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German Pages 385 Year 1997
KONSTANTINOS GOGOS
Verselbständigte Verwaltungseinheiten als Adressaten staatlicher Sonderbindungen
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 735
Verselbständigte Verwaltungseinheiten als Adressaten staatlicher Sonderbindungen Eine rechtsvergleichende Untersuchung am Beispiel der Grundrechte
Von Dr. Konstantinos Gogos
Duncker & Humblot * Berlin
Gedruckt mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Gogos, Konstantinos: Verselbständigte Verwaltungseinheiten als Adressaten staatlicher Sonderbindungen : eine rechtsvergleichende Untersuchung am Beispiel der Grundrechte / von Konstantinos Gogos. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 735) Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09136-1
Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09136-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1996 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Für die Anregung zu diesem Thema, die Betreuung und Förderung der Arbeit möchte ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Eberhard Schmidt-Aßmann, ganz herzlich danken. Herrn Professor Dr. Franz Merli danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ein besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Wassilios Skouris, der mir in vielen Gesprächen wertvolle Anregungen gegeben hat. Herrn Dr. D. Triantafyllou bin ich ebenfalls fur seine Hinweise dankbar. Zu besonderem Dank für die sprachliche Korrektur der Arbeit bin ich Herrn Dr. Stephan Lehr wie auch Frau Uli Mayo verpflichtet. Für die unzähligen Gespräche, seine kritischen Bemerkungen und seine Freundschaft danke ich Herrn Georg Ziamos. Dem Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg danke ich für die freundliche Bereitstellung der ausländischen Literatur, die zur Verfassung der vorliegenden Arbeit benötigt wurde. Zum Schluß möchte ich dem Deutschen Akademischen Austauschdienst für die Gewährung eines Promotionsstipendiums und einer Beihilfe zu den Druckkosten danken. Die Arbeit ist meinen Eltern, Manolis und Filio, gewidmet.
Thessaloniki, im Juli 1997 Konstantinos Gogos
Inhaltsverzeichnis
Einleitung a) Der Gegenstand der Untersuchung b) Begriffliches c) Der Gang der Untersuchung
19 23 24
Erstes Kapitel
Organisationsrechtliche Grundsätze 1. Abschnitt. Verselbständigte Verwaltungseinheiten in Deutschland I. Der Dualismus der Organisationsformen 1. Vorbemerkung 2. Die öffentlich-rechtliche Organisationsform im Hinblick auf die Erfüllung öffentlicher Aufgaben 3. Erfüllung "hoheitlicher Aufgaben" als vorbehaltener Aufgabenbereich öffentlich-rechtlicher Träger 4. Fazit: Aussagegehalt und Folgen des Dualismus der Organisationsformen Π. Grundlegende Merkmale öffentlich-rechtlicher Träger: Errichtungsbefugnis und Staatsaufsicht
27 27 27 28 30 34 35
ΙΠ. Bauformen öffentlich-rechtlicher Träger: Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts IV. Verselbständigte Verwaltungseinheiten als juristische Personen des Privatrechts 1. Der rechtliche Rahmen staatlicher Betätigung in privatrechtlichen Organisationsformen 2. Privatrechtliche Organisationsformen: Binnenstrukturen und staatliche Ingerenzen a) Kapitalgesellschaften (AG und GmbH)
39 43 43 50 50
Inhaltsverzeichnis
8
b) Vereine und Stiftungen V. Zusammenfassung 2. Abschnitt. Verselbständigte Verwaltungseinheiten in Frankreich
54 57 59
I. Der Inhalt der Organisationsform des öffentlichen Rechts 59 1. Der Ansatzpunkt des Dualismus zwischen öffentlichem und privatem Recht: Der Begriff des service public und seine Verzweigungen 59 2. Die Verfassung selbständiger Verwaltungsträger im Lichte der Aufgabenlehre des service public 63 3. Die Abgrenzung zwischen den öffentlich- und den privatrechtlichen Organisationsformen in der Rechtsprechung
64
4. Die Bedeutung des Dualismus der Organisationsformen
67
Π. Bauformen des öffentlichen Rechts 1. Die öffentliche Anstalt a) Definition und Erscheinungsformen b) Grundzüge des Anstaltsorganisationsrechts aa) Errichtungsgewalt bb) Staatsaufsicht
68 68 68 73 73 74
2. Die sondergesetzliche öffentlich-rechtliche Organisationsform: Der Verband im öffentlichen Interesse (groupement d'intérêt public) ΠΙ. Organisationen zwischen privatem und öffentlichem Recht
76 78
IV. Privatrechtliche Organisationsformen
79
1. Allgemeine Charakteristika 2. Bauformen und staatliche Ingerenzen a) Aktiengesellschaften b) Der privatrechtliche Verein und die Stiftung V. Der Begriff des öffentlichen Sektors VI. Zusammenfassung
79 81 81 83 86 87
3. Abschnitt. Verselbständigte Verwaltungseinheiten in England I. Grundlagen und Begriffe Π. Der Eirichtungsakt und seine Bedeutung für die rechtliche Gestalt der Verwaltungseinheit ΙΠ. Eine Darstellung von verselbständigten Verwaltungseinheiten in Zusammenhang mit ihren Aufgaben IV. Staatliche Beteiligungen an handelsrechtlichen Gesellschaften V. Die Beziehungen verselbständigter Verwaltungseinheiten zur Ministerialverwaltung VI. Zusammenfassung
89 89
102 106
4. Abschnitt. Verselbständigte Verwaltungseinheiten in Griechenland
107
92 96 102
Inhaltsverzeichnis I. Der Inhalt der öffentlich-rechtlichen Organisationsform Π. Die Relativierung des organisationsrechtlichen Formendualismus: Das griechische Verwaltungsorganisationsprivatrecht ΙΠ. Einzelne Bauformen verselbständigter Verwaltungseinheiten 1. Bauformen juristischer Personen des öffentlichen Rechts: Anstalten und Körperschaften 2. Privatrechtliche juristische Personen a) Der rechtliche Rahmen staatlicher Betätigung in Organisationsformen des Privatrechts
107 112 113 113 115 115
b) Formen und Strukturen verwaltungsnaher Privatrechtsorganisationen IV. Gemeinsame Rechtsgrundsätze für öffentlich- und privatrechtliche Organisationsformen
120
1. Die Lehre vom organisatorischen Gesetzesvorbehalt 2. Staatliche Aufsicht V. Der Begriff des öffentlichen Sektors VI. Zusammenfassung
120 123 126 129
117
Zweites Kapitel
Grundrechte als staatliche Sonderbindungen I. Vorbemerkung
130
Π. Das Problem der Drittwirkung der Grundrechte im deutschen Recht ΙΠ. Grundrechtsgehalte als staatsgerichtete Bindungen im französischen Recht
130
1. Verfassungsrechtlicher Standort und Geltungskraft der "öffentlichen Freiheiten" (libertés publiques) 2. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze und ihre Funktion 3. Verfassungsrechtliche Freiheiten und allgemeine Rechtsgrundsätze in einem System des Freiheitsschutzes 4. "Öffentliche Freiheiten" als Sonderbindungen der Verwaltung IV. Staatliche Sonderbindungen mit Grundrechtsgehalt im englischen Recht 1. Grundrechtsgewährleistungen und englisches Verfassungsrecht 2. Grundrechtsgehalte in der Beurteilung des Verwaltungshandelns durch die Gerichte a) Vorbemerkung
131 131 134 136 138 142 142 145 145
Inhaltsverzeichnis
10
b) Die Maßstäbe der gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns und ihre dogmatische Grundlage
145
c) Grundrechtsgehalte in den gerichtlichen Kontrollmaßstäben des Verwaltungshandelns
148
d) Der Kontrollmaßstab der "Wednesbury unreasonableness"
150
3. Verwaltungsprozessuale Maßstäbe als staatliches Sonderrecht
155
V. Die Staatsgerichtetheit der Grundrechte im griechischen Recht
155
1. Die Grundrechte in der griechischen Verfassung
155
2. Die Frage der Staatsgerichtetheit der Grundrechte
156
Drittes Kapitel
Die Anknüpfungsregel für die Bindung von verselbständigten Verwaltungseinheiten an staatliches Sonderrecht mit Grundrechtsgehalt 1. Abschnitt. Deutsches Recht I. Die traditionelle Anknüpfung im deutschen Recht: Grundrechtsbindung von öffentlich-rechtlichen Handlungsformen
160 160
1. Die herrschende Konzeption öffentlich-rechtlichen Handelns 160 2. Verselbständigte Verwaltungseinheiten als Adressaten der Grundrechtsbindung von öffentlich-rechtlichen Handlungsformen 165 Π. Supplementäre Grundrechtsbindung von Tätigkeiten mit Gemeinwohlbezug ..167 1. Die Lehre vom Verwaltungsprivatrecht 167 2. Die an der herrschenden Auffassung geübte Kritik 173 3. Alternative Anknüpfungsvorschläge 175 ΙΠ. Die Grundrechtsbindung von verselbständigten Verwaltungseinheiten nach der herrschenden Lehre 178 1. Vorbemerkung 178 2. Die Grundrechtsbindung juristischer Personen des öffentlichen Rechts 180 3. Der Sonderfall öffentlich-rechtlich verfaßter Grundrechtsträger: Hochschulen und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten 182 4. Grundrechtsbindung privatrechtlicher Verwaltungstrabanten 187 a) Eigengesellschafien der öffentlichen Hand 187 b) Gemischt-wirtschaftliche Träger 191 c) Privatrechtliche Vereine und Stiftungen 196 IV. Zusammenfassung 197 2. Abschnitt. Französisches Recht
199
Inhaltsverzeichnis I. Ausschließliche Bindung von öffentlich-rechtlichen Handlungsformen
199
Π. Die öffentlich-rechtliche Anknüpfungsregel: "Organische" und "funktionale" Elemente
200
ΠΙ. Öffentlich-rechtliche Organisationen als Adressaten staatlichen Sonderrechts
203
1. Verwaltungsakte
203
2. Verträge öffentlich-rechtlicher Organisationen
205
IV. Privatrechtlich verfaßte Träger als Adressaten staatlicher Sonderbindungen..211 1. Einseitige Rechtsakte
211
2. Verträge privatrechtlicher Verwaltungstrabanten
217
V. Inkurs: Übergreifende Prinzipien bei der Wahrnehmung von services publics
219
1. Allgemein
219
2. Die Gleichheit vor dem service public
221
VI. Zusammenfassung 3. Abschnitt. Englisches Recht I. Die Verknüpfung zwischen staatlichen Sonderbindungen und Sonderrechtsbehelfen Π. Der Anknüpfungspunkt des staatlichen Sonderrechts nach der ultra viresLehre ΙΠ. Gesetzlich ermächtigte Verwaltungseinheiten IV. Inkurs: Geltendmachung von staatlichen Sonderbindungen gegen die privatisierte Versorgungswirtschaft V. Auf vertraglicher Grundlage handelnde Organisationen VI. Die Erweiterung des Kreises der öffentlich-rechtlichen Sonderbindungen unterliegenden Organisationen
225 227 227 229 231 234 236 236
1. Organisationen der Prärogative
236
2. Umorientierung der Dogmatik durch die Datafin-Rechtsprechung
239
3. Die Begrenzung der Datafin-Rechtsprechung: Der Fall der Sportverbände Vn. Vertragsabschluß und staatliches Sonderrecht
242 245
Vm. Zusammenfassung
248
4. Abschnitt. Griechisches Recht I. Die Grundrechtsbindung von verselbständigten Verwaltungseinheiten in der verfassungsrechtlichen Literatur Π. Die Anknüpfungsregel in der Rechtsprechung: Das "organische" Prinzip ΙΠ. Öffentlich-rechtliche Träger als Grundrechtsdressaten 1. Vorbemerkung
250 250 253 258 258
12
Inhaltsverzeichnis 2. Die Abgrenzung des Verwaltungsakts von privatrechtlichen Rechtsakten
259
3. Die Abgrenzung des öffentlich-rechtlichen vom privatrechtlichen Verwaltungsvertrag IV. Zusammenfassung
263 265
Viertes Kapitel
Verselbständigte Verwaltungseinheiten als Adressaten staatlicher Sonderbindungen im Europäischen Gemeinschaftsrecht I. Oberblick
267
Π. Die Bindung von verselbständigten Verwaltungseinheiten an die Grundfreiheiten des EG- Vertrags 268 1. Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags als staatsgerichtete Vorschriften
268
a) Vorbemerkung
268
b) Die Adressaten der Vorschriften über die Zollunion c) Die Adressaten der Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs
269 270
d) Die Adressaten der Personenverkehrsfreiheiten
271
e) Die Adressaten des Verbots mengenmäßiger Ein- und Ausfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung
276
2. Die Qualifikation von verselbständigten Verwaltungseinheiten als Adressaten der Bindungen aus Art. 30 und 34 EGV a) Die Kriterien der Rechtsprechung in Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 169 EGV b) Die Qualifikation von verselbständigten Verwaltungseinheiten im Rahmen von Verfahren nach Art. 177 EGV ΙΠ. Die Bestimmung des Kreises der an nicht umgesetzte Richtlinien gebundenen Träger 1. Nicht rechtzeitig und nicht ordnungsgemäß umgesetzte Richtlinien als staatliches Sonderrecht 2. Die gebundenen Träger a) Ansätze zur Lösung der Problematik b) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs c) Insbesondere: Das Urteil Foster gegen British Gas IV. Die an die Richtlinien zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen gebundenen Auftraggeber 1. Einleitung
279 279 283 289 289 292 292 293 298 300 300
Inhaltsverzeichnis 2. Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers in den Richtlinien über die Vergabe von Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträgen
305
a) Vorbemerkung
305
b) Der Begriff des Staates als öffentlicher Auftraggeber
306
c) Der Begriff der Einrichtung öffentlichen Rechts
308
3. Die gebundenen Auftraggeber in der Sektorenkoordinierungsrichtlinie V. Eine Gesamtbetrachtung
316 321
Fünftes Kapitel
Eine Synthese I. Die Zuordnung des handelnden Trägers zur öffentlichen Verwaltung als Voraussetzung der Grundrechtsbindung
324
Π. Die traditionelle Konzeption der grundrechtlich gebundenen Organisationsund Handlungsformen 326 ΙΠ. Die Aussagekraft der Organisationsform im Anwendungsbereich supplementärer Anknüpfungen IV. Die Kriterien der Zuordnung eines Trägers zur öffentlichen Verwaltung 1. Der Befund der Rechtsvergleichung 2. Das Kriterium der Oberordnung des handelnden Trägers 3. Die Erfüllung gemeinwohlbezogener Aufgaben 4. Das Konzept der Delegation staatlicher Wahrnehmungsbefügnisse 5. Das Kriterium der Beherrschung durch den Staat
328 331 331 333 333 335 337
V. Schlußbemerkung
340
VI. Zusammenfassung in Thesen
341
Literaturverzeichnis Sachverzeichnis
343 382
Abkürzungen
A-G AG
Anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Appeal Cases Administrative Law Reports Anotaton Eidikon Dikastirion Attorney General Aktiengesellschaft
AJDA
Actualité Juridique Droit Administratif
A.A. Abi. EG AC Admin.L.R. AED
AktG
Aktiengesetz
All ER Anm. AÖR
All England Reports Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts
Ami. Art. Aufl. B.-W. Bay. BB Bd. Beil. Beschl. Betr. BGB BGH BGHZ
Armenopoulos
BHO BKR Brandenb. BRRG BVerfG
Artikel Auflage Baden-Wtlrttemberg bayrisch Betriebsberater Band Beilage Beschluß Der Betrieb Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung Baukoordinierungsrichtlinie brandenburgisch Beamtenrechtsrahmengesetz Bundesverfassungsgericht
Abkürzungen BVerfGE
Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts
BVerwGE CA CC CDE CE CU CLP CMLR COD Col. L. Rev. D. DC ders. DGO DiDik dies. DKR DÖV Dr.Adm. DRK DS. DVB1. DZWiR é.p.a. é.p.i.c. EDCE EDDD
15
Court of Appeal Conseil Constitutionnel Cahiers du Droit Européen Conseil d'État Cambridge Law Journal Current Legal Problems Common Market Law Review Crown Office Digest Columbia Law Review Dalloz Divisional Court derselbe Deutsche Gemeindeordnung Dioikitiki Diki dieselbe Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie Die Öffentliche Verwaltung Droit Administratif Deutsches Rotes Kreuz Dalloz-Sirey Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht établissement public administratif établissement public industriel et commercial Études et Documents du Conseil d'État
EDKA
Epitheorissis Dimosiou kai Dioikitikou Dikaiou Epitheorissi Dikaiou Koinonikon Asfaliseon
EErgD EGV El.D. ELR Ep.Evr.Koin EuGH
Epitheorissi Ergatikou dikaiou Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Elliniki Dikaiosyni European Law Review Epitheorissi Evropaikon Koinotiton Europäischer Gerichthof
16
Abkürzungen
EuGRZ
Europäische Grundrechte-Zeitschrift
EuR EuZW
Europarecht
EWS ex p.
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht ex parte
Fase.
Fascicule (Heft)
FN fr. G. GA
Fußnote französisch
GG
Grundgesetz
GmbH GmS-OGB
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GO GÖW
Gemeindeordnung Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft
gr. HL Hmg.
griechisch House of Lords
HMSO Hrsg. HStR i.d.R.
Her Majesty's Stationary Office Herausgeber
Gesetz Generalanwalt
Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes
Hamburg
ICLQ ICR
Handbuch des Staatsrechts in der Regel International and Comparative Law Quarterly Industrial Cases Reports
J.O.
Journal Officiel
JA
Juristische Arbeitsblätter
JCA JCP JJb
Jurisclasseur Administratif Jurisclasseur Périodique - La semaine juridique
JR JuS JZ Kap. KB KG Kom. Komm.
Juristenjahrbuch Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel King's Bench Kommanditgesellschaft Kommission der Europäischen Gemeinschaften Kommentar
Abkürzungen LG
Landgericht
LGR
Local Government Reports
LKR
Lieferkoordinierungsrichtlinie
LQR LV m.w.N. MLR Nds.
Law Quarterly Review Landesverfassung mit weiteren Nachweisen Modern Law Review Niedersächsisch
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NLJ NoB NRW
New Law Journal Nomikon Vima Nordrhein-Westfalen
17
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
NVwZ-RR
NVwZ - Rechtsprechungsreport
OHG OVG
Offene Handelsgesellschaft Oberverwaltungsgericht
P.D. PL PPLR
Proedriko Diatagma Public Law Public Procurement Law Review
Publ.Admin.
Public Administration
QB R. RCC Rdnr.
Queen's Bench Rex bzw. Regina Recueil des décisions du Conseil Costitutionnel Randnummer
RDP Ree. Rev.Adm. Rev.Eur.de Dr.Publ. Rev.Hel.de Dr.Int. Rev.Int.d.Dr.Comp. RHellDE RL RMC Rs.
Revue du Droit Public et de la Science Administrative Recueil des décisions du Conseil d'État Revue administrative Revue Européenne de Droit Public Revue Hellénique de Droit International Revue Internationale de Droit Comparé Revue Hellénique de Droit Européen Richtlinie Revue du Marché Commun Rechtssache
RTDE s.
Revue Trimestrielle de Droit Européen siehe
S. s.p.
Sirey service public
2 Gogos
18
Abkürzungen
s.p.a. s.p.i.e.
service public administratif service public industriel et commercial
Saarl. Sächs. sc. SchlHL SKR Slg.
saarländisch sächsisch sciliter Schleswig-Holstein Sektorenkoordinierungsrichtlinie Offizielle Sammlung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs
Sté
Société
StE subs.
Symvoulion tis Epikrateias subsection
TC ToS
Tribunal des Conflits To Syntagma
Tz. Urt.
Textziffer Urteil
v.
versus
Verf. VerwArch VGH vgl. Vollv. VVDStRL VwR WirVer
Verfassung Verwaltungsarchiv Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vollversammlung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsrecht Wirtschaft und Verwaltung
WLR
Weekly Law Reports
WUR z.B. ZBB ZHR ZögU
Wirtschaft und Recht zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Handelsrecht Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen
Im übrigen wird auf Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Aufl., Berlin - New York 1993 verwiesen. Zum Zwecke der Vereinheitlichung werden französische und britische Nachweise nach deutschem Muster zitiert. Z.B.: [1987] 1 All ER 255 (englische Zitierweise) wird als All ER 1987, Bd. 1, 255 zitiert.
Einleitung a) Der Gegenstand der Untersuchung
Das rechtswissenschaftliche Modell des Staatsaufbaus geht vielfach davon aus, daß die Staatsorgane als einheitliche Rechtsgebilde Anknüpfungssubjekte von Rechtsvorschriften sind: Nicht nur die Quelle staatlicher Gewalt (das Volk), sondern auch die drei staatlichen Funktionen Legislative, Exekutive und Judikative stellen sich als einheitliche Subjekte von Rechtsbeziehungen dar (z.B. in Art. 1 Abs. 3 GG). Die Einheit der Verwaltung i.S. einer Zusammenfassung aller Exekutivfunktionen innerhalb der ministeriellen Verwaltung war andererseits stets mehr Idealbild als Rechtswirklichkeit1. Die rechtliche Verselbständigung von Verwaltungseinheiten als juristische Personen des öffentlichen und sogar des privaten Rechts ist gewiß kein neues Phänomen. Es ist aber der Verdienst der verwaltungswissenschaftlichen Forschung der achtziger Jahre, das gesamte Spektrum an Diversifikation aufgezeigt zu haben, die die moderne Verwaltungsorganisation nicht nur in Deutschland, sondern überhaupt in Europa tatsächlich aufweist 2. Unter Begriffen wie verselbständigte Verwaltungseinheiten, nicht-ministerielle Organisationseinheiten der unmittelbaren Bundesverwaltung3, Quagos und Quangos4, Para-Governmental Organizations (PGOs3), staatsintermediäre Instanzen6, Dritter Sektor7
1
Schuppert, DÖV 1987, 757 ff.; Breuer, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben durch Personalkörperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, S. 24. 2 S. Hood/Schuppert, Verselbständigte Verwaltungseinheiten in Westeuropa- Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Para-Government Organizations (PGOs), 1988; vgl. auch Breuer, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 24. 3 Becker, VerwArch 1978, 149 ff. 4 Quasi-administrative government (oder non-government für quangos) organizations; zur Geschichte und zum Inhalt des Begriffs s. Schuppert, DÖV 1981, 153 ff. 3 S. Schuppert, Die Verwaltung 1995, 137 ff. (151 ff.). 6 Kaufmann, Staatsintermediäre Instanzen und Selbsthilfe, 1987.
20
Einleitung
usw. werden Organisationseinheiten typisiert, die von einer variablen, empirisch belegbaren organisatorischen Distanz zur Ministerialverwaltung gekennzeichnet sind, ohne aber von ihr völlig losgelöst zu sein. Statt von Einheit der Verwaltung spricht man heute in den Verwaltungswissenschaften von "polyzentrischen Netzstrukturen" 8. Die Beschreibung des Spannungsverhältnisses zwischen Staatsnähe und Staatsferne von Organisationseinheiten war für die Verwaltungswissenschaften freilich ein willkommener Anlaß zur Überwindung der Zäsur zwischen Staat und Gesellschaft. Die Vorstellung des linearen Kontinuums zwischen den Gegenpolen Staat und Gesellschaft hat weitgehend das Anschauungsmodell der vertikalen Trennung ersetzt9 und dabei Wesentliches zum Verständnis von Existenzberechtigung und Funktion solcher Träger beigetragen. Eine Grenzziehung zwischen Staat und Gesellschaft bleibt jedoch aus rechtswissenschaftlicher Perspektive nicht nur eine theoretisch verlockende, sondern auch eine notwendige Aufgabe. Ohne Zweifel spricht vieles für die verwaltungswissenschaftliche Betrachtung dieses Bereichs von verwaltungsnahen Gebilden als einer Grauzone zwischen Staat und Gesellschaft. Die traditionelle juristische Subsumtionstechnik ist aber letztendlich für diese Betrachtung weitgehend verschlossen, weil sie auf binären logischen Funktionen beruht: Die Lösung jedes juristischen Problems besteht darin, Vorschriften entweder als anwendbar oder als nicht anwendbar anzusehen. Eine Qualifikation von verselbständigten Organisationen als zur Verwaltung gehörend bzw. nicht zur Verwaltung gehörend ist in dem Maße unumänglich, als weiterhin Rechtsnormen bestehen, ja sogar die Grundnormen der Verfassung, die sich ausschließlich an die Verwaltung richten10. Auch wenn der Mythos der Einheit der Verwaltung als einheitlicher Apparat nicht mehr zu
7
S. Ronge, Jahrbuch zur Staat- und Verwaltungswissenschaft 1988, 113 ff.; Reichard, DÖV 1988, 363 ff.; ebenfalls Schuppert, Die Verwaltung 1995, 139 ff. 8 Reichard, Die Verwaltung 1990, 491 ff. 9 S. dazu Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 93 ff.; ders., Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1989,47 ff. 10 Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 153; Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 313; Ehlers, Die Verwaltung 1987, 373 ff. (377). Vgl. auch Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 34 zur Unvereinbarkeit der Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Untersuchungen dieses Problemkreises mit der rechtlichen Realität.
Einleitung
halten ist, so gebietet die juristische Subsumtionstechnik weiterhin eine Einheit der Verwaltung als Adressat von Rechtssätzen. Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Untersuchung der Frage, welche der Organisationseinheiten in jenem Bereich, den die Verwaltungswissenschaften als Grauzone zwischen Staat und Gesellschaft bzw. Markt beschrieben haben, Adressaten von Rechtsnormen sind, die sich ausschließlich an die öffentliche Verwaltung richten. Einheit der Verwaltung bedeutet in diesem Sinne eine Verbindung zwischen mehreren Organisationseinheiten aber zugleich auch die Abgrenzung von denjenigen Trägern, die nicht unter den Rechtsbegriff der Verwaltung subsumiert werden können. Es ist Aufgabe dieser Arbeit, die rechtlichen Anknüpfungen zu untersuchen, welche die Einheit der Verwaltung als Adressat staatlicher Sonderbindungen herstellen, indem sie einerseits bestimmte Träger in den Begriff der öffentlichen Veraltung einschließen und andererseits andere Träger als rein private Organiationen qualifizieren. Die Untersuchung der Subsumtion von Trägern in der Verwaltungsperipherie unter den Begriff der Verwaltung kann nur in bezug auf einen bestimmten Verwaltungsbegriff vorgenommen werden. Die Erfahrung zeigt, daß ein Begriff je nach normativer Umgebung verschiedene Inhalte annehmen kann: So bedeutet z.B. der Begriff "hoheitlich" in Art. 33 Abs. 4 GG11 nicht unbedingt dasselbe wie in §35 BVwVfG. Der Begriff der öffentlichen Verwaltung wird entsprechend divergieren, je nachdem in welchem Rechtssatz er als Zuordnungssubjekt von Rechten oder Pflichten erscheint. Aus diesem Grunde ist es erforderlich, den normativen Zusammenhang zu bestimmen, in dessen Rahmen die Untersuchung erfolgen wird. Es bestehen zahlreiche Rechtssätze, die ausschließlich an die öffentliche Verwaltung adressiert sind. Man könnte in diesem Zusammenhang die sog. Fiskalprivilegien, die besonderen Haftungsprinzipien für staatliches Unrecht oder das besondere Recht der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes nennen. Aus der Vielzahl der verschiedenen verwaltungsgerichteten Rechtssätze wird als Bezugsrahmen die Bindung an diejenigen öffentlich-rechtlichen Sondermaßstäbe des Verwaltungshandelns ausgewählt, die das deutsche Verfassungsrecht als Grundrechte bezeichnet. Der Grund dafür ist die zentrale Bedeutung dieser Gewährleistungen für die Gestaltung des Staat-Bürger-Verhältnisses und somit im Grunde des gesamten 11
S. unten Kap. 1,1. Abschnitt, 13.
22
Einleitung
Verwaltungsrechts. Vor allem stellen die Grundrechte geradezu die zentralen Normen fur die juristische Konzeption der Staatlichkeit dar. Die Grundrechte sind nicht Normen, die sich mehr oder weniger zufällig an den Staat richten: Ihre Staatsgerichtetheit ist eine rechtliche Äußerung der Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft, in ihr lebt eine rechtsdogmatische Voraussetzung für den freiheitlichen Charakter europäischer Demokratien fort 12. Auch das Recht der Europäischen Gemeinschaften beinhaltet eine Reihe von Bestimmungen, die ausschließlich an den Staat gerichtet sind und ein besonderes rechtliches Regime für staatliche Behörden vorsehen. Auf der Ebene des primären Gemeinschaftsrechts besitzen die Grundfreiheiten des Vertrags (Freiheiten des Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehrs sowie das allgemeine Diskriminierungsverbot) eine Bedeutung und Funktion, die derjenigen der innerstaatlichen Grundrechte ähnlich ist13. Die Umschreibung des Bereichs der Adressaten dieser Freiheiten, wie auch das Problem der Bindung von verselbständigten Verwaltungseinheiten an nicht umgesetzte Richtlinien und die Definition der Adressaten der Richtlinien zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen, weisen aufgrund der Staatsgerichtetheit dieser Vorschriften auf die europarechtliche Dimension des Untersuchungsgegenstands hin. Angesichts dieser europarechtlichen Problematik, die im Rahmen dieser Arbeit besondere Beachtung finden soll, erscheint es zweckmäßig, die Untersuchung rechtsvergleichend anzulegen. Bei den erwähnten europarechtlichen Zusammenhängen handelt es sich freilich um spezifisch europarechtliche Fragestellungen, die nach spezifisch europarechtlichen Antworten verlangen. Das Recht der Europäischen Gemeinschaften nimmt aber bei diesen Fragenkreisen stillschweigend14 Bezug auf gemeinsame Konzepte der Staatlichkeit in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Das Gemeinschaftsrecht gibt hier einen Anstoß zu einer rechtsvergleichenden Studie mit Blick auf die Erzielung von Rechtserkenntnissen über Ähnlichkeiten und Diskrepanzen bei 12
Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S. 155; ders., HStR V, §155, Rdnr. 59, S. 384; Kempen, Die Formenwahlfreiheit, S. 32 f. 13 S. Bleckmann, Europarecht, S. 196 ff.; Wohlfarth, in Fuß (Hrsg.), Der Beitrag des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes, S. 85 ff. (91 ff.). 14 Anders als beim ausdrücklichen Hinweis auf "gemeinsame Rechtsgrundsätze" wie dies in Art. 215 EGV der Fall ist.
Einleitung
der Auffassung der öffentlichen Verwaltung in den europäischen Rechtsordnungen. Solche Elemente einer "europäischen Verwaltungsrechtsordnung" (SchmidtAßmann)15 könnten als Auslegungshilfen europarechtlicher Vorschriften oder auch im Wege der "freien Einwirkung" zur Fortentwicklung nationaler Verwaltungsrechtsdogmatik nützlich sein16. Es gilt dabei nicht unbedingt identische Topoi aufzudecken, sondern vielmehr im Sinne eines Struktur- und Funktionsvergleichs nach gleichlaufenden oder entgegengesetzten Entwikklungstendenzen17 sowie nach gemeinsamen Gedankenstrukturen in den verschiedenen verwaltungsrechtlichen Dogmatiken zu fragen 18. Im Rahmen dieser komparatistischen Arbeit werden die Rechtsordnungen Deutschlands, Frankreichs, Englands und Griechenlands untersucht. Obwohl prinzipiell alle 15 Rechtsordnungen der Unionsmitglieder sich für eine solche Untersuchung anbieten würden, muß man sich auf Rechtsordnungen beschränken, die eher typische Merkmale aufweisen. Ausgangspunkt ist die deutsche verwaltungsrechtliche Dogmatik, aus deren Sichtweise die anderen Rechtsordnungen dargestellt werden. Die Bedeutung des französischen Verwaltungsrechts und seine Ausstrahlung auf andere Rechtsordnungen braucht hier nicht besonders hervorgehoben zu werden. Ähnliches gilt für die common law Methodik des englischen Verwaltungsrechts, dessen Eigenart für eine Reihe von Rechtsordnungen Vorbildfunktion hat. Das griechische Staats- und Verwaltungsrecht, neben seiner Bedeutung als Heimatsrechtsordnung, steht für einen Kreis südeuropäischer Rechtsordnungen, die deutsche und französische Einflüsse mit ihrer eigenen Rechtstradition und ihrer besonderen Rechtskultur kombinieren.
b) Begriffliches
Die Terminologie gehört freilich zu den Standardproblemen jeder rechtsvergleichenden Studie; im folgenden sollen die Nuancen außer acht gelassen 15
Schmidt-Aßmann, DVB1. 1993, 924 ff. (928); zu diesem europäischen "jus commune" s. auch Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. I, S. 90 ff. 16 Zu diesen Funktionen des Rechtsvergleichs europäischer Rechtsordnungen s. Schmidt-Aßmann, in Festschrift Lerche, S. 513 ff. (517 ff.). 17 Schmidt-Aßmann, in Festschrift Bernhardt, S. 1283 ff. 18 Schmidt-Aßmann, Die Verwaltung 1994,137 ff. (142).
24
Einleitung
werden, die die Rechtsbegriffe in den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen aufweisen. Vielmehr gilt es, neutrale Kategorien als tertii comparationis zu verwenden19. Die vorliegende Arbeit hat jedoch auch mit dem Problem der Operationalisierung verwaltungswissenschaftlicher Begriffe zum Zwecke der juristischen Untersuchung zu kämpfen. Das Phänomen der para-staatlichen Organisationen findet seinen Eingang in die juristische Diskussion durch mehrere etablierte Begriffe wie "öffentliche Unternehmen", "mittelbare Staatsverwaltung" und "publizistische Privatrechtsvereine" (Ehlers20). Solche Begriffe beschreiben aber nur Ausschnitte des Gesamtphänomens der staatsnahen Gebilde, welche die "Trabanten des Verwaltungssystems" (Schuppert21) darstellen. Gesucht wird ein Terminus, der ohne Anspielungen auf eine besondere Staatsnähe oder -ferne des Trägers bzw. auf seine Organisationsform rechtliche Selbständigkeit und zugleich Verwandschaft zur Verwaltungsorganisation zum Ausdruck bringt. Dazu, und in Anlehnung an Dreier 22, wurde der Begriff der "verselbständigten Verwaltungseinheit" gewählt, obwohl er wegen seiner Anspielung auf den Verwaltungsbegriff nicht als absolut neutral betrachtet werden kann. Dabei sind nur solche Träger von Interesse, die auch rechtlich verselbständigt sind, also mindestens in bezug auf bestimmte Rechtssätze selbständige Adressaten von Rechten und Pflichten darstellen. Dies ist umso selbstverständlicher, als Organisationen ohne Rechtsfähigkeit auch keine Grundrechtsdressaten sein können.
c) Der Gang der Untersuchung
Die Untersuchung der Bindimg verselbständigter Verwaltungseinheiten an Rechtsnormen, die ausschließlich an die öffentliche Verwaltung adressiert sind, setzt eine gewisse Auseinandersetzung mit der rechtlichen Existenz solcher Verwaltungseinheiten voraus. Im ersten Kapitel wird die verwaltungswissenschaftliche Beschreibung des para-staatlichen Sektors juristisch ope19
Dazu Groß, Die Autonomie der Wisenschafl im europäischen Rechtsvergleich, S.
34.
20 21 22
Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 9 f. Schuppert, DÖV 1981, 153. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 225 f.
Einleitung
rationalisiert. Verselbständigte Verwaltungseinheiten erlangen in jeder Rechtsordnung eine rechtliche Gestalt, sie existieren in der Welt des Rechts als juristische Personen. Die Konstruktion der Rechtspersönlichkeit als Verleihung der Eigenschaft, Adressat von Rechtssätzen zu sein, beinhaltet freilich in gewissem Maße auch die Antwort auf die Frage, ob die fraglichen Träger Adressaten auch der Grundrechte sind: Art und Umfang der Rechtsfähigkeit beschreiben auch die materiellen Rechtssätze, deren Adressat die fragliche Organisationseinheit sein kann. Es interessieren vor allem die Grunddogmen der rechtlichen Verfassung von selbständigen Verwaltungseinheiten als Rechtssubjekte. Zugleich gilt es aber auch, ein empirisches Bild des parastaatlichen Sektors in denfraglichen Rechtsordnungen zu vermitteln. Die Staatsgerichtetheit der Grundrechte mag fur das deutsche Recht (fast) eine Selbstverständlichkeit sein, jedoch ist die Grundrechtsdogmatik anderer europäischer Rechtsordnungen in diesem Zusammenhang weniger eindeutig. Das zweite Kapitel beschreibt die den Grundrechten analogen Gewährleistungen der Rechtsordnungen, die hier von Interesse sind, und untersucht den Charakter solcher Garantien mit Grundrechtsgehalt als staatlicher Sonderbindungen. Im dritten Kapitel erfolgt die eigentliche Beschreibung der Subsumtion von verselbständigten Verwaltungseinheiten unter den Begriff der öffentlichen Verwaltung durch herrschende Lehre und Rechtsprechung in den jeweiligen Rechtsordnungen. Dabei interessieren vor allem die Anknüpfungspunkte der Qualifikationsregel, die Kriterien, die eine Verwaltungseinheit erfüllen muß, um einen Adressaten staatlicher Sonderbindungen darzustellen. Angesichts der gegenwärtigen Privatisierungsdiskussion wird dabei besondere Rücksicht auf die Geltendmachung staatlicher Sonderbindungen gegen konzessionierte Versorgungsunternehmen genommen. Daraufhin folgt im vierten Kapitel eine Besprechung der erwähnten parallelen Problemkreise im Europarecht: Es wird zuerst der Versuch unternommen, die europarechtliche Problematik zur Frage der horizontalen oder lediglich vertikalen Wirkung der Grundfreiheiten des EG-Vertrags und der nicht rechtzeitig oder ordnungsgemäß umgesetzten Richtlinien darzustellen. Des weiteren wird die Rechtsprechung des EuGH und die verschiedenen theoretischen Annäherungen zum Problem der Bindung von verselbständigten Verwaltungseinheiten an die genannten Rechtssätze besprochen. Zum Schluß wird die Problematik der Erfassung von verselbständigten Verwaltungs-
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Einleitung
einheiten durch die Definition des öffentlichen Auftraggebers in den Vergaberichtlinien erörtert. Die Arbeit endet mit einer Gesamtbetrachtung des untersuchten Materials, welche den Versuch unternimmt, die gewonnenen Erkenntnisse systematisch und im Sinne gemeinsamer Grundstrukturen und -tendenzen der europäischen Verwaltungsrechtsordnungen darzustellen.
Erstes Kapitel
Organisationsrechtliche Grundsätze "The description of government organization is not a simple matter that can be accomplished in the manner of a tourist's guide. Agencies -and their relations with other branches of government- are designed partly by reference to theories that claim to have general application and partly by the politics surrounding the individual programs and the interests that either support or oppose them"1.
1. Abschnitt Verselbständigte Verwaltungseinheiten in Deutschland I. Der Dualismus der Organisationsformen 1. Vorbemerkung Verselbständigte Verwaltungseinheiten sind im deutschen Recht als juristische Personen entweder des öffentlichen oder des privaten Rechts verfaßt. Der Dualismus der Organisationsformen baut auf der Zäsur zwischen diesen beiden Rechtsregimen auf und gibt auf dem Gebiet des Verwaltungsorganisationsrechts die grundlegende Auffassung der Rechtswissenschaft über das besondere Anknüpfungsmerkmal des öffentlichen Rechts wieder. Eine Untersuchung der materiellrechtlichen Grundlage des Dualismus der Organisationsformen 2 führt zwangsläufig zu den Theorien zurück, die die Eigenart des öffentlichen Rechts erklären wollen. Hier ist aber nicht der 1
Sharkansky, Public Administration, Policy Making in Government Agencies, S. 101. 2 Zur Verknüpfung von materiellem Gehalt mit der Rechtsform als einem "Prozeß wertender Abstraktion" s. Schmidt-Aßmann, in Festschrift Niederländer, S. 383.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
richtige Ort, um den alten Theorienstreit zwischen den verschiedenen theoretischen Strömungen, nämlich der Anknüpfung an das staatliche Gewaltmonopol, ihrer modifizierten Variante und den "Interessentheorien aller Spielarten"3, darzustellen. Es soll lediglich versucht werden, die groben Züge der Diskussion um den materiellen Gehalt der Organisationsformen zu erörtern.
2. Die öffentlich-rechtliche Organisationsform im Hinblick auf die Erfüllung öffentlicher Aufgaben Jegliche staatliche Tätigkeit muß nach der heutigen deutschen Verfassungsrechtsdogmatik dem öffentlichen Interesse dienen; die öffentlich-rechtliche Verwaltungsorganisation hat dabei die staatliche Verpflichtung zur ausschließlichen Förderung des Gemeinwohls zu erfüllen 4. Insbesondere dürfen nach der herrschenden Dogmatik öffentlich-rechtlich verfaßte Verwaltungseinheiten nur zur Wahrnehmimg öffentlicher Aufgaben errichtet werden5. Die am weitesten verbreitete Auffassung definiert dabei öffentliche Aufgaben als "solche, an deren Erfüllung die Öffentlichkeit maßgeblich interessiert ist". Nach dem Sondervotum der Bundesverfassungsrichter Geiger, Rinck und Wandt ist die öffentliche Aufgabe "eine Leistung, die zwar von gesellschaftlichem Interesse ist, die nicht rein kommerziell gesehen werden kann, die ihren Standard aus der Rücksicht auf das Gemeinwohl gewinnt"6. Der Begriff der Staats- bzw. Verwaltungsaufgaben besitzt einen ähnlichen Inhalt. Dabei handelt es sich um öffentliche, also gemeinwohlbezogene, Aufgaben, deren Erledigung von der staatlichen Verwaltung kraft geltenden
3
Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 163. Isensee, HStR ΠΙ, §57, Rdnr. 100, S. 45. 5 Weber, JJb 1967/68, 137 ff. (151); Loeser, System des Verwaltungsrechts, Bd Π, §10, Rdnr. 34, S. 56; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht (VwR) Π, §84 Π 2b, Rdnr. 13; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. m/1, §71 I 6, S. 1085; emphatisch Breuer, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 46; Badura, in Festschrift Schlochauer, S. 3 ff. (7); ders., ZHR 1982, 448 ff. (451). 6 BVerfGE 12, 205 (343); ausführlich zur wechselhaften Bedeutung der Begriffe öffentliche und Staatsaufgaben in der Rechtsprechung des BVerfG Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, S. 160 ff. 4
1. Abschnitt: Deutschland
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Rechts übernommen wurde7. Parallel zum Begriff der Staatsaufgaben wird schließlich auch der Begriff der öffentlichen Angelegenheiten verwendet8. Diese Begriffe sind jedoch als normative Anküpfungspunkte und nicht als Strukturprinzipien des Staatsorganisationsrechts konzipiert9. Die Gemeinwohlbezogenheit ist ohne Zweifel ein prägendes Merkmal des staatlichen Handelns; in Frage steht aber, ob auch ein mindestens prinzipieller Vorbehalt von gemeinwohlbezogenen Tätigkeiten zugunsten öffentlich-rechtlicher Organisationsformen besteht und sie gegenüber den privatrechtlichen Formen charakterisiert. Eine Auffassung erkennt in der Systematik der Art. 83 ff GG, insbesondere wegen des Verschweigens privatrechtlicher Organisationsformen in Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG, eine Grundsatzentscheidung für die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben durch öffentlich-rechtlich verfaßte Träger 10. Ausnahmsweise wären privatrechtliche Organisationsformen einsetzbar, wenn es der besondere Charakter der wahrzunehmenden Aufgaben erfordere. Diese historisch und systematisch ohnehin wenig überzeugende Argumentation verliert durch die ausdrückliche Anerkennung der privatrechtlichen Organisations7
Grundlegende Definitionen von Peters, in Festschrift Nipperdey, Bd. Π, S. 877 ff., 878 f. Im Anschluß daran die herrschende Auffassung: Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), 137 ff. (155); Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, S. 106 f.; Isensee, HStR ΠΙ, §57, Rdnr. 136 f., S. 63; Lecheler, Verwaltungslehre, S. 57; Schuppen, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, S. 157 f.; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 200 (FN 152); Badura, in Festschrift Schlochauer, S. 8 f.; Löwer, Energieversorgung, S. 170 f.; Wallerath, Aufgaben und Aufbau öffentlicher Verwaltung im Wandel, Die Verwaltung 1992, S. 157 ff. (159); R. Schmidt, in Biernat/Hendler/Schoch/Wasilewski (Hrsg.), Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, S. 219 f.; Nur terminologisch der Unterschied der Auffassung von Wagener, Verselbständigung von Verwaltungsträgern, S. 32; vgl. auch Püttner, Verwaltungslehre, S. 34 f.; Kluth, DVB1. 1986, 716 ff. (718); Brohm, NJW 1994, 281 ff. (283), wonach als "öffentlich" nur die tatsächlich vom Staat übernommenen Aufgaben bezeichnet werden. Andererseits auch inhaltlich abweichend die Auffassung von Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 48 ff ; nach Bull sind öffentliche sowie staatliche Aufgaben gleichermaßen als Aufgaben des Staates zu verstehen; anstelle des Begriffs "öffentliche Aufgaben" schlägt er die Begriffe "gemeinwohlbezogene" oder "gemeinnützige Aufgaben" vor. 8 Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht (VwR) I, §2 Rdnr. 13 ff. sprechen von Angelegenheiten der Gemeinwesen und ihrer Mitglieder, die tatsächlich auch von Organen des Gemeinwesens wahrgenommen werden. 9 Krebs, HStR ΙΠ, §69, Rdnr. 9, S. 572. 10 Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 117 ff.; ders., DÖV 1986, 895 ff. (903); Giemulla/Wenzler, DVB1. 1989, 283 ff. (285).
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
form als Modus der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch die Novellierungen von 87d, 87e und 87f GG weiterhin erheblich an Überzeugungskraft 11. Letztendlich wird angesichts einer bereits vorhandenen weitestgehenden Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch privatrechtlich verfaßte Träger allgemein betont, daß auch solche Verwaltungseinheiten gemeinwohlorientiert sein müssen12.
3. Erfüllung "hoheitlicher Aufgaben" als vorbehaltener Aufgabenbereich öffentlich-rechtlicher Träger Die herrschende Auffassung knüpft die Besonderheit der Organisationsform der juristischen Person des öffentlichen Rechts an die besonderen Mittel, die mit der Erfüllung ihr vorbehaltener Aufgaben zusammenhängen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts werden demnach durch die regelmäßige Wahrnehmung von Tätigkeiten charakterisiert, die im Zusammenhang mit der Ausübung von "hoheitsrechtlichen Befugnissen" stehen13. Zu diesem Ergebnis kann man im deutschen Recht über unterschiedliche Gedankengänge gelangen. So wird ein regelmäßiger Vorbehalt hoheitlicher Befugnisse zugunsten öffentlich-rechtlicher Träger dem rechtsstaatlichen Gebot der Distanz bei der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben gegenüber dem Bürger entnommen14. Die herrschende Auffassung 15 sieht im Vorbehalt der Ausübung hoheitsrechtlicher 11
Art. 83 ff. GG betreffen primär die Verteilung von Kompetenzen zwischen Bund und Ländern; zum Zeitpunkt des Erlasses des GG war eine Tätigkeit der Verwaltung in privatrechtlichen Organisationsformen bekannt und vom GG stillschweigend akzeptiert. S. die entsprechenden Argumente von Boergen, DVB1. 1971, 869 ff. (876) und Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht (Allg. VwR), Rdnr. 15, S. 215. 12 Badura, in Festschrift Schlochauer, S. 5, 20; ders., in Festschrift Steindorff, S. 835 ff.; dersZHR 146 (1982), S. 449. 13 Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht (VwR) Π (1976), §111 ΠΙ b; Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 160; Scheuner, in Gedächtnisschrift Peters, S. 797 ff. (812); Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 87. 14 Krebs, HStR ΠΙ, §69, Rdnr. 6, S. 570 f. 15 1.d.R. wird dies als eine Grenze der staatlichen organisationsrechtlichen Formenwahlfreiheit betrachtet: Schmidt-Aßmann/Fromm, Aufgaben und Organisation der Deutschen Bundesbahn in verfassungsrechtlicher Sicht, S. 125 ff.; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 116 ff.; Reinhardt, AÖR 118 (1993), 617 ff. (621 f.); Burmeister, Herkunft, Inhalt und Stellung des institutionellen Gesetzes Vorbehalts, S. 234; vgl. auch den Bericht von Riedel/A. Schmidt, DÖV 1991, 371 ff. A.A. von
1. Abschnitt: Deutschland
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Befugnisse (Art. 33 Abs. 4 GG), die als ständige Aufgaben in der Regel durch Beamte vorzunehmen sind, eine verfassungsrechtliche Vorschrift, die auch für die Verteilung von Aufgaben zwischen öffentlich- und privatrechtlichen Verwaltungsträgern von Bedeutung ist. Zu diesem Ergebnis kommt man, wenn man bedenkt, daß die Dienstherrnfähigkeit aufgrund von §121 BRRG und darüber hinaus schon aufgrund langer Tradition nur juristischen Personen des öffentlichen Rechts zusteht16. Nach Art. 33 Abs. 4 GG ist damit die Ausübung von hoheitsrechtlichen Befugnissen ein die juristischen Personen des öffentlichen Rechts charakterisierendes Vorrecht: Der Gesetzgeber ist verpflichtet, Materien, die die Ausübung solcher Befugnisse notwendig machen, als ständige Aufgaben in der Regel öffentlich-rechtlichen Trägern zuzuweisen. Der Sinn der "hoheitsrechtlichen Befugnisse" in Art. 33 Abs. 4 GG ist allerdings äußerst umstritten17. Die Interpretation dieser Vorschrift ist mit verschiedenen Problematiken belastet: Dazu gehört vor allem der Problemkreis der Stellung und Funktion des Beamtentums in einer modernen Verwaltung. Letztendlich spiegeln sich in der Auslegung dieser Vorschrift aber auch die Unsicherheiten über den materiellen Rechtsinhalt der Organisationsformen wider. Obwohl für eine enge und wortgetreue Auslegung des Begriffs der "hoheitsrechtlichen Befugnisse" i.S. von obrigkeitlichen, also auf dem Prinzip von Befehl und Zwang beruhenden Befugnissen, nicht nur die traditionelle Auffassung 18, sondern auch jüngere Betrachtungen sporadisch plädieren19, geht die herrschende "dynamische" (Maunz) Interpretation davon aus, daß nicht nur die klassische Eingriffsverwaltung, sondern auch weite Bereiche der Lei-
Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 23 f. und Ule, (Diskussionsbeitrag), VVDStRL 29 (1971), S. 269, wonach diese Vorschrift nur im Rahmen der Problematik der Rechtsbeziehungen innerhalb des öffentlichen Dienstes von Bedeutung ist. Dazu ist anzumerken, daß die Regelung von Art. 33 Abs. 4 GG zwar nicht als eine absolute Schranke der Privatisierung gemeint ist, dennoch einen Einfluß auf die Rechtsformenwahl hat; so Achterberg, Allg. VwR, Rdnr. 16, S. 216. 16 S. Kunig, in Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht (Bes. VwR), Rdnr. 9, S. 585; Battis, in Festschrift Raisch, S. 355 ff. (369 f.). 17 Das gesamte Spektrum von Auffassungen wird kritisch dargestellt von Peine, Die Verwaltung 1984, 415 ff. (420 ff.). 18 Wolff/Bachof, VwR Π (1976), §111 m b. 19 Schuppert, Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 33, Abs. 4, Rdnr. 25 ff.; Peine, Die Verwaltung 1984,415 ff. (besonders S. 424,433).
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
stungsverwaltung vom Funktionsvorbehalt des 33 Abs. 4 GG erfaßt werden20. Innerhalb dieser Richtung scheint die Auffassung vorherrschend, daß solche Aufgaben der Leistungsverwaltung gemeint sind, die in öffentlich-rechtlichen (also auch schlichthoheitlichen) Handlungsformen wahrgenommen werden21. Es wird allerdings zunehmend argumentiert, daß auch privatrechtlich wahrgenommene Leistungsaufgaben in den Vorbehaltsbereich der Art. 33 Abs. 4 GG fallen, oder, daß angesichts der heutigen Bedeutung staatlicher Leistungen alle Aufgaben, "die für das Gemeinwohl von besonderer Bedeutung sind"22, bzw. "jegliches gemeinwohlbezogenes staatliches Handeln" als Ausübung von Hoheitsgewalt zu verstehen seien23. Eine Anknüpfung der öffentlich-rechtlichen Organisationsform an den gemeinwohlbezogenen Charakter der unter staatlicher Verantwortung wahrgenommenen Aufgaben stellt aber noch die Mindermeinung dar. Juristische Personen des öffentlichen Rechts verkörpern nach der herrschenden Auffassung "einen typisch hoheitlichen Herrschaftsanspruch" 24. Dieser hoheitliche Vorbehalt wird von der herrschenden Auffassung letztendlich formal verstanden. Nicht nur obrigkeitlich regelnde Verwaltung, sondern auch jegliche Tätigkeit in öffentlich-rechtlichen Handlungsformen, auch in den Bereichen der Subventions- oder Förderungs- und Sozialverwaltung, ist regelmäßig juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorbehalten. Die öffentlich-rechtliche Handlungsform wird letztendlich in Zusammenhang mit einem Verhältnis der Über- und Unterordnimg der Parteien konzipiert 23. Art. 33 Abs. 4 GG ist ein Funktionsvorbehalt, der über die öffentlichrechtliche Handlungsform an das staatliche Gewaltmonopol anknüpft 26. Ge20
Schmidt-Aßmann/Fromm, Aufgaben und Organisation, S. 125 ff.; Maunz, in Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 33, Rdnr. 33; Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), S. 161. 21 Stern, StaatsR, Bd. 1, §11 DI 4, S. 348 f.; Benndorf, DVB1. 1981, 23 ff. (26 f.); Lerche, Verbeamtung als Verfassungsauftrag?, S. 21 ff.; Woljf/Bachof/Stober, VwR I, §22, Rdnr. 38; früher auch Isensee, Subsidiaritätsprinzip (1968), S. 160 f. 22 Kunig, in Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes. VwR, Rdnr. 33, S. 596. 23 Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 122 f.; Lecheler, HStR ΙΠ, §72, Rdnr. 33 ff., S. 731; jetzt auch Isensee, in v. Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, Rdnr. 57 f., S. 1553 f., wonach "jede Form der Leistungsverwaltung" unter den Beamtenvorbehalt fiele, wobei allein entscheidend sein sollte, ob "mit dem Verwaltungshandeln ein öffentlicher Zweck verfolgt wird". 24 Schmidt-Aßmann, AÖR 116 (1991), 329 ff. (343); ders., in Festschrift Niederländer, S. 390. 25 Dazu s. unten, Kap. 3,1. Abschnitt, 11. 26 Isensee, HStR V, §155, Rdnr. 111, S. 413.
1. Abschnitt: Deutschland
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rade weil die öffentlich-rechtliche Handlungsform auf dem Gebiet leistender Verwaltung in einem nur losen Zusammenhang mit der hoheitlichen Gewalt steht, verliert aber der Begriff der juristischen Person des öffentlichen Rechts zunehmend seinen spezifisch hoheitlichen Inhalt. Da, wo die privatrechtliche Handlungsform mit der öffentlich-rechtlichen gleichwertig ist, entsteht eine Alternativität der Organisationsformen, weil die fraglichen Aufgaben (vor allem diejenigen der Leistungsverwaltung) mit oder ohne Verwendung öffentlich-rechtlicher Handlungsformen bewältigt werden können. Der Alternativität der Handlungsformen in der Leistungsverwaltung entspricht also der Verlust der öffentlich-rechtlichen Organisationsform an Spezifizität auf diesem Gebiet, denn dieselben Aufgaben können sowohl von einem privatale auch von einem öffentlich-rechtlichen Träger erfüllt werden. Nunmehr bezieht sich nach Stober die "juristische Unterscheidung zwischen hoheitlicher und privatrechtlicher Verwaltung weder auf die Aufgaben noch auf die Mittel"27; lediglich die Wahl der Organisationsform durch den Gesetzgeber bleibt als formales Abgrenzungsmerkmal übrig28. Tatsächlich akzeptiert die herrschende Auffassung eine Formenwahlfreiheit der Verwaltung auf organisatorischem Gebiet29, also die Befugnis des Staates, die Rechtsform verselbständigter Verwaltungseinheiten zu bestimmen30. Entsprechendes gilt auch für den materiellen Aussagegehalt von privatrechtlichen Organisationsformen verselbständigter Verwaltungseinheiten. Freilich werden diese Organisationsformen vom prinzipiellen Ausschluß der Möglichkeit des Einsatzes öffentlich-rechtlicher Handlungsformen geprägt31. Auch die privatrechtlichen Organisationsformen werden aber nunmehr formal definiert als "solche, die in einer für alle geltenden Rechtsordnung entwickelt sind und im allgemeinen Rechtsverkehr auch sonst Verwendimg finden" 32. Ein 27
Wolff/Bachof/Stober, VwR I, §23 Rdnr. 2 (Hervorhebung im Original). D. Schmidt, Die Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht, S. 117 ff. (134); auf den Staatsakt stellen auch Wolff/Bachof/Stober, VwR I, §34, Rdnr. 6 und T. Koch, Der rechtliche Status kommunaler Unternehmen in Privatrechtsform, S. 191, ab. 29 T. Koch, Der rechtliche Status, S. 24 f. 30 Schmidt-Aßmann/Fromm, Aufgaben und Organisation, S. 114; Krebs, HStR ΙΠ, §69, Rdnr. 6, S. 570; Stober, DÖV 1995, 125 ff. (128); R. Schmidt, in Biernat/ Hendler/Schoch/Wasilewski (Hrsg.), Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, S. 213; Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 87; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 64 f. m.w.N.; Leisner, WiVerw 1983, 212; Püttner, WiVerw 1983, 226; ders., Die öffentlichen Unternehmen, S. 82 (85 f.). 31 S. unten Kap. 3, 1. Abschnitt, 12. 32 Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, 577 ff. (580). 28
3 Gogos
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
sachbezogener Anknüpfungspunkt, der die privaten Organisationsformen bestimmbaren materiellen Gesichtspunkten der Sphäre der Privatgesellschaft zuordnen könnte, besteht damit nicht: Im Zentrum steht die Verwendung der Organisationsform von jedermann und damit auch vom Staat.
4. Fazit: Aussagegehalt und Folgen des Dualismus der Organisationsformen Diese Feststellungen werden auf folgende Weise zu saldieren sein: Die Rechtsform einer verwaltungsnahen Organisation trifft eine "Rahmen- oder Tendenzaussage", die sich nicht auf "klare juristische Distinktionen zuspitzen" läßt33. Öffentlich-rechtliche Träger sind mit der Erfüllung von öffentlichen Aufgaben befaßt; dabei sind Aufgaben, die für ihre Erfüllung der Verwendung öffentlich-rechtlicher Handlungsformen bedürfen, im Grunde öffentlichrechtlichen Trägern vorbehalten34. Organisationen des öffentlichen Rechts sind damit die regelmäßigen Adressaten von Befugnissen zum öffentlichrechtlichen Handeln. In dem Ausmaß, in dem öffentlich-rechtliches Handeln durch Über- und Unterordnung der Parteien geprägt wird, besitzen öffentlichrechtliche Organisationen eine gehobene, hoheitliche Stellung gegenüber den Bürgern. Da, wo sich die Handlungformen des öffentlichen und des privaten Rechts durch keine materiellen Unterschiede trennen lassen, verliert auch die öffentlich-rechtliche Organisationsform ihre Spezifizität. Die Wolffsche Lehre des öffentlichen Rechts als Sonderrecht des Staates35 bringt die graduelle Abkoppelung des rechtlichen Dualismus von materiellen Gehalten besonders pointiert zum Ausdruck. Auch wenn die öffentlich-rechtliche Organisationsform im deutschen Recht von ihrem materiellen Gehalt zum Teil abgekoppelt wurde, zieht sie eine Vielfalt von Rechtsfolgen nach sich. Von diesen Rechtsfolgen interessieren hier vor allem diejenigen, die die Eigenschaft der Verwaltungseinheit als Adressat von Rechtssätzen prägen. Qualität und Herkunft des Errichtungsakts sowie die rechtlichen Modalitäten der Beziehungen der Verwaltungseinheit zur Ministerialverwaltung richten sich im deutschen Recht nach der Organisationsform des Trägers. 33 34 35
Schmidt-Aßmann/Fromm, Aufgaben und Organisation, S. 100. Ehlers, DÖV 1986, 898 (FN 6). S. dazu unten Kap. 3, 1. Abschnitt, 11.
1. Abschnitt: Deutschland
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I I . Grundlegende Merkmale öffentlich-rechtlicher Träger: Errichtungsbefugnis und Staatsaufsicht Die Frage nach der Inhaberschaft der Befugnis, Verwaltungsträger zu errichten, gehört wohl zu einem der "Standardthemen" (Schmidt-Aßmann) des deutschen Verwaltungsrechts; als solches kann es hier nur grob skizziert werden. Nach allgemeiner Auffassung besteht für die Gründung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts die Notwendigkeit eines staatlichen Hoheitsakts, was nach einhelliger Meinung mit einer Errichtung durch oder aufgrund Gesetzes (soweit gesetzliche Bauformen solcher Träger zur Verfügung stehen36) gleichzusetzen ist37. Zur Frage der Verteilung der organisatorischen Kompetenzen zwischen der Verwaltung und dem Parlament trifft das Grundgesetz auf Bundesebene durch die - auch organisationsrechtliche Bedeutung besitzende38 - Vorschrift des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG die Aussage, daß die Errichtung öffentlich-rechtlicher Träger (Körperschaften und Anstalten) einer gesetzlichen Grundlage bedarf 9. Die Landesverfassungen regeln diese Frage nicht ausdrücklich, sondern reservieren dem Gesetzgeber allgemein "Aufbau, räumliche Gliederung und Zuständigkeiten der Landesverwaltung", während sie die "Einrichtung der staatlichen Behörden" der Exekutive zuweisen40. Solche landesverfassungs36
Scheuner, in Gedächtnisschrift Peters, S. 806. Schmidt-Aßmann, in Gedächtnisschrift Martens, S. 249 ff. (264); Weber, Die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, S. 28; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht (Allg. VwR), §21, Rdnr. 62 ff. und §63, Rdnr. 38; Wolff/Bachof/Stober, VwR Π, §98 m, Rdnr. 38; Breuer, WDStRL 44 (1986), S. 235; ders. in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 36; Berg, NJW 1985, 2294 ff. (2296); Loeser, System des VwR, Bd. Π, §10, Rdnr. 31, S. 53 f.; Stern, StaatsR, Bd. m / 1 , §71 I 5a, S. 1083; Rüfner, DÖV 1985, 605 ff. (608 f.) spricht von der Notwendigkeit eines "Rechtssatzes". 38 Schmidt-Aßmann, in Gedächtnisschrift Martens, S. 253. Nach Rupp, in Festschrift Dürig, S. 387 ff. (390) beschränkt sich sogar die Bedeutung dieser Vorschrift auf die Verteilung von Kompetenzen zwischen dem Parlament und der Verwaltung. 39 Weber, JJb 1967/68, 151 f. 40 Art. 70 Abs.l und 2 LV B.-W.; Art. 77 I Bay.Verf und Art. 43 Π Nds. Verf.; Art. 54 Hmg. Verf.; §§18 und 77 Verf. NRW; Art. 96 I 1 Brandenb. Verf.; Art. 112 Saarl. Verf.; Art. 83 I 1 Sächs. Verf.; §38 SchlHL Verf. In Bayern, Niedersachsen, NRW und dem Saarland beschränkt sich der Organisationsvorbehalt auf die "allgemeine" Verwaltung. 37
36
1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
rechtlichen Vorschriften werden regelmäßig im Sinne eines Vorbehalts aller bedeutsamen Organisationsvorgänge zugunsten des Parlaments verstanden. Die exekutivische Organisationsgewalt umfaßt andererseits alle weniger wichtigen Maßnahmen41. Die Auslegung dieser Vorschriften erfordert eine Auseinandersetzung mit der allgemeinen Problematik der Abgrenzung der Aktionsbereiche von Exekutive und Legislative. Die klassische Dogmatik verlangt für die Schaffung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts eine gesetzliche Grundlage insofern, als die Schaffung solcher Organisationen Rechtswirkungen auf den Status der Bürger einschließt42. Nach anderer Meinung wird der Gesetzesvorbehalt durch die Zuweisung von öffentlichen oder staatlichen Aufgaben an den entstehenden öffentlichrechtlichen Träger aktiviert43. Nach Butzer44 ist diese Organisationsbefugnis ohne ausdrückliche verfassungsmäßige oder gesetzliche Zuweisung dem Parlament überantwortet worden. Insbesondere die Errichtung von öffentlichrechtlichen Organisationen mit eigener Rechtspersönlichkeit wurde in Anknüpfung an zivilrechtliche Dogmen unter den parlamentarischen Gesetzesvorbehalt gestellt45. Angesichts der Wesentlichkeitsdogmatik des Bundesverfassungsgerichts erscheint die beschriebene Verteilung der Kompetenzen zwischen Parlament und Exekutive auf organisationsrechtlichem Gebiet aufs neue begründungsbedürftig. Die nunmehr herrschende Auffassung betrachtet die Errichtung einer Verwaltungseinheit als einen wesentlichen und deshalb gesetzlicher Regelung bedürftigen Sachverhalt, weil sie eine "Verselbständigung administrativer Entscheidungszüge" aus der unmittelbaren Staatsverwaltung und dadurch eine Beeinträchtigung demokratischer Legitimationszüge herbeifuhrt. Dabei ist die Erlangung der Rechtspersönlichkeit lediglich ein Akzidens46.
41
Schmidt-Aßmann, in Festschrift Ipsen, S. 333 ff. (342 f. m.w.N.). Weber, JJb 1967/68, 152; Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 97; Scheuner, in Gedächtnisschrift Peters, S. 805. 43 Scheuner, in Gedächtnisschrift Peters, S. 805. 44 Butzer, Die Verwaltung 1995, 157 ff. (165). 45 Schmidt-Aßmann, in Festschrift Ipsen, S. 348; Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 144. 46 Schmidt-Aßmann, in Festschrift Ipsen, S. 348; Lange, VVDStRL 44 (1986), S. 196; Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 285 f.; in der Begründung zustimmend jedoch im Ergebnis zu undifferenziert Maurer, Allg. VwR., §21, Rdnr. 66. Ebenfalls Müller, Rechtsformenwahl bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, S. 225. 42
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Im Hinblick auf die überkommene Praxis, die im Grunde auch im Lichte des institutionellen demokratischen Gesetzesvorbehalts als legitim zu betrachten ist47, erfolgt folgende Verteilung organisatorischer Kompetenzen: Der organisationsrechtliche Gesetzesvorbehalt erfaßt die Errichtung der juristischen Person des öffentlichen Rechts und die Zuweisung von Aufgaben und Eingriffsbefugnissen, die Grundzüge der Verteilung von Zuständigkeiten48, den räumlichen Wirkungsbereich des Trägers, seinen Sitz und Namen sowie die Festlegung der Rechtsaufsichtsbefugnisse des Muttergemeinwesens49. Alle anderen Fragen des Organisationsbereichs, insbesondere des internen Aufbaus, liegen in der Organisationsgewalt der Exekutive. Dabei ist aber dieser exekutivische Organisationsbereich nur grundsätzlich geschützt; das Parlament verfügt auch hier über punktuelle (aber nicht umfassende) Zugriffsmöglichkeiten50. Eine verbreitete Auffassung sieht in der öffentlich-rechtlichen Organisationsform eine Garantie der lückenlosen Anbindung des Trägers an den Volkswillen. Entsprechend wird die demokratische Adäquanz der privatrechtlichen Organisationsform thematisiert51. Die staatliche Aufsicht über die juristischen Personen des öffentlichen Rechts gilt entsprechend als die primäre Garantie der Einheit dieser Träger mit der Ministerialverwaltung 52. Man unterscheidet zwischen Rechts- und Fachaufsicht. Das Bestehen einer Rechtsaufsicht des Muttergemeinwesens scheint als Folge des Rechtsstaatsprinzips für öffentlichrechtlich verfaßte Träger unbedingt notwendig zu sein53; die Rechtsaufsicht 47
Schmidt-Aßmann, in Festschrift Ipsen, S. 346; auch Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 144 ff. Zur Praxis seit der Reichsverfassung von 1871 s. Weber, Die Körperschaften, S. 29. 48 Der Vorbehalt betrifft aber nicht alle Einzelheiten, vor allem im Verfahrensbereich: Schmidt-Aßmann, in Festschrift Ipsen, S. 346; BVerfGE 40, 237 ff. (250 f.). 49 Dazu Scheuner, in Gedächtnisschrift Peters, S. 806; Loeser, Die Bundesverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, S. 10. Vgl. auch Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 287. 50 Schmidt-Aßmann, in Festschrift Ipsen, S. 349 f. ; Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 103 ff.; Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 144; Boergen, DVB1. 1971, 876. 51 Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 126 ff.; Pfeifer, Möglichkeiten und Grenzen der Steuerung kommunaler Aktiengesellschaften durch ihre Gebietskörperschaften, S. 9 ff. (13 ff.). 52 Schröder, JuS 1986, 371 ff; Schuppert, DÖV 1987, 757 ff. (762); differenzierend Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 288. 53 Schmidt-Aßmann, in Gedächtnisschrift Martens, S. 256; ders., in Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes. VwR, Rdnr. 41, S. 32; Krebs, HStR ffl, §69, Rdnr. 40, S. 591; Wolff/Bachof/Stober, VwR Π, §98 IV, Rdnr. 45; Schröder, JuS 1986, 374; Burmeister,
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
besitzt aber auch eine legitimatorische Komponente34. Rechtsaufsichtsbefugnisse erhalten gesetzlich verschiedene Formen und Intensitätsstufen: Sie reichen von präventiven Informations- und Zustimmungsrechten bis hin zu den repressiven Befugnissen der Aufhebung einer Entscheidung, der Ersatzvornahme und sogar der Auflösung der Verwaltungsorgane33. Eine Beschränkung auf die Rechtsaufsicht besteht in erster Linie für den eigenen Aufgabenkreis von körperschaftlichen Trägern der Selbstverwaltung36; aber auch anstaltliche juristische Personen unterliegen bei der Wahrnehmung von ihnen gesetzlich zur eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesenen Aufgaben regelmäßig nur der Rechtsaufsicht 37. Sogar diese Rechtsaufsicht muß schließlich in einem nur minderen Maß ausgeübt werden, wenn dies verfassungsrechtlich geboten ist, z.B. im Fall der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und der Landesmedienanstalten38. Dagegen bestehen volle Fachaufsichtsbefugnisse, die vor allem als Weisungsrechte39 erscheinen, wenn der handelnde Träger sog. Auftragsangelegenheiten wahrnimmt, d.h. Aufgaben, die nicht innerhalb seines besonderen, ursprünglichen Auftrags liegen, Herkunft, S. 218; Breuer, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 93. 34 Emde ,Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 81 ff. 33 Die gesamte Palette der Aufsichtsbefugnisse ist dargestellt bei Schmidt-Aßmann, in Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes. VwR, Rdnr. 42, S. 33 f.; Wolff/Bachof VwR Π (1976), §77 Π d; Schröder, JuS 1986, 373 f. Ein Beispiel für erne solche Abbestellungsbefugnis bietet bezüglich der Bundesanstalt für den Güterfernverkehr §76 GüKG. 36 Schmidt-Aßmann, in Gedächtnisschrift Martens, S. 256; Weber, JJb 1967/68, 150; Schröder, JuS 1986, 373. Zu den Industrie- und Handelskammern: Stober; Die Industrie- und Handelskammer als Mittler zwischen Staat und Wirtschaft, S. 112. Selbstverwaltung wird an sich anhand des Ausschlußes von Fachaufsichtsbefugnissen des Muttergemeinwesens definiert: S. Wolff/Bachof/Stober, VwR Π, §84, IV 2, Rdnr. 33; Tettinger, DÖV 1995, 169 und Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 284 ("höchstens unter staatlicher Rechtsaufsicht"). Bejahend auch Brohm, in Festschrift v. Unruh, S. 777 ff. (787). Brohm bemerkt allerdings, daß nicht nur wichtige Satzungen von wirtschafts- und berufsständischen Kammern genehmigt werden müssen, sondern auch zusätzliche, informelle Ingerenzen bestehen, die sich nicht auf Rechtskontrolle beschränken lassen. 37 Weber, JJb 1967/68, 159 f.; Breuer, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 44. 38 S. Knothe/Wanckel, DÖV 1995, 365 ff. 39 Ausführlich zur Weisung Schmidt-Aßmann, in Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes. VwR, Rdnr. 44, S. 35.
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sondern ihm in seiner Eigenschaft als staatliche Behörde nachträglich zugewiesen wurden60. Gesetzlich können aber Fachaufsichtsbefugnisse gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts, eingeschlossen der Selbstverwaltungsträger, auch bezüglich des eigenen Aufgabenkreises vorgesehen sein61. Für die Intensität staatlicher Aufsichtsbefugnisse auf öffentlichrechtliche Träger ist nicht so sehr die rechtliche Verselbständigung62 oder die konkrete Bauform (Anstalt, Körperschaft, Stiftung), sondern der materielle Rechtsrahmen entscheidend63. Die Dogmatik der Staatsaufsichtsbefugnisse gegenüber verselbständigten Verwaltungseinheiten scheint insgesamt weniger durchgeordnet zu sein.
I I I . Bauformen öffentlich-rechtlicher Träger: Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts Die Körperschaft des öffentlichen Rechts ist im deutschen Recht mit der Idee der Selbstverwaltung traditionell eng verbunden64. In ihr realisiert sich die Selbstbestimmung homogener Gruppen, die aber, im Gegensatz zum privaten Vereinswesen, einem öffentlichen oder staatlichen Zweck dient63. Die Verleihung der Organisationsform der öffentlich-rechtlichen Körperschaft hat als Funktion die rechtliche Zusammenfassung unterschiedlicher gesellschaftlicher Kräfte zum Zwecke ihrer Einbeziehung in die staatliche Gesamtordnung66. Prägendes Strukturmerkmal der Körperschaft ist der demokratische innere Aufbau: Sowohl sachlich (im Bereich ihrer Selbstverwaltungsaufgaben) als auch in persönlicher Hinsicht handeln solche Träger aufgrund der Legitimation eines bestimmten Personenkreises: Körperschaften werden durch eine 60
Breuer, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 44 f.; vgl. auch Stober, Die Industrie- und Handelskammer als Mittler, S. 43 f. 61 Rudolf, in Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht (Allg. VwR), §53 IV 3, Rdnr. 53, S. 12\,Emde, Die demokratische Legitimation, S. 85. 62 Lerche, in Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 86, Rdnr. 40. 63 Berg, NJW 1985, 2297. 64 Schmidt-Aßmann, in Gedächtnisschrift Martens, S. 262; H.-J. Koch/Rubel, Allgemeines Verwaltungsrecht (Allg. VwR), S. 13. 63 Scheuner, in Gedächtnisschrift Peters, S. 801. 66 Grundlegend spricht Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Bd. Allgemeiner Teil, S. 476 f., von der "Disziplinierung von Sozialbereichen".
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
besondere, korporative, Legitimationsgrundlage gekennzeichnet67. Die interne Organisation der Körperschaften des öffentlichen Rechts ist zwar nicht standardisiert 68, spiegelt aber im allgemeinen das basisdemokratische Verständnis dieser Träger wider: Körperschaften beziehen "ihre eigentliche Substanz" von ihren Mitgliedern69. Der Schwerpunkt des Einsatzes der öffentlich-rechtlichen Körperschaft liegt zweifellos auf dem Gebiet der berufständischen und wirtschaftlichen Selbstverwaltung: Industrie- und Handelskammern70, Landwirtschafts- und Handwerkskammern sowie diverse Berufskammern 71 stellen die wichtigsten Körperschaften dar. Die Sozialversicherung72 ist ebenfalls nach den Prinzipien der öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltung verfaßt. Einen körperschaftlichen Sonderfall stellen schließlich die wissenschaftlichen Hochschulen dar, da in ihnen der selbstverwaltende Charakter von einem starken anstaltlichen Element begleitet wird 73. Wichtigste Funktion der öffentlichen Anstalt scheint die Abtrennung der Erfüllung bestimmter Aufgaben von der allgemeinen Verwaltungsorganisation zu sein74. Für den heutigen75 Begriff der Anstalt ist damit die Abspaltung einer 67
Schmidt-Aßmann, AÖR 116 (1991), 344 f. Becker, Öffentliche Verwaltung, §15,1 , S. 225. 69 Weber, Die Körperschaften, S. 87. 70 Zu den Grundsätzen des Rechts der Industrie- und Handelskammern: Stober, Die Industrie- und Handelskammer als Mittler, insbesondere S. 60 ff. und ders., DÖV 1993, 333 ff. 71 Beschrieben von Hendler, Selbstverwaltung, S. 233 ff. (Handwerkskammer), S. 241 ff. (Landwirtschaftskammer) und S. 249 ff. (Berufskammer). 72 Dazu Hendler, Selbstverwaltung, S. 218 ff.; Schnapp, in Festschrift v. Unruh, S. 881 ff. 73 Vgl. Wolff/Bachof/Stober, VwR Π, §93 m, Rdnr. 44 ff. m.w.N.; Forsthoff Lehrbuch, S. 489 (§25). 74 Scheuner, in Gedächtnisschrift Peters, S. 803; Lange und Breuer, VVDStRL 44 (1986), S. 189, 224 ff; Berg, NJW 1985, 2299, spricht in diesem Zusammenhang von einer Gewaltenteilung innerhalb der Verwaltung. 75 Die Anstalt ist nach Otto Mayer "ein Bestand von Mitteln, sächlichen wie persönlichen, welche in der Hand eines Trägers öffentlicher Verwaltung einem besonderen öffentlichen Zweck dauernd zu dienen bestimmt ist" (Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. Π, S. 268 und 331). Die heutige Literatur betrachtet einstimmig die Mayer'sche Definition als eine Beschreibung staatlicher Funktionen und nicht einer konkreten Organisationsform: Krebs, NVwZ 1985, 609 ff. (613); Berg, NJW 1985, 2295; Rüfner, Die Verwaltung 1984, 21 und ders., DÖV 1985, 605 ff.; Löwer, DVB1. 1985, 928 ff. (930). Zur Geschichte des Anstaltsbegriffs in Zusammenhang mit den gemeindlichen Einrichtungen Gröttrup, Die kommunale Leistungsverwaltung, S. 37 ff. 68
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organisatorischen Einheit vom allgemeinzuständigen Verwaltungsaufbau und ihre Spezialisierung auf die Erfüllung bestimmter Aufgaben ("Schaffung besonderer Problemlösungkapazitäten"76) prägend. Nach Werner Weber ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts in der Form der Anstalt jede rechtsfähige Verwaltungseinheit nicht verbandsmäßiger Struktur 77. Dabei ist die Anstalt nicht nach dem Gegenstand ihrer Tätigkeit zu definieren, denn sie ist universell einsetzbar78. Ihre Betrachtung in Zusammenhang mit Aufgaben der Leistungsverwaltung79 ist auf die Tatsache zurückzuführen, daß solche Aufgaben traditionell aus der unmittelbaren Staatsverwaltung ausgegliedert werden und somit den Schwerpunkt anstaltlicher Aufgaben darstellen80. Es bestehen sowohl auf Bundes-, wie auch auf Landes- und Kommunalebene Anstalten, die Leistungaufgaben verschiedenster Art wahrnehmen: Dazu gehören Aufgaben der Forschung (Institut für Bautechnik), kulturelle Angelegenheiten (Deutsche Bibliothek, Deutsches Museum) und vor allem das Rundfunkwesen (auf Bundesebene die Deutsche Welle und der Deutschlandfunk, auf Landesebene die Landesrundfunkanstalten und gemeinschaftlich unter den Ländern das Zweite Deutsche Fernsehen). Außerdem existieren öffentlich-rechtliche Anstalten auch in den Bereichen lenkender Verwaltung: in der Landwirtschaftslenkung (Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung, der Absatzforderungsfonds), im Verkehr (Bundesanstalt für Güterfernverkehr) und im Bankwesen (Deutsche Bundesbank, die Landeszentralbanken). Die bundesunmittelbare Treuhandanstalt hatte die Veräußerung des ehemaligen "volkseigenen" Vermögens in den neuen Bundesländern zur Aufgabe. Diese Aufgabenvielfalt gibt Anlaß zu einer umfangreichen Typologie81, ohne daß sich hieraus allerdings konkrete rechtliche Folgen ableiten ließen. Die reine Form der Anstalt kennt keine besondere korporative Legitimation, wie dies bei der Körperschaft des öffentlichen Rechts der Fall ist82; ent76
Becker, Öffentliche Verwaltung, §15,1 , S. 230. Weber, Die Körperschaften, S. 90. 78 Lange, VVDStRL 44 (1986), S. 188,Breuer, WDStRL44 (1986), S. 219. 79 Maurer, Allg. VwR, §23, Rdnr. 46; Loeser, Die Bundesverwaltung, Bd. 1, S. 116 f. 80 Rüfner, DÖV 1985, 607. 81 S. z.B. Woljf/Bachof VwR Π (1976), §98 Π; Breuer, VVDStRL 44 (1986), S. 232 ff. 82 Krebs, NVwZ 1985, 613; Maurer, Allg. VwR, §23 Rdnr. 50; Rudolf, in Erichsen (Hrsg.), Allg. VwR, §56 Π 2, Rdnr. 15, S. 703. 77
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
sprechend folgt der innere Aufbau der Anstalt in den meisten Fällen dem behördlichen Muster83. Insgesamt werden allerdings die Grenzen zwischen den beiden Rechtsformen zunehmend unklar 84, insbesondere infolge der erhöhten Einbeziehung von Benutzern und Bediensteten in die anstaltliche Verwaltung bei Anstalten mit einem genau bestimmten Benutzerkreis85. Hierbei spricht man von "intermediären Anstalten als Kooperationsformen zwischen Staat und Gesellschaft" 86. Die öffentlich-rechtliche Stiftung ist eine relativ seltene87 Organisationsform. Das Grundgesetz erwähnt sie überhaupt nicht. Definiert wird sie durch Art. 46 Abs. 1 LVwG Schleswig-Holstein als "auf einen Stiftungsakt gegründete, aufgrund öffentlichen Rechts errichtete oder anerkannte Verwaltungseinheit mit eigener Rechtspersönlichkeit, die mit einem Kapital- oder Sachbestand Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfüllt". Ähnlich sieht Scheuner das prägende Element der Stiftung des öffentlichen Rechts in der "Bereitstellung von Sach- und Geldmitteln, die einem bestimmten öffentlichen oder staatlichen Zweck gewidmet sind"88. Die Gründimg durch Hoheitsakt aufgrund Gesetzes89 ist der einzige Unterschied zur privatrechtlichen Stiftung 90. Das Vermögen öffentlich-recht83
Becker, Öffentliche Verwaltung, §15,1 , S. 228. Krebs, NVwZ 1985, 614; ders., HStR m, §69, Rdnr. 33, S. 586 f.; Wagener, Forschungsprogramm Staatsorganisation, S. 165; Burmeister, Herkunft, S. 225. Loeser, Die Bundesverwaltung, Bd. 1, S. 116 f., betrachtet als eine Emanzipation der Anstalt gegenüber dem Staat. Kritisch dagegen H.-J. Koch/Rubel, Allg. VwR., S. 18 f., weisen darauf hin, daß solche Räte keine eigenen Angelegenheiten verwalten, und deshalb nicht mit der körperschaftlichen Selbstverwaltung zu verwechseln sind. 85 Man denke etwa an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, bzw. die Bundesanstalten für die Landwirtschaftliche Marktordnung und für den Güterfernverkehr. 86 Lange, VVDStRL 44 (1986), S. 194 ff; Breuer, VVDStRL 44 (1986), S. 229 f. und ders., in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 89ff. Breuer versucht die Entwicklung körperschaftlicher Elemente bei manchen Anstalten durch eine Definition der Zäsur zwischen Anstalt und Körperschaft anhand der wahrgenommenen Aufgaben zu überwinden: Nach Breuer nehmen Körperschaften im Gegensatz zu den Anstalten Aufgaben wahr, die einen ausschließlichen oder zumindest primären Bezug zu den Interessen ihrer Mitglieder aufweisen und deshalb von der staatlichen Verantwortung prinzipiell ausgenommen werden. 87 Müller, Rechtsformenwahl, S. 71; Maurer, Allg. VwR, §23 Rdnr. 55. 88 Scheuner, in Gedächtnisschrift Peters, S. 803. 89 Nach Woljf/Bachof, VwR Π (1976), §103 Π 2 entsteht eine Stiftung des öffentlichen Rechts nicht nur durch Gesetz, sondern auch aufgrund Gesetzes durch 84
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licher Stiftungen stammt in den allermeisten Fällen aus staatlichen Mitteln, so daß die fraglichen Träger nicht selten den Charakter der "Behördenstiftung" aufweisen 91. Die Stiftung kommt letztendlich der öffentlich-rechtlichen Anstalt begrifflich so nahe, daß ihre Selbständigkeit als Organisationsform in Zweifel gezogen wird 92. Wie im Fall der Anstalten, werden auch hier gelegentlich Ansätze einer Selbstverwaltung erkannt93. Als Stiftungen des öffentlichen Rechts sind auf Bundesebene die Stiftung Preußischer Kulturbesitz94, die Heimkehrerstiftung, die Stiftungen "Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens" und das Bundeskanzler-AdenauerHaus, das Hilfswerk für behinderte Kinder sowie die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge zu nennen93.
IV. Verselbständigte Verwaltungseinheiten als juristische Personen des Privatrechts 1. Der rechtliche Rahmen staatlicher Betätigung in privatrechtlichen Organisationsformen Die verwaltungsnahen privatrechtlichen juristischen Personen wachsen seit der Zeit der Reichskriegsgesellschaften (Erster Weltkrieg) ständig in Zahl und Verwaltungsakt. Vgl. auch Graf von Borries, ZögU 1994, 221 ff. (223) zum rheinlandpfälzischen Stiftungsrecht. 90 Müller, Rechtsformenwahl, S. 75. Allerdings ist auch für die Gründung einer privatrechtlichen Stiftung ein genehmigender Verwaltungsakt notwendig, so daß der Unterschied zwischen beiden Formen letztendlich nur "formalrechtlich" ist; s. Graf von Borries, ZögU 1994, 221 ff. 91 Loeser, Die Bundesverwaltung, Bd. 1, S. 122. 92 Breuer, VVDStRL 44 (1986), S. 221 und 231; Krebs, HStR ΙΠ, §69, Rdnr. 33, S. 586 f., unterstreicht die Notwendigkeit des Begriffs der öffentlich-rechtlichen Stiftung angesichts vieler Stiftungsgesetze. Auch Lange, VVDStRL 44 (1986), S. 203 (FN 94), betrachtet die Stiftung als eine unverzichtbare dogmatische Kategorie angesichts ihres auschließlich sachlichen Substrats. 93 Loeser, Die Bundesverwaltung, Bd. 1, S. 123, in bezug auf die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Nach Becker, Öffentliche Verwaltung, §15,1 , S. 232 ist diese Stiftung allerdings ausschließlich "zur Ausführung schlichter Verwaltungstätigkeit" bestimmt. 94 Details dazu bei Hofmann, Die Verwaltung 1988, 63 ff. 93 Zusammengestellt von Loeser, Die Bundesverwaltung, Bd. 1, S. 123, und Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 245.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
Bedeutung96. Trotz landesrechtlicher Beschränkungen verzeichneten sie vor allem im kommunalen Bereich einen Siegeszug.97 Als Höhepunkt dieses Prozesses erscheint die formelle Privatisierung der ehemaligen Sondervermögen des Bundes Deutsche Bundespost und Deutsche Bundesbahn98, sowie die privatrechtsfreundliche Novellierung haushaltsrechtlicher Vorschriften 99. Die privatrechtliche Organisationsform ist trotz bestehenden und sogar z.T. wachsenden100 theoretischen Widerstands als eine gleichwertige Form der Erfüllung von Staatsaufgaben zu betrachten. Lediglich auf kommunaler Ebene machen sich Bestrebungen bemerkbar, die völlige Formprivatisierung der kommunalen Leistungsverwaltung durch Subsidiaritätsklauseln abzuwenden101. Insbesondere zeichnet sich dabei eine Tendenz zur Beschränkung der Zulässigkeit der Privatrechtsform bei nichtwirtschaftlichen Aufgaben auf Träger, an denen auch private Akteure teilnehmen, ab102. Für die Errichtung einer verwaltungsnahen juristischen Person des Privatrechts oder die Teilnahme des Staates an einem Privatrechtsträger ist kein Hoheitsakt notwendig: Herrschende Lehre und Staatspraxis in Deutschland erachten die Gründung von privatrechtlichen juristischen Personen durch den Staat aufgrund eines üblichen privatrechtlichen Vertrags für 96
Becker, VerwArch 69 (1978), 149 ff. (151); Wagener, Forschungsprogramm, S. 35. Schock, DÖV 1993, 377 ff. (381); Leisner, WiVerw 1983, 212; vgl. auch die Statistiken von Ehlers, DÖV 1986, 899. 98 Es steht nunmehr fest, daß der neue Art. 87e eine privatrechtliche Organisationsform und eine unternehmerische Gestaltung der Eisenbahnen des Bundes verlangt; s. Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, 580 f. Zur Privatisierung der Deutschen Bundespost aufgrund Art. 87f und 143b GG s. Pohl, ZögU 1995,239 ff. 99 Die neue Fassung des §7 Abs. 1 S. 2 BHO verlangt die Prüfung, inwieweit staatliche Aufgaben oder öffentlichen Zwecken dienende wirtschaftliche Tätigkeiten durch Ausgliederung und Privatisierung oder Entstaatlichung erfüllt werden können. S. ebenfalls die novellierten §7 Abs. 2 S. 2 und §91 BHO. 100 S. die Argumentation von Heuer, DÖV 1995, 85 ff. (90 ff.). 101 S. die §§ 103 Abs. 1 Nr. 1 GO B.-W. und 91 Abs. 1 Bay. GO sowie die entsprechenden Vorschriften der GO von Schleswig-Holstein und dem Saarland; dazu Knemeyer, in Biernat/Hendler/Schoch/Wasilewski (Hrsg.), Grundfragen des Verwaltungsrechts, S. 327 und Adamska, Rechtsformen der Organisation kommunaler Interessen in gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen, S. 44 ff. Vgl. auch §2 Abs. 4 des rheinland-pfälzischen Stiftungsgesetzes, wonach alle Stiftungen, "die zum Staat in einer solchen Beziehung stehen, daß die Stiftung als eine öffentliche Einrichtung erscheint", als öffentlich-rechtliche Stiftungen verfaßt bzw. zu solchen transformiert werden sollen; s. Graf von Borries, ZögU 1994, 221. 102 S. §104 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GO B.-W. mit der weiteren Voraussetzung, daß ein wichtiges Interesse die Einbeziehung Privater erfordern muß. 97
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ausreichend. Fraglich ist hier, ob für dessen Abschluß (mit Strohmännern, echten Privaten oder anderen verwaltungsnahen Trägern als Vertragspartnern) die Verwaltung eine gesetzliche Grundlage benötigt. Nach der h.L. ist dies nicht der Fall, weil weder die speziellen grundgesetzlichen Gesetzesvorbehalte noch die landesverfassungsrechtlichen Vorbehalte noch der allgemeine Wesentlichkeitsvorbehalt die Gründung privatrechtlicher Träger erfassen würden103. Eine entgegengesetzte Auffassung verlangt eine gesetzliche Grundlage dann, wenn schon die staatliche Beteiligung am fraglichen privatrechtlichen Träger einen Grundrechtseingrifif darstellt, insbesondere wenn der Träger zum Zwecke der Wirtschaflslenkung instrumentalisiert wird; nach dieser Auffassung genügt die ordnungspolitische Bedeutsamkeit des staatlichen Engagements zur Auslösung des Gesetzesvorbehalts104. Andere Auffassungen verlangen eine gesetzliche Ermächtigung zur Errichtung von privatrechtlichen verselbständigten Verwaltungsträgern, sei es im Hinblick auf Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG (der nach dieser Betrachtung gleichermaßen im privatrechtlichen Bereich gelten soll103), sei es angesichts der Ausgliederung eines bestimmten Bereichs von Verwaltungsaufgaben aus der Verwaltungshierarchie und der dazu erforderlichen Publizität106, sei es schließlich unter Berufung auf die moderne demokratische Auffassung des Gesetzesvorbehalts im Rahmen der Wesentlichkeitslehre107. Der Gedanke der Vorbeugung staatlichen Formenmißbrauchs wird auch ins Feld geführt 108. Die Errichtung privatrechtlicher Träger durch die Gemeinden sollte allerdings wegen der Selbstverwaltungsgarantie auch ohne gesetzgeberische Ermächtigung zweifellos möglich sein109. Aber auch wenn eine gesetzliche 103
Rudolf, in Erichsen (Hrsg.), Allg. VwR., §53, Rdnr. 24, S. 706; von Zezschwitz, NJW 1983, 1873 ff. (1879); vgl. auch Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 152 ff. 104 Badura, in Festschrift Steindorff, S. 850 ff. 103 Stober, NJW 1984, 449 ff. (453); R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht (Öff. Wir), S. 527 f., Achterberg, Allg. VwR, Rdnr. 19, S. 217; a.A. Boergen, DVB1. 1971, 877. 106 Boergen, DVB1. 1971,877. 107 Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), S. 172 ff; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 123; Achterberg, Allg. VwR, Rdnr. 19, S. 217; von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 111; vgl. R. Schmidt, Öff. Wir., S. 529 f. 108 Von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 111. 109 Stober, NJW 1984, 453.
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Ermächtigung notwendig wäre, wären Vorschriften der Haushalts- und Gemeindeordnungen, die die Voraussetzungen der Gründung privatrechtlicher Ausgliederungen regeln, oder die die Gemeinden allgemein zur Errichtung der "für das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Wohl ihrer Einwohner erforderlichen Einrichtungen" (§10 Abs. 2 GO B.-W.) ermächtigen, als ausreichende Ermächtigungsnormen zu betrachten110. Nach §65 Abs. 1 BHO, den entsprechenden landesrechtlichen Haushaltsvorschriften und besonders den Nachfolgevorschriften des §67 DGO, wie auch wegen des allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gemeinwohlgerichtetheit jeden staatlichen Handelns111, muß nach h.L. die Teilnahme des Staates an privatrechtlichen Organisationen mit unternehmerischem Charakter vom öffentlichen Interesse gerechtfertigt sein112. Diese Vorschriften beziehen sich zwar auf Neugründungen und neue Teilnahmen, ihrem Sinn nach wäre aber eine Überprüfung auch bestehender öffentlicher Unternehmungen angebracht113. Die Errichtung von Privatrechtsträgern oder die Teilnahme an solchen ausschließlich zum Zwecke der Maximierung der Rentabilität des eingesetzten Kapitals wird verfassungsrechtlich abgelehnt: Im Rahmen des Steuerstaates bestehe kein öffentliches Interesse an Gewinnmaximierung114. Die Gewinnerzielungsabsicht im Rahmen der Erfüllung gegebener öffentlicher Aufgaben ist allerdings legitim115. 110
Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 156 f.; zur kommunalen Organisationshoheit s. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 123; R. Schmidt, Öff. Wir., S. 528. 111 Badura, ZUR 1982, 449. 112 Graf Vitzthum, AÖR 104 (1979), 580 ff. (597 f.); Badura, ZHR 1982, 452; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 114; Püttner, WiVerw 1983, 227; ders., in Brede (Hrsg.), Privatisierung und die Zukunft der öffentlichen Wirtschaft, S. 259. Nach R. R. Schmidt, in Biernat/Hendler/Schoch/Wasilewski (Hrsg.), Grundfragen des Verwaltungsrechts, S. 221, ist diese Begründungspflicht auch mit einem verfassungsrechtlich verankerten Vorrang privater Wirtschaftsbetätigung verbunden. 113 König, in Biernat/Hendler/Schoch/Wasilewski (Hrsg.), Grundfragen des Verwaltungsrechts, S. 252. 114 Harms, ZögU 1991, 29 ff. (31); Stober, NJW 1984, 452 f.; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 131. Andererseits sei nach Dickersbach, WiVerw 1983, 187 ff. (198 f.) überhaupt nicht einzusehen, warum die Erzielung von Gewinn durch einen öffentlichen Träger nicht im öffentlichen Interesse liege. 115 Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 131. In diesem Sinne definiert die Gesellschaft fur öffentliche Wirtschaft (GöW), Privatisierungsdogma widerspricht sozialer Marktwirtschaft, ZögU 1994, 195 ff. (212), die spezifische Funktion öffentlicher
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Somit sind privatrechtliche juristische Personen mit Staatsbeteiligung entweder der Erfüllung von öffentlichen Aufgaben unmittelbar gewidmet, was bedeuten muß, daß ihre Tätigkeit von einer Leistungskonzeption her bestimmt wird 116 , oder sie dienen der Verfolgung von öffentlichen Interessen eventuell (nur) mittelbar, über ihre gleichberechtigte Teilnahme am Marktgeschehen 117; im letzten Fall spricht man von staatlicher 118 Erwerbswirtschaft 119. Innerhalb dieser gleitenden Abstufung öffentlicher Interessenwahrnehmung 120 wird die öffentliche Zwecksetzung der industriellen Beteiligungen vor allem der Länder (z.B. Volkswagen AG) allenfalls von untergeordneter Bedeutung sein121. Die Unternehmen als die unternehmerische Erfüllung öffentlicher Aufgaben, die bei ausschließlicher Orientierung am Erwerbsstreben nicht erfüllt werden würden. 116 Harms, ZögU 1991, 31. 117 S. GöW, ZögU 1994, 200 ff.; Geiger und Kropff, in Eichhorn (Hrsg.), Auftrag und Führung öffentlicher Unternehmen, S. 21 und 81 ff. entsprechend; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 51 ff. Emmerich (in Eichhorn (Hrsg.), Auftrag und Führung, S. 94) zweifelt an der Geeignetheit öffentlicher Unternehmen zur Verfolgung wirtschaftspolitischer Ziele. Strenger verlangt allerdings Ossenbühl, Bestand und Erweiterung des Wirkungskreises der Deutschen Bundespost, S. 105 ff., eine Legitimation jeder privatrechtlichen Ausgliederung durch die unmittelbare Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe. 118 Gemeint ist hier die ministerielle Bundes- oder Landesverwaltung. Gemeindliche unternehmerische Betätigung, die von einem (dringenden) öffentlichen Zweck nicht unmittelbar (durch die Erbringung der Leistung selbst) gerechtfertigt bzw. erfordert (s. Bay. GO) wird, ist verboten; s. BVerfGE 61, 82 (107); Dickersbach, WiVerw 1983, 211. 119 So die herrschende Auffassung dieses Begriffs: S. Schricker; Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand und unlauterer Wettbewerb, S. 3; Vitzthum, AÖR 104 (1979), 584 (FN 16); Rüfner, Formen öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft, S. 137 ff. (397 f.); vgl. auch Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, S. 157 f.; Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 215 f.; auch Badura, in Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes. VwR, Rdnr. 109, S. 274; a.A. H Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, S. 16 ff., wonach das primäre Merkmal der Erwerbswirtschaft die konkurrierende Wirtschaftsteilnahme sei. 120 Badura, ZHR 1982, 449 und 452. 121 Vgl. auch Dickersbach, WiVerw 1983, 199 f.: Welches Unternehmensziel primär und welches sekundär sei, sei sowieso nicht feststellbar und unterliege zeitlich bedingter Veränderungen. Letztendlich (WiVerw 1983, S. 202) schließe auch das steuerstaatliche Prinzip eine Nebenfinanzierung durch Erwerbswirtschaft nicht aus, zumal das GG einen solchen Zustand vorgefunden hat. Schwierig ist die Abgrenzung der Erwerbswirtschaft auch nach Rüfner, Formen öffentlicher Verwaltung, S. 397 f. und Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht (WirVwR), S. 215 f. Angesichts des §65 BHO konstatiert auch Dickersbach (WiVerw 1983, 210), daß bei strikter Anwendung dieser
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
Intensität des öffentlichen Interesses an den Aufgaben einer Wirtschaftseinheit prägt allerdings die rechtliche Existenz des Trägers: Innerhalb öffentlicher Unternehmen, die einer öffentlichen Aufgabe gewidmet sind, treten Interessenkonflikte und Spannungslagen auf, die im Bereich der Erwerbswirtschaft nicht vorhanden sind122. Je nach dem Ausmaß der Beteiligung der öffentlichen Hand an einem privatrechtlichen Träger unterscheidet man, vor allem auf dem Gebiet staatlicher Unternehmungen, zwischen Eigengesellschaften und gemischtwirtschaftlichen Unternehmen. In den Eigengesellschaften gehören alle Gesellschaftsanteile dem Staat (dem Bund, einem Land oder einer Gemeinde); in den gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaften besteht eine, egal ob geringe oder große, Teilnahme von Privaten123. Das Gesellschaftsrecht knüpft zwar prinzipiell keine Folgen an diese Unterscheidung, sie kann aber im öffentlichen Recht von Bedeutung sein, insbesondere im Hinblick auf Fragen der Grundrechtsgeltung124 und -bindung123. Für Gesellschafts- und Haushaltsrecht scheint als Anknüpfungspunkt für konkrete Rechtsfolgen die Unterscheidung zwischen mehrheitlicher und minoritärer Teilnahme des Staates von größerer Bedeutung zu sein. Im letzten Fall spricht man von staatlichen Beteiligungen oder Anlagen der Vermögensverwertung 126. U.a. wegen der gesetzlich vorgegebenen Begrenzung der Haftung und Einzahlungspflicht des Staates (§65 BHO, §103 Abs.l Nr. 4 GO B.-W. und Vorschrift zumindest auf Bundesebene "manches zur Privatisierung stände". Das BVerfG trifft im Sasbach Urteil (BVerfGE 61, 107) keine klare Aussage über die Zulässigkeit staatlicher Erwerbswirtschaft, insbesondere industrieller Beteiligungen: "Hinsichtlich anderer juristischer Personen besteht aufgrund haushaltsrechtlicher Bindungen eine ähnliche Lage". Nach Dickersbach (WiVerw 1984, 197) befinden sich in den Landesverfassungen mehrere Hinweise auf die Zulässigkeit des erwerbswirtschaftlichen Zwecks. Insgesamt muß man nach der Auffassung von Schoch, DÖV 1993, 380 und König, in Biernat/Hendler/Schoch/Wasilewski (Hrsg.), Grundfragen des Verwaltungsrechts, S. 253, feststellen, daß kommunales Wirtschaftsrecht und Haushaltsrecht "keine wirksamen, praktisch faßbaren" Grenzen der wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden setzen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt hinsichtlich des normativen Gehalts des öffentlichen Zwecks als Zulässigkeitsschranke staatlicher wirtschaftlicher Betätigung auch R. Schmidt, Öff. Wir., S. 506. Ebenfalls Abromeit, ZögU 1988,1 ff. 122 Leisner, WiVer 1983, 214. 123 Schmidt-Aßmann, in Festschrift Niederländer, S. 384. 124 Schmidt-Aßmann, in Festschrift Niederländer, S. 383 ff., inbesondere S. 392 ff. 123 S. unten Kap. 3, Abschnitt 1, m 4 b). 126 Dickersbach, WiVerw 1983, 191.
1. Abschnitt: Deutschland
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entsprechende Vorschriften) werden fast ausschließlich die Rechtsformen der Aktiengesellschaft und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung eingesetzt127. Die Aktiengesellschaft erfordert ein größeres Kapital; deshalb sind Eigengesellschaften von kleineren Gebietskörperschaften in der Form der Gesellschaft mit beschränkter Haftung verfaßt 128. Im nicht-wirtschaftlichen Bereich (Erfüllung von Aufgaben der Leistungs-, insbesondere Kultur- und Wissenschaftsverwaltung) finden sich öfter der eingetragene Verein und die privatrechtliche Stiftung 129; es mehren sich dennoch die Fälle des Einsatzes von Kapitalgesellschaften mit Aufgaben auch der letzteren Art 130 . Im Gegensatz zum Recht der Handlungsformen hat sich kein entsprechendes Verwaltungsprivatrecht der Organisationsformen herausgebildet. Die privatrechtlichen Organisationsformen besitzen dieselben Strukturmerkmale, die ihnen das private Gesellschaftsrecht auch sonst beigibt131. Handelsrechtliche und bürgerlichrechtliche Organisationsformen beinhalten dabei eine unterschiedliche Regelung ihrer Struktur und ihres Innenlebens, die einer verschiedenen rechtlichen Wertung der in ihnen zusammengefaßten Interessen entspricht. Aus diesem Grunde wird insbesondere die Frage der Beziehung der öffentlichen Hand zu solchen Trägern anhand der Struktur jedes Trägers untersucht werden müssen.
127
Emmerich, Das Wirtschaftsrecht, S. 187; Jarass, WirVwR, S. 217; Ronellenfintsch, HStR ΠΙ, §84, Rdnr. 24, S. 1184 f.; Vitzthum, AÖR 104 (1979), 600 mit Hinweis auf die dem §69 Abs. 1 DGO folgenden Vorschriften der GO. Zur Unzulässigkeit der OHG und KG im kommunalrechtlichen Bereich, s. Adamska, Rechtsformen, S. 118 ff. 128 Leisner, WiVerw 1983, 212. 129 Die Ausrichtung von Vereinen auf wirtschaftliche Aktivitäten ist wegen des Prinzips der "Subsidiarität" der Wirtschaftsvereine der absolute Ausnahmefall: S. Adamska, Rechtsformen, S. 156. 130 Ehlers, DÖV 1986, 900; Püttner, JA 1980,218 ff. (220). 131 Eine vorübergehende Ausnahme scheint bei der Verfassung der neuen privatrechtlichen Postunternehmen zu bestehen: Die ihre Struktur regelnden Vorschriften des PostUmwG weichen in manchen Punkten von den entsprechenden Vorschriften des AktG ab. S. Pohl, ZögU 1995, 241. 4 Cìogos
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
2. Privatrechtliche Organisationsformen: Binnenstrukturen und staatliche Ingerenzen a) Kapitalgesellschaften
(AG und GmbH)
Die Teilnahme des Staates (inkl. der Gebietskörperschaften) an einer Kapitalgesellschaft bzw. ihre Beherrschung durch ihn ändert die äußere Form der Gesellschaft nicht: Soweit gesetzliche Sondervorschriften von gleichem Rang nicht bestehen, unterliegen staatliche Beteiligungen in Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung dem Gesellschaftsrecht, das als Bundesrecht eventuell entgegenstehende Landesvorschriften bricht 132. Aus diesem Grunde verfügt das Muttergemeinwesen grundsätzlich nur über die Steuerungsmittel des Gesellschaftsrechts zur Durchsetzung der öffentlichen Belange133. Die Wahl der privatrechtlichen Organisationsform bedeutet somit eine grundsätzliche Unterwerfung der öffentlichen Hand unter die privatrechtlichen Mechanismen des Interessenausgleichs im Inneren der Gesellschaft 134. Die öffentliche Hand genießt also, mit wenigen Ausnahmen135, dieselben Rechte und unterliegt denselben Pflichten wie jeder andere Gesellschafter bzw. Aktionär, insbesondere wie die privaten Anteilseigner in einer gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaft. Das deutsche Schrifttum beschäftigt sich ausgiebig mit den Möglichkeiten der Steuerung von Kapitalgesellschaften durch ihre Muttergemeinwesen, insbesondere durch die Gemeinden. Die Auseinandersetzung des gemischtwirtschaftlichen Unternehmens Hamburger Elektricitätswerke (HEW) mit der Hansestadt Hamburg über die zukünftige Nutzung der Kernkraft mag dabei auch einen Anreiz gegeben haben136. In Kapitalgesellschaften, die unmittelbar öffentliche Aufgaben wahrnehmen, entsteht eine besondere Spannungslage zwischen den gemeinwohlgebundenen Zielsetzungen des Muttergemeinwesens und den autonomen, hauptsächlich 132
Ronellenfintsch, HStR m, §84, Rdnr. 24, S. 1184 f.; Kropjf, in Eichhorn (Hrsg.), Auftrag und Führung, S. 80; Badura, in Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes. VwR, Rdnr. 114, S. 279. 133 Spannowsky, DVB1. 1992, 1072 ff (1074). A.A. Haverkate, VVDStRL 46 (1988), S. 226 ff. 134 Badura, ZHR 1982, 451. 135 Z.B. §§ 394 und 395 AktG. 136 Ausführlich zu diesem Streit Kermel, Steuerungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand bei Beteiligung an Aktiengesellschaften der Energieversorgung, S. 17 ff.
1. Abschnitt: Deutschland
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gewinnorientierten Eigeninteressen des Trägers 137. Noch heftiger werden solche Konflikte, wenn auch Private als Anteilseigner ein berechtigtes Interesse an der Ausschüttung von Gewinnen haben. Das Aktiengesellschaftsrecht entscheidet in §§ 76 und 111 AktG zugunsten der eigenen Unternehmensinteressen: Die Geschäftsführung einer (staatsnahen) Aktiengesellschaft liegt bei ihrem Vorstand, der die Gesellschaft nach §76 AktG eigenverantwortlich und "wie es das Wohl der Gesellschaft erfordert" zu leiten hat. Ähnliches gilt auch für den Aufsichtsrat 138. Diese Vorschriften garantieren die Weisungsfreiheit der Aufsichtsrats- und Vorstandsmitglieder und verpflichten sie zur vorrangigen Berücksichtigung der Gesellschaftsinteressen. Weisungsrechte zugunsten der Aktionäre, in diesem Fall der öffentlichen Muttergemeinwesen, können wegen des Vorrangs des AktG als Bundesrecht nach h.L. nicht bestehen, auch wenn die Gemeindeordnungen mehrerer Länder abweichende Vorschriften enthalten139. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung besitzt andererseits einen viel elastischeren Aufbau (§45 Abs. 2 GmbHG), so daß eine weitgehende Steuerung der Gesellschaft erzielt werden kann140. Der Gesellschaftsvertrag kann eine Klausel enthalten141, wonach der Geschäftsführer den Weisungen bestimmter Gesellschafter unterliegen kann. Die Geschäftsführer sind allgemein an die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung gebunden142. Die Einräumung von Einflußrechten zugunsten des Muttergemeinwesens ist in der Aktiengesellschaft nach einer strittigen Auffassung über einen konzernrechtlichen Beherrschungsvertrag möglich, wenn sich eine Mehrheit von 3/4
137
Pfeifer, Möglichkeiten und Grenzen, S. 25 ff.; Becker, DÖV 1984, 313 ff. (318); Scholz/Pitschas, Gemeindewirtschaft zwischen Verwaltungs- und Unternehmensstruktur, S. 17. 138 Emmerich, Das Wirtschaftsrecht, S. 206; T. Koch, Der rechtliche Status, S. 162 f.; Pfeifer, Möglichkeiten und Grenzen, S. 101. 139 Ausführlich zum Verhältnis zwischen Bundes- und Landesrecht in diesem Zusammenhang Pfeifer, Möglichkeiten und Grenzen, S. 99 ff.; zur Weisungfreiheit der Aufsichtsratsmitglieder: Kropjf und Emmerich, in Eichhorn (Hrsg.), Auftrag und Führung, S. 86 und 99 entsprechend; Emmerich, Das Wirtschaftsrecht, 198 ff; Leisner, WiVerw 1983, S. 217; Badura, in Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes. VwR, Rdnr. 114, S. 279; Ehlers, DÖV 1986, 904; Kermel, Steuerungsmöglichkeiten, S. 68 f. 140 T. Koch, Der rechtliche Status, S. 167 f. 141 Vitzthum, AÖR 104 (1979), 612; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 237. 142 Pfeifer, Möglichkeiten und Grenzen, S. 156; T. Koch, Der rechtliche Status, S. 167.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
des Grundkapitals dafür entscheidet143. Auch faktische Konzernverhältnisse sollen möglich sein144. Besonders gestaltete Konzessionsverträge bei Unternehmen der Daseinsvorsorge145 oder die Einbeziehung der öffentlichen Aufgaben in die Gesellschaftszwecke der Satzung könnten die Gesellschaft i.S. der Verfolgung von Gemeinwohlzwecken leichter steuerbar machen146; auf kommunaler Ebene besteht auf alle Fälle eine Verpflichtung des Muttergemeinwesens (s. §103 Abs.l S. 2 GO B.-W.), die Satzung oder den Gesellschaftsvertrag des entstehenden Trägers so zu gestalten, daß die Erfüllung der öffentlichen Zwecke sichergestellt wird. Die Wahl der Verwaltungs- und Aufsichtsorgane der Gesellschaft besitzt für die Steuerung einer Gesellschaft eine große Bedeutung147. Das Muttergemeinwesen wird entsprechend seinem Anteil in der Aktiengesellschaft den Aufsichtsrat mit seinen Vertretern, i.d.R. Beamten und im Fall der Gemeinden auch mit Gemeinderäten oder dem Bürgermeister, besetzen148. Der Vorstand wird bestellt, abberufen und überwacht durch den Aufsichtsrat; unmittelbare Bestellungsrechte des Muttergemeinwesens zum Vorstand bestehen nicht149. In der GmbH erfolgt andererseits die Wahl des Leitungsorgans unmittelbar durch die Gesellschafter selbst (§46 Nr. 5 GmbHG)150. Es ist leicht verständlich, daß der Erfolg dieser Personalpolitik vom Gesellschaftsanteil der öffentlichen Hand abhängt. Die Bestimmung dieses Anteils scheint aber oft unlösbare Probleme mit sich zu bringen151.
143 Püttner, JA 1980, 218; ebenfalls Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 236; Pfeifer, Möglichkeiten und Grenzen, S. 129 ff.; Spannowsky, DVB1. 1992, 1074; T. Koch, Der rechtliche Status, S. 176 f.; Jarass, WirVwR, S. 218; R. Schmidt, Öff. Wir., S. 515; Kermel, Steuerungsmöglichkeiten, S. 132 ff., 138; a.A. Emmerich, Das Wirtschaftsrecht, S. 200 ff. und Leisner, WiVerw 1983, 219 f. m.w.N. zu dieser umstrittenen Frage. 144 Kermel, Steuerungsmöglichkeiten, S. 151 ff., 165. 145 Püttner, JA 1980, 218. 146 Stober, NJW 1984, 455 m.w.N.; Pfeifer, Möglichkeiten und Grenzen, S. 120 ff.; Kermel, Steuerungsmöglichkeiten, S. 117; Spannowsky, DVB1. 1992, 1074 f.; Püttner, JA 1980, 218. A.A. R. Schmidt, Öff. Wir., S. 515. 147 Stober, NJW 1984, 455; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 238. 148 Vitzthum, AÖR 104 (1979), 613. Allerdings stellt Kropjf, in Eichhorn (Hrsg.), Auftrag und Führung, S. 80, fest, daß in die Aufsichtsräte von öffentlichen Bundesunternehmen nur ein Vertreter des Bundes entsandt wird. 149 Pfeifer, Möglichkeiten und Grenzen, S. 107 f. 150 Dazu T. Koch, Der rechtliche Status, S. 167. 151 Schmidt-Aßmann, BB 1990, Beil. 34, 1 ff. (3 f.)
1. Abschnitt: Deutschland
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Trotz der Abwesenheit einer konkreten gesetzlichen Pflicht 132 werden die Vertreter der öffentlichen Hand in den Aufsichtsräten der Aktiengesellschaften i.d.R. angewiesen (bzw. es wird mit ihnen vertraglich vereinbart, falls sie nicht in hierarchischer Beziehung zur Zentralverwaltung stehen), den relevanten Instanzen der Muttergemeinwesen Berichte über die Führung der Gesellschaft zu erstatten und zugängliche Gesellschaftsunterlagen zuzuleiten133. Diese Berichte sind nach §§ 394, 395 AktG zulässig. Ein rechtliches Instrumentarium zur Lenkung von handelsrechtlichen Gesellschaften ist freilich im großen und ganzen vorhanden134. Insgesamt läßt sich aber feststellen, daß eine laufende Instrumentalisierung von Aktiengesellschaften zur Verfolgung öffentlicher Zwecke ihre Grenzen hat133. Eine Gesamtsteuerung einer gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaft durch das Muttergemeinwesen ist erst ab dem Besitz von 75% des Aktienkapitals absolut sichergestellt; ansonsten kommt es vielfach auf tatsächliche Faktoren wie die Persönlichkeiten der Mitglieder der Gesellschaftsorgane an136. Im übrigen steigt die Autonomie des Unternehmens, wenn das Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Politik, an den Modalitäten der Aufgabenerfullung weniger akut ist. Schließlich, auch andere faktischen Gegebenheiten, wie z.B. die Größe des Unternehmens, können unter besonderen Umständen die Kontrolle durch das Muttergemeinwesen schwächen137: Eventuelle Einflußdefizite sind aber nicht nur auf die strukturelle Eigenart der Aktiengesellschaft, sondern auch auf den Verzicht der Muttergemeinwesen auf die Wahrnehmung ihrer Einwirkungsbefugnisse zurückzufuhren 138. 132
Schmidt-Aßmann/Ulmer, BB 1988, Beil. 13, 1 ff. (13 f., 24); a.A. Pfeifer, Möglichkeiten und Grenzen, S. 185. 133 Zavelberg, in Festschrift Forster, 1992, S. 723 fT. (731). 134 Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 235; Vitzthum, AÖR 104 (1979), 614. 133 Schmidt-Aßmann, in Festschrift Fabncius, S. 251 ff. (255); R. Schmidt, Öff. Wir., S. 515; vgl. auch Püttner, in Brede (Hrsg.), Privatisierung, S. 32 f. Ähnlich auch Emmerich, in Eichhorn (Hrsg.), Auftrag und Führung, S. 88 ff.; Leisner, WiVerw 1983, 218; Kermel, Steuerungsmöglichkeiten, S. 64 f. 136 T. Koch, Der rechtliche Status, S. 165 f.; Pfeifer, Möglichkeiten und Grenzen, S. 20. 137 Emmerich, in Eichhorn (Hrsg.), Auftrag und Führung, S. 90 mit Hinweis auf die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, welche die Präsenz der Muttergemeinwesen in den Aufsichtsräten empfindlich entkräftet. 138 Stober, NJW 1984, 455; Abromeit, ZögU 1988, 12. Nach Kropjf, in Eichhorn (Hrsg.), Auftrag und Führung, S. 85 sind "Beamte und Politiker nicht gewillt, Obervorstand zu spielen".
