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German Pages 237 Year 1992
Beiträge zum Parlamentsrecht
Band 23
Verfassungsrechtliche Grundlagen und allgemeine verfassungsrechtliche Grenzen des Selbstorganisationsrechts des Bundestages Von
Dr. Gerhard Bollmann
Duncker & Humblot · Berlin
GERHARD BOLLMANN
Verfassungsrechtliche Grundlagen und allgemeine verfassungsrechtliche Grenzen des Selbstorganisationsrechts des Bundestages
Beiträge zum Parlamentsrecht Herausgegeben von
Werner Kaltefleiter, Ulrich Karpen, Wolfgang Zeh in Verbindung mit Peter Badura, Wolfgang Heyde, Joachim Linck Georg-Berndt Oschatz, Hans-Peter Schneider Uwe Thaysen
Band 23
Verfassungsrechtliche Grundlagen und allgemeine verfassungsrechtliche Grenzen des Selbstorganisationsrechts des Bundestages
Von
Dr. Gerhard Bollmann
DUßcker & Humblot . Berliß
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Bollmann, Gerhard: Verfassungsrechtliche Grundlagen und allgemeine verfassungsrechtliche Grenze des Selbstorganisationsrechts des Bundestages / von Gerhard Bollmann. - Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Beiträge zum Parlamentsrecht ; Bd. 23) Zug\.: Göttingen, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07503-X NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0720-6674 ISBN 3-428-07503-X
Inhalt 1. Kapitel Einleitung
A. Verfassung und parlamentarische Geschäftsordnung. B. Das Haushaltsgeseu.gebungsverfahren zu Beginn der 10. Legislaturperiode .
13
13
.18
C. Gegenstand und Gang der Untersuchung .
.22
D. Verfahrenskonsens und Grundgesetz . . .
.24
2. Kapitel Geschäftsordnungsautonomie: Begriffliches, Verankerung im Grundgesetz, Regelungsgegenstände
27
A. Begriff der Geschäftsordnung. . . .
.27
B. Verankerung in Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG
.27
C. Geschäftsordnungsautonomie .
.28
L Begriff. . . • • • . . .
.28
TI. Verfassungsorganeigenschaft des Bundestages
m.
Geschäftsordnungsautonomie und Parlamentsautonomie .
.30 33
D. Regelungsgegenstände . . . .
.34
L Organisation des Parlaments
. 34
TI. Parlamentarisches Verfahren
.35
3. Kapitel: Parlamentarisches Verfahren in der demokratlsch-rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes
37
A. Demokratieprinzip und parlamentarisches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 37 B. Rechtsstaatsprinzlp und parlamentarisches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 39 C. Verhältnis von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip .
.44
1. Zusammenordnung zu innerer Einheit im allgemeinen
. 44
6
Inhalt II. Zusammenwirlcen bei der Selbstorganisation des Bundestages im besonderen 1. Rechtsstaatliche Sicherung und Ordnung demokratischer Verfahrenselemente . a) Prinzip der Mehrheitsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . .
.47 .48 .48
b) Elemente demokratischer Verhandlung. • . . • . . . . .
. 49
c) Rechtliche Ordnung der demokratischen Verfahrenselemente •
. 51
d) Beispiel: Gesetzgebungsverfahren • . . • . . • . . • . .
. 51
2. Rechtlich geordnetes Verfahren und demokratische Wechselbeziehungen zwischen Parlament und Volk. . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 a) Demokratische Verantwortung der Abgeordneten gegenüber dem Volk.
53
b) Demokratische Zurechnung parlamentarischer Entscheidungen. . . .
.53
c) Weitere Elemente des Rückkoppelungsprozesses .
54
3. Geschäftsordnungsgebung. . . . . . . . . . .
55
a) Balance zwischen Rechtsbindung und Freiraum. .
.55
b) Demokratischer Machtwechsel als Selbstregulativ .
.56
c) Rechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht. 4. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und parlamentarische Geschäftsordnung A. Rechtsstaatsverständnis der herrschenden Meinung. . • . . . . . . .
.56 . 57
59 59
B. Eigene Akzentulerung. . . • . . • . . . . .
. 61
I. Mehrdeutigkeit historischer Schlußfolgerungen .
. 61
II. Selbständigkeit der Werteordnung des Grundgesetzes .
63
ill. Unschärfe durch Überladung . . . . . . . . . . .
64
IV. Formelles Rechtsstaatsprinzip und Verwirlclichung der grundgesetzlichen Werteordnung 64 V. Zusammenfassung . . • . . • . • • • • • • • • . . • . . • . . • . . • • 65
c.
Materielle Bezugspunkte des Rechtsstaatsprinzips beim parlamentarischen Verfahren. 66 I. Demokratische Verfahrenselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .66 II. Verfassungsrechtliche Stellung der Abgeordneten. • • • • • • . . . • • . . • .66
m.
Verfassungsrechtliche Stellung der Fraktionen •
IV. runkLionstüchtigkeit des Parlaments . V. Verfassungs rechtliche Stellung der Opposition VI. Minderheitschutz .
69 72
73 .73
Inhalt
7
VII. Zusammenfassung und Ausblick. • • . .
.74
D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips .
.75
I. Verfassungsstaatlichkeit. . . . . . . . . . . .
. 75
1. Art. 20 Abs. 3 GG und Verfassungsbindung des Geschäftsordnungsgebers
. 76
2. Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG und Verfassungsbindung des Geschäftsordnungsgebers .
77
Ir. Grundsatz der Gewaltenteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
1. Allgemeine Charakterisierung. • . . . . . . . .
.79
2. AufgabensteUung für die Geschäftsordnungsgebung .
. 79
a) Herstellung der Funktionstüchtigkeit des Parlaments .
.79
b) Schaffung einer funktionsgerechten Organstruktur . •
.80
c) Kontrollgrernienentscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
. 82
m. Rechtssicherheit • . . . . . • . • • . . • . . • . . • . .
. 84
1. Allgemeine Charakterisierung. • • . . . . • . . . .
.84
2. Rechtssicherheit und parlamentarische Geschäftsordnung •
. 85
a) Änderung der Geschäftsordnung. . . . • . . . . .
.86
b) Einzelfallabweichungen von der Geschäftsordnung .
87
IV. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . • . . . . . . • . .
89
1. Anwendbarkeit bei der parlamentarischen Selbstorganisation .
89
2. Vorschlag für die Handhabung beim Erlaß parlamentarischer Organisations- und Verfahrensvorschriften . • . . • . .
93
a) Einschätzung des Regelungsbedarfs . . . . . b) Zusammenstellung der Regelungsaltemativen .
93 95
c) Verhältnismäßigkeitsprüfungen .
. 96
d) Zusammenfassung. . . . . .
. 97
3. Verfahren zur Beratung der Wirtschaftspläne der Geheimdienste in der 10. Legislaturperiode. . . . . . . . . . . . . . . . . . . •
.98
a) Sicherung der Geheimhaltung durch Bildung kleiner Gremien? .
98
b) Verhältnismäßigkeit der Vorgehensweise im einzelnen. . • .
101
aa) Geheimniswahrung durch Versagung von Detailinfonnationen vor der Haushaltsverabschiedung . . . . . . . . • . . . . . .
.101
bb) Verzicht auf Fraktionsproporz zur Bildung kleiner Gremien. . .
. 102
cc) Nichtbeteiligung kleiner Fraktionen zur Bildung kleiner Gremien.
.103
dd) Nichtbeteiligung kleiner Fraktionen zur Wahrung der Plenannehrheitsverhältnisse. . . • . . • . . • • . • • • •
,1 04
ee) Geheimhaltungsbereitschaft der Bundestagsfraktion der GRÜNEN . . . . . 105 ff) Mehrheitswahl zur Feststellung der Verschwiegenheit der Grernienmitglieder .105 c) Würdigung der Einzelprüfungen • . . . • . . . • . . . • • . • . . . . 106
8
Inhalt V. Zusammenfassung . . • . . • . . • . . • . . . . . . . . • . . • . . . . 108 5. Kapitel: Regelungsgehalt des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG und die weiteren grundgesetzlichen Geschäftsordnungsregelungen
A. Regelungsgehalt des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG im einzelnen. • • . . • . • . .
111 111
I. Regelungs- und Beachtungspflicht . • . . . . . • . . . . . . . . . . . . . .111 1. Auslegung des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2. Abweichende Auffassung von Amdt .
.112
a) Darstellung .
.112
b) Ablehnung .
.113
3. Zusammenfassung . II. Diskontinuität der Geschäftsordnung .
.115 .115
1. Auslegung des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG. . . . . . . .
.115
2. Dem Auslegungsergebnis widersprechende Praxis. . .
. 118
a) Übernahme der Geschäftsordnungen . . • . . . . . . . . . . . . . . . .118 b) Diskontinuität und juristische Argumentation .
· 119
III. Adressaten der Geschäftsordnung .
.120
1. Beschränkung auf Abgeordnete .
.120
2. Reflexwirkungen gegenüber der Regierung. . . . . . . . . . . . . . . . . 120
3. Regelung der Außenbeziehung zum Bürger durch Gesetz. . . . . . . . . . . 121 IV. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . .
B. Geschäftsordnungsregelungen im Grundgesetz. . . . . .
.122 122
I. Ausdrückliche Regelungen .
.122
1. Aufzählung. . . . . .
.122
2. Gründe für eine grundgesetzliche Regelung .
. 124
3. Teilkonkretisierungscharakter. . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4. Ermittlung der Reichweite der verfassungsrechtlichen Vorgabe durch Auslegung. . 126 5. Auslegungsbeispiel: Verfassungsänderungen . . . . . . . . .
. . 126
II. Weitere (mittelbare) Vorgaben. • • • .
· 128
1. Auslegung inhaltlich weiter Vorgaben .
· 129
2. Möglichkeit unterschiedlicher Auslegungsergebnisse .
130
3. Bundestag als maßgeblicher Interpret .
130
4. Beispiel: Inhalt von Gesetzesvorlagen .
131
5. Exkurs: Verknüpfung von Verfahrens- und Verfassungsrecht .
.133
Inhalt
m.
Zusammenfassung. • . . • . . • • . •
9
.134
6. Kapitel: Formen der Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten
135
A. Geschriebene Geschäftsordnung. • • • . . . . . . . . . . . •
135
1. Verfahren beim Erlaß •
.135
11. Rechtsnatur . . . . .
.136
1. Darstellung der vertretenen Auffassungen .
.136
2. Würdigung. . • . . . . . . . • • .
.136
B. Abstrakt·generelle Geschäftsordnungsbeschlüsse . • . . . .
137
C. Parlamentarisches Gewohnheitsrecht und Parlamentsbrauch .
138
D. Bundesgesetz als mögliche Regelungsform? .
.139
1. Vorstellung der vertretenen Auffassungen .
.139
11. Verfassungsänderungs-. Gesetzgebungs- und Geschäftsordnungskompetenz des Bundestages. • . • . . . . . . . . . . . . . . . .
m.
140
These: Wahlfreiheit zwischen Gesetz und Geschäftsordnung.
141
1. Begründung. • • . • • • • • • . • . . • • . • .
141
2. Würdigung. . • . . . . . • . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . .143 a) Alleinige Geschäftsordnungsregelungskompetenz des Bundestages als Element des gewaltenteiligen Kompetenzgefüges des Grundgesetzes. • 143 aa) Ausdifferenzierung der äußeren Kompetenzordnung. . . . . . . . . . .144 bb) Inkompatibilitäten zur Sicherung der äußeren Kompetenzordnung .
. 144
cc) Selbständige Geschäftsordnungsgebung zur Sicherung der äußeren Kompetenzordnung. . . • . . • . . • . . • . . . .
.145
dd) Grundgesetzliche Differenzierungen der Geschäftsordnungsgebungszuständigkeiten. • • • . . • • . . . . . . • • • . . . . . 146 ee) Einwirkungsmöglichkeiten auf die Selbstorganisation des Bundestages bei gesetzlicher Regelung. . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 147
ff) Geschäftsordungsregelungen im Wege der Verfassungs änderung • . ••
• 148
gg) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . • • . . . . . .149 b) Gesetzesform und Außenwirkung des parlamentarischen Geschäftsordnungsrechts 149 aa) Außen wirkung gegenüber dem Bürger. • • • • .
• 150
bb) Wirkung gegenüber anderen staatlichen Organgen •
.151
cc) Zwischenergebnis. . . . • • . • . . . . . .
.152
c) Gesetzesform und Diskontinuität parlamentarischer Geschäftsordnungen .
• 152
d) Gesetzesform und Schutz parlamentarischer Minderheiten. . . . . • .
. 153
10
Inhalt e) Folgen der Wahlmöglichkeit zwischen Gesetz- und Geschäftsordnung
154
aa) Vernältnis der Regelungsformen zueinander _ _ . . . . . . .
154
bb) Gefahr verfassungswidriger Sachentscheidungen bei (Mit-)regelung des parlamentarischen Verfahrens _
.155
(1) Grundsätzliches. . • . . • . . . . . • . . . . . • . . .
. 155
(2) Haushaltsgesetzliche Regelung des Verfahrens zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Geheimdienste .
. 157
(a) Einzelabweichung . . . . . .
.158
(b) Fehlen der Zweidrittelmehrneit .
.159
(c) Ergebnis. . . . . . . . . .
160
(d) Würdigung des Ergebnisses .
. 160
3. Gesamtergebnis: Keine Wahlmöglichkeit .
.161
IV. Kembereichsthese des Bundesverfassungsgerichts. • . . • . . . . . . . . . . 161 1. Kem- und Randbereich . . • • • • . . • • • • . . • . . . . . . . . •. 161
2. Einspruchsgesf'tz. . . . . .
163
3. Gewichtige sachliche Gründe .
163
4. Zusammenfassung und Ergebnis •
165
V. Gesetzliche Regelung bei Sachzusammenhang? .
165
1. Begründung. . • . . . . . . . . . . .
165
2. Würdigung . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 VI. Gesetzliche Regelung nur bei ausdrücklicher grund gesetzlicher Ermächtigung . 1. Begründung. . • . . . . . • . . • . . • . . . . . . . . . . .
167 167
2. Rechtsfolge des Fehlens einer grundgesetzlichen Ermächtigung .
. 169
3. Würdigung der Beispiele für eine gesetzliche Regelung. . . .
. 169
a) Keine Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten . . . . . . . . . . .169 b) Vornan den sein einer grundgesetzlichen Ermächtigungsnorm . • . • • . . • • 172 c) Insbesondere: § 6 Bundesverfassungsgerichtsgesetz . . • . . . . . . . . . .173 d) Gesetzliche Geschäftsordnungsregelungen ohne grundgesetzliche Ermächtigung . 175 aa) Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes. . • • . • . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (I) Die gesetzlichen Verfahrens- und Organisationsregelungen im einzelnen. 175
(2) Verfassungswidrigkeit wegen Fehlens einer grundgesetzlichen Ermächtigungsnorm . . . . . . . . . . • . . • . . . . . • . . 176 (3) Verfassungswidrigkeit wegen Veränderung des Vernältnisses zwischen zwei Verfassungsorganen im Wege gesetzlicher Regelung. . . . . . . . . 177 (4) Notwendigkeit grundgesetzlicher Regelung zum Ausschluß des Zutrittsrechts nach Art. 43 Abs. 2 GG. . • • . . • . . • • . • . .179 (5) VerfassWlgsrechtlich zulässige Regelungsmöglichkeiten . . • . . • . . 180
Inhalt
11
bb) Haushaltsrechtliche Regelungen. .
. 182
(1) Die gesetzlichen Organisations- und Verfahrens regelungen im einzelnen. 182
(2) Verfassungswidrigkeit wegen Fehlens einer grundgesetzlichen Ermächtigungsnorm . • . . . . . • . . • . . • . . • . . • . . 183 VII. Zusammenfassung. • • • • • • • • . • • . • . • • • . • • • . . .
• 184
E. Verhältnis parlamentarischer Geschäftsordnungsregelungen zu Bundesgesetzen
. 185
I. Keine Nachrangigkeit der Geschäftsordnung. II. Kompetenzrechtliche Nebenordnung • III. Zusammenfassung. . . . . . . . 7. Kapitel: Historische Bezüge der Geschäftsordnungsautonomie
.185 .187 . 189
191
A. Die Problemstellung. • • . • • . . . . . .
191
B. Elemente einer kontinuierlichen Entwicklung.
.193
1. Übernahme der Garantie der Geschäftsordnungsautonomie . II. Übernahme der Geschäftsordnungen . III. Zusammenfassung . C. Elemente des Wandels .
.193 .194 .195 .196
1. Die verfassungsrechtliche Stellung der Parlamente. . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Reichstag des Kaiserreichs. • . .
.196
2. Reichstag der Weimarer Republik .
.198
3. Der Bundestag. . . . . . . . . . . .
201
a) Regierungsbildung durch das Parlament .
201
b) Stellung des Bundespräsidenten .
201
c) Stellung der Bundesregierung. .
202
d) Parlamentarische Kontrolle der Regierung
203
4. Hauptrnericmale des Wandels. . . • . .
204
II. Bedeutung der Geschäftsordnungsautonomie .
205
1. Sieg der Parlamente im Ringen um Unabhängigkeit .
.206
2. Innere Selbständigkeit, aber äußere Abhängigkeit. .
.208
3. Äußere Unabhängigkeit, aber Gefährdung der inneren Selbständigkeit .
208
D. Beachtung des gewandelten verfassungsrechtlichen Bezugsrahmens beim Rückgriff auf historische Vorläufer . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . • . . . . .210
12
Inhalt
E. Kontinuität und Wandel am Beispiel der Parteien und ihrer Parlamentsfraktionen .• 212
r.
Stellung der Parteien und Fraktionen • • • • • • • • . . • . • • • . . . • • 212 1. Kaiserreich. . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .212
2. Weimarer Republik. . • . . • . . • . . . . . . . . • . . • . . . . . 216 3. Bundesrepublik • • • • • • . • . . • . • • • . • • • • . . • . • . . . 216 II. Änderungen der tatsächlichen Zusammensetzung der Parlamente .
m.
Regierungs- und Oppositionsfraktionen . . . . . • . . . . .
218 219
1. Verankerung in der grundgesetzlichen Ordnung . . • • • • . . • . . . . • . 219
2. Fehlen geschäftsordnungsrechtlicher Ausführungsregelungen .
.221
IV. Zusammenfassung . . . • . . . . . . . . . . . . . .
.224
F. Kontrollgremienentscheidung des Bundesverfassungsgerlcht~ .
.224
8. Kapitel: Schlußbemerkung
227
Literaturverzeichnis
229
1. Kapitel: Einleitung A. Verfassung und parlamentarische Geschäftsordnung Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer Staat, in dem das vom Volk direkt gewählte Parlament systembestimmend ist. Es ist zusammen mit den übrigen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorganen das wesentliche Rechtssetzungsorgan dieser Republik. Durch Beschlüsse des Parlaments wird Recht in Form von Gesetzen erzeugt und damit politische Macht in Recht umgesetzt. 1 Deshalb könnte man bei unbefangener Betrachtung annehmen, daß dem Verfahren des Parlaments, d.h. dem Umsetzungsprozeß von Macht in Recht, das vordringliche Interesse der Staatsrechtswissenschaft gilt. Das ist indessen nicht so. Die große wissenschaftliche Anziehungskraft geht von den Verfassungen aus, "an denen gemessen Geschäftsordnungen wie lästige Fußnoten eines großen staatspolitischen Konzepts wirken".2 Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer Staat, in dem das vom Volk direkt gewählte Parlament systembestimmend ist. Es ist zusammen mit den übrigen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorganen das wesentliche Rechtssetzungsorgan dieser Republik. Durch Beschlüsse des Parlaments wird Recht in Form von Gesetzen erzeugt und damit politische Macht in Recht umgesetzt. 3 Deshalb könnte man bei unbefangener Betrachtung annehmen, daß dem Verfahren des Parlaments, d.h. dem Umsetzungsprozeß von Macht in Recht, das vordringliche Interesse der Staatsrechtswissenschaft gilt. Das ist indessen nicht so. Die große wissenschaftliche Anziehungskraft
1 Adamietz, Buchbesprechung Achterberg, Parlamentsrecht, KJ 1986, 221; DiFabio, Parlament und Parlamentsrecht, Der Staat 29 (1990), 599. 2 Lammert, Die Geschäftsordnungen deutscher Parlamente seit 1848, Einführung S.lO; in demselben Sinne Schneider, Die Bedeutung der Geschäftsordnungen oberster Verfassungsorgane für das Verfassungsleben, Festgabe Smend, 303, 304 u. 306. 3 Adamietz, Buchbesprechung Achterberg, Parlamentsrecht, KJ 1986,221; DiFabio, Parlament und Parlamentsrecht, Der Staat 29 (1990), 599.
14
1. Kapitel: Einleitung
geht von den Verfassungen aus, "an denen gemessen Geschäftsordnungen wie lästige Fußnoten eines großen staatspolitischen Konzepts wirken".4 Die geringe Auseinandersetzung mit dem Verfahrensrecht des Parlaments 5 steht dabei im kra~sen Gegensatz zu der intensiven Bearbeitung und Durchdringung, die insbesondere das Verfahrensrecht der rechtsprechenden Gewalt seit jeher erfahren hat. 6 Für die gerichtlichen Verfahrensordnungen ist anerkannt, daß sie eine wesentliche Rahmenbedingung für die Verwirklichung des materiellen Rechts bilden. Daß dies in gleichem Maße für die Verfahrensordnungen der Legislative gilt, belegt ein Beispiel aus der jüngeren deutschen Geschichte. Angesprochen sind damit die Ereignisse kurz vor der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am 23.03.1933.7 Bei dem Ermächtigungsgesetz handelt es sich um ein verfassungsändemdes Gesetz. Art. 76 der Weimarer Reichsverfassung erforderte für das Zustandekommen verfassungsändernder Gesetze die Zustimmung von zwei Dritteln der anwesenden Reichstagsmitglieder, wobei insgesamt mindestens zwei Drittel der gesetzlichen Mitglieder anwesend sein mußten. Aufgrund der Stimmenverhältnisse nach den Reichtstagswahlen vom 5. März 1933 hätte ein Fernbleiben der Abgeordneten der Sozialdemokraten und der Zentrumspartei oder auch nur der Bayerischen Volkspartei zusammen mit der zwangsläufigen Abwesenheit der bereits verhafteten kommunistischen Abgeordneten die Beschlußunfähigkeit des Reichstages für ein verfassungsänderndes Gesetz bewirkt.s Um dem entgegenzuwirken, verständigten sich die die Regierung bildenden Fraktionen von NSDAP und Deutschnationaler Volkspartei kurz vor der Abstimmung über das Gesetz im Reichstag dahin, vor der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz die Geschäftsordnung des Reichstages in dem Sinne zu ändern, daß als anwesend auch die unentschuldigt fehlenden Abgeordneten gelten sollten. 9 Entsprechend diesem Vorschlag
4 Lammert, Die Geschäftsordnungen deutscher Parlamente seit 1848, Einführung S.lO; in demselben Sinne Schneider, Die Bedeutung der Geschäftsordnungen oberster Verfassungsorgane für das Verfassungsleben, Festgabe Smend, 303, 304 u. 306. 5 Als umfassende Darstellung liegt seit 1984 das Parlamentsrecht von Norbert Achterberg vor. 6 Das gilt - wenn auch nicht in gleichem Umfang - auch für das Verfahrensrecht der Exekutive (Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder). 7 Offiziell heißt das Ermächtigungsgesetz "Gesetz 7llr Behebung der Not von Volk und Reich" v. 24. März 1933, RGBI. I. 1933, S. 141. 8 Schneider, Die Bedeutung der Geschäftsordnungen oberster Verfassungsorgane für das Verfassungsleben, Festgabe Smend, 303, 315. 9 Schneider, Die Bedeutung der Geschäftsordnungen oberster Verfassungsorgane für das Verfassungsleben, Festgabe Smend, 303, 316f.
A. Verfassung und parlamentarische Geschäftsordnung
15
wurde ein Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung des Reichstages eingebracht, der die Einfügung eines neuen § 2 a sowie die Ergänzung des § 98 Abs. 3 vorsah. Der § 2 a legte fest, daß der Reichstagsprnsident jeden Abgeordneten bis zu 60 Sitzungstagen von der Teilnahme an den Reichstagsverhandlungen ausschließen konnte, wenn dieser ohne beurlaubt oder erkrankt zu sein, an den Arbeiten des Reichstages nicht teilnahm. Über die Urlaubserteilung sollte allein der Reichstagspräsident entscheiden. § 98 Abs. 3 bestimmte, daß auch diejenigen Mitglieder des Reichstages als anwesend gelten sollten, die nach § 2 a ausgeschlossen werden konnten, aber noch nicht ausgeschlossen waren. Mit diesen Änderungen wurde den Oppositionsfraktionen die Möglichkeit genommen, die Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes durch Herbeiführung der Beschlußunfähigkeit des Reichstages zu verhindern. 10 Bei den Beratungen der Geschäftsordnungsänderung im Geschäftsordnungsausschuß widersprachen nur die sozialdemokratischen Ausschußmitglieder mit der Begründung, daß sie unverblümt auf die Verhinderung von Obstruktion ziele, Obstruktion aber zu den anerkannten parlamentarischen Kampfmiueln gehöre und damit die Änderung der Geschäftsordnung letztendlich eine Preisgabe des parlamentarischen Systems und eine Umgestaltung des formellen und materiellen Verfassungsrechts bedeute. ll Die Nationalsozialisten ließen daraufhin durch den Geschäftsordnungsausschuß feststellen, daß eine Verfassungsänderung durch Geschäftsordnungsänderung überhaupt nicht möglich sei. 12 Am 23. März 1933 wurde dem Reichstag zunächst der Geschäftsordnungsänderungsantrag zur Abstimmung vorgelegt und nur gegen die Stimmen der Sozialdemokraten verabschiedet. Danach wurde das Ermächtigungsgesetz zur Abstimmung gestellt und beschlossen.1 3.1 4 Das Beispiel macht
10 Schneider, Die Bedeutung der Geschäftsordnungen oberster Verfassungs organe für das Verfassungsleben, Festgabe Smend, 303, 316f. 11 Schneider, Die Bedeutung der Geschäftsordnungen oberster Verfassungsorgane für das Verfassungsleben, Festgabe Smend, 303, 317. 12 Schneider, Die Bedeutung der Geschäftsordnungen oberster Verfassungsorgane für das Verfassungsleben, Festgabe Smend, 303, 317. 13 Das ErmächtiglDlgsgesetz trat am 24. März 1933 in Kraft, § 5 des Gesetzes. 14 Ein gegenläufiges Beispiel weist die Geschichte des preußischen.. Landtages auf. Dort wurde im Jahre 1932 unmittelbar vor Ablauf der Wahlperiode, durch eine Anderung der Geschäftsordnungsvorschriften über die Wahl des Ministerpräsidenten versucht, die Machtübernahme der Nationalsozialisten 211 erschweren; vgl. die hierm ergangene Entscheidung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich v. 20.12.1932, RGZ 139, Anhang S. 17ff; siehe ferner Pietzcker, Schichten des Parlamentsrechts: Verfassung, Gesetze und GeschäftsordnlDlg, in: SchneiderIZeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 10 Rdnm. 3Of, S. 349f; Schneider, Die Bedeutung der Geschäftsordnungen oberster Verfassungsorgane für das Verfassungsleben, Festgabe Smend, 303, 313.
16
1. Kapitel: Einleitung
deutlich, wie eng parlamentarische Verfahrensregelungen mit der Verfassung verwoben sind und als Folge dieser engen Verbindung zur Umgehung der Verfassung mißbraucht werden können. Die Verfassung schreibt die Anwesenheit einer Mindestzahl von Abgeordneten vor; die Geschäftsordnung unterläuft diese Regelung durch die Fiktion der Anwesenheit von tatsächlich abwesenden Abgeordneten. Schneider kommt nach einer Untersuchung dieses und weiterer historischer Beispiele zu dem Schluß, daß Änderungen parlamentarischer Verfahrensregelungen dem Lauf der Verfassungsentwicklung nicht nur folgen, sondern ihr auch dadurch vorauseilen, daß sie Grundsätze des formellen Verfassungsrechts einengen, ergänzen, überspielen oder auch unterlaufen. 15 Die Entwicklung des parlamentarischen Geschäftsordnungsrechts hat sich nun aber stets an der Verfassung, deren Verwirklichung es dient, zu orientieren. Nur so kann der Gefahr begegnet werden, daß im Wege der Geschäftsordnungsänderung die Verfassung unterlaufen wird oder auch nur eine nicht hinnehmbare Auseinanderentwicklung von Verfassungs- und Geschäftsordnung~recht Platz greift. Das bedeutet nun nicht, daß die Verfassung der Entwicklung des Verfahrens keine Spielräume läßt. Nur müssen, damit letztere deutlich werden, die verfassungsrechtlichen Bezüge und Begrenzungen klargestellt sein. Bereits ein flüchtiger erster Blick in das Grundgesetz belegt die enge Verzahnung zwischen der Verfassung und dem parlamentarischen Geschäftsgang. An verschiedenen Stellen enthält das Grundgesetz Vorgaben für das parlamentarische Verfahren. Art. 79 Abs.2 GG schreibt - ebenso wie Art. 76 der Weimarer Reichsverfassung - für Verfassungsänderungen eine bestimmte qualifizierte Mehrheit vor. Für die Wahl des Bundeskanzlers durch das Parlament sind technische Details des Wahlvorganges (Wahl ohne vorherige Aussprache, Durchführung des zweiten Wahlganges binnen 14 Tagen nach Scheitern des ersten) in Art. 63 GG geregelt. Ferner ist die Bildung bestimmter Ausschüsse vorgeschrieben (z.B. in Art. 45 a Abs. 1 GG eines Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und eines Ausschusses für Verteidigung). Wesentliche Grundlage für die Verknüpfung beider Bereiche ist jedoch die in Art. 40 Abs. 1 GG geregelte Befugnis des Bundestages zur Geschäftsordnungsgebung. Trotz dieser durch das Grundgesetz vorgegebenen engen Verbindung ist der Bundestag bei der Regelung des eigenen Geschäftsganges stets der Gefahr
15 Schneider, Die Bedeutung der Geschäftsordnungen oberster Verfassungsorgane für das Verfassungsleben, Festgabe Smend, 303, 318; vgl. zur Vorgehensweise bei Erlaß des Ennächtigungsgesetzes auch noch HaselLadeurlRidder, Nochmals: Refonnalisierung des Rechtsstaats als Demokratiepostulat?, JuS 1981, 794, 797.
A. Verfassung und parlamentarische Geschäftsordnung
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ausgesetzt, bindende grundlegende Wertungen des Grundgesetzes aus dem Auge zu verlieren. Diese Gefahr wird gespeist durch zwei Besonderheiten, die dem Recht des parlamentarischen Verfahrens innewohnen, und verstärkt durch die unzureichende wissenschaftliche Durchdringung der genannten Verknüpfung sowie einer äußerst zurückhaltenden Kontrolle von Regelungen der Geschäftsordnung durch das Bundesverfassungsgericht. 16 Die erste Besonderheit des parlamentarischen Verfahrensrechts hat Paul Löbe, Alterspräsident des ersten Deutschen Bundestages, Präsident des deutschen Reichstages von 1920 - 1932 mit folgenden Worten ausgedrückt: "Die Geschäftsordnung ist das Werkzeug der gesetzgebenden Versammlung zur glatten und einwandfreien Behandlung ihrer Aufgaben. Je schärfer und gediegener das Werkzeug, um so sauberer wird das hergestellte GUt."17 Damit wird die organisatorisch-technische Ebene der parlamentarischen Verfahrensregelung angesprochen, bei der es um die praktikable und effektive Gestaltung der Arbeit eines großen Kollegialorgans geht. Die sich hier stellenden Probleme sind in mancherlei Hinsicht mit denjenigen vergleichbar, die sich anderen Großorganisationen in der Verwaltung und auch in der freien Wirtschaft stellen. Das gilt z.B. für die Frage, auf wen und wie zu erledigende Aufgaben zur Vorbereitung oder endgültigen Bearbeitung verteilt werden. Die viel zitierte Flut der parlamentarischen Aufgaben, deren Bewältigung es zu organisieren gilt, ist einer der Gründe dafür, warum Aspekte der Arbeitseffizienz in den Vordergrund gerückt, verfassungsrechtliche Wertungen aber vernachlässigt werden. Verstärkend wirkt die Tendenz der Rechtswissenschaft, Geschäftsordnungsregelungen "in abschätzigem Sinne als bloß technische Reglements anzusehen und als Normen minderen Grades ... " einzustufen. 18 Die zweite in diesem Zusammenhang zu nennende Besonderheit ist, daß parlamentarisches Verfahrensrecht die Ausübung politischer Macht an zentraler Stelle im demokratisch strukturierten Staatsaufbau regelt. Es ist daher aufgrund der zu regelnden Sachmaterie auch politisches Kampfrecht. 19 Anders als bei anderen Kampfrechten, z.B. dem Arbeitskampfrecht, steht unter der Herrschaft des Prinzips der Mehrheitsentscheidung (Art. 42 Abs. 2 GG) der Gewinner der
16 BVerfG, Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, 359, 364. 17 Zitiert nach Lammert, Die Geschäftsordnungen deutscher Parlamente seit
10.
1848, Einführung S.
18 Schneider, Die Bedeutung der Geschäftsordnungen oberster Verfassungsorgane für das Verfassungsleben, Festgabe Smend. 303, 304. 19 Adamietz, Buchbesprechung Achterberg, Parlamentsrecht, KJ 1986,221,223, der in diesem Zusammenhang eine Parallele zum Arbeitskampfrecht zieht. 2 Bollmann
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1. Kapitel: Einleitung
parlamentarischen Auseinandersetzung in der Sache im Regelfall vorher fest, weil die die Regierung tragende Parlamentsmehrheit fast immer für die Dauer einer Wahlperiode konstant ist. 20 Das liegt in der Konsequenz des demokratischen Systems, denn die durch den Wahlakt bewirkte direkte demokratische Legitimation durch das Volk beinhaltet auch bestimmte Mehrheitsverhältnisse. Sie dürfen durch Regelungen des parlamentarischen Geschäftsganges nicht verfälscht werden. 21 Der Schwerpunkt des parlamentarischen Verfahrensrechts als Kampfrecht liegt damit in der Gestaltung des Entscheidungsprozesses. Hier müssen die vielfältigen im Parlament vertretenen Meinungen und Interessen ebenfalls das Ergebnis demokratischer Legitimation - sich entfalten können. Kampf bedeutet den Streit um die Lösung von Sachproblemen und erfordert für die im Parlament vertretenen Meinungsgruppen die im voraus planbare Möglichkeit, ihre Auffassungen zu artikulieren, um so den parlamentarischen Meinungsbildungsprozeß zu beeinflussen. Der Kern des durch das Grundgesetz gebundenen parlamentarischen Kampfes ist der Meinungskampf. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß die Mehrheit leicht versucht ist, die von ihr erstrebten Ziele auf verfahrenstechnisch möglichst einfachem und schnellem Wege zu erreichen. Das Mittel dazu ist die Einschränkung der sachbezogenen parlamentarischen Auseinandersetzung durch Reduzierung der Informations-, Kontroll- und Artikulationsmöglichkeiten der Nicht-Mehrheit. Die Macht zur Durchsetzung dieser Einschränkung hat die Mehrheit, weil auch für die Regelung des parlamentarischen Verfahrens das Prinzip der Mehrheitsentscheidung gilt (Art. 40 Abs. 1 i.V.m. Art. 42 Abs.2 GG). Im Durchschlagen des Mehrheitsprinzips von Sach- auf Verfahrensfragen - möglicherweise sogar in der Form der Kampfabstimmung mit einer knappen Mehrheit -liegt die große Gefahr, daß über Machtfragen zwingende Wertungen der Verfassung aus dem Blickfeld geraten. Indes darf das parlamentarische Verfahrensrecht nicht zum Schlachtfeld zügelloser Machtverteilungskämpfe werden, sondern hat grundgesetzliche Regelungen und Wertungen zu beachten.
B. Das Haushaltsgesetzgebungsverfahren zu Beginn der 10. Legislaturperiode Um der aus den dargelegten Gründen bestehenden Gefahr der Nichtbeachtung grundgeSi 'zlicher Wertungen entgegenzuwirken, sollen in dieser
20 21
Adamietz, Buchbesprechung Achterberg, Padamentsrecht, KJ 1986,221,224. Adamietz, Buchbesprechung Achterberg, Parlamentsrecht, KJ 1986,221, 223f.
B. Das Haushaltsgesetzgebungsverfahren der 10. Legislaturperiode
19
Arbeit einige Grundlagen der verfassungsrechtlichen Bezüge bei der Gestaltung des parlamentarischen Geschäftsganges herausgearbeitet werden. Konkreten Anlaß zu dieser Arbeit gaben die im folgenden dazustellenden Verfahrensweisen des Bundestages während der 10. Legislaturperiode. Nachdem in den 10. Deutschen Bundestag nach der Bundestagswahl vom 6. März 1983 erstmals 28 Abgeordnete der Partei DIE GRÜNEN in den Bundestag eingezogen waren und zusammen mit den Abgeordneten der SPD die Opposition bildeten, wurden Fragen des parlamentarischen Verfahrens bei der Behandlung von geheimhaltungsbedürftigen Teilen des Bundeshaushalts abweichend von der bis dahin über viele Legislaturperioden hinweg geübten Praxis gelöst. 22 Bis einschließlich der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes für das Jahr 1983 hatte der Bundestag bei der Bewilligung der Haushaltsmittel für die vier dem Geheimschutz unterliegenden Aufgabenbereiche des Bundes (Bundesnachrichtendienst, Bundesamt für Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst, Außenstelle des Bundesamtes für Zivilschutz)23 folgendes Verfahren angewandt: Der dem Bundestag von der Bundesregierung übermittelte Haushaltsgesetzentwurf wies aus Gründen der Geheimhaltung die Ausgaben für die geheimen Dienste nur durch Gesamtsummen aus. Die einen Einblick in die konkreten Aktivitäten der Dienste gestattenden Wirtschaftspläne, die eine Aufschlüsselung und detaillierte Zweckbestimmung der globalen Ansätze im Haushaltsgesetzentwurf enthalten, wurden von der Bundesregierung unter Anwendung der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages24 direkt einem aus Abgeordneten aller Bundestagsfraktionen bestehenden Unterausschuß des Haushaltsausschusses (§ 55 GeschOBT) zur Bearbeitung zugelei.~t. Dieser überprüfte und beriet auf der Grundlage der ihm vorliegenden genauen Informationen die Ausgabenvorstellungen der Bundesregierung und unterbreitete dem Haushaltsausschuß einen Entscheidungsvorschlag, der die Globalansätze der Bundesregierung bestätigte oder abänderte. Bei der anschließenden Beratung im Haushaltsausschuß wurden aufgrund einer einvernehmlichen Absprache aller Ausschußmitglieder zum Zwecke der Geheimniswahrung konkrete Einzelheiten des Entscheidungsvorschlages nicht erörtert. Ebenso verfuhr das Plenum bei der abschließenden Beratung des Haushaltsgesetzentwurfs.
