In diesem Rahmen muss Piotrowski von Stojanovs Aufzeichnungen zu den bulgarischen Aufständen erfahren haben, deren erster Band zu diesem Zeitpunkt schon erschienen und deren zweiter bereits im Manuskript abgeschlossen war. Womöglich hat sich Piotrowski erstaunt gezeigt, über bulgarische Aufstände im Jahr 1876 zu erfahren, da er in MacGahans Berichten keinen einzigen Hinweis darauf gefunden hatte. Vielmehr konnte er bei diesem in Bezug auf den vermeintlichen Aufstand lesen: »Statt Wilde zu sein, wie wir glaubten, sind diese Bulgaren in Wirklichkeit ein […] civilisirtes, friedliches Völkchen und was den Aufstand anlangt, so wurde allerdings in 3 oder 4 Dörfern ein schwacher Versuch zu einem solchen gemacht, in Batak aber gar nicht, und es ist auch nicht ersichtlich, daß ein einziger Türke hier getödtet worden ist. Die türkischen Behörden behaupten auch weder dies, noch daß die Bewohner irgend welchen Widerstand geleistet hätten.«25 Als Argument gegen Stojanovs These konnte Piotrowski also als Beispiel jenen berühmten erschütternden Bericht MacGahans über die unschuldig dahingemetzelten Einwohner von Batak anführen. Dies muss Stojanov besonders in Aufregung versetzt haben, der ja bekanntlich jede Möglichkeit nutzte, gegen sich in bulgarische Angelegenheiten einmischende Fremde und insbesondere gegen MacGahan zu polemisieren und in diesem Augenblick sein Lebenswerk ausgerechnet von einem gut informierten Fremden in Frage gestellt gesehen haben muss. Man kann sich vorstellen, wie groß der Unmut Stojanovs seinem Gesprächspartner gegenüber gewesen sein muss, bedenkt man, dass in den Aufzeichnungen neben den drei anderen nationalen Aposteln der Autor selbst eine der Hauptrollen übernimmt und zudem eine Nebenrolle einem gewissen Peta ˘r Goranov als Anführer des Aufstandes in Batak zuweist. (Zu diesem Zeitpunkt waren Stojanov und Goranov Volksvertreter in der nationalen Volksversammlung, Goronov war zusätzlich auch Gouverneur des Landkreises Pazardzˇik, zu dem Batak gehörte). Die Diskussion mit Zachari Stojanov muss Piotrowski besonders neugierig auf Batak gemacht und ihn dazu bewegt haben, ein Gemälde zu diesem Thema anzufertigen. In diesem Sinne kann Stojanov tatsächlich als mittelbare Quelle für Piotrowskis Bild angesehen werden. Bevor Piotrowski jedoch sein Bild malte, beabsichtigte er in seiner Rolle als berichterstattender Illustrator und Maler zugleich, sich selbst der historischen Wahrheit zu vergewissern, indem er selbst nach Batak fuhr und mit seinen Einwohnern sprach. Aus diesem Grund engagierte er eigens den Fotografen Dimita˘r Cavra, um jene Wahrheit mit Hilfe der vermeintlich objektiven Fotografie aufzuzeichnen. In Batak traf Piotrowski auf einfache, weitgehend analphabete Bauern, die in traditionell patriarchalischen Verhältnissen lebten
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und noch nicht über ein eingeübtes kollektives Gedächtnis verfügen konnten. Das, was die Bataker in Bezug auf das Gemetzel jedoch offenbar erinnerten, war die Flucht des angeblichen Anführers der Aufständischen Peta˘r Goranov mit seiner gesamten Familie, noch bevor die Baschibozuks das Dorf umzingelt hatten. Der Augenzeuge Bojcˇo schreibt: »In der Nacht schafften es Goranov und die Notabeln […], die gegnerischen Positionen zu überwinden und entsandten Dzˇurkov mit der Botschaft an die Hinterbliebenen, den selben Fluchtweg zu benutzen. Es entschieden sich nur einige Frauen, mit Dzˇurkov rauszukommen, darunter auch die Familie von Goranov.«26 An dieser Stelle muss hervorgehoben werden, dass sich hinter dem Pseudonym Bojcˇo kein anderer als der zum Zeitpunkt des Massakers 19jährige Sohn von Peta˘r Goranov, Angel P. Goranov, verbirgt. Diese Tatsache erklärt nicht nur die Notwendigkeit des Pseudonyms Bojcˇo, sondern stellt auch die Augenzeugenschaft des Autors in Frage, der indes zum wichtigsten Kronzeugen für Zachari Stojanovs Beschreibung der Ereignisse in Batak und aller wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema darstellen sollte. Die Gespräche mit den Einwohnern von Batak haben Piotrowski in seiner Interpretation der Historie offensichtlich bestätigt, was sowohl aus den Fotografien als auch aus dem mit ihrer Hilfe angefertigten Gemälde deutlich hervorgeht. Dabei kommt den Fotografien eine besondere Rolle zu, denn an ihrer Inszenierung nahm, wie Piotrowski berichtet, die gesamte Bataker Bevölkerung teil. Durch sie hat der Künstler nicht nur den Grundstein der lokalen Kollektiverinnerung gelegt, sondern auch ihre Form bestimmt. Maßgeblich hierfür war die Innenaufnahme der Kirche mit sterblichen Überresten, wobei wir es auch in diesem Fall mit keiner »authentischen« Fotografie zu tun haben, sondern mit einem Bild, das unter Piotrowskis Anweisungen entstanden ist.27 Nicht nur die Erwähnung einer solchen Fotografie in der Autobiographie führt uns auf die Spuren ihres Autors. Dafür spricht auch die Struktur der Bildkomposition, die sich durch die in der abendländischen Bildtradition so beliebte pyramidale Anordnung der Bildprotagonisten auszeichnet |Abb. 10|. Das entscheidende Argument ist jedoch das zeitliche. Da die Fotografie spätestens 1888 gemacht wurde, und nicht 1892, wie Piotrowski wieder einmal irrtümlich erinnert, stellt sich die Frage, warum die strenggläubigen Bewohner von Batak die sterblichen Überreste ihrer ehemaligen Verwandten, Nachbarn und Bekannten mehr als zehn Jahre lang, zudem in einem derartigen Durcheinander, unbeerdigt ließen.28 Der Grund hierfür scheint jedoch nicht in der Pietätlosigkeit der Bataker Bauern zu liegen, sondern in der Vorstellungskraft Piotrowskis, der für seine authentische Inszenierung auch authentische Requisiten aus dem Beinhaus der Kirche benutzt haben muss.29 Damit hat der Künstler nicht nur die Erinnerung der Bataker reaktiviert, indem er sie einzig und allein auf das Massaker fokussierte, sondern diese zugleich in eine ganz bestimmte Richtung gelenkt. Anstatt das schmerzhafte Trauma vom gewaltsamen Verlust von etwa zweitausend Mitmenschen zu verdrängen, gedachte man von nun an der Opfer durch die ostentative Zurschaustellung ihrer vermeintlichen Überreste.30 Welchen Eindruck die zu Tage geförderten