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze b) Vereine und Stiftungen
Der eingetragene zivilrechtliche Verein ist eine Organisationsform, die sich auch für die Verfassung von Trägern im staatsnahen Bereich anbietet. Als Organisationsform ist der eingetragene Verein bei der Festsetzung seiner Ziele offen, bei der Gestaltung seiner Beziehungen zu auswärtigen Machtzentren relativ flexibel und deshalb als staatlich beherrschbare Trägerform geeignet. Dabei ist zu unterscheiden zwischen eingetragenen Vereinen, die rein administrative Einheiten "umhüllen", und Vereinen, die echte gesellschaftliche Zusammenschlüsse darstellen und aufgrund ihrer Aufgaben unter staatlichem Einfluß stehen. Im ersten Fall entstehen gewisse Spannungen zwischen den zivilrechtlichen Vorschriften, die an der Regulierung der Interessen beteiligter Bürger innerhalb der Vereinsstrukturen ausgerichtet sind, und den staatlichen Organisationsmaximen. So verlangt das BGB (§56) die Mitwirkung von mindestens 7 Personen zur Gründung eines Vereins, was zur Folge hat, daß nur unter Mitwirkung von Strohmännern oder mehrerer juristischer Personen des öffentlichen Rechts staatsnahe Vereine errichtet werden können159. Der zivilrechtliche eingetragene Verein weist insgesamt eine korporative Struktur auf. Dies könnte wohl zu Schwierigkeiten bei der Steuerungsfähigkeit eines e.V. als verselbständigter Verwaltungseinheit führen 160. Die Nachgiebigkeit der Vorschriften des BGB über die Wahl des Vereinsvorstandes, die Mitgliedschaft und die Mitgliederversammlung (§40 BGB) erlaubt aber letztendlich eine Anbindung solcher Vereine an ihr Muttergemeinwesen161. Besonders die Vereinbarung von Sonderrechten nach §35 BGB zugunsten der Vertreter der beteiligten Verwaltungsträger (Mehrfachstimmrecht 162, Rechte auf Bestellung eines Amts bzw. auf ein Vereinsamt, Zustimmungs- oder Vetorechte bei der Beschlußfassung der Mitgliederversammlung oder bei Maßnahmen des Vorstands163) bietet sich zu diesem Zweck an. 159
Boergen, DVB1. 1971, 878; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 8. Rudolf in Festschrift Menzel, S. 141 ff. (151). 161 Ausführlich Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 134 ff., der eine Grenze dieser Autonomie lediglich in der Entfremdung des Vereinsvorstandes und der Mitgliederversammlung von jeder Teilnahme an der Führung des Vereins sieht. 162 Püttner, JA 1980, 221, betrachtet es als unzulässig; a.A. Reuter, Münchner Kommentar, BGB AT, §32 Rdnr. 20. 163 Dazu Reuter, Münchner Komm., §35, Rdnr. 4; zu den Sonderrechten, in der Satzung des Goethe Instituts e.V. s. Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 136 f. 160
1. Abschnitt: Deutschland
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Eine erhöhte Präsenz solcher Vereine ist auf Gebieten zu beobachten, wo aus verschiedenen Gründen an sich staatliche Aufgaben nichtwirtschaftlicher Art in einem distanzierten Verhältnis zur offiziellen Staatsverwaltung erfüllt werden müssen164. Besonders im Bereich der auswärtigen Kultur- und Wissenschaftspolitik werden Aufgaben, die ansonsten dem Auswärtigen Amt zufallen würden163, durch eingetragene Vereine erfüllt. Zu nennen sind vor allem der Deutsche Akademische Austauschdienst, das Goethe Institut, der Volksbund Deutsche Kriegsgräbervorsorge oder der Inter Nationes e.V. Auf Bundes- und Landesebene erscheint ebenfalls eine große Zahl verwaltungsnaher Vereine, die besondere Formen der sozialen Vorsorge ausüben, so z.B. die Verkehrsopferhilfe e.V. und die Bergwacht e.V. Aber auch rein private Zusammenschlüsse, die Tätigkeiten im öffentlichen Interesse ausüben, befinden sich manchmal unter staatlichem Einfluß. Solche Vereine besitzen ein echtes gesellschaftliches Substrat und einen abgestuften Grad an Selbständigkeit166; in diesem Fall sind eventuell bestehende staatliche Ingerenzen auch subtiler. Insbesondere fehlt eine institutionalisierte Steuerung durch unmittelbare staatliche Mitgliedschaft im Verein167. Auch hierzu hält allerdings die beschriebene Satzungsautonomie des Vereins verschiedene Möglichkeiten zum Ausgleich privater und administrativer Interessen parat168. Staatliche Einflußmöglichkeiten beruhen regelmäßig auf der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Vereins von staatlichen Mitteln für die Erfüllung seiner auf das Gemeinwohl hin orientierten Aufgaben. So wird die Auffassung vertreten, daß "die Subvention eines der geschmeidigsten und anpassungsfähigsten Mittel der lenkenden Beeinflussung" ist169. Allein die Gewährung von finanziellen Zuwendungen, vor allem durch die Möglichkeit ihres zukünftigen Entzugs, reicht nach einer verbreitet vetretetenen Ansicht in den meisten Fällen aus, um die Befolgung von informellen Zielvorgaben sicher-
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Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, S. 28 f.; Loeser, Die Bundesverwaltung, Bd. 1, S. 177; Müller-Thoma, Der halbstaatliche Verein, S. 39 ff., spricht von "Entpolitisierung" der Aufgaben. 165 Rudolf in Festschrift Menzel, S. 145; Dittmann, Die Verwaltung 1975, 431 ff.; in bezug auf die Kriegsgräbervorsorge Müller-Thoma, Der halbstaatliche Verein, S. 39. 166 Müller-Thoma, Der halbstaatliche Verein, S. 30 f. 167 Loeser, System des VwR, Bd. Π, §10, Rdnr. 154, S. 153. 168 Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 135. 169 Müller-Thoma, Der halbstaatliche Verein, S. 28; ähnlich Müller, Rechtsformenwahl, S. 76 f.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
zustellen170. Personelle Verflechtungen sind schließlich auch als gewöhnlich zu betrachten171. Staatlich finanzierte Vereine sind vor allem im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich zu finden: Man denke an die Max Planck Gesellschaft, die Deutsche Forschungsgemeinschaft e.V.172, wie auch an die als Vereine organisierten Parteienstiftungen 173, deren Mittel hauptsächlich staatlichen Ursprungs sind. Der karitative Bereich ist ein traditioneller Schwerpunkt der Arbeit solcher Träger: Typisches Beispiel hierfür wäre das Deutsche Rote Kreuz e.V. (außerhalb Bayerns)174. Mittlerorganisationen entwickeln schließlich zunehmend Tätigkeiten auf dem Gebiet der Beratung sowie der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung; als solche Träger werden die Deutsche Atlantische Gesellschaft e.V., die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V., die Deutsche Unesco-Kommission e.V. und das Deutsche Jugendinstitut e.V. genannt175. Die Schwierigkeiten der Durchdringung der korporativen Vereinsstruktur durch den Staat tauchen bei der privatrechtlichen Stiftung nicht auf. Die Organisationsform der Stiftung weist eine deutliche Flexibilität bei der Gestaltung der Satzung auf und ermöglicht somit vielfache Ingerenzmöglichkeiten, wie die Verlagerung der Stiftungsverwaltung auf eine Behörde oder vereinzelte Beamte, die Einräumung von Aufsichtsrechten zugunsten der öffentlichen Verwaltung usw.176. Im Fall der Einkommensstiftung (im Gegensatz zur Vermögensstiftung) kann auch die Abhängigkeit von periodischen Zuwendungen seitens des Muttergemeinwesens zu einem erhöhten staatlichen 170
Loeser, System des VwR, Bd. Π, §10, Rdnr. 157, S. 155. Aus diesem Grunde bemerkt auch Boergen, DVB1. 1971, 870, daß nur ein gradueller Unterschied an Abhängigkeit solcher Vereine von der unmittelbaren Staatsverwaltung im Vergleich zu den rein administrativen Vereinen mit offizieller Staatsbeteiligung besteht. 171 Thoma-Müller, Der halbstaatliche Verein, S. 21 ff.; kritisch Loeser, System des VwR, Bd. Π, §10, Rdnr. 157 (und FN 622), S. 155. 172 Dazu Τ rut e, Die Forschung zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlicher Institutionalisierung, S. 515 ff. und 601 ff. 173 Es geht um die privatrechtlichen Stiftungen Konrad Adenauer, Friedrich Ebert und Friedrich Naumann. 174 Das Rote Kreuz operiert nach der Meinung von Müller-Thoma, Der halbstaatliche Verein, S. 16 f. sehr nah an der öffentlichen Verwaltung. In Bayern ist das DRK seit 1921 eine juristische Person ("formelle Körperschaft") des öffentlichen Rechts. 175 Loeser, System des VwR, Bd. Π, §10, Rdnr. 155, S. 154 f. 176 Dewald, Die privatrechtliche Stiftung als Instrument zur Wahrnehmung öffentlicher Zwecke, S. 92; Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 140.
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Einfluß führen. Allerdings wird auch hier eine ständige und umfassende Steuerung der Stiftung durch das Muttergemeinwesen als schwierig angesehen177. Bekannte privatrechtlich verfaßte verwaltungsnahe Stiftungen sind auf Bundesebene die Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung, sowie die Stiftungen Alexander von Humbold Stiftung und Warentest. Auch auf Landesund insbesondere Kommunalebene besteht eine große Vielzahl staatsnaher privatrechtlich verfaßter Stiftungen 178.
V. Zusammenfassung Die Organisationsformen des öffentlichen Rechts werden im deutschen Recht durch einen grundsätzlichen Vorbehalt öffentlich-rechtlichen Handelns definiert. Damit ist die Überordnung öffentlich-rechtlichen Trägern gegenüber privatrechtlichen Organisationen ihr prägendes Merkmal. In den Bereichen schließlich, in denen öffentlich- und privatrechtliche Handlungsformen gleichwertige Modi der Aufgabenerfüllung darstellen, besteht eine Alternativität auch zwischen den Organisationsformen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts dürfen nur öffentliche Zwecke verfolgen. Ihre Errichtung unterliegt dem institutionellen Gesetzesvorbehalt und sie stehen unter staatlichen Aufsichtsbefugnissen. Die staatliche Aufsicht betrifft oft nur die Rechtmäßigkeit ihrer Tätigkeiten, erfaßt manchmal aber auch die Zweckmäßigkeit des Handelns öffentlich-rechtlicher Träger. Wichtigste öffentlich-rechtliche Organisationsformen sind die Körperschaft und die Anstalt. Die Organisationsformen des Privatrechts haben sich als Träger staatlicher Aufgaben etabliert. Auch verwaltungseigene juristische Personen des Privatrechts müssen öffentliche Aufgaben erfüllen; ihre Tätigkeiten können aber auch nur mittelbar öffentlichen Zwecken dienen. Die staatliche Teilnahme an solchen Trägern unterliegt grundsätzlich keinem Gesetzesvorbehalt und richtet sich nach den Regeln des Handelsgesellschaftsrechts. Obwohl dabei ein einfaches Instrumentarium zur Ausübung von staatlichen Ingerenzen auf verwaltungsnahe Aktiengesellschaften besteht, ist eine laufende Instrumen177 178
Dewald, Die privatrechtliche Stiftung, S. 92 ff. Statistiken bei Dewald, Die privatrechtliche Stiftung, S. 40.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
talisierung dieser Organisationsform zur Erfüllung staatlicher Aufgaben in gewissen Fällen problematisch. Dagegen ist die Form der Gesellschaft mit beschränkter Haftung einer staatlichen Beherrschung wesentlich zugänglicher. Den Organisationsformen des privatrechtlichen Vereins und der Stiftung kommt eine wichtige Rolle auf vielen Gebieten staatlicher Leistungs- und Kulturverwaltung zu. Diese Formen bieten schließlich die Möglichkeit der Einbeziehung gesellschaftlicher Kräfte in die Verwaltungsorganisation.
2. Abschnitt Verselbständigte Verwaltungseinheiten in Frankreich I. Der Inhalt der Organisationsform des öffentlichen Rechts 1. Der Ansatzpunkt des Dualismus zwischen öffentlichem und privatem Recht: Der Begriff des service public und seine Verzweigungen Für das klassische französische Verwaltungsrecht, wie es besonders um die Jahrhundertwende entstanden ist, ist die Aufgabenlehre des service public der primäre Anknüpfungspunkt, "principe explicatif' des öffentlichen Rechts: Dieser Begriff ist von ausschlaggebender Bedeutung für die Bejahung des Verwaltungsrechtswegs und die Anwendung der öffentlich-rechtlichen Regeln, wie z.B. der Prinzipien der Amtshaftung, des Rechts der öffentlichen Sachen und des Beamtenrechts1. Der präzise Inhalt des Begriffs des service public ist Gegenstand heftiger wissenschaftlicher Diskussionen2. Die klassische Betrachtung versteht unter dem "funktionellen" oder "materiellen" Sinn des service public jede Tätigkeit des Staates, die dem öffentlichen Interesse dient3. Die wichtigsten Teilaspekte des Begriffs sind mit den deutschen Termini Staatsaufgaben oder öffentliche Aufgaben zu übersetzen4. Der service public beinhaltet manchmal auch eine 1
Vedel, Les bases constitutionnelles du droit administratif, aus Pages de Doctrine, Bd. 2, S. 129. S. auch den Kommentar von Lachaume zum grundlegenden Urteil TC 8. Februar 1873, Blanco, in Les grandes décisions de la jurisprudence, Droit administratif, S. 11 ff. 2 Geffroy , RDP 1987, 49; Nach Truchet, AJDA 1982, 427 ff. (428) ist eine Definition ganz und gar unmöglich. 3 De Laubadère/Venezia/Gaudemet, Traité de droit administratif (Traité de dr. adm.), Bd. I, S. 35; Lachaume, Les grands services publics, S. 17; Debbasch, Institutions et droits administratifs (Inst. et dr. admin.), Bd. 2, S. 27 f. 4 Autexier, Landesbericht Frankreich, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben durch Personalkörperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, S. 137.
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1. Kap. : Organisationsrechtliche Grundsätze
Anspielung auf den leistenden Inhalt der Verwaltungstätigkeit; in dieser Hinsicht wird er der reglementierenden, durch Ge- und Verbote tätigen "Polizeiverwaltung" gegenübergestellt3. In seiner "organischen" Schicht bedeutet der Begriff des service public die Gesamtheit der staatlichen Instanzen, die im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben wahrnehmen6. Der service public kann letztendlich nicht mit absoluter Präzision übersetzt werden; jede Übersetzung erweckt zwangsläufig Konnotationen aus dem nationalen Recht, die nur für Teilaspekte des Begriffs richtig sind7. Die neuere Rechtsprechung des obersten französischen Verwaltungsgerichts, des Conseil d'État (Staatsrat), mißt nunmehr der Ausübung von Hoheitsbefugnissen eine ganz wesentliche Bedeutung bei der Bestimmung des Rechtswegs bei8. Nach einer daran anknüpfenden Auffassung ist deshalb der Begriff des service public nicht nur in Hinsicht auf das öffentliche Interesse, sondern auch (kumulativ) anhand der Ausübung von Hoheitsbefugnissen zu definieren9. Die Gegenauffassung behauptet demgegenüber, daß das Vorliegen von Hoheitsgewalt wie auch (sekundär) die Ausübung von staatlicher Aufsicht 10 den Charakter der Tätigkeit als service public lediglich indizieren. Service public bedeutet nach dieser Lehre immer noch nur eine auf das Gemeinwohl orientierte staatliche Tätigkeit, die manchmal auch mittels hoheitlicher Befugnisse ausgeübt werden muß11. Die Konstruktion des service public als alleinigem Dreh- und Angelpunkt des öffentlichen Rechts ist im Laufe der Zeit in eine wahrhafte "Krise" geraten12. Die Rechtsprechung des Tribunal des Conflits 13 hat zum ersten eine 3
Statt vieler Vedel, Les bases, S. 135. Für viele Chapus, Droit Administratif Général (Dr. adm. gén.), Bd. 1, S. 402. 7 Efstratiou, Die Bestandskrafl des öffentlich-rechtlichen Vertrags, S. 89, FN 22. 8 S. unten Kap. 3, Abschnitt 2, IV 1. 9 S. Geffroy, RDP 1987, 71 ff; Truchet, AJDA 1982, 431. S. auch unten Kap. 3, Abschnitt 2, IV 1. 10 Vgl. Truchet, AJDA 1982, 432; Geffroy, RDP 1987, 77 f. 11 S. Debbasch, Inst, et dr. admin, Bd. 2, S. 34 ff; de Soto, RDP 1983, 819 ff. (824); Bizeau, AJDA 1992, 179 ff (179); J. Waline undAmselek, D. 1979, 249 ff. (253); vgl. auch Negrin, L'intervention des personnes morales de droit privé dans l'action administrative, S. 119 ff. 12 Vedel, Les bases, S. 130 f.; de Forges, Les institutions administratives françaises, S. 27. Vgl. den Titel des Werkes von de Corail, La crise de la notion juridique de service public en droit administratif français, 1954. 13 Das Tribunal des Conflits ist eine dem Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes analoge Institution. 6
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Kategorie von services publics entwickelt, die sog. services publics industriels et commerciaux (= Aufgaben industrieller und kommerzieller Natur, abgekürzt s.p.i.c.), die die Geltung des Privatrechts und die Zuständigkeit der Zivilgerichte nach sich zieht14. Diese Kategorie, die ihre Wurzeln im Urteil Bac d'Eloca des Tribunal des Conflits von 1921 hat15, faßt eine künstliche und wenig homogene Sammlung von Tätigkeiten zusammen16, die als gemeinsamen Nenner die Tatsache haben, daß sie den Betriebsaufgaben eines privaten Unternehmens ähneln17. Es geht also um Aufgaben, die nicht mit "den natürlichen staatlichen Funktionen" des Staates verbunden sind18, sondern unter "normalen Umständen" (also bei ordnungsgemäßem Funktionieren des Marktes) von der Privatwirtschaft erledigt werden. Durch die Herausbildung dieser neuen Kategorie von Aufgaben und im Gegensatz zu ihnen hat sich der Begriff der services publics administratifs (Verwaltungsaufgaben, abgekürzt s.p.a.) herausgebildet. Er ist auch ein Sammelbegriff für unterschiedliche verwaltungstypische Aufgaben kultureller 19, sozialer oder sogar finanzieller Natur 20, die am präzisesten durch die Abgrenzung gegenüber der Kategorie der services publics industriels et commerciaux definiert werden können21. Staatsrat und Tribunal des Conflits qualifizieren einen service public nach der konkreten Art der wahrgenommenen Aufgaben, ihrer Finanzierung und
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Sandevoir, in Mélanges Stassinopoulos, S. 317 ff. (S. 330 ff.) konstatiert jedoch, daß in Wahrheit nicht die Aufgaben an sich die Geltung des Privatrechts bewirken, sondern eher die politische Entscheidung rein administrative Aufgaben nach privatwirtschaftlichen Kriterien wahlzunehmen. 13 So die (fast) einstimmige Interpretation des Urteils vom TC 22. Januar 1921, Société commerciale de l'ouest africain (bekannt als "bac d'Eloca") Ree. 1921, 91 = D. 1921, 3, 1 mit Schlußanträgen Matter, betreffend den Unfall einer Fähre im afrikanischen Eloca. Mescheriakojf bestreitet in seiner Untersuchung der Vor- und Nachgeschichte dieses Urteils (RDP 1988, 1059 ff, besonders S. 1064 ff), daß das Gericht mit diesem Urteil die Entstehung einer neuen privatrechtlichen Kategorie von service public beabsichtigte. Nach diesem Autor ist die rechtliche Kategorie der Wirtschaftsaufgaben erst auf die spätere Auslegung dieses Urteils durch J. Delvolvé zurückzuführen. 16 Lachaume, Les grands services publics, S. 59 f. 17 Autexier in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 150. 18 Matter in den Schlußanträgen zum Urteil Bac d'Eloca, D. 1921, Teil 3, S. 2. 19 Zur Unterkategorie der kulturellen öffentlichen Aufgaben Fontier, RDP 1989, 1607ff. (1624 ff). 20 Rivero, Droit Administratif (Dr. adm.), S. 608. 21 Lachaume, Les grands services publics, S. 51; Debbasch, Inst. et dr. admin., Bd. 2, S. 37.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
den Modalitäten ihrer Erfüllung 22: Services publics administratifs sind demnach verwaltungstypische Tätigkeiten (wie Bildung und Ausbildung, Kultur, öffentliche Ordnung und Sicherheit usw.). Sie werden durch Steuern oder parafiskalische Abgabenfinanziert und auf eine für die öffentliche Verwaltung typische Weise, d.h. durch die Ausübung von Hoheitsgewalt, erfüllt. Entsprechend sind s.p.i.c. Tätigkeiten, die eine gewerbliche, industrielle und kommerzielle Natur besitzen; sie werden durch privatwirtschaftliche Methoden finanziert und unternehmerisch wahrgenommen. Zu den s.p.i.c. gehören vor allem die Versorgung mit Energie und Trinkwasser, der Betrieb von öffentlichem Verkehr, sowie von Häfen und Flughäfen u.ä. Grundsätzlich müssen alle drei dieser Kriterien erfüllt sein, damit man von s.p.a. oder s.p.i.c. sprechen kann23. Vereinzelte Urteile jedoch, die nur zwei oder nur eines dieser Kriterien erwähnen, erschweren die Problematik. Dieser Rechtsprechung entsprechend werden die Finanzierung24 und vor allem die Modalitäten der Aufgabenerfüllung, also die Ausübung hoheitlicher Befugnisse, als auch allein ausschlaggebend betrachtet: Der Begriff des service public administratif ist untrennbar mit der Ausübung obrigkeitlicher Befugnisse verbunden25. Wegen des unpräzisen Charakters der entwickelten Kriterien 26 ist schließlich die Natur mancher Aufgaben weiterhin strittig 27.
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CE Urteil vom 16. November 1956, Union syndicale des industries aéronautiques, Ree. 1956, 434; TC vom 20. Januar 1986, Commissaire de la République de la Région dΉe de France, RDP 1986, 1490; CE 19. Februar 1990, CNASEA, Ree. 1990, 387 = Dr.Adm. 1990, Nr. 206. 23 Debbasch, Inst, et dr. admin., Bd. 2, S. 38; de Forges , Les institutions, S. 33; Dufau, Jurisclasseur administratif (JCA) 2, Fase. 150, §7; Fatôme , in Mélanges Chapus, S. 171 ff. (187). 24 Demnach bedeutet die Finanzierung der Leistungserbringung durch den Haushalt oder durch Abgabebn das Vorliegen von s.p.a., während die Finanzierung durch Entgelte der Benutzer das Vorliegen von s.p.i.c. indiziert. S. J.F. Auby, Services publics locaux, les grandes mutations du secteur, AJDA 1990, 755 f.; Debbasch, Inst. et dr. admin., Bd. 2, S. 39. Vgl. das Urteil TC 28. Mai 1979, Préfet du Val-dOise, Ree. 1979, 672 bezüglich der gemeindlichen Müllabfuhr; ebenfalls zur Müllabfuhr: TC vom 13. Februar 1984, Commune de Pointe-à-Pitre, Ree. 1984 (Tables), 536. 25 Nach dieser Auffassung liegt bei der Ausübung von Hoheitsbefugnissen immer ein s.p.a. vor. Théron, JCA 2, Fase. 135, §47; Dufau, JCA 2, Fase. 150, §65 ff.; Moderne, AJDA 1977, 146; vgl. Long/Weil/Braibant/P. Delvolvé/Genevois , Les grands arrêts de la jurisprudence administrative, S. 532 f. zu CE 20. April 1956, Consorts Grimouard, Ree. 1956, 168); S. auch TC 15. Januar 1979, Caisse centrale de cooperation économique, Ree. 1979, 550. 26 Vgl. die heftige Kritik von Sandevoir, Mélanges Stassinopoulos, S. 320 ff.
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2. Die Verfassung selbständiger Verwaltungsträger im Lichte der Aufgabenlehre des service public Die klassische Lehre verlangt für die Qualifizierung einer Tätigkeit als service public, daß die auf das öffentliche Interesse ausgerichteten Aufgaben durch einen öffentlich-rechtlichen Träger oder mindestens unter seiner Aufsicht wahrgenommen werden28. Ein Lebensbereich wird dann zum service public, wenn sich die öffentliche Verwaltung dazu entschließt, die Erfüllung der fraglichen Aufgaben durch ihre eigene Organisation und in alleiniger Verantwortung zu übernehmen; der service public stellt somit eine dem Staat vorbehaltene Tätigkeit, eine Staatsaufgabe, dar29. Das Ermessen, eine Tätigkeit in den staatlichen Verantwortungsbereich zu übernehmen oder nicht, erfaßt auch die staatliche Entscheidungsbefugnis, die Art der Aufgabenerfullung zu bestimmen. Neben der Wahrnehmung durch Ministerialbehörden ist auch eine Inanspruchnahme verselbständigter Verwaltungseinheiten unter staatlicher Aufsicht möglich. Die juristischen Personen, die der Wahrnehmung des service public gewidmet sind, stellen juristische Personen des öffentlichen Rechts dar. Sie heißen öffentliche Anstalten30 (établissements publics).
27 Zum Krankenhauswesen s. Villotte, in Guédon (Hrsg.), Sur les services publics, S. 97 ff. (100 ff); Vgl. auch Debbasch, Inst, et dr. admin., Bd. 2, S. 40 f. Eine Umqualifizierung von Verwaltungsangelegenheiten zu Wirtschaflsangelegenheiten (und umgekehrt) ist auch möglich; s. das kommunale Bestattungswesen (zuerst Aufgabe verwaltender, später wirtschaftlicher, und dann wieder administrativer Natur). Dazu s. Sandevoir, Mélanges Stassinopoulos, S. 326 und J.F. Auby, AJDA 1990, 756. Vgl. auch die Beispiele von Dufau, JCA 2, Fase. 150, §32. Selbst der Fährenbetrieb, der ja im Urteil des Tribunal des Conflits Bac d'Eloca den Anstoß für das Entstehen der Kategorie der Wirtschaflsangelegenheiten gegeben hat, wurde vom Staatsrat später als Verwaltungsaufgabe qualifiziert (CE Urteil vom 10. Mai 1974, Denoyez et Chorques, Ree. 1974, 274 = AJDA 1974, 298 mit Anm. von Franc und Boy on). 28 Es geht um das sogenannte "organische Kriterium" des service public. Mit besonderem Nachdruck (und statt vieler) Chapus, Dr. Adm. Gén., Bd I, S. 402 ff. 29 Man spricht deshalb vom staatlichen Monopol der Schaffung von service public; s. P. Delvolvé, RFDA 1985, 5; Chevallier , Le service public, S. 66 ff ; Vlachos, Chronique, D. 1978, 257 ff. (260); Lachaume, Les grands services publics, S. 97; Negrin , L'intervention, S. 112; kritisch Regourd, RDP 1987, 5 ff. (20 f.). 30 Die Übersetzung als öffentliche Anstalt erfolgt anhand der von Fromont in VVDStRL 44 (1986), S. 259 f. aufgestellten Parallele zum entsprechenden deutschen Begriff.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
Die öffentlichen Anstalten werden als "personalisierte staatliche Aufgaben" ("services publics personnalisés"31) bezeichnet. Letztendlich ist damit die Organisationsform des öffentlichen Rechts eine Projektion des service public auf die Staatsorganisation. Öffentlich-rechtliche Träger, die keinen Aufgaben des service public gewidmet sind, wären im Rahmen dieser Auffassung unvorstellbar: Der service public und die öffentlich-rechtliche Organisation verleihen sich gegenseitig ihren öffentlich-rechtlichen Charakter. Deshalb kennt das französische Verwaltungsrecht als juristische Personen des öffentlichen Rechts den Staat, die Gebietskörperschaften und, bis auf gesetzlich in jüngerer Zeit entstandene Sonderformen 32, nur noch die öffentliche Anstalt33.
3. Die Abgrenzung zwischen den öffentlich- und den privatrechtlichen Organisationsformen in der Rechtsprechung Da die öffentlich-rechtliche Organisation des handelnden Trägers eine Voraussetzung des öffentlich-rechtlichen Charakters eines Rechtsakts und somit der Bejahung des Verwaltungsrechtswegs im französischen Recht darstellt34, steht die Qualifikation der Organisationsform im Mittelpunkt der gerichtlichen Beurteilung des Verwaltungshandelns. Obwohl die Anlehnung der öffentlich-rechtlichen Organisationsform an den Begriff des service public bis 1935 unangefochten zu sein schien, haben die französischen Gerichte die öffentliche Anstalt niemals wirklich als ausschließliche organisatorische Verkörperung der Erfüllung von service public konzipiert35. Selbst "im goldenen Zeitalter" der Lehre vom service public wurden privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Träger unter Heranziehung auch anderer Kriterien von-
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Grundlegend Jèze, Les principes généraux du droit administratif, Bd. 2, S. 24 ff; Lachaume, Les grands services publics, S. 166; Rivero , Dr. adm., S. 604; Autexier, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 139; de Laubadère/Venezia / Gaudemet , Traité de dr. adm., Bd. I, S. 239; de Forges , Les institutions, S. 57; Douence, RDP 1972, 753 ff. (766); Debbasch, Inst. et dr. admin., Bd. 2, S. 519. 32 Die Rede ist hier vom Verband im öffentlichen Interesse (groupement d'intérêt public) und den sog. öffentlichen Betreibern (exploitants publics); S. unten in diesem Abschnitt Π 2. 33 Debbasch, Inst, et dr. admin., Bd. 2, S. 521. 34 S. unten Kap. 3, Abschnitt 2, Π. 35 R. Drago, Les Crises de l'Établissement Public, S. 25.
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einander abgegrenzt, insbesondere anhand der Ausstattung des Trägers mit hoheitlichen Befugnissen 36. Die öffentliche Anstalt ist als rechtliche Kategorie in Abgrenzung zu den privatrechtlichen (gemeinnützigen und mit gewissen Privilegien ausgestatteten37) "Anstalten öffentlichen Nutzens" anhand der Rechtsprechung der Zivilgerichte im 19. Jahrhundert entstanden38 und vom Staatsrat fortentwickelt worden39. Die Gerichte haben in Laufe der Jahre verschiedene Kriterien eingesetzt, um private von öffentlichen Anstalten zu unterscheiden: den hohen Grad an Kontrolle und Finanzierung durch die zentrale Verwaltung40, die staatliche Herkunft der Initiative zur Gründung der Anstalt41, den beamtenrechtlichen Status des Personals u.a. Die Qualifikation der Aufgaben der Anstalt als service public besitzt dabei freilich eine besonders gewichtige Bedeutung42. Bei dieser Qualifikation wird man jedoch oft auf die erwähnten Indizien, insbesondere die Ausstattung mit Hoheitsbefugnissen, als Bestandteile des Begriffs des service public verwiesen. Es gibt schließlich Urteile, wo allein diese obrigkeitliche Austattung die öffentlich-rechtliche Qualifikation des Trägers hervorruft 43. 36
S. TC 3. Dezember 1899, Canal de Gignac, Ree. Sirey 1900, Teil 3, 49 mit Anm. Hauriou. In dieser Periode wäre aber die Herrschaft der Lehre des service public auf dem Gebiet der Verwaltungsorganisation nicht anzuzweifeln; vgl. Vlachos, D. 1978, 259. 37 Es geht um Vorteile steuerrechtlicher Natur, sowie um die Einräumung der Fähigkeit Schenkungen entgegenzunehmen. Dazu Garrigou-Lagrange, Recherches sur les rapports des associations avec les pouvoirs publics, S. 190. 38 S. Cour de Cassation, Urteil vom 5. März 1856, Caisse d'Épargne de Caen, Ree. Dalloz 1856, Teil 1, 121 (nach Théron, JCA 2, Fase. 135, §2 und Drago, Les Crises, S. 35 f.). Bis zu diesem Zeitpunkt wurden sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Rechtsprechung die beiden Begriffe nicht unterschieden. Dazu Details bei Drago, Les Crises, S. 33ïï., Schulz, RDP 1994, 1481 ff. (1484 ff). 39 Conseil d'État, Études sur les établissements publics, EDCE 1984-1985, S. 55 f. 40 S. das erwähnte Urteil Cour de Cassation, 5. März 1856, Caisse dÉpargne de Caen; CE 16. März 1956, Garnett, Ree. 1956, 125. Nach R. Drago, Les crises, S. 64 f. ist die Ausübung staatlicher Kontrolle das allein maßgebliche Kriterium. 41 CE 22. Mai 1903, Caisse des Écoles du 6 è m e arr., S. 1905, Teil 3, 33 ff. mit Schlußanträgen Romieu und Anm. Hauriou. 42 Schulz, RDP 1994, 1485. A.A. Théron, JCA 2, Fase. 135, §31. 43 S. z.B. TC 13. Februar 1984, Cordier, Ree. 1984, 447 = RDP 1984, 1139 mit Chronique G. Drago. Nach diesem Urteil stellen die Räte der Rechnungsprüfer (commissaires aux comptes) privatrechtliche juristische Personen dar, weil sie über keine hoheitlichen Befugnisse verfügen, auch wenn sie nach Auffassung des Gerichts in gewisser Hinsicht mit der Wahrnehmung von service public beauftragt sind. 5 Gogos
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
Die herrschende Analyse einer äußerst unbeständigen Rechtsprechung kommt zum Ergebnis, daß alle diese Indizien einzeln genommen nicht angemessen sind, um den Charakter des Trägers zu bestimmen. Letztendlich wird das Gericht aufgrund einer Gesamtbetrachtung der beschriebenen Indizien und eines Gesamteindrucks des Charakters der fraglichen Organisation entscheiden44. In den Fällen, in denen der fragliche Träger nach den gesetzlichen Vorgaben fur juristische Personen des Privatrechts konstituiert ist, oder wenn er vom Gesetz als juristische Person des öffentlichen Rechts bezeichnet wird, birgt seine Einordnung keine Schwierigkeiten: Die Gerichte bestätigen fast immer die gesetzgeberische Entscheidimg43. Letztendlich spielt der Wille des Gesetzgebers, eine juristische Person des öffentlichen oder des Privatrechts zu errichten, immer die entscheidende Rolle46. Die Lockerung der Bindung zwischen Organisationsform und Begriff des service public machte sich letztendlich in der Rechtsprechung zur Bestimmung des Verwaltungsrechtswegs bemerkbar: Staatsrat und Tribunal des Conflits haben mehrfach die Wahrnehmung von services publics auch bei staatsnahen Trägern anerkannt, die privatrechtlich organisiert waren47. Das organische Kriterium des service public, also das Erfordernis der Ausübung der gemeinwohlbezogenen Tätigkeit durch eine juristische Person des öffent44
CE, Études sur les Établissements publics, EDCE 1984-1985, S. 56; Théron, JCA 2, Fase. 135, §33 ff; De Laubadère/Venezia/Gaudemet, Traité de dr. adm., Bd. I, S. 219 f.; Rivero, Dr. Adm., S. 604; de Forges, Les institutions, S. 58. 43 S. z.B. das Urteil des TC vom 3. März 1969, Sté Interlait, AJDA 1969, 694 = Ree. 1969, 681; Garrigou-Lagrange , Recherches sur les rapports, S. 334 ff. mit Angabe sporadischer Fälle, wo die Rechtsprechung sich nicht an die gesetzlichen Vorgaben gehalten hat. Ebenfalls Negrin, L'intervention, S. 35 ff. 46 S. den Sachverhalt Centre national de Lutte contre le cancer "Eugène Marquis", wo das Tribunal de Conflits trotz der Bejahung der Wahrnehmung eines service public durch die fragliche Stiftung sowie der Ausübung von Aufsicht durch den Staat zum Ergebnis kam, daß es sich um einen privatrechtlichen Träger handeln mußte, da der Willen des Verordnungsgebers in diese Richtung ging: TC 20. November 1961, D. 1962, 389 mit kritischer Anm. de Laubadère, der daraufhinweist, daß in der fraglichen Verordnung nichts über die Rechtsform des Trägers stünde. 47 In seiner Entscheidung vom 13. Mai 1938, Caisse primaire "Aide et Protection", Ree. 1938, 417 hat der Staatsrat bezüglich eines Sozialversicherungsträgers festgestellt, daß ein Träger "mit der Wahrnehmung von services publics beauftragt werden kann, auch wenn diese Organisation eine private Anstalt darstellt". Vgl. ebenfalls die Urteile CE 2. April 1943, Bouguen, S. 1944, 1 mit Anm. Mestre und CE vom 31. Juli 1942, Montpeurt, Ree. 1942, 239; CE 13. Januar 1961, Magnier, Ree. 1961, 33; TC 6. Juni 1978, Caisse du crédit mutuel, Ree. 1978, 739. Dazu Anmerkung von Waline, RDP 1962, 721 ff; vgl. Chapus, Dr. adm. gén., Bd. I, S. 109 ff.
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liehen Rechts, wandelt sich in dieser Rechtsprechung in das Kriterium der Kontrolle der Aufgabenerfüllung des privatrechtlichen Trägers durch die öffentliche Verwaltung48. Der Krise des service public folgte die Krise der Organisationsform der öffentlichen Anstalt, die nunmehr weitgehend eines prägenden materiellen Gehalts entkleidet war 49; aus diesem Grunde bestehen heute öffentliche Anstalten, deren Aufgaben nach allgemeiner Auffassung keinen service public darstellen50. Insgesamt scheint die Verbindung zwischen der Erfüllung von services publics und dem öffentlich-rechtlichen Charakter des handelnden Trägers zwar nicht allgemein gebrochen31, jedoch in ihrer Zwangsläufigkeit relativiert: In der Tat ist die Wahrnehmung einer Tätigkeit durch einen öffentlichrechtlichen Träger ein wichtiges Indiz für den Charakter der erfüllten Aufgaben als service public32; umgekehrt ist auch die Erfüllung von im Gemeinwohl liegenden Aufgaben ein bedeutendes Anzeichen des Vorliegens der öffentlich-rechtlichen Organisationsform, jedoch nicht das einzige. Insbesondere das Kriterium der öffentlichen Gewalt gewinnt an Bedeutung, sei es selbständig oder als Bestandteil der herrschenden Aufgabenlehre. Die Verbindung zwischen öffentlicher Anstalt und service public wird heute zwar prinzipiell immerhin akzeptiert, jedoch wird sie in ihrer Handhabung als zunehmend problematisch empfunden 33.
4. Die Bedeutung des Dualismus der Organisationsformen Die Eigenschaft der juristischen Person des öffentlichen Rechts spielt eine maßgebliche Rolle bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts (d.h. des 48
Lachaume, Les grandes décisions, S. 183. S. unten Kap. 3, Abschnitt 2, IV 1. Théron, JCA 2, Fase. 135 §1. 30 Vor allem die chemischen Industrien Houillières de Basin, Entreprise Minière et Chémique sowie die Charbonnages de France. Vgl. Lachaume, Les grandes décisions, S. 183. 31 Chevallier, JCP 1974, I, Nr. 2667, §35 unterstreicht, daß für die französische Rechtswissenschaft der Begriff des service public immer noch mit der Wahrnehmung der fraglichen Aufgaben durch öffentlich-rechtliche juristische Personen aufs engste verbunden bleibt. 32 Debbasch, Inst, et dr. admin., Bd. 2., S. 30; Lachaume, Les grandes décisions, S. 184 f.; Bizeau , AJDA 1992, 192 sieht in der Wiedergeburt dieses "organischen" Aspekts einen wichtigen Faktor ftlr ein besseres Verständnis des service public. 33 S. Fatôme , in Mélanges Chapus, S. 192 ff. 49
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
öffentlichen oder Privatrechts) und des Rechtswegs in den Außenbeziehungen der Verwaltungseinheit. Die Zäsur zwischen den Organisationsformen hat ebenfalls weiterhin eine Bedeutung für die Verteilung der Organisationsgewalt zwischen den Staatsorganen, wie auch für die Gestaltung der Beziehungen zur Ministerialverwaltung. Andererseits besteht eine Annäherung der Organisationsstrukturen und Kontrollmechanismen zwischen den Organisationsformen des öffentlichen und des Privatrechts. Dies gilt besonders dann, wenn es um die Wahrnehmung von Wirtschaftstätigkeiten geht54. So kommt es oft vor, daß beide Organisationsformen unter dem Begriff des öffentlichen Unternehmens zusammengefaßt und behandelt werden55. Auf diese Weise unterliegen beide Formen staatlicher Wirtschafitsbetätigung der technischen Aufsicht des in der entsprechenden Materie zuständigen Ministers, wie auch der finanziellen Kontrolle des Wirtschafitsministers durch einen Controllern d'État56.
II. Bauformen des öffentlichen Rechts 1. Die öffentliche Anstalt a) Definition
und Erscheinungsformen
Die öffentliche Anstalt ist die wichtigste und war für lange Zeit die einzige öffentlich-rechtliche Organisationsform im para-staatlichen Bereich. Der öffentlich-rechtliche Charakter der Anstalt, der den Verwaltungsrechtsweg eröffnet, ist auch ihr wichtigstes Merkmal neben der rechtlichen Trennung von der ministeriellen Verwaltung durch die eigene Rechtspersönlichkeit. Am präzisesten wird deshalb die Anstalt formal definiert als die juristische Person des öffentlichen Rechts, die nicht zu den Gebietskörperschaften oder zum Staat 54
Rivero , Dr. adm., S. 622. Hilf Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 273; s. auch Mescheriakojf RDP 1985, 1575 ff. (1591); CE, Études sur les Établissements publics, EDCE 1984-1985, S. 57 f. 56 De Laubadère, Traité de dr. adm., Bd. IV, S. 239; Lachaume, Les grands services publics, S. 219; J.M. Auby/Ducos-Ader/J.B. Auby, Institutions administratives (inst. admin.), S. 837 (898). 55
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zählt37. Der französische Staatsrat beschreibt die öffentliche Anstalt heute als "eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die eine besondere Aufgabe wahrnimmt, und die deshalb über eine besondere administrative und finanzielle Autonomie verfügt" 58. Im Zuge der Entwicklung der services publics industriels et commerciaux hat der Staatsrat innerhalb des Begriffs der öffentlichen Anstalt eine Unterkategorie anerkannt, eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die Aufgaben unternehmerischer Natur (s.p.i.c.) wahrnimmt. Die Handlungen dieser öffentlichen Wirtschaftsanstalten (établissements publics industriels et commerciaux) unterliegen prinzipiell den Maßstäben des Privatrechts und der Zuständigkeit der Zivilgerichte. In dieser Kategorie erscheinen öffentliche Unternehmen, wie die Großbetriebe Electricité de France (Stromproduktions- und Versorgungsgesellschaft), Gas de France (Gasversorgung) und Société Nationale des Chemins de Fer (SNCF, die französische Eisenbahn) sowie die sog. autonomen Häfen (ports autonoms). Diese Organisationsform besitzen auch Träger der Wirtschafts- insbesondere der Landwirtschaftslenkung, wie das Office Nationale Interprofessionnel des Céréales (ONIC), das Office du Lait et des Produits Laitiers usw. Die Verwaltungsanstalten (établissements publics administratifs) andererseits nehmen verwaltungstypische Angelegenheiten (services publics administratifs) wahr. Dazu gehören Träger auf den Gebieten der Kultur (wie die Bibliothèque Nationale oder das Centre National d'Art et de Culture Georges Pompidou) und der Wissenschaft (Météo-France, Institut Géographique National), Schulen und Theater (auf lokaler Ebene), verschiedene Träger der Vorsorge, wie die Agence Nationale d'Emploi oder das Institut de l'Enfance et Familie, sowie verschiedene Träger, die Leistungsaufgaben ohne direkten kommerziellen Charakter erfüllen, wie das Institut National des Appelations d'Origine. Die Trennung zwischen Wirtschafts- und Verwaltungsanstalten ist nicht immer eindeutig und klar 59. Im Laufe der Zeit hat sich zudem die gesetzliche Praxis der selbständigen Anknüpfung von Rechtsfolgen an den Charakter der
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Hilf.\ Die Organisationstrukturen, S. 271. CE, Étude sur les établissements publics, EDCE 1984-1985, S. 47 (Übersetzung des Verfassers). 59 CE, Études sur les Établissements publics, EDCE 1984-1985, S. 21. 58
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
Anstalt ohne Rücksicht auf die wahrgenommenen Tätigkeiten gebildet60. Dadurch kommt es gelegentlich vor, daß der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber einen Träger als Wirtschaftsanstalt bezeichnet, um sicherzustellen, daß der Anstalt eventuelle Vorteile des Regimes der Wirtschaftsanstalt zukommen, ohne daß der Inhalt der wahrgenommenen Angelegenheiten dieser Bezeichnung entspricht61. Aus diesem Grund nimmt die Rechtsprechung62 eine den wahrgenommenen Aufgaben entsprechende Umqualifizierung der Anstalt vor, wenn die Qualifikation des Trägers durch ein Dekret und nicht durch Gesetz vorgenommen worden war63. In diesem Zusammenhang spricht man von Anstalten mit "umgekehrtem Gesicht" (à visage inversé). Eine weitere interessante Erscheinung stellen die sog. "Anstalten mit doppeltem Gesicht" (établissements à double visage) dar64. Dabei handelt es sich um Träger, die sowohl wirtschafts- als auch verwaltungstypische Aufgaben als Teil ihrer regulären Mission63 erfüllen: So bestehen die Aufgaben der Industrie- und Handelskammern (Chambres de Commerce et d'Industrie) einerseits in der Disziplinierung ihrer Mitglieder und andererseits im Betrieb von Hafen- und Flughafeninstallationen, welcher vom Tribunal des Conflits als eine Tätigkeit mit Wirtschaftscharakter (s.p.i.c.) qualifiziert wird 66. Anstalten mit doppeltem 60
Vielfältige staatsgerichtete Vorschriften nehmen von ihrem Anwendungsbereich die öffentlichen Wirtschaftsanstalten aus (z.B. Art. 39 des Gesetzbuches über die öffentlichen Aufträge - code des marchés publics). Dazu: Fatôme , in Mélanges Chapus, S. 173. 61 Théron , JCA 2, Fase. 135, §51 spricht von einer wahren Flut solcher Fälle in den letzten Jahren. S. auch Dufau, JCA 2, Fase. 150, §120; Fatôme , in Mélanges Chapus, S. 173 f. 62 TC 24. Juni 1968, Société d'approvisionnements alimentaires, JCP 1969, Nr. 15764 (bekannt auch als F.O.R.M.A. Urteil) mit Schlußanträgen Gégout und Anm. Dufau. S. auch CE vom 6. Februar 1987, Maurice, D. 1988, 90 mit Anm. Fatôme und Moreau. Dazu s. Sandevoir, Mélanges Stassinopoulos, S. 326 f. 63 Anders aber wenn ein formelles Gesetz den Träger qualifiziert. S. Théron , JCA 2, Fase. 135, §51. 64 Dazu Chapus, Dr. adm. gén., Bd. 1, S. 242 ff ; Debbasch, Inst, et dr. admin., Bd. 2, S. 40 f. 63 Chapus, Dr. adm. gén, Bd. I, S. 244. Wirtschafts- oder Verwaltungsanstalten nehmen freilich legitimerweise auch Aufgaben der entgegengesetzten Kategorie am Rande ihres Haupttätigkeitsgebietes wahr, ohne zu Anstalten mit doppeltem Gesicht zu werden. S. Dufau, JCA 2, Fase. 150, §110. 66 TC 23. Januar 1978, Marchand, Ree. 1978, 643 = D. 1978, 584 mit Anm. P. Delvolvé. Zur Dualität der Aufgabenkreise dieser Kammern Schulz, RDP 1994,
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Gesicht sind im Rahmen der Erfüllung von Wirtschaftsaufgaben privatrechtlich tätig; bei der Wahrnehmimg ihrer Verwaltungsangelegenheiten (s.p.a.) erlassen sie andererseits Verwaltungsakte. Besondere Erscheinungsformen öffentlicher Wirtschaftsanstalten sind schließlich die sog. "öffentlichen Betreiber" 67 (exploitants publics) France Télécom und La Poste68. Diese juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind nach der Verselbständigung der Post und der Telekommunikationen von der Ministerialverwaltung und voneinander69 durch das Gesetz vom 2. Juli 1990 entstanden. Im Vergleich zu den sonstigen Wirtschaftsanstalten weist ihr Rechtsregime Abweichungen nur in den Bereichen der steuerrechtlichen Behandlung und (vor allem) des Personalrechts auf 0. Die Qualifikation von Anstalten zieht insgesamt schwerwiegende Folgen nach sich: Die öffentlichen Wirtschaftsanstalten unterliegen einer Gemengelage zwischen öffentlichem und privatem Recht. Ihr Personal unterliegt einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis, die vertraglichen Beziehungen zu Dritten und Benutzern sind privatrechtlich gestaltet, und die Anstalt haftet auch deliktisch nach den Regeln des Privatrechts71. Andererseits bleiben die öffentlichen Wirtschaftsanstalten juristische Personen des öffentlichen Rechts. Deshalb richtet sich die innere Organisation und die Finanzverwaltung der Anstalt nach dem öffentlichen Recht72. Die öffentlichen Verwaltungsanstalten unterliegen dagegen gänzlich dem öffentlichen Recht. Erwähnenswert sind ferner öffentliche Anstalten mit wissenschaftlichem und kulturellem Charakter (établissements publics à caractère scientifique et culturel)73, sowie die wissenschaftlichen und technologischen Anstalten (éta-
1490 ff. Andere Anstalten mit doppeltem Gesicht sind das Office Interprofessionnel des Céréales, das Oftice National de Navigation und das Office National des Forêts. 67 Übersetzung des Begriffs durch Todtenhaupt-Puttfarken in Blaise!Frontoni, Das Wirtschaftsrecht der Telekommunikationen in Frankreich. 68 Chevallier, AJDA 1990, 667 ff. (679); Théron, JCA 2, Fase. 135, §52; Dufau, JCA 2, Fase. 150, §100; dahin tendiert auch Laffont, Rev. Adm. 1991, 540 ff. (542 f.). 69 Blaise/Fromont, Das Wirtschaftsrecht der Telekommunikationen in Frankreich, S. 135 sprechen von einer doppelten Trennung. 70 Im Gegensatz zu den Wirtschaftsanstalten besteht ihr Personal aus Beamten: Chevallier, AJDA 1990, 680 ff; Laffont, Rev. Adm. 1991, 543. 71 Statt vieler de Laubadère/Venezia/Gaudemet, Traité de dr. adm., Bd. I, S. 227. 72 Zum folgenden: Dufau, JCA 2, Fase. 150, §202 ff; Autexier, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 150. 73 Gesetz vom 12. November 1968.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
blissements publics à caractère scientifique et technologique)74. Zu dieser Kategorie gehören vor allem die Universitäten73. Aufgrund des Gesetzes vom 31. Juli 1991 sind schließlich sog. öffentliche Gesundheitsanstalten entstanden (établissements publics de santé). Die Benennung dieser Anstalten mit besonderen Bezeichnungen hat wenige rechtliche Folgen; insbesondere kann man dadurch die Problematik ihrer Einordnung in die zwei Grundkategorien der Wirtschafts- und Verwaltungsanstalten nicht umgehen76. Wichtig sind die neuen gesetzlichen Bezeichnungen für die Subsumtion unter verschiedene sondergesetzliche Regelungen77. Die Anstalt zeichnet sich als Organisationsform durch ihre Elastizität aus78; sie ist als Rechtsrahmen für die Erfüllung von vielfältigen Aufgaben geeignet79. Unter Umständen können deshalb auch homogene Menschengruppen in der öffentlichen Anstalt eine Organisationsform finden, über die ihnen Rechtspersönlichkeit und hoheitliche Befugnisse verliehen werden können. Das französische Recht kennt keine Sonderform einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, sondern bringt die rechtliche Anerkennung der begrenzten Selbstbestimmung gesellschaftlicher Gruppierungen durch die entsprechende Modifizierung der Anstaltsform zum Ausdruck. In Frankreich spricht man in diesen Fällen von korporativen Anstalten (établissements publics corporatifs), wobei alle anderen Anstalten als Gründungen (établissements publics fondatifs) bezeichnet werden80. In diese körperschaftliche Kategorie werden Eigentümervereine81, Industrie- und Handelskammern (chambres de commerce et d'industrie) sowie gewisse Berufsstandsorganisationen, wie die Rechtsanwalts- und Notarkammern, eingeordnet82. 74
Gesetz vom 15. Juli 1982. Die französischen Universitäten besitzen eine körperschaftliche Struktur: dazu Groß, Die Autonomie der Wissenschaft im europäischen Vergleich, S. 73; de Laubadère/Venezia, Traité de dr. adm., Bd. ΙΠ, S. 360 ff.; vgl. auch de Forges , Les institutions, S. 60. 76 Chapus, Dr. adm. gén., Bd. I, S. 244; Fatôme , in Mélanges Chapus, S. 183 f. Dazu s. auch Lafîtte, RFDA 1988, 302 ff. 77 Fatôme , in Mélanges Chapus, S. 184. 78 CE, Études sur les Établissements publics, EDCE 1984-1985, S. 47. 79 Deb bas ch, Inst. et dr. admin., Bd. 2, S. 519; Rivero , Dr. adm., S. 593. 80 VedeUP. Delvolvé, Droit administratif, Bd. 2, S. 582; Théron , JCA 2, Fase. 135, 73
§12. 81 82
Associations syndicales de proprieteurs. Douence, RDP 1972, 769; s. auch Schulz, RDP 1994, 1496 ff.
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Abgesehen davon, daß die korporativen öffentlichen Anstalten stets der ministeriellen (und nicht der kommunalen) Aufsicht unterliegen, bleibt ihre Einordnung in eine besondere rechtliche Kategorie eher von didaktischer Bedeutung, denn ansonsten unterliegen sie den für alle übrigen Anstalten geltenden Regeln83.
b) Grundzüge des Anstaltsorganisationsrechts
aa) Errichtungsgewalt Art. 34 der französischen Verfassung von 1958 sieht vor, daß nur "die Schaffung 84 neuer Kategorien öffentlicher Anstalten"85 unter dem Parlamentsvorbehalt steht. Damit ist die Errichtung einer öffentlichen Anstalt durch einen normativen Akt der Exekutive zulässig, vorausgesetzt, daß die entstehende Anstalt zu einer bereits existierenden Kategorie gehört86. Um eine solche bereits existierende Kategorie öffentlicher Anstalten handelte es sich nach dem Verfassungsrat (Conseil Constitutionnel) bis 1979, wenn die gegründete Anstalt Aktivitäten derselben Aufgabenkategorie (s.p.a. bzw. s.p.i.c.) mit den schon vorhandenen Anstalten erfüllte, der gleichen Aufsichtsbehörde unterlag und von einer "hinreichend vergleichbaren Spezialität" (spécialité étroitement comparable) der entfalteten Tätigkeiten geprägt wurde87. Nach 1979 und den Urteilen des Verfassungsrates betreffend die Errichtung der Verwaltungsträger ANVAR 88 und ANPE89 wurde das Kriterium 83
Vedel/P. Delvolvé , Dr. adm., Bd. 2, S. 582 f.: Insbesondere unterliegen sie weiter der Dichotomie zwischen Wirtschafts- und Verwaltungsanstalten. 84 Die Lehre des actus contrarius gilt auch im französischen Recht (Théron , JCA 2, Fase. 135, §76), so daß diese Ausführungen auch die Modifikation der Organisation und die Abschaffung einer Anstalt betreffen. 85 Originaltext: "La création de catégories d'établissements publics". 86 Théron , JCA 2, Fase. 135, §71; Muzellec/Nguyen Quoc, Les groupements d'intérêt public, S. 87. 87 CC vom 18. Juli 1961,1.H.E.O.M., RCC 1961, 39; dazu Chapus, Dr. adm. gén., Bd. I, S. 263 f.; Favoreu, RDP 1979, 1665 f.; de Laubadère/Venezia/Gaudemet , Traité de dr. adm., Bd. I, S. 226; Autexier , in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 147. 88 CC vom 30. Mai 1979, RCC 1979, 44 = D. 1980, 121. 89 CC vom 25.07.1979, Ree. 1979, 45 = D. 1980, 201 mit Anm. Hamon = RDP 1979, 1665 mit Chronique Favorew, CC vom 17. März 1987, AJDA 1987, 564.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
des Objekts der zugewiesenen Aufgaben auf eine einfache inhaltliche Analogie (spécialité analogue) herabgestuft, während der Maßstab der Erfüllung von Aufgaben der gleichen Kategorie völlig aufgegeben wurde90. Dies bedeutet, daß eine vorhandene Anstalt aufgrund eines Dekretes von einer Verwaltungszu einer Wirtschaftsanstalt (und umgekehrt) normativ umqualifiziert werden kann91. Nach diesen Grundsätzen kann schließlich sogar eine einzelne Anstalt eine eigene Kategorie darstellen92. Die ausschließliche Kompetenz des Parlaments umfaßt die grundsätzlichen, prägenden Prinzipien der Struktur der Anstalten innerhalb der jeweiligen Kategorie: Dazu gehören die spezifischen Anstaltsaufgaben, die Ausstattung der Aufsichtsbehörde mit Aufsichtsbefugnissen sowie die Struktur der Leitungsorgane der Anstalten. Alles übrige wird vom Verordnungsgeber entschieden93.
bb) Staatsaufsicht Fach- wie auch Rechtsaufsicht werden in dem Maße auf verselbständigte Verwaltungsträger ausgeübt, in dem sie gesetzlich vorgesehen sind94. Neben der Rechts- und der Fachaufsicht 93 wird auch zwischen der "technischen" und der "finanziellen" Aufsicht unterschieden: Die technische Aufsicht wird vom fachlich zuständigen Ministerium ausgeübt und betrifft Fragen der sachgemäßen und rechtmäßigen Aufgabenerledigung, während die finanzielle Aufsicht Fragen der Wirtschaftlichkeit (Befolgung der Haushaltspolitik der Regierung, richtige Ausführung des Haushalts usw.) zum Gegenstand hat96. 90
S. die zitierten Anmerkungen von Favoreu und Hamon bezüglich des ANPE Urteils; ferner Théron , JCA 2, Fase. 135, §72; Vedel/P. Delvolvé , Dr. adm., Bd. 2, S. 593; Autexier, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 147. 91 Favoreu, RDP 1979, 1669. 92 So CC vom 10. November 1982, RCC 1982, 102 bezüglich des Centre national d'art et de culture Georges Pompidou. 93 Chapus, Dr. admin. gén., Bd. I, S. 265. 94 Allgemeiner Rechtsgrundsatz bestätigt von CE 9. Januar 1959, Chambre syndicale nationale des entreprises industrielles de boulangerie, Ree. 1959, 23; zuletzt CE vom 4. Juni 1993, Association des anciens élèves d*ENA, Ree. 1993, 168 = AJDA 1993, 526; vgl. Dubois, Le contrôle administratif sur les établissements publics, S. 45 ff.; Chapus, Dr. adm. gén., Bd.l, S. 282; Théron , JCA 2, Fase. 135, §133. 93 Chapus, Dr. adm. gén., Bd. 1, S. 284. 96 Dubois , Le contrôle, S. 139 ff.
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Die Reichweite der Aufsichtsbefugnisse wird vom konkreten gesetzlichen Regime abhängig sein97. Generell läßt sich sagen, daß die Aufsicht als eine "Vormundschaft" (tuteile) konzipiert ist, was die Notwendigkeit der vorherigen Zustimmung der Aufsichtsinstanz bzw. der Genehmigung eines Rechtsakts impliziert 98. Die Gesetzestexte sehen vielfaltige Aufsichtsbefugnisse vor: Die mildeste Form der Aufsicht ist die einfache Konsultationspflicht; auch die Zustimmungspflichtigkeit gewisser Maßnahmen, die Befugnis der Aufsichtsinstanz zur Annulierung einer Entscheidung oder gar zur Ersatzvornahme können vorgesehen sein99. In der Regel werden der Haushalt sowie Entscheidungen der Anstaltsorgane mit großer finanzieller Bedeutung für das Muttergemeinwesen von der Genehmigung der Aufsichtsbehörden abhängig gemacht. Eine Studie des Staatsrats bemerkt in diesem Zusammenhang, daß die staatlichen Aufsichtsbefugnisse so weitgehend sind, daß sie praktisch einer hierarchischen Überordnung entsprechen100. Die Aufsichtsbehörde wird zudem regelmäßig auch die Verwaltungsorgane der öffentlichen Anstalt bestellen, in wenigen Fällen in ihrer Gesamtheit, meistens ein Drittel 101 bis zur Hälfte der Mitglieder solcher Organe. Der Präsident und der Generaldirektor der Anstalt werden stets direkt vom Ministerialrat ernannt102. Ausgenommen sind korporative Anstalten wie die Universitäten und Akademien, die in dieser Hinsicht eine vollständige Unabhängigkeit genießen103. Die staatliche Einflußnahme wird durch das ausgeprägte Beamtenbewußtsein der staatlichen Vertreter noch verstärkt; schließlich sind in den Fällen, in denen gesellschaftliche Gruppen in den Verwaltungsorganen der 97 Zu den verschiedenen Rechtsregimen einzelner Typen von Anstalten (Schulen, Organisationen zur Verwaltung von Sozialwohnungen -O.P.H.L.M.-, Krankenhäuser usw.) s. Fatome/Moreau, AJDA 1987, 566. 98 Dubois , Le contrôle, S. 284. 99 Chapus, Dr. adm. gén., Bd. 1, S. 282 f.; ausführlich Dubois, Le contrôle, S. 278 ff. 100 CE, Étude sur les établissements publics, EDCE 1984-1985, S. 49. 101 Dabei ist zu erwähnen, daß die Teilnahme von Vertretern von drei Gruppierungen (Staat, Arbeitnehmer, wichtige Persönlichkeiten aus der Gesellschaft, insbesondere Verbraucher) an den Verwaltungsorganen, der sog. "tripartisme", als ein Charakteristikum der Organisationsform der öffentlichen Anstalt betrachtet wird: Buffelan-Lanore, JCA 2, Fase. 155, §143 ff. Vgl. auch das Urteil CE 28. Juni 1963, Narcy, Ree. 1963, 401 = RDP 1963, 1186. 102 Buffelan-Lanore, JCA 2, Fase. 155, §168 f. 103 Dubois, Le contrôle, S. 218 ff. mit vielen Details über einzelne Anstalten; Fatome/Moreau, AJDA 1987, 563.
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Anstalt vertreten sind, auch die Vertreter dieser Gruppen den staatlichen Interessen eng verbunden104. Die Wirtschaftsanstalten genießen insgesamt wesentlich mehr Selbständigkeit als die Verwaltungsanstalten. Während z.B. Krankenhäuser einer langen Liste von Aufsichtsbefugnissen des Präfekten unterliegen, beschränkt sich die Macht des Regierungsbeauftragten in der SNCF auf die Zurückverweisung einer Entscheidung an den Verwaltungsrat zum Zwecke einer internen Überprüfung 105. Auch die Universitäten genießen eine weitgehende Selbständigkeit, sowohl in personeller Hinsicht als auch angesichts der Beschränkung der Fachaufsicht auf Fälle außerordentlicher Störungen des Universitätsbetriebs106.
2. Die sondergesetzliche öffentlich-rechtliche Organisationsform: Der Verband im öffentlichen Interesse (groupement d'intérêt public) Der Verband im öffentlichen Interesse (groupement d'intérêt public) ist als Randfigur innerhalb des öffentlich-rechtlichen Bereichs anzuführen. Seine Entstehimg als Organisationsform ist auf das Gesetz "über die Orientierung und Programmierung der Forschung" vom 15. Juli 1982 zurückzuführen. Die Besonderheit dieser Rechtsform liegt in der Einbeziehung nicht nur staatlicher, sondern auch privater Akteure in eine öffentlich-rechtliche Organisation107. Nach Art. 21 des genannten Gesetzes können sich nämlich öffentliche Anstalten, welche Aktivitäten der Forschung und der technischen Entwicklung entfalten, zusammen mit anderen privaten und/oder staatlichen Trägern zu einem solchen Verband zusammenschließen. Zweck dieser Verbände ist nach demselben Artikel die gemeinsame Entfaltung von Tätigkeiten der Forschung oder der wissenschaftlichen Entwicklung.
104
Dubois, Le contrôle, S. 223, 227; Hervouët, RDP 1985, 1319 ff. (1328). Beispiele aus Chapus, Dr. adm. gén., Bd. 1, S. 298 ff. Chapus bemerkt allerdings, daß diese gesetzlichen Pflichten im Fall der SNCF von besonderen, vertraglich vereinbarten Befugnissen (im Rahmen des cahier des charges, s. unten Kap. 3, Abschnitt 2, V 2) weit übertroffen werden. Zum Verhältnis der SNCF zum Staat vgl. auch Mescheriakoff, RDP 1985, 1619 f. 106 Chapus, Dr. admin. gén., Bd. I, S. 300; ausführlich dazu auch Groß, Die Autonomie der Wissenschaft, S. 73 ff. 107 Muzellec/Nguyen Quoc, Les groupements, S. 5 ff ; Benoit-Rohmer, AJDA 1992, 99 ff. (106 f.). 105
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Das Gesetz vom 26. Januar 1984 hat die Möglichkeit der Benutzung dieser Organisationsform auch im universitären Bereich vorgesehen; interessanterweise ist diese Möglichkeit auf die Gebiete des Sports (Gesetz vom 16. Juli 1984), der Entwicklung bergiger Regionen des Landes (Gesetz vom 9. Januar 1985) und des Justizvollzugs (Gesetz vom 22. Juni 1982) erstreckt worden 108 . Trotzdem ist eine nur beschränkte Anzahl solcher Verbände tatsächlich entstanden109. Die eigentliche Qualifikation dieser Verbände als juristische Personen des öffentlichen Rechts ist nicht zweifelsfrei, da die meisten Gesetzestexte zu diesem Punkt schweigen110. Lediglich das Gesetz vom 26. Januar 1984 bezeichnet die universitären Forschungsverbände ausdrücklich als juristische Personen des öffentlichen Rechts. Die herrschende Lehre mißt dieser Regelung eine allgemeine Bedeutung für die Qualifikation dieser Träger bei und betrachtet alle Verbände im öffentlichen Interesse als juristische Personen des öffentlichen Rechts111. Dabei besteht ein Meinungskonflikt, ob diese Verbände eine Unterkategorie der öffentlichen Anstalten112 oder eine neue öffentlichrechtliche Organisationsform sui generis113 darstellen. Nur vereinzelt wird die Auffassung vertreten, daß die Verbände im öffentlichen Interesse als juristische Personen des Privatrechts betrachtet werden könnten114. Jede Kategorie von Verbänden im öffentlichen Interesse unterliegt den besonderen Regelungen des Gesetzes, welches sie kreiert hat115. Allgemein gilt, daß die öffentliche Hand nach dieser Gesetzgebung immer die Mehrheit der Stimmen sowohl in der Generalversammlung als auch im Verwaltungsrat des 108 Zu weiteren Anwendungsgebieten dieser Organisationsform s. Muzellec/Nguyen Quoc, Les groupements, S. 15 ff.; vgl. auch Benoit-Rohmer, AJDA 1992, 99 ff. 109 In diesem Sinne spricht Benoit-Rohmer, AJDA 1992, 99, 102 von einem Mißerfolg dieser neuen Organisationsform. 110 Benoit-Rohmer, AJDA 1992, 105 f.; Muzellec/Nguyen Quoc, Les groupements, S. 82 f. 111 De Laubadère/Venezia/Gaudemet, Traité de dr. adm., Bd. I, S. 234; nach Muzellec und Nguyen Quoc, Les groupements, S. 84, sprächen für diese Auffassung auch viele Stimmen aus der administrativen Praxis. 112 Chapus, Droit adm. gén., Bd. I, S. 132; Vedel/P. Delvolvé, Dr. Adm., Bd. 2, S. 632. 113 De Laubadère/Venezia/Gaudemet, Traité de dr. adm., Bd. I, S. 234; Lachaume, Les grands services publics, S. 167; für Hinweise aus der Verwaltungspraxis in dieser Richtung s. Muzellec/Nguyen Quoc, Les groupements, S. 86 ff. 114 Muzellec/Nguyen Quoc, Les groupements, S. 90 f. 113 Muzellec/Nguyen Quoc, Les groupements, S. 32 ff.
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Verbands besitzen muß116, auch wenn eine mehrheitliche Zusammensetzung des Verbands durch staatliche Akteure nicht vorgeschrieben wird 117. Zudem bestehen Aufsichtsbefugnisse eines Regierungsvertreters (commissaire du gouvernement), die die Form eines suspensiven Vetorechts annehmen können118.
I I I . Organisationen zwischen privatem und öffentlichem Recht Die Berufsorganisationen mancher Berufe (insbesondere der Ärzte, Tierärzte, Apotheker und Architekten119), die sog. "ordres professionnels", gehören schließlich zum Graubereich zwischen öffentlichem und privatem Recht. Ihre Aufgaben bestehen in der Vertretung der beruflichen Interessen ihrer Mitglieder und in der Regelung der Berufsausübung 120. Die Berufsstandsregelungen werden durch Dekret des Ministerpräsidenten nach einer Stellungnahme der entsprechenden ordre erlassen. Da eine gesetzliche Qualifikation nicht vorhanden ist, wird die rechtliche Einordnung dieser Organisationen anhand gewisser Indizien (so z.B. die Ausübung von Disziplinarbefugnissen gegenüber ihren Mitgliedern) versucht121. Sowohl die privat- als auch die öffentlich-rechtliche Qualifikation könnten sich auf die Rechtsprechung des Staatsrats berufen 122. Diese Diskus116
Art. 21 des Gesetzes vom 15. Juli 1982. Muzellec/Nguyen Quoc, Les groupements, S. 129 f. 118 Einzelheiten bei Muzellec/Nguyen Quoc, Les groupements, S. 150 ff. 119 Die Berufsorganisationen von Rechtsanwälten und Notaren sind aber als korporative Anstalten verfaßt. 120 Dazu und zum folgenden Lascombe, AJDA 1994, 855 f. 121 Dazu Negrin, L'intervention, S. 45 ff. Zur Rechtsnatur der ordres professionnelles ausführlich auch Spiliotopoulos, La distinction des institutions publiques et des institutions privées en droit français, S. 82 ff. 122 S. die Urteile CE 2. April 1943, Bouguen, S. 1944, 1 ff. mit Anm. Mestre , in Bezug auf Disziplinarmaßnahmen einer Ärztekammer (Ordre des Medecins) und CE vom 31. Juli 1942, Montpeurt, Ree. 1942, 239 bezüglich der Disziplinarurteile einer comité d'organisation. Diese Maßnahmen wurden als Verwaltungsakte behandelt, obwohl nach Auffassung des Staatsrats die handelnden Organisationen keine öffentlichen Anstalten waren. Daraus wird von manchen Autoren der Schluß gezogen, daß es sich dabei um eine weitere Kategorie von öffentlich-rechtlichen Träger handeln müßte; so Peuchot, Les ordres professionnels, in Droit administratif et administration, La documentation française 1988, Notice 9, S. 1; Rivero, Dr. Adm., S. 598 f.; de Laubadère/Venezia/ Gaudemet, Traité de dr. adm., Bd. I, S. 233, behaupten dies sei "la thèse la plus 117
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sion ist nur von theoretischem Interesse, denn alle in Frage kommenden Tätigkeiten dieser Organisationen unterliegen einem eindeutigen Regime: Die Einschreibung von Mitgliedern ins Register, das körperschaftliche Innenleben (Wahlen usw.) und die Erhebung von Gebühren unterliegen als Verwaltungsakte der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle 123. Im übrigen (also in ihren Beziehungen zu ihren Angestellten, in ihrer deliktischen Haftung usw.) werden diese Träger nach den Regeln des Privatrechts tätig124. Zu diesem Graubereich gehört schließlich auch die Banque de France. Früher war sie eine privatrechtliche Gesellschaft, bis sie 1945 nationalisiert wurde. Das Nationalisierungsgesetz wie auch die spätere Gesetzgebung bezeichnen sie als eine "Institution". Die Rechtsbeziehungen zu ihren Angestellten unterliegen dem öffentlichen Recht; im Verhältnis zu Dritten handelt sie privatrechtlich 125. Ihre Verwaltungsorgane werden vom Ministerialrat ernannt, genießen allerdings eine weitgehende Selbständigkeit.
IV. Privatrechtliche Organisationsformen 1. Allgemeine Charakteristika Für die Fülle von Staatstrabanten in Frankreich, die rein unternehmerische Aufgaben ohne service public-Charakter erfüllen, ist die privatrechtliche Organisationsform der Regelfall. Staatliche "nationale" und gemischt-wirtschaftliche Aktiengesellschaften sind auf dem Gebiet der Produktion von Kohle und Stahl (Sacilor-Usinor), Elektrogeräten (Thomson-Brandt), Automogénéralement admise"; ähnlich Waline, RDP 1962, 721 ff. (724). Andere argumentieren, daß es um eine Anerkennung der Fähigkeit von privatrechtlichen Trägern handele, öffentlich-rechtlich tätig zu werden. Vgl. Chapus, Dr. adm. gén., Bd. 1, S. 112 ff; Vedel/P. Delvolvé, Dr. adm., Bd. 2, S. 648 ff; Autexier, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 174 f.; Negrin, L'intervention, S. 46 f. 123 S. CE vom 6. März 1974, Marc, Ree. 1974, 1127; CE vom 9. Juni 1978, Lebon, Ree. 1978, 245. 124 Liet-Vaux, JCA 2, Fase. 145, §40 ff. und 54 ff; Peuchot, in Droit administratif et administration, S. 1; Negrin, L' intervention, S. 46. Disziplinarmaßnahmen stellen judikative Urteile dar, die nicht der Anfechtungsklage, sondern einem Revisionsantrag unterliegen: s. Liet-Veaux, JCA 2, Fase. 146, §208 ff. und Lascomhe, AJDA 1994, 860 ff. 125 S. Art. 22 und 30 des erwähnten Gesetzes vom 4. August 1993; zu diesen Fragen: Lombard, AJDA 1994, 491 ff.
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bilen (Renault126), Flug- und Raumfahrtmaterial (die gemischt-wirtschaftliche Aérospatiale; die rein staatliche Dassault/Matra) sowie im Bank- und Versicherungssektor (Banque Nationale de Paris; Crédit Lyonnais127) tätig. Aber auch mit der Erfüllung von staatlichen Aufgaben, eben dem service public, werden vielfach Verwaltungseinheiten betraut, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind. Diese privatrechtlich verfaßten Träger werden als Ausgliederungen der Verwaltung (démembrements de l'administration) bezeichnet. Mit diesem Begriff, der vom französischen Finanzhof in seinem Bericht für die Jahre 1960-61 kreiert wurde, werden verschiedene Träger bezeichnet, die außerhalb des zentralen Verwaltungsaufbaus von der Verwaltung errichtet werden, keine öffentlichen Anstalten darstellen und als Ziel die Wahrnehmung von Angelegenheiten haben, die normalerweise als services publics zu qualifizieren sind128. Zu diesen Ausgliederungen gehören seltener handelsrechtliche Gesellschaften, öfters Stiftungen und vor allem privatrechtliche Vereine. In den Fällen, wo Aktiengesellschaften service public-Aufgaben erfüllen, handelt es sich häufig um gemischt-wirtschaftliche Unternehmen, wie die Fluggesellschaft Air France; man denke auch etwa an die zahlreichen Aktiengesellschaften, die Entwicklungsaufgaben in überseeischen Territorien und in Entwicklungsländern erfüllen (z.B. Société d'aide technique et de cooperation; Société immobilière de la Guadeloupe usw.) oder an die lokalen gemischtwirtschaftlichen Gesellschaften, die unter der Kontrolle der Kommunen, aber mit wesentlicher privater Beteiligung (insbesondere von Banken), die Erschließung eines Gebietes vornehmen129. Die Errichtung privatrechtlicher Träger fallt nicht unter den Gesetzesvorbehalt des Art. 34 der französischen Verfassung. Deshalb werden privatrechtliche Organisationsformen durch einen privatrechtlichen Vertrag ge126
Renault wurde 1946 nationalisiert und bis 1990 als Régie des Usines Renault unter einem komplexen Regime geführt. Durch das Gesetz vom 4. Juli 1990 wurde Renault eine Aktiengesellschaft. Dazu s. Rapp, AJDA 1990, 688 ff. Vgl. auch Chapus, Dr. Adm. Gén., Bd. I, S. 247 und Bufellan-Lanore, JCA 2, Fase. 156, §10. 127 Nach de Forges , Les institutions, S. 267, sind nach den Privatisierungen von 1986 und 1987 hauptsächlich nur diese großen Banken im öffentlichen Sektor geblieben. 128 G. Drago, Notice 8, in Droit Administratif et Administration, La Documentation française 1988, S. 1; vgl. auch Autexier, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 166 ff. 129 Lebretton, Droit de l'urbanisme, S. 272 ff.; in 1992 wurden 1116 solcher gemischt-wirtschaftlicher Gesellschaften gezählt: S. Nguyen Quoc, JCA 2, Fase. 160, §6.
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gründet; der Abschluß dieses Vertrags von Seiten der Verwaltung, wie auch jegliche Teilnahme an einer privatrechtlichen Organisation, muß aber von einem (gesetzesunabhängigen) normativen Akt der Administration vorgesehen sein130. Eine gesetzliche Ermächtigung ist nur dann erforderlich, wenn mit der Errichtung des Trägers ein Eingriff in die verfassungsrechtlichen Freiheitsgarantien verbunden ist131.
2. Bauformen und staatliche Ingerenzen a) Aktiengesellschaften
Gesellschaften, die nach den Regeln des Privatrechts gegründet sind, lassen sich je nach dem Anteil der staatlichen Teilnahme in zwei Kategorien unterteilen: a) Die sog. Gesellschaften mit öffentlichem Kapital oder nationalen Gesellschaften (sociétés à capital public oder sociétés nationales) sind immer Aktiengesellschaften (sociétés anonymes), deren Aktien gänzlich dem Staat oder einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts gehören132. Das hat zur Folge, daß bestimmte Institutionen und Regeln des Gesellschaftsrechts inaktiv werden133. Solche Gesellschaften besitzen insbesondere keine Generalversammlung der Aktionäre; die Kontrollbefugnisse der Generalversammlung werden von besonderen Fachgremien außerhalb der Gesellschaft wahrgenommen134. b) Die gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaften (sociétés d'économie mixte) sind Aktiengesellschaften, deren Aktionäre nebst dem Staat und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts135 auch Privatpersonen sind. Als Rechtsbegriff soll diese Organisationsform vom deutschen Recht ins fran130
Jeanneau, Droit des services publics et des entreprises nationales, §279, S. 455; Nguyen Quoc, JCA 2, Fase. 160, §82. 131 Buffelan-Lanore, JCA 2, Fase. 155, §14. 132 Debbasch, Inst, et dr. admin., Bd. 2, S. 558; Rivero , Dr. adm., S. 622. 133 De Laubadère/Venezia/Gaudemet , Traité de dr. adm., Bd. I, S. 221. 134 Buffelan-Lanore, JCA 2, Fase. 155, §189 f. 135 Nach der herrschenden Auffassung sind Gesellschaften, an denen lediglich staatlich kontrollierte privatrechtliche Träger teilnehmen, keine gemischt-wirtschaftlichen Organisationen: s. Tagand, Le régime juridique de la société d'économie mixte, S. 7 ff; zweifelnd aber doch folgend Nguyen Quoc, JCA 2, Fase. 160, §20. 6 Gogos
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
zösische übernommen worden sein136. Die staatliche Partizipation muß dabei als solche beabsichtigt137 und von einer signifikanten, jedoch nicht unbedingt beherrschenden Größe sein138. Sehr oft wird es vorkommen, daß eine solche Gesellschaft nur dem Schein nach Private einbezieht, während sich ihre Aktien in Wirklichkeit ausschließlich in staatlichen Händen befinden 139. Gemeinden, die an solchen gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaften teilnehmen, sind kommunalrechtlich verpflichtet, über die Mehrheit des Kapitals und der Stimmen in den Verwaltungsgremien solcher Träger zu verfügen 140. Diese verwaltungsnahen Gesellschaften funktionieren zwar theoretisch nach den Regeln des Gesellschaftsrechts 141, besondere, auf das jeweilige Aufgabengebiet bezogene Gesetzgebung räumt aber dem Staat als Aktieninhaber oft Befugnisse ein, die die üblichen Rechte der Aktionäre weit übertreffen 142. Das Innenleben der genannten Gesellschaften wird von der Eigenschaft des Staates als Haupt- bzw. Alleinaktionär nachhaltig geprägt143, insbesondere was das Verhältnis der Gesellschaftsorgane zueinander betrifft: Die Generalversammlung wird geschwächt144, die Macht des Vorstandes wird auf Instanzen außerhalb der Gesellschaft verlagert. Spezialgesetzlich werden insbesondere Aufsichtsbefugnisse statuiert, die denjenigen der öffentlichen Anstalt zwar ähneln, jedoch weniger rigoros ausgeübt werden143. Zum Schluß sind die vertraglichen Einwirkungsmöglichkeiten des Staates zu erwähnen. Die Arbeitsgruppe unter dem Präsidenten des Staatsrats Nora, die sich mit den Problemen der öffentlichen Unternehmen befaßt hat, hat in ihrem Bericht von 1967 die vertragliche Regelung der Beziehungen zwischen Staat und Unternehmen vorgeschlagen. Gesellschaften unter 136
Nguyen Quoc, JCA 2, Fase. 160, §2. Die staatliche Teilnahme kann also weder durch Schenkung, Erbfolge usw. zustande gekommen, noch als Geldanlage gemeint sein. 138 Nguyen Quoc, JCA 2, Fase. 160, §22 ff; Tagand, Le régime juridique, S. 8. 139 So z.B. der Fall der Fluggesellschaft Air France, deren Aktien zu 98% in staatlichem Eigentum sind, während der Rest hauptsächlich Gebietskörperschaften gehört. Dazu Nguyen Quoc, JCA 2, Fase. 160, §37, der solche Träger als "falsche" gemischtwirtschaftliche Gesellschaften bezeichnet. 140 Valadou, AJDA 1992, 635 ff. 141 Buffelan-Lanore, JCA 2, Fase. 155, §176. 142 Debbasch, Inst, et dr. admin., Bd. 2, S. 559. 143 Janson, Rechtsformen öffentlicher Unternehmen in der europäischen Gemeinschaft, S. 182 f. 144 Tagand, Le régime juridique, S. 83 ff. 143 Dubois, Le contrôle, S. 147 f.; Nguyen Quoc, JCA 2, Fase. 160, §134. 137
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staatlicher Kontrolle sowie öffentliche Wirtschaftsanstalten sollten dadurch mehr unternehmerische Freiheit erhalten. Dieser Vorschlag ist auch weitgehend verwirklicht worden und zwar durch die "Programmverträge" (contrats de programme) von E.D.F. und S.N.C.F. in den siebziger Jahren sowie durch die "Unternehmensverträge" (contrats d'enterprises) und die "Plan- und Programmverträge" (contrats de plan) der achtziger Jahre146. Solche Verträge regeln nicht nur die Zwecke unternehmerischer Strategien, sondern auch das Ausmaß staatlicher Kontrolle und wirtschaftlicher Aufsicht und Prüfung; dadurch erhofft man sich eine Erhöhung der Selbständigkeit dieser Unternehmen. Es wird allerdings am Erfolg dieser Politik ernsthaft gezweifelt 147. Der Staat besetzt schließlich die gesellschaftlichen Leitungsorgane proportional im Verhältnis zu seinem Aktienkapital mit Beamten148 und übt somit durch die Personalpolitik einen starken Einfluß aus. Falls die Teilnahme von außenstehenden Persönlichkeiten am Vorstand vorgesehen wird, übt der Staat einen großen Einfluß auf ihre Auswahl aus149. Der Vorstandsvorsitzende wird wie in den öffentlichen Wirtschaftsanstalten durch Dekret des Ministerialrates ernannt150.
b) Der privatrechtliche
Verein und die Stiftung
Die Ausgliederungen der Verwaltung in Frankreich nehmen oft die Form eines privatrechtlichen Vereins (association) nach dem Gesetz vom 1. Juli 1901 an. In der Verwaltungsperipherie befinden sich drei Erscheinungsformen solcher Vereine151: Zum einen bestehen private Vereine, deren Tätigkeit mit staatlichen Interessen in Berührung kommt, so daß sie vom Staat gefördert und gegebenenfalls mit Hoheitsbefugnissen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben 146
Rivero, Dr. adm., S. 619; J.M. Auby/Ducos-Ader/J.B. Auby, Inst, admin., S. 838 f.; Dubois , Le contrôle, S. 278 ff. 147 Mescheriakojf, RDP 1985, 1582 f. 148 Der Staat verfügt nach einem Gesetz von 1949 über das Recht auf eine Vertretung im Verwaltungsrat, die proportional zu seinem Kapital steht, vorausgesetzt er verfügt über 10% des Aktienkapitals der Gesellschaft: Nguyen Quoc, JCA 2, Fase. 160, §§94 und 101. 149 Nguyen Quoc, JCA 2, Fase. 160, §103. 150 Buffelan-Lanore, JCA 2, Fase. 155, §186 ff; Nguyen Quoc, JCA 2, Fase. 160, §105. 151 Negrin, AJDA 1980, 129; Mestre, AJDA 1980, 164; Mesnard, AJDA 1980, 172 ff. (174); Chevallier , RDP 1981, 887 ff. (896 f.).
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
ausgestattet werden152. Durch die eventuelle Beauftragung des Vereins mit der Erfüllung gemeinwohlbezogener staatlicher Aufgaben (services publics) oder durch die Beleihung mit Hoheitsgewalt ("habilitation") wird der an sich rein private Verein an die staatliche Organisation angebunden153. So wird die Überwachung und Regulierung der Jagd durch örtliche Jägervereine wahrgenommen, die der Gesetzgeber mit entsprechenden Hoheitsbefugnissen ausgestattet hat154; die Ausarbeitung von Industrienormen obliegt einem privaten Verein (der Association Française de la Normalisation = AFNOR), dessen Regeln normativ verbindlich gemacht werden155. Besonders interessant ist der Fall der Sportverbände, die aufgrund der delegierten gesetzlichen Befugnisse des zuständigen Ministers Sportveranstaltungen organisieren 156. Zum zweiten bietet der Verein eine passende Organisationsform für die Einbeziehung von interessierten Bürgern in die Verwaltungstätigkeit an157. In diesem Zusammenhang spricht die verwaltungsrechtliche Dogmatik von "gemischten Vereinen" (associations mixtes), deren Vereinsmitgliedschaft aus staatsnahen Trägern (meistens juristischen Personen des öffentlichen Rechts) und Privaten besteht. Ein interessantes Beispiel hierzu bietet der technische Verein zur Einfuhr von Kohle (Association Technique de l'Importation Carbonnière: A.T.I.C.): Ursprünglich von den privaten Kohleimporteuren gebildet, wurde dieser Verein von den führenden Kohleverbrauchern beherrscht, d.h. von den öffentlichen Unternehmen EDF, GDF, Charbonnages de France und SNCF. Gegenstand des Vereins ist die Reglementierung der Kohleimporte aus nicht-EU-Mitgliedstaaten.
152
Zu diesem Prozeß der staatlichen Einflußnahme auf ursprünglich private Vereine Chevallier, RDP 1981, 911 ff. 153 Die "habilitation" hat nach Negrin (L'intervention, S. 50 ff, S. 82 ff.) den Effekt der Zulassung von Privaten zur Teilnahme an der Erfüllung von Aufgaben, die services publics darstellen. Wie oben erwähnt, ist für Negrin die Ausübung von Hoheitsbefugnissen notwendiges Merkmal des service public; entsprechend bemerkt er, daß die "habilitation" regelmäßig die Einräumung von Hoheitsbefugnissen beinhalten wird. Vgl. auch Brichet, AJDA 1980, 123 f.; Garrigou-Lagrange, Recherches, S. 186 ff, insbesondere zu den vertraglichen Formen, S. 189 f. S. auch Sahiani, AJDA 1977, 4 ff. (25), wonach der Begriff der "habilitation" unbedingt die Verleihung von Hoheitsbefugnissen beinhaltet. 154 S. Dubos/Lallement, in Guidon (Hrsg.), Sur les services publics, S. 55 ff. (57). 155 De Forges , Les institutions, S. 273. 156 Moderne , AJDA 1977, 145; Huon de Kermadec , RDP 1985, 407 ff. (412). S. unten Kap. 3, Abschnitt 2, IV 1. 157 Negrin , AJDA 1980,131 f.; Garrigou-Lagrange , Recherches, S. 206, 214.
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Noch näher an den Staat rückt eine dritte Kategorie von Vereinen, deren Mitglieder ausschließlich staatliche und staatsnahe Träger sind, also verschiedene Gebietskörperschaften, öffentliche Anstalten oder öffentliche Unternehmen. Oft kommen sogar Vereine vor, die nur aus einem einzigen Mitglied, dem Staat oder einer Gebietskörperschaft bestehen158. Es geht um "falsche" 159 oder "administrative"160 Vereine, die einfach nur Erscheinungsformen staatlicher Organisation darstellen161. Faktisch unterscheiden sich solche Vereine kaum von öffentlichen Anstalten162. "Administrative" Vereine sind bei fast allen Ministerien zufinden. Sie übernehmen alle denkbaren Aufgaben, wie die Förderung der Kultur 163 und die Verbreitung des französischen Gedankengutes164, die städtebauliche Planung165, die Berufsausbildung von Erwachsenen166, den Betrieb öffentlicher Einrichtungen (z.B. von Wohnheimen oder Kantinen167) usw.168. Für die Gründung eines Vereins durch die Verwaltung ist keine gesetzliche Ermächtigung notwendig: Die Verwaltung braucht lediglich den zivilrechtlichen Bestimmungen über die Vereinsgründung zu genügen169. Staatliche Ingerenzmöglichkeiten werden entweder durch die Vereinssatzung selbst oder durch eine spezielle, den jeweiligen Tätigkeitsbereich des Vereins betreffende Gesetzgebung vorgesehen. Vielfach sehen Gesetzestexte besondere Anmeldungsverfahren und Vereinbarungen (agréments170) vor, die solchen Vereinen 158
Negrin, AJDA 1980, 130 f. Mestre, AJDA 1980, 164. 160 Negrin, AJDA 1980, 129. 161 Negrin, AJDA 1980,129; Chevallier, RDP 1981, 897. 162 CE, Étude sur les établissements publics, 1984-1985, S. 56. 163 Z.B. die association française d'action artistique (französischer Verein der künstlerischen Betätigung) oder die association nationale du livre français (nationaler Verein des französischen Buches). Dazu Mesnard, AJDA 1980,172 ff. 164 Association pour la diffusion de la pensée française (Verein zur Verbreitung des französischen Gedankengutes). Zu diesem Verein Garrigou-Lagrange, Recherches sur les rapports, S. 217. 165 So z.B. die C.A.U.E. (Conseils d'architecture, d'urbanisme et d'environnement = Räte der Architektur, des Städtebaus und der Umwelt); dazu s. Bouyssou, AJDA 1980, S. 145 ff. 166 Association pour la formation des Adultes (Verein zur Bildung der Erwachsenen). 167 S. Negrin, AJDA 1980,130 f. 168 Beispiele von G. Drago, in Droit Administratif et Administration, S. 1, und Debbasch, Science administrative, S. 451. 169 CE, Étude sur les établissements publics, 1984-1985, S. 56. 170 Sabiani, AJDA 1977, 7, definiert das agrément als "eine Zustimmung zu Tätigkeiten, welche die Verwaltung insgesamt zu kontrollieren wünscht"; nach de Lauba159
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
eine finanzielle Förderung und andere Privilegien gewähren. Als Gegenleistung erhält die Verwaltung Kontrollmöglichkeiten und Garantien für die ordnungsgemäße Organisation des Vereins. Oft kommt es auch vor, daß durch Verträge zwischen der Ministerialverwaltung und dem Verein eine Sicherung der Vereinsfinanzen durch Haushaltsmittel als Gegenleistung für die Teilnahme an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben erfolgt 171. Persönliche Ingerenzen über die Bestellung des Vereinsvorstandes durch die Zentralbehörden sind oft in der Vereinssatzung vorgesehen172. Manche von den administrativen Vereinen werden deshalb als "Vorhänge der Ministerialverwaltung" angesehen173. Besondere Erwähnung verdienen schließlich die privatrechtlichen Stiftungen als Kooperationsformen zwischen Staat und Gesellschaft. Staatsnahe Stiftungen werden regelmäßig von Gremien verwaltet, in denen nicht nur die Stifter, sondern auch Vertreter der Verwaltung vertreten sind, und unterliegen einem Regime der staatlichen Aufsicht, besonders in bezug auf die Entgegennahme von Schenkungen174. Solche privaten Stiftungen sind auf den Gebieten der Vorsorge (Hospice de la Fondation Condé), des Gesundheitswesens (Fondation Claude Pompidou), der Forschung (Fondation Curie) und der Bildung (Fondation Rothschild) zu finden.
V. Der Begriff des öffentlichen Sektors Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit des Staates (also Wahrnehmung von erwerbswirtschaftlichen Aktivitäten und s.p.i.c.), sowohl in privat- wie auch in öffentlich-rechtlichen Organisationsformen, wird vielfach unter dem Begriff des "öffentlichen Sektors" zusammengefaßt175. Der Ausdruck stammt aus dem dère/Venezia/Gaudemet , Traité de dr. adm., Bd. ΙΠ, §7, S. 27 beinhaltet das agrément sowohl finanzielle Vorteile als auch die Beleihung mit Hoheitsbefugnissen. Vgl. auch Garrigou-Lagrange, Recherches, S. 179 f. 171 Brichet, AJDA 1980, 124. 172 Zu den Möglichkeiten staatlicher Ingerenzen auf staatsnahe Vereine Dubos/Lalleent, Recherche, S. 61 f. 173 So Dubos/Lallement, Recherche, S. 59, bezüglich des Vereins zur Verbreitung des französischen Gedankengutes (Association pour la diffusion de la pensée française). Ähnlich Negrin, AJDA 1980, 129. 174 Dazu und zum folgenden Roques, RDP 1990, 1755 ff. (1805 ft). 175 S. zum folgenden Buffelan-Lanore, JCA 2, Fase. 155, §148 ff.; Lachaume, Les grands services publics, S. 216; Rivero , Dr. adm., S. 622.
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Gesetz vom 26. Juli 1983 "bezüglich der Demokratisierung des öffentlichen Sektors". Dieses Gesetz betrifft die innere Organisation aller öffentlichen Wirtschaftsanstalten, staatlicher Aktiengesellschaften und gemischt-wirtschaftlicher Gesellschaften, in denen der Staat die Mehrheit des Stammkapitals besitzt. Regieunternehmen und private Konzessionäre werden nicht erfaßt. Das genannte Gesetz sieht erweiterte Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer vor, insbesondere die Vertretung der Arbeitnehmer in den Verwaltungsorganen dieser Organisationen. Obwohl der Begriff des öffentlichen Sektors gelegentlich auch in anderen Gesetzestexten benutzt wird, bleibt seine rechtliche Bedeutung eher beschränkt.
VI. Zusammenfassung Der materielle Gehalt der öffentlich-rechtlichen Organisationsform im französischen Recht läßt sich in der klassischen Dogmatik durch die Wahrnehmung von staatlichen, gemeinwohlbezogenen Aufgaben (services publics) erklären. Diese Bindung zwischen den wahrgenommenen Aufgaben und der öffentlich-rechtlichen Organisationsform ist aber im Laufe der Zeit teilweise gelockert worden: Vor allem die gerichtliche Praxis mißt auch anderen Kriterien, insbesondere der Ausstattung des Trägers mit obrigkeitlichen Befugnissen eine signifikante Bedeutung bei. Letztendlich bestehen privatrechtliche Träger, die mit der Erfüllung von services publics beauftragt sind, und öffentlich-rechtliche Organisationen, die keine gemeinwohlbezogenen Staatsaufgaben wahrnehmen. Die öffentliche Anstalt ist die wichtigste Organisationsform verselbständigter Verwaltungseinheiten im öffentlich-rechtlichen Bereich. Unter den öffentlichen Anstalten unterscheidet man zwischen denjenigen Anstalten, die Aufgaben wirtschaftlicher Natur erfüllen, und denjenigen, die verwaltungstypische Angelegenheiten wahrnehmen. Als Anstalten sind schließlich auch Verbände körperschaftlicher Natur organisiert. Ein Gesetzesvorbehalt besteht nur im Hinblick auf die Errichtung von Kategorien öffentlicher Anstalten. Mit wenigen Ausnahmen unterliegen öffentliche Anstalten weitgehenden Aufsichtsbefugnissen der staatlichen Verwaltung; der Staat bestimmt grundsätzlich auch die Besetzung der wichtigsten Ämter innerhalb der Anstalt.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
Die staatliche Beteiligung an privatrechtlichen Gesellschaften fuhrt fast immer zur Beherrschung des Trägers durch die öffentliche Hand. Dies geschieht vor allem aufgrund gesetzlicher Sondervorschriften, die aufsichtsähnliche Ingerenzen vorsehen. Die Organisationsform des privatrechtlichen Vereins bekleidet eine Vielfalt von verselbständigten Verwaltungseinheiten. Dabei unterliegen auch verwaltungsnahe Vereine mit echtem gesellschaftlichem Substrat weitgehenden staatlichen Einflüssen.
3. Abschnitt Verselbständigte Verwaltungseinheiten in England I. Grundlagen und Begriffe Als Ausgangspunkt einer rechtsdogmatischen Betrachtung der englischen Verwaltungsorganisation bietet es sich an, zunächst die Gestaltung von Verwaltungseinheiten als Rechtssubjekte darzustellen. Im Anschluß daran soll der rechtliche Rahmen ihrer Beziehungen zu den übrigen Verwaltungseinheiten, insbesondere zur Ministerialverwaltung untersucht werden. Dabei werden eventuelle Korrelationen zwischen der Dogmatik der Verwaltungsorganisation und den wahrgenommenen Aufgaben dargestellt. Die Unterscheidung zwischen öffentlichem und Privatrecht, welche die kontinental-europäischen Rechtsordnungen gemeinsam prägt, ist in der britischen Verwaltungsrechtsdogmatik ein neuer Begriff, dessen Entwicklung erst in den vergangenen Jahrzehnten angesetzt hat1. Als eine einfache Begründung dafür wird erwähnt, daß das Vereinigte Königreich (mit der Ausnahme von Schottland) keinen Anteil an der römisch-rechtlichen Tradition Europas habe, in der der Grundsatz der Trennung in zwei Rechtsgebiete fest verankert sei2. Heute wird freilich die Existenz eines Verwaltungsrechts auch in England bejaht. Trotz des Bestehens bestimmter Verfahrensarten, Rechtsmittel und verwaltungsrechtlicher Sondermaßstäbe, die gerade in den letzten Jahren im Begriff sind, sich als ein besonderes staatliches Recht zu etablieren3, bleiben aber die Begriffe "öffentliches" bzw. "privates" Recht eher theoretische Kategorien ohne signifikante positiv-rechtliche Verwurzelung.
1
S. dazu unten, Kap. 2, IV 2 b ff. Hood , in Hood/Schuppert (Hrsg.), Verselbständigte Verwaltungseinheiten in Westeuropa, S. 126. Für eine genauere Erklärung der Unterentwicklung des öffentlichen Rechts in Großbritannien s. Mitchell, in Blankiewicz (Hrsg.), British Government in an Era of Reform, S. 25 ff. 3 So z.B. mandamus, certiorari und prohibition; s. unten Kap. 3, Abschnitt 3 I. 2
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
Die traditionelle Betrachtungsweise der Rule of Law lehnt ein besonderes Recht der öffentlichen Verwaltung ab und betrachtet die Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und den Bürgern aus der Perspektive des gemeinen, auch unter Privaten geltenden Rechts4. Es gilt nur ein allgemeines Recht (Law of the Land), das gleichermaßen öffentliche Verwaltung und Private erfaßt 5. Abgesehen von demjenigen harten Kern der ministeriellen Exekutive, der als die Krone bezeichnet wird 6, und der über immanente Hoheitsbefugnisse verfügt, beruhen die Befugnisse und Pflichten staatlicher Träger ausschließlich auf gesetzlichen Vorschriften 7, die nicht zwischen privaten und staatlichen Organisationsformen differenzieren. Mit anderen Worten: Es gibt keinen Vorbehalt von staatlichen Aufgaben oder Befugnissen zugunsten bestimmter Organisationsformen. Es gibt keine besondere Form von Rechtspersönlichkeit für verselbständigte Verwaltungseinheiten8. Die Entstehung staatlicher Sonderrechtssätze, präziser gesagt gerichtlicher Sondermaßstäbe des Verwaltungshandelns, hat noch nicht zur Ausgestaltung einer entsprechenden öffentlich-rechtlichen Organisationsdogmatik geführt 9. Mit Rechtspersönlichkeit ausgestattete verwaltungsnahe Organisationen werden im englischen Recht regelmäßig entweder als öffentliche Korporationen (public corporations)10 oder in jüngerer Zeit als Nicht-ministerielle Öffentliche Träger (Non Departmental Public Bodies, N.D.P.B.s) 4
Dicey, Introduction to the study of the Law of the Constitution, S. 202. Dicey , Introduction, S. 202; Kingston , in Grabitz (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, S. 763; Glaser, DVB1. 1988, 677 ff ; kritische Stellungnahme von O. Hood Phillips' , Constitutional and Administrative Law (Const, and Admin. Law), S. 36 f. 6 Die ministerielle Exekutive ist als Beauftragte der Krone handlungsfähig. Die Ministerien an sich besitzen in den meisten Fällen eine gesetzlich errichtete getrennte Rechtspersönlichkeit und können Adressate von gesetzlichen Ermächtigungen als solche sein ("persona distrigata"). In aller Regel handeln sie allerdings als Beauftragte der Krone (Agents of The Crown), was gewisse Privilegien und gerichtliche Immunitäten mit sich bringt. Zu diesem Problemkreis Arrowsmith, Civil Liability and Public Authorities, S. 6 ff. (9, 18). 7 S. Zellick, PL 1985, 283 ff. (insbes. 293 f.) mit Nachweisen auf die maßgeblichen Judikate R. ( = Rex) v. Hampden (aus dem Jahr 1637) und Entick v. Carrington (1765). 8 Zellick, PL 1985, 283; Foulkes, Administrative Law (Admin. Law), S . l l . 9 Die Abgrenzung der staatlichen Organisationen als Adressaten dieser Sondermaßstäbe stellt den Gegenstand des zweiten Teils dieser Arbeit dar, s. unten Kap. 3, Abschnitt 3. 10 Johnson, Public Admin. 57 (1979), 379 ff. (389); Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 285. 5
. Abschnitt: nland
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bezeichnet. Bei der Beschreibung verselbständigter Verwaltungseinheiten werden ebenfalls die Begriffe der Quasi-autonomen nicht-gouvernementalen Organisationen (bekannt unter dem Akronym Quango11) und der "Randträger" (fringe bodies) eingesetzt. Diese Bezeichnungen sind in ihren Konturen relativ vage und eher verwaltungs- als rechtswissenschaftlich geprägt. Die öffentliche Korporation ist ein loser Sammelbegriff für Verwaltungseinheiten, die durch Gesetz oder königlichen Akt Rechtspersönlichkeit erhalten haben und Unabhängigkeit von der ministeriellen Verwaltung genießen. Jeder von ihnen ist ein bestimmter Aufgabenkreis und oft auch ein territorialer Wirkungsbereich zugewiesen12. In neuerer Terminologie sind unter dem Begriff der Korporation öfter wirtschaftlich tätige Einheiten (vor allem als nationalisierte Industrien (nationalised industries) bezeichnete öffentliche Unternehmen) gemeint13. Der Begriff des NDPB beherrscht die rechtswissenschaftliche Terminologie seit dem Pliatzky Report von 198014 über die verselbständigte Verwaltung in Großbritannien 15. Mit diesem Begriff werden Träger erfaßt, "die eine Rolle in den Prozessen der nationalen Verwaltung besitzen, ohne aber ein Ministerium darzustellen"16. Eine andere Definition spricht von "Einrichtungen (Körperschaften, Gesellschaften, Anstalten) des privaten Rechts, die vom Staat finanziert werden und/oder bei denen der Verwaltungsrat von Ministern ernannt wird" 17. Gemeint sind vor allem Organisationen, die Exekutivaufgaben erfüllen. Aber auch dieser Begriff ist in seinen Konturen unpräzise: So ist z.B. die Abgrenzung zwischen nicht-ministeriellen Oberbehörden mit Rechtspersönlichkeit (Non-Ministerial Government Departments) und NDPBs zweifelhaft 18. Diese Begriffe sollten insgesamt in ihrer rechtswissenschaftlichen Aussagekraft nicht überbewertet werden. Die Unterscheidung zwischen öffentlichen
11
Zum Inhalt und zur Entwicklung dieses Begriffs s. Schuppert, DÖV 1981, 153 ff. Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, S. 24, FN 114. 13 Ν. Lewis, in Jowell/Oliver (Hrsg.), The Changing Constitution, S. 198 ff. (215); vgl. auch Birkirtshaw, Grievances, Remedies and the State, S. 99. 14 Pliatzky , Report on Non-Departmental Public Bodies, 1980. 15 Harden, PL 1987, 27 ff. 16 S. Pliatzky, Public Admin. 70 (1992), 555 f.; Cabinet Office/H.M. Treasury , NonDepartmental Public Bodies: A Guide for Departments, Nr. 1.4. 17 Ridley, DÖV 1995, 569 ff. (576). 18 Harden , PL 1987, 29 f. und Hood, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 101 ff. (110) bezüglich der juristischen Natur des Oftel. 12
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
Korporationen und NDPBs ist eher theoretisch; in der Praxis wird vielfach die Einordnung von Trägern in die eine oder in die andere Kategorie unklar sein19. Die Bedeutung solcher Begriffe liegt vor allem in der Deskription und nicht in der Anknüpfung von Rechtsfolgen. Es besteht überhaupt keine Typologie von verselbständigten Verwaltungseinheiten, die von normativem Interesse wäre20 und es wird nachhaltig davor gewarnt, vor allem die öffentliche Korporation als eine neue "öffentlich-rechtliche Organisationsform" zu betrachten21. Abschließend ist festzustellen, daß die Trabanten der Zentralverwaltung im Vereinigten Königreich nicht im Rahmen eines organisatorischen Gesamtkonzepts entstanden sind. Sie sind der Ausdruck einer fragmentarischen Auseinandersetzung mit aktuellen Problemen im Geiste eines "pragmatischen Opportunismus"22. Insbesondere bestehen wenige verfassungsrechtliche Mechanismen oder Prinzipien, welche die Verwaltungsorganisation regeln23. Die rechtliche Gestaltung der Verselbständigung von Verwaltungseinheiten sollte dementsprechend ausschließlich von Opportunitätsgesichtspunkten geprägt sein.
II. Der Errichtungsakt und seine Bedeutung für die rechtliche Gestalt der Verwaltungseinheit Das englische Verwaltungsrecht kennt drei Grundmethoden der Verfassung von Verwaltungseinheiten als selbständige Rechtssubjekte ("bodies corporate"): Die Verleihung der Rechtspersönlichkeit erfolgt entweder durch ein parlamentarisches Gesetz oder durch einen administrativen (königlichen) Akt oder nach dem gesetzlich vorgesehenen Verfahren zur Verfassung von juristischen Personen, wie sie auch von Privaten genutzt werden können24. Die Natur der Rechtsquelle, die einer Organisation die Fähigkeit des Adressaten von 19
S. N. Lewis, Political Quarterly 59 (1988), 6 ff. (16 f.). Hilf, Die Organisationsstruktur, S. 284. 21 N. Lewis, in Jowell/Oliver (Hrsg.), The Changing Constitution, S. 215. 22 Johnson, Public Admin. 57 (1979), 384. Graham/Prosser, MLR 1987, 16 ff. (33), sprechen von "an English version of empiricism", die von "unprincipled, ad hoc and case by case approach to problems" geprägt sei. 23 Harden, PL 1987, 27. 24 Zu diesen Methoden s. Birkinshaw, Grievances, S. 92. 20
. Abschnitt: nland
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Rechtsnormen verleiht, spielt eine große Rolle für das Rechtsregime 23 des entstehenden Trägers, besonders für den Umfang seiner Rechtsfähigkeit. Die königliche Exekutive (also die Ministerialverwaltung) verfügt über einen Bereich, in dem sie selbständig und ohne gesetzliche Ermächtigung, jedoch obrigkeitlich agieren kann. Diese eigenen, gesetzesunabhängigen Befugnisse werden unter dem Namen "the Royal Prerogative" zusammengefaßt. Diese Exklave vom Legalitätsprinzip ist in ihren Konturen undefinierbar und hat letztendlich einen residualen und historisch-dynamischen Charakter: Die Prärogative umfaßt diejenigen Befugnisse der Exekutive, die sie vor dem Erlaß der Bill of Rights in 1688 besaß und die ihr in der Zeit danach von der Legislative nicht entzogen wurden. Erfaßt werden somit alle Befugnisse der Exekutive, die nach dem common law (dem allgemeinen Richterrecht) und nicht aufgrund gesetzlicher Ermächtigung bestehen; die Krone besitzt zusätzlich eine volle (privatrechtliche) Rechtsfähigkeit, die nach einer Auffassung auch als Teil der Prärogative zu betrachten ist 26 .
23
Also für die Geltung besonderer Privilegien (Befreiung von der Zahlung von Steuern) und des Amtshaftungsregimes der Ministerialverwaltung (Krone); man spricht in diesem Zusammenhang von den Eigenschaften der Beauftragten (Agent of the Crown) oder Bediensteten (Servants of the Crown) der Krone. Grundsätzlich ist nach dem Urteil Tamlin v. Hannaford, KB 1950, Bd. 1,18, bezüglich der (damaligen) British Transport Commission davon auszugehen, daß Verwaltungstrabanten mit eigener Rechtspersönlichkeit (also die meisten öffentlichen Korporationen und insbesondere sämtliche nationalisierten Industrien) keine Bedienstete der Krone sind, denn sie genießen Unabhängigkeit, auch wenn sie der ministeriellen Weisungsgewalt unterliegen. Träger ohne Rechtspersönlichkeit oder juristische Personen, die aufgrund der immanenten Rechtssetzungsbefugnisse des Monarchen geschaffen wurden, besitzen meistens die Eigenschaft, im Namen der Krone als ihre Beauftragte und Bedienstete zu handeln. Es bestehen allerdings zahlreiche Ausnahmen. Entscheidend ist auf alle Fälle die entsprechende gesetzliche Bestimmung. Dazu s. O. Hood Phillips', Const, and Admin. Law, S. 613 ff.; E.C.S. Wade/Bradley, Constitutional and Administrative Law (Const, and Admin. Law), S. 314 f.; Sir W. Wade/Forsyth, Administrative Law (Admin. Law), S. 176 fArrowsmith, Civil Liability, S. 17; Jewell, Outlines of Public Administration, S. 118; Griffith/Street , Principles of Administrative Law, S. 321. 26 So O. Hood Phillips', Const, and Admin. Law, S. 264 f. im Anschluß an die klassiche Definition der Prärogative durch A.V. Dicey. De Smith/Evans, De Smith's Judicial Review of Administrative Action, S. 288, definieren andererseits die Prärogative als "the common law powers peculiar to the Crown"; H.W.R . Wade, LQR 1985, 180 ff. (191), unterscheidet zwischen einer Prärogative im engeren Sinn als ein "bundle of miscellaneous powers andrights which are inherent to the Crown and to noone else" und einer Prärogative im weiteren Sinne, die auch die "privatrechtlichen" Handlungsbefugnisse der Krone (also der Zentralverwaltung) umfaßt.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
Zur Prärogative gehört auch die allgemeine Befugnis, durch einen entsprechenden administrativen Akt (Royal Charter bzw. Royal Warrant) Rechtspersönlichkeit27 an jegliche Gruppe von Personen, also auch Privatpersonen, zum Zwecke der Ausübung einer Handelstätigkeit, zu verleihen28. Durch den genannten exekutivischen Organisationsakt kann allerdings weder ein rechtliches Handelsmonopol errichtet werden, noch kann die Haftung der Gesellschafter als unbeschränkt gestaltet werden. Die Rechtsfähigkeit der aufgrund einer Royal Charter entstehenden Rechtspersonen beschränkt sich nicht auf die Aufgabenzuweisungen ihres Verfassungsakts, sondern umfaßt (da wo die Natur der Sache es erlaubt) die volle Rechtsfähigkeit einer natürlichen Person: Einrichtungen, die durch einen Akt aufgrund der königlichen Prärogative gegründet werden, sind i.d.R. zu allen zivilrechtlichen Rechtsgeschäften fähig, denn sie erhalten durch den königlichen Akt eine volle, nicht im Rahmen gesetzlicher Befugnisse beschränkte, Rechtspersönlichkeit, vergleichbar zu deijenigen der natürlichen Personen29. Über besondere hoheitliche Befugnisse verfügen auf diese Weise errichtete Organisationen nur in dem Maße, als ein Gesetz sie ihnen einräumt. Die Verleihung der Rechtspersönlichkeit durch königlichen Akt bringt, offensichtlich wegen des hohen Ansehens solcher Akte, auch eine gewisse Unabhängigkeit der entstehenden Einrichtung vom Regierungsapparat zum Ausdruck; charakteristisch hierfür sind die Beispiele der British Broadcasting Corporation (B.B.C.), des British Council und der Bank of England. Manchmal bedeutet die Gewährung eines königlichen Errichtungsakts auch die besondere soziale Anerkennung dieser Einrichtung30. Die Errichtung von Verwaltungseinheiten mit Rechtspersönlichkeit erfolgt in den aller meisten Fällen jedoch durch ein Gesetz. Die juristische Person, die auf diese Weise entsteht, unterliegt einer Begrenzung ihrer Aufgaben und 27
Die Verwaltung kann freilich über Anordnungen Träger verselbständigter Verwaltung ohne Rechtspersönlichkeit errichten. S. N. Lewis in Jowell/Oliver (Hrsg.), The Changing Constitution, S. 203. 28 Dazu und zum folgenden Halsbury's Laws of England, Bd. 9, Corporations, §1233 ff., S. 735 ff. 29 Foulkes, Admin. Law, S. 414; Craig, Administrative Law, S. 589; Daintith, in Jowell/Oliver (Hrsg.), The Changing Constitution, S. 174 ff.; ders., CLP 1979, 41 ff; Sir W. Wade/Forsyth, Admin. Law, S. 250; Arrow smith, Government Procurement and Judicial Review, S. 110 ff; dies., Civil Liability, S. 53 ff; Oliver, PL 1987, 543 ff. (550, 552). 30 Hood, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 106.
. Abschnitt: nland
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Zwecke und somit ihrer Handlungsbefugnisse31 auf die gesetzlichen Vorgaben: Die durch Gesetz verfaßten "statutory bodies" besitzen nur diejenigen Rechtsbefugnisse ("legal powers"), die ihnen das Parlament durch das Gesetz explizit oder implizit verliehen hat32. Darunter fallen nicht nur Obrigkeitsbefugnisse sondern auch die zivilrechtliche Fähigkeit zum Abschluß von Verträgen. Nur in den (seltenen) Fällen, wo solche Träger im Auftrag der Krone handeln, besitzen sie auch unbeschränkte privatrechtliche Geschäftsfähigkeit 33. Eine intermediäre Gründungsform ist die Errichtung eines Trägers aufgrund Gesetzes durch einen administrativen Akt (Order in Council): Die Errichtung von mehreren verselbständigten Verwaltungseinheiten nach demselben Organisationsmuster wird hier durch ein Rahmengesetz autorisiert und sodann durch Akte der Exekutive vollzogen: Charakteristische Beispiele sind die landwirtschaftlichen Handelskooperativen (agricultural marketing boards), sowie die Krankenhäuser im Nationalen Gesundheitssystem (National Health Service, NHS) nach seiner Umstrukturierung im Jahre 199034. Eine Errichtung von Verwaltungstrabanten ist schließlich zwar auch nach den Prinzipien des Handelsrechts (Companies Act 1985) möglich33, jedoch seltener. Gelegentlich erfolgt die Errichtung einer Organisation nach den Vorschriften über private Stiftungen (Charitable Trusts). In diesem Fall erfolgt die Verleihung der Rechtspersönlichkeit nach einem administrativen Vorverfahren, das auf die Bestätigung des Vorhandenseins der gesetzlichen Voraussetzungen abzielt. Die Errichtung von Trägern nach den handelsrechtlichen Vorschriften erfolgt weitgehend unabhängig vom Charakter der wahrgenommenen Aufgaben; als Gesellschaften sind nicht nur unternehmerisch tätige Organisationen, sondern auch Träger mit Regelungsbefugnissen, wie der 31
Man sollte sich davor hüten, den Begriff der Befugnis (hier als Übersetzung des Terminus "power") in der britischen Rechtsordnung mit der deutschen Dogmatik der Eingriffsbefugnis und des grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts zu assoziieren; gemeint hier ist die rechtliche Fähigkeit, etwas zu tun, unabhängig davon, ob damit obrigkeitlich gehandelt wird oder nicht. Insbesondere bestehen die deutschen Anforderungen an die Konkretheit der Ermächtigung im englischen Recht nicht. 32 Sir W. Wade/Forsyth, Admin. Law, S. 250; Arrowsmith, Civil Liability, S. 19. 33 Dieses Auftragsverhältnis richtet sich nach den Prinzipien des zivilrechtlichen Auftrags. Zu diesem Problemkreis Arrowsmith, Civil Liability, S. 56 f. 34 Hood , in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 108 f. 35 Harden , in Modeen/Rosas (Hrsg.), Indirect Public Administration in Fourteen Countries, S. 303.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
British Board of Film Classification (B.B.F.C.)36, sowie der Securities und Investments Board (S.I.B.37), verfaßt. Diese Organisationsmethode ist vor allem bei der Privatisierung von gesetzlich gegründeten öffentlichen Korporationen eingesetzt worden38: Da die öffentlichen Korporationen der Daseinsvorsorge kein Aktienkapital besaßen, das hätte veräußert werden können, wurden privatrechtliche Gesellschaften gegründet, die das gesamte Vermögen der Korporationen übernahmen. Die common-law Organisationsgewalt der Krone besteht parallel sowohl zu den organisationsrechtlichen Möglichkeiten des Handelsrechts als auch zu den Errichtungsbefugnissen des Parlaments: Es besteht keine ausreichende verfassungsrechtliche Erklärung, weshalb eine Errichtungsform im Vergleich zu einer anderen bevorzugt wird 39. Es herrscht damit ein echtes Konkurrenzverhältnis zwischen den organisationsrechtlichen Kompetenzen der beiden Verfassungsorgane. Die Wahl der Organisationsform und des entsprechenden organisatorischen Akts scheint in weitem Ausmaße eine Frage von "Mode und vielleicht später der Trägheit" zu sein; auf alle Fälle wird die Errichtung aufgrund Gesetzes vorgezogen, wenn die Ausstattung des entstehenden Trägers mit Hoheitsbefugnissen oder die Änderung des vorhandenen Rechtsregimes notwendig sind40.
I I I . Eine Darstellung von verselbständigten Verwaltungseinheiten in Zusammenhang mit ihren Aufgaben Die britische Literatur hat Schwierigkeiten, Merkmale zu finden, die mehreren Verwaltungstrabanten gemeinsam sind und parallele rechtliche Prinzipien in ihrer Verfassung aufzeigen 41. Je nach den Aufgaben, mit denen sie betraut sind, werden verselbständigte Verwaltungseinheiten in Groß-
36
S. Harden , in Modeen/Rosas (Hrsg.), Indirect Public Administration, S. 304. Es geht um eine Aufsichtsinstanz der Börse; s. Moran, Political Quarterly 59 (1988), 20 ff. 38 Dazu Graham/Prosser, MLR 1987, 21 f.; E.C.S. Wade/Bradley , Const, and Admin. Law, S. 313 f. 39 Harden , PL 1987, 27; N. Lewis, Political Quarterly 59 (1988), 8. 40 Hood, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 110 ff. 41 Vgl. Doig, Public Admin. 57 (1979), 309 ff. 37
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. Abschnitt: nland
britannien regelmäßig in folgende didaktische Kategorien eingeordnet 42: Verwaltungseinheiten der Leistungsverwaltung, Träger mit regulatorischen / exekutiven Aufgaben und Nationalisierte Industrien 43. Eine Gruppe von öffentlichen
Korporationen erledigt
Aufgaben
der
Leistungsverwaltung (social services), bietet also vor allem Dienstleistungen, die obwohl wirtschaftlich quantifizierbar 44, nicht unternehmerischer Natur, sondern auf das Gemeinwohl hin orientiert sind. Dazu gehören Träger, die z.B. Aufgaben der
Stadtplanung, Erschließung und Entwicklung
von
Baugebieten wahrnehmen (die Urban Development Corporations und die New Towns Commissions), die Rundfunkprogramme anbieten (B.B.C.) oder mit der Leistung von Entwicklungshilfe (Commonwealth Development Corporation) bzw. mit der Vermittlung von Arbeitsplätzen (Manpower Services 42
Vgl. Hood , in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 104, und Greenwood/Wilson , Public Administration In Britain Today, S. 212; vgl. auch die Kategorien von E.C.S. Wade/Bradley , Const, and Admin. Law, S. 311 f., sowie Derbyshire, An Introduction to Public Administration, S. 102. 43 Dazu kommen Träger ohne eigene Rechtspersönlichkeit (wie die Beiräte) und die Tribunale (Tribunals). Die Beiräte haben die Aufgabe der Informationsbeschaffimg, sofern besondere Kenntnisse und die Erfahrung von Experten verlangt werden, so z.B. die Building Regulations Advisory Committee. Außerdem bringen sie oft die öffentliche Meinung auf Gebieten zum Ausdruck, auf denen die Regierung ihre Politik neu bestimmen möchte. Ihre Vorschläge haben großes Gewicht, so daß sie faktisch die Regierung binden. Solche Gremien sind sehr zahlreich und entstehen in der Regel aufgrund ministerieller Anordnung; sie besitzen regelmäßig keine Rechtspersönlichkeit: S. Hood , in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 113. Die Tribunale sind Schlichtungsinstanzen, die hauptsächlich Streitigkeiten zwischen den Bürgern und der Verwaltung, aber auch unter den Bürgern selbst beilegen. Sie beschäftigen sich mit Streitsachen auf den Gebieten des Ausländerwesens, der Sozialversicherung, des Steuerwesens, des Landeigentums, des Arbeitsrechts u.ä.. Sie werden immer durch Gesetz errichtet und ihre Funktion besteht darin, leicht zugänglichen, sachkundigen, schnellen und günstigen Rechtsschutz zu gewähren. Sie sind zwar keine Organe der rechtsprechenden Gewalt, dennoch genießen sie Unabhängigkeit und urteilen in Objektivität und Neutralität. Deshalb haben diese Ausschüsse sowohl administrativen als auch judikativen Charakter. Ihre Überwachung obliegt einer selbständigen Institution, dem Council of Tribunals, und ihre Entscheidungen sind auf Rechtsfehler gerichtlich überprüfbar (Section 13 des Tribunal and Inquiries Act, 1971); dazu s. Craig, Administrative Law, S. 165; Hood, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 114; Foulkes, Admin. Law, S. 133; Sir W. Wade/Forsyth, Admin. Law, S. 904 ff.; Greenwood/Wilson, Public Administration, S. 303 ff. Wegen der grundsätzlich judikativen Funktion der Tribunale werden sie hier ausgeklammert. 44 O. Hood Phillips', Const, and Admin. Law, S. 608. 7 Gogos
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
Commission) beschäftigt sind. Unter diese Gruppierung fallen zuletzt auch Organisationen, die Unabhängigkeit genießen, und die Leistungen nichtwirtschaftlicher Natur anbieten, wie z.B. Museen und andere kulturelle Einrichtungen45. Die britischen Universitäten sind i.d.R. durch Royal Charter gegründet worden, während die Fachhochschulen (Polytechnics) auf einem Gesetz beruhen. Die Universitäten werden völlig selbstverwaltet, während ihre Finanzierung durch staatliche Zuschüsse über eine besondere gesetzlich errichtete Verwaltungseinheit mit dem Namen "University Funding Council"46 erfolgt. Die Zuteilung von Geldmitteln an diese Träger durch das Ministerium wird von verschiedenen Nebenbestimmungen begleitet (wie das Gleichgewicht zwischen den Fächern bei einer Tendenz zur vorrangigen Förderung der Naturwissenschaften usw.); eine Zweckbestimmung von staatlichen Mitteln für eine bestimmte Universität ist allerdings nicht gestattet47. Eine besondere Konstellation von verselbständigten Verwaltungseinheiten stellt das britische Nationale Gesundheitssystem (National Health Service) dar. Das Gesundheitssystem Englands ist 1946 gegründet, 1973, 1980 und 1990 umstrukturiert worden. Es besteht aus selbständig organisierten und mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteten örtlichen (District Health Authorities), sowie regionalen Behörden (Regional Authorities), die unter der Aufsicht des Ministers (Secretary of State) stehen und aus dem öffentlichen Haushalt finanziert werden48. Regulatorische bzw. exekutive öffentliche Körperschaften (regulatory/executive public bodies) sind Organisationen, die verschiedene Aufgaben der Wirtschaftslenkung erfüllen. Sie sind sowohl leistend als auch eingreifend tätig. Solche Träger dienen der Förderung von Regionen, Tätigkeiten und Produkten. Dazu gehören der Apple and Pear Development Council oder der Milk Marketing Board, die mit der Förderung landwirtschaftlicher Bereiche beauftragt sind. Es handelt sich um landwirtschaftliche Kooperativen, die auf dem Prinzip der Zwangsmitgliedschaft beruhen und mit gesetzlichen Dis-
43 Doig, Public Admin. 57 (1979), 309 ff; Hood, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 117 f.: Nicht alle Museen und Gallerien besitzen allerdings eine Rechtspersönlichkeit. 46 Polytechnics and Colleges Funding Council im Fall der Fachhochschulen. 47 Dazu Zellick, PL 1989, 513 ff. 48 Foulkes, Admin. Law, S. 19.