22 Die folgende Darstellung ist dem Tatbestand des Urteils des BVerfG v. 14.01.1986, BVerfGE 70, 324, 326ff entnommen. 23 Vgl. zur genauen Bezeichnung der einzelnen KostensteIlen BVerfG, Uno v. 14.01.1986, BVerfGE 70, 324, 326-328. 24 Anlage 3 zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. 2·
1. Kapitel: Einleitung
20
Wäre diese Verfahrensweise auch bei der Beratung des Haushaltsgesetzes für das Jahr 1984 beibehalten worden, so hätte auch die im Haushaltsausschuß vertretene Fraktion DIE GRÜNEN einen Abgeordneten in den für die Geheimdienstausgaben zuständigen Unterausschuß entsenden können, weil § 55 Abs. 3 S.1 GeschOBT vorschreibt, daß jede im Ausschuß vertretene Fraktion auf ihr Verlangen mit mindestens einem Mitglied vertreten sein muß. Tatsächlich kam das Verfahren für die Beratung der geheimhaltungsbedürftigen Wirtschaftspläne der Geheimdienste vor der Verabschiedung des Haushalts in mehreren Sitzungen des Haushaltsausschusses zur Sprache. Ein Antrag des Abgeordneten der Fraktion DIE GRÜNEN, Hubert Kleinert, der von seiner Fraktion für die Besetzung des Sitzes in dem fraglichen Unterausschuß des Haushaltsausschusses vorgesehen war, wie üblich einen Unterausschuß einzusetzen, wurde von der Ausschußmehrheit abgelehnt. Stattdessen wurde in den Haushaltsgesetzentwurf ein § 4 Abs. 9 eingefügt, der vorsah, daß die Wirtschaftspläne der Geheimdienste nach der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes zur Überprüfung und Genehmigung einem vom Bundestag zu wählenden Gremium aus Mitgliedern des Haushaltsausschusses vorzulegen ist und bis zu dieser Genehmigung die Haushaltsmittel nur bis zu 25% und unter Beachtung von Art. 111 GG ausgegeben werden dürfen. Ferner sah die eingefügte Vorschrift vor, daß die Wahl des Gremiums in entsprechender Anwendung des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes 25 zu erfolgen hat. Die konkret in bezug genommenen Einzelregelungen dieses Gesetzes 26 bestimmen, daß der Bundestag die Zahl der zu wählenden Mitglieder des Gremiums, die Zusammensetzung und die Arbeitsweise festlegt und daß gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint. Der Haushaltsausschuß beschloß mit der Mehrheit der Abgeordneten von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN, dem Bundestag die Annahme dieser Regelung zu empfehlen. Während der Plenarberatung des Gesetzes beantragte die Fraktion deI GRÜNEN, die zweite Lesung solange zu vertagen, bis die Etatreife der Haushaltsansätze für die Geheimdienste hergestellt sei. 27 Da dieser Antrag erfolglos blieb, versuchte sie durch eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts zu erreichen, daß der Bundestag vor der Be-
V. 11. April 1978, BGB!. I S. 453. § 4 Abs. 2 und 3 Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichten dienstlicher Tätigkeit des Bundes. 27 Sten.Ber. 10. WP, 43. Sitzung (7.12.1983), S. 3055 (A)-(C). 25
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B. Das Haushaltsgesetzgebungsverfahren der 10. Legislaturperiode
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schlußfassung über das Haushaltsgesetz über die Ausgaben der Geheimdienste berät und beschließt. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wurde vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt. 28 Ohne die Entscheidung des Gerichts abzuwarten, wurde das Haushaltsgesetz mit dem Inhalt des § 4 Abs. 9 in der vom Haushaltsausschuß vorgeschlagenen Fassung in dritter Lesung verabschiedet. 29 Für die vier dem Geheimschutz unterliegenden Aufgabenbereiche sah das Gesetz Ausgaben von insgesamt 400 Mio. DM vor. Im Februar des Jahres 1984 bildete der Bundestag das in § 4 Abs.9 des Haushaltsgesetzes vorgesehene Gremium. Die Anträge der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN, das Gremium mit je einem Vertreter der vier im Bundestag vertretenen Fraktionen zu besetzen,30 fanden keine Mehrheit. 3! Dem Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P., das Gremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Geheimdienste mit bis zu fünf Mitgliedern zu besetzen,32 wurde entsprochen. 33 Im Anschluß daran wählte der Bundestag entsprechend den Vorschlägen der jeweiligen Fraktionen fünf Mitglieder für das Gremium. Gewählt wurden je zwei Mitglieder der CDU/CSU und SPD und ein Vertreter der F.D.P.-Fraktion. Der von der Fraktion DIE GRÜNEN nominierte Abgeordnete Hubert Kleinert erhielt nicht die erforderliche Stimmenzahl. 34 Dieser Darstellung der parlamentarischen Verfahrensweise ist colorandi causa hinzuzufügen, daß der Abgeordnete Dr. Wolfgang Schäuble der CDU/CSU-Fraktion zur Beginn der 10. Legislaturperiode in der Debatte über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, die Mitgliederzahl der Ausschüsse so zu erhöhen, daß auf die Fraktion DIE GRÜNEN zwei Mitglieder entfallen, erklärt hat: "Wir haben von vornherein erklärt, daß wir, die CDU/CSU, nicht die Absicht haben, wegen des Einzuges einer weiteren Fraktion in den Deutschen Bundestag, die Geschäftsordnung und die Regeln, die in diesem Bundestag gelten, und die sich über neun Legislaturperioden bewährt haben, zu ändern. Daran halten wir uns. Das gilt im besonderen zum Schutz der Minderheit."35 Während der Plenardebatte über das Haushaltsgesetz 1984 erklärte der Abge-
BVerfG. Besehl. v. 15.12.1983. BVerfGE 66. 26ff. BGBl.I 1983. S. 1516. 30 BT Drucks. 10/1024 u. 10/1028. 3! Sten.Ber. 10. WP. 56. Sitzung (23.2.1984), S. 3936 (D). 32 BT Drucks. 101988. 33 Sten.Ber. 10. WP. 56. Sitzung (23.2.1984), S. 3936 (D). 34 Sten.Ber. 10. WP. 57. Sitzung (24.2.1984), S. 4051 (C). 4060 (c). 3' Sten.Ber. 10. WP. 3. Sitzung (30.3.1983), S. 33 (D) - 34 (A) 28
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1. Kapitel: Einleitung
ordnete Adolf Roth von der CDU/CSU-Fraktion seinem Kollegen Kleinen von der Fraktion DIE GRÜNEN: "Ich muß schon sagen, wenn ich mir Sie anschaue: Sie zum Kontrolleur unserer Verfassungsschutzdienste zu machen, das würde von mir verlangen, den Bock zum Gärtner zu machen."36 Nachzutragen ist auch, daß die Abgeordnete der Grünen Petra Kelly unmittelbar nach der Bundestagswahl im März 1983 erklärt hatte, sie werde auch vertrauliche Infonnationen an die Parteibasis weitergeben. Dem widersprachen die Fraktionskollegen Otto Schily und Gen Bastian sofort, wobei Bastian ausführte, er sei als General lange genug im Staatsdienst gewesen, um beurteilen zu können, was wirklich geheimhaltungsbedürftig sei. 37 Der im Wege des Organstreitverfahrens sowohl von der Fraktion DIE GRÜNEN als auch von deren Abgeordneten Kleinert angerufene Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Vorgehensweise der Regierungsmehrheit von CDU/CSU und F.D.P. als für mit dem Grundgesetz vereinbar befunden. Die Entscheidung (im folgenden: Kontrollgremienentscheidung) ist mit 6:2 Stimmen ergangen. Die die Entscheidung nicht mittragenden Bundesverfassungsrichter Mahrenholz und Böckenförde haben von dem Recht Gebrauch gemacht, ihre abweichende Meinung gesondert zu begründen. 38
c. Gegenstand und Gang der Untersuchung Der machtpolitische Zündstoff der dargestellten Verfahrensweise besteht darin, daß eine aus 28 Abgeordneten bestehende Fraktion des Bundestages durch die Parlamentsmehrheit von der Mitarbeit an einem Teil des Bundeshaushalts ausgeschlossen wurde, indem ihr die zu einer fundierten Beurteilung erforderlichen Detailinfonnationen vorenthalten wurden. Das geschah um den Preis, daß selbst die übrigen im Bundestag vertretenen Fraktionen diese Informationen erst nach der Beschlußfassung über das Haushaltsgesetz erhielten. Festzuhalten ist, daß das Geschehen Bezüge zu beiden genannten Eigentümlichkeiten des parlamentarischen Verfahrensrechts aufweist. Auf der organisatorisch-technischen Ebene der Regelung des Geschäftsganges geht es um die Wahrung von Geheimhaltungsinteressen bei der Sacharbeit des Parlaments.
36 Stert.Ber. 10. WP, 44. Sitzung (8.12.1983), S. 3246 (A). DIE ZEIT, Nr.4 v. 17.01.1986, S. 3. Das Urteil v. 14.01.1986 ist vollständig abgedruckt in: BVerfGE 70, 324ff; EuGRZ 1986, 26ff und auszugsweise in: NJW 1986, 907ff; DVBl. 1986, 227ff; DÖV 1986, 24Off. 37 38
c. Gegenstand und Gang der Untersuchung
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Unter den Gesichtspunkt des Kampfrechts fällt die Skepsis der Parlamentsmehrheit gegenüber einer neu in das Parlament gelangten politischen Kraft. Die Ausgrenzung einer im Bundestag vertretenen Fraktion, die durch die geschilderte Vorgehensweise bewirkt wird, gibt Anlaß dazu, sich Gedanken über die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Selbstorganisationsrechts des Parlaments zu machen. Das soll hier dergestalt geschehen, daß ein wesentliches Augenmerk auf die Einbettung des Geschäftsganges des Bundestages in die durch das Grundgesetz statuierte demokratische und rechtsstaatliche Verfassungsordnung gelegt wird (3. Kapitel). Die Ausgrenzung wurde herbeigeführt, indem die regierungstragenden Parlamentsfraktionen mit ihrer Stimmenmehrheit ein Abweichen von dem bis dahin praktizierten Verfahren beschlossen. Die hierin liegende Mehrheitsmachtentfaltung auf dem Gebiete des Verfahrensrechts ist der Grund dafür, im besonderen die Einwirkungen des Rechtsstaatsprinzips auf die Gestaltung des Geschäftsganges des Bundestages unter die Lupe zu nehmen (4. Kapitel). Explizite verfassungsrechtliche Grundlage für Organisations- und Verfahrensregelungen des Bundestages ist Art. 40 Abs. 1 GG, der bestimmt: "Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und die Schriftführer. Er gibt sich eine Geschäftsordnung." Der dieser Vorschrift im einzelnen zu entnehmende Regelungsgehalt ist im Rahmen der vorliegenden Untersuchung der verfassungsrechtlichen Grundlagen des parlamentarischen Selbstorganisationsrechts ebenso festzuhalten, wie die den übrigen Artikeln des Grundgesetzes zu entnehmenden diesbezüglichen Vorgaben (2. u. 5. Kapitel).
In formeller Hinsicht weist die geschilderte Vorgehensweise die Besonderheit auf, daß der Beratungs- und Entscheidungsmodus für Teile des Bundeshaushalts im Haushaltsgesetz geregelt wurde. Damit fragt sich, in welcher Form die internen Angelegenheiten des Bundestages zu regeln sind. Kann dies nur in Form einer Geschäftsordnung geschehen? Ist auch das Gesetz eine mögliche Regelungsform? In welchem Verhältnis stehen beide Regelungsformen zueinander? Diesen Fragen wird im 6. Kapitel dieser Arbeit nachgegangen. Wenn in diesem und in anderen Zusammenhängen von formellen verfassungsr~~htlichen Grenzen des Selbstorganisationsrechts die Rede ist, so dient diese Ausdrucksweise der Abgrenzung zu den materiellen verfassungsrechtlichen Grenzen, insbesondere den verfassungsmäßigen Rechten der einzelnen Abgeordneten, der Fraktionen und der Opposition. Sie sind nicht Gegenstand dieser Arbeit und werden nur soweit als zur sachentsprechenden Behandlung des hier umrissenen Untersuchungsgegenstandes notwendig erörtert.
24
1. Kapitel: Einleitung
Schließlich sind, weil beispielsweise das Bundesverfassungsgericht in das parlamentarische Geschäftsordnungsrecht betreffenden Judikaten der historischen Dimension dieses Rechtsgebiets besondere Bedeutung beimißt,39 die historischen Bezüge des Selbstorganisationsrechts darzulegen und zu würdigen.
D. Verfahrenskonsens und Grundgesetz Das Bemühen um eine engere Verbindung von Verfassungsrecht und parlamentarischen Verfahrensregelungen, von dem die nachstehende Untersuchung getragen ist, soll dazu beitragen zu verhindern, daß es in Zukunft in Fragen des parlamentarischen Geschäftsganges zu derart machtpolitisch geprägten Mehrheitsentscheidungen kommt, wie dies nach dem Einzug der GRÜNEN in den Bundestag bei der Beratung der Ausgaben für die geheimen Dienste des Bundes geschehen ist. Bei aller Unterschiedlichkeit der Sachstandpunkte muß weitestgehende Einigkeit über die Regeln bestehen, nach denen die Diskussion geführt und die Sachfrage entschieden wird. 40 Diese Einigkeit über das Verfahren ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, daß Entscheidungen, die mit Verbindlichkeit für alle durch den Einsatz der Macht der Mehrheit (Art. 42 Abs. 2 GG) getroffen werden, auch von den in der Sache Unterlegenen angenommen werden können. Ein breiter Konsens über den Modus der parlamentarischen Aufgabenerledigung, der eine ganz andere Qualität hat als die mit knappen Mehrheiten ohne jegliche Zustimmung der Opposition erkämpfte Verfahrensregelung, ist geboten, damit das Parlament seine integrative Wirkung sowohl im Hinblick auf die im Parlament vertretenen politischen Gruppierungen als auch in Richtung auf den Bürger entfalten kann. Für diesen Konsens ist die Rationalität der Entscheidungsfindung bei Fragen der parlamentarischen Organisation und des parlamentarischen Verfahrens eine notwendige Voraussetzung. Diese Rationalität des Entscheidungsprozesses kann auf sicherem Wege nur dadurch erreicht werden, daß auch bei der parlamentarischen Verfahrensgestaltung die verfassungsrechtlichen Bezüge stärker in den Mittelpunkt gerückt werden, als das bisher geschehen ist. Nur durch eine Orientierung an der Verfassung, insbesondere durch Abwägung der verschiedenen ihr zu entnehmenden Wertungen, kann eine vernünftig begründete, konsensfähige Verfahrensgestaltung gefunden werden und damit Machtmißbrauch vorgebeugt werden.
39 40
Vgl. hier nur BVerfG, Un. v. 6.3.1952, BVerfGE 1. 144. 148f. Lammen, Die Geschäftsordnungen deutscher Parlamente seit 1848, Einführung, S. 10.
D. Verfahrenskonsens und Grundgesetz
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Man kann de lege ferenda darüber diskutieren, ob zur Absicherung dieser Konsenssuche eine Ergänzung des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG dahingegend sinnvoll ist, daß für Regelungen des parlamentarischen Geschäftsganges eine qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages vorausgesetzt wird. Bezogen auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand entbindet das jedoch nicht von der Notwendigkeit, die verfassungsrechtlichen Bezüge des Geschäftsordnungsrechts herauszuarbeiten. Eine qualifizierte Mehrheit sichert zwar die integrative Wirkung der Verfahrensgestaltung ab; sie gewährleistet aber nicht, daß sich diese Integrationswirkung auch auf dem Boden der bindenden Vorgaben des Grundgesetzes entfaltet.
2. Kapitel: Geschäftsordnungsautonomie: Begriffiiches, Verankerung im Grundgesetz, Regelungsgegenstände A. Begriff der Geschäftsordnung Geschäftsordnung bedeutet in einem allgemeinen Sinne die rechtliche Ordnung der Organisation und des Geschäftsganges von Einrichtungen des Privatrechts (Vereine, Gesellschaften) des Verwaltungsrechts (Behörde, Körperschaft, usw.) und des Verfassungsrechts;l sie ist der Begriff für die Regeln, nach denen die$e ihre Geschäfte führen. 2 Als Begriff des Verfassungsrechts bezeichnet sie die Ordnung des Aufbaus und des Geschäftsganges oberster kollegialer Verfassungsorgane in der Verfassung, in Gesetzen und in sonstigen Rechtsnormen,3 insbesondere den geschriebenen Geschäftsordnungen. Damit ist ihr auch in dem hier relevanten Zusammenhang der Geschäftsordnung des Bundestages eine inhaltliche Zweiteilung in innere Parlamentsorganisation, insbesondLre Bildung der inneren Organe und Regelung des Verfahrens der inneren Willensbildung, d.h. des Verfahrens bei der Abwicklung der Parlamentsgeschäfte, zueigen. 4
B. Verankerung in Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG Der Zweiteilung des Inhalts des Begriffs der Geschäftsordnung wird bei der Auslegung des Art. 40 Abs. 1 GG teilweise dadurch Rechnung getragen, daß
Pietmer, in: Ev. Staatslexikon, Bd. I, Stichwort Geschäftsordnung, Sp. 11 DO. Brockhaus Enzyklopädie, Bd. vrr, Stichwort Geschäftsordnung. 3 Pietmer, in: Ev. Staatslexikon, Bd. I, Stichwort Geschäftsordnung, Sp. lIDO. 4 Die staatsrechtliche Tenninologie ist nicht ganz einheitlich. Stern, Staatsrecht, Bd. rr, § 26 m 6 b, S. 83 u. Schmidt-R1eibtreulKlein, GGKom, Art. 40 Rdnr.6 verstehen unter Geschäftsordnung innere Organisation, Geschäftsgang sowie die erforderlichen Maßnahmen der Disziplin. Richtigerweise sind Disziplinannaßnahmen gegenüber Abgeordneten jedoch als Unterfall der Regelung des Geschäftsganges anzusehen; die gesonderte Nennung der parlamentarischen Disziplin liegt darin begründet, daß z. B. die Verfassung für das Deutsche Reich von 1871 die Disziplin neben dem Geschäftsgang noch ausdrücklich nannte (s.S.l93); ebenso Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlaments recht, S.64ff. 1
2
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2. Kapitel: Geschäftsordnungsautonomie
als Regelungsort für die innere Organisation Art. 40 Abs. 1 S.1 GG und für die Schaffung einer Verfahrensordnung Art. 40 Abs. 1 S.2 GG angesehen wird. 5 Diese Aufspaltung ist abzulehnen. 6 Sie läuft dem zweigliedrigen Begriffsinhalt des Wortes Geschäftsordnung zuwider und trägt nicht der Tatsache Rechnung, daß Organisations- und Verfahrensregelungen in der Praxis untrennbar miteinander verknüpft sind. Eine sinnvolle Verfahrensregelung für ein mitgliederstarkes Kollegialorgan setzt die Schaffung von Untergliederungen voraus. Die Bildung von Untergliederungen ohne Einbindung in eine übergreifende Verfahrensordnung, die das "Konzert" der Untergliederungen herbeiführt, verfehlt die notwendige Koordinierung der in den Untergliederungen geleisteten Arbeit. Bei der Regelung des Verfahrens für die Bildung von Untergliederungen sind beide Bereiche überhaupt nicht mehr sinnvoll voneinander zu trennen. Sedes materie für die Regelung von Organisation und Verfahren des Bundestages durch eine Geschäftsordnung ist daher Art. 40 Abs. 1 S.2 GG.7 Satz 1 von Art. 40 Abs. 1 GG ist eine Sonderregelung für einen Teilbereich der inneren Organisation des Parlaments. Die gesonderte Regelung für die Bestellung der dort genannten Organe hat historische Ursachen. Sie entspringt der Epoche des Konstitutionalismus, in der sie dem Ziel diente, monarchische Bestätigungsund Ernennungsrechte hinsichtlich der genannten Organe auszuschließen. 8
C. Geschäftsordnungsautonomie I. Begriff Während der Begriff der Geschäftsordnung es noch offen läßt, ob die Regeln über die innere Organisation und das interne Verfahren von einer übergeordneten S teIle vorgeschrieben werden oder von der betreffenden Organisation aufgestellt werden, 9 stellt Art. 40 Abs. 1 S.2 Grundgesetz für den Bundestag klar. daß dieser sich eine Geschäftsordnung selbständig ohne die Mitwirkung anderer Verfassungsorgane gibt. 10 Diese Selbständigkeit des Parlaments bei der
5 Maunz, in: Maunz/Diirig, GGKom, Art. 40 Rdnr. 2; Schneider, in: AltemativkomGG, Bd.II, Art. 40 Rdnrn. 3 u. 9; Schramm, Staatsrecht, Bd. I, § 4 C V, S. 78. 6 Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, S.68. 7 BVerfG, Beschl. v. 10.05.1977, BVerfGE 44, 308, 314; ebenso Badura, Staatsrecht, Teil E Rdnr. 39, S. 313. 8 Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, S.68. 9 Brockhaus Enzyklopädie, Bd. VII, Stichwort Geschäftsordnung. 10 Maunz, in: Maunz/Diirig, GGKom, Art. 40 Rdnr. 16.
c. Geschäftsordnungsautonomie Geschäftsordnungsregelung wird hergebrachterweise Geschäftsordnungsautonomie umschrieben. l l
29
mit
dem
Begriff
Nun soll an dieser Stelle nicht auf der Ebene des Begrifflichen die Diskussion darüber eröffnet werden, ob der Ausdruck Geschäftsordnungsautonomie für die Umschreibung der Selbständigkeit des Bundestages treffend ist. Vorzubeugen ist jedoch der Gefahr von Mißverständnissen im Zusammenhang mit dem Begriff der Autonomie. Das aus dem Griechischen stammende Wort, das übersetzt wird mit "Selbstgesetzlichkeit" , "Eigengesetzlichkeit" und "Unabhängigkeit"12 und etymologisch die Befugnis bedeutet, sich selbst Recht zu setzen,13 darf hier nicht in einem Sinne verstanden werden, mit dem es teilweise in der Philosophie gebraucht wird, die von der "autonomen Persönlichkeit" spricht, die die Maßstäbe ihres HandeIns selbst bestimmen kann. 14 Dieses Verständnis geriert die vollkommene Freiheit bei der Aufstellung von Regeln. Diese besteht indes im Rahmen der Geschäftsordnungsautonomie nicht. Im Zusammenhang mit der Geschäftsordnungsgebung bedeutet Autonomie nur Selbständigkeit und Unabhängigkeit von anderen Verfassungsorganen, d.h. die eigene und ungeteilte Zuständigkeit, aber nicht völlige inhaltliche Gestaltungsfreiheit im Sinne des Freiseins von zwingenden verfassungsrechtlichen Vorschriften und Wertungen. Der Begriff der Geschäftsordnungsautonomie ist insoweit dem der Privatautonomie vergleichbar, der die Befugnis Privater bedeutet, die für ihre Rechtsbeziehungen geltenden Regeln selbst, aber im Rahmen der zwingenden staatlichen Normen festzulegen. ls Im folgenden werden die Begriffe Geschäftsordnungsautonomie und Selbstbzw. Eigenorganisationsrecht synonym verwandt. 16
11 BVerfG, Beschl. v. 10.05.1977, BVerfGE 44, 308, 314; Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, S. 15; Weides, in: Staatslexikon, Bd. 11, Stichwort Geschäftsordnung, Sp. 922. 12 Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 11, Stichwort Autonomie. 13 Schick, in: Ev. Staatslexikon, Bd. I, Stichwort Autonomie, Sp. 159. 14 Schick, in: Ev. Staatslexikon, Bd. I, Stichwort Autonomie, Sp. 159. 15 Schick, in: Ev. Staatslexikon, Bd. I, Stichwort Autonomie, Sp. 159. 16 v.Mangoldt/Klein, GGKom, Art. 40 Anm. 11 2, S. 908 bevorzugen den Begriff Selbstorganisationsrecht.
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2. Kapitel: Geschäftsordnungsautonomie
11. Verfassungsorganeigenschaft des Bundestages Die in Art.40 Abs. 1 S.2 GG ausdrücklich geregelte Geschäftsordnungsautonomie ist Teil der verfassungsorganschaftlichen Stellung des Bundestages. Unter diesem Blickwinkel ist die Vorschrift für die Eigenständigkeit bei der Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten nicht konstituierend, sondern hat lediglich klarstellende Funktion. Sie ist eine von mehreren im Grundgesetz enthaltenen Ausgestaltungen der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Verfassungsorgans Bundestag.'7 Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen. Jeder organisierte Verband von Personen ist auf die Existenz von Organen angewiesen, die seinen Willen herausbilden, kundtun und verwirklichen. Das betrifft Personenvereinigungen des Privatrechts ebenso wie alle öffentlichrechtlichen Verbände. 18 Die Regel, daß juristische Personen durch ihre Organe handeln, gilt auch für die Bundesrepublik Deutschland als einer juristischen Person des öffentlichen Rechts. 19 Wie jeder andere Personenverband kann auch der Staat nur durch seine Organe handeln. 20 Art 20 Abs. 2 S. 2 GG bringt diesen Sachverhalt dadurch zum Ausdruck, daß die vom Volk als dem Personenverband ausgehende Staatsgewalt u.a. durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird. Die Organe des Staates können durch einzelne Personen (z.B. Bundespräsident) oder durch eine Gruppe, ein Kollegium (z.B. Bundestag, Bundesrat), gebildet werden. Der Wille dieser Staatsorgane, der insbesondere bei den kollegialen Organen nach bestimmten Regeln gebildet wird (z.B. dem Mehrheitsprinzip), Art. 42 Abs. 2 GG, wird dem Gesamtverband zugerechnet. Er macht die Wirkungskraft und Wirkungsweise des Staates aus. Jellinek hat hierzu drastisch, aber den Kern treffend, geschrieben: "Denkt man die Organe weg, so bleibt nicht etwa noch der Staat als Träger seiner Organe, sondern ein juristisches Nichts übrig. "21 Vergleicht man beispielsweise die in Art. 88 GG enthaltene Vorschrift über die Deutsche Bundesbank mit den insbesondere im III. Abschnitt des Grundge-
17 Schneider, in: AlternativkomGG, Bd. II, Art. 40 Rdnr. 2; Versteyl, in: v. Münch, GGKom Bd. II, Art. 40 Rdnr. 1. 18 Stern, Staatsrecht, Bd. II, § 32 II 2 a, S. 342. 19 Stern, Staatsrecht, Bd. II, § 26 I 2 b, S. 41. 20 Stern, Staatsrecht, Bd. II, § 26 I 2 b, S. 41. 21 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 560; vgI. hierzu auch Stern, Staatsrecht, Bd. II, § 26 I 2 b,
S.41.
C. Geschäftsordmmgsautonomie
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setzes enthaltenen Regelungen über den Deutschen Bundestag, wird deutlich, daß nicht alle im Grundgesetz genannten Organe der Bundesrepublik Deutschland dieselbe verfassungsrechtliche Stellung haben. Angesprochen ist damit die Differenzierung zwischen den Verfassungsorganen und den übrigen Staatsorganen. Diese Unterscheidung geht zurück auf die Lehren von Otto von Gierke 22 und Georg Jellinek21, die zwischen unmittelbaren und mittelbaren Staatsorganen unterschieden und für die unmittelbaren Staatsorgane, die Verfassungsorgane LS. der heutigen Terminologie, als wesentliche Kriterien deren unmittelbare Konstituierung in der Verfassung und die Unabhängigkeit von anderen Organen herausgestellt haben. 1A Der Begriff Verfassungsorgan, der in der Bundesrepublik im Streit um die Verfassungsorganeigenschaft des Bundesverfassungsgerichts relevant geworden ist,2S hat heute einen festen Platz in Rechtsprechung 26 und WissenschaftZ1 und ist Gegenstand der Gesetzessprache. 28 Verfassungsorgane sind Organe, die in der Verfassung nicht nur erwähnt sind,29 sondern von ihr in Existenz, Status und wesentlichen Kompetenzen konstituiert werden. Es sind Organe, die dem Staat durch ihre Existenz und Funktion seine spezifische Gestalt verleihen und die eigenständige Inhaber eines nicht unwesentlichen Teils der durch die Verfassung geordneten Staatsgewalt sind. 3O Ein zentrales Merkmal der Verfassungsorgane ist, daß sie grund-sätzlich keinem anderen Organ untergeordnet sind, sondern bei der Ausübung der ihnen durch die Verfassung eingeräumten Funktionen selbständig sind und Einflußnahmen eines anderen Verfassungsorgans nur dulden müssen, wenn diese von der Verfassung selbst zugelassen werden. 31
22 Otto von Gierlce, Labands Staatsrecht und die Deutsche Rechtswissenschaft, in: Schmollers Jahrbuch 1883, S. l097ff, litiert nach dem Nachdruck der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, 2. Aufl. 1961, S. 46f. 21 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 544ff. 1A Vgl. Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, S. 62; Stern, Staatsrecht, Bd. II, § 32 II 2 b, S. 343. 25 Vgl. die Dokumentation dieses Streits in JöR N.F. 6 (1957), 1000f sowie die weiteren Nachweise bei Stern, Staatsrecht, Bd. II, § 32 II I, S. 342 Fn. 52 u. § 32 II 3, S. 345 Fn. 75. 26 BVerfG, Un. v. 30.07.1958, BVerfGE 8, 104, 114. Z1 Vgl. hierzu Sattler, Die Rechtsstellung des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan und Gericht, S. 2ff; und zur fortdauernden Auseinandersetzung um den Begriff des Verfassungsorgans Schlaich, Das Bundesverfassungsgericht, S. 200. 28 Vgl. § 1 Abs. 1 BVerfGG; § 1 NdsStGHG. 29 So aber An. 88 GG für die Deutsche Bundesbank. 30 Stern, Staatsrecht, Bd. II, § 32 II 2 b, S. 344 u. § 26 I 2 b, S. 42; vgl. ferner Bemerkungen des Bundesverfassungsgerichts zu dem Rechtsgutachten von Prof. Richard Thoma, JöR N.F.6 (1957), 194, 198; Knöpfle, Da. Amt des Bundespräsidenten in der Bundesrepublik Deutschland, DVBl. 1966, 713, 715; Sattler, Die Rechtsstellung des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan und Gericht, S. 24.
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2. Kapitel: Geschäftsordnungsautonomie
Wesentliche Folgerung aus dieser Unabhängigkeit und Gleichordnung der Verfassungsorgane ist ihre Selbständigkeit bei der inneren Organisation.32 Verfassungsorganen steht die Befugnis zum Geschäftsordnungserlaß unabhängig von ausdrücklichen verfassungsgesetzlichen Ermächtigungen ZU. 33 .34 Die Geschäftsordnungsautonomie steht dem Bundestag, der unzweifelhaft ein Verfassungsorgan ist,35 also auch dann zu, wenn sie nicht ausdrücklich in Art. 40 Abs. 1 S.2 GG geregelt wäre.3 6 Die Auffassung, es verstehe sich von selbst, daß der Bundestag sich eine Geschäftsordnung geben dürfe, wurde bereits während der Beratungen des Grundgesetzes im Organisationsausschuß des Parlamentarischen Rates vertreten und dementsprechend der Antrag gestellt, die Vorschrift zu streichen, weil sie überflüssig sei.37 Das ist indessen nicht geschehen. Vielmehr ist in Art. 40 Abs. 1 S. 2 und in Art. 52 Abs. 3 S. 2 GG die Gewährleistung der Selbständigkeit bei der Regelung von Geschäftsordnungsfragen für den Bundestag und den Bundesrat in den Verfassungstext aufgenommen worden. Im Gegensatz zu diesen Regelungen, die im Hinblick auf die GeschäftsQrdnungsautonomie nur deklaratorischen Charakter haben, stehen Art. 65 S. 4 GG, wonach die Geschäftsordnung der Bundesregierung der Zustimmung des Bundespräsidenten bedarf, und Art. 53 a Abs. 1 S. 3 GG, der für die Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses vorschreibt, daß diese vom Bundestag beschlossen wird und der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Diese Vorschriften, die die Geschäftsordnungsautonomie als Ausfluß des Verfassungsorganstatus der genannten Organe einschränken, bedürfen der aus
31 Bemerlmngen des Bundesverfassungsgerichts zu dem Rechtsgutachten von Prof. Richard Thoma, JöR N.F. (1957), 194, 203; Arndt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlarnentsrecht, S. 62; Leibholz, Der Slatus des Bundesverfassungsgerichts, JöR N.F. 6 (1957), 110, 113; Stern, Staatsrecht, Bd. II, § 26 I 2 b, S. 42. 32 Kißler, Der Deutsche Bundeslag, JöR N.F. 26 (1977), 39, 43f; Stern, Slaatsrecht, Bd. II, § 26 I 2 b,S. 42. 33 Der Slatus des Bundesverfassungsgerichts, JöR N.F. 6 (1957), 120, 135; Sattler, Die Rechtsstellung des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan und Gericht, S. 25 m.w.N.; Stern, Slaatsrecht, Bd. II, § 32 II 3 a, S. 345. 34 A. A. Achte!berg, Parlamentsrecht, § 16 I 1 c, S. 325 mit der Begründung, ein Delegationszusammenhang im Sinne einer verfassungsgesetzlichen Ermächtigung zur Geschäftsordnungsgebung sei erforderlich, um extra- oder sogar kontrakonstitutionelle Rechtsentwicklungen zu verhindern; die Einheitlichkeit slaatlicher Normsetzung auch im staatlichen Innenbereich verlange die Rückfühtbarkeit auf die Verfassung. 35 Stern, Staatsrecht, Bd. II, § 26 I 2 b, S. 43. 36 Arndt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlaments recht, S. 62f; Kißler, Der Deutsche Bundestag, JöR N.F. 26 (1977), 39, 43f. n Antrag des Abgeordneten Dr. Dehler in der 6. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes und für Verfassungsgerichtshofund Rechtspflege vom 24.09.1948, Protokoll S. 50, zitiert nach Arndt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlaments recht, S. 63 Fn.12.
C. Geschäftsordnungsautonomie
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drücklichen Regelung in der Verfassung. 38 Art. 53 a Abs. 1 S. 3 GG trägt dabei für den Gemeinsamen Ausschuß39 der Tatsache Rechnung, daß es sich um ein Verfassungsorgan handelt, das aus Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat gebildet wird. 40 Zusammenfassend ist für den Bundestag festzuhalten, daß dessen in Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG geregelte Geschäftsordnungsautonomie Bestandteil des Status als Verfassungsorgan ist. In der durch das Grundgesetz statuierten Ordnung des Staates, in der die Staatsgewalt gewaltenteilig, gewaltenhemmend und gewaltenverschränkt auf verschiedene Staatsorgane verteilt wird, sichert sie, daß er die ihm in dieser Ordnung zugewiesenen Funktionen selbständig und in eigener Verantwortung erfüllen kann. 41
ill. Geschäftsordnungsautonomie und Parlamentsautonomie Die Geschäftsordnungsautonomie ist nur eine von mehreren Konsequenzen aus der Stellung des Bundestages als Verfassungsorgan. Sie ist Bestandteil der Parlamentsautonomie, d.h. des umfassenden aus dem Verfassungsorganstatus folgenden Rechts, sich selbst zu organisieren und zu verwalten. 42 Zur Parlamentsautonomie gehören neben der Geschäftsordnungsautonomie und inhaltlich eng mit ihr zusammenhängend das in Art. 39 Abs. 3 GG statuierte Recht des Bundestages, grundsätzlich frei über den Schluß und den Wiederbeginn seiner Sitzungen zu entscheiden. Ferner um faßt sie die Befugnisse zur selbständigen Entscheidung über den personellen Bestand des Bundestages im Rahmen der Wahlprüfung (Art. 41 GG), über die Strafverfolgung von Abgeordneten (Art. 46 Abs. 2 - 4 GG) und über die Ordnung, Verwaltung und Integrität der
38 Ebenso für die Geschäftsordnung der Bundesregierung, Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, S. 63. 39 Vom Verfassungsorganstatus des Gemeinsamen Ausschusses geht auch Stern, Staatsrecht, Bd. 11, § 3211 2, S. 342 aus. 40 Dasselbe gilt für den Vermittlungsausschuß, für den Art. 77 Abs. 2 S. 2 GG vorschreibt, daß Zusammensetzung und Verfahren durch eine Geschäftsordnung geregelt wird, die der Bundestag beschließt und die der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Der Vermittlungsausschuß ist jedoch kein Verfassungsorgan sondern lediglich Staatsorgan; vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. 11, § 3211 2, S. 342. 41 Ähnlich Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, S. 63; Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungs-systems, S. 42f. 42 Maunz, in: Maunz/Dürig, GGKom, Art. 40 Rdnr. 1; Schneider, in: AlternativkomGG, Bd. 11, Art 40. Rdnr. 2; Stern, Staatsrecht, Bd. 11, § 26 m 6, S. 81; Versteyl, in: v. Münch, GGKom, Bd. 11, Art. 40 Rdnr. 1; vgl ferner Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlaments recht, S. 62, der ausführt, daß nur ein Teil der autonomen Rechte des Parlaments ihren Niederschlag in der Verfassung gefunden habe; nicht im Grundgesetz geregelte Rechte werden jedoch nicht genannt. 3 Bollmann
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2. Kapitel: Geschäftsordnungsautonomie
vom Bundestag benutzten Räume (Art. 42 Abs. 2 GG).43 Die Parlamentsautonomie wirkt im Rahmen der Geschäftsordnungsautonomie in das Innere des Bundestages hinein und zielt in den Art. 42 Abs. 2, 46, 41 und 39 GG stärker nach außen, indem sie den parlamentarischen Entscheidungsprozeß vor Übergriffen anderer Staatsorgane abschirmt. 44
D. Regelungsgegenstände I. Organisation des Parlaments Die Mitgliederstärke des Bundestages von regelmäßig 656 Abgeordneten erfordert eine innere Organisation. 4s Damit ist die Bildung und Aufgabenbestimmung derjenigen personellen, organisatorischen Untergliederungen gemeint, die für eine geordnete verfahrensmäßige Behandlung sämtlicher parlamentarischer Geschäfte erforderlich sind. 46 Da der Bundestag in der grundgesetzlichen Ordnung eine Einheit bildet, ist grundsätzlich rechtlich verbindlich nur das, was durch einen Beschluß des Gesamtorgans bestimmt wird. 47 Diese Entscheidungen müssen initiiert und sodann vorbereitet werden. Für diese Aufgaben müssen Untergliederungen errichtet werden. Ferner benötigt ein mitgliederstarkes Kollegialorgan Untergliederungen, die die Aufgabenerledigung planen und koordinieren und die jeweiligen Verhandlungen leiten. Darüber hinaus muß für die Vertretung nach außen Sorge getragen werden. Der Bundestag benötigt kurzum Arbeits-, Leitungs- und Vertretungsgremien. Das Grundgesetz enthält neben der Vorschrift über die Wahl des Präsidenten, der Stellvertreter und der Schriftführer in Art 40 Abs. 1 S.l GG nur bruchstückhafte Regelungen über Untergliederungen. Diesen ist bereits eine Zweiteilung in solche Gliederungen, die sich an bestimmten Sachgebieten orientieren (Ausschüsse, Art. 44, 45a, 45b, 45c GG) und solche, die sich nach gemeinsamen politischen Grundanschauungen der Abgeordneten herausbilden (Fraktionen, Art. 53a Abs. 1 GG)
43 Vgl. die Aufzählungen bei Maunz. in: Maunl/Dürig, GGKom, Art. 40 Rdnr. 2 und Schneider, in: AltemativkomGG, Bd. 11, Art. 40 Rdnr. 2. 44 Schneider, in: AltemativkomGG, Bd. n, Art. 40 Rdnr. 2; Versteyl, in: v. Münch, GGKom Bd. n, Art. 40 Rdnr. 1. 4S Scherer, Fraktionsgleichheit und Geschäftsordnungskompetenz des Bundestages, AöR 112 (1987), 189, 213; Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, S. lOS.
46 Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, S. 67; Schneider, in: AltemativkomGG, Bd. n, Art. 40 Rdnm. 3ff, der in diesem Zusammenhang unscharf von Organisationsgewalt spricht. 47 Zeh, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts. Bd. n, § 42 Rdnr. I, S. 392.
D. Regelungsgegenstände
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zu entnehmen.48 Im übrigen - und das sind in der Praxis die Mehrzahl der Fälle - muß der Bundestag Regelungen für seine Untergliederungen selbständig treffen. Dazu gehören die Festlegung der Aufgabenbereiche und Befugnisse sowie Bestimmungen über die Mitgliederstärke und die Art und Weise der Aufteilung der Abgeordneten auf die Untergliederungen. 49 ,SO
ll. Parlamentarisches Verfahren Unter parlamentarischem Verfahren ist das Verfahren zu verstehen, das der Bundestag bei der Behandlung seiner Geschäfte beachten will. sl Regeln, die er in diesem Zusammenhang aufstellt, geben Auskunft über die Art und Weise der parlamentar•.,chen Aufgabenerfüllung; sie sagen etwas über das Ob, Wann und Wie der Erfüllung der Aufgaben, über die Form der parlamentarischen Beratung und über die Vorbereitung der nach außen wirkenden Entscheidungen. s2 Der Regelungsgegenstand ist einerseits eng, weil er nur die eigenen inneren Angelegenheiten des Bundestages betrifft. s3 Das folgt aus der im Gegensatz zu Verfassung und Gesetz fehlenden Allgemeinverbindlichkeit von Geschäftsordnungsregelungen, die nur Abgeordnete berechtigen und verpflichten können. S4 Andererseits ist er weit, weil möglicher Regelungsgegenstand die Ausgestaltung des Verfahrens bei allen Parlamentsgeschäften ist. sS Hierzu gehören
Vgl. Sieiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, S. 106. Kißler, Der Deutsche Bundestag, JöR N.F. 26 (1977), 39, 44; Maunz, in: Maunl/Dürig, GGKom, Art. 40 Rdnr. 3; Schäfer, Der Bundestag, S. 63. SO Im folgenden werden der Einteilung Achterbergs ,Parlamentsrecht, § 8 I, S. 122 folgend, der Präsident, der Älieslenrat, die Ausschüsse sowie der Wehrbeauftragte als Organe des Bundestages bezeichnet. Alle übrigen Uniergliederungen werden als Organteile bezeichnet. Daß der Bundestag, obwohl er keine juristische Person ist, sondern seinerseits Organ der Bundesrepublik Deutschland, Organe haben kann, ergibt sich daraus, daß ihm durch das Grundgesetz Rechte zur eigenständigen Wahrnehmung übertragen sind (Teilrechtsfähigkeit). Ausschüsse werden hier als Organe bezeichnet, weil die geltende Geschäftsordnung sie in § 62 Abs. 1 GeschOBT vorbereitende Beschlußorgane nennt und ihnen ieilweise die Befugnis zukommt, verbindlich für den Bundestag zu entscheiden; so auch BVerfG, Urt. v. 6.3.1952, BVerfGE 1, 144, 152 (Ausschüsse sind Organe); Maunz, in: Maunl/Dürig, GGKom, Art. 40 Rdnm. 4, 5; Stern, Staatsrecht, Bd. 11, § 26 IV 1, S. 86f u. § 26 13, S. 44; eingehend zum Begriff des Organs Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht, Bd. 11, § 74 I f, S. 48: "Organ im engeren juristischen Sinne ist daher ein durch organisierende Rechtssätze gebildeieS, selbständiges institutionelles Subjekt von transitorischen Zuständigkeiten zur funktionsteiligen Wahrnehmung von Aufgaben einer (ieil-)rechtsfähigen Organisation." SI Maunz, in: Maunl/Dürig, GGKom. Art. 40 Rdnr.l6. S2 Amdt, Geschäfuordnungsautonornie und autonomes Parlamentsrecht, S. 64ff; Schäfer, Der Bundestag, S. 64f; vgl. ferner Kißler, Der Deutsche Bundestag, JöR N.F. 26 (1977), 39, 44, der zu den eigenen inneren Angelegenheiien die Beratungsformen, die Methoden der Entscheidungsvorbereitung und -findung und die Verfahrensgestaltung bei allen anerkannien Parlaments geschäften zählt. S3 Amdt, Geschäftsordnungsautonornie und autonomes Parlamentsrecht, S. 65. S4 Schäfer, Der Bundestag, S. 65. 411
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3·
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2. Kapitel: Geschäftsordnungsautonomie
die Gesetzgebung einschließlich der Entscheidung über den Bundeshaushalt, die Bestellung anderer Staats- bzw. Verfassungsorgane, die Kontrolle der Regierung durch Ausübung von Frage- und Untersuchungsrechten sowie das Recht, durch Aussprachen und Entschließungen der Auffassung des Parlaments zu aktuellen politischen Fragen Ausdruck zu verleihen. 56 Ferner gehört zu den Parlamentsgeschäften die Handhabung der parlamentarischen Diziplin sowie die Ordnung des Verfahrens der im Rahmen der Parlamentsautonomie dem Bundestag zustehenden Rechte, wie z.B. die Ausgestaltung des Selbstversammlungsrechts und die Handhabung von Immunitätsangelegenheiten. s7 Auch das Verfahren in den Angelegenheiten, die die Geschäftsordnung selbst betreffen, gehört zu den Parlamentsgeschäften. S8 Schließlich ist wesentlicher Bestandteil der Ordnung des parlamentarischen Verfahrens die Regelung der Aufteilung der Aufgaben auf die ebenfalls in Ausübung des Selbstorganisationsrechts geschaffenen Untergliederungen des Plenums sowie die Koordination der Zusammenarbeit dieser Untergliederungen sowohl untereinander als auch mit dem Plenum. s9
SS Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlaments recht, S. 66. 56
S7
Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlaments recht, S. 66f. Amdt, Geschäfuordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht,
S.68. S8 S9
Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, S. 67. Amdt, Geschäftsordmmgsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, S. 67f.
