Verdankendes Denken: Schriften über die Beziehung zwischen Philosophie und Theologie 9783495825181, 9783495491959


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Geleitwort
Einleitung
1. Eine vielschichtige Persönlichkeit
2. Die philosophischen Quellen Hemmerles
2.1. Die Phänomenologie: Edmund Husserl
2.2. Heidegger und Welte: Die Religionsphilosophie
2.3. Dissonanzen im Chor: Heinrich Rombach und die Strukturontologie
2.4. Das dialogische Denken: Buber und Rosenzweig
2.5. Der Idealismus
3. Hemmerle als Theologe
4. Die Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Theologie
5. Der Beteiligung eines Charismas
6. Der kommunikative Stil Klaus Hemmerles
7. Textauswahl und Aufbau des Werkes
8. Schlussbemerkungen
I. Die Herausforderung des Heiligen
A. Zur Einführung
Das Heilige und das Denken. Zur philosophischen Phänomenologie des Heiligen
B. Handreichungen zur Lektüre
II. Die Bedeutung des Zeugnisses
A. Zur Einführung
Wahrheit und Zeugnis
B. Handreichungen zur Lektüre
III. Fragen der Beziehung
A. Zur Einführung
Das problematische Verhältnis von Philosophie und Theologie. Theologische Perspektiven
B. Handreichungen zur Lektüre
IV. Zur Schwelle des Denkens: Innerhalb und jenseits der Grenze
A. Zur Einführung
Denken der Grenze – Grenze des Denkens. Zur Phänomenologie Bernhard Weltes
Exkurs 1: Wort als Grenze
Exkurs 2: Das Heilige und die Offenbarung
B. Handreichungen zur Lektüre
V. Die Zeit überdenken
A. Zur Einführung
Trinität und Zeit
B. Handreichungen zur Lektüre
VI. Liebe und Wahrheit
A. Zur Einführung
Wahrheit und Liebe – ein perichoretisches Verhältnis
B. Handreichungen zur Lektüre
VII. Individualität und Gemeinschaftlichkeit: Pole einer menschlich-göttlichen Dynamik
A. Zur Einführung
Person und Gemeinschaft – eine philosophische und theologische Erwägung
B. Handreichungen zur Lektüre
VIII. Die Potenziale des Denkens im Dialog mit dem Glauben
A. Zur Einführung
Weite des Denkens im Glauben – Weite des Glaubens im Denken
B. Handreichungen zur Lektüre
IX. Der Einheit entgegen
A. Zur Einführung
Das unterscheidend Eine. Bemerkungen zum christlichen Verständnis von Einheit
B. Handreichungen zur Lektüre
Bibliographie
Zitierte Texte von Klaus Hemmerle
Literatur über Klaus Hemmerle
Weitere Literatur
Sachregister
Personenregister
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Verdankendes Denken: Schriften über die Beziehung zwischen Philosophie und Theologie
 9783495825181, 9783495491959

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SCI EN T I A

RELI GI O

Klaus Hemmerle

Verdankendes Denken Schriften zum Verhältnis von Philosophie und Theologie Eingeleitet und kommentiert von Valentina Gaudiano Aus dem Italienischen übersetzt von Hermann J. Benning

https://doi.org/10.5771/9783495825181

BER .

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Klaus Hemmerle Verdankendes Denken

VERLAG KARL ALBER

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https://doi.org/10.5771/9783495825181 .

SCI E N T IA

RE L I GIO

Band 20

Herausgegeben von Markus Enders und Bernhard Uhde Wissenschaftlicher Beirat Peter Antes, Reinhold Bernhardt, Hermann Deuser, Burkhard Gladigow, Klaus Otte †, Hubert Seiwert und Reiner Wimmer

https://doi.org/10.5771/9783495825181 .

Klaus Hemmerle

Verdankendes Denken Schriften zum Verhältnis von Philosophie und Theologie Eingeleitet und kommentiert von Valentina Gaudiano Aus dem Italienischen übersetzt von Hermann J. Benning

Verlag Karl Alber Freiburg / München

https://doi.org/10.5771/9783495825181 .