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ziplinarbefugnissen ausgestattet sind; in ihnen soll der kontinental-europäische Körperschaftsgedanke eine Äquivalenz finden 49. In diesem Bereich ist vor allem eine Reihe von Organisationen tätig, die Aufgaben der Überwachung von Berufszweigen aufgrund des freien Zusammenschlusses der in diesem Bereich Tätigen ausüben. Dieses Prinzip der " Selbstregulierung" (self-regulation) unterscheidet sich vom kontinental-europäischen der Selbstverwaltung in Kammern dadurch, daß die fraglichen Träger im englischen Recht über keine gesetzlich eingeräumten Befugnisse im Disziplinarbereich verfügen 30; eine Zwangsmitgliedschaft besteht ebenfalls nicht. Grundlage ihrer Disziplinarbefugnisse ist die vertragliche Beziehung zu ihren Mitgliedern31. Die Regulierung durch solche Selbstverwaltungsorganisationen wird allerdings auch im englischen Recht durch eine Reihe von begleitenden z.T. auch gesetzgeberischen Maßnahmen unterstützt, welche die Ausübung von bestimmten Tätigkeiten mit der Mitgliedschaft in bestimmten "anerkannten" Organisationen verbinden. Die wohl sehr begrenzte und mittelbare staatliche Kontrolle der Berufsausübung verschiebt sich auf die Akkreditierung solcher Träger und vor allem auf die Ausübung von Druck auf diese Organisationen, insbesondere durch die Androhung von eingreifender Gesetzgebimg32. Neben dem medizinischen Bereich, z.B. im Fall des Apothekerberufes (Zuständigkeit der Royal Pharmaceutical Society), ist diese Art der Erledigung von Aufgaben, die einen erhöhten Grad von Gemeinwohlbezug aufweisen, vor allem33 auf dem Gebiet des Finanzlebens eingesetzt worden. Besonders erwähnenswert sind der "Panel on Take-overs and Mergers", ein Expertenausschuß, der die Aufsicht über Übernahmen von in der Londoner Börse zugelassenen Aktiengesellschaften ausübt34, und der "privatrechtliche" Verein London Stock Exchange, der die Regelung des Berufs des Börsenmaklers wahrnimmt. Insgesamt fünf solcher Selbstverwaltungsorganisationen unterliegen nach dem Financial Services Act 1986 49
Hood , in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 108. Gesetzliche Befugnisse zum Erlaß von Normen können freilich bestehen. Falls normative Befugnisse bestehen, unterliegt ihre Ausübung der Zustimmung des zuständigen Ministers; s. Page, MLR 1986, 141 ff. (155). 31 S. dazu und zum folgenden Page, MLR 1986, 146. 32 Ausführlich dazu Page, MLR 1986, 154 ff. 33 Für einen Überblick über die Bereiche der Selbstregulierung in Großbritannien s. Baggott, Public Admin. 67 (1989), 435 ff. (438 ff.). 34 Zur Zusammensetzung und zu den Aufgaben dieses Trägers s. Lord Alexander of Weedon, MLR 1989, 640 ff.; Gower, MLR 1988, 1 ff. (6 ff); Page, MLR 1986, 146 f.; s. auch unten Kap. 3, Abschnitt 3, VI 2. 30
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
nunmehr der Aufsicht der verselbständigten Verwaltungseinheit Securities and Investments Board55. Von Bedeutung sind auch Träger zur Überwachung und Regelung bestimmter Aktivitäten und Berufe, wie z.B. der Glücksspiele und Casinos, die durch das Gaming Board überwacht werden56 oder der Flugdienste (Civil Aviation Authority). Im Unterschied zu den bereits erwähnten Kategorien besitzen diese Träger kein gesellschaftliches Substrat. In diesem Zusammenhang ist auch die britische Notenbank, die Bank of England, die durch Royal Charter im Jahre 1694 gegründet und in 1946 durch den Bank of England Act völlig verstaatlicht wurde, zu erwähnen. Die Privatisierung der ehemals staatlichen Träger der Daseinsvorsorge (Telekommunikationen, Wasser, Elektrizität und Verkehr) hat vielfach zu Monopol- bzw. Oligopolsituationen auf den entsprechenden Märkten geführt. Eine Überwachung der neuen privaten Unternehmen war entsprechend notwendig, insbesondere in Bezug auf die Einhaltung deqenigen Nebenbestimmungen der Betriebslizenzen der Privatanbieter, welche die Verbraucherinteressen betreffen. Zu diesem Zweck sind folgende verselbständigte Verwaltungseinheiten57 errichtet worden: im Medienbereich die Independent Television Commission, die Broadcasting Complaints Commission und der Broadcasting Standards Council, die das private Rundfunkwesen beaufsichtigen; auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge die verschiedenen Offices, die von einem Director General geführt werden: Office of Water Supply (OFWAT), Office of Electricity Regulation (OFER), Office of Gas Supply (OFGAS) und Office of Telecommunications (OFTEL), die Cable Authority, sowie die National Rivers Authority (Umweltschutz im Hinblick auf die privatisierte Wasserversorgung) 58. Manche dieser Organisationen (insbesondere die Directors General) stellen allerdings eine Kompromißform zwischen verselbständigter Verwaltungseinheit und der Ministerialverwaltung dar und 55
Diese Art der Selbstverwaltung ist auch in England nicht frei von Kontroversen: Zu den Aufgaben des S.I.B. und zu den Entwicklungen, die zu seiner Errichtung geführt haben, s. Moran, Political Quarterly 59 (1988), 21 ff. 56 Doig, Public Admin. 57 (1979), 316. 57 C. Lewis, Judicial Remedies in Public Law, S. 7 f.; E.C.S. Wade/Bradley , Const, and Admin. Law, S. 310 f. Zu den Aufsichtsbefugnissen, die diese Organisationen gegenüber den privaten Unternehmen der Daseinsvorsorge ausüben s. Graham, PL 1991,15 ff. 58 Zur Aufsicht über die privaten Wasserversorgungsuntenlehmen s. Scheele, ZögU 1991, 346 ff. (349 ff.).
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werden deshalb unter dem Namen "non-ministerial government departments" gefuhrt: Sie sind Weisungen des Ministers nicht unterworfen 39, befinden sich aber innerhalb der ministeriellen Organisation. Hiermit verwandt sind schließlich Organisationen, die innerhalb der Ministerialverwaltung entstanden sind: Die sog. "Next Steps Agencies"60 sind Verwaltungseinheiten ohne eigene Rechtspersönlichkeit, die innerhalb der Ministerien zum Zwecke der Förderung der VerwaltungsefiFektivität in mancherlei Hinsicht verselbständigt wurden61. Die sog. nationalisierten Industrien (nationalised industries) waren öffentliche Unternehmen, die vor allem auf den Gebieten der Energie, der Schwerindustrie, des Verkehrswesens und der Daseinsvorsorge tätig waren62. Als die Verstaatlichung dieser Wirtschaftszweige in den vierziger Jahren vollzogen wurde, betrachtete man es als sinnvoller, die Verwaltung dieser Unternehmen nicht an die Ministerialverwaltung sondern an öffentliche Kor-porationen zu übertragen. Dies geschah vor allem deshalb, weil die getrennte Rechtspersönlichkeit eine Führung sowohl unter den Gesichtspunkten der Privatwirtschaft als auch in "sozialer Verantwortung" zu erlauben schien63. Wegen ihrer Bedeutung, die in ihrer wirtschaftlichen Größe lag64, sind die nationalisierten Industrien Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Analyse 39 Hood, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 110, 114 f.; Harden, PL 1987, 29 f.; N. Lewis, Political Quarterly 59 (1988), 8. 60 Dieser Name stammt vom Report der Prime Minister's Efficiency Unit, Improving Management in Government: The Next Steps, 1988. 61 Die Next Steps Agencies sind unabhängig in der alltäglichen Geschäftsführung, während wichtige Entscheidungen über Fragen der allgemeinen Politik von der ministeriellen Spitze getroffen werden. S. Pliatzky, Public Admin. 70 (1992), 558 f.; Freedman, PL 1994, 86 ff.; Hood, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 125; Ridley , DÖV 1995, 571. Eine erste Bilanz der Errichtung 34 solcher Einheiten bei Greer, Public Admin. 70 (1992), 89 ff. 62 Löwenstein, Staatsrecht und Staatspraxis Großbritanniens, Bd. Π, S. 175 ff.; zur Organisation der öffentlichen Unternehmen in den Bereichen von Kohle, Gas, Elektrizität, Erdöl, Wasser, Stahl und (Luft-) Verkehr z.Z. ihres wirtschaftlichen Höhepunkts s. Jewell, Outlines, S. 101 ff. 63 Zu dieser "Morrison Doktrin" (nach Herbert Morrisson, Labour Minister in den frühen Nachkriegsjahren) s. Hood, in Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 111; ders., in Hood/Schuppert (Hrsg.), Verselbständigte Verwaltungseinheiten in Westeuropa, S. 139; Birkinshaw, Grievances, S. 100; Cross, Modern British Government, S. 158 f. 64 Zu ihrem Höhepunkt in 1975 produzierten nationalisierte Unternehmen 11% des Brutosozialproduktes und 8% der Arbeitsplätze: Doig, Public Admin. 57 (1979), 319.
102
1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
und öffentlicher Diskussion gewesen65. Nach 1979 sind die meisten dieser Unternehmen in den privaten Sektor rücküberfuhrt worden, so daß heute (soweit ersichtlich) nur noch vier "nationalised industries" weiterbestehen66. Angesichts von Plänen zur Privatisierung auch dieser Träger, muß man konstatieren, daß es sich heute um eine eher bedeutungslose Kategorie handelt.
IV. Staatliche Beteiligungen an handelsrechtlichen Gesellschaften Das englische Verwaltungsrecht kennt schließlich den Begriff der gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft nicht. Es bestehen zwar Beteiligungen der britischen Verwaltung an privaten Trägern, aber weder ein besonderes Rechtsregime solcher Beteiligungen noch eine besondere wissenschaftliche Diskussion darüber sind erkennbar. An den privatisierten Unternehmen der Daseinsvorsorge, die als staatlich errichtete Aktiengesellschaften entstanden sind, behält die öffentliche Hand vielfach Beteiligungen, die je nach der Satzung der Gesellschaft dem Staat eine gewisse Einflußnahme erlauben67. Solche Beteiligungen reichen vom lediglich symbolischen Wert bis hin zu 49% des Aktienkapitals. Im ersten Fall verfügt der Staat dank der Satzung und verschiedener gesellschaftsrechtlicher Techniken, über Mitbestimmungsrechte bei grundlegenden Änderungen der gesellschaftlichen Schicksale. Größere Beteiligungen könnten der öffentlichen Hand eine vollständige Kontrolle über die Gesellschaft erlauben, falls der entsprechende politische Willen dazu vorhanden wäre.
V. Die Beziehungen verselbständigter Verwaltungseinheiten zur Ministerialverwaltung Die Satzungen zweier Korporationen oder NDPBs werden kaum jemals identisch sein68. Entsprechend verschieden gestalten sich die entsprechenden
65 66 67 68
33.
Johnson, Public Admin. 57 (1979), 389. British Rail, British Coal, London Regional Transport und der Post Office. Dazu s. Graham/Prosser, MLR 1987, 33 ff. O. Hood Phillips', Const, and Admin. Law, S. 611; Graham/Prosser,
MLR 1987,
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Aufsichtsbefugnisse des zuständigen Ministeriums69. Grundsätzlich gilt, daß die Satzung der Korporation dem Minister die Befugnis einräumen wird, "generelle Weisungen in Bezug auf Angelegenheiten zu erteilen, die ihm von nationaler Bedeutung erscheinen"70. Zusätzlich werden manchmal auch Weisungen in spezifischen Angelegenheiten vorgesehen, einschließlich Genehmigungsrechte hinsichtlich der Investitionsprogrammen und der Aufnahme von Krediten71. Insbesondere bei den Korporationen entsteht damit ein Verhältnis, in dem positiv-rechtlich die Befugnis zur Formulierung einer allgemeinen Unternehmenspolitik beim Minister liegt, während sich die eigene Leitung die alltägliche Geschäftsführung vorbehalten kann72. Auch bei NPDBs kommt es immer wieder auf die Gestaltung des fraglichen Trägers an; anhand gewisser Beispiele73 kann man verallgemeinernd bemerken, daß ministerielle Weisungsrechte stets vorhanden sind; davon sind jedoch diejenigen Materien ausklammert, um deretwillen die Verselbständigung des Trägers erfolgte. In praxi wurden die gesetzlich verankerten allgemeinen Weisungsbefugnisse wenig benutzt; stattdessen haben die Ministerien immer im Hintergrund und auf informelle Art einen ständigen und durchdringenden Einfluß ausgeübt, insbesondere auf die alltäglichen Angelegenheiten. Dies liegt vor allem daran, daß die in den Gesetzen, königlichen Organisationsakten wie auch in den gesellschaftsrechtlichen Satzungen enthaltenen Klauseln sich nicht als dazu befähigt erwiesen haben, ein funktionsfähiges rechtliches Rahmenverhältnis für die Beziehungen zwischen den verselbständigten Verwaltungseinheiten und den Fachministerien herzustellen74. Wegen der vielfach informellen Natur dieses Einflusses ist die Selbständigkeit der Verwaltungseinheit letztendlich von tatsächlichen Faktoren wie der Persönlichkeit des Leitungsorgans und der politischen Brisanz der Aufgaben, die der verselbständigte Träger wahrnimmt, 69
Johnson, Public Admin. 57 (1979), 389; Greenwood/Wilson , Public Administration, S. 213 f. 70 Das Zitat stammt aus der Satzung des ehemaligen National Coal Board (heute British Coal) nach Griffith/Street, Principles, S. 288, auch bei Foulkes, Admin. Law, S. 27 und De Smith/Brazier, Constitutional and Administrative Law (Const, and Adm. Law), S. 219. 71 Cross , Modern British Government, S. 159; Foulkes, Admin. Law, S. 27. 72 Pliatzky, Public Admin. 70 (1992), 559. 73 S. die Fälle der Civil Aviation Authority und der Independent Broadcasting Authority bei Birkinshaw, Grievances, S. 114 f. und 120 f.; zum Fall des University Funding Council Zellick, PL 1989, 515 f. 74 Harden, PL 1987, S. 33.
104
1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
abhängig. Von maßgeblicher Bedeutung sind indirekte Machtinstrumente des Ministeriums, wie seine Befugnis zur Besetzung der Leitungsorgane oder sogar politische und persönliche Affiliationen, finanzielle und politische Druckmittel75. Insbesondere die industriellen öffentlichen Korporationen waren letztendlich trotz nomineller Unabhängigkeit immer ein Instrument zur Durchsetzung regierungspolitischer Zielsetzungen76. Somit wurden z.B. die Befugnisse zur Festsetzung von Grenzen bei der Kreditaufnahme von öffentlichen Unternehmen dazu gebraucht, die Preispolitik dieser Unternehmen zu diktieren, um über sie Ziele der Fiskalpolitik zu verfolgen 77. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß der Vorsitzende wie auch die Mitglieder des Vorstandes jeder Korporation oder jeden NDPBs in den allermeisten Fällen vom zuständigen Minister ernannt werden. Er verfügt über ein nahezu freies Ermessen, die Personen einzusetzen, die seiner Einschätzung nach qualifiziert sind78. Desweiteren besitzt er regelmäßig die Befugnis, Führungskräfte zu entlassen, die ihren Aufgaben nicht nachkommen können79. Es wird gerügt, daß vielfach Mißbrauch mit diesen Befugnissen betrieben wird 80. Einzige Schranke bei der Ausübung dieser Befugnisse ist die politische Kontrolle durch das Parlament. In den achtziger Jahren hat sich schließlich die Praxis eingebürgert, daß die Bestellung der Verwaltungsorgane von NDPBs von nicht veröffentlichten Texten begleitet wird, welche die Zwecksetzungen und Verantwortlichkeiten der Verwaltung solcher Träger verbriefen 81. Verselbständigte Verwaltungseinheiten besitzen eine relativ weit gefaßte finanzielle Autonomie und verfügen über einen eigenen Haushalt. Im Fall der 75
N. Lewis, in Jowell/Oliver (Hrsg.), The Changing Constitution, S. 218 f.; Doig, Public Admin. 57 (1979), 323; Sir W. Wade/Forsyth, Admin. Law, S. 166; E.C.S. Wade/Bradley, Const, and Admin. Law, S. 316 f.; Cross, Modern British Government, S. 161 ff. 76 Johnson, Public Admin. 57 (1979), 389; Craig, Administrative Law, S. 128 f.; Foulkes, Admin. Law, S. 281. 77 Prosser, PL 1986, S. 18 ff. 78 Griffith/Street, Principles, S. 285; Ο. Hood Phillips', Const, and Admin. Law, S. 611; N. Lewis, in Jowell/Oliver (Hrsg.), The Changing Constitution, S. 209; ders. , Political Quarterly 59 (1988), 12; Jewell, Outlines, S. 111; Harden, PL 1987, 32. 79 Griffith/Street, Principles, S. 286. 80 Z.B. zum Zwecke der Beschaffung von hochdotierten Stellen für politische Freunde nach dem sog. Prinzip "jobs for the boys"; s. Ν. Lewis, Political Quarterly 59 (1988), 13; Derbyshire, Introduction, S. 101 f., Prosser, PL 1986, 22. 81 Harden, PL 1987, 33 f.; Ν. Lewis, Political Quarterly 59 (1988), 13.
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öffentlichen Unternehmen wird allgemein von ihnen erwartet, daß sie sich durch eigene Einnahmen finanzieren, was aber nur gelegentlich tatsächlich der Fall ist. Insgesamt waren die sog. nationalised industries bis zu den achtziger Jahren in weitem Ausmaße von staatlichen Zuwendungen abhängig, was den Weg für entsprechende ministerielle Einflußnahmen frei gemacht hat82. Nach 1980 haben allerdings die damals noch öffentlichen Unternehmen der Daseinsvorsorge (Elektrizität, Wasser, Gas und Verkehr) nach dem Diktat von höheren Abgabepreisen durch die Regierung Überschüsse erwirtschaftet und sie an die Staatskasse überwiesen83. Das englische Verwaltungsrecht interessiert sich vor allem für die Ausübung von Aufsichtsrechten durch das Parlament. Dies ist auf eine Grundauffassung des britischen Rechts zurückzuführen, wonach die Kontrolle der Verwaltung weniger ein Rechts- als ein politisches Problem ist, das effizienter durch das politische Mittel der parlamentarischen Kontrolle zu bewältigen ist84. Die parlamentarische Verantwortung eines Ministers besteht in dem Maße, wie er über gesetzliche Aufsichtsbefügnisse verfügt. Wenn er von ihnen keinen Gebrauch macht, ist er nicht verpflichtet, parlamentarische Anfragen über die Geschäftspolitik verselbständigter Träger zu beantworten, auch wenn er sie hinter den Kulissen steuert83. Viel wichtiger als politische Kontrollinstrumente sind die parlamentarischen Ausschüsse, in deren Reichweite aber nicht alle selbständige Verwaltungseinheiten fallen 86. Was die öffentlichen Korporationen anbetrifft, wurden die meisten bis 1979 von dem Select Committee on Nationalised Industries kontrolliert 87. Nach 1979 wurde dieser Ausschuß durch vierzehn auf verschiedene Gebiete spezialisierte Ausschüsse ersetzt88, so z.B. die Transport Committee British Rail. Zu diesen besonderen parlamentarischen Ausschüssen gehört schließlich das "mächtige und gefürchtete" Public 82
S. N. Lewis, in Jowell/Oliver (Hrsg.), The Changing Constitution, S. 209, 222 mit entsprechenden Daten. 83 Prosser, PL 1986, 20. 84 Mitchell, in Blankiewicz (Hrsg.), British Government in an Era of Reform, S. 27 ff.; Feldman, Civil Liberties and Human Rights in England and Wales, S. 63. 83 Ausführlich Cross, Modern British Government, S. 164 ff.; E.C.S. Wade/Bradley, Const, and Admin. Law, S. 318; Jewell, Outlines, S. 117 f. 86 Greenwood/Wilson, Public Administration, S. 215. 87 De Smith/Brazier, Const, and Adm. Law, S. 223; Sir W. Wade/Forsyth, Admin. Law, S. 175; Schuppert, in Hood/Schuppert (Hrsg.), Verselbständigte Verwaltungseinheiten, S. 380 f. 88 O. Hood Phillips', Const, and Admin. Law, S. 61 f.; De Smith/Brazier, Const, and Admin. Law, S. 223.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
Accounts Committee. Es hat als Aufgabe die Kontrolle der Finanzen deqenigen "Quangos", die hauptsächlich vom Staat finanziert werden89.
VI. Zusammenfassung Das englische Verwaltungsrecht kennt keine besondere staatliche Organisationsform für verselbständigte Verwaltungsträger. Verwaltung und Parlament verfügen über parallele Befugnisse zur Verleihung von Rechtspersönlichkeit, die auch zur Verfassung von verselbständigten Verwaltungseinheiten benutzt werden. Die Art des Errichtungsakts beeinflußt dabei maßgeblich den Umfang der Rechtspersönlichkeit der entstehenden Träger: Gesetzlich errichtete Organisationen sind auf ihren gesetzlichen Aufgabenkreis beschränkt, während aufgrund der exekutiven Prärogativbefugnisse entstandene Organisationen volle (privatrechtliche) Rechtsfähigkeit genießen. Neben anstaltlichen, unternehmerischen und körperschaftlichen Bauformen weist die englische Organisationslandschaft eine Fülle von gesellschaftlichen Trägern auf, die unter einem gewissen staatlichen Einfluß Aufgaben der Disziplinierung gesellschaftlicher Bereiche übernehmen. Im übrigen unterliegen verselbständigte Verwaltungseinheiten in England verschiedenen Ingerenzen der Ministerialverwaltung, die ihr eine weitgehende Kontrolle verschaffen.
89
Harden , in Modeen/Rosas (Hrsg.), Indirect Public Administration, S. 324.
4. Abschnitt Verselbständigte Verwaltungseinheiten in Griechenland I. Der Inhalt der öffentlich-rechtlichen Organisationsform Die griechische Verwaltung folgt ähnlichen Organisationsmustern wie die Verwaltungen der anderen kontinental-europäischen Rechtsordnungen. Auch hier dominiert die Zäsur zwischen öffentlich- und privatrechtlichen Organisationsformen, wobei allerdings dieser organisatorische Dualismus von der fast absoluten Durchdringung der gesellschaftsrechtlichen Form durch öffentlichrechtliche Grundsätze zunehmend in Frage gestellt wird. Genau wie in Frankreich und in Deutschland ist der rechtliche Inhalt der öffentlich-rechtlichen Organisationsform ungewiß und strittig. Im griechischen Recht besitzt aber die Definition des materiellen Inhalts der öffentlichrechtlichen Organisationsform eine besondere Bedeutung: Zum einen ist die rechtliche Beurteilung der Handlungen einer Organisation viel strikter an ihre Organisationsform gebunden, als das in anderen Rechtsordnungen der Fall ist1. Zum anderen erlaubt sich die Gerichtsbarkeit angesichts der erwähnten Rechtsfolgen der Organisationsform eine ggf. den Gesetzgeber "korrigierende" Qualifikation des Trägers, die eine konkrete Konzeption des Inhalts des Rechtsbegriffs der juristischen Person des öffentlichen Rechts voraussetzt. In aller Regel wird freilich die Qualifikation einer verselbständigten Verwaltungseinheit unstrittig sein und der gesetzlichen Bezeichnung folgen 2. Es gibt allerdings mehrere Entscheidungen des Staatsrats, wo gesetzlich eindeutig bezeichnete Träger umqualifiziert wurden3. Entsprechend behauptet eine ver1
Dazu s. unten Kap. 3, Abschnitt 4, Π. Lytras, I organosi tis dimosias dioikisis, S. 174. 3 Z.B. StE 288/1930 (wonach das Krankenhaus Evangelismos kein öffentlichrechtlicher, sondern ein privatrechtlicher Träger ist). Ähnlich StE 1087/1946 bezüglich des durch Gesetz öffentlich-rechtlich qualifizierten griechischen Roten Kreuzes und vor allem das Urteil StE 4283/1988, EDKA 1989, 89 ff. (E.D.O.E.A.P.), in dem ein vom Errichtungsgesetz ausdrücklich als privatrechtliche juristische Person bezeichneter 2
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
breitete Betrachtung, daß die Qualifikation einer Verwaltungseinheit Aufgabe der "Rechtsprechung und Wissenschaft" sei4. Die Mindermeinung argumentiert andererseits, daß die gesetzgeberische Entscheidung über die Organisationsform bindend für die Gerichte sein muß, weil es an einer verfassungsrechtlichen Definition der juristischen Person des öffentlichen Rechts fehlt 5. Auf alle Fälle ist eine Qualifikation durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit dann unumgänglich, wenn der Gesetzgeber keinen eindeutigen Hinweis gibt. Eine verbreitete Auffassung stellt den Begriff des "öffentlichen Zwecks" in den Mittelpunkt der organisatorischen Formtypik des griechischen Verwaltungsrechts. Der öffentliche Zweck wird von der herrschenden Auffassung als staatlicher Zweck verstanden: Demnach sei öffentlich der gemeinwohlbezogene Zweck, der vom Gesetz zu einem Zweck des Staates erhoben wurde6. Dementsprechend wird die juristische Person des öffentlichen Rechts durch den Gemeinwohlbezug ihrer, im Errichtungsgesetz festgeschriebenen, Aufgaben definiert: Der öffentlich-rechtlichen Verfassung verselbständigter Verwaltungseinheiten liege das Prinzip der Bewältigung besonderer gemeinwohlbezogener Aufgaben durch getrennte Organisationen zugrunde7. In diesem Zusammenhang tauchte gelegentlich in älteren Urteilen der Begriff des "öffentlichen Dienstes" ("dimosia ypiresia") auf, der im Sinne des französischen service public zu verstehen ist8. Sozialversicherungsträger öffentlich-rechtlich umqualifiziert wurde; nach Saunas, I syntagmatiki kai dioikitiki nomologia tou Symvouliou tis Epikrateias, S. 258 entnimmt das Gericht diese (selten ausgeübte) Befugnis zur "Korrektur" aus der in früheren Zeiten "falschen" Benutzung des Rechtsbegriffs "juristische Person des öffentlichen Rechts" durch den Gesetzgeber. Dieses Argument überzeugt wenig im Fall des 1967 kreierten E.D.O.E.A.P. 4 S. Pararas, EDDD 1972, 146 ff. (150 f.); Kontogiorga-Theoharopoulou, Dikaio dioikitikis organoseos tou kratous, S. 113; dies., DkP 1982, 463 ff. (468); Papahatzis, To systima tou ishyontos stin Ellada dioikitikou Dikaiou, S. 513, 518 ff. 5 Vegleris , I dioikitiki organosis, S. 196 ff; Dagtoglou, Geniko dioikitiko dikaio, Rdnr. 1141, S. 454 f.; Spiliotopoulos, Egheiridion dioikitikou dikaiou, Nr. 334, S. 337; Pavlopoulos, NoB 1983, 225 ff. (230). 6 Stassinopoulos, Dikaion ton dioikitikon praxeon, S. 72; Tzevelekakis, NoB 1989, 1153 ff. (1157). 7 Tachos, Elliniko dioikitiko dikaio, S. 207 f.; Tzevelekakis, in Timitikos Tomos Symvouliou Epikrateias, Bd. I, S. 169 ff. (179). 8 Der Begriff der "dimosia ypiresia" impliziert sowohl den gesamten Verwaltungsapparat, den öffentlichen Dienst, als auch (in seinem materiellen Sinn) die verwaltende Tätigkeit; vgl. auch Papanikolaidis, Dikaion ton dioikitikon symvaseon, S. 13, und Tsouloufis, Arm. 1976, 719 ff., wonach der materielle Sinn des Begriffs "dimosia ypiresia" im griechischen Recht wohl "unterentwickelt" sei; so auch Pararas, EDDD
4. Abschnitt: Griechenland
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Eine andere Auffassung betrachtet die juristische Person des öffentlichen Rechts in Zusammenhang mit der immanenten Befugnis solcher Träger, hoheitlich i.S. von obrigkeitlich tätig zu werden; die Ausrichtung auf einen öffentlichen Zweck wird dabei eher als ein begleitendes Merkmal der öffentlichen Gewalt angesehen9. Eine vermittelnde Auffassung, die mehrheitlich vertreten wird, sieht die Kumulation der beiden Kriterien (Ausstattung mit Hoheitsgewalt und Verfolgung von Gemeinwohlzwecken) als maßgeblich an10. Das oberste griechische Verwaltungsgericht, der Staatsrat (Symvoulio tis Epikrateias), vertritt die Auffassung, daß keine a priori gegebene Definition der öffentlich-rechtlichen Organisationsform bestehen könnte; die Qualifikation einer verselbständigten Verwaltungseinheit wäre demnach durch eine Gesamtbetrachtung der Merkmale des fraglichen Trägers vorzunehmen11. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit untersucht somit eine Fülle von Indikatoren, wie die Ausübung von obrigkeitlichen Befugnissen, den Gemeinwohlbezug der Aufgaben des Trägers, seine unmittelbare Kontrolle durch die zentrale Verwaltung sowie die Organisation und Funktion der Verwaltungseinheit nach den Prinzipien der öffentlichen Verwaltung12. Diese Indizien werden in jedem konkreten Fall gegenseitig abgewogen. Ziel dieser Abwägung ist die Feststellung, daß der fragliche Träger so weitgehend von der staatlichen Organisation durch öffentlich-rechtliche Verbindungen abhängig ist, daß er selbst eine juristische Person des öffentlichen Rechts darstellt13. 1972, 146. Zum entsprechenden französischen Begriff des service public s. oben Kap. 1, Abschnitt 2,11. 9 Dagtoglou, Geniko dioikitiko dikaio, Rdnr. 1142, S. 455; Spiliotopoulos, Egheiridion, Nr. 354, S. 337; Papathanassiou-Papaioannou, Askisi dimosias dioikiseos meso nomikon prosopon idiotikou dikaiou, S. 80. 10 Stassinopoulos, Dikaion dioikitikon praxeon, S. 76; Tzevelekakis, in Timitikos Tomos Symvouliou Epikrateias, Bd. I, S. 178; Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 63; Kontogiorga-Theoharopoulou, Dikaio dioikitikis organoseos, S. 113; dies., DkP 1982,487. 11 StE 1087/1946: "die Merkmale, die einer juristischen Person den Charakter einer Verwaltung ausübenden Organisation des öffentlichen Rechts beigeben, können nicht im voraus durch eine allgemeine Definition bestimmt werden" (Übersetzung des Verfassers). S. dazu Vegleris , I dioikitiki organosis, S. 196; Sarmas , I syntagmatiki nomologia, S. 254 ff.; Trova , DiDik 3 (1991), 762 ff. (783); dies., DiDik 7 (1995), 1111. 12 Zu diesen Kriterien s. Sarmas , I syntagmatiki nomologia, S. 255 f., und Vegleris , I dioikitiki organosis, S. 196. Die Untersuchung aufgrund dieses Indizienbündels erfolgt in allen neueren Entscheidungen des Staatrats (nach dem Urteil 1087/1946). 13 Sarmas, in Haristirion Papahatzi, S. 377 ff. (390).
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
Somit wurde die Griechische Zentrale für den Fremdenverkehr (E.O.T.) aus folgenden Gründen als juristische Person des öffentlichen Rechts qualifiziert: Sie erfüllt nämlich Aufgaben im allgemeinen Interesse (dimosia ypiresia) aufgrund ihrer Ausstattung mit öffentlichen Mitteln und durch die Ausübung von Befugnissen öffentlicher Gewalt14. Im Fall des Öffentlichen Elektrizitätsunternehmens (D.E.I.) hat die Qualifikation anhand dieses Indizienbündels die Form der Untersuchung "des Willens des Gesetzgebers" angenommen: Dieser Wille ergebe sich aus den gesetzlichen Bestimmungen, wonach D.E.I. nach den Regeln der Privatwirtschaft tätig werde und ihre Beziehungen zu Bediensteten und Dritten privatrechtlichen Charakter besäßen, sowie aus der parlamentarischen Diskussion des Errichtungsgesetzes15. Bei der richterlichen Qualifikation der Organisationsform des Sozialversicherungsträgers E.D.O.E.A.P.16 war andererseits die ausdrückliche gesetzliche Bezeichnung als privatrechtliche juristische Person unerheblich. Dieser Träger ist nach dem Staatsrat als juristische Person des öffentlichen Rechts zu behandeln, denn er nehme Aufgaben der Sozialversicherung wahr, die nach der Verfassung staatlicher Natur seien17. Der Staatsrat berücksichtigt dabei auch die hoheitliche Stellung des Trägers in bezug auf Destinatäre und Dritte (Zwangsmitgliedschaft, obligatorische Zahlung von Beiträgen, gesetzlich eingeräumte Befugnisse des Trägers zulasten von Dritten usw.). Die Qualifikation als juristische Person des öffentlichen Rechts bezieht sich allerdings im griechischen Recht nicht immer auf den gesamten Komplex der Rechtsbeziehungen eines Trägers. Gewisse Organisationen in den Formen des Privatrechts stellen nach der Rechtsprechung des Staatsrats in bestimmten, in ihrer Reichweite jedoch begrenzten Fallkonstellationen juristische Personen sowohl des privaten als auch des öffentlichen Rechts dar. Die viel kritisierte 18, 14
StE 1371/1954. StE 945/1955. 16 StE 4283/1988, EDKA 1989, 89 ff. 17 Nach Art. 22 Abs.4 der Verfassung hat der Staat für die Sozialversicherung der Arbeitnehmer zu sorgen; das Gesetz 1495/1938 hat die bis dahin privatrechtlich verfaßten Sozialversicherungsträger öffentlich-rechtlich umorganisiert. 18 Dagtoglou, Geniko dioikitiko dikaio, Rdnr. 1143, S. 455 f.; Dargentas, EDDD 1978, 126; Papathanassiou-Papaioannou, Askisi dimosias dioikiseos, S. 289 ff; Pavlopoulos , I syntagmatiki katohyrosi, S. 267 f.; Delikostopoulos, Ai proypotheseis tou paradektou tis aitiseos akyroseos, S. 150 f.; Symeonidis , I fysi ton praxeon ton nomikon prosopon idiotikou dikaiou tou dimosiou tornea, S. 75 ff; Papahatzis, To systima, S. 519 f. Hauptkritikpunkte sind die Rechtsunsicherheit, die diese Lehre hervorrufen soll, sowie ihre Unfähigkeit, das Phänomen der Ausübung von 15
4. Abschnitt: Griechenland
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jedoch weiterhin vom obersten Verwaltungsgericht angewandte Theorie der "juristischen Personen mit Doppelnatur19" (difyi nomika prosopa) dient vornehmlich dazu, die Qualifikation von Entscheidungen von staatsnahen privatrechtlich verfaßten Trägern als Verwaltungsakte zu erlauben20, was ja nach griechischem Recht den öffentlich-rechtlichen Charakter der handelnden Instanz unbedingt voraussetzt21. Die juristischen Personen mit Doppelnatur sind Privatrechtsträger, die aber im Hinblick auf die konkret beurteilten Aufgaben als juristische Personen des öffentlichen Rechts umqualifiziert werden. Als solche juristischen Personen wurden von der Rechtsprechung des Staatsrats das Öffentliche Elektrizitätsunternehmen (D.E.I.) in seiner Eigenschaft als Versicherungskasse seiner Angestellten22, die Bank von Griechenland hinsichtlich der Ausübung von währungs- und kreditpolitischen Befugnissen23 und die Agrarbank von Griechenland (A.T.E.) in bezug auf die Ausübung von Aufsichtsbefugnissen gegenüber den Agrargenossenschaften 24 qualifiziert. Dasselbe gilt für die Autonome Organisation für Rosinen in bezug auf die Ausübung von Interventionsmaßnahmen25 und für die im kulturellen Bereich tätige Gesellschaft Philekpaideftiki in bezug auf die Rechtsstellung ihres Personals26. Schließlich besitzen eine solche Doppelnatur auch (inter-) kommunale Wasserversorgungs- und Kanalisationsunternehmen, was ihre Enteignungsbefugnisse anbetrifft 27. Kriterien, die der fragliche Träger erfüllen muß, um im Zusammenhang bestimmter Rechtsbeziehungen als juristische Person mit Doppelnatur qualifiziert zu werden, sind sowohl der Gemeinwohl-
Hoheitsgewalt durch privatrechtlich verfaßte Träger adäquat zu erfassen. A.A. aber Tzevelekakis, in Timitikos Tomos Symvouliou Epikrateias, Bd. I, S. 176; KontogiorgaTheoharopoulou, Dikaio dioikitikis organoseos, S. 144 f., und teilweise Sarmas , I syntagmatiki nomologia, S. 156 f. Diese Autoren betrachten die Lehre der Doppelnatur als den Ausdruck eines wahren Zwiespaltes in der Natur der genannten juristischen Personen als Träger von Verwaltungsaufgaben und Marktteilnehmer zugleich. 19 Die nach Symeonidis, I fysi ton praxeon, S. 289, an die französische Lehre der établissements publics à double visage erinnert. 20 Tzevelekakis, in Timitikos Tomos Symvouliou Epikrateias, Bd. I, S. 174 ff. 21 S. unten Kap. 3, Abschnitt 4, Π. 22 StE 1457/1969, StE 864 und 865/1970; StE 2397/1992, EDDD 1993, 223. 23 StE 1149/1939, 1492 und 2308/1952, 1052/1954, 1239 bis 1944 sowie 2689 bis 2700/1969, 174/1970, 1985/1976, StE 2080/1987 (Vollvers.), DiDik 1 (1989), 61. 24 StE 191/1931, 210/1943, 814/1966. 25 StE 566/1934, 1271/49, 1960/1953, 1475/1956, 2099/1957, 599/1959, 125 und 721/1972, 895/1975. 26 StE 1665/1973 (Vollvers.) 27 StE 108/1991, Arm. 1991., 85 ff.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
bezug der fraglichen Aufgaben als auch die Ausstattung mit hoheitlichen Befugnissen zu ihrer Erfüllung 28.
II. Die Relativierung des organisationsrechtlichen Formendualismus: Das griechische Verwaltungsorganisationsprivatrecht Abgesehen von der Bedeutung der Organisationsform für die Qualifikation der von einer verselbständigten Verwaltungseinheit erlassenen Rechtsakte, besitzt der öffentlich- oder privatrechtliche Charakter der Organisationsform eine sehr beschränkte Funktion im griechischen Recht: Die Rechtsformenlehre auf dem Gebiet privatrechtlicher Verwaltungsorganisation folgt nicht der privatrechtlichen Typologie, sondern entwickelt eigene "verwaltungsprivatrechtlichen" Organisationsformen. Der Anfang dieser Entwicklung ist in der Gesetzgebung vor allem der fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts zu betrachten. Die Errichtung von öffentlichen Unternehmen der Daseinsvorsorge (D.E.I., O.T.E.) und der Wirtschaftsintervention (z.B. die Entwicklungsbank und Industrieholding E.T.B.A.) durch Gesetze, die die Struktur dieser Unternehmen abschließend regelten, ohne aber ihre Rechtsform zu präzisieren, führte zu der Frage nach ihrer Rechtsnatur. Die privatrechtliche Qualifikation solcher Träger durch den Staatsrat im Rahmen der Beurteilung ihrer Rechtsakte hatte die Entstehung von juristischen Personen des Privatrechts zur Folge, die aber nicht der Formtypik des Privatrechts folgten. Das griechische Recht hat auf diese Weise neue, eigene verwaltungsprivatrechtliche Organisationsformen kreiert, die sog. "öffentliche privatrechtliche juristische Person sui generis" (idiotypo dimosio nomiko prosopo idiotikou dikaiou29 bzw. öffentliche Unternehmung im engeren Sinne genannt30) sowie die "öffentliche Gesellschaft" (dimosia etaireia)31.
28
Tzevelekakis, in Timitikos Tomos Symvouliou Epikrateias, Bd. I, S. 178 f. Nach Tzevelekakis spielt das Kriterium des öffentlichen Zwecks dabei die maßgebliche Rolle. Nach Sarmas, Ta kritiria ton dioikitikon diaforon, S. 394 f., dagegen ist die Ausstattung mit Befugnissen hoheitlicher Gewalt ausschlaggebend. 29 Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 65; ähnlich Lytras, I organosi, S. 181. 30 "En steni ennoia dimosia epiheirisi": Tachos, Elliniko dioikitiko dikaio, S. 236; Symeonidis, I fysi ton praxeon, S. 37; Papathanassiou-Papaioannou, Askisi dimosias dioikiseos, S. 33 f.
4. Abschnitt: Griechenland
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Prägend für diese Organisationsformen ist die Gestaltung ihrer Strukturen fast ausschließlich nach ihren Errichtungsgesetzen; auf das Handelsgesellschaftsrecht wird nur subsidiär und (wenn überhaupt) eher pro forma verwiesen. Sowohl in der Frage der Organisationsgewalt als auch im Hinblick auf ihre Orientierung auf die Wahrnehmung eines bestimmten Aufgabenkreises werden sowohl öffentlich- als auch privatrechtliche staatsabhängige Träger den gleichen materiellen öffentlich-rechtlichen Regeln unterstellt. Dies gilt in weitem Ausmaße auch für die rechtliche Gestaltung staatlicher Ingerenzen auf den Träger: Abgesehen von Fragen der Rechnungs- und Wirtschaftsprüfung, erfolgt die Gestaltung der Beziehungen von privatrechtlich verfaßten Verwaltungseinheiten zu ihrem Muttergemeinwesen nach öffentlich-rechtlichem Muster. Aus diesen Gründen hat sich in der Wissenschaft weitgehend der Begriff der "dimosia nomika prosopa" (öffentliche juristische Personen) durchgesetzt32, unter dem die gemeinsamen Prinzipien sowohl privat- als auch öffentlich-rechtlicher staatsabhängiger33 Träger behandelt werden.
III. Einzelne Bauformen verselbständigter Verwaltungseinheiten 1. Bauformen juristischer Personen des öffentlichen Rechts: Anstalten und Körperschaften Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts werden in die Kategorien der anstaltlichen und korporativen Träger eingeordnet. Zu den ersten gehört 31
Spiliotopoulos, Egheiridion, Nr. 363, S. 344; Kontogiorga-Theoharopoulou, Dikaio dioikitikis organoseos, S. 138; Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 66; Lytras , I organosi, S. 179; Trova , DiDik 7 (1995), 1100. 32 S. z.B. die Darstellung der verselbständigten Verwaltung von Spiliotopoulos, Egheiridion, Nr. 328 ff., S. 315 ff., wo unter dem Begriff "öffentliche juristische Personen" privat- und öffentlich-rechtlich verfaßte Träger nach gemeinsamen Gesichtspunkten dargestellt werden. Ebenfalls Vegleris , I dioikitiki organosis, S. 207, und Lytras , I organosi, S. 204 ff. 33 Die Definition einer juristischen Person als "öffentlich" erfolgt nach Lytras, I organosi tis dimosias dioikisis, S. 153 ff. nach dem Kriterium der Herkunft der Mittel des Trägers: Die staatliche Herkunft der Mittel indiziere nach diesem Autor den "öffentlichen" Charakter des Trägers. Gogos
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
eine Vielzahl von Trägern, die besondere, gesetzlich enumerativ bestimmte und begrenzte Verwaltungsaufgaben wahrnehmen, ohne daß sie durch ein demokratisches Innenleben der Selbstbestimmimg eines Personenkreises dienen34. Zu nennen sind die Sozialversicherungskassen, vor allem die Sozialversicherungsanstalt Idryma Koinonikon Asfaliseon (I.K.A.), die Hafenorganisation von Piräeus (O.L.P.), die Anstalt Staatlicher Stipendien (I.K.Y.), die Athener Börse sowie zahlreiche Träger leistender, insbesondere pflegerischer und kultureller Verwaltung (Altenheime, Krankenhäuser, Theater und Museen usw.). Die körperschaftlich strukturierten juristischen Personen des öffentlichen Rechts besitzen eine mitgliedschaftliche Struktur und demokratisch gewählte Verwaltungsorgane, deren Angehörige Mitglieder der Körperschaft sein müssen33. In dieser Form sind vor allem die Berufskammern der Rechtsanwälte, Notare, Ärzte und Apotheker sowie die Standesorganisationen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung in den Bereichen des Handels, der Wirtschaft, der Industrie und der Technik verfaßt. Diese Körperschaften verfügen über Hoheitsgewalt und Zwangsmitgliedschaft; ihre Zwecke bestehen darin, einerseits die Interessen ihrer Mitglieder gegenüber der öffentlichen Verwaltung zu vertreten und andererseits den Interessen der Allgemeinheit entweder durch die Regelung der Berufsausübung (im Fall der Berufskammern) oder durch die Förderung der fraglichen wirtschaftlichen Betätigung zu dienen36. Die griechischen Universitäten, die wegen ihrer verfassungsrechtlich garantierten Selbständigkeit (Art. 16 Abs. 1, 5 und 6 der gr. Verfassung) hauptsächlich von den Lehrenden und in geringerem Ausmaß von Studenten und Verwaltungspersonal verwaltet werden, liegen zwischen diesen beiden Kategorien37. Die Unterteilung zwischen anstaltlichen und korporativen juristi34
Kontogiorga-Theoharopoulou, Dikaio dioikitikis organoseos, S. 117 ff. Kontogiorga-Theoharopoulou, Dikaio dioikitikis organoseos, S. 122 ff.; dies., DkP 1982, 476 f., die den freiheitlichen Charakter korporativer Selbstbestimmung unterstreicht. 36 Trova , DiDik 3 (1991), 765; Kontogiorga-Theoharopoulou, DkP 1982, 482 ff. Wie auch bei den anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts stellen sich im griechischen Recht bei den Wirtschaftskammern vielfach Probleme der Qualifikation; zu dieser Rechtsprechung des Staatsrats ausführlich Trova , DiDik 3 (1991), S. 771 ff, wonach die Zwangsmitgliedschaft ausschlaggebend sein sollte. 37 Aus diesem Grunde betrachtet Tachos, Elliniko dioikitiko dikaio, S. 170, die Hochschulen als Träger, die eine Mischung aus anstaltlichen und korporativen Elementen aufweisen. Das korporative Element betont auch Kontogiorga-Theoharo33
4. Abschnitt: Griechenland
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sehen Personen des öffentlichen Rechts besitzt allerdings im griechischen Recht keine normative Verankerung und ist deshalb von eher deskriptiver Bedeutung.
2. Privatrechtliche juristische Personen a) Der rechtliche Rahmen staatlicher Betätigung in Organisationsformen des Privatrechts
Die privatrechtlichen Organisationsformen dominieren die heutige Organisationslandschaft, vor allem auf dem Gebiet wirtschaftlicher Betätigung38. Die Einfuhrung und Verbreitung privatrechtlicher Organisationsformen im griechischen Verwaltungsrecht ist untrennbar mit dem Wachstum staatlichen Unternehmertums verbunden39. Auch aus diesem Grunde besteht im griechischen Verwaltungsrecht die Tendenz, sämtliche Probleme der privatrechtlich verselbständigten Verwaltung unter der Kategorie des öffentlichen Unternehmens zu besprechen (dimosies epiheiriseis), ja sogar mit dem Ausdruck öffentliche Unternehmen sämtliche privatrechtlich verfaßten staatsnahen Träger zu erfassen. Unter diesen Begriff werden deshalb regelmäßig auch solche Einheiten eingeordnet, die kaum oder nur marginal unternehmerisch tätig sind40, wie der Griechische Rundfunk (Elliniki Radiofonia Tileorasi, E.R.T.), das Institut für Geologische und Mineralogische Studien (I.G.M.E.) usw. Charakteristisch für diese Betrachtungsweise ist die Definition des öffentlichen Unternehmens durch Spiliotopoulos, bei der nicht so sehr der unternehmerische Gegenstand der ausgeübten Tätigkeit, sondern die privatrechtliche Rechtsform eines staatlichen Trägers in den Vordergrund tritt: Das öffentliche Unternehmen sei demnach "eine neue Art von juristischer Person, die vom Staat zur Ausübung eines industriellen oder kommerziellen Vorhapoulou, Dikaio dioikitikis organoseos, S. 116, 125 ff. A.A. Dagtoglou, Geniko dioikitiko dikaio, Rdnr. 1145, S. 457, wonach der anstaltliche Charakter prägend sei. 38 Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 63; Papathanassiou-Papaioannou, Askisi dimosias dioikiseos, S. 20 f. 39 Papathanassiou-Papaioannou, Askisi dimosias dioikiseos, S. 37. 40 Nur Spiliotopoulos, Egheiridion, Nr. 359, S. 341 f., unterscheidet zwischen öffentlichen Unternehmen, privatrechtlichen Anstalten und privatrechtlichen Körperschaften.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
bens gemäß den Regeln der Privatwirtschaft im öffentlichen Interesse errichtet wird, weite administrative Unabhängigkeit genießt, im Prinzip durch das Privatrecht beherrscht wird und öffentlicher Kontrolle unterliegt"41. Wie auch jegliche staatliche Tätigkeit, so muß auch die Errichtung und Funktion verwaltungsnaher juristischer Personen des Privatrechts im Hinblick auf Gemeinwohlzwecksetzungen gerechtfertigt sein, präziser gesagt, muß eine juristische Person der Erfüllung eines konkreten öffentlichen Zwecks gewidmet sein42. Die Gründungsgesetze fast aller öffentlichen Unternehmen enthalten Vorschriften, wonach diese Träger "im öffentlichen Interesse und nach den Regeln der Privatwirtschaft" funktionieren 43. Nach der Rechtsprechung des obersten Sondergerichtshofes (A.E.D.) kann die Verbesserung der finanziellen Lage des Staates an sich keinen öffentlichen Zweck darstellen44. Die Erwirtschaftung von Überschüssen darf nach herrschender Auffassung zwar nicht der Hauptzweck des Trägers sein; soweit jedoch die "höheren", gemeinwohlbezogenen Aufgaben nicht vernachlässigt werden, sind Gewinne zulässig und wünschenswert43. In diesem Zusammenhang wird vielfach zwischen den öffentlichen Unternehmen unterschieden, die Aufgaben der Leistungsverwaltung erfüllen, und denen, die im Wettbewerb zur Privatwirtschaft tätig sind46. Diese theoretische Trennung ist in der Rechtsprechung bis heute von untergeordneter Bedeutung geblieben47, insbesondere hat sie nicht zu einer Auferlegung von öffentlich-rechtlichen Sonderbindungen auf Träger der Leistungsverwaltung geführt. Ausnahmsweise erkennt das Gutachten des Staatsrats 41
Spiliotopoulos , I dimosia epiheirisis, 1963, S. 46. Spiliotopoulos, in Les entreprises du secteur public dans les pays de la communauté européenne, S. 530; Ktistaki, ToS 1991, 303 ff. (321 ff.); Tachos, Elliniko dioikitiko dikaio, S. 238. 43 S. dazu Athanassopoulos, in Haristirion Papahatzi, S. 251 ff. (260); Ktistaki , ToS 1991, S. 304. 44 AED 17/1992, EDKA 1992, 685 ff. 45 Papahatzis , To systima, S. 304 f.; Ktistaki, ToS 1991, 321, 326 f.; Symeonidis, I fysi ton praxeon, S. 55. 46 Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 59; Ktistaki, ToS 1991, 325; Symeonidis, I fysi ton praxeon, S. 55 ff. tendiert zu einer Unterscheidung nach der Ausübung von dimosia ypiresia (i.S. von service public). Dagtoglou, Geniko dioikiko dikaio, Rdnr. 27 f., S. 15 f. benutzt dagegen als Kriterium die Unmittelbarkeit der Leistung gegenüber dem Bürger. 47 Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 59. 42
4. Abschnitt: Griechenland
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158/1992 an48, daß öffentliche Unternehmen, die lebenswichtige Güter herstellen (Trinkwasser, Energie und Telekommunikationen), Leistungsverwaltung (dimosia ypiresia) ausüben. Das wird damit begründet, daß sie "unabhängig von ihrer privatrechtlichen Maske" öffentliche Zwecke verfolgen. Aus diesem Grunde unterliegen sie nach Auffassung des Staatsrats dem Prinzip "des kontinuierlichen Dienstes"49, das die öffentliche Verwaltungstätigkeit beherrscht.
b) Formen und Strukturen verwaltungsnaher
Privatrechtsorganisationen
Es ist bereits erwähnt worden, daß ein griechisches Verwaltungsorganisationsprivatrecht besteht, das sui generis Privatrechtsformen kennt. Echte Aktiengesellschaften kommen in der Staatsperipherie seltener vor. Die juristischen Personen des Privatrechts sui generis verfügen weder über Aktienkapital noch über andere Beteiligungsformen; der Staat besitzt von Gesetzes wegen die Befugnis, die Verwaltungsorgane zu bestellen und den Träger über gesetzlich vorgesehene Aufsichtsrechte zu beherrschen. Der maßgebliche Unterschied zu den juristischen Personen des öffentlichen Rechts besteht letztendlich darin, daß diese verwaltungsprivatrechtlichen Organisationen nach den Regeln des Privatrechts tätig werden 50; oft wird ihnen aber von der Rechtsprechung des Staatsrats die Eigenschaft der juristischen Personen mit Doppelnatur zugesprochen. Als Beispiele solcher Träger sind das öffentliche Elektrizitätsunternehmen (D.E.I.), die Agrarbank Griechenlands (A.T.E.) und die Autonome Organisation für Rosinen (A.S.O.) zu erwähnen. Im übrigen kennt das Verwaltungsorganisationsprivatrecht nur noch die Form der Aktiengesellschaft (Anonymos Etairia, A.E.): In Wirklichkeit sind die anderen handelsrechtlichen, nämlich die GmbH51, OHG52, KG53 und
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In bezug auf eine Verordnung über die Ausnahme des Öffentlichen Unternehmens für Petroleum (D.E.P.) von den Bestimmungen über den "öffentlichen Sektor"; s. ToS 1992,157 ff. 49 Das Prinzip des kontinuierlichen Dienstes besagt, daß der Staat dafür sorgen muß, daß die von diesem Prinzip erfaßten Aufgaben ohne nennenswerte Unterbrechung erfüllt werden. 50 Spiliotopoulos in Les entreprises du secteur public, S. 534; Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 65. 51 Etaireia periorismenis Efthynis, E.P.E.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
Genossenschaft54, und bürgerlichrechtlichen Gesellschaftsformen außerordentlich selten, wenn überhaupt, anzutreffen. Ferner ist zwischen den Aktiengesellschaften zu differenzieren, deren Gründungsgesetze wesentliche Abweichungen von den Regeln des einfachen Aktienrechts kennen ("öffentliche Gesellschaften"), und denen, die (fast) ausschließlich von den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften geregelt werden. Bei der ersten Kategorie handelt es sich um eine Fortentwicklung des privatrechtlichen Trägers sui generis; die beiden Typen werden oft wegen ihrer starken Ähnlichkeit53 zusammen dargestellt56. Die Organisationsform der "öffentlichen Gesellschaft" ist in den meisten Fällen lediglich eine Attrappe57, denn ein gesellschaftliches Innenleben besteht nicht: Der Staat ist der einzige Gründer der Gesellschaft und besitzt ihre einzige, (nach dem Errichtungsgesetz) nicht übertragbare Aktie; eine Generalversammlung der Aktionäre besteht nicht58. Die Befugnisse der Generalversammlung liegen beim Vorstand und oft z.T. auch bei besonderen Organen, wie dem Aktionärsausschuß (Epitropi Metohon), der Repräsentanten- oder der Sozialversammlung (A.S.K.E.). Solche Gesellschaftsorgane bestehen aus Beamten, Experten und Verbrauchern59. Zu dieser Kategorie gehört das Gros der griechischen verselbständigten Verwaltungseinheiten, insbesondere der öffentlichen Unternehmen60: Zu nennen sind die griechischen Eisenbahnen (O.S.E.), die (gelbe) Post (EL.TA.), die verschiedenen örtlichen Wasserversorgungsunternehmen (z.B. O.Y.Th.), die Fluggesellschaft Olympic Airways, das Griechische Radio und Fernsehen (E.R.T.), das Öffentliche Unternehmen für Petroleum (D.E.P.) usw. Weitergehende oder gar globale Verweisungen auf das Aktiengesellschaftsrecht bestehen i.d.R. in Fällen der Gründung von Tochtergesellschaften verselbständigter Verwaltungseinheiten oder beim Erwerb des Trägers durch 52
Omorythmos Etaireia, O.E., die im griechischen Recht über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt. 53 Eterorythmos Etaireia, E.E. 54 Synetairismos. 55 Papathanassiou-Papaioannou, Askisi dimosias dioikiseos, S. 36. 56 Papahatzis, To systima, S. 298 ff., behandelt die beiden Formen gemeinsam als Aktiengesellschaften sui generis (idiotypes anonymes etaireies). 57 Spiliotopoulos, in Les entreprises du secteur public, S. 535; der s., I dimosia epiheirisis, S. 76; Koutoupa, EDDD 1984, 316 ff. (320); Anastopoulos , Oi dimosies epiheiriseis, S. 66; Trova , DiDik 7 (1995), 1099 ff. 58 Kontogiorga-Theoharopoulou, Dikaio dioikitikis organoseos, S. 138. 59 Koutoupa , EDDD 1984, 320; Papahatzis , To systima, S. 301. 60 Papathanassiou-Papaioannou, Askisi dimosias dioikiseos, S. 187.
4. Abschnitt: Griechenland
119
die öffentliche Hand61. Bis vor kurzem waren diese "echten" Aktiengesellschaften nicht von sehr großer Bedeutung; in den letzten Jahren besteht allerdings die Tendenz, Organisationen der oben erwähnten Kategorien in reine Aktiengesellschaften mit dem Zweck der Veräußerung von Aktien an private Kapitalanleger umzuwandeln62. Zu dieser letzteren Kategorie gehören auch die Gesellschaften gemischter Wirtschaft (Etaireies miktis oikonomias), insbesondere die staatlich kontrollierten Banken, an denen staatliche und private Träger teilnehmen63. Prägend für solche Gesellschaften ist die Teilnahme des Staates sowohl am Kapital als auch an der Verwaltung der Gesellschaft 64 und ihre Ausrichtung auf die Verfolgung von Zwecken des Gemeinwohls63. Nach einer minderheitlich vertretenen Auffassung stellen nur solche Träger gemischt-wirtschaftliche Gesellschaften dar, an denen die staatliche Beteiligung minoritär ist, während bei mehrheitlicher staatlicher Beteiligung ein "öffentliches Unternehmen" vorliegt66. Eine solche Auffassung unterschätzt allerdings die insbesondere grundrechtliche Bedeutung der Beteiligung Privater. Gemischt-wirtschaftliche Gesellschaften sind in den meisten Fällen Ableger verwaltungsnaher Gesellschaften67. Eine größere Bedeutung haben sie in den letzten Jahren im Bankensektor sowie auf Kommunalebene erlangt, wo sie im Rahmen der sog. Zonen aktiven Städtebaus (Zones Energou Poleodomias) Aufgaben wahrnehmen, die mit den Entwicklungsmaßnahmen im deutschen Recht vergleichbar sind68. Nur im Rahmen der Diskussion um das Nationale Gesundheitssystem (E.S.Y.) werden verwaltungsnahe Privatrechtsträger in den Organisationsformen des Vereins und vor allem der Stiftung erwähnt. Es geht um Träger 61
Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 68, 125. Vgl. Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes 1914/1990, wonach: "Banken und andere Unternehmen, die dem öffentlichen Sektor angehören, (...), und in der Form der Aktiengesellschaft mit ausschließlicher Aktieninhaberschaft des griechischen Staats funktionieren, können ihr Aktienkapital durch die Aüsgabe von neuen Aktien erhöhen (...). Personen des privaten Sektors können die Aktien der erwähnten Unternehmen unter der Einschränkung erwerben, daß der Anteil von 51% (vollständige Mehrheit) beim Eigentum des griechischen Staates verbleibt" (Übersetzung des Verfassers). 63 Lytras , I organosi, S. 181. 64 Spiliotopoulos , I dimosia epiheirisis, S. 51 f.; ders., Egheiridion, Nr. 369, S. 348. 63 Spiliotopoulos , I dimosia epiheirisis, S. 53. 66 Papathanassiou-Papaioannou, Askisi dimosias dioikiseos, S. 28. 67 Koutoupa, EDDD 1984, 331. 68 Gesetzesverordnung 1003/1971. 62
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
privaten Ursprungs, die das gemeinnützige Angebot von stationärer Krankenbetreuung zum Gegenstand ihrer Tätigkeit haben. Zur Zeit bestehen drei solcher Krankenhäuser. Das Gesetz 1397/1983 sieht die Ausübung einer besonderen Aufsicht über diese Träger durch einen "Aufsichtsrat" 69 vor, der bei jedem dieser Träger errichtet wird. Da die ausgeübten Aufsichtsbefugnisse sehr weitgehend sind (Prüfung der Ausgabe von Mitteln, Aufsicht über die Ausführung der Gesetze sowie der Verwaltungsanordnungen, Genehmigungsvorbehalte bei allen größeren Anschaffungen usw.) spricht man von einer parallelen Verwaltung dieser Träger durch den Staat70. Statt der Rechtsformen des privatrechtlichen Vereins und der Stiftung werden vielfach "juristische Personen des Privatrechts sui generis nichterwerbswirtschaftlicher Natur" errichtet 71. Durch die ad hoc Gestaltung ihres Rechtsregimes wird auf diesem Gebiet eine ähnliche Distanz vom Staat und eine Einbeziehung von spezialisierten Arbeitskräften erzielt, wie dies über die Form des Vereins in anderen Rechtsordnungen der Fall ist. Erwähnenswert sind das Zentrum für die Griechische Sprache, die Zentren zur Erforschung, Vorbeugung und Heilung des Diabetes sowie das Zentrum zur Kontrolle von vererbbaren Blutkrankheiten.
IV. Gemeinsame Rechtsgrundsätze für öffentlich- und privatrechtliche Organisationsformen 1. Die Lehre vom organisatorischen Gesetzesvorbehalt Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts müssen nach dem griechischen Verständnis der Lehre vom Gesetzesvorbehalt immer durch einen Rechtssatz, also durch oder aufgrund Gesetzes, d.h. durch Verordnung, errichtet werden72. Zwar besteht keine ausdrückliche Verankerung dieser Regelung in der Verfassung; der die Normsetzung der Exekutive regelnde Art. 44 Abs. 3 sah vor seiner Abschaffimg im Zuge der Verfassungsrevision von 1986 69
Das griechische Handelsrecht kennt allgemein keine Aufsichtsorgane innerhalb der Gesellschaft. 70 Alexiadis, EDDD 1992, 390 ff., 392. 71 S. Lytras , I organosi, S. 182 f. 72 Dagtoglou, Geniko dioikitiko dikaio, Rdnr. 1148, S. 458; Pavlopoulos, NoB 1983, 228; Lytras , I organosi, S. 192.
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lediglich vor, daß die Exekutive ohne gesetzliche Ermächtigung die "ausschließlich innere Organisation und Funktion" der Staatsbehörden und der öffentlichen Träger regeln konnte73. Nach der Rechtsprechung des Staatsrats74 besitzen sämtliche außenwirksamen organisatorischen Verwaltungsmaßnahmen einen Rechtssatzcharakter 73, so daß nach Art. 43 der Verfassung (und nach Abschaffung des Art. 43 Abs. 3 im Jahre 1986) eine gesetzliche Ermächtigung notwendig ist. Als Unterfall dieses organisatorischen Rechtssatzvorbehalts gehört auch die Errichtung und Einrichtung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts dem Regelungsbereich von Rechtsnormen an, soweit ihnen eine auch mittelbare Außenwirksamkeit zukommt76. Nach einer anderen Auffassung ist die gesetzliche Errichtung durch Art. 103 Abs. 2 der Verfassung geboten, wonach alle Organstellen in der öffentlichen Verwaltung durch Gesetz errichtet werden müssen77. Letztendlich mache die regelmäßige Ausstattung öffentlich-rechtlicher Träger mit Hoheitsbefugnissen eine gesetzlich ermächtigte Errichtung notwendig78. Dasselbe gilt allerdings nach ganz herrschender Auffassung auch für die Schaffung von staatlich kontrollierten privatrechtlichen juristischen Personen. Dies ist sowohl auf die Erstreckung der Lehre vom Rechtssatzvorbehalt auf jegliche organisatorischen Maßnahmen der Verwaltung, wie auch auf die mit der Einrichtung einer privatrechtlichen Organisation zusammenhängende Bereitstellung von öffentlichen Mitteln zurückzuführen 79. Schließlich ist die 73
Zu dieser Vorschrift s. Efstratiou, JÖR 39 (1990), 495 ff. (513 ff.). StE 397/1966; vgl. auch Efstratiou, JÖR (39) 1990, 515. 73 Dagtoglou, Geniko dioikitiko dikaio, Rdnr. 889, S. 321; Lytras, I organosi, S. 207. So bemerkt auch Pavlopoulos, NoB 1983, 228, daß die Gründung durch Rechtssatz auf das Legalitätsprinzip zurückzuführen ist. 76 Efstratiou, JÖR 39 (1990), 515, weist daraufhin, daß auch Organisationsmaßnahmen im Innenbereich, die mittelbar außenwirksam sind, als Rechtsnormen die Geltungsvoraussetzungen der administrativen Rechtssetzungsakte einzuhalten haben. Zu diesem "Totalvorbehält" vgl. auch Flogaïtis, I dioikitiki symvasi, S. 69 ff.; Papahatzis, To systima, S. 646 ff., und nochmals (kritisch) Efstratiou, NoB 1993, 668 f. Zweifelnd dagegen Lytras, I organosi, S. 205 ff. 77 Lytras , I organosi, S. 91. 78 Tachos, Elliniko dioikitiko dikaio, S. 168; Lytras, I organosi, S. 193 f. 79 Dazu ist nach griechischem Recht immer eine gesetzliche Ermächtigung notwendig; Spiliotopoulos, Egheiridion, Nr. 332, S. 318; ders. , I dimosia epiheirisis, S. 96; Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 96 ff; Lytras, I organosi, S. 192 ff. Eine Gründung durch oder aufgrund Gesetzes betrachten auch Dagtoglou, Geniko dioikitiko 74
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
Schaffung von Verwaltungseinheiten in Privatrechtsform oft mit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit und deshalb auch mit Eingriffen in die grundrechtlich geschützte Wirtschaftsfreiheit der Bürger verbunden, so daß auch der grundrechtliche Eingrififsvorbehalt betroffen sein sollte80. Auch der Erwerb einer juristischen Person, i.d.R. einer Aktiengesellschaft, durch die öffentliche Hand sowie die Teilnahme des Staates an einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft müssen gesetzlich vorgesehen sein. Sogar die Gründimg von Tochtergesellschaften staatlicher juristischer Personen des Privatrechts sollte durch das Errichtungsgesetz des errichtenden Privatrechtsträgers gedeckt sein81. Der gesellschaftsrechtliche Gründungsakt braucht allerdings an sich keinen normativen Charakter zu haben. Viele Organisations- und andere Gesetze enthalten entsprechend breite Ermächtigungen zur Errichtung weiterer juristischer Personen des Privatrechts; so sieht z.B. Art. 2 Abs. 14 des Gesetzes 1730/1987 zur Gründung der Aktiengesellschaft "Griechisches Radio und Fernsehen" (ERT AE) vor. "Die ERT AE kann zur Erfüllung ihrer Zwecke Tochtergesellschaften gründen oder sich an anderen Gesellschaften in Griechenland oder im Ausland beteiligen"82. Interessanterweise stimmt die Praxis mit dieser strikten Auffassung des Gesetzesvorbehalts überein; in bestimmten Fällen, in denen die Gründung oder der Erwerb eines privatrechtlichen Trägers aus zeitlichen oder anderen Gründen nicht gesetzlich oder aufgrund gesetzlicher Ermächtigung erfolgen kann, wird die fragliche Organisationsmaßnahme (z.B. ein Kauf- oder Gründungsvertrag) nachträglich durch Gesetz genehmigt83. dikaio, Rdnr. 1158, S. 464, Papahatzis, To systima, S. 298, und Papathanassiou-Papaioannou, Askisi dimosias dioikiseos, S. 31 f., 235, als notwendig. 80 Spiliotopoulos, Egheiridion, a.a.O.; Tachos, Elliniko Dioikitiko Dikaio, S. 184; Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 81; Papathanassiou-Papaioannou, Askisi dimosias dioikiseos, S. 31, FN 83. 81 Spiliotopoulos, Egheiridion, Nr. 364, S. 344 f.; Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 96; Lytras, i organosi, S. 192 f. 82 Vgl. auch die Ermächtigungen im Kodex für Städte und Gemeinden (Art. 82 Abs. 1 lit. id, Art. 95 Abs. 1 lit. ig, Art. 205 Abs. 3). 83 Es handelt sich dabei um eine ältere staatsrechtliche Tradition; s. z.B. den Fall des Erwerbs der Aktien des Eisenbahnbetreibers Battignoles; der Kaufvertrag wurde durch das G. 162/1914 bestätigt; vgl. auch die jüngeren Fälle des Erwerbs der Fluggesellschaft "Olympic Airways" (bestätigt durch das G. 96/1975) sowie der Raffinerien von Aspropyrgos (bestätigt durch das G. 502/1976). Vgl. Flogaïtis , To Elliniko dioikitiko systima, S. 18 f.
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Man muß schließlich anmerken, daß auch jegliche organisatorische Umgestaltung wie auch die Auflösung der juristischen Person (des öffentlichen wie auch des privaten Rechts) nach einem gleichartigen actus contrarius, d.h. durch oder aufgrund Gesetzes erfolgen muß84. Die Privatisierung von öffentlichen Unternehmen geschieht, wenn kein Sondergesetz besteht, aufgrund der Ermächtigungen des Gesetzes 2000/1991.
2. Staatliche Aufsicht Die Gründungsgesetze von öffentlich-rechtlichen Verwaltungseinheiten sehen verschiedene Aufsichtsbefugnisse, die sowohl vorbeugende als auch nachträgliche Möglichkeiten der Rechts- und Fachaufsicht gestatten, vor. Die Ausübung von Fachaufsichtsbefugnissen setzt immer entsprechende gesetzliche Ermächtigungen voraus83. Insgesamt variiert die staatliche Aufsicht stark je nach dem Zweck und den besonderen Umständen der jeweiligen Organisation; sie ist allgemein als weitgehend zu bewerten, da sie oft Genehmigungspflichten nicht nur in bezug auf grundsätzliche Entscheidungen (Haushalt, Aufnahme eines Kredits usw.86), sondern auch auf weniger bedeutsame und eher alltägliche Sachverhalte umfaßt 87. Es läßt sich allgemein auch feststellen, daß die auf korporative juristische Personen des öffentlichen Rechts ausgeübte staatliche Aufsicht sich i.d.R. auf die bloß nachträgliche Rechtsaufsicht beschränkt88; im Fall der Universitäten 84
Koutoupa, EDDD 1984, 319 f.; Spiliotopoulos, Egheiridion, Nr. 334, S. 320 f.; ders., I dimosia epiheirisis, S. 97, FN 1; Lytras , I organosi, S. 198. Differenzierend Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 109 f., wonach privatrechtliche Träger, die nicht durch Gesetz gegründet wurden, sondern einfach vom Staat nach den Regeln des Aktienrechts beherrscht werden, auch sich selbst durch privatrechtliche Willensäußerung auflösen können. 85 Papahatzis, To systima, S. 538; Koutoupa, EDDD 1984, 317; leicht differenziert, aber im Ergebnis gleich auch Lytras , I organosi, S. 61. 86 Die Genehmigung der Haushalte juristischer Personen des öffentlichen Rechts obliegt nach den Gesetzen AN 281/1936, G. 707/1943, AN 1538/1950 dem Staatlichen Rechnungsprüfungsamt (Genikon Logistirion tou Kratous); Entscheidungen von großer Bedeutung unterliegen meistens auch der ministeriellen Genehmigung; Spiliotopoulos, Egheiridion, Nr. 348, S, 332; Papahatzis, To systima, S. 538. 87 Spiliotopoulos, Egheiridion, Nr. 344, S. 328; Papathanassiou-Papaioannou, Askisi dimosias dioikiseos, S. 49. 88 Kontogiorga-Theoharopoulou, Dikaio Dioikitikis organoseos, S. 128; dies., DkP 1982,477.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
ist diese Beschränkung auf die Rechtsaufsicht auch verfassungsrechtlich verbürgt89. Weniger intensiv soll schließlich auch die Aufsicht auf öffentlichrechtlich verfaßte Krankenhäuser sein90. Diesem Muster folgen auch die Beziehungen von juristischen Personen des Privatrechts zu ihren Muttergemeinwesen. Die Errichtungsgesetze von privatrechtlichen Verwaltungstrabanten betonen zwar die Selbständigkeit der entstehenden Träger: Die Ministerialverwaltung übt demnach "weder eine unmittelbare Kontrolle aus, noch schreitet sie in die innere Verwaltung und Wirtschaftsführung ein"91. Gleichzeitig wird aber der fragliche Träger durch Gesetz der Aufsicht des zuständigen Fachministeriums unterstellt92. Auch privatrechtliche Tochtergesellschaften von juristischen Personen des öffentlichen Rechts unterliegen der Aufsicht des zuständigen Fachministeriums93. Solche Aufsichtsbefugnisse sind denen in bezug auf juristische Personen des öffentlichen Rechts in ihrer Art zwar ähnlich, jedoch in ihrer Intensität regelmäßig wesentlich schwächer94. Entscheidungen, die eine größere wirtschaftliche Bedeutung besitzen und finanzielles Gefahrenpotential bergen, also der Haushalt, die Preispolitik, größere Investitionen, Infrastrukturprojekte, die Aufnahme von Krediten und die Errichtung von Tochtergesellschaften bedürfen regelmäßig der Zustimmung der Fachaufsichtsbehörde 95. Selbstverständlich sind auch umfassende Informationsrechte des zuständigen Ministers vorgesehen96. 89
Papahatzis, To systima, S. 540. Alexiadis, EDDD 1992, 385 ff. (389). 91 Art. 44 Abs. 1 der Gesetzesverordnung 165/1973 zur Gründung des Telekommunikationsunternehmens O.T.E. 92 Z.B. Art. 12 und 17 G. 1049/1949 (O.T.E.), N.D. 4230/1962 (D.E.I.). 93 S. dazu Trova , DiDik 7 (1995), 1106. 94 Kontogiorga-Theoharopoulou, Dikaio dioikitikis organoseos, S. 141; Papahatzis, To systima, S. 302; Ktistaki, ToS 1991, 337. Spiliotopoulos, Egheiridion, Nr. 344, S. 328, und Ktistaki verbinden die Intensität der staatlichen Ingerenzen mit den wahrgenommenen Aufgaben: Organisationen, die unternehmerisch tätig werden, unterliegen demnach einer viel schwächeren Aufsicht als diejenigen, die Regulierungsaufgaben erfüllen oder Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten. 95 Koutoupa, EDDD 1984, 326; Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 134; Spiliotopoulos, I dimosia epiheirisis, S. 104 f. Die Gestaltung der Preispolitik ist praktisch eine politische Entscheidung der Verwaltung, welche aufgrund der Vorschläge der fraglichen öffentlichen Unternehmen entscheidet: Vgl. To Vima (Zeitung) vom 07.05.1995, S. D2, Artikel mit dem Titel: "Welche Preiserhöhungen schlagen die Verwaltungen der öffentlichen Unternehmen und Organisationen vor". 96 Spiliotopoulos, I dimosia epiheirisis, S. 109. 90
4. Abschnitt: Griechenland
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In praxi scheint es so, als ob die staatliche Einflußnahme eher informell und mittelbar ausgeübt würde97. Das zuständige Ministerium besitzt die regelmäßig gesetzlich verankerte Befugnis, das oberste Verwaltungsorgan des Trägers (Generaldirektor, Vorstandsvorsitzender oder Verwalter 98) zu bestellen99. Dasselbe gilt prinzipiell auch für die Mitglieder des Vorstands (Dioikitiko Symvoulio)100, dem in der Regel die allgemeine Zuständigkeit für die Entscheidung aller wichtigen Angelegenheiten der Verwaltungseinheit zukommt101. Solche Vorstandsmitglieder sind Beamte und Experten bzw. Personen, die kraft ihres Amtes (ex officio) die Funktion des Vorstandsmitglieds bekleiden. Gelegentlich wird die Teilnahme von Vertretern der Verbraucher vorgesehen102. Die Gründungsgesetze sehen spezifische Entlassungsgründe und ein besonderes Entlassungsverfahren vor; auf alle Fälle muß die Entlassungsentscheidung besonders begründet werden103. Eine Bindung der in die Verwaltungsorgane der Gesellschaft entsandten Beamten an Weisungen ihres Vorgesetzten wird abgelehnt104. Es wird dennoch insgesamt bemerkt, daß eine "totale Abhängigkeit" der Verwaltungsorgane von der Ministerialverwaltung besteht105. Die Gesetzgebung106 sieht ein besonderes Rechtsregime gemischt-wirtschaftlicher Aktiengesellschaften vor, das dem griechischen Staat erlaubt, in Abwei97
Spiliotopoulos , I dimosia epiheirisis, S. 101. Genikos Diefthyntis, Proedros tou Dioikitikou Symvouliou oder Dioikitis. 99 Kontogiorga-Theoharopoulou, Dikaio dioikitikis organoseos, S. 140; Spiliotopoulos , I dimosia epiheirisis, S. 126 f.; ders., Egheiridio, Nr 341, S. 342; differenzierend Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 156 f. Die klassische Auffassung, die diese Autoren vertreten, wonach der Bestellungsakt einen Verwaltungsakt darstellen sollte, ist von der Rechtsprechung des Staatsrates eindeutig widerlegt worden. Nach einer Zeit der Unsicherheit (privatrechtliche Qualifikation durch StE 1185/1946, öffentlich-rechtliche StE (Vollv.) 3898/1976, StE 3458/1985), urteilte die Vollversammlung des Staatsrats in StE 1562/1986, EDKA 1986, 492, daß der Bestellungsakt der Geschäftsführung des Athener Nahverkehrsunternehmens I.L.P.A.P. als privatrechtlich zu qualifizieren sei. Dazu ausführlich Symeonidis, I fysi ton praxeon, S. 119 f. 100 Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 118. 101 Spiliotopoulos, I dimosia epiheirisis, S. 93. 102 Koutoupa, EDDD 1984, 320 f., Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 118 f. 103 Papahatzis, To systima, S. 303; Spiliotopoulos, I dimosia epiheirisis, S. 130, 132 f. 104 Spiliotopoulos, I dimosia epiheirisis, S. 83. 105 Koutoupa, DkP 1988,163 ff. (181). 106 Dazu gehören vor allem die Gesetzesverordnung (N.D.) 4015/1959, Art. 10 Abs. 9 G. 1337/1983 und Art. 25 G. 1914/1990. 98
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
chung vom allgemeinen Gesellschaftsrecht besondere Aufsichts- und Verwaltungsrechte in die Satzung der Gesellschaft einzubeziehen (wie die Wirtschaftskontrolle der Gesellschaft durch vereidigte Prüfer, die vorherige Genehmigung von bestimmten Entscheidungen der Gesellschaft, die Bestellung einer bestimmten Zahl von Vorstandsmitgliedern durch den Staat usw.)107. Allgemein läßt sich sagen, daß eine permanente und gravierende finanzielle Abhängigkeit der privatrechtlichen Verwaltungstrabanten von staatlichen Zuschüssen besteht108. Auch wenn manche öffentlichen Unternehmen (wie der Elektrizitätsversorger D.E.I. und das Telekommunikationsunternehmen O.T.E.) Gewinne erwirtschaften, sind staatliche Subventionen vielfach notwendig, um unentbehrliche größere Infrastrukturvorhaben zu realisieren. Die stark defizitäre Lage der staatlich kontrollierten Privatrechtsträger führt zu einer allgemeinen Straffung der staatlichen Aufsicht 109. Insgesamt sind öffentliche Unternehmen stets gezwungen, die staatliche Politik in allen Aspekten ihrer Tätigkeit zu berücksichtigen: Koutoupa spricht deshalb von "juristischen Personen unter Vormundschaft" sowie vom Vorhandensein einer "heimlichen hierarchischen Gewalt"110.
V. Der Begriff des öffentlichen Sektors Es ist bereits dargestellt worden, daß das griechische Recht jegliche verselbständigte Verwaltungseinheit unabhängig von ihrer Rechtsform gewissen Grundregeln, wie dem Rechtssatzvorbehalt, unterstellt. Seit 1982 besteht eine noch weitergehende Tendenz zum Erlaß von Vorschriften, die grundsätzliche Fragen der öffentlichen Verwaltung ohne Rücksicht auf die rechtliche Verfassung des Trägers regeln. Adressat solcher Regeln ist der "öffentliche Sektor" (dimosios tomeas). Dieser Rechtsbegriff wurde durch die Art. 9 des Gesetzes 1232/1982 und Art. 1 107
Dazu Tachos, Elliniko dioikitiko dikaio, S. 224 f.; ders., Dioikitiko Oikonomiko Dikaio, S. 357 f.; Spiliotopoulos, Egheiridion, Nr. 371, S. 349 f.; ders., I dimosia epiheirisis, S. 56. 108 Koutoupa, EDDD 1984, 324. 109 Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 134. 110 Koutoupa, DkP 1988, 181 f.; s. auch Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 134.
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Abs. 6 des Gesetzes 1256/1982111 eingeführt und später durch Art. 51 Abs. 1 G. 1892/1990112 und Art. 14 G. 2190/1994113 neu definiert. Er erfaßt nach Art. 14 des G. 2190/1994114 neben der Ministerialverwaltung und den Gebietskörperschaften (lit a und g) die juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die öffentlichen Unternehmen und Organisationen (lit. d), die privatrechtlichen juristischen Personen, die dem Staat ganz oder zu mindestens 51% ihres Aktienkapitals gehören oder regelmäßig aus staatlichen Mitteln mit mindestens 50% ihres Etats subventioniert werden (lit. e). Erfaßt werden nach lit. f) schließlich auch die juristischen Personen des Privatrechts, die den bereits erwähnten Trägern ganz oder zu mindestens 51% ihres Aktienkapitals gehören oder regelmäßig aus Mitteln dieser Träger mit mindestens 50% ihres Etats subventioniert werden. Gemeinsames Kriterium sämtlicher gesetzlicher Definitionen ist die abstrakte Beherrschung des Trägers durch den Staat115, wie sie sich durch die mehrheitliche Teilnahme des Staates am Kapital des Trägers oder die regelmäßige finanzielle Abhängigkeit der Organisation von staatlichen Zuwendungen offenbart. Auch die mittelbare Ausübung von Ingerenzen wirt111
Das Gesetz hatte als Gegenstände die Beschränkung der Bezüge der staatlichen Bediensteten auf eine Höchstgrenze und das grundsätzliche Verbot der Einstellung derselben Person in mehreren Positionen im öffentlichen Sektor. Die damalige Definition erfaßte: "a) die staatlichen oder öffentlichen Behörden wie sie durch die juristische Person des Staates vertreten werden, b) die staatlichen oder öffentlichen Organisationen, die als juristische Personen des öffentlichen Rechts funktionieren, c) die staatlichen oder öffentlichen und konzessionierten Banken, d) die gemeinnützigen Stiftungen des Zivilgesetzbuches, die zum Staat gelangt sind und von ihm finanziert oder subventioniert werden, e) Banken und andere Aktiengesellschaften, deren Aktienkapital ganz oder mehrheitlich den bereits genannten juristischen Personen gehört, oder die ein staatliches Privileg bzw. eine staatliche Subventionierung genießen, f) die staatlichen juristischen Personen, die vom Gesetz oder von den Gerichten als juristische Personen des Privatrechts qualifiziert wurden und die von einem der erwähnten juristischen Personen finanziert oder subventioniert werden und g) die Tochtergesellschaften der erwähnten juristischen Personen der lit. a-f dieses Absatzes, die von ihnen mittelbar oder umittelbar beherrscht werden". 112 Gesetz über die Modernisierung und die (wirtschaftliche) Entwicklung. 113 Das Gesetz betrifft die Schaffung eines einheitlichen Systems zur Einstellung von Bediensteten im öffentlichen Sektor und einer entsprechenden unabhängigen Behörde. 114 Das Gesetz sieht die Schaffung eines einheitlichen Verfahrens zur Personalauswahl im öffentlichen Sektor vor. Auf die Definition des öffentlichen Sektors in diesem Gesetz wird auch im Gesetz 2229/1994 bezüglich der Vergabe öffentlicher Bauaufträge Bezug genommen. S. Koutoupa-Rengakos, PPLR 1995, Current Survey, 97. 115 Koutoupa, DkP 1988, 165, 169; Flogaïtis, To Elliniko dioikitiko systima, S. 21.
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1. Kap.: Organisationsrechtliche Grundsätze
schaftlicher Art (über andere verselbständigte Verwaltungsträger) reicht aus, um eine Zugehörigkeit von Tochtergesellschaften zum öffentlichen Sektor herbeizuführen 116. Es handelt sich insgesamt um ein sehr zersplittertes und unbeständiges Rechtsregime. Der Begriff des öffentlichen Sektors ist Anknüpfungspunkt für heterogene Rechtsmaterien wie die Einstellung von Bediensteten117, das Rechtsregime der öffentlichen Bauaufträge 118, das Recht auf Akteneinsicht119, das Verfahren zum Abschluß von Entwicklungsprogrammen 120 wie auch Programm- und Entwicklungsverträgen 121, so daß man das Bestehen eines dogmatisch zusammenhängenden Rechtsregimes des öffentlichen Sektors ernsthaft in Frage stellen muß122. Eventuell wäre in vielen dieser Vorschriften eine Art besonderer Aufsicht auf die Führung privatrechtlicher Träger zu sehen123. Abgesehen von immanenten Defiziten des Beherrschungskriteriums (wie die Gefahr der Änderung der Herrschaftsverhältnissen in einer Gesellschaft) 124, haben zur Unbeständigkeit vor allem Art. 19 des G. 1682/1987125 und Art. 30 Abs. 1 G. 1914/1990 beigetragen, wonach Verwaltungseinheiten von den Beschränkungen des Regimes des öffentlichen Sektors aufgrund entsprechender Verordnung ausgenommen werden können. Schnell wurde durch entsprechende Verordnungen eine Vielzahl öffentlicher Unternehmen dispensiert126.
116
Kritisch Koutoupa, DkP 1988,184; Symeonidis, i fysi ton praxeon, S. 48. Gesetze 1320/1983,1735/1987,2190/1994. 118 G. 1418/1984. 119 Art. 16 G. 1599/1986. 120 G. 1622/1986. 121 G. 1682/1987. Ein ausführlicher Katalog der Gesetze, die den Begriff des öffentlichen Sektors benutzen, findet man bei Tachos, ToS 1988, 417 ff. 122 Tachos, ToS 1988,419. 123 So Koutoupa, DkP 1988, 179 f. 124 Flogaïtis, To Elliniko dioikitiko systima, S. 21; Symeonidis , I fysi ton praxeon, S. 43. 125 Kommentiert von Tachos, ToS 1988,424 f. 126 Insgesamt waren nach Tachos, ToS 1988, 425, schon in 1988 158 Verwaltungseinheiten auf diese Weise von der Anwendung der Regeln des öffentlichen Sektors ausgenommen worden; D.E.I., O.T.E. und Olympic Airways wurden aufgrund der Verordnungen 360, 361 und 362/1991 dispensiert. Ausgenommen wurden ebenfalls sämtliche kommunale Unternehmen: S. dazu Symeonidis, I fysi ton praxeon, S. 42 f. md Ktistaki, ToS 1991, 309. 117
4. Abschnitt: Griechenland
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VI. Zusammenfassung Der Dualismus der Organisationsformen ist im griechischen Recht vor allem für die Beurteilung des anwendbaren Rechts auf Handlungen eines Trägers wichtig. Die Rechtsprechung des Staatsrates behält sich das Recht vor, die gesetzgeberische Entscheidung über die Organisationsform zu "korrigieren" und qualifiziert die fraglichen Träger aufgrund verschiedener Indizien, unter denen der Gemeinwohlbezug der wahrgenommenen Aufgaben und die Ausstattung mit hoheitlichen Befugnissen die wichtigste Rolle spielen. Im übrigen unterliegen öffentlich- und privatrechtliche Organisationen einem ähnlichen Rechtsregime: Träger beider Kategorien werden durch oder aufgrund Gesetzes errichtet; für beide Kategorien bestehen ähnliche Aufsichtsbefugnisse der Ministerialverwaltung. Die gesetzliche Errichtung privatrechtlicher Träger hat zur Entstehung eigener Rechtsformen sui generis geführt. Die fraglichen Organisationen stellen zwar privatrechtliche Personen dar, weisen aber den Innenbau von öffentlich-rechtlichen Trägern auf. Diese Organisationsformen dominieren die privatrechtliche Organisationslandschaft im griechischen Verwaltungsrecht. Die Alternativität der Organisationsformen findet einen charakteristischen Ausdruck im Begriff des öffentlichen Sektors. An diesen Begriff knüpft eine zersplitterte Gesetzgebung gemeinsame Regelungen für öffentlich- und privatrechtlich verfaßte Verwaltungseinheiten an.
9 Gogos
Zweites Kapitel
Grundrechte als staatliche Sonderbindungen I. Vorbemerkung Die Eignung der Grundrechte als normativer Bezugsrahmen dieser Untersuchung hängt von ihrem staatsgerichteten Charakter ab. Die Diskussion um die Frage nach den Adressaten der Grundrechte ist in Deutschland freilich bereits vier Jahrzehnte alt und allem Anschein nach zu einem vorläufigen Endergebnis gekommen1. Aus diesem Grunde wird man sich auf wenige zusammenfassende Bemerkungen bezüglich eines Problems, das weitestgehend ausdiskutiert worden ist, beschränken. Die Problematik der Staatsrichtung wie überhaupt die normative Struktur von Gewährleistungen mit Grundrechtsgehalt wirft aber in den anderen Rechtsordnungen, die hier zur Untersuchung stehen, vielfältige Probleme auf. Insofern, als solche Probleme Vorfragen der eigentlichen Problematik dieser Arbeit darstellen, werden sie in diesem Kapitel erörtert.
II. Das Problem der Drittwirkung der Grundrechte im deutschen Recht Man kann das Ergebnis der intensiven wissenschaftlichen Auseinandersetzungen der fünfziger und sechziger Jahre2 und vor allem der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wie folgt zusammenfassen: Die Grundrechte sind in ihrer eigentlichen, subjektiven Dimension ausschließlich an den Staat gerichtet; aus den Grundrechten, mit Ausnahme 1
Schwabe, AÖR 101 (1976), 442 ff. (469); Bleckmann, DVB1. 1988, 939 spricht von Windstille. Ähnlich auch Dreier, Jura 1994, 505 ff. (509). 2 Dargestellt von Oeter, AÖR 119 (1994), 529 ff. (532 ff.).
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punktueller, ausdrücklich mit Drittwirkung augestatteter Gewährleistungen wie der Koalitionsfreiheit, ergeben sich keine Ansprüche der Bürger gegeneinander. Gleichwohl entfalten die Grundrechte in ihrer objektiven Dimension eine Wirkung auch innerhalb privatrechtlicher Rechtsverhältnisse: Die Grundrechte enthalten auch Grundsatznormen für die gesamte Rechtsordnung des Gemeinwesens3, die über die privatrechtlichen Generalklauseln auch auf die Rechtsbeziehungen unter Privaten einwirken können4. Eine eigentliche Drittwirkung der Grundrechte im strengen Sinne des Wortes gibt es damit nicht5: Die Grundrechte als elementare subjektive Rechte sind staatsgerichtet, wobei freilich die Einheit der Rechtsordnung eine grundrechtliche Durchdringung auch privatrechtlicher Verhältnisse zur Folge hat6. Dabei werden in jüngerer Zeit die Stimmen immer lauter, die auf die grundsätzliche Bedeutimg der Staatsgerichtetheit der Grundrechte für die Wahrung individueller Freiheit hinweisen7.
I I I . Grundrechtsgehalte als staatsgerichtete Bindungen im französischen Recht 1. Verfassungsrechtlicher Standort und Geltungskraft der "öffentlichen Freiheiten" (libertés publiques) Die heute geltende französische Verfassung von 1958 besitzt keinen eigenständigen Grundrechtsteil. Lediglich die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz (Art. 2) und die persönliche Freiheit (Art. 66) werden in ihrem Text garantiert. Im übrigen verweist ihre Präambel auf die in der Menschenrechts3
Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 157 ff. 4 Ständige Rechtsprechung: S. z.B. BVerfGE 7, 198 (205 ff.); BVerfGE 25, 256 (243); 42, 143 (148); BVerfGE 73, 261 (269); vgl. Rüfner, in Gedächtnisschrift Martens, S. 215 ff. (219); ders., HStR V, §117, Rdnr. 64, S. 554; Jarass, AÖR 120 (1995), 345 ff. (352); Pieroth/Schlink, Staatsrecht Π, Grundrechte, S. 51; Dreier, Jura 1994,510. 5 Rüfner, in Gedächtnisschrift Martens, S. 219; Rupp, AÖR 101 (1976), 161 ff.
(168). 6
Rüfner, HStR V, § 117, Rdnr. 60, S. 552. S. Sendler, NJW 1994, 709 ff.; Ossenbühl, DVB1. 1995, 904 ff.; Oeter, AÖR 119 (1994), 561 ff.; Eschenbach/Niebaum, NVwZ 1994, 1079 ff.; Hillgruber, ZRP 1995, 6 ff. 7
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2. Kap.: Grundrechte als staatliche Sonderbindungen
erklärung von 1789 enthaltenen Freiheiten sowie auf die Garantien der Präambel der früheren Verfassung von 1946. Die Präambel der Verfassung von 1946 verweist ihrerseits auf die durch die Gesetze der Republik anerkannten fundamentalen Prinzipien ("principes fondamentaux reconnus par les lois de la République"). Die Erklärung der Menschenrechte von 1789 enthält die Garantien der Freiheit der Person (Art. 2, 7-9), der Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 10, 11), der Religionsfreiheit (Art. Art. 10), sowie des Eigentumsrechts (Art. 2, 17). Die Präambel der Verfassung von 1946 hat zu diesen Freiheitsverbürgungen eine Reihe von "sozialen und wirtschaftlichen Prinzipien von besonderer Bedeutung für unsere Zeit" hinzugefügt. Zu nennen sind die Fürsorgepflicht des Staates gegenüber der Familie und den alten Arbeitnehmern (Abs. 10-11 der Präambel), die staatliche Verpflichtung zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung (Abs. 11), wie auch die Rechte auf Arbeit (Abs. 5), auf Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Abs. 8) und auf Lebensunterhalt in Notsituationen (Abs. 11). Ferner garantiert diese Präambel die Gewährung gleichen Zugangs zum Unterricht, zur Berufsausbildung und zur Bildung (Abs. 13), die Freiheit der gewerkschaftlichen Tätigkeit (Abs. 6) und das Streikrecht (Abs. 7). Erwähnenswert ist schließlich das Recht auf Asyl (Abs. 4)8. Bei den fundamentalen Prinzipien, die von den Gesetzen der Republik anerkannt sind, handelt es sich um eine Kompromißformel der Verfassung von 1946, auf die sich die damals wichtigsten politischen Kräfte einigen konnten9. Mit den fundamentalen Prinzipien wird den Freiheitsrechten Verfassungsrang zugesprochen, die in der republikanischen (und nicht monarchischen10) Gesetzgebung vor 194611 anerkannt worden waren. Erkenntnisquellen für solche Prinzipien stellen auch die Präambel der Verfassung von 1946 und die Menschenrechtserklärung von 1789 dar12. Der Verfassungsrat, dem als Verfassungsgericht diese Aufgabe der Deduktion obliegt, hat auf 8
Zum Asylrecht in Frankreich s. Classen , DÖV 1993, 227 ff. Savoie , in Grabitz (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, S. 203 ff. (212). 10 Für eine präzise Abgrenzung der republikanischen von den monarchischen Perioden der französischen Gesetzgebung s. Luchaire, La protection des droits de l'homme, S. 34. 11 Savoie , in Grabitz (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, S. 212; Luchaire, La protection, S. 34; a.A. Rousseau, RDP 1993, 12 f. 12 Urteil des Verfassungsrats, CC, 23. November 1977, RCC 1977, 42 f.; a.A. Luchaire, La protection, S. 32. 9
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diese Weise der Würde der Person13, der Vereinigungsfreiheit 14, der Unabhängigkeit der Universitätsprofessoren 13, der Freiheit der Person16, der Freiheit der Lehre17 und den justiziellen Garantien der Verteidigung18 den Status der fundamentalen Prinzipien zugesprochen19. Die Stellung der "öffentlichen Freiheiten" in der Präambel der Verfassung von 1958 und nicht im Text der Verfassung selbst verursachte einen heftigen Streit über ihre Geltungskraft. In der Zeit der 4. Republik (1946-1958) war die Auffassung herrschend, daß die Präambel zwar Verfassungskrafit besaß, jedoch in ihrer Gesamtheit für die Ableitung konkreter Folgen zu unbestimmt war. Der Status der "öffentlichen Freiheiten" lag somit auf der Ebene von allgemeinenrichtungsweisendenGrundsätzen, zwar mit Bedeutung für die Auslegung des Rechts, doch im Grunde lediglich Inspirationsquelle für Gesetzgeber und Verwaltung. Aus den Freiheiten der Verfassungstexte ergaben sich keine gerichtlich durchsetzbaren Abwehransprüche20. Die Rechtsprechung des Staatsrates implizierte die rechtliche Geltung dieser Gewährleistungen der Präambel, ohne jedoch klare und explizite Aussagen über ihre konkrete gerichtliche Durchsetzbarkeit zu treffen 21. 13
CC, 27. Juli 1994, DS 1995, 237 ff. CC, 16. Juli 1971, RCC 1971, 29. 15 CC, 20. Januar 1984, RCC 1984, 30; kommentiert von Groß, Die Autonomie der Wissenschaft im europäischen Rechtsvergleich, S. 75. 16 CC, 12. Januar 1977, RCC 1977, 33. 17 CC, 23. November 1977, RCC 1977, 48. 18 Implizit in CC, 23. November 1977, RCC 1977,48; CC, 27. Dezember 1990, RCC 1991,91. 19 Es bestehen verschiedene Aufzählungen, je nachdem, ob implizite Prinzipien mitgezählt werden oder nicht; diese Aufzählung folgt grundsätzlich den Ausführungen von Luchaire, La protection, S. 92 ff.; vgl. auch Savoie , in Grabitz (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, S. 212 f.; Favoreu, RFDA 1989, 142 ff. (146); Vedel/P. Delvolvé , Droit administratif I, S. 448; auch Itin, Grundrechte in Frankreich, S. 22. 20 Colliard, Libertés publiques, S. 101 f.; Braud, La notion de liberté publique en droit français, S. 310 ff.; Krech, Die Theorie der allgemeinen Rechtsgrundsätze im französischen öffentlichen Recht, S. 32, FN 127. 21 Vgl. die Urteile des Staatsrates CE, 7. Juli 1950, Dehaene, Ree. 1950, 426; CE, 7. Juni 1957, Condamine, RDP 1958, 100; CE, 13. März 1953, Teissier, Ree. 1953, 133; CE, 12. Februar 1960, Société Eky, Ree. 1960, 101; diese Judikatur hat Anlaß zu verschiedenen Deutungen gegeben. So sehen z.B. Braud (La notion de liberté, S. 312) und Morange, RDP 1977, 761 ff. (769) im Urteil Dehaene die Anerkennung der konkreten Verfassungskraft der Präambel durch den Staatsrat, während Colliard, Libertés publiques, S. 101 f. und de Laubadère/Venezia/Gaudemet, Traité de droit administratif (Traité de dr. adm.) I, S. 484, diese Entwicklung erst im Urteil Société Eky betrachten; 14
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2. Kap.: Grundrechte als staatliche Sonderbindungen
Dieser Zustand setzte sich sogar in den ersten Jahren der 5. Republik fort, bis der 1958 als Verfassungsgericht entstandene Verfassungsrat mit seinem Urteil vom 16. Juli 197122 sich unmittelbar und ausdrücklich auf ein von den Gesetzen der Republik anerkanntes fundamentales Prinzip als Grundlage seines Urteils berief. Somit erscheint die Emanzipation der "öffentlichen Freiheiten" als bindendes Verfassungsrecht als eine Konsequenz der Schaffung einer Verfassungsgerichtsbarkeit durch die Verfassung von 1958. Die Anwendung der Verfassungsgewährleistungen, insbesondere deijenigen der Menschenrechtserklärung, bleibt freilich stets der mediatisierenden Auslegung bedürftig; manchmal bleiben dennoch die Bestimmungen der Menschenrechtserklärung von 1789 zu unbestimmt, um aus ihnen konkrete Rechtsfolgen zu ziehen23.
2. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze und ihre Funktion Der französische Staatsrat kontrolliert als oberstes Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit von administrativen Rechtsetzungs- und Rechtsanwendungsakten nicht nur im Hinblick auf ihre Übereinstimmung mit dem positiven Recht, sondern auch anhand von allgemeinen Rechtsgrundsätzen (principes généraux du droit). Dabei handelt es sich um ungeschriebene Rechtssätze allgemeinen Inhalts, die der Staatsrat aus der gesamten Rechtsordnung, inklusive der Verfassung, deduziert hat. Dieser Deduktionsprozeß war bis zu den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts von der Verallgemeinerung gesetzlicher Regelungen geprägt; seit dieser Zeit nimmt die Rechtsprechung des Staatsrates keinen ausdrücklichen Bezug auf das positive Recht, sondern entwickelt solche Grundsätze auch ohne konkrete gesetzliche Inspirationsquelle24. vgl. auch Rivero, Les Libertés publiques (Lib. Pubi.), Bd. I, Les Droits de l'homme, S. 176; Robert, Libertés publiques et droits de l'homme, S. 88 ff. und Stahl, Die Sicherung der Grundfreiheiten im öffentlichen Recht der fünften französischen Republik, S. 37 ff. Die Lektüre der Urteile spricht eher für Zurückhaltung: s. Bacot, RDP 1989, 685 ff; vgl. auch Lachaume, Les grandes décisions de la jurisprudence, Droit administratif, S. 35. 22 CC, 17. Juli 1971, RCC 1971, 29. 23 So z.B. das Prinzip der Gleichheit vor Naturkatastrophen; CE, 29. November 1968, RDP 1969, 686 mit Anm. Waline. 24 Savoie , in Grabitz (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, S. 219; de Laubadère/Venezia/Gaudemet , Traité de dr. adm., Bd. I, S. 505; Stahl, Die Sicherung, S. 44 f.
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Die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Rechtsprechung des Staatsrates sind sehr zahlreich. Unter ihnen befinden sich verschiedene Varianten des Gleichheitssatzes (Gleichheit vor und im service public, Gleichheit beim Zugang zum öffentlichen Dienst und innerhalb des Dienstes, Gleichheit bei der Benutzung des öffentlichen Eigentums u.v.m.) sowie wichtige Freiheitsrechte: Die Freizügigkeit, die Freiheit des Handels und der Industrie, die Freiheit der Lehre, die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Garantie der Anfechtungsklage gegen jeden Verwaltungsakt23, Verfahrensgrundrechte u.v.m.26. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze binden die gesamte Verwaltungstätigkeit, inklusive der administrativen Normsetzung27. Parlamentsgesetze werden allerdings vom Staatsrat nicht auf ihre Übereinstimmung mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen geprüft, was schließlich aber auch für die Übereinstimmung der Gesetze mit dem Verfassungsrecht gilt. Das formale Gesetzesrecht derogiert diese Prinzipien; der Gesetzgeber kann ihre Geltung somit beschränken oder ausschließen28. Die Rechtsprechung des Staatsrates bemüht sich jedoch, von den allgemeinen Rechtsgrundsätzen abweichende Parlamentsgesetze restriktiv auszulegen. Bis zur Errichtung einer echten Verfassungsgerichtsbarkeit und zur Anerkennung von Verfassungskraft zu den Freiheitsgewährleistungen der Präambel haben diese Normen gerichtlichen Ursprungs die freiheitssichernde Funktion der deutschen Grundrechte wahrgenommen29. 23
CE, 17. Februar 1950, Dame Lamotte, Ree. 1950, S. 110 f. Allerdings befinden sich unter diesen Grundsätzen auch Prinzipien, die keine Rechte des Bürgers, sondern allgemeine Regeln des Verwaltungslebens beinhalten, ja sogar die Rechtsgrundlage für Beschränkungen von Verfassungsgarantien sind. Beispielhaft sind zu erwähnen: die Kontinuität des service public, die das Streikrecht von Angehörigen des öffentlichen Dienstes beschränkt, oder die Neutralität des service public, die in gewissen Hinsichten die Meinungsfreiheit von Beamten im Dienst begrenzt. 27 CE, 28. Oktober 1960, De Laboulaye, Ree. 1960, 270; Savoie , in Grabitz (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, S. 220 f.; Colliard, Libertés publiques, S. 108; Robert, Libertés publiques, S. 91; de Laubadère/Venezia/Gaudemet , Traité de dr. adm., Bd. I, S. 505; Miclos , AJDA 1982, 115 ff. 28 Miclos, AJDA 1982, 117; Carbajo , AJDA 1981, 176; de Laubadère/Venezia/Gaudemet , Traité de dr. adm., Bd. I, S. 509; J.M. Auby , Droit public I, S. 236; Krumpholz , Der Gleichheitssatz im französischen Recht, S. 71. 29 Braud, La notion de liberté, S. 323. Zur freiheitssichernden Funktion der allgemeinen Rechtsgrundsätze während des Regimes von Vichy s. Morange, RDP 1977, 766 f.; Savoie, in Grabitz (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, S. 218; Colliard, Libertés publiques, S. 106; Krumpholz, Der Gleichheitssatz, S. 69; Krech, Die Theorie, S. 12 f. 26
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Man ist sich heute einig, daß eine zweite Art von allgemeinen Rechtsgrundsätzen besteht: Es existieren heute in der Tat allgemeine Rechtsgrundsätze, die Verfassungsrang erlangt haben30. Es sind namentlich diejenigen, die der Verfassungsrat von der Rechtsprechung des Staatsrates übernommen31 und ihre Geltung auf Vorschriften der Menschenrechtserklärung von 178932 zurückgeführt hat. Hierzu gehören z.B. die Freizügigkeit oder die Freiheit der Lehre; es ist dabei äußerst umstritten, ob die Freiheit des Handels und der Industrie Verfassungsrang besitzt oder nicht33.
3. Verfassungsrechtliche Freiheiten und allgemeine Rechtsgrundsätze in einem System des Freiheitsschutzes Es fällt auf, daß mehrere dieser Gewährleistungen auf verschiedenen Ebenen dieses mehrschichtigen Gefüges erscheinen, d.h. auf mehrere Rechtsquellen zurückzuführen sind: So muß der Verfassungsrat feststellen 34: "Die persönliche Freiheit stellt eines der fundamentalen Prinzipien dar, die von den Gesetzen der Republik garantiert, von der Präambel der Verfassung von 1946 verkündet und von der Präambel der Verfassung von 1958 bestätigt werden". Der allgemeine Gleichheitssatz stellt ebenfalls nicht nur einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Staatsrates dar, sondern wird ausdrücklich von der Menschenrechtserklärung, wie auch von der Verfassung von 1958 (Art. 2) selbst, garantiert. 30
Robert, Libertés publiques, S. 91; Savoie , in Grabitz (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, S. 220 f.; de Laubadère/Venezia/Gaudemet , Traité de dr. adm., Bd. I, S. 505 f.; Rivero , Droit administratif, S. 98; JM. Auby, Droit public I, S. 237; Krumpholz , Der Gleichheitssatz, S. 73; vgl. auch Morange, RDP 1977, 771 ff., 776 m.w.N. (FN 19); Morange schlägt sogar eine weitere Kategorie von Rechtsgrundsätzen vor, namentlich derjenigen, die aus den autonomen administrativen Verordnungen abgeleitet werden; vgl. auch Nitsch, RDP 1981, 1549 ff. (1569). 31 Oberdorff, RDP 1989, 635 ff. (671), spricht von einer "Osmose" zwischen den beiden Gerichten. 32 So z.B. der Gleichheitssatz durch das Urteil des CC, 27. Dezember 1973, RCC 1973, 25; s. Miclos, AJDA 1982, 118; auch der Staatsrat hat in der Vergangenheit mehrfach allgemeine Rechtsgrundsätze aus der Präambel abgeleitet, was wenig zur Rechtsklarheit beiträgt; vgl. de Laubadère/Venezia/Gaudemet , Traité de dr. adm., Bd. I, S. 506 f. 33 Der Verfassungsrat selbst scheint eine klare Antwort zu vermeiden; s. CC, 22. Januar 1990, RCC 1990, 33 ff.; vgl. auch Kdhir, DS 1994, Chronique, 30 ff. 34 CC, 12. Januar 1977, RCC 1977, 34; Übersetzung des Verfassers.
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Der Rechtsschutz in Frankreich beruht auf einer strengen Trennung zwischen der Kontrolle von Akten der Verwaltung und der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Parlamentsgesetzen. Der Staatsrat lehnt es in ständiger Rechtsprechung immer ab, eine inzidente Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen durchzuführen 35. Die Zuständigkeit des Verfassungsrates erfaßt andererseits die Kontrolle administrativer Handlungen grundsätzlich nicht. Diese Trennung findet auch einen gewissen Niederschlag in den entsprechenden Maßstäben der gerichtlichen Kontrolle. Während für die Verfassungsmäßigkeitskontrolle von Gesetzen die Anwendung von Freiheitsgarantien mit Verfassungsrang von größter Bedeutung ist, war die Anwendung solcher Garantien für lange Zeit bei der Beurteilung des Verwaltungshandelns der Ausnahmefall. Bis 1971 beruhte der Freiheitsschutz vor dem administrativen Handeln auf den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Staatsrats36. Nach 1971 hat sich dies nur zum Teil und allmählich geändert. Der Staatsrat hat nämlich in seinem Selbstverständnis als Verwaltungsgericht der Gesetzes- und nicht der Verfassungsmäßigkeit 37 eher gezögert, verfassungsrechtliche Garantien unmittelbar auf das Verwaltungshandeln anzuwenden38. Statt dessen hat er es vorgezogen, seine eigene Dogmatik der allgemeinen Rechtsgrundsätze fortzubilden, da ihm diese Vorgehensweise auch größere Freiheit bei der Urteilsfindung einräumt39. Eine herausragende Rolle für die Beurteilung der Verwaltungstätigkeit kommt den allgemeinen Rechtsgrundsätzen im übrigen schon wegen ihrer Spezialität zu; während die Verfassungstexte lediglich eine abstrakte Gleichheit vor dem Gesetz garantieren, besteht in der Rechtsprechung des Staatsrates eine Vielfalt von vorgeprägten allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den allgemeinen Gleichheitssatz für bestimmte Verwaltungssituationen typisieren40 und deshalb leichter handhabbar sind. Die traditionell auf diese Weise verbürgten Grundrechte stellen den harten Kern des Verwaltungsrechts dar, sie sind die traditionellen und regulären Kontrollmaßstäbe des Verwaltungshandelns. 35
Stellvertretend Oberdorff, RDP 1989, 672; Savoie, in Grabitz (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, S. 220. 36 Jarass, DÖV 1981, 813 ff. 37 Luchaire, La protection, S. 97. 38 Stahl, Die Sicherung, S. 44; Favoreu, RFDA 1989, 142; Vedel/P. Delvolvé, Droit administratif I, S. 449. 39 S. Braud, La notion de liberté, S. 323. 40 So z.B. die Grundsätze der Gleichheit vor den öffentlichen Aufgaben, vor den öffentlichen Lasten oder bei der Benutzung des öffentlichen Eigentums.
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Obwohl die Berufung auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze die Regel bleibt41, kann man dennoch davon ausgehen, daß diese zögerliche und auf einer intellektuellen Gewohnheit basierende42 Haltung des Staatsrats allmählich aufgegeben wird. Seit 1971 wendet der Staatsrat die Verfassungsverbürgungen und die fundamentalen Prinzipien immer öfter auf das Verwaltungshandeln unmittelbar an, besonders in Bereichen, wo noch keine vorgeformten allgemeinen Rechtsgrundsätze vorhanden sind, wie z.B. im Ausländerrecht 43. Im Jahre 1988 sind schon 800 Urteile gezählt worden, in denen der Staatsrat sein Urteil auf die Freiheiten der Präambeln der Verfassungen von 1958 und 1946 sowie der Menschenrechtserklärung und auf die fundamentalen Prinzipien des Verfassungsrats gestützt hatte44. Die weiteren Ausführungen werden aus diesem Grunde die Grundrechtsbindung von Verwaltungstrabanten im Hinblick sowohl auf die traditionelle Geltung der als allgemeine Rechtsgrundsätze gewährleisteten Grundrechtsgehalte als auch im Hinblick auf die unmittelbare Anwendung verfassungsrechtlich verbriefter Garantien behandeln. Man darf allerdings dabei nicht verkennen, daß in Fragen der Leistungsverwaltung, deren Aufgaben in den meisten Fällen von verselbständigten Verwaltungseinheiten wahrgenommen werden, die Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze des Staatsrates das anwendbare Recht maßgeblich prägt.