S.
66
u.
3. Kapitel: Parlamentarisches Verfahren in der demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes A. Demokratieprinzip und parlamentarisches Verfahren Es ist offensichtlich, daß der Typus der politischen Herrschaftsfonn für das Verfahren, in dem die staatlichen Entscheidungen getroffen werden, prägend ist.! In der absolutistischen Monarchie war das Edikt des Herrschers und dessen Ausführung durch eine seinem Willen unterstehende Administration das dem staatlichen Verfahren Fonn verleihende Element. 2 Bei Herrschaftsfonnen, in denen die Staatsgewalt maßgeblich vom Volk ausgeübt wird, verwirklicht sich das demokratische Element vornehmlich in der Vorgehensweise der Volksvertretungen. Das gilt auch für die demokratische Ordnung des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. I, 2 GG), in der das Volk in einem von den Kommunikationsgrundrechten (Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit) geprägten offenen und freien politischen Prozeß durch periodisch wiederkehrende Wahlen darüber entscheidet, welche politische Gruppierung aus einem mit Gründungsfreiheit und Chancengleichheit ausgestatteten Mehrparteiensystem Führungsaufgaben im Staate wahrnehmen soll.3 In Art. 42 Abs. 1 u. 2 GG sind in Gestalt des Prinzips der Mehrheitsentscheidung sowie der grundsätzlichen Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen zwei wesentliche demokratische Verfahrenselemente verfassungsgesetzlich nominiert. Das demokratische Recht auf Bildung und Ausübung parlamentarischer Opposition 4 und die Chance der Minderheit auf demokratischen Machtwechsel, die eine über das Überstimmtwerden hinausgehende Beteiligung an der Arbeit des Bun-
! Konrad, Parlamentarische Autonomie und Verfassungsbindung im Gesetzgebungsverfahren, DÖV 1971,80, 8I. 2 Doehring, Staatsrecht, D V I, S. 232. 3 Vgl. Schnapp, in: v. Münch, GGKom, Bd. I, Art 20 Rdnm. 13-15 m.w.N. 4 BVerfG, Urt. v. 23.10.1952, BVerfGE 2, I, 13; Beschl. v. 10.5.1977, BVerfGE 44, 308, wo auf S. 321 ausgeführt wird, daß das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung von Opposition das Recht der oppositionellen Minderheit umfasse, ihre Vorstellungen im Plenum vorzutragen und die Vorstellungen der Mehrheit zu kritisieren; Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, 363.
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3. Kapitel: Parlamentarisches Vetfahren
destages erfordertS, machen deutlich, daß die Einwirkungsmöglichkeit aller parlamentarischen Gruppierungen auf den Willcnsbildungsprozeß im Parlament unabdingbare Voraussetzung für demokratisches Verfahren ist. Sie hängt eng zusammen mit der Chancengleichheit der maßgeblich die politische Willensbildung des Volkes tragenden politischen Parteien, die nicht auf den außerparlamentarischen Bereich beschränkt ist. 6 Erst die Artikulationsmöglichkeiten - besonders der Minderheiten - zusammen mit dem Prinzip der Mehrheitsentscheidung geWährleisten die Mitwirkung aller Abgeordneten an der Willensbildung des Parlaments als aus dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie folgende oberste Regel parlamentarischer Arbeitsweise. 7 Essentialia des Verfahrens des Bundestages sind mithin die Konsequenzen aus dem Demokratieprinzip. Umgekehrt wirkt das Verfahren auf das Prinzip zurück. Das Demokratieprinzip ist für sich genommen eine leere Hülse, die erst durch demokratische Verfahrensweisen in den Verfassungsorganen mit Leben gefüllt wird. 8 Einerseits hat die durch Institutionalisierung bewirkte Gleichförmigkeit des demokratischen Grundsätzen Rechnung tragenden Verfahrens system stabilisierende Wirkung. 9 Andererseits führen bereits Akzentverschiebungen zugunsten einzelner demokratischer Verfahrenselemente, beispielsweise eine Überbetonung des Mehrheitsprinzips bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Partizipationsmöglichkeiten Aller zu einer Aushöhlung des Demokratiegebots. Wäre Demokratie ausschließlich Mehrheitsherrschaft, unterschiede sie sich von der Minderheitsdiktatur nur durch die geringere Zahl der Unterdrückten. lo Darüber, daß über Manipulationen am parlamentarischen Verfahren die Demokratie selbst zu Fall gebracht werden kann, legen die ein-
5 Hesse, VetfasslDlgsrecht, Rdnr. 135, S. 53 u. Rdnr. 154, S. 6Of. 6 Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlaments recht, S. 78; Kißler, Der Deutsche Bundestag, JöR N.F. 26 (1977), 39, 46; Konrad, Parlamentarische Autonomie und Verfassungsbindung im Gesetzgebungsvetfahren, Döv 1971,80,82. 7 BVetfG, BeschI. v. 10.5.1977, BVerGE 44, 308, 315f; Urt. v. 14.1.1986 BVetfGE 70, 324, 356; vgI. ferner Leibho17IRinck/Hesselberger, GGKom, Art. 20 Rdnm. 20lf. 8 Vgl. Evers, in: BK, Art. 79 Abs. 3 (Zweitbeaibeitung) Rdnr. 192, der ausführt, das Demokratieprinzip gelte für Wahlen und Abstimmungen und die Ausübung der Staatsgewalt des Bundes durch seme obersten Organe. 9 V gl. hierzu speziell für das GesetzgeblDlgsvetfahren Luhmann, Legitimation durch Vetfahren, S.199. 10 Hesse, VetfasslDlgsrecht, Rdnr. 154, S. 6Of; Konrad, Parlamentarische Autonomie und Verfassungsbindung im Gesetzgebungsvetfahren, Döv 1971, SO, 81, der ausführt, daß bestimmte Verfahrens- und Verhaltensweisen unbedingt eingehalten werden müssen, wenn eine Institution in der intendierten Form Bestand haben soll.
B. Rechtsstaatsprinzip und parlamentarisches Verfahren
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gangs dargestellten II Geschäftsordnungsänderungen vor der Verabschiedung des Ennächtigungsgesetzes im Jahre 1933 ein beredtes Zeugnis ab. Die Bewahrung und Fortschreibung demokratischer Verfahrensgrundsätze ist folglich kein zu vernachlässigendes Parlamentsinternum, sondern eine tragende Säule des Demokratieprinzips.
B. Rechtsstaatsprinzip und parlamentarisches Verfahren Im Gegensatz zum Demokratieprinzip scheint das Rechtsstaatsprinzip auf den ersten Blick herrschaftsfonnneutral zu sein 12 und keine Auswirkungen auf demokratische Herrschaftsausübung im parlamentarischen Verfahren zu haben. Genährt wird dieser Eindruck dadurch, daß es Epochen unterschiedlicher Herrschaftsfonnen überdauert hat. In der konstitutionellen Monarchie erstmals zur Wirkung gelangt, galt es auch in der Weimarer Republik und ist jetzt Bestandteil der grundgesetz lichen Ordnung.I3 Die Schwerpunkte von Demokratie und Rechtsstaat in der grundgesetzlichen Ordnung scheinen eindeutig zu sein. Während das demokratische Element sich in der Dynamik des parlamentarischen Prozesses staatlicher Willensbildung entfaltet, kommt der Rechtsstaat in der an den festen Maßstab des Rechts gebundenen Verwaltung und Rechtsprechung zum Ausdruck. 14 Soweit der Gewaltenteilungsgrundsatz als das zentrale rechtsstaatliche organisatorische Grundprinzip (vgl. Art. 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG) im parlamentarischen Bereich wirkt, liegt der Schwerpunkt auf der Integration der d0rt entfalteten demokratischen Macht in das Gesamtsystem des staatlichen Aufbaus. Hebt man die Gewaltenteilung, das Prinzip der gesetzmäßigen Verwaltung sowie deren Kontrolle durch unabhängige Gerichte hervor und geht von einem Gesetzesbegriff aus, der sich in dem Willensakt des gesetzgebenden Organs erschöpft,IS so scheint Rechtsstaatlichkeit in der Tat mit dem Verfahren bei der Ausübung demokratischer Herrschaftsgewalt innerhalb der Legislative wenig zu tun zu haben, weil es ein politisch neutrales, fonnales Prinzip jeder am Recht orientierten Staatsordnung ist.
II
s. s. 13ff.
r vgl. Doehring, Staatsrecht, D V I, S. 231. 13 Vgl. zur Geschichte des Rechtsstaatsprinzips Böckenförde, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, Fest!Chrift Adolf Amdt, 53, 54-66; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 82ff; Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaates in Deutschland, Festschrift zum l00jährigen Bestehen des Deutschen luristentages, Bd. n, 229, 230-241. 14 Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungs system des Grundgesetzes, in: Tohidipur (Hrsg.), Der bürgerliche Rechtsstaat, Bd. I, 290, 306; Sontheimer, Staatsidee und staatliche Wirklichkeit heute, in: FraenkellSontheirner/Crick, Beiträge zu Theorie und Kritik pluralistischer Demokratie, 11, 24.
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3. Kapitel: Parlamentarisches Verfahren
Im verfassungsrechtlichen Schrifttum wird die Geltung des Rechtsstaatsprinzips für das parlamentarische Verfahren von Arndt 16 in Abrede gestellt. Er verneint den Rechtssatzcharakter der parlamentarischen Geschäftsordnung, die er als interne Rechtsvorschrift ohne Rechtssatzcharakter ansieht, weil sie jederzeit durchbrochen werden könne, unter keinem Vorbehalt und Vorrang allgemeiner Regelungen stehe und keine zweiseitige Bindungswirkung aufweise, die zum Wesen jeden Rechtssatzes gehöre und seine Unverbrüchlichkeit ausmache.1 7 Hieraus folgert er, daß die Geschäftsordnung nicht den unter rechtsstaatlichen Aspekten an eine Rechtsnorm zu stellenden Anforderungen (Meßbarkeit, Voraussehbarkeit, Klarheit dessen, was rechtens sein soll) unterliege.1 8 Zwar findet sich im übrigen Schrifttum keine weitere vergleichbare Auffassung, jedoch sind insgesamt nur wenig und recht allgemein gehaltene Stellungnahmen zur Wirkung des Rechtsstaatsprinzips innerhalb des Parlaments auffindbar. So wird ausgeführt, daß das Element der Mäßigung als ein Grundelement des Rechtsstaats auch bei der Ausgestaltung rechtsstaatlicher Einrichtungen und Verfahren Beachtung verlange und die Sicherung von Freiheit in den politischen Einrichtungen ein Gebot des Rechtsstaatsprinzips seL19 Auch wird darauf hingewiesen, daß ein rechtsstaatlich geordnetes parlamentarisches Verfahren die notwendige Voraussetzung dafür sei, daß sich der demokratische Mehrheitswille nicht irgendwie bilde, sondern entsprechend der personalen Struktur des demokratischen Systems auf der Grundlage der persönlichen Verantwortung und Urteilsfähigkeit der demokratischen Entscheidungsträger. 20 Ferner wird an das rechtsstaatliehe Element der Gewaltenteilung anknüpfend die gesamte Kontrolltätigkeit des Parlaments gegenüber der Regierung, die auch inhaltliche politische Richtungskontrolle bedeutet, als eine Form der rechtsstaat-
15 So das in der Weimarer Republik vOIhemchende Rechtsstaatsverständnis, vgl. Anschütz, in: Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, S. 29; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 85ff; Thoma, Rechtsstaatsidee und Verwaltungsrechtswissenschaft, IöR IV (1910), 196,204; den., in: Anschüt7/'Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, § 16 IV 8, S. 198; ders., in: Anschüt7/I'homa, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. n, § 76 m 5, S. 233: "Ein Staal. .. ist Rechtsstaat in dem Maße, in dem seine Rechtsordnung die Bahnen und Grenzen der öffentlichen Gewalt normalisiert und durch unabhängige Gerichte,.. ... kontrolliert"; Böckenförde, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, Festschrift Adolf Amdt, 53,64-66. 16 Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlaments recht, S. 156ff. 17 Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, S. 158, 162, 164. 18 Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlaments recht, S. 164. 19 Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaates in Deutschland, Festsschrift zum l00jährigen Bestehen des Deutschen Iuristentages, Bd. 11, 229, 231 u. 233. 20 Kägi, Rechtsstaat und Demokratie, Festgabe Giacometti, 107, 138.
B. Rechtsstaatsprinzip und parlamentarisches Verfahren
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lichen Begrenzung und Rationalisierung staatlicher Macht angesehen.~1 Wiederum andere heben das dem Rechtsstaatsprinzip innewohnende Element des Schutzes hervor und folgern daraus, daß der Schutz parlamentarischer Minderheiten als ein sowohl der Gerechtigkeit als auch dem Rechtsfrieden und damit der Rechtssicherheit dienendes Element aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleiten sei. 22 Schließlich wird dargelegt, daß der Grundsatz von Treu und Glauben als Konsequenz aus dem Rechtsstaatsprinzip auch das Parlamentsrecht durchziehe. 23 ,24 Die die Geltung des Rechtsstaatsprinzips für das parlamentarische Verfahren ablehnende Auffassung Arndts ist zu verwerfen. Die Einordnung als Rechtsvorschrift ohne Rechtssatzcharakter ist ein Widerspruch in sich, weil das Wesen einer Rechtsvorschrift gerade darin besteht, daß sie Rechtssatzcharakter hat und zudem der Rechtssatzbegriff nicht auf die Bereiche staatlichen Außenrechts beschränkt ist. 2S Die Geschäftsordnung des Bundestages enthält Vorschriften für das Vorgehen bei Abweichungen im Einzelfall und sogar für das bei Auslegungsdifferenzen zu beachtende Verfahren (§§ 126, 127 Gesch OBn und ist damit weder für eine jederzeitige Durchbrechung offen noch unverbindlich. 26 Auch ist der Geschäftsordnung eine zweiseitige Bindungswirkung zu eigen; sowohl der Normgeber (parlamentsmehrheit, Art. 40 Abs. 1 S. 2, Art. 42 Abs. 25, 2GG) als auch die Normadressaten (gesamtes Parlament bzw. einzelne berechtigte oder verpflichtete Subjekte, z.B. der Parlamentspräsident oder die Ausschüsse) sind grundsätzlich daran gebunden 27 •28 Die Geltung des Rechtsstaatsprinzips für das parlamentarische Verfahren kann nicht mit der Begründung verneint werden, die verfahrensregelnde Geschäftsordnung habe keinen Rechtssatzcharakter. 29 Geschäftsordnungsvorschriften sind Rechtsvorschriften.
Killler, Der Deutsche Bundestag, JöR N.F. 26 (1977),39, 63ff. Achterberg, Parlamentsrecht, § 21 6 d, S. 595. 23 Achterberg, Parlamentsrecht, § 21 6 f, S. 596. 24 Kassing, Das Recht der Abgeordnetengruppe, S. 26 sieht im Rechtsstaatsprinzip die verfassungsrechtliche Grundlage für die Rechte der Abgeordnetengruppe. 2S Achterberg, Parlamentsrecht, § 3 2 a bb, S. 55f; vgl ferner die Rechtssatzumschreibung bei WolfflBachof, Verwaltungsrecht, Bd. I, § 24 II c 2, S. 115, wonach Rechtssatz der Ausdruck jeder auf das äußere Verhalten von Menschen bezogenen abstrakten und generellen Anordnung ist, die mit dem Anspruch auftritt, verbindlich zu sein, weil sie mit dem Rechtsprinzip übereinstimmt. 26 Achterberg, Parlamentsrecht, § 3 2 a bb, S. 56 weist darauf hin, daß Amdt die Bedeutung der Geschäftsordnung auf die Konventionairegeltheorie zurückschraube, vgl. hierzu unten S. 141. XI Achterberg, Parlamentsrecht, § 3 2 a bb, S. 56. 21
22
28 vgl. die Ablehnung der Auffassung von Amdt bei Steiger, Organisatorische Grundlagen des Parlamentarischen Regierungssystems, S. 37-40. 29 Schäfer, Der Bundestag, S. 77.
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3. Kapitel: Parlamentarisches Verfahren
Die Notwendigkeit der Anwendung des Rechtsstaatsprinzips auf die interne Organisation und das Verfahren des Bundestages ergibt sich zudem aus folgender Überlegung: Das Grundanliegen rechtsstaatlichen Denkens ist die Ordnung des Verhältnisses von staatlicher Macht und Recht durch die rechtliche Steuerung der Machtbildung und Machtausübung. 3O Es zielt ab auf die Formung staatlicher Machtentfaltung, die einerseits gewährleistet, andererseits aber auch begrenzt werden SOll.31 Willkür und Unrecht, die aus der ungleichen, parteiischen und schrankenlosen Ausübung politischer Herrschaft resultieren, sollen durch die Rechtsgebundenheit des staatlichen Wirkens bekämpft werden. 32 Dem Rechtsstaatsprinzip geht es um die Rationalisierung 33 und Mäßigung staatlicher Machtentfaltung34 durch eine Bindung an das Recht. Der Bundestag ist als einziges vom Volk direkt gewähltes Verfassungsorgan des Hundes, das Organ, in dem sich demokratische Macht am sUirksten und direktesten äußert. Anders als Exekutive und Judikative, die an das Gesetz gebunden sind, ist die legislative Herrschaftsausübung nur durch die weite Spielräume belassende Verfassung begrenzt. Das Aufeinandertreffen heterogener politischer Gruppierungen und deren kämpferisches Ringen um eine gerechte staatliche Ordnung, wobei das, was gerecht ist, von den unterschiedlichsten Standpunkten aus, beispielsweise aus Unternehmer- oder Arbeitnehmerwarte oder aber aus ökologischer Sicht - um nur einige wenige gängige Beispiele zu nennen - bestimmt werden kann, macht die Notwendigkeit der Ordnung parlamentarischer Macht durch das Recht mit Ziel der Mäßigung deutlich. Das Grundgesetz selbst geht davon aus, daß allein eine Verfassung diese Mäßigung nicht zu bewirken vermag und sieht dementsprechend in Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG die Festlegung einer parlamentarischen Geschäftsordnung vor. Nach außen hin ist der Bundestag zur Kanalisierung der von ihm ausgehenden Entschei-
30 Albrecht, in: Staatslexikon, Bd. IV, Stichwort Rechtsstaat, Sp. 737; vgI. auch Böckenförde, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, Festschrift Adolf Arndt, 53, 75f; Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassllllgssystern des Grundgesetzes, in: Tohidipur (Hrsg.), Der bürgerliche Rechtsstaat, Bd. I, 290, 292; Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaates in Deutschland, Festschrift zum l00jährigen Bestehen des Deutschen luristentages, Bd. 11, 229, 249; ähnlich Stern, Staatsrecht Bd. I, § 20 m I, S. 781f. 31 Schmidt-Aßmann, in: lsenseelKirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24 Rdnr. I, S. 988. 32 Rechtsgebundenheit als Element des Rechtsstaatsprinzips wird in den Vordergrund gestellt von Meyn, Kontrolle als Verfassllllgsprinzip, S. 317ff; Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaates in Deutschland, Festschrift zurn l00jährigen Bestehen des Deutschen luristentages, Bd. 11, 229, 249f; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 IV 4, S. 796f. 33 So insbesondere Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 190, S. 74; Kißler, Der Deutsche Bundestag, löR N.F. (1977),39,64. 34 So insbesondere Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaats in Deutschland, Festschrift zum lOOjährigen Bestehen des Deutschen luristentages, Bd. 11, 229,233 u. 250 u. passim.
B. Rechtsstaatsprinzip und parlamentarisches Verfahren
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dungsgewalt eingebunden in ein gewaltenteilendes und damit kompetenzbegrenzendes, geordnetes Gefüge von Verfassungsorganen. In seinem Inneren ein r"chtsstaatliches Vakuum - verstanden im Sinne des Nichtgebundenseins an im Voraus bestimmte und regelmäßig verbindliche Verfahrensregelungen - zuzulassen, öffnet Willkür und parteiischer Herrschaft Tür und Tor und verfehlt das rechtsstaatliche Anliegen der Limitierung staatlicher Macht durch Rationalität, die sich wesentlich im Entscheidungsverfahren zu entfalten hat. 3S Nur am Rande sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die rechtstaatliche Durchdringung anderer Verfahrensordnungen, wie beispielsweise des Strafverfahrens mit dem Anspruch auf ein faires Verfahren,36 seit langem zum Allgemeingut des Rechtsstaatsprinzips gehört. Die Feststellung, daß im Bundestag die Mäßigung von Machtentfaltung durch Rechtsbindung unabdingbar ist, läßt die Frage aufkommen, warum dieses rechtsstaatliche Element beim parlamentarischen Verfahren verhältnismäßig wenig Beachtung gefunden hat. Ein Grund liegt darin, daß zentraler Anknüpfungspunkt rechtsstaatlicher Bindung an das Recht der Gesetzesbegriff ist und nicht auch - allerdings zu Unrecht - derjenige der Geschäftsordnung. Der geschichtliche Rückblick verdeutlicht die Zusammenhänge. In den Anfangen des Rechtsstaates war das von der Volksvertretung mitbestimmte Gesetz das Mittel zur Eingrenzung monarchischer Machtausübung,37 das in der Folgezeit -flankiert durch eine Stärkung der Gerichte - immer weitere Bereiche des staatlichen Lebens erfaBte. Zur unabhängigen und eigenverantwortlichen Regelung der inneren Angelegenheiten der Volksvertretungen war es deshalb nicht geeignet, weil an seinem Zustandekommen mit unterschiedlich starkem Einfluß zunächst die Monarchen und später andere Verfassungsorgane beteiligt waren. Die Fonn für die Ordnung der inneren Parlamentsangelegenheiten wurde die Geschäftsordnung, deren wesentliches Merkmal der von anderen Staatsorganen vc~'o.nds unbeeinflußte Inhalt war. Für den internen Bereich der Parlamente wurde das gewaltenteilende Element der Unabhängigkeit in den Vordergrund gerückt; die ebenfalls rechtsstaatliche Komponente der Bindung an das Recht blieb verdeckt. Nun ist aber Rechtsbindung als Element der Rechtsstaatlichkeit nicht auf die Bindung an das Gesetz beschränkt. Rechtsverordnungen der Exekutive und
3S Vgl. hier noch Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24 Rdnr. 19, S. 998, der unter Berufung auf Ihering anführt, daß die Fonn die geschworene Feindin der Willkür sei. 36 Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 185, S. 73 und die dort in Fn. 10 angegebenen Rechtsprechungsnachweise. 37 So besonders deutlich Schmin, Verfassungslehre, S. 144 u. 147.
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3. Kapitel: Parlamentarisches Verfahren
Satzungen unmittelbarer staatlicher Verwaltungsträger verdeutlichen, daß Rechtsbindung in den verschiedensten Formen auftreten kann. Im parlamentsintemen Bereich wird rechts staatliche Bindung an das Recht durch die Geschäftsordnung bewirkt. 38 Festzuhalten ist, daß das rechtsstaatliche Prinzip als Verfassungsgrundsatz 39 und lei~nde IdeeolO alle Bereiche staatlicher Herrschaft erfaßt und so auch beim parlamentarischen Verfahren Geltung beansprucht. Als elementares Strukturprinzip41 enthält es nur zum Teil im Kern unverrückbare Ge- und Verbote,42 von denen hier bereits der Gewaltenteilungsgrundsatz und die Rechtsbindung staatlicher Herrschaftsausübung genannt wurden. Darüber hinaus ist es jedoch nicht in allen Einzelheiten feststehend und eindeutig. 43 Es bedarf der Konkretisierung und Ausführung je nach den sachlichen Gegebenheiten der konkreten Situation, in der es wirkt. 44 Beim parlamentarischen Verfahren ist es in erster Linie die Dynamik des demokratischen Prozesses an zentraler Stelle im Staatsaufbau, auf die Bedacht zu nehmen ist.
c. Verhältnis von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip J. Zusammenordnung zu innerer Einheit im allgemeinen Die Geschichte des Rechtsstaatsprinzips ließe sich durchaus auch als eine solche der kritischen Distanz und Antinomie zur jeweils geltenden Herrschaftsform schreiben. 45 Für die grundgesetzliche Verfassungsordnung verbietet sich
38 Welch großen Einfluß der Gesetzesbegriff auf die Entwicklung rechtsstaatlicher Elemente hat, wird daran deutlich, daß der auf das Außenrechtsverltältnis des Bürgers zum Staat und hier wiederum auf Eingriffe in Freiheit und Eigentwn abhebende Gesetzesbegriff des bürgerlich liberalen Rechtsstaates des Kaiserreichs (vgl. hierzu Schmin, Verfassungslehre, S. 148f) noch in der Bundesrepublik dahingehend fortwirkte, daß sich die Einsicht in die Notwendigkeit der gesetzlichen Regelung der Interna der besonderen Gewaltverltältnisse nur langsam durchsetzte; vgl. hierzu Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaates in Deutschland, Festschrift zum l00jährigen Bestehen des Deutschen Iuristentages, Bd. n, 229, 257f. 39 BVerfG, Beschl. v. 24.7.1957, BVerfGE 7, 89, 92f; Beschl. 8.5.1973, BVerfGE 35, 41, 47; vgl. ferner Beschl. v. 25.7.1979, BVerfGE 52,131, 143; Beschl. v. 20.4.1981, BVerfGE 56, llO, 128. 010 BVerfG, Urt. v. 1.7.1953, BVerfGE 2, 380, 403; Urt. v. 21.6.1977, BVerfGE 45,187,246. 41 Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 n 4, S. 78Of; vgl. dort auch die Aufzählung der weiteren vom Bundesverfassungsgericht verwandten Umschreibungen. 42 Hesse, VerfasslDlgsrecbt, Rdnr. 185, S. 73. 43 Hesse, Verfassungsrecbt, Rdnr. 185, S. 73; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 n 4, S. 780. 44 BVerfG, Beschl. 24.7.1957, BVerfGE 7,89, 92f (SI. Rspr).
C. Verhälmis von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip
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jedoch ein solcher Ansatz. Beide Prinzipien sind tragende Elemente dieser Ordnung, die, wie bereits der Wortlaut der Homogenitätsldausel in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG (...demokratischen ...Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes) deutlich macht, nicht beziehungslos nebeneinander stehen. Daß beide Elemente einander bedingen und ergänzen bzw. stützen 46 ist allgemein anerkannt und findet sprachlich vielfältigen Ausdruck. So wird beispielsweise47 von kompiementären 4S bzw. zusammengeführten 49 Elementen gesprochen, die einander funktional zugeordnet sindso oder es wird die Untrennbarkeit beider betont,SI weil das Grundgesetz den Rechtsstaat als demokratischen und die Demokratie als rechtsstaatliche, d.h. die Integration beider Baugesetze wolle. s2 Hinter dieser Begriffsfülle steht zuvorderst die Einsicht, daß die Verfassung als die rechtliche Grundordnung aller Gewalten auch die Gestaltungsfreiheit des demokratisch-legitimierten Parlaments begrenzt. S3 Der eingehenden Würdigung des Verhältnisses von Demokratie und Rechtsstaat ist eine Feststellung voranzustellen, die ebenso scheinbar banal wie unabdingbar und grundlegend ist Beide Prinzipien sind um der Menschen willen da und nicht umgekehrt die Menschen um der Prinzipien willen. Rechtsstaat und Demokratie sind gleichermaßen auf die freie und gleiche, ihre Würde in sich
4S Diente es in der Monarchie der Eingrenmng fürstlicher Machtentfaltung, so war es nach 1918 das eher restaurative Programm konservativer und rechtsliberaler Kräfte zur Begrenmng der durch die sozialistisch-mittelbürgerlichen Exponenten der Parlamentsmehrbeit ausgeübten Regierungsgewalt. Nicht von ungefähr flillt in diese Zeit die Auslegung des Gleichheitssatzes auch als Schranke gegen legislative Willkür, vgi. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 86f. 46 Bäumlin, Die rechts staatliche Demokratie, S. 92; Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, in: Tohidipur (JIrsg.), Der bürgerliche Rechtsstaat, Bd. I, 290, 305, der die von Kägi, Rechtsstaat und Demokratie, Festgabe Giacometti. 107, 141 u. passim angenommene Synthese beider Elemente zurecht für zu unklar hält; Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaats in Deutschland, Festschrift zum lOOjährigen Bestehen des Deutschen Iuristentages, Bd. 11, 229, 234. 47 Vgl. auch noch Kägi. Rechtsstaat und Demokratie, Festgabe Giacometti, 107. 137, der davon spricht, daß Demokratie überhaupt nur als rechtsstaatliche bestehen könne, und Peters, Geschichtliche Entwicklung und Grundfragen der Verfassung, S. 166, der davon ausgeht, daß im Demokratiebegriff des Grundgesetzes das Rechtsstaatsprinzip enthalten sei. 48 Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24 Rdnr. 96, S. 1039. 49 Starck, Der Rechtsstaat in der politischen Kontroverse, 12 1978, 746, 747. so Albrecht, in: Staatslexikon, Bd. IV Stichwort Rechtsstaat, Sp. 737, 738. SI Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 1811 6 b, S. 623. S2 Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 m 4 c, S. 786 u. § 20 V 3, S. 870; gegen den Begriff rechtsstaatliche Demokratie, der sich um mehr als eine Nuance vorn demokratischen Rechtsstaat unterscheide, Kägi, Rechtsstaat und Demokratie, Festgabe Giacometti, 107, 141.
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3. Kapitel: Parlamentarisches Verfahren
selbst tragende, autonome Persönlichkeit bezogen. 54 Sie ist das tertium comparationis und die Richtschnur bei der konkreten Anwendung. Die durch rechtsstaatlich gesicherte subjektive Rechte gewährleistete Freiheit, Gleichheit und Selbstverantwortlichkeit der Bürger ist die Voraussetzung für eine im Rahmen freier politischer Willensbildung sich vollziehende stetige Erneuerung demokratischer Legitimation, wobei auch die Mitwirkung der Bürger hieran nach rechtsstaatlichen Prinzipien geordnet ist. 55 Die durch rechtsstaatliche Ordnung und Verfahrensweisen bewirkte Transparenz staatlicher Prozesse ist die Grundlage für eine bewußte und auf eigenem Urteil beruhende Teilnahme des Individuums an den staatlichen Vorgängen, die wiederum nur dann sinnvoll ist, wenn Raum für eine eigenverantwortliche Entscheidung bleibt. 56 Im demokratischen Prozeß bilden die vielschichtig heterogenen politischen Kräfte in einer durch Entgegensetzung, Ausgleich und Verständigung aber auch Entscheidung geprägten Auseinandersetzung aus einer Vielzahl divergierender Zielvorstellungen einheitsstiftende verbindliche Ergebnisse heraus. 51 Der Rechtsstaat vermag diese gestaltende, formende und sich stets in Bewegung befindende Zielfindung nicht zu leisten; er setzt die in einem solchen Formungsprozeß gewonnene Einheitsfindung voraus. 58 Auf der anderen Seite sind die durch rechtsstaatliche Elemente bewirkten institutionellen
53 Bei der Gewichtung beider Elemente bestehen trotz der Einigkeit im allgemeinen durchaus Unterschiede. Einige betonen die rechtsstaatliche Begrenzung des demokratischen Souveräns; Kägi, Rechststaat und Demokratie, Festgabe Giacometti, 107, 132ff u. Merten, Rechtsstaatsdämmerung, Festschrift Samper, 35, 36ff. Demgegenüber versuchen andere durch eine Hervomebung der formalen und eine Zurückdrängung der materiellen Elemente des Rechtsstaatsprinzips den Entscheidungsspielraum der demokratischen Entscheidungsträger zu vergrößern; vgl. hierzu die sog. Reformalisierungsdiskussion am Anfang der letzten Dekade: Bäumlin/Ridder, in: AltemativkomGG, Bd. I, Art. 20, ill. Abschn. Rdnr. 38ff; Hase/Ladeur/Ridder, Nochmals: Reformalisierung des Rechtsstaates als Demokratiepostulat?, JuS 1981, 794ff; Maus, Entwicklung und Funktionswandel des bürgerlichen Rechtsstaates, in: Tohidipur (Hrsg.), Der bürgerliche Rechtsstaat, Bd. I, S. 13ff; ähnlich, jedoch aus politsch entgegengesetzter, konservativer Warte Forstfoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, VVDStRL 12 (1954), 8ff, insbes. 16ff; a.A. Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: BendalMaihoferNogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 477, 479f; Grimm, Reformalisierung des Rechtsstaats als Demokratiepostulat?, JuS 1980,704ff. 54 Bäumlin, Die rechtsstaatliche Demokratie, S. 9lf; Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, in: Tohidipur (Hrsg.), Der bürgerliche Rechtsstaat, Bd. I, 290,305; vgl. ferner Kimminich, Die Verknüpfung der Rechtsstaatsidee mit anderen Leitprinzipien des Grundgesetzes, DÖV 1979,765, 769f; Schrnidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24, Rdnr. 96, S. 1040; Starck, Der Rechtsstaat in der politischen Kontroverse, JZ 1978,746, 747f, die das Element der Freiheitlichkeit als verbindendes Glied hervorheben. 55 Starck, Der Rechtsstaat in der politischen Kontroverse, JZ 1978,746,747; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 18 TI 6 b, S. 623. 56 Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, in: Tohidipur (Hrsg.), Der bürgerliche Rechtsstaat, Bd. I, 290, 305f. SI Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, in: Tohidipur (Hrsg.), Der bürgerliche Rechtsstaat, Bd. I, 290, 306.
C. Verhältnis von Dernokratie- und Rechtsstaatsprinzip
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Verfestigungen U.ld Dauerhaftigkeiten, die Sachlichkeit, Unparteilichkeit und damit Unabhängigkeit vom Widerstreit der gesellschaftlichen und politischen Kräfte unabdingbare Voraussetzungen für die Entfaltung der Dynamik des offenen, elastischen demokratischen Prozesses ohne Nachteil für das Gesamtgefüge. 59 Rechtsstaatliche Elemente bewahren den demokratischen Staat davor, einer Radikalisierung des jeweiligen Mehrheitsentscheids zu erliegen,60 denn dieser ist nicht eo ipso gerecht61 und trägt nicht eo ipso dem genannten gemeinsamen Bezugspunkt von Rechtsstaat und Demokratie Rechnung. "Erst in dem bedingenden Nebeneinander von Bewegenden und Erhaltendem, Fonnendem und Gefonntem, Freiheit Schaffendem und Freiheit Schützendem, der Offenheit für das Fließende und Werdende des geschichtlichen Lebens und seiner institutionellen Bewältigung, zeigt sich unverkürzt die Eigenart heutiger Staatlichkeit".62
11. Zusammenwirken bei der Selbstorganisation des Bundestages im besonderen Im parlamentarischen Innenbereich ist die Geschäftsordnung das Element des rechtsstaatlich Gefonnten. Durch sie wird die Parlamentsarbeit strukturiert und in sachlich geordnete Bahnen gelenkt. Im Inhalt der Parlamentsdebatten, der Anfragen an die Regierung sowie der Empfehlungen und Beschlüsse findet die Dynamik des demokratischen Prozesses ihren Ausdruck. Das Zusammenwirken macht die geordnete politische Auseinandersetzung aus.
Durch die Festlegung des Verfahrens, zumindest regelmäßig für die Dauer einer Legislaturperiode und damit die Entlastung davon, Verfahrensfragen in jedem Einzelfall neu zu entscheiden, bewirkt die Geschäftsordnung eine grundlegende Arbeitsentlastung des Bundestages, die unabdingbare Vorausset-
58 Böckenförde, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, Festschrift Adolf Arndt, 53, 75f; Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystern des Grundgesetzes, in: Tohidipur (Hrsg.), Der bürgerliche Rechtsstaat, Bd. I, 290, 306. 59 Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystern des Grundgesetzes, in: Tohidipur (Hrsg.), Der bürgerliche Rechtsstaat, Bd. I, 290, 305f. 60 Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaates in Deutschland, Festschrift zum lOOjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. II, 229,234. 61 Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: BendalMaihoferNogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 477,486; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 V 3, S. 870. 62 Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystern des Grundgesetzes, in: Tohidipur (Hrsg.), Der bürgerliche Rechtsstaat, Bd. I, 290, 307, der ebendort auch statt von "bedingendem Nebeneinander" plastischer von "Verhältnis der Überlagerung" bzw. von "Zuordnung zu innerer Einheit" spricht.
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3. Kapitel: Parlamentarisches Verlahren
zung für die angemessene Behandlung der anstehenden Sachfragen ist. 63 Die FestIegung entzieht die Spielregeln, nach denen die parlamentarische Auseinandersetzung geführt wird, bis zu einem gewissen Grade den unterschiedlichen politischen Bestrebungen und läßt sie zu einer relativ eigenständigen und konstanten Größe werden, die auch dem politischen Machtkampf Maß und Form verleiht. Die parlamentarische Verfahrensordnung hat teil an der generell durch eine Rechtsbindung bewirkten relativen Unparteilichkeit des Rechts 64 und läßt die Unparteilichkeit des Verfahrens zu einem Wesensmerkmal der parlamentarischen Auseinandersetzung werden.
1. Rechtsstaatliche Sicherung und Ordnung demokratischer Verfahrenselemente
a) Prinzip der Mehrheitsentscheidung Die rechtliche Ordnung des Verfahrens kann dem parlamentarischen Entscheidungsprozeß nicht die Machtschärfe nehmen, daß letztverbindlich die Mehrheit entscheidet. Das Mehrheitsprinzip ist eines der fundamentalen Prinzipien der Demokratie. 6S Nach dem Inhalt des Grundgesetzes Nerden viele grundlegende staatliche Entscheidungen nach Maßgabe der demokratischen Mehrheitsregel getroffen (Art. 42 Abs. 2, Art. 63 Abs. 2-4, Art. 67 Abs. I, Art. 52 Abs. 3, Art. 54 Abs. 6 GG).66 Indes erschöpft sich demokratisches Verfahren nicht im Prinzip der Mehrheitsentscheidung. Es ist, bedenkt man, daß Demokratie die von der Gesamtheit der Aktivbürger bzw. der Gesamtheit der von diesen gewählten Abgeordneten ausgeübte Staatsgewalt bedeutet,67 eher nur die ultima ratio, die eine Entscheidungsfindung gewährleistet, wenn breiterer Konsens nicht herstellbar ist. 68
63 Vgl. allgemein zur entlastenden Wirlrung rechtlicher Festlegungen Hesse, Der Rechtsstaat im Verlassungssystem des Grundgesetzes, in: Tohidipur (Hrsg.), Der bürgerliche Rechtsstaat, Bd. I, 290,299f. 64 Vgl. zu der Unparteilichkeit des Rechts als Folge der festen Rechtsbindung im Rechtsstaat Hesse, Verlassungsrecht, Rdnr. 196, S. 76f. 6S BVerlG, Beschl. v. 6.10.1970, BVerlGE 29,154,165 mit Hinweis auf das Urt. v. 21.5.1952, BVerlGE 1,299,315; Urt. v. 23.10.1952, BVerlGE 2, I, 12f; Urt. v. 17.8.1956, BVerlGE 5, 85, 198; vgl. ferner Achterberg, Parlamentsrecht, § 21 5, S. 583ff; Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, S. 75f; Leibholz, Strukturprobleme der modemen Demokratie, S. 151. Zur Bedeutung, Herkunft und Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips vgl. HofmannIDreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: SchneiderJZeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 5 Rdnm. 48ff, S. 186ff. 66 LeibhoWRincklHesselberger, GGKom., Art. 20 Rdnr. 226. 67 V gl. LeibholzlRincklHesselberger, GGKom., Art. 20 Rdnr. 226.