Klaus Hemmerle Owing Thinking Writings on the Relationship between Philosophy and Theology Do philosophy and theology have something to say to each other? Klaus Hemmerle seems to be convinced of this and is developing an approach to thinking that moves between the two disciplines. The writings compiled in the present volume aim to exemplify this approach to thinking, which bundles various themes – the sacred and thinking, truth and testimony, the theme of time, the Trinity, the question of love and the person in relation to revelation. The formal independence of the two disciplines does not detract from the complementarity of content that Hemmerle considers necessary. Hemmerle is primarily concerned with an overarching attitude of thinking that, in a cohesive view, mentally opens up every detail of reality and the whole as such, without »closing the bag«.

The author: Klaus Hemmerle (1929–1994), teaching in Bonn, Bochum and Freiburg, 1975 Bishop of Aachen. 1967 Habilitation with Bernhard Welte in Freiburg on »God and thinking according to Schelling’s late philosophy«. 1971 Professor of fundamental theology in Bochum. The editor: Valentina Gaudiano, born in Italy in 1979, received her PhD in philosophy from Ludwig-Maximilians-University of Munich in 2012. In 2018, she completed her postdoctoral research at Sophia University Institute near Florence. She is a research associate and lecturer at the same institute.

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Klaus Hemmerle Verdankendes Denken Schriften zum Verhältnis von Philosophie und Theologie Haben sich Philosophie und Theologie einander etwas zu sagen? Klaus Hemmerle scheint davon überzeugt zu sein und entwickelt einen Denkansatz, der sich zwischen beiden Disziplinen bewegt. Die in dem vorliegenden Band zusammengestellten Schriften wollen diesem Denkansatz, der verschiedene Themen bündelt – das Heilige und das Denken, Wahrheit und Zeugnis, das Thema der Zeit, die Dreifaltigkeit, die Frage nach der Liebe und der Person in Beziehung zur Offenbarung –, exemplarisch Rechnung tragen. Dabei tut die formale Eigenständigkeit der beiden Disziplinen einer von Hemmerle als notwendig erachteten inhaltlichen Komplementarität keinen Abbruch. Hemmerle geht es in erster Linie um eine übergreifende Denkhaltung, die in einem zusammenhaltenden Blick jedes Detail der Wirklichkeit und das Ganze als solches gedanklich erschließt, ohne dabei »den Sack zu zuzumachen«.

Der Autor: Klaus Hemmerle (1929–1994), Lehrtätigkeit in Bonn, Bochum und Freiburg, 1975 Bischof von Aachen. 1967 Habilitation bei Bernhard Welte in Freiburg über »Gott und das Denken nach Schellings Spätphilosophie«. 1971 Professor für Fundamentaltheologie in Bochum. Die Herausgeberin: Valentina Gaudiano, geb. 1979 in Italien, hat 2012 an der LudwigMaximilians-Universität München in Philosophie promoviert. 2018 hat sie ihr Postdoc am Sophia University Institute bei Florenz abgeschlossen. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Privatdozentin beim selben Institut.

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Die Herausgabe der Texte von Klaus Hemmerle erfolgte dank der Genehmigung von der Diözese von Aachen – Erbin und Rechteinhaberin des Gesamtgutes von Bischof Klaus Hemmerle.

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Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2021 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz: SatzWeise, Bad Wünnenberg Herstellung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN Print 978-3-495-49195-9 ISBN eBook (PDF) 978-3-495-82518-1

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Inhaltsverzeichnis

Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eine vielschichtige Persönlichkeit . . . . . . . . . . . 2. Die philosophischen Quellen Hemmerles . . . . . . 2.1. Die Phänomenologie: Edmund Husserl . . . . . 2.2. Heidegger und Welte: Die Religionsphilosophie . 2.3. Dissonanzen im Chor: Heinrich Rombach und die Strukturontologie . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Das dialogische Denken: Buber und Rosenzweig 2.5. Der Idealismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hemmerle als Theologe . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Beteiligung eines Charismas . . . . . . . . . . . 6. Der kommunikative Stil Klaus Hemmerles . . . . . . 7. Textauswahl und Aufbau des Werkes . . . . . . . . . 8. Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Herausforderung des Heiligen . . . . . . A. Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . Das Heilige und das Denken. Zur philosophischen Phänomenologie des Heiligen . . . . . . . . . . B. Handreichungen zur Lektüre . . . . . . . .