4. "Öffentliche Freiheiten" als Sonderbindungen der Verwaltung Aus den vorstehenden Ausführungen ist ersichtlich geworden, daß das Verständnis der "öffentlichen Freiheiten" als bindender Vorschriften mit Verfassungsrang sich allmählich, nach heftigem Streit und erst in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Dementsprechend45 wird die Frage der Aus41
S. Krumpholz, Der Gleichheitssatz, S. 65, 68, 73. Fromont, in Skouris (Hrsg.), Advertising and Constitutional Rights in Europe, S. 91 ff. (94). 43 Favoreu, RFDA 1989, 143. 44 Favoreu, RFDA 1989, 143, FN 2. Der Schwerpunkt dieser Judikatur liegt allerdings in der Kontrolle der Einhaltung von Freiheitsgewährleistungen bei Maßnahmen der Eingriffsverwaltung, z.B. bei der Ausweisung von illegal eingereisten Immigranten. 45 Rivero , in Festshrift Cassin, Liber amicorum discipilorumque, Bd. ΙΠ, S. 311; Iliopoulos-Strangas, I "Tritenergeia" ton atomikon kai koinonikon dikaiomaton, S. 39. 42
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richtung dieser Garantien ausschließlich auf staatliches Handeln, die ja umgekehrt auch als die Frage der Drittwirkung der Freiheitsverbürgungen gestellt werden kann, nur selten behandelt46. Im klassischen französischen Verfassungsrecht ist, wie schon angedeutet, statt von Grundrechten die Rede von "öffentlichen Freiheiten" (libertés publiques) bzw. von Menschenrechten (droits de l'homme). Der Unterschied ist nicht nur ein terminologischer. Da bis 1971 die Gewährleistung von Freiheitsbereichen im Grunde lediglich den Charakter von objektiven Wertprinzipien hatte und nicht unmittelbar justiziabel war, bedeuteten die "öffentlichen Freiheiten" keine subjektiven öffentlichen Rechte mit konkretem Adressaten. Der Begriff der "öffentlichen Freiheiten", genau wie der Begriff der "Menschenrechte" gleichwertig beschreibt die freiheitliche Gewährleistung eher von der Seite des Bürgers her, ohne konkrete Aussagen über seinen Adressaten zu treffen 47. Philippe Braud definiert die "öffentlichen Freiheiten" als Pflichten zulasten des Staates und sieht ihren besonderen Charakter (im Gegensatz zu den privaten Rechten) in ihrer Ausrichtung gegen den Staat48. Ähnlich sehen Colliard und Burdeau in den "öffentlichen Freiheiten" Rechte des Individuums, die die öffentliche Macht begrenzen und den Bürgern eine eingriffsfreie Sphäre ("sphère de non-contrainte") verschaffen 49. Braud akzeptiert allerdings, daß manche dieser Freiheiten von Natur aus auch gegen Private gerichtet sind30. Dagegen besteht die Auffassung, daß die Drittwirkung der "Grundrechte" in Frankreich "allgemein anerkannt" sei31. Rivero meint, daß die "öffentlichen Freiheiten" nicht ausschließlich in den Beziehungen zwischen den Bürgern und dem Staat gelten32. Nach seiner Auffassung sind diese Garantien nicht in besonderem Maße gegen den Staat, sondern gegen jegliche Form der überlegenen Macht gerichtet, sei es wirtschaftliche, soziale oder moralische
46
Savoie , in Grabitz (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, S. 232. Zu diesem grundlegenden Unterschied zwischen Grundrechten und Menschenrechten s. Isensee, HStR V, §155, Rdnr. 54 ff, S. 383. 48 Braud, La notion de liberté, S. 47 ff, 65, 73. 49 Colliard , Libertés publiques, S. 18 f.; Burdeau , Les libertés publiques, S. 22. 30 Braud , La notion de liberté, S. 77. 31 Savoie , in Grabitz (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, S. 232; Itin, Grundrechte, S. 47, beide ohne weitere Nachweise. 52 Rivero, Lib. pubi. I, S. 22. 47
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2. Kap.: Grundrechte als staatliche Sonderbindungen
Autorität 33. In diesem Sinne wird angeführt, daß die "öffentlichen Freiheiten" primär gegen die anderen Mitmenschen, sodann gegen gesellschaftliche Gruppen und nur in letzter Linie gegen den Staat gerichtet sind34. Dabei obliege es dem Staat und insbesondere der Gesetzgebung, diese Freiheiten anzuerkennen und durch entsprechende Maßnahmen gegen Eingriffe aus jeglicher Richtung zu schützen33. Auch in praxi seien die "öffentlichen Freiheiten" gegen Private durchsetzbar, denn auch der Zivilrichter sei ein an die Verfassung gebundenes staatliches Organ, das durch seine Urteile den "öffentlichen Freiheiten" auch in privatrechtlichen Beziehungen zur Anwendung zu verhelfen habe36. In einem Teil des französischen Schrifttums besteht die Tendenz, den Freiheitsschutz als Wahrnehmung einer gesetzgeberischen Schutzpflicht darzustellen, d.h. die verschiedenenen Gesetze zu besprechen, wodurch einzelne Gewährleistungen auf verschiedene Weisen auch gegen Private geschützt werden. Manchmal ist aber doch nicht zu übersehen, daß mit Ausführungen dieser Art "der rein juristische und formale Freiheitsbegriff verlassen wird" 37. Diese Argumentation geht nicht in die Richtung einer unmittelbaren Ausrichtung der Freiheitsgewährleistungen auch gegen Privatpersonen; sie betont eher den objektiven Charakter der "öffentlichen Freiheiten". Die dargestellten Auffassungen beschreiben objektive Ausstrahlungswirkungen und sich daraus ergebende staatliche Schutzpflichten, aber keine Transformation der Grundrechte in zivilrechtliche Ansprüche. Die Problematik der Drittwirkung ist in hohem Maße mit dem subjektiven Charakter öffentlicher Rechte verknüpft, der im französischen Verwaltungsrecht weniger relevant ist. Aus diesem Grunde bezeichnet Rivero die Diskussion um die Drittwirkung der Grundrechte als einen Import aus Deutschland38. Die Zivilgerichtsbarkeit wendet die "öffentlichen Freiheiten" in privatrechtlichen Verhältnissen grundsätzlich nicht an39. Im großen und ganzen 33
Rivero, Lib. pubi. I, S. 194. Robert , Libertés publiques, S. 19 f. 33 Rivero , in Festschrift Cassin, S. 316; ders., Lib. pubi. I, S. 22 f. 36 Rivero, in Festschrift Cassin, S. 320. 37 Duverger/Sfez, in Bettermann/Neumann/Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 1, Halbband 2, S. 543 ff. (590). 38 Charakteristisch ist die Tatsache, daß die französische Literatur keinen eigenen Terminus für den Begriff der "Drittwirkung" entwickelt hat; stattdessen wird immer der deutsche Begriff erwähnt. 39 Savoie , in Grabitz (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, S. 233; IliopoulosStrangas, I "Tritenergeia", S. 40. 34
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bleibt die Anwendung dieser Garantien im Privatrecht im Bereich der Auslegung von Generalklauseln beschränkt, insbesondere der Artikel 6 und 1133 des Code Civil60. Die "öffentlichen Freiheiten" stellen somit für die zivile Judikatur bloß eine Inspirationsquelle dar, die ggf. über die genannten Generalklauseln zur Nichtigkeit gewisser Verträge führen kann61. Das französische Zivilrecht kennt in der Tat eine Vielzahl von Normen, die grundrechtliche Werte in die Privatrechtsordnung einbringen: Man denke etwa an den Schutz der Privatsphäre über Art. 9 CC oder an gewisse "private Freiheiten" (libertés privées), wie die Freiheit der Eheschließung62, also allgemeiner Rechtsgrundsätze mit Grundrechtsgehalt, die ausschließlich in privatrechtlichen Beziehungen Anwendung finden 63. Dabei handelt es sich um Zivilrechtsnormen, die den Grundrechtsgehalten genau deshalb im Zivilrecht zur Geltung verhelfen müssen, weil die "öffentlichen Freiheiten" in Beziehungen unter Privaten nicht unmittelbar anwendbar sind64. Die genannte Rechtsprechung, wie auch das Erstarken der "öffentlichen Freiheiten" zu gerichtlich durchsetzbaren Garantien, führt zu dem Ergebnis, daß man heutzutage auch in Frankreich von den "öffentlichen Freiheiten" als 60
Foyer, L'influence de la constitution sur le droit privé, Vortrag gehalten in der ersten französisch-griechischen Juristentagung, berichtet von Blanc-Jouveau in Rev. Int.d.Dr.Comp. 1982, 249. 61 Foyer, Rev.Int.d.Dr.Comp. 1982, 249; in diesem Sinn auch die Diskussionsbeiträge von Fromont und Legeais, Rev.Int.d.Dr.Comp. 1982, 252 ff. 62 Im Urteil des Kassationshofes (Cour de Cassation) vom 19. Mai 1978, Dame R. gegen Association pour l'éducation populaire Sainte-Y., D. 1978, 546, hat das höchste französische Zivilgericht den allgemeinen Schutz einer nicht näher beschriebenen Freiheit der Eheschließung (liberté du mariage) zwar bejaht, im konkreten Fall jedoch als nicht einschlägig erklärt. Das Gericht unternimmt dabei keine Anstrengung, die Geltung dieses Grundsatzes irgendwie zu begründen. Da diese Freiheit weder in der Erklärung der Menschenrechte, noch in der Präambel der Verfassung von 1956 erwähnt wird, noch als fundamentaler Grundsatz der Gesetze der Republik je an-erkannt wurde, ist ihre Position in der Rechtsordnung Gegenstand einer Kontroverse. Ardant (D. 1978, 546 ff) nimmt Stellung für seine Geltung als "öffentliche Freiheit" und beruft sich auf die zitierten Verfechter der "horizontalen" Geltung der öffentlichen Freiheiten. Jedoch muß auch Ardant zugeben, daß die ganz herrschende Lehre diese Freiheit als ein zivilrechtliches Prinzip auf der Ebene des ordre public betrachtet. 63 Blaise/Fromont, Das Wirtschaftsrecht, S. 62 f. 64 So mußte z.B. der Schutz der Privatsphäre in den Text des Art. 9 CC ausdrücklich hinzugefugt werden. S. den Sachverhalt Isabelle Adjani gegen Journal Aurore, Appelationshof von Paris, Urt. vom 27. Februar 1981, D. 1981, 457 f. mit Anm. Lindon. Zum zivilrechtlichen Schutz der Persönlichkeitsrechte in Frankreich Blaise/ Fromont, Das Wirtschaftsrecht, S. 62 ff.
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2. Kap.: Grundrechte als staatliche Sonderbindungen
ausschließlich gegen den Staat gerichteten Rechten/Garantien des Bürgers sprechen kann. Wichtig ist lediglich, daß sie vom Bürger gegen den Staat unmittelbar geltend gemacht werden können, und daß dies nicht für die Beziehungen zwischen Privaten gilt. In diesem Sinne stellen die "öffentlichen Freiheiten" echte Sonderbindungen der Verwaltung dar. Auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Staatsrates sind Rechtssätze, die ausschließlich die Beziehungen zwischen Bürger und Verwaltung regeln. Von der Verwaltungsgerichtsbarkeit entwickelt und innerhalb ihrer Grenzen zur Anwendung bestimmt, ist ihnen die ausschließliche Staatsrichtung insofern immanent, als die Verwaltungsgerichtsbarkeit nur Streitigkeiten zwischen dem Staat und den Bürgern erfaßt.
IV. Staatliche Sonderbindungen mit Grundrechtsgehalt im englischen Recht 1. Grundrechtsgewährleistungen und englisches Verfassungsrecht Das Prinzip der Souveränität des Parlaments stellt die Grundnorm der englischen Verfassungstradition dar65. Es besagt unter anderem, daß das Parlament keiner Rechtsquelle untergeordnet ist und daß Rechtsetzungs- wie auch Rechtsprechungsakte ohne Ausnahmen vom Parlament revidiert werden können66. Diese unbeschränkte Geltung der parlamentarischen Superiorität gegenüber allen Gewalten im Staate, die Unmöglichkeit der Bindung des Gesetzgebers an höherrangige Rechtssätze, steht der Entstehung eines mit formeller Verfassungskraft ausgestatteten Grundrechtskatalogs im Wege. Die vor allem wegen ihrer historischen Bedeutung als verfassungsrechtlich angesehenen Texte stellen in der Regel punktuelle Forderungen auf und regeln begrenzte Sachverhalte. Die heute noch gültigen vier großen historischen Dokumente Magna Charta Libertatum (1215), Petition of Rights (1627), Bill of Rights (1689) und Act of Settlement (1701) gestehen bestimmten Bevölkerungsgruppen persönliche Freiheitsbereiche zu, jedoch beinhalten sie keine allgemeinen und abstrakten Gewährleistungen, wie sie uns aus der franzö65
De Smith/Brazier, Constitutional and Administrative Law (Const, and Adm. Law), S. 64. 66 Jolowicz, The Judicial Protection of Fundamental Rights under English law, S. 44.
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sischen Erklärung der Menschenrechte von 1789 geläufig sind67. Die englische Verfassungstradition zieht es vor, auf abstrakte mit Verfassungsrang ausgestattete Grundrechtsgarantien, wie den allgemeinen Gleichheitssatz68 oder das Recht auf Meinungsfreiheit, zu verzichten69. Das Regime der Freiheitsrechte in England ist in weitem Ausmaß von eher politisch-moralischen als juristischen Garantien bestimmt. Wie Jaconelli bemerkt, scheint der englische Jurist die Errichtung eines informellen Beschwerdeausschusses der Gewährung von justiziablen Rechten vorzuziehen70. Der englische Konfliktlösungsstil betont eher das politische Element, das die Freiheit in jenem Land Jahrhunderte lang geschützt haben soll. Der englische Jurist betrachtet es ferner als "unnatürlich", daß gewisse Freiheitsbereiche besonders hervorgehoben sein sollten71. Der berühmte Satz "There is no more a "right of free speech" than there is "a right to tie up my shoe-lace" (Sir Ivor Jennings) bringt diese geistige Haltung besonders klar zum Ausdruck. Somit entsteht ein System, in dem der Bürger alles tun darf, was vom Gesetz nicht verboten ist72; man kann also von einem Residualcharakter der Grundfreiheiten in England sprechen73. 67
C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 157; Geisseier, Reformbestrebungen im englischen Verfassungsrecht, S. 20 f. ; vgl. Dicey, Introduction to the study of the Law of the Constitution, S. 198 f.; Feldman, Civil Liberties and Human Rights in England and Wales, S. 61. 68 Kingston , in Grabitz, (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, S. 743. 69 In jüngerer Zeit bestehen Reformbestrebungen in die Richtung der Verfassung einer englischen Bill of Rights (auf dem Niveau eines einfachen Gesetzes) oder der Übernahme des Grundrechtskatalogs der EMRK, deren Mitglied auch das Vereinigte Königreich ist, in das nationale Recht; s. dazu die neueren Aufsätze von Lord BrowneWilkinson , PL 1992, 397 ff., und Sir John Laws , PL 1993, 69 ff. und des., MLR 1994, 213 ff. (222 ff.). Aus deutscher Perspektive von Simson, in Festschrift v. Simson, S. 177 fT. 70 Jaconelli, Enacting a Bill of Rights, S. 21. 71 Sir Cowen, Cowen's Individual Liberty and the Laws, S. 17. 72 Street, Freedom, the Individual and the Law, S . l l . 73 De Smith/Brazier, Const, and Adm. Law, S. 423; Palley, The United Kingdom and Human Rights, S. I l l ; Stevens/Yardley, The protection of Liberty, S. IX; Kingston, in Grabitz, (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, S. 770; Crombach, DVB1. 1973, 561 ff; Geisseier, Reformbestrebungen, S. 13; Feldman, Civil Liberties, S. 61; Sir Cowen, Cowen's Individual Liberty, S. 16 f.; O. Hood Phillips', Constitutional and Administrative Law, S. 424; Taliadouros , Rev.hel.dr.int. 35-36 (1982/3), 191 ff. (213); a.A. Koch, Zur Einführung eines Grundrechtskataloges im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, S. 64, der dieser ganz herrschenden Auffassung extremen Rechtspositivismus vorwirft.
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2. Kap.: Grundrechte als staatliche Sonderbindungen
Aus diesen Gründen stellen die Grundrechte keine geschlossene verfassungsrechtliche Begrifflichkeit als solche dar, sondern sind in der Form von Menschenrechten (human rights) oder bürgerlichen Freiheiten (civil liberties) eher als politisch-moralische bzw. didaktische Kategorien anzusehen74. Die englische Rechtsordnung verstärkt diese "Menschenrechte" zu konkreten Ansprüchen nur, wenn das einfache, für jedermann gültige, "allgemeine" Recht (Law of the Land) sie anerkennt und schützt75. Es ist Aufgabe der Gerichte, dieses Law of the Land zu erkennen76; es besteht aus den durch die Rechtsprechung der Gerichte fortentwickelten Rechtssätzen (common law) und dem Gesetzesrecht parlamentarischen Ursprungs77. Der vom Parlament gewährte Grundrechtsschutz wird von historischer Zufälligkeit, Zersplitterung und Kasuistik geprägt. Zu diesem zerstreuten Gesetzeswerk gehören beispielhaft die Habeas Corpus Acts (1689 und 1816), sowie die neueren Equal Pay Act (1970), Race Relations Act78 und Sex Discriminations Act (1975). Die englische Rechtstechnik hat allerdings ihren Schwerpunkt im richterlichen Fallrecht und meidet die Formulierung von Prinzipien mit genereller Reichweite. In den Fällen aber, in denen punktuell Grundrechte durch spezielle Gesetzgebung anerkannt und geschützt werden, erstreckt sich ihr persönlicher Anwendungsbereich gleichermaßen auf staatliche wie auch auf private Eingriffe. Das Gesetz gegen die Diskriminierung von ethnischen Gruppen (Race Relations Act 1976, section 75 (1)) ist nicht nur auf Akte anwendbar, die der Krone zugerechnet werden, sondern erfaßt gleichermaßen Rechtsgeschäfte von Privatpersonen. Ähnlich konstruiert sind die Gesetze zur gleichen Entlohnung (beider Geschlechter) Equal Pay Act 1970, gegen Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts (Sex Discriminations Act 1975) und das Gesetz in bezug auf die informationelle Selbstbestimmung (Data Protection Act 1984).
74
Palley, The United Kingdom, S. 53; Stevens/Yardley, a.a.O.; Lord Scarman in der Einleitung zu Gostin (Hrsg.), Civil Liberties in Coflict, S. ΧΠ. 75 Palley, The United Kingdom, S. 53 ff; James, Introduction to English Law, S. 157; Lester, PL 1984, 46 f. 76 Von Simson, in Festschrift für Karl Carstens, Bd. 2, S. 853. 77 S. von Simson, in Festschrift Carstens, S. 853 ff. 78 Zuletzt re vidiert vom Parlament in 1976.
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2. Grundrechtsgehalte in der Beurteilung des Verwaltungshandelns durch die Gerichte a) Vorbemerkung
Juristischer Grundrechtsschutz erfolgt vor allem durch die Gerichte. Das common law beinhaltet zwar an sich keine Liste von Freiheitsrechten; die Gerichte erzielen jedoch einen gewissen Grundrechtsschutz gegenüber der Exekutive dadurch, daß sie ihren Entscheidungen die Bedeutung der Freiheit zugrundelegen und bei der Auslegung des Rechts die Bewahrung individueller Freiheiten im Sinne haben79. Die Gerichte sind aber in ihren Urteilen an das Parlamentsrecht derart gebunden, daß sie bei deutlicher gesetzlicher Formulierung auch eventuelle grundrechtliche Bedenken beiseite lassen müssen: Ein Rechtsschutz vor der Willkür des Gesetzgebers ist in keiner Form vorhanden80. Der gerichtliche Freiheitsschutz konkretisiert sich besonders durch die Berücksichtigung der Grundrechte bei der Anwendung von allgemeinklauselartig konzipierten gerichtlichen Maßstäben des Verwaltungshandelns. Die Staatsgerichtetheit und der Grundrechtsgehalt dieser Maßstäbe müssen anhand ihrer Entstehung und Funktionsweise dargestellt werden.
b) Die Maßstäbe der gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns und ihre dogmatische Grundlage
Aufgabe des Richters im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns ist es zu prüfen, ob die Verwaltung die Grundregel einer gerechten Verfahrensgestaltung eingehalten hat (natural justice und fairness) und ob sie innerhalb der Grenzen ihrer gesetzlichen Ermächtigung oder in Überschreitung dieser Grenzen, also ultra vires, gehandelt hat81. Was das Verfahren betrifft, so geben die Grundsätze nemo judex in causa sua und au-
79
Geisseier, Reformbestrebungen, S. 23 (allerdings reserviert, s. auch S. 41); Crombach, DVB1. 1973, 562; Scarman, Col.L.Rev. 1987, 1575 ff. (1584); Koch, Zur Einführung, S. 63; Taliadouros, Rev.hel.dr.int. 35-36 (1982/3), 214; skeptisch allerdings Feldman, LQR 1990, 246 ff. (259). 80 Lord Scarman. Col.L.Rev. 1987, 1584; Browne-Wilkinson y PL 1992, 402. 81 Für viele Bell, in Dupuis (Hrsg.), Le contrôle jurisdictionnel de l'administration, S. 73 ff. (80); Spoerr, VerwArch 82 (1991), 25 ff. (38). 10 Gogos
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2. Kap.: Grundrechte als staatliche Sonderbindungen
diatur et altera pars eine adäquate Zusammenfassung der geforderten Gerechtigkeitsmaßstäbe im Rahmen der natural justice bzw. fairness Doktrin 82. Während das Prinzip des fairen Verfahrens seine Legitimation unmittelbar in naturrechtlichen Erwägungen über die Gestaltung von kontradiktorischen Verfahren findet, bietet die Souveränität des Parlaments die theoretische Grundlage für die Prüfung der substantiellen Rechtmäßigkeit von Verwaltungsmaßnahmen durch die Gerichte. Der ultra vires Maßstab bezweckt die Respektierung des Willens des Parlaments: Die Gerichte sollen die Verwaltung dazu zwingen, nur in dem Rahmen tätig zu werden, in dem es ihr die Volksvertretung gestattet, und sie davon abhalten, in die Zuständigkeit des Parlaments einzugreifen 83. Die englische Lehre spricht in diesem Zusammenhang von Kontrolle aufgrund der "source of power", der Quelle der Handlungsbefügnis. Nach der klassischen Auffassung waren Rechtsfehler nur dann gerichtlich korrigierbar, wenn sie die Handlungsermächtigung (jurisdiction84) der Verwaltung betrafen. Wenn aber die Verwaltung innerhalb der vom Gesetzgeber eingeräumten (und manchmal sehr weiten) Spielräume entscheidet, so bleiben grundsätzlich die Ermächtigungsgrenzen gewahrt. Subsumtionsfehler waren demzufolge nur dann maßgeblich, wenn sie anhand des Schriftsatzes der Entscheidung erkennbar waren (error of law on the face of the record) 85. Im Laufe der Jahre erweiterte sich jedoch die gerichtliche Kontrolle, so daß Rechtsfehler auch bei der Ermessensausübung (im weiteren Sinne aller Spielräume, die das Gesetz der Verwaltung bietet) erfaßt wurden86. Eine erweiterte ultra vires Lehre hat im Bereich der Kontrolle der Ermessensausübung zur Herausbildung von abstrakten Kriterien geführt, die als immanente und stillschweigende Grenzen der gesetzlichen Ermächtigung begriffen werden: die Wahrung von Maßstäben der Vernunft bei der Ermessensausübung, die Befolgung des Ziels der Ermächtigung und die Berücksichtigung aller Belange, aber auch nur dieser, die das Gesetz (explizit oder implizit) als maßgeblich erachtet. 82
De Smith/Evans, De Smith's Judicial Review of Administrative Action, S. 156 ff. Baldwin/McCrudden, Regulation and the Public Law, S. 69; Spoerr, VerwArch 82 (1991), 39. 84 Das englische Wort "jurisdiction" ist mit dem Wort "power" (= Befugnis) ohne Präzisionsverluste gleichzusetzen; s. Sir W. Wade/Forsyth, Administrative Law, S. 42. 85 S. Aldous/Alder, Applications for Judicial Review, S. 11 f. 86 Oliver, PL 1987, 543 ff.; Foulkes, Administrative Law, S. 191. 83
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Im grundlegenden Anisminic Urteil kommt diese Entwicklung dadurch zum Ausdruck, daß sämtliche Rechtsfehler als justiziabel erklärt werden, ohne Rücksicht darauf, ob sie auf Übertretung der gesetzlichen Ermächtigung zurückzuführen sind oder ob sie im "intra vires" Bereich liegen87. Somit ist die Kategorie des "error of law on the face of the record" eigentlich überflüssig geworden88. Diese graduelle Erweiterung des Kreises der Rechtsfehler, die als Ermächtigungsüberschreitungen (oder eben als Fälle des Nichtgebrauchs der Ermächtigung) aufgefaßt wurden, hat zu einer gewissen Konturlosigkeit der ultra vires Doktrin geführt 89, die letztendlich zu einem dogmatischen "Prokrustes-Bett" wurde90. Schon 1972 war es klar erkennbar, daß die ultra vires Doktrin weit über ihr anfangliches Konzept hinaus erweitert worden war, um die gerichtliche Überprüfung von Akten zu ermöglichen, die von ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen nicht beschränkt werden, oder die innerhalb absichtlich zugelassener weiter Beurteilungsspielräume getroffen werden91. Mit Recht wird also behauptet, daß ein System der Verwaltungskontrolle aufgrund allgemeiner Prinzipien des "guten Verwaltens" unabhängig von der Legitimationsquelle staatlichen Handelns und der damit verbundenen ultra vires Prüfung im Entstehen begriffen ist92. Lord Diplock hat diesen Prozeß im Urteil G.C.H.Q. zu einem dogmatischen Endergebnis geführt, indem er die Maßstäbe einer erweiterten ultra vires Doktrin zu "legality, procedural impropriety and irrationality" (genannt Diplock categories) zusammenfaßte.
87
Feldman, Public Admin. 1988, 21 ff. (30); C. Lewis, Judicial Remedies in Public Law, S. 129 f. Zu dieser Entwicklung auch Spoerr, VerwArch 82 (1991), 44 ff. 88 Mit dem Anisminic Urteil wurden sämtliche Rechtsfehler in den Begriff der Jurisdiction einbezogen, während nach dem G.C.H.Q. Urteil deutlich von einer Legalitätsprüfung die Rede ist. Andererseits erscheint diese Kategorie gelegentlich in Urteilen auch nach "Anisminic", so daß die Meinung vertreten wird, daß dem Maßstab von "error of law on the face of the record" immer noch eine selbständige Bedeutung zukommt. Dazu Cane, An Introduction to Administrative Law, S. 121 ff.; Spoerr, VerwArch 82 (1991), 46. 89 Harris, LQR 1992, 626 ff. (643); s. auch das Urteil R. v. Panel on Take-overs and Mergers ex p. Guinness pic., All ER 1989, Bd. 1, 509 (512 f.). 90 Wade/Forsyth, Admin. Law, S. 44. 91 Friedmann , in International Encyclopaedia of Comparative Law, Bd. ΧΠΙ, Chapter 13, S. 57. 92 Oliver , PL 1987, 545, 564; Harris , LQR 1992, 644; Bamforth , PL 1993, 239 ff. (242).
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2. Kap.: Grundrechte als staatliche Sonderbindungen c) Grundrechtsgehalte in den gerichtlichen Kontrollmaßstäben des Verwaltungshandelns
Da keine der Gesetzgebung übergeordneten Normen als Rechtsquellen anerkannt werden, ist nach der traditionellen Auffassung judicial review im Grunde eine Umschreibung für die gerichtliche Auslegung des konkret die Verwaltung zum Handeln ermächtigenden Gesetzes93. Die Interpretation des Rechts ist aber auch in England nur selten eine rein mechanische Angelegenheit94. Die genannten gerichtlichen Kontrollmaßstäbe werden oft Einfallstore bieten, wodurch abstrakte, richtungsweisende Prinzipien zur praktischen Konkretisierung und Anwendung kommen können. Zu aller erst muß die Verwaltung das ihr eingeräumte Ermessen ausüben und die konkrete Abwägung in jedem Einzelfall tatsächlich durchführen. Die handelnde Behörde kann bei der Ausübung ihres Ermessens (immer im weiteren Sinne jeglicher Entscheidungsspielräume) nur das entscheiden, was innerhalb der Grenzen des Spielraumes der Ermächtigung liegt. Diese einfachen Fälle der klassischen ultra vires-Lehre lassen nur in sehr begrenztem Maße Raum für grundrechtliche Erwägungen, besonders im englischen Recht, wo die grammatische Auslegung, da wo sie noch möglich ist, sich besonderer Wertschätzimg erfreut 95. Die Verwaltung darf ferner nur zu demjenigen Zweck tätig werden, zu dem ihr die gesetzlichen Handlungsbefügnisse eingeräumt wurden; sie darf also keine unlauteren Ziele (improper purposes96) verfolgen. Eine direkte gesetzliche Angabe der zu verfolgenden Zwecke kommt freilich relativ selten vor. Insofern ist der Richter oft gehalten, auf dem Wege der Auslegung des vorliegenden Gesetzes die legitime Zielsetzung des Verwaltungshandelns zu erkennen. Innerhalb dieser Prüfung entstehen gewisse Freiräume, in die grundrechtliche Maßstäbe einfließen können. Ein Beispiel, in dem ein staatlicher Eingriff in die Berufsfreiheit auf diese Weise abgewehrt wurde, bietet das Urteil Laker Airways v. Department of Trade97: Die damalige Regierung hatte beschlossen, der staatlichen Fluggesellschaft Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Zu diesem Zweck versuchte sie, die Konkurrenz durch die Privat93
Scarman, Col.L.R. 1978, 1585. J0M>ell/Lester, PL 1987, 368 if. 95 Koch , Zur Einführung, S. 49 f. 96 Auch als Padfield-Maßstab bekannt nach dem Urteil Padfleld v. Minister of Agriculture and Food, AC 1968, 997. 97 All ER 1977, Bd. 2,182 (CA). 94
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gesellschaft Laker Airways auszuschalten. Dazu wurde die zur Erteilung und Widerruf der Betriebserlaubnisse zuständige selbständige Verwaltungseinheit Civil Aviation Authority (CAA) vom zuständigen Fachminister aufgrund der section 3(2) des Civil Aviation Act angewiesen, die entsprechende Betriebserlaubnis zu widerrufen. Das Gericht befand, daß die CAA nach dem Gesetz die Ermächtigung zur Erteilung von Genehmigungen zum Zweck der Sicherung des Wettbewerbs erhalten hatte; die fragliche ministerielle Anweisung folge jedoch einem anderen, unlauteren Ziel und war somit rechtswidrig. Für den Grundrechtsschutz relevant und nennenswert ist der Fall R. v. Hillingdon London BC, ex parte Royco Homes Ltd.98: Eine gemeindliche Planungsbehörde hatte eine Planungsgenehmigung (planning permission) unter der Bedingung erteilt, daß die entstehenden Häuser mit Priorität den auf der entsprechenden Warteliste der örtlichen Gemeinde stehenden Wohnungslosen zur Miete angeboten würden. Obwohl das entsprechende Gesetz zur Auflage von Bedingungen nach freiem Ermessen ermächtigte ("to impose such conditions as they think fit"), wurde die fragliche Bedingung als rechtswidrig erklärt: Zweck der Ermächtigung zur Auflage von Bedingungen könnte nach Auffassung des Gerichts nicht die Abwälzung der kommunalen Aufgabe der Wohnungsbeschaffung auf die Schultern bauwilliger Privater sein. Bei der Ausübung ihres Ermessens müssen ferner Verwaltungsorganisationen alle relevanten Gesichtspunkte in Betracht ziehen; die Entscheidung der Verwaltung darf andererseits nicht durch irrelevante Erwägungen (irrelevant considerations) begründet werden. Auch hier werden vom Gesetz nicht immer die maßgeblichen Belange deutlich angegeben; vielmehr werden auch hier den Gerichten Gestaltungsfreiräume eingeräumt. Verwaltungsentscheidungen, die gegen ein stillschweigend gehaltenes Grundrechtskonzept verstoßen, werden nicht selten wegen der Rücksichtnahme auf irrelevante Belange für rechtswidrig erklärt. Sehr oft wird diese Kategorie Probleme des Gleichbehandlung bewältigen, denn das Wesen der gleichheitswidrigen Diskriminierung besteht in der Regel in der Berücksichtigung sachfremder Belange. Der Fall Wheeler v. Leicester City Council99 ist von dieser Grundrechtsproblematik besonders geprägt. In diesem Sachverhalt ging es um die Verweigerung der Stadt Leicester, einen in ihrer Verfügungsmacht 100 stehenden 98
All ER 1974, Bd. 2, 643 (DC). AC 1985,1054 (CA), 1079 (HL). 100 Die Gemeinde verfügte über den Sportplatz aufgrund der Open Spaces Act 1906 und Public Health Act. Dabei überließ sie jedes Jahr das Grundstück vertraglich und 99
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2. Kap.: Grundrechte als staatliche Sonderbindungen
Sportplatz einem örtlichen Sportverein zur Benutzung zu überlassen. Die Stadt wollte auf diese Weise den Ortsverein bestrafen, da er trotz vorheriger Mahnung der Stadt die Teilnahme dreier seiner Sportler an sportlichen Veranstaltungen in Südafrika geduldet hatte. Richter Browne-Wilkinson beschrieb die grundrechtsrelevanten Probleme des Sachverhalts wie folgt: "Question is whether general powers conferred on elected public bodies for the administration of public property and money can be used to punish those who lawfully and reasonably decline to support the view held by a public body. (...) In my judgement it is undoubtedly part of the constitution of this country that, in the absence of express legislative provision to the contrary, each individual has the right to hold and express his own views".
Richter Browne-Wilkinson schlug die Aufhebung der Entscheidung der Stadt aufgrund der Berücksichtigung irrelevanter Belange vor, denn die Meinungen der Betroffenen dürften nicht als Entscheidungsgrundlage für die Gewährung der Benutzung von öffentlichen Einrichtungen dienen: "The powers of the Open Spaces Act 1906 and the Public Health Act cannot be used by discriminating against those who hold particular lawful views101". Da dieser Vorschlag von den anderen Richtern nicht angenommen wurde, mußte in letzter Instanz das House of Lords die fragliche Entscheidung wegen der Nichteinhaltung von Grundsätzen der Verfahrensgerechtigkeit (fairness) und der Verfolgung unlauterer Ziele aufheben 102.
d) Der Kontrollmaßstab
der "Wednesbury
unreasonableness ' no3
Das Prinzip der Unvernunft oder Irrationalität ist das unter den Kontrollmaßstäben des Verwaltungshandelns am wenigsten präzisierte 104. Die Rechtsprechung bezieht sich dabei i.d.R. auf Verwaltungsentscheidungen, die, obwohl formal einwandfrei, inhaltlich so "pervers" sind, daß keine vernünftige Behörde darauf kommen würde. Als typisches (jedoch nur theoretisches) Beispiel wird die Entlassung einer Lehrerin wegen ihrer roten Haare angegegen Entgelt dem genannten Sportverein. Zum gemeindlichen Vertragswesen s. unten Kap. 3, Abschnitt 3, VE. 101 AC 1985, 1065. 102 AC 1985, 1079. 103 Aus dem Urteil Associated Picture Houses ν. Wednesbury Corporation, K.B. 1948, Bd. 1,223. 104 Aldous/Alder, Applications, S. 7.
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führt 103. Hierzu läßt sich bemerken, daß diese irrationale Entscheidung sich ebenso gut als ein Problem von "irrelevant considerations" präsentieren ließe. Der Maßstab von "irrelevant considerations" wird deshalb oft auch in den Begriff eines unreasonableness-(Unvernunft) Maßstabs i.w.S. einbezogen106. "Unreasonableness" präsentiert ähnliche Strukturen wie die anderen abstrakten Kontrollmaßstäbe des Verwaltungshandelns mit dem Unterschied, daß sie als letzter Äuffangtatbestand für als ungerecht empfundene Verwaltungsentscheidungen eingesetzt werden kann107. Wichtigstes Merkmal der unreasonableness i.e.S. oder auch Wednesbury unreasonableness bzw. irrationality ist nämlich die Entfesselung von einer nur formalen Prüfung auf Gesetzestreue und die Kontrolle der fraglichen Maßnahmen anhand moralischer Kriterien und im Hinblick auf die Einhaltung von substantiellen Gerechtigkeitsanforderungen 108. Im Unterschied zu "improper purposes" und "irrelevant considerations" ist Unvernunft von gesetzlichen Maßstäben völlig abgekoppelt, was die Korrektur von Verwaltungsentscheidungen auch dann erlaubt, wenn aus dem Gesetz auch beim besten Willen keine Rechtswidrigkeit der Verwaltungsentscheidung zu entnehmen sein wird 109. Nach Jowell und Lester fallen unter die rechtliche Kategorie der unreasonableness drei verschiedene Aspekte von Fehlerhaftigkeit: logische Mängel der Entscheidungen, Verstöße gegen Regeln der guten Verwaltung (wie der Schutz des Vertrauens des Bürgers) sowie gegen die "Menschenrechte"110. Im Fall Kruse v. Johnson111 führte Lord Russell in bezug auf den Inhalt des reasonableness-Maßstabs aus, daß solche Verwaltungsentscheidungen darunter fallen, die "partial and unequal in their operation as between different classes" sind, oder "manifestly unjust; if they disclose bad faith or if they involve such oppressive or gratuitous interference with the rights of those subject to them as could find no justification in the minds of 103
Warrington L.J., in Short v. Poole Corporation, Ch. 1926, 90 ff.; vgl. Lord Greene M.R. im erwähnten Wednesbury Urteil, KB 1948, Bd. 1, 223 (229). 106 S. R. v. Secretary of State for Transport and others, ex p. de Rothschild, All ER 1989, Bd. 1, 933 (936) (CA); Craig, Administrative Law (Adm. Law), S. 284. 107 Craig , Adm. Law, S. 286; von Loeper, Verwaltungsrechtspflege in England, S. 98. 108 Feldman, Public Admin. ,1988, 24 f. Kritisch betrachtet diese substantielle Prüfung Hawke, PL 1985, 26 ff. 109 Jowell/Lester, PL 1987, 370. 110 Jowell/Lester, PL 1987, 374 f. 111 QB 1898, Bd. 2,91 (99).
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2. Kap.: Grundrechte als staatliche Sonderbindungen
reasonable men". In Lord Russells Stellungnahme wird recht deutlich, daß der reasonableness-Maßstab die Funktion des Surrogats für viele Grundrechtsgewährleistungen zu übernehmen hat112. Im Fall R. v. Secretary of State for the Home Department, ex p. Brind 113 wurde ein vom zuständigen Minister verhängtes Verbot bestimmter Fernsehsendungen als unvernünftig angefochten. Lord Richter Ackner urteilte, daß im Bereich der Menschenrechte (im vorliegenden Fall der freien Meinungsäußerung) eine besondere Sorgfalt bei der Prüfung der Begründung der Beeinträchtigung ("interference") geboten sei114. Eine Begründung, die nicht tragfahig genug sei, um solche Maßnahmen zu rechtfertigen, führe zur Unvernunft in Form der Berücksichtigung irrelevanter und zugleich der Mißachtung relevanter Aspekte (namentlich der Beeinträchtigung von Grundrechten) des Sachverhalts. Diese besondere Bedeutung der Grundrechte für die Abwägung innerhalb der "unreasonableness"-Doktrin bestätigt der Richter Lowry im selben Urteil 113. Im Fall R. v. Barnet London Borough Council, ex parte Johnson116 ging es um die Benutzung eines gemeindlichen Parks durch einen Ausschuß von Einwohnern, der den Wunsch äußerte, den Park zur Organisation des jährlichen Ortsfestes sowie zur Vorstellung örtlicher Künstler und gemeindlicher Gruppen zu benutzen. Die Gemeinde wollte die Genehmigung unter der Bedingung erteilen, daß örtliche politische Parteien keinen Zugang haben dürften. Der High Court hat diese Bedingung als nichtig aufgrund der Wednesbury unreasonableness erklärt. Unter anderem führte das Gericht aus, daß, wenn eine solche Bedingung überhaupt eine wirkliche Bedeutung hätte, sie dann diskriminierend wäre und deshalb außerhalb des Gesetzeszwecks stünde. Zusätzlich verletze sie das Recht von Individuen und Gruppen, ihre eigenen Meinungen zum Ausdruck zubringen 117. Der Maßstab der Irrationalität erfüllt manchmal die Funktion verschiedener Institutionen, die das deutsche Verwaltungsrecht über die Grundrechte regelt. 112
Vgl. Barendt, in Skouris (Hrsg.), Advertising and Constitutional Rights, S. 331 ff. (332, 340). 113 AC 1991, Bd. 1,696. 114 AC 1991, Bd. 1,S. 757. 113 AC 1991, Bd. 1,S. 763. 116 LGR 88 (1990), 81. 117 LGR 88 (1990), 84.
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So werden Entscheidungen, die gegen bekanntgegebene Verwaltungsrichtlinien verstoßen, u.a. als irrational befunden 118. Im Fall R. v. Secretary of State for the Home Department, ex p. Khan119 hatte die Immigrationsbehörde die Einreise eines ausländischen Kindes zur Adoption durch die Familie Khan abgelehnt. Obwohl alle Voraussetzungen erfüllt waren, die das an Khan ausgehändigte entsprechende Informationsblatt des Innenministeriums enthielt, verlangte die Immigrationsbehörde zusätzlich, daß nach dem entsprechenden Gesetz das Kind von seinen leiblichen Eltern nicht versorgt werden konnte. Das Gericht befand diese Entscheidimg als rechtswidrig. Richter Dunn führte aus120: "The guidance in the Home Office Letter has afforded reasonable expectation that procedures, if set out would be followed.(...) The circular letter set out therein for the benefit of the applicants the matters to be taken into consideration and thus (sc. the immigrations officer) reached his decision upon a consideration which, on his own showing was irrelevant. In so doing he misdirected himself according his own criteria and acted unreasonably."
Auch in diesem Fall wird deutlich, wie eng die Kriterien der Unvernunft und der irrelevanten Belange miteinander verknüpft sind, besonders in Sachverhalten, die in Deutschland in Zusammenhang mit dem Gleichheitssatz untersucht werden. Ein Element der Unreasonableness-Doktrin ist die Betonung des offensichtlich irrationalen Charakters der getroffenen Regelung. Wie aus den Gerichtsurteilen ersichtlich wird, ist freilich diese extreme Unvernunft der Verwaltungsentscheidungen selten offensichtlich. Das Merkmal der angeblich eklatanten Unvernunft dient eher dazu, eventuelle Vorwürfe einer gerichtlichen Zweckmäßigkeitsprüfüng abzuweisen. Das Gericht kassiere nach der Unreasonableness-Lehre die Verwaltungsentscheidung nicht, weil es sie als nicht sachgerecht finde, sondern weil sie niemand als eine sachgerechte Entscheidung ansehen könne. Das Ermessen der Verwaltung wird nicht durch dasjenige des Gerichts substituiert, sondern findet seine Grenzen in der 118
In anderen Fällen wird aus der vorherigen Bekanntgabe einer gleichbleibenden Ermessensausübung eine Pflicht zur Anhörung des Beteiligten entnommen, falls die entscheidende Behörde in seinem Fall anders zu entscheiden gedenkt. Ein Verstoß gegen diese Anhörungspflicht hat die Rechtswidrigkeit der Entscheidung wegen unfairness zur Folge; s. Baldwin/Houghton, PL 1986, 252 ff; ferner Craig , LQR 1992, 79 ff. 119 All ER 1985, Bd. 1,40. 120 All ER 1985, Bd. 1,52.
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2. Kap.: Grundrechte als staatliche Sonderbindungen
allgemeinen Gesetzmäßigkeit der Vernunft. Man begreift damit die Vernunft als eine immanente Schranke der gesetzlichen Handlungsermächtigung an die Verwaltung. In diesem Sinne urteilte Lord Russell, daß das Parlament niemals die Ermächtigung erteilt haben könne, (administrative) Rechtsnormen zu erlassen, die von einem vernünftigen Menschen nicht gerechtfertigt werden könnten121. Eine im Hintergrund liegende Konzeption des reasonableness-Maßstabs wird im Sachverhalt Hall and Co Ltd v. Shoreham-by-Sea UDC122 deutlich. Wie der Fall Royco Homes, so stammt auch dieses Urteil aus dem Bereich des planungsrechtlichen Schutzes des Eigentumsrechts. Die örtliche Planungsbehörde hatte die Planungsgenehmigung an die Bedingung geknüpft, daß der Eigentümer eine Zufahrtsstraße durch sein Grundstück und auf seine Kosten bauen lassen müsse. Das Gericht deklarierte diese Bedingung als rechtswidrig wegen Unvernunft, denn die Anwendung einer anderen gesetzlichen Prozedur durch die Planungsbehörde, statt der gewählten, würde eine Entschädigung des Eigentümers ermöglichen. Dieses Urteil unterstreicht, daß der Charakter dieses Maßstabes nicht der einer Regel der Vernunft oder der Logik, sondern der Fairneß ist123. Eine so unvernünftige Entscheidimg, daß niemand zu ihr kommen könnte, ist im Rahmen moderner Verwaltungsorganisation ein fast undenkbarer Fall124. Die Irrationalitätsdoktrin verbirgt in sich Maßstäbe, die eher mit den Prinzipien einer grundrechtlichen Wertordnung als mit denen der Vernunft verbunden sind: Es wäre ja besonders vernünftig, für eine auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtete Verwaltung vorhandene gesetzliche Verfahren zu benutzen, die Steuergelder schonen. Diesen moralischen Aspekt des Kriteriums der Unvernunft unterstreicht die neuere Definition des Lord Diplock im Urteil G.C.H.Q.: "It (sc. irrationality) applies to a decision which is so outrageous in its defiance of logic or of accepted moral standards that no sensible person who had applied his mind to the question to be decided could have arrived at it 125 ". 121
All ER 1985, Bd.l, 99. All ER 1964, Bd. 1,1; dazu Supperstone/Goudie, Judicial Review, S. 13; ebenfalls Jowell/Lester, PL 1987, 371. 123 Jowell/Lester , PL 1987, 370 ff. 124 Sir Gordon Borrie, PL 1989, 552 ff. (557), berichtet von einem Fall, wo eine ministerielle Entscheidung als unvernünftig kassiert wurde, obwohl sie einem von Sir Gordon Borrie verfaßten Gutachten, das 12.000 Wörter umfaßte, folgte. 125 AC 1985,410. 122
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3. Verwaltungsprozessuale Maßstäbe als staatliches Sonderrecht Das klassische englische Rechtssystem hat traditionell unter Hinweis auf den egalitären Charakter der Rule of Law ein besonderes Verwaltungsrecht und eine getrennte Verwaltungsgerichtsbarkeit abgelehnt. Diese Gleichsetzung der Rechte und Pflichten der staatlichen Träger mit denen der Privaten126, obwohl niemals völlig überwunden, ist in sehr großem Maße sowohl auf materiellrechtlicher als auch auf prozessualer Seite relativiert worden. Obwohl die ultra vires-Prüfung ihren Ursprung im Privatrecht hat (man denke z.B. an die Einhaltung der Satzungsbefugnisse von Organen juristischer Personen), besitzen die aufgrund dieser Lehre allmählich entwickelten materiellen Kriterien der Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen einen staatsgerichteten Charakter 127. Dasselbe gilt prinzipiell auch für die verfahrensrechtlichen Maßstäbe der natural justice128. Während staatliche Entscheidungen nur bestimmte Zwecke verfolgen dürfen und dabei Grenzen der Moral, der Logik und der Gerechtigkeit einhalten müssen, genießen Private in ihren Handlungen die Freiheit der Selbstbestimmung129. Ohne Zweifel stellen diese Maßstäbe nunmehr eine besondere Rechtsmasse dar, die Selbständigkeit gegenüber dem gemeinen (Privat-)Recht erlangt hat130. Diese materiellen Regeln des "guten Verwaltens" stellen nunmehr im englischen Recht ausschließlich an den Staat adressierte Rechtssätze, Grundprinzipien des öffentlichen Rechts131.
V. Die Staatsgerichtetheit der Grundrechte im griechischen Recht 1. Die Grundrechte in der griechischen Verfassung Wie alle ihre Vorgängerinnen seit 1822132, so verbürgt auch die griechische Verfassung von 1975 in ihrem 2. Abschnitt (Art. 4 bis 25) "individuelle und 126 S. Mitchell, in Stankiewicz (Hrsg.), British Government in an Era of Reform, 1976, S. 25 ff. 127 Beatson, LQR 1987, 34 ff. (37); vgl. auch C. Lewis, Judicial Remedies, S. 1 f., der diese Maßstäbe als "public law principles" bezeichnet. 128 Beatson, LQR 1987, 36. 129 Bell, in Dupuis (Hrsg.), Le contrôle jurisdictionnel de l'administration, S. 85. 130 Bell, RFDA 1985, 399 ff. 131 Woolf, Protection of the Public - A new Challenge, S. 34 f. 132 Iliopoulos-Strangas, JöR 32 (1983), 395 ff. (399).
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2. Kap.: Grundrechte als staatliche Sonderbindungen
soziale Rechte"133: Darunter fallen zum ersten sämtliche aus dem deutschen Recht bekannten Grundrechte, wie der allgemeine Gleichheitssatz und seine besonderen Ausprägungen (Art. 4), das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Freiheit der Person, der Schutz des Lebens und der persönlichen Ehre (Art. 5, 6 und 7), die Wirtschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 3 und 106 Abs. 2), das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 8), der Schutz der Wohnung und der Privatsphäre (Art. 9), das Petitionsrecht (Art. 10), die Versammlungsfreiheit (Art. 11), die Vereinigungsfreiheit (Art. 12), die Religionsfreiheit (Art. 13) und die Freiheiten der Presse (Art. 14), der Kunst, der Wissenschaft, der Forschung und der Lehre (Art. 16), das Eigentumsrecht (Art. 17) und das Briefgeheimnis (Art. 19) sowie schließlich die Koalitionsfreiheit und das Streikrecht (Art. 23). Die griechische Verfassung enthält ferner sowohl eine allgemeine Rechtsschutzgarantie bei Verletzungen der Rechte und Interessen des Einzelnen (Art. 20 Abs. 1) als auch die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs durch die Verwaltung (Art. 20 Abs. 2). Zusätzlich zu diesen "individuellen" Abwehrrechten kommen sog. "soziale" Rechte hinzu, die auf die Erhaltung und Verbesserung der sozialen Grundlagen der Freiheit gerichtet sind. Somit stehen "unter dem Schutz des Staates" der Sport (Art. 16 Abs. 9), die Familie, die Ehe, die Mutterschaft und das Kindesalter (Art. 21 Abs. 1), ferner die Arbeit (Art. 22) sowie die natürliche und kulturelle Umwelt (Art. 24). Entsprechend hat der Staat die Verbände von Sportvereinen zu unterstützen (Art. 16 Abs. 9), für kinderreiche Familien, Versehrte aus Krieg und Frieden, Kriegsopfer, Waisen und Kinder der im Kriege Gefallenen usw. (Art. 21 Abs. 2 ff.) wie überhaupt für die Sozialversicherung (Art. 22 Abs. 4) zu sorgen sowie die Vollbeschäftigung (Art. 22 Abs. 1) und die Koalitionsfreiheit zu sichern (Art. 23 Abs. 1). Schließlich ist er verpflichtet, "besondere vorbeugende oder hemmende Maßnahmen" zur Bewahrung der natürlichen und kulturellen Umwelt zu treffen.
2. Die Frage der Staatsgerichtetheit der Grundrechte Art. 25 Abs. 1 der griechischen Verfassung umschreibt den Kreis der Grundrechtsadressaten wie folgt: "Die Rechte des Menschen als Einzelner und 133
So der Titel dieses Abschnitts; die aus der Verfassung zitierten Passagen erfolgen nach der Übersetzung von Dagtoglou, JÖR 32 (1983), 360 ff.
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als Mitglied der Gesellschaft werden vom Staate gewährleistet; alle Staatsorgane sind verpflichtet, deren ungehinderte Ausübung sicherzustellen". Art. 25 Abs. 2 lautet: "Die Anerkennung und der Schutz der grundlegenden und immerwährenden Menschenrechte durch den Staat ist auf die Verwirklichung des gesellschaftlichen Fortschrittes in Freiheit und Gerechtigkeit gerichtet". Die Frage der Bestimmung der Grundrechtsadressaten wird im griechischen Recht in den letzten Jahren im Anschluß an die deutsche Diskussion über die sog. Drittwirkung der Grundrechte besprochen. Die Lehre der Bindung von Privaten an die Grundrechte hat in Griechenland begeisterte Anhänger gefunden. Es wird argumentiert, daß die Bildung privater Macht in den modernen Industriegesellschaften, die der staatlichen hinsichtlich des Gefährdungspotentials nicht nachstehe, diese Erstreckung der Grundrechtsbindung und eine Erweiterung des durch das Privatrecht gewährten Schutzes erforderlich mache134. Vielmehr sei die der Staatsgerichtetheit der Grundrechte vorausgesetzte Trennung von Staat und Gesellschaft im Sozialstaat der Gegenwart überholt135. Auch verschiedene verfassungsrechtliche Topoi (die Begrenzung der allgemeinen Handlungsfreiheit durch die Grundrechte anderer in Art. 5 Abs. 1 gr. Verf., die soziale Ausrichtung der Grundrechte, wie sie im Verbot des Grundrechtsmißbrauchs in Art. 25 Abs. 2 und in der Harmonisierung der privaten wirtschaftlichen Tätigkeit mit dem Gemeinwohl in Art. 106 Abs. 2 zum Ausdruck kommt) begründen nach einer Auffassung die unmittelbare Ausrichtung der Grundrechte auch auf Privatpersonen136. Nach einer anderen Meinung sollten die Grundrechte dann in privatrechtlichen Beziehungen zur Anwendung kommen, wenn eine grundrechtsgefährdende Lage auch unter Privaten besteht137. Die horizontale Grundrechtsbindung sollte mittelbar sein, wenn eine entsprechende privatrechtliche allgemeine Klausel die Grundrechtsgeltung ermöglicht, oder unmittelbar, wenn eine solche Klausel im gegebenen Fall nicht vorhanden ist138. Grundsätzlich ist es unumstritten, daß die Grundrechte nicht nur die wichtigsten öffentlich-rechtlichen Bindungen sind, sondern als Elemente einer 134 Katranis, ToS 1978, 237 ff. (255 ff); Kassimatis, ToS 1981, 1 ff. (4 f., 20 f.); Tsatsos, Syntagmatiko Dikaio, Bd. 3, Themeliodi Dikaiomata, I, Allgemeiner Teil, S. 184 f.; Manessis, Syntagmatika Dikaiomata, Bd. 1, Atomikes Eleftheries, S. 48 f. 135 Katranis, ToS 1978, 249 ff. 136 Katranis, ToS 1978, 260 f., 264 ff; Kassimatis, ToS 1981, 23. 137 Manessis, Atomikes eleftheries, S. 52 f.; Tsatsos, Themeliodi dikaiomata, S. 190. 138 Tsatsos, Themeliodi dikaiomata, S. 190.
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2. Kap.: Grundrechte als staatliche Sonderbindungen
objektiven Wertordnung Grundsteine der gesamten Rechtsordnung darstellen139. Nach der Auffassung von Dagtoglou impliziert ferner die Formulierung des Art. 25 Abs. 1 der gr. Verfassung, insbesondere der Umstand, daß dem Staat eine positive Grundrechtsschutzpflicht obliege, die Geltung der Grundrechte auch in den Beziehungen zwischen Privaten140. Umgekehrt soll nach einer anderen Meinung diese Vorschrift als eine grundsätzliche Beschränkung der unmittelbaren Grundrechtsbindung des Staates zu verstehen sein141. Beide Auffassungen kommen immerhin zum Ergebnis, daß keine unmittelbare Geltung der Grundrechte in den Beziehungen zwischen Privaten bestehen könnte und daß ein horizontaler mittelbarer Grundrechtsschutz nur über die grundrechtskonforme Auslegung des Privatrechts, insbesondere seiner allgemeinen Klauseln, gewährt werden kann142. Diese ist auch die herrschende Auffassung, denn eine unmittelbare Grundrechtsbindung von Privaten würde die Privatautonomie empfindlich verletzen143. Letztendlich wird allgemein anerkannt, daß der Schutz vor privatem Machtmißbrauch in aller erster Linie durch die Garantien des Privatrechts erfolgen kann144. Insgesamt und trotz mancher Urteile von unteren Gerichten, die in die Richtung der unmittelbaren Drittwirkung interpretiert werden könnten, lehnt 139
Manitakis , I Tritenergeia, mia peritti gia tin elliniki ennomi taxi ennoia, in Hronika, Idryma Maragopoulou gia ta anthropina dikaiomata, S. 288 ff. (299); Korsos, in Meletes Genikis Theorias tou Dikaiou, Syntagmatikou kai Dioikitikou Dikaiou, S. 77 ff. (84); Iliopoulos-Strangas , I "Tritenergeia" ton atomikon kai koinonikon dikaiomaton tou Syntagmatos 1975, S. 48; dies., in Hronika, Idryma Maragopoulou gia ta anthropina dikaiomata, S. 249 ff. (267). 140 Dagtoglou, NoB 1982, 780 ff. (785); ders., Atomika Dikaiomata, Bd. 1, Rdnr. 185, S. 101. Dahin tendiert auch Manitakis, To ypokeimeno ton Syntagmatikon dikaiomaton kata to arthro 25 par. 1 tou Syntagmatos, S. 26. 141 Raikos, Paradoseis Syntagmatikou Dikaiou, Bd. 2, Die Grundrechte, Heft 1, S. 152 f. 142 Zustimmend auch Korsos, Ta atomika dikaiomata, S. 98 ff., denn durch eine grundrechtskonforme Auslegung der allgemeinen Klauseln werde die "Reinheit" sowohl der privaten als auch der öffentlichen Rechtsordnung bewahrt. 143 Dagtoglou, NoB 1982, 785; ders., Atomika Dikaiomata, Bd. 1, Rdnr. 188, S. 102 f.; Raikos, Paradoseis, Bd. 2, H. 1, S. 154. Für eine mittelbare Drittwirkung auch Tachos, Dioikitiko Oikonomiko Dikaio, S. 198 f. 144 Manitakis, in Hronika, Idryma Maragopoulou gia ta anthropina dikaiomata, S. 312 ff; Iliopoulos-Strangas, in Hronika, Idryma Maragopoulou gia ta anthropina dikaiomata, S. 278.
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die Zivilgerichtsbarkeit 145 eine unmittelbare Grundrechtsbindung von Privaten zweifellos ab. Die Grundrechte werden regelmäßig lediglich als Kriterien der Auslegung von allgemeinen Klauseln des Privatrechts und nur i n Verbindung mit ihnen in horizontalen Beziehungen zur Anwendung gebracht 146. Dies gilt vor allem für den allgemeinen Gleichheitssatz147, der zweifelsohne für die verselbständigte Verwaltung von großer Bedeutung sein dürfte.
143
Zu den Urteilen im Sinne der Dritwirkung gehören vor allem die Entscheidungen der Gerichten erster Instanz Monomeles Protodikeion Athinon, 6000/1977, ToS 1978, 390 ff., und Polymeles Protodikeion Thessaloniki, 389/1977, Arm. 1977, 717 ff., nach der Auslegung von Iliopoulos-Strangas, I "Tritenergeia", S. 97 und 104, sowie Kassimatis, ToS 1981, 28 entsprechend. Zu den Widersprüchen der Rechtsprechung der Zivilgerichte s. Tsatsos, Themeliodi dikaiomata, S. 187 ff. 146 Auf dasselbe Ergebnis läuft grundsätzlich auch die ausführliche Rechtsprechungsanalyse von Manitakis, I tritenergeia, in Hronika, S. 299 ff. (insbesondere S. 305 ff.) hinaus. S. z.B. die Urteile der erstinstanzlichen Gerichte Monomeles Protodikeio Athen 17115/1988, EID 30 (1989), 1375, Monomeles Protodikeio Rodopis 1451/1988, EErgD 1988, 1074, Monomeles Protodikeio Halikidas, 367/1983, EErgD 1984, 58. 147 Der allgemeine Gleichheitssatz wird in der griechischen Verfassung (Art. 4 Abs. 1) als Gleichheit vor dem Gesetz formuliert; vgl. Iliopoulos-Strangas, I "Tritenergeia", S. 90 f.
Drittes Kapitel
Die Anknüpfungsregel für die Bindung von verselbständigten Verwaltungseinheiten an staatliches Sonderrecht mit Grundrechtsgehalt 1. Abschnitt
Deutsches Recht I. Die traditionelle Anknüpfung im deutschen Recht: Grundrechtsbindung von öffentlich-rechtlichen Handlungsformen 1. Die herrschende Konzeption öffentlich-rechtlichen Handelns Die Grundrechtsbindung im deutschen Recht richtete sich bis in die fünfziger Jahre ausschließlich nach der Handlungsform. Demnach binden die Grundrechte das Handeln der Verwaltung nur dann, wenn das gesamte öffentliche Recht zur Anwendung kommt1. Verselbständigte Verwaltungseinheiten waren ausschließlich in ihren öffentlich-rechtlichen Handlungen Grundrechtsadressaten. Nach der derzeit herrschenden Auffassung muß die Frage nach dem auf eine Verwaltungshandlung anwendbaren Recht vom Problem der Trennung zwischen öffentlich- und privatrechtlichen Normen abgekoppelt werden. Man ist sich weitgehend einig, daß es sich hierbei um zwei verschiedene Fragen handelt, die nicht miteinander vermengt werden sollten: Zum einen geht es 1
Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 25; Kunert, Staatliche Bedarfsdeckungsgeschäfte und öffentliches Recht, S. 43, 45; Düng, in Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 1, Rdnr. 109; Schmalz, Allgemeines Verwaltungsrecht (Allg. VwR.), S. 37; vgl. auch Forsthoff, Der Staat als Auftraggeber, S. 14; Low, DÖV 1957, 879 ff.; T. Koch, Der rechtliche Status kommunaler Unternehmen in Privatrechtsform, S. 39.
1. Abschnitt: Deutsches Recht
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um die Qualifikation von Rechtssätzen, also ihre rechtliche Einordnung in das private oder öffentliche Recht je nach der "Natur" der Norm, zum anderen um die Zuordnung von Lebenssachverhalten zum einen oder anderen Rechtskreis, welche eine kollisionsrechtliche Aufgabe darstellt2. Diese Trennung zwischen der Qualifikation von Rechtssätzen und ihrer Anwendung ist gleichbedeutend mit einer spezifischen Aussage zum Konzept der Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Recht. Sie bedeutet nämlich, daß die Unterschiede zwischen den zwei Rechtsordnungen sich nicht im Tatbestand befinden, also in dem Teil der Rechtsnorm, der über ihren Anwendungsbereich entscheidet und damit kollisionsrechtliche Dienste leistet, sondern in der Rechtsfolge. Die entsprechend herrschende Lehre zur Trennung des öffentlichen vom privaten Recht betrachtet als Rechtsnormen des öffentlichen Rechts diejenigen Vorschriften, die notwendigerweise und ausschließlich Träger von Hoheitsgewalt berechtigen oder verpflichten (modifizierte Subjekts- oder Sonderrechtstheorie von Hans Julius Wolff) 3. Da diese Lehre die öffentlich-rechtliche Handlungsform von Merkmalen des Tatbestands der Rechtsvorschrift abkoppelt, hält sie kein materielles Kriterium für die Zuordnung von Lebenssachverhalten bereit4. Nach der klassischen Auffassung des öffentlichen Rechts liegt dagegen das Kriterium der Trennung zwischen öffentlichem und privatem Recht auch im Tatbestand der Rechtsvorschrift. Nach der Subordinationstheorie unterliegen Rechtsbeziehungen zwischen der Verwaltung und den Bürgern, die auf einem Verhältnis der Über- und Unterordnung beruhen, dem öffentlichen Recht und sind somit grundrechtsgebunden5. Nach dieser Lehre erfaßt der Anwendungsbereich von öffentlich-rechtlichen Normen Tatbestände, in denen der
2
Erichsen, Jura 1982, 537 ff ; Ehlers, Die Verwaltung 1987, 373 ff. (379); ders., in Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht (Allg. VwR), Rdnr. 31, S. 39; Christ, Die Verwaltung zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 26; SchmidtAßmann/Krebs, Rechtsfragen städtebaulicher Verträge, S. 164; Kritisch Pestalozza, "Formenmißbrauch" des Staates, S. 174; Zuleeg, VerwArch 73 (1982), 384 ff. (387); D. Schmidt, Die Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht, S. 37 ff ; T. Koch, Der rechtliche Status, S. 77 ff. 3 Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht (VwR) I (1974), §22 Π c. 4 Bachof, in Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverwaltungsgerichts, S. 1 ff. (14 f.); Zuleeg, VerwArch 73 (1982), 387; D. Schmidt, Die Unterscheidung, S. 34 f.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht (Allg. VwR), §3 Rdnr. 7. 5 Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, S. 47 f.; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, Allgemeiner Teil, S. 113. 11 Gogos
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3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
Staat gegenüber dem Bürger als eine übergeordnete Instanz auftritt 6. Immer noch steht heute die Obrigkeit im Mittelpunkt der gesetzlichen Definition des Verwaltungsakts: Durch die in §35 VwVfG verankerten Merkmale der "hoheitlichen Maßnahme" als "Regelung" durch eine "Behörde"7 erfaßt der Tatbestand der Handlungsform des Verwaltungsakts Verhältnisse der Überund Unterordnung zwischen der handelnden Verwaltung und dem Bürger. Auch nach dem Begründer der modifizierten Subjektstheorie, H.J. Wolff, bedeutet in seiner bis jetzt "unübertroffenen" 8 Definition des Verwaltungsakts das Merkmal der "Regelung" "eine einseitige, verbindliche, rechtsfolgenbegründende, hoheitliche Ordnung eines Lebenssachverhalts"9. Dementsprechend beschreibt Wolff den Verwaltungsakt als eine Maßnahme, "durch die den ihrer (sc. der Verwaltung) Gewalt Unterworfenen etwas geboten oder verboten, erlaubt oder versagt wird, Rechtsverhältnisse gestaltet oder Feststellungen getroffen werden"10. Schließlich knüpft die Rechtsprechung vor allem des Bundesgerichtshofs zur Qualifikation von einseitigen Verwaltungsmaßnahmen vielfach an die Über- oder Gleichordnung zwischen der Verwaltung und den Bürgern im fraglichen Rechtsverhältnis an11.
6
Typisch ist in dieser Hinsicht der Beschluß des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB), BGHZ 102, 280 ff: Der Gemeinsame Senat begründet den privatrechtlichen Charakter der wettbewerbsrechtlichen Beziehungen zwischen den Krankenkassen und dem Fachhandel durch Überlegungen, die den Tatbestand öffentlich-rechtlicher Normen betreffen: Das öffentliche Recht betreffe die Beziehungen der Krankenkassen nur zu ihren Mitgliedern; das Verhältnis zu ihren Konkurrenten sei andererseits durch Gleichordnung bestimmt, denn ihnen gegenüber seien den Krankenkassen "keinerlei hoheitliche Befugnisse im Sinne eines nur dem Träger hoheitlicher Gewalt zustehenden Sonderrechts zugewiesen": Öffentlich- und privatrechtliche Normen, die sich an dasselbe Subjekt richten, regeln somit verschiedene Tatbestände (Verhältnis zu Mitgliedern oder zu Dritten). 7 So stellt das BVerwG in seinem Urteil vom 23.11.1993, NJW 1994, 2435 fest, daß eine Stelle keine Behörde darstellen könnte, wenn sie sich letztlich auf der Ebene der Parteien befinde. 8 Lässing, JuS 1990, 459. 9 WolfflBachof\ VwR I (1974), §46 IV a; Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), §35 Rdnr. 64. 10 WolfflBachof, VwR I (1974), §46 I a. Charakteristisch in dieser Hinsicht der Beschluß des OVG Bautzen vom 16.2.1993, LKV 1994, 148: Ein Rechtsakt der DDR sei nach bundesrepublikanischem Verständnis dann ein Verwaltungsakt, wenn es sich dabei um eine Regelung kraft hoheitlicher Gewalt handelte. 11 Von der Rechtsprechung s.: RGZ 167, 284; BGHZ 14, 227; BGH, NJW 1978, 1860 ff. (1861); BGHZ 66, 229 ff. (233); BGHZ 67, 81 (86 f.); BGH Beschluß vom 18.5.1995, NJW 1995, 2295 ff.
1. Abschnitt: Deutsches Recht
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Die verschiedenen Modifizierungen der WolfFschen Sonderrechtslehre versuchen die inhaltliche Offenheit und Präzision dieser Theorie mit impliziten Aussagen über den Tatbestand öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu kombinieren. So betrachten die sog. materiellen Sonderrechtstheorien als öffentlich-rechtlich diejenigen Rechtsnormen, die sich an die Träger von Hoheitsgewalt "als solche" richten, also wenn sie als übergeordnete Instanzen12 oder "in Wahrnehmung eines überwiegenden öffentlichen Interesses" handeln13. Im Rahmen dieser Traditionen14 steht die Zuordnung von Rechtsnormen zum öffentlichen oder zum privaten Recht fast niemals in Zweifel 15: Entsprechend ist die Qualifikation von Handlungen immer dann eindeutig, wenn eine einzige Vorschrift auf das fragliche Verhalten anwendbar ist. So werden immer als öffentlich-rechtlich die Handlungen qualifiziert, welche die Verwaltung aufgrund einer gesetzlichen Grundlage, die ihr obrigkeitliche Befugnisse zuspricht, vornimmt16. Die Zuordnung von Handlungen zum öffentlichen oder zum privaten Recht verliert ihre obrigkeitliche Verankerung aber dann, wenn die wahrgenommenen Aufgaben ohne obrigkeitliche Befugnisse erfüllt werden können, also vor allem auf dem Gebiet der Leistungsverwaltung. Die sog. schlichte Hoheitsverwaltung, auf die zuerst Walter Jellinek17 aufmerksam gemacht hat, steht für öffentlich-rechtliches und deshalb grundrechtsgebundenes18 Verwaltungshandeln, vor allem auf dem Gebiet leistender Verwaltungstätigkeiten durch Verträge, Willenserklärungen, Wissenserklärungen und Realakte der Verwaltung19, das jedoch nicht aus einer einseitigen Regelung besteht. Insbesondere die Verbreitung und Bestätigung durch die Verwaltungs12
Bettermann, NJW 1977, 513 ff. (516); s. auch Maurer, Allg. VwR, §3, Rdnr. 18. Bachof \ in Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des BVerwG, S. 17 ff. 14 Für ein vollständiges Bild der zahlreichen Theorien zur Abgrenzung von öffentlichem und privatem Recht s. Wolff/Bachof/Stober, VwR I, §22, Rdnr. 14 ff., oder Ehlers, in Erichsen (Hrsg.), Allg. VwR, Rdnr. 14 ff., S. 31 ff. 15 Zuleeg, VerwArch 73 (1982), 387; Maurer, Allg. VwR, §3, Rdnr. 20; Neumann, DÖV 1992, 154 ff. (159). 16 Ehlers, in Erichsen (Hrsg.), Allg. VwR, Rdnr. 32, S. 39. 17 Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 21 ff. 18 Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 215; Kunert, Bedarfsdeckungsgeschäfte, S. 45, 106; Pietzcker, Der Staatsauftrag als Instrument des Verwaltungshandelns, S. 368. 19 Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 27 f.; Wolff/Bachof/Stober, VwR I, §23, Rdnr. 40. 13
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3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
Verfahrensgesetze der Institution eines öffentlich-rechtlichen Vertrags erschwert eine ausschließlich obrigkeitliche Betrachtung des öffentlichen Rechts, da die vertragliche Beziehung zwischen öffentlicher Verwaltung und ihren Vertragspartnern durch konkret-spezielle Gleichordnung geprägt wird 20. Die Zuordnung von Rechtshandlungen auf dem Gebiet der Leistungsverwaltung zu den Rahmenregelungen oder den kollidierenden Spezialvorschriften des öffentlichen oder des privaten Rechts erfolgt hier entweder aufgrund des Willens der Verwaltung zur Begründung eines öffentlich- oder privatrechtlichen Rechtsverhältnisses21 oder durch die Ermittlung des Sachzusammenhangs22, der beim Verwaltungsvertrag die Form des Kriteriums des öffentlich-rechtlichen Vertragsgegenstands23 annimmt. Eventuell sind auch verschiedene "Vermutungsregeln" behilflich 24. Damit ist die Subsumtion von Handlungen unter das öffentliche Recht hier nur begrenzt durch das materielle (d.h. sich auf den Tatbestand öffentlich-rechtlicher Vorschriften beziehende) Anknüpfungsmerkmal der obrigkeitlichen Position der Verwaltung erklärbar; die empirische Art der Qualifikation von Lebenssachverhalten auf dem Gebiet der schlichten Hoheitsverwaltung ist auch der Grund, warum letztendlich die auf Merkmale des Tatbestands verzichtende modifizierte Subjektstheorie von Wolff den öffentlich-rechtlichen Bereich präziser beschreiben kann. Zusammenfassend drückt die Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes die geltende Regel zur Qualifikation von Handlungen, eine Mischung aus Subordinations- und Sonderrechtstheorie, wie 20
Efstratiou, Die Bestandskraft des öffentlichrechtlichen Vertrags, S. 117; SchmidtAßmann/Krebs, Rechtsfragen, S. 165; Neumann, DÖV 1992, 157; vgl. auch GmSOGB, Beschluß vom 10.4.1986, NJW 1986, 2359. Fleiner, Institutionen, S. 51, begründet den öffentlich-rechtlichen Charakter schlicht-hoheitlicher Verwaltung durch die Einseitigkeit und die gesteigerte Glaubwürdigkeit solcher staatlicher Äußerungen. 21 S. Erichsen, Jura 1982, 545; Maurer, Allg. VwR, §3, Rdnr. 26; kritisch dazu J. Ipsen/T. Koch, JuS 1992, 809 ff. (814). 22 Schmalz, Allg. VwR, S. 40,47. Typisch in dieser Hinsicht GmS-OGB, BGHZ 108, 224, allerdings mit gewissen Anspielungen auf die Interessentheorie. 23 Absolut herrschende Lehre und Rechtsprechung; s. z.B. aus dem Referenzgegiet des Baurechts BVerwGE 42, 331 (332); BGHZ 56, 365 (368); BVerwG, Urteil vom 15.12.1989, JZ 1990, 591; GmS-OGB, BGHZ 119, 93; statt aller Efstratiou, Die Bestandskraft, S. 116; Scherzberg, JuS 1992, 205 ff; Schmidt-Aßmann/Krebs, Rechtsfragen, S. 168 ff, bemerken, daß es sich dabei nur um eine "Grobregel", eine Leitlinie, handelt, die sich in mehreren Fallgruppen aufspalten läßt. 24 Zuleeg, VerwArch 73 (1982), 389; Wolff/Bachof/Stober, VwR I, §22, Rdnr. 42 ff ; Ehlers, in Erichsen (Hrsg.), Allg. VwR, Rdnr. 35, S. 40 f.; Neumann, DÖV 1992, 157; Schmalz, Allg. VwR., S. 47; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §1, Rdnr. 58.
1. Abschnitt: Deutsches Recht
165
folgt aus: Es komme "regelmäßig darauf an, ob die an einer Streitigkeit Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und ob sich der Träger der hoheitlichen Gewalt der besonderen, ihm zugeordneten Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient, oder ob er sich den für jedermann geltenden zivilrechtlichen Regelungen unterstellt"25.
2. Verselbständigte Verwaltungseinheiten als Adressaten der Grundrechtsbindung von öffentlich-rechtlichen Handlungsformen In der Regel sind nur öffentlich-rechtlich verfaßte Organisationen fähig, öffentlich-rechtlich zu handeln. Dies folgt aus der Definition der juristischen Person des öffentlichen Rechts im Hinblick auf das ihr grundsätzlich zugesicherte Monopol der Ausstattung mit der Fähigkeit zum öffentlichrechtlichen Handeln26. Aus diesem Grunde wäre eine Grundrechtsbindung von privatrechtlichen Verwaltungseinheiten außerhalb der Beleihung ausgeschlossen27. Insgesamt ließe sich der öffentlich-rechtliche Bereich als die Beziehungen umschreiben, in denen eine Partei notwendigerweise eine juristische Person des öffentlichen Rechts sein muß28. Der Bundesgerichtshof formuliert die logische Kehrseite dieser Aussage wie folgt: "... Das Rechtsverhältnis zwischen Personen des Privatrechts unterfällt grundsätzlich dem Zivilrecht und damit der Zuständigkeit der Zivilgerichte"29. Deshalb wäre die Grundrechtsbindung nach der tradierten Auffassung auf ausschließlich öffentlich-rechtliche Organisationen beschränkt, auch wenn schon am Anfang des Jahrhunderts privatrechtlich verfaßte öffentliche Unternehmen im Hinblick auf ihre inneren Bindungen zur ministeriellen Verwaltung als Teile der öffentlichen Verwaltung im materiellen Sinne
25
GmS-OGB, BGHZ 97, 312 (314); GmS-OGB, BGHZ 102, 280 (283); BGH, Beschluß vom 12.10.1993, DtZ 1994, 30; GmS-OGB, BGHZ 119, 93 (95) - Zitat aus letzterem Beschluß. 26 S. oben Kap. 1, Abschnitt 1,1 3 f. 27 Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 25. 28 D. Schmidt, Die Unterscheidung, S. 259; Bydlinski, in Festschrift Raisch, S. 7 ff. (14). 29 BGH, Beschluß vom 18.5.1995, NJW 1995,2295 (2296).
166
3. Kap. : Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
angesehen wurden30. Eine einzige Möglichkeit öffentlich-rechtlichen Handelns wäre nur dort zu sehen, wo juristische Personen des Privatrechts aufgrund einer gesetzlichen Beleihung fähig sind, im eigenen Namen hoheitlich gegenüber den Bürgern aufzutreten 31. Dies bestätigt erneut ausdrücklich der Bundesgerichtshof in seinem Beschluß vom 12.10.1993: Der Bundesgerichtshof folgert aus der Organisation zweier Träger als Aktiengesellschaften, daß eine Zuordnung ihres Rechtsstreits zum öffentlichen Recht ausgeschlossen sei, "es sei denn, die Klägerin wäre als mit Hoheitsbefugnissen beliehenes Unternehmen gegenüber der Beklagten tätig geworden"32. Die Rechtsfigur des Beliehenen ist im deutschen Recht Gegenstand eines heftigen Theorienstreits und deshalb nicht in allen ihren Konturen scharf beleuchtet33. Die wohl herrschende Auffassung (Rechtsstellungstheorie) sieht das ausschlaggebende Element der Beleihung in der Verleihung genau jener Rechtsstellung, die den Privaten in die Lage versetzt, im eigenen Namen öffentlich-rechtlich zu handeln34. Sachverhalte, wo der handelnde Private aufgrund gesetzlicher Verleihung staatliche Aufgaben wahrnimmt, ohne öffentlich-rechtlich gegenüber Dritten aufzutreten, unterfallen nach der herrschenden Auffassung dem Rechtsinstitut der Konzession35. Verselbständigte Verwaltungseinheiten wären nach der herrschenden Meinung genau wie Private als mögliche Adressaten einer Beleihung anzusehen36. 30
S. Behr, AÖR 38 (1918), 288 ff. (303); Rüfner, Formen öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft, S. 363. 31 Schmidt-Aßmann/Fromm, Aufgaben und Organisation der deutschen Bundesbahn in verfassungsrechtlicher Sicht, S. 145 f.; Woljf/Bachof/Stober, VwR Π, §104 ma; eine andere Ausnahme bestünde allerdings im umstrittenen Fall eines öffentlich-rechtlichen Vertrags unter Privaten. Dazu vgl. Ress, Rev. Eur.de Dr. Pubi. 1989, 279 ff. (290 f.). 32 DtZ 1994, 30. 33 Ossenbühl, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 140 f., und heute noch Battis, in Festschrift Raisch, S. 355 ff. (356). 34 K. Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, S. 80 f.; Wolff/ Bachof/Stober, VwR Π, §104 12, Rdnr. 2; Frenz, Die Staatshaftung in den Beleihungstatbeständen, S. 27 ff; von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 36 f.; Maurer, Allg. VwR, §23, Rdnr. 56.; Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, S. 249. Zur "Aufgabentheorie" s. Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), S. 170 f., und ders., DVB1. 1974, 541 ff ; D. Schmidt, Die Unterscheidung, S. 266 ff ; vgl. auch das bei K. Vogel, Wirtschaftseinheiten, S. 60, FN 1 ältere Schrifttum. Zur "Kombinationstheorie" s. Huber, DVB1. 1952, 456; Steiner, JuS 1969, 69 ff. 35 Wolff/Bachof/Stober, VwR Π, §104 14 b, Rdnr. 4. 36 Battis, in Festschrift Raisch, S. 361; Frenz, Die Staatshaftung, S. 34 f.; a.A. Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, 1975, S. 212 ff.
1. Abschnitt: Deutsches Recht
167
Das Beleihungsverhältnis steht unter dem institutionellen Gesetzesvorbehalt und wird im einzelnen durch Verwaltungsakt oder öffentlich-rechtlichen Vertrag aufgrund Gesetzes begründet37. Charakteristisch für die Beleihung und damit Voraussetzung der Grundrechtsbindung ist die institutionelle Angliederung des Beliehenen an die Verwaltung: Der Beliehene wird in den organisatorischen Verwaltungsbereich einbezogen38. Er unterliegt deshalb innerhalb seines "Auftrags- und Treueverhältnisses" mit der Staatsverwaltung ihren Weisungen, ihrer Fach- und Rechtsaufsicht in bezug auf die Wahrnehmung seiner hoheitlichen Kompetenzen39.
IL Supplementäre Grundrechtsbindung von Tätigkeiten mit Gemeinwohlbezug 1. Die Lehre vom Verwaltungsprivatrecht Eine Beschränkung der Grundrechtsbindung auf das Gebiet öffentlichrechtlicher Handlungsformen wird derzeit angesichts der beschriebenen Alternativität der Handlungsformen auf dem Gebiet der Leistungsverwaltung allerdings nur noch vereinzelt vertreten 40. Die Verbreitung der staatlichen Tätigkeit in den Formen des Privatrechts, vor allem durch die Expansion des kommunalen Versorgungswesens, wurde von der Dogmatik des öffentlichen Rechts zunehmend als eine Gefahr der Unterwanderung öffentlich-rechtlicher Gewährleistungen im Bereich der Leistungsverwaltung durch den Einsatz privatrechtlicher Handlungsformen bewertet41.
37
Battis, in Festschrift Raisch, S. 362; Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), S. 170 f.; von Heimburg, Verwaltungsaufgaben, S. 37. 38 von Heimburg, Verwaltungsaufgaben, S. 112 f.; nach Steiner, JuS 1969, 71 steht der Beliehene innerhalb der Staatsorganisation. 39 Huber, DVB1. 1952, 456, 460; Woljf/Bachof/Stob er, VwR Π, §104 m 7 d, Rdnr. 7; Battis, in Festschifl Raisch, S. 363; Steiner, JuS 1969, S. 72; von Heimburg, Verwaltungsaufgaben, S. 116. 40 Bettermann, in Festschrift Hirsch, S. 1 ff. (19); Backhaus, Öffentliche Unternehmen, S. 137; Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, S. 133; ders., JuS 1970, 332 ff. (336); hinsichtlich des Art. 19 IV GG Papier, HStR VI, §154, Rdnr. 22, S. 1244. 41 Zur Gefahr einer "Flucht ins Privatrecht" (Fleiner) grundlegend Bachof DÖV 1953, 417 ff. (423); Forsthoff, Der Staat als Auftraggeber, S. 11.
168
3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
Dieser Gefahr versuchte die Verwaltungsrechtswissenschaft in der Nachkriegszeit durch eine Neuorientierung des Verwaltungsrechts anhand der gewonnenen Erkenntnisse über die Bedeutung von Aufgaben und Zwecken als systembildender Faktoren entgegenzusteuern. Ein erster Versuch der Zuordnung von rechtlichen Konsequenzen an den Inhalt der staatlichen Tätigkeit wurde durch Ernst Forsthoff vorgenommen42. Forsthoff faßt den Bereich der lebensnotwendigen Leistungen der Verwaltung an die Bürger unter den Begriff der "Daseinsvorsorge" zusammen und betrachtet ihn unabhängig von den eingesetzten Handlungsformen als Politikum und Objekt staatlicher Verantwortung43. Er definiert später die Daseinsvorsorge als "Alles, was von Seiten der Verwaltung geschieht, um die Allgemeinheit oder nach objektiven Merkmalen bestimmte Personenkreise in den Genuß nützlicher Leistungen zu versetzen"44. Der Begriff soll zwar auf das öffentlich-rechtliche Element der Leistungsverwaltung aufmerksam machen und eventuell die Grundrechtsbindung aktivieren, nicht aber das öffentliche Recht in seiner Gesamtheit zur Anwendung bringen43. In den fünfziger Jahren verbreitete sich die Auffassung aus, daß der Begriff der Verwaltungsaufgaben eine ähnliche systembildende Funktion wie die Lehre der obrigkeitlichen Handlungsformen ausüben könnte. Man vertrat die Ansicht, daß "nicht das Mittel, nicht die Form, sondern die Aufgabe und das Ziel des Verwaltungshandelns das die öffentliche Verwaltung Charakterisierende" seien46. Wolfgang Siebert hat, vom Privatrecht her aufbauend, mehrere Teilbereiche variabler Bindung der privatrechtlichen Tätigkeit der Verwaltung an öffentlich rechtliche Grundsätze unterschieden47: Demnach existiere, nach einem Bereich des "reinen Privatrechts unter Privaten", eine "fiskalische Betätigung der Träger der öffentlichen Verwaltung". Im Rahmen dieser Betätigung beschafft der Staat notwendige Sachmittel und Dienst42
Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938. Zu den frühen Ansichten Forsthoffs bezüglich der Bedeutung von existentiellen staatlichen Leistungen, angesichts der Beschränkung der Bürger auf einen notwendigerweise eng bemessenen "beherrschten Lebensraum" s. Gröttrup, Die kommunale Leistungsverwaltung, S. 64 ff ; Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, S. 109 ff; Ossenbühl, DÖV 1971, 513 ff. (515 ff); Badura, DÖV 1966, 624 f. 43 Forsthoff\ in Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, S. 32. 44 Forsthoff\ Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 370. 45 Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, S. 9 f. 46 Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, VVDStRL 12 (1953), S. 37ff. (62). 47 Siebert, in Festschrift Niedermeier, S. 215 ff. (221).
1. Abschnitt: Deutsches Recht
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leistungen vom Markt oder nimmt selber als Konkurrent an ihm teil, um erwerbswirtschaftliche Zwecke zu verfolgen. Nach Siebert ist der Staat auf diesem Gebiet nicht an die Grundrechte gebunden; es ist "reines Privatrecht" anzuwenden, mit der Ausnahme "einiger Privilegien des Fiskus"48. Es besteht ferner ein Gebiet, wo das Privatrecht als Mittel öffentlicher Verwaltung eingesetzt wird. In Anlehnung an den Begriff der Daseinsvorsorge beschreibt Siebert vorsorgende, pflegende und fordernde Tätigkeiten, wo privatrechtliche Formen im Dienste öffentlicher Aufgaben und in unmittelbarer Verfolgung öffentlicher Zwecke zum Einsatz kommen. Die Verwaltung sei hier an die Grundrechte gebunden, denn die Wahlfreiheit der Handlungsform dürfe nicht zu einer Befreiung des Staates aus seinen elementarsten öffentlich-rechtlichen Bindungen führen 49. Auch die Lehre vom "Verwaltungsprivatrecht" von Hans Julius Wolff macht die Zweckbestimmung des Verwaltungshandelns zum "Dreh- und Angelpunkt" der Grundrechtsbindung50, ohne aber die primäre Anknüpfung an die Handlungsform und ihren hoheitlichen Zusammenhang zu verwerfen 51. Die Grundrechtsbindung im Bereich öffentlich-rechtlichen Handelns wird nunmehr zu einem Teilbereich eines weiteren Kreises von grundrechtsgebundenen Maßnahmen, in dem die privatrechtliche Qualifikation im Grunde erhalten bleibt, das anwendbare Recht jedoch punktuell überlagert wird. Auch Wolff verneint die Bindung an die Grundrechte dort, wo der Staat als "Fiskus im engeren Sinne" auftritt, d.h. in den von Siebert beschriebenen Bereichen der Erwerbswirtschaft und der staatlichen Bedarfsdeckungs- und Vermögensverwertungsgeschäfte. Der Grund dafür liegt nach Wolff darin, daß die Verwaltung hier über keine Hoheitsmittel verfügt und ihre Träger dementsprechend auch keine "Träger hoheitlicher Aufgaben" darstellen; deshalb ist sie auf diesem Gebiet nicht als Teil der "vollziehenden Gewalt" i.S. von Art. 1 Abs. 3 GG zu verstehen52. Dort aber, wo die Verwaltung "formell aber nicht inhaltlich" fiskalisch tätig sei (Daseinsvorsorge und privatrechtlich ausgeformtes Subventionswesen), gelte nach Wolff ein besonderes Privatrecht, das von "etlichen öffentlich-rechtlichen Bindungen" überlagert werde, darunter die
48
Siebert, in Festschrift Niedermeier, S. 221. Siebert, in Festschrift Niedermeier, S. 240. 50 Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung und Verfassungsrecht, S. 173. 51 Schmidt-Aßmann/Krebs, Rechtsfragen, S. 139; Dürig, in Festschrift Nawiasky, S. 157 ff. (186). 52 WolfflBachof VwR I (1974), §23 IIa. 49
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3. Kap.: Die Anknüpfngsregel f r die Grundrechtsbindung
Bindung an die Grundrechte, den Gleichheitssatz und das Übermaßverbot33. Dieses von öffentlich-rechtlichen Bindungen überlagerte Sonderprivatrecht der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben nannte Wolff Verwaltungsprivatrecht. Die Begriffe "öffentliche Aufgaben" und "Daseinsvorsorge", obwohl nicht deckungsgleich, implizieren eine Orientierung der fraglichen Tätigkeit auf die Erfüllung eines öffentlichen, also im Gemeinwohl liegenden Zwecks. Wie Wolfgang Löser kommentiert: "Daseinsvorsorge ist die dogmengeschichtlich verstehbare Übersetzung des Begriffs "öffentlicher Zweck""54. Dieser gemeinwohlbezogene Bereich umfaßt weite Bereiche der Leistungsverwaltung: Dazu gehören nicht nur die Versorgung mit Wasser, Energie, die Beschaffung von Wohnraum, der Betrieb eines öffentlichen Verkehrswesens und die soziale Förderung bedürftiger Bevölkerungsschichten55, sondern auch die Kultur- und Wissenschaftsförderung, die Bereitstellung von Sportstätten56 sowie das wirtschaftslenkende öffentliche Subventionswesen57. Wolfgang Rüfner trennt heute zwischen einer Daseinsvorsorge im weiteren und einer im engeren Sinne. In seinem weiteren Sinn erfaße dieser Begriff den gesamten Bereich staatlicher Wohlfahrtspflege 58. Daseinsvorsorge im engeren Sinn bedeutet nach Rüfner Leistungen der öffentlichen Hand, die eine dem jeweiligen Zivilisationsstandard entsprechende Lebensführung ermöglichen. Darunter würden Versorgung, Entsorgung, Verkehr, Einrichtungen der Gesundheitspflege, der Kultur, des Bildungs- und des Erziehungswesens fallen 59.
53
WolffJBachof, VwR I (1974), §23 IIa; für einen Vergleich der Lehren von W. Siebert und H.J. Wolffs. Wertenbruch, JuS 1961, S. 105 ff. (107). Der Unterschied der beiden Lehren liege nach Wertenbruch darin, daß Wolff, stärker an die Weimarer Fiskus-Lehre anlehnend, auch den Bereich des Verwaltungsprivatrechts als "fiskalische Verwaltung" bezeichnet. 54 Löser, Energieversorgung, S. 128 (Hervorhebung im Original). 55 WolffJBachof, VwR I (1974), §23 IIa; der Gesetzgeber ist in vielen Fällen dem Bedürfnis einer öffentlich-rechtlichen Bindung des Subventionswesens durch die Zwischenschaltung eines, die Subvention genehmigenden bzw. absagenden Verwaltungsaktes entgegengekommen (Zwei-Stufen-Theorie). 56 Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 19 Abs. IV, Rdnr. 58; Rüfner, HStR ΠΙ, §80, Rdnr. 43, S. 1052, und von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 17. 57 Siebert, in Festschrift Niedermeier, S. 235 ff; Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 19 Abs. IV, Rdnr. 64. 58 Rüfner, HStR ΙΠ, §80, Rdnr. 3, S. 1039. 59 Rüfner, HStR ΠΙ, §80, Rdnr. 3, Rdnr. 17 ff, S. 1043 ff
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Innerhalb der privatrechtsförmigen Verwaltungstätigkeit bleiben nach Abschichtung der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben die Gebiete der Bedarfsdeckungsgeschäfte und der Erwerbswirtschaft übrig. Staatliche Tätigkeit im Bereich des öffentlichen Auftragswesens bleibt außerhalb der Grundrechtsbindung, weil die Verwaltung dabei nicht unmittelbar, sondern nur indirekt öffentliche Zwecke verfolge. Eine Unmittelbarkeit wäre nur dann vorhanden, wenn ein Verwaltungsträger gerade dem Geschäftspartner gegenüber öffentliche Zwecke verfolge 60. Diese Voraussetzung wird allerdings auf dem Gebiet des Auftragswesens nur dann erfüllt sein, wenn die Auftragsvergabe eine indirekte Subventionierung der Betroffenen beinhaltet und bezweckt61. Somit wird praktisch das Kriterium des Inhalts der wahrgenommenen Tätigkeit vom Maßstab der rechtlichen Position des Bürgers gegenüber der Verwaltung abhängig gemacht62. Charakteristisch für den Begriff der erwerbswirtschaftlichen oder gewerblichen bzw. unternehmerischen Betätigung des Staates63 ist, daß die öffentliche Verwaltung durch solche Tätigkeiten keine spezifisch öffentliche Aufgabe
60
BGHZ 36, 91 (95); s. auch BGH, Urt. vom 14.12.1976, NJW 1977, 628. Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 304; Kohorst, Der Rechtsschutz gegenüber gemeindlichem Verwaltungsprivatrecht, S. 31 f.; Furtwängler, Die Bindung des öffentlichen Auftraggebers an den Gleichheitssatz und andere Grundrechte, S. 93; im Ergebnis auch Rüfner, Formen, S. 399; Böhmen, in Jahrbuch der Deutschen Bundespost 1985, S. 216 ff, betont, daß solche beschaftungsfremde Bindungen "Fossilien" und atypische Erscheinungen darstellen. 62 Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 200. 63 Die Frage nach der Grundrechtsbindung der gewerblichen Tätigkeit öffentlicher Verwaltung ist von der Problematik der Zulässigkeit dieser Betätigung zu trennen. Die staatliche Entscheidung, in Wettbewerb zu den Privaten zu treten, die eventuell mit Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Konkurrenz verbunden sein könnte (falls der Schutzbereich von einschlägigen Grundrechten als angetastet anzusehen wäre), unterfällt dem öffentlichen Recht (BVerwGE 39, 329) und ist als solche ohne Zweifel grundrechtsgebunden, auch wenn sie wegen ihrer privatrechtlicher Wirkungen auch nach den Maßstäben des Wettbewerbsrechts zu beurteilen ist. Die Antwort auf die Frage nach der Fiskalgeltung der Grundrechte ist nur für die Modalitäten der staatlichen Wettbewerbsteilnahme und ihr Verhalten als Konkurrenten maßgeblich. Zu diesen Fragen s. Röhl, VerwArch 86 (1995), 531 ff. (571); Schmittat, ZHR 148 (1984), 428 ff. (445); Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, S. 315; Badura, in Festschrift Steindorff, S. 835 ff. (841); Scholz, AÖR 97 (1972), 301 ff. (306); Ossenbühl, Bestand und Erweiterung des Wirkungskreises der Deutschen Bundespost, S. 116 ff ; Brohm, NJW 1994, 281 ff. (besonders S. 284). 61
172
3. Kap.: Die Anknüpfngsregel f r die Grundrechtsbindung
verfolgt 64. Die traditionelle Auffassung betrachtet als Hauptziel erwerbswirtschaftlichen staatlichen Handelns, das Staatsvermögen als solches zu erhalten und zu vermehren63. Diese ältere Vorstellung der eigennützigen Zwecksetzung solcher Tätigkeiten sollte allerdings im Rahmen des neueren Verständnisses der Gemeinwohlbindung jeglicher staatlicher Tätigkeit revidiert werden. Auf das Gemeinwohl orientierte Zweckbindungen können auch bei unternehmerischem staatlichen Handeln durchaus nebenbei bestehen. Der öffentliche Zweck wird hier nicht unmittelbar und spezifisch (durch die Erbringung von Leistungen gegenüber den Bürgern), sondern nur mittelbar verfolgt, indem der Staat die betreffende Tätigkeit als einfacher Marktteilnehmer ausübt66. Die supplementäre Anknüpfung der Grundrechtsbindung an die Erfüllung öffentlicher Aufgaben hat sich durch eine zivilgerichtliche Rechtsprechung durchgesetzt, die einerseits die Grundrechtsbindung privatrechtlicher Tätigkeiten auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge bejaht67 und andererseits staatliche Bedarfsdeckung und Erwerbswirtschaft von der Grundrechtsverpflichtung befreit 68. Eine Grundrechtsbindung der öffentlichen Verwaltung auf dem Gebiet der Bedarfsdeckung bestünde nur mittelbar über die Generalklauseln des Privatrechts 69. Allerdings ist hier Bewegung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu verzeichnen. Es wird zwar einerseits immerhin die unmittelbare Grundrechtsbindung mit dem Hinweis abgelehnt, daß die öffentliche Hand im fiskalischen Bereich wie ein Privatmann das Recht zur freien Auswahl des Geschäftspartners habe. Andererseits wird doch bemerkt, daß die Verwaltung dabei nicht "willkürlich verfahren" und keine "sachfremden Tendenzen verfolgen darf'. Vor allem die Auswahl des Geschäftspartners werde "regelmäßig durch die hoheitlichen Aufgaben, deren Erfüllung das Geschäft mittelbar dient, beeinflußt", so daß die Verwaltung letztendlich "gewisse Bindungen und
64
Badura, in Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Rdnr. 109, S. 274; ders., in Festschrift Steindorff, S. 835 ff.; Ossenbühl, Bestand, S. 97 f. 63 WolffJBachof VwR I (1974), §23 Π a. 66 Badura, in Festschrift Schlochauer, S. 3 ff. (5 ff.); implizit Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 514. Vgl. auch oben Kap. 1, Abschnitt 1, IV 1. 67 Z.B. BGHZ 29, 76; s. dazu kritisch Mertens, JuS 1963, 391 ff.; BGHZ 33, 230; BGHZ 36, 91 ("Gummistrümpfe"); BGHZ 52, 325; BGHZ 65, 284; BGHZ 91, 84; LG Frankfurt, Urt. vom 19.6.1978, NJW 1978, 2555; vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluß vom 19.1.1988, NJW 1989,1559, und Urt. vom 11.7.1989, NVwZ 1990, 91. 68 S. z.B. BGHZ 36, 91. 69 OLG Düsseldorf, Urt. vom 12.2.1980, DÖV 1981, 537.
1. Abschnitt: Deutsches Recht
173
Schranken beachten muß, die für Privatpersonen nicht in entsprechender Weise gelten"70.
2. Die an der herrschenden Auffassung geübte Kritik Hauptkritikpunkt des Schrifttums ist die Tauglichkeit einer aufgaberibezogenen Anknüpfung als Kriterium der Grundrechtsbindung. Die Verknüpfung der Grundrechtsbindung mit dem Gemeinwohlbezug staatlichen Handelns impliziere, daß ein Bereich staatlicher Tätigkeit bestünde, wo die Verwaltung ohne Ausrichtung auf das Gemeinwohl ihre eigenen "privaten Angelegenheiten" unter Umständen echter Privatautonomie erledigen darf 1. Deshalb wird der herrschenden Meinung vorgeworfen, daß sie der "absolutistischen Fiskus Theorie" weitgehend folge und weite Bereiche staatlicher Tätigkeit einer staatlichen Privatautonomie überließe72. Des weiteren wird die Verbindung zwischen Gemeinwohl und Staatlichkeit an sich angezweifelt 73: Auch dort, wo ein öffentliches Interesse zur Erledigung einer Aufgabe zweifellos bestehen sollte, bedeutet dies noch lange nicht, daß der Staat sie auch wahrnehmen müßte. Auch wenn es einen Mindestbestand an Aufgaben gäbe, die mit der Staatlichkeit so eng verknüpft seien, daß der 70
BGH, Urt. vom 14.12.1976, NJW 1977, 628; GmS-OGB, Beschluß vom 10.4. 1986, NJW 1986,2359; OLG Koblenz, Urt. vom 3.2.1988, NVwZ-RR 1989,182. 71 Badura, ZHR 146 (1982), 448 f.; Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 176 ff; Wallerath bemerkt, daß es nur ein dem Gemeinwohl dienendes staatliches Handeln geben kann; vgl. u.a. auch Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 209. 72 Zeidler, Schranken nicht-hoheitlicher Verwaltung, VVDStRL 19 (1960), S. 208 ff. (221); Mallmann, VVDStRL 19 (1960), S. 165 ff. (195); Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 323 ff.; Rupp, DVB1. 1971, 669 f.; a.A. Forsthoff, Der Staat als Auftraggeber, S. 11 f.; H.H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, S. 168. 73 Zum Folgenden: Bogs, BB 1963, 1269 f.; Menger/Erichsen, VerwArch 61 (1970), 375 ff. (383); Rüfiier, Formen, S. 397; Bachof, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, VVDStRL 30 (1971), S. 193 ff. (229); Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit, Bd. I, S. 110; ders., in Erichsen/Martens (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht (1992), §32, Rdnr. 3, S. 408 f.; Kunert, Bedarfsdeckungsgeschäfte, S. 77 ff.; Vetter, Privatrechtliche Leistungsbeziehungen der Unternehmen des Deutschen Bundespost, S. 90 f.; Walthelm, Das öffentliche Auftragswesen, S. 104 ff.; Schnapp, in GG- Kommentar, Art. 20, Rdnr. 40; Gusy, DÖV 1984, 873 ff. (877).
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3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
Staat sie notwendigerweise selbst erfüllen müßte, so gelte dies für einen sehr beschränkten Funktionenkreis, besonders von verfassungsrechtlich auferlegten Aufgaben. Die geschichtliche Folge von Ver- und Entstaatlichung von Aufgabenbereichen, vor allem auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge, zeige je-doch, daß es keine Aufgaben von Natur aus, keine "Verwaltungsgeschäfte ihrem Wesen nach"74 gebe. Die gedankliche Brücke zwischen den typisch staatlichen grundrechtlichen Sondermaßstäben und dem Inhalt der wahrgenommenen Aufgaben sei schwer zu schlagen73. Ferner wird darauf hingewiesen, daß mangels einer ausgebauten Staatsaufgabenlehre der Begriff der öffentlichen Aufgaben weder genau noch generell definierbar sei, besonders weil er in engem Zusammenhang mit dem wenig konkretisierbaren öffentlichen Interesse stehe76. Aber auch dem zur Präzisierung der öffentlichen Aufgaben hinzugezogenen Begriff der Daseinsvorsorge wird mangelnde Bestimmtheit vorgeworfen: Ihm sei nur eine soziologische77 bzw. eine deskriptiv-analytische78, aber keine rechtliche Bedeutung zuzusprechen. Somit hätten die Begriffe öffentliche Aufgaben und Daseinsvorsorge hauptsächlich nur eine problemverdeutlichende Funktion79. Früh ist man sich deshalb der Schwierigkeiten der Abgrenzung des Bereichs der unmittelbaren Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben in bezug sowohl auf den rein fiskalischen 80 als auch auf den hoheitlichen Bereich81 bewußt geworden82. Besonders im Bereich der Bedarfsdeckungsgeschäfte wird die Anknüpfung der Grundrechtsgeltung an die unmittelbare Erfüllung öffentlicher Aufgaben stark kritisiert. Das Kriterium der Unmittelbarkeit wird in diesem Zusammenhang als zu nebulös, schwach und konturenlos angegriffen, 74
Vgl. aber Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 519. Schmidt-Aßmann/Krebs, Rechtsfragen, S. 141. 76 Ossenbtihl, DÖV 1971, 515 ff. 77 Emmerich, JuS 1970, 332 ff. (335); ders., Das Wirtschaftsrecht, S. 99, 132; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 31 f.; Kermel, Steuerungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand bei Beteiligung an Aktiengesellschaften der Energieversorgung, S. 90. 78 Schmidt-Aßmann, BB 1990, Beil. 34, 1 ff. (14); ders., in Festschrift Niederländer, S. 383 ff. (385); Rüfner, HStR ΙΠ, §80, Rdnr. 51, S. 1055. 79 Ossenbühl, DÖV 1971, 517; auch Erichsen, Gemeinde und Private im wirtschaftlichen Wettbewerb, S. 26. 80 Solche Abgrenzungsschwierigkeiten werden selbst von den Verfechtern dieser Lehre zugegeben: Siebert, in Festschrift Niedermeier, S. 221. 81 S. die Argumentation von Schaumann, JuS 1961, 110 f. 82 Vgl. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 202 ff 73
1. Abschnitt: Deutsches Recht
175
um für echte juristische Subsumtionsvorgänge tauglich zu sein83. Letztendlich werde oft die Unterscheidung zwischen Auftragsvergabe und Subventionierung sehr schwierig ausfallen 84. Es wird vielmehr darauf hingewiesen, daß auch Bedarfsdeckungsgeschäfte in Verfolgung öffentlicher Zwecke vorgenommen werden, oder daß solche Geschäfte die unentbehrliche materielle Voraussetzung für die Erfüllung von öffentlichen Aufgaben darstellen85. Dies gelte um so mehr, als man kaum von n Hilfs Mgeschäften sprechen könnte, da die Bedarfsdeckung einen der wesentlichen Teile der Verwaltungstätigkeit darstelle86. Im Bereich des staatlichen Auftragswesens sei nach dieser Auffassung die Grundrechtsgefährdung wegen einer staatlichen Machtlage besonders stark und deshalb die Bindung an die Grundrechte, insbesondere an den Gleichheitssatz, angesagt87.
3. Alternative Anknüpfungsvorschläge Die Lehre vom Verwaltungsprivatrecht ist zwar herrschend88, jedoch mehren sich die Gegenstimmen. Eine verbreitete Auffassung sieht die ratio der 83
Schmidt-Aßmann/Krebs, Rechtsfragen, S. 142; Kuriert, Bedarfsdeckungsgeschäfle, S. 95 ff m.w.N.; Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 174, FN 9; H.H. Klein, Die Teilnahme, S. 24, FN 77; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 201. 84 Pietzcker, Der Staatsaufìrag, S. 236; Huber, Konkurrenzschutz, S. 72. 85 Zeidler, VVDStRL 19 (1960), S. 238; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. m,l, S. 1404. 86 Forsthoff,; Der Staat als Auftraggeber, S. 21 f.; auch Mallmann, VVDStRL 19 (1960), S. 196; in diese Richtung für die Frage der Bindung von städtebaulichen Verträgen auch Schmidt-Aßmann/Krebs, Rechtsfragen, S. 8 f. 87 Pietzcker, AÖR 107 (1982), 61 ff. (71); Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 313 ff; Walthelm, Das öffentliche Auftragswesen, S. 157; Wolff/Bachof/Stober, VwR I, §23, Rdnr. 21; Elverfeld, Europäisches Recht und kommunales öffentliches Auftragswesen, S. 23, sieht die staatliche Bedarfsdeckung aus "rein pragmatischen" und "rechtstatsächlichen Gründen" grundrechtsgebunden. 88 S. Badura, JuS 1966, 17 ff. (20); ders., in Festschrift Schlochauer, S. 21; ders., in Festschrift Steindorff, S. 841; Schenke, in Bonner GG, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 192; ders., JZ 1988, 317 f.; Haueisen, DVB1. 1961, 833 ff. (837); von Münch, in von Münch (Hrsg.), GG-Kommentar, Vorbemerkungen zu Art. 1-19, Rdnr. 34 ff. (35); Wertenbruch, JuS 1961, 105 ff ; Kruschke, DÖV 1971, 694 ff. (697); Bethge, JR 1972, 139 ff. (143); Martens, in Festschrift H.J. Wolff, S. 429 ff. (441, 443); grundsätzlich auch Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 199 f.; Kopp, in Festschrift Wilburg, S. 141 ff. (153); Ronellenfitsch, HStR ΠΙ, §84, Rdnr. 47 ff, S. 1198 ff; Schmidt-
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3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
Grundrechtsgeltung in der Bestrebung, jegliche und somit auch faktische staatliche Übermacht zu begrenzen. Die Bindung an die Grundrechte sei dementsprechend überall dort zu bejahen, wo ein konkreter Zustand "faktischer Unterwerfung" oder "unentrinnbarer Inferiorität" deutlich zum Ausdruck komme89. Spezifische staatliche Machtüberlegenheit sei nicht nur in hoheitlichen Handlungsformen und in der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben anwesend. Auch in der Bedarfsverwaltung und bei der staatlichen Teilnahme am Wirtschaftsleben könnte ein Grundrechtsschutzbedürfhis des Bürgers bestehen, soweit der Staat über eine faktische oder rechtliche Machtlage verfüge 90. Nach der sich derzeit im Vordringen befindlichen Meinung ist der Staat, in welcher Erscheinung er auch auftritt, wenn nicht an die Normen des öffentlichen Rechts insgesamt91, zumindest aber an die Grundrechte gebunden. Diese Lehre kehrt sich von dem ab, was sie als "freie" wissenschaftliche Rechtsbildung bezeichnet und betrachtet die Problematik der Grundrechtsbindung ausschließlich als eine Frage der Verfassungsinterpretation 92. Dabei geht sie von einer neuen Auffassung des Begriffs der vollziehenden Gewalt in Art. 1 Abs. 3 GG aus und will besonders die tatsächliche Interessenlage in den Beziehungen zwischen privatrechtlich handelndem Staat und Bürgern in Rechnung ziehen. Nach dieser Ansicht sei der Begriff "vollziehende Gewalt" mit dem Begriff der Verwaltung gleichwertig und für eine Einbeziehung jeglicher Verwaltungstätigkeit offen, auf jeden Fall neutral93. Der Begriff der Bleibtreu/Klein, GG, Art. 19, Rdnr. 24; leicht differenziert Zippelius, Der Gleichheitssatz, VVDStRL 47 (1988), S. 1; Dürig, in Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 3 Abs. 1, Rdnr. 480, 500 ff, der seine frühere Lehre der mittelbaren Grundrechtsbindung ("Erklärungstheorie") auf die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit des Staates und seine Hilfsgeschäfte beschränkt; ders., in Festschrift Nawiasky, S. 188 ff ; ebenfalls Ossenbühl, DÖV 1971, 521. 89 Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 209. 90 In diesem Sinne Löw, DÖV 1957, 879 ff ; Stern, JZ 1962, 181 f.; Bachof, DÖV 1953, 423; ders., in VVDStRL 12 (1953), S. 63, und VVDStRL 19 (1960), S. 259; Schricker, Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand und unlauterer Wettbewerb, S. 30; dahin tendierend auch Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S. 212 f. 91 Grupp, ZHR 140 (1976), 367 ff. (378); s. auch das Plädoyer von Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 455 ff 92 Zeidler, VVDStRL 19 (1960), S. 225; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 214. 93 Stern, Staatsrecht, Bd. m,l, S. 1410; Pietzcker, Der Staatsauftrag, S. 368; ders., AÖR 107 (1982), 71; Kunert, Bedarfsdeckungsgeschäfte, S. 105. Hinweisend auf die Tatsache, daß der Begriff "Verwaltung" durch die "vollziehende Gewalt" erst durch
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Gewalt deute keineswegs auf ein Verhältnis rechtlicher Subordination hin, wie dies die traditionelle Auffassung geltend gemacht hatte94. Der verfassungsrechtliche Kontext, insbesondere der Zusammenhang mit dem Terminus "staatliche Gewalt" der Absätze 1 (S. 2) und 2 desselben Artikels, mache deutlich, daß das Grundgesetz die staatliche Tätigkeit insgesamt, in allen ihren Erscheinungsformen, binden möchte95. Es ist schließlich im Rahmen dieser Auffassung darauf hingewiesen worden, daß der Staat im Grundgesetz kein natürliches Subjekt, keine Privatautonomie genießende Rechtsperson darstelle96. Privatautonomie komme ihm nicht zu, weil er weder ein Grundrechtsträger sei, noch eine eigene, echte Rechtsfähigkeit besitze. Auch privatrechtliche staatliche Tätigkeit sei eine Ausübung von öffentlicher Gewalt i.S. von Art. 1 Abs. 3 GG, denn alle staatlichen Kompetenzen und Befugnisse seien von der Verfassung konstituierte Erscheinungsformen der Staatsgewalt. Somit existiere keine Form nicht grundrechtsgebundenen staatlichen Handelns. Reservate erwerbswirtschaftlichen staatlichen Wirkens unter Ausschluß der Verfassung und der Grundrechte dürften nach dieser "Gesamtschau" (Erichsen) der Verfassung nicht bestehen97. das Gesetz vom 19.03.1956 (BGBl. 1956, Bd. I S. 111) ersetzt wurde, um die Bindung der Streitkräfte zu verdeutlichen: Erichsen, Staatsrecht, S. 108; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 215. 94 Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 112 ff; für die traditionelle Auffassung Forsthoff, Der Staat als Auftraggeber, S. 13; H.H. Klein, Die Teilnahme, S. 171 ff; Bettermann, Gewerbefreiheit, S. 19; Ronellenfitsch, HStR ΙΠ, §84, Rdnr. 46, S. 1198. 95 Zeidler, VVDStRL 19 (1960), S. 225 ff; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 216. 96 Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 326. 97 Mallmann, VVDStRL 19 (1960), S. 202; Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 114 f.; ders., Gemeinde und Private im wirtschaftlichen Wettbewerb, S. 24; ders., in Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg. VwR (1992), §32, Rdnr. 8, S. 411; Schmidt-Aßmann/Krebs, Rechtsfragen, S. 145; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 153 f.; ders., in von Benda/Maihofer/H.-J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, S. 152, Rdnr. 56; Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, §383, S. 134; Löwer, Energieversorgung, S. 123 ff; Bogs, BB 1963, 1269; Menger/Erichsen, VerwArch 61 (1970), 384; Pieroth/Schlink, Staatsrecht Π - Grundrechte, Rdnr. 223, S. 54 f.; Stern, Staatsrecht, Bd. m,l, S. 1411 ff.; Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S. 212; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 86 ff; Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 318; Huber, Konkurrenzschutz, S. 315; Achterberg, JA 1985, 503; Holtschmidt, Grenzen der privatrechtlichen wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand, S. 22 ff; Plagemann, Die erwerbswirtschaftliche Betätigung der Deutschen Bundespost durch Eigengesellschaften, S. 176 f.; Loeser, System des 12 Gogos
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3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
III. Die Grundrechtsbindung von verselbständigten Verwaltungseinheiten nach der herrschenden Lehre 1. Vorbemerkung Die Grundrechtsbindimg von Verwaltungseinheiten, die in öffentlichrechtlichen Handlungsformen tätig werden, setzt voraus, daß die handelnde Organisation zu den Trägern öffentlicher Verwaltung gehört. Dieses institutionelle Element äußert sich zuallererst in der engen Verknüpfung zwischen der öffentlich-rechtlichen Organisationsform und der öffentlich-rechtlichen Handlungsform. Besonders deutlich wird die Notwendigkeit dieser "Sonderbeziehung"98 in den Konstellationen, in denen Private mit der Befiignis zum öffentlich-rechtlichen Handeln beliehen werden: Der Beliehene wird dabei der öffentlichen Verwaltung angegliedert, er unterliegt ihrer Rechts- und Fachaufsicht. Auch im Rahmen der Lehre vom Verwaltungsprivatrecht können "öffentliche Aufgaben" nur Verwaltungsaufgaben sein, also Tätigkeiten, die der Staat übernommen hat, die auch eine institutionelle Verbindung zur öffentlichen Verwaltung aufweisen 99. Nach der Wolffschen Lehre vom Verwaltungsprivatrecht findet bei der Erledigung von öffentlichen Aufgaben nur dann eine Verpflichtung auf die Grundrechte statt, wenn diese Aufgaben durch "Träger der öffentlichen Verwaltung" wahrgenommen werden100. Der Begriff der Daseinsvorsorge bezieht sich ebenfalls auf "Leistungen der Verwaltung"101. Auch Siebert bemerkt: "Echte öffentliche Verwaltung liegt hierbei nur so lange vor, als es sich um Tätigkeit der unmittelbaren und mittelbaren Staats-
Verwaltungsrechts, Bd. I, §9 Rdnr. 35 f., S. 594 ff ; Schmittat, ZHR 148 (1984), 446; Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 220; T. Koch, Der rechtliche Status, S. 86; Weber, Öffentliche Unternehmen unter besonderer Berücksichtigung kommunaler Sparkassen, S. 86 ff, 96; Becker, Verwaltungsprivatrecht und Verwaltungsgesellschaftsrecht, S. 51 f.; jedenfalls für die Bedarfsdeckungsgeschäfte zustimmend Rengeling, in Festschrift Lukes, S. 169 ff. (173). Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, S. 91 ff. sieht dieses "rechtsstaatliche Argument" als ausschlaggebend für den Bereich des 19 Abs. 4 GG; a.A. Brohm, Strukturen, S. 183. 98 S. T. Koch, Der rechtliche Status, S. 133. 99 T. Koch, Der rechtliche Status, S. 133 f. 100 WolfflBachof, VwR I (1974), §23 Π 3b; Huber, Konkurrenzsschutz, S. 315. 101 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 370.
1. Abschnitt: Deutsches Recht
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Verwaltung, also auch der Anstaltsverwaltung, handelt"102. Aber auch aus der Lehre der umfassenden Bindung des Staates an die Grundrechte folgt nicht unbedingt, daß auch staatsnahe Träger ohne weiteres Grundrechtsadressaten darstellen103: Man muß sich jedenfalls fragen, welche dieser Organisationen den Verwaltungsträgern zuzuordnen sind104. Die nachfolgenden Ausführungen werden zeigen, daß auch die Rechtsprechimg die Grundrechtsbindung von verselbständigten Verwaltungseinheiten nicht allein im Hinblick auf ihre Tätigkeiten, sondern auch unter Bezugnahme auf ihre institutionelle Zugehörigkeit zur öffentlichen Verwaltung untersucht. Wann ein "Verwaltungsträger" vorliegt, ist eine schwierige Frage105. Nach Siebert sind nicht nur öffentlich-rechtlich organisierte Verwaltungseinheiten, sondern auch privatrechtlich verfaßte Träger unter staatlichem Einfluß als Verwaltungsträger zu behandeln, vorausgesetzt, daß ihre Leistungen dem Bereich der Daseinsvorsorge zuzuordnen sind106. Auch H.J. Wolff betrachtet kommunale Versorgungs- und Verkehrsunternehmen als grundrechtsgebunden107. Nach dem Bundesverwaltungsgericht gehören andererseits mindestens solche staatliche Betätigungen zur Daseinsvorsorge, die in öffentlichrechtlichen Organisationsformen durchgeführt werden108. Prima facie erscheint außer Zweifel zu stehen, daß die Grundrechtsbindung von öffentlich-rechtlichen Organisationen nach denselben Maßstäben zu messen ist, die für die zentralen Staatsbehörden gelten109. Eine Untersuchung deckt allerdings gewisse Unsicherheiten auf. Dies könnte auch nicht anders sein, weil die öffentlich-rechtliche Organisationsform im deutschen Recht nicht immer und zwangsläufig die Zugehörigkeit zur staatlichen Organisation bedeutet. Noch komplizierter stellt sich die Lage bei privatrechtlich verfaßten Staatstrabanten dar.
102
Siebert, in Festschrift Niedermeier, S. 229. Becker, Verwaltungsprivatrecht, S. 52. 104 Nicht zufallig bezieht Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 212 ff. seine Stellungnahme zugunsten einer "Gesamtschau-Interpretation" nur auf die öffentlichrechtlich organisierte Verwaltung. 105 Röhl, VerwArch 86 (1995), 574. 106 Siebert, in Festschrift Niedermeier, S. 229 f. 107 WolfflBachof, VwR I (1974), §23 Π b. 108 BVerwGE 41, 195 = DVB1. 1973, 572. 109 Dickersbach, WiVerw 1983, 187 ff. (205); Stern, Staatsrecht, Bd. ΙΠ,Ι, S. 1334. 103
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3. Kap. : Die Anknüpftingsregel für die Grundrechtsbindung
2. Die Grundrechtsbindung juristischer Personen des öffentlichen Rechts Öffentlich-rechtlich organisierte Verwaltungseinheiten stellen grundsätzlich Verwaltungsträger dar und sind demzufolge als grundrechtsverpflichtet zu betrachten, wenn sie öffentlich-rechtlich handeln oder unmittelbar öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Dies gilt allgemein sowohl für das Handeln von öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten, als auch von Stiftungen110. Die Grundrechtsbindung ist nach der h.L. auch für die als öffentlichrechtliche Anstalten verfaßten kommunalen Sparkassen111 zu bejahen. Die Problematik liegt hier vor allem in der Frage, ob die Aufgaben der Sparkassen einem öffentlichen Zweck dienen. Man ist sich zwar einerseits einig, daß die Sparkassen öffentliche Aufgaben wahrnehmen, die mit der Kreditausstattung des Mittelstands und der schwächeren Bevölkerungsgruppen sowie der Förderung des Sparsinns und der Vermögensbildung der Bevölkerung verbunden sind112. Ohne Zweifel ist aber die Tätigkeit der Sparkassen auch dem privaten Bankwesen aufs engste verwandt. Es stellt sich also die Frage, ob die öffentlichen Sparkassen eine Doppelnatur besitzen, so daß sie bei der Wahrnehmung ihres öffentlichen Auftrags als öffentlich-rechtliche Anstalten grundrechtsverpflichtet sind, während ihre bankidentischen Tätigkeiten unter einem rein privatrechtlichen Regime entfaltet werden113. Die herrschende Lehre erachtet den öffentlichen Sparkassenauftrag als das dominierende Element der gesamten Sparkassentätigkeit. Eine Differenzierung je nach Aufgabenbereich sei abzulehnen114. Dieser Auffassung stimmt die Rechtsprechung zu; das Bundesverwaltungsgericht betrachtet die gesamte Tätigkeit der Sparkassen als Daseinsvorsorge und damit als Teil der öffentlichen Gewalt115. Dasselbe sollte auch für die Landeszentralbanken116 und die Deutsche Bundesbank gelten117.
110
Stern, Staatsrecht, Bd. m,l, S. 1339; Rüfner, HStR V, §117, Rdnr. 16, S. 533. Erichsen, Gemeinde und Private im Wettbewerb, S. 24; Kirchhof DVB1. 1983, 921; vgl. Weber, Öffentliche Unternehmen, S. 199. A.A. aber Badura, in Festschrift Schlochauer, S. 17 f. 112 BVerwG, Beschluß vom 28.12.1971, DVB1. 1972, 780. 113 In diesem Sinne Kirchhof, DVB1. 1983, 921. 114 Merten, DVB1. 1983,1140; Nierhaus, DÖV 1984, 662 ff. (667). 115 BVerwGE41,195 (196) = DVB1. 1973, 571. 116 BGH, Urt. v. 10.3.1983, NJW 1983, 2509 (2511). 117 Grämlich, DtZ 1990, 53 ff. 111
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Auch die körperschaftlichen Träger der wirtschaftlichen und beruflichen Selbstverwaltung sind ohne Zweifel als Verwaltungsträger und damit als Bindungsadressaten der Grundrechte zu erachten118 und zwar sowohl in ihrer Betätigung gegenüber Dritten wie auch in ihrer intern wirkenden Satzungsgebung 119 . Das folgt schon aus der Auffassung der Selbstverwaltung als staatlich bestimmter Wahrnehmimg von Gruppeninteressen120: Die Errichtung von selbstverwaltenden Körperschaften wie auch die Wahrnehmung ihres Aufgabenkreises beruhen schließlich auf staatlicher Verleihung, Delegation. Es können nur derartig Befugnisse übertragen werden, wie sie die originäre rechtsetzende grundrechtsgebundene Gewalt - also das deutsche Parlament besitzt121. Einen Ausdruck dieser Grundrechtsverpflichtetheit von öffentlich-rechtlichen Körperschaften mit Zwangsmitgliedschaft stellt schließlich das aus dem Persönlichkeitsrecht ihrer Pflichtmitglieder abgeleitete Verbot der Kompetenzüberschreitung dar, besonders bei Meinungsäußerungen außerhalb des Gebiets der Wahrnehmung von legitimen Aufgaben der Körperschaft 122.