C. Verhältnis von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip
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b) Elemente demokratischer Verhandlung Demokratisches, parlamentarisches Verfahren zielt ab auf eine über den bloßen Mehrheitsentscheid hinausreichende demokratische Qualität, Legitimität und auf die Gesamtheit des Staates bezogene Integrationswirkung. 69 Der Schwerpunkt liegt weniger auf der bloßen Entscheidung als auf dem Entscheidungsprozeß, dem Entscheidungsfindungsverfahren. Bereits im KPD-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht7° ausgeführt: "Ihre Aufgabe (der freiheitlich demokratischen Staatsordnung, der Verf.) besteht wesentlich darin, ... dem Willen der tatsächlichen Mehrheit des Volkes für die einzelnen Entscheidungen Geltung zu verschaffen, aber diese Mehrheit auch zur Rechtfertigung ihrer Entscheidungen vor dem ganzen Volke, auch vor der Minderheit, zu zwingen. Dem dienen die leitenden Prinzipien dieser Ordnung wie auch ihrer einzelnen Institutionen. Was die Mehrheit will, wird jeweils in einem sorgfaltig geregelten Verfahren ermittelt. Aber der Mehrheitsentscheidung geht die Anmeldung der Forderungen der Minderheit und die freie Diskussion voraus, zu der die freiheitliche demokratische Ordnung vielfaItige Möglichkeiten gibt, die sie selbst wünscht und fördert, und deshalb auch für Vertreter von Minderheitenmeinungen möglichst risikolos gestaltet. Da die Mehrheit immer wechseln kann, haben auch Minderheitsmeinungen die reale Chance, zur Geltung zu kommen. So kann in weitem Maße Kritik am Bestehenden, Unzufriedenheit mit Personen, Institutionen und konkreten Entscheidungen im Rahmen dieser Ordnung positiv verarbeitet werden. In die schließlich erreichte Mehrheitsentscheidung ist immer auch die geistige Arbeit und die Kritik der oppositionellen Minderheit eingegangen" . Demokratische Qualität erwächst daraus, daß alle Abgeordneten aktiv am parlamentarischen Willensbildungsprozeß teilnehmen können, namentlich Minderheiten gebührend Gelegenheit und Zeit haben, in sachlicher Auseinandersetzung ihre gegensätzlichen Auffassungen vorzutragen und insgesamt eine kritische Abwägung zwischen den verschiedenen Lösungsmöglichkeiten stattfindet. 71 Die in diesem Kommunikations- und Handlungsprozeß zu leistenden Informations-, Vermittlungs- und Selektionsarbeiten rechtfertigen das größere Gewicht, das parlamentarische Entscheidungen gegenüber Entscheidungen an-
68 Ähnlich Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: BendalMaihoferNogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 476, 486; Herwg, in: Maun7JDürig, GGKom., An. 20,11. Abschn. Rdnr. 14; kritisch Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 176f. 69 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rdnrn. 186-190, S. 73f. 70 BVerfG, Uno v. 17.8.1956, BVerfGE 5, 85, 198f. 4 Bollmann
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3. Kapitel: Parlamentarisches Verfahren
derer staatlicher Funktionsträger zukommt. 72 Erst wenn diese Kommunikations- und Vermittlungsarbeit geleistet ist, ist die Entscheidung der Mehrheit als Endpunkt des parlamentarischen Verfahrens eine solche, die der Gesamtheit des Bundestages zugerechnet werden kann. Und nur die Gesamtheit der Abgeordneten ist die durch das Volk legitimierte Inhaberin der vom Bundestag auszuübenden Staatsgewalt; sie ist gemeint, wenn in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG von besonderen Organen der Gesetzgebung die Rede ist oder es in Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG heißt, daß Bundesgesetze vom Bundestag beschlossen werden.?3 Das Mehrheitsprinzip und die Kanalisierung der divergierenden politischen Richtungen in einem dialektischen Kommunikationsprozeß der Gesamtheit die beiden wesentlichen demokratischen Elemente des parlamentarischen Verfahrens - stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Fest steht zwar, daß das parlamentarische Verfahren der Minderheit nur die Chance einräumt, die Mehrheit in ihrem Sinne zu beeinflussen, aber die Mehrheit nicht an der Ausübung ihrer Entscheidungsgewalt hindern kann. 74 Davon abgesehen ist jedoch stets die Gefahr gegenwärtig, daß die auch die Verfahrensherrschaft innehabende Parlamentsmehrheit versucht, den notwendig langwierigen Verhandlungsprozeß abzukürzen, um dem Wähler sichtbare Resultate ihrer Politik präsentieren zu können, wohingegen Minderheiten versucht sein können, das Procedere in die Länge zu ziehen, weil im wesentlichen in der Parlamentsdebatte ihre Chance liegt, sich in der Öffentlichkeit zu profilieren, und weil eine Verfahrensverlängerung die Möglichkeit bietet, die Festschreibung ihrer Politik widersprechender Ergebnisse hinauszuzögern. 75 Beide Positionen können sich auf das Postulat der Funktionstüchtigkeit des Parlaments 76 berufen; die Mehr-
71 Konrad, Parlamentarische Autonomie und Verfassungsbindung im Gesetzgebungsverfahren, DÖV 1971, 80, 82, der besonders deutlich darauf hinweist, daß die Teilnahme am parlamentarischen Entscheidungsprozeß sich auch für die Minderheit als Mitwirkung an der politisehen Willensbildung des Volkes i.S.v. Art. 21 Abs. 1 GG darstelle und als solche in besonderer Weise verfassungsrechtlich geschützt sei; ebenso Arndt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlaments recht, S. 78; vgl. ferner Maunz,iZippelius, Deutsches Staatsrecht, § 12 II 2, S. 86f. 72 V gl. die ausführliche Darstellung des parlamentarischen Entscheidungsprozesses bei Zimmer, Funktion-Kompetenz-Legitimation, S. 250-264, insbes. S. 253. 73 Zum Bezugspunkt der Gesamtheit vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.5.1977, BVerfGE 44, 308,316; Besch!. v. 24.3.1981, BVerlGE 56, 396, 405: "Bei der Bildung des staatlichen Willens im parlamentarischen Bereich ist das Volk nur dann angemessen repräsentiert, wenn das Parlament als Ganzes an dieser Willensbildung beteiligt ist"; Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, Sondervotum Mahrenholz, 366, 367ff; Urt. v. 13.06.1989, BVerfGE 80,188, 217f. 74 Arndt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, S. 78; Konrad, Parlamentarische Autonomie und Verfassungsbindung im Gesetzgebungsverfahren DÖV 1971, SO, 82. 75 Kassing, Das Recht der Abgeordnetengruppe, S. 42 führt aus, daß weder die Minderheit das Parlament als "Schwatzbude" noch die Mehrheit es als "Abstimmungsautomaten" mißbrauchen dürfe; vgl. ferner Kürschner, Die Statusrechte des fraktionslosen Abgeordneten, S. 118ff. 76 Siehe hierzu S. 72f.
C. Verhältnis von Demokratie- und Rechtsstaatsprin:lip
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heit mit dem Hinweis, dieses erfordere sicher und schnell greifbare Ergebnisse und die Minderheit mit der Argumentation, funktionstüchtig sei das Parlament dann, wenn es integrative Wirkung zum Volk hin entfalte, was notwendig eine ausführliche Auseinandersetzung mit den im Parlament vertretenen politischen Positionen voraussetze. c) Rechtliche Ordnung der demokratischen Verjahrenselemente
Rechtsstaatliche Elemente sind es, die dieses Spannungsverhältnis zwischen den demokratischen Elementen des parlamentarischen Verfahrens lösen. Die durch eine rechtliche Fixierung bewirkte relative Beständigkeit demokratischer Partizipationsrechte, Abwägungs- und Verhandlungspflichten und die Festschreibung ihres Verhältnisses zur Mehrheitsentscheidung erschwert es, daß der parlamentarische Prozeß, der aus Verhandlung und Entscheidung besteht, Majorisierungs- oder Obstruktionstendenzen anheimfallt. Besonders für die Beteiligung Aller an der parlamentarischen Verhandlung gilt, daß erst die rechtliche Ordnung dem demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß die "Geformtheit, Verstehbarkeit, Übersichtlichkeit und Klarheit"77 sowie vor allem die Vorhersehbarkeit und damit Planbarkeit verleiht, die unabdingbare Voraussetzung dafür ist, daß sowohl die einzelnen Abgeordneten als auch die parlamentarischen Gruppen, insbesondere die Fraktionen, ihre Informations-, Artikulations- und Antragsrechte und auf der Grundlage dieser Rechte ihr Stimmrecht selbstbestimmt und informiert wahrnehmen können.
d) Beispiel: Gesetzgebungsverjahren Die enge Verbindung rechtsstaatlicher und demokratischer Elemente wird am Beispiel des Gesetzgebungsverfahrens besonders deutlich. 78 Die Bindung staatlicher Machtausübung an das Gesetz ist ein Grundelement des Rechtsstaatsprinzips. Das Demokratieprinzip gebietet, daß das Gesetz auf einer EntscL ~i dung des vom Volk gewählten Gesetzgebungsorgans beruht.79 Das Grundgesetz beschränkt sich bei der Regelung des Gesetzgebungsverfahrens auf eine Inte-
71 So die allgemein auf die Wirlmng des Rechtsstaatsprinzips bezogene Fonnulierung von Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 190, S. 74. 78 Schrnidt-Aßmann, in: IsenseelKirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24 Rdnr. 96, S. 1039f, fühn treffend aus, daß die rechts staatliche Verfassung dem demokratischen Prozeß Fonn gebe und von ihm das parlamentarische Gesetz als zentrales Gestaltungsmittel empfange. 79 LeibhoIzJRinck/Hesselberger, GGKom, An. 20 Rdnr. 236. 4"
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3. Kapitel: Parlamentarisches Verfahren
gration in die gewaltenteilende Gesamtkompetenzordnung (Bundesgesetzgebungszuständigkeiten, Zusammenwirken der Verfassungsorgane bei der Gesetzgebung, Art. 70ff GG). In einer in diese Kompetenzordnung integrierten Mehrheitsentscheidung des Parlaments kann sich indessen demokratische Legitimationsvennittlung im Gesetzgebungsverfahren nicht erschöpfen. Vielmehr ist stets ein von dem Bemühen um Einigkeit über das Gemeinwohl getragener Ausgleich zwischen den unterschiedlichen im Staat vertretenen Interessengruppen notwendig. Daß ein solcher Ausgleich in der Sache immer erreicht wird, kann nicht sichergestellt werden. Es kann nur durch die Festlegung eines bestimmten Verfahrens beim gesetzgeberischen Willensbildungsprozeß die Grundlage dafür geschaffen werden. Eine im voraus feststehende Anzahl von Beratungen im Plenum und in den Ausschüssen,8o bestimmte Fristen zwischen den Beratungen,S! Publikationen der jeweiligen Beratungsergebnisse82 und feststehende Antragsmöglichkeiten für einzelne Abgeordnete S3 und Fraktionen 84 sind die verfahrenstechnisch zur Verfügung stehenden Mittel zur Herbeiführung des Ausgleiches. Sie gewährleisten demokratische Legitimation des Gesetzes, indem sie die Beteiligung aller Abgeordneten sicherstellen. Nur ein unter Einhaltung dieses Verfahrens zustandegekommenes Gesetz ist hinreichend demokratisch legitimiert. Die Einhaltung des Verfahrens wird durch die geschäftsordnungsrechtliche Regelung des Nonnsetzungsverfahrens gesichert; sie ist Ausdruck der rechtsstaatlichen Durchdringung des demokratischen Verfahrens im Parlament, das auch demokratische Legitimationsvenniulung durch das Gesetz verbürgt. ss 2. Rechtlich geordnetes Verfahren und demokratische Wechselbeziehungen zwischen Parlament und Volk
Bereits am Beispiel des Gesetzgebungsverfahrens wird deutlich, daß die Wirkung der verbindlichen rechtlichen Ordnung des parlamentarischen Verfahrens nicht auf den Innenbereich des Bundestages beschränkt ist. Sie ist eine wesentliche Komponente des facettenreichen, wechselbezüglichen demokratischen Rückkoppelungsprozesses zwischen Parlament und Volk.
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§§ 78 Abs. I S. 1,80 Abs. 1 GeschOBT.
8! §§ 78 Abs. 5, 81 Abs. 1 S. 2, 84 GeschOBT. 82 §§ 81 Abs. 1 ~. 2, 83, 86 S. 2 GeschOBT. 83 § 82 Abs. 1 GeschOBT. 84
11.5
§§ 79 S. 1,80 Abs. 2, 80 Abs. I, 84lit. b), 85 Abs. 1. S. 1 GeschOBT. Vgl. Ryffe1, Grundprobleme der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 417.
C. Verhältnis von Demokratie- und Rechtsstaatsprinlip
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a) Demokratische Verantwortung der Abgeordneten gegenüber dem Volk Aus der Warte der Abgeordneten ist ein geordnetes Verfahren notwendig mit dem Tragen demokratischer Verantwortung 86 verbunden. Die demokratische Verantwortung der Abgeordneten gegenüber dem Volk folgt daraus, daß ihnen durch die Wahlen die Aufgabe übertragen wurde, für die Gesamtheit verbindliche Entscheidungen zu treffen, insbesondere die Regierung zu bilden und zu kontrollieren. Diese Verantwortung erfordert es, daß sie sich durch eine feste Ordnung ihrer Arbeitsweise dazu instand setzen, die übernommenen Aufgaben bestmöglich zu erfüllen, beispielsweise bei Entscheidungen alle Sachgesichtspunkte zu berücksichtigen und die Gesamtheit der anfallenden Aufgaben so umfassend und schnell als irgend möglich zu erledigen.
b) Demokratische Zurechnung parlamentarischer Entscheidungen Im demokratischen System des Grundgesetzes erschöpft sich die direkte Ausübung von Staatsgewalt durch das Volk im wesentlichen in der im Wahlakt liegenden Willenskundgabe (Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. I GG). Nur in dieser begrenzten Form ist der Träger der Staatsgewalt - abgesehen von der praktisch wenig bedeutsamen Verfahren des Volksentscheides und der Volksbefragung bei der Neugliederung des Bundesgebiets (Art. 39 GG) - verfassungsrechtlich direkt handlungsfähig. Im übrigen tritt der eigenständig und unabhängig gebildete Wille der Verfassungsorgane an die Stelle des Willens derjenigen, von denen die Staatsgewalt ausgeht. Die vom Bundestag getroffenen Entscheidungen werden dem Volk rechtlich und politisch zugerechnet. 87 Wenn Volks wille und Parlamentswille auseinanderfallen, was zwar nicht rechtlich, sehr wohl aber tatsächlich politisch möglich ist, dann ist der Parlamentswille für alle verbindlich. Diese Zurechnung erfordert eine rechtlich geordnete Form der Willensbildung der Entscheidungsträger, damit die Entscheidungen für diejenigen, für die sie getroffen werden, einsichtig und nachvollziehbar sind. Oftmals ist die parlamentarische Entscheidung für sich genommen für den Bürger unverständlich und nicht akzeptabel. Nachvollziehbar wird sie erst, wenn der Entscheidungsprozeß und damit die entscheidungsbestimmenden Gesichtspunkte
V gl. zur demokratischen Verantwortung Bäumlin. Die rechts staatliche Demokratie, S. 93f. Vgl. Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, S. 119fm.w.N. 86
87
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3. Kapitel: Parlamentarisches Verfahren
deutlich werden. 88 Die Einsehbarkeit des Verfahrens ist die Grundlage für dieses Verständnis ohne das parlamentarische Entscheidungen ihre notwendige gesamtgesellschaftliche Integrationswirkung nicht zu entfalten vermögen.
c) Weitere Elemente des Rückkoppelungsprozesses Neben den Wahlen, dem Kernstück des demokratischen Staatsaufbaus, gibt es vielfältige weitere wechselseitige Einflußnahmeprozesse zwischen der Willensbildung des Volkes, z.B. durch die Medien und die relevanten gesellschaftlichen Gruppierungen - namentlich Parteien und Verbände (Art. 5, 8, 9, 21 GG) -, und der grundsätzlich davon zu trennenden staatlichen Willensbildung (Art. 20 GG).89 Diese Wechselbeziehungen sind für den demokratischen Integrationsprozeß entscheidend. 90 Sie sollen verhindern, daß zwischen öffentlicher und staatlicher Willensbildung unüberbrückbare Gräben entstehen, indem beispielsweise Parteien und Verbände über die von ihnen mitgeprägte öffentliche Meinung Einfluß auf die Beschlüsse des Bundestages zu nehmen versuchen, oder die Abgeordneten sich anhand der öffentlichen Meinung Klarheit über die konkreten Interesse und Bedürfnisse der Bürger verschaffen, um nicht die Unterstützung der Bevölkerung zu verlieren. Sowohl eine sachlich fundierte, eigenverantwortliche Wahlentscheidung 91 als auch die darüber hinausgehende ständige Wechselwirkung zwischen Parlament und Öffentlichkeit, als auch insbesondere die angesprochene Einsichtigkeit der konkreten Entscheidungen des Parlaments setzen präzise Informationen über die Arbeit des Bundestages voraus. Die Massenkommunikationsmittel und die übrigen an der öffentlichen Meinungsbildung beteiligten Gruppierungen können die ihnen hier zufallende wichtige und Verantwortungsbewußtsein erfordernde Aufgabe nur dann umfassend und systematisch bewältigen, wenn Organisation und Verfahren des Bundestags transparent sind. Diese Transparenz 92
88 Schmidt-Aßmann. in: IsenseelKirchhof. Handbuch des Staatsrechts. Bd. I. § 24 Rdnr. 19. S. 998: ...... das geordnete Verfahren ist die Grundbedingung der Einsichtigkeit staatlicher Entscheidungen" . 89 Vgl. besonden zur Bedeutung der öffentlichen Meinung für die Demokratie BVerfG. Urt. v. 30.7.1958. BVerfGE 8. 104. 112f; Urt. v. 19.7.1966. BVerfGE 20. 56. 98f; Urt. v. 2.3.1977. BVerfGE 44. 125. 139; Stein. Staatsrecht. § 12 I-rn. S. 88-94. 90 Vgl. Stein. Staatsrecht. § 12 II. S. 91. 91 Vgl. zu den grundrechtlichen Freiheits- und Gleichheitsgarantien und den weiteren institutionellen und verfahrensrechtlichen Vorkehrungen als Voraussetzung dafür. daß die Wähler ihr Urteil nach einem freien und offenen Meinungsbildungsprozeß fällen. BVerfG. Urt. v. 19.7.1966. BVerfGE 20. 56. 97f; Urt. v. 2.3.1977. BVerfGE 44. 125. 139. 92 Vgl. Maunz/Zippelius. Deutsches Staatsrecht, § 12 11. S. 84.
C. Vemältnis von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip
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wird durch e;'le verbindliche für jedermann nachzulesende Verfahrensordnung und durch die Öffentlichkeit wesentlicher Teile des parlamentarischen Willensbildungsprozesses erreicht. In der Offenlegung parlamentarischer Arbeitsund Entscheidungsabläufe als Grundlage für eine Verbindung von staatlicher und öffentlicher Willensbildung, liegt die innere Gemeinsamkeit zwischen der stärker rechtsstaatlich geprägten Regelung in Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG und der mehr von demokratischen Ideen gespeisten Vorschrift des Art. 42 Abs. 1 GG.93 Der demokratische Willensbildungsprozeß zeichnet sich vom Volk zu den Staatsorganen hin durch eine zunehmende Formalisierung aus. Diese Formalisierung ist notwendig, weil in den Staatsorganen wenige Entscheidungsträger Entscheidungen für alle fällen, und diejenigen, für die mitentschieden wird, Einblick in die Entscheidung bekommen müssen.
3. Geschäftsordnungsgebung
a) Balance zwischen Rechtsbindung und Freiraum Bei der Regelung des parlamentarischen Verfahrens selbst stehen rechtsstaatliche Durchnormierung und dem freien Spiel der demokratischen Kräfte überlassene Freiräume für eine ad-hoc-Gestaltung des Verfahrens in einem sensiblen Bedingungs- und Beeinflussungsverhältnis zum demokratischen Entscheidungsfindungsprozeß. Letzter zeichnet sich - wie bereits dargestellt - dadurch aus, daß zu den zur Verhandlung anstehenden Fragestellungen von den verschiedenen politischen Gruppierungen im Parlament unterschiedliche Lösungsansätze herausgearbeitet werden und im Wege des Altemativenvergleichs, der Kompromißsuche und -findung einer Entscheidung zugeführt werden. Wird bei einer weitmaschig gestrickten Verfahrensregelung dem freien Spiel der politischen Kräfte breiter Raum gelassen, besteht die Gefahr, daß die Mehrheit diesen Freiraum mißbraucht, um schnell zu einer Entscheidung in ihrem Sinne zu gelangen, indem sie Partizipationsrechte der Minderheiten über
93 Z.B. ~d durch ein feststehendes Gesetzgebungsverfahren, das damit beginnt, daß auf Empfehlung des Altestenrates oder auf Antrag von AbgeordneteIl in Fraktionsstme durch eine Plenardebane die Grundzüge des Entwurfes publik gemacht werden ( § 79 GeschOBT), den von dem Gesetzesvomaben betroffenen gesellschaftlichen Gruppen die Möglichkeit eröffnet, über die Medien und über die Parteien und deren Fraktionen, aber auch über Verbandslobbyisten, ihre Meinung im Parlament wirlcsam werden zu lassen. Die Einflußnahme- und Kommunikationsmöglichkeiten werden erlteblich dadurch vergrößert, daß auch die am Verfahren beteiligten Ausschußmitglieder vorher feststehen. VgI. ausführlich zum demokratischen Rückkoppelungsprozeß beim Gesetzgebungsverfahren Konrad, Parlamentarische Autonomie und Verfassungsbindung im Gesetzgebungsverfahren, DÖV 1971, 8Off.
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3. Kapitel: Parlamentarisches VeIfahren
Gebühr einschränkt. Dadurch wird die freie Willensbildung und Mitarbeit eines Teils der Parlamentarier beeinträchtigt und die demokratische Dynamik des Suchens und Ringens um die beste Sachlösung gestört. Andererseits kann dieser demokratische Prozeß auch durch eine übennäßige Verfahrensreglementierung erlahmen, wenn beispielsweise durch eine starre, weit im voraus festzulegende Redeordnung kein Raum für die spontane Artikulation weiterer aus der laufenden Diskussion entstandener Lösungsansätze verbleibt. Nur ein ausgewogenes VerhäluIis beider Elemente bewirkt eine Optimierung der beim parlamentarischen Verfahren im Vordergrund stehenden Dynamik des demokratischen Prozesses.
b) Demokratischer Machtwechsel als Selbstregulativ Allein die rechtliche Ordnung des Verfahrens in einer Geschäftsordnung bietet noch keine Gewähr dafür, daß den Minderheiten demokratische Verfahrenspartizipationsmöglichkeiten in verfassungsrechtlich gebotener Weise eingeräumt werden. Über die Verfahrensregeln entscheidet die Parlamentsmehrheit (Art. 40 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Art. 42 Abs. 2 GG), die dabei stark mehrheitsbegünstigende Verfahrensweisen festschreiben kann. Jedoch bewirkt das Bewußtsein des stets möglichen Machtwechsels auf einer faktischen Ebene, daß Augenmaß bei der rechtsstaatlichen Fonnung des parlamentarischen Prozesses obwaltet. Die Mehrheit muß nämlich stets damit rechnen, bei den nächsten Parlamentswahlen oder bereits früher durch Auseinanderbrechen der gerade bestehenden Koalition die Mehrheit zu verlieren, mit der Konsequenz, daß eine neue Mehrheit dieselben Minderheiten benachteiligenden Regelungen nunmehr gegen sie anwendet. Vergleichbares gilt für den Fall, daß eine Minderheit von ihr eingeräumten Rechten übennäßigen, obstruktiven Gebrauch macht, nur um die von der Mehrheit dominierte Sacharbeit zu hemmen, ohne aber zur Sachdiskussion wirklich etwas beitragen zu können. Die selbstdisziplinierende und selbstkontrollierende Wirkung bereits der Möglichkeit eines demokratischen Machtwechsels ist eine wesentliche Bedingung für rechtsstaatliche Mäßigung bei der Gestaltung des parlamentarischen Verfahrens. 94 Sie prägt politische Kultur in der Demokratie.
c) Rechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht Zu dieser Sicherung eines demokratischen Anforderungen entsprechenden Verfahrens durch das Selbstregulativ des möglichen Machtwechsels, tritt flankierend rechtsstaatliche Justizgewährleistung hinzu. Sich in ihren Rechten durch die Verfahrensordnung verletzt wähnende parlamentarische Gruppen oder auch einzelne Abgeordnete können eine Überprüfung durch das Bundes-
C. Verhältnis von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip
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verfassungsgericht erwirken (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG). Und auch die parlamentarische Sachentscheidung selbst (z.B. der Gesetzesbeschluß) ist dann hinfällig, wenn im Entscheidungsverfahren verfassungsmäßige Rechte der zur Entscheidung Berufenen mißachtet werden. 9s 4. Zusammenfassung Durch Rechtsbindung in Gestalt der Bindung an Geschäftsordnungsregeln erhalten die demokratischen Verfahrenselemente der Partizipation aller Abgeordneten an der parlamentarischen Arbeit und die Mehrheitsentscheidung eine geordnete Struktur. Die Wirkungen des rechtlich geordneten Verfahrens des Bundestages reichen über das Parlament hinaus, indem sie eine Ankoppelung des demokratischen Prozesses im Parlament an den gesellschaftlichen demokratischen Lebensprozeß bewirken. 96 Ein geordnetes Verfahren ist für die Abgeordneten eine der Grundlagen für das Tragen demokratischer Verantwortung gegenüber dem Volk. Den Bürgern, denen die Entscheidungen des Bundestage~ zugerechnet werden, macht es das Entscheidungsverfahren und damit die Entscheidungen selbst verständlicher. Darüber hinaus ist es die Voraussetzung für die Parlament und Volk verbindende Arbeit der Massenmedien und Verbände. Umgekehrt bewirkt die Möglichkeit demokratischen Machtwechsels rechts staatliche Mäßigung bei der Verfahrensgestaltung. Auch für den Bereich der Selbstorganisation des Parlaments gilt mithin, daß demokratische und rechtsstaatliche als bewegende und erhaltende Elemente einander ergänzen und stützen.
94 Das Bundesverfassungsgericht. Uno V. 17.8.1956. BVerfGE 5. 85. 199. schreibt zu dieser Wirkung des Demokratieprinzips: ..... zwingt die Einsicht in die Labilität ihrer Position die Mehrheit.... die Interessen der Minderheit grundsätzlich zu berücksichtigen". Vgl. ferner Dreier. Regelungsform und Regelungsinhalt des autonomen Parlamentsrechts. JZ 1990.310. 316. 9S Vgl. hier nur Maunz, in: MaunUDürig. GGKom. An. 40 Rdnr. 23 m.w.N; siehe ausführlich hierzu S. 81 U. S. 162f. 96 Das Bundesve-fassungsgericht hat das demokratische staatliche Gesamtgefüge. in dem die parlamentarische Verfahrensordnung eine nicht hinwegzudenkende Rolle spielt. in seinem Urteil V. 2.3.1977. BVerfGE 44,125, 14lf, wie folgt charakterisien: "Aber auch don, wo das Grundgesetz in staatlichen Organen der Mehrheitshemehaft Raum gibt, entläßt es sie nicht aus der verfassungsrechtlichen Grundverpflichtung, daß alle Staatsgewalt um des Schutzes der Würde und Freiheit aller und der sozialen Gerechtigkeit gegenüber allen anvenraut ist, mithin stets am Wohl aller Bürger ausgerichtet zu sein hat. Und nur wenn die Mehrheit aus einem freien, offenen, regelmäßig zu erneuernden Meinungs- und Willensbildungsprozeß, an dem grundsätzlich alle wah\mündigen Bürger zu gleichen Rechten teilhaben können, hervorgegangen ist, wenn sie bei ihren Entscheidungen das - je und je zu bestimmende - Gemeinwohl im Auge hat, insbesondere auch die Rechte der Minderheit beachtet und ihre Interessen mitberücksichtigt, ihr zumal nicht die rech\tiche .llance nimmt oder verkürzt, zur Mehrheit von morgen zu werden, kann die Entscheidung der Mehrheit bei Ausübung von Staatsgewalt als Wille der Gesamtheit gelten und nach der freien Selbstbestimmung aller Bürger VerpflichlUngskraft für alle entfalten".
4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und parlamentarische Geschäftsordnung Nunmehr sollen die Einwirkungen des Rechtsstaatsprinzips auf das parlamentarische Verfahren, die bisher im wesentlichen beschränkt auf die Wirkung rechtlicher Normierung erörtert wurden, eingehender betrachtet werden, um zur Überwindung der Diskrepanz zwischen der anerkannt hervorgehobenen Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips für die Ordnung des staatlichen Lebens im allgemeinen und der bisher nur punktuellen Erörterung l der Wirkungsweise beim parlamentarischen Verfahren beizutragen. Bevor Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips auf ihre Bedeutung für die Selbstorganisation des Bundestages untersucht werden, ist Klarheit über die Grundstruktur des Rechtsstaatsprinzips zu schaffen.
A. Rechtsstaatsverständnis der herrschenden Meinung Auch wenn der Rechtsstaatsbegriff mehrdeutig istl und die mit dem Rechtsstaatsprinzip im einzelnen verbundenen Inhalte in mancherlei Hinsicht noch nicht bis ins Detail geklärt sind,3 so ist doch für die ganz herrschende Aufassung deutlich, daß das Prinzip materielle und formelle Elemente umfaßt. 4 Die materiellen Elemente des Rechtsstaates bezeichnen den wertgebundenen, der
Siehe S. 39ff. Kassing, Das Recht der Abgeordnetengruppe, S. 23. 3 So wird das Rechtsstaatsprinzip von einigen ausschließlich als ein Sammelbegriff für anderweitig im GG genauer ausgestaltete Einzelelemente angesehen; so Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 89ff, 109f, 457ff; Schnapp, in: v. Münch, GGKom, Bd. I, Art. 20 Rdnr. 21. Andere betonen darüber hinaus ein allgemeines Prinzip mit eigenständigem Aussagegehalt; so Schrnidt-Aßrnann, in: IsenseeIKirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24, Rdnm 7-9, S. 99Off; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 TI 2, S. 778. Vgl. ferner Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 183, S. 72. 4 Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 192, S. 75; Kißler, Der Deutsche Bundestag, JöR N.F. 26 (1977), 39, 63f; Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes, JA 1978, 185; Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaats in Deutschland, Festschrift zum l00jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, 229, 248ff; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 TI 2, S. 783. 1
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung·
Idee der materiellen Gerechtigkeit verpflichteten Staat. s Was materielle Gerechtigkeit bedeutet, wird durch die Bindung an die Grundrechte sowohl als subjektive Rechtsgewährleistungen als auch in ihrer Wirkung als objektive Wertentscheidungen, die sie zum gestaltenden Prinzip der gesamten staatlichen Ordnung werden lassen, konkretisiert6 und durch den Sozial staatsgedanken angereichert. 7 Grundlegender Maßstab allen staatlichen HandeIns ist dabei die Würde des Menschen. 8 Häufig wird die materielle Seite des Rechtsstaatsprinzips des Grundgesetzes mit der Kurzformel 'Menschenwürde, persönliche und politische Freiheitlichkeit und Rechtsgleichheit' umschrieben. 9 Zu den formellen Elementen des Rechtsstaatsprinzips gehören im wesentlichen die Verfassungsstaatlichkeit,lO der Grundsatz der Gewaltenteilung und Gewaltenkontrolle,t! die bereits angesprochene Rechtsgebundenheit als Grundlage und Schranke allen staatlichen Handelns,I2 die Gewähr von Rechtssicherheit13 und Vertrauensschutz,I4 der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lS, die
S BVerfG, Beschl. v. 26.5.1970, BVerfGE 28, 264, 277 m.w.N.; Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, VVDStRL 12 (1954), 36, 39; MaunzlZippelius, Deutsches Staatsrecht, § 12 I 2 S. 85; Schachtschneider, Das Rechtsstaatspr!nzip des Grundgesetzes, JA 1978, 185; ~tem, Staatsrecht, Bd. I, § 20 m I, S. 781; knttsch Doehnng, Staatsrecht, D V I, S. 234; Schnapp, m: v. MÜDch, GGKom, Bd. I, Art 20 Rdnr. 22, der ausführt, Gerechtigkeit sei kein möglicher Erkenntnisgegenstand der Rechtswissenschaft. 6 MaunzlZippelius, Deutsches Staatsrecht, § 12 III 2, S. 90; Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaates in Deutschland, Festschrift zum lOOjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. n, 229, 248f; Schrnidt-Aßrnann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24 Rdnr. 31, S. lOO3f; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 IV 2, S. 788-792. 7 Hesse, Verfassungsrecht, Rdnrn. 207ff, S. 79ff; Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes, JA 1978, 185, 187f; Schmidt-Aßmann, in: IsenseelKirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24 Rdnr. 95, S. 1039. 8 Besonders eindringlich Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: Benda I Maihofer I Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 477, 48Of; Starck, Der Rechtsstaat in der politischen Kontroverse, JZ 1978,746, 748; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24 Rdnr. 30, S. 1003. 9 Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, in: Tohidipur, Der bürgerliche Rechtsstaat, Bd. I, 290, 295; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 III 3 b, S. 784. 10 Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes, JA 1978, 185, 188; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 m 3 b, S. 784 u. § 20 IV I, S. 787f. t! Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 193, S. 75; MaunzlZippelius, Deutsches Staatsrecht, § 12 m I, S. 89f; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 IV 3, S. 792ff. 12 Insbesondere die Gesetzesbindung von Verwaltung und Rechtsprechung, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rdnm. 194ff, S.75ff; MaunzlZippelius, Deutsches Staatsrecht, § 12 III 4, S. 9lf; Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes, JA 1978, 237ff. 13 BVerfG, Beschl. v. 9.8.1978, BVerfGE 49,148,164. 14 Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: BendaIMaihoferNogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 477, 482ff; Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes, JA 1978,237, 24lf.
B. Eigene Akzentuierung
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Gewährleistung von umfassendem und effektivem gerichtlichen Rechtsschutz gegenüber allen Arten staatlicher Herrschaftsausübung 16 sowie das hier nicht weiter zu erörternde Entschädigungssystem für Fehlverhalten des Staates.l7.18 Die Eigenart der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes ergibt sich erst aus der Verbindung von konkreten, inhaltlichen und formalen Vorgaben,19 wobei sie, abgesehen von konkreten verfassungsgesetzlichen Vorgaben, keine in allen Einzelheiten eindeutigen Aussagen von Verfassungsrang enthält, sondern als Verfassungs grundsatz der Konkretisierung entsprechend den jeweiligen sachlichen Gegebenheiten bedarf. 20
B. Eigene Akzentuierung Soweit das Rechtsstaatsverständnis der herrschenden Meinung. Es soll an dieser Stelle für Mäßigung bei der "Aufladung" des Rechtsstaatsprinzips mit materiellen Elementen plädiert werden. Dabei wird vornehmlich die Einbeziehung der Grundrechte in Frage gestellt und abgelehnt.
I. Mehrdeutigkeit historischer Schlußfolgerungen Die Hervorhebung materieller Komponenten ist in starkem Maße eine Reaktion auf den Nationalsozialismus, dessen hemmungslose Machtentfaltung auch dem in der Weimarer Zeit hauptsächlich an formalen Kriterien orientierten Rechtsstaatsbegriff zugeschrieben wird. 21 Indessen ist die historische Bewertung in diesem Punkt nicht einheitlich. Es gibt Stimmen, die in bestimmter Weise materiell geprägte Rechtsstaatsauffassungen der Weimarer Staats
15 Weil es um die AbwägWlg materieller Elemente, insbesondere Grundrechte, geht, könnte das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch zu den materiellen Elementen des Rechtsstaatsprinzips gerechnet werden, vgl. Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes, JA 1978, 185, 188. Die Tatsache, daß es sich um ein Abwägungsprogramm, d.h. eine Abwägungstechnik handelt, rechtfertigt jedoch die Zuordnung m den formellen Elementen. 16 Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 IV 5, S. 838ff. 17 Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 IV 6, S. 855ff. 18 Die in Lehrbüchern, Kommentaren und Monographien zu findenden Aufzählungen sind nicht in allen Punkten identisch, ohne daß damit an dieser Stelle m erwähnende Unterschiede in der Sache verbunden sind. 19 Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 I3 b, S. 775 u. m 2, S. 782f; Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 192, S. 75. 20 BVerfG, Beschl. v. 9.8.1978, BVerfGE 49,148,164 m.w.N.
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
rechtslehre als wegbereitend für den Nationalsozialismus ansehen 22 und zu bedenken geben, daß bei der Heranziehung der rechtshistorischen Entwicklung der Blick nicht auf eine Epoche verengt werden dürfe. 23 Gegenüber dem Nationalsozialismus war nicht nur der formelle Rechtsstaat ohnmächtig, auch ein materieller Rechtsstaat wäre ihm anheim gefallen. 24 Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, daß der Freiheitsabbau faschistischer und anderer totalitärer Regime stets mit der Mißachtung und Verletzung formaler Garantien und Verfahren unter Berufung auf höhere materielle Werte (wahre Religion, artgleiche Volksgemeinschaft, Herrschaft des Proletariats) beginnt und erst in der weiteren Entwicklungsstufe nach der Vereinnahmung der Macht formal legale Formen zur Festigung der Herrschaft mißbraucht werden. 2S Ein materielles Rechtsstaatsprinzip eröffnet schon in der Anfangsphase dadurch, daß dessen weite Wertbegriffe mit anderem Gedankengut besetzt werden können, rechtsstaatsimmanent die Möglichkeit, unter Berufung auf die angeblich wahren materiellen Werte vermeintlich nur formale (z.B. gesetzliche) Ordnungskategorien aus den Angeln zu heben. 26 Letztlich geht es bei dem Verhältnis des Rechtsstaatsprinzips, gleic;h welchen Inhalts, zu totalitären Herrschaftsformen darum, die Begrenztheit der Wirkungsweise dieses Prinzips zu erkennen, um nicht an der falschen Stelle zur Gegenwehr anzusetzen.
21 Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: BendaIMaihoferNogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 477, 478-481; Böckenförde, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, Festschrift Adolf Arndt, 53, 72; Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaates in Deutschland, Festschrift zum lOOjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. II, 229, 248; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 I 2 c, 3 u. II, S. 772ff, der z.B. auch den substantivischen Gebrauch des Begriffs Rechtsstaat in Art. 28 I GG als Reaktion auf den Nationalsozialismus deutet (§ 20 II 1 a, S. 776); vgl. zwn Rechtsstaatsversländnis der hemchenden Weimarer Verfassungslehre S. 28 bei Fn. 15. 22 Bäum1in, Ev. Staatslexikon, Bd. II., Stichwort Rechtsstaat, Sp. 2806, 2814, unter Hinweis auf die materiellen Rechtsstaatslehren von CarlSchmin u. Erich Kaufmann; BäumlinlRidder, in: AlternativkomGG, Bd. I, Art. 20, m. Abschn. Rdnrn. 21ff; vgl. ferner HaselLadeurlRidder; Nochmals: Reformalisierung des Rechtsstaats als Demokratiepostulat, JuS 1981,794, 797f. 23 Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 12, Fn. 37. 24 Merten, Rechultaat und Gewaltmonopol, S. 15. 2S Böckenförde, EnUtehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, Festschrift Adolf Arndt, 53, 74; Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 15 mit einem Beispiel in Fn. 49. 26 Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 19, der materielle Kriterien bildhaft als trojani sches Pferd für den Rechtsstaat bezeichnet.
B. Eigene Akzentuierung
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11. Selbständigkeit der Werteordnung des Grundgesetzes Durch die grundgesetzliche Festschreibung und vielfältige institutionelle Absicherung (vgl. Art. 1 Abs. 3; 19 Abs. 1,2,4; 20 Abs. 3; 79; 93 Abs. I, Nm. 2, 4 a; 100 GG) der Grundrechte, wird deren Geltung nicht nur als subjektive Abwehr- und Teilhaberechte, sondern auch als grundlegendes staatliches Ordnungsprinzip, dem es unter den Voraussetzungen der Freiheitlichkeit und Gleichheit um die Wahrung der Würde des Einzelnen geht, sichergestellt, ohne daß es hierzu der zusätzlichen Einbeziehung in das Rechtsstaatsprinzip bedürfte. Die selbständigen grundgesetzlichen Absicherungen der Grundrechte sind die zutreffenden Schlußfolgerungen aus den Erfahrungen mit der Weimarer Republik. Z7 Die zusätzliche materielle Befrachtung des Rechtsstaatsprinzips erscheint demgegenüber als Überreaktion, zumal die globale Integration der Grundrechte, wie dies mit der Formel 'Menschenwürde, Freiheitlichkeit und Rechtsgleichheit' geschieht, viel zu vage ist, um daraus konkrete Schlußfolgerungen für die Grundrechte (?) oder für das Rechtsstaatsprinzip (?) zu ziehen und konkrete verfassungsrechtliche Fragestellungen lösen zu können. Sie stiftet dogmatische Verwirrung, weil unklar ist, wann auf die Grundrechtskurzformel im Rechtsstaatsprinzip und wann auf die konkreten Ausgestaltungen der einzelnen Grundrechte zurückzugreifen ist. Das Rechtsstaatsprinzip wird überstrapaziert, wenn es global zur Sachentscheidung herangezogen wird, statt dogmatisch exakt mit den konkreten grundgesetz lichen Ausgestaltungen zu arbeiten. 28 Eine denkbare konkrete Folge der Grundrechtsintegration in das Rechtsstaatsprinzip ist es, daß man vermitteis dieser Einbeziehung versucht, die Grundrechte einer Verfassungsänderung (Art. 79 Abs. 3 GG) zu entziehen. 29 Jedoch ist die Reichweite des Berührungsverbots des Art. 79 Abs. 3 GG in bezug auf die Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips umstritten 3O, und die Frage der Einbeziehung der Grundrechte in den Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG ist nicht durch einen Umweg über das Rechtsstaatsprinzip zu lösen, sondern
Vg1. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 16. Vg1. hierm die exemplarische Untersuchung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bei Ule, Zur Bedeutung des Rechtsstaatsbegriffs in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, DVB1. 1963, 475ff. 29 Vg1. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 16, der diese Möglichkeit jedoch ablehnt. 30 Weit: Herzog, in: Maun7JDiirig, GGKom, Art. 20, vrr. Abschn. Rdnr. 36ff; SchrnidtAßmann, in: IsenseelKirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24 Rdnr. 90, S. 1036f; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 5 IV Sb, S. 172f; eng, d.h. nur best. in Art 20 Abs. 2 u. 3 GG niedergelegte Grundsätze: BVerfG, Urt. v. 15.12.1970 BVerfGE 30, I, 24f; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 477f, der einen instruktiven Überblick über den Streitstand gibt. Z7
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
danach zu beantworten, welche Wirkungen Art. 1 Abs. 3 GG im Rahmen des Art. 79 Abs. 3 GG zeitigt.3 h 32
m. Unschärfe durch Überladung Die Hereinnahme materieller Elemente läßt den ohnehin schon als Sammelbegriff für eine Vielzahl von formalen Elementen dienenden Rechtsstaatsbegriff unscharf werden, sie überfrachtet ihn, macht ihn manövrierunfähig und beschwört seinen Untergang im Interpretationsnebel herauf. 33 Inhaltliche Überladung leistet floskelhafter Verwendung Vorschub, die präziser juristischer Argumentation zuwiderläuft. Schwerwiegender noch ist es, daß sie das Rechtsstaatsprinzip als politische Argumentationsglasperle für die Rüge jeder angeblichen materiellen Ungerechtigkeit dienbar macht. 34 Denn jeder kann versuchen, die jeweils eigenen Wertvorstellungen in den Begriff hineinzulegen. 35
IV. Formelles Rechtsstaatsprinzip und Verwirklichung der grundgesetzlichen Werteordnung Vor allem aber verstellt die Materialisierung den Blick dafür, daß das Rechtsstaatsprinzip dienende Funktion hat. Es dient wie das Demokratieprinzip der Verwirklichung der Menschenwürde in der staatlich organisierten Gesellschaft.36 Insoweit ist das Rechtsstaatsprinzip mit seinen formalen, rechtstechnischen Charakter tragenden Einzelelementen auf die materielle durch das Grundgesetz statuierte Wertordnung bezogen. Nur im Sinne dieser Bezogenheit und Hinwendung formaler Verwirklichungs- und Absicherungsmechanismen des Rechtsstaatsprinzips auf eigenständige und mit zwingender Geltungsanord-
3t Evers, in: BK, Art. 79 Abs. 3 (Zweitbeatbeitung) Rdnm. 172ff. 32 Metten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 16f, zeigt anhand der Rechtsprechung des Bun· desverfassungsgerichts, die einerseits von einem weit gefaßten materiellen Rechtsstaatsbegriff ausgeht, andererseits aber nur die in Art. 20 GG niedergelegten Elemente als von Art. 79 Abs. 3 GG umfaßt ansieht, die dogmatische Fragwürdigkeit eines überdehnten Rechtsstaatsbegriffs auf, weil zwischen einem unabänderlichen Begriffskern und einem Begriffshof unterschieden werden müsse, die nicht dieselbe Geltungskraft besäßen. 33 Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 17. 34 Doehring, Staatsrecht, D V I, S. 234f. 35 Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. I, § 5 n, S. 61: "Das Wort ist aufgekommen, nachdem die Sache bereits im Gange war. Es soll etwas bezeichnen, was noch nicht ist, jedenfalls noch nicht fertig ist, was erst noch werden soll. Darum schwankt auch der Begriff so sehr, weil jeder immer seine juristischen Ideale hineinzulegen geneigt ist". 36 S. bereits S. 34; auch im Hinblick auf die demokratische Arbeitsweise des Parlaments hat es dienende Funktion. Vgl. zu der durch die Rechtsbindung bewirkten Ordnung der demokratischen Verfahrenselemente S. 39f.