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44 49 52 56 60

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Inhaltsverzeichnis

II. Die Bedeutung des Zeugnisses . . A. Zur Einführung . . . . . . . . . . Wahrheit und Zeugnis . . . . . . . . . B. Handreichungen zur Lektüre . . .

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III. Fragen der Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das problematische Verhältnis von Philosophie und Theologie. Theologische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Handreichungen zur Lektüre . . . . . . . . . . . . . . .

172 172 176 195

IV.

Zur Schwelle des Denkens: Innerhalb und jenseits der Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Denken der Grenze – Grenze des Denkens. Zur Phänomenologie Bernhard Weltes . . . . . . . . . Exkurs 1: Wort als Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 2: Das Heilige und die Offenbarung . . . . . . . B. Handreichungen zur Lektüre . . . . . . . . . . . .

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206 223 224 227

V. Die Zeit überdenken . . . . A. Zur Einführung . . . . . . . Trinität und Zeit . . . . . . . . . B. Handreichungen zur Lektüre

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VI. Liebe und Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . A. Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahrheit und Liebe – ein perichoretisches Verhältnis B. Handreichungen zur Lektüre . . . . . . . . . .

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VII. Individualität und Gemeinschaftlichkeit: Pole einer menschlich-göttlichen Dynamik . . . . A. Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . Person und Gemeinschaft – eine philosophische und theologische Erwägung . . . . . . . . . . . . . . . B. Handreichungen zur Lektüre . . . . . . . . . . 8

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Klaus Hemmerle https://doi.org/10.5771/9783495825181 .

Inhaltsverzeichnis

VIII. Die Potenziale des Denkens im Dialog mit dem Glauben A. Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weite des Denkens im Glauben – Weite des Glaubens im Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Handreichungen zur Lektüre . . . . . . . . . . . . .

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IX. Der Einheit entgegen . . . . . . . . . . . . . . . . A. Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das unterscheidend Eine. Bemerkungen zum christlichen Verständnis von Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Handreichungen zur Lektüre . . . . . . . . . . . .

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Bibliographie . . . . . . . . . . . . Zitierte Texte von Klaus Hemmerle Literatur über Klaus Hemmerle . . Weitere Literatur . . . . . . . . .

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367 367 370 371

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sachregister

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Geleitwort

Es ist mir ein großes Anliegen, ein Geleitwort für dieses Werk von Dr. Valentina Gaudiano zu schreiben. Als Deutscher staune ich, dass sie es unternommen hat, die zentralen philosophischen Texte von Klaus Hemmerle in einem Band zusammenzufassen, ins Italienische zu übersetzen und in einer zweisprachigen Ausgabe zu veröffentlichen. Dr. Gaudiano, Dozentin am Hochschulinstitut Sophia in Loppiano bei Florenz, hat durch ihr Werk eine Brücke geschlagen zwischen dem italienischen und deutschen Sprachraum. Ihr langjähriges Studium an der LMU in München und ihre Promotion über Dietrich von Hildebrand waren eine hervorragende Voraussetzung, das Denken von Hemmerle für heute neu zu erschließen. Es ist ein Verdienst des Verlags Karl Alber, dass jetzt auch im deutschen Sprachraum zentrale philosophische Texte von Klaus Hemmerle durch die Arbeit von Gaudiano zur Verfügung gestellt werden. Denn die philosophischen Schriften von Hemmerle sind bisher nur verstreut in seinem Gesamtwerk zu finden, hauptsächlich in den fünf Bänden der »Ausgewählten Schriften«, die kurz nach seinem Tod von seinen Schülern veröffentlicht wurden. Weitere seiner fast 2000 Darstellungen und Veröffentlichungen finden sich auf der Internetseite des Klaus-HemmerleWerkes e. V. Dass sich eine italienische Philosophin so kompetent auf das Denken von Klaus Hemmerle einlässt, ist einfach beeindruckend. Das Denken von Hemmerle, das vom deutschen Idealismus ausgeht und sich dann im Aufnehmen der Ansätze der Phänomenologie von Edmund Husserl entfaltet, ist sprachlich so weit vom Italienischen entfernt, dass man sich nur wundern kann, wie gut jemand die Grundgedanken von Klaus Hemmerle erfassen und dem italienischen Publikum vermitteln konnte. Das Interessante an der Arbeit von Gaudiano, die nun in Deutschland erscheint, sind ihre Einleitungen zu den einzelnen Texten von Klaus Hemmerle, die sie in deutscher Sprache darbietet. Man erkennt unschwer, welche Leistung es ist, dass sie den gewaltigen Berg Verdankendes Denken