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10 Inszenierte sterbliche Überreste von Massakrierten in der Kirche Hl. Nedelja in Batak, 1888, Fotografie, Konstruktionszeichnung: Martina Baleva
Überreste in der Kirche bei den Bataker Einwohnern hinterlassen haben, zeigen die Postkartenmotive. Der einzige Unterschied zwischen den Postkarten der Bataker und der Fotografie von Piotrowoski/Cavra besteht in der »simplen« Symbolik und der akkuraten Anordnung der Gebeine in Ersteren, welche von dem Künstler zuvor so »echt« auf dem Boden verteilt worden waren.31 Einen besonderen Sinn in dieser künstlerischen Strategie scheint die Familie des zum Führer der Aufständischen stilisierten Goranov gesehen zu haben. Sie gab der Goranovs die Möglichkeit, nunmehr auch das Bild der Mutter im buchstäblichen Sinn in die Ereignisse von 1876 einzufügen, welche nicht nur durch die Chronik, sondern auch durch die Postkarte mit dem Bildnis der Mutter geschickt verbreitet wurde. Doch Piotrowski forderte auch eine Reaktion heraus, denn mit seinem Besuch in Batak hatte er eine empfindliche Stelle im gerade geführten nationalen Diskurs getroffen. Diese Reaktion wurde vor allem aus den Kreisen der politischen Unternehmer sowie aus dem Lager der nationalgesinnten Intelligenz in Form von Büchern, Chroniken, Essays etc. zu einem Geschichtsereignis formuliert, das bis zu diesem Zeitpunkt nicht so recht in das zu konstruierende Nationalgedächtnis zu passen schien. Nur so lässt es sich beispielsweise erklären, warum der letzte Teil der Stojanovschen Aufzeichnungen sowohl stilistisch als auch thematisch aus dem Gesamtkonzept des Werks herausfällt, mithin warum der bis dahin allein an bulgarischem Heldentum interessierte Stojanov seine Aufmerksamkeit der »unheroischen« Vergangenheit Bataks zuwendet. Dieser Band, der unverkennbar ultranationale Töne an-
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schlägt und damit Batak ein bis heute gültiges Denkmal setzt, ist nur in dem so skizzierten Kontext zu verstehen. Er scheint als direkte Antwort auf Piotrowskis Bildkonzept und seiner Entstehungsgeschichte verfasst worden zu sein. In ihr wehrt sich Stojanov gegen die Vorstellung von den Bulgaren als friedliches, ja hilfloses Volk, das seine Niederlage ohne jegliche Gegenwehr hingenommen habe. Indem Stojanov Batak neben jene »drei oder vier Dörfer« anreiht, in denen laut MacGahan tatsächlich ein schwacher Versuch zur Rebellion gegen die offizielle Regierung stattgefunden haben soll, erweitert der Autor nicht nur das Territorium der heldenhaften Nationaltopographie, um seine These vom Massenaufstand der 11 Sarkophag mit den sterblichen Überresten der Ermordeten von Batak, 1976, Glas, Kupfer (Sarkophag), Sandstein (Sockel), Batak, bulgarischen Nation zu stützen, Kirche Hl. Nedelja sondern legitimiert zugleich seine politische Stellung. Ähnliche Motive dürfen auch hinter dem Verfassen der Augenzeugenchronik von Bojcˇo, alias Angel P. Goranov, vermutet werden. Wie unbequem der Besuch von Piotrowski in Batak für den Gouverneur von Pazardzˇik und Vater des Autors gewesen sein muss, wird nicht nur am Pseudonym deutlich, sondern auch an der Tatsache, dass der Sohn sich zum Augenzeugen erklärte und den Vater von einem der Flüchtlinge in einen Helden verwandelte. Zugespitzt formuliert, begann mit dem Besuch eines »Fremden« in Batak ein regelrechter Kampf um das Dorf, in dem es darum ging, wer die Deutungshoheit über seine Historie gewinnt, und ein Kampf um die Vorstellungen in den Köpfen. Dass es dabei weniger um eine objektiv geführte Diskussion, als vielmehr um persönliche Interessen ging, muss nicht eigens betont werden. Für Piotrowski dürfte es vor allem eine Gelegenheit dargestellt haben, sich einen Namen nach dem Vorbild von Delacroix zu machen, indem er die bulgarische Variante zu dessen Massaker von Chios schuf. Offiziell wurde der Kampf um Batak jedoch von Stojanov und seinen Anhängern gewonnen. Als Piotrowski seine Erinnerungen 1911 niederschrieb, war Stojanov bereits in das Pantheon der nationalen Helden Bulgariens aufgenommen – und seine Aufzeichnungen galten schon längst als authentischer Bericht über
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einen nie stattgefundenen nationalen Aufstand, woran offensichtlich auch Piotrowski keine Zweifel mehr hegte. MacGahan wurde bezeichnenderweise erst hundert Jahre später rehabilitiert, als man ihm in Batak ein bescheidenes Denkmal errichtete. Kehren wir nun zur Ausgangsfrage zurück: Warum bezieht sich Piotrowski in seiner Autobiographie auf Stojanov und nicht auf MacGahan? Oder formulieren wir es anders: Warum sich neben einem »Verlierer« verewigen, wenn es auch neben einem »Gewinner« geht? Dass aber die Erwähnung des »Gewinners« Stojanov anstelle des »Verlierers« MacGahan in der Autobiographie Piotrowskis der Popularisierung seines Gemäldes wenig dienlich war, zeigt der Umstand, dass man um 1913 das Batak-Bild im Museumsdepot verschwinden ließ. Diesmal hatte es eine andere empfindliche Stelle im gerade geführten nationalen Diskurs berührt – das Problem der ethnischen Zugehörigkeit der pomakischen Bevölkerung, das bis in die späten 1980er andauern sollte. In dem kleinen Apsisraum der Kirche von Batak befindet sich heute – neben der erwähnten Kirchen-Fotografie von Antoni Piotrowski und Dimita˘r Cavra – ein schlichter Sarkophag aus Kupfer auf einem Sockel aus Sandstein |Abb. 11|. Der Deckel lässt einen Spalt offen, durch den man im Inneren des Sarkophags hineinschauen kann. In der verspiegelten Sarkophagwanne liegen unter Glas eine große Anzahl von Schädeln, hier und da mit anderen Skelettteilen durchmischt. Einen kleinen Triumph im Deutungskampf um die Geschichte hat Piotrowski dennoch erringen können – zumindest in der Kirche von Batak. Die in der Nähe des Sarkophags angebrachte Fotografie ist immer noch sein stiller Zeuge.