B. Eigene Akzentuierung
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nung ausgestattete (Art. 1 Abs. 1 S. 2, Abs. 3; 20 Abs. 3 GG) materielle Wertanordnungen, ist der Rechtsstaat des Grundgesetzes ein materieller. 3? Die Verwirklichung der Grund- und Menschenrechte folgt dabei in starkem Maße aus der Verknüpfung dieser rechtlich selbständigen materiellen Werte mit rechtsstaatlichen Gewährleistungen (z.B. der Rechtssicherheit, dem Vorbehalt des Gesetzes, dem gerichtlichen Grundrechtsschutz gegenüber staatlichen Maßnahmen). Diese Verklammerung verstärkt die Unverbrüchlichkeit der materiellen Wertvorgaben. 38 Ein Schwerpunkt dieser Verknüpfung sind die Umsetzungsverfahren im staatlichen Procedere, wie beispielsweise ein rechtlich geordnetes Verwaltungsverfahren, aber auch ein geordnetes Verfahren des Parlaments. Durch formale rechtliche Garantien sowie ein geordnetes Verfahren wird die individuelle und gesellschaftliche Freiheit bei der Ausübung staatlicher Macht gesichert. 39 Der Rechtsstaat setzt materielle Werte als Zielvorgaben voraus, zu deren gleichmäßiger Realisierung er beiträgt. 40
v. Zusammenfassung Im Gegensatz zu der oben dargestellten herrschenden Auffassung sind nur die dort genannten formellen Elemente Bestandteile des Rechtsstaatsprinzips. Diese sind auf die von der herrschenden Meinung in das Rechtsstaatsprinzip mit einbezogenen grundgesetzlichen Wertvorgaben bezogen. Sie dienen deren Verwirklichung. Insofern unterscheidet sich die hier vertretene Konzeption von der herrschenden Meinung im Grunde nur durch eine Akzentverschiebung im Interesse der Klarheit und praktischen Handhabbarkeit rechtsstaatlicher Einzelelemente.
3? Insofern ist es sinnvoll, mit Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 18, beim rechtspolitischen Wortgebrauch vom materiellen Rechtsstaat zu sprechen. 38 In dieselbe Richtung gehen die Ausführungen von Schmidt-Aßmann, in: IsenseelKirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24, Rdnr. 15, S. 996, der darauf hinweist, daß die Einschleusung ~deologischer Inhalte in das Rechtsstaatsprinzip nach 1933 nicht Folge der Inhaltsleere des formellen Rechtsstaatsbegriffs, sondern Folge der zu geringen Verldammerungen des Inhalts mit förmlichen Sicherungsinstituten gewesen sei. 39 Böckenförde, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, Festschrift Adolf Amdt, 53, 73f. 40 Vgl. hier auch die Ausführungen zum Verhältnis von Demokratie - und Rechtsstaatsprinzip S.47. 5 Bollmann
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
c. Materielle Bezugspunkte des Rechtsstaatsprinzips beim parlamentarischen Verfahren
Zu untersuchen ist jetzt, auf welche materiellen Wertungen das Rechtsstaatsprinzip im parlamentsinternen Bereich bezogen ist. Auszugehen ist davon, daß die Ergebnisse des parlamentarischen Arbeitsprozesses, z.B. Gesetze, den Grundrechten entsprechen müssen. Es gilt damit zunächst einmal in einem ganz allgemeinen Sinne, daß auch beim parlamentarischen Verfahren Grundund Menschenrechte zu achten sind. Jedoch ist diese Zielbestimmung konkret auf das parlamentarische Verfahren bezogen wenig aussagekräftig, weil bei der parlamentarischen Verhandlung nicht die Grundrechtspositionen der Abgeordneten im Vordergrund stehen. Es ist nach Wertungen zu suchen, die der Tatsache Rechnung tragen, daß das Parlament das Zentrum demokratischer Staatsleitung ist.
J. Demokratische Verfahrenselemente Bereits die weiter oben gemachten Ausführungen zum Verhältnis des Rechtsstaats- zum Demokratieprinzip haben als einen ersten wichtigen Bezugspunkt ergeben, daß rechtsstaatliehe Elemente der Sicherung und Ausbalancierung der beiden wesentlichen Komponenten des demokratischen Verfahrens dienen, nämlich der mit bestimmten Qualitäten ausgestatteten parlamentarischen Verhandlung aller Abgeordneten und der Mehrheitsentscheidung.
ll. Verfassungsrechtliche Stellung der Abgeordneten Materielle Kriterien sind ferner der verfassungsrechtlichen Stellung der parlamentarischen Entscheidungsträger zu entnehmen. In Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ist die Freiheit und Unabhängigkeit des einzelnen Abgeordneten festgeschrieben. Das freie Abgeordnetenmandat ist die Ausgestaltung der allgemeinen grundrechtlichen Freiheitsgewährleistungen für den Spezialbereich Bundestag. 41 Zur Freiheitlichkeit kommt in Gestalt des Rechts des einzelnen Abgeord-
41 Vgl. 2ll der Verwandtschaft des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG mit den Grundrechten Abmeier, Die parlamentarischen Befugnisse des Abgeordneten des Deutschen Bundestages nach dem Grundgesetz, S. 67f; vgl. allg. 2ll Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG v. Münch, in: v. Münch, GGKom, Bd. 11, Art 38 Rdnm.57-64.
c. Materielle Bezugspunkte des Rechtsstaatsprinzips
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neten auf gleichberechtigte Teilhabe an allen Akten der parlamentarischen Willens bildung eine parlamentsspezifische Gleichheitsgarantie hinzu. 42 Sie ergibt sich aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 und S. 2 1. Drittelsatz GG i.V.m. dem Prinzip der repräsentativen Demokratie (Art. 20 Abs. 2 GG) i.V. m. den grundgesetzlichen Aufgabenzuweisungen an den Bundestag (z.B. Art. 63 Abs. 1, 76 Abs. 1 i.V.m. Art. 78 GG). Die von den Aktivbürgern in gleicher Wahl bestimmten Abgeordneten sind in ihrer Gesamtheit jeweils einzeln als Vertreter des ganzen Volkes aufgefordert, die Aufgaben des Bundestages wahrzunehmen. Nur wenn grundsätzlich alle Abgeordneten an den Verhandlungen des Parlaments teilnehmen, ist das Volk in einer dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG entsprechenden Weise repräsentiert. Daraus, daß jeder Angeordnete für sich ein Teilhaberecht hat, aber alle Abgeordneten gemeinsam als Kollegialorgan die parlamentarischen Arbeiten zu erledigen haben, ergibt sich die Gleichberechtigung der Abgeordneten untereinander. 43 Freiheitlichkeit und Gleichberechtigung sind relative Abgeordnetenrechte, weil sie keine im einzelnen feststehenden Befugnisse begründen, sondern allgemein bei der Ausgestaltung sämtlicher parlamentarischer Handlungsmöglichkeiten der Abgeordneten zu beachten sind. Ein absolutes, weil nicht entziehbares oder einschränkbares Abgeordnetenrecht, ist dagegen das Stimmrecht 44 Es folgt aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, der GfUP1norm des repräsentativen verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten, i.V.m. den grundgesetzlichen Aufgabenzuweisungen, die eine parlamentarische Entsdleidung erfordern, und dem Mehrheitsprinzip (Art. 42 Abs. 2,121 GG). Aus diesem absoluten Recht lassen sich weitere Abgeordnetenrechte ableiten. Um das Stimmrecht sinnvoll ausüben zu können, muß der Abgeordnete durch Anträge auf den Abstimmungsgegenstand Einfluß nehmen können, sich über ihn umfassend informieren können und, weil Abstimmung und ihr vorausgehende parlamentarische Verhandlung eine Einheit bilden, durch Wortbeiträge auf die Verhandlung Einfluß nehmen können. Im Gegensatz zum Stimmrecht
42 BVerlG, Urt. v. 5.11.1975, BVerlGE 40, 296, 317f; Beschl. v. 10.5.1977, BVerlGE 44, 308, 316; Beschl. v. 24.3.1981, BVerlGE 56, 396, 405; Ult. v. 13.6.1989, BVerlGE 80, 188,218; Morlok, Parlamentarisches Geschäftsordnungsrecht zwischen Abgeordnetenrechten und politischer Praxis, JZ 1989, 1035, 1037f. 43 Vgl. BVerlG, Ult. v. 14.1.1986, BVerlGE 70, 324, Sondervotum Mahrenholz, 366, 367f. 44 Vgl. zum Stimmrecht Abmeier, Die Befugnisse des Abgeordneten des Deutschen Bundestages nach dem Grundgesetz, S. 76ff; Badura, in: BK, Art. 38 (Zweitbearbeitung) Rdnr. 76; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 24 II 2 a, S. 1059. Siehe speziell zum Stimmrecht des Abgeordneten im Ausschuß BVerlG, Ult. v. 13.6.1989, BVerlGE 80,188, Sondervotum Mahrenholz, 235ff.
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
ist der absolute nicht einschränkbare Inhalt der aus ihm ableitbaren Informations-, Antrags- und Rederechte nur äußerst schwer zu bestimmen. Faktoren, die bei dieser Inhaltsbestimmung gegeneinander abzuwägen sind, sind neben Besonderheiten des jeweiligen Entscheidungsgegenstandes die Freiheit und Gleichheit der Abgeordneten sowie aus der verfassungsrechtlichen Stellung der Fraktionen sich ergebende Mediatisierungen der Abgeordnetenbefugnisse. Ferner müssen die Erfordernisse beachtet werden, die aus der Notwendigkeit der Sicherung der Funktionstüchtigkeit des Parlaments folgen. Bei parlamentarischen AufgabensteIlungen, die nicht notwendig eine Abstimmung erfordern, beispielsweise im Bereich der Kontrolle der Regierung, sind Rede-, Antrags- und Informationsrechte Konsequenzen aus der verfassungsrechtlichen Stellung des Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 S. 3 GG) i.V.m. der jeweiligen konkreten Aufgabe des Parlaments. Die verfassungsrechtliche Stellung des Abgeordneten zeichnet sich durch die freie und gleiche Mandatsausübung aus, die entsprechend der jeweiligen AufgabensteIlung konkret zu bestimmende Rede-, Antrags- und Informationsrechte zur sinnvollen Ausübung des Stimmrechts sowie zur zweckentsprechenden Erledigung aller übrigen parlamentarischen Arbeiten beinhaltet. 4S
4S In Rechtsprechung und literatur fmden sich folgende Ansätze zur Bestinunung der materiellen Befugnisse des Abgeordneten bzw. Umschreibungen seiner Befugnisse: Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, daß Art. 38 Abs. I S. I GG dem Abgeordneten eine gewisse Eigenständigkeit innerhalb des Bundestages verleihe, ihm einen eigenen verfassungsrechtlichen Status verleihe, ihm zu einem mit eigenen Rechten ausgestaneten Teil des Parlaments mache und ihm ein Recht auf unmittelbare Teilhabe am Verfassungsleben gewähre; BVerfG, Urt. v. 7.3.1953, BVerfGE 2, 143, 164; BVerfG, Urt. v. 16.3.1955, BVerfGE 4, 144, 148f; Urt. v. 14.7.1959, BVerfGE 10,4, 12; Beschl. v. 14.12.1976, BVerfGE 43, 142, 148. Mit der BegJÜndung, daß das Stimmrecht nur dann sinnvoll ausgeübt werden könne, wenn der Abgeordnete an den Vorbereitungen mitwirken könne, zählt das Gericht im Urt. v. 13.6.1989, BVerfGE 80, 188, 221ff auch das Recht zur Mitarbeit in einem Ausschuß zum Kembereich des Abgeordnetenmandats. In diesem Urteil, BVerfGE SO, 188,218 hat das Gericht seine Rechtsprechung zu den Abgeordnetenrechten wie folgt zusammengefaßt: "Zu den... Befugnissen des Abgeordneten rechnen vor allem das Rederecht (vgl. BVerfGE 10, 4, 12; 60, 374, 379) und das Stimmrecht; die Beteiligung an der Ausübung des Frage- und Informations rechts des Parlaments (vgl. BVerfGE 13, 123, 125; 57, 1,5; 67, 100, 129; 70, 324, 355); das Recht, sich an den vom Parlament vorzunehmenden Wahlen zu beteiligen und parlamentarische Initiativen zu ergreifen, und schließlich das Recht, sich mit anderen Abgeordneten zu einer Fraktion zusammenzuschließen (vgl. BVerfGE 43, 142, 149; 70,324, 354). Indem die Abgeordneten diese Befugnisse ausüben, wirken sie an der Erfüllung der Aufgaben des Bundestages im Bereich der Gesetzgebung, des Budgetrechts, des Kreations-, Informations- und Kontrollrechts und - nicht zuletzt - an der Erörterung anstehender Probleme in öffentlicher Debatte (vgl. Art. 42 Abs. 1 GG) mit und genügen so den Pflichten ihres Amtes (vgl. Art. 48 Abs. 2 Satz 1 GG)". Durchaus der Wesensgehaltsgarantie bei den Grundrechten bzw. der institutionellen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung vergleichbar, wird vom BayVerfGH, Entsch. v. 30.4.1976, BayVBl. 1976,431,435, und vom StGH Bremen, Entsch. v. 13.7.1969, DÖV 1970,639,641, ein Kembereich von Abgeordnetenrechten dahin umschrieben, daß dem Abgeordneten das Recht auf freie und gleiche Abstimmung zustehe sowie ein Mindestbestand an Redemöglichkeiten und ein gewisses Maß an Anuagsbefugnissen. In der Literatur wird ausgeführt, die Freiheitsgarantie des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ergebe nur dann einen Sinn, wenn sie sich auf die Erfüllung bestimmter Aufgaben beziehe und die Deutlichkeit der Garantie erlaube den Schluß, daß möglichst viele Befugnisse
C. Materielle Bezugspunkte des Rechtsstaatsprinzips
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ill. Verfassungsrechtliche Stellung der Fraktionen Ein weiterer materieller Bezugspunkt ist die durch eine Verbindung von Elementen der Parteienstaatlichkeit (Art. 21 GG) und der Stellung der Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) gekennzeichnete verfassungsrechtliche Stellung der Fraktionen. 46 Aus Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 GG läßt sich unter Einbeziehung der hierzu in Erfüllung grundgesetzlicher Gesetzgebungsaufträge (Art. 21 Abs. 3, 38 Abs. 3 GG) erlassenen Gesetze (Bundeswahlgesetz, Parteiengesetz) entnehmen, daß die Parteien nicht nur an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, sondern dadurch, daß sie maßgeblich für die Nominierung der Bundestagswahlkandidaten verantwortlich sind, auch verfassungsrechtlich relevanten Einfluß im Parlament gewinnen. Aus dem faktischen Nominierungsmonopol der Parteien47 folgt, daß die Abgeordneten einer Partei sich nach den Wahlen wie selbstverständlich zu einer Fraktion zusammenschließen, deren wesentlichste Eigenschaft die weitgehende politische Homogenität der in ihnen zusammenarbeitenden Abgeordneten ist. Die Homogenität resultiert aus der in den Parteien geleisteten Vorarbeit und ist für die parlamentarische Organisation und Arbeitsweise essentiell. Da die Bun-
von einzelnen Abgeordneten wahrgenommen werden sollten; Abrneier,Die parlamentarischen Befugnisse der Abgeordneten des Deutschen Bundestages nach dem Grundgesetz, S. 6Of; Scholtis, Minderheitenschutz in kommunalen Vertrctungskörperschaften, S. 199f; Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, S. 80. Ferner wird ausgeführt, aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG folge ein Recht des einzelnen Abgeordneten auf sinnvolle Mitarbeit bei der parlamentarischen Willensbildung; Kisker, Der Streit um den Fraktionsstatus, JuS 1980, 284, 287; Kürschner, Die Statusrechte des fraktionslosen Abgeordneten, S. 130. Schneider, in: AltemativkomGG, Bd. II, Art. 38 P.dnr. 23, geht davon aus, daß verfassungsrechtliche Kompetenzen des Abgeordneten diejenigen Rechte seien, die eine effektive Mandatsausübung funktionsnotwendig erfordere. Auch wird dargelegt, der Abgeordnete müsse sich zwar einer formellen Beschränkung seiner Möglichkeiten unterwerfen, nicht aber dürften ihm diese Rechte selbst genommen werden; Hauenschild, Wesen u. Rechtsnatur der Fraktionen, S. 109f. Vgl. ferner Arndt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, S. 73f; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 24 II 2a, S. 1058f; Weiler, Ausschußrückzug als verschleiertes imperatives Mandat?, DÖV 1973, 231ff. 46 Rechte der Fraktionen aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG leiten z.B. ab Kisker, Der Streit um den Fraktionsstatus, JuS 1980, 284ff; Schmidt, Chancengleichheit der Fraktionen unter dem Grundgesetz, Der Staat 9 (1970), 481, 488 u. 495, der die Fraktionen als den verlängerten Arm der Parteien im Parlament ansieht; Schneider, Das parlamentarische System, in: BendaIMaihoferNogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 239, 266; Trute, Der fraktionslose Abgeordnete, Die Wüppesahl-Entscheidung des BVerfG, Jura 1990, 184, 188f. Für eine Begrenzung des verfassungsrechtlich durch Art. 21 GG umrissenen Wirkungsfeldes der Parteien auf den außerparlamentarischen Bereich sprechen sich aus: StGH Bremen, Entsch. v. 13.7. 1969, DÖV 1970; 639,640; Abrneier, Die Befugnisse des Abgeordneten des Deutschen Bundestages nach dem Grundgesetz, S. 63; Hauenschild, Wesen und Rechtsnatur der Fraktionen, S. 171f, der davon ausgeht, daß Fraktionen jederzeit durch Beschluß des Parlaments aufgelöst werden können; Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, S. 15lf; Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, S. 343 u. S. 345. 47 Vgl. §§ 1 Abs. 2, 27 Abs. I, 20 Abs. 2 Bundeswahlgesetz; seit 1957 gab es keinen fraktionslosen Abgeordneten mehr, der als parteiunabhängiger Wahlbewerber gewählt worden war; vgl. § 20 Abs. 3 Bundeswahlgesctz u. Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 23 I I, S. 1024.
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
destagswahl im wesentlichen eine Verhältniswahl nach Parteilisten ist,48 gibt das Stärkeverhältnis der Fraktionen zueinander das Maß der Zustimmung der Wähler zu den einzelnen Parteien wieder. Dieses Stärkeverhältnis steht zwar nicht schon aufgrund der bundeswahlgesetzlichen Verhältniswahlregelung unter dem Schutz der Verfassung, denn das Verhältniswahlsystem hat keinen Verfassungsrang, wohl aber deshalb, weil der sich in jeder einzelnen Wahl auf der Grundlage dieses Wahlsystems im Stärkeverhältnis der Fraktionen dokumentierende Wählerwille unter dem besonderen Schutz des Demokratieprinzips steht (Art. 20 Abs. 2 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG). Art. 53 a Abs. 1 S. 2 GG, wonach die vom Bundestag in den Gemeinsamen Ausschuß zu entsendenden Abgeordneten entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen bestimmt werden, ist der verfassungsgesetzliche Beleg für diese Feststellung. Aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG folgt, daß der Fraktionszusammenschluß freiwillig ist und die Abgeordneten sich auch unabhängig von einer gemeinsamen Parteizugehörigkeit zusammenschließen können. Wegen Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ist die politische Homogenität der Fraktionen nicht nur Folge der Herkunft der Abgeordneten aus derselben Partei, sondern auch das Ergebnis eines stetigen Meinungsbildungs- und Meinungsangleichungsprozesses in den Fraktionen sowie zwischen diesen und ihren Parteien. 49 Ferner ist unter dem Blickwinkel des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG die Fraktionsbildung eine freiwillige Maßnahme der Abgeordneten, um durch Zusammenfassung der ihnen einzeln zustehenden Rechte, vor allem der Stimmrechte, größeren Einfluß auf den parlamentarischen Entscheidungsprozeß und das Entscheidungsergebnis zu erlangen. 30 So eröffnet der Fraktionszusammenschluß jedem Abgeordneten die Möglichkeit, mittelbar - über seine Fraktionskollegen in den einzelnen Ausschüssen - an den Arbeiten aller Bundestagsausschüsse teilzunehmen. Die Chancengleichheit der Fraktionen ist zum einen parlamentspezifischer Ausdruck der Chancengleichheit der Parteien als Konsequenz der Wahlrechtsgleichheit (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG). Zum anderen ist sie hinsichtlich der nicht regierungstragenden Fraktion in der im Demokratieprinzip enthaltenen Chancengewährleistung für die Minderheit, selbst einmal zur Mehrheit zu wer-
48
Vgl. §§ 1 Abs. 1 S. 2, 6 Bundeswahlgesetz. A. A. Preuß, in: AltemativkornGG, Bd. I, Art. 21 Rdnr. 57, der davon ausgeht, der Abgeordnete könne sich gegenüber Partei- und Fraktionsbeschlüssen nicht auf seine Weisungsfreiheit aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG berufen, sondern sei zu ihrer Ausführung verpflichtet, und könne sich nur in eng begrenzten Ausnalunefällen auf seine Gewissensfreiheit zurückziehen. Wie hier Grimm, Parlament und Parteien, in: SchneiderJZeh, Parlaments recht und Parlamentspraxis, § 6 Rdnr. 18, S. 206. 30 Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, S. 144. 49
C. Materielle Bezugspunkte des Rechtsstaatsprißlips
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den, sowie in dem Recht auf Bildung und Ausübung von Opposition angelegt. Für jeden Einzelfall ist zu klären, wann eine streng fonnale Gleichbehandlung jeder einzelnen Fraktion geboten ist und wann maßgebendes Kriterium für die Gleich- bzw. Ungleichbehandlung das Stärkeverhältnis der Fraktionen ist. SI Die Fraktionsgliederung ist die vom Grundgesetz intendierte Verwirklichungsfonn des freien Mandats des parteigebundenen Abgeordneten. s2 Aus der verfassungsrechtlichen Stellung der Fraktionen S3 folgt, daß ihnen bei der parlamentarischen Arbeit die Aufgaben und Rechte zu übertragen sind, die sachnotwendig eine Vorfilterung und Bündelung erfordem. S4
SI VgI. zur Fraktionsgleichheit BVerfG, Urt. v. 14. 1. 1986, BVerfGE 70, 324, 362ff; Birk, Gleichheit im Parlament, NJW 1988, 252lff; Hohm, Recht auf Chancengleichheit der Fraktionen und oppositioneller Minderheitenschutz, NJW 1985, 408ff; Scherer, Fraktionsgleichheit und Geschäftsordnungskompetenz des Bundestages, AöR 112 (1987), 189ff. S2 Badura, in: BK, Art. 38 (Zweitbearbeitung) Rdnm. 69ff; Spalckhaver, Mandatsverlust bei Fraktionswechsel und freies Abgeordnetenmandat, S. 122ff, insbes. 125 u. 129; Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, S. 198. S3 Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, daß mit der Anerkennung der politischen Parteien in Art. 21 das Grundgesetz auch deren Parlamentsfraktionen anerkenne und den Parteien über die Fraktionen und die ihnen angehörenden Abgeordneten die Möglichkeit einräume, auf staatliche Entscheidungen einzuwirken; Urt. v. 14.7.1959, BVerfGE 10, 4, 14 u. Beschl. v. 14.12.1976, BVerfGE 43, 142, 149. In seinen jüngsten Entscheidungen leitet das Bundesverfassungsgericht die verfassungsrechtliche Stellung der Fraktionen in verstärktem Maße aus dem in Art. 38 Abs. 1 GG verankerten Status der Abgeordneten ab und folgert hieraus z.B. das Recht auf Chancengleichheit der Fraktionen; BVerfG, Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, 362f. Im Urteil v. 13. 6. 1989, BverfGE 80, 188, 220 führt das Gericht aus: "Thre Bildung beruht auf der in Ausübung des freien Mandats getroffenen Entscheidung der Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG). Der Bundestag hat daher in der Geschäftsordnung die Befugnisse der Fraktionen im parlamentarischen Geschäftsgang unter Beachtung der Rechte der Abgeordneten festzulegen." VgI. zu der letztgenannten Entscheidung: Modok, Parlamentarisches Geschäftsordnungsrecht zwischen Abgeordnetenrechten und politischer Praxis, JZ 1989, 1035, 1038f. S4 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sind die Fraktionen notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens, denen die Aufgabe zugewiesen ist, den technischen Ablauf der Parlamentsarbeit in gewissem Grade zu steuern und zu erleichtern; Urt. v. 7.3.1953, BVerfGE 2, 143, 160; Urt. v. 14.7.1959, BVcrfGE 10, 4, 14; Urt. v. 19.7.1966, BVerfGE 20, 56, l04f; Urt. v. 14.12.1976, BVerfGE 43,142,147; Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, 35Of. Als Teile und ständige Gliederungen des Bundestags sind sie im Gegensatz zu den sie tragenden Parteien der organischen Staatlichkeit eingefügt, wo sie als maßgebliche Faktoren der parlamentarischen Willensbildung fungieren; BVerfG, Urt. v. 19.7. 1966, BVcrfGE 20, 56, l04f; Urt. v. 14. 1. 1986, BVerfGE 70, 324, 35Of.
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4. Kapitel: RechtsslJlatsprinzip und Geschäftsordnung
IV. Funktionstüchtigkeit des Parlaments Die Funktionstüchtigkeit des ParlamentsSS ist ein weiterer materieller Bezugspunkt des Rechtsstaatsprinzips beim parlamentarischen Verfahren. Funktionstüchtigkeit bedeutet, daß der Bundestag sich dazu instand setzt, die ihm in der grundgesetzlichen Verfassungsordnung zufallenden Aufgaben zu erfüllen und ist demzufolge in allen grundgesetzlichen Aufgabenzuweisungen an das Parlament mit enthalten. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Verfassungsorganeigenschaft des Bundestages. Das Grundgesetz statuiert ein Gefüge von Verfassungsorganen, die eng zusammenarbeiten. Die Wahl des Bundeskanzlers durch das Parlament (Art. 63 GG) und das Gesetzgebungsverfahren, bei dem vornehmlich Bundestag und Bundesrat zusammenwirken (Art. 76-78 GG), belegen dies. Dieses Ineinandergreifen erfordert die Funktionstüchtigkeit der beteiligten Organe. Die Fähigkeit des Bundestages, seine Aufgaben zu erfüllen, ist eine unabdingbare Voraussetzung dafür, daß sich auf der Grundlage grundgesetzlicher Einzelvorschriften eine funktionierende demokratische Staatsorganisation entwickelt. Die Funktionstüchtigkeit des Bundestages ist damit letztlich auch im Demokratieprinzip (Art. 20 GG) verankert. Jedoch darf die hervorgehobene Bedeutung der Funktionstüchtigkeit des Parlaments nicht den Blick dafür verschließen, daß ihre überstarke Betonung der argumentative Hebel dafür ist, Abgeordneten- und Fraktionsrechte aus den Angeln zu heben. Augenmaß ist geboten, denn ausschließlich ein nach Effektivitätskriterien gestaltetes parlamentarisches Verfahren zu schaffen hieße, das Kind - die Demokratie - mit dem Bade auszuschütten. 56 Die Grundsätze demokratischer Verhandlung, Abgeordneten- und Fraktionsrechte und die sich aus der Funktions-
SS Das Bundesverfassungsgericht spricht im Urt. v. 14.7.1959, BVerfGE 10,4,14 von dem zur Sicherung des Ablaufs der Parlamentsarbeit Gebotenen. Im Un. v. 10.5.1977, BVerfGE 44, 308, 316 heißt es die "auf Arbeitsteilung gegründete Funktionstüchtigkeit des Parlaments". Im Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, 359 spricht das Gericht von Arbeitsfähigkeit des Parlaments, auf S. 366 desselben Urteils von Handlungsfähigkeit des Parlaments. Vgl. ferner Abmeier, Die parlamentarischen Befugnisse des Abgeordneten des Deutschen BundeslJlges nach dem Grundgesetz, S. 64ff; Brandner, Der fraktionslose Abgeordnete und das Ausschußrnandat, JA 1990, 151, 152f; Morlok, Parlamentarisches Geschäftsordnungsrecht zwischen Abgeordnetenrechten und politischer Praxis, JZ 1989, 1035, 1041, Fn. 51. Siehe zur Funktionstüchtigkeit allgemein auch noch Fischer, Funktionieren öffentlicher Einrichtungen als Verfassungsmaßstab?, DVBl. 1981, 517, 52Of; Lecheier, Funktion als Rechtsbegriff? ,NJW 1979, 2273ff. 56 Dieser Gefahr erliegt Linck, Fraktionsstatus als geschäftsordnungsmäBige Voraussetzung für die Ausübung parlamentarischer Rechte, OOv 1975, 689, 690f u. 693f, der ausführt, eine geschäftsordnungsmäßige Beschränkung der parlamentarischen Befugnisse des Abgeordneten sei erst dann rechtswidrig, wenn sie unter keinem Gesichtpunkt rnit den Erfordernissen der Herrschaftsund Funktionstüchtigkeit des Parlaments und seiner effektiven Arbeit rechtfertigen lasse. Zu weitgehend auch Kisker, Der Streit um den Fraktionsstatus, JuS 1980, 284, 286, der die Auffassung vertritt, der Bundestag habe sich bei der Geschäftsordnungsgebung im Rahmen des Art. 40 Abs. 1 GG primär daran zu orientieren, das Parlament funktionstüchtig zu machen.
C. Materielle Bezugspunkte des Rechtsstaatsprinzips
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tüchtigkeit ergebenden Erfordernisse müssen miteinander in Einklang gebracht werden. 57
V. Verfassungsrechtliche Stellung der Opposition Der Bundestag ist eingegliedert in das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes. Die hieraus erwachsende Aufteilung des Parlaments in die Regierung grundsätzlich unterstützende Fraktionen bzw. Abgeordnete und solche, die der Regierung weder angehören noch sie unterstützen, ist im Grundgesetz in Art. 63, 67 LV.m. Art. 20, 21 angelegt. Diese Aufteilung hat praktische Relevanz bei der Kontrolle der Regierung durch das Parlament, wo der Opposition, allgemein ausgedrückt, die Aufgabe der Machtbegrenzung durch parlamentarische Gegenrnacht zukommt
VI. Minderheitschutz Obwohl seit den Anfängen des Parlamentarismus in Deutschland zum gängigen verfassungsrechtlichen Argumentationsrepertoire gehörig, hat nach hier vertretener Auffassung der Grundsatz des Schutzes parlamentarischer Minderheiten S8 keine eigenständige materiellrechtliche Bedeutung59 • Deutlich wird dies an den Schwierigkeiten, den Begriff der Minderheit präzise zu fassen. Er umfaßt sowohl den einzelnen (fraktionslosen) Abgeordneten als auch jede parlamentarische Fraktion, die nicht die
57 Sehr präzise ist die Entscheidung des BayVerfGH v. 14.12.1988, NJW 1989, 1918ff. Die Entscheidung betrifft eine dem hier in der Einleitung dargestellten Fall vergleichbare Fallkonstellation. Auf S. 1919 heißt es wörtlich: "Einerseits muß gewährleistet sein, daß ein Ausschuß nicht wegen einer all:ru großen Mitgliederzahl seine Arbeitsfähigkeit verliert, andererseits ist :ru berücksichtigen, daß jede Fraktion grundsätzlich die Möglichkeit zur Mitwirlcung in jedem Ausschuß haben muß. Die Arbeitsfähigkeit ist nicht schon dann beeinträchtigt, wenn lediglich Gründe der Arbeitsökonomie für ein kleineres Gremium sprechen. Im Hinblick auf die genannten vorrangigen Verfassungsgebote wäre es nicht gerechtfertigt, einem Ausschuß nur deshalb sehr wenige Sitze mzuweisen und dadurch kleinere Fraktionen auszuschließen, weil ein kleiner Per· sonenkreis rationeller und einfacher arbeiten kann". Vgl. zur Einschränkung von Abgeordneten· rechten unter dem Gesichtsrunkt der FunktiOllstüchtigkeit des Parlaments ferner BayVerfGH, Entsch. v. 30.4.1976, BayVB. 1976,431,435. 58 Für Hofmann!Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 5 Rdnr. 68, S. 196f gehört der Minderheitenschutz als notwendiges Korrelat des Mehrheitsprinzips zu den Funktionsbedingungen der Mehr· heitsdemokratie. Vgl. ferner Scherer, FraktiOIlsgleichheit und Geschäftsordnungskompetenz des Bundestages, AöR N.F. 112 (1987) 189, 204ff, der in seinem historischen Ausführungen zum Min· derheitenschutz (S. 205ff) darlegt, daß die Geschäftsordnung der Parlamente als natürlicher Schutz der Minderheit gegenüber der Mehrheit betrachtet> wurde; Troßmann, Parlamentsrecht und Praxis des Deutschen Bundestages. S. 175ff.
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
Parlamentsmehrheit innehat, auch wenn sie zur regierungstragenden Koalition gehört, als auch die Oppositionsfraktionen einzeln oder in ihrer Gesamtheit, als auch die Abgeordnetengruppe, die nach der jeweils gültigen Geschäftsordnung Fraktionsstärke nicht erreicht, als auch, bezogen auf die parlamentarische Abstimmung, die jeweiligen Abstimmungsminderheiten, die z.B. bei der Verfassungsänderung einen Abgeordneten weniger als zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl (Art. 79 Abs. 2 LV.m. Art. 121 GG) ausmacht. Alle in dieser Aufzählung genannten Möglichkeiten werden dogmatisch präzise erfaßt, arbeitet man mit Abgeordneten-, Fraktions- und Oppositionsrechten. Im Sinne dieser Auffassung argumentiert auch Mahrenholz, der ausführt, daß es keine besonderen Minderheitenrechte gebe, sondern Rechte der Minderheit verfassungsrechtlich in gleicher Weise solche der Mehrheit seien. 60 Der exakte Beweis, daß die Figur des parlamentarischen Minderheitenschutzes verfassungsrechtlich obsolet ist und der Begriff damit nur als rechtspolitische Kurzbezeichnung für Rechte der parlamentarischen Nicht-Mehrheit dienlich ist, würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Er könnte dergestalt erfolgen, daß anhand der Verwendung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts61 nachgewiesen wird, mit welchen der hier genannten Elemente präziser hätte gearbeitet werden können.
vrr. Zusammenfassung und Ausblick Ein funktionstüchtiges, nach demokratischen Grundsätzen verhandelndes und entscheidendes Parlament, das sich aus ungebundenen, gleichberechtigten und mit eigenen Befugnissen ausgestatteten Abgeordneten zusammensetzt, die regelmäßig in Fraktionen eingebunden sind, und in dem die die Regierung grundsätzlich nicht unterstützenden Oppositionsfraktionen und -abgeordneten Möglichkeiten zur Kontrolle der Regierung haben, ist die materiell verfassungs-
59 Abmeier, Die parllU1lentarischen Befugnisse des Abgeordneten des Deutschen Bundestages nach dem Grundgesetz, S. 212, hält die Verpflichllmg der Verfassung zum Schutz der Minderheiten für vage und wenig faßbar und knüpft für seinen konkreten Untersuchungsgegenstand ( Höhe par.lamentarischer Quoren) an die Rechte der einzelnen Abgeordneten an. Vgl. ferner Achterberg, Parlamentsrecht, § 21 6, S. 591ff, der die hier venretene Auffassung indirekt dadurch stützt, daß er einem Großteil seiner Ausführungen zum Minderheitenschutz darauf verwendet, nach seiner Auffassung vorhandene Mißverständnisse im Zusammenhang mit dem Minderheitenschutz aus dem Weg zu räumen; Schäfer, Der Bundestag, S. 75ff, der auf S. 78 zurecht feststellt, daß im parlamentarischen Regierungssystem des GG der Begriff der Minderheit fast bedeutungs gleich mit dem der Opposition geworden sei, daraus aber nicht die hier gezogene Schlußfolgerung zieht. 60 BVerfG, Uno V. 14. 1. 1986, BVErfGE 70, 324, Sondervotum Mahrenholz, 366, 368f. 61 Vgl. BVerfG, Uno V. 14. 1. 1986, BVerfGE 70, 324, 363; Beschl. v. 10. 5. 1977, BVerfGE 44, 308, 321.
D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips
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rechtliche Grundlage des parlamentarischen Verfahrens. Hierauf ist das Rechtsstaatsprinzip bezogen. Die hier nur skizzenhaft - und ohne Diskussion abweichender Auffassungen dargestellten Elemente sind wesentliche und unabhängig davon, daß sie Bezugspunkt des Rechtsstaatsprinzips sind. selbständige verfassungsrechtliche Grundlagen des parlamentarischen Verfahrens. Eine eingehende Untersuchung, die sich mit der Frage auseinanderzusetzen hat, welches der verfassungsrechtlich unabänderliche, der Gestaltungsfreiheit des Geschäftsordnungsgebers entzogene Kern dieser Rechte ist, kann sinnvoll nur einzelfall bezogen erfolgen. Bei der Einzelfallanalyse sind die genannten Elemente zueinander in Beziehung zu setzen und gegeneinander abzuwägen. Im Rahmen der Herausarbeitung der verfassungsrechtlichen Grundlagen kann es mit der hier gegebenen Darstellung sein Bewenden haben.
D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips Im Folgenden sollen einige wesentliche Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips daraufhin untersucht werden, welche Schlußfolgerungen sich daraus für das parlamentarische Selbstorganisationsrecht ziehen lassen.
I. Verfassungsstaatlichkeit Ein wesentliches Element des Rechtsstaats ist die Verfassungsstaatlichkeit. 62 Verfassungsstaatlichkeit bedeutet, daß die politischen Grundentscheidungen und die Leitprinzipien eines Staates in einer für alle verbindlichen Verfassung festgelegt sind. 63 Sie hat höchsten Rang, bindet alle Staatsgewalt und läßt es nicht zu, daß jemand im Gemeinwesen ex constitutione steht. 61 Im folgenden ist darzulegen, daß die Verfassungsbindung des Bundestages bei der Geschäftsordnungsgebung vornehmlich aus Art. 20 Abs. 3 GG folgt, aber auch in Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG verankert ist.
Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 IV I, S. 787f. Hesse, Verfassungsrecht, Rdnrn. 3ff, S. 3ff. 61 Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: BendaIMaihoferNogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 477, 485; Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes, JA 1978, 185, 188; Schmidt-Aßrnann, in: IsenseelKirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24 Rdnr. 28, S. 1002; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 IV I, S. 787f. 62 63
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
1. Art. 20 Abs. 3 GG und Verfassungsbindung des Geschäftsordnungsgebers
Art. 20 Abs. 3 GG schreibt die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, d.h. an den gesamten Normenbestand des Grundgesetzes6S vor. Diese Vorschrift ist weit in dem Sinne auszulegen, daß sie die Gesetzgebungsorgane bei all ihren Aufgabenwahrnehmungen, und damit auch bei der Geschäftsordnungsgebung, an das Grundgesetz bindet. 66 Für diese weite Auslegung spricht der Zusammenhang mit Abs. 2 derselben Vorschrift, wo mit der Wendung "besondere Organe der Gesetzgebung" unter anderem der Bundestag bezeichnet ist und zwar, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang des Grundgesetzes, z.B. Art. 63, ergibt, eben nicht nur in seiner Eigenschaft als Gesetzgebungsorgan. Regelungsziel des Art. 20 Abs. 3 GG ist die Verfassungsbindung aller Staatsgewalt. Das wird durch die weiter in dieser Vorschrift festgelegte Gesetzesbindung von vollziehender Gewalt und Rechtsprechung deutlich, denn die Gesetze müssen ihrerseits mit dem Grundgesetz im Einklang stehen. Eine Verfassungsbindung des Bundestags nur bei der Gesetzgebung, nicht aber bei all seinen übrigen Verrichtungen anzunehmen, was vom Wortlaut der Norm gedeckt wäre, wird diesem Regelungsziel nicht gerecht. Den Bundestag als oberstes Verfassungsorgan nicht bei all seinen Aufgabenwahrnehmungen an die Verfassung zu binden, widerspricht dem Geltungsanspruch des Grundgesetzes als ranghöchster Norm im staatlichen Normengefüge. ti1 Für die weite Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG sprechen im Hinblick auf die Geschäftsordnungsgebung im Besonderen noch folgende Überlegungen: 68 Der Bundestag könnte das für Verfassungsänderungen vorgesehene Verfahren (Art.