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Geleitwort

des Denkens und Durchdenkens von Klaus Hemmerle erstiegen und selber in ihrer Muttersprache verarbeitet hat. Dabei erweisen sich die philosophischen Einführungen in die jeweiligen Textabschnitte von Valentina Gaudiano als besonders hilfreich. Mir scheint, dass in unserer Zeit die Gedanken von Klaus Hemmerle neues Gewicht bekommen, denn sein Denken ist prozesshaft. Wir leben in einer Zeit, in der starke innerkirchliche, aber ebenso auch säkulare Vorgänge unterwegs sind, die man als echte Prozesse neuen Lebens und neuen Verhaltens beschreiben kann. Da kann ein Blick in das Werk von Klaus Hemmerle eine große Hilfe sein. Denn Hemmerle wagte es, alles zu hinterfragen und dann doch im Denken weiterzugehen. Bei ihm gehörten Denken und Leben zusammen. Mit Recht beschreibt Gaudiano den Hemmerle eigenen Kommunikationsstil als dialogisch, zirkulär und fragmentarisch. Für Hemmerle ist Denken ein Weg der Suche, der immer wieder neu vieles in Frage stellt und dennoch auch bruchstückhaft Antwort geben will, der das Gespräch sucht und offen ist für jeden Gedanken. Hemmerle zeichnet eine entwaffnende Offenheit aus, die gerade heute in so vielen auch innerkirchlichen Debatten einen neuen Akzent setzen kann. Offen sein für den anderen, dem anderen zuhören, mit dem anderen zusammen unterwegs sein im Denken, im Handeln – es sind Vorgänge, die weit über die Jetztzeit hinausragen. Hemmerle hat eine Bahn gebrochen für ein neues Denken. Hemmerle lädt ein, wenn er spricht und schreibt, zu einer Weggemeinschaft des Denkens. In seinem Denken selbst verleugnet er nicht den Einfluss der deutschen Philosophie des späten Idealismus von Schelling. Noch mehr aber erleben wir die Grundgedanken umgesetzt, die Husserl, Heidegger, Welte, Rosenzweig, Buber, Stein und von Hildebrand ihrerzeit erarbeitet haben. Bernhard Welte, sein Lehrer, hat eine Generation von jungen Theologen geformt, die dieses neue Denken in Theologie und Philosophie weiterentwickelt haben. Ich erinnere an Bernhard Casper und Peter Hünermann, beide Weggefährten von Hemmerle, beide bis heute auf ihren Arbeitsfeldern tätig. Hemmerle geht es darum, immer von neuem die Haltung des Zuhörens zu lernen. Dabei hilft ihm ein Denken, das nicht fassen will, den anderen nicht einordnen will. Es geht ihm um eine andere Weise des Denkens. Er nennt diese das lassende Denken, das zulassende Denken, das offene Denken. Wo dieses Denken geschieht, kommt es zu Begegnung. Diese Art der Begegnung, die aus dem Nachdenken und Mitdenken kommt, ist für Hemmerle ein Grundakt von Religion, 12