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Eine gekürzte Fassung dieses Aufsatzes ist auf Bulgarisch erschienen: Koj (po)kaza istinata za Batak (Wer zeigte/sagte die Wahrheit über Batak), in: Kultura, Nr. 17, 5. Mai 2006, S. 10–11. Leicht modifiziert erschien der Text ebenfalls in: Martina Baleva: Das Bild von Batak im kollektiven Gedächtnis der Bulgaren, in: Martina Baleva u. Ulf Brunnbauer (Hg.): Batak als bulgarischer Erinnerungsort, Sofia 2007, S. 15–47 (bulgarisch-deutsch). Die aufgrund der Ergebnisse dieser Untersuchung konzipierte Ausstellung und begleitende interdisziplinäre Konferenz mit dem Titel Batak als bulgarischer Erinnerungsort, die im Mai 2007 in Sofia stattfinden sollten, wurden vom bulgarischen Staatspräsidenten Georgi Pa˘rvanov als »scharfe Provokation an die bulgarische Nation« verurteilt und von bulgarischen Politikern vereitelt. Den vorläufigen Höhepunkt der politischen Kampagne gegen dieses kunsthistorische Projekt bildete der öffentliche Aufruf zum Mord an der Verfasserin seitens der rechtsradikalen Partei Ataka während der Wahlkampagne für EU-Abgeordnete sowie die Auslobung eines Preisgeldes für ihre aktuelle Adresse und ihre Fotografie. 1 Orhan Pamuk: Rot ist mein Name, München et al. 2001, S. 107. 2 Vgl. zum Beispiel Machiel Kiel: Razprostranenie na isljama v ba˘lgarskoto selo prez osmanskata epoha (Die Verbreitung des Islams im bulgarischen Dorf während der osmanischen Epoche), in: Rosica Gradeva (Hg.): Mjusjulmanskata kultura po ba˘lgarskite zemi (Die islamische Kultur auf den bulgarischen Territorien), Sofia 1998, S. 56–126. 3 Die Tscherkessen und Baschibozuks waren für ihre Raubzüge berüchtigt. Während es sich bei Ersteren um eine systematisch aus dem Kaukasus von den Russen vertriebene ethnische Gruppe handelte, rekrutierten sich Letztere aus den ärmsten Sozialschichten und wiesen keine ethnische Homogenität auf. Zur Reform der osmanischen Armee und der anwachsenden Bedeutung irregulärer Truppen in diesem Prozess vgl. James J. Reid: Crisis of the Ottoman Empire. Prelude to Collapse 1839–1878, Stuttgart 2000. 4 Die geschätzten Opferzahlen von etwa 100 betroffenen Dörfern variierten zwischen 15.000 und 100.000. Allein in Batak sollen 9.000 Menschen umgekommen sein. Da unmittelbar vor dem Massaker die Einwohnerzahl von Batak 3.489 Personen betrug, sind die in der europäischen Presse kursierenden Zahlen von 5.000 bis 9.000 Toten in Batak als übertrieben anzusehen. Die von der offiziellen bulgarischen Historiografie »unbeachtete« osmanische Quelle zur Einwohnerzahl von Batak wurde publiziert von Dimita˘r Gadzˇanov: Turski iztocˇnici za novata ni istorija (Türkische Quellen zu unserer neuen Geschichte), in: Sbornik na BAN 3/1914, S. 1–69, S. 37–38. 5 Vgl. Brief vom 2. August 1876 aus Tatar-Pazardzˇik, in: Daily News, 9. August 1876. 6 Vgl. Januarius A. MacGahan: The Turkish Atrocities in Bulgaria. Letters of the Special Commissioner of the Daily News, London 1876. 7 Die deutsche Übersetzung beispielsweise erschien im Herbst 1876; id.: Die türkischen Gräuel in Bulgarien. Briefe von J. A. Macgahan, Special-Commissar der ›Daily News‹, Stettin 1876. 8 Id.: Turskite zverstva v Balgarija. Pisma na specialnija korespondent na »Daily News« E. D. Makgahana, übers. v. S[tefan] Stambolov, Sofia 1880. 9 Während der Turban eine traditionelle muslimische Kopfbedeckung darstellt, ist der Fez ein Accessoire der Reformzeit (Tanzimat), das die soziale Zugehörigkeit seines Trägers zur Intelligenz bzw. zu den Befürwortern der Reformen kennzeichnete, gleichermaßen von Christen und Muslimen, Bulgaren und Türken getragen. Diese motivische Unstimmigkeit beruht entweder auf Unwissen oder auf einer bewussten Entscheidung, alles Osmanische negativ zu konnotieren. 10 Zu den Türkendrucken des 16. Jahrhunderts vgl. Carl Göllner: Tvrcica, Die europäischen Türkendrucke des XVI. Jahrhunderts, 3. Bde, Bukarest et al. 1961–1978.
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11 Anleihen bei der christlichen Ikonographie wie das Bildschema der Pietà oder der Kreuzesabnahme finden sich auch in der heutigen fotografischen Kriegsberichterstattung, wie Susan Sontag in ihrem Essay Regarding the pain of Other (New York 2003, S. 93 f.) an einigen Beispielen deutlich macht. 12 Vgl. Ivan Vazov: V nedrata na Rodopite, in: Sbornik za narodni umotovrenija, nauka i knizˇnina, 8/1892, Bd. II, S. 3–104. 13 Das Manuskript befindet sich im Muzeum Narodowe Warszawa – Biblioteka, Zbiory Specjalne (IS PAN, Zb. Specjalne, Nr. 91). Teile der Biographie wurden ins Bulgarische von Dimita˘r G. Dimitrov übersetzt und im Katalog publiziert: Antoni Piotrowski. Svidetel i hronikjor na knjazˇeskoto vreme (Antoni Piotrowski. Zeuge und Chronist des Bulgarischen Fürstentums), Ausstellungskatalog, Sofia, Nacionalna galerija za cˇuzˇ destranno izkustvo (Nationalgalerie für ausländische Kunst), 1996–1997, Sofia 1996. 14 Ibid., o. P. 15 Vgl. Zachari Stojanov: Zapiski po ba˘lgarskite va˘zstanija, 3. Bde., Plovdiv 1884, Russe 1887, Sofia 1892. Die Ausstellung eröffnete mit einiger Verzögerung am 15. August 1892. Ursprünglich war der 2. August als Eröffnungsdatum geplant gewesen, so dass Piotrowski das Bild spätestens Ende Juli fertiggestellt haben musste. 16 Alle nachfolgenden Zitate im Text stammen aus der deutschen Übersetzung: MacGahan (Stettin) 1876 (wie Anm. 7), S. 16; MacGahan (London) 1876 (wie Anm. 6), S. 26 (»It is to be remarked that all the skeletons of women found here were dressed in a chemise only, […] partly in the search for money and jewels, partly out of mere brutality, then outraged, and afterwards killed.«). 17 MacGahan 1876 (wie Anm. 7), S. 18; MacGahan (London) 1876 (wie Anm. 6), S. 28 (»The banks of this stream were at one time literally covered with corpses of men and women, young girls and children, that lay there festering in the sun, and eaten by dogs. But the pitiful sky rained down a torrent upon them, and the little stream swelled and rose up and carried the bodys away.«). 18 MacGahan (Stettin) 1876 (wie Anm. 7), S. 21; MacGahan (London) 1876 (wie Anm. 6), S. 31 f. (»The people who committed this wholesale slaughter were not Circassians, as has been supposed, but the Turks of the neighbouring villages, led by the Achmet-Agha«). 