118
Schmidt-Aßmann, in Gedächtnisschrift Martens, S. 249 ff. (258); Stern, Staatsrecht, Bd. ΙΠ,Ι, S. 1340 ff.; Stober, DÖV 1993, 333 f.; ders., Die Industrie- und Handelskammer als Mittler zwischen Staat und Wirtschaft, S. 69; Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, S. 142; s. auch BVerwGE 39, 100 (105): Bindung der Beitragserhebung einer Ärztekammer an den Gleichheitssatz und die Grundrechte (ihm folgend: BVerwG, Urt. vom 26.6.1990, NJW 1990, 786 f.); genauso bei der Beitragserhebung durch Industrie- und Handelskammern: BVerwG Urt. vom 26.6.1990, NVwZ 1990, 1167. 119 Brohm, in Festschrift v. Unruh, S. III ff. (803); s. BVerfGE 33, 125 (160 f.) "Fachärzte"; s. auch die Prüfung einer Vorschrift der Berufsordnung der Ärztekammer Schleswig-Holstein anhand des Art. 12 I GG im Urt. vom 6.3.1991 des Berufsgerichtshofs für Heilberufe in Schleswig, NJW 1992, 779. Vgl. ebenfalls Schenke, NJW 1991, 2313 ff. (2318 ff.). 120 Schmidt-Aßmann, in Gedächtnisschrift Martens, S. 258. 121 Friehe, JuS 1979, 465 ff. (469 f.); Redeker, NJW 1982, 1266 f.; zu einem anderen Ergebnis kommt man, wenn man den Selbstverwaltungskörperschaften eine originäre Rechtssetzungsbefügnis zuerkennt: s. Friehe, JuS 1979, 467 f. 122 S. BVerwGE 34, 69; BVerwGE 59, 231; (alle 2 über Studentenschaften); BVerwG, Urt. vom 24.9.1981, NJW 1982, 1298 (Steuerberaterkammer = BVerwGE 1964, 115), BVerwG Urt. vom 17.12.1981, NJW 1982, 1300; BVerwGE 64, 298; VG Berlin Urt. vom 27.9.1991, NJW 1992, S. 777; Überblick der Rechtsprechung bei Laubinger, VerwArch 74 (1983), 175 ff. (BVerwG), und VerwArch 74 (1983), 263 ff. (zur Rechtsprechung anderer Verwaltungsgerichte); vgl. auch Pietzcker, JuS 1985,
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3. Kap. : Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
3. Der Sonderfall öffentlich-rechtlich verfaßter Grundrechtsträger: Hochschulen und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten Umstritten ist allerdings die Grundrechtsbindung von öffentlich-rechtlichen Trägern, die in einem grundrechtlich garantierten Regime der Staatsfreiheit tätig werden. Man muß sich fragen, ob mit der Grundrechtsträgerschaft notwendigerweise eine Stellung in "Gegenposition zum Staat" verbunden ist123. Zu diesen öffentlich-rechtlich verfaßten Grundrechtsträgern gehören die wissenschaftlichen Hochschulen. Im Bereich der Ausübung von Staatsgewalt, insbesondere bei Zulassungsentscheidungen zum Studium, steht die Grundrechtsbindung der Hochschulen außer Zweifel: Das Bundesverfassungsgericht hat für die Frage der Zulassungsbeschränkungen (numerus clausus) die Universitäten ausdrücklich als Anspruchsgegner des aus den Grundrechten (insbesondere der Berufsfreiheit) abgeleiteten Zulassungsanspruchs anerkannt124. Dasselbe ist nach der h.L. auch in den Bereichen anzunehmen, wo die Hochschulen zwar öffentlich-rechtlich, jedoch im Bereich ihrer Grundrechtsberechtigung (Art. 5 Abs. 3 GG123), also in Wissenschaft und Lehre, tätig werden. Lehre und wissenschaftliche Forschung dürften somit nicht die Grundrechte anderer verletzen. Die Kollision des Grundrechts der Freiheit von Wissenschaft und Lehre mit den Grundrechten Dritter, deren Adressat die Hochschule ist, sei hier im Sinne einer Harmonisierung durch Abwägung und mit dem Ziel der Wahrung der Funktion der Hochschulen zu bewältigen126. Im Fall der öffentlich-rechtlichen Rundfünkanstalten wird dasselbe Problem durch das besondere Konkurrenzverhältnis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu den übrigen (privaten) Medien sowie durch die privatrechtliche Qualifikation der ausgeübten Tätigkeit erschwert. Einerseits dürften kaum Zweifel bestehen, daß in Tätigkeitsbereichen, wo Obrigkeit in öffentlichrechtlichen Formen ausgeübt wird (Erhebung von Gebühren, Verteilung von Sendezeit an politische Parteien, Verwaltung der verfügbaren Frequenzen u.ä.)
27 ff; Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie, S. 154 ff; Maurer, Allg. VwR, §23 Rdnr. 43. 123 So BVerwGE 70, 310 (316). 124 Stellvertretend BVerfGE 39, 276 (294 ff); vgl. auch Hauck, NVwZ 1983, 77 ff.
(80).
123
S. z.B. BVerfGE 12, 256 (262). Stern, Staatsrecht, Bd. m,l, S. 1341 ff; Rüfner, HStR V, §117, Rdnr. 5 ff, S. 528 ff. 126
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die Rundfunkanstalten Bindungsadressaten der Grundrechte darstellen127. Das Bundesverfassungsgericht qualifiziert entsprechend die Zuteilung bzw. Verweigerung von Sendezeiten als eine hoheitliche Betätigung und somit als Ausübung öffentlicher Gewalt128. Das Gericht hatte allerdings in diesem Urteil (BVerfGE 7, S. 99 ff.) die Frage ausdrücklich offengelassen, ob andere Aufgaben der Rundfunkanstalten, insbesondere die Programmgestaltung, ebenfalls als vollziehende Gewalt i.S. von Art. 1 Abs. 3 GG betrachtet werden sollten129. Als erstes stellt sich die Frage der Einordnung dieser Tätigkeiten in die Dichotomie zwischen öffentlich- und privatrechtlichen Handlungsformen. Eine Ansicht sieht in der Programmgestaltung eine öffentlich-rechtliche Aktivität130; auf dieser Grundlage ist zweifellos eine Subsumtion der Programmgestaltung (als Tätigkeit in öffentlich-rechtlicher Handlungsform) unter den Begriff der vollziehenden Gewalt i.S. von Art. 1 Abs. 3 GG möglich. In diesem Zusammenhang hat aber die Zivilgerichtsbarkeit oft die Ansicht vertreten, daß die Veranstaltung von Rundfunksendungen sich nach den Maßstäben des Privatrechts zu richten hat131. Dieser Auffassung stimmt auch der größte Teil der Lehre zu. Man argumentiert, daß weder Zwang durch die Sendetätigkeit ausgeübt wird, noch ein Verhältnis der Subordination zwischen Zuschauern und Anstalt vorliegt 132. Es bleibt freilich offen, ob auch bei privatrechtlicher Qualifikation der Programmgestaltung die Bindung an die Grundrechte abgestreift wird. Auch wenn die fragliche Tätigkeit privatrechtsförmig wahrgenommen wird, bestün127
Stern, Staatsrecht, Bd. m,l, S. 1340 f. A.A. jedoch Lange, Die öffentlichrechtliche Anstalt, WDStRL 44 (1986), S. 197, mit Hinweis auf die seiner Meinung nach lediglich privilegierende Funktion öffentlich-rechtlicher Verfassung im Fall der Rundfunkanstalten. 128 BVerfGE 7, 99; 14,121 (132 f.); 34, 160 (163); 47, 198 (225); BVerfG, Beschluß vom 25.4.1985, JZ 1985, 837, mit Anm. Hans-Peter Schneider; s. auch die neuere Rechtsprechung des OVG Hamburg in den Beschlüssen von 7.9., 9.9. und 14.9.1993, NJW 1994, 57, 68, 70; zu diesem Problemkreis Eberle , NJW 1994, 905 f. 129 BVerfGE 7, 99 (104). 130 Bun, NJW 1972, 705 ff. 131 S. OLG München, Urt. vom 14.5.1970, NJW 1970, 1745 (prinzipiell privatrechtliche Deutung, jedoch im vorliegenden Fall einer Fahndungssendung öffentlich-rechtlich); OLG Frankfurt, Urt. vom 29.7.1970, NJW 1971,47; konkludent auch BGH, Urt. vom 25.11.1986, NJW 1987, 2746. 132 T. Schmidt, NJW 1970, 2026 f.; Ossenbühl, Rundfunk zwischen Staat und Gesellschaft, S. 40; Benke, JuS 1972, 257 m.w.N.
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3. Kap. : Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
de in der privatrechtsförmigen Programmtätigkeit nach einer verbreiteten Lehre eine grundrechtstypische Gefährdungslage. Die Tätigkeit der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten beinhalte auch in dieser Konstellation das Element der öffentlichen Gewalt133. In einem obiter dictum schien der Bundesgerichtshof dies zu bestätigen: "Zwar haben die öffentlichen Rundfunkanstalten als Träger öffentlicher Gewalt, soweit sie hoheitlich tätig werden, den Gleichheitssatz des Art. 3 GG zu beachten. Dies gilt auch dann, wenn sie sich zur Erfüllung der ihnen obliegenden öffentlichen Aufgaben privatrechtlicher Formen bedienen"134. Es wird ferner argumentiert, daß, auch wenn die Rundfunkanstalten eine gewisse Distanz zum staatlichen Apparat genössen, das Element der öffentlichen Verantwortung und die Zugewandschaft zur staatlichen Organisation dominant blieben133. Nach dieser Ansicht zeige auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in diese Richtung; zitiert werden dazu die Stellen, wo das Gericht in der Sendetätigkeit eine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung gesehen hat, die sich unter öffentlicher Verantwortung und im öffentlichrechtlichen Bereich vollzieht136. Die Effektivität der Programmgestaltung sollte nach dieser Betrachtung innerhalb des Rahmens einer universellen Grundrechtsverpflichtung der Rundfunkanstalten geschützt werden und zwar durch eine konkrete Abwägung und Harmonisierung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit der Anstalt mit den gefährdeten Grundrechten anderer 137. In ihrer Hauptaufgabe (aber auch nur in dieser Beziehung138), also bei der Gestaltung und Ausstrahlung von Programmsendungen, können die öffentlichen Rundfunkanstalten sich selbst auf das Grundrecht der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen 139. Dies hat eine besondere Bedeutung in Konstellationen, in denen die Rundfunkanstalten zugleich Grundrechtsträger und Grundrechtsverpflichtete sein könnten, wie dies insbesondere bei ehrverletzenden Sendungen der Fall ist. Der Bundesgerichtshof betrachtet diese Problema133 Stern, Staatsrecht, Bd. m,l, S. 1341; Rüfner, HStR V, §117, Rdnr. 5 ff., S. 528 ff., schlägt eine Grundrechtsbindung im Sinne des Verwaltungsprivatrechts vor. 134 BGHZ 37, 1 (27). 133 Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG Komm., Art. 19 Abs. IV, Rdnr. 53; Stern, Staatsrecht, Bd. m,l, 1340 f. 136 BVerfGE 7, 99 (104); 12, 205 (246); 31, 314 (329). 137 Rüfner, HStR V, §117, Rdnr. 6, S. 529; Stern, Staatsrecht, Bd. m,l, S. 1341. 138 BVerfGE 59, 231 (255); Bethge, DVB1. 1986, 859 ff. (867). 139 BVerfGE 59, 231; BVerfGE 78, 101; für viele Schmidt-Aßmann, in Festschrift Niederländer, S. 391; Jarass, Die Freiheit der Massenmedien, S. 258 ff.
1. Abschnitt: Deutsches Recht
185
tik als eine Kollision "von widerstreitenden Interessen" und beurteilt ehrverletzende Sendungen nach den vom Privatrecht entwickelten Maßstäben140. Nach dem Bundesgerichtshof sind die Rundfunkanstalten bei der Gestaltung ihres Programms mit den privaten Medien, insbesondere mit der Presse, gleichzustellen141. Die Verfassung sieht nach dem Bundesgerichtshof die Rundfunkanstalten, wenn es um Übergriffe in die Persönlichkeitssphäre geht, in einer "(horizontalen) Spannungslage kollidierender Grundrechte" und nicht in einer "(vertikalen) Gegenüberstellung" in ihren Beziehungen zu den Bürgern 142. Entsprechend gehören nach der herrschenden Auffassung die Rundfunkanstalten in ihrer eigentlichen Haupttätigkeit, der Programmgestaltung, nicht zu den grundrechtsverpflichteten Verwaltungsträgern. Die öffentlich-rechtliche Organisationsform des Rundfunks sei nach dieser Meinung nur als ein Hilfsmittel zur Verwirklichung der Meinungsfreiheit zu verstehen, ohne daß sie eine Zugehörigkeit des Trägers zur öffentlichen Verwaltung mit sich bringe143. Genau wie auf dem Gebiet des privatrechtlichen Staatshandelns die Organisationsform nicht ausschlaggebend für die Beurteilung des Vorhandenseins öffentlicher Gewalt i.S. von Art. 1 Abs. 3 GG sein könnte, so sei sie auch in diesem Fall kein Hindernis für die Entwicklung einer staatsfreien Sphäre: Die öffentlich-rechtliche Organisationsform sei auswechselbar und deshalb unbeachtlich: Es sei ein "verhängnisvoller Irrtum", von der Organisationsform auf "die Zugehörigkeit zum staatlichen Organisationsbereich" zu schließen144. Dieselbe Argumentationsweise begründet die Nicht-Zugehörigkeit zur öffentlichen Gewalt durch die Qualifikation der Programmgestaltung durch das Bundesverfassungsgericht als Wahrnehmung staatsfreier 145 öffentlicher Aufgaben 146. Insgesamt stehe der Rundfunk der Presse nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht nahe147. Eine 140
BGH 66, 185; Kritik von Bettermann, NJW 1977, 513 ff, und Stern, Staatsrecht, Bd. ΙΠ,Ι, S. 1341, FN 106, die darin eine Äußerung schlichter HoheitsVerwaltung sehen. 141 BGH 66, 182. 142 BGH 66, 187. 143 Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers, S. 100. 144 Ossenbühl, Rundfunk zwischen Staat und Gesellschaft, S. 20 f., 28 f., 38 ff; Starck, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3, Rdnr. 162. 145 BVerfGE 31, 314 ff. (329). 146 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 37; Bethge, Der verfassungsrechtliche Standort des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, S. 57. 147 Benke, JuS 1972, 259.
186
3. Kap. : Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
Grundrechtsverpflichtung der Rundfunkanstalten würde letztendlich ihre grundrechtlich verbürgte Freiheit lähmen, vor allem, wenn man an aus dem Gleichheitssatz fließende Rechte der Bürger auf Teilhabe denke148. Das Bundesverwaltungsgericht folgt letzterer Auffassung. Bei der Beurteilung eines grundrechtlich gestützten Auskunftsanspruchs eines Journalisten gegen eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt verneint das Bundesverwaltungsgericht eine Grundrechtsbindung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, weil sie in der Veranstaltung von Rundfunksendungen zwar öffentliche, jedoch staatsfreie Aufgaben wahrnehmen: Die Rundfunkanstalten gehören nach diesem Urteil bei der Veranstaltung von Rundfunkdarbietungen nicht zu den Trägern öffentlicher Verwaltung, weil sie als vom Staat unabhängige, sich selbst verwaltende Organisationen so organisiert sind, "daß ein beherrschender Einfluß des Staates auf den Rundfunk ausgeschlossen ist". Das Gericht befindet, der Rundfunk sei "um der Gewährleistung seiner eigenen Freiheit willen aus diesem (sc. dem Staat) ausgegliedert" und könne "insoweit nicht als Teil der staatlichen Organisation betrachtet werden. Daraus folgt, daß den Rundfunk insoweit auch keine Pflichten treffen, die sich etwaige Auskunftspflichten- als Ausfluß der Pflicht des Staates zur Respektieung der öffentlichen Aufgaben der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG genannten Grundrechtsträger verstehen lassen"149. Diese Auffassung bestätigte das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 20.7.1988150, der alle Argumente gegen die Grundrechtsbindung der Rundfunkanstalten (Freiheit von staatlichem Einfluß, Gleichsetzung zur Presse, Grundrechtsträgerschaft als Gegenposition zum Staat) zusammenfaßt: "Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sind jedoch trotz ihrer Rechtsform und der Erfüllung "einer öffentlichen Aufgabe" nicht dem staatlichen Bereich in diesem Sinne zuzuordnen. Sie sind vielmehr selbst Träger der in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verbürgten Rundfunkfreiheit, die nicht nur staatliche Beherrschung und Einflußnahme ausschließt (...), sondern die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im selben Umfang wie die Presse zu Begünstigten staatlicher Informationspflichten werden läßt. Die Zuerkennung eines gegen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gerichteten Auskunftsanspruchs kann wegen der damit verbundenen Verschlechterung ihrer Wettbewerbsituation gegenüber der Presse, vor allem aber gegenüber den neu 148 149 150
Starck, in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3, Rdnr. 162. BVerwGE 70, 310 (316) = JZ 1985, 624 mit Anm. Hoffmann-Riem. NJW 1989, 382 f.
1. Abschnitt: Deutsches Recht
187
auftretenden privaten Rundfunkanstalten im Hinblick auf die Gleichrangigkeit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung von Presse- und Rundfunkfreiheit von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG jedenfalls nicht von Verfassungs wegen gefordert werden".
4. Grundrechtsbindung privatrechtlicher Verwaltungstrabanten a) Eigengesellschaften
der öffentlichen
Hand
Die Frage der Zuordnung zu den Trägern öffentlicher Verwaltung als Vorfrage der Anwendung der Lehre vom Verwaltungsprivatrecht stellt sich vor allem bei kommunalen Eigengesellschaften, die gemeindliche Einrichtungen betreiben und Versorgungsaufgaben i m weiteren Sinne wahrnehmen. Sie erlangt schließlich eine besondere Bedeutung i m Hinblick auf die organisatorische Privatisierung der ehemaligen anstaltlichen Sondervermögen des Bundes Deutsche Post AG 1 5 1 und Deutsche Bahn AG 1 5 2 . Eine Ansicht 153 verneint die Zugehörigkeit privatrechtlicher Gesellschaften zu den Verwaltungsträgern im Hinblick auf ihre Ausstattung mit einer eigenen 151 Zu den Folgen der Bindung der Deutschen Bundespost in der Organisationsform des Sondervermögens des Bundes an die Grundrechte insbesondere im Hinblick auf die Gestaltung ihrer Tarife s. Vetter, Privatrechtliche Leistungsbeziehungen, S. 91 ff. Die Beilegung von Werbematerial in von der Postbank geschickten Kontoauszügen (im Zeitpunkt des Urteils noch als öffentlich-rechtliche Tätigkeit qualifiziert), falls sie die Schwere eines Grundrechtseingriffs erreichen sollte, ist anhand der Grundrechte zu beurteilen: BVerwG Urt. vom 21.4.1989, NJW 1989, 240 mit Anm. Ehlers in JZ 1991, 231; auch nach Geltung des PostVerfG (1989), das solche Tätigkeiten privatrechtlich qualifiziert, bleibe die Postbank nach Ehlers (JZ 1991, 235) unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Die Bundespost als Betreiberin von Fernsprechnetzen war auf besondere Weise an Art. 10 Abs. 1 GG gebunden: s. z.B. BVerfG, Beschluß vom 23.5.92, NJW 1992, 1875, mit Anm. Gusy in JZ 1992, 1015 ff. Gusy ist der Ansicht, daß auch bei (Teil-) Privatisierung der DBP das Grundrecht von 10 Abs. 1 GG für das neue Unternehmen durch eine Ausstrahlungs- oder Drittwirkung bindend wirken würde (S. 1018). Zur Rechtslage nach der Privatisierung s. Pohl, ZögU 1995, 239 ff. 152 Der neue Art. 87e GG beinhaltet keine Regelung der Frage nach der Grundrechtsverpflichtung der neuen privatrechtlichen Organisation. Der Kernbereich der Aufgaben der Deutschen Bahn AG wäre jedenfalls als Daseins Vorsorge zu qualifizieren; s. M Kilian/U. Hesse, Die Verwaltung 1994,175 ff. (184 f.). 133 Nach Rüfner, HStR V, §117, Rdnr. 48, S. 546, ist diese die herrschende Auffassung im Schrifttum.
3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
Rechtspersönlichkeit. Die Trennung zwischen den Rechtspersönlichkeiten des handelnden Privatrechtssubjekts und des Muttergemeinwesens (also der Ministerialverwaltung oder einer Gebietskörperschaft) bedeutet nach dieser Betrachtung eine vollständige rechtliche Abkopplung der Eigengesellschaft: Ein Privatrechtsträger führe demnach auch in staatlicher Hand ein eigenes rechtliches Dasein134. Bindungsadressat der Grundrechte bleibe demnach auf alle Fälle das Muttergemeinwesen selbst als Gründer bzw. Gesellschafter, woraus eine Verpflichtung zur grundrechtsfreundlichen Gestaltung des Gründungsakts des Privatrechtsträgers sowie nachhaltige Einwirkungspflichten zur Vorbeugung und Aufhebung von Grundrechtsverletzungen durch das Tochterwesen gefolgert werden133. Die entgegengesetzte Meinung betrachtet privatrechtliche juristische Personen, die sich im Eigentum der öffentlichen Hand befinden oder anderswie von ihr beherrscht werden, als "Emanationen der öffentlichen Gewalt" und somit als selbst grundrechtsverpflichtet 136. Privatrechtsvereinigungen, die vom Staat getragen werden, sind demnach in ihrer Eigenschaft "als Träger von Staatsgewalt i.S. von Art. 20 Abs. 1 GG" immer an die Grundrechte gebunden137. Besonders kommunale Eigengesellschaften seien lediglich ein besonderer Typus mittelbarer Verwaltung: Es mache somit keinen Unterschied, ob öffentliche Aufgaben in unmittelbarer Tätigkeit der Verwaltungsträger oder mittelbar durch privatrechtliche Organisationsformen wahrgenommen werden138. Grundidee dieser Betrachtung ist, daß das reelle Substrat zwischen den Eigengesellschaften und der öffentlichen Verwaltung dasselbe ist. Dies bedeutet praktisch, daß der fragliche Träger von seinem Muttergemeinwesen beherrscht wird. Die Tätigkeit von staatlich beherrschten Privatrechtsträgern erscheint deshalb als eine schlichte Verlagerung der Verwaltungstätigkeit auf diese Organisationen. Die privatrechtliche Organisationsform ist demzufolge 134
Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 119 f. S. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 119 f.; ders., JA 1980, 218; ders., DVB1. 1975, 353 ff.; Schaumann, JuS 1961, 115; Rüfner, HStR V, §117, Rdnr. 48, S. 546 f.; Gusy, DÖV 1984, 879 f. 136 Erichsen, Gemeinde und Private im Wettbewerb, S. 27. 137 Ehlers, Die Verwaltung 1987, 380 f., wonach die Grundrechtsbindung auch für "den wirtschaftlichen Bereich" der Betätigung solcher Träger gelte. 138 Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 247; ders., in Erichsen (Hrsg.), Allg. VwR., Rdnr. 80, S. 62; Kraft, in Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 5, Kommunale Wirtschaft, S. 168 ff. (176 f.); Siebert, in Festschrift Niedermeier, S. 229 f.; Plagemann, Die erwerbswirtschaftliche Betätigung, S. 177. Zweifelnd dagegen Bachof VVDStRL 12 (1953), S. 64. 133
1. Abschnitt: Deutsches Recht
18
eine weitere Erscheinungsform staatlicher Organisation. Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung kann aber nach dieser Meinung nicht zu einer Abstreifung der Grundrechtsbindung und damit zu rechtsstaatlichen Defiziten führen 159. Eigengesellschaften wären deshalb identisch mit ihren staatlichen Gesellschaftern zu behandeln160. Die Grundrechtsbindung von Versorgungsgesellschaften wird andererseits vielfach ausschließlich aus den Funktionen entnommen, die solche Träger wahrnehmen. Die Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge durch Privatrechtssubjekte bleibe demnach insofern von öffentlich-rechtlichen Bindungen, auf alle Fälle von den Grundrechten, bestimmt, als es sich um notwendig staatliche Aufgaben handele161. In modifizierter Form rechtfertigt diese Lehre die Zugehörigkeit solcher Organisationen zur Verwaltung durch die Delegation der Verantwortung für die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben auf den fraglichen Träger. Die Wahrnehmung von positiv-rechtlich staatlichen Aufgaben bewirke eine Zuordnung des Trägers zum Funktionsbereich der Verwaltung und zwar unabhängig von der Organisationsform der fraglichen Einheit162. Eine weitere Auffassung begründet die Grundrechtsverpflichtung von gemeindlichen Versorgungsunternehmen durch Gedankengänge, die auf die Gesamtschauinterpretation des Art. 1 Abs. 3 GG verweisen: Jegliches kompetenzgebundenes staatliches Handeln wäre demnach grundrechtsgebunden; da die gemeindlichen Versorgungsunternehmen in Wahrnehmung von gemeindlichen Kompetenzen (also der durch die Gemeindeordnungen verliehenen Befugnisse zur Errichtung von Trägern öffentlicher Aufgaben) tätig werden, wären sie als Glieder der vollziehenden Gewalt zu betrachten163. 159
Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 247; Stober, NJW 1984, 449 ff. (453); aufgrund ähnlicher Gedankengänge schlägt Rüfner eine Anleihe des Prinzips des Durchgriffs vom Privatrecht vor. Durch diesen Durchgriff sollen Eigengesellschaflen bei Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben als mit ihrem Gesellschafter identisch behandelt werden: Rüfner, Formen, S. 414 ff. 160 Hoffmann-Becking , in Festschrift H.J. Wolff, S. 445 ff. (454), erachtet diesen "Durchgriff ' als die herrschende Meinung. S. auch Grabbe, Verfassungsrechtliche Grenzen der Privatisierung kommunaler Aufgaben, S. 109; Huba/Burmeister, NJW 1989, 1657 ff.; Huber, Konkurrenzschutz, S. 315. Vgl. schließlich Woljf/Bachof/ Stober, VwRI, §23 Rdnr. 31. 161 Ossenbühl, DVB1. 1974, 542. 162 D. Schmidt, Die Unterscheidung, S. 279 ff ; T. Koch, Der rechtliche Status, S. 194 ff. 163 Löwer, Energieversorgung, S. 121 ff.
3. Kap. : Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bejaht die Grundrechtsbindung von Eigengesellschaften. Der Bundesgerichtshof betrachtete die als Aktiengesellschaft organisierte Betreiberin des Flughafens Stuttgart als einen Adressaten des Grundrechts auf freie Berufsausübung, weil ein "öffentliches Unternehmen", also die fragliche Betreiberin 164, "einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft" gleichzustellen sei, weil ihr eine durch öffentlich-rechtliche Vorschriften gesicherte monopolistische Ausübung von Leistungsverwaltung übertragen wurde163. Der Bundesgerichtshof beurteilte zwei Monaten nach diesem Urteil die Tarifgestaltung der Düsseldorfer Verkehrsbetriebe 166, die in der Form einer städtischen Eigengesellschaft geführt wurden, anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 GG). Der Gerichtshof bemerkt, daß es nicht von Bedeutung sei, "in welcher Rechtsform des öffentlichen oder des privaten Rechts die öffentliche Hand auf dem hier gegebenen Gebiet der Daseinsvorsorge tätig wird". Die unmittelbare Grundrechtsbindung von gemeindlichen Versorgungsund Verkehrsbetrieben wird dadurch begründet, daß solche Betriebe "ein Stück der Gemeinden sind, weil sie zu deren Funktionskern gehören und damit zu der ihnen obliegenden Daseinsvorsorge". Die Verselbständigung der Tätigkeit durch die Organisationsform der Eigengesellschaft sei deshalb unerheblich, weil "alles was funktionell zur Daseinsvorsorge gehört", "nach den Grundsätzen des öffentlichen und nicht des privaten Rechts zu beurteilen" sei167. Das LG Frankfurt a.M. hat in seinem Urteil vom 19.6.1978168 diese Argumentation praktisch wiederholt: Das als Aktiengesellschaft organisierte örtliche Gasversorgungsunternehmen sei an den Gleichheitssatz gebunden, weil "alles, was funktionell zur Daseinsvorsorge gehört, nach den Grundsätzen des öffentlichen und nicht des privaten Rechts zu beurteilen" sei. Die privatrechtliche Organisationsform sei unerheblich, denn "die Geltung von Art. 3 GG ist davon unabhängig, in welcher Rechtsform des öffentlichen oder
164 Die fragliche Gesellschaft gehörte der öffentlichen Hand. Vgl. Emmerich, JuS 1970, 332. 163 BGH, Urt. vom 10.7.1969, Betr. 1969,1790 f. 166 BGH, vom 23.9.1969, BGHZ 52, 325. Kritik an diesem Urteil einerseits von Emmerich, JuS 1970, 332 ff., andererseits von Ossenbühl, DÖV 1971, 513 ff. Vgl. auch Menger/Erichsen, VerwArch 61 (1970), 380. 167 BGHZ 52, 328, 329. 168 LG Frankfurt, Urt. vom 19.6.1978, NJW 1978, 2555.
1. Abschnitt: Deutsches Recht
1
des privaten Rechts die öffentliche Hand bei der Erfüllung der Aufgaben der Daseinsvorsorge tätig ist". Diese Rechtsprechung scheint beide Argumentationsweisen der Begründung einer unmittelbaren Grundrechtsbindung von Eigengesellschaften zu beherzigen. Sowohl das Argument der Identifizierung der Eigengesellschaft mit der Verwaltungsorganisation, womit praktisch die Beherrschung der Gesellschaft durch das Muttergemeinwesen gemeint ist, als auch die Zurechnung zur Verwaltung aufgrund der Zugehörigkeit ihrer Funktionen zur Daseinsvorsorge 169 werden erwähnt. Falls man den Schwerpunkt dieser Rechtsprechung im "funktionalen" Argument sehen würde, so wäre man, wie auch der Bundesgerichtshof selbst bemerkt170, vor der Schaffung einer Form von aufgabenbezogener Beleihung.
b) Gemischt-wirtschaftliche
Träger
Bei gemischt-wirtschaftlichen Trägern ist die Problematik der Gleichstellung mit der öffentlichen Verwaltung wegen der Hinzuziehung gesellschaftlicher Elemente mit eigenen Interessen und der entsprechenden Lockerung der Bindung an staatliche Zwecksetzungen und Agenden noch schwieriger 171. Die Betrachtung solcher Träger als simpler Erscheinungsformen der Verwaltungsorganisation ist hier deshalb fraglich, weil nunmehr reelle Interessen und Grundrechte der in der Gesellschaft zusammengefaßten natürlichen Personen der Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben einen selbständigen Charakter beigeben. Für die Ermittlung der Zuordnung eines gemischt-wirtschaftlichen Subjekts zu den Trägern öffentlicher Verwaltung käme nach der Logik der Identifizierung von staatlichen Gesellschaftern und Eigengesellschaften als Kriterium die Beherrschung und Steuerung der Organisation durch den Staat in Betracht172. Die Grundrechtsbindung wäre demnach in denjenigen Fällen zu 169
In diese Richtung auch geht auch das BVerwG, in seinem Beschluß vom 29.5.1990, NVwZ 1991, 59 ("Betrieb einer öffentlichen Einrichtung ist materiell öffentliche Verwaltung, auch wenn er von der Gemeinde privatrechtlich organisiert ist"). 170 BGH, Urt. vom 10.7.1969, Betr. 1969, 1791. 171 Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 248 ff.; Rüfner, Formen, S. 418. 172 Erichsen, Gemeinde und Private im Wettbewerb, S. 28; Plagemann, Die erwerbswirtschaftliche Betätigung, S. 177; Kohorst, Der Rechtsschutz, S. 61 f.; Schricker,
2
3. Kap.: Die Anknüpfngsregel f r die Grundrechtsbindung
bejahen, in welchen das Muttergemeinwesen die rechtlich abgekoppelte Organisation zu seinen Zwecken durch Eigentum, Unterwerfungsvertrag oder auf eine andere Weise instrumentalisiert hat173; sie wäre dort zu verneinen, wo die Entscheidungsbildung des Trägers von staatlicher Determination unabhängig ist. Andererseits wird die Grundrechtsbindung gemischt-wirtschaftlicher Einheiten mit Hinweis auf die Schwierigkeiten der Durchleuchtung der Gesellschafterverhältnisse 174 sowie im Hinblick auf die Rechte der privaten Anteilseigner abgelehnt175 bzw. lediglich in mittelbarer Form als eine Einwirkungspflicht des staatlichen Gesellschafters bejaht176. Es wird letztendlich darauf hingewiesen, daß das Kriterium des bestimmenden Einflusses nicht maßgeblich sein kann, denn es werde nur einseitig bei privatrechtlich verfaßten Verwaltungstrabanten angewandt. Da die Anwendung dieses Kriteriums bei öffentlich-rechtlichen Trägern, die ebenfalls private Akteure einbeziehen (wie z.B. Zweckverbände), angeblich nicht in Frage käme, liefe eine Beurteilung nur von privatrechtlichen Organisationen nach diesem Maßstab auf eine Differenzierung nach der Organisationsform hinaus177. Der Bundesgerichtshof hat die Grundrechtsbindung kommunaler gemischtwirtschaftlicher Versorgungsunternehmen wiederholt bejaht. In zwei Fällen handelte es sich um die Beurteilung von Ansprüchen von gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen der Wasserversorgung auf Entgelt für die Bereitstellung von Löschwasser. Im ersten Urteil 178 war die örtliche Gemeinde Mehrheitsaktionär der Wasserversorgungsgesellschaft. Der Bundesgerichtshof sah in diesem Fall nicht nur die Grundrechte, sondern ferner die "typischen öffentlich-rechtlichen Bindungen", jedenfalls die "Prinzipien öffentlicher Finanzgebarung" anwendbar179 und lehnte einen Anspruch auf Entgelt ab. Zu diesem Wirtschaftliche Tätigkeit, S. 12; vgl. auch Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG Komm., Art. 19 Abs. IV, Rdnr. 58. 173 Zu den Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Steuerung s. Becker, DÖV 1984, 313 ff. (320); vor allem auch oben Kap. 1, Abschnitt 1, IV 2 a). 174 Im Hinblick auf die Frage der Grundrechtsträgerschaft von gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen s. Schmidt-Aßmann, BB 1990, Beilage 34, S. 10 f.; ders., in Festschrift Niederländer, S. 394. 175 Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 248 ff; Rüfner, HStR ΠΙ, §117, Rdnr. 49, S. 547; Emmerich, JuS 1970, 335; Grabhe, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 110. 176 Dürig, in Maunz/Dürig, GG Komm., Art. 3 Abs. 1, Rdnr. 487. 177 T. Koch, Der rechtliche Status, S. 190 f. 178 Urt. vom 5.4.1984, BGHZ 91, 84 = NJW 1985, 197. 179 BGHZ 91, 97.
1. Abschnitt: Deutsches Recht
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Ergebnis kommt der Gerichtshof durch folgende Gedankenschritte: Die Versorgung mit Löschwasser sei nach §1 II FSHG eine Pflichtaufgabe der Gemeinden, die zur Daseinsvorsorge gehöre, und falle deshalb "in den Rahmen öffentlicher (schlicht-hoheitlicher) Verwaltung"; sie sei letztendlich "öffentlich-rechtlicher Natur". Wenn aus diesem Grunde die Gemeinde keine Gebühren erheben dürfte, so könnte für die Erledigung dieser gemeindlichen Aufgabe durch eine private Gesellschaft nichts anderes gelten. Der Bundesgerichtshofbemerkt vor allem, daß "der Anwendungsbereich des Verwaltungsprivatrechts nicht erschöpft" sei, wenn die Verwaltung selbst Aufgaben der Daseinsvorsorge erfülle. Ein privatrechtlich verfaßtes Rechtssubjekt, das von der Verwaltung beherrscht wird, sei mit der Verwaltung in bezug auf u.a. die Grundrechtsbindung gleichzubehandeln, wenn es "einer öffentlichen Aufgabe gewidmet" sei. In Anknüpfung an die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Grundrechtsfahigkeit öffentlicher Unternehmen180 kommt der Bundesgerichtshof zum Ergebnis, daß eine solche staatlich beherrschte Gesellschaft "eine besondere Erscheinungsform darstelle, in der öffentliche Verwaltung ausgeübt wird". Nach diesem Urteil des Bundesgerichtshofs sind für die Grundrechtsbindung gemischt-wirtschaftlicher Privatrechtssubjekte zwei Elemente notwendig: Zum ersten muß der fragliche Träger der Erfüllung öffentlicher Aufgaben der Daseinsvorsorge gewidmet sein; zum zweiten muß eine Anbindung des Trägers an die Verwaltungsorganisation bestehen, welche die Form der Beherrschung durch die Verwaltung annimmt. Der Gerichtshof betrachtet dabei als öffentlich eine staatliche Aufgabe, also eine Aufgabe, die aufgrund gesetzlicher Bestimmung von der Verwaltung (hier von der Gemeinde) zur selbständigen Erfüllung übernommen wurde. Das Kriterium der Beherrschung wird vor allem durch den Hinweis auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Grundrechtsfahigkeit der Stadtwerke Hameln deutlich. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts war die fragliche gemischtwirtschaftliche Versorgungsgesellschaft mit der öffentlichen Verwaltung gleichzustellen. Die Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge erscheint in jenem Urteil des Bundesverfassungsgerichts als eine notwendige, jedoch nicht 180
BVerfGE 45, 63 (80). Vgl. auch BVerfG, Beschluß vom 16.5.1989, NJW 1989, 1783 = JZ 1990, 335 mit Anm. Kühne, allerdings unter massiver Kritik der Wissenschaft: vgl. Schmidt-Aßmann, BB 1990, Beil. 34 und ders., in Festschrift Niederländer, S. 383 ff.; auch Koppensteiner, NJW 1989, 3105 ff., und Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 50 ff und 224 ff. 13 Gogos
3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
ausreichende Voraussetzung der Grundrechtsbindung; nach dem Bundesverfassungsgericht muß der Betrieb "sich in der Hand eines Trägers öffentlicher Verwaltung befinden, um ihr gleichgestellt zu werden181. Das zweite Löschwasser-Urteil des Bundesgerichtshofs 182 modifiziert diese Auffassung. Es geht um einen identischen Sachverhalt, wobei die Wasserversorgung, einschließlich der Bereitstellung von Löschwasser, aufgrund eines Konzessionsvertrags mit der örtlichen Gemeinde durch ein gemischt-wirtschaftliches Unternehmen vorgenommen wurde. Im Unterschied zum ersten Löschwasser-Urteil gehörte die Versorgungsgesellschaft zu nur 23% der öffentlichen Hand (davon 2,88% der örtlichen Gemeinde). Obwohl der Bundesgerichtshof den bestimmenden Einfluß der Stadt auf das Unternehmen verneint, kommt er wieder zum selben Ergebnis der Anwendbarkeit des Verwaltungsprivatrechts. Es möchte, so der Bundesgerichtshof, zutreffen, daß die fragliche Versorgungsgesellschaft keine besondere Erscheinungsform der Stadt gegenüber dem einzelnen Anschlußnehmer darstelle; sie habe es aber aufgrund eines Konzessionsvertrags übernommen, "faktisch einen Teil der der Stadt kraft öffentlichen Rechts obliegenden gemeindlichen Pflichtaufgaben für die Stadt zu erfüllen". Damit unterliege sie "aber insoweit auch den Bindungen, die das öffentliche Recht für diese Art der öffentlichen Verwaltung dem jeweiligen Träger auferlegt". Die Widmung der Erfüllung von staatlichen Aufgaben der Daseinsvorsorge erscheint als das dominante Element der Zuordnung zum Staat in diesem Urteil. Die Erfüllung von staatlichen Aufgaben scheint in der Lage zu sein, die fragliche Gesellschaft in den Verwaltungsbereich einzubeziehen. Entsprechend schwächer wird das institutionelle Element der Gleichung: Die Schwelle, ab der die Anbindung des Trägers an die Verwaltung anfangt, wird noch weiter gesenkt; sogar allein die vertragliche Vereinbarung der Übernahme der Aufgabenerledigung durch die fragliche Gesellschaft reiche demnach aus, um sie der Verwaltungsorganisation gleichzustellen. Das Element der Anbindung an den Staat aus dem ersten Löschwasser-Urteil wird von der Beherrschung auf eine einfache vertragliche Beziehung herabgestuft 183. Das OLG Hamburg zieht in seinem Beschluß vom 12.4.1988184 einen mutigen Schluß vom wesensmäßig staatlichen Charakter der Aufgaben der 181 182 183 184
Vgl. auch Dickersbach, WiVerw 1983, 204 f. BGH, Urt. vom 24.9.1987, NVwZ-RR 1989, 388. T. Koch, Der rechtliche Status, S. 101. OLG Hamburg, Beschluß vom 12.4.1988, NJW 1988, 1600.
1. Abschnitt: Deutsches Recht
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Daseinsvorsorge auf die Zugehörigkeit des agierenden Trägers zur vollziehenden Gewalt. Demzufolge ist ein staatlich beherrschtes gemischt-wirtschafltliches Elektrizitätsversorgungsunternehmen an den Gleichheitssatz gebunden, weil die fragliche Aktiengesellschaft "eine staatliche Aufgabe" erfülle: "Die Lieferung elektrischer Energie gehört zur staatlichen Daseinsvorsorge, weil der moderne Mensch darauf angewiesen ist wie auf die Luft zum atmen. Für die Geltung des grundgesetzlichen Gleichbehandlungsgebotes im Stromversorgungsverhältnis kommt es deshalb nicht darauf an, ob der Staat diese Aufgabe der Daseinsvorsorge selbst durch einen Eigenbetrieb erfüllt oder sie einem privatrechtlich organisierten Unternehmen überläßt". Die Rechtskonstruktionen des Bundesgerichtshofs im zweiten LöschwasserUrteil wie auch des OLG Hamburg scheinen immerhin gewagt185. Die Konzeption eines Systems einer aufgabenbezogenen Beleihung, wo allein die Delegation von öffentlichen Aufgaben ohne maßgebliche institutionelle Anbindung an politisch legitimierte Instanzen die Behandlung einer Organisation als Verwaltungsträgers nach sich zieht, ist fragwürdig. Einer solchen Stellungnahme steht vor allem die Tatsache entgegen, daß lebenswichtige Aufgaben der Daseinsvorsorge auch Privaten zustehen können: Es ist längst eindeutig nachgewiesen worden, daß ein aufgabenbezogener Begriff der Beleihung im deutschen Recht nicht existieren kann, mindestens soweit die fraglichen Aufgaben, auch wenn sie gemeinwohlbezogen sind, nicht dem Staat auch rechtlich vorbehalten sind186. Die Bezeichnung einer Tätigkeit als öffentlich oder Daseinsvorsorge reicht allein nicht aus, um sie dem staatlichen Verantwortungsregime zuzuweisen187. Solange es kein System von verfassungsrechtlich oder mindestens gesetzlich dem Staat vorbehaltenen Aufgaben gibt, muß eine Begründung der Zugehörigkeit zur öffentlichen Verwaltung allein durch vermeintliche "Delegations"akte mit Skepsis aufgenommen werden: Staatliche Sonderbindung geht mit der ausschließlichen staatlichen Aufgabenwahrnehmungsbefugnis zusammen und letztere besteht im Fall von Aufgaben, die dem Staat nicht vorbehalten sind (wie die Energieversorgung), nicht. Aber auch wenn man punktuell den ausschließlich staatlichen Charakter bestimmter Aufgaben belegen und somit ein echtes Delegationsverhältnis 185 186 187
So Rüfner, HStR V, § 117, Rdnr. 48, S. 546 f. Bereits K. Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten (1959), S. 60 ff. Schmidt-Aßmann, BB 1990, Beil. 34, 14.
6
3. Kap.: Die Anknüpfingsregel für die Grundrechtsbindung
nachweisen könnte188, würde die Konstruktion einer ausschließlich auf staatliche Aufgaben bezogenen Grundrechtsbindung zu keinen sachgerechten Ergebnissen führen. Letztendlich bedeutet eine ausschließlich funktionale Betrachtung die Zuordnung zum staatlichen Bereich von gemischt-wirtschafilichen Unternehmen, an denen die Teilnahme von Grundrechtsträgern dominant wäre. Dagegen muß man einwenden, daß auf diese Weise die Grundrechte privater Anteilseigner mittelbar aufs Spiel gesetzt werden189. Die Grundrechtsbindung von Trägern, die durch Private beherrscht werden, würde letztendlich mittelbar die Grundrechtsträgerschaft der privaten Anteilseigner in Zweifel ziehen. Eine solche Mißachtung der beherrschenden Teilnahme von Privaten käme letztendlich mit dem Durchgriffsgedanken in Widerspruch: Während die Grundrechtsbindung von Eigengesellschaften mit dem Argument der Identifizierung des Trägers mit seinen Gesellschaftern begründet wird, wäre bei gemischt-wirtschaftlichen Trägern das reelle Substrat des Trägers unerheblich. Nur über diffizile Konstruktionen lassen sich im Rahmen einer aufgabenbezogenen Beleihungstheorie solche Ergebnisse abwenden190. Die rein funktionale Lösung erscheint um so unvernünftiger, als die deutsche Versorgungswirtschaft insgesamt vor allem durch die private Unternehmensinitiative gekennzeichnet wird 191.
c) Privatrechtliche
Vereine und Stiftungen
Der Fall von verselbständigten Verwaltungseinheiten bzw. Kooperationserscheinungen zwischen Staat und Gesellschaft, die als privatrechtliche Vereine oder Stiftungen erscheinen, wäre nach den für die Handelsgesellschaften ausgearbeiteten Maßstäben zu behandeln. Im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.1.1990192 ging es um eine Beihilfe, die die Klägerin bei der vom Land Niedersachsen gegründeten privatrechtlichen Stiftung "Familie in Not" beantragte. Die Stiftung hat als Aufgabe den Schutz des un188
Man kann dabei nur an Tätigkeiten kommunaler Einrichtungen mit Anschlußund Benutzungszwang denken. 189 Vgl. Schmidt-Aßmann, BB 1990, Beil. 34, 13. 190 Dies gilt vor allem für die künstlich wirkende Trennung zwischen selbständiger und unselbständiger Aufgabenerfüllung, die T. Koch, Der rechtliche Status, S. 196 ff. zu ziehen versucht. 191 Tettinger, DVB1. 1994, 90. 192 Beschluß vom 6.3.1990, NVwZ 1990, 754.
1. Abschnitt: Deutsches Recht
17
geborenen Lebens und verwaltet in diesem Zusammenhang hierfür besonders ausgewiesenen Mittel des Bundes. Die gegen die Verweigerung der Beihilfe erfolgte Klage wurde zwar als unzulässig abgewiesen, weil der Verwaltungsrechtsweg nicht gegeben war. Das Gericht bemerkt allerdings, daß die fragliche Stiftung als "spezielle Erscheinungsform der öffentlichen Verwaltung" von der Bindung der vollziehenden Gewalt an die Grundrechte nicht ausgenommen werde. Im Fall von zivilrechtlichen Vereinen wird eine mitgliedschaftliche Struktur vorausgesetzt, so daß von einer alleinigen Trägerschaft durch die öffentliche Hand allgemein nicht die Rede sein wird 193. Das Problem der Grundrechtsbindung ist deshalb nach den Lösungsansätzen zu bewältigen, die für die gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen vorgeschlagen werden194.
IV. Zusammenfassung Die traditionelle Anknüpfung der Grundrechtsbindung im deutschen Recht bezieht sich auf die öffentlich-rechtliche Handlungsform: Damit werden Handlungen erfaßt, die aufgrund hoheitlicher Befugnisse wahrgenommen werden, sowie Tätigkeiten, die mit der Wahrnehmung solcher Befugnisse in einem sachlich gegebenen oder einfach durch die Tradition oder den Willen der Verwaltung begründeten Zusammenhang stehen. Das Wort von Ernst Forsthoff beansprucht in dieser Hinsicht weiterhin Geltung: "Die deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft ist auf dem Boden des gewaltenteilenden Rechtsstaats entstanden. Sie beruht damit von ihrem Ursprung her auf der Antithetik: staatlicher Zwang - individuelle Freiheit. Die Rechtsformen und Institutionen des überkommenen Verwaltungsrechts sind fast alle auf diese Grund- und Ausgangsposition zurückzuführen" 195. Somit stellen nur Organisationen Grundrechtsdressaten dar, die in öffentlich-rechtlichen Organisationsformen verfaßt sind. Gleichzeitig besteht eine supplementäre Anknüpfung der Grundrechtsbindung am Gemeinwohlbezug der durch die fragliche Maßnahme wahrgenommenen Aufgaben. Auch diese Auffassung erfordert eine Zugehörigkeit 193
Püttner, JA 1980, 218 ff. (221). Bejahend für das Grundrecht der Freiheit der Wissenschaft und Forschung: Thieme, DÖV 1994, 150 f. 195 Forsthoff\ Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 368. 194
3. Kap. : Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
des handelnden Subjekts zu den Verwaltungsträgern. Dies wird bei öffentlichrechtlichen Organisationen in den allermeisten Fällen bejaht. Ausnahmen sind dort zu sehen, wo die öffentlich-rechtliche Organisationsform aufgrund einer grundrechtlich verbürgten staatsfreien Aufgabenwahrnehmung von staatlichen Einflüssen abgeschirmt wird. Man konstatiert dabei, daß es auf das Kriterium des staatlichen Einflusses auf die Erfüllung konkreter Aufgabenkreise ankommt: Die Gleichstellung des Trägers mit dem Staat kann sich je nach dem vorliegenden Aufgabenbereich ändern. Privatrechtliche Organisationen unterliegen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Grundrechtsbindung, wenn sie der Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge gewidmet sind und von der öffentlichen Verwaltung beherrscht werden, wobei sich allerdings die Tendenz bemerkbar macht, das funktionale Element zu betonen und eine Zuordnung des Trägers zur staatlichen Organisation auch beim Bestehen nur schwacher und mittelbarer Ingerenzmechanismen zu bejahen196. Auf diese Weise kommt die Rechtsprechung zu einer Bindung von gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen, die Pflichtaufgaben der Gemeinden aufgrund eines Konzessionsvertrags wahrnehmen, selbst dann, wenn sie eine nur geringe Beteiligung der öffentlichen Hand aufweisen.
196
Vgl. auch die Bilanz von Röhl, VerwArch 86 (1995), 574 f.
2. Abschnitt
Französisches Recht I. Ausschließliche Bindung von öffentlich-rechtlichen Handlungsformen Eine Bindung an die Grundrechte, seien sie verfassungsrechtlich oder lediglich als allgemeine Rechtsgrundsätze verbürgt, ist im Grunde nur bei öffentlich-rechtlichem Handeln der Verwaltung in Erwägung zu ziehen1. Es ist bereits ausgeführt worden2, daß die Geltung der allgemeinen Rechtsgrundsätze sich selbstverständlich auf den Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die sie ja kreiert hat, und auf den Geltungsbereich des Verwaltungsrechts beschränkt. Dasselbe gilt grundsätzlich auch für die verfassungsrechtlichen Freiheitsgewährleistungen. Der Staatsrat hat sie als unmittelbare Maßstäbe für die Beurteilung des in seine Zuständigkeit fallenden Verwaltungshandelns rezipiert; was aber das privatrechtliche Verwaltungshandeln anbetrifft, so sind, soweit ersichtlich, keine Fälle bekannt, in denen die Zivilgerichtsbarkeit das auf das Verwaltungshandeln anwendbare Privatrecht mit den Bindungen der öffentlichen Freiheiten überlagert. Eine Theorie, die in ihrer Konstruktion mit der deutschen Lehre vom Verwaltungsprivatrecht vergleichbar wäre, existiert nicht. Die Bindung an staatliches Sonderrecht mit Grundrechtsgehalt ist deshalb in Frankreich ein Bestandteil des gesamten öffentlichen Rechts3, so 1
Savoie, in Grabitz (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, S. 232. S. oben Kap. 2, m 4. 3 Die ordentlichen Gerichte wenden die "öffentlichen Freiheiten" allerdings auf gewisse öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten an, die ihnen ausnahmsweise zugewiesen sind. Dabei geht es im Grunde um Sachverhalte der illegalen Freiheitsberaubung durch die Verwaltung oder der Enteignung, die aufgrund der Lehre der "voie de fait" von der ordentlichen Gerichtsbarkeit beurteilt werden: Nach Art. 66 der französischen Verfassung liegt die ausschließliche Zuständigkeit bei Eingriffen in die "individuellen Freiheiten" bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Neben den individuellen Freiheiten (damit meint man nicht die "öffentlichen Freiheiten" insgesamt, sondern nur die 2
2
3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
daß die Fragestellung der Arbeit auf die Frage nach den Adressaten des öffentlichen Rechts hinausläuft. Das Problem läßt sich zugleich als eine Frage des Rechtswegs beschreiben. In der Praxis stellt sich selten die Frage nach der anwendbaren Rechtsordnung, weil sich eben die nach denselben Kriterien zu beantwortende Frage nach dem Rechtsweg zuerst stellt. Das französische Recht beurteilt die Frage des Rechtswegs und des anwendbaren Rechts nach einem einheitlichen Kriterium, einer clause générale, deren Bestimmung die große Frage der französischen Verwaltungsrechtswissenschaft bleibt4.
I L Die öffentlich-rechtliche Anknüpfungsregel: "Organische" und ''funktionale 1* Elemente Die Verordnung vom 31. Juli 1945 über die gerichtlichen Zuständigkeiten des Staatsrates, anknüpfend an das Gesetz vom 24. Mai 1872, eröffnet den Verwaltungsrechtsweg mittels Anfechtungsklage (recours en annulation pour excès de pouvoir) gegen "Akte der Verwaltungsbehörden" (autorités administratives). Auf der Grundlage dieser Regelung baut sich ein Dualismus der Rechtswege und der entsprechenden Rechtsregime auf, der auf spezifische öffentlich-rechtliche Handlungsformen ausgerichtet ist. Das französische Verwaltungsrecht kennt zwei solcher Handlungsformen: den Verwaltungsakt und den Verwaltungsvertrag. Nach dieser Tradition hängt die öffentlich-rechtliche Qualifikation einer Handlungsform von der Erfüllung zweier Kriterien ab. Zuerst kommt es auf den Charakter des handelnden Subjekts als Verwaltungsträger an. Nach diesem "organischen" Kriterium sind nur solche Entscheidungen Verwaltungsakte, die von einem Staatsorgan, einer "Verwaltungsbehörde" i.S. des
persönliche Freiheit, die Unverletzbarkeit der Wohnung und der Privatsphäre des einzelnen), gebietet nach dem Verfassungsrat ein durch die Gesetze der Republik anerkannter Grundsatz, daß auch das Eigentumsrecht von der ordentlichen Gerichtsbarkeit geschützt wird: CC, 25. Juli 1989, RDP 1989, 1008 mit Anm. Bon. Auf alle Fälle handelt es sich dabei um straf- bzw. enteignungsrechtliche Konstellationen, die für die Beurteilung von verselbständigten Verwaltungseinheiten keine größere Bedeutung besitzen dürften. Statt vieler, s. Chapus, Droit Administratif Général (Dr. adm. gén.), Bd. I, §939 ff., S. 597 ff. 4 Chapus, RDP 1968, S. 235 f.
2. Abschnitt: Französisches Recht
201
Gesetzes vom 24. Mai 1872, erlassen werden5. Die Zugehörigkeit zu den Verwaltungsträgern ergibt sich nach einer alten und beständigen Rechtsprechung des Staatsrates aus der öffentlich-rechtlichen Organisationsform der handelnden juristischen Person6. Dieses Kriterium gilt nicht nur für den einseitigen Verwaltungsakt, sondern auch für den Verwaltungsvertrag: Nur Verträge, die unter hoheitlichen Trägern oder mindestens zwischen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und einem Privaten abgeschlossen werden, sind öffentlich-rechtlicher Natur. Demgemäß besitzen die Verträge privatrechtlicher Verwaltungsträger immer einen privatrechtlichen Charakter7. Diese Verknüpfung zwischen öffentlich-rechtlicher Organisations- und Handlungsform ist freilich im Laufe der Jahre relativiert worden. In einer Rechtsprechimg, die ihren Anfang im Urteil Établissements Vezia aus dem Jahre 1936 ihren Ursprung hat, akzeptiert der französische Staatsrat, daß Verwaltungsakte auch dann vorliegen können, wenn der handelnde Träger privatrechtlich organisiert ist. Obwohl die Konstellationen, in denen der öffentlich-rechtliche Charakter von einseitigen Entscheidungen privatrechtlicher Subjekte bejaht wurde, inzwischen zahlreich sind, hält sich der Staatsrat strikt an das organische Kriterium bei der Beurteilung von Verträgen8. Auch in Frankreich besitzt die öffentliche Verwaltung die Fähigkeit, privatrechtliche Beziehungen einzugehen. Welche Handlungen eines öffentlich-rechtlichen Trägers als öffentlich-rechtlich qualifiziert werden, entscheidet sich nach "materiellen" Gesichtspunkten, die auf den Inhalt der fraglichen Verwaltungsentscheidung Bezug nehmen. Die Frage, welches letztendlich das maßgebliche "materielle" Kriterium der öffentlich-rechtlichen Handlungsform ist, durchzieht die gesamte Entwicklung des französischen öffentlichen Rechts vom 19. Jahrhundert bis heute. Die vorliegende Unter5
De Laubadère/Venezia/Gaudemet, Traité de droit administratif (Traité de dr. adm.), Bd. I, S. 465, 469; Rivero, Droit administratif (Dr. adm.), S. 121; Lachaume, Les grands services publics, S. 80; Vedel/P. Delvolvé , Droit administratif (Dr. adm.), Bd. I, S. 265; Venezia , Mélanges Eisenmann, S. 363 f. 6 S. stellvertretend CE, 6. Dezember 1907, Companie des Chemins de fer de l'Est, S. 1908, 3, 1 mit Anm. Hauriou\ fortlaufend bestätigt z.B. CE, 5. Mai 1972, Société d'équipement de llndre, Ree. 1972, 341 = AJDA 1973, 341; CE, 2. November 1988, Labadie, Ree. 1988, 391, oder CE, 17. Dezember 1992, Abella et autres, Ree. 1992, 488. 7 Für viele: Efstratiou, Die Bestandskrafl des öffentlich-rechtlichen Vertrags, S. 93; Vedel/P. Delvolvé , Dr. adm., Bd. I, S. 374 f. 8 Llorens, Contrat d'entreprise et marché de travaux publics, S. 31; s. unten in diesem Abschnitt IV 2.
22
3. Kap.: Die Anknüpfngsregel f r die Grundrechtsbindung
suchung kann nicht versuchen, die gesamte Diskussion um das Wesen des öffentlichen Rechts und der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Frankreich nachzuzeichnen9. Statt dessen wird der öffentlich-rechtliche Handlungsbereich in bestimmten charakteristischen Fällen in seiner heutigen jurisprudentiellen Gestaltung beschrieben. Dabei wird es ersichtlich werden, daß die grundlegende materielle Anknüpfung die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben (s.p.a.) ist. Als ergänzendes Kriterium erscheint vor allem im Hinblick auf die Beurteilung von Handlungen privatrechtlicher Träger die Ausübung hoheitlicher Befugnisse. Der französische Verfassungsrat hat die Tradition der doppelten Anknüpfung rezipiert und auf Verfassungsebene anerkannt. Sein Urteil vom 22. Juli 1980 verleiht dem spezifischen Charakter der Verwaltungsgerichtsbarkeit den verfassungsrechtlich geschützten Status eines durch die Gesetze der Republik anerkannten Prinzips10. Im Urteil vom 23. Januar 198711 und im Rahmen der Prüfung eines Gesetzesvorhabens über den Rechtsweg bei Streitigkeiten aus der Anfechtung von Entscheidungen des Wettbewerbsrats (Conseil de Concurrence) hat der Verfassungsrat diese verfassungsrechtlich geschützte Besonderheit der Verwaltungsgerichtsbarkeit näher beschrieben. Zum Verwaltungsrechtsweg gehören nach Auffassung des Verfassungsrats mindestens die Streitigkeiten, die aus Entscheidungen "in Wahrnehmung von Hoheitsbefugnissen" deqenigen Behörden entstehen, "welche mit der Exekutivgewalt betraut sind, ihrer Vertreter, der unter ihrer Autorität oder Kontrolle gestellten öffentlichen Organisationen sowie der Gebietskörperschaften" 12.
9
Zur historischen Entwicklung dieser Diskussion s. J.M. Auby, in Dupuis (Hrsg.), Le contrôle jurisdictionnel de l'administration, S. 109 f.; de Laubadère/Vertezia / Gaudemet, Traité de dr. adm., Bd. I, S. 31 ff. 10 RCC 1980, 46; Favoreu/Philip , Les grandes décisions du conseil constitutionnel, S. 427. 11 RCC 1987, 8 = AJDA 1987, 345 mit Anm. Chevallier. 12 Originaltext:"...; que néanmoins, conformément à la conception française de la séparation des pouvoirs, figure au nombre des "principes fondamentaux reconnus par les lois de la République" celui selon lequel, à l'exception des matières réservées par nature à l'autorité judiciaire, relève en dernier ressort de la compétence de la jurisdiction administrative l'annulation ou la réformation des décisions prises, dans l'exercice des prérogatives de puissance publique, par les autorités exerçant le pouvoir executif, leurs agents, les collectivités territoriales de la République ou les organismes publics placés sous leur autorité ou contrôle".
2. Abschnitt: Französisches Recht
20
Die Ausübung von gesetzlichen Befugnissen von Hoheitsgewalt wird in diesem Urteil zum Dreh- und Angelpunkt des öffentlichen Rechts gemacht13. Der Verfassungsrat hat sich dabei nur auf den minimalen Anwendungsbereich14 des öffentlichen Rechts sowie auf einseitige Maßnahmen der Verwaltung bezogen; damit ist die Regelung des Rechtswegs bei Streitigkeiten vertraglichen Ursprungs der freien Hand des Gesetzgebers überlassen15. Dieses Urteil des Verfassungsrates bestätigt nach der herrschenden Sichtweise die "organische" Anknüpfung an die Organisationsform, indem sie von "öffentlichen Organisationen" spricht16. Explizit anerkannt wird vom Verfassungsrat schließlich die Freiheit des Gesetzgebers, auch bei Mißachtung dieser Generalklausel die Verteilung der Zuständigkeiten durch die Schaffung von "Kompetenzblöcken" zu rationalisieren.
III. Öffentlich-rechtliche Organisationen als Adressaten staatlichen Sonderrechts 1. Verwaltungsakte Entscheidungen und Rechtssetzungsakte öffentlich-rechtlich verfaßter Organisationen, also in erster Linie der öffentlichen Anstalten (établissements publics), sind grundsätzlich Verwaltungsakte und unterliegen der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Staatsrates, wenn sie im Kontext der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben (services publics administratifs) ergehen17. Im Grunde besteht eine allgemeine Vermutung, daß einseitige Rechtsakte öffentlichrechtlicher Organisationen Verwaltungsakte darstellen, so daß es genügt, die begründungsbedürftigen Ausnahmen von diesem generellen Prinzip zu beschreiben18. 13
Bizeau, AJDA 1992,179. Debbasch, in Mélanges Chapus, S. 127 ff. (131); Bizeau, AJDA 1992, 182 f. 15 Dazu und zu den folgenden s. die Anmerkung von Gaudemet zu diesem Urteil in RDP 1987, 1341 ff. (1342, 1349). 16 Favoreu/Philip , Les grandes décisions, S. 716. 17 Du Bois de Gaudusson, L'usager du service public administratif, S. 81; Lachaume, Les grands services publics, S. 81; s. die Urteile CE, 17. Juli 1967, Allegretto, Ree. 1967, 315; TC, 2. April 1973, Préfet de Paris, RDP 1974, 251 mit Anm. Waline^E 3. März 1975, Courrière, Ree. 1975,165 = AJDA 1975,233 mit Anm. Franc und Boyon. 18 Chapus, Dr. adm. gén., Bd. I, §590, S. 371. 14
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3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
Diese Ausnahmefalle beziehen sich auf zwei Konstellationen: Zinn einen handelt es sich dabei um Fälle, in denen die Verwaltung überhaupt keine services publics wahrnimmt. Wichtigster Fall ist die Verwaltung der sog. "privaten Sachen" (domaine privé) des Staates. Solche Entscheidungen beziehen sich auf Rechtsbeziehungen, welche diejenigen Vermögenswerte der Verwaltung betreffen, die nicht unter das Regime der "öffentlichen Sachen" (domaine public) fallen 19. Es geht also um Sachen, die weder direkt der Benutzung durch das Publikum gewidmet noch der Wahrnehmung von services publics dauernd zu dienen bestimmt sind20. Ein Unterfall dieser Konstellation sind die Entscheidungen, die im Rahmen privatrechtlicher Vertragsverhältnisse ergehen. Diese Entscheidungen leiten ihre privatrechtliche Natur aus dem privatrechtlichen Charakter des entsprechenden Vertragsverhältnisses ab, in dessen Rahmen sie ergehen. In vielen Fällen aber, wo öffentlich-rechtliche Verwaltungseinheiten privatrechtliche Verträge abschließen, werden Entscheidungen, vor allem im vorvertraglichen Stadium und in bezug auf den Abschluß des Vertrags, vom privatrechtlichen Vertragsverhältnis abgekoppelt. Dazu muß die fragliche Entscheidung einen klar vom privatrechtlichen Vertrag getrennten und vorgeschalteten Akt darstellen21. Nach dieser Lehre der sog. "abtrennbaren Verwaltungsakte" (actes détachables) kann die Vergabeentscheidung eigenständig als Verwaltungsakt anfechtbar sein, auch wenn das vertragliche Verhältnis, auf das sich der Akt bezieht, privatrechtlicher Natur ist. Dies gilt sowohl für Entscheidungen über den Zuschlag bei Geschäften der Bedarfsdeckung, 22 als auch der Vermögensverwertung 23. 19
De Laubadère/Venezia/Gaudemet, Traité de droit adm., Bd. Π, S. 196; Godfrin, Droit administratif des biens, S. 145. 20 Diese Definition wurde von der Kommission zur Reform des Zivilgesetzbuches ausgearbeitet und bietet die Grundlage der relevanten Rechtsprechung des Staatsrates; s. de Laubadère/Venezia/Gaudemet, Traité de dr. adm., Bd. Π, S. 175 ff. Öffentliche Sachen sind hauptsächlich Wege und Straßen, das Küstenmeer, Flüsse und Seen, das Schienennetz, Häfen und Flughäfen, Bahnhöfe, Museen usw. 21 CE, 6. Juli 1955, Sieur Bayens, Ree. 1955, 389; TC 15. Dezember 1980, Jaouen gegen OPHLM de la ville de Paris, Ree. 1980, 513; vgl. de Laubadère/Moderne/P. Delvolvé, Traité des contrats administratifs, Bd. Π, Rdnr. 1756, S. 981. 22 CE, 29. Juni 1951, Syndicat de la raffinerie de Soufre français, Ree. 1951, 377; TC, 21. Dezember 1977, Fontaine, Ree. 1977, 512; TC, 6. Juli 1981, Eysseric/Préfet de la Drôme, Ree. 1981,505. 23 Z.B. CE, 9. Februar 1994, Dr.Adm. 1994, Nr. 132.
2. Abschnitt: Französisches Recht
20
Die zweite Ausnahme von der Vermutung öffentlich-rechtlichen Handelns der öffentlichen Anstalten betrifft Fälle, in denen der Träger Entscheidungen im Rahmen der Wahrnehmung von staatlichen Aufgaben wirtschaftlicher Natur (services publics industriels et commerciaux) trifft. Auch hier besteht regelmäßig ein privatrechtlicher vertraglicher Rahmen. Relevante Entscheidungen der Verwaltung können aber niemals abgetrennt und als öffentlichrechtlich qualifiziert werden; man spricht hier von einem "Kompetenzblock der ordentlichen Gerichtsbarkeit" (bloc de compétence judiciaire), also von einer Gesamtzuweisung aller mit der Wahrnehmung solcher Aufgaben relevanten Maßnahmen zum Privatrecht 24. Der Begriff des Benutzers, der wohl zur Abgrenzung dieser "Blöcke" benutzt wird, ist dabei weit auszulegen: Auch wenn der Versorgungsvertrag noch nicht abgeschlossen ist, tritt der an der Leistung interessierte Bürger an die Stelle des Benutzers25. Die Wirtschaftsanstalten bleiben dennoch öffentlich-rechtliche Träger. Außerhalb des Rahmens ihrer Beziehungen zu den Benutzern gilt die Vermutung für ihr öffentlich-rechtliches Handeln fort. Die öffentlichen Wirtschaftsanstalten verfügen über die Befugnis zum Erlaß von Verwaltungsakten gegenüber Dritten aufgrund der gesetzlichen Verleihung hoheitlicher Befugnisse (z.B. Enteignung). Wirtschaftsanstalten erlassen auch öffentlich-rechtliche Regelungen in bezug auf das Personalstatut und die Organisation des Dienstes26. Verwaltungsakte normativen Charakters stellen schließlich die von diesen Anstalten aufgrund gesetzlicher Ermächtigung festgesetzten Tarife und allgemeine Bedingungen dar, nach denen die einzelnen Verträge mit den Benutzern privatrechtlich abgewickelt werden27.
2. Verträge öffentlich-rechtlicher Organisationen Auch wenn das organische Kriterium erfüllt wird, ist die öffentlichrechtliche Qualifikation eines Vertrags von weiteren Voraussetzungen abhängig, die der Staatsrat in einer subtilen Rechtsprechung nach und nach 24
Für viele de Laubadère/Venezia/Gaudemet , Traité de dr. adm., Bd. I, S. 71. TC, 17. Oktober 1966, Veuve Canasse, Ree. 1966, 834. 26 S. CE, 10. November 1961, Missa, Ree. 1961, 636; de Laubadère/Venezia/Gaudemet, Traité de dr. adm., Bd. I, S. 713; Lachaume, Les grands services publics, S. 343; Nguyen Quoc, Les entreprises publiques face au droit des sociétés commerciales, S. 204; Jeanneau, Droit des services publics et des entreprises nationales, §190, S. 313. 27 Dufau , JCA (Jurisclasseur administratif) 2, Fase. 150, §216. 25
26
3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindg
entwickelt hat28. Der Vertrag muß demnach entweder29 in unmittelbarer Wahrnehmung von services publics erfolgen oder außerordentliche Vertragsklauseln (clauses exorbitantes du droit commun) enthalten. Von seinen Anfängen an ist der Verwaltungsvertrag nach französischem Verständnis mit dem Begriff der services publics verbunden; das Urteil Terrier 30 des Staatsrates, das zur Entstehung des Begriffs des Verwaltungsvertrages führte, stellt auf den Zweck der Erfüllung von services publics durch den Vertrag ab. Präziser verlangt heute dieses Kriterium entweder die Teilnahme der privaten Vertragspartei an der Erfüllung der Aufgaben 31 oder die Wahrnehmung dieser Aufgaben unmittelbar durch den Abschluß des Vertrags 32. Dieses Kriterium erfüllen auch Verträge, in denen öffentliche Sachen im Eigentum einer öffentlichen Verwaltungs-33 oder Wirtschaftsanstalt34 einem Privaten überlassen werden. Verträge über die Überlassung von Räumen in einem Bahnhof, einer Grabstätte im Friedhof, über die Vermietung eines Museumsladens33 oder eines Parkplatzes36 unterliegen den Regeln des öffentlichen Rechts37. 28
Zur geschichtlichen Entwicklung dieser Kriterien in der Rechtsprechung s. Efstratiou, Die Bestandskraft, S. 89 ff.; de Laubadère/Moderne/P. Delvolvé, Traité des contrats administratifs, Bd. I, S. 144 ff. 29 Der alternative Einsatz der Kriterien war lange Zeit umstritten bis der Staatsrat mit dem Urteil Époux Bertin die Frage klärte: CE, 20. April 1956, Ree. 1956, 167 = RDP 1956, 869 mit Schlußanträgen Long und Anm. Waline. 30 CE, 6. Februar 1903, Terrier, S. 1903, 3, 25 mit Schlußanträgen Romieu und Anm. Hauriou; s. ferner CE 4. März 1910, Thérond, S. 1911, 3, 17 mit Schlußanträgen Pichat und Anm. Hauriou. 31 S. das erwähnte Urteil Époux Bertin; ferner CE, 4. Juni 1954, Affortit et Vingtain, Ree. 1954,432 ff. 32 S. CE 26. Juni 1974, Société La maison des isolants de France, Ree. 1974, 365 = RDP 1974,1486 mit Anm. J.M. Auby. 33 Es war lange umstritten, ob auch öffentliche Anstalten Besitzer von öffentlichen Sachen sein könnten. Nach einer intermediären Phase (s. Godfrin, Droit administratif des biens, S. 18; Dufau, JCA 5, Fase. 405-1, §15 ff.), ist diese Frage vom Staatsrat nunmehr eindeutig bejahend beantwortet worden: S. CE, 6. Februar 1981, Epp, Ree. 1981, 745; CE, 21. März 1984, Mansuy, Ree. 1984, 616, 645 = Dr. Adm. 1984, Nr. 160 = RFDA 1984, 54 mit Anm. A.A. = RDP 1984, 1059 mit Anm. Gaudemet, ebenfalls CE 13. Juni 1986, Thomas, RFDA 1987, 194 mit Schlußanträgen Stir τι; über diese Rechtsprechung und ihre möglichen Nachteile für die Bewohner von Sozialwohnungen, die im Eigentum sozialer öffentlichen Anstalten stehen, s. Arrighi de Casanova, AJDA 1985, 347 ff. 34 Arrighi de Casanova, AJDA 1985, 350; Linotte, JCA 1, Fase. 157, §31. 35 CE 13. Juni 1986, Thomas, RFDA 1987, 194 mit Schlußanträgen Stirn.
2. Abschnitt: Französisches Recht
20
Die Existenz von außerordentlichen Vertragsklauseln deutet andererseits auf den Willen der Parteien hin, den Vertrag dem Regime des öffentlichen Rechts zu unterstellen38. Die Rechtsprechimg definiert diese Vertragsklauseln als "Klauseln, die den Zweck haben, den Parteien Rechte zu verschaffen oder ihnen Verpflichtungen aufzuerlegen, die ihrer Natur nach andersartig sind als diejenigen, die jemand im Rahmen des Privat- und Handelsrechts frei vereinbaren würde39". Die Lehre unterteilt sie in Klauseln, die in privatrechtlichen Verträgen nicht vorkommen können, in solche, die im Privatrecht verboten sind, und schließlich in Klauseln, die in einem privatrechtlichen Vertrag zulässig wären, jedoch in der Praxis sehr ungewöhnlich sind40. Die meisten als außerordentliche Vertragsklauseln anerkannten Vertragsbestimmungen werden der letzteren Kategorie zugerechnet41. Typische außerordentliche Vertragsklauseln sind die vertraglichen Regelungen, die der Verwaltung die Möglichkeit einräumen, einseitig und ohne Einschaltung der Gerichte Strafen zu verhängen, Weisungen über die Ausführung des Vertrags zu erteilen, einseitige Vertragsmodifizierungen herbeizuführen usw. Es reicht nur eine einzige außerordentliche Vertragsklausel aus, um dem gesamten Vertrag öffentlich-rechtlichen Charakter zu verleihen42. Diese beiden Kriterien erfüllen regelmäßig vor allem diejenigen Verträge nicht, die im Rahmen der Verwaltung der privaten Sachen des Staates geschlossen werden. Die Rechtsprechung des Staatsrates hatte es zuvor im Hinblick auf die traditionelle begriffliche Verbindung zwischen privatrechtsförmiger Verwaltung (gestion privée de l'administration) und diesen Vermögensverwertungsgeschäften abgelehnt, solchen Verträgen auch dann öffentlich-rechtlichen Charakter zuzusprechen, wenn sie außerordentliche Vertrags36
De Laubadère/Moderne/P. Delvolvé , Traité des contrats, Bd. I, S. 138 f. S. de Laubadère/Moderne/P. Delvolvé , Traité des Contrats, Bd. I, S. 136 f. Ausgenommen und privatrechtlich qualifiziert werden nach Maßgabe des code rural gewisse Verträge der Gemeinden über die Nutzung von öffentlichem Grund und Flüssen zu Zwecken der Landwirtschaft und der Fischerei; s. ebenda, Nr. 105 bis, S, 143. 38 Vedel, in Mélanges Mestre, S. 527 ff. (553); Rouquette, AJDA 1994 (Sonderheft actualité des marchés publics), 18 ff. (29); Rivero , Dr. adm., S. 151; kritisch zu diesem Verständnis der außerordentlichen Klauseln Rainaud, RDP 1985, 1183 ff. ( 1189 ff. ) 39 Zitat aus dem Urteil CE 20. Oktober 1950, Stein, Ree. 1950, 505; Obersetzung des Verfassers. 40 Vedel, in Mélanges Mestre, S. 546 ff.; Vedel/P. Delvolvé , Dr. adm., Bd. I, S. 389; Venezia , in Mélanges Eisenmann, S. 272. 41 Vedel , in Mélanges Mestre, S. 550. 42 S. Vedel/P. Delvolvé , Dr. adm., Bd. I, S. 389; s. auch Rivero, Dr. adm. S. 150 f. 37
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3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
klausein enthielten43. Später hat sich die Ansicht durchgesetzt, daß auch Verträge über das private Eigentum des Staates öffentlich-rechtlich zu beurteilen sind, wenn in ihnen außerordentliche Klauseln vorkommen44, oder wenn der Vertragspartner mit der Erfüllung von services publics assoziiert wird 43. Die Faustregel bleibt jedoch, daß diese Verträge privatrechtlich qualifiziert werden46. Verträge zwischen öffentlich-rechtlichen Versorgungsunternehmen und den Benutzern ihrer Leistungen werden in ständiger Rechtsprechimg als Erfüllung von Wirtschaftsaufgaben (s.p.i.c.) privatrechtlich qualifiziert 47. Das gilt auch für den Fall, daß die allgemeinen Kriterien des Verwaltungsvertrags (etwa das Vorhandensein außerordentlicher Klauseln) erfüllt sein sollten48. Auch die vertraglichen Beziehungen solcher Träger zu ihrem Personal unterliegen dem Privatrecht 49; eine Ausnahme hierzu stellt die Stellung des comptable public und des leitenden Direktors dar30. Was die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben (s.p.a.) betrifft, so ist die normative Gestaltung der Beziehungen zu den Leistungsempfängern die Regel. Grundsätzlich ist allerdings auch der Abschluß von Verwaltungsverträgen nach den allgemeinen Kriterien (z.B. Vorhandensein von außerordentlichen Klauseln) mit den Benutzern denkbar31. 43
CE 26. Januar 1951, Sté anonyme minière, Ree. 1951, 49; vgl. Vedel, in Mélanges Mestre, S. 538; Vedel/P. Delvolvé, Dr. adm., Bd. I, S. 390. 44 TC 22. November 1965, Calmette, Ree. 1965, 819 = JCP 1966, Π, 14483 mit Schlußanträgen Lindon und Anm. O.D. = D. 1966, 258 mit Anm. Lenoir ; dies gilt aber nicht, wenn solche Verträge im Rahmen der Erfüllung von Wirtschaftsaufgaben geschlossen werden. 43 CE 4. Juli 1969, Trouvé, Ree. 1969, 360: Überlassung eines gemeindlichen Saales zum Zwecke der Filmvorführung. 46 S. Dufau, JCA 5, Fase. 406-1, §91; Godfrin, Droit administratif des biens, S. 148 f. zu den verschiedenen Ausnahmen. 47 Grundlegend CE, 5. November 1937, Union hydro-électrique de l'Ouest constantinois, Ree. 1937, 896. 48 CE, 13. Oktober 1961, Établissements Campanon-Rey, Ree. 1961, 567; TC, 17. Februar 1962, Dame Bertrand, Ree. 1962, 831; vgl. auchRainaud, RDP 1985, 1203. 49 CE, 26. Januar 1923, Robert de Lafraygère, Ree. 1923, S. 67; CE, 11. Juni 1969, Dlle Husson, Ree. 1969,298. 30 CE, 8. März 1957, Jalenques de Labeau, D. 1957, 378 mit Anmerkung de Laubadère. Vgl. de Laubadère/Venezia/Gaudemet, Traité de dr. adm., Bd. I, S. 712 f. 31 CE, 24. Juni 1968, Consorts Ursot, Ree. 1968, 798 (Fernsprechanschluß) sowie das Urteil CE, 22. Juli 1977, Muringer, Ree. 1977, 453 (Femschreiber), wo Benutzungsverträge mit der staatlichen Organisation für Telekommunikationen wegen
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Bei der Beurteilung von Verträgen auf dem Gebiet staatlicher Bedarfsdeckung bietet sich eine Unterscheidung zwischen den Verträgen, die sich auf öffentliche Leistungsaufträge (marchés de fournitures) beziehen, und denen, welche Bauleistungen (marchés de travaux) als Gegenstand haben, an. In beiden Fällen sind die inner-administrativen Vorverfahren zwischen öffentlich- und privatrechtlichen Organisationen unter dem Einfluß der entsprechenden Koordinierungsrichtlinien 32 und angesichts einer zunehmenden Korruptionsproblematik 33 zwar angeglichen; trotzdem richtet sich die Qualifikation solcher Verträge nach wie vor nach der Organisationsform des handelnden Subjekts34. Das Dekret vom 11. Juni 1806 unterstellt die Streitigkeiten aus Leistungsaufträgen der Verwaltungsgerichtsbarkeit (und damit dem öffentlich-rechtlichen Regime). Diese Vorschrift hat nach der Rechtsprechung des Staatsrates jedoch keinen konstitutiven Charakter; denn als Sach- und Dienstleistungsverträge sind nur diejenigen zu bezeichnen, die nach den allgemeinen Kriterien Verwaltungsverträge sind 33 . In spezifischen Konstellationen wird eine
des Vorhandenseins von außerordentlichen Klauseln öffentlich-rechtlich qualifiziert wurden; vgl. Mescheriakoff, Droit des services publics, S. 221 f.; Carbajo, Droit des services publics, S. 54. Im Jahre 1990 wurden allerdings die französischen Telekommunikationen umstrukturiert und ihre Beziehungen zum Publikum privatrechtlich gestaltet. 32 S. z.B. das Gesetz vom 11. Dezember 1992, das die Vergabe von Leistungsaufträgen bei der Wasser- und Energieversorgung, dem Transport und den Telekommunikationen betrifft; abgedruckt in DS 1993,17 ff. 33 Gesetze vom 3. Januar 1991 und vom 29. Januar 1993. Die Bezeichnung eines Vertrags als öffentlich-rechtlich ist unabhängig von der Beachtung bestimmter Verfahrensregeln. Der Code des marchés publics, der das Vergabeverfahren regelt, erfaßt die Auftragsvergabe der Zentralverwaltung, der Gebietskörperschaften und der nationalen öffentlichen Verwaltungsanstalten. Bestimmte öffentlich-rechtliche Verträge auf dem Gebiet des Beschaffungswesens werden ohne Anwendung dieses Verfahrens abgeschlossen; es bestehen auch umgekehrt Beschaffungsverträge unter Anwendung des code des marchés publics, die privatrechtlicher Natur sind: S. Rouquette, AJDA 1994 (numéro spécial), 26. 34 Durupty , Les entreprises publiques, Bd. 2, S. 258. Die erwähnte Angleichung des Vergabeverfahrens, das staatsnahe Privatrechtsträger zu befolgen haben, an die Regeln des Code des marchés publics führt nach der Meinung von Rouquette, AJDA 1994 (numéro spécial), S. 21, zur Bildung einer Kategorie halb-öffentlicher Beschaftungsverträge. 33 Vedel , in Mélanges Mestre, S. 531 f.; Vedel/P. Delvolvé , Dr. adm., Bd. I, S. 383; Durupty , Les entreprises publiques, Bd. 2, S. 258; P. Delvolvé , RDP 1971, 1287 ff. (1315 ff). 14 Gogos
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3. Kap. : Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
öffentlich-rechtliche Qualifikation naheliegen: Z.B. wenn der Vertragspartner mit der Versorgung von Flüchtlingen beauftragt wird 56 (Teilnahme an der Erfüllung von services publics) oder wenn ein staatliches Elektrizitätsunternehmen von privaten Elektrizitätserzeugern Energie kauft (außerordentliche Vertragsklauseln) 57. In der Regel werden allerdings diese Maßstäbe nicht erfüllt sein: Die Beschaffungstätigkeiten öffentlich-rechtlicher Träger werden oft von Spezialgesetzen geregelt, welche vorsehen, daß die Sachleistungen unter den für die Privatwirtschaft geltenden Konditionen erworben werden müssen58. Der Bereich der Leistungsaufträge durch öffentliche Anstalten wird somit vom Privatrecht geprägt59. Mit Recht wird des weiteren darauf hingewiesen, daß die Problematik der Qualifikation des öffentlichen Bauauftragswesens eines der ältesten Kapitel des französischen Verwaltungsrechts darstellt60. Für die öffentlichen Bauaufträge (travaux publics) gilt Art. 4 des Gesetzes vom 28. Pluviôse, der diesbezügliche Streitigkeiten der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte unterstellt. Diese öffentlich-rechtliche Qualifikation erfolgt ohne Rücksicht auf die Erfüllung der allgemeinen Kriterien, also von Gesetzes wegen61. Von einem öffentlichen Bauauftrag kann dennoch nur dann die Rede sein, wenn die vereinbarte Bauleistung einen öffentlichen Charakter aufweist 62. Der Bauvertrag muß sich auf öffentliche Bauarbeiten (travaux publics) beziehen, also die Herstellung von Bauwerken zum Gegenstand haben, die zugunsten einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und im öffentlichen Interesse errichtet werden63. 56
S. das erwähnte Urteil des CE Époux Bertin, CE, 20. April 1956, Ree. 1956,167. CE, 19. Januar 1973, Société d'exploitation électrique de la rivière du Sant, AJDA 1973, 358; der gesetzliche Konstext verleih in jenem Fall "den Parteien Rechte und Pflichten, die das gemeine (= private) Recht nicht kennt" (Zitat aus dem Urteil); ein Teil der Lehre schließt daraus auf die Existenz einer weiteren Kategorie von Verwaltungsverträgen aufgrund eines öffentlich-rechtlichen gesetzlichen Kontexts; vgl. Vedel/ P. Delvolvé, Dr. adm., Bd. I, S. 390. 58 P. Delvolvé , RDP 1971, 1314; Linotte, JCA 1, Fase. 157, §55. 59 Durupty , Les entreprises publiques, Bd. 2, S. 258. 60 Vedel/P. Delvolvé , Dr. adm., Bd. I, S. 394. 61 Llorens , Contrat d'entreprise, S. 33; Rouquette , AJDA 1994 (numero spécial), 29; ausgenommen sind die Fälle, in denen die Voraussetzungen der öffentlichen Bauaufträge nicht erfüllt werden: CE, 8. Mai 1974, Sté agricole et forestière de Coutin et Sieur Baufume, Ree. 1974, 270 = AJDA 1974, S. 325 Chronique Franc und Boy on. 62 Llorens, Contrat d'entreprise, S. 16. 63 Es geht um die Rechtsprechung nach dem Urteil CE, 10. Juni 1921, Commune de Monségur, Ree. 1921, 573; das Urteil betrifft die Errichtung einer Kirche zugunsten 57
2. Abschnitt: Französisches Recht
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Streitigkeiten im Rahmen der Maßnahmen staatlicher Vorsorge zur Schaffung von Wohnraum in den fünfziger Jahren haben allerdings zu einer erweiterten Auffassung des öffentlichen Bauwerks geführt 64. Damit sind öffentliche Bauwerke auch diejenigen, die zugunsten von Privaten innerhalb des Rahmens der Wahrnehmung von services publics von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts in Auftrag gegeben werden65. Die beiden Formeln koexistieren und kommen zur Anwendung je nachdem, wer Begünstigter und wer Bauunternehmer des Bauwerks ist.
IV. Privatrechtlich verfaßte Träger als Adressaten staatlicher Sonderbindungen 1. Einseitige Rechtsakte Frühe Anzeichen einer Relativierung der Bedeutung des organischen Kriteriums waren in der Rechtsprechung des Staatsrats bereits vor dem zweiten Weltkrieg erschienen66. Die enge Verknüpfung zwischen Organisations· und Handlungsformen des öffentlichen Rechts ist aber erst mit den Urteilen Montpeurt67 und Bouguen68 des Staatsrates ernsthaft in Frage gestellt worden. einer Gemeinde, was auf alle Fälle einen Bauauftrag zu einem Zweck des Gemeinwohls, jedoch nach der Trennung von Staat und Kirche in Frankreich sicherlich keine Staatsaufgabe darstellt: vgl. Weil/Long/Braibant, Les grands Arrêts de la jurisprudence administrative (1974), S. 168. Zu diesem sog. organischen Kriterium des service public s. oben Kap. 1, Abschnitt 2, I 2. Ferner CE, 2. Juni 1961, Leduc, Ree. 1961, 365; vgl. die Definition von Llorens, Contrat d'entreprise, S. 18. 64 Long/WeiUBraibant, Les grands arrêts, S. 437. 65 TC, 28. März 1955, Effimieff, Ree. 1955, 616: Im Urteil Effimieff ging es um Bauaufträge, die von Sociétés Cooperatives de Construction (es geht um öffentliche Anstalten) zugunsten von Bürgern an Konstruktionsgesellschaften vergeben wurden. S. ferner die Urteile CE, 20. April 1956, Grimouard, RDP 1956, 1058, mit Schlußanträgen Long und Anm. Waline·, CE 21. Dezember 1962, Ville de Thiais, Ree. 1962, 701; vgl. die Definition von Llorens, Contrat d'entreprise, S. 19. 66 Es ging um Tätigkeiten von Gesellschaften der Vorsorge, der Hilfe und gegenseitiger Darlehen (sociétés de prévoyance, de secours et des prêts mutuels): CE, vom 20. Dezember 1935, Établissements Vezia, Ree. 1935, 1212; CE, 13. Mai 1938, Caisses d'aide primaire, Ree. 1938,417 (soziale Versicherungskassen). 67 CE, 31. Juli 1942, Montpeurt, Ree. 1942, 239 betreffend eine Entscheidung über die Stillegung einer Fabrik, getroffen durch eine Comité d'organisation.
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3. Kap. : Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
Obwohl nicht als öffentliche Anstalten organisiert, können nach diesen Urteilen auch Organisationsausschüsse (comités d'organisation) und Berufskammer (ordres professionnels) Akte erlassen, welche öffentlich-rechtlichen Charakter haben und der Zuständigkeit des Staatsrats unterliegen. Diese Rechtsprechung wurde in verschiedene Richtungen interpretiert; manche Theoretiker haben in ihr die Fortführung der tradierten Dogmatik und eine öffentlich-rechtliche Qualifikation der Organisationsform dieser Träger gesehen, während andere eine Beseitigung des "organischen" Kriteriums als Anknüpfungsgegenstands des öffentlichen Rechts diagnostiziert haben69. Nach einer Periode der Unklarheit unmittelbar nach dem Kriege hat der Staatsrat ausdrücklich mit dem Urteil Morand70, aber vor allem mit dem Urteil Magnier71, auch Entscheidungen privatrechtlicher Organisationen den Charakter von Verwaltungsakten zuerkannt: Im Urteil Magnier beurteilte der Staatsrat die Gebührenbescheide eines privatrechtlichen Vereins zur Bekämpfung von Schädlingen der Landwirtschaft 72. Hier war maßgeblich, daß die privatrechtliche Organisation zu einer Kategorie von Trägern gehörte, die gesetzlich vorgesehen wurden. Diesen Trägern wurde ein bestimmtes Gebiet zugeordnet und die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben (s.p.a.) zugewiesen. Diese privatrechtlichen Vereine wurden zu diesem Zweck mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet. In ihrer Tätigkeit unterlagen sie der Kontrolle des zuständigen Ministeriums. Der Staatsrat urteilte, daß diejenigen Rechtsakte solcher Träger, die die Grundstückseigentümer belasten, als Verwaltungsakte zu qualifizieren sind. Zwei unmittelbar gefolgte Urteile des Staatsrats73 bestätigen, daß Rechtsakte von Verbänden der Speiseöl-Industrie, die vom 68
CE, 2. April 1943, Bouguen, S. 1944, 1, in bezug auf Disziplinarmaßnahmen einer Ärztekammer. 69 Dazu de Laubadère/Venezia/Gaudemet , Traité de dr. adm., Bd. I, S. 477 f.; Venezia , in Mélanges Eisenmann, S. 364; vgl. auch Eisenmann, in Mélanges Mestre, S. 221 ff. (226 ff.); Sabourin, RDP 1971, 589 ff. (598 f.); Chapus, Dr. adm. gén., Bd. I, S. 113 f.; S. auch oben Kap. 1, Abschnitt 2,12. 70 CE, 28. Juni 1946, Morand, S. 1947, 3, 19 mit Anm. P.M. : Dabei handelte es sich um die Qualifikation von Entscheidungen landwirtschaftlicher Verbände der Kriegszeit (organisations corporatives agricoles). 71 CE, 13. Januar 1961, Magnier, Ree. 1961, 33 = RDP 1961, 155. 72 Es geht um die Fédération départementale des groupements de défense contre les ennemis de cultures. Zu den Vereinen als Verwaltungstrabanten in Frankreich, s. oben Kap. 1, Abschnitt 2, IV 2 b). 73 S. CE, 6. Oktober 1961, Groupement national des produits oléagineux, RDP 1962, 721 ff. mit Anm. Waline; vgl. vom selben Tag Fédération nationale des huileries métropolitaines, Ree. 1961, 544.
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Gesetz mit Aufgaben der Wirtschaftsintervention (Verteilung von Vorräten usw.) beauftragt sind, als Verwaltungsakte zu beurteilen sind, wenn sie in Ausübung hoheitlicher Befugnisse ergehen. Im Urteil Capus74 wurden Entscheidungen von landwirtschaftlichen Verbänden in der Form von privatrechtlichen Gesellschaften als Verwaltungsakte qualifiziert, denn die fraglichen Rechtsakte waren in Ausübung von hoheitlichen Befugnissen und im Rahmen der Wahrnehmung eines service public administratif getroffen worden. Der Staatsrat betont dabei die Bedeutung der Aufsicht über die Gesellschaften durch den Finanzminister, die zahlreiche Genehmigungsvorbehalte und Personalbestellungsrechte umfaßt. Mehrere Urteile auf dem Gebiet des wirtschaftlichen Verbandswesens73 wiederholen dieselbe Formel: Solche Verbände, die mit der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben (s.p.a.) unter der Kontrolle der Verwaltung beauftragt werden und dazu mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet sind, erlassen im Rahmen dieser Aufgaben und in Ausübung dieser Befugnisse Verwaltungsakte. Hauptmerkmal dieser Gruppe von Urteilen ist die Betonung der Zuordnung des fraglichen Trägers zur öffentlichen Verwaltung im Hinblick auf die Kontrolle des Trägers durch das entsprechende Ministerium und die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben. Die Bedeutung der Ausübung von Kontrollbefugnissen über den Träger durch die Zentralverwaltung für die Bejahung des öffentlich-rechtlichen Regimes ergibt sich schließlich aus dem bereits zitierten Urteil des Conseil Constitutionnel vom 23. Januar 1987: Danach gehören die Entscheidungen von Organisationen, die unter der Autorität oder der Kontrolle der Verwaltung stehen, zum minimalen Anwendungsbereich des öffentlichen Rechts76. Eine andere Gruppe von Urteilen betrifft die Qualifikation von bestimmten Rechtsakten der sog. Nationalen Sportverbände. Es geht um privatrechtliche Vereine, die in bezug auf die Genehmigung von Sportgeräten für offizielle Wettbewerbe77 und auf den Erlaß von Disziplinarmaßnahmen gegenüber
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CE, 13. Juli 1968, Ree. 1968, S. Π (Anhang) = RDP 1969,163. Z.B. CE, 21. Mai 1976, Groupement d'intérêt économique Brousse-Cardell, Ree. 1976, 268 = AJDA 1977, 42; CE, 30 November 1977, Association des chasseurs de Noyant-de-Touraine, Ree. 1977, 467; TC, 2. Mai 1988, Sté Georges Maurer, Ree. 1988, 488. 76 S. oben in diesem Abschnitt Π. 77 CE, 22. November 1974, Fédération des industries françaises d'articles de sport (FIFAS), Ree. 1974, 577 = AJDA 1975,45. 73
3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
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Sportlern und Schiedsrichtern Verwaltungsakte erlassen können78. Diese Rechtsprechung erfaßt schließlich den Erlaß von Regeln der Zulassung von Sportlern 79 und Mannschaften 80 zu den Spielen. Der Staatsrat führt in dieser Hinsicht aus, daß die Sportverbände in diesen Fällen im Rahmen der Erfüllung eines service public administratif und in Ausübung von "hoheitlichen Befugnissen" tätig werden81. Der Staatsrat untersucht dabei nicht, ob die fraglichen Träger der Kontrolle der Verwaltung unterliegen. Die vom Gesetz dem Minister erteilte Befugnis, Ligen und Wettbewerbe zu organisieren, sei nach dieser Rechtsprechung des Staatsrats hoheitlicher Natur. Rechtsakte, die in Ausübung dieser gesetzlichen Befugnis ergehen, bleiben öffentlich-rechtlicher Natur, auch wenn sie aufgrund einer Delegation von ministeriell akkreditierten Verbänden erlassen werden. Dagegen stellen die Entscheidungen dieser Sportverbände in bezug auf die Tabellenordnung von Sportklubs keine Verwaltungsakte dar, weil sie aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags (der Charta der Liga) ergehen82. Diese Rechtsprechung hat Anlaß zu einem heftigen Streit bezüglich des maßgeblichen Merkmals von Verwaltungsakten gegeben. Während in den meisten Urteilen an die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch den fraglichen Träger und die gleichzeitige Ausübung einer gesetzlichen hoheitlichen Befugnis angeknüpft wird, fehlt in anderen Urteilen jeder Hinweis auf den Charakter der wahrgenommenen Tätigkeit als service public83. Somit wird behauptet, daß allein die Ausübung einer gesetzlichen hoheitlichen Befugnis für die Auslösung des öffentlich-rechtlichen Regimes ausreicht84. Die noch 78
CE, 21. November 1976, Fédération française de cyclisme, Ree. 1976, 513 = AJDA 1977, 39 ff. mit Schlußanträgen Galabert und Anm. Moderne; TC, 7. Juli 1980, Peschaud, Ree. 1980, 510; CE, 19, Dezember 1980, Hechter, Ree. 1980, 488; CE, 25. Januar 1991, Vigier, Ree. 1991, 29. 79 CE, 16. März 1984, Broadie, Ree. 1984, 118; CE, 14. Mai 1990, Lille Université Club, Ree. 1990, 557 und 1007. 80 Im jüngeren Urteil CE, 8. Juni 1994, Montpellier Université Club, RDP 1995, 797 mit Anm. Gros, wurde die Entscheidung des französischen Rugbyverbandes, eine Mannschaft zum Wettbewerb nicht zuzulassen, als Verwaltungsakt qualifiziert. 81 S. das erwähnte Urteil Broadie; vgl. auch Huon de Kermadec, RDP 1985, 417. 82 TC, 13. Januar 1992, Association nouvelle des Girondines de Bordeaux, Ree. 1992, 180 = Dr. Adm. 1992, Nr. 132; vgl. Huon de Kermadec, RDP 1985, 421 ff. 83 S. die erwähnten Urteile Groupement national des produits oléagineux und Fédération nationale des huileries métropolitaines. Vgl. auch das zitierte Urteil Montpellier Université Club und die diesbezügliche Anmerkung von Gros, RDP 1995, 798 f. 84 S. Waline, in der Urteilsanmerkung Groupement nationale des produits oléagineux, RDP 1962, 728: "L'idée de puissance publique est seule hissée sur le
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herrschende Lehre geht davon aus, daß gleichzeitig auch die Erfüllung eines service public administratif vorliegen muß83. Auf alle Fälle ist es sicher, daß das Kriterium der Ausübung gesetzlich eingeräumter Hoheitsbefugnisse conditio sine qua non der öffentlich-rechtlichen Qualifikation ist: Die Rechtsprechung bestätigt, daß allein das Bestehen von öffentlichem Interesse an einer Tätigkeit für die öffentlich-rechtliche Qualifikation eines Rechtsakts nicht ausreicht86. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß nach der h.L. auch der service public administratif von der Wahrnehmung von Hoheitsbefugnissen gekennzeichnet ist87: Da wo Hoheitsprärogativen vorhanden sind, wird regelmäßig auch die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben (s.p.a.) vorliegen. Wie es oft bemerkt wird, sind die Begriffe von service public administratif und hoheitlicher Befugnisse im französischen Recht kaum voneinander zu trennen88. Rechtsakte, die im Rahmen der Wahrnehmung von services publics industriels et commerciaux durch Privatrechtsträger erlassen werden, können nur in einer Fallkonstellation als öffentlich-rechtlich qualifiziert werden. Im Urteil Époux Barbier 89 ging es um die Rechtswirksamkeit einer Zölibatsklausel für Stewardessen, welche von den internen Dienstregeln der gemischt-wirtschafitlichen Aktiengesellschaft 90 Air-France vorgesehen war91. Der privatpodium des vainqueurs olympiques". So auch Chapus, RDP 1968, 261 ff.; J.M. Auhy in semer Anmerkung zum Urteil Barbier, D. 1969, 204, und Bizeau, AJDA 1992,180. 83 Negrin, L'intervention des personnes morales, S. 163; Lachaume, in Mélanges Stassinopoulos, S. 96 ff. (besonders S. 103 ff); Venezia, in Mélanges Eisenmann, S. 370 f.; Huon de Kermadec, RDP 1985, 418 f.; Geffroy, RDP 1987, 87: Diese Seite behauptet, daß obrigkeitliche Prärogativen nur innerhalb der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben denkbar sind; in allen Fällen, in denen der Staatsrat sich lediglich mit dem Vorliegen hoheitlicher Befugnisse für die öffentlich-rechtliche Qualifikation von staatlichen Maßnahmen begnüge, liege jedenfalls die Erfüllung von s.p.a. vor. 86 CE, 8. Juni 1988, Gradone, Ree. 1988, 231; auch CE, 17. Februar 1992, Société Textron, Ree. 1992, 66 = Dr. Adm. 1992, Nr. 181: Die Association française de normalisation (AFNOR), nimmt zwar Verwaltungsaufgaben wahr, jedoch ist die angefochtene Entscheidung nicht in Erfüllung gesetzlich eingeräumter Hoheitsbefugnisse ergangen und deshalb auch kein Verwaltungsakt. 87 S. oben Kap. 1, Abschnitt 2,11. 88 Moderne, AJDA 1975, 4 ff. (10); ders., AJDA 1977, 146; Waline, RDP 1975, 1109 ff. (1116). S. auch Chapus, Dr. adm. gén., Bd. I, §599, S. 388. 89 TC, 15. Januar 1968, Époux Barbier, Ree. 1968, 789 = AJDA 1968,225. 90 Die Anteile der Fluggesellschaft Air-France gehörten z.Z. des Urteils Barbier fast insgesamt der öffentlichen Hand an; s. J.M. Auby/Ducos-Ader, Grands services publics et entreprises nationales, Bd. Π, S. 81.
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rechtliche Charakter dieser Streitigkeit wurde nicht nur von der privatrechtlichen Organisationsform von Air France indiziert, sondern auch von der Tatsache, daß die wahrgenommenen Aufgaben (Betrieb von Fluglinien) als s.p.i.c. gelten92. Das Tribunal des Conflits hat entschieden, daß die fragliche Klausel des Personalstatuts als Verwaltungsakt mit normativem Charakter vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit anfechtbar war. Regelungen im Rahmen der Wahrnehmung von Wirtschaftsaufgaben sind nach diesem Gerichtshof als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren, wenn sie aufgrund gesetzlicher Ermächtigungen ergehen und die Organisation des Dienstbetriebs (organisation du service) betreffen, wozu auch die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer gehören. Hervorzuheben ist ferner das Urteil des Staatsrates im Fall Baudet93. Im Streit war dort die Geltung einer Regelung des Personalstatuts von Air-France, wonach das weibliche Flugpersonal früher als das männliche vom Betrieb ausscheiden mußte. Der Staatsrat hat diese Vorschrift annulliert, denn sie verstoße gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der Gleichbehandlung von Mann und Frau im Arbeitsleben. Ebenso wurde vom Staatsrat das Personalstatut der privatrechtlich verfaßten (jedoch staatlich kontrollierten 94) Rundfunkanstalten Radio France, TF1 und FR3 als öffentlich-rechtlich qualifiziert 95. Das Urteil Époux Barbier und die Rechtsprechung, die ihm gefolgt ist, beziehen sich nur auf Akte mit normativem Charakter aufgrund gesetzlicher 91
Die Klägerin Barbier hatte nach ihrer Entlassung vor den Zivilgerichten auf Schadensersatz wegen rechtswidrigen Vertragsbruchs geklagt. Der Apellationshof (Cour d'Appel) hat ihr mit der Begründung Recht gegeben, daß ihre Entlassung das fundamentale Recht auf Persönlichkeit verletze (das Persönlichkeitsrecht wird in Frankreich zivilrechtlich geschützt); Die Revision hat das Problem der Rechtswirksamkeit der hinter der Entlassung liegenden Regelung gesehen und die Frage vor das Tribunal des Conflits verwiesen; s. Lachaume, Les grandes décisions de la jurisprudence, Droit administratif, S. 94; Long/Weil/Braibant , Les grands arrêts, S. 542 ff. 92 Vgl. das Urteil des TC, vom 12. Juni 1961, Rolland, AJDA 1961, 606, wo der Staatsrat das Personalstatut der SNCF (damals noch eine gemischt-wirtschaftliche Gesellschaft) aus diesem Grunde privatrechtlich qualifiziert hatte. 93 CE, 6. Februar 1981, Baudet, Ree. 1981, 53 = AJDA 1981, 489 mit Schlußanträgen Dondou χ. 94 Status quo zum Zeitpunkt der Urteile; Ende der achtziger Jahre wurde der Sender TF1 privatisiert. 95 CE, 12. November 1976, Syndicat unifié de radio et de Télévision, Ree. 1976, 484.
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Ermächtigung und nicht auf individuelle Maßnahmen, die weiterhin im Bereich des Privatrechts bleiben96. Diese Rechtsprechung beschränkt sich schließlich auf Fragen des Personalstatuts97. So werden z.B. allgemeinverbindliche Entscheidungen der französischen Staatsbank (Banque de France98) in bezug auf die Regulierung des Bankgewerbes weiterhin als privatrechtliche Handlungsformen ("normes professionnelles") betrachtet99.
2. Verträge privatrechtlicher Verwaltungstrabanten Unter der Herrschaft des organischen Kriteriums kommt eine öffentlichrechtliche Qualifikation von Verträgen privatrechtlicher Organisationen grundsätzlich nicht in Frage. Auch wenn für den Bereich der einseitigen Rechtsakten Ausnahmen anerkannt werden, ist die Herrschaft des organischen Maßstabs im Bereich der Verwaltungsverträge nahezu ausnahmslos, was vielfach als widersprüchlich und sinnlos kritisiert wird 100. Zwar werden Verträge privatrechtlicher Organisationen gelegentlich als Verwaltungsverträge bezeichnet, jedoch verlangt die Rechtsprechung eine vorherige Erteilung eines entsprechenden Auftrags (mandat) an die vertragschließende Organisation durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts101. Eine der beiden Vertragsparteien muß damit "im Namen und auf Rechnung ("au nom et pour le compte"102) einer öffentlich-rechtlichen Organisation handeln. Obwohl ein solcher Auftrag normalerweise im Rahmen eines Konzessionsvertrags erteilt wird, reicht für die öffentlich-rechtliche Quali96 Jeanneau, Droit des services publics, §346, S. 570; Carbajo, Droit des services publics, S. 63. 97 Jeanneau, Droit des services publics, §346, S. 570; vgl. auch Nguyen Quoc, Les entreprises publiques, S. 204 ff.; andererseits sahModerne eine Fortführung der Rechtsprechung Barbier auch in Fragen von sozialen Aufgaben; s. Moderne, AJDA 1975, 4 (Anmerkung zum Urteil TC 22. April 1974, Blanchet, AJDA 1974, 439). 98 Zur Rechtsnatur der Banque de France s. oben Kap. 1, Abschnitt 2, ΙΠ. 99 Cour de Cassation, 22. April 1980, D. 1981, 48; Kritik von Jeanneau, Droit des services publics, S. 571 f. 100 S. Mazères , in Mélanges Couzinet, S. 477 ff. (480 f); Rainaud , RDP 1985, 1202. 101 CE, 30. Mai 1975, Sté d'équipement de la région montpellieraine, Ree. 1975, S. 326 ff; TC 17. Juli 1975, Commune d'Agde, Ree. 1975, S. 798 f. 102 Zitat aus dem Urteil TC 12. Januar 1970, GDF gegen S.E.A.G.E.M.A., JCP. Π. Nr. 16229; zur Entwicklung des Begriffs des Auftrags (mandat) in der Rechtsprechung s. Prévost , RDP 1971, S. 817 ff. (823 ff.).
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3. Kap. : Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
fikation eines Vertrags eine einfache Konzession (also ohne die Erteilung eines ausdrücklichen Auftrags) nicht aus103. Die privatrechtliche Organisation stellt nur den Vertreter des öffentlich-rechtlichen Auftraggebers dar, dessen mittelbare Anwesenheit den Vertrag charakterisiert. Diese Regel gilt allerdings nur in einer Richtung: Verträge, die juristische Personen des öffentlichen Rechts im Auftrag von privatrechtlichen Organisationen abschließen, bleiben nach dem organischen Maßstab Verwaltungsverträge 104. Als eine mögliche Durchbrechung des organischen Kriteriums schien das Urteil Peyrot105 des Tribunal des Conflits. In diesem Urteil wurde der Vertrag zwischen einer gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaft, die mit der Konstruktion einer Fernstraße beauftragt war, und einem Bau-Subunternehmer als Verwaltungsvertrag qualifiziert. Das Gericht führte aus, daß der Bau von Fernstraßen von seiner Natur her dem Staat zuzuordnen sei, der normalerweise diese Aufgaben unmittelbar wahrnehme. Im Rahmen der öffentlichrechtlichen gesetzlichen Regelung spiele es keine Rolle, ob der Staat den Bau immittelbar selbst vornehme oder einen Privatunternehmer auf seine Rechnung tätig werden lasse. Dieser letzte Satz "auf seine Rechnung" wird von der herrschenden Lehre als die dogmatische Konstruktion eines konkludenten Auftragsverhältnisses ("mandat tacite") interpretiert 106. Andererseits wird die Meinung vertreten, daß hier ein echter Fall der Aufgabe des organischen Maßstabs vorliege; allein maßgebliches Kriterium des öffentlich-rechtlichen Vertrags wäre demnach die Wahrnehmung von staatlichen Aufgaben kraft ihrer Natur 107. Im selben Bereich des Baus von Fernstraßen wurde die Rechtsprechung Peyrot auf Verträge rein privater Aktiengesellschaften erstreckt 108. Trotz man103
Mazères , in Mélanges Couzinet, S. 503 f. Llorens , Contrats d'entreprise, S. 37. 105 jq^ g j u j j 1963, Entreprise Peyrot gegen Sté de l'autoroute Estérel-Côte d'Azur, Ree. 1963, 787. 106 S. de Laubadère , Traité de dr. adm., Bd. Π, S. 426; Tagand , Le régime juridique de la société d'économie mixte, S. 172 f.; a.A. Mazères , in Mélanges Couzinet, S. 513 ff, der auch sämtliche Standpunkte vorstellt. 107 Mazères , in Mélanges Couzinet, S. 521 ff ; Long/Weil/Braibant, Les grands arrêts, S. 522, 535; vgl. Nguyen Quoc, Les entreprises publiques, S. 237; vgl. auch Llorens , Contrat d'entreprise, S. 43 f.; Prévost , RDP 1971, 829. 108 CE, 3. März 1989, Sté des autoroutes de la région Rhône-Alpes, RFDA 1989, 619 mit Anm. Pacteau\ vgl. aber die Voraussage von P. Delvolvé, RDP 1973, 380 f. 104
2. Abschnitt: Französisches Recht
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eher Hoffnungen 109 wurde das "organische" Kriterium im vertraglichen Bereich nicht allgemein aufgegeben; die Anwendung der Prinzipien der Rechtsprechung Peyrot beschränkte sich auf Sachverhalte auf dem Gebiet des Straßenbaus110. Schon die Bestätigung der traditionellen Lehre in mehreren Urteilen des Tribunal des Conflits wie auch des Staatsrates zeigt, daß eine allgemeine Neuorientierung des französischen Verwaltungsvertragsrechts nicht in der Absicht dieser Gerichte lag111.
V. Inkurs: Übergreifende Prinzipien bei der Wahrnehmung von services publics 1. Allgemein Schließlich gibt es Prinzipien, welche die Erfüllung von services publics an grundrechtliche Maßstäbe binden. Diese Prinzipien gelten unabhängig davon, ob es sich um Wirtschafts- (s.p.i.c.) oder Verwaltungsaufgaben (s.p.a.) handelt112. Dieses gemeinsame Regime sichert die Gemeinwohlbindung und verleiht den services publics ihren besonderen Status öffentlich-rechtlicher Verantwortung 113, auch wenn der Aufgabenträger privatrechtlich verfaßt ist114.
109
S. die Argumente von P. Delvolvé für eine Anwendung dieser Rechtsprechung auf Streitigkeiten in Zusammenhang mit der Verlegung von Schienen, RDP 1973, 372 f. 110 Der Judikatur Peyrot folgen: CE, 24. April 1968, Sté française du tunnel sous Mont Blanc, Ree. 1968, 255; TC, 12. November 1984, SEM du tunnel de St-Martinaux-Mines, Ree. 1984., 532 = AJDA 1985, 156 mit Schlußanträgen Genevois = RFDA 1985, 353 mit Anm. Llorens. In der bereits erwähnten Rechtsprechung "Sté d'équipement und Commune d'Agde" ging es um gemischt-wirtschaftliche Unternehmen, die mit der Regionalplanung beauftragt waren. Da aus den Urteilen selbst nicht ersichtlich wird, ob es um einen echten oder einen stillschweigenden Auftrag handelte, behauptet eine Auffassung, daß die Rechtsprechung "Peyrot" auch diese Sachverhalte erfaßt; vgl. de Laubadère/Venezia/Gaudemet , Traité de dr. adm., Bd. Π, S. 426; Carbajo, Droit des services publics, S. 61 f.; für die Annahme eines echten Auftrags die Staatsräte Franc und Boy on, in Chronique, AJDA 1975, 345 und Nguyen Quoc, JCA 2, Fase. 160, §58. 111 Llorens , Contrat d'entreprise, S. 40 f. 112 Krumpholz, Der Gleichheitssatz, S. 53. 113 Chapus, RDP 1968, 257; Chevallier , Le service public, S.71; J.M. Auby/DucosAder, Grands services publics et entreprises nationales, Bd. I, S. 32; Truchet, AJDA 1982, 427 ff. (433 ff).
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3. Kap. : Die Anknüpfngsregel f r die Grundrechtsbindung
Dieses Sonderregime des service public umfaßt gewisse gesetzliche Bindungen, die im deutschen Recht aus den Grundrechten abgeleitet werden. Das Gesetz "betreffend die Informatik, die Karteien und die Freiheiten" vom 6. Januar 1978 sieht somit besondere verfahrensrechtliche Bindungen für die Verwaltung von Informationen durch den Staat, die juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die Gebietskörperschaften sowie die juristischen Personen des Privatrechts, die einen service public ausüben, vor. Denselben Anwendungsbereich hat das Gesetz über die Akteneinsichtsrechte der Bürger im Verwaltungsverfahren 115. Die Erfüllung des service public unterliegt ferner einem besonderen Rechtsregime, das von der Gleichstellung der Bürger vor der Aufgabenwahrnehmung (égalité devant le service public), der Kontinuität der Leistungserfüllung (continuité du service public) wie auch der ständigen Anpassung der Leistungen an neue Gegebenheiten und Fortschritte der Wissenschaft (mutabilité oder adaptation constante du service public) geprägt wird 116. Diese Trias ist von der Rechtsprechung des Staatsrates auf der Ebene von allgemeinen Rechtsgrundsätzen entwickelt worden; gelegentlich erklären auch gesetzliche Texte ihre Geltung für bestimmte Teilbereiche der öffentlichen Leistungsverwaltung117. Ihre (mittelbare118) Wirkung auch im Bereich der Aufgabenerfüllung durch privatrechtliche Verwaltungseinheiten substituiert zum großen Teil im Bereich der Daseinsvorsorge die unmittelbare Geltung des öffentlichen Rechts: In diesem Sinne gehen öffentlich-rechtlicher Bereich und Reichweite essentieller Bindungen der öffentlichen Aufgabenerfüllung im französischen Recht auseinander119. Diese Grundsätze finden andererseits keine Anwendung außerhalb der Wahrnehmung von service public, z.B. auf Tätigkeiten öffentlicher Unternehmen mit rein industriellem Charakter 120.
114
Zur Bindung von administrativen Vereinen, die service public ausüben s. Garrì gou-Lagr ange, Recherches sur les rapports des associations avec les pouvoirs publics, S. 341 f. 115 S. Truchet , AJDA 1982,437. 116 Für viele Jeanneau, Droit des services publics, §62, S. 123; Chevallier , Le service public, S. 71 ff 117 So z.B. Art. 8 des Gesetzes vom 2. Juli 1990 über das Angebot von Post- und Telekommunikationsleistungen durch die beiden "öffentlichen Betreiber". 118 S. unten in diesem Abschnitt IV 2. 119 Chapus, RDP 1968, 260 ff 120 Jeanneau, Droit des services publics, §62, S. 123.
2. Abschnitt: Französisches Recht
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2. Die Gleichheit vor dem service public Von diesen Prinzipien der Erfüllung von services publics ist hier vor allem der allgemeine Rechtsgrundsatz der Gleichheit thematisch relevant. Mit diesem Grundsatz eng verbunden ist das von Lachaume anhand der Rechtsprechung des Staatsrats beschriebene Prinzip der Neutralität des service public121. Der Grundsatz der Gleichheit vor der Erfüllung von services publics ist ein Unterfall, ein "Ableger", des verfassungsrechtlich verbürgten Prinzips der Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 6 der Menschenrechtserklärung) 122. Obwohl diese besondere Ausprägung der Gleichheit in der Rechtsprechung des Staatsrats als allgemeiner Rechtsgrundsatz entstanden ist123, kommt ihr nunmehr Verfassungsrang zu124. Da die Gleichheit vor der Wahrnehmung von services publics sich mit der Nicht-Berücksichtigung von unzulässigen Gesichtspunkten (wie Rasse, Religion oder politische Zugehörigkeit) bei der Ausübung der Verwaltungstätigkeit deckt, läßt sich diese Ausprägung des Gleichheitssatzes vielfach als ein Neutralitätsgebot gegenüber gesellschaftlichen Ideologien und Strömungen umschreiben123. Zentraler und traditioneller Bereich der Gleichheit vor den services publics ist die Gleichstellung der Benutzer, sowohl beim Zugang zu den Leistungen als auch bei der Leistungserbringung selbst. Der Gleichheitssatz erfaßt also 121 Der Neutralitätsgrundsatz, wie ihn Lachaume beschrieben hat, besitzt allerdings weitere Aspekte, die ihm sein eigenes Wirkungsfeld zuschreiben. Dazu gehört die Neutralitätspflicht der Beamten des öffentlichen Dienstes, die Neutralität der Benutzung des öffentlichen Eigentums (z.B. der Schulen) wie auch mancher staatlicher Leistungen an sich (z.B. des Schulunterrichts) oder sogar die kostenneutrale Festsetzung des Gebührenwesens; s. Lachaume, Les grands services publics, S. 316 ff.; vgl. Carbajo, Droit des services publics, S. 48 ff; Mescheriakojf, Droit des services publics, S. 148 ff. 122 Esplugas, Conseil Constitutionnel et service public, S. 166 f. 123 CE, 9. März 1951, Sté des concerts du Conservatoire, Ree. 1951, 151; Lachaume, Les grandes décisions, S. 259. 124 Mescheriakojf, Droit des services publics, S. 141; Lachaume, Les grands services publics, S. 300 ff. Der Verfassungsrat hat allerdings bis jetzt niemals das Prinzip der Gleichheit vor dem service public ausdrücklich erwähnt. Im Urteil vom. 12. Juli 1979 (RCC 1979, 33) hat sich der Rat in Zusammenhang mit der gesetzlichen Gleichstellung verschiedener Kategorien der Benutzer von Mautbrücken (ponts à péage) auf den allgemeinen Gleichheitssatz berufen. Dazu ausführlich Esplugas, Conseil Constitutionnel, S. 169 ff. 123 J.M. Auby/Ducos-Ader, Grands services publics, Bd. I, S. 43.