6S Badura, Staatsrecht, Teil D Rdnr. 51, S. 209; Herzog, in: MaunzJDürig, GGKom, Art. 2C, VI. Abschn. Rdnr. 9; Iarass, in: IarasslPieroth, GGKorn, Art. 20 Rdnr. 23; Schnapp, in: v. Mi! Ich, GGKom, Bd. I, Art. 20 Rdnr. 35. 66 So ausdrücklich Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht S. 75. Herzog, in: Maunl/Diirig, GGKom, Art. 20, VI. Abschn. Rdnr. 17 führt aus, die Verfassungsbindung des Art. 20 Abs. 3 GG erstrecke sich auch auf schlichte Parlamentsbeschlüsse außemalb des Gesetzgebungsverfahrens. Daraus folgt die Bindung auch bei der Geschäftsordnungsgebung, denn diese wird durch Beschluß des Parlaments festgestellL Vgl. ferner Killler, Der Deutsche Bundestag, IöR N.F. 26 (1977), 39, 45f, der insofern etwas unpräzise ist, als er zwar die Bindung an Art. 20 Abs. 3 GG darlegt, im Anschluß daran aber nur die inhaltlich sehr viel weiter gefaßten Elemente der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufzählt. ti1 Vgl. Badura, Staatsrecht, Teil A Rdnr. 13, S. 13. 68 Zu eng Achterberg, Parlamentsrecht, § 16 1 e, S. 327, Fn. 24, der ausführt, Art. 20 Abs. 3 GG binde die Geschäftsordnungsgebung nur dann an die Verfassung, wenn man die Geschäftsordnung als Gesetz deute und damit auf die Staatsfunktion im materiellen Sinne abstelle.
D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips
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79 Abs. 2 GG) überspielen, indem er Verfassungsänderungen in das Parlament betreffenden Regelungsbereichen im Wege der Geschäftsordnungsgebung vornimmt. 69 Ferner verstößt ein Gesetz nicht nur dann gegen die Verfassung, wenn sein Regelungsinhalt mit dem Grundgesetz nicht im Einklang steht oder konkrete das Gesetzgebungsverfahren betreffende Vorschriften des Grundgesetzes verletzt wurden, sondern auch dann, wenn die weitere Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens in der Geschäftsordnung verfassungswidrig ist. 70 So ist beispielsweise ein Gesetz wegen Mißachtung der verfassungsmäßigen Mitwirkungsrechte der Abgeordneten (Art. 38 Abs. I S. I GG) verfassungswidrig, wenn es ohne jede Plenar- und Ausschußdiskussion nur aufgrund einer Abstimmung erlassen würde. 71 Auch hieraus folgt, daß das Parlament als Geschäftsordnungsgeber an alle sachlich einschlägigen Vorschriften des Grundgesetzes gebunden ist. Schließlich ergibt sich die Bindung an die gesamte Verfassung auch aus der Betrachtung der Verfassungsgerichtsbarkeit als einer wesentlichen grundgesetzlichen Ausgestaltungsform der Verfassungsbindung aller Staatsgewalt,n denn das Bundesverfassungsgericht überprüft nicht nur die Vereinbarkeit von Gesetzen mit dem Grundgesetz. Entscheidungsgegenstand können vielmehr auch Vorschriften der Geschäftsordnung des Bundestages sein. 73 2. Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG und Verfassungsbindung des Geschäftsordnungsgebers Der zweite Ansatz für die verfassungsgesetzliche Verankerung der Verfassungsbindung bei der Geschäftsordnungsgebung läßt sich auf PereIs zurückverfolgen, der ausgeführt hat, daß Geschäftsordnungsvorschriften nicht gegen die Verfassung verstoßen dürfen, weil die Ermächtigung zur Geschäftsordnungsgebung in der Verfassung verankert sei und demzufolge aufgrund dieser Ermächtigung erlassene Vorschriften nicht in einen Gegensatz zu dem treten
Amot, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlaments recht, S. 71. BVerfG, Beschl. v. 10.5.1977, BVerfGE 44, 308, 313. 71 Etwas enger wohl Maunz, in: Maunz/Dürig, GGKom, Art. 40 Rdnr. 23, der ausführt, daß ein unter Verletzung geschäftsordnungsrechUicher Vom:briften zustandegekomrnenes Gesetz nur dann verfassungswidrig sei, wenn gleichzeitig ein Verstoß gegen Verfahrensbestimrnungen des Grundgesetzes vorliege. n Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: BendalMaihoferNogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 477,485; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24 ROOr. 28f, S.I002f. 73 BVerfG, Urt. v. 13.6.1989, BverfGE SO, 188,1.lS u. 209. 69
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
dürften, was die Quelle der fraglichen Regelungen sei.74 Die Begründung, daß aufgrund verfassungsgesetzlicher Ermächtigungsnormen erlassene Vorschriften nicht gegen die Verfassung verstoßen dürfen, gilt auch für die grundgesetzliehe Verfassungsordnung, in der die aus der Verfassungsorganeigenschaft des Bundestages folgende Geschäftsordnungsautonomie in Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG verankert ist.15 Steht damit für die Selbstorganisation des Bundestages die Bindung an sämtliche sachlich einschlägigen Vorschriften des Grundgesetzes und nicht etwa nur an die ihn direkt betreffenden Organisations- und Verfahrensvorschriften fesP6.71, so ist hier eindringlich auf den normativen Charakter jeder Verfassung hinzuweisen, die toter Buchstabe bleibt, wenn sie nicht durch menschliches Verhalten äußere spürbare Realität gewinnt. Die Mitglieder der Verfassungsorgane sind zur Verwirklichung der Verfassung in besonderem Maße aufgerufen. Von ihrem Verwirklichungswillen bei der Organisation ihrer Arbeit können Impulse für .die Verfassungsverwirklichung in allen übrigen Lebensbereichen ausgehen.
Perels, Das autonome Reichstagsrecht, S. 3. Maunz, in: Maun7lDürig, GGKom, An. 40 Rdnr. 22; Schäfer, Der Bundestag, S. 63. Im Ergebnis ebenso Achterberg, Parlamentsrecht, § 161 c, S. 325 i.V.m. § 161 e, S. 327f, der jedoch den Gedanken, daß eine Vorschrift nicht gegen die Errnächtigungsnorrn, auf der sie beruht, verstoßen darf, unnötig verlmmplizien. Er geht davon aus, daß die ausdriickliche verfassungsgesetzliche Ermächtigung zur Geschäftsordnungsgebung erforderlich sei, weil nur durch diesen Delegationszusammenhang die Einheitlichkeit staatlicher Norrnsetzung gewährleistet sei und das Auftreten extraund kontrakonstitutioneller Entwicklungen im Bereich des staatlichen Innenrechts verhindert werde. Der hierin liegende Vorbehalt der Verfassung bei der Geschäftsordnungsgebung ziehe den Vorrang der Verfassung zwingend nach sich, denn der Vorbehalt einer Rechtsquelle könne ohne die gleichzeitige Geltung ihres Vorranges beliebig unterlaufen werden. 76 VgI. hierzu nur noch BVerfG, Un. v. 6.3.1952, BVerfGE I, 144, 148; Leibhol7/RincklHesselberger, GGKom, An. 40 Rdnr. 2; Stern, Staatsrecht, Bd. 11, § 26 III 6 c, S. 83f, die jedoch alle zu Unrecht die Unterordnung der Geschäftsordnung nicht nur unter das Grundgesetz, sondern auch unter Bundesgesetze annehmen, vgI. hierzu S. 182ff. 71 Äußerungen wie etwa die, daß Geschäftsordnungen von Verfassungsorganen sekundäres oder ergänzendes Verfassungsrecht seien, so Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, S. 44, oder daß sie das Experimentierfeld des Staatsrechts seien, wie die von Schäfer, Der Bundestag, S. 64 stiften mehr Verwirrung als daß sie Klarheit schaffen, denn sie verdecken, daß es das Grundgesetz ist, an dem sich die Geschäftsordnungsgebung zu orientieren haL Das räumt im Ergebnis auch Schäfer, Der Bundestag, S. 64, ein, wenn er feststellt, daß das Grundgesetz die Schranke der Parlamentsautonomie sei und die Geschäftsordnungen oftmals dazu neigten, die ihnen durch die Verfassungen gezogenen Grenzen zu überschreiten. 74 75
D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips
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II. Grundsatz der Gewaltenteilung 1. Allgemeine Charakterisierung Der Grundsatz der Gewaltenteilung. der im Grundgesetz vornehmlich in den Art. 20 Abs. 2 S. 2. Abs. 3. Art. 1 Abs. 3 verankert ist. ist das organisatorische Grundprinzip der Verfassung. 78 Er besagt, daß gesetzgebende. vollziehende und rechtsprechende Gewalt grundsätzlich voneinander getrennt sind und zueinander in einem Verhältnis der gegenseitigen Kontrolle und Balance stehen. um eine Mäßigung der staatlichen Machtentfaltung zu erreichen. 79 Dahinter steht der Gedanke des Schutzes der Freiheit des einzelnen durch Kontrolle. Hemmung und Ineinandergreifen der Gewalten. 80 Da staatliche Macht nicht als solche ursprünglich vorhanden ist. sondern stets neu geschaffen und erhalten werden muß. umfaßt Gewaltenteilung auch die Konstituierung der einzelnen Gewalten. die Bestimmung und der jeweiligen Kompetenzen sowie die Regelung ihrer Zusammenarbeit. 81 2. AufgabensteIlung für die Geschäftsordnungsgebung
a) Herstellung der Funktionstüchtigkeit des Parlaments Für den Bereich der Selbstorganisation des Bundestages ergibt sich aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz eine Aufgaben- bzw. Zielumschreibung. Die AufgabensteIlung ist zunächst einmal in einem ganz allgemeinen Sinne auf die Funktionstüchtigkeit des Parlaments bezogen. indem sie gebietet. daß sich der Bundestag durch eine rechtliche Ordnung seiner Organisation und Arbeitsweise dazu instand setzt. die ihm obliegenden Aufgaben in dem Gefüge der Verfassungsorgane. dem Gesamtsystem der Gewaltenhemmung und -balance. erfüllen zu können. Das betrifft z.B. die Bestellung (Art. 63. 94 Abs. 1 S. 2 GG) und
78 BVerfG, Urt. v. 23.10.1952, BVerfGE 2, 1,2. LS u. 13; Urt. v. 18.12.1953, BVerfGE 3. 225, 247; Urt. v. 17.8.1956, BVerfGE 5,85, 140; Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 482, S. 187, der in Rdnr. 499, S. 193 ausführt, daß der Grundsatz der Gewaltenteilung nicht nur ein Element des Rechtsstaatsprinzips an, sondern allgemein Bestandteil der demokratischen, rechts staatlichen und bundesstaatlichen Gesamtordnung des Grundgesetzes ist; Stern, Staatsrecht. Bd. I, § 20 IV 3 b, S. 794. 79 BVerfG, Urt. v. 18.12.1953, BVerfGE 3, 225, 247. 80 BVerfG, Urt. v. 27.4.1959, BVerfGE 9, 268, 279; Beschl. v. 10.10.1972, BVerfGE 34. 52, 59; vgl. die weiteren Rechtsprechungsnachweise bei Leibholz I Rinck I Hesselberger, GGKorn, Art. 20 Rdnr. 461. 81 Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 482, S. 187 u. Rdnrn. 484-491, S. 188ff.
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
Kontrolle (z.B. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG) anderer Verfassungsorgane, aber auch die Gesetzgebung, die sich unter Gewaltenteilungsgesichtspunkten als eine Funktionsverdoppelung (vgl. Art. 77, 78 GG) zur Gewährleistung ausgewogener Ergebnisse darstellt. 82 Durch die Erfüllung dieser Aufgabe leistet der Bundestag nach außen hin seinen Beitrag zu einem funktionierenden Gewaltenbalancesystem.
b) Schaffung einerfunktionsgerechten Organstruktur Damit hat es aber nicht sein Bewenden. Gewaltenteilung bedeutet im Hinblick auf die Konstituierung der Verfassungsorgane nicht nur, daß überhaupt die Organe zu bilden sind, auf die die in Art. 20 Abs. 2 GG genannten staatlichen Aufgaben verteilt sind. Vielmehr muß, um eine der Eigenart der jeweiligen Aufgabe entsprechende richtige und sachgemäße Erfüllung sicherzustellen, die Aufgabe von einem Organ erledigt werden, das nach seiner inneren Struktur, d.h. Organisation und Arbeitsweise, für die Aufgabenerfüllung gerüstet ist. 83 Diese Verknüpfung von jeweiliger Aufgabe und Organstruktur wird schlagwortartig mit dem Begriff 'funktionsgerechte Organstruktur' bezeichnet. 84 Die Essentialia der funktionsgerechten Struktur der Verfassungsorgane sind im Grundgesetz geregelt. In bezug auf die personelle Struktur des Bundestages ist das in Gestalt der demokratischen Legitimation der parlamentarischen Entscheidungsträger durch Wahlen (Art. 20 Abs. 2, 38 Abs. 1 S. 1 GG) und dergestalt, daß den Abgeordneten ein ihren Aufgaben entsprechender besonderer
Vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 IV 3 c, S. 796. BVerfG, Urt.v. 18.12.1984, BVerfGE 68, 1,86; grundlegend Küster, Das Gewaltenproblem im modemen Staat, AöR N.F. 36 (1949), 397, 402f, 404ff, der ausführt, Gewaltenunterscheidung habe der Funktionsklarheit und aufgrund dieser der funktionsgerechten Organstruktur zu dienen, und der diese Elemente auf die im Rahmen dieser Arbeit bereits angesprochenen demokratischen Rückkoppelungsmechanismen bezieht, indem er aus ihnen die Verantwortungsklarheit der Ent· scheidungsLTäger und die Einsehbarkeit staatlichen Handelns für den Bürger als Grundlage für die lntegrationswirkung staatlichen Handeln folgert (" ... daß die Funktionen anschaulich gegeneinander abgewogen sind, daß defmiert ist, was jeder kann und zu tun hat, nicht anders als beim Fußballspiel oder beim Schachspiel". S. 402). Was geschieht, wenn es hieran mangelt, beschreibt er auf S. 402f wie folgt: "Ein undurchsichtiges Geschiebe von Gruppen und Mächten, die Druck ausüben, die erwarten oder verbindern, aber weder klar etwas sagen, noch gegebenenfalls etwas gesagt haben wollen: von einem solchen r .nblick des Staatslebens wendet sich das angewiderte Volk notwendig ab". Vgl. ferner Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: Benda/MaihoferNogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 477, 493f; Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 488, S. 189; Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, S. 9Of; Ossenbühl, Aktuelle Probleme der Gewaltenteilung, DÖV 1980,545, 548f; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24 Rdnr. 50, S. 1012; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 IV 3 b, S. 793. 114 Ossenbühl, Aktuelle Probleme der Gewaltenteilung, DÖV 1980, 545, 548f. 82 83
D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips
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rechtlicher Status eingeräumt ist (z.B. Art. 38 Abs. 1 S. 2 u. 46 GG), geschehen. 85 Hinsichtlich der parlamentarischen Arbeitsweise seien beispielhaft das Recht eines Viertels der Mitglieder auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG) sowie die den Art. 43 Abs. 1,45 a, 45 c GG zu entnehmende Struktur, daß für einzelne Sachgebiete Untergliederungen (Ausschüsse) zu bilden sind, genannt. Das Grundgesetz beschränkt sich auf das Wesentliche sowie weitere punktuelle Regelungen. Die Filigranarbeit ist im Wege der Geschäftsordnungsgebung zu leisten. 86 Unter Berücksichtigung der eben angerissenen grundgesetz lichen Vorgaben, sind dabei die Organ struktur des Bundestages (mitgliederstarkes Kollegialorgan, das sich aus freien, regelmäßig fraktionsgebundenen Abgeordneten zusammensetzt) zu den einzelnen Aufgaben des Bundestages (z.B. Gesetzgebung, Regierungsbildung, Kontrolle der Regierung) in ein dem je besonderen Charakter und der Bedeutung der einzelnen Aufgabe gemäßes sachentsprechendes Verhältnis zu bringen. Beispielsweise ist beim Gesetzgebungsverfahren die Feingliederung eines insgesamt stark durchgegliederten staatlichen Entscheidungsverfahrens zu schaffen. Dabei ist die Arbeit der Experten zu einzelnen Sachfragen in ein ausgewogenes Verhältnis zur allgemeinen politischen Würdigung des Gesetzesvorhabens zu bringen und in den Gesamtentscheidungsprozeß einzufügen. Wesentlich ist bei der funktionsgerechten Organisationstruktur des Bundestages folgendes: Der Bundestag zeichnet sich als Konsequenz seiner Integration in das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes durch eine grundsätzliche Aufspaltung in die Regierung unterstützende und die Regierung nicht unterstützende Fraktionen und Abgeordnete aus. Zu den Aufgaben des Bundestages gehört die Kontrolle der Regierung. Eine der Zusammensetzung des Bundestages gemäße Wahrnehmung dieser Aufgabe erfordert es, daß sie maßgeblich von den Oppositionsfraktionen wahrgenommen werden kann, die mit dem Schwerpunkt auf diese Kontrollaufgabe Bestandteil des Gesamtsystems grundgesetzlicher Gewaltenteilung sind. 87 Dem ist bei der Ausgestaltung der Kontrollbefugnisse des Parlaments gegenüber der Regierung Rechnung zu
85 Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 488, S. 189; Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes, JA 1978, 185, 192. 86 1-1 diese Richtung gehen bereits die Überlegungen von Küster, Das Gewaltenproblem im modernen Staat, AöR N.F. 36 (1949), 397, 403, der IIIsführt, Gewaltenteilung sei immer auch Geschäftsverteilung i.S. einer optimalen Erfüllung der einzelnen Aufgaben. 87 Vgl. Kißler, Der Deutsche Bundestag, JöR N.F. 26 (1977), 39, 63f, 89f, l03f und Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes, JA 1978, 185, 189. 6 Bollmann
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
tragen. Widrigenfalls verstößt ihre Ausgestaltung gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung. c)
Kontrollgremienentscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Die aus dem Gebot der funktionsgerechten Organstruktur resultierenden Konsequenzen für die Kontrolltätigkeit des Parlaments läßt die Mehrheit des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts bei der Entscheidung über den in der Einleitung dargestellten Sachverhalt außer acht. Zutreffend stellt das Gericht zunächst fest, daß das Budgetrecht des Parlaments ein wesentliches Instrument parlamentarischer Regierungskontrolle ist und daß es gerade deshalb, weil das Parlament von seinen Kontrollbefugnissen im Rahmen des Haushaltsgesetzgebung Gebrauch machen kann, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, daß weitreichende politische Entscheidungen nach der gewaltenteilenden Kompetenzordnung statt durch das Parlament von der Regierung getroffen werden. 88 Ferner wird aus den Art. 38 Abs. 1,77 Abs. 1 S. 2,110 Abs. 2 S. 1 GG ~ Recht des einzelnen Abgeordneten auf eigentständige Beurteilung des Haushaltsgesetzes hergeleitet,89 sowie festgestellt, daß alle Fraktionen ein grundsätzlich gleiches Recht zur Budgetberatung in den dafür zuständigen Ausschüssen haben. 90 Ausgehend von diesen Feststellungen hätte eigentlich die Schlußfolgerung nahegelegen, daß bei der Bildung kleiner Gremien zur Geheimniswahrung bei der Haushaltsberatung wegen der der Haushaltsgesetzgebung innewohnenden Kontrolle der Regierung in besonderem Maße die einzelnen im Parlament vertretenen Oppositionsfraktionen zu beteiligen sind. Diese sind auf die vorauswirkende Kontrolle im Rahmen der Haushaltsfest . stellung deshalb besonders angewiesen, weil ihnen die einschneidenden parlamentarischen Kontrollmittel, wie etwa die Wahl eines neuen Kanzlers (Art. 67 GG), anders als der Parlamentsmehrheit nicht zur Verfügung stehen. 91 Diesen Konsequenzen aus der eigenen Auffassung verschließt sich das Gericht durch einen Wechsel des Prüfungsmaßstabes bei der konkreten Sachver-
BVerfG. Urt. v. 14. 1. 1986, BVerfGE 70, 324,356 m.w.N. BVerfG, Urt. v. 14. 1. 1986, BVerfGE 70, 324, 356 m.w.N. 90 BVerfG, Urt. v. 14. 1. 1986, BVerfGE 70, 324, 362f. 91 Unter dem Gesichtspunkt der haushaltsgesetzlichen Regierungskontrolle wäre es daher noch eher gerechtfertigt, eine der regierungstragenden Fraktionen bei der Bildung eines kleinen Gremiums nicht zu beteiligen, wiewohl sich auch eine solche Maßnahme unter dem Gesichtspunkt der über die Fraktionsbeteiligung vermittelten mittelbaren Teilnahme aller Abgeordneten auch an den Arbeiten eines kleinen Gremiums grundsätzlich verbietet. 88
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D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips
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haltswÜfdigung. 92 Statt mit den soeben wiedergegebenen Ansätzen weiterzuarbeiten, wird das Gebot, parlamentarische Minderheiten zu schützen sowie das Recht auf Bildung und Ausübung von Opposition herangezogen 93 und hierauf aufbauend festgestellt, daß das als Ausnahme gehandhabte Verfahren des Bundestages zur Kontrolle der Wirtschaftspläne der Geheimdienste nicht zubeanstanden sei, weil in dem fraglichen Gremium auch Abgeordnete der Minderheit vertreten gewesen seien,94 bzw. die Opposition nicht übergangen worden sei. 95 Diese Argumentation ist unpräzise. Es bestätigt sich die bereits in anderem Zusammenhang getroffene Feststellung, daß der Begriff der parlamentarischen Minderheit zu weit ist, um exakt damit zu arbeiten. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet damit die Opposition im allgemeinen. Auch das ist indes unpräzise, weil unberücksichtigt bleibt, welche Gruppen konkret die Opposition bilden. In der 10. Legislaturperiode war nicht nur die SPD in der Opposition, sondern auch die Fraktion der GRÜNEN. Die Argumentation wird dem aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz folgenden Gebot der funktionsgerechten Organstruktur nicht gerecht, der im Bereich der Regierungskontrolle eine besondere Berücksichtigung der Oppositionsfraktionen, d.h. aller Oppositionsfraktionen erfordert. Im konkreten Fall hätte auch die Fraktion der GRÜNEN an der Beratung der Wirtschafspläne der Geheimdienste beteiligt werden müssen, um diese vorauswirkende Kontrolle dem Gebot entsprechend effektiv, d.h. mit allen dem Parlament zur Verfügung stehenden Mitteln, unter Mitwirkung aller Oppositionsfraktionen durchzuführen. Die Mißachtung dieses Gebots hat Auswirkungen auf die vom B undesverfassungsgericht zu Recht getroffene Feststellung, daß eine Aufgabenverlagerung vom Parlament auf die Regierung unter Gewaltenteilungsgesichtspunkten nur deshalb verfassungsrechtlich unbedenklich ist, weil das Parlament durch die Haushaltsgesetzgebung von seinen Kontrollbefugnissen Gebrauch machen kann. Wird diese Kontrolle nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise durchgeführt, wird unter Gewaltenteilungsgesichtspunkten auch die Aufgabenverlagerung vom Parlament auf die Regie-
92 Scherer, Fraktionsgleichheit und Geschäftsordnungskompetenz des Bundestages. AöR 112 (1987),189,211. 93 BVerfG, Urt. v. 14. 1. 1986, BVerfGE 70, 324, 363. 94 BVerfG, Urt. v. 14. 1. 1986, BVerfGE 70, 324, 365. 95 BVerfG, Urt. v. 14. 1. 1986, BVerfGE 70, 324, 359.
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und GeschäftsordnWlg
rung fragwürdig. Im konkreten Fall der Kontrolle der Wirtschaftspläne der Geheimdienste wiegt die Nichtachtung der Kontrollrechte sämtlicher Oppositionsfraktionen deshalb besonders schwer, weil - Folge der Natur des Kontrollgegenstandes - im Bereich der Nachrichtendienste die Kontrollmöglichkeiten des Parlaments ohnehin stark eingeschränkt sind. Die Ausgestaltung der Kontrollrechte des Bundestages verstößt damit im konkreten Fall gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung.
ill. Rechtssicherheit 1. Allgemeine Charakterisierung Die Rechtssicherheit ist ein Gebot des Rechtsfriedens und damit des Rechtsstaates. 96 Es geht um die spezifische Sicherheit durch Recht, um die Verläßlichkeit, Klarheit, weitestgehende Eindeutigkeit und grundsätzliche Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung. 97 Aus der Warte des Bürgers folgt hieraus die Meßbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handeins sowie Vertrauensschutz. 98 Rechtssicherheit dient den Grundrechten insofern , als diese durch eine feste rechtliche Rahmenordnung konkret Gestalt gewinnen und erst hierdurch der Freiraum zur eigenverantwortlichen Lebensgestaltung konturiert hervortriu. 99 Im Bereich des staatlichen Außenrechts wird Rechtssicherheit durch Gesetze zum einen dadurch bewirkt, daß diese in einem einsehbaren durch das Grundgesetz und Geschäftsordnungen bestimmten Verfahren gemeinsam von mehreren Verfassungsorganen erlassen werden und auch die Gesetzgebungsorgane an sie gebunden sind und sie nur im Wege des Gesetzgebungsverfahrens aufheben oder ändern können. Zum anderen wird
96 BVerlG, Urt. v. 1.7.1953, BVerlGE 2, 380, 403; Beschl. v. 14.3.1963, BVerlGE 15,313, 319; Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: BendaIMaihoferNogel, Handbuch des VerlassWlgsrechts, 477,482; Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes, JA 1978,237,241. 97 Herzog, in: Maunz/Dürig, GGKom, Art. 20, Vll. Abschn. Rdnrn. 57 u. 61ff; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24 Rdnr. 81, S. 1030f; Schnapp, in: v. Münch, GGKom, Bd. I, Art. 20 Rdnm. 23, 26f. 98 Schmidt-Allmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24 Rdnr. 81, S. I03Of; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 IV 4 g, S. 833. 99 Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: BendaJMaihoferNogel, Handbuch des Verlassungsrechts, 4TI,482.
D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips
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Rechtssicherheit dadurch gewährleistet, daß rückwirkende Gesetze nur unter stark einschränkenden Voraussetzungen zulässig sind. 100 Zu untersuchen ist, ob Vergleichbares auch für das Selbstorganisationsrecht des Bundestages gilt. 2. Rechtssicherheit und parlamentarische Geschäftsordnung Auch beim parlamentarischen Verfahren erfordert es das Element der Rechtssicherheit, daß Verfahrensregelungen klar und eindeutig sind. Generalklauselartige Regelungen etwa des Inhalts, daß der Präsident das Verfahren im Einvernehmen mit dem Ältestenrat nach den jeweiligen tatsächlichen Gegebenheiten gestaltet, sind unzulässig, weil sie zu unbestimmt sind. Besondere Bedeutung kommt der Beständigkeit einer festgelegten Geschäftsordnung im Hinblick auf die Mitwirkungsrechte der einzelnen Abgeordneten, der Fraktionen und der Opposition als materiellen Bezugspunkten des Rechtsstaatsprinzips im parlamentarischen Bereich zu. Diese Partizipationsrechte setzen das Vertrauenkönnen auf die grundsätzliche Fortgeltung der Verfahrensregeln voraus, um auf der Grundlage des sicheren Wissens um die verfahrenstechnischen Umsetzungsmöglichkeiten der eigenen politischen Vorstellungen Verfahrensinitiativen im Voraus sinnvoll planen und in den parlamentarischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß einbringen zu können. Dasselbe gilt umgekehrt für die adäquate Reaktion auf Verfahrensinitiativen anderer, wie etwa auf Gesetzentwürfe der Bundesregierung. Beispielsweise liefe das Recht des einzelnen Abgeordneten, Änderungsanträge zu Gesetzentwürfen während der zweiten Lesung zu stellen (§ 82 Abs. 2 GeschOB1), weitgehend leer, wenn der Bundestag nach dem Dafürhalten der Mehrheit von Fall zu Fall entscheiden könnte, auf eine zweite Plenardebatte eines Gesetzes zu verzichten. Rechtssicherheit beim parlamentarischen Verfahren ist damit eine unentbehrliche Stütze des Elements demokratischer Verhandlung. Kleinere parlamentarische Gruppen und einzelne Abgeordnete haben nur geringe Chancen, daß ihre Auffassung zur Mehrheitsentscheidung des Bundestages wird. Ihre Teilnahme am demokrati-
100 Die Einzelheiten, insbesondere di~. dogmatischen Ansätze für die Abwägung zwischen Vertrauensschutz IDId geselzgeberischer Anderungsfreiheit bei der Rückwirkung von Gesetzen, sind umstritten, vgi. Benda, Der so7iale Rechtsstaat, in: BendaIMaihoferNogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 477, 496ff; Schmidt·Aßmann, in: IsenseelKirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24 Rdnr. 86, S. 1032ff m.w.N.
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
schen Entscheidungsprozeß beschränkt sich im wesentlichen darauf, durch den planbaren Einsatz ihrer Artikulationsrechte, Einfluß auf die Mehrheit zu nehmen. Aus der Bedeutung, die die Beständigkeit der Geschäftsordnung für die Verwirklichung parlamentarischer Mitgliedsschaftsrechte sowie für plan- und damit sinnvolles parlamentarisches Arbeiten überhaupt hat, ergeben sich Konsequenzen sowohl für die generelle Änderung der Geschäftsordnung im Laufe einer Legislaturperiode als auch für Abweichungen im Einzelfall.
a) Änderung der Geschäftsordnung Für Änderungen der Geschäftsordnung ist ein Mehrheitsbeschluß des Bundestages ausreichend. 101 Damit fehlen im Vergleich zum Gesetzgebungsverfahren Absicherungen, die aus dem Zusammenwirken mehrerer Verfassungsorgane in einem gegliederten und dadurch auch zeitlich gedehnten Entscheidungsverfahren erwachsen. Um diesen Verlust an Rechtssicherheit auszugleichen und um die aus dem Demokratieprinzip folgenden Partizipationsrechte der Fraktionen und der Abgeordneten voll zur Entfaltung zu bringen, ist das Rückwirkungsverbot bei Geschäftsordnungsänderungen von besonderer Bedeutung. Auszugehen ist davon, daß Verfahrensänderungen zwar jederzeit möglich sind, aber keine Wirkung auf bereits laufende Arbeits- und Entscheidungsprozesse haben, sondern nur für nach der Änderung neu aufgenommene Arbeiten gelten. Die Regel, daß alte Verfahren nach altem Recht und neue Verfahren nach neuem Recht zu behandeln sind, sichert wirkungsvoll den Rechtsfrieden auf der Verfahrensebene, denn sie schneidet den Einwand ab, die Änderung sei rechtsmißbräuchlich gerade deshalb erfolgt, um bei bestimmten laufenden Verfahren Partizipationsrechte einzelner parlamentarischer Gruppen zu unterlaufen. Allein die klare Trennung der anzuwendenden Verfahrensregeln ermöglicht den Verfahrensbeteiligten eine sinnvolle Planung ihrer Mitarbeit. Zwar besteht im Hinblick auf die Partizipationsrechte theoretisch durchaus die Möglichkeit, für jedes einzelne laufende Verfahren gesondert zu prüfen, ob die Anwendung der neuen Regelung Mitwirkungsrechte verkürzt und deshalb die Fortführung nach altem Recht unumgänglich macht. Jedoch ist diese Vorge-
101 Vgl. Achterberg, Parlamentsrecht, § 16 I 2 b, S. 33lf; Ritzel/Bücker, Handbuch für die parlamentarische Praxis, § 126 GeschOBT Anm. b.
D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips
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hensweise zeitaufwendig und streitträchtig. 102 Die bei dieser Vorgehensweise fast zwangsläufig eintretende Unsicherheit darüber, welches Verfahren nach welchem Recht durchzuführen ist, widerspricht dem Erfordernis der Rechtsklarheit. Als Ergebnis ist festzuhalten: Aus dem Gebot der Rechtssicherheit folgt das grundsätzliche Verbot der Rückwirkung bei Änderungen der parlamentarischen Verfahrensregeln. Soll auf ein bereits laufendes Verfahren dennoch die neue, geänderte Regelung angewandt werden, so ist dies nur unter den erschwerenden Voraussetzungen für die sogleich zu erörternde Einzelfallabweichung zuzulassen. Nur diese Lösung gewährleistet in der bei Geschäftsordnungsänderungen eintretenden Übergangsphase eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem Anwendungsbereich der neuen und alten Vorschriften der Geschäftsordnung und der Einzelfallabweichung. Für sie spricht die Überlegung, daß ein Einzelfall dann vorliegt, wenn durch Beginn des Verfahrens unter der Herrschaft einer bestimmten Verfahrensordnung eine Konkretisierung des anzuwendenden Verfahrensrechts erfolgt ist und die Beteiligten auf dieser Grundlage die Planungen für ihre Mitarbeit getätigt haben. Sie kompensiert den möglichen Verlust an Partizipationsmöglichkeiten durch die sogleich zu erörternden Voraussetzungen.
b) Einzelfallabweichungen von der Geschäftsordnung Zur im Bereich des staatlichen Außenrechts viel zitierten l03 Kollision zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit kann es bei der parlamentarischen Arbeit dergestalt kommen, daß eine geschäftsordnungsrechtliche Regelung zwar grundsätzlich sachangemessen erscheint, im konkreten Fall aber zu umständlich und langwierig oder aus anderen Gründen dem jeweiligen Verhandlungs- und Entscheidungsgegenstand nicht angemessen ist. Aus der dargelegten Bedeutung, die der Einhaltung der Geschäftsordnung für die Realisierung parlamentarischer Mitwirkungsrechte zukommt, folgt notwendig, daß Einzelfallabweichungen nur unter erschwerenden Voraussetzungen zugelassen werden dürfen. Dem trägt die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages in
102 Es sei nochmals auf die Schwierigkeiten im Außenrechtsbereich hingewiesen, Kriterien dafür zu finden, unter welchen Voraussetzungen IÜckwirltende Gesetze zulässig sind, vgl. SchmidtAßmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24 Rdnr. 86, S. 1032ff. 103 BVerfG, Urt. v. 18.12.1953, BVerfGE 3, 225,237; Beschl. v. 14.3.1968, BVerfGE 15,313, 319f; Benda, Der soziale Recbtsstaat, in: BendaIMaihoferNogel, Handbuch des Verfassungsrecbts, 4n, 482ff; Scbachtscbneider, Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes, JA 1978, 237, 241; Schmidt-Aßmann, in: lsenseelKirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 24 Rdnr. 81, S. 103Of.
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
ihrem § 126 Rechnung. Hiernach können Abweichungen von der Geschäftsordnung in einem einzelnen Fall mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder beschlossen werden, wenn Bestimmungen des Grundgesetzes nicht entgegenstehen. Daraus, daß Vorschriften des Grundgesetzes nicht entgegenstehen dürfen, folgt, daß eine Abweichung in jedem Fall dann nicht zulässig ist, wenn Abgeordneten-, Fraktions- und Oppositionsrechte in ihrem von Verfassungs wegen unverbrüchlichen Kern betroffen werden, weil dann die Vorschriften des Grundgesetzes, aus denen diese Rechte abzuleiten sind, z.B. Art. 38, Abs. 1,21 Abs. 1 GG, verletzt wären. 104 Auch wenn in diesem Sinne Vorschriften des Grundgesetzes eine Einzelfallabweichung nicht ausschließen, können stets noch Planungen beispielsweise einer Fraktion, in bestimmter Weise zu einem Gegenstand der parlamentarischen Verhandlung Stellung zu nehmen, durchkreuzt werden und damit Partizipationsrechte in ihrem nicht mehr verfassungsrechtlich unabdingbaren Randbereich betroffen werden, etwa weil wegen einer Verfahrensstraffung nicht mehr alle ursprünglich ins Auge gefaßten Einwirkungen realisiert werden können. Diese Gefahr wird durch das zusätzliche Mehrheitserfordernis zwar nicht ausgeschaltet, wohl aber gemindert, weil einem guten Drittel der Abgeordneten das Recht eingeräumt wird, eine von der Geschäftsordnung abweichende Verfahrensweise zu verhindern. Bei dem Zielkonflikt zwischen der aus Gründen der Rechtssicherheit notwendigen strikten Einhaltung der Geschäftsordnung und einer den Besonderheiten des Einzelfalles gerecht werdenden Gestaltung der parlamentarischen Verhandlung gewährleistet das Erfordernis der qualifizierten Mehrheit das Maß an Rechtssicherheit, das der Tatsache gerecht wird, daß kleine parlamentarische Gruppen im Hinblick auf die Grundsätze der demokratischen Verhandlung des besonderen Schutzes bedürfen. 10S Auf die aus diesen Feststellungen zu ziehenden Konsequenzen hinsichtlich der Vorgehensweise der Mehrheit des Bundestages bei der Beratung des Haushaltsgesetzes 1984 wird im Zusammenhang mit der Gefahr der Umgehung des § 126 GeschOBT durch eine gesetzliche Regelung des parlamentarischen Verfahrens eingegangen,l06
104 RitzelJBücker, Handbuch für die parlamentarische Praxis, § 126 GeschOBT Anrn. e zählen als Beispiele nur im GG enthaliene minderheiten schützende Quoren, etwa Art. 39 Abs. 3 GG, auf. lOS Die parlarnentsrechdiche Liieratur sieht die Pflicht :rur grundsätzlichen Beachtung der Geschäftsordnungsregeln nicht als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips an, sondern verweist auf die minderheitsschützende Funktion der Geschäftsordnung. Vgl. Schäfer, Der Bundestag, S. TI u. S. 83; Scherer, F~OIlsgleichheit und Geschäftsordnungskompeienz des Bundestages, AöR 112 (1987) 189, 204ffmshes. S. 207-21Orn.w.N. 106 Siehe S. 155ff.
D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips
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Das Rückwirkungsverbot für Geschäftsordnungsänderungen und das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit für Einzelfallabweichungen sind formalrechtliche Sicherungen parlamentarischer Mitwirkungsrechte. 107 Nicht nur für Einzelfallabweichungen, für die es in § 126 GeschOBT ausdrücklich geregelt ist, sondern auch für generelle Änderungen ist jedoch wesentlich, daß der materielle Regelungsgehalt die Mitwirkungsrechte der Abgeordneten, Fraktionen und der Oppositionen in einer dem Grundgesetz entsprechenden Weise wahrt. Verstöße in diesem Bereich dingfest zu machen, gehört zu den schwierigsten Aufgaben des Parlamentsrechts. Hierzu ist eine Abwägung der genannten Rechte, bezogen auf den konkreten Regelungsgegenstand, unter Einbeziehung des weiteren Elements der Funktionstüchtigkeit des Parlaments erforderlich. Wie diese Abwägung erfolgen kann, wird sogleich unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit untersucht werden.
IV. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 1. Anwendbarkeit bei der parlamentarischen Selbstorganisation Es mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der nach allgemeiner Auffassung ein Element des Rechtstaatsprinzips ist,l08 auf dem Gebiete des Verfahrens und der Organisation des Parlaments zur Anwendung bringen zu wollen, handelt es sich doch hierbei um das klassische Abwägungsmodell im Bereich des staatlichen Eingriffs in die Bürgersphäre. beispielsweise im Polizeirech1. 109 Dieses Befremden weicht jedoch, führt man sich vor Augen, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Verhältnis des Staates zum Bürger dazu dient, widerstreitende im Grundgesetz
107 Die vorstehenden Erörterungen düIfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß in der Praxis der Fall, daß trotz formeller Einhaltung der Regeln der Geschäftsordnung Mitwirkungsrechte verletzt werden, weitaus häufiger sein wird. V gl. das instruktive Beispiel bei Konrad, Parlamentarische Autonomie und VeIfassungsbindung am GesetzgebungsveIfahren, DÖV 1971, SOff, wo in einem GesetzgebungsveIfahren im Land Hessen dadurch, daß kurz vor Abschluß der Ausschußberatungen und direkt vor, der abschließenden Plenarberatung auf Betreiben der Ministerialbürokratie noch einschneidende Anderungen an dem GesetzentwuIf vorgenommen werden, Mitwirkungsrechte verletzt werden, weil die Änderungen keine 2. Lesung im Plenum eIfahren. Die 2. Lesung stellt den Schwerpunkt..des GesetzgebungsveIfahrens dar, weil in ihr alle Vorschriften des Gesetzes einzeln beraten und Anderungsanträge, auch von einzelnen Abgeordneten, zu allen Punkten des EntwuIfs eingebracht werden kÖlUlen, vgl. Konrad, a.a.O. S. 82. 108 BVeIfG Beschl. v. 15.12.1965, BVeIfGE 19, 342, 348f; Leibhol:lJRinck/Hesselberger GGKom, An. 20, Rdnr. 776; Schneider, Zur Verhältnismäßigkeits-Kontrolle insbesondere bei Gesetzen, in: BundesveIfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. II, 39Of; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 IV 7 a, S. 861. 109 Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 IV 7 b, S. 863.