19 MacGahan (Stettin) 1876 (wie Anm. 7), S. 16; MacGahan (London) 1876 (wie Anm. 6), S. 27 (»When a Mahometan has killed a certain number of infidels, he is sure of Paradise.«). 20 MacGahan (Stettin) 1876 (wie Anm. 7), S. 21; MacGahan (London) 1876 (wie Anm. 6), S. 32 (»[Batak] had excited the envy and jealousy of its Turkish neighbours, and the opportunities of plunder offered a temptation to the Turks which, combined with their religious fanaticism and the pretext of an insurrection […], was more than they could resist.«). 21 Der zitierte Eintrag findet sich irrtümlicherweise, wie so oft bei Piotrowski, unter dem Jahr 1895 verzeichnet, obschon die Bildsignatur eindeutig das Jahr 1892 trägt, in dem die Ausstellung in Plovdiv sattgefunden hat; vgl. Antoni Piotrowski: Avtobiografija. Izvadki otnosno Ba˘lgarija (Autobiographie. Auszüge bezüglich Bulgarien), Warschau 1969 –1970, S. 81 ff. (bulgarische Übersetzung von D. G. Dimitrov, unver.). 22 Die Konvergenz ist im Bulgarischen noch offensichtlicher, da der Name Cavra ins Kyrillische mit »K«, also Kavra transkribiert wird. Der Übersetzer der Autobiographie, der sie im Original eingesehen hat, merkt dazu an, dass der Name nicht leserlich geschrieben worden sei, weshalb er nicht ermitteln konnte, ob es sich um denselben Fotografen »Kavra« handelt, der »die berühmten Fotos in Batak machte«; vgl. Dimita˘r G. Dimitrov: »Batasˇkoto klane« ot Antoni Piotrowski v svetlinata na avtobiografijata na
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hudozˇnika (»Das Massaker von Batak« von Antoni Piotrowski im Lichte seiner Autobiographie), in: Izkustvo 7/1976, S. 30–31 (Anm. 1). 23 Vgl. Ernest Renan: Qu’est-ce qu’une nation?, in: id.: Œuvres complètes, 10. Bde, hg. v. Henriette Psichari, Paris 1947, Bd. I, S. 892. 24 Obschon die in der Autobiographie angeführten Datumseinträge nur selten verlässlich sind, kann in diesem Fall das von Piotrowski angegebene Datum der Reise von Sofia über Bukarest nach Krakau am 9. und 10. August 1886 durch Stojanovs Biographie bestätigt werden. Piotrowski verbrachte mit Stojanov demnach zwei Tage; vgl. Antoni Piotrowski 1969–1970 (wie Anm. 21), S. 58–59. 25 MacGahan 1876 (Stettin) (wie Anm. 7), S. 15; MacGahan (London) 1876 (wie Anm. 6), S. 25 (»The truth is that these Bulgarians, instead of the savages we have taken them for, are in reality a […] civilized and peaceful people. Now, as regards the insurrection, there was a weak attempt at an insurrection in three or four villages, but none whatever in Batak, and it does not appear that a single Turk was killed here. The Turkish authorities do not even pretend that there was any Turk killed here, or that the inhabitants offered any resistance whatever.«). 26 Bojcˇo: Va˘stanieto i klaneto v Batak, Plovdiv 1892, S. 64. 27 Auch dieser Fotografie stand MacGahan Pate; MacGahan (London) 1876 (wie Anm. 6), S. 29 (»What we saw there was too frightful for more than a hasty glance. An immense number of bodies had been partly burnt there and the charred and blackened remains, that seemed to fill it half way up to the low dark arches and make them lower and darker still, were lying in a state of putrefaction too frightful to look upon.«). 28 Der vom Künstler angegebene Zeitpunkt seines Besuchs in Batak, nämlich einige Monate vor August 1892, erscheint schon allein aus technischen Gründen zweifelhaft. Auf der Fotografie des inszenierten Massakers sind eindeutig Bäume in voller Blattkrone zu erkennen, welche angesichts der klimatischen Verhältnisse in Batak mit einem fast acht Monate andauernden Winter frühestens im Mai einen solchen Wachstumsstand aufgewiesen haben dürften. Demnach muss Piotrowski seine etwa fünf Quadratmeter große Leinwand, welche mehrere lasierende sowie opake Farbschichten, stellenweise einen pastosen Farbauftrag und eine deutlich zu erkennende Gesichtsübermalung aufweist – Malverfahren, die eine gewisse Zeit zum Trocknen der Ölfarbe beanspruchen –, innerhalb von höchstens zwei Monaten nicht nur entworfen und fertiggestellt, sondern auch auf die Reise von Krakau nach Plovdiv geschickt haben. Da wir zudem über etwaige Bulgarienreisen des Künstlers zwischen 1889 und 1892 nicht unterrichtet sind, können die Fotografien mit einiger Sicherheit auf 1888 datiert werden. 29 Diese Tatsache wird von einer Illustration mit dem Titel Mass for the Victims of the Bulgarian Massacres in the Church of Batak im englischen The Graphic bestätigt, die das Innere der Bataker Kirche während eines Gedenkgottesdienstes zeigt. Die Notiz unter dem Bild erklärt, dass die dargestellten Bauern an jenen Stellen Kerzen anzünden, wo sie ein Jahr zuvor die Leichen ihrer Nächsten vorgefunden hatten. Auf dem Boden sind jedoch nirgends menschliche Knochen oder Schädel zu sehen; vgl. The Graphic, Nr. 378, 24. Februar 1877, S. 176; vgl. Martina Baleva u. Ulf Brunnbauer (Hg.): Batak als bulgarischer Erinnerungsort, Sofia 2007, Abb. 7. 30 Meine vorläufige Ermittlung der Opferzahl beruht im Wesentlichen auf den Angaben des amerikanischen Missionaren James Clarke, welcher als erster Batak nach dem Massaker bereits im Juni besucht hat. Die Quelle wurde erstmals publiziert in: Dennis P. Hupchick (Hg.): James F. Clarke. The Pen and the Sword. Studies in Bulgarian History, New York 1988, S. 428 ff. Sie ist von der bulgarischen Historiografie unbeachtet geblieben, da sie das Bild der MacGahan zufolge 9.000 Umgebrachten »stört«.
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31 Piotrowskis Vorgehensweise scheint kein Einzelfall gewesen zu sein. Susan Sontag nennt neben zwei Beispielen inszenierter Kriegsfotografie aus der Mitte des 19. Jahrhunderts auch eine 1858 entstandene Fotografie von Felice Beato mit dem Titel Gebeine von Aufständischen, die vom Fotografen im Hof des zerstörten Sikandarbagh-Palast in Form einer Schädelstätte mit älteren Knochen inszeniert wurden. Die Parallele zu unserer Fotografie ist umso verblüffender, als Beato ein paar »Eingeborene« (der Ausdruck stammt von Sontag) an den Säulen im Hintergrund posieren ließ, und auf dem ganzen Hof Menschenknochen verteilte; vgl. Sonntag 2003 (wie Anm. 11), S. 65 ff. Für den Hinweis auf Sontags Essay danke ich Anna Theres Grosskopf.