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Geleitwort

ein Grundakt auch des Evangeliums. Die Beziehung, die daraus entsteht, ist für Hemmerle der privilegierte Ort der Offenbarung Gottes. Hier zeigt sich, dass in Hemmerle der Philosoph und der Theologe zusammenarbeiten. Und selbst als Bischof hat er aus dieser Zusammenarbeit zweier Denkweisen bis in Hirtenbriefe und Gespräche mit jungen Leuten in den Gemeinden profitiert. Er wagte, sich immer neu in Frage zu stellen und zuzuhören. Dieses Denken zu erschließen, hat sich Dr. Valentina Gaudiano vorgenommen. Sie bietet Einführungen und dann den HemmerleText im Original. In ihrem Werk »Verdankendes Denken« bekommen Leser und Leserin einen Gesamtüberblick über das Denken von Klaus Hemmerle, indem sie neun grundlegende Aufsätze, Beiträge und Vorträge aus den Jahren 1966 bis 1994 auswählte. Die Tatsache, dass Hemmerles wissenschaftliches Wirken durch die Übernahme des Bischofsamtes quasi unterbrochen wurde, versagte ihm die Chance, seine Grundgedanken noch tiefer und umfassender zu entfalten. Aber er ist zeit seines Lebens an diesen Gedanken dran gewesen, er ist seinen Weg weitergegangen und hat viele mitgenommen. Ich möchte wünschen, dass dieses Buch ein Impuls ist, sich neu mit dem Denken und der Person von Klaus Hemmerle zu verbinden. Auch wenn im Rahmen der heutigen Missbrauchskrise in der katholischen Kirche auch auf ihn als seinerzeit amtierenden Bischof ein Schatten fällt, ist sein Denken eine bleibende Quelle, die neues Leben in der Kirche freisetzen kann. Hemmerles Anliegen heute könnte genau darin bestehen, sich auf die Fragen, die sich der Kirche heute stellen, neu einzulassen. Manches Mal hat er darüber gesprochen, manches Mal auch geschrieben. Leserinnen und Lesern, die sich von Hemmerle mit auf den Weg nehmen lassen, werden einem guten Geist begegnen. Sie werden unschwer erkennen, dass Hemmerles innerer spiritueller Weg durch sein Verhältnis zur Fokolarbewegung und ihrer Gründerin, Chiara Lubich, geprägt wurde. Für ihn sind Spiritualität und Denken, Spiritualität und Leben aus dem Glauben, Spiritualität und Philosophie kein Widerspruch, sondern führen zu einer Ganzheitlichkeit, die ein Denken freisetzt, das ins Danken kommt. Wilfried Hagemann

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Einleitung

Es ist kein leichtes Unterfangen, sich dem Ansatz eines Denkers wie Klaus Hemmerle in seinem Verständnis der Beziehung zwischen Philosophie und Theologie zu nähern. Wir leben in einer Zeit, in der viel von hochtechnisierten Massengesellschaften die Rede ist und das vernunftgesteuerte Funktionale zunehmend den Diskurs bestimmt. Da setzt das Folgende einen Kontrapunkt. Ein Mühen gegen den Trend? Möglicherweise ja, vielleicht aber auch nicht. Nicht wenige Zeichen im globalisierten menschlichen Zusammenleben der Welt deuten auf eine Fährte, genauer gesagt, sind Indizien für ein Bedürfnis, die Situation zu hinterfragen. Sie verweisen auf etwas Unerlässliches, das Humanum im weiten Sinne neu in den Blick zu nehmen, das Lebendige – um es mit Hemmerles Worten zu sagen –, das in Erfahrungen der Gemeinschaft Freude zeitigt, feierliche Momente erleben lässt und die Suche nach dem Sinn beflügelt. Es geht um ein gegenwärtig weniger explizit ausgesprochenes Anliegen, das sich jedoch unterschwellig in Fragen äußert angesichts kollektiver Orientierungen und Richtungsentscheidungen, durch die das Gewissen desensibilisiert, sodass wir uns schrittweise an das Inhumane gewöhnen. Politik und Wirtschaft – wohl Protagonisten der Weltgeschichte – haben ihr Potenzial zur Förderung des Menschen zum miteinander geteilten Gemeinwohl durch einen Aktionismus ersetzt, der zwar die Bestrebungen des Einzelnen gewährleistet, ihn aber nicht mehr ausschließlich als menschliches Wesen im Blick hat, sondern gleichzeitig als Exponent einer diffusen Kollektivität, was sich in manchen Entscheidungen durchaus individuell artikuliert, allerdings auf Kosten anderer Einzelwesen. Obwohl sich die Postmoderne gegen überkommene Ordnungen und feststrukturierte Systeme zur Wehr gesetzt hat, hängen wir im Grunde noch immer im System der Polaritäten – Nord und Süd, Ost und West, Arm und Reich, Mann und Frau, Individualismus und Kollektivismus, Vernunft und Glaube –, was die Unbeständigkeit und die Verdankendes Denken