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3. Kap. : Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
auch die potentiellen Benutzer, die unter den gleichen Bedingungen zu öffentlichen Einrichtungen zuzulassen sind126; dabei wendet der Staatsrat den Gleichheitssatz sogar strikter als bei der eigentlichen Inanspruchnahme der Leistungen an127. Als Problem der Gleichheit vor dem service public wird auch die Frage des Zugangs zu gemeindlichen Einrichtungen, eingeschlossen von der Gemeinde verwalteten Säle diskutiert128. Nach dem Zweiten Weltkrieg erstreckte der Staatsrat die Geltung dieses Gleichheitssatzes vom Kreis der (potentiellen) Benutzer auf alle mit der Aufgabenwahrnehmung in Zusammenhang stehenden Personen129. Bedienstete wie auch Lieferanten und Auftragnehmer 130 von selbständigen Verwaltungsträgern sind somit ebenfalls gleich zu behandeln. Im Bereich des Auftragswesens bedeutet dieses Gleichbehandlungsgebot ein Diskriminierungsverbot bei der Auswahl des Vertragspartners 131 und die gleichmäßige Einhaltung der Bedingungen von öffentlichen Ausschreibungen132. Es ist bereits erwähnt worden, daß die Rechtsbeziehungen zwischen Verwaltungstrabanten und Benutzern nur im Bereich der Wahrnehmimg von services publics administratifs öffentlich-rechtlich konzipiert und i.d.R. gesetzlich oder administrativ durchnormiert sind133. Falls der Gleichbehandlungsgrundsatz in diesem Zusammenhang von einer öffentlichen Anstalt 126
Beispielsweise CE, 26. April 1985, Ville des Tarbes, Ree. 1985, 119 = AJDA 1985, 446 zur Zulassung zur gemeindlichen Musikschule nach abgestuften Tarifen; ähnlicher Fall in CE, 9. April 1976, Conseils des parents d'élèves des écoles publiques de la mission culturelle et universitaire française au Maroc et autres, Ree. 1976,192. 127 Carbajo , AJDA 1981, 176 ff. (178). 128 S. das Urteil CE, 15. Oktober 1969, Association "Caen-Demain", Ree. 1969, 435: Der Bürgermeister von Caen darf den genannten Verein nicht gleichheitswidrig von der Benutzung des städtischen Saales ausschließen; vgl. auch den Fall CE, 4. Juli 1969, Trouvé, Ree. 1969, 360. 129 Lachaume, Les grands services publics, S. 298; Venezia , in Coopmans (Hrsg.), The Constitutional Protection of Equality, S. 125 ff. (135); Krumpholz, Der Gleichheitssatz, S. 53; Chevallier , Le service public, S. 72; Carbajo , AJDA 1981, 176. 130 S. CE, 9. März 1951, Sté des concerts du conservatoire, Ree. 1951, 151, wo es sich um die Gewährung des Zugangs eines Orchesters zum staatlichen Rundfunk handelte: Das Orchester stellte zugleich nicht nur den Benutzer sondern auch den Bediensteten und den Lieferanten des öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders ORTF dar. 131 Lachaume, Les grands services publics, S. 315. 132 Debbasch, Institutions et droit administratifs, Bd. 2, L'action et le contrôle de l'administration, S. 50. 133 Zur normativen Gestaltung von Leistungsverhältnissen als Garantie der Gleichbehandlung du Bois de Gaudusson, L'usager, S. 156 ff.
2. Abschnitt: Französisches Recht
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verletzt wird, verfügt der Bürger über das Rechtsmittel des Anfechtungsantrags (recours pour excès de pouvoir) vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Auch in den Fällen, wo privatrechtlich verfaßte Organisationen (i.d.R. privatrechtliche Vereine) Verwaltungsaufgaben wahrnehmen, werden die fraglichen Maßnahmen in den für den Rechtsschutz des Bürgers relevanten Konstellationen134 nach der Rechtsprechung Magnier als Verwaltungsakte qualifiziert 135. Bei der Wahrnehmung von s.p.i.c. sind die Beziehungen zwischen der Verwaltungsorganisation und den Dritten privatvertraglich gestaltet. Der Grundsatz der Gleichheit vor der Wahrnehmung von services publics differenziert einerseits nicht nach dem privat- oder öffentlich-rechtlichen Charakter der Rechtsbeziehungen zwischen der Verwaltung und den Bürgern; andererseits kann er als allgemeiner Rechtsgrundsatz der Verwaltungsgerichte vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht geltend gemacht werden136. Eine Geltendmachung des Gleichheitssatzes in privatrechtlichen Beziehungen von Verwaltungsträgern wird jedoch in den meisten Fällen mittelbar über die prozessuale Umgehung des ordentlichen Rechtswegs möglich sein. Die Wahrnehmung von Wirtschaftsaufgaben wird vielfach aufgrund eines Konzessionsvertrags durchgeführt werden, auch wenn die handelnde Organisation eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist137. Im Rahmen der Konzession werden die Bedingungen der Aufgabenerfüllung mit der Verwaltung vertraglich vereinbart. Diese Bedingungen sind in besonderen Anhängen, den sog. cahiers des charges particuliers, enthalten, auf die der Konzessionsvertrag verweist. In den cahiers des charges wird in fast allen Fällen auch das Gebot der Gleichbehandlung aller Benutzer der dargebotenen 134
Dazu gehört vor allem die Erhebung von Mitgliedsbeiträgen und die Erteilung von Disziplinarmaßnahmen durch Berufskammern. 135 J.M. Auby/R. Drago, Traité de contentieux administratif, Bd. I, Nr. 450, S. 522 f. 136 Chambre civile de la Cour d'appel von Paris, Urt. vom 22. Dezember 1933, DS 1934.11.109 mit kritischer Anm. Blaevoet. Das Gericht urteilt, daß die Stromversorgungsgesellschaft Sté Nord-Lumière nach Belieben ("à gré et selon sa seule fantasie") unter ihren Benutzem diskriminieren darf. Vgl. auch Lachaume, Les grandes décisions, S. 261; Vgl. aber von Breitenstein, Zum Grundsatz der Gleichbehandlung in der Stromversorgung, S. 100, der das Urteil Sté Nord-Lumière als einen "rätselvollen" Einzelfall einschätzt. 137 So unterliegt die Verteilung von Elektrizität durch die öffentliche Anstalt EDF den cahiers de charges, die durch das Dekret vom 22. November 1960 erlassen wurden. Weitere Beispiele bei de Laubadère/Moderne/P. Delvolvé , Traité des contrats, Bd. I, S. 693; J.M. Auby/Ducos-Ader , Grands services publics, Bd. I, S. 198.
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3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
Leistungen festgeschrieben. Wenn das Prinzip der Gleichheit vor dem service public von diesen cahiers des charges particuliers verletzt wird, so ist der Zustimmungsakt der Verwaltung zum Konzessionsvertrag als Verwaltungsakt anzufechten 138. Zugleich besitzen diejenigen Regelungen der cahiers des charges, die sich auf die Organisation der Aufgabenwahrnehmung beziehen, nach der Rechtsprechung eine normative Natur 139. Der Leistungsgeber darf deshalb die individuellen Verträge zu den Verbrauchern nicht in Abweichung von den cahiers des charges gestalten140; die Rechtswidrigkeit privatrechtlicher Versorgungsverträge, die gegen die cahiers des charges verstoßen, kann auch vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit geltend gemacht werden141. Der gleichheitswidrig behandelte Bürger kann schließlich von der mit der Aufsicht beauftragten Behörde verlangen, daß sie ihrer sich aus dem Grundsatz der Gleichheit vor dem service public ergebenden Einwirkungspflicht auf die konzessionäre privat- oder öffentlich-rechtliche Organisation nachkommt. Falls die Aufsichtsbehörde dies ablehnt, ist ein Anfechtungsantrag gegen diese Ablehnung vor dem Staatsrat zu erheben142. In manchen Fällen sieht schließlich das Gesetz eine Genehmigung von Versorgungsverträgen größeren Volumens durch die Verwaltung vor; falls solche Verträge gleichheitswidrige Klauseln enthalten, kann der genehmigende Verwaltungsakt angefochten werden143. 138
S. den Fall CE, 1. Juli 1936, Sieur Veyre, Ree. 1936, S. 713; Moderne, RFDA 1987, 11 ff. (15). 139 De Laubadère/Moderne/P. Delvolvé, Traité des contrats, Bd. I, S. 109. 140 CE, 5. Mai 1943, Cie Générale des eaux, DC. 1944, J., 121 mit Schlußantrag Odent. 141 S. das Urteil der Chambre civile de la Cour de Cassation vom 24. Oktober 1933, D. Hébdomadaire 1933, 570, wonach eine private Stromversorgungsgesellschaft den in den cahiers enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatz beachten mußte; im bereits erwähnten Fall Sté Nord-Lumière war für den konkreten Fall keine Gleichbehandlungspflicht in den cahiers des charges vorgesehen. Als weiterer Fall einer Ausstrahlungswirkung der Bedingungen des Konzessionsvertrags kann nur ein Urteil von 1915 genannt werden (Kassationshof, 9. Februar 1915, D. 1916, 166), wo der Gerichtshof bei der Beurteilung eines privatrechtlichen Schadensersatzanspruchs gegen eine Eisenbahngesellschaft die Gleichbehandlung aller Spediteure beim frühzeitigen Zugang zum Bahnhofsgelände forderte. 142 Grundlegend CE, 21. Dezember 1906, Syndicat Croix-de-Seguey-Tivoli, Ree. 1906, 969; CE 7. November 1958, Sté Électricité et Eaux de Madagascar^ Ree. 1958, 530; vgl. Lachaume, Les grandes décisions, S. 261; J.M. Auby-Ducos-Ader, Grands services publics, Bd. I, S. 223; J.M. Auby/Drago, Traité de contentieux, Bd. I, Nr. 464, S. 552. 143 CE, 1. Dezember 1971, Sté des Établissements Dubreuil, Ree. 1971, 735.
2. Abschnitt: Französisches Recht
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Ferner bestehen cahiers des charges-type, die von der Zentralverwaltung in der Form eines Dekrets erlassen werden. Solche Normativakte enthalten die Bedingungen, die in den von den Gemeinden abgeschlossenen Konzessionsverträgen enthalten sein sollen144. Obwohl die Berücksichtigung dieser vorbildlichen Vertragsbedingungen für die Gemeinden nicht zwingend ist, nehmen dennoch die besonderen cahiers des charges der einzelnen Konzessionsverträge regelmäßig Bezug auf sie. Gleichheitswidrige Klauseln in diesen vorbildlichen Konzessionsbedingungen können ebenfalls verwaltungsgerichtlich angefochten werden145. In den meisten Fällen, in denen eine Verletzung des Prinzips der Gleichbehandlung gerügt wird, handelt es sich allerdings um Normativakte der kommunalen oder zentralen Verwaltung, die aufgrund von gesetzlichen Ermächtigungen die Tarifpolitik öffentlicher Anstalten der Daseinsvorsorge bestimmen146. Häufig können schließlich auch die fraglichen Einrichtungen, auch wenn sie privatrechtlich organisiert sind, ihre eigene Tarifpolitik über Normativakte aufgrund gesetzlicher Ermächtigung selbst gestalten. Auch in diesen Fällen bietet sich die unmittelbare Geltendmachung des Gleichheitssatzes durch einen Anfechtungsantrag an147.
VI. Zusammenfassung Im französischen Recht ist die Anwendung der Grundrechte von den eingesetzten Formen des Verwaltungshandelns abhängig. Voraussetzung für die Bejahung des öffentlich-rechtlichen Charakters einer Handlung ist die öffentlich-rechtliche Organisationsform des handelnden Trägers (organisches Kriterium). Im übrigen unterliegen aber die Handlungen öffentlich-rechtlicher Organisationen nicht immer dem öffentlichen Recht. Ihre Rechtsakte werden als privatrechtlich qualifiziert, wenn sie im Zusammenhang mit Vermögens144
CE, 5. Mai 1961, Ville de Lyon, Ree. 1961, 294. S. das erwähnte Urteil Ville de Lyon; vgl. auch Moderne, RFDA 1987, 11 ff. 146 S. z.B. das grundlegende Urteil des Staatsrats CE, 25. Juni 1948, Sté du Journal l'Aurore, Ree. 1948, 289: Hier wurde eine Ministerialverordnung angegriffen, die gleichheitswidrig die Stromtarife erhöhte. 147 S. den Fall CE, 26. Juni 1989, Association Études et consommation CFDT, Ree. 1989, 544: Während die Tarife der (öffentlichen Anstalt) SNCF als Verwaltungsakte (mit normativer Wirkung) anfechtbar sind, sind die auf ihrer Grundlage erlassenen Einzelakte dem Gebiet des Privatrechts zuzuordnen. 145
15 Gogos
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3. Kap. : Die Anknüpftingsregel für die Grundrechtsbindung
Verwertungsgeschäften oder mit der Wahrnehmung von Wirtschaftsaufgaben (s.p.i.c.) erfolgen. Verträge öffentlich-rechtlicher Träger sind Verwaltungsverträge, wenn sie für das Privatrecht ungewöhnliche "hoheitliche" Klauseln enthalten oder sich auf die unmittelbare Wahrnehmung von staatlichen Aufgaben (services publics) beziehen. Grundsätzlich gehört der Bereich des öffentlichen Bauauftragswesens dem öffentlichen Recht an; die übrigen Bereiche der Bedarfsdeckung und Vermögensverwertung gehören eher dem privatrechtlichen Bereich an. Im Bereich der Daseinsvorsorge (Lieferung von Energie und Wasser, Transporte und nunmehr auch das Telekommunikationswesen) ist die Herrschaft des Privatrechts in fast allen Bereichen absolut. Das organische Prinzip kennt jedoch auch Ausnahmen: Privatrechtliche Verwaltungstrabanten unterliegen staatlichen Sonderbindungen, wenn sie aufgrund delegierter gesetzlicher Hoheitsbefugnisse tätig werden. Die Rechtsprechung verlangt aber auch in dieser Konstellation, daß der fragliche Träger mit der Wahrnehmung verwaltungstypischer Aufgaben (s.p.a.) beauftragt ist, und daß eine institutionelle Anbindung des Trägers an die öffentliche Verwaltung besteht. Diese Sonderbeziehung macht sich nach der Rechtsprechung vor allem am Kriterium der Ausübung staatlicher Aufsichtsbefugnisse bemerkbar. Mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse ist auch der Fall der administrativen Normsetzung beim Erlaß des Personalstatuts durch öffentliche Unternehmen verknüpft. Privatrechtliche Verwaltungstrabanten jeglicher Art schließen mit anderen Privaten Verwaltungsverträge nur im Rahmen eines ausdrücklichen oder konkludenten Auftrags durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts ab. Die Erfüllung von services publics unterliegt im übrigen dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Gleichstellung aller Leistungsbenutzer vor der Aufgabenerfüllung. Es geht um einen Grundsatz des öffentlichen Rechts, der nur vor den Verwaltungsgerichten geltend gemacht werden kann. Dies wird aber über verschiedene Techniken auch im Rahmen privatrechtlicher Verhältnisse möglich. Außerhalb der Wahrnehmung von services publics und ohne Rücksichtnahme auf staatliche Ingerenzen erstreckt sich das weite Feld der Verwaltungstrabanten, die uneingeschränkte Privatautonomie genießen148: Hierunter fallen das nationalisierte Bank- und Versicherungswesen sowie die von öffentlichen Unternehmen wahrgenommene Produktion von Kohle und Stahl.
l4S
Jeanneau, Droit des services publics, §345, S. 568.
. Abschnitt
Englisches1 Recht I. Die Verknüpfung zwischen staatlichen Sonderbindungen und Sonderrechtsbehelfen Die Entstehung und Fortentwicklung der besonderen Bindungen des Verwaltungshandelns hat im Rahmen der Beurteilung besonderer, an die Verwaltung gerichteter Rechtsbehelfe stattgefunden: Die Rede ist von den sog. "prerogative orders2" Certiorari (mit kassatorischem Charakter), Mandamus (wodurch die Verwaltung zu einer Handlung verpflichtet werden soll) und Prohibition (mit einer negativen Verpflichtungsklage vergleichbar)3. Die ultra viresLehre war dabei nicht nur der eingesetzte Kontrollmaßstab des Verwaltungshandelns, sondern zugleich Sachentscheidungsvoraussetzung des gerichtlichen Verfahrens: Es waren nur solche Verwaltungsmaßnahmen mit diesen Rechtsbehelfen anfechtbar, die nach den Grundsätzen der ultra vires Lehre überprüfbar waren4. Da das staatliche Sonderrecht von den Gerichten im Rahmen besonderer staatgerichteter Rechtsbehelfe geschaffen wurde, ist es untrennbar mit den spezifisch gegen den Staat gerichteten Rechtsbehelfen verflochten: Materielles und prozessuales Recht beruhen auf derselben Theorie über den Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns und verleihen sich letztendlich gegenseitig ihre Staatsgerichtetheit. 1 Die folgende Darstellung bezieht sich nur auf das englische Recht, da das schottische und z.T. das nordirische wesentlich abweichen. S. Spoerr, VerwArch 82 (1991), 25 ff., 29, 41. 2 Deren Ursprung liegt in der alten königlichen Prärogativbefugnis, Entscheidungen der königlichen Bediensteten (servants of the Crown) außer Kraft zu setzen; s. Sir W Wade/Forsyth, Administrative Law (Admin. Law), S. 614; de Smith/Evans, De Smith's Judicial Review of Administrative Action, S. 584 ff. 3 Riedel, Kontrolle der Verwaltung im englischen Rechtssystem, S. 25, 46. 4 Also da, wo Mißachtung der Grenzen der Ermächtigung gerügt werden konnte; für viele s. Griffith/Street , Principles of Administrative Law, S. 236; Sir W Wade/Forsyth , Admin. Law, S. 623 ff.; Cane, An Introduction to Administrative Law, S. 61.
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3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
Diese staatsgerichteten Rechtsbehelfe wurden 1977 durch Order 53 der Rules of the Supreme Court5 in ein einheitliches Rechtsbehelf mit dem Namen "application for judicial review" zusammengefaßt. Dieses Rechtsbehelf räumt zusätzlich die Möglichkeit ein, die (früher) besonders schlagkräftigen allgemeinen (also auch gegen Private anwendbaren) Rechtbehelfe declaration (vergleichbar mit einem Feststellungsantrag) und injunction (Antrag auf einstweilige Verfügung 6) im selben Verfahren zu verbinden7. Order 53 der Rules of the Supreme Court ermöglicht die Einleitung des judicial review Verfahrens in den Fällen, in denen die Rechtsbehelfe certiorari, mandamus und prohibition nach der überlieferten Rechtsprechung zugänglich waren. Die Überprüfbarkeit von Rechtsakten der Verwaltung aufgrund der ultra vires-Lehre wurde somit zur Voraussetzung der Zulässigkeit auch des neuen Rechtsbehelfs8. Die Einbeziehung auch "privatrechtlicher" Rechtsmittel in das judicial review Verfahren ließ die Frage offen, ob declaration und injunction auch außerhalb des judicial review Verfahrens und seiner besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen, also im "ordentlichen Rechtsweg", beantragt werden könnten. Diese Zweifel wurden im Urteil O'Reilly v. Mackman9 trotz erheb5
Bestätigt durch section 31 des Supreme Court Act 1981. Trautwein, Der Schutz der bürgerlichen Freiheiten und der sogenannten sozialen Grundrechte in England, S. 87. 7 Vor 1977 konnte der Kläger entweder ein Rechtsmittel der Prärogative auswählen und über das besondere Verfahren für diese Rechtsmittel (Zeugenvernehmung grundsätzlich unzulässig, Tatsachenvorbringen der Parteien nur über eidesstattliche Erklärungen möglich) einen Aufhebungs- oder Verpflichtungsantrag verfolgen oder über das "privatrechtliche" Verfahren, in dem Tatsachen in vollem Unfang überprüfbar und Zeugenvernehmungen möglich waren, eine Feststellung der Rechtwidrigkeit des Verwaltungshandelns ersuchen. Dabei bestanden weitere Schwierigkeiten im Prärogativverfahren: Der Kläger mußte den richtigen Rechtsbehelf auswählen (certiorari, mandamus oder prohibition), was aufgrund historisch gewachsener Diffizilitäten oft zur Unzulässigkeit der Klage führte. Ferner waren die Gerichte viel eher bereit, Feststellungsurteile gegen die Verwaltung auszusprechen, als ihre Entscheidungen aufzuheben; declaration wurde somit das erfolgreichste Rechtsbehelf gegen die Verwaltung. Ziel der Reform war nun, über einen einheitlichen Antrag sämtliche Rechtsbehelfe, eingeschlossen der privatrechtlichen, unter einem einzigen Antrag sowie gemeinsamen und vereinfachten Bedingungen zugänglich zu machen. Zu diesem Prozeß der Verfahrensänderung s. Woolf \ Protection of the Public-Α new Challenge, S. 13 ff; zu den Notwendigkeiten, die zu dieser Novellierung geführt haben, s. H. W.R. Wade, LQR 1985, S. 180ff. (182 ff). 8 C. Lewis, Judicial Remedies in Public Law, S. 6. 9 All ER 1982, Bd. 3, 1124 (HL); in diesem Prozeß ging es um eine Feststellungsklage (declaration), die aber nicht über einen Antrag auf judicial review, sondern in 6
. Abschnitt: nisches Recht
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liehen Widerstandes10 ausgeräumt; auch Anträge auf Feststellung und einstweiligen Rechtsschutz sind ausschließlich im Rahmen des judicial reviewVerfahrens zu stellen, wenn die fraglichen Maßnahmen der Verwaltung "öffentliche Rechte" der Bürger beeinträchtigen11. Umgekehrt bedeutet dies, daß die auf die Verwaltung anwendbaren Sondermaßstäbe grundsätzlich nur in einem solchen spezifisch verwaltungsprozessualen Verfahren geltend gemacht werden können. Die Anwendungsbereiche der gegen den Staat gerichteten Maßstäbe und der verwaltungsgerichteten Rechtsbehelfe sind vollständig identisch. Auch hier präsentiert sich damit die Frage der Grundrechtsbindung verselbständigter Verwaltungseinheiten als ein Problem der Abgrenzung von öffentlichem Recht und Verwaltungsgerichtsbarkeit einerseits und gemeinem (= Privat-) Recht und ordentlichem Rechtsweg andererseits.
II. Der Anknüpfungspunkt des staatlichen Sonderrechts nach der ultra vires-Lehre Da die Einhaltung der Grenzen gesetzlicher Handlungsermächtigungen der Gegenstand des Verwaltungsprozesses ist, sind nur solche Handlungen nach seinen Maßstäben judizierbar, die aufgrund Gesetzes ergehen. Lord Atkin L.J. hat in seinem vielzitierten Urteil im Sachverhalt R. v. Electricity Commissioners, ex p. London Electricity Joint Commitee Company12 Gegenstand und Reichweite des Verwaltungsprozesses so definiert: einem zivilrechtlichen Verfahren gegen einen administrativen Akt erhoben wurde (also auf dieselbe Weise wie es vor 1977 üblich war; die Kläger hatten die Frist des Antrags auf judicial review versäumt). 10 S. die Ausführungen von Lord Wilberforce im Urteil Davy v. Spelthorne Borough Council in AC 1984, 262 (276 f.), der vor einem unbiegsamen und diffizilen dualen Rechtssystem warnt. 11 Zum Begriff der "öffentlichen Rechte" s. Bell, in Dupuis (Hrsg.), Le contrôle jurisdictionnel de l'administration, S. 80 ff; Beatson, LQR 1987, 34 ff (39). Eine Ausnahme von dieser Regel bestehe nur dann, wenn die Verwaltung gegen einen Bürger privatrechtlich vorgeht und der Beklagte in der Form der Einrede die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts rügt, von dem die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens abhängt (s. das Urteil Wandsworth L.B.C, v. Winder, AC 1985, 461). Dazu kritisch Woolf. \ Protection of the Public, S. 29 ff ; vgl. auch Beatson, LQR 1987, 57 ff ; zu neueren subtilen Differenzierungen Feldman, PL 1993, 37 ff. 12 K.B. 1924, Bd. 1, 171 (205).
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Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
"(W)herever any body of persons having legal authority to determine questions affecting the rights of subjects, and having the duty to act judicially13, act in excess of their legal authority they are subject to the controlling jurisdiction of the King's Bench Division".
Diese Umschreibung des Anwendungsbereichs staatlicher Sonderbindungen umfaßt zwei wichtige Aussagen: Es muß sich erstens um einen Träger handeln, der gesetzlich zur Wahrnehmung von Verwaltungsangelegenheiten befugt ist, und zweitens muß die konkrete Handlung in Wahrnehmimg dieser gesetzlichen Handlungsbefugnisse erfolgen 14. Das staatliche Sonderrecht hat einen Anwendungsbereich, der sowohl in bezug auf die fragliche Handlung als auch auf das handelnde Subjekt definiert wird. Deshalb wird in Gerichtsurteilen oft angemerkt, daß der vorliegende "body of persons (sc. is) amenable to the supervisory jurisdiction of this court15", oder daß "if new tribunals are established by acts of government, the supervisory jurisdiction of the High Court extends to them...16". Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich stehen freilich in engstem Zusammenhang, sie sind in den meisten Fällen voneinander untrennbar: Die gesetzliche (oder prärogative 17) Grundlage der fraglichen Handlung bedeutet immer die entsprechende gesetzliche Ermächtigung des fraglichen Trägers zur Erfüllung ihm zugewiesener Aufgaben: Auch Träger, die nicht gesetzlich konstituiert wurden, unterliegen einer Prüfung anhand der ultra vires-Lehre, wenn sie im konkreten Fall als Adressaten gesetzlicher Handlungsermächtigungen handeln. Letztendlich wird es damit für die Anwendbarkeit staatlicher Sonderbindungen lediglich auf die gesetzliche Grundlage der konkreten Handlung ankommen18. 13
Das Bedürfnis nach "judiziellem" (und nicht administrativem i.S. von politischem) Charakter der Entscheidung ist im Grunde aufgegeben worden, s. Cane, Introduction, S. 27 f.; Aldous/Alder, Applications for Judicial Review, S. 50; für eine Erklärung der Unterscheidung zwischen justicial/quasi-judicial/admi-nistrative decisions und ihre frühere Bedeutung für die Zulässigkeit von certiorari s. de Smith/Evans, Judicial Review, S. 77 ff.; Riedel, Kontrolle der Verwaltung, S. 33 ff. 14 Pannick, in Jowell/Oliver (Hrsg.), New Directions in Judicial Review, S. 27. 15 Lord Parker in R. v. Criminal Injuries Compensation Board, ex p. Lain, All ER 1967, Bd. 2, 770 (776). 16 LordDiplock, All ER 1967, Bd. 2, 779. 17 Der Anwendungsbereich der ultra vires-Lehre wurde im Laufe der Zeit auch auf die Kontrolle von Prärogativbefugnissen erstreckt; s. unten in diesem Abschnitt 6.1. 18 Garner/B.L. Jones, Gamer's Administrative Law, S. 179; McLeod, Judicial Review, S. 63; Halsbury's Laws of England, Bd. 1, Administrative Law, §64, S. 100; Sir
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I I I . Gesetzlich ermächtigte Verwaltungseinheiten Die Tätigkeit von gesetzlich errichteten Verwaltungstrabanten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war historisch überhaupt das erste Objekt der modernen gerichtlichen Verwaltungskontrolle in England19. Auch heute bilden gesetzlich errichtete Einheiten, die vielfach sog. regulatorische Aufgaben erfüllen, den Kernbereich der an staatliches Sonderrecht gebundenen Verwaltungsträger. Organisationen wie z.B. der Milk Marketing Board, der Higher Education Funding Council20 oder die Independent Broadcasting Authority (IBA) sind stets den administrativen Rechtsbehelfen zugänglich, wobei dies in dem Maße gilt, wie ihre Befugnisse auf ein Gesetz rückführbar sind. Entscheidungen der genannten IBA im Rahmen ihrer gesetzlichen Kontrollbefügnisse über das Rundfünkwesen sind öfters angegriffen worden. In diesen Fällen wurden Entscheidungen über die Zulassung der Ausstrahlung von bestimmten Sendungen angegriffen, und die Gerichte haben stets die Zulässigkeit des judicial review Verfahrens bestätigt21. Wenn aber eine gesetzlich verfaßte Verwaltungseinheit nicht aufgrund ihrer gesetzlichen Befugnisse, sondern kraft Vertrages handelt, unterliegt sie dem gemeinen (privaten) Recht. Im Fall R. v. Independent Broadcasting Authority, ex p. Rank Organization pic.22 wurde eine Entscheidung der IBA im Wege des judicial review angegriffen. Eine Produzentin von Programmen hatte in ihrer Satzung als Aktiengesellschaft aufgrund eines vorherigen Vertrages der IBA das Recht eingeräumt, die Ausübung von Wahlbefügnissen anderer Aktionäre unter gewissen Umständen zu verbieten. Ein Aktionär, dem die genannte Behörde die Ausübung seines Wahlrechts nicht gestattet hatte, ging gegen diese Maßnahme der IBA gerichtlich vor. Nach der Auffassung des Richters Mann war hier das judicial review Verfahren unzulässig, denn die Entscheidung der W Wade/Forsyth, Admin. Law, S. 659; Aldous/Alder, Applications, S. 110 f.; Supperstone/Goudie, Judicial Review, S. 27, 31; Bell, in Dupuis (Hrsg.), Le contrôle jurisdictionnel de l'administration, S. 73 ff. (85); Woolf, Protection of the Public, S. 51. 19 De Smith/Evans, Judicial Review, S. 94 ff; Riedel, Kontrolle der Verwaltung, S. 91. 20 S. R. v. Higher Education Funding Council, ex p. Institute of Dental Surgery, All ER 1994, Bd. 1,651. 21 S. A-G ex rei. Me Whirter v. Independent Broadcasting Authority, QB 1973, 629; R. v. Independent Broadcasting Authority, ex p. Whitehouse, The Times, 14.4.1984. 22 The Times, 14.03.1986.
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3. Kap. : Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
IBA hatte nicht die gesetzlichen Bestimmungen über ihre Vertragsabschlußbefügnisse als Grundlage, sondern die Satzung der Aktiengesellschaft 23. Da öffentliche Korporationen mit unternehmerischem Charakter (nationalised industries) regelmäßig durch ein Gesetz errichtet werden, das ihre Befugnisse und Pflichten regelt, unterliegen sie grundsätzlich den öffentlichrechtlichen Sondermaßstäben. Auch die Nachfolgeorganisation des National Coal Board, British Coal Corporation, unterliegt dem judicial review, wenn sie ihre gesetzliche Pflicht (nach section 46 des Coal Industry Nationalisation Act) mißachtet, eine bestimmte Arbeitergewerkschaft bei den Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag hinzuzuziehen24. Typischerweise ermächtigt ein Gesetz die Korporation, alles zu tun und alle Geschäfte vorzunehmen, die ihrer Meinung nach geeignet sind, um die regelgerechte Erfüllung ihrer Pflichten zu ermöglichen oder die mit diesen Pflichten im Zusammenhang stehen25. Wegen der recht vagen Formulierung dieser Befugnisse ist freilich eine ultra vires Kontrolle wenig ertragreich 26. Es ist deshalb davon auszugehen, daß einzig die Prüfung nach dem unreasonableness-Maßstab erfolgversprechend sein könnte27. So hatte ein Verbraucher, der für die Zerstörung eines Stromzählers nach einem Einbruch in seine Wohnung haften mußte, die entsprechende Klausel des mit dem öffentlichen Stromversorgungsunternehmen abgeschlossenen Stromlieferungsvertrags als unver23 Nach dem Broadcasting Act 1990 nahm die Zulassung von privaten Rundfunkgesellschaften die Form einer Lizenzierung an: Die aufgrund dieses Gesetzes entstandene Independent Television Commission vergibt nunmehr eine befristete Ausstrahlungslizenz an diejenige Gesellschaft, die in einem Ausschreibungsverfahren das beste Angebot macht (dazu T. Jones, PL 1990, 156 ff). Die übergangenen Bewerber können die Vergabeentscheidung nach den öffentlich-rechtlichen Prinzipien gerichtlich überprüfen lassen; s. den Fall R. v. Independent Television Commission, ex p. T.S.W. Broadcasting Ltd., The Times, 7.2.1992 (CA), The Times, 30.3.1992 (HL); vgl. T. Jones, PL 1992, S. 372 ff 24 R. v. British Coal Corporation, ex p. Union of Democratic Mineworkers, ICR 1988, 36. 23 Griffith/Street, Principles, S. 313; die Autoren stellen ferner die Frage, in wie fern aufgrund solcher Ermächtigungen die genannten Träger "beiläufig" erwerbswirtschaflliche Zwecke verfolgen dürfen. Nach einer Analyse der Rechtsprechung kommen sie zum Ergebnis, daß lediglich in extremen Situationen eine Grenze solcher Betätigungen in der unreasonableness-Doktrin zu sehen ist. 26 Friedmann , in International Encyclopaedia of Comparative Law, Bd. ΧΙΠ, Chapter 13, S. 31; Ο. Hood Phillips' , Constitutional and Administrative Law, S. 612; Garner/ B.L. Jones, Garner's Administrative Law, S. 305; Molan , Administrative Law, S. 64. 27 Garner, PL 1990, 329 ff. (336).
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nünftig angegriffen. Richter Schiemann28 bejahte die Überprüfbarkeit der Klausel, fand jedoch nichts dabei, was auf die Unvernunft, auch im Sinne einer Ungleichbehandlung, eines privatwirtschaftlich agierenden Unternehmens hinweisen könnte. Im Bereich des Eisenbahnwesens und der Post waren Leistungs- und Gleichbehandlungspflichten gegenüber den Korporationen aufgrund gesetzlicher Ausschlußklauseln gerichtlich nicht durchsetzbar29. Anderes galt für die Korporationen der Wasser- und Elektrizitätsversorgung, die mit den öffentlich-rechtlichen Rechtsbehelfen zur Wahrung ihrer gesetzlichen Leistungsund Gleichbehandlungspflichten 30 gezwungen werden konnten. Der Electricity Act 1947 sah in section 37 (subs. 8) vor, daß die Korporationen bei ihrer Tarifgestaltung Personen oder Personengruppen weder ungerechtfertigt diskriminieren noch bevorzugen dürften. Um die vom Gesetz verwendeten Begriffe "undue preference" und "undue discrimination" entstand eine Rechtsprechimg, die die Wahrung der Grenzen der Handlungsermächtigung zur Tarifgestaltung nach dem Gleichheitsgrundsatz prüfte 31. Die Tarifgestaltung von öffentlichen Unternehmen der Wasserversorgung unterlag ebenfalls der ultra vires Kontrolle. Wie Richter Phillips im damals brisanten Fall Daymond v. South West Water Authority 32 bemerkte, unterliege auch die gesetzliche Befugnis der öffentlichen Wasserversorgungsgesellschaften, ihre Tarife "nach Belieben" ("as they think fit") zu gestalten, gewissen Grenzen: 28
Es geht um den Fall R. v. Midland Electricity Board, Ex p. Busby, The Times 28.10.1987. 29 Section 3 (subs. 4) Transport Act 1962; section 9 (subs. 4) Post Office Act 1969; die Beziehungen zur Post waren und sind immer noch nicht-vertraglicher Natur; s. Malone v. Metropolitan Police Commissioner, All ER 1979, Bd 2., 620 (645). 30 Dazu s. Halsbury's Laws of England, Bd. 49,, §242, S. 116 ff. im Zusammenhang der Wasserversorgung (vor der Privatisierung). 31 S. London Electricity Board v. Springate, All ER 1969, Bd. 3, 289: Ein nach der Fläche der Häuser differenzierender Tarif sei keine ungerechtfertigte Diskriminierung, denn größere Häuser würden höhere Infrastrukturausgaben des Stromversorgers erforderlich machen; eine Diskriminierung war andererseits im Urteil South of Scotland Electricity Board ν. British Oxygen Co. Ltd., All ER 1956, Bd. 3, 199 vorhanden: Die Verbilligung für Hochspannungsstrom sollte im Verhältnis zum Unterschied der Herstellungskosten für Niederspannungsstrom und nicht niedriger sein. 32 AC 1976, 609 (615); in letzter Instanz befand das House of Lords, daß die Water Authority keine Gebühren auf an die Kanalisation nicht angeschlossene Häuser erheben durfte (3-2 mit abweichender Meinung der Richter Lord Wilberforce und Lord Diplock).
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Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
"...There is no doubt they (sc. die gesetzlichen Befugnisse) do not exclude the duty of the Court to interfere in a particular case if a Water Authority should act arbitrarily, whimsically or capriciously or for an ulterior purpose, or if it should act in a way that no reasonable authority would be expected to act".
Im Urteil R. v. National Coal Board, ex p. National Union of Mineworkers 33 ging es um die Anfechtung der Entscheidung des öffentlichen Unternehmens NCB, das die britische Kohleindustrie verwaltete, ein Kohlebergwerk zu schließen. Die größte Gewerkschaft der Arbeitnehmer hatte geltend gemacht, daß diese Entscheidung gegen section 46 des Coal Industry Nationalisation Act 1946 verstoße. Richter McPherson urteilte, daß die Maßnahme des Unternehmens gerichtlich nicht überprüfbar sei. Zwar sei der Coal Board von einem Gesetz ermächtigt und in mancher Hinsicht als eine öffentliche Organisation (public body) anzusehen, die in vielen ihrer Tätigkeiten im Wege des judicial review überprüfbar sei, jedoch sei die vorliegende Entscheidung von "rein unternehmerischer Natur". Nach seinem Urteil liege diese Entscheidung nicht auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, auch wenn sie von einem staatlichen Träger getroffen wurde. Nach diesem Urteil scheint auch umgekehrt ein unternehmerisches Element zu existieren, das zu einer "privatrechtlichen" Qualifikation von Entscheidungen führt, die ansonsten aufgrund der ultra vires-Lehre verwaltungsgerichtlich überprüfbar wären34. Sir Harry Woolf bemerkt: "Public bodies are entitled to have a private life"; die englische Rechtsordnung verlange nicht, daß öffentliche Träger auch auf dem Gebiet des Wirtschaftslebens höheren moralischen Maßstäben unterliegen sollten35.
IV. Inkurs: Geltendmachung von staatlichen Sonderbindungen gegen die privatisierte Versorgungswirtschaft In den Privatisierungsgesetzen ist die Pflicht des Betreibers vorgesehen, jedermann Leistungen anzubieten, der gewisse, gesetzlich vorgeschriebene, Voraussetzungen erfüllt 36. Diese Leistungspflicht der Betreiber wird nach der 33
ICR 1986, 791. Vgl. C. Lewis, Judicial Remedies, S. 10 f. 35 Woolf PL 1986, 223. 36 Z.B. sections 39 (Wasserversorgung) und 69 (Abwasserentsorgung) des Water Act; section 15 Electricity Act. 34
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herrschenden Meinung unmittelbar durch das Gesetz begründet und erfolgt nicht erst aufgrund einer vertraglichen Beziehung zu den Verbrauchern 37. Schließlich wird (gelegentlich) eine gesetzliche Gleichbehandlungspflicht der Verbraucher vorgesehen38. Die gesetzliche Verankerung von Leistungs- und Gleichbehandlungspflichten ist um so wichtiger, als die Versorgungsgesellschaften verständlicherweise das marktwirtschaftliche Potential ihres Unternehmens voll ausschöpfen möchten. So wird die diskriminierende Praktik des British Gas plc. beklagt39, das seine industriellen Tarife je nach der Verfügbarkeit von lohnenden alternativen Energiequellen differenziere. Es ist noch nicht ersichtlich, ob aus den beschriebenen gesetzlichen Leistungspflichten subjektive Rechte der Bürger erwachsen, die unmittelbar gegenüber dem betreibenden Unternehmer geltend gemacht werden könnten. Rechtsprechung zu dieser Frage ist - soweit ersichtlich - noch nicht vorhanden. Man darf aber vermuten, daß, solange keine prozessualen Ausschlußklauseln vorhanden sind, wie dies aber im Eisenbalmrecht der Fall ist, die Erkenntnisse der Zeit vor der Nationalisierung weiterhin Geltung beanspruchen40. Auf alle Fälle können Verstöße gegen diese gesetzlichen Pflichten vor der zuständigen Aufsichtsbehörde gerügt werden. Falls diese ihre (gesetzliche) Einwirkungspflicht gegenüber dem Unternehmer nicht wahrnimmt, so ist nach der ganz h.L. gegen diese Entscheidung im Wege des judicial review vorzugehen41. Ein soweit ersichtliches, einziges gerichtliches Urteil betrifft eine Leistungsunterbrechung der British Gas plc. Die Weigerung des mit der Aufsicht beauftragten Director General of Gas Supply, gegen diese Maßnahme vorzugehen, wurde im Wege des judicial review erfolgreich angegriffen 42. 37 Eine Ausnahme besteht für Telekommunikationsleistungen, die stets aufgrund eines Vertrags angeboten werden; s. Arrow smith, Civil Liability and Public Authorities, S. 50. 38 Section 10 Gas Act. 39 Sir Gordon Borne , PL 1989, 552 ff. (559); ausführlicher dazu Graham/P ross er, Privatizing Public Enterprises, S. 204 ff. 40 Vgl. Woolf, Protection of the Public, S. 52; a.A. E.C.S. Wade/Bradley, Constitutional and Administrative Law, S. 316, die ohne nähere Begründung diese Möglichkeit als unwahrscheinlich ansehen. 41 Graham, PL 1991, 15 ff. (S. 19); ebenfalls Howarth, The Law of the National Rivers Authority, S. 9; C. Lewis, Judicial Remedies, S. 8; zweifelnd dagegen Garner, PL 1990, 334, 336, mit Hinweis auf die schwammigen gesetzlichen Formulierungen. 42 Zusammenfassung der unveröffentlichten Entscheidung R. v. Director General of Gas Supply, ex p. Smith vom 1. 7. 1989 bei Graham, PL 1991, 19 (mit Nachweis des Computer-Archivs LEXIS).
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3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
V. Auf vertraglicher Grundlage handelnde Organisationen Das englische Recht sieht im Vertrag ein typisch privatrechtliches Element43. Nach der klassischen Betrachtung der gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns i.S. der ultra vires Lehre, wie sie in der erwähnten Stellungnahme des Richters Atkin zum Ausdruck kommt, liegen außerhalb des "öffentlich-rechtlichen" Bereichs Organisationen, die ihre Handlungsbefugnis aus einem Vertrag herleiten. Solche Träger sind z.B. Schiedsgerichte oder Gesellschaften, die nach dem Handelgesellschaftsrecht (Companies Act) errichtet wurden44. Dabei kommt es freilich immer auf die Rückführbarkeit der fraglichen Handlung auf ein vertraglich fundiertes Recht an. Wie Richter Sir Donaldson im Urteil R v. Panel on Take-overs and Mergers, ex p. Datafin bestätigt, gehört der Ausschluß von Trägern, deren einzige Befugnisquelle die einvernehmliche Unterwerfung unter ihre Zuständigkeit ist, zu den stabilsten Merkmalen des öffentlich-rechtlichen Verfahrens 43.
VI. Die Erweiterung des Kreises der öffentlich-rechtlichen Sonderbindungen unterliegenden Organisationen 1. Organisationen der Prärogative Organisationen, die aufgrund der königlichen Prärogativbefugnisse durch einseitigen Organisationsakt der Verwaltung konstituiert und handlungsfähig sind46, blieben nach der klassischen Konzeption des Verwaltungsprozesses außerhalb der Reichweite des judicial review. Der High Court hat allerdings schon in den späten sechziger Jahren den Anwendungsbereich des staatlichen Sonderrechts auf Prärogativorganisationen erstreckt. Mit dem Urteil R. v. Criminal Injuries Compensation Board, ex p. Lain47 erkannte dieses Gericht, daß auch eine Organisation (hier ein Fonds zur Entschädigung von Verbrechensopfern), die ohne gesetzliche Ermächtigung von der Exekutive errichtet worden war und über keine gesetzli43 44 45 46 47
Bell, in Dupuis (Hrsg.), Le contrôle jurisdictionnel de l'administration, S. 82. Für viele Beioff, MLR 1995, 143 ff. (146). R. v. Panel on Take-overs and Mergers, ex p. Datafin, All ER 1987, Bd. 1, 577. Also durch Royal Charter oder Warrant; s. oben Kap. 1, Abschnitt 3, Π. All ER 1967, Bd. 2, 770 ff.
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chen Handlungsbefugnisse verfügte, dem Rechtsbehelf certiorari unterlag. Lord Parker bemerkte in seiner Stellungnahme, daß die Grenzen des Anwendungsbereichs der öffentlich-rechtlichen Rechtsbehelfe einem ständigen Wandel unterlägen. Es sei der Punkt erreicht worden, wo certiorari jeden Sachverhalt erfaße, wo ein "public body" mit der Regelung von Materien befaßt ist, die die Bürger betreffen. Der fragliche Träger nehme öffentliche Pflichten (public duties) wahr; deshalb seien seine Entscheidungen in gleicher Weise im Wege des certiorari angreifbar, als ob der Minister selbst diese Aufgaben erfüllen würde48. Der Spruch des House of Lords bei der Beurteilung eines Koalitionsverbotes beim Regierungsinformationsdienst (G.C.H.Q.) hat bestätigt, daß im Prinzip alle gesetzesunabhängigen Handlungsbefugnisse der Verwaltung nach den besonderen Maßstäben des Verwaltungshandelns gerichtlich überprüfbar sind49. Dies betrifft aber nur ungeschriebene, richterrechtlich überlieferte "common law" Prärogativbefugnisse der Krone, die stillschweigend auf Prärogativorganisationen übertragen wurden. Befugnisse, die in der durch königlichen Akt erlassenen Satzung (Royal Charter) des Prärogativträgers ihre Grundlage finden, sind im Wege des judicial review nicht angreifbar 30. Handlungsbeschränkungen, die durch diese Satzung dem Träger auferlegt werden, sind nur von den Mitgliedern solcher Organisationen "privatrechtlich" geltend zu machen. Außenstehende, wie z.B. Bewerber von öffentlichen Aufträgen, können sich auf solche Überschreitungen des Charters nicht berufen 31. Für die wichtigste Organisation dieser Art, die British Broadcasting Corporation, liegt noch kein Präjudiz vor, das die Zulässigkeit von judicial review bejaht hätte32. Diese Körperschaft existiert zwar auf der Grundlage eines königlichen Akts, jedoch übt sie größtenteils Befugnisse aus, die ihr aufgrund einer Lizenz nach dem Wireless Telegraphy Act 1949 eingeräumt 48
All ER 1967, Bd. 2, 778. Council of Civil Service Unions ν. Minister for the Civil Service, All ER 1984, Bd. 3, 935 (HL); es besteht immerhin ein Bereich hoheitlichen Handelns, der nicht justiziabel ist. Es geht um Entscheidungen bezüglich der Verteidigung, der Außenpolitik und der Begnadigung von Sträflingen; s. Aldous/Alder, Applications, S. 34; Freedland, PL 1994, 86 ff. (91). 30 C. Lewis , Judicial Remedies, S. 40 ff. 31 Oliver, PL 1987, 543 ff. (552). 32 Im Urteil R. v. B.B.C., ex p. Lavelle (All ER 1983, Bd. 1, 24) ging es um die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, welches vom Gericht als privatrechtlich eingestuft wurde; das judicial review Verfahren war unzulässig. 49
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wurden. Nur diese Lizenz enthält Verpflichtungen, die eventuell zu einem judicial review Verfahren fuhren könnten53. Zugunsten der Zulässigkeit des judicial review bezüglich dieser Verpflichtungen der BBC wird vorgebracht, daß sie regulatorischen und deshalb öffentlichen Charakters sind; die mit judicial review kontrollierbaren Befugnisse, die die Independent Broadcasting Authority aufgrund der Broadcasting Act 1990 verfügt, seien identischer Natur, so daß man von der Zulässigkeit des judicial review auch gegen die BBC ausgehen solle54. Die Universitäten nehmen im Gefüge der Staatstrabanten eine besondere Stellung ein: Sie sind (in den meisten Fällen) aufgrund der königlichen Prärogative entstanden und unterliegen einem eigenartigen, historisch geprägten Regime. Ihre Beziehungen zu den Studierenden sind vertraglich gestaltet, so daß relevante Streitigkeiten privatrechtlicher Natur sein werden55. Akten der Universitäten im Verhältnis zu ihren Bediensteten sind an sich verwaltungsgerichtlich nicht anfechtbar, sondern unterliegen der ausschließlichen Zuständigkeit des sog. "visitor" 56. Dieser stellt die traditionelle inneruniversitäre Instanz für die Lösung von Streitigkeiten zwischen der Universität und ihren Bediensteten dar. Die Entscheidungen des visitor sind zwar mit den öffentlich-rechtlichen Rechtsbehelfen anfechtbar 57, jedoch beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle nach alter Judikatur ausschließlich auf Fragen der Zuständigkeit: Die innere Rechtmäßigkeit der Maßnahme selbst wird nicht überprüft 58.
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C. Lewis, Judicial Remedies, S. 43. C. Lewis, Judicial Remedies, S. 44; C. Lewis stellt allerdings fest, daß die fragliche Lizenz auch als Vertrag angesehen werden könnte, was judicial review ausschließen würde. 55 S. Herring v. Templeman, All ER 1973, Bd. 3, 569; dazu vgl. C. Lewis, Judicial Remedies, S. 45; Pannick, in Jowell/Oliver (Hrsg.), New Directions in Judicial Review, S. 28, und Bell, in Dupuis (Hrsg.), Le contrôle jurisdictionnel de l'administration, S. 87 f. 56 Thomas v. University of Bradford, WLR 1987, Bd. 2, 677 (HL); vgl. C. Lewis, Judicial Remedies, S. 45. 57 S. das Urteil Thomas, WLR 1987, Bd. 2, 695 {Lord Griffith)', s. auch C. Lewis, Judicial Remedies, S. 46 mit weiteren Details. 58 R. v. Hull University Visitor, ex p. Page, WLR 1992, Bd. 3, 1112 (HL); die Stellungnahme der Mehrheit der Richter beruft sich auf die Rechtsprechung Philips v. Bury von 1694. 54
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2. Umorientierung der Dogmatik durch die Datafin-Rechtsprechung Einen tiefen Einschnitt in diese herkömmliche Dogmatik markierte das Urteil R. v. Panel on Take-overs and Mergers, ex p. Datafin pic59. Das Panel on Take-overs and Mergers ist eine Organisation60 der beruflichen Selbstverwaltung der Sicherheitenhändler (security dealers) der Londoner City61. Sie ist ohne gesetzliche Ermächtigung errichtet worden und hat die Aufgabe, Übernahmen und Fusionen von Handelsgesellschaften anhand eines entsprechenden Ehrenkodex zu überwachen. Der Vorsitzende und der zweite Vorsitzende des Gremiums werden vom Gouverneur der Bank of England bestellt, der seinerseits von der Regierung ernannt wird. Das Vereinigte Königreich unterlag zwar der europarechtlichen Verpflichtung, die Übernahme und Fusion von Gesellschaften zu überwachen, jedoch wurde diese Aufgabe dem genannten Gremium überlassen. Seine Entscheidungen waren von großer Bedeutung, nicht zuletzt weil sie durch gesetzliche Rahmenbedingungen und die Androhung von Strafen durch das Handelsministerium und die Bank of England unterstützt wurden. Bei der Untersuchung der Zulässigkeit des judicial review gegen eine Entscheidung des Gremiums hat das Gericht zum ersten Mal das Kriterium der Quelle der Befugnisse des Trägers in Frage gestellt. Die Tatsache, daß der Spruchkörper nicht aufgrund Gesetzes errichtet wurde, sei nach Richter Donaldson "eine völlige Anomalie"62 gemessen an den Erfahrungen anderer Länder und an der Tatsache, daß das Take-over Panel insgesamt "im öffentlichen Bereich" tätig sei. Nach einer Analyse seiner früheren Rechtsprechung fand das Gericht, daß das Kriterium der Quelle der Befugnis auf keinen Fall ausschließlichen Charakter besäße. Einzig "ein öffentliches Element" (a public element) sei ein Essential der Zulässigkeit des judicial review. Dieses Element könne viele verschiedene Formen annehmen. Zwischen den Extremfällen der Ausübung von gesetzlichen Handlungsermächtigungen und Vertragsbefugnissen liege ein Bereich, in dem man nicht nur an die Quelle, sondern auch an die Natur der Befugnisse anknüpfen sollte. Es könnte genügen, daß ein Träger öffentlich-rechtliche Funktionen (public law functions) wahrnehme oder daß 59
All ER 1987, Bd. 1,564 (CA). Es handelt sich um einen Verein ohne Rechtspersönlichkeit. Das Urteil spielte aber maßgebliche Rolle auch für die Beurteilung von Verwaltungsorganisationen mit Rechtspersönlichkeit. 61 Dazu ausführlich oben Kap. 1, Abschnitt 3, DI. 62 Sir John Donaldson in All ER 1987, Bd. 1, 574. 60
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die Ausübung seiner Funktionen öffentlich-rechtliche Folgen mit sich bringe. Das Take-over Panel übe eine wichtige öffentliche Pflicht (a public duty) aus, während seine Abwesenheit mit Sicherheit eine gesetzliche Regelung notwendig gemacht hätte. Auch wenn die Zuständigkeit des Panels in der "technischen" (also faktisch erzwungenen) Zustimmung mancher, aber nicht aller, Betroffenen ihre Grundlage finde, fehle es an einer vertraglichen Beziehung, aus der die Handlungsbefugnisse des Panels stammen könnten. Richter Lloyd betont in seiner Stellungnahme im selben Urteil, daß auf jeden Fall ausschlaggebend sei, daß der Panel on Take-overs and Mergers seine Befugnisse vom Staat ableitete. Dazu bemerkt er: "Having regard to the way in which the panel came to be established, the fact that the Governor of the Bank of England appoints both the chairman and the deputy chairman,..., I am persuaded that the panel was established "under authority of (the) government".
Richter Lloyd kommt zum Ergebnis, daß der Staat bewußt auf die Ausübung seiner Macht verzichtet hatte und daß damit eine konkludente Delegation von Befugnissen an den Panel vorliege63. Der Dritte Richter dieses Urteils Nicholls LJ unterstreicht die Einfügung des Trägers in den Verwaltungsmechanismus: "Thus the system which has evolved, ..., is indistinguishable in its effect from a delegation by the Council of the Stock Exchange to the panel,(...). In my view, and quite apart from any other factors which point in the same direction, given the leading and continuing role played by the Bank of England in the affairs of the panel, the statutory source of the duties of the Council of the Stock Exchange, the wide ranging nature and importance of the matters covered by the code, and the public law consequences of non-compliance, the panel is performing a public duty in prescribing and operating the code (including ruling on complaints)".
Das Kriterium des öffentlichen Bezugs der fraglichen Handlung wird von Gedanken über die Zugehörigkeit des Trägers zur öffentlichen Verwaltung begleitet. Von primärer Bedeutung ist hier die Delegation staatlicher Aufgaben auf den Träger, der somit aufgrund seiner staatlichen Funktionen dem staatlichen Bereich zugeschlagen wird. Neben der Ausübung von "öffentlichen Funktionen" aufgrund einer stillschweigenden staatlichen Delegation kristallisiert sich jedoch als zweiter Anknüpfungspunkt eine gewisse Anbindung des Trägers an den Staatsapparat heraus, die vor allem durch die Alternativität der
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Aufgabenerfüllung durch die verselbständigte Verwaltungseinheit oder die staatliche Organisation offenbar wird. Das Datafin Urteil besitzt ohne Zweifel eine große Bedeutung, weil es die Quelle der Rechtsbefugnisse als alleinigen Bestimmungsfaktor des Bereichs öffentlich-rechtlicher Sonderbindungen durch eine Vielzahl von Faktoren ersetzt hat, unter denen die Quelle der Handlungsbefugnisse lediglich eine indizierende Stellung einnimmt64. Gegenstand der staatlichen Bindungen stellen nunmehr die durch die Ausübung staatlicher Funktionen, den Bestand staatlicher Ingerenzen und vor allem durch den Gesamtrahmen staatlicher Maßnahmen bewiesene Einfügung des Trägers in ein staatliches Gesamtkonzept der Aufgabenerfüllung dar63. Das Gericht faßt all diese Indizien unter dem Begriff des "öffentlichen Elements" ("public element") zusammen66. Die darauffolgende Judikatur hat das Datafin Urteil für den Fall des Takeover Panel bestätigt67 und die Dogmatik der öffentlich-rechtlichen Funktionen gewissermaßen präzisiert. Eine endgültige Klärung der Frage nach der Bindung selbstverwaltender Berufsorganisationen erfolgte durch das Urteil R. v. Advertising Standards Authority Ltd., ex p. The Insurance Service plc68. Die Advertising Standards Authority ist als Gesellschaft mit beschränkter Haftung verfaßt und nimmt Aufgaben im Bereich der Selbstkontrolle der Werbeindustrie wahr69. Sie verfügt allerdings über keinerlei gesetzliche Befugnisse in bezug auf die Kontrolle der Werbenden, noch hat sie eine vertragliche Beziehung zu ihnen. Andererseits verpflichtet europäisches Richtlinienrecht das Vereinigte Königreich zur Kontrolle der irreführenden Werbung. Die Entscheidungen des Rates der Advertising Standards Authority Ltd. werden deshalb von Sanktionen durch eine Verwaltungsbehörde begleitet. In diesem Sinne ist die Parallele zur Situation im Datafin-Fall eindeutig gegeben. Richter Glidewell hat demzufolge entschieden, daß der genannte Träger eine öffentlich-rechtliche Funktion wahrnehme, die, wenn diese Behörde nicht existiert hätte, von einer Behörde (Director General of Fair Trading) wahrgenom64
Bamforth, PL 1993, 239 ff. (241); C. Lewis, Judicial Remedies, S. 6. C. Lewis, Judicial Remedies, S. 35 f. 66 Halsbury's Laws of England, Bd. 1, §64, S. 100; Supperstone/Goudie, Judicial Review, S. 29. 67 R. v. Panel on Take-overs and Mergers, ex p. Guiness plc, All ER 1989, Bd. 3, 509. 68 COD 1990, S. 42 ff. 69 Es geht praktisch um die Durchsetzung der Prinzipien des British Code of Advertising Practice. 63
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men würde. Das judicial review Verfahren wurde zugelassen und die Entscheidung wegen der Nicht-Berücksichtigung eines wichtigen Gesichtspunktes aufgehoben70. Eine selbstverständliche Anwendung der Datafin Rechtsprechung findet man schließlich im Urteil R. v. Life Assurance Regulatory Organisation Ltd., ex p. Ross71.
3. Die Begrenzung der Datafin-Rechtsprechung: Der Fall der Sportverbände Man sollte sich allerdings davor hüten, die Bedeutung der Datafin-Judikatur überzubewerten. Fälle aus dem Bereich der Sportverbände72, aber auch das Urteil im Sachverhalt R. v. Code of Practice Committee of the British Pharmaceutical Industry, ex p. Professional Counseling Aids Ltd.73 machen deutlich, daß der High Court die Reichweite des Datafin-Urteils Stück für Stück auf den Kernbereich von selbstverwaltenden Organisationen mit regulatorischen Aufgaben im Bereich der Wirtschaft und des Berufswesens zu reduzieren versucht. Im zuletzt genannten Urteil sieht Richter Popplewell das judicial review Verfahren zwar gegen das für die Einhaltung eines Ehrenkodex zuständige Organ der Vereinigung der britischen pharmazeutischen Industrie als zugänglich, jedoch nur mit größter Mißbilligung ("with the greatest reluctance"). Die Analyse der Funktionen und der Stellung der genannten Organisation führt zwar zum Ergebnis, daß die Lage identisch mit derjenigen im DatafinUrteil ist, doch glaubt Richter Popplewell, daß Streitigkeiten solcher Natur nicht am Maßstab der öffentlich-rechtlichen Regeln entschieden werden sollten. Dazu fuhrt er aus74:
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In ähnlicher Weise unterliegen auch die übrigen Träger der Selbstkontrolle der Werbung dem judicial review Verfahren: S. Barendt, in Skouris (Hrsg.), Advertising and Constitutional Rights, S. 331 f. 71 WLR 1992, Bd. 3, 549 (DC), 567 (CA) (besonders 553) = COD 1991, 203; ähnlich auch R. v. Financial Intermediaries Managers and Brokers Regulatory Association (F.I.M.B.RA.), ex p. Cochrane, COD 1990, 33 und R. v. Committee of Advertising Practice, ex p. Bradford Exchange Ltd., COD 1991,43. 72 Bamforth, PL 1993,247. 73 Admin.L.R. 3 (1991), 697. 74 Admin.L.R. 3 (1991), 719.
. Abschnitt: nisches Recht
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"...The extension of the law by Datafin seems to me to be likely to enlarge enormously the scope of those who are subject to judicial review with the consequential swamping of the courts in what are essentially domestic issues and an imposition on domestic bodies of a standard code of conduct which it was never intended they should have."
Viele der Charakteristika des Take-over Panel sind auch in den Verbänden vorhanden, die regulierende Funktionen im Bereich des Sports ausüben und deren Entscheidungen weitreichende faktische Konsequenzen nach sich ziehen. Die Datafin-Rechtsprechung schien manchen Klägern die Gelegenheit zu bieten, gerichtlich gegen Maßnahmen solcher Organisationen vorzugehen. Die darauffolgende Rechtsprechung konnte zur Beantwortung der Fragen nach der Reichweite der Datafin-Kriterien und nach ihrem Verhältnis zum früheren Maßstab der Ermächtigungsquelle wesentlich beitragen75. Noch vor dem Datafin-Urteil wurde der Fall Law v. National Greyhound Racing Club Ltd.76 entschieden. Die beklagte Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisierte Hunderennen. In diesem Zusammenhang hatte die Gesellschaft Regeln des Rennens aufgestellt, die als von allen Teilnehmern akzeptiert galten. Bestimmte vom Greyhound Club bestellte Ordner ("stewards") haben diese Regeln auch durchgesetzt. Der Kläger Law wurde von diesen Ordnern von den Rennveranstaltungen wegen Mißachtung der Sportregeln suspendiert und klagte daraufhin gegen den Greyhound Racing Club in einem privatrechtlichen Verfahren. Die Beklagte machte geltend, daß die Klage nur über judicial review verfolgt werden könne. Für den Court of Appeal war jedoch der vertragliche Charakter der Beziehung absolut vorherrschend und das vom Kläger gewählte Verfahren das richtige, auch wenn "ein bedeutendes öffentliches Interesse an der Einhaltung der Rennregeln" bestünde. Drei relevante Entscheidungen sind gefolgt. Der Jockey Club ist eine Organisation, die aufgrund der königlichen Prärogative (Royal Charter) gegründet wurde und als alleinige Institution die Überwachung des Pferderennens im Vereinigten Königreich wahrnimmt. Im ersten Urteil R. v. Jockey Club, ex p. Massingberd-Mundy77 ging es um die Anfechtung einer Entscheidung des Clubs, die den Kläger vom Vorsitz der örtlichen Ordner ("stewards") suspendierte. Der zweite Fall R. v. Jockey Club, ex p. RAM Racecourses Ltd.78 73 76 77 78
Bamforth, PL 1993, 241. All ER 1983, Bd. 3,300. Admin.L.R. 2 (1990), 609. Admin.L.R. 3 (1991), 265.
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3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
betraf die Entscheidung des Clubs, keine Rennen in einer zukünftigen Rennbahn des als Rennveranstalter bewährten Klägers zu organisieren. Der Kläger des Sachverhalts R. v. Disciplinary Committee of the Jockey Club, ex p. His Highness The Agha Khan79 klagte gegen den Ausschluß seines Pferdes vom Rennen Oaks 1989 und die Verhängung einer Geldbuße gegen den Trainer seiner Jockeys. Die Entscheidungsbefugnis des Disziplinarausschusses des Jockey Club war mit dem Kläger vertraglich vereinbart worden. Im ersten Fall (Massingberd-Mundy) versuchte das Gericht, die Herkunft der Handlungsbefugnisse des Jockey Club im konkreten Fall zu bestimmen. Es kam zu dem Ergebnis, daß hier keine nennenswerten Abweichungen von der Konstellation im Fall Greyhound Racing Club vorhanden seien. Judicial review war unzulässig, weil die Befugnisse ihren Ursprung nicht in der Prärogative, sondern in einem konkludenten Vertrag hätten. Das Urteil des Court of Appeal im Fall Massingberd-Mundy war seinerseits bindend als Präjudiz für die gerichtliche Beurteilung des Sachverhalts RAM Racecourses: Beide Richter Stuart-Smith und Simon Brown urteilten, daß die Funktionen des Jockey Clubs diejenigen eines "public body" seien und daß sie Rechtsfolgen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts herbeiführten 80. Im Lichte des DatafinUrteils würden viele ähnliche Fälle ihr natürliches Forum im judicial review Verfahren finden. Obwohl das Gericht mit dem Urteil im Fall MassingberdMundy inhaltlich nicht einverstanden war, konnte es aber von ihm als Präjudiz letztendlich nicht abweichen81; die Maßnahme des Jockey Clubs mußte als im Wege des judicial review nicht angreifbar erklärt werden. Im Sachverhalt Agha Khan schließlich machte der Kläger geltend, daß die vertragliche Natur seiner Beziehung zum Disziplinarausschuß von der Monopolstellung des Clubs erzwungen wurde, so daß ein mit Datafin identischer Fall faktischer öffentlich-rechtlicher Beziehung zu erkennen sei. Das Gericht erklärte einstimmig das judicial review-Verfahren als unzulässig. Der vertragliche Faktor bleibe immerhin entscheidend, denn es sei in England niemand gezwungen, seine Pferde rennen zu lassen. Zusätzlich unterstreicht das Gericht, daß ein bedeutender Unterschied zwischen diesem Fall und 79
All ER 1993, Bd. 3, 853 (CA); kommentiert von Bamforth, PL 1993, 242 ff.; Übersicht dieser Rechtsprechung auch bei Ρ annick, PL 1992, 1 ff. 80 Admin.L.R 3 (1991), 291,294. 81 Admin.L.R. 3 (1991), 292; s. die Ausführungen des Richters Stuart-Smith, a.a.O., S. 291: "But for this authority (gemeint ist das Massingsberd-Mundy Präjudiz) I should have held that the decisions of the Jockey Club in this case were amenable to judicial review".
. Abschnitt: nisches Recht
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Datafin bezüglich der institutionellen Position des handelnden Trägers bestünde: Die Entscheidungen des Disziplinarausschusses waren nicht von begleitenden staatlichen Maßnahmen unterstützt, der Träger agierte nicht in einem Rahmen staatlicher Aufgabenerledigung. Der Ausschluß von Organisationen des Sportwesens aus dem Geltungsbereich der öffentlich-rechtlichen Sondermaßstäbe wird im Urteil R. v. Football Association Ltd., ex p. Football League Ltd.82 bestätigt. Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Ltd.)83, die seit 1863 und aufgrund ihrer Satzung die Regeln des Fußballspieles definiert und mehr als 2000 Ligen und Wettbewerbe auf vertraglicher Basis genehmigt hat. Diese Gesellschaft hatte beschlossen, eine eigene "Premier League" zu organisieren; diese Entscheidung wurde von der wichtigsten genehmigten Fußballiga vor Gericht angegriffen. Richter Rose Schloß die Möglichkeit des judicial review aus, denn das Datafin Präjudiz sei im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Trotz der Bedeutung der Entscheidungen dieses Trägers für das Publikum sei das vertragliche Element der Beziehung zu den Ligen von ausschlaggebender Bedeutung. Auch in diesem Urteil wird die Stellung des Trägers innerhalb des staatlichen Funktionsbereichs ausschlaggebend: Letztlich werde die Football Association von keinerlei staatlichen Maßnahmen in ihrer Aufgabenwahrnehmung unterstützt und es bestünde kein Anzeichen, daß bei Fehlen dieser Organisation der Staat ihre Aufgaben selbst erfüllen würde. In diesem Zusammenhang bemerkt Richter Rose: "To apply to the governing body of football, on the basis that it was a public body, the principles honed for the control of the abuse of power by government and its creatures would involve a quantum leap".
V I I . Vertragsabschluß und staatliches Sonderrecht Die bisherigen Ausführungen haben sich primär auf einseitiges Verwaltungshandeln bezogen. Bei der Beurteilung der Einhaltung des Gleichheitssatzes beim Vertragsabschluß durch verselbständigte Verwaltungseinheiten ist die Rechtslage differenzierend zu betrachten. Die Zentralverwaltung verfügt über eine eigene common-law Befugnis, ohne gesetzliche Ermächtigung, unter dem Rechtsregime des gemeinen (also Privat-) Rechts 82 83
All ER 1993, Bd. 2, 833 = COD 1992, 52. Über die Organisationsrechtsformen solcher Verbände s. Beioff, PL 1989, 95 f.
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3. Kap.: Die Anknüpfingsregel für die Grundrechtsbindung
Verträge abzuschließen und zwar nach denselben Grundsätzen wie eine Privatperson, sofern diese Befugnisse nicht gesetzlich beschnitten sind84. Auch Verwaltungseinheiten, die aufgrund der Prärogative entstanden sind, besitzen schließlich diese immanente ermächtigungsunabhängige Fähigkeit85. In diesem Sinne genießen Ministerialverwaltung und Organisationen der Prärogative eine echte Privatautonomie86; ihre Verträge werden nach den allgemeinen Regeln des Privatrechts beurteilt87. Als einzige Ausnahme eröffnet eine gesetzliche Beschränkung ("statutory underpinning") dieser immanenten Vertragsabschlußbefugnisse die Möglichkeit der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nach den öffentlich-rechtlichen Sondermaßstäben. Prärogativorganisationen können somit praktisch denjenigen Vertragspartner auswählen, den sie wünschen, und dürfen in ihrer vertraglichen Tätigkeit alle erdenklichen Zwecke verfolgen 88. Ein Ausschluß aus der Liste der zugelassenen Bewerber ist allem Anschein nach verwaltungsgerichtlich nicht anfechtbar 89. Vielmehr existiert kein Präjudiz, das die Existenz eines allgemeinen Gebots der Gleichbehandlung von Auftragsbewerbern plausibel macht90. Diese Erkenntnisse belegt der jüngere Fall R. v. The Lord Chancellor, ex p. Hibbit and Sanders (A firm). Die Klägerin machte geltend, daß die Justizverwaltung die Ausschreibungsbedingungen nicht eingehalten und somit gegen Gleichbehandlungsgrundsätze verstoßen habe. Das Gericht befand das auf Anfechtung des Vertragszuschlags gerichtete judicial review-Verfahren aus dem Grunde als unzulässig, daß es an einem ausreichenden öffentlichrechtlichen Element fehle: Dieses sei nur dann vorhanden, wenn ein Verwal84
Foulkes, Administrative Law (Admin. Law), S. 493; Daintith, in Jowell/Oliver, The Changing Constitution, S. 175 f; ders., CLP 1979, 42 f.; Arrowsmith, Government Procurement and Judicial Review, S. 113; Freedland, PL 1994, 91 f.; Oliver, PL 1987, 550, 552; H.W.R. Wade, LQR 1985,191. 85 Arrowsmith, Government Procurement, S. 110; s. oben Kap. 1, Abschnitt 3, Π. 86 Harris, LQR 1992, 626 ff. 87 E.C.S. Wade/Bradley, Const, and Admin. Law, S. 746; Cane, Introduction, S. 255. 88 Cane, Introduction, S. 255 ff.; Foulkes, Admin. Law, S. 426 ff., beide mit Hinweis auf die "Schwarze-Liste-Taktik" der Regierung bei der Auswahl von Auftragnehmern in den siebziger Jahren als Mittel zur Durchsetzung tarifpolitischer Zwecksetzungen. Vgl. Craig, Administrative Law (Admin. Law), S. 493; Turpin, in International Encyclopaedia of Comparative Law, Bd. VE, Chapter 4, S. 14 f. 89 Turpin, Government Contracts, S. 142 f. 90 Arrowsmith, Government Procurement, S. 234; Turpin, Government Contracts, S. 158, bemerkt, daß es die Gerechtigkeit erfordere, daß bei diskriminierender Auswahl des Vertragspartners ein Rechtsbehelf gegeben sein müßte, ohne näher auf diese Frage einzugehen.
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tungsträger ("governmental body") einer gesetzlichen Verpflichtung unterliege, einen Vertrag auf eine besondere Weise und unter Wahrung besonderer Verfahrensgarantien zu vergeben91. Ein solcher Fall liege hier nicht vor. Das vertragliche Handeln aufgrund Gesetzes entstandener staatlicher Emanationen erfolgt andererseits aufgrund einer allgemeinen oder mehrerer besonderer Ermächtigungen der sie konstituierenden Gesetze. Aus diesem Grunde unterliegt die Entscheidung zum Abschluß eines Vertrags durch die meisten öffentlichen Korporationen und unabhängigen Verwaltungseinheiten der ultra vires-Kontrolle 92. Die entsprechenden Ermächtigungsklauseln sind allerdings sehr weit gefaßt, was die gerichtliche Überprüfung eher harmlos macht93. Lediglich eine Prüfung nach den Maßstäben der Vernunft und der Wahrung des Zwecks der Ermächtigung hätte Aussicht auf Erfolg. Eine allgemeine ausdrücklich gesetzlich normierte Pflicht von verselbständigten Verwaltungseinheiten, die Auftragsbewerber fair und gleich zu behandeln, besteht bis jetzt94 nicht. Auch die kommunale Selbstverwaltung ist in England eine gesetzliche Schöpfung, so daß ihre Vertragsschließungsbefugnisse eine gesetzliche Grundlage haben93. Die weitestgehende gesetzliche Regulierung der gemeindlichen Vertragsschließungsbefügnisse 96 hat zu entsprechenden verwaltungsgerichtlichen Auseinandersetzungen Anlaß gegeben97. 91
Sachverhalt und Inhalt des unveröffentlichten Urteils bei Oliver, PL 1993, 214 ff., und Arrow smith, CLJ 1994, 104 ff. Arrowsmith zweifelt an der Richtigkeit des Urteils und plädiert für eine gleiche rechtliche Behandlung der staatlichen Verträge mit dem übrigen Verwaltungshandeln (S. 110 f.). Zweifel äußert auch Freedland, PL 1994, 98 f., 100 f.; Freedland führt die privatrechtliche Qualifikation der Auftragsvergabe auf eine allzu große Konzentration auf die Vergabeentscheidung zurück. S. auch Turpin, Public Contracts, S. 17, wonach (bis zur Niederschrift seiner Darstellung im Jahre 1980) noch niemals der Ausschluß eines Bewerbers aus dem Vergabeverfahren gerichtlich angegriffen worden sei. 92 Griffith/Street, Principles, S. 263 f.; Craig, Admin. Law, S. 495; Turpin, Government Contracts, S. 28; Cane, Introduction, S. 257 f. 93 Turpin, Government Contacts, S. 28 f. 94 Solche Verpflichtungen bestehen allerdings nach dem europäischen Vergaberecht; s. unten Kap. 4, IV. 95 Section 111 des Local Government Act 1972. 96 S. z.B. die Bestimmungen des Local Government Act 1988, welche die Berücksichtigung "nicht kommerzieller" Belange bei der Auftragsvergabe der Kommunen verbieten. 97 S. z.B. das erwähnte Urteil Wheeler v. Leicester City Council; die Urteile Wandsworth London Borough Council v. Winder, AC 1985, 461 (HL); R. v. Wear Valley District Council, ex p. Binks, All ER 1985, Bd. 2, 699 und R. v. Lewisham Borough Council, ex p. Shell UK Ltd, All ER 1988, Bd. 1, 938.
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3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
V I I I . Zusammenfassung Die Bindung an öffentlich-rechtliche Sonderprinzipien ist im englischen Recht mit der Frage nach den einschlägigen Rechtsbehelfen und somit mit der Theorie der gerichtlichen Überprüfbarkeit von administrativen Akten verbunden. Auslöser dieser besonderen Bindungen und typisch öffentlich-rechtliches Element ist nach der klassischen Doktrin die gesetzliche Quelle der Handlungsermächtigung des agierenden Trägers. Obwohl es dabei grundsätzlich nur von Bedeutung ist, ob die maßgebliche Handlung gesetzesakzessorisch ist, wird die gesetzliche Errichtung des Trägers regelmäßig die Anwendimg des staatlichen Sonderrechts indizieren. Gesetzlich errichtete Träger unterliegen jedoch dem unter Privaten geltenden Rechtsregime, wenn sie entweder unternehmerische Entscheidungen treffen, oder wenn sie ihre Handlungsbefugnisse nicht aus dem errichtenden Gesetz, sondern aus einem Vertrag ableiten. Auf der anderen Seite werden Träger vertraglichen Ursprungs, also vor allem Handelsgesellschaften, nach den allgemeinen, für Private geltenden Maßstäben beurteilt. Im Laufe der Jahre hat sich der Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle modifiziert und auch den Bereich erfaßt, wo aufgrund immanenter Prärogativbefugnisse handelnde, verselbständigte Verwaltungseinheiten tätig werden. Gesetz und immanente hoheitliche Handlungsbefügnisse der Verwaltung sind somit im englischen Recht als Elemente einer erweiterten ultra vires-Doktrin die Anknüpfungspunkte staatlicher Sonderbindungen98. Parlamentarische und privatautonome Willensäußerungen werden als Grundprinzipien des staatlichen und des privaten Verantwortungsbereichs entsprechend gegenübergestellt. Die Erstreckung der ultra vires-Lehre auf den Prärogativbereich beinhaltete die Modifizierung des Anknüpfungsgegenstands staatlicher Sonderbindungen, die 20 Jahre später in der Datafin-Rechtsprechung ausdrücklich erklärt wurde: Maßgeblich ist demnach die Natur der ausgeübten Befugnisse, wobei die Quelle der Ermächtigung lediglich die Stellung eines sicheren Orientierungsmerkmals bei der Untersuchung dieser Natur einnehmen dürfte. Die Anknüpfung an die öffentlichen Funktionen bezieht sich aber nicht nur auf die Staatlichkeit der zu beurteilenden Handlung, sondern auch auf die Natur des handeinen Trägers. Die Rechtsprechung stellt dabei auf die staat98
Bell, RFDA 1985, 399 ff. (407).
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liehe Natur der Aufgaben ab, die auf dem Wege einer "konkludenten staatlichen Delegation" durch die fragliche verselbständigte Verwaltungseinheit erfüllt werden. Die Widmung des Trägers der Erfüllung von Aufgaben unter staatlicher Verantwortung bezieht (insbesondere angesichts europarechtlicher Verpflichtungen) ihn in den Bereich der staatlichen Organisation ein. Ein weiterer Faktor kommt aber nach der Datafin Rechtsprechung hinzu. Von maßgeblicher Bedeutung ist auch eine besondere Beziehung der Verwaltungseinheit zur Ministerialverwaltung: Es geht dabei um eine noch relativ schwach konturierte Anforderung, die in manchen richterlichen Stellungnahmen als eine Anknüpfung an die mittelbare Kontrolle durch den Staat erscheint. Wichtig ist vor allem die Einbindung des Trägers in einen staatlichen Plan der Aufgabenerfüllung, der eine Unterstützung des Trägers durch parallele staatliche Maßnahmen nach sich zieht; in diesem Zusammenhang spricht man oft vom sog. "governmental interest" Kriterium (Bamforth) 99. Die Lehre plädiert schließlich für eine Überwindung der ultra vires-Lehre und eine Erweiterung der gerichtlichen Kontrolle auf die Bereiche der Bedarfsdeckung und der vertraglich fundierten Befugnisse 100. Es werden neue theoretische Grundlagen gerichtlicher Überprüfung von exekutiven Entscheidungen gefordert; als dogmatische Basis werden entweder eine reine Anknüpfung an den Inhalt des Verwaltungshandelns101 oder die Kontrolle von überlegener Macht102 bzw. die Durchsetzung von "Prinzipien des guten Verwaltens" vorgeschlagen103.
99
Bamforth, PL 993, 240 f.; Vgl. C. Lewis, Judicial Remedies, S. 33 ff. Arrowsmith, LQR 1990, 277 ff. (291). 101 So z.B. Sir Woolf PL 1986, 220 ff; ders., Protection of the Public, S. 52; Pannick, in Jowell/Oliver (Hrsg.), New Directions in Judicial Review, S. 29 ff.; Forsyth, PL 1987, 356 ff. (366). 102 Oliver, PL 1987, 546 f.; Beioff, MLR 1995, 147. 103 So z.B. Jowell/Lester, PL 1987, 368 ff. (370 ff.). 100
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Griechisches Recht I. Die Grundrechtsbindung von verselbständigten Verwaltungseinheiten in der verfassungsrechtlichen Literatur Die Diskussion des Problems der Bindung verselbständigter, insbesondere privatrechtsformiger Verwaltungseinheiten an die Grundrechte ist im griechischen Recht begrenzt1. Nach der ganz herrschenden Auffassung in der Lehre erfaßt die Grundrechtsbindung sämtliche Äußerungen öffentlicher Verwaltung sowohl auf dem Gebiet des öffentlichen als auch des privaten Rechts2. Als Grund wird angeführt, daß die Verfassung in Art. 25 Abs. I 3 sämtliche Staatsorgane binde, ohne zwischen den Formen und Inhalten der Verwaltungstätigkeit (z.B. Eingriffs- und Leistungsverwaltung) zu unterscheiden. Auch eine andere Betrachtung, wonach die Erfüllung öffentlicher Aufgaben den Anknüpfungspunkt der Grundrechtsbindung darstelle, bejaht eine universelle Verpflichtung des Staates auf die Grundrechte, denn jegliche staatliche Tätigkeit verfolge einen öffentlichen Zweck4. Auch auf dem Gebiet der Beschaffungstätigkeit und bei der Verwertung staatlichen Eigentums, wie auch bei der Ausübung von Erwerbswirtschaft komme dem Staat eine Privatautonomie nicht zu, er bleibe an die verfassungsrechtliche Ordnung gebunden5. 1
Iliopoulos-Strangas, JöR 32 (1983), 395 ff. (421). Raikos, Paradoseis syntagmatikou dikaiou, Bd. 2, Hefl 1, S. 131; Dagtoglou, Atomika dikaiomata, Bd. 1, Rdnr. 175 f., S. 93 f.; Flogaïtis , I dioikitiki symvasi, §172, S. 248 f. 3 S. oben Kap. 2, V2. 4 Dagtoglou, Atomika dikaiomata, Rdnr. 175 f., S. 93 f.; Raikos, Paradoseis, Bd. 2, Heft 1, 134; Korsos, Ta atomika dikaiomata en to idiotiko dikaio, in Meletes genikis theorias tou dikaiou, syntagmatikou kai dioikitikou dikaiou, S. 77 ff. (82). 5 Dagtoglou, Atomika dikaiomata, Bd. 1, Rdnr. 175, S. 93; ders., Geniko dioikitiko dikaio (Gen. dioik. dik.), Rdnr. 20, S. 13; Raikos, Paradoseis, Bd. 2, Heft 1, 133 f. Leicht abweichend will Τ satsos, Syntagmatiko dikaio, Bd. 3, Themeliodi dikaiomata, 2
S. 179, die Grundrechte bei der "reinen" Fiskal Verwaltung nur dann gelten lassen,
4. Abschnitt: Griechisches Recht
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Ohne Zweifel stellen öffentlich-rechtlich verfaßte Verwaltungstrabanten Grundrechtsadressaten dar6. Diese Bindung sollte nach der herrschenden Auffassung in der Wissenschaft auch auf verselbständigte Verwaltungseinheiten in Privatrechtsform erweitert werden, einschließlich der öffentlichen Unternehmen, deren alleiniger oder mehrheitlicher Aktionär der Staat ist7. Dies soll auf alle Fälle gelten, wenn privatrechtsformige Träger Aufgaben der Leistungsverwaltung erfüllen 8. Es wird nicht zuletzt darauf hingewiesen, daß auch privatrechtliche juristische Personen, die in unmittelbarer Abhängigkeit von der Verwaltung stehen, Befugnisse ausüben und Mittel benutzen, die vielfach die Grundrechte der Bürger tangieren9. Die Wahl der Handlungs- und Organisationsform könnte nach dieser Auffassung keinen Einfluß auf die Grundrechtsbindung ausüben, denn sonst würde die Geltung der Grundrechte im Belieben der Staatsorgane stehen. Dies ließe sich mit der Regelung des Art. 25 Abs. 1 der Verfassung nicht vereinbaren10. Ferner wird darauf hingewiesen, daß die privatrechtliche Organisationsform als Modus der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben ihrer rechtlichen Substanz entleert sei. Dies werde besonders klar an der staatsvertretenden Position, die privatrechtlich verfaßte Verwaltungseinheiten einnehmen: Letztendlich besäßen solche Träger vielfach staatliche Vorrechte und hoheitliche Privilegien, die ihnen eine gehobene Stellung im Vergleich zu den anderen Privatrechtssubjekten verschaffen würden11. Die einhellige Meinung der Wissenschaft wird von Dagtoglou wie folgt zusammengefaßt: "Wenn eine Tätigkeit mittelbar oder unmittelbar vom Staat ausgeübt wird, gelten, unabhängig von der Organisationsform, die Grundrechte und beschränken ihre Ausübung"12. wenn der Staat in concreto auch auf diesem Gebiet wegen seiner Vorrechte oder seiner faktischen Machtstellung in der Lage ist, grundrechtsgefahrdendes Potential zu entfalten. 6 Manessis, Atomikes eleftheries, S. 47; Raikos, Paradoseis, Bd. 2, Heft 1, S. 131. 7 Raikos, Paradoseis, Bd. 2, Heft 1,134. 8 Manessis, Atomikes eleftheries, S. 47; Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 161. 9 Papathanassiou-Papaioannou, Askisi dimosias dioikiseos meso nomikon prosopon idiotikou dikaiou, S. 260 ff. 10 Dagtoglou, Atomika dikaiomata, Bd. 1, Rdnr. 176, S. 93 f; Raikos, Paradoseis, Bd. 2, Heft 1, 135; Tsatsos, Themeliodi dikaiomata, S. 178; Koutoupa, DkP 1988, 163 ff. (174); Flogaïtis, I dioikitiki symvasi, §172, S. 248 f. 11 Koutoupa, DkP 1988, 174 f. 12 Dagtoglou, Atomika dikaiomata, Bd. 1, Rdnr. 176, S. 94; ähnlich Efstratiou, NoB 1993, 656 ff. (658), und Dimitropoulos, I syntagmatiki prostasia tou anthropou apo tin idiotiki exousia, S. 125.
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3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
Die griechische Rechtswissenschaft kommt somit zu dem Ergebnis, daß verselbständigte Verwaltungseinheiten stets als grundrechtsgebunden betrachtet werden sollten, wenn ihr Verhalten ihren Muttergemeinwesen zuzuordnen wäre. Sowohl die zivil- als auch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung stehen dieser Auffassung diametral gegenüber. Privatrechtliche Handlungsformen, egal ob sie von öffentlich- oder privatrechtlich verfaßten Trägern stammen, werden ausschließlich nach rein privatrechtlichen Maßstäben und ohne jegliche Erwähnung einer eventuellen Grundrechtsbindung beurteilt13. Die Rechtsprechung beurteilt privatrechtliche Handlungen der Verwaltung nach den privatrechtlichen Maßstäben des Verbots des Rechtsmißbrauchs (Art. 281 gr. Zivilgesetzbuch, ZGB), der Erfüllung der vereinbarten Leistungen gemäß den guten Sitten (Art. 288 gr. ZGB), den Vorschriften des Gesetzes über den freien Wettbewerb (G. 703/1977) und der zivilrechtlichen Lehre der sog. Zwangsverträge (anagkastikes symvaseis)14. Die Grundrechte kommen dabei in dem Maße zur Anwendung, in dem sie in Beziehungen unter Privaten auch gültig sind, also i.S. einer mittelbaren Drittwirkung. Man kann lediglich ein zivilgerichtliches Urteil niedrigen Rangs erwähnen, das im Sinne der grundrechtlichen Überlagerung des Privatrechts interpretiert werden könnte: So urteilte das erstinstanzliche Zivilgericht (monomeles Protodikeio) von Rhodos13, daß eine Entscheidung der betrieblichen Disziplinarkammer der Organisation für Telekommunikationen Griechenlands (O.T.E.) als ein Rechtsakt des Privatrechts zu qualifizieren sei. Der Organisation obliege jedoch die Pflicht "gemäß allgemeinem Grundsatz des Disziplinarrechts und gemäß Art. 20 der Verfassung, der die Gewährung vollständigen Rechtsschutzes anordnet", dem disziplinarrechtlich Angeklagten volle Kenntnis der Anklage zu gewähren, um sich erfolgreich verteidigen zu können. Aus diesen Gründen ist die Grundrechtsbindung von der Qualifikation der Handlungsform abhängig16: Die Frage der Grundrechtsadressaten ist somit mit der Frage nach den in öffentlich-rechtlichen Handlungsformen tätigen Ver13
Dagtoglou, Gen. dioik. dik., Rdnr. 29, S. 16. S. das Urteil des Areopags 771/1974, NoB 1975, 324, wo die Absage einer Einstellung durch die Griechische Post (EL.TA) anhand des Art. 281 Gr. ZGB (Rechtsmißbrauch) beurteilt wird; Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 162; Tachos, Elliniko dioikitiko dikaio (El. dioik. dik.), S. 245 f. 13 Urteil 309/1981, NoB 1982, 1115 mit Anm. von Doris, der in diesem Urteil einen Fall mittelbarer Drittwirkung der Grundrechte sieht. 16 Koutoupa, DkP 1988, 176. 14
4. Abschnitt: Griechisches Recht
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waltungseinheiten gleichzusetzen. Praktisch ist im griechischen Recht das Problem der Qualifikation von Handlungen mit dem Problem des Rechtsweges untrennbar verbunden. Da in der Rechtsprechung die Gegebenheit des Verwaltungsrechtsweges als erste diskutiert wird, ist die Frage nach den anwendbaren Beurteilungsmaßstäben (öffentlich- oder privatrechtlichen) i.d.R. schon in das Problem der Trennung der Rechtswege einbezogen. Somit ist die Frage nach den Beurteilungsmaßstäben eines Rechtsakts der Verwaltung letztendlich mit der des zu verfolgenden Rechtswegs identisch.
II. Die Anknüpfungsregel in der Rechtsprechung: Das "organische" Prinzip Nach den gesetzlichen Vorschriften, die die Zuständigkeiten des Staatsrats regeln17, sind nur Akte "der Verwaltungsbehörden und der juristischen Personen des öffentlichen Rechts" mit Anfechtungsantrag verwaltungsgerichtlich überprüfbar. Diese Vorschrift steht in der Tradition einer Rechtsprechung des griechischen Staatsrats, die bis zu seinen Anfangen zurückverfolgt werden kann und welche die Unterstützung auch eines wesentlichen Anteils der Lehre genießt18. Nach dieser Tradition muß der handelnde Träger ein "Organ" des Staates sein, was nach der Rechtsprechung des Staatsrates mit seiner öffentlich-rechtlichen Organisation gleichzusetzen ist19. Somit sind die beiden öffentlich-rechtlichen Handlungsformen Verwaltungsakt (dioikitiki praxi) und Verwaltungsvertrag (dioikitiki symvasi) nur dann gegeben, wenn die handelnde Organisation eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Der Begriff "organisches Kriterium" steht im griechischen Verwaltungsrecht für diese Verbindung der öffentlich-rechtlichen Handlungsform mit der öffentlich-rechtlichen Organisationsform. Die Auseinandersetzung über das "organische" Kriterium hat in den letzten Jahren vor allem auf dem Gebiet der Qualifikation von Verwaltungsverträgen 17 Z.B. Art. 45 Abs. 1 der Gesetzesverordnung 170/1973, heute Art. 48 der (kodifizierenden) Präsidial Verordnung P.D. 18/1989. 18 Stassinopoulos, Dikaion ton dioikitikon diaforon, S. 64; Papahatzis, To systima tou ishyontos stin Ellada dioikitikou Dikaiou, S. 307; ders., DiDik 2 (1990), 1257 ff. (1260); Sarmas, in Haristirion Papahatzi, S. 377 ff. (391); Chiolos, Arm. 1995, 1106; Korsos, To erotima peri ton symvaseon dioikitikou dikaiou, in Meletes genikis theorias, S. 393 ff. (398). 19 StE (Vollv.) 175/1930.
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3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
stattgefunden 20. Der Staatsrat und der Oberste Sondergerichtshof sind der Rechtsprechung des "organischen Kriteriums" treu geblieben; neu hinzu gekommen ist eine verfassungsrechtliche Verankerung der organischen Auffassung durch die Urteile 7 und 10/1987 des Obersten Sondergerichtshofes (A.E.D.)21. Nach Art. 95 Abs. 1 Ziffer a der griechischen Verfassung ist der griechische Staatsrat "insbesondere zuständig: a) für die Anfechtungsanträge gegen vollstreckbare Akte der Verwaltungsbehörden wegen Befugnisüberschreitung oder Gesetzesverletzung". Art. 94 Abs. 1 gr. Verf. regelt die Zuständigkeit der ordentlichen Verwaltungsgerichte 22: "Für materielle Verwaltungsstreitigkeiten sind die bestehenden ordentlichen Verwaltungsgerichte zuständig". Die Verfassung bestimmt die Zuständigkeit der Zivilgerichte in Art. 94 Abs. 3 durch eine weitere allgemeine Klausel: "Die Zivilgerichte sind zuständig für sämtliche privaten Streitigkeiten sowie die ihnen durch Gesetz zugewiesenen Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit". Die Rechtsprechung des Staatsrats sowie diejenige des obersten Sondergerichtshofs verstehen diese Vorschriften als einen Regelungskomplex: Aus ihnen werde ersichtlich, daß erstens alle privatrechtlichen Streitigkeiten den ordentlichen Zivilgerichten und zweitens alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten den ordentlichen Verwaltungsgerichten und dem Staatsrat obliegen. Ferner sollte der Begriff der öffentlich-rechtlichen Streitigkeit in Übereinstimmung mit dem Anwendungsbereich des Anfechtungsantrags ausgelegt werden23. 20 Bis zur Verfassung von 1975 und sogar bis zur gesetzlichen Ausführung des Art. 94 Abs. 1 der Verf. bestand grundsätzlich (mit Ausnahme der Fälle der Anwendung der Lehre der sog. abtrennbaren Akte; s. unten in diesem Abschnitt ΠΙ 2) für alle Streitigkeiten aus Verträgen der Verwaltung die Zuständigkeit der Zivilgerichte. Sie urteilten in Anwendung der entsprechenden Sondergesetze und des ZGB. Somit hatte sich bis zur Mitte der achtziger Jahre das Problem der Abgrenzung des Verwaltungsvertrags nur als eine (importierte) wissenschaftliche Diskussion gestellt. 21 Dike 1988, 39 und 394. 22 Im griechischen Recht unterscheidet man zwischen dem Staatsrat, dem die erstinstanzliche Zuständigkeit in Anfechtungsstreitigkeiten zukommt, und den "ordentlichen Verwaltungsgerichten", die über verwaltungsrechtliche Streitigkeiten einer besonderen Art, "plirous dikaiodosias", entscheiden. Es geht hauptsächlich um steuerrechtliche und verwaltungsvertragliche Streitigkeiten. Dazu s. Efstratiou, in Schwarze/ Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, S. 116 und 122 ff. 23 Skouris, El.D. 1988, S. 1277 ff. (1282).
4. Abschnitt: Griechisches Recht
255
Im Urteil 2655/1987 des Staatsrats und im darauffolgenden 10/198724 des Obersten Sondergerichtshofs in derselben Sache handelte es sich um einen Vertrag des privatrechtlich organisierten, sich aber in staatlichem Eigentum befindenden Athener Nahverkehrsunternehmens (E.A.S.). Der fragliche Träger hatte mit einem privaten Unternehmen den Bau eines Betriebshofs vereinbart. Der Vertrag wurde vom Gesetz 1418/1984 geregelt, das sich auf alle Aufträge anwendbar erklärt, die von juristischen Personen des öffentlichen Sektors vergeben werden, einschließlich deqenigen privatrechtlichen Träger, die durch den Staat beherrscht werden. Beide Gerichte haben den Vertrag und die daraus entstandene Streitigkeit als bürgerlich-rechtlicher Natur qualifiziert. Der Oberste Sondergerichtshof führt zur Begründung aus, daß nach der Vorschrift von 95 Abs. 1 Ziffer a nur gegen vollstreckbare Akte von Verwaltungsbehörden, zu denen auch die juristischen Personen des öffentlichen Rechts gehören, Anfechtungsantrag erhoben werden kann. Daraus folge: "Keine Verwaltungsstreitigkeit von einem Vertrag zur Ausführung eines öffentlichen Bauauftrags, die unter die Zuständigkeit der ordentlichen Verwaltungsgerichte nach Art. 94 Abs. 1 der Verfassung fallt, kann gegeben sein, wenn der öffentliche Bauauftrag zugunsten einer juristischen Person des Privatrechts ausgeführt wird, die Herr des Bauauftrags ist, auch wenn diese juristische Person des Privatrechts eine öffentliche Unternehmung ist oder der öffentlichen Hand gehört".
Dies gilt nach dem Sondergerichtshof auch dann, wenn "vom Gesetz die Anwendung einer besonderen Gesetzgebung über die öffentlichen Bauaufträge vorgesehen ist, denn die Anwendung dieser Gesetzgebung23 kann die von Verfassungs wegen umrissenen Grenzen der Zuständigkeit der ordentlichen Verwaltungsgerichte nicht verändern".
Die traditionelle Interpretation des Begriffs "Verwaltungsbehörde" (dioikitiki arhi) ist auf den ersten Blick freilich nicht zwingend; privatrechtliche juristische Personen, insbesondere "Beliehene", könnten nach einer Auffas24
El.D. 1987,1478 (StE 2655/1987, Vollv.) und Dike 1988, 394 (AED 10/1987). Durch das G. 1406/1983 wurden in Ausführung des Art. 94 Abs. 1 der Verfassung alle zuvor von den Zivilgerichten zu beurteilenden verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten den ordentlichen Verwaltungsgerichten zugewiesen. Nach Art. 1 Abs. 2 dieses Gesetzes gehören zu diesen Streitigkeiten "insbesondere diejenigen, die aus der Anwendung der Gesetzgebung über ... i) die Verwaltungsverträge erwachsen". Nach dem Obersten Sondergerichtshof erfaßt der Anwendungsbereich dieser Regelung nur diejenigen Verträge, die "ihrer Natur nach" öffentlich-rechtlich sind. Ähnlich Grigoriou, NoB 1986,1216 ff. (1218), und Hasapis, NoB 1987, 1170 ff. (1191). 25
256
3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
sung ebenfalls als Verwaltungsbehörden betrachtet werden26. Die verfassungsgebende Gewalt von 1975 ging, so wird aber andererseits argumentiert 27, von der zuvor in der Rechtsprechung des Staatsrats gebildeten organischen Lehre aus und hat sie auf Verfassungsniveau gehoben. Dies bedeutet, daß nur Handlungen öffentlich-rechtlicher Organisationen nach öffentlich-rechtlichen, eingeschlossen grundrechtlichen, Maßstäben beurteilt werden können. Diese Auffassung der obersten Gerichte wird vom größeren Teil der Lehre nicht geteilt. Das verfassungsrechtliche Argument scheint besonders schwach, wenn man in Rechnung stellt, daß die Verfassung verschiedene staatliche Privilegien und Bindungen ausdrücklich auf privatrechtlich organisierte "öffentliche Unternehmen" erstreckt 28. Es scheint so, als ob der Sondergerichtshof nicht das einfache Recht am Maßstab der Verfassung beurteilt, sondern umgekehrt die Verfassung anhand der gesetzlichen Bestimmungen über die Zuständigkeiten des Staatsrates interpretiert 29. Inhaltlich scheint es eher fernliegend, Streitigkeiten, die aus der Anwendung derselben Gesetzgebung erwachsen, je nach der Organisationsform des Auftraggebers, einem verschiedenen Rechtsrahmen und einem anderen Rechtsweg zu unterwerfen 30. Letztendlich sollten nach dieser Auffassung Rechtsakte staatlich beherrschter privatrechtlicher Träger wegen ihrer Ausrichtung auf das Gemeinwohl31 und ihrer besonders engen Abhängigkeit
26
Koutoupa, DkP 1988, 176; Skouris, DiDik 1 (1989), 3 ff. (5); ders., El.D. 29 (1988), 1282; Bardoutsos, DiDik 6 (1994), 783 ff. (789); Dagtoglou, Gen. dioik. dik., Rdnr. 505 ff., S. 177; Symeonidis, EDDD 1988, S. 236 ff. (253). 27 Tzevelekakis, in Timitikos Tomos Symvouliou Epikrateias, Bd. 1, S. 169 ff. (173, 176). 28 Skouris, DiDik 1 (1989), 6 f., sowie Remelis, DiDik 1 (1989), 767 ff: Zu diesen Bindungen gehören vor allem die an die Leiter öffentlicher Unternehmen gerichteten Wahlhindernisse (Art. 56 und 57 der Verf.); zu nennen ist ferner die Gleichstellung der Arbeitnehmer von öffentlichen Unternehmen zu den Beamten bezüglich des Streikrechts (Art. 22 Abs. 4), der Vereinigungsfreiheit (Art. 12 Abs. 4) sowie der politischen Betätigung (Art. 29 Abs. 3). 29 Skouris, El.D. 29 (1988), 1282; ders., DiDik 1 (1989), 6. 30 Skouris, El.D. 29 (1988), 1283; ders., EDDD 1989, 321 ff. (330); Symeonidis, EDDD 1988, 258; Bardoutsos, DiDik 6 (1994), 786, 789. Allerdings ist die Einordnung der Gesetzgebung über die öffentlichen Bauaufträge in das öffentliche oder das private Recht problematisch; für eine privatrechtliche Qualifikation: Hasapis, NoB 1987, 1185 ff; für eine öffentlich-rechtliche Qualifikation Skouris, Arm. 1986, 861 ff. (866 f.); Grigoriou, NoB 1986, 1222. 31 Grigoriou, NoB 1986,1222 ff
4. Abschnitt: Griechisches Recht
von der Ministerialverwaltung 32 nach öffentlich-rechtlichen beurteilt werden33.
257
Maßstäben
Sowohl der Oberste Sondergerichtshof als auch der Staatsrat fuhren jene Rechtsprechung fort. Das erwähnte Urteil wurde mit gleichlautenden Formulierungen in bezug auf die Bauaufträge des Athener Wasserversorgungsunternehmens (E.Y.D.A.P) vom selben Gerichtshof in der Folge mehrfach bestätigt34. In jedem Urteil, in dem die Frage der Zuständigkeit besprochen wird, betonen die Gerichte, daß Art. 95 Abs. 1 Ziffer a und 94 Abs. 1 der Verfassung die Trennungslinie zwischen dem ordentlichen und dem Verwaltungsrechtsweg ziehen; aus ihnen sei ersichtlich, daß eine verwaltungsrechtliche Streitigkeit nur dann entstehe, wenn der angegriffene Akt aus einem Organ des Staates oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts stamme. So wurde eine Entscheidung des Griechischen Krebsinstituts, einer juristischen Person des Privatrechts, die kurz nach Erlaß des angegriffenen Akts zu einer juristischen Person des öffentlichen Rechts umgestaltet wurde, als privatrechtlich qualifiziert 35. Es bestehen sehr wenige Ausnahmen von dieser Regel. Hauptsächlich handelt es sich dabei um den Fall der sog. juristischen Personen mit Doppelnatur36, also um Konstellationen, in denen privatrechtlichen Trägern in bezug auf bestimmte Rechtsbeziehungen die Eigenschaft der juristischen Person des öffentlichen Rechts zuerkannt wird. Im Rahmen dieser Beziehung erlassene Rechtsakte sind Verwaltungsakte und werden anhand der Grundrechte beurteilt 37. Diese Rechtsprechung betrifft allerdings nur Verwaltungsakte und nicht Verwaltungsverträge. Obwohl sie keine wirkliche Ausnahme von der "organischen" Anknüpfungsregel darstellt, wird die Lehre der juristischen Personen
32
Dagtoglou, Gen. dioik. dik., Rdnr. 509, S. 178 f. Efstratiou, NoB 1993, 663. 34 AED 45/1991, EDKA 1991, 617; AED 7/1992, EDKA 1992, 679; Vgl. auch StE 3524 und 3525/1992 (Bauauftrag zugunsten eines Sportverbandes) EpDimErg 1994, 51) sowie Dioikitikon Efeteion (Oberverwaltungsgericht) Athen 1249/92, EpDimErg 1993, 51 (Bauauftrag von Olympic Airways). 33 StE 2467/1993, DiDik 6 (1994), 783. 36 Dazu s. oben Kap. 1, Abschnitt 4,1. 37 S. z.B. das Urteil 12912/1987 des Dioikitiko Protodikeio (erstinstanzlichen Verwaltungsgerichts) Athen, NoB 1988, 1294 (Geschlechtergleichheit bei Angestellten des öffentlichen Unternehmens D.E.I.). 33
17 Gogos
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3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
mit Doppelnatur als eine Methode bewertet, um gewisse der mißlichen Konsequenzen des organischen Prinzips zu lindern38. Des weiteren bestehen punktuelle Ausläufer aus der "organischen" Lehre: Nach der Umstrukturierung der Nationalen Radio- und Fernsehanstalt (E.I.R.T.) in eine privatrechtliche Gesellschaft (E.R.T.) in 1975, wurden Entscheidungen des Vorstands des neuen Trägers im Hinblick auf die Übernahme des in der früheren Anstalt tätigen verbeamteten Personals vom Staatsrat als Verwaltungsakte beurteilt39. Man könnte schließlich manche neuere Urteile des Staatsrats im Sinne einer Mandats- bzw. Auftragslehre nach französischem Vorbild interpretieren 40. Im Grunde bestehen insgesamt jedoch keine nennenswerten Ausnahmen vom organischen Prinzip, die sich in Fallgruppen hätten kategorisieren lassen. Genau aus dem Grunde, daß die Geltung der Grundrechte mit der Anwendung des öffentlichen Rechts in der Rechtsprechung untrennbar verbunden ist, besteht eine Grundrechtsbindung von privatrechtlichen Organisationen im griechischen Recht nicht41.
I I I . Öffentlich-rechtliche Träger als Grundrechtsadressaten 1. Vorbemerkung In bezug auf die öffentlich-rechtlich organisierten verselbständigten Verwaltungseinheiten ist die (unmittelbare) Anwendung der Grundrechte von der Qualifikation der Handlungsform abhängig. Im Grunde gilt es, eine Grenze zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Handlungsformen der 38
Tzevelekakis, in Timitikos Tomos Symvouliou Epikrateias, S. 174 ff; Dargentas, EDDD 1978, 126; Papathanassiou-Papaioannou, Askisi dimosias dioikiseos, S. 292 f.; Grigoriou, NoB 1986, 1223 f. 39 StE 1017/1979 und 2123/1982, NoB 1984, 1787; nach Sarmas , I syntagmatiki nomologia, S. 92, qualifizieren diese beiden Urteile die Gesellschaft Griechisches Radio und Femsehen als eine juristische Person mit Doppelnatur. Zweifelnd dagegen Symeonidis, I fysi ton praxeon ton nomikon prosopon idiotikou dikaiou tou dimosiou tornea, S. 121. 40 Skouns, Dioikitiko dikonomiko dikaio I, S. 146; ebenfalls Korsos, To erotima peri ton symvaseon, in Meletes genikis theorias, S. 398; nach Flogaïtis, I dioikitiki symvasi, S. 198 f. besteht dagegen im griechischen Recht keine Mandatslehre. 41 Anastopoulos, Oi dimosies epiheiriseis, S. 162; Iliopoulos-Strangas, JöR 32 (1983), 421; Koutoupa, DkP 1988, 173; Tachos, ToS 1988, 417 f.; ders., Dioikitiko oikonomiko dikaio, S. 364; Remelis, DiDik 1 (1989), III f.
4. Abschnitt: Griechisches Recht
259
Verwaltung zu ziehen. Da das griechische Verwaltungsrecht nur die Handlungsformen des Verwaltungsakts und des Verwaltungsvertrags kennt, muß man eine zusammenfassende Abgrenzung dieser Formen gegenüber privatrechtlichen Willensäußerungen der Verwaltung unternehmen.
2. Die Abgrenzung des Verwaltungsakts von privatrechtlichen Rechtsakten Die Herkunft eines einseitigen Rechtsakts von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts ist die Voraussetzung für seine öffentlich-rechtliche Qualifikation. Falls diese Voraussetzung erfüllt ist, entsteht eine Vermutung, daß die fragliche Verwaltungsentscheidung einen Verwaltungsakt darstellt42. Diese Vermutung wird widerlegt, wenn es sich um einen Akt handelt, der "auf die Verwaltung des privaten Eigentums" des Staates gerichtet ist oder "im Rahmen privatrechtlicher Rechtsbeziehungen ergeht"43. In diesem Zusammenhang hat die Unterscheidung der sog. "privaten staatlichen Sachen" von den "öffentlichen" Sachen zwar eine gewisse Bedeutung erlangt, sie ist aber an sich nicht der ausschlaggebende Faktor. Rechtsakte der Verwaltung in bezug auf die öffentlichen Sachen, also auf Sachen, die der Benutzung durch die Öffentlichkeit gewidmet und aus diesem Grunde dem Rechtsverkehr entzogen sind44, werden zwar immer Verwaltungsakte darstellen43; staatliche Rechtsakte bezüglich des nicht öffentlich gewidmeten staatlichen Eigentums werden dennoch nicht immer privatrechtlicher Natur sein46. Die Kriterien, nach denen die öffentlich- oder privatrechtliche Natur dieser Akten bestimmt wird, waren in der Rechtsprechung des Staatsrates lange Zeit nicht klar ersichtlich47. 42
Stassinopoulos, Dikaion dioikitikon diaforon, S. 62; Koutoupa-Rengakos, in Arrowsmith (Hrsg.), Remedies for enforcing the public procurement rules, S. 388. 43 Papartikolaidis , Eisagogi eis to dioikitikon dikonomikon dikaion, Heft 1, S. 148; Papahatzis , To Systima, S. 305 ff.; Stassinopoulos , Traité des actes administratifs, S. 27 f.; Sarmas, I syntagmatiki nomologia, S. 152 f. 44 Zur Definition von öffentlichem und privatem Eigentum des Staates Dagtoglou, Gen. dioik. dik., Rdnr. 1186 ff., S. 481 ff. Nach Art. 966 des Gr. ZGB sind dem Gemeingebrauch die öffentlichen Straßen, Wälder und Gärten, die Meeresstrände und Flußbänke sowie die fließenden Gewässer gewidmet. 45 StE 41/1929 (Vollv.); StE 1460/1966; StE 3532/1978; StE 386/1989; Papahatzis, DiDik 2 (1990), 1264. 46 Sarmas, I syntagmatiki nomologia, S. 70. 47 Sarmas, ebenda.
260
3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
Die vor allem ältere Rechtsprechung sah in der Einhaltung eines "besonderen", "öffentlich-rechtlichen" Verfahrens zum Erlaß von Verwaltungsakten im Hinblick auf die Verwaltung des sog. privaten staatlichen Eigentums ein klares Indiz für den öffentlich-rechtlichen Charakter von Entscheidungen, die im Rahmen des administrativen Verfahren erlassen werden. Diese Rechtsprechung stellt auf den besonders formalen, "verwaltungstypischen" Charakter solcher Verfahren ab; wichtig ist vor allem, daß ein besonderes Gesetz im Hinblick auf die bestimmte Materie, z.B. die Pacht von Bergwerken, das fragliche Verfahren regelt48. Verschiedene Urteile des Staatsrats versuchten dieses Kriterium mit dem Maßstab der Verfolgung eines öffentlichen Zwecks durch den fraglichen Rechtsakt zu kombinieren: Der "verwaltende Charakter" eines Akts wird nicht nur mit seinem Erlaß "in Ausführung von Vorschriften mit Verwaltungscharakter" bzw. aufgrund von Vorschriften, "die den Methoden des Verwaltungsrechts eigen sind" begründet; als maßgeblicher Faktor wurde ebenfalls seine Verbindung "zur Funktion des öffentlichen Dienstes (dimosia ypiresia)" betrachtet, "der (sc. der öffentliche Dienst) mit der Nutzbarmachung des Fischreichtums beauftragt wurde, die einen öffentlichen Zweck darstellt"49. Die neuere Rechtsprechimg des Staatsrats benutzt folgende Standardformulierung zur Abgrenzung des Verwaltungsakts von Rechtsakten des Privatrechts: Verwaltungsakt sei "nicht jeder Akt, der die Außenmerkmale des einseitigen Verwaltungsakts trägt, sondern nur derjenige, der im Rahmen der Vorschriften, die die öffentlichen Verwaltungstätigkeiten beherrschen, einen öffentlichen Zweck verfolgt. Die restlichen einseitigen Akte der Verwaltung, d.h. diejenigen, die an diesem funktionalen Element nicht teilhaben und sich im Kreise von privatrechtlichen Beziehungen bewegen, verursachen Streitigkeiten, die dem allgemeinen, gemäß der Verfassung, Rechtsweg gehören, der den ordentlichen Gerichten bei der Verletzung von privaten Rechten zukommt"50.
48
Papanikolaidis, Eisagogi eis to dioikitikon dikonomikon dikaion, Heft 1, S. 147; Papahatzis, DiDik 2 (1990), 1260; Sarmas , I syntagmatiki nomologia, S. 72 f. 49 StE 1381/1959; StE 2144/1966; StE 2625/1980. 50 StE (Vollv.) 1562/1986, EDKA 1986, 492; Oberster Sondergerichtshof (A.E.D.) 2/1993, DiDik 6 (1994), 63; StE 2895/1993, DiDik 6 (1994), 820; StE 745/1995, Arm. 1995, 1340; StE 746/1995 (Vollv.), Arm. 1995, 1215; Dioikitiko Efeteio Athinon (Oberverwaltungsgericht Athen) 720/1994, DiDik 6 (1994), 827. Ähnlich auch StE 120/1994, DiDik 6 (1994), 818.
4. Abschnitt: Griechisches Recht
261
Damit sieht die Rechtsprechung das maßgebliche Merkmal des Verwaltungsakts in seiner Orientierung auf die Verfolgung eines öffentlichen Zwecks31; es muß sich dabei allerdings um einen spezifisch öffentlichen Zweck handeln, i.S. daß er in der für den fraglichen Rechtsakt maßgeblichen Gesetzgebung auch konkret beschrieben wird 32. Man wird nicht behaupten können, daß dies auch die herrschende Auffassung in der Lehre ist. Für die herrschende Auffassung in der Theorie ist das Kriterium der Ausübung von Hoheitsgewalt durch den fraglichen Rechtsakt ausschlaggebend. Insbesondere wird darauf hingewiesen, daß das Kriterium des öffentlichen Zwecks keine brauchbare Abgrenzung der privatrechtlichen Handlungsformen ergibt, da jegliche staatliche Tätigkeit, auch die Verwaltung des sog. Privateigentums, auf einen öffentlichen Zweck abzielt33. Die Qualifikationsfrage erlangt vor allem dann Bedeutung, wenn es um Verwaltungsentscheidungen in einem vertraglichen Rahmen geht, die, falls als Verwaltungsakte qualifiziert, gemäß der Lehre der sog. "apospastes dioikitikes praxeis" (=abtrennbare Verwaltungsakte) auch von Dritten verwaltungsgerichtlich anfechtbar sind34. Es geht vor allem um vorvertragliche Entscheidungen betreffend der Auswahl des Vertragspartners oder um den Rechtsakt der Kündigung eines vertraglichen Verhältnisses33. Eine Abtrennung vom vertraglichen Rahmen ist dann möglich, wenn solche Rechtsakte ihren Geltungsgrund nicht im Vertrag, in dessen Zusammenhang sie ergehen, sondern in einer Gesetzesvorschrift öffentlich-rechtlichen Charakters haben36. 31
Sarmas , I syntagmatiki nomologia, S. 74; Chiolos, Arm. 1995, 1106. Symeonidis , I fysi ton praxeon, S. 74; zum Begriff des öffentlichen Zwecks im griechischen Recht s. oben Kap. 1, Abschnitt 4, DI 2 a). 33 Für das Kriterium der Ausübung von Hoheitsgewalt: Papahatzis, DiDik 2 (1990), 1260 ff; ders., To systima, S. 912; auch Papanikolaidis, Eisagogi, S. 149 f.; ders., DiDik 3 (1991), 1 ff.; Stassinopoulos, Traité des actes, S. 32 f.; Delikostopoulos, Ai proypotheseis tou paradektou tis aitiseos akyroseos, S. 164. 34 Dazu und zum folgenden: Flogaïtis, I dioikitiki symvasi, S. 125 ff.; Tzevelekakis, in Timitikos Tomos Symvouliou Epikrateias, S. 191 ff.; Symeonidis, EDDD 1988, 246 ff; Dagtoglou, Gen. dioik. dik., Rdnr. 762, S. 265 f.; Skouris, EDDD 1989, S. 327; Tachos, El. dioik. dik., S. 416 f.; Spiliotopoulos, Egheiridion Dioikitikou Dikaiou, Nr. 481, S. 453. 33 Welche genau diese trennbaren Akte sind, ist im voraus nur in groben Zügen erkennbar. S. die Aufzählung bei Papanikolaidis, Dikaion ton dioikitikon symvaseon, S. 170 ff; Symeonidis, EDDD 1988, 246 f. 36 Papanikolaidis, Dikaion ton dioikitikon symvaseon, S. 173, 176; vgl. auch StE 3707-9/1987, EDKA 1988, 31. 32
262
3. Kap. : Die Anknüpfiingsregel für die Grundrechtsbindung
Im Rahmen der Lehre der trennbaren Verwaltungsakte können auf alle Fälle Entscheidungen im Hinblick auf die Einstellung bzw. die Entlassung von privatrechtlich beschäftigtem Verwaltungspersonal als öffentlich-rechtlich qualifiziert werden, wenn sie im Rahmen "eines besonderen Rechtsregimes" ergehen: Trotz der Verbindung mit einem privatrechtlichen Vertragsverhältnis sind solche Entscheidungen Verwaltungsakte, wenn die sondergesetzlichen Vorschriften, aufgrund derer sie ergehen, auf die Erfüllung des öffentlichen Interesses ausgerichtet sind37. Eine Entscheidung über den Abschluß eines privatrechtlichen Vertrags wird in den meisten Fällen die allgemeinen Kriterien des Verwaltungsakts nicht erfüllen 38. Es läßt sich dabei fragen, ob die Qualifikation der Vergabeentscheidung deijenigen des Vertrags unbedingt zu folgen hat. Es sind keine diesbezüglichen Aussagen in der Rechtsprechung des Staatsrats zu finden. Der größere Teil der Lehre nimmt an, daß die Vergabeentscheidung auch von einem privatrechtlich qualifizierten Vertrag als Verwaltungsakt abgetrennt werden kann, wenn die allgemeinen Kriterien des Verwaltungsakts erfüllt werden39. Eine Mindermeinung60 vertritt allerdings die Auffassung, daß die einem privatrechtlichen Verwaltungsvertrag vorausgehenden Verwaltungsentscheidungen immer privatrechtlicher Natur sein werden. Andererseits wird argumentiert, daß die Vergabeentscheidung stets nach öffentlichem Recht zu beurteilen ist, denn die Tätigkeit der Verwaltung sei immer auf die Verfolgung des öffentlichen Interesses gerichtet61.