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REGISTER
Adler, Jankel 107 Adorno, Theodor W. 61 Ahlers-Hestermann, Friedrich 23 Aleš, Mikoláš 84 Allan, Francis 326 Altdorfer, Albrecht 175 Ampzing, Samuel van 327 Andrew, Keith 175, 178 Anthony, Susan B. 272 Arda, Orhan 313 Arimathia, Joseph von 270 Arminius (Hermann der Cherusker) 4, 66 Arntz, Gerd 108, 109 Arp, Hans 128 Atatürk, Mustafa Kemal 309–314, 316–318, 320 August III. (Friedrich August II.) von Sachsen 355 Baccelli, Guido 224 Bal, Mieke 181 Barlach, Ernst 71 Barnes, Albert 149 Barr, Alfred 149, 158
REGISTER
Barrès, Maurice 123, 127 Baselitz, Georg 61, 62 Basler, Adolphe 126 Battenberg, Alexander von 375 Bazin, Germain 127 Beckmann, Max 99–101 Behrens, Peter 11–16, 18–26 Belling, Rudolf 309–311, 316, 317, 320 Belting, Hans 3 Berecci, Bartholomeo 356 Bestelmeyer, German 294 Bianchi, Salvatore 217 Biondo, Flavio 352 Blanchard, Maria 128 Bode, Wilhelm von 174 Bodley, George Frederick 269, 270, 273 Boehme, Jakob 175 Bojčo, siehe Goranov, Angel P. Bömelburg, Hans-Jürgen 351, 354 Bonatz, Paul 294, 300, 302, 309, 311–315, 317, 318, 320 Bonnard, Pierre 128 Bosslet, Albert 294 Bourdelle, Antoine 124, 131
399
Bragaglia, Giulio 150 Brancusi, Constantin 107 Braque, Georges 107, 128, 131 Braun, Emily 149 Breker, Arno 141 Brennan, Timothy 170 Breton, André 144, 146, 158 Breuer, Robert 70 Breysig, Kurt 16, 17 Bruno, Giordano 181 Buchloh, Benjamin 121 Burckhardt, Jacob 289 Bürger, Peter 42 Burnham, Daniel H. 264, 268 Campen, Jacob van 360, 362, 363 Campigli, Massimo 148 Caravaggio (Michelangelo Merisi) 171, 172, 174, 175, 177, 181 Carrà, Carlo 104, 142, 146, 148, 156 Carracci (Familie) 171 Carriere, Moritz 68 Cavour, Camillo 210 Cavra, Dimita˘ r 379, 381, 384–386, 388, 389, 391, 393 Çavus¸og ˘lu, Muammer 312 Celtis, Conrad (auch Konrad Celtes) 352, 356 ˇermák, Jaroslav 373 C Chagall, Marc 119–121, 124, 127, 128, 131, 134 Chardin, Jean-Baptiste-Siméon 133 Charensol, Georges 127 Chigi, Agostino 349 Chirico, Giorgio de 100, 110, 131, 141, 143–160 Chirico, Isabella de 150 Chirico, Raissa de 150 Chytil, Karel 86 Ciano, Edda 151, 152 Ciano, Galeazzo 151, 152 Cipolla, Antonio 217 Cipriano, Oppo 152 Commichau, Felix 20 Cornelius, Peter von 193 Cysnarski, Stanisław 351 DaCosta Kaufmann, Thomas 5, 169 Dalí, Salvador 128 Dammeier, R. Conrad (Ministerialrat) 292, 293 Dębołęcki, Wojciech 352 Decjusz, Justus Ludwig 364 Delacroix, Eugène 197, 373, 392 Delaunay, Robert 119, 131 Dell’Aqua, Andrea 359 Derain, André 104, 128, 131 Dientzenhofer (Familie) 87
400 REGISTER
Dix, Otto 99, 111, 112 Długosz, Jan 352 Drost, Willi 174, 175 Dübbers, Karl 294 Dufy, Raoul 128 Dürer, Albrecht 173, 175, 198, 200 Einstein, Albert 272 Eitelberger, Rudolf von 79 El Greco 176 Eldem, Sedad Hakkı 313, 320 Elsheimer, Adam 171–182 Erasmus von Rotterdam 353 Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein (Großherzog) 13, 20 Ernst, Max 107, 128 Eschenbach, Wolfram von 22 Escholier, Raymond 122, 128–130, 132, 133 Faber, Hans 111–113 Fanta, Josef 82 Farinacci, Roberto 149 Fautrier, Jean 133 Feddersen, Hans Peter 188, 190, 191, 195 Fedgal, Charles 127 Feininger, Lyonel 14, 17 Fellner, Ferdinand 239 Fenollosa, Ernest 44, 45 Ferstel, Heinrich 82 Fiorentino, Francesco 356 Flagg, Ernest 268 Foschini, Arnoldo 313 Foujita, Tsuguharu-Léonard 124 Freundlich, Otto 107, 199 Friedrich, Caspar David 1–5, 12 Fuchs, Georg 14, 24 Fuchs, Willi 298, 299 Funi, Achille 148 Galileo Galilei 174 Gameren, Tilman van 346, 360, 361, 363, 364 Garibaldi, Giuseppe 226 Gauguin, Paul 63 Gellée, Claude (Le Lorrain) 172, 178 Gemperle, Karel 82 Gentile, Giovanni 142, 143 George, Waldemar 126, 127, 159 Giesau, Hermann 296 Giesen, Bernhard 335 Gimmi, Wilhelm 128 Glančnik, Jernej 246, 248 Gleizes, Albert 107, 128 Glichner, Erasmus 352 Göbel, Matthäus 300
Gočár, Josef 88, 91 Goltzius, Hendrick 326, 327, 332, 338 Goranov, Angel P. (auch Bojčo) 390, 392 Goranov, Peta˘ r 383, 389–391 Goranova, Marga 383 Gordenker, Emilie 179, 180 Goyen, Jan van 328 Graf, Oskar 298 Gregorovius, Ferdinand 215 Gris, Juan 124, 131 Groote, Rudolf von 292 Grossberg, Carl 101 Grosz, George 99–101, 111 Grünewald, Matthias 175 Guérin, Charles 124 Gurlitt, Cornelius 86 Haanen, Fritz van 377 Hartlaub, Gustav Friedrich 98–102, 104, 106, 111–113 Haur, Jakub Kazimierz 345, 348–351, 360, 363, 365 Haussmann, Georges-Eugène 222 Heckel, Erich 64, 73 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 46, 68, 77 Heinrich der Löwe 296 Heinrich I. (Liudolfinger) 295, 296 Heinrich VIII. (Tudor) 265 Helmer, Hermann 239 Herbin, Auguste 104, 107 Herder, Johann Gottfried 79 Hermann der Cherusker, siehe Arminius Herrmann-Neisse, Max 99, 100 Herodot von Halikarnassos 352 Heynoldt, Anke 351 Hiecke, Robert 292, 296 Hindenburg, Paul von 295 Hitler, Adolf 142, 298, 300 Hobsbawm, Eric 91 Hoerle, Heinrich 107 Hoetger, Bernhard 71 Hofman, Vlastislav 88 Hofmann, Werner 77 Holbein, Hans d. J. 172, 173, 175 Hölderlin, Johann Christian Friedrich 67 Holtay, Arif Hikmet 312 Holzmeister, Clemens 310, 311, 313 Hostinský, Otakar 79, 80 Hribar, Ivan 238 Hübsch, Heinrich 89 Huizinga, Johan 326, 327 Huyghe, René 127 Ilg, Albert 86
REGISTER