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Einleitung

Aporien dieses Systems erheblich verschärft hat, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass das System selbst in Frage gestellt wurde, zuletzt auch durch die unerwartete Pandemie verursacht von CovSars 19. Es bedarf eines innovativen Zugangs, eines neuen Blickhorizonts, um das System der Polaritäten tatsächlich in Frage stellen zu können, um ihm endlich zu entkommen, in den Rhythmus einer Pluralität der Perspektiven einzuschwingen und diese geschichtliche Entwicklung der Menschheit in das Heute einzuschreiben. Es geht um eine neue Balance, die auf der Fähigkeit beruht, Andersartiges zu akzeptieren und auszuhalten, ohne es auf einem altgewohnten, beschwichtigenden gemeinsamen Nenner zu nivellieren. Ein solches Vorhaben ist nicht nur sozial von Bedeutung, sondern bezieht das gesamte Spektrum der Wissenschaften und die Kultur mit ein. Es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung, wirklich aufeinander zu hören – in dem Bewusstsein, dass wir die Wahrheit nicht allein gepachtet haben – und darüber hinaus, aus der Perspektive des anderen zu denken und zu handeln, denn das Leben und wir selbst sind ein unergründliches Geheimnis, in das wir in manchen Momenten nur mit Dankbarkeit vorzudringen vermögen. Es ist ein mühsamer, ein anspruchsvoller Weg, denn er setzt Vertrauen und Zivilcourage voraus; er ist aber heute mehr denn je wert, beschritten zu werden, solange unsere Gewissen noch nicht ganz vernebelt oder komplett eingeschlafen sind, weil wir uns an die monotonen Routinen im Alltag ganz und gar gewöhnt haben. Es gilt, sich auf diesen abenteuerlichen Weg zu begeben, mit seinen Höhen und Tiefen, mit streckenweise gewaltigen Herausforderungen; es ist ein Weg der Begegnungen, die uns anregen, die uns zum Verweilen, zum Austausch und Auseinandersetzung einladen, bisweilen mit viel Licht, andere Male wiederum im Dunkel; doch es ist stets ein gemeinschaftlicher Weg, den wir »miteinander« – ein Schlüsselwort für die Zukunft – gehen. Das ganze Geschehen ist eine klare Herausforderung, über Erfolge und Niederlagen bei der Überquerung des Ozeans des Lebens mit dem Schiff nachzudenken – gemeinsam mit allen Passagieren an Bord – in Richtung einer Zukunft, die bereits im Heute gegenwärtig ist. Klaus Hemmerle ist ein Mensch und Denker, der diesen Weg intellektuell und im alltäglichen Leben bereits beschritten hat, wobei er andere zur Weggemeinschaft einlud. Wenn wir hier einige seiner philosophisch-theologischen Texte neu ins Blickfeld rücken, entspringt das dem Wunsch, eine Persönlichkeit, intellektuell und 16