37
So eine Reihe von Urteilen des Staatsrats in bezug auf die Entlassung von Rechtsanwälten, die für die öffentliche Verwaltung tätig waren: 318-320/1982, 1310, 1518, 1524-1530, 1934-1935, 1941, 2701-2704, 3445/1983. Zur Ausgrenzung von Fiskalinteressen s. unten Kap. 3, Abschnitt 4, ΠΙ 2, insbesondere das Urteil AED 17/1992. 38 Tzevelekakis, NoB 1989, 1153 ff (1161). 39 Tzevelekakis, in Timitikos Tomos Symvouliou Epikrateias, S. 194; Symeonidis, EDDD 1988,247 f.; Sarmas, I syntagmatiki nomologia, S. 70 ff. 60 Flogaïtis, I dioikitiki symvasi, S. 126 f.; s. auch StE 4704/1987. Dort heißt es, daß "die dem fraglichen privatrechtlichen Vertrag vorgehenden Akte vom Schlußakt (dem Vertrag) nicht losgelöst werden können, so daß aus ihnen privatrechtliche Streitigkeiten entstehen"; es ist nicht klar, ob dies allgemein gilt, oder ob es an der NichtErfüllung der allgemeinen Maßstäbe des Verwaltungsakts im vorliegenden Fall liegt. Vgl. dazu das bereits erwähnte Urteil StE 2895/1993, DiDik 6 (1994), 820, wo ein im vertraglichen Rahmen ergehender Rechtsakt nach den allgemeinen Kriterien untersucht wird, obwohl der entsprechende Vertrag privatrechtlich qualifiziert wurde. 61 Koutoupa-Rengakos, in Arrowsmith (Hrsg.), Remedies for enforcing the public procurement rules, S. 390.
4. Abschnitt: Griechisches Recht
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Falls eine Vergabeentscheidung als Verwaltungsakt qualifiziert wird, kommen die Grundrechte unmittelbar zur Geltung: So prüfte z.B. der Staatsrat im Urteil 298/199162 die Ausschreibungsbedingungen der Griechischen Zentrale fur den Fremdenverkehr (E.O.T.) am Maßstab des Gleichheitssatzes. Es handelte sich um einen Auftrag über die Herstellung von Druckerzeugnissen, der die Klausel enthielt, daß die Bewerber ihren Sitz in Athen haben mußten. Der Anfechtungsantrag einer Druckerei mit Sitz in Thessaloniki wurde in der Sache mit der Begründung abgewiesen, daß diese Bedingung sachgerecht sei und deshalb keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz darstelle.
3. Die Abgrenzung des öffentlich-rechtlichen vom privatrechtlichen Verwaltungsvertrag Die öffentlich-rechtliche Qualifikation von Verträgen aktiviert die öffentlich-rechtlichen Sonderbindungen, insbesondere die Grundrechte63. Die Unterscheidung zwischen den öffentlich- und den privatrechtlichen Verträgen eines öffentlich-rechtlichen Trägers erfolgt nach der Rechtsprechung und der ganz herrschenden Auffassung aufgrund zweier Kriterien: Der Vertrag muß erstens auf die Erfüllung eines gesetzlich vorgesehenen öffentlichen Zwecks gerichtet sein. Zweitens muß der Vertrag entweder Klauseln enthalten, die im Privatrecht ungewöhnlich sind und der Verwaltung außerordentliche Rechte gegenüber ihrem Vertragspartner verschaffen, oder der Vertragsinhalt muß von Vorschriften geregelt werden, die der Verwaltung eine übergeordnete Position zusprechen64. 62
ToS 1991, 121. Korsos, To erotima peri ton symvaseon, in Meletes genikis Theorias, S. 399; ders., Eisigiseis dioikitikou dikaiou, Bd. 1, Heft 2, S. 57; Spiliotopoulos, Egheiridion, Nr. 190, S. 185. 64 Spiliotopoulos, Egheiridion, Nr. 186, S. 182 f.; Skouris , Arm. 1986, 870; Koutoupa-Rengakos, in Arrowsmith (Hrsg.), Remedies for enforcing the public procurement rules, S. 388 f.; Grigoriou , NoB 1986, 1220 ff.; Papanikolaidis , Dikaion ton dioikitikon symvaseon, S. 11 ff.; Korsos, Eis tin lampsin ton symvaseon dioikitikou dikaiou, in Meletes genikis theorias, S. 389, ders. , To erotima peri ton symvaseon, in Meletes genikis theorias, S. 398; ders., Eisigiseis dioikitikou dikaiou, Bd. 1, Heft 2, S. 53 ff.; Tzevelekakis , NoB 1989, 1156 ff; Pavlopoulos, DiDik 2 (1990), 1009 ff (1013 ff); ders., DiDik 3 (1991), 249 ff; Symeonidis, EDDD 1988, 251; Dagtoglou, Gen. Dioik. Dik., Rdnr. 739, S. 256 f.; vgl. auch Efstratiou, NoB 1993, 658 ff ; Efstratiou {ders., Die Bestandskraft, S. 140) und Dagtoglou (Gen. dioik. dik., Rdnr. 63
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3. Kap.: Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
Nach Flogaïtis spielt dabei nur das Kriterium der öffentlichen Gewalt, der Über- und Unterordnung der Vertragsparteien, die maßgebliche Rolle. Der öffentliche Zweck sei demnach nur eine leere Formel, denn die Regelung der Verwaltungsverträge durch Gesetz, die für die Feststellung der gehobenen Stellung der Verwaltung sei, werde stets den fraglichen Vertrag in den Dienst eines öffentlichen Zwecks stellen63. Insgesamt sieht ein großer Teil der Lehre das wesentliche Merkmal des Verwaltungsvertrags in der obrigkeitlichen Stellung der Verwaltung gegenüber ihrem Vertragspartner, die vor allem an solchen Vertragsklauseln deutlich wird 66. Umgekehrt wird von einer anderen Auffassung im Anschluß an die französische Lehre vom service public der besondere Charakter des öffentlich-rechtlichen Vertrags vor allem in seiner Orientierung auf die Erfüllung von öffentlichen Zwecken gesehen67. Die Rechtsprechung scheint jedoch eine Gleichwertigkeit beider Kriterien und vor allem ihre kumulative Anwendung zu fordern 68. Das jüngere Urteil des Staatsrats 120/199469 qualifiziert einen Mietvertrag zur Beschaffung von Arbeitsraum für eine Behörde aus dem Grunde als privatrechtlich, daß, "obwohl der Mietvertrag einem öffentlichen Zweck dient", die anwendbaren Vorschriften des einfachen Mietrechts "kein besonderes Rechtsregime erzeugen, das der juristischen Person des öffentlichen Rechts die Ausübung von Hoheitsgewalt als Mieter zusichern könnte". Ähnlich fand der Oberste Sondergerichtshof, daß es sich um einen privatrechtlichen Vertrag handelt, wenn, trotz der Verfolgung eines öffentlichen Zwecks, keine vertraglichen Klauseln bestehen, die vom einfachen (gemeinen) Recht abweichen70. Umgekehrt reicht nach dem Urteil 15/199271 des Obersten Sondergerichtshofs die Regelung des Vertrags (hier eines Bauauftrags) durch ein besonderes Rechtsregime nicht aus, sondern er "muß der Erfüllung eines durch den Staat oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts verfolgten öffentlichen Zwecks dienen".
741, S. 258) betrachten als VerwaltungsVerträge diejenigen Verträge, die eine öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung zum Gegenstand haben. 63 Flogaïtis , I dioikitiki symvasi, S. 214; Pavlopoulos, DiDik 2 (1990), 1013. 66 Korsos, Oi symvaseis tou dioikitikou dikaiou, S. 125 ff; Papahatzis, DiDik 2 (1990), 1264; ders., To Systima, S. 706 ff.; Bardoutsos, DiDik 6 (1994), 792. 67 Vor allem Tachos, Ell. dioik. dik., S. 405 ff. 68 Jüngst StE 1031/1995 (Vollv.), Aim. 1995, 950; Vgl. Tzevelekakis, NoB 1989, 1159; Bardoutsos, DiDik 6 (1994), 786. 69 DiDik 6 (1994), 818. 70 AED 10/1992, DiDik 5 (1993), 982. 71 DiDik 5 (1993), 985.
4. Abschnitt: Griechisches Recht
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Diese Kriterien erfüllen i.d.R. solche Verträge, die einen staatlichen Lieferoder Bauauftrag zum Gegenstand haben, unter der Voraussetzung, daß zwischen dem Auftrag und dem öffentlichen Zweck eine unmittelbare Beziehung besteht72. Diese Unmittelbarkeit ist dann nicht gegeben, wenn der Gegenstand des Auftrags nicht der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben dienen soll, sondern eine Kapitalanlage darstellt. Der Oberste Sondergerichtshof entschied im Zusammenhang mit Baumaßnahmen in einem Kinosaal, der sich im Eigentum des Pensionsfonds der griechischen Streitkräfte (Metohikon Tameion Stratou) befand, folgendes: "Ein öffentlicher Bauauftrag zugunsten des Staates oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts ist dann ein Verwaltungsvertrag, wenn er von der speziellen Gesetzgebung zur Ausführung von öffentlichen Bauaufträgen beherrscht wird und einem vom Staat oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts verfolgten öffentlichen Zweck zu dienen bestimmt ist. Die Verbesserung der finanziellen Lage der Verwaltung kann aber an sich keinen öffentlichen Zweck darstellen"73.
IV. Zusammenfassung Die Frage der Grundrechtsbindung von verselbständigten Verwaltungseinheiten hat im griechischen öffentlichen Recht eine begrenzte verfassungsrechtliche Behandlung erfahren. Die Lehre ist sich einig, daß alle Träger, öffentlich- wie privatrechtliche, die öffentliche Aufgaben erfüllen und vom Staat kontrolliert werden, nach Art. 25 Abs. 1 der griechischen Verfassung grundrechtsgebunden sind. In der Rechtsprechung vermengt sich das Problem der Grundrechtsbindung mit der allgemeinen Frage nach dem Anwendungsbereich des öffentlichen Rechts, da die griechischen Zivilgerichte das Problem der Fiskalgeltung der Grundrechte als solches nicht formuliert haben. Zivil- und Verwaltungsgerichte sind sich trotz vehementer Kritik einig, daß privatrechtlich verfaßte
72
Koutoupa-Rengakos, in Arrowsmith (Hrsg.), Remedies for enforcing the public procurement rules, S. 389; für eime öffentlich-rechtliche Qualifikation der Bauaufträge vor allem Skouris, El.D. 29 (1988), 1283; Symeonidis, EDDD 1988, 258; Bardoutsos, DiDik 6 (1994), 786, 789.; Grigoriou, NoB 1986, 1222 ff ; für eine privatrechtliche Qualifikation dagegen Hasapis, NoB 1987, 1170 ff und Efstratiou, NoB 1993, 658. 73 AED 17/1992, EDKA 1992, 685.
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3. Kap. : Die Anknüpfngsregel für die Grundrechtsbindung
Organisationen nicht öffentlich-rechtlich handeln können. Diese Regel hat nach der Rechtsprechung der obersten Gerichte Verfassungsrang. Öffentlich-rechtliche Verwaltungstrabanten sind in ihrem einseitigen Handeln dann grundrechtsgebunden, wenn sie unmittelbar gesetzlich verankerte Gemeinwohlzwecke verfolgen. Verträge öffentlich-rechtlicher Träger unterliegen dann einem öffentlich-rechtlichen Regime, wenn sie auf die Erfüllung eines öffentlichen Zwecks ausgerichtet sind und die hoheitliche Stellung der Verwaltung zum Ausdruck bringen. Dies gilt vor allem dann, wenn der Vertrag einem besonderen, gesetzlich vorgesehenen, Regime unterliegt oder wenn er obrigkeitliche Klauseln zugunsten der öffentlich-rechtlichen Vertragspartei enthält.
Viertes Kapitel
Verselbständigte Verwaltungseinheiten als Adressaten staatlicher Sonderbindungen im Europäischen Gemeinschaftsrecht I. Überblick Im Europäischen Gemeinschaftsrecht erscheint eine Vielfalt von Zusammenhängen, in denen europarechtliche Normen ausschließlich an die öffentliche Verwaltung adressiert sind. Die Rede ist hier von Vorschriften, die nur an staatliche Träger gerichtet sind und ihnen ein besonderes rechtliches Regime auferlegen. Der EG-Vertrag basiert auf der Herstellung eines einheitlichen Marktes in Europa, in dem Produkte und Produktionsfaktoren ungehindert zwischen den Mitgliedstaaten verkehren können. Pfeiler dieses Regimes sind die vertraglichen Garantien des freien Warenverkehrs und der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Niederlassungsfreiheit, sowie die Freiheiten des Dienstleistungsund Kapitalverkehrs. Diesen Grundfreiheiten des EG-Vertrags kommt eine Bedeutung zu, die im Ergebnis deijenigen der nationalen Grundrechte ähnlich ist1: Durch ihre unmittelbare Wirkung im Staat-Bürger-Verhältnis bestimmen sie einen besonderen, mit konkreten Rechten ausgestatteten Freiheitsstatus des Unionsbürgers gegenüber den nationalen Verwaltungen. Zunächst gilt es zu untersuchen, ob diese Garantien tatsächlich nur gegen den Staat gerichtet sind2. Falls dies der Fall sein sollte, so ist die Qualifikation von verselbständigten Verwaltungseinheiten als Adressaten dieser Bindungen zu erörtern.
1
Bleckmann, Europarecht (EuropaR), S. 195, 430 f.; Triantafyllou, NVwZ 1994, 943 ff. (945); implizit auch Dagtoglou, Evropaiko koinotiko dikaio (Evr. koin. dik.), S. 349. S. auch CoppeUO'Neill, CMLR 1992, 669 ff. (689). 2 Die Bejahung der ausschließlichen Staatsgerichtetheit dieser Bindungen ist eine Voraussetzung für ihre Tauglichkeit als Abgrenzungskriterien.
268
4. Kap.: Europarecht
Auf der Ebene des sekundären Gemeinschaftsrechts besteht eine Kategorie von Rechtsnormen, die aufgrund ihrer Gestaltung im EGV deutlich staatsgerichtet sind. Die Richtlinien sind nach Art. 189 EGV nur an die Mitgliedstaaten gerichtet; auch in den Fällen, in denen Richtlinienbestimmungen unmittelbar den Bürgern zugute kommen, sind nach der Rechtsprechung des EuGH nur Mitgliedstaaten Adressaten der Bindungen von Richtlinien. Auch hier wird es von Bedeutung sein zu wissen, gegenüber welchen Trägern an der Staatsperipherie Richtlinienvorschriften von den Unionsbürgern unmittelbar geltend gemacht werden können. Die Grundfreiheiten des Vertrags werden vielfach von der Rechtssetzungstätigkeit der Gemeinschaft selbst konkretisiert und durchgesetzt. Die Koordinierungsrichtlinien zum öffentlichen Vergabewesen zielen darauf, die Grundfreiheiten des Binnenmarktes durch eine Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge aktiv durchzusetzen. Diese Richtlinien regulieren ausschließlich die Auftragsvergabe öffentlicher Auftraggeber, weil staatliche Instanzen ihre Vertragspartner nicht immer nach rein wirtschaftlichen, sondern auch nach beschaffungsfremden Kriterien aussuchen. Gegenstand der Untersuchung wird die Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs der Vergaberichtlinien als an staatliche Auftraggeber gerichteter Normen sein.
II. Die Bindung von verselbständigten Verwaltungseinheiten an die Grundfreiheiten des EG-Vertrags 1. Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags als staatsgerichtete Vorschriften a) Vorbemerkung
Vielfach wird davon ausgegangen, daß die Adressatenkreise der Grundfreiheiten des EG-Vertrags identisch konstruiert sind, so daß die Rechtsprechung des EuGH bedenkenlos von einer Freiheit auf eine andere übertragen und eine allgemeine Theorie der Adressaten dieser Grundfreiheiten gebildet werden könnte3. Der EG-Vertrag beinhaltet allerdings keine Norm, die die Funktion des Art. 1 Abs. 3 GG ausübt und die die Adressaten der Grundfreiheiten des 3
S. Bleckmann, DVB1. 1986, 69 ff. (73); ders., EuropaR, S. 195 f.; implizit auch in den Untersuchungen von Steindorff, in Festschrift Lerche, S. 575 ff., und Gersdorf, AÖR 119 (1994), 400 ff. (421 f.).
Π. Bindung an die Grundfreiheiten des EG-Vertrags
269
Vertrags eindeutig bestimmt. Aus diesem Grunde muß man den Anwendungsbereich jeder Freiheit des EG-Vertrags vereinzelt untersuchen. Die Freiheit des Warenverkehrs wird von zwei Gruppen von Vorschriften garantiert: Art. 9 und 12fif. verbieten neue Ein- und Ausfuhrzölle bzw. sehen die Abschaffung der bereits vorhandenen Zölle und Abgaben gleicher Wirkung vor (Vorschriften über die Zollunion); Art. 30-36 verbieten mengenmäßige Ein- und Ausfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer wird von Art. 48 f. garantiert. Art. 52fif. EGV beinhalten das Recht auf freie Niederlassung, Art. 59 ff. gewährleisten den freien Verkehr von Dienstleistungen, während Art. 73b ff. Beschränkungen der Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs verbieten.
b) Die Adressaten der Vorschriften
über die Zollunion
Nach Art. 9 Abs. 1 EGV ist Grundlage der Gemeinschaft eine Zollunion, die sich auf den gesamten Warenaustausch erstreckt; sie umfaßt die Einführung eines gemeinsamen Zolltarifs gegenüber dritten Ländern und vor allem das an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbot, Ein- und Ausfuhrzölle und Abgaben gleicher Wirkung im innergemeinschaftlichen Handel zu erheben. In Artikel 12 heißt es: "Die Mitgliedstaaten werden untereinander weder neue Einfuhroder Ausfuhrzölle oder Abgaben gleicher Wirkung einführen, noch die in ihren gegenseitigen Handelsbeziehungen angewandten erhöhen". Art. 13 und Art. 16 EGV verpflichten die Mitgliedstaaten, die bereits geltenden Ein- und Ausfuhrzölle sowie die Abgaben gleicher Wirkung innerhalb einer Übergangszeit abzuschaffen. Schon die Formulierung der Vorschriften macht deutlich, daß die Mitgliedstaaten als Adressaten dieser Verpflichtungen gemeint sind4. Dies ist auch evident, wenn man bedenkt, daß die Besteuerung einen harten Kern der Staatlichkeit darstellt: Die Erhebung von Zöllen ist Hoheitsverwaltung und kann nur aufgrund gesetzlicher Ermächtigung vorgenommen werden3. In diesem Sinne sind diese Vorschriften nur an die mit Hoheitsbefugnissen ausgestatteten Instanzen gerichtet. 4
Grabitz, in Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. 12, Rdnr. 6; Pescatore , ELR 1983, 155 ff. (157); Kohler, Abgaben zollgleicher Wirkung im Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 32, 36. 3 Vgl. auch Art. 34 der fr. Verfassung, Art. 78 Abs. 1 der gr. Verfassung.
270
4. Kap.: Europarecht
Daß diese Vorschriften inhaltlich auf hoheitliche Maßnahmen zugeschnitten sind6, bestätigt die Rechtsprechung des EuGH zum Begriff der Abgaben gleicher Wirkung wie Zölle. Der Gerichtshof definiert seit Beginn seiner Rechtsprechung7 an solche Abgaben als einseitig auferlegte finanzielle Belastungen. Die Einseitigkeit der Erhebung setzt voraus, daß die Abgabe kraft zwingender hoheitlicher Anordnung zu leisten ist8. Das Verbot nicht nur von Zöllen, sondern auch von Abgaben gleicher Wirkung wie Zölle erfaßt somit lediglich Träger von Hoheitsgewalt, also prinzipiell öffentlich-rechtliche Organisationsformen 9, aber auch beliehene Private, die vom Gesetzgeber mit Abgabenhoheit ausgestattet wurden10. Daher ist auch der aufgrund gesetzlicher Ermächtigungen durch eine italienische Körperschaft des öffentlichen Rechts erhobene Zwangsbeitrag auf das Inverkehrbringen von eingeführtem Papier, Karton und Zellstoff als zollgleiche Abgabe qualifiziert worden11.
c) Die Adressaten der Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs
Seit dem 1.1.1994 wurden laut Art. 73a EGV die älteren Vorschriften 67 fif. über die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs durch die neuen Art. 73b bis g ersetzt. Art. 73 b verbietet alle Beschränkungen des Kapital- (Abs. 1) und Zahlungsverkehrs (Abs. 2) zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern. Im Gegensatz zu den älteren Vorschriften über den freien Kapitalverkehr enthalten die neuen Vorschriften ein besonders konkretes, genaues und inhaltlich unbedingtes Beschränkungsverbot, so daß man von ihrer unmittelbaren Wirkung zugunsten der Unionsbürger ausgehen sollte12. Insbesondere fehlt der 6
Nicolaysen, EuR 1984, 380 ff. (387); Schaefer, Die unmittelbare Wirkung des Verbots der nichttarifaren Handelshemmnisse in den Rechtsbeziehungen zwischen Privaten, S. 32. 7 EuGH Rs. 2 und 3/62, Kom./Luxemburg und Belgien, Slg. 1962, 869 (882). 8 Beschel/Vaulont, in v. d. Groeben/Thiesing/Ehlermann, EWG-Kommentar, Art. 12, Rdnr. 7. 9 Grabitz, in Grabitz/Hilf, Komm, zur Eur. Un., Art. 12, Rdnr. 6; Kovar, in Dreißig Jahre Gemeinschaftsrecht, S. 162; Druesne, Droit matériel et politiques de la Communauté Européenne, S. 29. 10 Beschel/Vaulont , in v.d.Groeben/Thiesing/Ehlermann, EWG-Komm., Art. 12, Rdnr. 7; Kohler, Abgaben, S. 36. 11 EuGH Rs. 94/74, Slg. 1975, 699. 12 So auch Weber, EuZW 1992, 561 f.
Π. Bindung an die Grundfreiheiten des EG-Vertrags
271
beschränkende Hinweis "soweit es für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes notwendig ist", welcher in Art. 67 Abs. 1 erscheint und den Anlaß zur h.L. gegeben hatte, daß nämlich die Vorschriften über den freien Kapitalverkehr keine immittelbare Wirkung besäßen13. Dabei bleibt allerdings die Frage offen, ob diese Vorschriften auch innerhalb von Rechtsbeziehungen zwischen Privaten Wirkung entfalten können. Zur Frage der Adressaten des Verbots von Art. 73b liegen bis jetzt kaum Stellungnahmen vor. Die Konstruktion dieser Freiheiten als Beschränkungsverbote läßt eine Parallelität der Freiheit des Kapitalverkehrs zur Freiheit des Warenverkehrs feststellen 14. Diese Parallelität der Vorschriften erlaubt eine Übertragung der Erkenntnisse über die Adressaten der 30 ff. EGV auf die Freiheiten des Kapital- und Zahlungsverkehrs.
d) Die Adressaten der Personenverkehrsfreiheiten Die Beantwortung der Frage nach dem Adressatenkreis der Freizügigkeitsbestimmungen für Arbeitnehmer (Art. 48 EGV) sowie der Vorschriften der
13
Was die Art. 67 ff. EGV betrifft, so ging die ganz h.L. davon aus, daß die Vorschriften über den freien Kapitalverkehr, mit Ausnahme des Art 68 Abs. 2 EGV, keine unmittelbare Wirkung zugunsten der Unionsbürger entfalteten (Eckhoff\ in Bleckmann, EuropaR, S. 491, Rdnr. 1181 und Rdnr. 1188, S. 495; Kiemel, in v. d. Groeben/Thiesing/Ehlermann, EWG-Komm., Art. 67, Rdnr. 15; Druesne, Droit matériel, S. 156; Geiger, EG-Vertrag, Art. 67, Rdnr. 2). Der EuGH hatte in seinem Cassati Urteil (EuGH Rs. 203/80, Slg. 1981, 2595) festgestellt, daß die Freiheit des Kapitalverkehrs sich von den anderen Freiheiten unterschied: Diese Verpflichtung der Mitgliedstaaten bestehe nur insoweit "es für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes notwendig" sei. Der Umfang der Beschränkungen ändere sich zeitlich und sei von einer Beurteilung des Gemeinsamen Marktes abhängig, die dem Rat obliege. Mangels einer Durchfuhrungsrichtlinie des Rates könnte sich damit ein Rechtsbürger nicht unmittelbar auf diese Vorschriften zum Zwecke der Betätigung von Banknotentransfers berufen. Das Diskriminierungsverbot bei der Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften über den Kapitalmarkt und das Kreditwesen auf die liberalisierten Kapitalbewegungen des Art. 68 Abs. 2 war andererseits unmittelbar wirksam (Kiemel, in v. d. Groeben/Thiesing/ Ehlermann, EWG-Komm., Art 68 Rdnr. 3; Eckhoff, in Bleckmann, EuropaR, S. 491, Rdnr. 1181 und Rdnr. 1188; Geiger, Geiger, EG-Vertrag, Art. 67, Rdnr. 2). Genau wie das bei Art. 12 EGV der Fall ist, war auch diese Vorschrift auf hoheitliche Betätigung zugeschnitten: Die Anwendung solcher Rechtsvorschriften ist stets eine hoheitliche Tätigkeit, die ausschließlich durch dazu befähigte Träger möglich ist. 14 Weber, EuZW 1992, 562 f.
4. Kap.: Europarecht
Niederlassung- und Dienstleistungsfreiheit ist komplex. Der Wortlaut der Vorschriften gibt keinen Anhaltspunkt für die Bestimmung ihrer Adressaten her. Ihr gemeinsamer Mindestgehalt ist ein Diskriminierungsverbot, das in seiner allgemeinen Prägung im Art. 6 EGV (vormals 7 EWGV) verankert ist15. Dieses Diskriminierungsverbot präsentiert auf europarechtlicher Ebene für die Frage der Drittwirkung eine ähnliche Spannungslage wie der innerstaatliche Gleichheitssatz: Einerseits muß eine gerechte Behandlung der Individuen angesichts wirtschaftlicher und sozialer Übermacht gewährleistet werden, andererseits gilt es, die Freiheit der Auswahl des Vertragspartners als Kernbereich der Privatautonomie zu bewahren. Der Europäische Gerichtshof hat in den siebziger Jahren die horizontale Bindungswirkung in bezug auf kollektive Regelungen durch Sportverbände im Arbeits- und Dienstleistungsbereich bejaht. Im Verfahren Walrave gegen Union Cycliste Internationale16 ging es um eine Regelung des Internationalen Radsportverbandes, wonach die Radrennfahrer und ihre sog. Schrittmacher dieselbe Staatsangehörigkeit besitzen mußten. Zur Frage, ob Art. 7 (nunmehr Art. 6), 48 und 59 EWGV anwendbar seien, bemerkte der Gerichtshof, daß das in diesen Vorschriften enthaltene Diskriminierungsverbot "nicht nur für Akte der staatlichen Behörden" gelte, sondern sich auch auf sonstige Maßnahmen erstrecke, die eine kollektive Regelung im Arbeits- und Dienstleistungsbereich enthielten. Diesen Feststellungen stünde die allgemeine Formulierung von Art. 59 EGV nicht im Wege; außer Frage stünde es im übrigen, daß Art. 48 EGV gleichermaßen Verträge und sonstige Vereinbarungen erfasse, die nicht von staatlichen Stellen herrührten. Das Gericht begründet diese Auffassung mit dem Argument der praktischen Wirksamkeit (effet utile), wonach die Verwirklichung dieser Freiheiten ernsthaft gefährdet wäre, wenn "privatrechtliche Vereinigungen oder Einrichtungen kraft ihrer rechtlichen Autonomie derartige Hindernisse aufrichteten", denn "da im übrigen die Arbeitsbedingungen je nach Mitgliedstaat einer Regelung durch Gesetze und Verordnungen oder durch Verträge und sonstige Rechtsgeschäfte, die von Privatpersonen geschlossen oder vorgenommen werden, unterliegen, bestünde bei einer Beschränkung auf staatliche Maßnahmen 15
Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Die Europäische Union - Rechtsordnung und Politik, S. 318; Stadler, Die Berufsfreiheit in der Europäischen Gemeinschaft, S. 45 ff; Mohn, Der Gleichheitssatz im Gemeinschaftsrecht, S. 4; Trìantafyllou, NVwZ 1994, 945. 16 EuGH Rs. 36/74, Slg. 1974,1405.
Π. Bindung an die Grundfreiheiten des EG-Vertrags
273
die Gefahr, daß das fragliche Verbot nicht einheitlich angewandt würde17". Somit kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, daß bei der Beurteilung der Satzung eines Sportverbandes Art. 7, 48 und 59 EGV zu berücksichtigen sind. Im Fall Donà gegen Maniero18 wurde die Gültigkeit bzw. die Wirkung von Bestimmungen der Personalordnung des italienischen Fußballverbandes untersucht, wonach nur die dem Verband angehörenden Spieler an den Spielen teilnehmen konnten und grundsätzlich nur Spieler mit italienischer Staatsangehörigkeit in den Verband aufgenommen wurden. Der Gerichtshof wiederholte wortwörtlich seine Stellungnahme im Fall Walrave, daß nämlich Art. 7, 48 und 59 EGV nicht nur für staatliche, sondern für jegliche Maßnahmen gelten würden, die eine kollektive Regelung im Arbeits- und Dienstleistungsbereich beinhalten. Im Fall van Ameyde gegen UCI ging es um Maßnahmen eines Zentralbüros, in dem sich die Mehrzahl der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer Italiens zusammengeschlossen hatte. Zur Anwendbarkeit der Art. 52 und 59 EGV führt der Gerichtshof aus19: "Um von dem in diesen Artikeln (sc. 52 und 59 EGV) enthaltenen Diskriminierungsverbot erfaßt zu werden, genügt es, daß sich die Diskriminierung aus einer Regelung gleich welcher Art ergibt, durch die die Ausübung der betreffenden Tätigkeit in allgemeiner Weise geregelt werden soll. In diesem Fall ist es unerheblich, ob die Diskriminierung ihren Ursprung in hoheitlichen Maßnahmen oder aber in Handlungen hat, welchen den nationalen Versicherungsbüros zuzurechnen sind."
Der Europäische Gerichtshof nahm schließlich auch im neueren Urteil Union Royale Belge des Sociétés de Football Association gegen Bosman20 auf seine Rechtsprechung hinsichtlich des Anwendungsbereichs des Art. 48 EGV bezug und erinnerte daran, daß "dieser Artikel wie der Gerichtshof im Urteil Walrave entschieden hat nicht nur für behördliche Maßnahmen gilt, sondern sich auf Vorschriften anderer Art erstreckt, die zu kollektiven Regelungen unselbständiger Arbeit dienen". Die herrschende Lehre interpretiert diese Rechtsprechung i.S. der Drittwirkung der Vorschriften über die Personenverkehrsfreiheiten 21, zumin17
Slg. 1974, 1419 f., Tz. 16 und 19. EuGH Rs. 13/76, Slg. 1976,1333. 19 EuGH Rs. 90/76, Slg. 1977, 1091 (1128), Tz. 28. 20 Rs. C-415/1993, Urteil vom 15.12.1995, NJW 1996, 505. 21 S. Randelzhofer, in Grabitz/Hilf, Komm, zur Eur. Un., Art. 48 Rdnr. 29 und Art. 52, Rdnr. 59; Schwarze, EuR 1977, 43 ff. (45 f.); Pernice , Grundrechtsgehalte im 18
18 Gogos
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4. Kap.: Europarecht
dest wenn es sich dabei um kollektive Regelungen handelt22. Die Kommentatoren des allgemeinen Diskriminierungsverbots (Art. 6 EGV) ziehen aus derselben Rechtsprechimg, die ja die Verbindung dieser Normen miteinander betont, vielfach die Konsequenz der Drittwirkung auch dieser Vorschrift 23 . Nach Hailbronner besteht für die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit eine "beschränkte" Drittwirkung, wonach das in diesen Vorschriften beinhaltete Diskriminierungsverbot sich auch gegen private Wirtschafts- und Berufsvereinigungen richtet, sofern sie auf dem Gebiet dieser Freiheiten quasi normativ tätig werden. Die individuelle Vertragsfreiheit bliebe aber von einem solchen Verbot unberührt 24.
Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 144 f.; Winkel, NJW 1975, 1075 ff. (1060 f.); Grabitz, in Festschrift Deringer, S. 59 ff. (62); Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1417, S. 549; Pescatore , ELR 1983, 163; Stadler, Die Berufsfreiheit, S. 61 f. (Stadler, S. 387 f., vetritt die Ansicht, daß ein europäisches Grundrecht auf Berufsfreiheit ausschließlich staatsgerichtet sein muß); Streinz, Europarecht, §13 DI 4 Rdnr. 708, S. 203; Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Die EUT. Un., S. 211; Wyatt/Dashwood, Wyatt and Dashwood's European Community Law, S. 62; Arnull/Jacobs, in Free movement of Persons in Europe, S. 272 ff; Ress, in Dreißig Jahre Gemeinschaftsrecht, S. 322; im selben Werk auch Kovar, S. 162; Dagtoglou, Evr. koin. dik., S. 351 f.; Stefanou, To kathestos ton dimosion epiheiriseon stin evropaïki koinotita, S. 84 f.; M Seidel, in Schwarze (Hrsg.), Der Gemeinsame Markt. Bestand und Zukunft in wirtschaftsrechtlicher Perspektive, S. 113; Wetzel, Die Dienstleistungsfreiheit nach den Art. 59-66 des EWG Vertrags, S. 164 f.; Müller-Graff, NJW 1993, 13 f.; Feik, Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach EG-Recht, S. 44. 22 Hailbronner/Nachbaur, EuZW 1992, 105 ff. (112); dies., WiVerw 1992, 57 ff. (71 f.); Cerexhe, Le Droit Européen, La libre circulation des personnes et des entreprises, S. 79; Zahradnik, Privatrechtsverhältnisse und EU-Recht, S. 46 ff 23 Grabitz, in Grabitz/Hilf, Komm, zur Eur. Un., Art. 7 Rdnr. 19; vorsichtig Zuleeg, in v.d.Groeben/Thiesing/Ehlermann, EWG-Komm., Art. 7, Rdnr. 19; Bleckmann, EuropaR, Rdnr. 1247, S. 514 f.; Nicolaysen, Europarecht I, S. 37; Kapteyn/Verloren van Themaat, Introduction to the Law of the European Communities, S. 93; Wohlfarth, in Wohlfarth/Everling/Glaesner/Sprung, Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Kommentar zum Vertrag, Art. 7, Rdnr. 9; Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Die EUT. Un., S. 212; Arnull, The General Priciples of EEC Law and the Individual, S. 18; SundbergWeitman, Discrimination on Grounds of Nationality, S. 37 f.; dies., CMLR 1973, 71 ff (79 f.). Sundberg-Weitman beschreibt eine Prinzipienebene des Art. 6 EGV, die horizontale Beziehungen erfaßt, wobei das Diskriminierungsverbot als unmittelbar geltende Norm kerne Drittwirkung entfaltet. A.A. Gundersen, NJW 1975, 472 ff. (475); Feige, Der Gleichheitssatz im Recht der EWG, S. 59 ff; Meier, ZHR 1970, 61 ff. (89 ff). 24 Hailbronner, in Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Handkommentar zum EUV, Art. 52, Rdnr. 15 und Art. 59/60, Rdnr. 35. Ähnlich auch Green/Hartley/Usher, The Legal Foundations of the Single European Market, S. 55.
Π. Bindung an die Grundfreiheiten des EG-Vertrags
275
Die Lehre der Drittwirkung der Grundfreiheiten des Vertrags zieht vielfach die Rechtsprechung zu Art. 119 EGV (Gleichstellung von Mann und Frau bei der Entlohnung ihrer Arbeit) zur Hilfe 23. Im Fall Defrenne II 26 verlangte eine Bord-Stewardeß von der staatlichen Fluggesellschaft Belgiens Sabena Entschädigung, weil sie sich bei ihrer Vergütung gegenüber ihren männlichen Kollegen diskriminiert fühlte. Der EuGH wurde daraufhin vom zuständigen Arbeitsgericht in Brüssel befragt, ob Art. 119 EGV unmittelbar anwendbar sei. Obwohl der Gerichtshof in diesem Fall die Gelegenheit gehabt hätte, Sabena als staatliche Behörde an Art. 119 EGV zu binden27, hat er es vorgezogen, eine allgemeine Aussage zur Drittwirkung der Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen zu treffen: "Ebenso unhaltbar ist der Einwand, daß die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts durch die innerstaatlichen Gerichte Vereinbarungen ändern würde, welche die Vertragsparteien in Ausübung ihrer privaten oder berufsständischen Autonomie getroffen haben, wie individuelle oder kollektive Arbeitsverträge; denn da Artikel 119 zwingenden Charakter hat, ist das Verbot von Diskriminierungen zwischen männlichen und weiblichen Arbeitnehmern nicht nur für die öffentlichen Behörden verbindlich, sondern es erstreckt sich auch auf alle, die Erwerbstätigkeit kollektiv regelnden Tarifverträge und alle Verträge zwischen Privatpersonen 28".
Die Problematik der Drittwirkung von Art. 48 EGV wurde allerdings für den Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer im wesentlichen durch sekundäres Gemeinschaftsrecht entschärft. Art. 7 IV der Verordnung des Rates 1612/6829 sichert insofern die Wirkung gegenüber Privaten30, als es sich um Tarif- oder Einzelarbeitsverträge oder auch sonstige Kollektiwereinbarungen handelt.
23
Oliver, The Free Movement of Goods in the EEC, S. 54. EuGH Rs. 43/75, Defrenne/Sabena (bekannt als Defrenne Π), Slg. 1976, 455. 27 S. unten in diesem Kapitel ΠΙ 2 c), British Gas/Foster, Rs. C-l 88/89, Slg. 1990,13313 = NJW 1991, 3086 = EuZW 1990, 424. 28 Slg. 1976, 476, Tz. 39. 29 Abi. EG Nr. L 257/2 vom 19.10.1968. 30 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 639; Hilf, NJW 1984, 517 ff. (519); Bleckmann, EuropaR, S. 448, Rdnr. 1072; Feik, Die Freizügigkeit, S. 70 f.; Mohn, Der Gleichheitssatz, S. 45; Arnull/Jacobs, in Free movement of Persons in Europe, S. 272 ff; Hailbronner, in Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, HdKomm. zum EUV, Art. 48 Rdnr. 44; Palme/Hepp-Schwab/Wiske, JZ 1994, 343 ff. (346); Skandamis, Evropaiko Koinotiko Dikaio kai Elliniko Dikaio Prosarmogis, S. 40; Green/Hartley/ Usher, The Foundations, S. 146. 26
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4. Kap.: Europarecht e) Die Adressaten des Verbots mengenmäßiger Ein- und Ausfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung
Eine verbreitete Auffassung versucht die Judikatur des EuGH in bezug auf die Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten in unmittelbaren Zusammenhang mit den Vorschriften über das Verbot mengenmäßiger Ein- und Ausfuhrbeschränkungen zu bringen. Dies ist auch verständlich, wenn man bedenkt, daß die Gleichbehandlung ausländischer Waren den Mindestgehalt31 dieser Vorschriften darstellt. In Anlehnung an die Judikatur Walrave/Donà/ Defrenne, aber auch an die Rechtsprechung zu den gewerblichen Schutzrechten wird vielfach argumentiert, daß sich das Verbot mengenmäßiger Einund Ausfuhrbeschränkungen als Diskriminierungsverbot genauso wie die Art. 48, 52 und 59 und 119 EGV nicht nur an die staatlichen Behörden, sondern auch an Privatpersonen richtet32. Die Rechtsprechung des EuGH hat tatsächlich Signale in dieser Richtung auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes (Art. 36 EGV) gegeben: In manchen Urteilen33 ließ der EuGH durchblicken, daß die Freiheit des Warenverkehrs auch in Beziehungen zwischen Privaten wirksam wäre und die Abschottung nationaler Märkte über die Geltendmachung privater gewerblicher Rechte verbieten würde: Insbesondere im Urteil Dansk Supermarked34 31
Wobei damit auf keinen Fall in Zweifel gezogen werden soll, daß in diesen Vorschriften auch weitergehende Beschränkungsverbote enthalten sind. 32 Van Gerven, CMLR 1977, 5 ff. (22 ff.: Drittwirkung für das Diskriminierungsverbot als Mindestgehalt der Art. 30/34 EGV); Waelbroeck, in Liber amicorum Pescatore, S. 781 ff. (besonders 784 ff); Schaefer, Die unmittelbare Wirkung, besonders S. 167 ff., 182 ff. mit ausführlicher Darstellung der älteren Literatur (S. 49 ff; dazu FN 3 in S. 49 und 4 in S. 50 für Hinweise auf pro und contra Auffassungen); Beutler/Bieber/ Pipkorn/Streil, Die EUT. Un., S. 298; Bleckmann, EuropaR, S. 195 ff; für eine umfassende Darstellung der Diskussion s. auch Quinn/Mac Gowan, ELR 1987, 163 ff, besonders 175 ff. (diese Autoren lehnen eine horizontale Wirkung der Vorschrift im Hinblick auf die potentiell größere Reichweite der auf Private auferlegten Verpflichtungen -insbesondere wegen der Nicht-Anwendung von Art. 36 EGV- ab) und Oliver, Free Movement of Goods, S. 55 f. (ohne klare eigene Stellungnahme); zuletzt für eine Drittwirkung aller Grundfreiheiten im wesentlichen aufgrund der Rechtsprechung des EuGH zu den gewerblichen Schutzrechten Steindorff, in Festschrift Lerche, S. 575 ff. und Zahradnik, Privatrechtsverhältnisse, S. 59 ff. 33 S. EuGH Rs. 192/73, HAG AG/Van Zuylen, Slg. 1974, 731 (744 f.); EuGH Rs. 15/74, Centrafarm/Sterling Drug, Slg. 1974, 1147 (1163 f.); EuGH Rs. 119/75, Terrapin/Terranova, Slg. 1976, 1039. 34 EuGH Rs. 58/80, Dansk Supermarked/Imerco, Slg. 1981, 181.
Π. Bindung an die Grundfreiheiten des EG-Vertrags
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führte der Gerichtshof aus, daß "Vereinbarungen zwischen Privaten in keinem Fall von den zwingenden Bestimmungen des Vertrages über den freien Warenverkehr abweichen dürfen" 33. Die Frage nach dem Adressatenkreis der Art. 30/34 ist allerdings auch in Zusammenhang mit den Wettberbsvorschriften 85/86 EGV, die den Bereich privater Handlungen mit negativem Einfluß auf den innergemeinschaftlichen Warenverkehr regeln, zu betrachten. Die herrschende Lehre beschränkt die Reichweite der Art. 30/34 EGV auf staatliche Maßnahmen und betrachtet Art. 85/86 EGV als Spezialvorschriften für private Handlungen36. Insofern besteht nunmehr eine konstante Rechtsprechung des EuGH, die eine solche Trennung der Adressatenkreise der beiden Vorschriftengruppen ganz eindeutig bejaht und somit das Verbot mengenmäßiger Ein- und Ausfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung zweifelsfrei auf staatliche Maßnahmen beschränkt37. Im Urteil WR/Sociale Dienst van de Plaatselijke en Gewestelijke Overheidsdiensten erklärt der Europäische Gerichtshof ausdrücklich, daß "die Art. 30 und 34 EWG-Vertrag sich nur auf staatliche Maßnahmen und nicht auf Verhaltensweisen von Unternehmen beziehen"38. 33
Slg. 1981, 195, Tz. 17. Béraud , RTDE 1968, 265 ff. (278); Dona-Viscardini, RMC 1973, 224 ff. (226); Mattem, RMC 1976, 500 ff. (505); Daniele, RMC 1984, 477 ff.; Müller-Graff, in v. d. Groeben/Thiesing/Ehlermann, EWG-Komm., Art. 30, Rdnr. 127 ff.; Matthies, in Grabitz/Hilf, Komm, zur Eur. Un., Rdnr. 5 und 41 zu Art. 30; Dauses, RiW 1984, 197 ff. und ders., Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, C I 4, Rdnr. 80; Dagtoglou, Koinotikes Eleftheries, S. 42; Schmidt, in Rengeling (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 62 f.; Mohr, Technische Normen und freier Warenverkehr in der EG, S. 96, 101 ff.; Shaw, European Community Law, S. 274; Wainwright/Melgar, RMC 1994, 533 f.; trotz mancher Vorbehalte auch Gormley, Prohibiting Restrictions on Trade within the EEC, S. 260 f. 37 S. EuGH Rs. 177 und 178/82, Officier van Justitie/van de Haar, Slg. 1984, 1797 (1812 f., Tz. 11 ff); vgl. auch den Sachverhalt Apple and Pear Development Council/ Lewis, EuGH Rs. 222/82, Slg. 1983, 4083, wo der Gerichtshof zwischen staatlichen und privaten Trägem bei der Anwendung der Art. 30/34 EGV differenziert; vgl. auch die Erwägungsgründe 1 und 2 der RL 70/50 (Abi. EG Nr. L 13/29 vom 13.1.1970); Generalanwalt Gulmann, in EuGH Rs. C-47/90, Éts. Delhaize & Cie "Le Lion" SA/Promalvin SA und AGE Bodegas Unidas SA, Slg. 1992, 1-3669 (3702); a.A. Steindorff, in Festschrift Lerche, S. 589, wonach die Rechtsprechung zu den gewerblichen Schutzrechten die Drittwirkung aller Grundfreiheiten und insbesondere des Art. 30 EGV bedeutet. 38 EuGH Rs. 311/85, Slg. 1987, 3801 (3830), Tz. 30. 36
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4. Kap.: Europarecht
Was die Geltendmachung von gewerblichen Schutzrechten betrifft, so stellte der EuGH im Urteil Bayer39 ebenfalls ausdrücklich klar, daß das Verbot des Art. 36 EGV sich lediglich auf die Anwendung einer nationalen Regelung über die Ausübung eines gewerblichen Schutzrechts durch den einzelnen bezieht; "dagegen gelten für Vereinbarungen zwischen Unternehmen die durch die Art. 85 ff. EWG-Vertrag aufgestellten Wettbewerbsregeln". Im Einklang mit dieser Rechtsprechung geht die herrschende Lehre davon aus, daß nicht die subjektive Geltendmachung der gewerblichen Schutzrechte, sondern die diese Geltendmachung gestattende nationale Gesetzgebung und Rechtsprechung durch Art. 36 EGV verboten werde40, wie dies bereits 1976 GA Mayras bemerkt hatte41. Auch wenn man dieser Ansicht nicht zustimmen wollte42, bliebe doch der Fall der gewerblichen Schutzrechte eine auf Art. 36 beschränkte Ausnahme, welche die Regel, daß nämlich Art. 30 und 34 EGV nur staatliche Maßnahmen betreffen, eher bestätigt43. Eine heute sich im Vordringen befindende Meinung behauptet nun nach demselben Muster aber in umgekehrter Richtung, daß die erwähnte Rechtsprechung zum freien Warenverkehr (Art. 30 ff. EGV) auch eine Bedeutung für den Bereich der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit besitzen sollte. Diese Betrachtungsweise beschränkt die Tragweite der Rechtsprechung Defrenne, Walrave und Donà auf kollektive Regelungen der Arbeits- und Dienstleistungsausübung, die den Standesregelungen und Tarifverträgen
39
EuGH Rs. 65/86, Bayer/Süllhöfer, Slg. 1988, 5249 (S. 5285, Tz. 11 ff.). Müller-Graff, in v.d.Groeben/Thiesing/Ehlermann, EWG-Komm. Art. 30, Rdnr. 121; Matthies, in Grabitz/Hilf, Komm, zur Eur. Un., Art. 30, Rdnr. 6 und Art. 36, Rdnr. 22; Dagtoglou, Koinotikes Eleftheries, S. 43; Marenco, CDE 1984, 291 ff. (344); Marenco/Banks, ELR 1990, 224 ff. (226). Ausführlich Quinn/MacGowan, ELR 1987, 172 ff. 41 Schlußanträge zum Urteil EuGH Rs. 119/75, Terrapin/Terranova, Slg. 1976, 1070. 42 S. Steindorff, in Festschrift Lerche, S. 579 ff.; Koch, in Grabitz/Hilf, Komm, zur Eur. Un., Art. 85, Rdnr. 221; Waelbroeck, in Liber amicorum Pescatore, S. 786. 43 Die Beschränkung des Verbots mengenmäßiger Ein- und Ausfuhrbeschränkungen auf staatliche Maßnahmen bedeutet allerdings nicht, daß dieses Verbot überhaupt nicht auf privatrechtliche Beziehungen einwirken kann. Private können sich gegenseitig auf dieses Verbot berufen, wenn der Ausgang ihres Rechtsstreits von der Vertragswidrigkeit von nationalen Vorschriften als staatliche Maßnahmen i.S. von Art. 30/34 EGV abhängt. In diesem Fall handelt es sich um eine vertragskonforme Anwendung nationalen Rechts und somit um einen Fall mittelbarer Drittwirkung. S. EuGH Rs. C-47/90, Éts. Delhaize & Cie "Le Lion" SA/Promalvin SA und AGE Bodegas Unidas SA, Slg. 1992,1-3669, mit Urteilsanmerkung von Stuyck, CMLR 1993, 859. 40
Π. Bindung an die Grundfreiheiten des EG-Vertrags
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gleichgestellt werden, und betont die ausschließliche Staatsgerichtetheit aller Grundfreiheiten des Vertrags 44. Insgesamt kann man eine Kehrtwende in der Judikatur des EuGH beobachten. Während die Rechtsprechung der siebziger Jahre die deutliche Tendenz zeigte, die Horizontalgeltung der Grundfreiheiten des Vertrags zu bejahen, ist in den achtziger und neunziger Jahren in dieser Hinsicht eine Zurückhaltung des EuGH festzustellen: Schritt für Schritt hat der Gerichtshof die Wirkung der Vertragsfreiheiten, vor allem der Freiheit des Warenverkehrs, auf die Beziehungen der Bürger zu den Mitgliedstaaten beschränkt. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf den Adressatenkreis der Art. 30 ff. EGV. Wenn man aber von einer Staatsgerichtetheit aller Vertragsfreiheiten ausgehen sollte, würden sie eine allgemeinere Bedeutung besitzen.
2. Die Qualifikation von verselbständigten Verwaltungseinheiten als Adressaten der Bindungen aus Art. 30 und 34 EGV a) Die Kriterien
der Rechtsprechung in Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 169 EGV
Für die Anwendung der Regelungen des freien Warenverkehrs war es lange herrschende Auffassung, daß nur öffentlich-rechtliche Maßnahmen45 bzw. nur Rechtsakte öffentlich-rechtlicher Organisationen46 vom Verbot mengenmäßi44 Troberg, in v. d. Groeben/Thiesing/Ehlermann, EWG-Komm., Art. 52, Rdnr. 43 und Art. 59, Rdnr. 32; Roth, in Dauses (Hrsg.), Handbuch, des EG-Wirtschaftsrechts, E 1, Rdnr. 16 ff zu Art. 52 und 59 EGV; Ullrich, RIW Beil. 23 zu Heft 12 (1990), 1 ff. (7); Jarass, RiW 1993, 1 ff. (7); ders., in Festschrift Lerche, S. 443 ff. (457); Jarass führt das Urteil Defrenne Π auf den staatlichen Charakter der staatlichen Fluggesellschaft Sabena zurück und akzeptiert eine nur mittelbare Drittwirkung. 45 S. Seidel, NJW 1967, 2081 ff. (2083); Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 589; Brändel, GRUR 1980, 512; Béraud, RTDE 1968, 278 f., knüpft auch an die hoheitliche Handlungsform an, da er als Maßnahmen i.S. von Art. 30 EGV diejenigen Akte "halböffentlicher und beruflicher Organisationen" ansieht, die in Ausübung von staatlich delegierten Befugnissen ergehen und die regelmäßig der öffentlichen Gewalt ("autorité publique") vorbehalten sind. 46 Für die Ansicht, daß nur öffentlich-rechtliche Verwaltungsorganisationen an Art. 30 EGV gebunden sind, während Maßnahmen öffentlicher Unternehmen an sich keine staatlichen Maßnahmen darstellen, s. Matthies, in Festschrift Ipsen, S. 679; ders., in Grabitz/Hilf, Komm, zur Eur. Un., Art. 30, Rdnr. 5: Matthies sieht die Ausübung ho-
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4. Kap.: Europarecht
ger Ein- und Ausfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung erfaßt werden. Diese Auffassung wurde vom EuGH im Urteil Kommission/Irland47 eindeutig widerlegt. Gegenstand dieses Verfahrens war die Frage, ob die Durchführung einer Werbekampagne zur Förderung einheimischer Produkte sowie die Einfuhrung des Etiketts "Guaranteed Irish" durch die handelsrechtliche Gesellschaft Irish Goods Council als von Art. 30 EGV verbotene staatliche Maßnahmen zu beurteilen wären. Im Gegensatz zu den Schlußanträgen des Generalanwalts Capotorti hat dies der EuGH bejaht. In einem ersten Schritt prüft der Gerichtshof die Stellung des Irish Goods Council, um zunächst festzustellen, ob ein Vertragsverletzungsverfahren überhaupt statthaft ist. Die Rechtsprechung des EuGH benutzt regelmäßig die Zurechnung einer Handlung zur staatlichen Gewalt als Kriterium für die Einführung eines solchen Verfahrens gegen einen Mitgliedstaat48. In diesem Zusammenhang führt der Gerichtshof aus: "Sonach beruft die irische Regierung die Vorstandsmitglieder des Irish Goods Council, unterstützt ihn durch öffentliche Gelder, die den größeren Teil seiner Ausgaben decken und bestimmt schließlich in großen Zügen die Ziele der von dieser Einrichtung geführten Kampagne zur Förderung des Absatzes und des Kaufs irischer Erzeugnisse. Unter diesen Umständen kann sich die irische Regierung nicht darauf berufen, daß die Kampagne von einer privatrechtlichen Gesellschaft durchgeführt worden sei, um sich so jeglicher Verantwortung zu entledigen, die ihr nach den Vorschriften des Vertrags auferlegt werden könnte"49.
Nach der Bejahung der Zulässigkeit des Vertragsverletzungsverfahrens, bemerkt der EuGH zum staatlichen Charakter der Maßnahmen, daß diese beiheitlicher Gewalt als den ausschlaggebenden Faktor an. Ebenfalls Dauses, RTDE 1992, 607 ff. (611), beschränkt den Kreis der Adressaten dieser Vorschriften auf die Gebietskörperschaften und die juristischen Personen des öffentlichen Rechts; ähnlich Nestor, in Nestor/Papastamkos/Ioannidou, Koinotiko Dikaio kai Dimosies Epiheiriseis, S. 23 f.; Nestor schließt eine Verantwortung öffentlicher Unternehmen aus, wenn sie im Sinne "ihrer unternehmerischen Interessen handeln". 47 Rs. 249/1981, Slg. 1982,4005. 48 S. die Schlußanträge des GA Lenz, in EuGH Rs. C-24/91, Kommission/Spanien, Slg. 1992, 1-1989 (1996); Hailbronner, in Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, HdKomm. zum EUV, Art. 169, Rdnr. 5; Krück, in v. d. Groeben/Thiesing/Ehlermann, EWG-Komm., Art. 169, Rdnr. 4; Karpenstein in Grabitz/Hilf, Komm, zur Eur. Un., Art. 169, Rdnr. 12; Bleckmann, EuropaR, S. 220. 49 Slg. 1982,4020, Tz. 15.
Π. Bindung an die Grundfreiheiten des EG-Vertrags
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den Aktivitäten "ein Ausdruck der wohldurchdachten Absicht der irischen Regierung" waren, "eingeführte Erzeugnisse auf dem irischen Markt durch inländische Waren zu ersetzen und dadurch die Einfuhren aus den anderen Mitgliedstaaten einzudämmen". Diese Aktivitäten laufen nach Auffassung des Gerichtshofs auf eine von der irischen Regierung eingeführte und unterstützte nationale Praxis hinaus, "deren mögliche Wirkung auf die Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten mit der Wirkung vergleichbar ist, die Regierungsakte mit zwingendem Charakter haben"50. Der EuGH bringt seine Auffassung auf folgenden Punkt: "Selbst Regierungsakte eines Mitgliedstaates ohne zwingenden Charakter können das Verhalten der Händler und der Verbraucher beeinflussen und somit die Erreichung der in Artikel 2 des Vertrags genannten und in Artikel 3 näher angeführten Ziele der Gemeinschaft vereiteln". Diese Formulierung erklärt eindeutig, daß der hoheitliche oder schlicht öffentlich-rechtliche Charakter einer Maßnahme keine Bedeutung für ihre Qualifikation besitzt. Eine Maßnahme ist immer staatlich wenn sie einem staatlichen Träger zugeordnet werden kann. Entscheidend ist ihre tatsächliche Wirkung, die ja letztendlich auch auf die Unterstützung der irischen Regierung zurückzuführen ist. In Anlehnung an dieses Urteil betrachtet die herrschende Lehre die Zurechnung zum Staat als das maßgebliche Qualifikationskriterium einer Maßnahme i.S. von Art. 30 EGV, ohne daß es dabei auf die Organisationsform des handelnden Trägers letztlich ankommt. Demnach sei es ausschlaggebend, ob der Staat Kontrolle über die fragliche, ggf. privatrechtliche, Verwaltungseinheit ausübt, und damit, ob ihr Verhalten ein mittelbares Verhalten einer staatlichen Behörde darstellt51.
50
Slg. 1982, 4022 f., Tz. 23 ff. Müller-Graß\ in v. d. Groeben/Thiesing/Ehlermann, EWG-Komm., Art. 30, Rdnr. 121; Gormley, Prohibiting Restrictions, S. 259; Stolz, Das öffentliche Auftragswesen in der EG, S. 31 f.; Schaefer, Die unmittelbare Wirkung, S. 44; Mattera, RMC 1976, 505; Schmidt, in Rengeling (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 62 f.; Toufait, DS 1982 (Chroniques), 37 ff. (42); Lecrenier, RMC 1985, 6 ff. (13); Dagtoglou, Koinotikes eleftheries, S. 42; Mohr, Technische Normen, S. 103 ff ; Dauses, RTDE 1992, 611; ähnlich stellt Oliver, Free Movement of Goods, S. 40 auf die Benutzung des Trägers als Instruments des Staates ab. S. auch Pernice in Zusammenhang mit der Frage nach der Bindung von öffentlichen Unternehmen an die Grundfreiheiten des EGV in Grabitz/Hilf, Komm, zur Eur. Un., Art. 90 Rdnr. 5; speziell zu den öffentlichen Unternehmen Schmidhuber/Hitzler, ZögU 1990, 397 ff. (404); Wainwright/Melgar, RMC 1994, 534. 51
282
4. Kap.: Europarecht
In einer Reihe von Vertragsverletzungsverfahren, die sich mit der Qualifikation von Maßnahmen i.S. der Art. 30fif. EGV auseinandersetzen, wurden die Erkenntnisse dieses Urteils explizit oder implizit bestätigt. Im Verfahren Kommission/Irland52 hatte die Gemeinde Dundalk das Angebot von Wasserröhren spanischer Herstellung bei ihrer Auftragsvergabe nicht berücksichtigt. Nach Auffassung der Kommission sei das Stadtbezirk Dundalk eine öffentliche Körperschaft, deren Handlungen der irischen Regierung zurechenbar seien. Die irische Regierung hat dieses Vorbringen nicht bestritten, so daß diese Handlung als Maßnahme i.S. des Art. 30 EGV qualifiziert wurde33. Im Vertragsverletzungsverfahren Kommission/Dänemark34 ging es um die Qualifikation einer Bedingung der Verdingungsunterlagen der Aktieselskabet (Aktiengesellschaft) Storebaeltsforbindelsen. Diese Gesellschaft stand unter der vollständigen Kontrolle des dänischen Staates und hatte die Aufgabe, das Vorhaben des Baus einer Straßen- und Schienenverbindung über den großen Belt auszuarbeiten und als Bauherr dessen Ausführung zu beaufsichtigen. Bei der Vergabe eines Auftrags zum Bau der Brücke über den westlichen Teil des großen Belts verlangte die genannte Gesellschaft in ihren "gemeinsamen Bedingungen", daß der Auftragnehmer soweit wie möglich dänische Baustoffe und Verbrauchsgüter sowie dänische Arbeitskräfte und Ausrüstungen benutzen sollte. Dazu bemerkt der EuGH lediglich, daß die vorliegende Klausel mit Art. 30, 48 und 59 EGV (wie auch mit der Baukoordinierungsrichtlinie 71/305) unvereinbar ist, was die dänische Regierung auch nicht bestritten hatte. Die Struktur des Vertragsverletzungsverfahrens hat in diesen Urteilen, vor allem im Sachverhalt Irish Goods Council, eine maßgebliche Rolle gespielt. In den Verfahren nach Art. 169 EGV vermischt sich die Problematik der Qualifikation einer Maßnahme als staatlich mit der prozessualen Frage der passiven Legitimation des verklagten Mitgliedstaates. Der Mitgliedstaat allein (und nicht seine Untergliederungen) können im Rahmen dieses Verfahrens verklagt werden. Der Gerichtshof hat zwar in einem Verfahren nach Art. 169/170 EGV nach wie vor zur Frage der staatlichen Qualität der Maßnahme als Tatbestandsmerkmal des Art. 30 EGV getrennt zu entscheiden, doch führt die Struktur des Verfahrens nach Art. 169 EGV zwangsläufig zu einer Vermengung der beiden Problemkreise. Die Frage nach der Zulässigkeit der Klage 32 33 34
EuGH Rs. 45/87, Slg. 1988,4929. Slg. 1988,4962, Tz. 12. EuGH Rs. C-243/89, EuZW 1993, 607.
Π. Bindung an die Grundfreiheiten des EG-Vertrags
283
wird stets im voraus zu beantworten sein und läßt eine differenzierende Beantwortung der Frage nach dem staatlichen Charakter der Maßnahme kaum zu: Es wäre in der Tat ein Paradoxon, wenn ein Staat als verantwortlich für das Verhalten einer Einrichtung zu betrachten wäre, welche an sich nicht als staatlich qualifiziert wird. Die Problematik der Bestimmung des staatlichen Charakters von Maßnahmen i.S. von Art. 30 EGV erlangt eine selbständige Bedeutung vor allem im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EGV.
b) Die Qualifikation von verselbständigten Verwaltungseinheiten im Rahmen von Verfahren nach Art. 177 EGV
Im Urteil Apple and Pear Development Council/Lewis55 handelte es sich um ein Vorabentscheidungsverfahren nach 177 EGV. Der britische Staat hatte durch Gesetz einen Träger zur Förderung bestimmter Obstsorten56 errichtet. Die Mitgliedschaft der Erzeuger von Äpfeln und Birnen war zwingend. Der besagte Träger erhob aufgrund einer ministeriellen Verordnung eine Pflichtabgabe auf seine Mitglieder, um seine Tätigkeiten - u.a. Förderung der Produktion, der Vermarktung und des Absatzes dieser Erzeugnisse - zu finanzieren. Drei solche Erzeuger weigerten sich, die Abgabe zu zahlen und erhoben Gegenklage auf Rückzahlung der bereits entrichteten Beiträge vergangener Jahrgänge. Der englische County Court legte dabei dem EuGH die Frage vor, ob u.a. die Errichtung und Fortführung einer Einrichtung mit den genannten Aufgaben eine nach Art. 30 EGV verbotene Maßnahme darstellte. Der Gerichtshof stellte die Vertragsgemäßheit der gesetzlichen Errichtung und Fortführung des Trägers in Bezug zur Vertragskonformität der Aufgaben des Council. Was die Werbemaßnahmen des Council betrifft, so konstatiert der EuGH: "Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 24. November in der Rechtssache 249/81 (sc. Irish Goods Council) entschieden hat, kann eine Werbekampagne, die den Absatz und Kauf einheimischer Erzeugnisse fördern soll, unter bestimmten
35
Rs. 222/82, Slg. 1983, 4083. Zu diesen Aufgaben gehörten u.a. die Förderung der Auslandsgeschäfte einschließlich der Förderung oder Durchführung von Werbemaßnahmen im Ausland, sowie die Förderung oder die Durchführung von Maßnahmen, welche die Öffentlichkeit im Vereinigten Königreich mit den Erzeugnissen des Wirtschaftsbereichs und deren Verwendungsmöglichkeiten besser vertraut machen sollten. 36
284
4. Kap.: Europarecht
Umständen unter das Verbot des Art. 30 EWG-Vertrag fallen, wenn sie von amtlichen Stellen unterstützt wird. Eine Körperschaft wie der Council, die von der Regierung eines Mitgliedstaats errichtet worden ist und durch eine bei den Erzeugern erhobene Abgabe finanziert wird, kann nämlich von Gemeinschaftsrechts wegen hinsichtlich der Werbemethoden nicht dieselbe Freiheit genießen wie die Erzeuger selbst oder die freiwillige Erzeugergemeinschaften. Eine solche Körperschaft ist insbesondere verpflichtet, sich jeder Werbung zu enthalten, die vom Kauf von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten abhalten und die solche Erzeugnisse in den Augen der Verbraucher herabsetzen soll. Sie darf auch nicht den Verbrauchern zum Kauf einheimischer Produkte ausschließlich aufgrund ihres inländischen Ursprungs raten."57.
Der Gerichtshof trifft damit eine allgemeinere Aussage zu den Maßstäben der Staatlichkeit: Die Werbekampagnen des Council seien als staatliche Maßnahmen zu qualifizieren, weil der handelnde Träger vom Staat bei der Ausführung solcher Maßnahmen unterstützt werde; diese Unterstützung zeige sich an der Errichtung durch staatlichen Akt sowie an der mittelbaren Finanzierung (über die Auferlegung eines Zwangs zur Mitgliedschaft und einer Pflichtabgabe auf die betroffenen Erzeuger) der Einrichtung durch den Staat. Dabei wird auf die Argumentation des vorgegangenen Urteils Kommission gegen Irland Bezug genommen: Das Kriterium der Unterstützung der fraglichen Einrichtung wäre als eine Sonderform der Kontrolle zu betrachten. Die Zurechnung des Verhaltens des Trägers zum staatlichen Handeln scheint damit auch hier die zentrale Rolle zu spielen. Es ist allerdings anzumerken, daß das vom EuGH zitierte Urteil Kommission/Irland nicht ohne weiteres übereinstimmend in seiner Problematik war: Die Frage der Zurechnung einer Maßnahme zum Staat nach Art. 169 EGV stand im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren gar nicht in Rede. Der spätere Fall The Queen/Royal Pharmaceutical Society of Great Britain, ex p. Association of Pharmaceutical Importers and Others58 zeigte die Komplexität der Qualifikation von Trägern bei Vorabentscheidungsverfahren. Die Berufsorganisation der Apotheker im Vereinigten Königreich (Royal Pharmaceutical Society) hatte in den Hinweisen zu ihrem Ehrenkodex ihren Mitgliedern grundsätzlich verboten, ein in einer ärztlichen Verordnung genanntes Arzneimittel durch ein anderes zu ersetzen, selbst wenn der Apotheker die 57 58
EuGH Rs. 222/82, Slg. 1983,4119 f., Tz. 17 und 18. EuGH Rs. 266 und 267/87, Slg. 1989,1295.
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beiden Präparate hinsichtlich der therapeutischen Wirkung und Qualität gleich einstufen würde. Der Vorstand der Apothekerkammer hatte sogar in einer Verlautbarung bestätigt, daß diese Vorschrift "für eingeführte Arzneimittel ebenso gilt wie für solche, die für den Markt des Vereinigten Königreiches hergestellt sind". Zuwiderhandlungen waren disziplinarisch zu ahnden59. In zwei Gerichtsverfahren klagte der Verband der Arzneimittelimporteure (Association of Pharmaceutical Importers) und seine Mitglieder gegen die Kammer wegen dieses Hinweises und der genannten Verlautbarung. Der Court of Appeal setzte das Verfahren aus und fragte den Gerichtshof nach der Vereinbarkeit dieser Maßnahmen mit den Bestimmungen über den freien Warenverkehr. Zur Frage des staatlichen Charakters ihrer Maßnahmen führte die beklagte Körperschaft aus, daß sie unabhängig vom Parlament handle. Der vom Parlament eingerichtete Disziplinarausschuß der Beklagten sei ebenfalls unabängig; weder berichte er dem Vorstand der Pharmaceutical Society noch mache er ihm Empfehlungen. Der EuGH bemerkt, daß die Körperschaft der Apotheker durch königlichen Akt (Royal Charter) im Jahre 1843 Rechtspersönlichkeit erhalten hat und daß sie im britischen Recht auch vorgesehen ist. Der Gerichtshof beschreibt die Merkmale der Körperschaft wie folgt: "Sie ist die einzige Standesorganisation der Apotheker. Sie führt das Verzeichnis, in dem jeder Apotheker eingetragen sein muß, um seinen Beruf auszuüben. Nach dem Vorlagebeschluß erläßt sie das Standesrecht der Apotheker. Nach britischem Recht wurde außerdem im Rahmen der Royal Society ein Ausschuß geschaffen, der gegen Apotheker Disziplinarmaßnahmen wegen Verstoßes gegen Standesrecht verhängen kann -die Disziplinarmaßnahmen gehen bis zur Streichung aus dem Register- und dessen Entscheidungen vor dem High Court angefochten werden können".
Damit kommt der EuGH zum Ergebnis: "Maßnahmen einer Standesorganisation, der nach nationalem Recht derartige Befugnisse zustehen, stellen Maßnahmen im Sinne des Art. 30 EWG-Vertrag dar, wenn sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen können".
In diesem Urteil scheint eher die hoheitliche Stellung der Körperschaft, ihre allgemeine Ausstattung mit hoheitlichen Befugnissen von maßgeblicher Bedeutung zu sein: Betont wird ihre Befugnis Standesrecht zu erlassen sowie 59
Zum Sachverhalt s. Leigh Hancher, in der Urteilsbesprechung, CMLR 1989, 729.
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4. Kap.: Europarecht
Disziplinargewalt auf ihre Mitglieder auszuüben. Damit folgt der Gerichtshof dem Vorschlag von GA Marco Darmon, der in seinen Schlußanträgen besonders die Natur der Befugnisse der Apothekerkammer unterstrichen hat: Solche Befugnisse, "die über das bürgerliche Recht hinausgehen (...)", "unterscheiden sich ganz wesentlich von den Eigenschaften normaler privater Organisationen". Insgesamt wird die Körperschaft als ein Träger beschrieben, dem staatliche Hoheitsgewalt innerhalb eines Rahmens gesetzlicher Berufsregelungen delegiert wurde. Es kommt nicht darauf an, ob diese Befugnisse bei der konkreten Maßnahme ausgeübt wurden; maßgeblich ist die hoheitliche Position des Trägers, die ja durch die Ausstattung mit solchen Befugnissen untermauert wird. Der GA betont zudem, daß die Apothekerkammer einen Berufsverband darstellt und daß sie eine "öffentliche Leistung im Allgemeininteresse" erbringt 60. In der Tat scheint auch der EuGH die Natur der wahrgenommenen Aufgaben ebenfalls nicht völlig außer acht zu lassen: Im Urteil läßt sich eine Anspielung auf die Bedeutung der Gemeinwohlbezogenheit der Aufgaben des Trägers nicht nur in der Beschreibung der Funktionen der Kammer, sondern auch in der Betonung des Charakters der Kammer als Standesorganisation erkennen61. Gleichwohl vermeidet der Gerichtshof eine allgemeinere Aussage zum Wesen des staatlichen Charakters von Einrichtungen, deren Handlungen unter das Verbot der Art. 30 ff. EGV fallen. Vielmehr gewichtet er die konkreten Charakteristika des vorliegenden Trägers und kommt zu einem Ergebnis, aus dem sich nur mit Mühe allgemeinere Ergebnisse der beschriebenen Art gewinnen lassen. Im Verfahren Hennen Olie BV/Stichting Interim Centraal Orgaan Voorraadvorming Aardolieprodukten 62 ging es um die Qualifikation von Maßnahmen einer niederländischen Bevorratungsstelle für Erdölprodukten (ICOVA), die als ein Verband von Unternehmen der Erdölindustrie organisiert war. Der Gerichtshof stellt fest, daß die fragliche Organisation errichtet worden war, um die ihr durch das Gesetz zugewiesenen Aufgaben auszuführen. ICOVA spielte damit eine wichtige Rolle und erfüllte die aufgrund einer entsprechenden Richtlinie den Niederlanden obliegende Verpflichtung zur Bevorratung von Erdöl. Auch wenn ICOVA nicht formal 60 61 62
Slg. 1989, 1313; Hervorhebungen im Original. Tz. 15. EuGH Rs. C-302/88, Slg. 1990,1-4625.
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zur Staatsverwaltung gehörte, stand sie unter der Kontrolle der Behörden und war an ihre Weisungen gebunden. Der EuGH fuhrt weiter aus, daß die Mitglieder des Vorstands des fraglichen Trägers vom zuständigen Minister ernannt wurden; der Minister besaß die Befugnis, verbindliche Weisungen zu erteilen, den Träger aufzulösen sowie den Haushaltsentwurf und den Jahresabschluß zu genehmigen. Der Gerichtshof kommt zum Ergebnis, daß die Handlungen einer Einrichtung, die einer solchen behördlichen Kontrolle unterliegt, unabhängig von der Rechtsform des fraglichen Trägers den grenzüberschreitenden Handel beeinflussen können63. Im Urteil Hennen Olie scheint der Europäische Gerichtshof seine kasuistische Vorgehensweise fortzuführen. Der Gerichtshof knüpft an die Kontrolle, die Instrumentalisierung einer Organisation, deren Mitglieder auch nur Private sein können, durch den Staat an. Damit wird weiterhin Bezug auf die Grundlinie der Rechtsprechung Kommission/Irland genommen. Gleichzeitig wird auch die Einbindung der Organisation in einen gesetzgeberischen Gesamtrahmen der Aufgabenerfüllung betont. Im Gegensatz zum Urteil Royal Pharmaceutical Society wird das Kriterium der Ausübung hoheitlicher Gewalt hier nicht erwähnt. Man hat damit den Eindruck, daß beide Kriterien (hoheitliche Befugnisse und Kontrolle durch den Staat) alternativ eingesetzt werden mit dem Zweck der Maximierung der praktischen Wirksamkeit der Art. 30 ff. EGV. Andererseits wird die Formel des Royal Pharmaceutical Society-Urteils im späteren Fall Hünermund u.a./Landesapothekerkammer Baden-Württemberg64 wiederholt. Dreizehn Apotheker, die Werbung für apothekenübliche Waren auch außerhalb der Räume ihrer Apotheke betreiben wollten, haben vor dem VGH Baden-Württemberg einen Antrag auf Normenkontrolle hinsichtlich der im §10 Nr. 15 BerufsO der fraglichen Körperschaft enthaltenen Regelung gestellt. Nach dieser Vorschrift ist die Werbung für apothekenübliche Waren außerhalb der Apotheke verboten. Der VGH Bad.-Würt. legte dem EuGH die Vorfrage vor, ob die genannte Vorschrift im Einklang mit Art. 30 und 36 EGV stehe. Der Charakter der Regelung als staatliche Maßnahme wurde vom Gerichtshofbejaht, obwohl letztendlich die Vertragswidrigkeit des Verbots an sich abgelehnt wurde. Der EuGH bemerkt zum Vorbringen der Kammer, daß eine 63
Tz. 14-16. EuGH Rs. C-292/92, Slg. 1993, 1-6787 = EuR 1994, 91 = EuZW 1994, 119 = DVB1. 1994, 745 = EuGRZ 1994, 161. 64
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solche Regelung keine Maßnahme i.S. des Art. 30 EGV sei, weil nach deutschem Recht nur die Landesbehörden ein Berufsverbot zu erteilen befugt seien, folgendes: "Zu diesem Punkt ergibt sich aus dem Vorlagebeschluß, daß die Landesapothekerkammer nach deutschem Recht eine der staatlichen Aufsicht unterstehende Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, der alle Apotheker, die im Land Baden-Württemberg ihren Beruf ausüben, zwangsläufig angehören. Außerdem erläßt diese Kammer die für die Apotheker geltenden Standesregeln und überwacht die Erfüllung der Berufspflichten durch die Kammermitglieder. Schließlich können bei dieser Kammer gebildete Berufsgerichte, denen auf Vorschlag der Kammer bestellte Kammermitglieder angehören, gegenüber den Apothekern, die gegen Standesregeln verstoßen haben, Disziplinarmaßnahmen wie Geldbußen, Aberkennung der Mitgliedschaft in den Organen der Kammer oder Aberkennung des Wahlrechts und der Wählbarkeit in die Organe der Kammer verhängen. Der EuGH hat bereits entschieden (vgl. Rs. 266/87 und 267/87-Royal Pharmaceutical Society), daß Maßnahmen einer Standesorganisation, der nach nationalem Recht derartige Befugnisse zustehen, "Maßnahmen" i.S. von Art. 30 EGV darstellen, wenn sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen können. Diese Feststellung wird keineswegs dadurch in Frage gestellt, daß die Landesapothekerkammer, um die es im Ausgangsverfahren geht, anders als die in diesem Urteil genannte Standesorganisation, nicht befugt ist, ihren Mitgliedern die zur Berufsausübung erforderliche Approbation zu entziehen"63. Nicht nur aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf das Urteil Royal Pharmaceutical Society sondern auch aus dem gesamten Wortlaut ist deutlich ersichtlich, daß der EuGH das Indizienbündel seines früheren Urteils hier einfach "durchdekliniert": Zwangsmitgliedschaft, Erlaß von Standesrecht und Disziplinarbefugnisse der Kammer werden auch hier vom EuGH hervorgehoben. Zusätzlich erscheinen in diesem Urteil als Indizien der öffentlichrechtliche Charakter der Körperschaft und die staatliche Aufsicht. Beide Gesichtspunkte scheinen nicht die ausschlaggebende, sondern eine eher akzentuierende Rolle zu spielen66. Zu bedenken ist auch, daß im Fall der britischen Kammer die öffentlich-rechtliche Form nicht in Frage kam, da das englische Recht den Unterschied zwischen privat- und öffentlich-rechtlichen Organisa-
63 66
Slg. 1993,1-6821 f., Tz. 14 ff. Die Maßgeblichkeit der Rechtsform ablehnend Becker, EuR 1994, 162 f.
ΠΙ. Bindung an nicht umgesetzte Richtlinien
289
tionsformen nicht kennt; statt dessen wird dort auf die Tatsache der Gründung durch königlichen Akt abgestellt.
I I I . Die Bestimmung des Kreises der an nicht umgesetzte Richtlinien gebundenen Träger 1. Nicht rechtzeitig und nicht ordnungsgemäß umgesetzte Richtlinien als staatliches Sonderrecht Die Richtlinie stellt eine besondere Form von Rechtsvorschrift dar, die für das ursprüngliche Konzept der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft charakteristisch ist. Nach Art. 189 EGV sind die grundsätzlich vom Rat erlassenen Richtlinien (wie die EGKS-Empfehlungen) an die Mitgliedstaaten gerichtet und binden sie lediglich in bezug auf die zu erreichenden Ziele; den Mitgliedstaaten sollte demnach die Umsetzung der Richtlinien in innerhalb der jeweiligen Rechtsordnung unmittelbar geltende Rechtssätze vorbehalten bleiben, wobei jeder Mitgliedstaat das Privileg der Wahl der Form und der Mittel dieser Umsetzung genießen sollte. Aus dieser Bestimmung folgt ohne Zweifel, daß erstens die Geltung des Inhalts der Richtlinie zugunsten und zulasten der Rechtsbürger von einem staatlichen Umsetzungsakt abhängig ist und daß zweitens die Richtlinien hinsichtlich ihrer verbindlichen Ziele nur die Mitgliedstaaten verpflichten, weil sie eben nach 189 EGV nur an Mitgliedstaaten gerichtet sind. Der Europäische Gerichtshof hat jedoch diese Konstruktion im ersten Punkt wesentlich modifiziert. In Fällen, wo der betreffende Mitgliedstaat die fragliche Richtlinie trotz Ablaufs der Umsetzungsfrist nicht oder nicht adäquat umgesetzt hatte, iudizierte der Gerichtshof, daß bei inhaltlich unbedingter und hinreichend genauer Richtliniengestaltung Privatpersonen sich unmittelbar auf den Richtlinieninhalt berufen könnten67. Der Gerichtshof begründete seine Rechtsauffassung am Anfang dieser Rechtsprechung68 mit dem Argument der Maximierung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinien.
67
Zuerst EuGH Rs. 9/70, Grad, Slg. 1970, 825 (828); Rs. 33/70, SACE, Slg. 1970, 1213 (bezüglich der identisch strukturierten EGKS-Empfehlungen). 68 EuGH Rs. 41/74, Van Duyn, Slg. 1974, 1337 (1348). 19 Gogos
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4. Kap.: Europarecht
Zur Unterstützung dieser eher unsicheren und starken Angriffen 69 ausgesetzten Argumentation fügte der EuGH ab dem sog. Ratti-Urteil 70 eine neue Begründung hinzu. Grund der unmittelbaren Wirksamkeit der Richtlinien (=RL) im Staat-Bürger-Verhältnis ist nach der neueren Rechtsprechung des EuGH das Verbot des Rechtsmißbrauchs ein Treu-und-Glauben bzw. "estopper-ähnliches Prinzip, also die Auffassung, daß der Staat dem Einzelnen sein eigenes Versagen bei der nicht rechtzeitigen oder nicht ordnungsgemäßen Umsetzung der betreffenden Richtlinie nicht entgegenhalten kann ("nemo auditur turpitudinem suam allegans"). Es geht praktisch um eine Einwendimg des Bürgers gegen die staatliche Berufung auf die Nicht-Umsetzung der fraglichen Richtlinie71. Diese Begründung beruht ohne Zweifel auf der Beschränkung der Wirkung nicht umgesetzter Richtlinien auf das Staat-Bürger-Verhältnis 72. Der Grund dafür ist folgender: Nach Art. 189 EGV stellen nur die Mitgliedstaaten Adressaten von Richtlinien dar73. Da Private keiner ähnlichen Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinien unterliegen, wäre ihnen auch kein Rechtsmißbrauch bei einer Berufung auf die Nicht-Umsetzung der Richtlinien vorzuwerfen. Mit Recht wird somit aus dieser Dogmatik gefolgert, daß die unmittelbare Wirkung von nicht umgesetzten Richtlinien nur im sog. vertikalen Verhältnis eine einfache Ableitung aus der Verbindlichkeit der Richtlinie gegenüber den 69
Insbesondere durch den französischen Staatsrat (Cohn-Bendit, CE vom 22.12. 1978, Ree. 1978, 524) und später durch den deutschen Bundesfinanzhof (Urteil vom 16.7.1981, abgedruckt in EuR 1981, 442 mit Anm. Millarg}, s. dazu Nicolaysen, EuR 1984, 380 ff. (387 ff); Green/Hartley/Usher , The Foundations, S. 209 und Curtin, CMLR 1990, 709 ff. (719, FN 55); Nach Wyatt, ELR 1983, 246 sei das Erfordernis der praktischen Wirksamkeit der wahre Grund der unmittelbaren Wirkung der RL. 70 EuGH Rs. 148/78, Pubblico Ministero/Tullio Ratti, Slg. 1979, 1629; EuGH Rs. 8/81, Becker/Finanzamt Münster, Slg. 1982, 53; akzentuiert in EuGH Rs. C-91/92, Faccini Dori/Recreb Sri, Slg. 1994,1-3325 = EuZW 1994, 498 = NJW 1994, 2473, wo das Gericht auf die Alternativen zur horizontalen Wirkung von Richtlinien hinweist (richtlinienkonforme Anwendung nationalen Rechts durch den Richter und Staatshaltung für die Nicht-Umsetzung der RL). 71 Ress, in Gedächtnisschrift Arens, S. 351 ff. (354 ff.). 72 Langenfeld, DÖV 1992, 955 ff. (958 f.); Fischer, NVwZ 1992, 635 ff.; Haneklaus, DVB1. 1993, 129 ff; Sir eil, in Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Die Eur. Un., S. 212; Curtin, ELR 1990, 195 f.; Lutter, JZ 1992, 593 ff. (597). 73 A.A. allerdings Grabitz, in Festschrift Deringer, S. 59 ff., besonders S. 70: Nach Grabitz sind RL nicht ausschließlich an die Mitgliedstaaten gerichtet, sondern stellen immer unmittelbar anwendbares Recht dar.
ΠΙ. Bindung an nicht umgesetzte Richtlinien
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Mitgliedstaaten gemäß Art. 189 I I I EGV ist 74 . Der EuGH hat schließlich niemals ausdrücklich erklärt, daß Richtlinien allgemein eine unmittelbare Wirkung besitzen73, so daß er später die Argumentationslast für eine Beschränkung der Wirkung i m vertikalen Verhältnis nicht zu tragen brauchte. Obwohl diese Begründung der unmittelbaren Wirkung mit der Zeit ins Wanken gerät 76, bekräftigt der EuGH i n mehreren jüngeren Urteilen, daß eine horizontale Richtlinienwirkung ausgeschlossen ist 77 . Diesem Ergebnis der ausschließlichen Staatsgerichtetheit der unmittelbaren Wirkung von nicht rechtzeitig oder nur unzulänglich umgesetzten Richtlinien stimmt auch ein großer Teil der Lehre zu 78 . Diese weist auf den unterschiedlichen Charakter von Richtlinie und Verordnung sowie auf Rechtssicherheitsprobleme bei einer eventuellen Bejahung der horizontalen Wirkung hin 79 . Die verbreitete Gegenauffassung beruft sich dagegen auf die soziale Bedeutung der Bindung Privater an die Richtlinien, die Gleichheit zwischen privaten und öffentlichen Akteuren, insbesondere Unternehmen, sowie auf das hinreichende Maß an Publizität
74 S. EuGH Rs. 152/84, Marshall, Slg. 1986, 749, Tz. 48; Götz, NJW 1992, 1849 ff. (1855); Haneklaus, DVB1. 1993, 131 f.; Kinley, European Public Law 1995, 79 f.; dies gibt auch Richter, EuR 1988, 395 ff. (398 f.) zu, obwohl er an der Richtigkeit der Dogmatik des EuGH zweifelt. Die entgegengesetzte Position nimmt Everting, in Festschrift Carstens, S. 95 ff. (besonders 107 ff.): Nach dieser Analyse bedeutet die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Wirkung von nicht oder nicht rechtzeitig umgesetzten RL die Anerkennung ihrer Wirkung als objektiver Rechtssätze. Dieser objektive Charakter sei ein Ausdruck romanischen Rechtsverständnisses. 73 Pescatore, ELR 1983, 167; die Benutzung des Termini "unmittelbare Wirkung" in diesem Zusammenhang erfolgt aus praktischen Gründen und in Anlehnung an die herrschende Terminologie. 76 Ress, in Gedächtnisschrift Arens, S. 359 ff., weist auf die vom EuGH statuierte Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts hin. 77 EuGH Rs. 152/84, Marshall/South-West Hampshire Area Health Authority, Slg. 1986, 749, Tz. 48; EuGH Rs. 80/86, Kolpinghuis Nijmegen, Slg. 1987, 3969; EuGH Rs. C-106/89, Marleasing/La Commercial Internacional de Alimentación S.A., Slg. 1990, 1-4135 (4158); dezidiert EuGH Rs. C-91/92, Paola Facchini Dori/Recreb Srl., Slg. 1994, 1-3325 (Tz. 22 ff., S. 3356) = EuZW 1994, 498 = NJW 1994, 2473; ebenfalls EuGH Rs. C-l 92/94, El Corte Inglés SA/Cristina Blàzquez Rivero, Slg. 1996, 1-1281 = NJW 1996,1401. 78 Jarass, NJW 1991, 2665 f.; Oldenbourg, Die unmittelbare Wirkung von EGRichtlinien im innerstaatlichen Bereich, S. 259 ff; Herber, EUZW 1991, 401 ff; Freyer, EuZW 1991, 49 ff. (52); Lukes, in Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, Β Π, Rdnr. 63; Haneklaus, DVB1. 1993, 131 ff; Classen, EuZW 1993, 82 ff. (87); Scherzberg, Jura 1993, 225 ff. (228). 79 Ukrow, NJW 1994, 2469; vgl. auch Easson, ELR 1979, 67 ff. (70 ff.).
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4. Kap.: Europarecht
von Richtlinien, insbesondere nach der Statuierung der Veröffentlichungsbedürftigkeit der Richtlinien durch den Maastrichter Vertrag 80. Die Rechtsprechung des EuGH bestätigt dennoch immer wieder, daß nicht rechtzeitig oder nicht ordnungsgemäß umgesetzte Richtlinien nur gegen die Mitgliedstaaten geltend gemacht werden können81.
2. Die gebundenen Träger a) Ansätze zur Lösung der Problematik
Der Europäische Gerichtshof stellt im Urteil Fratelli Constanzo/Stadt Mailand82 klar, daß "alle Träger der Verwaltung einschließlich der Gemeinden und der sonstigen Gebietskörperschaften" an die Vorschriften der noch nicht umgesetzten Baukoordinierungsrichtlinie 71/305 gebunden sind. Der Gerichtshof trifft damit die grundsätzliche Aussage, daß die unmittelbare Wirkung alle Organisationen erfaßt, die als Verwaltungsträger qualifiziert werden. Diesen Begriff des Verwaltungsträgers faßt die herrschende Meinung möglichst weit auf, weil er als geeignetes Druckmittel zur rechtzeitigen und ordnungsgemäßen Umsetzung von Richtlinien dienen könnte83. Die gesamte 80
Für die horizontale Wirkung: Nicolaysen, EuR 1984, 380 ff. (387 ff) und ders., EuR 1986, 370 ff ; Grabitz, in Grabitz/Hilf, Komm, zur Eur. Un., Art. 189, Rdnr. 61a; ders., in Festschrift Deringer, S. 62 ff (insbesondere 70 f.); Ress, in Gedächtnisschrifl Arens, S. 362 ff ; Wyatt, ELR 1983, 245 ff ; Dendrinos, Rechtsprobleme der Direktwirkung, S. 79 f., 105 ff; Bach, JZ 1990, 1108 ff. (1115); Richter, EuR 1988, 397; Sackofsky, in Auf dem Wege zu einer Europäischen Staatlichkeit, S. 101 ff; Hilf, EuR 1993, 1 ff (9 f.); Müller-Graff, NJW 1993, 20 f.; Emmert, EWS 1992, 56 ff. (64 ff); Emmert/Pereira de Azeredo, RTDE 1995, 11 ff. (9 ff); Zahradnik, Privatrechtsverhältnisse, S. 124 ff; Mannin, AJDA 1994 (Sonderheft actualité des marchés publics), 259 ff. (263 f.); vgl. auch GA Lenz in der Rechtssache Faccini Dori, Slg. 1994, 3341 midSchinke, Urteilsanmerkung, DZWiR 1995, 68. 81 S. die Urteile EuGH Rs. C-91/92, Paola Facchini Dori/ Recreb Srl., Slg. 1994,13325 (Tz. 22 ff, S. 3356) = EuZW 1994, S. 498 = NJW 1994, 2473 mit kritischen Anmerkungen von Emmert/Pereira de Azeredo, RTDE 1995, 19 ff, und Schinke, DZWiR 1995, 68. S auch EuGH Rs. C-l 92/94, El Corte Inglés SA/Cristina Blàzquez Rivero, Slg. 1996,1-1281 = NJW 1996, 1401. Vgl. auch Kinley, European Public Law 1995, 82 f. 82 EuGH Rs. C-103/88, Slg. 1989,1-1839 (1871), Tz. 31 f. 83 Bach, JZ 1990,1116; s. auch GA Lenz, in C-91/92, Faccini Dori, Slg. 1994,3336.
ΠΙ. Bindung an nicht umgesetzte Richtlinien
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staatliche Organisation mit ihren Trabanten sollte erfaßt werden84. Hilf sieht solche Einrichtungen als gebunden, die entweder öffentlich-rechtlich organisiert sind oder aber in privatrechtlicher Organisationsform unter staatlicher Aufsicht Aufgaben im öffentlichen Interesse wahrnehmen85. Jarass86 geht noch weiter und bejaht die Bindung aller Staatstrabanten, auch wenn sie rein fiskalisch agieren, d.h. bei Bedarfsdeckungsgeschäften. Die Bindung der unternehmerischen Betätigung des Staates durch Art. 90 EGV an sämtliche Vorschriften des Vertrags sowie eventuelle Ungleichbehandlungen wegen der unterschiedlichen Grenzziehung zwischen öffentlich- und privatrechtlichen Tätigkeiten des Staates in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sprächen nach Jarass fur diese Auffassung. Man kann schließlich gewisse Leitideen zur Bewältigung der Problematik schon in der Begründung der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien durch den EuGH finden. Der venire-contra-factum-proprium Grundsatz gestattet einem Verwaltungsträger nicht, sich auf das Versagen der mit der Umsetzung beauftragten gesetzgeberischen Instanzen zu berufen. Implizit wird damit die Aussage getroffen, daß ein einheitlicher staatlicher Willen und damit eine einheitliche staatliche Gesamtverantwortung für jegliches Tun und Unterlassen aller dem Staat zurechenbaren Institutionen besteht. Der Staat wird damit "von außen her" als ein einheitlicher Gesamtverband angesehen87. Damit wäre die Zurechnung der Einrichtung zum Verantwortungsbereich der staatlichen Gewalt das zentrale Kriterium 88. Verantwortung kann freilich nur dann bejaht werden, wenn auch Ingerenzmöglichkeiten vorhanden sind: Mittelbar, aber eindeutig verweist die Begründung der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien auf das Kriterium der Beherrschimg des fraglichen Trägers durch den Staat hin.
b) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
Der Europäische Gerichtshof war erstmals mit dem Problem der Abgrenzung zwischen Trägern der Verwaltung und nicht-staatlichen Trägern in den 84
Götz, NJW 1992,1856; Dal Farra, RTDE 1992, 631 ff. (642). Hilf EuR 1993, 9. 86 Jarass, NJW 1991, 2665 f.; ebenfalls Fischer, NVwZ 1992, 637. 87 Götz, NJW 1992,1856. 88 Classen, EuZW 1993, 84; Zahradnik, Privatrechtsverhältnisse, S. 108; Prêchai, CMLR 1990,445 ff. (458 f.) zu den Nachteilen dieses Kriteriums. 85
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4. Kap.: Europarecht
Urteilen Auer II 89 und Rienks90 konfrontiert. In beiden Sachverhalten ging es um Strafverfahren gegen Tierärzte, die aufgrund eines Hochschulabschlusses eines anderen Mitgliedstaates, jedoch ohne Zulassung durch die örtlichen Tierärztekammern, beruflich tätig wurden. Dabei stellte sich die Frage, ob eine nationale Vorschrift, die die Ausübung des tierärztlichen Berufes von einer Zulassung zur entsprechenden Kammer abhängig machte, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar war. Ferner stellte sich die Frage, ob die entsprechenden Kammern an die trotz abgelaufener Frist noch nicht umgesetzten Richtlinien über die Anerkennung von beruflichen Berechtigungsnachweisen aus anderen Mitgliedstaaten91 gebunden waren. Im Verfahren Auer II sprach sich GA Mancini in seinen Schlußanträgen für die Bindung der französischen (privatrechtlich organisierten) Tierärztekammer92 aus; das maßgebliche Abgrenzungskriterium bei der Beurteilung des Verhaltens von Staatstrabanten sei nach dem GA Mancini die Ausführung der staatlichen Politik93. Der Gerichtshof urteilte, daß eine privatrechtlich organisierte französische berufsständische Tierärztekammer "die Aufnahme des Bewerbers nicht aus dem Grund ablehnen darf, daß der in einem anderen Mitgliedstaat erworbene Befähigungsnachweis nicht gültig sei, wenn er unter den Befähigungsnachweisen (im Anhang der Richtlinie) aufgeführt ist, zu deren Anerkennung alle Mitgliedstaaten und ihre berufständischen Kammern als mit einer öffentlichen Aufgabe betraute Einrichtungen aufgrund des Gemeinschaftsrechts verpflichtet sind"94. Der EuGH wiederholte im Urteil Rienks dieses Dictum wortwörtlich 95. Diese Rechtsprechung legt eindeutig den Schwerpunkt der Qualifikation auf die Wahrnehmung "öffentlicher Aufgaben" durch die berufsständische Körperschaft, und zwar ohne daß andere Kriterien, wie die Kontrolle durch den Staat, in Erwägung gezogen werden. Dabei fehlt jedoch eine Darstellung dessen, was der Gerichtshof als "öffentliche Aufgabe" versteht. 89
EuGH Rs. 271/82, Slg. 1983, 2727. EuGH Rs. 5/83, Slg. 1983, 4233. 91 RL 1026 und 1027/78. 92 Es geht um den Ordre National des Vétérinaires de France und das Syndicat National des Vétérinaires Praticiens de France. Zu diesen Organisationen s. oben Kap. 1, Abschnitt 2, ΙΠ. Nach Dendrinos, Rechtsprobleme, S. 69 f., beweist das fragliche Urteil die horizontale Direktwirkung von Richtlinien, denn eine berufsständische Kammer könne nicht mit dem Staat gleichgesetzt werden. 93 Slg. 1983,2751. 94 EuGH Rs. 271/82, Slg. 1983, 2745, Tz. 19. 93 Slg. 1983, 4245, Tz. 10. 90
Ι . Bindung an nicht umgesetzte Richtlinien
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Ferner scheint der Gerichtshof nicht sicher zu sein, welche Vorschriften überhaupt die staatliche Eigenschaft im vorliegenden Fall notwendig machen: Die Vorschriften des EGV über die Freiheit des Personenverkehrs, die konkrete Umschreibung des Anwendungsbereichs der fraglichen Richtlinie, wo stand, daß die Mitgliedstaaten zur Anerkennung der beruflichen Berechtigungsnachweise verpflichtet sind und das estoppel-Prinzip bei noch nicht umgesetzten Richtlinien kommen alle in Frage. Zu diesem Zeitpunkt war es aus der Rechtsprechimg des EuGH noch nicht ersichtlich, ob nicht etwa auch Private an nicht umgesetzte Richtlinien unmittelbar gebunden waren. Vielleicht auch aus diesem Grunde spricht der Gerichtshof von einer allgemeinen Bindung der Kammern an das "Gemeinschaftsrecht". Die Rechtsprechung des Urteils Marshall/Southhampton and South-West Hampshire Area Health Authority (Teaching)96 war der Ansatz zur Herausbildung einer neuen Qualifikationsformel durch den Gerichtshof. Der Grund liegt u.a. auch darin, daß der EuGH erst in diesem Urteil die ausschließliche Staatsgerichtetheit von nicht umgesetzten Richtlinien deutlich herausgearbeitet hat und somit auch auf die Notwendigkeit einer präziseren Dogmatik für die Abgrenzung zwischen Staat und Gesellschaft bzw. Wirtschaft aufmerksam wurde. Dabei wird in den Urteilsgründen die Bedeutung ersichtlich, die der dogmatischen Begründung der Wirksamkeit von nicht umgesetzten Richtlinien allein im Staat-Bürger-Verhältnis auch für die Umschreibung des Kreises der gebundenen Träger zukommt. Im Marshall-Urteil ging es um die Geltendmachung des Art. 5 (1) der Richtlinie 76/207 (Gleichbehandlung der Geschlechter) gegen eine örtliche englische Gesundheitsbehörde. Solche Behörden handeln im Auftrag des Gesundheitsministeriums; ihr Personal besitzt den Status der Bediensteten der Krone. Die Klägerin war im Rahmen des National Health System als Diätspezialistin beschäftigt, ohne irgendeinen öffentlich-rechtlichen Sonderstatus zu genießen. Sie mußte gegen ihren Willen in Pension gehen, obwohl ihre männlichen Kollegen später pensioniert würden. Frau Marshall machte geltend, daß die Statuierung eines niedrigeren Pensionierungsalters für Frauen gegen die genante Richtlinien verstoße. Der EuGH weist darauf hin, daß eine Richtlinienbestimmung einer Privatperson nicht entgegengehalten werden könne. Daraus folge, daß es untersucht werden müßte, ob die genannte Behörde "als einzelner gehandelt hat". Zum 96
EuGH Rs. 152/84, Slg. 1986, 723 = NJW 1986, 2178, Tz. 47 f.; ausführlich kommentiert von Arnull, ICLQ 1986, 939 ff. und Prêchai, CMLR 1990, 445 ff.
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4. Kap.: Europarecht
Einwand, daß der Staat in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber den privaten Arbeitgebern gleichzustellen sei, bemerkt der Gerichtshof, daß wenn die Rechtsbürger imstande seien, sich gegenüber dem Staat auf eine Richtlinie zu berufen, sie dies unabhängig davon tun könnten, ob der Staat als Arbeitgeber oder als Hoheitsträger handele. Im einen wie dem anderen Fall müßte nämlich verhindert werden, daß "der Staat aus seiner Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts Nutzen ziehen kann"97. Das Marshall Urteil stellt somit nicht mehr auf die wahrgenommene jeweilige Funktion ab98. Ersichtlich wird dabei die Tendenz, den Begriff des Staates weit auszulegen99, womit den Schlußanträgen von GA Slynn100 gefolgt wird. Im Urteil des Gerichtshofs wird vor allem die Auffassung deutlich, daß eine zur Ministerialverwaltung gehörende Behörde in den Begriff des Staates absorbiert wird und für die Versäumnisse politischer Instanzen verantwortlich zu machen ist, auch wenn sie selbst keine politische Verantwortung trägt 101. Die Qualifikationsproblematik erscheint wesentlich deutlicher im Urteil Johnston/Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary102. Die Klägerin war als Hilfspolizistin im Dienste der nordirischen Sicherheitsbehörde tätig und wurde wegen ihres Geschlechts zu einer weniger gut bezahlten Teilzeitstelle umgesetzt. In Frage stand auch hier die Wirkung der Richtlinie 76/207. Die britische Regierung wiederholte in dieser Hinsicht das Argument, daß die Bindungswirkung von Richtlinien für den Staat als Arbeitgeber nicht relevant sei. Zudem hätte die Richtlinie keine unmittelbare Wirkung, da die vorliegende Polizeiorganisation verfassungsrechtlich unabhängig vom Staat sei. Für den Gerichtshof besteht aber kein Zweifel, daß es dabei um eine an die Richtlinie gebundene staatliche Behörde handelt: "Was eine Stelle wie den Beklagten anbelangt, so handelt es sich, wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, um einen Amtsträger, dem die Leitung der Polizei obliegt. Ein solcher Hoheitsträger, der vom Staat mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit betraut ist, handelt - wie immer seine Beziehungen zu anderen staatlichen Stellen beschaffen sein mögen - nicht als Privat-
97
Tz. 48 und 49. Winter, DVB1. 1991, 657 ff. (663). 99 GA van Gerven in seinen Schlußanträgen im Sachverhalt Foster, Slg. 1990, 3330. 100 Slg. 1986, 735. 101 Van Gerven, Slg. 1990, 3330. 102 EuGH Rs. 222/84, Slg. 1986, 1651. 98
ΠΙ. Bindung an nicht umgesetzte Richtlinien
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person. Er kann aus der Mißachtung des Gemeinschaftsrechts durch den Staat, von dem er seine Stellung herleitet, keinen Nutzen ziehen"103.
Das Johnston Urteil trifft eine klare Aussage zur Frage der Maßgeblichkeit der staatlichen Kontrolle bei der Qualifikation von verselbständigten Verwaltungseinheiten: Solange die fragliche Organisation vom Staat mit der Wahrnehmung der genannten Tätigkeiten beauftragt ist, spielen ihre Beziehungen zu anderen staatlichen Stellen, also ihre Unabhängigkeit von der Ministerialhierarchie, keine Rolle. Die im Johnston-Urteil benutzte Formulierung ist im übrigen doppeldeutig. Ein erster Annäherungsversuch sieht das maßgebliche Element dieses Urteils in der Natur der wahrgenommenen Aufgaben. Nach dieser Auffassung wird der Royal Ulster Constabulary als ein staatlicher Träger qualifiziert, weil er staatstypische Aufgaben wie die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gewährleistet104. Ein anderer Annäherungsversuch würde im Johnston Urteil eine Variation des Marshall Urteils für Fälle sehen, in denen innerhalb der Rechtsperson des Staates von der ministeriellen Befehlskette ausgenommene Behörden bestehen sollten. Die staatliche Eigenschaft des Trägers wird hier auf die hoheitliche Stellung, d.h. seine Verleihung mit staatlichen Hoheitsbefugnissen zurückgeführt. Dabei scheint die Qualität der wahrgenommenen Aufgaben nach dieser Betrachtung nicht so sehr maßgeblich zu sein, wie die Einsetzung des fraglichen Trägers vom Staat in eine obrigkeitliche Stellung gegenüber den Bürgern105. Die Qualifikation einer Einrichtung allein aufgrund des staatstypischen Charakters ihrer Aufgaben hängt letztendlich allzu sehr von subjektiven Auffassungen über den Handlungsbereich des Staates ab und ist deshalb mit Gefahren verbunden. Diese Feststellung bekräftigt das Urteil des Court of Appeal in der Sache Foster gegen British Gas, welche später aufgrund einer Vorlage durch das House of Lords Gegenstand des gleichnamigen Urteils des EuGH wurde. Das englische Gericht entnahm aus den Urteilen Marshall und Johnston des EuGH, daß das Gemeinschaftsrecht als staatliche Emanationen nur solche Träger ansieht, die "mit der Erfüllung klassischer Staatsaufgaben, wie die Verteidigung oder die Bewahrung der öffentlichen Ordnung, 103
EuGH Rs. 222/84, Slg. 1986,1691, Tz. 56. Curtin, ELR 1990, 215. 105 Die Bedeutung der Hoheitsbefugnisse im Johnston Urteil betont van Gerven, Slg. 1990, 1-3331, obwohl er in diesem Zusammenhang mißverständlich von der "Art der Funktionen" des Trägers spricht. 104
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4. Kap.: Europarecht
beauftragt" sind106. Aufgrund dieser Auffassung ist das Gericht zum Ergebnis gekommen, daß das öffentliche Unternehmen British Gas Corp. an die defizitär umgesetzte RL 76/207 nicht gebunden war.
c) Insbesondere: Das Urteil Foster gegen British Gas
Im Urteil Foster u.a./British Gas plc.107 wird die Dogmatik des EuGH zur Qualifikation von Staatstrabanten maßgeblich fortentwickelt. Dabei handelte es sich nochmals um einen Verstoß gegen die gleiche RL 76/207/EWG zur Gleichbehandlung der Geschlechter, diesmal seitens des öffentlichen Unternehmens British Gas Corporation Dieser Verstoß wurde allerdings wegen Zeitablaufs gegen ihre privatisierte Rechtsnachfolgerin British Gas plc. geltend gemacht108. Die British Gas Corporation war eine durch Gesetz (Gas Act 1972) errichtete juristische Person, ein öffentliches Unternehmen, das mit dem Monopol der Gasversorgung ausgestattet war. Sie unterlag den Weisungen des zuständigen Ministers, der auch die Mitglieder ihres Vorstands ernannte. Der EuGH trifft in diesem Urteil eine allgemeine Aussage zur Frage, nach welchen Kriterien die Qualifikation von staatsnahen Trägern erfolgen sollte109: Nachdem er die Formel des Marshall Urteils wiederholt hat, fuhrt er aus, daß sich die einzelnen auf unbedingte und hinreichend genaue Bestimmungen einer Richtlinie gegenüber Organisationen oder Einrichtungen berufen könnten, "die dem Staat oder dessen Aufsicht unterstehen oder 110 mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über diejenigen hinausgehen, die nach den Vorschriften für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gelten"111. 106
ICR 1988, 584 (588). Rs. C-l88/89, Slg. 1990,1-3313 = NJW 1991, 3086 = EuZW 1990,424. 108 Über den Gang des Verfahrens vor den englischen Gerichten s. die Urteilsbesprechungen von Szyszczak in CMLR 1990, 859 ff. und Grief, ELR 1991, 136 ff. 109 A.A. Brinker, EWS 1995, 255 ff. (258): Nach Brinker handelt es sich hier um eine Ausnahme vom Prinzip der ausschließlich vertikalen Bindung von Richtlinien. 110 Interessanterweise wird dieses "oder" zu "und" in den Tz. 20 und 22. Nach Grief ELR 1991, 143, ist sich der EuGH unsicher, ob die genannten Kriterien kumulativ oder alternativ zum Einsatz kommen sollen; dazu bemerkt er, daß dies für die Qualifikation englischer Universitäten ausschlaggebend ist. Dazu ist zu sagen, daß der Gerichtshof in der Tz. 18 eine allgemeine Aussage über die Bindung von Verwaltungsadressaten trifft, so daß das "oder" hier eine echte Alternativität meint. In den Tz. 20/22 ist die Rede von der im Urteil fraglichen Organisation, die kumulativ alle Kriterien erfüllt. 111 Slg. 1990,1-3348, Tz. 18. 107
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Nachdem er seine Rechtsprechung zu diesem Problemkreis als Beleg für die Anwendung dieser Formel genannt hat ("so hat der Gerichtshof entschieden..."), wendet der EuGH die bereits beschriebenen Kriterien auf den vorliegenden Fall an: "Demgemäß gehört jedenfalls eine Einrichtung, die unabhängig von ihrer Rechtsform kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen hat und die hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über das hinausgehen, was für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt, zu den Rechtssubjekten, denen die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen einer Richtlinie entgegengehalten werden können"112.
Somit konnte Frau Foster die fragliche Bestimmung der RL 76/207 gegen die British Gas Corp. geltend machen. Im Foster-Urteil scheint der EuGH nicht auf ein einziges Kriterium, sondern auf ein ganzes Bündel von Indizien abzustellen. Es sieht in der Tat so aus, als ob der EuGH die Charakteristika der betreffenden Organisation in ihrer Gesamtheit gewichtet113. Genannt werden die Kontrolle der Organisation durch den Staat, die Erledigung von Aufgaben im öffentlichen Interesse und der Besitz von Hoheitsbefugnissen. Der EuGH bringt überhaupt nirgendwo im Zusammenhang der unmittelbaren Geltendmachung von Richtlinien das Kriterium der Organisationsform zum Einsatz; damit ist die Organisationsform als Anknüpfungsmerkmal dieser Rechtsprechung völlig auszuschließen114. Zugleich wird deutlich, daß damit eine völlige Unabhängigkeit eines europarechtlichen Begriffs des gebundenen Verwaltungsträgers von nationalen Vorgaben angestrebt wird 115. Der Gerichtshof trifft allerdings auch eine allgemeinere Aussage über die maßgeblichen Qualifikationskriterien. Staatlich sind demnach die Träger, die prinzipiell dem Staat unterstehen116: Diese Kategorie erfaßt Träger, die unmittelbar in die Hierarchie der Zentralverwaltung (Ministerien) eingebunden 112
Slg. 1990,1-3348, Tz. 20. Szyszczak in ihrer Urteilsbesprechung zum Sachverhalt Foster, CMLR 1990, 759 ff. (768); übertrieben bemerkt aber Prêchai , CMLR 1990, 461, daß das Urteil so sehr auf die tatsächliche Situation der British Gas Corp. "maßgeschneidert" sei, daß es unmöglich sei, hieraus abstrakte Kriterien zu entnehmen. Es geht vielmehr um eine Anpassung der Dogmatik des Gerichtshofes an die Merkmale der Bitish Gas Corp., die eine Überzeugung des (nationalen) Richters des Vorlageverfahrens bezweckt: Vgl. auch Traversa , RTDE 1991,432. 114 Streinz, EuropaR, §5 Π 3, Rdnr. 401, S. 110; Dal Farra, RTDE 1992, 643. 115 Dal Farra, RTDE 1992, 642. 116 In Tz. 18. A.A. aber Prêchai, CMLR 1990,461. 113
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4. Kap.: Europarecht
sind. Ferner werden nach Auffassung des EuGH solche Organisationen als staatlich qualifiziert, die zwar von der Zentralverwaltung getrennt sind, jedoch der staatlichen Aufsicht, also einer mittelbaren Form der hierarchischen Kontrolle, unterliegen117: In beiden Fällen kommt das Kriterium der staatlichen Kontrolle zum Tragen118. Alternativ kommt der Maßstab der Ausstattung der fraglichen Verwaltungseinheit mit hoheitlichen Befugnissen zum Einsatz: Diese Befugnisse, die von denjenigen unter Privatleuten verschieden sind, verschaffen der Einrichtung eine gehobene Stellung, die im deutschen Recht mit der Eigenschaft der juristischen Person des öffentlichen Rechts zusammenfallt 119.
IV. Die an die Richtlinien zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen gebundenen Auftraggeber 1. Einleitung Das europäische Richtlinienrecht zur Koordinierung der Verfahren bei der öffentlichen Auftragsvergabe ist aufgrund der Art. 100a und 113 EGV erlassen worden. Die erste RL 71/305/EWG120 von 1971 befaßte sich mit der Auftragsvergabe für Bauleistungen, während die RL 77/62/EWG121 die Vergabe von öffentlichen Lieferaufträgen zu ihrem Gegenstand machte. Zur Zeit und nach einigen Novellierungen gelten die RL 93/37/EWG122 (Bauaufträge) und 93/36/EWG123 (Lieferungen). Im Jahre 1992 wurde die RL 92/50/EWG124 des Rates zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge erlassen. Eine besondere RL 93/38/ EWG125 koordiniert schließlich die Auftragsvergabe im Bereich der Wasser, 117
Dal Farra, RTDE 1992, 642. Kritisch zu diesem Kriterium Emmert/Pereira de Azeredo, RTDE 1995, 15 f. 119 Vgl. Traversa , RTDE 1991, 432. 120 Abi. EG Nr. L 185/5 vom 16.8.1971. 121 Abi. EG Nr. L. 13/1 vom 15.1.1977. 122 Abi. EG Nr. L 199/54 vom 14.6.1993. 123 Abi. EG Nr. L 199/1 vom 14.6.1993. 124 Abi. EG Nr. L 209/1 vom 18.6.1992. 125 Abi. EG Nr. L 199/84 vom 14.6.1993; es handelt sich dabei um eine Novellierung der zuvor geltenden Sektorenkoordinierungsrichtlinie 90/531/EWG, Abi. EG 297/1 vom 17.9.1990. 118
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Energie- und Verkehrsversorgung, sowie im Telekommunikationssektor. Zusätzlich verpflichtete die RL 89/665/EWG126 die Mitgliedstaaten zur Koordinierung der Vorschriften über das Nachprüfungsverfahren bei der Auftragsvergabe bei öffentlichen Liefer- und Bauaufträgen; die Geltung dieser Vorschriften wurde durch Art. 41 der RL 92/50 auch auf Dienstleistungsaufträge erstreckt. Ähnliche, jedoch deutlich abgeschwächte127 Regelungen enthält die RL 92/13/EWG128 in bezug auf den Rechtsschutz bei der Auftragsvergabe in den genannten Sektoren der Daseinsvorsorge. Zum Erlaß dieses Richtlinienrechts wurde die Kommission durch die Beobachtung veranlaßt, daß die Verwaltungen der Mitgliedstaaten weitestgehend eine Taktik der Bevorzugung nationaler Anbieter verfolgen, so daß letztendlich nur ein kleiner Bruchteil des gesamten Auftragsvolumens an Auftragnehmer aus anderen Mitgliedstaaten vergeben wurde129. Dies habe nicht nur Verzerrungen bei der Verwirklichung des Binnenmarktes, sondern auch gesamtwirtschaftliche Nachteile zur Folge130. Die Vergaberichtlinien verfolgen somit zwei Zwecke: 1. die Vervollständigung des Verbots der Einschränkungen im gemeinschaftlichen Warenverkehr sowie die Erleichterung der tatsächlichen Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des Dienstleistungsverkehrs in der Union131; 2. die Schaflung von Wettbewerb bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Damit wären nach Ansicht der Kommission Einsparungen der nationalen Haushalte aber auch die Auslösung eines Restrukturierungsprozesses in der europäischen Industrie, der zur größerer Rationalisierung und Effizienz der europäischen Wirtschaft beitragen sollte, zu erwarten 132. 126
Abi. EG Nr. L 395/33 vom 21.12.1989. Berlin, AJDA 1991, 16. 128 Abi. EG Nr. L 76/14 vom 25.2.1992. 129 Dazu Winter, CMLR 1991, 741 ff; van Hamme, Studia Diplomatica 1990, 5 ff. 130 Dazu Kotios, in Oppermann/Moersch (Hrsg.), Europa-Leitfaden, S. 99 ff. (101 f.); L Seidel, WUR 1990, 155 ff. (158); dies., in Dauses (Hrsg.), Handbuch des EGWirtschaftsrechts, H I V Rdnr. 33 ff. 131 Vademekum über das öffentliche Auftragswesen in der Gemeinschaft vom 31.12. 1987, Abi. EG Nr. C 358/1, S. 15. 132 Mitteilung der Kommission, Das öffentliche Auftragswesen in den ausgenommenen Sektoren, Beil. 6/1988 des EG-Bulletins, S. 7 ff.; s. auch Quiring , EG-Magazin 1988, Heft 12, Beil. S. I; Corte/Hesselmann (unter Mitarbeit von Kayser), Öffentliches Auftragswesen in der EG, S. 13 ff.; Weiss, Public Procurement in European Community Law, S. 12. Die Kommission schätzt den Wert der von den RL gedeckten öffentlichen Aufträge als einen erheblichen Anteil des Bruttosozialprodukts jedes 127
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4. Kap.: Europarecht
Aus diesen Gründen verpflichten die Richtlinien zur gemeinschaftsweiten Vereinheitlichung des Vergabeverfahrens, insbesondere zu einer unionsweiten Veröffentlichung der Vergabe von öffentlichen Aufträgen ab bestimmten Grenzwerten, zur Vereinheitlichung der technischen Spezifikationen der Auftragsgegenstände und der Regeln für die Teilnahme, sowie den Ausschluß vom Vergabefahren. Hinzu kommt die Festlegung von Kriterien, die bei der Vergabeentscheidung von den Auftraggebern zu berücksichtigen sind. Ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung von Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten ist überflüssig, da die öffentlichen Auftraggeber ohnehin an das Diskriminierungsverbot (Art. 6 EGV) wie auch an die Vorschriften über den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr und die Niederlassungsfreiheit unmittelbar gebunden sind133. Gleichwohl hat inzwischen der EuGH ein solches Diskriminierungsverbot in der Form der Gleichbehandlung aller Auftragsbewerber als einen stillschweigend auch in den Koordinierungsrichtlinien beinhalteten Grundsatz anerkannt134. In der Übergangszeit bis zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Vertragsvorschriften hatten die sog. Liberalisierungsrichtlinien 71/304135 (Bauaufträge) und 70/32136 (Lieferaufträge) die Gleichbehandlung von EG-Bewerbern sichergestellt137. Die Bindungen der Koordinierungsrichtlinien sind nicht an alle Nachfrager von Lieferungen, Bau- und Dienstleistungen, sondern prinzipiell nur an staat-
Mitgliedstaates: für Belgien 13,4%, Dänemark 17,8%, Deutschland 14,9%, Griechenland 20,1%, Spanien 12,7%, Frankreich 13,2%, Irland 15,9%, Italien 13,1%, für die Niederlanden 11,6%, Portugal 12,1% und schließlich für England 17,7%. Die Angaben beziehen sich auf das Jahr 1990 und sind bei Mardas/Spachis, RHellDE 1993, 561 ff. (570) zu finden. 133 Über die direkten Auswirkungen der Vorschriften des Vertrages auf die öffentliche Auftragsvergabe s. Prieß, Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union, S. 6 ff.; Stolz, Das öffentliche Auftragswesen, S. 5 ff. (bes. S. 60 ff.); Schmittmann, EuZW 1990, 536 f.; s. die Verfahren EuGH Rs. 45/87, Kom./Irland, Slg. 1988, 4929; EuGH Rs. C-360/89, Kom./Italien, Slg. 1992,1-3401 (Verstoß gegen Art. 59 EGV bei der Vergabe eines Bauauftrags). 134 EuGH Urt. v. 22.6.93, Rs. C-243/89, Kom./Dänemark, Slg. 1993,1-3353 = EuZW 1993, 607, s. unten in diesem Kapitel IV 2 b); dazu Triantafyllou, NVwZ 1994, 945. 135 Abi. EG Nr. L 185/1 vom 16.8.1971. 136 Abi. EG Nr. L I 3/1. 137 Kommentiert von Stolz, Das öffentliche Auftragswesen, S. 70 f.; Guillermin, La réglementation communautaire des marchés publics, S. 17 ff. (Lieferungen) und 70 ff. (Bauleistungen); Sundberg-Weitman, Discrimination on Grounds of Nationality, S. 223 ff., und Weiss, Public procurement, S. 37.