Jacob, Max 125 Jagiellonen (Dynastie) 352, 354 Janák, Pavel 88 Jansen, Hermann 310, 311 Jatho, Carl Oskar 107 Jefferson, Thomas 272 Jensen Adams, Ann 328 Kacarovi (Brüder) 385 Kanoldt, Alexander 99–101 Kawai, Kanjiro 47, 50 Kennedy, John F. 272 Kepler, Johannes 174 Kera, siehe Cavra, Dimita˘ r Kiefer, Anselm 61, 62, 73, 74 Kirchner, Ernst Ludwig 64, 68–73 Kisling, Moïse 124, 128, 131 Klee, Paul 14, 197 Klenze, Leo von 78 Klessmann, Rüdiger 179 Kobori, Enshu Masakazu 43 Koch, Alexander 12 Koch, Gaetano 219 Kochowski, Wespazjan 358 Koman, Ilhan 317 Koniecpolski, Stanisław 347 König Arthur 270 Koula, Jan 81, 82, 84, 85, 87 Krasiński, Jan Dobrogost Bonawentura 365 Krüger, Johannes 313 Kugler, Franz 80 Kuhn, Alfred 70 Kurzbold, Konrad 297 L’Enfant, Pierre Charles 263, 266, 279 Lanciani, Rodolfo 225 Langbehn, Julius 194–197, 199 Lang-Danoli, Hugo 69 Lanzi, Luigi 173 Le Corbusier 33, 50 Leach, Bernard 47 Léger, Fernand 107, 124 Lehmbruck, Wilhelm 71 Leyden, Lucas van 173 Lendvai-Dierksen, Erna 74 Lennep, David Jacob van 325–327 Levasseur, Guillaume 359 Lhote, André 124 Libera, Adalberto 148 Lichtwark, Alfred 192, 193, 198 Lincoln, Abraham 271, 272 Lipchitz, Jacques 124, 131 Locher, Hubert 170 Longhi, Roberto 149
401
Lubomirski, Jerzy Sebastian 361 Lubomirski, Stanisław Herakliusz Lurçat, Jean 107
Muther, Richard 191 361
MacGahan, Janarius 374, 375, 379–381, 389, 392, 393 Macini 172 Madison, James 272 Mádl, Karel B. 86 Maginnis & Walsh 276 Makovsky, Konstantin E. 378 Malewitsch, Kasimir 107 Mander, Karel van 172 Mann, Thomas 201 Maraini, Antonio 147, 148 Marcoussis, Louis 124 Martini, Arturo 149 Masson, André 128 Mathijszens, Diric 333 Matisse, Henri 124, 125, 128, 131, 133, 197 Mauclair, Camille 126, 127 Maurras, Charles 123, 127 Mazzini, Giuseppe 217, 226 McKinley, William 266 Meier-Graefe, Julius 22 Meister Benedikt 356, 357 Melanchthon, Philipp 353 Melville, Hermann 272 Mense, Carlo 99 Mérode, Frédéric François Xavier de 216, 217, 219 Michelangelo Buonarroti 71, 151, 173, 210, 217, 219 Miechowita, Maciej (eigentl. Maciej Karpiga, auch Matthias de Miechow) 352 Mies van der Rohe, Ludwig 33 Milde, Kurt 86 Miró, Joan 128 Modersohn, Otto 191 Modigliani, Amedeo 124, 128, 131, 147, 148 Molijn, Pieter de 328 Mondrian, Piet 128 Monet, Claude 193 Montaigne, Michel de 181 Montparnasse, Kiki de 125 Morandi, Giorgio 143 Morris, William 47 Morsztyn, Hieronim 358 Mukhina, Vera 141 Munch, Edvard 66 Muñoz, Antonio 223 Murphy, Frederick V. 276 Musil, Robert 77 Mussolini, Benito 104, 142, 143, 147–149, 151, 152, 156, 157, 211, 222
402 REGISTER
Napoleon Bonaparte 216, 224 Niemeyer, Wilhelm 64 Nietzsche, Friedrich 14, 22–24 Nolde, Emil 73, 187, 188, 190–201 Nora, Pierre 2 Novák, Ladislav 250 Novotný, Otakar 88 Obrist, Hermann 69 Ohmann, Friedrich 86 Ojetti, Ugo 148 Okakura, Kakuzo 34, 43–49 Olbrich, Joseph Maria 18–21, 26 Oldach, Julius 193 Olesiński, Zbigniew 354 Olmsted, Frederick Law, Jr. 264 Onat, Emin 313, 317, 318, 320 Oppo, Cipriano 142, 148, 152 Orlan, Pierre Mac 125 Ovens, Jürgen 360 Ozenfant, Amédée 124, 131 Özkan, Hüseyin Anka 316, 317 Palladio, Andrea 348, 349, 359, 362 Pascin, Jules 124, 125, 128, 131 Pechstein, Max 71 Perriand, Charlotte 50 Pershing, John J. (General) 267 Peruzzi, Baldassare 349 Philipp II. (von Spanien) 332 Philipp von Burgund 332 Piacentini, Marcello 142, 143 Picasso, Pablo 63, 104–107, 124, 125, 128, 130, 131 Piccolomini, Enea Silvio (Pius II.) 352 Piotrowski, Antoni 374, 375, 379–382, 385, 387–393 Pius IX. (Papst) 210, 211, 214, 216, 217 Pius X. (Papst) 274 Plinius (der Jüngere), Gaius Caecilius Secundus 358 Plinius (der Ältere), Gaius Plinius Secundus Maior 169 Poggi, Giuseppe 210 Polívka, Osvald 86 Ponti, Gio 150 Poussin, Nicolas 152, 154, 155 Ptolemäus, Claudius 352 Purkyně, Karel 80 Rádl, Emanuel 77 Raffael 151, 173 Rauch, Jakob 292
Reichensperger, August 289 Reims, Flodoard von 352 Rembrandt van Rijn 145, 151, 178, 195, 196 Renan, Ernest 122, 123, 126, 388 Riegel, Hermann 68 Rieger, Frantisˇek Ladislav 79 Riegl, Alois 69 Rienzo, Cola di 227 Rikyu, Sen no 45 Rodtschenko, Alexander 107 Rodin, Auguste 71 Roh, Franz 101, 104, 113 Roosevelt, Theodore 266 Roszak, Stanisław 351 Rottenhammer, Hans 172 Rousseau, Henri 128 Rubens, Peter Paul 145, 151, 176, 178 Rubin, William 158 Ruskin, John 69, 289 Sabellico, Marcantonio 352 Sacconi, Giuseppe 225 Salmon, André 124, 125, 129 Sandrart, Joachim von 172–174, 178 Sarfatti, Margherita 142, 147–149 Sarnicki, Stanisław 352 Satterlee, Henry Yates 265–270, 273 Sauerlandt, Max 65, 71 Savinio, Alberto 151 Scamozzi, Vincenzo 347, 348, 359 Schad, Christian 101 Schäfer, Carl 288, 292, 293 Schäffler, Wilhelm 294/295 Schama, Simon 328 Schapire, Rosa 64 Scheerer, Erwin 295 Scheffler, Karl 22 Schiefler, Gustav 188, 195 Schinkel, Karl Friedrich 289 Schmidt-Hellerau, Karl 44 Schmidt-Rottluff, Karl 64, 65, 71 Schmied, Wieland 101, 113 Schulz, Josef 80 Schumacher, Fritz 69 Schwechten, Franz Heinrich 289 Schrimpf, Georg 99 Sedlmayr, Hans 77 Seibt, Wilhelm 174 Seidler, Louise 4 Seiwert, Franz Wilhelm 97, 98, 101, 102, 104–113 Sella, Quintino 211, 212 Semper, Gottfried 33, 37, 68–70, 80, 289 Serlio, Sebastiano 359, 361, 364
REGISTER
Sertel, Muhlis 312 Severini, Gino 104, 131, 148, 156 Sforza, Bona 356 Shahan, Thomas J. 275, 277 Shakespeare, William 174 Sigismund (II.) August, Jagiellon 356 Sigismund I. (der Alte) Jagiellon 352, 356 Silvestre, Louis de 355 Sironi, Mario 141–143, 148, 149, 152 Sˇkabrout, František 238, 241, 242, 244 Sobieski, Johann III. 351, 354, 355 Soby, James Thrall 158 Soffici, Ardengo 148 Soutine, Chaim 124, 128, 131, 133 Souvan, Fran Ksaverij 236 Spengler, Oswald 194, 201 Spitta, Max 289 Springer, Anton 63–65 Stalin, Josef 142 Stange, Alfred 66 ˇtech, Rudolf 82 S ˇtech, Václav Vilém 88, 89 S Stern, Raffaele 216 Stewart Gardner, Isabella 45 Stier, Hubert 85, 288, 289 Stojanov, Zachari 379–381, 388–393 Stremayr, Karl von 86 Stryjkowski, Maciej (Matys Strycovius) 352 Taine, Hippolyte 79, 83, 194 Tamms, Fritz 300 Tatlin, Wladimir 107 Taut, Bruno 31–43, 46, 48–51, 310, 311 Tengbom, Ivar 312 Terragni, Giuseppe 141, 143, 148 Theegarten (Ministerialrat) 292, 293 Thoma, Hans 198 Tilbury, Gervasius von 352 Tintoretto 176 Tizian (Tiziano Vecellio) 173 Tocqueville, Alexis de 261, 280 Todt, Fritz 301 Tournon, Camillo de 216 Toyotomi, Hideyoshi 45 Trevano, Giovanni Battista 258 Tyrš, Miroslav 82, 83, 85 Uhde, Wilhelm 127 Ulewicz, Tadeusz 351 Ullmann, Ignác 80, 90 Umberto I. 215 Valentiner, Wilhelm R. 65 Van Dongen, Kees 124, 128, 131