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
verankerte Wertungen miteinander in Einklang zu bringen, d.h. die Grundrechtspositionen der durch die Maßnahme Betroffenen zu den staatlichen Interessen, die den Eingriff rechtfertigen sollen, ins Verhältnis zu setzen. Die Aufgabe, grundgesetzliche Wertungen zu harmonisieren, stellt sich auch im parlamentsinternen Bereich. Von den oben aufgezählten Wertungen werden zumeist aus dem Grundsatz der Funktionstüchtigkeit des Parlaments resultierende Erfordernisse mit Abgeordneten-, Fraktions- und Oppositionsrechten sowie dem Grundsatz der Beteiligung aller Abgeordneten an den Arbeiten des Parlaments in Einklang zu bringen sein. Der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kann nicht entgegengehalten werden, im Staatsorganisationsrecht sei für Abwägungen kein Raum. lIO Es ist vielmehr deutlich zu düferenzieren. Soweit es um im Grundgesetz begründete Kompetenzen der Velfassungsorgane geht und um die Verteilung dieser Kompetenzen, sind Abwägungen nicht gestattet. Darauf wird im Zusammenhang mit der Frage, ob Geschäftsordnungsangelegenheiten des Parlaments durch Gesetz geregelt werden dürfen, zurückzukommen sein. Bei den konkreten grundgesetzlichen Ausgestaltungen des Gewaltenteilungsgrundsatzes ist der durch Auslegung zu ennittelnde Zuständigkeitsbereich eines Organs eine streng zu beachtende Grenze. Anders verhält es sich in Bereichen, für die der Verfassung nur fragmentarische Eckdaten zu entnehmen sind, die der weiteren praktischen Ausgestaltung bedürfen. Bei dieser Konkretisierung sind die einzelnen grundgesetzlichen Wertungen im Wege der Abwägung miteinander in Einklang zu bringen. 1ll Gerade für den parlamentsintemen Bereich enthält das Grundgesetz nur spärliche und teilweise sogar widersprüchliche Wertungen. Die Funktionstüchtigkeit des Parlaments, die u.a. eine schnelle Arbeitsweise des Parlaments verlangt, und die repräsentative Stellung des einzelnen Abgeordneten, der durch eine Vielzahl von Fartizipationsrechten am besten Rechnung getragen würde, zeigen dies. Da die parlamentarische Tätigkeit in einem geordneten Verfahren verlaufen muß, ist auf der Grundlage weniger konkreter organisations- und verfahrensrechtlicher Regelungen zusammen mit den genannten weiten, aber grundlegenden Wertungen eine Verfahrensordnung zu schaffen. Dabei sind die .bruchstückhaften, nicht systematisch gegliederten und nicht widerspruchsfreien Wertungen zu einer verträglichen Einheit zu verbinden. Nur dann ist die Weite
So aber Leisner, Die quantitative Gewaltenteilung, DÖV 1969,405,408. Vgl. Schulze-Fielitz, Der Fraktionslose im Bundestag: Einer gegen alle?, DÖV 1989, 829, 833; Wahl, Genehmigung und Planungsentscheidung, DVBI. 1982,51, 55f. 110
III
D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips
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des Grundgesetzes in diesem Bereich, die der gestalterischen Bewältigung wechselnder konkreter politischer Situationen dient, im Sinne der einheitstiftenden, integrativen Funktion der Verfassung richtig verstanden. ll2 Diese Aufgabe kann nur im Wege der Abwägung und nicht durch Verabsolutierung einzelner Wertungen bewältigt werden. Auch die Kontrollgremienentscheidung des Bundesverfassungsgerichts läßt deutlich werden, daß abzuwägen ist. ll3 Zwischen der Abwägung, die der Regelungszuständige - hier der Bundestag vorzunehmen hat, und deren verfassungsgerichtlicher Kontrolle ist klar zu unterscheiden. Wenn sich das Bundesverfassungsgericht bei seiner Kontrolle parlamentarischer Verfahrensregelungen sicherlich mit Blick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung Zurückhaltung auferlegt,114 so bedeutet dies noch keinesfalls, daß der Bundestag bei der von ihm vorzunehmenden Abwägung weitestgehend frei ist Er bleibt bei einem normativen Verfassungsverständnis, das hier zu Grunde gelegt wird,llS aufgerufen, eine Optimierung bei der Harmonisierung der verschiedenen grundgesetzlichen Wertungen zu versuchen. Schwerwiegender ist der gegen die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Regelung der inneren Angelegenheiten des Parlaments mögliche Einwand, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordere eine einfache Zweckstruktur der an ihm zu überprüfenden staatlichen Handlung, und er sei auf so komplexe Materien wie die Gestaltung einer Verfahrensordnung nicht anwendbar. 116 In der Tat liegt der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei staatlichen Eingriffen in die Grundrechtssphäre der Bürger eine eindimensionale Zweckstruktur zu Grunde. Es wird bezogen auf eine konkrete Eingriffshandlung gefragt, ob diese dazu tauglich ist, das mit ihr erstrebte Ziel zu erreichen, ob es nicht ein weniger einschneidendes, aber zur Zielerreichung gleich wirksames Mittel gibt und ob nicht das eingesetzte Mittel das Rechtsgut, in das eingegriffen wird, so stark beeinträchtigt, daß das Ziel, um dessentwillen es eingesetzt wird, den Eingriff nicht in dieser Form rechtfertigt, wobei voraus-
Vg!. Hesse, Verfassungsrecht, Rdnm. 36f, S. 15 u. Rdnr. 6, S. 5f. BVerfG., Vrt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, 359 u. 364. 114 Vg!. BVerfG, Vrt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, 364; die Frage, welcher gerichtliche Kontrollrnaßstab (Kontrolldichte ) bei parlamentarischen Verfahrens- und Organisationsregelungen angemessen ist, bedarf gesonderter, eingehender Erörterung, die im Rahmen dieser Arbeit unterbleibt. 115 Vgl. hierm Hesse, Verfassungsrecht, Rdnm. 41ff, S. 16ff. 116 Abmeier, Die parlamentarischen Befugnisse des Abgeordneten des Deutschen Bundestages nach dem Grundgesetz, S. 7Of, insbesondere bezogen auf das Erforderlichkeitskriteriurn des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. 112 113
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
gesetzt wird, daß das erstrebte Ziel überhaupt von der Rechtsordnung sanktioniert ist. ll7 Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne findet regelmäßig eine Abwägung zwischen zwei materiellen Gütern statt. Bei der parlamentarischen Verfahrensgestaltung ist deutlich, daß sich diese Abwägung nicht auf zwei Güter reduzieren läßt. Vielmehr sind fast immer alle oben genannten Wertungen miteinander in Einklang zu bringen. Es geht um eine mehrdimensionale Zweckstruktur, um eine mehrpolige Zielausrichtung. Dieser Befund zwingt indes nicht dazu, die Waffen zu strecken und sich mit der Feststellung zu begnügen, es habe eine Gesamtabwägung der konkret betroffenen Wertungen stattzufinden. 118 Auszugehen ist vielmehr davon, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der beschriebenen, von Lehre und Rechtsprechung herausgebildeten Fonn, im Grundgesetz an keiner Stelle verankert ist. Eindeutig ist aber dem Grundgesetz, insbesondere den Grundrechten, zu entnehmen, daß in die Freiheitsverbürgungen nicht übennäßig, d.h. nicht mehr als um des rechtlich legitimen Zieles Willen unerläßlich, eingeriffen werden darf. 1l9 Aus diesem Grunde wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz teilweise auch aus den Grundrechten abgeleitet. l20 Dieser Bezug zu den materiellen Wertungen macht die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deutlich. Er ist in seiner hergebrachten Fonn ein probates technisches Hilfsmittel, um Güterabwägungen in einer Weise durchzuführen, die es weitestgehend sicherstellt, daß alle abwägungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Er dient der von der Verfassung geforderten Rationalität und dem allgemeinen Maßhalten staatlichen Handelns und damit dem Kampf gegen Willkür. 121 Diese gerade im parlamentarischen Bereich unabdingbaren Ziele zwingen dazu, darüber nachzudenken, wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für die dort erforderlichen mehrdimensionalen Abwägunsgvorgänge fruchtbar gemacht
117 Vgl. zu den Einzelelementen des Vemältnisrnäßigkeitsgrundsatzes Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 IV 7 e, S. 866f. 118 So im Ergebnis Abmeier, Die parlamentarischen Befugnisse des Abgeordneten des
Deutschen Bundestages nach derr. Grundgesetz, S. 71ff. 119 BVerfG, Besch!. v. 15.12.1965, BVerfGE 19,342,349. 120 BVerfG, Besch!. v. 15.12.1965, BVerfGE 19,342, 348f; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 IV 7 d,S.865frn.w.N. 121 Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 IV 7 a, S. 863.
D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips
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werden kann. l22 Hierzu ist die Struktur des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes heranzuziehen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erreicht Rationalität dadurch, daß einzelne Fragestellungen deutlich voneinander abgesetzt werden. Auf einer ersten Stufe wird die Tauglichkeit eines bestimmten Mittels zur Erreichung des intendierten Ziels geprüft. Auf der nächsten Stufe wird zum Denken in Alternativen angehalten, indem ein Vergleich mit anderen zur Zweckerreichung dienlichen Mitteln gefordert wird. Auf der letzten Prüfungsstufe hat eine konkrete Abwägung und Wertung &r im Spiel befmdlichen Rechtsgüter stattzufinden. Diese Grundstruktur ist bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf Fragen des parlamentarischen Verfahrens beizubehalten. 2.Vorschlag für die Handhabung beim Erlaß parlamentarischer Organisations- und Verfahrensvorschriften
a) Einschätzung des Regelungsbedarjs Anders als beim staatlichen Eingriff in die Freiheitssphäre des Bürgers, bei dem sich die konkrete Maßnahme regelmäßig aus einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage ergibt und im Wege der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu ermitteln ist, ob die durch das Gesetz vorgegebene Maßnahme im konkreten Anwendungsfall angemessen ist, besteht die Aufgabe bei der Schaffung einer parlamentarischen Verfahrensordnung darin, solche Regelungen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu schaffen. Regelungsanlaß werden dabei zumeist aus der Herstellung, Erhaltung oder Steigerung der Funktionstüchtigkeit sich ergebende Notwendigkeiten sein. Denkbar ist es aber auch, daß ein Regelungsvorhaben von dem Bestreben um Vermehrung der Rechte des einzelnen Abgeordneten oder von dem Ziel der Verstärkung der Kontrollrechte der Opposition gegenüber der Regierung getragen wird. Bei der Einschätzung dessen, was beispielsweise zur Schaffung oder Erhaltung der Funktionstüchtigkeit des Parlaments tatsächlich notwendig ist, ist der Bundestag weitgehend frei. Die in diesem Bereich zu treffenden Feststellungen beruhen auf einer Einschätzung von Gefahren für den Arbeitsablauf und die Aufgabenerledigung des
122 Vgl. BVerfG, Un. v. 8.2.1977, BVerfGE 43,242,288: ..... der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Ausprägung des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips, dessen Geltung nicht auf bestimmte Rechtsgebiele beschränkt ist".
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
Parlaments und basieren zwangsläufig auf Voraussagen über die zukünftigen Auswirkungen sowohl der konkreten politischen Zusammensetzung des Parlaments als auch der auf dieser Grundlage ins Auge gefaßten konkreten organisations- und verfahrenstechnischen Maßnahmen. Der durch die Einschätzung des Tatsächlichen bedingte prognostische Charakter eröffnet der entscheidungstragenden Parlamentsmehrheit einen Einschätzungsfreiraum. Dieser Einschätzungsfreiraum, der jeder rechtsetzenden Tätigkeit zu eigen ist, ist einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht zugänglich. Er ist Ausdruck der Selbständigkeit des Bundestages bei der Geschäftsordnungsgebung. Der in diesem Rahmen festgestellte Regelungsbedarf ist nur damit angreifbar, daß er auf einer groben und offenkundigen Verkennung der konkreten politischen parlamentarischen Situation oder parlamentarischer Funktionszusammenhänge beruht. Der Begriff Funktionszusammenhang bezeichnet dabei zum einen die durch das Grundgesetz vorgegebene verfassungsrechtliche Stellung des Bundestages. Zum anderen sind damit aus der Eigenschaft als mitgliederstarkes Kollegialorgan resultierende tatsächliche organisatorische Notwendigkeiten gemeint. Zur Feststell~ng, ob eine grobe und offenkundige Verkennung vorliegt, kann auf den Erfahrungshorizont eines erfahrenen Parlamentariers abgestellt werden. Ein Beispiel soll die auf dieser Ebene zu treffenden Feststellungen verdeutlichen. Zur Bewältigung der dem Bundestag obliegenden Arbeiten ist arbeitsteiliges Vorgehen unumgänglich. Zur Organisation dieser Arbeitsteilung ist die Errichtung ständiger Ausschüsse notwendig, auf die sich die Abgeordneten verteilen müssen. ln Damit das Ziel der Arbeitsteilung durch Ausschußarbeit erreicht wird, müssen sich alle Abgeordneten gleichmäßig auf sämtliche Ausschüsse verteilen. Diese Verteilung wird ab einem bestimmten Stadium der Ausschußorganisation nicht mehr auf der Basis freiwilliger Einigung der Abgeordneten untereinander möglich sein. Das Spektrum der rationalen und irrationalen Gründe für die Ausschußbesetzungswünsche ist groß. Das hohe Sozialprestige einiger Ausschüsse (z.B. Ausschuß für auswärtige Angelr~nheiten), die hohe Publizitätswirksamkeit anderer, die besondere politische Bedeutung der im Ausschuß wahrgenommenen Aufgaben (z.B. Haushaltsausschuß) oder das mögliche Bestreben der Vielzahl der aus der Beamtenschaft kommenden Abgeordneten, ihre praktische Verwaltungserfahrung, z.B. im Innenausschuß,
In Vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.5.1977, BVerfGE 44,308,318; Kürschner, Die Statusrechte des fraktionslosen Abgeordneten, S. 114; Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, S. 136.
D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips
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wirksam werden zu lassen, sind nur einige mögliche Motive. l2A Hieraus folgt für die Parlamentsorganisation die tatsächliche Notwendigkeit, daß im Ausschußbesetzungsverfahren Entscheidungen darüber getroffen werden müssen, welcher Prätendent welchen Ausschußsitz erhält.
b) Zusammenstellung der Regelungsalternativen Ist auf dieser Ebene ein in eine bestimmte Richtung zielender Regelungsbedarf festgestellt, so wird diesem regelmäßig durch verschiedene konkrete Organisations- und Verfahrensregelungen Rechnung getragen werden können. Diese konkreten Regelungsmöglichkeiten sind zusammenzustellen. Bei der Sammlung der Regelungsalternativen wird die Heranziehung historischer Vorläufer, der Vergleich mit Geschäftsordnungen der Länderparlamente und ausländischer Parlamente, aber auch ein Blick auf die Regelungen, die große Kollegialorgane juristischer Personen des Privatrechts betreffen (z.B. Hauptversammlung der Aktionäre einer Aktiengesellschaft), hilfreich sein. Zur Verdeutlichung dieses Schrittes sei auf das eben angeführte Beispiel zurückgegriffen. Die Feststellung der Notwendigkeit von Entscheidungen im Ausschußbesetzungsverfahren eröffnet eine ganze Palette von Regelungsmöglichkeiten bei der praktischen Umsetzung. Möglich ist es, das Plenum über die Besetzung sämtlicher Ausschußsitze aufgrund von Vorschlagslisten der Fraktionen entscheiden zu lassen. Denkbar ist es auch, eine Plenarentscheidung nur über die Besetzung derjenigen Ausschußsitze herbeizuführen, über die in einem vorgeschalteten fraktionsinternen Besetzungsverfahren keine Einigung auf freiwilliger Basis erzielt wurde. Losentscheid oder Wahl sind mögliche Formen der Entscheidung zwischen mehreren Bewerbern um einen Ausschußsitz. Besonders zahlreich sind die möglichen Entscheidungsträger. Dies können die Fraktionen sein. Innerhalb dieser könnte der Fraktionsvorstand allein zuständig sein oder aber die Gesamtfraktion oder eine innerfraktionelle Arbeitsgruppe. Denkbare Entscheidungsträger sind weiterhin neben dem Bundestagsplenum ein von diesem gewähltes Gremium oder der als Koordinationsorgan stets gebildete Ältestenrat. Vorstellbar ist es aber auch, daß der zur Neutralität verpflichtete Bundestagspräsident in den freiwillig nicht zu lösenden Fällen entscheidet. Zusammengefaßt eröffnet die Regelung der Frage, welcher Entschei-
12A Vgl. zur Bedeutung der Ausschußbesetzung, Dexheimer, Die Mitwirkung der Bundestagsfraktion bei der Besetzung der Ausschüsse, in: Festgabe Blischke, 259, 260; Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, S. 127.
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
dungsträger in welchem Verfahrensstadium in welcher Art und Weise über die personelle Besetzung der Ausschüsse entscheidet, vielfaItige Lösungsmöglichkeilen. Eine solche Vielzahl von Regelungsaltemativen wird es bei der Mehrzahl parlamentarischer Regelungsvorhaben geben. c) Verhältnismäßigkeitsprüjungen Auf der Grundlage dieser Zusammenstellung der Regelungsmöglichkeiten hat die Verhältnismäßigkeitsprüfung anzusetzen. Der Vielzahl der bei der Regelung des parlamentarischen Verfahrens zu beachtenden materiellen Wertungen ist dabei dadurch Rechnung zu tragen, daß die denkbaren Regelungsmöglichkeiten gesondert auf ihre Verhältnismäßigkeit, bezogen auf die einzelnen materiellen Wertungen, geprüft werden, d.h. getrennt bezogen auf die verfassungsrechtliche Stellung der Abgeordneten, insbesondere im Hinblick auf deren Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an allen parlamentarischen Arbeiten, dann auf die Stellung der Fraktionen und der Opposition sowie der weiteren Grundelemente der demokratischen Verhandlung, aber auch, etwa wenn die Stärkung der Abgeordnetenrechte Regelungsanlaß ist, bezogen auf die Funktionstüchtigkeil des Parlaments. Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung sind dabei die gesammelten Lösungsmöglichkeiten daraufhin durchzumustern, ob es nicht im Hinblick auf die konkret geprüfte materielle Wertung (z.B. die Stellung der Fraktionen) mildere, aber gleichermaßen wirksame Regelungsmöglichkeiten gibt Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne ist zu fragen, ob nicht der Eingriff in die konkret geprüfte materielle Wertung so stark ist, daß auf eine Regelung in dem intendierten Sinne ganz verzichtet werden sollte. Geboten erscheint das dann, wenn Regelungsanlaß lediglich das Bestreben um eine Steigerung der Funktionstüchtigkeit des Bundestages ist und nicht einer Notwendigkeit zur Erhaltung derselben entspringt. In diesen Fällen wird die bei einem Verzicht auf die Regelung eintretende Einbuße hinsichtlich der Funktionstüchtigkeit regelmäßig geringer sein als die durch die Regelung bewirkte Beeinträchtigung, beispielsweise der Rechte der einzelnen Abgeordneten. Sind auf diese Weise die tatsächlichen Lösungsmöglichkeiten auf ihre Verhältnismäßigkeit in bezug auf sämtliche sachlich einschlägigen materiellen Wertungen durchgeprüft worden, sind die Ergebnisse dieser Einzelprüfungen zu vergleichen. Stellt sich eine Lösungsmöglichkeit heraus, die hinsichtlich aller materiellen Wertungsgesichtspunkte verhältnismäßig ist, so ist diese zu wählen. Ergibt sich, daß eine der Lösungsmöglichkeiten übermäßig die Rechte der einzelnen Abgeordneten tangiert, aber im Hinblick auf die übrigen Wertun-
D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips
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gen verhältnismäßig ist, und eine andere Lösungsmöglichkeit zwar die Rechte der einzelnen Abgeordneten schont, dafür aber im Übermaß die Rechte der Fraktionen beschneidet, so ist dies zunächst einmal Anlaß, sich erneut die Frage vorzulegen, ob der Regelungsbedarf so lIDumgänglich ist, daß einer der festgestellten übermäßigen Eingriffe unabdingbar ist. Ist der Regelungsbedarf unabwendbar, sind die bei den einzelnen Regelungsalternativen festgestellten Eingriffe in ihrer Stärke und Tragweite miteinander zu vergleichen, wobei die einzelnen betroffenen materiellen Wertungen in ihrer konkreten, regelungssituationsbezogenen Bedeutung für den obersten Grundsatz demokratischer Verhandlung, nämlich der grundsätzlichen Beteiligung aller Abgeordneten an den Arbeiten des Parlaments, zu gewichten sind. Die am wenigsten in materielle Positionen eingreifende Regelungsmöglichkeit ist zu wählen. Festzuhalten ist, daß es bei diesem wertenden Vergleich ohne Zweifel die Möglichkeit gibt, Wertungsakzente unterschiedlich zu setzen. Wichtig ist, daß überhaupt ein solcher Vergleich durchgeführt wird, um Rationalität bei der Verfahrensgestaltung obwalten zu lassen. d)Zusanvne~assung
Zusammenfassend ist für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Regelung des parlamentarischen Verfahrens festzuhalten: Auf der Grundlage der verschiedenen praktischen Lösungsmöglichkeiten für ein bestimmtes Regelungsziel sind die einzelnen Regelungsmöglichkeiten je gesondert auf ihre Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, bezogen auf die einzelnen sachlich einschlägigen materiellen Wertungen, zu übe'i,rüfen. Der Mehrdimensionalität bei der parlamentarischen Verfahrensgestaltung ist dadurch Rechnung zu tragen, daß der konkreten Sachlage entsprechend unter den die Komplexität der jeweiligen Regelungsaufgabe ausmachenden Gesichtspunkten mehrfach mit der Prüfung der Verhältnismäßigkeit angesetzt wird. Die bei diesen Einzelprüfungen erzielten Ergebnisse sind wertend miteinander zu vergleichen, und es ist die Regelung zu wählen, die im Hinblick auf die verfassungsmäßigen Rechte der am parlamentarischen Verfahren Beteiligten die schonendste ist.
7 Bollmann
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
3. Verfahren zur Beratung der Wirtschaftspläne der Geheimdienste in der 10. Legislaturperiode
a) Sicherung der Geheimhaltung durch Bildung kleiner Gremien? Die Vorgehensweise des Bundestages bei der Beratung der Wirtschaftspläne der Geheimdienste beruht auf der Prämisse, daß es aus Gründen der Geheimniswahrung bei der Beratung sicherheitssensibler Verhandlungsmaterien notwendig ist, die Zahl der Geheimnisträger gering zu halten und kleine Gremien zu bildenP5 Die Notwendigkeit der Geheimniswahrung bei der Erörterung von Angelegenheiten der geheimen Dienste des Bundes bedarf keiner weiteren Erörterung. Die Geheimniswahrung bei der parlamentarischen Behandlung dieser Angelegenheiten ist ein Unterfall der Funktionstüchtigkeit des Parlaments, dessen Besonderheit darin besteht, daß die verfassungsrechtIich grundsätzlich gebotene Öffentlichkeit der Parlaments verhandlungen (Art. 42 Abs. 2 GG) in diesem speziell~n Bereich nicht sachangemessen ist. Die Feststellung, welche Beratungsgegenstände der Geheimniswahrung unterliegen, ist zunächst Aufgabe der Bundesregierung, d.h. der zuständigen Ressortminister, die aufgrund ihres konkreten Einblicks in die Aktivitäten der Geheimdienste zu beurteilen haben, was in welcher Form notwendig der Geheimhaltung unterliegt. l26 Im Rahmen ihrer Regierungsverantwortung haben sie dabei die Verpflichtung zur Wahrung von Dienstgeheimnissen mit der Informationspflicht gegenüber dem Parlament in Einklang zu bringen. Für den Bundestag ergibt sich aus dessen notwendiger Teilhabe am geheimen Wissen der Regierung im Rahmen der Beurteilung der Wirtschaftspläne der Geheimdienste die Aufgabe, bei der Wahl der Beratungsform der betreffenden Haushaltsansätze zwischen den Aufgaben bei der Haushaltsgesetzgebung, Geheimhaltungsbelangen und der grundsätzlichen Öffentlichkeit der parlamentarischen Verhandlung abzuwägen.l 27 Dabei liegt die Beurteilung, welche von der Regierung zur Verfügung gestellten Unterlagen der Geheimhaltung unterliegen und welche Informationen im Hinblick auf die Geheimnis-
125 Hiervon wurde nicht nur in der 10. Legislaturperiode ausgegangen, sondern auch in den vorausgegangenen, in denen zur Beratung der genannten Wirtschaftspläne Unterausschüsse der Haushaltsausschüsse gebildet wurden. 126 BVerfG, Urt. v. 17.7.1984, BVerfGE 67,100,137; Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, 359. 127 BVerfG, Urt. v. 17.1.1984, BVerfGE 67, 100, 135f; Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, 359.
D. Ausgewählte EinzeleIernente des Rechtsstaatsprinzips
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wahrungspflichten der Regierung überhaupt von dieser angefordert werden, in der persönlichen Verantwortung der parlamentarischen Entscheidungsträger. Das sind die im Haushaltsausschuß tätigen Abgeordneten sowie insbesondere dessen Vorsitzender. Aus der Natur der Sache folgt, daß die in diesem Zusammenhang notwendigen Einschätzungen keiner weiteren juristischen Überprüfung zugänglich sind. Von der Beurteilung dessen, was geheimhaltungsbedürftig ist, ist die Frage, wie Geheimhaltung konkret zu gewährleisten ist, zu unterscheiden. Die in diesem Rahmen von der Mehrheit des Bundestages gezogene Schlußfolgerung, zur Geheimniswahrung sei die Bildung kleiner Gremien notwendig, ist Zweifeln ausgesetzt. Auszugehen ist davon, daß alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages zur Wahrung der ihnen im Rahmen ihrer Abgeordnetentätigkeit bekannt gewordenen Geheimnisse verpflichtet sind, wenn ein Beschluß des Bundestages sie hierzu verpflichtet, vgl. § 353 b Abs. 2 Nr. 1 StGB. Geheimhaltungsinteressen bei der parlamentarischen Arbeit sind zunächst einmal grundsätzlich durch den Ausschluß der Öffentlichkeit zu wahren, nicht aber durch einen Ausschluß der Abgeordneten von der Beratung und die damit einhergehende Beeinträchtigung ihres Rechts auf gleichberechtigte Teilhabe an den Arbeiten des Parlaments. Die Art. 42 Abs. I S. 2,44 Abs. 1 S. 2,45 a Abs. 3 und u. 53 a GG belegen das.l 28 Überdies treten bei einer Überprüfung der Parlamentspraxis hinsichtlich der Frage, wie viele Mitglieder ein Gremium höchstens haben darf, um die Geheimniswahrung zu gewährleisten, nicht mehr verständliche Unterschiede an den Tag. Sämtlichen 35 bzw. 27 Mitgliedern der Ausschüsse für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung werden unterschiedslos auch Geheimunterlagen zur Verfügung gestellt.l 29 Während die Parlamentarische Kontrollkommission nach dem Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes in der 10. Legislaturperiode aus acht Abgeordneten bestand,lJO hatte das nach denselben Vorschriften gebildete Gremium zur Überprüfung und Genehmigung der Haushaltsmittel für die Geheimdienste nur fünf Mitglieder.
128 Vgl. BVerfG, Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, Sondervoturn Mahrenholz, 366 372. 129 BVerfG, Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, Sondervoturn Mahrenholz, 366,370. 130 Steno 7"
Ber. 10. WP, 8. Sitzung (19.5.1983), S. 390 (B).
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
Während nun auf Bundesebene fünf von 518 Abgeordneten das zur Geheimniswahrung Gebotene sein sollen, ist man auf Landesebene, nämlich in Bayern, davon ausgegangen, daß die Geheimhaltung noch bei einer Ausschußgröße von 11 Abgeordneten gewährleistet ist. l3l Der elfte Bayerische Landtag hatte beschlossen, den Ausschuß für Sicherheitsfragen und den Ausschuß für Bundesund Europaangelegenheiten mit 11 Abgeordneten zu besetzen. 132 Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat dazu festgestellt, daß im nicht sicherheitssensiblen Bereich (Ausschuß für Bundes- und Europaangelegenheiten) eine Ausschußgröße von 12 bzw. 13 Abgeordneten geboten sei, um dem Verfassungsgebot nach Beteiligung aller im Landtag vertretenen Fraktionen Rechnung zu tragen.!33 Er hat ferner festgestellt, daß im sicherheitssensiblen Bereich (Ausschuß für Sicherheitsfragen) eine Ausschußgröße von 11 Abgeordneten die verfassungsrechtIich nicht zu beanstandende Gremiengröße zur Wahrung von Geheimhaltungsinteressen sei. l34 Die Frage, ob die Geheimhaltung sichergestellt ist, reduziert sich in diesem Beispiel darauf, ob ein oder zwei Abgeordnete mehr oder weniger in dem Gremium mitarbeiten. Dem Bürger wird diese feinnervige juristische Differenzierung nicht mehr verständlich zu machen sein. Das liegt nicht an der Kompliziertheit des juristischen Gedankengangs, sondern vielmehr daran, daß juristische Argumentationskunst zur Rechtfertigung eines Politikums benutzt wurde, denn der elfte und zwölfte Abgeordnete wären Mitglieder der Landtagsfraktion der GRÜNEN gewesen. 135 Nicht verständlich ist schließlich auch der folgende Wertungsunterschied. Im Gemeinsamen Ausschuß haben jetzt 32 Mitglieder des Bundestages zusammen mit jetzt 16 weiteren Bundesratsmitgliedern im Verteidigungsfall stellvertretend für zwei Verfassungsorgane schwerwiegende, den äußeren Bestand der
Vgl. BayVerfGH, Entsch. v. 14.12.1988, NlW 1989, 1918ff. Vgl. BayVerfGH, Entsch. v. 14.12.1988, NlW 1989, 1918ff. 133 BayVerfGH, Entsch. v. 14.12.1988, NlW 1989, 1918, 1919. 134 BayVerfGH, Entsch. v. 14.12.1988, NlW 1989, 1918, 1919f. 13S Der Anmerkung der NlW-Schriftieitung zum Abdruck dieses Urteils in NlW 1989, 1920 ist zu entnehmen, daß zwei Mitglieder des erkennenden Gerichts ein Sondervotum des Inhalts abgegeben haben, daß sie den faktischen Ausschluß einer Fraktion aus dem Sicherheitsausschuß für nicht verfassungsgemäß halten. Daß die dargelegte Differenzierung im Ergebnis nicht mehr verständlich ist, ist auch der Senatsmehrheit nicht verborgen geblieben. Sie hat die Notbremse dergestalt gezogen, daß die Verhandlungsgegenstände des elfköpfigen Ausschusses für innere Sicherheit eng auf geheL.haltungsbedürftige Angelegenheiten begrenzt werden müssen, weil in dem Ausschuß nicht alle Landtagsfraktionen vertreten sind; vgl. BayVerfGH, Entsch. v. 14.12.1988, NlW 1989, 1918, 1920. Das ist indes eine aus dem Grundsatz der gleichberechtig ..:n Teilnahme aller Abgeordneten an der Parlamentsarbeit folgende Selbstverständlichkeit. Vgl. zu den Schwierigkeiten, die zur Geheimniswahrung gebotene Größe eines Ausschusses festzulegen auch Dreier, Regelungsform und Regelungsinhalt des autonomen Parlamentsrechts, JZ 1990,310,320. 131
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D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips
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Republik betreffende Entscheidungen zu fallen, die zumindest teilweise auch geheimhaltungsbedürftig sind. Dagegen sollen die 37 ordentlichen Mitglieder des Haushaltsausschusses nicht in der Lage sein, die ihnen beim nonnalen Geschäftsgang des Parlaments bekanntwerdenden Geheimnisse zu wahren. Die hierin liegende Diskrepanz in der Einschätzung der Fähigkeit der Abgeordneten, Verantwortung zu tragen und Geheimhaltung zu wahren, ist nicht erklärlich. Jedoch kann dem Argument, daß eine kleine Zahl von Geheimnisträgern ein probates Mittel zur Geheimniswahrung ist, nicht die sachliche Richtigkeit abgesprochen werden. Selbst die generelle Strafbewährung des Geheimnisbruchs (§ 353 b Abs. 2 Nr. I StGB) und die sich daraus ergebenden weiteren Strafdrohungen, daß durch Veröffentlichung konkreter Aktivitäten der Geheimdienste Menschenleben gefährdet werden können, haben nur begrenzte präventive Wirkung. Die Entscheidung für kleine Gremien zur Geheimniswahrung liegt im Bereich der Einschätzung des faktisch zur Herstellung der Funktionstüchtigkeit des Parlaments Notwendigen. Sie ist nach der hier vertretenen Auffasssung nur dann nicht haltbar, wenn sie auf einer groben und offensichtlichen Verkennung parlamentarischer Wirkungszusammenhänge beruht. Da das nicht der Fall ist, ist die Entscheidung trotz der dargelegten Bedenken hinzunehmen und bei den folgenden einzelnen Verhältnismäßigkeitsprüfungen zugrunde zu legen.
b) Verhältnismäßigkeit der Vorgehensweise im einzelnen aa) Geheimniswahrung durch Versagung von Detailinformationen vor der Haushaltsverabschiedung Bei den einzelnen VerhältnismäßigkeitspTÜfungen ist mit der Frage anzusetzen, ob es zur Wahrung von Geheimschutzinteressen verhältnismäßig ist, daß kein Abgeordneter des Bundestages bei der Verabschiedung des Haushalts Kenntnis vom Inhalt der Wirtschaftspläne für die Geheimdienste des Bundes und damit von den konkret geplanten nachrichtendienstlichen Tätigkeiten hat, sondern nur die Gesamtsumme der hierfür geplanten Ausgaben bekannt ist. Ohne jeden Zweifel ist eine solche Vorgehensweise zur Wahrung von Geheimhaltungsinteressen geeignet, denn wenn kein Abgeordneter Detailkenntnisse hat, bleiben diese sicher geheim. Erforderlich ist ein derartiges Vorgehen Jedoch nicht. Das bis 1983 praktizierte Verfahren, bei dem in einem Unterausschuß des Haushaltsausschusses in der Phase der Ausschußberatung
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
des Haushaltsgesetzentwurfs unter Anwendung der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages die Details zur Kenntnis gebracht wurden und von diesen beraten und darüber entschieden wurde, macht deutlich, daß es möglich ist, bei gleichzeitiger Wahrung von Geheimhaltungsinteressen zumindest einigen Abgeordneten vor der Beschlußfassung über das Haushaltsgesetz konkrete Infonnationen über die geplanten Aktivitäten der Dienste und die dafür erforderlichen Ausgaben zukommen zu lassen. Diese Abgeordneten können aufgrund der ihnen unterbreiteten Infonnationen ihren Fraktionskollegen einen Abstimmungsvorschlag für die Plenarabstimmung unterbreiten. Die Nichtinfonnation sämtlicher Abgeordneter über die geplanten Ausgaben für die Geheimdienste vor der Verabschiedung des Haushaltes verstößt gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, weil es Belange des Geheimschutzes wahrende Möglichkeiten gibt, zumindestens einigen Abgeordneten vor der Abstimmung genaue Kenntnisse über die Details des Haushalts zu verschaffen. 136
bb) Verzicht auf Fraktionsproporz zur Bildung kleiner Gremien Weiter ist zu fragen, ob es aus Gründen des Geheimschutzes verhältnismäßig ist, ein Gremium zu bilden, das so klein ist, daß keine Berücksichtigung der Fraktionen entsprechend ihrem Stärkeverhältnis möglich ist. Immer dann, wenn es im Parlament beträchtliche Größenunterschiede zwischen den einzelnen Fraktionen gibt, ist eine das genaue Stärkeverhältnis berücksichtigende Bildung von Ausschüssen nur noch um den Preis des Verzichts auf kleine Gremien möglich. Damit ist der Verzicht auf eine proportionale Besetzung zur Errichtung kleiner Gremien sowohl geeignet als auch erforderlich. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, ist die im Interesse der Geheimhaltung für notwendig gehaltene Gremiengröße zu der kleinstmöglichen noch proportionalen Gremiengröße in Beziehung zu setzen. Nur wenn sich bei diesem Vergleich erhebliche Größenunterschiede ergeben, ist der Verzicht auf die Proportionalität verhältnismäßig.
136 hn Ergebnis ebenso BVerfG, Urt. v. 14.1.1986, BverfGE 70,324, Sondervotum Mahrenholz, 366, 379, der ausführt, daß der Bundestag durch die Verabschiedung des § 4 Abs. 9 des Haushahsgesetzes 1984 den Beratungsbedarf des Bundestages anerkannt habe, aber bei dem Versuch, den Haushalt auch hinsichtlich dieser Positionen festzustellen, steckengeblieben sei. Die Mehrheitsmeinung des Senats übergeht diese Problematik, wenn sie ausführt, Haushaltsgrundsätze von Verfassungsrang geböten es nicht, daß die als Ausnahme auf vier Haushaltsansätze beschränkte ergänzende Beratung geheimer Wirtschaftspläne vor der Haushaltsverabschiedung stattrufinden habe (S. 358 des genannten Urteils) und im übrigen neben der nachträglichen Kontrollrnöglichkeit darauf verweist, vor der Haushaltsverabschiedung könnten rumindest Bedenken grundsätzlicher Art gegen die HaushaltsIDsätze vorgebracht werden (S. 356 des Urteils).
D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips
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Der Fraktionsproporz steht als parlamentsorganisatorische Ausdrucksform der Zustimmung der Wähler zu den einzelnen Parteien unter dem Schutz des Demokratieprinzips (Art.20 Abs.l, 2 GG).137 Kann der Fraktionsproporz bereits durch die zusätzliche Beteiligung einiger weniger Abgeordneter gewahrt werden, so ist der Eingriff in den Grundsatz der fraktionsstärkeproportionalen Besetzung der Ausschüsse im Vergleich zu der nur geringfügigen Beeinträchtigung von Geheimhaltungsinteressen durch einige wenige zusätzliche Geheimnisträger unverhältnismäßig. Das ist bei dem der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshof zugrundeliegenden Sachverhaltl 38 der Fall, wo durch Aufnahme zwei weiterer Abgeordneter der Grundsatz der Proportionalität gewahrt worden wäre. Anders dagegen bei dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegenden Sachverhalt. Dort wurden fünf Abgeordnete als Geheimhaltungsbelangen entsprechende Gremiengroße eingeschätzt, und eine proportionale Besetzung wäre erst ab einer Größe von 13 Abgeordneten möglich gewesen. Unter dem Gesichtspunkt der proportionalen Ausschußbesetzung ist der Verzicht auf die Proportionalität im Interesse der Bildung eines kleinen Gremiums zur Kontrolle der Haushaltsmittel für die Nachrichtendienste im konkreten Fall verhältnismäßig.
ce) Nichtbeteiligung kleiner Fraktionen zur Bildung kleiner Gremien Zu untersuchen ist ferner, ob es im Interesse der Bildung kleiner Gremien zur Geheimniswahrung verhältnismäßig ist, einzelne kleine Fraktionen nicht in das Gremium aufzunehmen. Zwar ist es grundsätzlich denkbar, daß im Parlament so viele Fraktionen vertreten sind, daß eine Beteiligung aller Fraktionen nur noch um den Preis der Aufgabe der Bildung kleiner Gremien möglich ist und damit die Nichtbeteiligung aller Fraktionen - will man von der Zielvorgabe eines kleinen Gremiums nicht abweichen - geeignet und erforderlich ist. Indessen muß diese Prüfung auf der Grundlage der konkreten parlamentarischen Verhältnisse erfolgen. In der 10. Legislaturperiode waren vier Fraktionen im Deutschen Bundestag vertreten, so daß an dem Grundsatz der Beteiligung aller Fraktionen wahrendes Vorgehen schon bei einem nur aus vier Abgeordneten bestehenden Gremium möglich gewesen wäre. Die Nichtbeteiligung der Frak-
137 Siehe S. 70; vgi. auch BVerfG, Un. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, Sondervotum Mahrenholz, 366, 369f, der den Verfassungsrang des Fraktionsproporzes aus dem in Art. 38 u. 42 GG niedergelegten Gesamtheitsprinzip herleiteL 138 BayVerfGH, Entsch. v. 14.12.1988, NJW 1989, 1918ff.