. Bindung an
ieichtlinien
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liehe und staatsnahe Träger ("öffentliche Auftraggeber" in BKR138, LKR und DKR sowie "staatliche Behörden", "öffentliche Unternehmen" und ihnen gleichgesetzte Private in der SKR) gerichtet139. Die Kommission rechtfertigt dies damit, daß die öffentlichen Auftraggeber wegen ihrer besonderen Finanzstärke und Unabhängigkeit vom Wettbewerbsdruck in der Lage sind, ihre Aufträge ohne Rücksicht auf günstigere Angebote aus anderen Mitgliedstaaten und in Verfolgung anderer als rein wirtschaftlicher Zwecksetzungen zu vergeben140. Private Unternehmen seien andererseits faktisch gezwungen, immer das günstigere Angebot anzunehmen, um sich im Wettbewerb zu behaupten, und dies unabhängig von seiner Herkunft. Sich im Wettbewerb befindende Träger sollten nach Auffassung der Kommission nur dann Adressaten von solchen Bindungen ihres Marktverhaltens sein, wenn sie sich in einer besonderen Abhängigkeitslage vom Staat befinden, so daß sie in ihrer Auftragsvergabe staatlichen Strategien folgen müssen. Dies ist der Fall bei öffentlichen Unternehmen. Ein solches Verhalten wird ebenfalls privaten Betreibern von Netzen der Wasser- und Energieversorgung, der Telekommunikation und des Verkehrswesens unterstellt, die aufgrund staatlicher Sonderrechte eine Monopolstellung genießen und somit vom" Wettbewerbsdruck anderer Anbieter befreit sind141. Der Tatsache, daß auch innerhalb des staatsnahen Bereichs "politische", d.h. vergabefremde, Gesichtspunkte in den Marktentscheidungen der handelnden Organisationen in unterschiedlicher Intensität (oder überhaupt nicht142) zum Tragen kommen, tragen die Richtlinien dadurch Rechnung, daß sie Träger gewerblichen Charakters von ihrem Adressatenkreis ausschließen. In ähnlicher Weise werden aus dem Anwendungsbereich der SKR alle Tätigkeiten öffentlicher und gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen ausgeschlossen, deren Träger "auf Märkten ohne Zugangsbeschränkung unmittelbar dem 138
In Anschluß an Eiermann, ZögU 1993, 455 werden die Abkürzungen BKR für die Baukoordinierungsrichtlinie, LKR für die Lieferkoordinierungsrichtlinie, DKR für die Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie und SKR für die Sektorenkoordinierungsrichtlinie verwendet. 139 S. Heegemann, ZBB 1995, 387 ff (388). 140 S. Mitteilung der Kom., EG- Bulletin, Beil. 6/88, S. 67 ff. 141 Nach Quering, EG-Magazin 1988, Heft 12, Beil. S. IV, können Monopole oder monopolartige Gebilde in ihrem Wirkungsbereich "ziemlich autonom schalten und walten". 142 So wie es im deutschen Sparkassenwesen nach Rehm, ZögU 1993, 322 ff. (327 f.) der Fall sei.
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4. Kap.: Europarecht
Wettbewerb unterliegen"143. Die Kommission geht mit anderen Worten davon aus, daß die Teilnahme am Wettbewerb auch staatsabhängige Organisationen zu einem marktgerechten Verhalten zwingt144. Im Bereich der Sektoren der Daseinsvorsorge sind die auferlegten Verpflichtungen abgeschwächt143, um dem Charakter der betroffenen Organisationen als "wahre Unternehmen" zu berücksichtigen146. Immerhin wird kritisch angemerkt, daß die Erfassung dieses Bereichs der Daseinsvorsorge durch die SKR zu Wettbewerbsverzerrungen zulasten öffentlicher Unternehmen im Verhältnis zum Substitutionswettbewerb der Privatwirtschaft führt 147. Das Marktverhalten der öffentlichen Auftraggeber ist somit der Ansatzpunkt für die Auferlegung von Sonderverpflichtungen auf staatsnahe Träger. Private unterliegen den Sonderbindungen der Vergaberichtlinien nicht, weil ihr Beschaffungsverhalten ausschließlich auf eigene Gewinnmaximierung hin orientiert und deshalb für vergabefremde Belange blind ist. Der Staat ist andererseits in seinem Marktverhalten der Diskriminierung von Waren und Dienstleistungen ausländischer Herkunft verdächtig, weil staatliche Entscheidungen die immanente Tendenz aufweisen, den politischen Auftrag zum Schutz der Belange eines nationalen Gemeinwohls, wie z.B. Konjunkturpolitik, Aufrechterhaltung heimischer industrieller Strukturen, regionale und soziale Entwicklung, auch durch die staatliche Marktteilnahme wahrnehmen zu wollen148. Die Vergaberichtlinien sehen somit besondere Verpflichtungen für Träger vor, die auch in ihrem Marktverhalten national ausgerichtete Gemeinwohlzwecke149 berücksichtigen150. 143
Erwägungsgrund 13, SKR 93/38. Lampe-Helbig, Praxis der Bauvergabe, Rdnr. 178, S. 57. 145 Während z.B. das Verhandlungs verfahren bei der Auftrags vergäbe in den anderen KoordinierungsRL nur in Ausnahmefällen zugelassen wird, besteht in der SKR keine ähnliche Beschränkung. 146 M Lewis, PPLR 1995, 128 ff. (133). 147 Die Auswirkungen der EG-Richtlinien zum öffentlichen Auftragswesen auf die öffentlichen Unternehmen, Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats der Gesellschaft för Öffentliche Wirtschaft, S. 9 ff: Auch öffentliche Unternehmen unterliegen dem Substitutionswettbewerb durch Alternativprodukte und Dienstleistungen sowie einer Gesamtkonkurrenz um die Verteilung der beschränkten Kaufkraft der Bevölkerung. S. auch Eiermann, ZögU 1993, 117 ff. (121). 148 Rittner, NVwZ 1995, 313 f.; Winter, CMLR 1991, 741 f.; Langer, ZfBR 1980, 267, macht dagegen für wettbewerbsbeschränkende Praktiken öffentlicher Auftraggeber ihre Monopolstellung als Nachfrager verantwortlich. 149 Die Verbesserung der Staatsfinanzen, stellt auch bei der Auftragsvergabe keinen "öffentlichen Zweck" dar. 144
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ieichtlinien
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Der personelle Anwendungsbereich dieses staatlichen Sonderrechts ist in den drei Koordinierungsrichtlinien (BKR, LKR und DKR) auf der Auftraggeberseite i m wesentlichen identisch und knüpft an eine Definition des Begriffs des öffentlichen Auftraggebers an. Dieser Begriff wird zunächst zu untersuchen sein. Die Sektorenkoordinierungsrichtlinie ist andererseits an staatliche Behörden, öffentliche Unternehmen und gewisse private Netzbetreiber adressiert. Diese Definitionen werden anschließend erläutert.
2. Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers in den Richtlinien über die Vergabe von Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträgen a) Vorbemerkung Nach Art. 1 lit. b der BKR, LKR und DKR 92/50 "gelten im Sinne dieser RL als öffentliche Auftraggeber der Staat, Gebietskörperschaften, Einrichtungen des öffentlichen Rechts und Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen bestehen. Als Einrichtung des öffentlichen Rechts gilt jede Einrichtung, - die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind, und - die Rechtspersönlichkeit besitzt und - die überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechtsfinanziert wird oder die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch letztere unterliegt oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind; Die Verzeichnisse der Einrichtungen des öffentlichen Rechts und der Kategorien solcher Einrichtungen, die die in Unterabsatz 2 der vorliegenden Buchstaben genannten Kriterien erfüllen, sind in Anhang I der Richtlinie 93/37/EWG enthalten. Diese Verzeichnisse sind so vollständig wie möglich und können nach dem Verfahren des Artikels 35 (der Richtlinie 93/37/EWG) geändert werden".
150 Über den in diesem Sinne politischen Charakter des öffentlichen Beschaffungswesens Rittner, in Festschrift Benisch, S. 99 ff. (105). 20 Gogos
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4. Kap.: Europarecht
Die Bestimmungen der BKR finden zusätzlich Anwendung bei der Vergabe von Aufträgen rein privater Träger unter der Voraussetzung, daß die entsprechenden Bauvorhaben von öffentlichen Auftraggebern zu über 50% direkt subventioniert werden151. Dies betrifft allerdings nur bestimmte Bauvorhaben: die Errichtung von Schul- und Hochschulgebäuden, Sport-, Erholungsund Freizeiteinrichtungen und Verwaltungsgebäuden, sowie Straßen, Brücken, Eisenbahnschienen, Häfen und Flughäfen usw.152. Die erste BKR 71/305 (Art. 1 lit. b) andererseits beschränkte ihren Anwendungsbereich auf den Staat, die Gebietskörperschaften und juristische Personen des öffentlichen Rechts. Dasselbe galt für die Lieferkoordinierungsrichtlinie 77/62 mit der beigefügten Bemerkung, daß in den Mitgliedstaaten, die den Begriff der juristischen Personen des öffentlichen Rechts nicht kannten, die im Anhang aufgeführten gleichwertigen Einrichtungen als öffentliche Auftraggeber zu betrachten seien. Da eine zusätzliche Anknüpfung an den Inhalt der wahrgenommenen Funktionen ausblieb, erfaßte der Anwendungsbereich der älteren Versionen der Koordinierungsrichtlinie jegliche öffentlich-rechtlichen Träger, auch wenn sie in direkter Konkurrenz zur Privatwirtschaft tätig sein sollten, z.B. öffentlich-rechtliche Banken und Sparkassen, Postdienst und Postbank153. Die heute geltende Definition des öffentlichen Auftraggebers stammt aus der novellierten BKR 89/440.
b) Der Begriff des Staates als öffentlicher
Auftraggeber
Die Frage der Qualifikation eines Trägers als Staat i.S. der Koordinierungsrichtlinien wird nur dann akut, wenn der fragliche Träger keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, denn sonst finden die Vorschriften über die Einrichtung des öffentlichen Rechts Anwendung. Trotzdem bleibt dieser Begriff für die vorliegende Untersuchung von Interesse, weil von der Auslegung des Begriffs des Staates wichtige Impulse für die Abgrenzung des Bereichs der Adressaten der Koordinierungsrichtlinien insgesamt ausgehen.
151
Art. 2(1) BKR 93/37. Art. 2 (2) BKR 93/37: Es geht um Bauvorhaben der Klasse 50, Gruppe 502 der allgemeinen Systematik der Wirtschaftszweige in den Europäischen Gemeinschaften (N.A.C.E.); s. dazu M - A Flamme/P. Flamme, AJDA 1989, 654. 153 Kohlhepp, NVwZ 1989, 339; GÖW, Die Auswirkungen, S. 5. 152
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ieichtlinien
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Der Europäische Gerichtshof hatte sich mit dem Begriff des Staates im Zusammenhang der BKR in der Version der RL 71/305 im Fall Beentjes134 auseinanderzusetzen. Es ging um die Vergabe eines Bauauftrags von der örtlichen Flurbereinigungskommission, die von einem übergangenen Bewerber angefochten wurde. Das niederländische Gericht legte dem EuGH (u.a.) die Frage vor, ob die BKR 71/305 auf die Vergabeentscheidung dieser Kommission, eines Trägers ohne Rechtspersönlichkeit133, anwendbar sei. Der Gerichtshof definierte den Begriff des Staates in der BKR in Anlehnung an seine bekannte effet-utile Argumentation: Demnach sei der Begriff des Staates in Art. lb der BKR 71/305 "im funktionellen Sinn zu verstehen". Dies wird damit begründet, daß das Ziel der Richtlinie gefährdet sei, "wenn sie allein deswegen unanwendbar wäre, weil ein öffentlicher Bauauftrag von einer Einrichtung vergeben wird, die geschaffen wurde, um ihr durch Gesetz zugewiesene Aufgaben zu erfüllen, die jedoch nicht förmlich in die staatliche Verwaltung eingegliedert ist". Da die vorliegende Flurbereinigungskommission eine Einrichtung darstellt, "deren Zusammensetzung und Aufgaben gesetzlich geregelt sind und die insoweit von der öffentlichen Hand abhängig ist, als diese ihre Mitglieder ernennt, die Beachtung der sich aus ihren Handlungen ergebenden Verpflichtungen gewährleistet und die von ihr vergebenen öffentlichen Aufträge finanziert", sonach ist sie nach Auffassung des EuGH als dem Staat i.S. der BKR zugehörig anzusehen, auch wenn sie formell "kein Bestandteil desselben" ist136. Das Beentjes-Urteil besitzt einerichtungsweisendeBedeutung auch für die Qualifikation von Trägern mit eigener Rechtspersönlichkeit: Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers ist nach Auffassung des EuGH weit zu fassen und i.S. der Verwirklichung der Vertragsziele zu interpretieren 137. Entscheidend ist nach dem Gerichtshof weder die juristische Organisationsform noch die formale Eingliederung in die ministerielle Hierarchie. Wichtig ist dagegen die tatsächliche Abhängigkeit der Einrichtung von der öffentlichen Hand138 und 134
EuGH Rs. 31/87, Slg. 1988,4635 = NVwZ 1990, 353. Parteien des nationalen gerichtlichen Verfahrens waren der übergangene Anbieter Gebroeder Beentjes als Kläger und die Niederlande als Beklagter. Berechtigterweise fragt deshalb Zorbala, Ep. Evr. Koin. 1989, 159 ff (163), ob etwa die Kommission nicht lediglich das Vergabeverfahren durchgeführt hat, während der niederländische Staat der wahre Auftraggeber war. 136 EuGH Rs. 31/87, Slg. 1988, 4655, Tz. 11 f. 137 Prieß, Das öffentliche Auftragswesen, S. 54; Winter, CMLR 1991, 758 f. 138 Winter, CMLR 1991, 758 f. 133
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die Erfüllung von Aufgaben, die die Verwaltung aufgrund Gesetzes übernommen hat. Auf Anhieb scheint es nicht sicher zu sein, daß die Argumentation des Beentjes Urteils allein ausreichen würde, um den konkreten Anwendungsbereich der älteren Fassung der BKR (71/305) auch auf privatrechtliche Staatstrabanten auszuweiten159. Der EuGH unternahm auch diesen Schritt im bereits dargestellten Vertragsverletzungsverfahren Kommission/Dänemark160. In diesem Urteil qualifizierte der EuGH die diskriminierenden Auftragsbedingungen einer Aktiengesellschaft unter der vollständigen Kontrolle des dänischen Staates (A/S Storebasltsforbindelsen) als einen Verstoß gegen u.a. die BKR in der Fassung 71/305 und insbesondere gegen den in dieser Richtlinien konkludent beinhalteten Gleichheitssatz. Damit geht der Gerichtshof offenbar davon aus, daß die besagte privatrechtliche Gesellschaft als Staat zu qualifizieren und somit an die Richtlinie gebunden ist. Der EuGH präzisiert allerdings in seinem Urteil nicht, warum der fragliche Träger als Staat i.S. der RL 71/305 anzusehen ist.
c) Der Begriff der Einrichtung öffentlichen
Rechts
Wie schon erwähnt, beschränkten sich die frühen Fassungen von LKR und BKR auf dem Gebiet der ausgegliederten Verwaltung auf die Bindung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Der öffentlich-rechtliche Charakter der Einrichtung wird normalerweise eindeutig sein, so daß dieses Kriterium eine leichte und sichere Handhabung verspricht. So wurde z.B. im Verfahren Kommission/Spanien161 die Bindung der juristischen Person des öffentlichen Rechts Universidad Complutense von Madrid an die RL 71/305 von keiner Seite in Frage gestellt. Der Begriff der mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Einrichtung des öffentlichen Rechts erschien in der BKR 89/440 zum ersten Mal und wurde daraufhin in die DKR und später auch in die LKR übernommen. Das Problem, das sich stellt, ist, ob der Begriff der Einrichtung öffentlichen Rechts an das formale Kriterium der Organisationsform und somit an eine nationale Qualifikation der juristischen Person anknüpft, oder ob damit sämtliche Trä159 160 161
Zorbala, Ep. Evr. Koin. 1989, 165 f. EuGH Rs. C-243/89, Slg. 1993,1-3353 = EuZW 1993, 607. EuGH Rs. C-24/91, Slg. 1992,1-1989.
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ieichtlinien
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ger, die weitere näher zu untersuchende Merkmale erfüllen, unabhängig von ihrer Rechtsform erfaßt werden. Praktisch bedeutet dies: Sind ausschließlich öffentlich-rechtliche Organisationen gemeint, oder gelten als fiktive Einrichtungen des öffentlichen Rechts auch privatrechtliche Organisationen, die die übrigen Kriterien erfüllen? Die Antwort auf diese Frage ist aus dem Text der Richtlinie klar ersichtlich: Die grammatikalische Interpretation des Satzes "als Einrichtung des öffentlichen Rechts gilt" deutet ohne Zweifel auf eine fiktive 162 Gleichsetzung privatrechtlicher mit öffentlich-rechtlichen Trägern hin, sofern die weiter aufgeählten Kriterien, d.h. die Erfüllung einer bestimmten Art von Aufgaben im Rahmen einer Kontrolle der Aufgabenwahrnehmung durch die öffentliche Hand, erfüllt werden163. Obwohl der Ausdruck "Einrichtung des öffentlichen Rechts" eigentlich den Eindruck einer Anknüpfung an die Rechtsform erweckt, macht die Formulierung der Richtlinien klar, daß es sich dabei um einen Begriff mit spezifisch europarechtlichem Inhalt handelt: Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind alle Einrichtungen, unabhängig von der innerstaatlichen Qualifikation ihrer Rechtsform, die die materiellen Voraussetzungen der Definition erfüllen. Durch diese "fünktionale" 164 Interpretation, die das formale Kriterium der Rechtsform beiseite legt, bekommt die Novellierung des Begriffs des öffentlichen Auftraggebers durch die BKR 89/440 letztlich einen Sinn, der der Argumentation des EuGH im Beentjes-Urteil gerecht wird; im entgegengesetzten 162 Broß, VerwArch 84 (1993), 395 ff. (397); Stober, in Hoppe/Schink (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung und europäische Integration, S. 116 ff (121). 163 Für diese Interpretation I. Seidel, WUR 1990, S. 158; Lampe-Helbig, Praxis der Bauvergabe, Rdnr. 55 und 177, S. 18 und 56 entsprechend; M.-A. Flamme/P. Flamme, AJDA 1989, S. 653; Elverfeld, Europäisches Recht und kommunales Auftragswesen, S. 39 f.; Bréchon-Moulènes, RFDA 1989, 834 f.; Llorens, RMC 1989, 603 ff. (607, 620); Valadon, AJDA 1992, 635 ff (639 f.); Vonderheid, Die Beschaftüngswirtschaft kommunaler Versorgungs- und Verkehrsunternehmen und EG-Binnemarkt, S. 117; Rouquette, AJDA 1994 (Sonderheft), 18 f.; Weiss, Public Procurement, S. 94 f., 121. Weiss (S. 94) kritisiert heftig die Technik der abstrakten Definition des öffentlichen Auftraggebers, die nach seiner Auffassung unpräzise und anfallig für Umgehungen sei. 164 /. Seidel, WUR 1990, 158; dies., in Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, H IV Rdnr. 9; Stober, in Hoppe/Schink (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung und europäische Integration, S. 121; Prieß, EuZW 1994, 487 ff. (490); Koutoupa-Rengakou, Dimosies symvaseis kai koinotiko dikaio, S. 59; Mangûé, AJDA 1994 (Sonderheft), 40, Heegemann, ZBB 1995, 388. Immer noch zweifelnd: Hailbronner, EWS 1995, S. 285 f.
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4. Kap.: Europarecht
Fall würde es in der Hand jedes Mitgliedstaates liegen, die Bindungen der Richtlinien durch die Wahl privatrechtlicher Organisationsformen zu umgehen163. Zudem wären Mitgliedstaaten mit entwickeltem öffentlich-rechtlichem Instrumentarium (wie Deutschland) grundlos benachteiligt. Bis zum Erlaß der RL 93/35 wurde dagegen geltend gemacht, daß das im Anhang der BKR 89/440 beigefugte Verzeichnis der Einrichtungen des öffentlichen Rechts der Änderung der Definition des öffentlichen Auftraggebers nicht entsprechend angepaßt worden sei. Stattdessen wurde das Verzeichnis der älteren BKR übernommen mit der Folge, daß lediglich juristische Personen des öffentlichen Rechts erschienen. Damit sei die Einbeziehung von privatrechtsförmigen Trägern in Frage gestellt166. Dieses Argument trifft nicht (mehr) zu: Die Liste der gebundenen Träger im Anhang, die allerdings an sich wenig Homogenität zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten aufweist 167, besitzt einen lediglich deklaratorischen Charakter 168. Obwohl aus dieser Liste eine "schwer widerlegbare prima-facie Wirkung" ausgeht169, bleibt die allgemeine Definition des Auftraggebers maßgeblich. Auf jeden Fall ist dieser Katalog für die Bundesrepublik Deutschland170 bereits erneuert worden und erfaßt auch privatrechtsformige Organi165
Stober, in Hoppe/Schink (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung und europäische Integration, S. 121. 166 So Stober, in Hoppe/Schink (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung und europäische Integration, S. 121, der angesichts der Diskussion über den noch weiteren Anwendungsbereich der SKR zum Ergebnis kommt, daß von BKR/LKR und DKR nur öffentlich-rechtliche Träger erfaßt werden. Entsprechend hat auch Winter, CMLR 1991, 756, Schwierigkeiten, Unterschiede zwischen der alten und der neuen Definition des öffentlichen Auftraggebers in der BKR zu finden. Auch Debène, AJDA 1992, 243 ff. (246 f.) zweifelt, ob "Einrichtungen des öffentlichen Rechts" in der neueren Version der BKR auch privatrechtsformige Träger sein könnten. Die Deutsche Post AG scheint (nach Rittner, NVwZ 1995, 316) diese Auffassung weiter zu vertreten. 167 Weiss, Public Procurement, S. 44 vermutet sogar einen "politisch inspirierten Austausch". 168 Prieß, Das öffentliche Auftragswesen, S. 55; I. Seidel, in Dauses (Hrsg), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, H IV, Rdnr. 63; Koutoupa-Rengakou, Dimosies Symvaseis, S. 60; von Bogdandy /Wernicke, EuZW 1993, 216 ff. (218); D'Sa, PPLR 1995, 281; M Lewis, PPLR 1995, 137; a.A. jedoch M - A Flamme / P. Flamme, AJDA 1989, 653; auch Zorbala, Ep. Evr. Koin. 1989, 166: Die Liste im Anhang der RL soll demnach eine abschließende Aufzählung der gebundenen Träger darstellen. 169 Hailbronner, EWS 1995, 286. 170 Dies gilt auch für andere Mitgliedstaaten. Somit wird die privatrechtlich organisierte griechische Post (ELTA) im Anhang der LKR genannt (Nr. 51 ).
. Bindung an
ieichtlinien
311
sationen. Somit nennt der Anhang der novellierten BKR auch juristische Personen des Privatrechts: kommunale Versorgungsunternehmen, sowie Einrichtungen des Gesundheits-, Sport- und Sozialwesens, der Kultur, der Sicherheit, der Bildung, Wissenschaft, Forschung und Entwicklung, der Entsorgung (Straßenreinigung, Abfall- und Abwasserbeseitigung), des Bauwesens und der Wohnungswirtschaft. Erwähnt werden schließlich auch Wirtschaftsforderungsgesellschaften, Organisationen zur Zusammenarbeit mit den Entwikklungsländern, sowie das Friedhofs- und Bestattungswesen171. Die neue Definition des öffentlichen Auftraggebers bezieht sich zusätzlich auf den Charakter der wahrgenommenen Aufgaben: Die auf alle Fälle Rechtspersönlichkeit besitzenden fraglichen Träger müssen im Allgemeininteresse liegende Aufgaben erfüllen und in einer besonderen Beziehung zum Staat stehen. Allerdings ist der zentrale Begriff der "im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben" zweifellos von einer gewissen begrifflichen Unschärfe gekennzeichnet. Dies ist sowohl auf die - trotz deutscher Bemühungen - gewollte redaktionelle Unklarheit des Begriffs 172 zurückzuführen, als auch auf die Tatsache, daß ein solcher europarechtlicher Begriff ohne den konkretisierenden Bezugsrahmen einer nationalen Lehre der öffentlichen Aufgaben auskommen muß173. Man kann davon ausgehen, daß der Ausdruck "im Allgemeininteresse liegende Aufgaben" letztlich alles umfaßt, was man im deutschen Recht unter "öffentliche Aufgaben" und im französischen Recht unter "services publics" versteht. In diesem Rahmen wird die Auffassung vertreten, daß der Begriff der öffentlichen Aufgaben mit der staatlich unterstützten Bereitstellung "öffentlicher Güter" zusammenhängt174. Auf jeden Fall, muß die fragliche Einrichtung zu diesem Zweck errichtet worden sein; dies bedeutet, daß die öffentliche Zweckbindung im entsprechenden Gründungsstatut oder Gesetz verankert sein muß175. Die Beschränkung "nicht gewerblicher Art" ist genauso unklar 176. Mit Recht geht man davon aus, daß dieser Begriff im Sinne der SKR verstanden werden sollte, wo als staatliche Behörden solche Einrichtungen angesehen werden, die 171
Abi. EG, Nr. L 199/71. Zu diesem "dilatorischen Formelkompromiß" /. Seidel, WUR 1990, 158; dies., ZfBR 1995, 227 f.; kritisch Hailbronner, EWS 1995, 287, Heegemann, ZBB 1995, 390. 173 Hailbronner, EWS 1995, 287. 174 Heegemann, ZBB 1995, 390. 175 Heegemann, ZBB 1995, 391. 116 1. Seidel, ZfBR 1995, 229. 172
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4. Kap.: Europarecht
"einen anderen Charakter als den eines Handels- bzw. Industrieunternehmens besitzen"177. Diese Auffassung wird durch einen Vergleich mit den anderen sprachlichen Fassungen der Koordinierungsrichtlinien unterstützt: Während der französische, englische und griechische Text denselben Ausdruck wie die deutsche Fassung der SKR benutzen und auf den industriellen und kommerziellen Charakter der Einrichtungen abstellen, spricht die deutsche Fassung der BKR, LKR und DKR von Aufgaben "gewerblicher Art" 178 . Diese Differenzierung zwischen den verschiedenen sprachlichen Fassungen ist rätselhaft 179. Auf jeden Fall sind alle Texte einheitlich auszulegen180, so daß die Ausdrücke "gewerblicher Art" sowie "industriellen und kommerziellen Charakters" als gleichen Inhalts angesehen werden sollten181. Die herrschende Auffassung bezieht die "gewerbliche" Natur auf den Charakter der fraglichen Einrichtung 182. Obwohl der Ausdruck "industrieller und kommerzieller Charakter" auf die französische Verwaltungssprache und -tradition der établissements publics industriels et commerciaux zu verweisen scheint183, sollte man ihn als europarechtlichen Begriff von festen nationalen Begrifflichkeiten abkoppeln. 177
1. Seidel, in Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaflsrechts, HIV, Rdnr. 63. Für eine Gegenüberstellung der verschiedenen sprachlichen Fassungen s. I. Seidel, ZfBR 1995, 229. 179 Ein ähnlicher Fall, wo die deutsche Fassung auf unverständliche Weise abweicht, findet sich bei Prieß, Das öffentliche Auftragswesen, S. 51 f. 180 Hailbronner, EWS 1995, 287; vgl. auch GA Lenz in seinen Schlußanträgen in EuGH Rs. C-247/89, Kom./Portugal, Slg. 1991,1-3659 (3680), mit weiteren Hinweisen auf die Judikatur des EuGH; in jenem Verfahren ging es um die Auslegung der LKR 77/62, nach derem portugiesischen Text und im Gegensatz zu allen anderen sprachlichen Fassungen von "Lieferaufträgen des öffentlichen Rechts" die Rede war. 181 S. Rehm, ZögU 1993, 326 f. 182 /. Seidel, ZfBR 1995, 229; Hailbronner, EWS 1995, 287; Heegemann, ZBB 1995, 389. 183 Vgl. Berlin, AJDA 1991, 17; Sur, AJDA 1990, 779 ff. (784); dementsprechend schließen französische Autoren établissements publics à caractère industriel et commercial von der Reichweite der Richtlinien aus: dazu Llorens, RMC 1989, 620 und Bréchon-Moulènes, RFDA 1989, 835. Bréchon-Moulènes weist in diesem Zusammenhang auf die Problematik der Qualifikation als è.p.a. oder è.p.i.c. wie auch auf das Problem der öffentlichen Einrichtungen à double visage hin. A.A. jedoch Valadou, AJDA 1992, 640, der daraufhinweist, daß für den Begriff des service public auch andere Kriterien wie die Ausübung hoheitlicher Befugnisse vorliegen müssen. Demnach wären Einrichtungen, die Wirtschaftsaufgaben wahrnehmen, aus dem Anwendungsbereich der RL nicht a priori auszuschließen. Aus englischer Sicht sind nach Weiss, Public Procurement, S. 121, die "nationalized industries" gemeint. 178
IV. Bindung an die Vergaberichtlinien
313
Die Problematik wird nicht akut bei öffentlichen Unternehmen der Daseinsvorsorge in den Sektoren Telekommunikation, Wasser- und Energieversorgung und Verkehr, da diese Tätigkeiten ausdrücklich dem ausschließlichen Regime der SKR unterstellt sind184. Abgesehen davon, kann man mit einiger Sicherheit sagen, daß Auftraggeber mit eindeutig erwerbswirtschaftlicher Orientierung, wie staatliche Hersteller von Automobilen, Porzellanmanufakturen und Domänen, als gewerblich tätig anzusehen sind. Andererseits unterliegen den Richtlinienbindungen mit Sicherheit Träger von Aufgaben mit Lenkungs- und Leistungscharakter, die ohne privatwirtschaftlichen Wettbewerb erfüllt werden: Hierzu gehören Organisationen der berufsständischen und wirtschaftlichen Selbstverwaltung, kulturelle, soziale Einrichtungen185 u.ä. Im übrigen besteht eine Bandbreite staatlichen Handelns, die sowohl unternehmerische wie auch gemeinwohlbezogene Züge aufweist: Dazu gehören z.B. öffentliche Kredit- und Versicherungsinstitute, Wohnungsbaugesellschaften, Messegesellschaften oder öffentliche Rundfunkanstalten. Es besteht in der Tat eine Vielzahl staatlicher Unternehmungen, deren primäre Aufgabe zwar die Verfolgung von Gemeinwohlzwecken ist (wie z.B. die Kreditforderung des Mittelstandes oder die Beschaffung von Wohnraum für die weniger bemittelte Bevölkerung), die sich jedoch in unmittelbarem Wettbewerb zur Privatwirtschaft befinden und in gewissem Maße auch profitorientiert sind. Ingelore Seidel vertritt dazu die Auffassung, daß lediglich Industrie- und Handelsunternehmen, die "rein auf Gewinnmaximierung" ausgerichtet sind, vom Anwendungsbereich der Koordinierungsrichtlinien ausgenommen werden186. Für eine solche Auslegung dieses Ausnahmetatbestands könnte u.U. das Argument der Maximierung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinien ins Feld geführt werden. Andererseits indiziert die ratio der Richtlinien die Beschränkung ihres Anwendungsbereichs auf Tätigkeiten, bei denen kein oder kein wirksamer Wettbewerb und somit kein wirtschaftlicher Druck zur Auftragsvergabe nach marktbezogenen Kriterien besteht187. Nach dieser Auffassung wären alle Bereiche, wo der Staat parallel und in direkter Konkurrenz zur privaten Initia184
S. Art. 1 Abs. a ii DKR; Art. 2 Abs. la LKR und Art. 4 Abs. a BKR. Eiermann, Zögu 1994, 228 ff. (232). 186 L Seidel, in Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, HIV, Rdnr. 63. 187 Hailbronner, EWS 1995, 288; S. Heegemann, ZBB 1995, 394; a.A. /. Seidel, ZfBR 1995, 231. 185
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4. Kap.: Europarecht
tive unter Wettbewerbsbedingungen tätig wird, als ausgenommene Bereiche gewerblicher Tätigkeiten zu betrachten. Nach anderer Ansicht, die an den Anwendungsbereich der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit des EGV anknüpfen möchte, haben alle Organisationen einen gewerblichen Charakter, die "ihre Tätigkeiten unter Anwendimg der allgemein geltenden privatwirtschaftlichen Regeln" ausüben, die sie sich also aus ihren eigenen Erträgen finanzieren. Dies gelte unabhängig davon, ob die Gewinnerzielung der Hauptzweck des fraglichen Trägers ist oder nicht188. Unter allen Umständen ist in jedem Einzelfall eine vorsichtige Abwägung vorzunehmen. Damit wären öffentliche Rundfunkanstalten als gewerblich tätig zu beurteilen: Obwohl sie ohne Zweifel "Aufgaben im Allgemeininteresse" erfüllen, befinden sie sich in einer verfassungsrechtlichen Gegenposition zum Staat. Nicht nur stehen sie in unmittelbarer Konkurrenz zu den privaten Medien, sondern sie befinden sich auch rechtlich in der gleichen, grundrechtsgeschützten Position wie private Presse und Rundfunk 189 . Das Problem der Bindung von Sparkassen und Wettbewerbsversicherern sowie Landes- und Staatskreditanstalten an die Vergaberichtlinien ist noch diffiziler. Es besteht kein Zweifel, daß solche Träger ähnliche Leistungen wie die privaten Banken anbieten und in unmittelbarem Wettbewerb zum privaten Sektor agieren. Der gesamte Tätigkeitsbereich dieser Einrichtungen weist gewerbliche Charakteristika auf 90 . Für eine Befreiung aus der Anwendung der Richtlinien191 sprächen nicht zuletzt die katastrophalen Folgen einer solchen Reglementierung für die Präsenz der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute als Nachfrager auf dem Kreditmarkt 192. Andererseits könnte man einwenden, daß letztendlich der gemeinwohlbezogene Charakter in diesen Einrichtungen vorherrschend sei193. Schließlich seien öffentlich-rechtliche Kreditinstitute im Hinblick auf die unbeschränkte staatliche Nachschußpflicht und ihre mangelnde Konkursfähigkeit praktisch vom Konkurrenzdruck befreit 194. 188
Heegemann, ZBB 1995, 391 ff. Vgl. Hailbronner, EWS 1995, 291; s. auch /. Seidel, ZfBR 1995, 232; s. oben Kap. 3, Abschnitt 1,1113. 190 Hailbronner, EWS 1995, 291 f.; Heegemann, ZBB 1995, 392, 394. 191 Für eine solche Befreiung plädiert Eiermann, ZögU 1993, 455; ders., ZögU 1994, 232; für die Wettbewerbsproblematik bei den Sparkassen s. Brede, in Gedenkschrift Thiemeyer, S. 67 ff. (74 ff.). 192 Rehm, ZögU 1993, 328 f. 193 Bezüglich der Sparkassen s. oben Kap. 3, Abschnitt 1, ΠΙ 2. 194 Für eine Analyse der Interessenlage s. Hailbronner, EWS 1995, 291 f., und /. Seidel, ZfBR 1995, 232. 189
IV. Bindung an die Vergaberichtlinien
315
Der Ausschluß wichtiger Bereiche von der Anwendung der DKR nimmt der Sache einen Großteil ihrer Brisanz: Die DKR gilt nicht für Aufträge in bezug auf den Erwerb oder die Miete von Grundeigentum, den Kauf, die Entwicklung, die Produktion oder die Koproduktion von Rundfunk- und Fernsehprogrammen usw.193. Vor allem gilt sie nicht für Verträge über finanzielle Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Ausgabe, dem Verkauf, dem Ankauf oder der Übertragung von Wertpapieren oder anderen Finanzinstrumenten196. Eine Organisation gilt nur dann als Einrichtung des öffentlichen Rechts, wenn sie zusätzlich zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben in einer besonderen Beziehung zu staatlichen Trägern steht197. Es handelt sich dabei um staatlichen Einfluß 198, der die Form der Fachaufsicht oder der unmittelbaren Bestellung des Leitungsorgans annimmt. Die überwiegende Finanzierung der fraglichen Organisation durch den Staat indiziert nach den Koordinierungsrichtlinien als häufigste Erscheinungsform faktischer staatlicher Kontrolle ebenfalls die Eigenschaft der Einrichtung des öffentlichen Rechts. Damit gelten als Einrichtungen des öffentlichen Rechts auch gemischt-wirtschaftliche Träger 199, die sich unter staatlicher Kontrolle befinden, wie auch privatrechtsformige oder sogar rein private gemeinnützige Vereine und Stiftungen, deren Finanzierung vorwiegend staatlicher Provenienz ist. Der staatliche Einfluß sollte allerdings schon gewissermaßen institutionalisiert sein: Gemeint sind regelmäßige staatliche Zuwendungen und Ingerenzen auf rechtlicher Basis; rein informelle Druckmittel und Motivationen, denen in einem modernen, Industrie- und Wirtschaftspolitiken verfolgenden Staat die gesamte Wirtschaft ausgesetzt ist, können von den Richtlinien nicht erfaßt werden200. Die Regelung, wonach die Mitgliedstaaten dafür sorgen müssen, daß auch private Einrichtungen die Vorschriften der BKR befolgen, wenn die entspre193
Ausgenommen sind ebenfalls Fernsprechdienstleistungen und ähnliche Dienste, Schiedsgerichts- und Schlichtungsleistungen, Arbeitsverträge, Forschungsaufträge und Dienstleistungen der Zentralbanken. 196 Art. 1 a iii-ix DKR. 197 Art. 1 Abs. b) DKR, LKR und BKR. Sur, AJDA 1990, 784, spricht hierbei von einem "formalen" Kriterium, das die fragliche Einrichtung erfüllen muß. 198 Weiss, Public Procurement, S. 121. 199 Llorens, RMC 1989, 607; Sur, AJDA 1990, 784; Le Mire , RMC 1991, 785 ff. (792). 200 A.A. Weiss, The Public Procurement, S. 121, wonach sogar informeller Druck oder Motivation genügen.
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4. Kap.: Europarecht
chenden Bauvorhaben zu über 50% von öffentlichen Auftraggebern subventioniert werden, spiegelt die Kriterien der Definition der Einrichtung öffentlichen Rechts wider. Die Errichtung der erwähnten Bauwerke (Schul- und Hochschulgebäude, Krankenhäuser, Sporteinrichtungen usw.) bezieht sich auf Zwecke, die im Allgemeininteresse liegen. Dies gilt besonders dann, wenn die öffentliche Hand solche Maßnahmen als besonders förderungswürdig charakterisiert und deshalb finanziell auch trägt. Aber auch diese Subventionierung zu mehr als der Hälfte der Baukosten erscheint in der Definition des öffentlichen Auftraggebers als Indiz des staatlichen Charakters der Einrichtung. Art. 2 BKR erfaßt letztendlich vor allem Strohmänner der Verwaltung und/oder staatsnahe gemeinnützige201 Organisationen des dritten Sektors202.
3. Die gebundenen Auftraggeber in der Sektorenkoordinierungsrichtlinie Die SKR möchte durch die Bestimmung ihres Anwendungsbereichs eine spezielle Lösung treffen, die auf wettbewerbsneutrale Art das Vergabewesen dieser Einrichtungen regelt203. Die SKR versucht deshalb, sämtliche Organisationsformen der Erledigung öffentlicher Aufgaben gleichermaßen in ihren Anwendungsbereich einzubeziehen und dabei so viel Rechtssicherheit und klarheit zu gewährleisten wie irgend möglich204: Öffentlich-rechtliche Eigenund Regiebetriebe, privatrechtliche staatlich kontrollierte Handelsgesellschaften und private Konzessionäre bzw. Unternehmen, die staatlicher Fach- und Rechtsaufsicht unterliegen, werden somit gleichermaßen von der SKR erfaßt 205. Die derzeit geltende SKR 93/38/EWG unterscheidet sich von den anderen Vergaberichtlinien insoweit, als sie ihren Anwendungsbereich nicht anhand der Art der Leistung (Lieferung, Dienstleistung usw.), sondern anhand des Zusammenhangs mit bestimmten Aufgaben des öffentlichen Auftraggebers 201
Vonderheid, Die Beschaffungswirtschaft, S. 117. Vgl. M.-A. Flamme/P. Flamme, AJDA 1989, 654. 203 Erwägungsgrund Nr. 6 der RL 71/305, Abi. L 185/5 vom 16.8.1971, Erwägungsgrund Nr. 8 der RL 77/62, Abi. L 13/2 vom 15.1.1977. 204 Weiss, Public Procurement, S. 124; J.F. Auby/Bronner, AJDA 1990, 258 f. 205 Berlin, AJDA 1991, 14, 16. Nach Rittner, NVwZ 1995, 314 sprengt diese Erstrekkung des Anwendungsbereichs der SKR auch auf Private die Einheit des öffentlichen Auftragswesens. 202
IV. Bindung an die Vergaberichtlinien
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definiert 206. Es werden Träger gebunden, die sich in einer besonderen Beziehung zum Staat befinden, soweit die fraglichen Aufträge zum Zweck der Durchführung bestimmter Tätigkeiten vergeben werden (Art. 6 Abs. 1 SKR). Art. 2 Abs. 1 SKR führt diese Tätigkeiten aus: Es geht um die Bereitstellung, die Versorgung oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Öffentlichkeit in Zusammenhang mit der Produktion, dem Transport oder der Verteilung von Trinkwasser, Elektrizität, Gas und Wärme; die Nutzung eines geographisch abgegrenzten Gebietes zum Zwecke der Suche nach oder Förderung von Erdöl, Gas, Kohle oder anderen Festbrennstoffen; die Versorgung von Beforderungsunternehmen im Luft-, See- oder Binnenschiffsverkehr mit Flughäfen, Häfen oder anderen Verkehrseinrichtungen 207; das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Öffentlichkeit im Bereich des Verkehrs per Schiene, automatische Systeme, Straßenbahn, Trolleybus, Bus oder Kabel208; die Bereitstellung oder das Betreiben öffentlicher Telekommunikationsnetze oder das Angebot eines oder mehrerer Telekommunikationsdienste209. Ausgenommen wird allerdings der Betrieb des öffentlichen Busverkehrs, sofern andere Unternehmen entweder allgemein oder für ein besonderes, geographisch abgegrenztes Gebiet die Möglichkeit haben, die gleiche Aufgabe unter den gleichen Bedingungen wie der betreffende Auftraggeber zu übernehmen210. In gleicher Weise gilt die SKR nicht für Aufträge, die zum Zwecke der Weiterveräußerung oder -Vermietung von Sachen an Dritte vergeben werden, vorausgesetzt, daß der Auftraggeber keine besonderen oder ausschließlichen Rechte zur Veräußerung oder zur Vermietung des Gegenstands besitzt und daß andere Unternehmen die Möglichkeit haben, diese Waren unter den gleichen Bedingungen zu verkaufen oder zu vermieten211. 206
Mangûé, AJDA 1994 (Sonderheft), 38. In der Rs. C-247/89, Kom./Portugal, Slg. 1991, 1-3659 ging es um die Abgrenzung der Anwendungsbereiche zwischen LKR und SKR anhand der Vergabe eine Auftrags zur Lieferung und Betrieb einer Telefonanlage. Auftraggeber war die portugiesische juristische Person des öffentlichen Rechts ANA-EP. Zum maßgeblichen Zeitpunkt war die SKR noch nicht erlassen. Der Gerichtshof urteilte, daß Tätigkeiten, die mit dem Funktionieren der für den Verkehr erforderlichen Infrastruktur zusammenhängen, außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs der LKR liegen (S. 3692 f.). 208 Nach Art. 2 Abs. 2 c der SKR ist "ein Netz im Verkehrsbereich vorhanden, wenn die Verkehrsleistung gemäß von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats erteilten Auflagen erbracht wird; dazu gehören die Festlegung der Strecken, die Transportkapazitäten oder die Fahrpläne". 209 Art. 2 Abs. 2 a-d SKR 93/38. 210 Art. 2 Abs. 4 SKR. 211 Art. 7 Abs. 1 SKR. 207
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4. Kap.: Europarecht
Ebenfalls ausgenommen sind Aufträge, die ausschließlich in Verbindung mit einem oder mehreren Telekommunikationsdiensten vergeben werden, soweit andere Unternehmen die Möglichkeit haben, diese Dienste im selben geographischen Gebiet und unter im wesentlichen gleichen Bedingungen anzubieten212. Gelegentlich wird der Vorwurf erhoben, daß die Ausnahme dieser Tätigkeiten das Ergebnis intensiven Lobbyings seitens interessierter Kreise darstellt213. Eine Organisation, die eine der erwähnten Tätigkeiten ausübt, muß nur dann das Vergabeverfahren der SKR befolgen, wenn sie die Eigenschaft einer staatlichen Behörde oder eines öffentlichen Unternehmens i.S. der Richtlinie besitzt, oder wenn sie aufgrund von staatlich eingeräumten, besonderen oder ausschließlichen Rechten tätig wird. Im Art. 1 Abs. 1 wird der Begriff der staatlichen Behörde definiert; es geht um eine wortgetreue Wiederholung des Begriffs des öffentlichen Auftraggebers in den BKR, LKR und DKR. Art. 1 Abs. 2 SKR wiederholt die Definition des öffentlichen Unternehmens der sog. Transparenzrichtlinie (80/723)214 und stellt auf die Kontrolle durch den Staat ab: Öffentliches Unternehmen ist demnach "jedes Unternehmen, auf das die staatlichen Behörden aufgrund von Eigentum, finanzieller Beteiligung oder für das Unternehmen einschlägigen Vorschriften unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben können. Es wird vermutet, daß ein beherrschender Einfluß ausgeübt wird, wenn die staatlichen Behörden unmittelbar oder mittelbar - die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Unternehmens besitzen oder - über die Mehrheit der mit den Anteilen des Unternehmens verbundenen Stimmrechte verfügen oder - mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Unternehmens bestellen können"213. 212
Art. 8 Abs. 1 SKR. Ebenfalls ausgenommen werden geheime Aufträge (Art. 10 SKR), sowie Aufträge zur Lieferung von Energie und Brennstoffen zur Energieerzeugung sowie Aufträge zur Lieferung von Wasser (Art. 9 SKR); ebenfalls Aufträge zur Durchführung von Versorgungsaufgaben in einem Drittland (Art. 6 Abs. 1 ). 213 GÖW, Die Auswirkungen, S. 7; Nach Brown, CMLR 1993, 722, ist die frühere Ausnahme der Sektoren überhaupt das Ergebnis solcher Aktivitäten. 214 Zwischen den beiden Definitionen bestehen nur unbedeutende Unterschiede: Statt "öffentliche Hand" und "oder sonstiger Bestimmungen" (80/723) erscheinen in der SKR die Ausdrücke "staatliche Behörden" und "oder der für das Unternehmen einschlägigen Vorschriften". 213 Art. 1 Abs. 2, SKR 93/38, Abi. L 199/87 vom 14.6.1993.
IV. Bindung an die Vergaberichtlinien
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Diese Definition des öffentlichen Unternehmens läßt formale Kriterien wie die Rechtsform der juristischen Person völlig beiseite und erfaßt somit sämtliche privat- wie öffentlich-rechtliche Erscheinungsformen staatlicher Daseinsvorsorge216. Während der Begriff der staatlichen Behörde die Rechtspersönlichkeit des Trägers voraussetzt, ist dies für den Begriff des öffentlichen Unternehmens nicht der Fall217. Interessanterweise betrachtet die SKR das Verhalten von rein privaten Unternehmen, die aber in besonderer Nähe zum Staat stehen, als genauso regulierungsbedürftig wie das Verhalten öffentlicher Unternehmen218. Deshalb erfaßt die SKR auch Auftraggeber, die keine staatlichen Behörden oder öffentlichen Unternehmen sind, aber die genannten Tätigkeiten "auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausüben, die von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats gewährt wurden219". Art. 2 Abs. 3 SKR beschreibt typische Situationen dieser Art 220 : Als besondere oder ausschließliche Rechte gelten diejenigen Rechte, "die sich aus der von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats aufgrund einer beliebigen Rechts- oder Verwaltungsvorschrift erteilten Genehmigung ergeben", die die Ausübung einer der beschriebenen Tätigkeiten einem oder mehreren der Auftraggeber vorbehält. Die von der SKR beschriebenen besonderen oder ausschließlichen Rechte bestehen somit in der Herstellung eines Monopols zugunsten des Auftraggebers durch einen staatlichen Akt, präziser gesagt durch einen Verwaltungsakt. Es handelt sich dabei um die Beschreibung einer Konzession im weiteren Sinne, deren Merkmal genau die privilegierte Wahrnehmung einer Tätigkeit ist, für die sich der Staat ein Verleihungsrecht gesetzlich vorbehalten hat221. Diese Situation ist für das deutsche Recht eher untypisch; öfter erscheint der privatrechtliche Konzessionsvertrag222, wodurch die Gemeinden dem Versorger das ausschließliche Recht der Benutzung der sich in ihrem Eigentum befindenden Wege zum Betrieb des Versorgungsnetzes entgeltlich einräumen. 216
Zur Bindung der Deutschen Bahn AG bejahend Broß, VerwArch 84 (1993), 402. S. dazu Berlin, AJDA 1991, 17. 218 Prieß, Das öffentliche Auftragswesen, S. 55. 219 Art. 2 Abs. 1 Ziffer b. 220 Weiss, Public Procurement, S. 123 f. 221 Wolff/Bachof/Stober, VwR Π, §104 14 b. 222 Dazu Tettinger, DVB1. 1994, 88 ff. (90); zur wegerechtlichen Konzession und zu den daraus resultierenden Abhängigkeiten von der öffentlichen Hand Notthoff \ DZWiR 1995, 147 ff. (149). 217
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4. Kap.: Europarecht
Ebenfalls kommt es vor, daß Unternehmen dadurch in besonderer Weise privilegiert werden, daß die staatliche Verwaltung durch Entziehung oder Beschränkung von Eigentumsrechten anderer (Enteignung) die Errichtung und Funktion von Einrichtungen in den genannten Sektoren ermöglicht oder erleichtert 223. Auch diese Tatbestände erfaßt die SKR, denn besondere oder ausschließliche Rechte werden insbesondere angenommen "a) wenn ein Auftraggeber zum Bau eines Netzes oder anderer in Absatz 2 beschriebener Einrichtungen durch ein Enteignungsverfahren oder Gebrauchsrechte begünstigt werden kann oder Einrichtungen auf, unter oder über dem öffentlichen Wegenetz anbringen darf." Ferner wird ein besonderes oder ausschließliches Recht angenommen: Mb) Wenn (...) ein Auftraggeber ein Netz mit Trinkwasser, Elektrizität, Gas oder Wärme versorgt, das seinerseits von einem Auftraggeber betrieben wird, der von einer zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaats gewährte besondere oder ausschließliche Rechte genießt". In dieser Konstellation wird der staatliche Einfluß durch die Staatsabhängigkeit des Abnehmers mediatisiert; die Tatsache, daß der Auftraggeber nur wenige Netze oder sogar nur ein einziges Netz einspeisen darf, weil eben zugunsten dieser Netze örtliche Monopolsituationen bestehen, indiziert die besonders schwache Wettbewerbslage eines solchen Auftraggebers: Er ist somit faktisch gezwungen, auch in seinen Bedarfsdeckungsgeschäften den Vorgaben seines einzigen Abnehmers und mittelbar der die besonderen oder ausschließlichen Rechte gewährenden staatlichen Behörde zu gehorchen. Die Richtlinie trägt mit diesen Bestimmungen der Tatsache Rechnung, daß das Verhalten solcher Unternehmungen vielfach staatsabhängig ist, so daß Konzessionäre und andere aufgrund besonderer Rechte in der Daseinsvorsorge tätige Private praktisch Erfüllungsgehilfen des Staates darstellen. Private, die aufgrund eines Konzessionsvertrages, egal in welcher Form, oder einer Lizenz Aufgaben der genannten Sektoren monopolistisch wahrnehmen, unterliegen vielfacher staatlicher Ingerenzmöglichkeiten, vor allem tatsächlicher und finanzieller Art. Wegen dieser besonderen Abhängigkeit und wegen der Abwesenheit von Wettbewerb ist es gut möglich, daß der Staat diese Unternehmen zu nicht marktwirtschaftlichen Entscheidungen beeinflussen kann224. 223
S. z.B. §11 Abs. 1 EnWG. Koutoupa-Rengakou, Dimosies Symvaseis, S. 60; Mangiié , AJDA 1994 (Sonderheft), 39; Kohlhepp, NVwZ 1989, 340; Vonderheid, ZögU 1992, 163 ff. (169); J.F. Auby/Bronner, AJDA 1990, 259; Debène, AJDA 1992, 247. 224
V. Eine Gesamtbetrachtung
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Aus diesem Grunde behandelt die SKR solche Träger gleich wie öffentliche Unternehmen. Die Bestimmung der Adressaten der SKR bleibt Gegenstand heftiger Kritik seitens der öffentlichen Wirtschaft. Es wird insbesondere bemängelt, daß öffentliche Unternehmen dieser Sektoren immerhin dem Substitutionswettbewerb durch private Unternehmen ausgesetzt sind: Die Reglementierung ihres Beschaffungswesens benachteilige die öffentlichen Unternehmen im Verhältnis zu ihren Konkurrenten. Die Bedarfsdeckung öffentlicher Unternehmen sei von politischen Einflüssen und protektionistischen Zwecksetzungen frei und deshalb absolut marktkonform, so daß kein Grund für die fraglichen Maßnahmen der Europäischen Union bestünde. Damit seien die Bindungen der SKR eine unverhältnismäßige, wettbewerbsverzerrende und die öffentlichen Unternehmen diskriminierende Lösung zum Problem der Öffnung der Märkte für öffentliche Aufträge in Europa223.
V. Eine Gesamtbetrachtung Für das Recht der Europäischen Gemeinschaften, insbesondere für die Rechtsprechung des EuGH, besteht kein zentrales Kriterium der Staatlichkeit. Verselbständigte Verwaltungsträger werden anhand verschiedener Maßstäbe beurteilt; die Zuordnung einer Organisation zur öffentlichen Verwaltung wird durch einen Prozeß der Abwägung unterschiedlicher Indizien entschieden. Zu diesen Maßstäben gehören vor allem die Ausstattung des fraglichen Trägers mit hoheitlichen Befugnissen, seine Widmung der Erfüllung von "im Allgemeininteresse" liegenden Aufgaben und seine Steuerung durch die zentrale Verwaltung. Das Kriterium der Ausstattung mit hoheitlichen Befugnissen kommt ausschließlich in der Rechtsprechung des EuGH bezüglich des Adressatenkreises der Grundfreiheiten des Vertrags und der unmittelbaren Wirkung von nicht 225
GÖW, Die Auswirkungen der EG-RL, S. 13 f.; Püttner, Gedenkschrift Thiemeyer, S. 339 ff. (344 f.); für ähnliche Einsprüche der französischen öffentlichen Wirtschaft vgl. J.F. Auby/Bronner, AJDA 1990, 262 und insbesondere Hey/Guillermin, RMC 1989, 637 ff. (640), wo Befürchtungen geäußert werden, daß die Beschaffungen französischer Versorgungsuntemehmen wegen ihrer Größe öfter die Grenzwerte der RL überschreiten werden als die Aufträge der dezentralisierten deutschen Elektrizitätswirtschaft. Zu den verwaltungstechnischen Schwierigkeiten der Anwendung der RL s. von Ameln, Der Städtetag 1989, 7 ff. (12 ff). 21 Gogos
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4. Kap.: Europarecht
rechtzeitig umgesetzten Richtlinien vor. Dagegen wird es von den Vergaberichtlinien nicht erwähnt. Man könnte freilich darauf hinweisen, daß es sich dabei um eine europarechtliche Umbenennung der öffentlich-rechtlichen Organisationsform 226 handelt, die von den Vergaberichtlinien ohnehin erfaßt wird 227. Dies ist freilich für das deutsche Recht in dem Maße wahr, als die öffentlich-rechtlichen Organisationsformen vom obrigkeitlichen Merkmal geprägt werden. In allen untersuchten Bereichen geht man von einem "funktionalen" Begriff des Staates aus: Die Organisationsform des Trägers ist an sich nicht maßgeblich. Diese Auffassung ist aber nicht als eine Verwerfung der materiellen Gehalts der Organisationsform als Anknüpfungsmerkmal, sondern als ein Ausdruck der Autonomie der Europarechts gegenüber den nationalen Rechtsordnungen zu verstehen: Die nationale Organisationsgewalt darf demnach über die Bestimmung der Organisationsform nicht den Anwendungsbereich europarechtlicher Vorschriften beeinflussen können. Da wo keine solche Gefahr besteht, schreckt der EuGH nicht davor zurück, auch die Organisationsform zu berücksichtigen228. Große Bedeutimg kommt ferner dem Kriterium der Erfüllung von öffentlichen, also im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben zu. Sowohl in der Rechtsprechung des EuGH als auch in den Vergaberichtlinien wird dieses Kriterium als ein imbestimmter Rechtsbegrifif eingesetzt, der auf vorgeprägte Wertungen der Staatlichkeit bestimmter Tätigkeiten verweist. Die Regelung der Ausübung bestimmter Berufe (Urteile Auer II, Royal Pharmaceutical Society, Hünermund), die Versorgung mit Energie (Urteil Foster, SKR) oder die Sicherung der öffentlichen Ordnung (Urteil Johnston) werden stillschweigend als "natürlich" staatliche Aufgabenkreise angesehen, die zur staatlichen Qualifikation ihrer Träger führen. Daß es nicht nur auf den Bezug auf das Allgemeinwohl, sondern eher auf ein Vorverständnis der Staatlichkeit bestimmter Aufgaben ankommt, beweist die Beschränkung des Geltungsbereichs der Vergaberichtlinien auf Träger "nicht gewerblicher Art": Die Verwendung zwei höchst unbestimmter und sich gegenseitig definierenden Begriffe im selben Tatbestand führt zur praktischen Unmöglichkeit eines sachlichen Subsumtionsvorgangs. 226
Vgl. Théron , RTDE 1990, 696. Hailbronner, EWS 1995, 288. 228 S. oben in diesem Kapitel Π 2 b). das Urteil EuGH Rs. C-292/92, Hünermund, Slg. 1993,1-6787. 227
V. Eine Gesamtbetrachtung
323
Der Maßstab der Erfüllung von öffentlichen Aufgaben wird in den meisten Fällen durch das Kriterium der Kontrolle des fraglichen Trägers durch den Staat ergänzt. Diesem Kriterium kommt in den meisten Hinsichten eine größere Bedeutung zu. Wie GA van Gerven bemerkt: "Immer wenn es im Hinblick auf die verfolgte Zielsetzung darum ging, den Begriff "Staat" weit auszulegen, wird das Kriterium der tatsächlichen Kontrolle, des dominierenden Einflusses und der Möglichkeit des Staates bindende Anweisungen zu geben, herangezogen, gleichgültig auf welche Art dies verwirklicht wird" 229. Sowohl im Rahmen der Beurteilung von einführbeschränkenden Maßnahmen als auch in der Dogmatik der Staatsgerichtetheit von nicht umgesetzten Richtlinien und in den Vergaberichtlinien wird ersichtlich, daß verselbständigte Verwaltungsträger immer zum Staat zugerechnet werden, wenn ihre Willensbildung von der Ministerialverwaltung bestimmt wird. Nicht nur das Bestehen staatlicher Weisungsbefugnisse und die Bestellung der Verwaltung verselbständigter Träger sondern auch rein tatsächliche Abhängigkeiten (Finanzierung, Einräumung von ausschließlichen Rechten) werden dabei als eindeutige Indizien einer solchen Beherrschung bewertet. Letztendlich wird der Staat als ein Gesamtverband angesehen, der durch eine einheitliche Willensbildung geprägt wird. Im Urteil Johnston, in dem die Unabhängigkeit des fraglichen Trägers von politischen Instanzen vorgebracht wurde, weicht der EuGH scheinbar von diesem Kriterium ab. Der Gerichtshof führt dabei aber auch das verwendete Kriterium der hoheitlichen Stellung der vorliegenden Verwaltungseinheit auf ein Abhängigkeitsverhältnis vom Staat zurück: Der fragliche Träger kann nach dem EuGH "aus der Mißachtung des Gemeinschaftsrechts durch den Staat, von dem er seine Stellung herleitet, keinen Nutzen ziehen"230.
229 230
Slg. 1990,3336. EuGH Rs. 222/84, Slg. 1986, 1691, Tz. 56.
Fünftes Kapitel
Eine Synthese I. Die Zuordnung des handelnden Trägers zur öffentlichen Verwaltung als Voraussetzung der Grundrechtsbindung Gegenstand der vorliegenden Untersuchung war die Bestimmung der verselbständigten Verwaltungseinheiten, die in den verschiedenen europäischen Rechtsordnungen unter den Begriff der öffentlichen Verwaltung als Adressat staatsgerichteter Sonderbindungen subsumiert werden. Die erste Annäherung an die jeweilige Rechtsordnung hat gezeigt, daß die Theorien über die Geltung der Grundrechte die staatliche Handlung als den zentralen Anknüpfungspunkt staatlicher Sonderbindungen betrachten. Handlungen und nicht Träger stehen im Mittelpunkt des staatlichen Sonderrechts1. Entwickelte Systeme des Verwaltungsrechts wie das deutsche oder das französische stilisieren diese Handlungen als Tatbestandsmerkmale staatlicher Sonderrechtssätze in Rechtsformen, die den staatlichen Charakter der ausgeübten Handlung in sich "speichern"2. Eine nähere Betrachtung der untersuchten Rechtsordnungen deutet allerdings darauf hin, daß die Präsenz des staatlichen Elements in der fraglichen Handlung an sich nicht die alleinige Voraussetzung der Auslösung staatlicher Sonderbindungen ist. Vielmehr ist es erforderlich, daß auch die handelnde Organisation dem Staat zugeordnet werden kann. Diese "institutionelle" Voraussetzung der Grundrechtsbindung tritt im französischen und im griechischen Recht durch das sog. "organische Kriterium" des öffentlichen Rechts 1
Sowohl das deutsche als auch das französische und das griechische Verwaltungsrecht knüpfen staatliche Sonderbindungen primär an die besondere öffentlich-rechtliche Handlungsform an: Kap. 3, Abschnitt 1,11; Kap. 3, Abschnitt 2,1: Kap. 3, Abschnitt 4, Π. Auch das englische Verwaltungsrecht interessiert sich im Rahmen der ultra-vires Lehre vor allem für die Ermächtigungsgrundlage von Handlungen: Kap. 3, Abschnitt 2, Π. 2 Zu dieser Speicherfunktion von Formen s. Schmidt-Aßmann, DVB1. 1989, 533 f.
I. Die Zuordnung zur öffentlichen Verwaltung
325
besonders deutlich zutage3. Dies gilt jedoch auch für die klassische und primäre Anknüpfung der Grundrechte im deutschen Verwaltungsrecht: Grundsätzlich 4 können nur Rechtsakte öffentlich-rechtlicher Träger öffentlich-rechtlich qualifiziert werden5. Aber auch im Rahmen der neueren Lehre des Verwaltungsprivatrechts interessiert nicht nur die Eigenschaft der fraglichen Handlung als unmittelbare Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, sondern auch die Zuordnung des handelnden Trägers zum staatlichen Bereich6. Mittelbar, über diese Voraussetzung des staatlichen Charakters der Handlung, geben also die untersuchten Anknüpfungsregeln Informationen über die notwendigen Merkmale verselbständigter Verwaltungseinheiten als Zuordnungssubjekte staatlicher Sonderbindungen. Die Formel der Grundrechtsbindung von verselbständigten Verwaltungseinheiten präsentiert sich insgesamt als eine Anknüpfung an staatliche Entscheidungen bzw. Handlungen, die die Zuordnung des handelnden Trägers zur Verwaltung voraussetzt. Insofern ist die Anknüpfung staatlicher Sonderbindungen eine doppelte: Sowohl der handelnde Träger als auch der fragliche Rechtsakt müssen Merkmale des Staatlichkeit aufweisen. Die englische Rechtsordnung weist freilich eine Reihe von geschichtlich bedingten Besonderheiten auf: Das englische Recht unterscheidet in der Tat überhaupt nicht oder nur schwer zwischen staatlichen und privaten Institutionen7. Das Fehlen einer Dogmatik staatlicher Organisationsformen ist eine Erscheinungsform dieser britischen Besonderheit. Obwohl die Rechtsprechung oft von Trägern spricht, die den staatlichen Sonderbindungen unterliegen, ist letztendlich festzustellen, daß die staatlichen Sondermaßstäbe (mindestens in der klassischen ultra vires-Lehre) praktisch nur an die Herkunft der Handlungsermächtigung anknüpfen 8. Die institutionelle Zuordnung des handelnden Trägers zur öffentlichen Verwaltung wird im Grunde nicht untersucht. Damit kann jedes Rechtssubjekt den Tatbestand staatlicher Sonderrechtssätze erfüllen, wenn es Handlungen mit staatlichem
3
S. oben Kap. 3, Abschnitt 2, Π; Kap. 3, Abschnitt 4, Π. Mit der Ausnahme der Beleihung und des umstrittenen öffentlich-rechtlichen Vertrags zwischen Privaten. 5 S. oben Kap. 3, Abschnitt 1,12. 6 S. oben Kap. 3, Abschnitt 1, ΠΙ 1 ff. 7 Grimm, in Voigt (Hrsg.), Abschied vom Staat - Rückkehr zum Staat?, S. 27 ff. (33 f.); Ridley , DÖV 1995, 576, 578. 8 S. oben Kap. 3, Abschnitt 3, Π. 4
5. Kap.: Eine Synthese
326
Charakter vornimmt. Erst seit der Datafin-Rechtsprechung erscheinen Ansätze einer Anknüpfung an den staatlichen Charakter des handelnden Trägers9. Im Recht der Europäischen Gemeinschaften wird andererseits die Anknüpfung staatlicher Sonderbindungen an die Zuordnung des handelnden Trägers zum Staat besonders deutlich. Im Gegensatz zu den nationalen Rechtsordnungen besteht hier keine doppelte Anknüpfung der Bindung an staatliches Sonderrecht: Hier hängt der staatliche Charakter einer Maßnahme ausschließlich von der Zugehörigkeit des handelnden Trägers zur öffentlichen Verwaltung ab; eine Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Handlungen eines Trägers wird nicht vorgenommen. Jegliche vertragswidrig wirkende Tätigkeit von staatlichen Trägern wird am Maßstab des staatlichen Sonderrechts gemessen10.
I I . Die traditionelle Konzeption der grundrechtlich gebundenen Organisations- und Handlungsformen Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, daß die theoretische Konzeption des staatlichen Charakters sowohl der fraglichen Handlung als auch des fraglichen Trägers auf einem gemeinsamen Kriterium beruht. Grundrechtlich gebundene Organisations- und Handlungsformen der öffentlichen Verwaltung definieren sich gegenüber den übrigen, gemeinen (privatrechtlichen) Formen anhand desselben materiellen Merkmals der Staatlichkeit: So bestimmen sich Handlungs- und Organisationsformen des öffentlichen Rechts im deutschen Recht letztendlich anhand des Kriteriums der Hoheitsgewalt11. Diese definierende Funktion übernimmt im französischen Recht der Begriff des service public12. Im griechischen Recht beruhen die öffentlich-rechtlichen Formen auf 9
S. oben Kap. 3, Abschnitt 3., VI 2. So ist die Staatlichkeit einer Maßnahme i.S. von Art. 30 ff. EGV ausschließlich auf die Zuordnung zu einem staatlichen Subjekt zurückzuführen: S. das Urteil Irish Goods Council (Kap. 4, Π 2 a); vgl. auch die Ausführungen des EuGH im Marshall-Urteil: Der Staat ist an nicht umgesetzte Richtlinien gebunden, unabhängig davon, ob er als Arbeitsgeber oder als Hoheitsträger handelt (Kap. 4, ΠΙ 2 b). 11 S. oben Kap. 1, Abschnitt 1,1 3 und 4; Kap. 3, Abschnitt 1,12. 12 Im französischen Recht muß man differenzieren: Der engere Bereich staatlicher Handlungs- und Organisationsformen definiert sich aufgrund des service public administratif und der Vermutung öffentlich-rechtlichen Handelns, die er begründet: s. oben Kap. 1, Abschnitt 2, I 2 und Π 1 a) sowie Kap. 3, Abschnitt 2, ΠΙ 1. Der weitere 10
Π. Die Konzeption von Organisations- und Handlungsformen
327
einer Kombination der Kriterien der Verfolgung öffentlicher Zwecke und der Ausstattung mit Hoheitsgewalt13. Die Anknüpfung staatlicher Sonderbindungen an die öffentlich-rechtlichen Organisations- und Handlungsformen bedeutet letztendlich eine Anknüpfung an das jeweils definierende Merkmal. Dadurch, daß Handlungs- und Organisationsformen dieses Merkmal in sich "speichern", umschreiben sie den Bereich der Grundrechtsbindung und setzen sie "die Trennung zwischen individueller Freiheit und kompetenzgebundener Herrschaftsordnung in rechtlich handhabbare Münze" (Schmidt-Aßmann14) um. Die Beziehung zwischen der Organisationsform und ihrem prägenden Merkmal ist im deutschen Recht eine mittelbare: So bestimmt sich die öffentlich-rechtliche Organisationsform zuerst anhand von Funktionen, deren Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Handlungsform bedarf, und erst über die Handlungsform durch das materielle Merkmal der Obrigkeit15. Dies führt dazu, daß die Lockerung der Kopplung der öffentlich-rechtlichen Handlungsform zum obrigkeitlichen Merkmal und die damit zusammenhängende Alternativität öffentlich- und privatrechtlicher Handlungsformen im Bereich leistender Verwaltung16, eine entsprechende Gleichwertigkeit öffentlich- und privatrechtlicher Organisationsformen nach sich zieht17. Die Organisationsform des öffentlichen Rechts wird auch im französischen Recht durch einen Vorbehalt öffentlich-rechtlichen Handelns geprägt: Dies geschieht dadurch, daß zugunsten öffentlich-rechtlicher Träger ein Monopol von staatlichen Aufgaben (services publics) besteht, deren Ausübung das grundsätzlich auch die öffentlich-rechtliche Handlungsform prägende Merkmal ist18. Bereich der Bindung an den Gleichheitssatz knüpft überhaupt an die Wahrnehmung eines service public, also auch gemeinwohlbezogener Aufgaben wirtschaftlicher Natur. 13 S. oben Kap. 1, Abschnitt 4, I und Kap. 3, Abschnitt 4, m 2 und ffl 3. Die öffentlich-rechtliche Organisationsform ist im griechischen Recht letztendlich dogmatisch schwach konturiert; die Qualifikation einer Organisation hat vor allem empirischen Charakter. Die Ausübung von Hoheitsgewalt und die Verfolgung eines öffentlichen Zwecks qualifizieren einen Vertrag als öffentlich-rechtlich; bei der Bestimmung des Verwaltungsakts scheint das Kriterium des öffentlichen Zwecks vorherrschend. 14 Schmidt-Aßmann, BB 1990, Beil. 34, 1 ff. (7). 15 S. oben Kap. 2, Abschnitt 1,1 3 und 14. 16 Dies hängt vor allem mit der Istitution des öffentlich-rechtlichen Vertrags und der Qualifikation des Verwaltungshandelns aufgrund von Annexregeln zusammen. S. oben Kap. 3, Abschnitt 1,11. 17 S. oben Kap. 1, Abschnitt 1,14. 18 S. oben Kap. 3, Abschnitt 2, Π, ΠΙ 1 und m 2.
328
5. Kap.: Eine Synthese
Letztendlich ist freilich die theoretische Konzeption des Zusammenhangs zwischen öffentlich-rechtlichen Organisations- und Handlungsformen von einer zirkulären Argumentationsstruktur geprägt: Wie bereits gezeigt wurde, ist der öffentlich-rechtliche Charakter der Organisationsform die (grundsätzliche) Voraussetzung für das Vorhandensein einer öffentlich-rechtlichen Handlung; aber auch umgekehrt ist die Fähigkeit zum öffentlich-rechtlichen Handeln das Merkmal von Trägern in öffentlich-rechtlicher Organisationsform. Die französische und die griechische Rechtsprechung qualifizieren, vielleicht auch deshalb, die Organisationsform eines Trägers nicht nur anhand ihres in der Theorie prägenden Merkmals, sondern durch die Gewichtung eines Bündels verschiedener Indizien19. Im deutschen Recht ergibt sich freilich kein ähnliches Problem, da im Rahmen der Lehre der Formenwahlfreiheit der Verwaltung die staatliche Bestimmung der Organisationsform des Trägers durch Staatsakt (im Fall öffentlich-rechtlicher Verfassung) bzw. durch Gesellschaftsvertrag als gegeben akzeptiert wird 20.
I I I . Die Aussagekraft der Organisationsform im Anwendungsbereich supplementärer Anknüpfungen Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die staatlichen Sonderbindungen im deutschen und z.T. auch im französischen Recht auf ein neues, ergänzendes Anknüpfüngsmerkmal für die Qualifikation von Handlungen ausgerichtet. Diese neuen Kriterien der Staatlichkeit, im französischen Recht die Ausübung obrigkeitlicher Befugnisse durch den fraglichen Rechtsakt21 und im deutschen Recht die unmittelbare Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch die fragliche Handlung, haben ihren eigenen Lebensraum neben den traditionellen und weiterhin geltenden - Anknüpfungspunkten gefünden 22. Damit wurde der Anwendungsbereich des staatlichen Sonderrechts, vor allem im deutschen Recht, erweitert. 19
S. oben zum französischen Recht Kap. 1, Abschnitt 2,1 3; zum griechischen Recht Kap. 1, Abschnitt 4,1. 20 Kap. 1, Abschnitt 1,13. 21 Zu diesem Kriterium der "prérogatives de puissance publique" s. die Rechtsprechung des fr. Verfassungsrates, Kap. 3, Abschnitt 2, Π, sowie die Judikatur bezüglich der privatrechtlichen Wirtschaftsverbände in IV 1. 22 S. Kap. 3. Abschnitt 1, Π 1.
ΠΙ. Die Organisationsfoim bei supplementären Anknüpfungen
329
Das ergänzende Anknüpfungsmerkmal staatlicher Sonderbindungen bei der Beurteilung der Staatlichkeit von Handlungen entwertet in seinem Anwendungsbereich die öffentlich-rechtliche Handlungsform als die allein grundrechtsgebundene Form des Handelns: So spricht man z.B. im Rahmen der Lehre vom Verwaltungsprivatrecht von einer Grundrechtsbindung privatrechtlichen Handelns der Verwaltung. Im französischen Recht wird nicht die Handlungsform an sich, sondern ihr materielles Merkmal entwertet: So sehen verschiedene Urteile des Staatsrats davon ab, Bezug auf die Wahrnehmung von services publics administratifs durch die fragliche Handlung zu nehmen23. Die Untersuchung hat gezeigt, daß die Irrelevanz der öffentlich-rechtlichen Handlungsform bzw. ihres spezifischen Inhalts auch zwangsläufig zur Entwertung der öffentlich-rechtlichen Organisationsform fuhrt: Auch privatrechtlich verfaßte Träger werden im Anwendungsbereich dieser supplementären Anknüpfungsmerkmale an staatliches Sonderrecht gebunden24. Dies ist dadurch zu erklären, daß öffentlich-rechtliche Organisations- und Handlungsformen sich gegenseitig bestimmen und dasselbe, nunmehr belanglose Anknüpfungsmerkmal beinhalten. Bei der Anwendung ergänzender Anknüpfungspunkte staatlicher Sonderbindungen verliert damit die Organisationsform zusammen mit der ihr entsprechenden Handlungsform ihre grundsätzliche Bedeutung als "Speicher" des staatlichen Charakters des handelnden Trägers. Die öffentlich-rechtliche Organisationsform wird freilich immerhin in den meisten Fällen als Nachweis der Staatlichkeit einer verselbständigten Verwaltungseinheit akzeptiert. So wird die unmittelbare Erfüllung von öffentlichen Aufgaben im deutschen Recht fast immer als grundrechtsgebunden betrachtet, wenn die handelnden Träger öffentlich-rechtlich verfaßt sind25. Dies kann auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden: Die Organisationsform des öffentlichen Rechts enthält zum einen auch außerhalb ihres prägenden Merkmals eine Vielzahl von Verbindungen mit der staatlichen Organisation, wie die Gemeinwohlbindung, die Gründung durch Staatsakt und die Ausübung von Aufsichtsbefugnissen durch die Verwaltung26. Zum anderen besitzen Formen auch eine ideologisch-symbolische Kraft, die eventuell auch 23
S. oben Kap. 3, Abschnitt 2, IV 1. Zum deutschen Recht Kap. 3, Abschnitt 1, ΠΙ 4 a) ff.; zum französischen Recht Kap. 3, Abschnitt 2, IV 1. 25 S. oben Kap. 3, Abschnitt 1, m 2. 26 Zum deutschen Recht Kap. 1, Abschnitt 1, I 2 und Π; zum französischen Recht Kap. 1, Abschnitt 2, Π 1 a) ff; zum griechischen Recht Kap. 1, Abschnitt 4, IV 1 ff. 24
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5. Kap.: Eine Synthese
unabhängig von ihrem charakteristischen Inhalt fortbestehen kann: Öffentlichrechtliche Organisationsformen verkörpern einen staatlichen "Herrschaftsa/ispruch" 21. Der Fall der öffentlichen Rundfunkanstalten im deutschen Recht beweist im übrigen, daß die öffentlich-rechtliche Organisationsform im Rahmen der Anwendung der neuen, supplementären Anknüpfung nicht mehr zwangsläufig die Qualifikation des Trägers als öffentliche Verwaltung bedeutet28. Es ist aber vor allem die privatrechtliche Organisationsform, die durch die supplementäre Anknüpfung an Aussagekraft verliert. In einem System, in dem sich die öffentlich-rechtlichen Organisationsformen durch das Anknüpfungsmerkmal staatlicher Sonderbindungen definieren, bedeutet die privatrechtliche Organisationsform ex definitione einen automatischen Ausschluß aus dem Kreis der Adressaten solcher Rechtssätze29. Der Automatismus dieser traditionellen Zuordnung wird durch die ergänzende Anknüpfung in ihrem Anwendungsbereich in Frage gestellt. Der staatliche Charakter eines Privatrechtsträgers wird deshalb im Rahmen der Lehre vom Verwaltungsprivatrecht 30 wie auch in der französischen Rechtsprechung zu den privatrechtlichen (Land-) Wirtschaftsverbänden 31 eigenständig, ohne Rücksicht auf die Organisationsform und nach besonderen Maßstäben geprüft. Die Untersuchung des griechischen Rechts hat diese Betrachtung bestätigt: Das griechische Verwaltungsrecht kennt keine Grundrechtsbindung von privatrechtlichen Trägern, da es an einem zweiten Anknüpfüngsmerkmal staatlicher Sonderbindungen fehlt: Die Organisationsform behält ihre Bedeutung für die Zuordnung des handelnden Trägers zum staatlichen Bereich, weil die Bindung an staatliches Sonderrecht weiterhin an die öffentlichrechtliche Handlungsform und an die in ihr gespeicherten Merkmale anknüpft 32.
27
Schmidt-Aßmann, AÖR 116 (1991), 329 ff. (343). So wird die öffentlich-rechtliche Organisationsform im Rahmen der Beurteilung der Grundrechtsbindung der privatrechtlichen programmgestaltenden Tätigkeit dieser Träger als unerheblich angesehen. S. oben Kap. 3, Abschnitt 1, DI 2. 29 Entsprechendes gilt auch für die privatrechtliche Handlungsform. 30 S. oben Kap. 3, Abschnitt 1, ΠΙ1. 31 S. oben Kap. 3, Abschnitt 2, IV 1. 32 S. oben Kap. 3, Abschnitt 4, Π. 28
IV. Die Kriterien der Zuordnung zur öffentlichen Verwaltung
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IV. Die Kriterien der Zuordnung eines Trägers zur öffentlichen Verwaltung 1. Der Befund der Rechtsvergleichung In den Ausführungen über das deutsche Recht hat man festgestellt, daß in der gerichtlichen Anwendimg der Lehre vom Verwaltungsprivatrecht zwei Merkmale die staatliche Qualität einer verselbständigten Verwaltungseinheit in Privatrechtsform bestimmen: Erstens muß es sich um einen Träger handeln, welcher mit der Erfüllung von öffentlichen Aufgaben, vor allem der Daseinsvorsorge, beauftragt ist; zweitens muß eine institutionelle Verknüpfung mit der öffentlichen Verwaltung, eine Anbindung an den zentralen Verwaltungsapparat, vorhanden sein, vor allem in der Form einer mehrheitlichen Beteiligung des Staates33. Die Abwesenheit staatlicher Steuerung führte andererseits zur Zuordnung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zum gesellschaftlichen Bereich34. Im zweiten Löschwasser-Urteil des Bundesgerichtshofes wird die Grundrechtsbindung einer gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaft durch die Erfüllung delegierter staatlicher Aufgaben begründet35. Die Lösungen des französischen Rechts sind ähnlich. Der Staatsrat qualifiziert obrigkeitliche Handlungen privatrechtlicher (Land-) Wirtschaftsverbände als Verwaltungsakte, wenn der fragliche Träger mit der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben (services publics administratifs) beauftragt ist und der Kontrolle der Ministerialverwaltung unterliegt. Im Fall der Nationalen Sportverbände ist es ausschlaggebend, daß der jeweilige Sportverband delegierte Hoheitsbefugnisse der Ministerialverwaltung wahrnimmt36. Der Anknüpfungswechsel bei der Beurteilung von Handlungen durch die Datafin-Rechtsprechung hat auch im englischen Recht zu einer gewissen gerichtlichen Untersuchung der Merkmale verwaltungsnaher Organisationen im Rahmen des judicial review geführt. Man glaubt, erkennen zu können, daß der staatliche Charakter der fraglichen Handlung als Ausübung delegierter öffentlicher Funktionen nicht der einzige bedeutsame Faktor ist; auch die Einordnung des handelnden Trägers durch Ingerenzen und Begleitmaß33 34
S. oben Kap. 3, Abschnitt 1, m 4 a). Dies gilt nur für den Bereich der Programmtätigkeit. S. oben Kap. 3, Abschnitt 1,
m 3. 35
36
S. oben Kap. 3, Abschnitt 1, ffl 4 b). Zu beiden Konstellationen s oben Kap. 3, Abschnitt 2, IV 1.
332
5. Kap.: Eine Synthese
nahmen der öffentlichen Verwaltung in ein staatliches Konzept der Aufgabenerfiillung scheint eine wichtige Rolle für die Anwendbarkeit der staatlichen Sonderbindungen zu spielen37. Das Recht der Europäischen Gemeinschaften muß wegen seiner Autonomie gegenüber den nationalen Rechtsordnungen zwangsläufig auf eine Anknüpfung an die Organisationsform verzichten, da diese letztendlich vom nationalen Gesetzgeber bestimmt wird 38. Die Rechtsprechung zum Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen knüpfte zuerst an die Unterstützung bzw. Beherrschung durch den Staat und danach an die obrigkeitliche Position des fraglichen Trägers an39. Die Judikatur des EuGH zur Bindung von verselbständigten Verwaltungseinheiten an nicht umgesetzte Richtlinien knüpft an ein Bündel von Indizien an, unter denen die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, die Ausstattung mit hoheitlichen Befugnissen und die Beherrschung des Trägers durch die Ministerialverwaltung die größere Bedeutung besitzen40. Die Vergaberichtlinien interessieren sich vor allem für die Ausrichtung des Trägers auf die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, vorausgesetzt, daß der fragliche Auftraggeber keinen gewerblichen Charakter besitzt. Kumulativ muß allerdings auch eine Beherrschung durch bzw. Abhängigkeit vom Staat vorliegen41. In der Sektorenkoordinierungsrichtlinie kommt zusätzlich die Bindung von Unternehmen der Daseinsvorsorge hinzu, die entweder vom Staat beherrscht werden (öffentliche Unternehmen) oder in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zur öffentlichen Hand stehen (Konzessionäre)42. Die rechtsvergleichende Untersuchung hat damit gezeigt, daß die wichtigsten Kriterien für die Subsumtion von Trägern unter den Begriff des Staates als Adressat von Sonderbindungen die hoheitliche Stellung des Trägers im Vergleich zu den Bürgern, seine Widmung der Erfüllung von Aufgaben im öffentlichen Interesse, die Wahrnehmung delegierter staatlicher Kompetenzen und die Beherrschung durch die Ministerialverwaltung sind.
37 38 39 40 41 42
S. oben Kap. 3, Abschnitt 3, VI 2. S. oben Kap. 4, V. S. oben Kap. 4, Π 2 a) f. S. oben Kap. 4, m 2 c). S. oben Kap. 4, IV 2 c). S. oben Kap. 4, IV 3.
IV. Die Kriterien der Zuordnung zur öffentlichen Verwaltung
333
2. Das Kriterium der Überordnung des handelnden Trägers Überordnung bedeutet die Ausstattung mit obrigkeitlichen Befugnissen, welche dem Träger eine höhere, obrigkeitliche Position gegenüber den Bürgern verschafft. Eine Lehre, die die Ausübung von Hoheitsgewalt als kennzeichnendes Merkmal der Staatlichkeit begreift, kann eine echte materielle Definition des Gegenstands des Gewaltvorbehalts zugunsten des Staates nicht umgehen. Gewalt bedeutet letztendlich körperlichen Zwang: "Die staatliche Besonderheit gegenüber den nichtstaatlichen Organisationen kommt darin zur Geltung, daß er (sc. der Staat) allein das Mittel des körperlichen Zwangs einsetzen darf, um seine Ziele durchzusetzen"43. Man kommt letztendlich zu einem Begriff des Staates, der vor allem durch das Monopol physischer Gewalt und damit die staatsspezifischen Mittel, zu derem Einsatz hoheitliche Befugnisse schließlich ermächtigen44, geprägt wird. Die Ausstattung mit obrigkeitlichen Befugnissen als Kriterium der Qualifikation eines Trägers als eines Adressaten staatlicher Sonderbindungen ist allerdings mit einem logischen Fehler behaftet. Der Tatbestand staatlicher Sonderbindungen wird mit der Rechtsfolge eines anderen staatsgerichteten Rechtssatzes (nämlich, daß nur der Staat Gewalt ausüben darf) verknüpft; der fragliche Träger wird als Staat qualifiziert, weil eine andere, ausschließlich staatsgerichtete Norm ebenfalls auf diesen Träger als Staat anwendbar ist.
3. Die Erfüllung gemeinwohlbezogener Aufgaben Unter Zugrundelegung des funktionalen Maßstabs sind diejenigen Träger zur öffentlichen Verwaltung zu zählen, die als staatlich bzw. als staatstypisch betrachtete Funktionen wahrnehmen. Die Erfüllung von öffentlichen Aufgaben durch den Träger beinhaltet als Maßstab praktisch nur eine Blancoformel, im Sinne daß der dahinterliegende Begriff des öffentlichen Interesses außerordentlich schwer eingrenzbar ist. Wie die Darstellung dieser kritischen Betrachtung der deutschen Rechtswissenschaft43 und die Analyse der Handhabung des Kriteriums des Gemeinwohlbezugs im Europarecht46 gezeigt ha43 44 43 46
Isensee, HStR I, §13, Rdnr. 74, S. 621. Isensee, HStR I, §13, Rdnr. 74, S. 621. S. oben Kap. 3, Abschnitt 1, Π .2. S. oben Kap. 4, Nr. V.
334
5. Kap.: Eine Synthese
ben, liegt dieser Dogmatik oft ein gewisses Vorverständnis, eine im voraus gebildete Konzeption des staatlichen Aufgabenbereichs zugrunde. Die Zuordnung von bestimmten Aufgaben zum gemeinwohlorientierten staatlichen Bereich erfolgt also in manchen Fällen aufgrund traditionsbedingter Vorstellungen der Staatlichkeit. Die rechtsvergleichende Untersuchung hat gezeigt, daß die untersuchten Rechtsordnungen den staatlichen Funktionsbereich ähnlich auffassen. Vor allem werden diejenigen Aufgaben als im Allgemeininteresse liegend betrachtet, die im deutschen Recht unter dem Konzept der Daseinsvorsorge zusammengefaßt werden: Energie- und Wasserversorgung, Betrieb von Verkehrs- und Telekommunikationsnetzen. Träger, die solche Aufgaben erfüllen, stellen nicht nur im deutschen47, sondern auch im französischen Recht48 und im Recht der Europäischen Gemeinschaften49 Adressaten staatlicher Sonderbindungen dar. Dazu kommen verschiedene andere Aufgaben, die nach den europäischen Traditionen als typische Verwaltungstätigkeiten gelten; dazu gehören z.B. die Überwachung der Ausübung freier Berufe 50 und anderer Wirtschaftstätigkeiten 51, die Förderung bzw. die marktwirtschaftliche Ordnung der Landwirtschaft 52 oder Aufgaben der Vorsorge53. Andererseits bestehen Funktionen, die in allen Rechtsordnungen als privater Natur aufgefaßt werden: Die deutsche Kategorie der Erwerbswirtschaft findet ihre Korrelate in den Tätigkeiten des Wettbewerbssektors in Frankreich 54, im Ausschluß von 47
S. oben Kap. 3, Abschnitt 1, m 4 a). S. oben die Lehre über die Bindung an das Prinzip der Gleichheit vor dem service public, das vor allem Träger der Daseinsvorsorge erfaßt; Kap. 3, Abschnitt 2, V 2. 49 S. sowohl das Urteil Foster gegen British Gas, Kap. 4, ΠΙ 2 c) als auch die Erfassung von Trägern der Daseinsvorsorge durch die Vergaberichtlinien. 50 S. oben zur Bindung von berufsständischen Kammern im deutschen Recht Kap. 3, Abschnitt 1, ΠΙ 2; Kap. 3, Abschnitt 2, IV 1; zur Bindung von berufsständischen Kammern an die Grundfreiheiten des EG- Vertrags und an nicht rechtzeitig umgesetzte Richtlinien s. Kap. 4, Π 2 b) und m 2 b). 51 Zur Bindung des Panel on Take Overs and Mergers s. oben Kap. 3, Abschnitt 3, ΠΙ 2 b). 52 S. den Fall der französischen Träger der landwirtschaftlichen Marktordnung, Kap. 3, Abschnitt 2, IV 1; zur Bindung des Apple and Pear Development Council an die Grundfreiheiten des EG-Vertrags s. Kap. 4, Π 2 a). 53 S. den Fall der Stiftung Mutter und Kind, Kap. 3, Abschnitt 1, ΠΙ4 c); s. auch die Bindung des National Health System an nicht umgesetzte Richtlinien im MarshallUrteil, Kap. 4., m 2 b). 54 Zu diesen gewerblichen Tätigkeiten, die überhaupt nicht unter den Begriff des service public fallen s. oben Kap. 3, Abschnitt 2, V 1 und 6. 48
IV. Die Kriterien der Zuordnung zur öffentlichen Verwaltung
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Tätigkeiten "mit rein unternehmerischer Natur" von der Anwendung der ultra vires-Lehre im englischen Recht55 sowie in der Ausnahme gewerblicher Träger in direktem Wettbewerb zur Privatwirtschaft von der Anwendung der Vergaberichtlinien56. Die Untersuchung hat andererseits auch Diskrepanzen zwischen den untersuchten Rechtsordnungen offengelegt: Während die Organisation sportlicher Wettbewerbe im französischen Recht eine Verwaltungsaufgabe (service public administratif) darstellt57, lehnt das englische Recht den gemeinwohlbezogenen Charakter dieser Tätigkeit ab58. Damit wurde deutlich bestätigt, daß die verwandten Begriffe des Gemeinwohls, des allgemeinen Interesses oder der öffentlichen Aufgaben so unscharf konturiert sind, daß sie als Anknüpfungspunkte nur bei Berücksichtigung von traditionsbedingten Vorurteilen nützlich sein können: Für oder gegen den Charakter von z.B. sportlichen Veranstaltungen als öffentliche Aufgaben lassen sich kaum objektiv fundierte Argumente vorbringen 59; der Jurist ist auf die Werturteile seiner gesellschaftlichen Umgebung angewiesen. Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch den jeweiligen Träger ist als Zuordnungskriterium von selbständigen Verwaltungsträgern zum Staat letzten Endes zu schwach, um allein ausschlaggebend zu wirken. Anders als hinsichtlich der Ausübung von Hoheitsgewalt kann ein staatliches Monopol von Aufgaben mit Gemeinwohlbezug in einer liberalen europäischen Rechtsordnung keinen Bestand haben. Allein die Erfüllung von gemeinwohlbezogenen Aufgaben kann deshalb staatliche von privaten Trägern nicht abgrenzen.
4. Das Konzept der Delegation staatlicher Wahrnehmungsbefugnisse Die Bindung von verselbständigten Verwaltungseinheiten an staatliches Sonderrecht wurde in bestimmten Fallkonstellationen durch die Ausübung delegierter staatlicher Wahrnehmungsbefugnisse begründet. Diesem Konzept 55
S. oben Kap. 3, Abschnitt 3, ΠΙ. S. den Ausschluß von Trägem gewerblicher Natur aus dem Begriff der Einrichtung öffentlichen Rechts in den Vergaberichtlinien, oben Kap. 4, IV 2 c). 57 S. oben Kap. 3, Abschnitt 2, IV 1. 58 S. oben Kap. 3, Abschnitt 3, VI 3. 59 S. oben Kap. 3, Abschnitt 3, VI 3. die Stellungnahmen der Richter in den Urteilen Law v. National Greyhound Racing Club Ltd., R. v. Jockey Club, ex p. Massingsberd Mundy und R. v. Football Association Ltd., ex p. Football League Ltd. 56
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5. Kap.: Eine Synthese
liegt eine Anknüpfung der Grundrechtsbindung ausschließlich an den staatlichen Charakter der wahrgenommenen Tätigkeit zugrunde. Es geht damit um Sachverhalte, die im deutschen Recht dem Rechtsinstitut der Beleihung zugeordnet werden. Eine direkte Analogie zur Beleihung bietet sich vor allem in der französischen Rechtsprechung bezüglich der Nationalen Sportverbände60 an. In den betreffenden Urteilen des Staatsrats wird impliziert, daß die Bindung an staatliches Sonderrecht zusammen mit den wahrgenommenen obrigkeitlichen Befugnissen delegiert wird. Die institutionelle Zuordnung des Trägers zur öffentlichen Verwaltung wird in dieser Rechtsprechung nicht angesprochen; entsprechend werden diejenigen Rechtsakte der betroffenen Träger als nicht grundrechtsgebunden betrachtet, die nicht aufgrund dieser delegierten Befugnisse ergehen. Der Gedanke der Delegation von Aufgaben kommt auch im englischen Datafin-Urteil zum Tragen61. Eine Zuordnung dieses Sachverhalts zu den Beleihungsfallen fallt hier allerdings schwerer, da das Gericht auch gewisse Aussagen zur institutionellen Zuordnung des handelnden Trägers zur öffentlichen Verwaltung macht. Nicht nur verschiedene theoretische deutsche Modelle62, sondern auch das zweite Löschwasser-Urteil des Bundesgerichtshofs versuchen die Grundrechtsbindung verselbständigter Verwaltungseinheiten in Privatrechtsform durch die delegierte Wahrnehmung staatlicher Aufgaben zu begründen. Es geht praktisch um die Einführung eines zweiten Beleihungsbegrififs in das deutsche Recht, der nicht an die Verleihung der Fähigkeit, öffentlich-rechtlich zu handeln, anknüpft, sondern an die Verleihung der Wahrnehmungsbefugnis für staatlich vorbehaltene Aufgaben. Die Darstellung des Systems des französischen Verwaltungsrechts hat gezeigt, daß ein auf der Grundlage staatlich vorbehaltener Aufgaben aufgebautes System des Verwaltungsrechts konstruierbar ist63. Das deutsche Verwaltungsrecht zeigt zwar gewisse Tendenzen zu einem durchgehenden Anknüpfungswechsel vom Merkmal der Obrigkeit zu dem der Verwaltungsaufgaben: Dies wurde bereits in der Darstellung der Diskussion über die Orga60
S. oben Kap. 3, Abschnitt 2, IV 1. S. die Ausführungen des Richters Lloyd, Kap. 3, Abschnitt 3, VI 2. 62 Vor allem diejenigen von Ossenbühl, Schmidt und Koch. S. oben Kap. 3, Abschnitt 1, Nr. ΠΙ 1 und m 4 b). 63 S. oben Kap. 1, Abschnitt 2,11. 61
IV. Die Kriterien der Zuordnung zur öffentlichen Verwaltung
337
nisationsform des öffentlichen Rechts64, über den Begriff der hoheitlichen Befugnisse in Art. 33 Abs. 4 GG63 sowie über den Gegenstand der Beleihung im deutschen Recht66 offensichtlich. Die herrschende Lehre und die Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes gehen dennoch davon aus, daß das deutsche Verwaltungsrecht immer noch ein System darstellt, in dem die Ausübung hoheitlicher Gewalt das Anknüpfungsobjekt staatlicher Handlungen und Organisationsformen darstellt. Eine Konzeption einer ausschließlich auf die Wahrnehmung von Staatsaufgaben orientierten Grundrechtsbindung kann die Ausnahme einer aufgabenbezogenen Beleihung in einem System darstellen, in dem sich die öffentlichen Organisations- und Handlungsformen ebenfalls durch die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben definieren. Solange das deutsche Verwaltungsrecht die spezifisch staatliche Organisationsform durch ein anderes Anknüpfungsmerkmal bestimmt, erscheint jedoch die Konstruktion eines zweiten, parallelen Beleihungstypus systemwidrig. Im übrigen ist auf die Unzulänglichkeiten dieses Konzepts bei der Beurteilung gemischt-wirtschaftlicher Träger bereits hingewiesen worden67.
5. Das Kriterium der Beherrschung durch den Staat Die rechtsvergleichende Untersuchung hat schließlich deutlich gezeigt, daß die Prüfung der Zugehörigkeit eines Trägers zur Verwaltung in den meisten Fällen das Kriterium seiner Anbindung an die ministerielle Verwaltungsorganisation durch staatlichen Einfluß einbeziehen wird. Dies kommt in den bereits dargestellten Qualifikationsformeln der Rechtsprechung eindeutig zum Ausdruck. Ansätze dieser Sichtweise finden sich aber schon in der Auffassung verselbständigter Verwaltungseinheiten in privatrechtlichen Organisationsformen als einer weiteren Erscheinungsform staatlicher Organisation, einer organisationsrechtlichen Hülle des Staates. Die Argumentation, daß das tatsächliche Substrat privatrechtlicher Träger in der Staatsperipherie von demjenigen öffentlich-rechtlicher Organisationen in nichts unterscheidet, verlangt 64 63 66 67
S. oben Kap. 1, Abschnitt 1,12. S. oben Kap. 1, Abschnitt 1,1 3. S. oben Kap. 3, Abschnitt 1,12. S. oben Kap. 3, Abschnitt 1, DI 4 b).
22 Gogos
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5. Kap.: Eine Synthese
die Grundrechtsbindung privatrechtlicher Träger im Wege eines "Durchgriffs" 68. Das Konzept der tatsächlichen Identität zwischen einem privatrechtlichen verwaltungsnahen Träger und der Ministerialverwaltung bedeutet letztendlich die Identität des Willens des Trägers mit dem staatlichen Willen. Diese Identität kann nur das Ergebnis staatlicher Beherrschung sein: Der Durchgriffsgedanke als Begründung der Erweiterung des Anwendungsbereichs staatlicher Sonderbindungen auf privatrechtliche Organisationen beinhaltet deshalb schon das Kriterium der Beherrschung durch den Staat als Maßstab der Qualifikation solcher Träger 69. Staatliche Verwaltung als Anknüpfungspunkt von Sonderbindungen bedeutet in der Demokratie vor allem Teilnahme der fraglichen Organisation an der Ausführung des Staatswillens. Die Kopplung der Willensbildung eines Trägers an die Ministerialverwaltung stellt die Verantwortung des Ministers und damit mittelbar die demokratische Kontrolle des Parlaments über die fragliche verselbständigte Verwaltungseinheit sicher70. Letztendlich kann ein Träger der Staatsgewalt zugeordnet werden, wenn sein Willen auf den Volkswillen zurückführbar ist. Als Anknüpfungspunkt staatlicher Sonderbindungen kennzeichnen demokratische Einflußstränge staatliche Präsenz. Die demokratische Steuerungskette erweist sich damit als ein Strukturmerkmal, das die rechtliche Einheit der Staatsgewalt sicherstellt71, als ein rechtlicher Faden, der verselbständigte Verwaltungseinheiten als Adressaten staatlichen Sonderrechts zusammenbindet. Es ist die "einheitsstifitende Steuerung des Verwaltungshandelns72", welche in erster Linie die Verwaltungsträger als Adressaten staatsgerichteter Rechtssätze umschreibt. Die verschiedenen nationalen verfassungsrechtlichen Vorschriften, wonach alle Gewalt vom Volke ausgeht73, sind demnach nicht 68
Der Gedanke erscheint vor allem im deutschen Recht Kap. 3. Abschnitt 1, IV 4 a); ähnliche Gedanken erscheinen aber auch in der griechischen wissenschaftlichen Diskussion über die Fiskalgeltung der Grundrechte Kap. 3, Abschnitt 4,1; vgl. auch die Rechtsprechung des EuGH in Kap. 4, ΠΙ 2 b) (Marshall). 69 S. oben Kap. 3, Abschnitt 1, ffl 4 a). 70 Zur demokratisch legitimierenden Funktion von ministeriellen Leitungsbefugnissen, s. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 343 ff 71 Haverkate, VVDStRL 46 (1988), 226. 72 Schuppert, DÖV 1987, 757 ff. (761). 73 Art. 20 Abs. 1 GG; Art. 1 Abs. 1 der gr. Verf.; Art. 3, S. 1 der fr. Verf.
IV. Die Kriterien der Zuordnung zur öffentlichen Verwaltung
339
nur als staatsgerichtete Kautelen, sondern auch als eine Beschreibung der tatsächlich konstituierten demokratischen Staatlichkeit zu verstehen. Staatlichkeit kann aber nicht bereits da vorliegen, wo demokratische Steuerung in verschwindenden Quantitäten vorhanden ist. Der Träger muß von der Ministerialverwaltung insgesamt getragen werden, so daß er als ein Organ ausschließlicher Staatsverwaltung74 erscheint75. Maßgeblich ist ein Steuerungsgesamtniveau76, das die jeweilige verselbständigte Verwaltungseinheit als eine Erscheinungsform des Staates charakterisieren läßt. Im Gegensatz zu den anderen Kriterien, die auf staatliche Vorbehalte aufbauen wollen, sind bei der Untersuchung staatlicher Ingerenzen vor allem quantitative Faktoren wichtig, weil es auf ein entscheidendes Steuerungsniveau ankommt. Wie die Analyse der staatlichen Ingerenzen auf privatrechtliche Organisationsformen gezeigt hat, ist allerdings das existierende Steuerungsniveau, vor allem im deutschen Organisationsrecht, nicht nur schwer zu durchschauen, sondern auch von verschiedenen zufalligen Faktoren abhängig77. Die Erfassung des tatsächlich bestehenden Ausmasses administrativpolitischer Steuerung von verselbständigten Verwaltungseinheiten stellt sich überhaupt als das zentrale Problem der verwaltungswissenschaftlichen Untersuchung solcher Organisationen dar78. Die Gewichtung der verschiedenen Steuerungsfaktoren stellt sich bei verselbständigten Verwaltungseinheiten in Privatrechtform als außerordentlich kompliziert dar. Zudem hängt sie auch von der subjektiven Einstellung des Betrachters ab, wie es ebenfalls in der deutschen Diskussion über die Steuerung von Eigengesellschaften durch ihre Muttergemeinwesen offenkundig wurde79. Deswegen wird die Begründung der Bindung verselbständigter Verwaltungseinheiten an staatliches Sonderrecht regelmäßig schematisch sein müssen und der Unterstützung durch weitere Kriterien bedürfen.
74
In Anlehnung an den von Lerche geprägten Begriff der bundes"ausschließlichen" Verwaltung: Lerche, in Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 86, Rdnr. 27. 75 S. zum deutschen Recht oben Kap. 3, Abschnitt 1, ΠΙ 4 a). 76 In Anlehnung an den Begriff des Legitimationsgesamtniveaus; s. BVerfGE 83, S. 60 ff. (72); Schmidt-Aßmann, AÖR 116 (1991), 366 ff; Böckenförde, HStR I, §22, Rdnr. 23, S. 901; Emde, Die demokratische Legitimation, S. 328; Jestaedt, Demokratieprinzip und KondominialVerwaltung, S. 281 ff. 77 S. vor allem oben Kap. 1, Abschnitt 1, IV 2. 78 Reichard, Die Verwaltung 1990, 491 ff. (505 f.). 79 S. oben Kap. 1, Abschnitt 1, IV 2 a).
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5. Kap.: Eine Synthese
Die untersuchte Rechtsprechung scheint tatsächlich das Bestehen staatlicher Ingerenzen nur schematisch zu prüfen: Persönliche (über die Bestellung der Verwaltungsorgane des Trägers 80) und sachliche Einflußstränge (über Weisungen, privatrechtliche Ingerenzen81, Ausübung von staatlicher Aufsicht 82 usw.) sowie tatsächliche Einflüsse (wirtschaftliche Abhängigkeit des Trägers von staatlichen Subventionen83; Existenz paralleler staatlicher Maßnahmen zur Unterstützung der Funktionen des Trägers84 usw.) werden pauschal benannt und kaum abgewichtet. Die Rechtsprechimg scheint das Niveau der ausgeübten Steuerung nicht ernsthaft zu untersuchen; es wird undifferenziert die Kontrolle85 bzw. die Beherrschung86 eines Trägers durch den Staat festgestellt. Lediglich die Vergaberichtlinien treffen detaillierte Angaben über die erforderlichen Kontrollbefugnisse, die als ausreichend für die Sicherstellung des ausschlaggebenden Steuerungsniveaus betrachtet werden87. Aus diesen Ausführungen ist ersichtlich geworden, daß auch die Ausübung von Ingerenzen durch die parlamentarisch verantwortlichen Instanzen weder eine Patentlösung noch ein Allheilmittel für die Qualifikation von verselbständigten Verwaltungseinheiten darstellt. In den meisten Urteilen wird deshalb das Kriterium der Steuerung durch den Maßstab der Erfüllung gemeinwohlbezogener Aufgaben begleitet.
V. Schlußbemerkung Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, daß die Bestimmung staatlicher Organisation im Hinblick auf die Anwendung staatlicher Sonderbindungen keine Frage der Anwendung eines einzigen Kriteriums ist. Die verschiedenen eingesetzten Kriterien sind für sich genommen nicht adäquat, um den Bereich 80
S. oben das Urteil Datafin, Kap. 3, Abschnitt 3, VI 2. Die gilt vor allem im deutschen Recht im Hinblick auf die Eigengesellschaften der öffentlichen Hand, Kap. 3, Abschnitt 1, ΠΙ 4 a). 82 S. oben die Urteile des EuGH Hünermund und Foster Kap. 4, Π 2 b) und ΠΙ 2 c) entsprechend. 83 S. dazu die Vergaberichtlinien, Kap. 4, IV 2 c) und IV 3. 84 Zu diesem "governmental interest" Kriterium im englischen Recht s. oben S. Kap. 3, Abschnitt 3, VI 2. 85 S. oben Kap. 3, Abschnitt 2, IV 1. 86 S. oben Kap. 3, Abschnitt 1, ΠΙ 4 a). Im ersten Löschwasser Urteil wird damit pauschal angemerkt, daß der fragliche Träger in staatlicher Hand liege. 87 S. oben Kap. 4, IV 2 a) und IV 3. 81
VI. Thesen
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staatlicher Organisation zweifelsfrei zu identifizieren. Wie es anderswo im Hinblick auf die staatlichen Sonderbindungen des Demokratieprinzips gezeigt wurde, kann die Staatlichkeit eines Trägers in der Verwaltungsperipherie nur im Wege einer "wertenden Gesamtanalyse" bestimmt werden88. Die Rechtsprechung in den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen wie auch im Europarecht qualifiziert deshalb die fraglichen Träger sowohl zur Bestimmung der öffentlich-rechtlichen Organisationsform, als auch zur Beurteilung der staatlichen Zuordnung von privatrechtlichen Trägern anhand einer Kombination der bereits erwähnten Indizien.
VI. Zusammenfassung in Thesen 1. Die verschiedenen nationalen Theorien über den Anknüpfimgsgegenstand staatlicher Sonderbindungen interessieren sich vor allem für den staatlichen Charakter des zu beurteilenden Rechtsakts. Durch die Erfordernisse, die sie an ihn stellen, setzen sie aber auch die Zuordnung des handelnden Trägers zur öffentlichen Verwaltung voraus. 2. Diese Zuordnung des Trägers zum Staat wird zunächst in der öffentlichrechtlichen Organisationsform gespeichert. Öffentlich-rechtliche Organisations· und Handlungsformen bestimmen sich gegenseitig und knüpfen an dasselbe materielle Merkmal an. Nur öffentlich-rechtliche Organisationen sind fähig, öffentlich rechtlich zu handeln. 3. Praktisch erfolgt die Qualifikation von Organisationsformen in der Rechtsprechung durch die Anknüpfung an den Organisationsakt (im deutschen Recht) oder an ein Bündel von Indizien (im französischen und im griechischen Recht). 4. Die Anwendung eines ergänzenden Anknüpfungsmerkmals staatlicher Sonderbindungen führt nicht nur zur Entwertung der Handlungs-, sondern auch der Organisationsform als Speicher der Staatlichkeit eines Trägers. Da die öffentlich-rechtliche Organisationsform eine Vielzahl von Verbindungen zur Staatlichkeit auch außerhalb ihres prägenden Merkmals aufweist, behält sie allerdings regelmäßig ihre Zuordnungskraft zum Staat, nicht zuletzt auch wegen des mit ihr verbundenen Symbolwerts. Die ergänzende Anknüpfung
88
Schmidt-Aßmann, AÖR 116 (1991), 343.
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5. Kap.: Eine Synthese
führt dagegen zur weitgehenden Infragestellung des Aussagegehalts der privatrechtlichen Organisationsform. 5. Die Zuordnung von Trägern zum Staat erfolgt aufgrund verschiedener Kriterien: Dazu gehören die Ausstattung des Trägers mit hoheitlichen Befugnissen und die Erfüllung gemeinwohlbezogener Aufgaben. Gelegentlich knüpft die Rechtsprechung an die Erfüllung delegierter Hoheitsbefügnisse oder an die Wahrnehmung delegierter, staatlich vorbehaltener Aufgaben an. In den meisten Konstellationen wird vor allem auf das Kriterium der Beherrschung des Trägers durch die staatliche Verwaltung Bezug genommen. 6. Das Kriterium der obrigkeitlichen Stellung beruht auf dem staatlichen Gewaltmonopol. Es ist von einer zirkulären Argumentationsweise gekennzeichnet. Der Maßstab der Erfüllung gemeinwohlbezogener Aufgaben verweist praktisch auf ein Vorverständnis staatlicher Funktionen. Dabei hat sich herausgestellt, daß die europäischen Rechtsordnungen von einer ähnlichen Konzeption des staatlichen Funktionsbereichs ausgehen. 7. Die Grundrechtsbindung von verselbständigten Verwaltungseinheiten, die delegierte staatliche Befugnisse oder Aufgaben wahrnehmen, impliziert die ausnahmsweise Anknüpfung der Grundrechtsbindung ausschließlich an die wahrgenommene Tätigkeit. Damit geht es um einen Beleihungstatbestand. Eine aufgabenbezogene Beleihung erscheint im gegenwärtigen deutschen Verwaltungsrecht als systemwidrig. 8. Die Anbindung der fraglichen Organisation an die staatliche Steuerungskette erweist sich als das wichtigste Zuordnungskriterium zum Staat. Sie verbindet verselbständigte Verwaltungseinheiten mit der Quelle demokratischer Legitimation und macht sie somit zu Erscheinungsformen der staatlichen Gewalt. 9. Allerdings weist auch dieses Kriterium Probleme auf, die vor allem mit der Unübersichtlichkeit staatlicher Ingerenzen auf verselbständigte Verwaltungseinheiten verbunden sind. Zudem ist die quantitative Handhabung dieses Kriteriums problematisch. 10. Die Zuordnung eines Trägers zum Staat als Adressat staatlicher Sonderbindungen ist vor allem nach einer Gesamtgewichtung der genannten Indizien vorzunehmen. Die Vorgehensweise der Rechtsprechung, in der mehrere Kriterien gleichzeitig verwendet werden, erscheint damit als gerechtfertigt.
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averzeichnis Actes détachables 204 Agréments 85 Aktiengesellschaft 49 Allgemeine Rechtsgrundsätze 134 Anonymos Etairia 118 Anstalten des öffentlichen Rechts 41 Apospastes dioikitikes praxeis 261 Application for judicial review 228 Arbeitgeber 296 Association 83 Aufgaben "industriellen und kommerziellen Charakters" 312 Bank of England 94,100 Banque de France 79 Bauaufträge 210, 264, 300 Bedarfsdeckung 169, 204, 209, 293, 320 Beherrschung 50, 186, 191, 195, 293, 329, 337 Beherrschungsvertrag 52 Beleihung 165,191,194,336 Berufsständische Selbstverwaltung 72, 114, 241,313 Besondere / ausschließliche Rechte 317 Bill of Rights 142 Bloc de compétence 205 Bodies corporate 92 Cahiers des charges 223 Certiorari 227,237 Civil liberties 144 Clauses exorbitantes 206 Common law 144,237 Companies Act 95,236 Conseil Constitutionnel 73, 134, 202, 213 Continuité du service public 220 Contrats d'enterprises 83 — de plan 83 — déprogrammé 83 Daseinsvorsorge 52, 100, 112, 168, 170, 174, 189, 190, 193, 220, 225, 301, 313,320,332, 334 Declaration 228 Delegation 181, 195,228,335
Demokratie 338, 341 Dienstherrnfähigkeit 31 Dienstleistungsaufträge 300 Dienstleistungsfreiheit 267,274,278 Difyii Nomika Prosopa 111 Dimosia etaireia 112 Dimosia nomika prosopa 113 Dimosia ypiresia 108,260 Dimosies epiheiriseis 115 Dioikitiki arhi 255 "Diplock categories" 147 Diskriminierungsverbot 272, 276, 302 Domaine privé 204 Domaine public 204 Dritter Sektor 19 Drittwirkung der Grundrechte 130 — der Grundfreiheiten des EG-Vertrags 272 Droits de l'homme 139 Effet-utile 272, 307 Egalité devant le service public 220 Eigengesellschaft 49, 187, 196 Einheit der Verwaltung 19 Einrichtung öffentlichen Rechts 308 Einwirkungspflicht 188,192, 224. 235 Errichtungsbefugnis 34 Error of law on the face of the record 146 Erwerbswirtschaft 47,169, 313, 334 Estoppel 290, 295 Etablissement public 63 — à double visage 70 — à caractère scientifique et cullturel 71 — à caractère scientifique et technologique 72 — administratifs 69 — corporatifs 72 — de santé 72 — fondatifs 72 — industriels et commerciaux 69 Etaireies miktis oikonomias 119 Exploitants publics 71 Fachaufsicht 38, 74, 123, 315 Fairneß 150
Sachverzeichnis Finanzielle Aufsicht 74 Finanzierung 315 Fiskus 169,173 Fondation 86 Formenmißbrauch 46 Formenwahlfreiheit 33,189 Fringe bodies 91 Funktionale Interpretation 309 Gegenstand der Untersuchung 19 Gemeinwohl 304, 322, 333 Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen 49, 191, 194, 303,314 Gesamtschauinterpretation 177,189 Gesellschaft mit beschränkter Haftung 49 Gesetzesvorbehalt 36,45 Gestion privée de l'administration 207 Gewaltmonopol 28, 32 Gleichheitssatz 136, 156, 159, 170, 190, 221,233,245,272 Griechische Verfassung von 1975 156 Groupement d'intérêt public 76 Grundfreiheiten des EG-Vertrags 267 Grundrechtsträgerschaft 182 Habilitation 84 Hamburger Elektricitätswerke 51 Handlungsform 32, 160, 199, 252, 326 Hoheitliche Befugnisse 30, 60, 65, 83, 94, 205,212, 248, 285,297, 333 Hoheitliche Aufgaben 30,169 Hoheitsgewalt 32, 270, 286, 326, 333 Hoheitsakt 43 Idiotypo dimosio nomiko prosopo idiotikou dikaiou 112 Improper purposes 148 Injunction 228 Institutionelle Zuordnung zur öffentlichen Verwaltung 169,324,331 Instrumentalisierung von Privatrechtspersonen 45, 53 Irrelevant considerations 149 Kapital- und Zahlungsverkehr 269 Kontrolle 281, 284, 287, 294, 299, 315, 318, 323, 331,338 Konzessionsvertrag 52, 217, 223, 319 Koordinierungsrichtlinien 300 Körperschaft 39, 113,285 Krone 90 Law of the Land 90, 144 Libertés publiques 131
383
Lieferaufträge 300 Mandamus 227 Mandat 217 — tacite 218 Materieller Sinn des service public 59 Menschenrechte 132,138,144,151 Menschenrechtserklärung von 1789 132 Monopol 298,303,319 Mutabilité / adaptation constante du service public 220 Nachprüfungsverfahren 301 Nationalised industries 91,101, 232 Natural justice und fairness 145 Next Steps Agencies 101 Niederlassungsfreiheit 267, 272, 301 Non Departmental Public Bodies 90 Non-Governmental Organizations 19 Non-Ministerial Government Departments 91 Öffentlich-rechtlicher Vertrag 164 Öffentlicher Sektor 86,126 Öffentliche Unternehmen 48, 115, 165, 190, 251,256, 332 Öffentlicher Zweck 108,250, 260,264 Öffentliche Aufgaben 28, 294, 311, 325, 331 Öffentliche Sachen 259 Öffentlicher Auftraggeber 300,305 Order in Council 95 Ordres professionnels 78, 212 Organisationsgewalt der Exekutive 36 Organisationsrechtlicher Gesetzesvorbehalt 35 Organisches Kriterium 60, 200, 211, 253,324 Parlamentarische Kontrolle 105 Personenverkehrsfreiheiten 271 Pliatzky Report 91 Politische Verantwortung 296 Präambel der französischen Verfassung von 1946 131 Prärogativbefugnisse 93, 230, 236 Principes fondamentaux reconnus par les lois de la République 132 Privatautonomie 177 Privatisierung 44, 100, 123, 187 Prohibition 227 Public corporations 90 Public duty 240 Public element 239 Public law functions 239
384
averzeichnis
Publizität von Richtlinien 291 Quagos / Quangos 19 Rationalisierung 301 Rechtsaufsicht 37, 74,123 Rechtsmißbrauch 290 Rechtsweg 59, 64, 66, 200, 228, 253, 260 Regulatorische Aufgaben 231,238 Regulatory / executive public bodies 98 Royal Charter 94,237,243 Rule of Law 90,155 Rundfunkanstalten 39, 182, 313, 336, 330 Schiedsgerichte 236 Schlichte Hoheitsverwaltung 32, 163, 193 Schutzpflichten bezüglich der Grundrechte im französischen Recht 140 — im griechischen Recht 158 Selbstverwaltungsgarantie 46 Select Committee on Nationalised Industries 105 Self-regulation 99 Service public 59, 63, 206, 210, 214, 221,326 — administratif 61, 203, 213, 215, 329. 331, 335 — industriel et commercial 61, 205, 219, 226 — personnalisé 64 Sociétés à capital public oder sociétés nationales 81 Sociétés d'économie mixte 81 Sonderbeziehung 178 Sonderrechtstheorie 161 Sondervermögen des Bundes 44,187 Source of power 146 Souveränität des Parlaments 142 Sparkassen 180,314 Sportverbände 84, 213, 242, 272, 331 Staatsaufsicht 37 Statutory bodies 95 Statutory underpinning 246
Steuerung 51, 192,331,338 Steuerungsgesamtniveau 339 Stiftung 40, 54,196 Subordinationstheorie 161 Subventionswesen 169 Sui generis juristische Personen 112 Technische Aufsicht 74 Tutelle 74 Über- und Unterordnung 32,161, 264 Ultra-vires 145, 227, 247, 325, 335 Umsetzung von Richtlinien 289 Universität 72, 75, 98,114,182, 242 Unmittelbare Wirkung von Richtlinien 290 Unmittelbarkeit (im Verwaltungsprivatrecht) 169,171 Unreasonableness 150 Verbot mengenmäßiger Ein- und Ausfuhrbeschränkungen 276, 332 Verein 54,196 Veröffentlichung (von Richtlinien) 292, 302 Verselbständigte Verwaltungseinheiten 19,24 Vertragsverletzungsverfahren 279, 308 Verwaltungsakt 162,200,204,212,253, 260 Verwaltungsaufgaben 28,168, 171, 251, 265 Verwaltungsorganisationsprivatrecht 112 Verwaltungsprivatrecht 167,193, 325 Verwaltungsvertrag 26,200,206,218 Verzeichnis der Einrichtungen des öffentlichen Rechts 305 Visitor 238 Vorabentscheidungsverfahren 283 Wednesbury unreasonableness 150 Weisungsbefugnisse 39, 51 Wesentlichkeitsvorbehalt 36,45 Wettbewerb 304, 313, 320, 334 Zollunion 269 Zurechnung 280, 284, 293