403
Vanderpyl, Fritz 126 Vaughan, Henry 269, 270 Vazov, Ivan 379 Veblen, Thorstein 48 Vechten, Carl van 150 Vejrych, Jan 84, 248, 251, 253 Vespignani, Virginio 216 Viktor Emanuel III. 215 Viktor Emanuel II. 210, 211, 215, 216, 218, 220–222 Vischer, Friedrich Theodor 68 Visscher, Claes Jansz. 337, 338 Vitruvius, Marcus Pollio 348, 359 Viviani, Alessandro 211, 218, 220 Wagner, Adolf 241, 243, 244 Wagner, Martin 310 Wagner, Otto 18 Wagner, Richard 22 Waldseemüller, Martin (auch Waltzemüller) 352 Warnod, André 124–127, 129, 131, 132 Warszewicki, Krzysztof 352 Washington, George 266, 271
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Weichinger, Karoly 312 Weizsäcker, Heinrich 174, 175 Westheim, Paul 66 Weyres, Willy 291, 292 Wiegmann, Rudolf 78 Wiehl, Antonín 81–89, 91 Wierix, Johan 333 Wildemann (Landesbaurat) 292 Wilhelm II. (von Hohenzollern) 216, 289 Wilson, Thomas Woodrow 271, 274 Winckelmann, Johann Joachim 39, 68, 79 Winthrop, John 269 Wirth, Zdeněk 82, 90, 91 Wolff Metternich, Franz Graf von 292 Wölfflin, Heinrich 86, 198, 200 Worringer, Wilhelm 88 Yanagi, Soetsu 34, 47, 48 Zadkine, Ossip 124, 131 Zbylitowski, Piotr 358 ˇ eníšek, František 81, 84 Z Zeyer, Jan 82, 87 Zítek, Josef 79–81, 242
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Grosskopf 1, 5, 11 Peter Behrens in Nürnberg, Ausstellungskatalog, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, 1980, Nürnberg 1980; 2, 3, 6, 7, 8 Ein Dokument Deutscher Kunst. Großherzog Ernst Ludwig und die Ausstellung der Künstler-Kolonie in Darmstadt von Mai bis Oktober 1901, hg. v. Alexander Koch, Darmstadt 1901; 9 Centenarium. Einhundert Jahre Künstlerkolonie Mathildenhöhe Darmstadt, Ausstellungskatalog, Darmstadt, Institut Mathildenhöhe, 2001, Darmstadt 2001; 10 Stanford Anderson: Peter Behrens and a New Architecture for the Twentieth Century, Cambridge 2000. Wolff 1, 2, 3, 4 Bruno Taut. Retrospektive Natur und Fantasie 1880–1893, hg. v. Manfred Speidel, Ausstellungskatalog, Magdeburg, Kulturhistorisches Museum, 1994, Berlin 1995; 5 R. T. Paine u. A. Soper (Hg.): The Art and Architecture of Japan, London 1955; 7 Japanese Art after 1945. Scream Against the Sky, hg. v. Alexandra Munroe, Ausstellungskatalog, Yokohama Museum of Art, 1994, New York 1994; 8 Japanese Aesthetics and the Sense of Space, Ausstellungskatalog, Tokyo, Sezon Bijutsukan, Tokyo 1990; 9 Living in the Material World. Things in the Art of the 20th Century and Beyond, Texte v. Yusuke Minami, Ausstellungskatalog, Tokio, National Art Center, 2007, Tokio 2007; 10 Charlotte Perriand, Ausstellungskatalog, Paris, Centre National d’ Art et de Culture Georges Pompidou, 2006, Paris 2006. Wagner 1 Georg Baselitz. Skulpturen und Zeichnungen, hg. v. Carl Haenlein, Ausstellungskatalog, Hannover, Kestner-Gesellschaft, 1987, Hannover 1987; 2 Georges Duby u. Jean-Luc Daval (Hg.): Skulptur. Von der Renaissance bis zur Gegenwart, 2 Bde., Köln 2006, Bd. II.: 15. bis 20. Jahrhundert; 3 Gerhard Wietek: Karl Schmidt-Rottluff. Plastik und Kunsthandwerk. Werkverzeichnis, München 2001; 4 Lothar-
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Günther Buchheim: Die Künstlergemeinschaft Brücke. Gemälde, Zeichnungen, Graphik, Plastik, Dokumente, Feldafing 1956; 5 Ole Sarvig: Edvard Munch. Graphik, Kopenhagen 1948; 7 Die Brücke in Dresden 1905–1911, hg. v. Birgit Dalbajewa und Ulrich Bischoff, Ausstellungskatalog, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Galerie Neue Meister, 2001–2002, Köln 2001; 8 Jill Lloyd: German Expressionism. Primitivism and Modernity, New Haven u. London 1991; 9 Helmut Flade: Holz. Form und Gestalt, Dresden 1976; 10 Anselm Kiefer. Bücher 1969–1990, hg. v. Götz Adriani, Ausstellungskatalog, Tübingen, Kunsthalle, 1990, Stuttgart 1990; 11 Paul Westheim: Das Holzschnittbuch, Potsdam 1921. Vybíral 1 Architektura v českém národním dědictví, Prag 1961; 2, 3, 4 Umění (Štencovo) I, 1918–1921; 5 Zprávy Spolku inženýrů a architektů XXVI, 1892; 6, 7 Marie Benešová: Josef Gočár, Prag 1958; 8 Styl 9/1923–1924. Roth 1, 2 Stationen der Moderne. Die bedeutenden Kunstausstellungen des 20. Jahrhunderts in Deutschland, red. by Michael Bollé, Exhibition Catalogue, Berlin, Berlinische Galerie, 1988–1989, Berlin 1988; 4, 5, 6 Zeitgenossen. August Sander und die Kunstszene der 20er Jahre im Rheinland, ed. by Photographische Sammlung, SK Stiftung Kultur, Köln, Göttingen 2000; 7, 9 Photo Lynette Roth; 8 Glitter and Doom. German Portraits from the 1920s, ed. by Sabine Rewald, Exhibition Catalogue, New York, The Metropolitan Museum of Art, 2006–2007, New York, New Haven/Conn. 2006. Kangaslahti 1, 3, 4 L’École de Paris 1904–1929: la part de l’Autre, Exhibition Catalogue, Paris, Musée d’Art moderne de la Ville de Paris, Paris 2000; 2 The Guggenheim Collection, Guggenheim Museum Publications, New York 2006; 5 Christopher Green: Art in France 1900–1940, New Haven and London 2001, © RogerViollet, Paris; 8 Norman L. Kleeblatt and Kenneth E. Silver (eds.): An Expressionist in Paris: The Paintings of Chaim Soutine, Munich and New York 1998. Hirsh 1, 2, 4, 8, 12 Die andere Moderne De Chirico Savinio, ed. by Paolo Baldacci and Wieland Schmied, Exhibition Catalogue, Düsseldorf, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2001, Ostfildern-Ruit 2001; 3, 11 De Chirico, Il barocco. Dipinti degli anni ’30–50, ed. by Luigi Cavallo and Maurizio Fagiolo, Milano 1991; 5, 6, 10 Reproduction courtesy of Private Archive, Berlin; 9 Alain Mérot: Nicolas Poussin, New York 1990. Krüger 1 Aquarelle und figürliche Radierungen, Ausstellungskatalog, Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, 1991, Münster 1991, © Nolde Stiftung Seebüll; 2 Hans Peter Feddersen: Ein nordfriesischer Maler. Auswahl aus seinen Werken, mit Einführung von Gustav Schiefler, Glückstadt 1913; 3 Nina Lübbren: Rural Artists’s Colonies in Europe. 