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
tion die GRÜNEN bei der Bildung des Gremiums zur Kontrolle der Wirtschaftspläne der Geheimdienste ist im konkreten Fall eine zur Bildung kleiner Gremien nicht erforderliche Maßnahme und verstößt damit unter dem Gesichtspunkt der Beteiligung aller Fraktionen an den Ausschüssen gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
dd) Nichtbeteiligung kleiner Fraktionen zur Wahrung der Plenannehrheitsverhältnisse Zu prüfen ist nunmehr, ob nicht im konkreten Fall die Nichtberücksichtigung einer Fraktion unter dem Blickwinkel der Wahrung des Mehrheitsprinzips verhältnismäßig war. Das Mehrheitsprinzip, das in Art. 42 Abs. 2 GG ausdrücklich nur für Plenarentscheidungen festgelegt ist, gilt auch für die die Plenararbeit vorbereitende Ausschußarbeit und erfordert grundsätzlich, daß die Plenarmehrheit auch im Ausschuß die Mehrheit innehat.l39 Die daraus resultierende Verhältnismäßigkeitsfrage stellt sich hinsichtlich des in der Einleitung dargestellten Sachverhalts deshalb, weil bei einer jede Fraktion berücksichtigenden Mindestgröße von vier Abgeordneten eine Pattsituation zwischen Regierungsund Oppositionsfraktionen entstanden wäre. Diese wäre auch bei einer das Stärkeverhältnis zumindest annäherungsweise berücksichtigenden Mitgliederzahl von sechs Abgeordneten entstanden (CDU/CSU und SPD je zwei Abgeordnete, FDP und GRÜNE je ein Abgeordneter). Bei diesen Mehrheitsverhältnissen ist die Bildung eines fünfköpfigen Gremiums unter Ausschluß der kleinsten Fraktion eine zur Wahrung der Mehrheitsverhältnisse geeignete Vorgehensweise. Jedoch hätten diese auch auf vielerlei andere Weise gewahrt werden können. Beispielsweise hätte man den Ausschußvorsitz einem Abgeordneten der regierungstragenden Mehrheitsfraktionen übertragen können und dessen Stimme bei einer Pattsituation den Ausschlag geben können. Auch hätte man bei einem vierköpfigen Gremium der Stimme jedes Abgeordneten einen Zählwert entsprechend der Stärke seiner Fraktion im Plenum beimessen können. Schließlich wäre auch ein Verzicht auf Abstimmungen in dem Gremium denkbar gewesen, so daß bei den dann erforderlichen Plenarabstimmungen die Mehrheitsverhältnisse gewahrt worden wären. 140 Die Nichtbeteiligung der
BVerfG, Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, 363f. VgI. zu weiteren Lösungsvorschlägen Dreier, Regelungsfonn und Regelungsinhalt des autonomen Parlamentsrechts, JZ 1990, 310, 32Of, der ausführt, daß höher als das Prinzip proportionaler Abbildung der Stärlceverhältnisse in einem parlamentarischen Grernium das Erfordernis der verkleinerten Abbildung der Gesamtheit des Parlaments sei. 139
140
D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips
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Bundestagsfraktion die GRÜNEN am Gremium zur Kontrolle der Haushaltsmittel für die geheimen Dienste des Bundes ist auch nicht unter dem Aspekt der Wahrung der Plenarmehrheitsverhältnisse erforderlich, denn es gibt die Mehrheitsverhältnisse wahrende Vorgehensweisen auch bei einer Beteiligung dieser Fraktion.
ee) Geheimhaltungsbereitschaft der Bundestagsfraktion der GRÜNEN Um dem einleitend dargestellten Geschehensablauf gerecht zu werden, ist auch zu fragen, ob der Ausschluß der Bundestagsfraktion der GRÜNEN von der Kontrolle der Wirtschaftspläne der Geheimdienste trotz der damit verbundenen gravierenden Eingriffe in die parlamentarischen Mitwirkungsrechte dieser Fraktion und der zu ihr zusammengeschlossenen Abgeordneten deshalb verhältnismäßig war, weil einzelne Mitglieder der Fraktion zu Beginn der Legislaturperiode zu erkennen gegeben haben, auch vertrauliche Informationen an die Parteibasis weitergeben zu wollen. Sicher ist aufgrund dieser Äußerungen der Ausschluß der Fraktion von der Beratung sicherheitssensibler Angelegenheiten ein zur Sicherstellung der Geheimniswahrung geeignetes Mittel. Es ist aber nicht das die Beteiligungsrechte der betroffenen Fraktion schonendste. Die Aufnahme von zur Geheimniswahrung bereiten Mitgliedern dieser Fraktion in das fragliche Gremium hätte ausgereicht. 141 Solche waren vorhanden. 142
ff) Mehrheitswahl zur Feststellung der Verschwiegenheit der Gremienmitglieder Zu untersuchen ist schließlich, ob es zur Wahrung von Geheimschutzinteressen unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes rechtens ist, daß die Parlamentsmehrheit die Gremienmitglieder im Wege der Persönlichkeitswahl bestimmt. Unter Geheimschutzgesichtspunkten ist für die Bestimmung der Mitglieder eines solchen Gremiums ein Modus zu wählen, der soweit als möglich gewährleistet, daß fachlich kompetente sowie verschwiegene Abgeordnete dort mitarbeiten. Es ist fraglich, ob hierzu die Mehrheitswahl durch das Bundestagsplenum die geeignete Methode ist. Dagegen spricht, daß bei der Mehrheitswahl nur die Mehrheit Abgeordnete der Minderheit aus81. hließen kann, nicht aber umgekehrt die Minderheit solche der Mehrheit und
141
BVerfG, Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70,324, Sondervotum Böckenförde, 380, 385f. 22
142 Siehe S.
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
es keinen Erfahrungssatz des Inhalts gibt, daß nur Abgeordnete, die Minderheitsfraktionen angehören, Geheimnisse preisgeben. 143 Überdies verlangt die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit genaue Kenntnisse der zu beurteilenden Person, die die Parlamentsmehrheit regelmäßig nicht hinsichtlich der Abgeordneten der Oppositionsfraktionen haben wird. Solche Kenntnisse sind schon eher innerhalb einer Fraktion über die Fraktionskollegen vorhanden, so daß sich unter diesem Gesichtspunkt ein Vorschlagsrecht der Fraktionen als geeignet darstellt. Hierüber könnte das auf Neutralität verpflichtete Präsidium, eventuell nach weiteren verfahrensmäßig festzulegenden Prüfungen der Vertrauenswürdigkeit, entscheiden. l44 Gegen die Geeignetheit der Mehrheitswahl zur Feststellung der Verschwiegenheit und Vertrauenswürdigkeit eines Abgeordneten spricht ferner, was auch die Mehrheit des Bundesverfassungsgerichts anerkennt,l45 die hohe Mißbrauchsgefahr dieses Modus. Die Mehrheit kann einem Kandidaten aus beliebigen anderen Gründen als den in diesem Zusammenhang relevanten die Stimmen versagen. Der Hinweis der Senatsmehrheit, daß solche Verhaltensweisen im Zweifel rechtsmißbräuchlich seien,146 ist in diesem Zusammenhang kein tragfähiges Argument, denn Rechtsrnißbrauch wird, da die Abgeordneten ihr Votum nicht begründen müssen, kaum nachweisbar sein. Es darf überdies nicht übersehen werden, daß die Bürger durch die Wahl darüber entscheiden, welche Kandidaten sie für befähigt halten, die mit dem Abgeordnetenmandat verbundenen Pflichten zu erfüllen. Hierzu gehören ac:h Geheimhaltungspflichten. Dieser Gesichtspunkt führt zurück zu der Überlegung, daß Geheimniswahrung durch Ausschluß der Öffentlichkeit und nicht durch Ausschluß von Abgeordneten zu erfolgen hat. Jedenfalls ist die Mehrheitswahl durch das Plenum kein geeignetes Mittel zur Feststellung der Verschwiegenheit und Vertrauenswürdigkeit eines Abgeordneten.
c) Würdigung der Einzelprüjungen Die Würdigung der Vorgehensweise der Mehrheit des Bundestages bei der Beratung der Haushaltsansätze für die Geheimdienste ergibt unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten, daß weder der Verzicht auf eine inhaltliche Beratung der Wirtschaftspläne vor der Verabschiedung des Haushalts, noch der
143 BVerfG, Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324. Sondervotwn Mahrenholz, 366, 372. 144 Vgl. die Aufzählung der denkbaren Schutz- und Sicherheitsvorkehrungen in BVerfG, Uno v.
14.1.1986, BVerfGE 70, 324, Sondervotwn Böckenförde, 380, 383f. 145 BVerfG, Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, 365. 146 BVerfG, Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, 365.
D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips
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Ausschluß einer Fraktion, noch im konkreten Fall der Ausschluß der Fraktion der GRÜNEN zur Sicherung der Geheimniswahrung erforderlich ist. Auch im Hinblick auf die Wahrung der Mehrheitsverhältnisse in einem kleinen Gremium ist die Nichtbeteiligung der kleinsten Fraktion nicht erforderlich. Die Mehrheitswahl der Gremienmitglieder ist zur Ermittlung der Vertrauenswürdigkeit der Gewählten kein geeignetes Mittel. Die Vorgehensweise bei der Beratung der Wirtschaftspläne der Geheimdienste in der 10. Legislaturperiode ist wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verfassungswidrig. Dieses Ergebnis ist verblüffend, aber auch erschreckend, weil damit die Verhältnismäßigkeitsprüfung auf der Erforderlichkeitsstufe abzubrechen ist und man noch nicht einmal zur Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne, d.h. zur wertenden Abwägung der betroffenen materiellen Güter vordringt. Die sich vorliegend stellende Abwägungs- und Wertungs frage ist, ob es im Rahmen der Verwirklichung der gleichberechtigten Beteiligung aller Abgeordneten ein nicht zu durchbrechender Grundsatz ist, daß jede Fraktion auch in einem kleinen Gremium zumindest mit einem Abgeordneten vertreten sein muß, oder ob dieser Grundsatz in Ausnahmefällen zur Sicherung der Geheimhaltung durchbrochen werden kann. Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden sowohl durch die Begründung der Mehrheit des Bundesverfassungsgerichts (Durchbrechung zulässig) als auch durch die Sondervoten (Durchbrechung unzulässig). Das Bundesverfassungsgericht sah sich zur Prüfung dieser Frage nicht gehalten, weil es sich eine ins Detail gehende Nachwägung der Entscheidung des Bundestages bei der Regelung seiner Organisation und seines Verfahrens enthält und nur prüft, ob die konkrete Vorgehensweise gegen grundgesetz liehe Vorschriften oder Wertungen verstößt, weil sie unter keinem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt haltbar ist. Bemerkenswert ist, daß sowohl die Verhältnismäßigkeitsprüfungen des Verzichts auf eine Beratung der Wirtschaftspläne vor der Haushaltsgesetzverabschiedung und der Nichtbeteiligung einer Fraktion zur Bildung eines kleinen Gremiums und die Nichtbeteiligung der Fraktion der GRÜNEN im Hinblick auf die Wahrung von GeheimhaltungsbedÜTfnissen als auch die Nichtberücksichtigung einer Fraktion zur Wahrung der Mehrheitsverhältnisse bei der Bildung eines kleinen Gremiums ergeben haben, daß es mildere Mittel zur Erreichung des jeweiligen Ziels gab. Das ist nicht zufällig geschehen. Die Skepsis gegenüber einer neu ins Parlament gelangten politischen Kraft hat bei den etablierten Parteien zu ängstlich forschern und übereiltem Handeln auf der Grundlage von Verdächtigungen geführt und das stets gebotene Denken in Alternativen, das die Erforderlichkeits-
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4. Kapitel: Rechtsstaatsprinzip und Geschäftsordnung
prüfung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bestimmt, verhindert.!47 Zur Mehrheitsmeinung des Bundesverfassungsgerichts sei durch Wiedergabe von Gedanken des langjährigen Präsidenten dieses Gerichts Stellung genommen, der ausgeführt hat, daß eine Verfassungsverletzung folgenlos bleiben könne, wenn kein Antrag auf gerichtliche Überprüfung des fraglichen Akts gestellt werde und daß auch Entscheidungen des Verfassungsgerichts falsch sein könnten, daß dieses aber nicht den Geltungsanspruch der Verfassung beeinträchtige und auch falsche Entscheidungen des Gerichts zumindest den Rechtsfrieden und die Rechtssicherheit gewährleisteten. 148 Dieser Meinung ist beizupflichten. Hinzuweisen ist jedoch darauf, daß die Rechtsfrieden sichernde Wirkung falscher Entscheidungen dann nur vordergründig eintritt, wenn der Inhalt solcher Entscheidungen - wie bei der Kontrollgremienentscheidung - ins Parlament gewählte Abgeordnete in Teilbereichen von der parlamentarischen Mitarbeit ausschließt. Der durch Ausgrenzung bewirkte Rechtsfrieden ist trügerisch. Er kann die Keimzelle für Extremismus sein, gleich ob von rechts oder von links. 149
V. Zusammenfassung Die Untersuchung der Einwirkungen von Einzelelementen des Rechtsstaatsprinzips auf die Eigenorganisation des Bundestages hat folgende Ergebnisse erbracht Die Verfassungsbindung bei der Geschäftsordnungsgebung ist zum einen in Art. 20 Abs. 3 GG verankert und folgt zum anderen aus Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG bzw. der Verfassungsorganeigenschaft des Bundestages. Aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz erwächst für den Bundestag die Aufgabe, den Geschäftsgang angepaßt an die jeweiligen parlamentarischen Aufgabenstellungen zu gestalten, wobei besonders der Tatsache Rechnung zu tragen ist, daß im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes unter dem Aspekt der
147 BVerfG, Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, SondelVotwn Böckenförde, 380, 386, Sondervotwn Mahrenholz, 366, 372f. 141 Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: Benda/MaihoferNogel,'Handbuch des Verfassungsrechts,
4TI,485.
149 Überdies sieht das Grundgesetz für Fälle, in denen Ausgrenzung unabdingbar ist, ein streng einzuhaltendes Verfahren vor (vgl. Art. 21 Abs. 2 GG), wobei nach der bisherigen Rechtsprechung das Parteiverbot auch den Mandatsverlust zur Folge hat; vgl. BVerfG, Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70,324, SondelVotum Mahrenholz, 366, 373 m.w.N.
D. Ausgewählte Einzelelemente des Rechtsstaatsprinzips
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Gewaltenteilung den Befugnissen der oppositionellen Abgeordneten und Fraktionen hervorgehobene Bedeutung zukommt. Aus dem Gebot der Rechtssicherheit folgt, daß generelle Änderungen der Geschäftsordnung während der Legislaturperiode nur auf nach der Änderung neu beginnende Verhandlungs- und Entscheidungsabläufe anzuwenden sind, um die Ausübung der Partizipationsrechte insbesondere der einzelnen Abgeordneten und der Fraktionen sicherzustellen. § 126 GeschaBT trägt für Einzelfallabweichungen dem Erfordernis der Rechtssicherheit durch eine qualifizierte Mehrheit Rechnung. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist mit seiner Rationalität bewirkenden Abschichtung einzelner Fragestellungen eine unverzichtbare Stütze zur Gewährleistung von Willkürfreiheit bei der Ordnung des parlamentarischen Geschäftsganges. Der Vielzahl der grundgesetzlichen Wertungen, die auf das parlamentarische Verfahren einwirken, ist durch eine mehrfache Prüfung der Verhältnismäßigkeit und einem wertenden Vergleich der dabei im Hinblick auf die einzelnen materiellen Bezugspunkte erzielten Ergebnisse Rechnung zu tragen.
5. Kapitel: Regelungsgehalt des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG und die weiteren grundgesetzlichen Geschäftsordnungsregelungen A. Regelungsgehalt des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG im einzelnen I. Regelungs- und Beachtungspflicht 1. Auslegung des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG Den vorstehenden Ausführungen zur Einwirkung rechtsstaatlicher Elemente auf das parlamentarische Verfahren ist zu entnehmen, daß der Bundestag seine Organisation und sein Verfahren in rechtlich verbindlicher Form abstrakt-generell zu regeln hat und grundsätzlich nach diesen Regeln zu verfahren hat. Nachzutragen ist hier, daß sich dieses Ergebnis auch aus der Auslegung des Art. 40 Abs. 1 S. 2 ergibt Bereits aus dem Wortlaut ("Er gibt sich eine Geschäftsordnung") ist zu schließen, daß der Bundestag allgemeine Regelungen über seine innere Organisation und Verfahrensweise zu treffen hat. Da es weder heißt "kann" noch heißt "muß", läßt die konkret getroffene Wortwahl den Schluß zu, daß der Verfassungsgeber die Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten als Selbstverständlichkeit ansah. Hat er sich eine Geschäftsordnung zu geben, so ist diese nicht Selbstzweck, sondern bedeutet, daß er nach einer solchen zu verfahren hat.! Die Wortauslegung wird durch die lange historische Tradition, die parlamentarische Geschäftsordnungsregelungen in Deutschland haben, bestätigt. 2 Ferner gehört Art. 40 GG zu den wenigen Vorschriften, über die bei Schaffung des Grundgesetzes Einigkeit bestand. 3
BVeIfG, Urt. v. 14. 1. 1986, BVeIfGE 70, 324, Sondervotum Mahrenholz, 366, 377. Siehe S. 194; das räumt auch Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlaments recht, S. 103, ein, der im übrigen eine Regelungspflicht verneint. 3 Schneider!Dennewitz, in: BK, Art. 40, 1. Entstehungsgeschichte. 1
2
112
5. Kapitel: Regelungsgehalt des Art. 40 Abs. I S. 2 GG
Unter dem Gesichtspunkt der systematischen Auslegung ist auf die bereits mehrfach behandelte4 Verfassungsorganeigenschaft des Bundestages abzuheben. Das durch das Grundgesetz statuierte Gefüge von Verfassungsorganen, die gewaltenhemmend und arbeitsteilig ineinandergreifen, erfordert es, daß jedes dieser Organe sich durch eine Ordnung, d.h. Regelung seiner Organisation und Arbeitsweise dazu instand setzt, die ihm zufallenden Aufgaben erfüllen zu können. Zudem muß jedes der zusammenwirkenden Organe den Arbeitsablauf der jeweils anderen mitwirkenden Organe kennen und einsehen können, um die Erbringung seines Anteils an der gemeinsamen Aufgabenerledigung planen zu können. 5 Auch dies erfordert die rechtliche Fixierung des Geschäftsganges. Bei der Untersuchung des Zwecks des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG ergibt sich die Regelungs- und Beachtungspflicht zum einen aus der Notwendigkeit, die Funktionstüchtigkeit eines Kollegialorgans von über 500 Mitgliedern herzustellen. Klaus Stern schreibt hierzu: "Nur die Notwendigkeit einer geschäftsordnungsmäßigen Regelung wurde allenthalben bejaht, weil ein Parlament mit einer Vielzahl von Individualwillen, die sich zu artikulieren wünschen und zu einem Gesamtwillen zusammengefaßt werden sollen, nicht ohne eine Ordnung der Rechte und Pflichten der einzelnen Mitglieder, der Verfahrensweise des Gremiums sowie seiner Organisation im weitesten Sinne auskommen kann."6 Zum anderen ergibt sich insbesondere die Beachtungspflicht aus dem Gebot der Rechtssicherheit und damit letztlich aus den verfassungsmäßigen Rechten der am parlamentarischen Verfahren Beteiligten, auf die das Element der Rechtssicherheit bezogen ist.7 2. Abweichende Auffassung von Arndt
a) Darstellung Eine vollkommen andere Sicht der Dinge hat Arndt. 8 Er ist der Auffassung, im Rahmen der Geschäftsordnungsautonomie könne der Bundestag frei darüber
"
Siehe S. 30ff u. S. 79f. Ebenso Killler, Der Deutsche Bundestag, JöR N.F. 26 (1977), 39, 46: "Durch die Regelung der parlamentsinternen Willensbildungs- und Entscheidungsabläufe wird jedoch die Grundlage gelegt für eine nach außen hin wirkende rationale und nachvollziehbare Gestaltungsfunktion des Bundestages. Nur so vermag der Bundestag seine Zuständigkeitsn im Verfassungssystem wahrzunehmen." 6 Stern, Staaurecht, Bd. n, § 26 m 6 a, S. 81. 7 Siehe S. 85f. 8 Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, S. 67 u. S.85-109. 5
A. Regelungsgehalt des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG im einzelnen
113
entscheiden, in welcher Fonn und mit welcher rechtlichen Bindungswirkung er Geschäftsordnungsfragen regeln wolle. 9 Anders als bei Gesetzen habe die Verfassung dem Parlament die freie Entscheidung darüber belassen, Geschäftsordnungsfragen von Fall zu Fall oder in genereller Fonn, gleich ob durch eine kodifizierte Geschäftsordnung oder generelle Geschäftsordnungsbeschlüsse zu regeln.I o Entscheide sich das Parlament für eine generelle Regelung, so sei es immer noch in der Entscheidung darüber frei, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Regelung durchbrochen werden dürfe.l! Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, eine Durchbrechung von Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung im Einzelfall mit einfacher Mehrheit zuzulassen. 12 Eine grundgesetzliche Pflicht zur Einhaltung eines bestimmten fönnlichen Verfahrens gebe es nicht. J3 Zur Begründung seiner Ansicht geht Arndt von der These aus, daß die Geschäftsordnungsautonomie mit ihrem historischen traditionellen Inhalt in das Grundgesetz übernommen worden sei und Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG nur dann dahin ausgelegt werden könne, daß Geschäftsordnungsfragen in einer bestimmten Fonn und mit einer bestimmten Bindungswirkung zu regeln seien, wenn dies dem traditionellen Gehalt der Garantie der Geschäftsordnungsautonomie entspreche und auch die Praxis unter der Herrschaft des Grundgesetzes dem Rechnung trage. 14 Ausgehend von dieser These kommt Arndt auf der Grundlage einer breit angelegten Untersuchung der parlamentarischen Praxis l5 zu dem genannten Ergebnis, weil die Praxis zu keinem Zeitpunkt von der Notwendigkeit einer bestimmten Fonn der Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten und von einer bestimmten Bindungswirkung fönnlicher Geschäftsordnungen ausgegangen sei.
b) Ablehnung Die Argumentation von Arndt ist grundsätzlichen Bedenken ausgesetzt. Zum ersten ist es methodisch nicht angängig, der Rechtspraxis entscheidende Bedeutung für die Auslegung einer Vorschrift beizumessen. Rechtsnonnen sollen die tatsächlichen Verhältnisse ordnen. Läßt man die Praxis für die Nonnauslegung bestimmend sein, so führt das bei dem Nonninhalt widersprechenden
Ebda., S. Ebda., S. 11 Ebda .• S. 12 Ebda., S. 13 Ebda., S. 14 Ebda .• S. 15 Ebda .• S.
9
10
8 Bollmann
67. 67, S. 95, S. 102, S. 114. 67. S. 103f. 106. 101. 87. 9Off.
114
S. Kapitel: Regelungsgehalt des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG
tatsächlichen Verhältnissen zu einem Leerlaufen des Normappells. Zum zweiten gerät Arndt, soweit er die Praxis vor der Schaffung des Grundgesetztes als Beleg für die Regelungsfreiheit des Parlaments als Geschäftsordnungsgeber heranzieht, in Widerspruch zu der ebenfalls im Rahmen seiner Untersuchung getroffenen Feststellung, daß Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG unter Zugrundelegung der historischen Entwicklung des Selbstorganisationsrechts dahin auszulegen sei, daß der Bundestag sich eine kodifizierte Geschäftsordnung zu geben habe.l 6 Zum dritten läßt er die von ihm selbst aufgestellte 17 und zutreffende l8 Maxime außer acht, daß ein Zurückgreifen auf Literatur, Rechtsprechung und Parlamentspraxis zu historischen Vorläufern des Art. 40 Abs. 1 S.2 GG der Tatsache Rechnung zu tragen habe, daß sich durch das Grundgesetz der verfassungsrechtliche Gesamtzusammenhang geändert habe, in dem das Selbstorganisationsrecht des Parlaments stehe. Zwei von Arndt herangezogene Beispiele für die Praxis des Bundestages sollen gewürdigt werden. Als Beleg dafür, daß das Parlament frei darüber entscheiden könne, welche Angelegenheiten es in seiner kodifIzierten Geschäftsordnung regeln und welche es von Fall zu Fall entscheiden wolle, wird die Behandlung der Frage angeführt, wann ein Irrtum bei der Abstimmung beachtlich ist und zur Abstimmungswiederholung führt.l 9 Hier war der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität zwar zur Formulierung gewisser Grundsätze gelangt, die ursprünglich in die kodifIzierte Geschäftsordnung aufgenommen werden sollten. Dies unterblieb aber, weil der Ausschuß später zu der Auffassung gelangte, daß die jeweilige Entscheidung der Praxis des Bundestages überlassen werden solle. 20 Dieses Beispiel belegt die von Arndt vertretene These deshalb nicht, weil es sich hier von der Sache her um eine Problemstellung handelt, die einer abstrakt generellen Regelung nur äußerst schwer zugänglich ist Entweder kann man einen Katalog von relevanten Irrtümern aufzustellen versuchen und läuft dann stets Gefahr, daß eine in der Praxis auftretende Irrtumslage nicht bedacht wurde. Oder man trifft eine abstrakte Regelung etwa des Inhalts, daß der Sitzungsvorstand nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der übrigen Geschäftsordnungsvorschriften und des Grundgesetzes darüber entscheidet, wann eine Abstimmung wegen eines Irrtumes zu wiederholen ist. Eine solche Regelung ist so offen, daß ebensogut auf sie ver-
Ebda., S. 8S u. S. 49. Ebda., S. 48. 18 Siehe S. 196ff. 19 Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, S. 9S m.w.N. 20 Ebda., S. 9S m.w.N. 16 17
A. Regelungsgehalt des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG im einzelnen
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zichtet werden kann. Als ein Beispiel für Entscheidungen. in Geschäftsordnungsangelegenheiten außerhalb der kodifizierten Geschäftsordnung führt Amdt die stillschweigende Übernahme der gesamten kodifizierten Geschäftsordnung durch ein neugewähltes Parlament in Form der widerspruchslosen Anwendung an. 21 Hierbei übersieht Arndt, daß sich eine Übernahmeregelung in der kodifizierten Geschäftsordnung wegen des Grundsatzes der Diskontinuität der Geschäftsordnung, auf den sogleich eingegangen wird, verbietet. Die Argumentation Amdt's vermag der These, die Geschäftsordnungsautonomie belasse dem Bundestag die freie Entscheidung darüber, ob er sich überhaupt einer regelmäßig zu beachtenden Verfahrensordnung unterwerfen wolle, nicht zu stützen. Sie ist zu verwerfen. 3. Zusammenfassung Festzuhalten ist, daß der Bundestag aufgrund von Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet ist, seine Geschäftsordnungsangelegenheiten in abstrakt-genereller Weise zu regeln und seine Arbeiten auch grundsätzlich nach diesen Regeln zu erledigen hat. Die Verpflichtung zur Aufstellung und Beachtung von Organisations- und Verfahrensregelungen ist eine verfassungsrechtliche Grenze der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages, die, weil sie auch aus der Kompetenz- bzw. Ermächtigungsnorm (Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG) selbst folgt, als immanente Grenze bezeichnet werden kann. Sie ist eine formelle Grenze, weil über den Inhalt der Regelungen nichts ausgesagt wird.
11. Diskontinuität der Geschäftsordnung 1. Auslegung des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG Auch für die Untersuchung der soeben angesprochenen zeitlichen Geltungsdauer parlamentarischer Verfahrensregelungen ist zunächst vom Wortlaut des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG auszugehen. Die Formulierung, daß er, d.h. der Bundestag, sich eine Geschäftsordnung gebe, eröffnet zwei Auslegungsmöglichkeiten. 22 Ist mit dem Wort Bundestag in einem abstrakt-institutionellen Sinne das Verfassungsorgan an sich gemeint, so ist die Deutung möglich, daß Geschäftsordnungsregelungen generell für dieses Organ zu schaffen sind und
21
22
8·
Ebda .• S. 95ff. Ebenso Amdt. Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht. S. 127f.
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5. Kapitel: Regelungsgehalt des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG
unabhängig von den einzelnen Wahlperioden für jeden neugewählten Bundestag gelten. Versteht man hingegen unter dem Begriff den Bundestag in seiner jeweiligen durch die Wahlen erneuerten personellen Zusammensetzung, ergibt sich, daß jeder neugewählte Bundestag über die von ihm anzuwendenden Geschäftsordnungsregeln zu entscheiden hat Regelungszusammenhang sowie Sinn und Zweck des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG ergeben die Maßgeblichkeit der letztgenannten Auslegungsmöglichkeit. Die Diskontinuität parlamentarischer Geschäftsordnungsregelungen folgt aus der Diskontinuität des Parlaments insgesamt. Den Art. 20 Abs. 2 S. 2, 39 Abs. 1 GG sowie insbesondere dem Art. 39 Abs. 1 S. 1 u. 2 GG, wonach der Bundestag auf vier Jahre gewählt wird und seine Wahlperiode mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages endet, ist die personelle Diskontinuität des Bundestages zu entnehmen. 2J Der Wechsel der Abgeordneten als der Organwalter des Verfassungsorgans Bundestag ist ein zentrales Element der demokratischen Ordnung des Gundgesetzes. Aus dieser personellen Diskontinuität folgt die sachliche Diskontinuität, die besagt, daß mit Ablauf einer Wahlperiode alle eingebrachten und noch nicht abschließend bearbeiteten Gesetzesvorlagen, Anträge und Anfragen automatisch hinfällig werden. 2A Die jeweiligen Abgeordneten sind die personellen Träger der Sachentscheidungen des Parlaments und als solche für diese verantwortlich. Ein Vergleich mit der Exekutive verdeutlicht, daß im legislativen Bereich personelle und sachliche Diskontinuität miteinander verknüpft sind. Ein Wechsel der Person auf einer Beamtenstelle führt wegen der Gesetzesbindung der Exekutive (Art. 20 Abs. 3 GG) sachlich zu keiner Änderung bei der Aufgabenwahmehmung. Die Abgeordneten sind dagegen "nur" an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG) und haben im Rahmen dieser Bindung gerade die Aufgabe, nach ihren eigenen Überzeugungen (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) die staatliche Ordnung aktiv zu gestalten. Obwohl im Grundgesetz nicht ausdrücklich geregelt, kommt auch der sachlichen Diskontinuität Verfassungsrang zu, weil sie Ausdruck der periodischen Erneuerung der demo-
2J v.Mangoldt/Klein, GGKom, Art. 39 Anrn. m 5 a, S. 899; .Maunz in: Maunz/Dürig, GGKom, Art. 39 Rdnr. 16. 24 Vgi. § 125 GeschOBT; Kißler, Der Deutsche Bundestag JöR N.F. 26, (1972), 39, 47; v.Mangoldt/Klein, GGKom, Art. 39 Anrn.m 5 b, S. 899; Maunz, in: Maunz/Dürig, GGKom, Art. 39 Rdnr. 18; kritisch zum Grundsatz der sachlichen Diskontinuität Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, S. 57ff.
A. Regelungsgehalt des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG im einzelnen
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kratischen Legitimation des Bundestages und damit der Rückkoppelung an das Volk ist, von dem die Staatsgewalt ausgeht.1j Der neue Bundestag muß in seinem politischen Handeln frei sein, seine eigenen Prioritäten setzen können, die Möglichkeit eines völlig neuen Anfangs haben und darf nicht durch die Pflicht zur Abarbeitung von Vorstellungen der früheren Organwalter eingeschränkt sein, wenn die Wahlen ihre Aufgabe, dem Willen des Volkes Ausdruck zu verleihen, erfüllen sollen. 26 Ist damit das Parlament in seiner sachlichen Wirkungsweise zeitlich durch die Wahlperioden begrenzt, so kann für seine Verfahrens- und Organisationsordnung, die der Sacharbeit dienende Funktion hat, nichts anderes gelten. Die Diskontinuität der Geschäftsordnungen zu verneinen, würde bedeuten, einem Parlament die Machtbefugnis beizumessen, daß es ein demokratisch neu legitimiertes Parlament dazu verpflichten könnte, nach einer von ihm erlassenen Geschäftsordnung zu verfahren. v Gerade die Verfahrens- und Organisationsregelungen sind stark von den politischen Kräfteverhältnissen abhängig, die sich möglicherweise von Wahlperiode zu Wahlperiode ändern. Beispielsweise erfordert ein Parlament mit zehn und mehr Fraktionen andere Verfahrensregelungen als ein solches, in dem nur zwei Fraktionen vertreten sind. Die Diskontinuität der Geschäftsordnungsregelungen schafft insoweit die Flexibilität, die zur Anpassung an sich ändernde politische Verhältnisse notwendig ist. Das Ergebnis wird gestützt durch das historische Argument, daß bei der Ausarbeitung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages in der 1. Legislaturperiode ausdrücklich der Auffassung Ausdruck verliehen wurde, jeder neugewählte Bundestag sei an die bisherige Geschäftsordnung nicht gebunden und habe das Recht, sich eine neue, eigene Geschäftsordnung zu geben. 28 Die Auslegung des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG ergibt die Diskontinuität der Geschäftsordnungen des Bundestages als weitere formelle verfassungsrechtliche Grenze des parlamentarischen Selbstorganisationsrechts.
1j Ähnlich Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlaments recht, S. 130; Maunz, in: Maunz/Diirig, GGKom, Art. 39 Rdnr. 18; gegen den Verfassungsrang v.Mango1dtlKlein, GGKom, Art. 39 Anm.ill 5 b, S. 899. 26 Ähnlich Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, S. 129f. V Achteiberg, ParIamentsrecht, § 16 1 g, S. 330. 28 Sten.Ber. l.WP, 179. Sitzung (6.12.1951), S. 7411 (D) u. S. 7460 (B).
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5. Kapitel: Regelungsgehalt des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG
2. Dem Auslegungsergebnis widersprechende Praxis
a) Übernahme der Geschäftsordnungen Obwohl die Diskontinuität der Geschäftsordnung allgemein anerkannt ist,29 macht die Praxis von der ihr dadurch eröffneten Möglichkeit, zu Beginn einer Legislaturperiode das von ihr zu beobachtende Verfahren neu zu überdenken, kaum Gebrauch. Sie verfährt eher nach der oben zuerst genannten Auslegungsmöglichkeit. Der Diskontinuität trägt sie nur förmlich dadurch Rechnung, daß sie die Übernahme der Geschäftsordnung der vorausgegangenen Legislaturperiode ohne weitere Diskussion beschließt oder diese sogar nur stillschweigend übernimmt. 30 Lediglich in der 10. Legislaturperiode stellte die Fraktion DIE GRÜNEN Änderungsanträge im Zusammenhang mit der Übernahme der alten Geschäftsordnung,31 die auch im Plenum diskutiert wurden. 32 Die gängige Übernahmepraxis hat im juristischen Schrifttum vereinzelt zu der Bewertung geführt, bei der Diskontinuität der Geschäftsordnungen handele es sich um eine leere Konstruktion, die gegenüber der entgegenstehenden Praxis nur durch eine Reihe von Fiktionen aufrecht erhalten werden könne,33 In der Tat läßt die Praxis außer durch einen lapidaren Übernahmebeschluß, der oftmals als stillschweigender durch widerspruchslose Anwendung der vorigen Geschäftsordnung konstruiert werden muß, die Geschäftsordnungsdiskontinuität kaum erkennen. Angesichts dieser Praxis ist mit Nachdruck auf den Verfassungsrang der Diskontinuität der Geschäftsordnungen hinzuweisen. Art.40 Abs. 1 S. 2 GG ist ein verfassungsrechtlicher Appell an jeden neuen Bundestag, die alte Geschäftsordnung vor ihrer Übernahme auf ihre Praktikabilität und Angemessenheit für die neuen Kräfteverhältnisse im Parlament zu überprüfen. Erzwingbar ist ein solches Vorgehen freilich nicht. Zu bedenken ist in diesem Zusam-
29 BVetfG, Urt. v. 6.3.1952, BVetfGE I, 144, 148; Achterberg, Parlamentsrecht, § 16 1 g, S. 329f; Amdt, Geschiftsordnungsautonornie und autonomes Parlamentsrecht, S. 126ff u. S. 130ff; Maunz, in:Maunz/Dürig, GGKom, Art. 40 Rdnr. 19; Versteyl, in: v.Münch, GGKom, Bd. TI, Art 40 Rdnr. 20; Schäfer, Der Bundestag, S. 66. Kritisch zum Diskontinuitätsgrundsatz äußert sich Pietzcker, Schichten des Parlaments rechts: Vetfassung, Gesetze und Geschäftsordnung, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 10 Rdnr. 27ff, S. 35Off. 30 VgI. Amdt, Geschiftsordnungsautonornie und autonomes Parlamentsrecht S. 129 u. S. 95f, dort mit Beispielen für die Übernahmepraxis; Maunz, in: Maunz/Dürig, GGKom, Art. 40 Rdnr. 19. 31 BT Drucks. 10/4; vgI. auch Br Drucks. 10/1 u. 10/6: Anträge der Fraktionen von CDU/CSU; F.D.P. und SPD v'r unveränderten Ubemahme der vorhergehenden Geschäftsordnung. 32 Sten.Ber. IO.WP, 1. Sitmng (29.3.1983), S. 8ff. 33 Schneider, Die Bedeutung der Geschäftsordnungen oberster Vetfassungsorgane für das Verfassungsleben, Festgabe Smend, 303, 314; vgl. für die Literatur zur Weimarer Vetfassung die Nachweise bei Amdt, Geschäftsordnungsautonornie und autonomes Parlamentsrecht, S. 127 Fn. 6.
A. Regelungsgehalt des Art. 40 Abs. I S. 2 GG im einzelnen
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menhang, daß einzelne Änderungen im Laufe einer Legislaturperiode' zumindest dann, wenn sie in zeitlichem Zusammenhang mit der Entscheidung über politisch kontroverse Sachfragen getroffen werden, stets den Vorwurf auf den Plan rufen, die Verfahrensänderung sei machtmißbräuchlich nur erfolgt, um die strittige Sachfrage mit einem bestimmten Ergebnis entscheiden zu können.
b) Diskontinuität und juristische Argwnentation Noch in einer weiteren Richtung wird das Verfassungsgebot der Diskontinuität nicht beachtet. Bei der juristischen Würdigung von Geschäftsordnungsregelungen wird vielfach argumentiert, daß die Regelung auch in politisch extremen Situationen geeignet bzw. nicht geeignet sei, der Funktionstüchtigkeit des Parlaments oder anderen Belangen mit Verfassungsrang Rechnung zu tragen. 34 Die Kontrollgremienentscheidung des Bundesverfassungsgerichts enthält ein Beispiel für eine derartige Argumentation. Dort wird zur Begründung der Verfassungsmäßigkeit der Nichtbeteiligung der Bundestagsfraktion der GRÜNEN am Gremium zur Kontrolle der Wirtschaftspläne der Geheimdienste ausgeführt, daß die Minderheit im Parlament nicht notwendig eine homogene Einheit darstelle, sondern in eine Vielzahl von Gruppierungen (Fraktionen, Fraktionsstärke nicht erreichende Gruppen, einzelne Abgeordnete) aufgespalten sein könne und diese Gruppen nicht alle in gleicher Weise am parlamentarischen Geschäftsgang beteiligt werden könnten, weil dies die Bildung kleiner Gremien unter Beibehaltung der Plenarmehrheitsverhältnisse unmöglich mache. 35 Solche ins Allgemeine gehenden Überlegungen sind mit dem Grundsatz der Diskontinuität der Geschäftsordnung nicht vereinbar. Sie lassen außer acht, daß jeder neugewählte Bundestag unter Berücksichtigung der durch die Wahlen geschaffenen politischen Kräfteverhältnisse sein Verfahren zu ordnen hat. Im Rahmen der Kontrollgremienentscheidung hätte nur auf der Tatsachengrundlage argumentiert werden dürfen, daß vier Fraktionen im Parlament vertreten sind. Aus der Diskontinuität und damit verfassungsrechtlich vorgegebenen Flexibilität parlamentarischer Geschäftsordnungen folgt für die juristische Argumentation, daß bei der Prüfung von Regelungen des Geschäftsganges nicht hypothetische Fälle gebildet werden dürfen, sondern auf der Grundlage der konkreten parlamentarischen Gegebenheiten zu arbeiten ist.
34 Bereits die zu dieser Argumentation heranzuziehenden Beispiele können nach dem je verschiedenen Ziel der OberleglDlgen gebildet werden. 3S BVerfG, Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, 363f.
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5. Kapitel: Regelungsgehalt des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG
ill. Adressaten der Geschäftsordnung 1. Beschränkung auf Abgeordnete Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG ist neben der Diskontinuität noch eine weitere immanente verfassungsrechtliche Grenze der Geschäftsordnungsautonomie im Hinblick auf die Adressaten von Geschäftsordnungsregelungen zu entnehmen. Aus der Bestimmung, daß der Bundestag sich eine Geschäftsordnung gibt, folgt, daß die erlassenen Regelungen nur die Abgeordneten des Bundestages berechtigen und verpflichten. Der Bundestag hat insoweit Gewalt nur über sich selbst, d.h. seine Mitglieder. 36 Adressaten parlamentarischer Geschäftsordnungsregelungen sind ausschließlich die Abgeordneten; nur ihnen gegenüber zeitigen sie rechtliche Wirkungen. 3?
2. Reflexwirkungen gegenüber der Regierung Bereits bei der Darstellung des Verfassungsorganstatus des Bundestages wurde darauf hingewiesen, daß in der gewaltenteiligen Ordnung des Grundgesetzes die gegenseitigen Einwirkungsmöglichkeiten und die aufeinander bezogenen Rechte und Pflichten der Verfassungsorgane untereinander auf der Ebene der Verfassung niedergelegt sein müssen. 38 Deshalb kann in der Geschäftsordnung des Bundestages nicht rechtlich verbindlich nach außen das Verhältnis zur Bundesregierung oder zum Bundesrat festgelegt werden. 39 Das schließt jedoch nicht aus, daß der Bundestag für sich in der Geschäftordnung die Art und Weise seines Umganges mit anderen Verfassungsorganen festlegt. 40 Die Ausübung des Fragerechts des Parlaments gegenüber der Regierung ist ein Beispiel. Dieses ist in der Geschäftsordnung des Bundestages so ausgestaltet, daß Kleine und Große Anfragen von Abgeordneten in Fraktionsstärke gestellt werden können41 und auch jeder einzelne Abgeordnete kurze Einzelfra-
Amdt. Geschäfuordnungsautonomie u. autonomes Parlaments recht, S. 110. BVenG, Urt. v. 6.3.1952, BVenGE I, 144, 148; Maunz, in: Maun7/Dürig, GGKom, Art. 40 Rdnr. 18; Schäfer, Der Bundestag, S. 67; Zeh, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. n, § 43 Rdnr. 11, S. 432. 31 Siehe S. 3Of. 39 Amdt, Gcschäfuordnungsautonomie und autonomes Pariamentsrecht, S. 11Of; Maunz, in: MalD17JDiirig, GGKom, Art. 40 Rdnr. 18; Pietzcker, Schichten des Parlamentsrechts: Venassung, Gesetze und Geschäftsordnung, in: SchneiderIZeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 10 Rdnr. 22, S. 345f. 40 Amdt, Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlaments recht, S. 113. 41 §§ 100, 104,75 Abs. l.lit f) und Abs. 3,76 GeschOBT. 36
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gen an die Regierung richten kann. 42 Nach der Verfassung ist die Regierung jedoch nicht zur Beantwortung dieser Fragen verpflichtet. 43 Eine Rechtspflicht zur Beantwortung, die nur im Grundgesetz geregelt sein kann, besteht erst, wenn die Beantwortung aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses des Parlaments verlangt wird. Das folgt aus Art. 43 Abs. 1 GG, der einhellig dahin ausgelegt wird, daß das Recht, die Anwesenheit eines Mitglieds der Regierung zu verlangen, das Fragerecht und die Pflicht zur Beantwortung einschließt. 44 Hier zeigt sich in der Unterschiedlichkeit von verfassungsrechtlicher Pflicht und durch die Geschäftsordnung bestimmter parlamentarischer Praxis nicht das Auseinanderfallen von Verfassungswirklichkeit und Verfassungsrecht, sondern die Fernwirkung weiterer grundgesetzlicher Vorschriften über das Zusammenspiel von Parlament und Regierung. Die Regierung, die vom Vertrauen des Parlaments abhängig ist (Art. 67, 68 GG), liefe Gefahr, dieses zu verlieren, wenn sie sich beharrlich weigerte, Anfragen von Abgeordneten in Fraktionsstärke oder von einzelnen Abgeordneten zu beantworten und nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 43 Abs. 1 GG tätig würde. Insofern führen die Art. 67, 68 GG zwar nicht zu einer verfassungsrechtlichen wohl aber politisch-faktischen Außenwirkung der die Zusammenarbeit mit der Bundesregierung regelnden Teile der Geschäftsordnung des Bundestages. Diese Reflexwirkung liegt in der Konsequenz des parlamentarischen Regierungssystems des Grundgesetzes. 3. Regelung der Außenbeziehung zum Bürger durch Gesetz Soweit im Rahmen der parlamentarischen Arbeit Wirkungen über die Abgeordneten hinaus in Richtung auf einzelne Bürger eintreten, können Rechtspflichten nur aufgrund von Gesetzen begründet werden, nicht aber durch Geschäftsordnungsregelungen. 4s Das gilt u.a. für Zeugen- und Sachverständigenvernehmungen im Rahmen der Tätigkeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, auf die nach Art. 44 Abs. 2 GG die Vorschriften über den Strafprozeß anzuwenden sind. Die Frage, ob und wie das Verfahren der Untersuchungsaus-
42 § 105 GeschOBT i.V.m. Anlage 4 zur Geschäftsc