1870–1910, Manchester 2001. Hentschel 1, 3 Gianfranco Spagnesi (Hg.): La Piazza del Quirinale e le antiche Scuderie papali, Rom, Mailand 1990; 4 Vittorio De Feo: La Piazza del Quirinale. Storia, architettura, urbanistica, Rom 1973; 6, 9, 10 Mario Sanfilippo: La costruzione di una capitale. Roma 1870–1911, Mailand 1992; 7 Spiro Kostof: The Third Rome 1870–1950. Traffic and Glory, Berkley 1973; 8 Leonardo Benevolo: Roma oggi. Rom, Bari 1977 Pemic 1 Marjan Krušič (Hg.): Pozdrav iz Ljubljane. Mesto na starih razglednicah, Ljubljana 1985; 2 Privatsammlung Primož Premzl; 3, 5 © Narodna galerija, fototeka (Fotothek der Nationalgalerie), Ljubljana, Foto Luka Hribar; 4 Lambert Rosenbusch (Hg.): Industrial Design 08: Das Haus ein Zeichen. Vom Kultplatz zum Schauspielhaus, Schwerin 1999; 6 Der Bautechniker, 13/1893, Nr. 40 (06.10.);
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8 Woerl’s Reisehandbücher; 10 Sve˘tozor, Nr. 32, 1. Juli 1898; 11 Pokrajinski arhiv (Landesarchiv), Maribor. Minta 1 Washington, D.C., Commission of Fine Arts; 2 Washington, D.C., Archiv der Washington Cathedral, WNC 182-7-9; 3 Washington, D. C., Archiv der Washington Cathedral WNC 174-31-1; 4, 6, 7 Foto Elody R. Crimi, 2003, aus: Elody R. Crimi u. Diane Ney: Jewels of Light. The Stained Glass of Washington National Cathedral, Washington National Cathedral Guidebook, Washington D.C. 2004; 5 Foto Anna Minta, 2007; 8 Washington, D.C., Archiv der Basilica of the National Shrine of the Immaculate Conception, Box 23: Dedication of Corner Stone; 9 Washington, D.C., Archives of the Catholic University of America, Shrine Collection; 10, 11 Foto Anna Minta. Verhoeven 1 Archiv Landesamt für Denkmalpflege Hessen, B 10.992; 2 Peer Zietz: Franz Heinrich Schwechten: Ein Architekt zwischen Historismus und Moderne, Stuttgart u. London 1999; 3 Bischöfliches Ordinariat Limburg, Fotoarchiv, 19/867; 4 Seriennr.: K20815/05 (K 20816/4), Bildnummer: 34, aus: Bernhard Jussen (Hg.): Liebig’s Sammelbilder, Berlin 2002, HAUS 1374; 6 Katalog Große Deutsche Kunstausstellung 1940 im Haus der Deutschen Kunst zu München Juli bis Oktober 1940, München 1940; 7 Reichsministerium Speer (Hg.): Das Erlebnis der Reichsautobahn. Ein Bildwerk von Hermann Harz, mit einer Einführung von Herybert Menzel, München o.J [1941]; 8 Diözesanarchiv Limburg, Nachlass Foto Heinz, Autobahn 1728; 9 Archiv Landesamt für Denkmalpflege Hessen, B 11.020. Dogramaci 2 Nachlass Familienarchiv Bonatz, Peter Dübbers; 3 Atatürk için düs ¸ ünmek. I˙ki eser: Katafalk ve Anıtkabir. I˙ki Mimar: Bruno Taut ve Emin Onat (Für Atatürk gedacht. Zwei Werke: Katafalk und Anıtkabir, Zwei Architekten: Bruno Taut und Emin Onat), Ausstellungskatalog Technische Universität, Istanbul 2 1998; 4, 5, 6 Necdet Evliyagil: Atatürk ve Anıtkabir, Ankara 1988. Volmert 1 Peter Sutton at al. (Hg.): Masters of 17th-Century Dutch Landscape Painting, Ausstellungskatalog, Amsterdam, Rijksmuseum, 1987–1988, Boston 1987; 2 Huigen Leeflang: Dutch Landscape: The Urban View. Haarlem and its Environs in Literature and Art, 15th–17th Century, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 48/1997; 3 Karsten Müller: Grenzmarkierungen. Argumentationsstrategien und Identitätskonstruktionen in der politischen Druckgraphik der Niederlande zwischen 1570 und 1625, Phil. Diss. Hamburg 2003; 4 Wim van Anrooij (Hg.): De Haarlemse gravenportretten. Hollandse geschiedenis in woord en beeld, Hilversum 1997; 5 Klaus Barthelmeß u. Joachim Münzing: Monstrum Horrendum. Wale und Waldarstellungen in der Druckgraphik des 16. Jahrhunderts und ihr motivkundlicher Einfluß, Hamburg, Bremerhaven 1991, Bd. II; 6, 7, 8 Catherine Levesque: Journey through Landscape in Seventeenth-Century Holland. The Haarlem Print Series and Dutch Identity, University Park 1994. Woldt 3 Szlachetne dziedzictwo czy przeklęty spadek. Tradycje sarmackie w sztuce i kulturze [Edles Erbe oder Teufelserbschaft. Sarmatische Tradition in Kunst und Kultur], Ausstellungskatalog, Posen, Muzeum Narodowe [Nationalmuseum], 2004–2005, hg. v. Joanna Dziubkowa, Posen 2004; 4 Foto Tomek Ratajczak, Privatarchiv; 5 Adam Miłobe˛dzki: Architektura polska XVII wieku [Polnische Architektur des 17. Jh.], 2. Bde., Warschau 1980, Bd. I; 6 Wikimedia Commons; 7, 9 Stanisław Mossakowski: Tilman van Gameren. Leben und Werk, Berlin u. München 1994; 8 © Stockholm, Nationalmuseum. Baleva 1 Nacionalna galerija za čuždestranno izkustvo Sofia, Inv. Nr.: NIR-05-k-IV-3Ω-331, mit Originalrahmen, Signatur unten rechts: Antoni Piotrowski Kraków, 1892, Foto Todor Mitor, 2007; 2 Illjustrirovannaja Chronika Vojny, Bd. II, 1878; 7 Foto Martina Baleva, 2005, Privatarchiv; 8, 9 Svetlina 9–10/1894; 11 Foto Ljubomir Piperkov, in: Ba˘ lgarsko 1976.
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Alle anderen Abbildungen entstammen den Archiven der Autorinnen und Autoren bzw. der Fotothek des Kunstgeschichtlichen Seminars in Hamburg. Leider war es nicht in allen Fällen möglich, die Inhaber der Rechte zu ermitteln. Es wird daher gegebenenfalls um Mitteilung gebeten.
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