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Eine vielschichtige Persönlichkeit

menschlich von hohem Rang, lebendig werden zu lassen, die das Zeitgeschehen in gewissen Sinne antizipiert hat und uns Impulse zur Reflexion anbietet, die es zu aktualisieren und zu entwickeln gilt. Man sollte in diesem Buch nicht nach Antworten oder gebrauchsfertigen Theorien suchen, sondern nach Anregungen und Impulsen, die angeboten werden, um aufgegriffen und weiterentwickelt zu werden. Das hängt nicht nur mit einer bestimmten Kontingenz zusammen, die Hemmerles Leben und Denken geprägt hat, sondern auch mit einer Grundhaltung, einer Entscheidung – vielleicht ihm selbst nicht immer voll bewusst –, nie etwas ohne Weiteres abzuhaken. Hemmerle war kein Systemdenker, eher ein »Strukturdenker«; unter seinen Schriften findet man wenige, die sich einer solchen Kategorie zuordnen ließen. Sein Denken, Sprechen und Schreiben war meist Antwort auf jemanden oder etwas, mit dem er konfrontiert war. Es war stets Aufnahme eines Dialogs in dem Bewusstsein, nie zu allgemein verständlichen und global gültigen Lösungen gelangen zu können, denn die Wahrheit scheint vor allem dort auf, wo sie beheimatet ist: in der Begegnung. Hemmerles Denken präsentiert sich heute als gut und reich bestelltes Feld, das auf die Ernte seiner Früchte wartet, um danach für eine neue Aussaat aufbereitet zu werden.

1.

Eine vielschichtige Persönlichkeit

Hemmerle als Denker zu verorten, ist angesichts seiner umfassenden Persönlichkeit und der Vielfalt seiner Talente eine komplexe Aufgabe; hinzu kommen die Rollen, die ihm im Laufe seines Lebens anvertraut wurden, und nicht zuletzt hat sein intellektuelles Werk einen fragmentarischen, fast »inselartigen« Charakter. All diese Facetten sind so ineinander verwoben, dass es abstrakt und künstlich wirken würde, eine einzelne herauszuheben und den Fokus ausschließlich darauf zu richten. Von daher tut man sich schwer, von Hemmerle nur als Philosoph und nur von dem Theologen Hemmerle zu sprechen. Darüber hinaus beeinflusste seine künstlerische Ader, die sich in Aquarellen und im Klavierspielen äußerte, sein Denken entscheidend; man muss davon ausgehen, dass nicht wenige seiner Aussagen und Ideen ihren Quellgrund in der Kunst hatten. Zur Erleichterung der Lektüre und Begegnung mit ihm und seinen hier aufs Neue veröffentlichten Texten werden wir versuchen, Verdankendes Denken

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Einleitung

jene Aspekte ins Licht zu rücken, die im eigentlichen Sinn die Grundlinien seines philosophischen und theologischen Denkens markieren und in beiden Fachdisziplinen seine Inspirationsquellen offenlegen.

2.

Die philosophischen Quellen Hemmerles

Klaus Hemmerle studierte Philosophie im Rahmen seines Studiums an der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg in den Jahren 1947 bis 1951; an dieser Universität promovierte er auch und habilitierte er sich. Wir befinden uns in einem Kontext, der seinerzeit stark von der Phänomenologie geprägt war. Edmund Husserl 1 und Martin Heidegger 2 haben dort viele Jahre gelehrt und begründeten eine Schule des Denkens mit namhaften Schülern, u. a. Eugen Fink 3 und Bernhard Welte 4. Edmund Husserl (1859–1938), Begründer der Phänomenologie, lehrte mehrere Jahre in Göttingen – wo 1912 der Phänomenologen-Kreis entstand – und übernahm 1916 den Lehrstuhl von Heinrich Rickert in Freiburg; dort blieb er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1928. 2 Martin Heidegger (1889–1976) – Schüler und Kritiker von Husserl – gab der Phänomenologie eine hermeneutisch-geschichtliche Ausrichtung. Er wurde 1923 Professor in Marburg, wo sich ein Kreis seiner Schüler bildete und der Gelehrte im Kontakt mit führenden Intellektuellen war, u. a. mit Nicolai Hartmann, Paul Natorp und dem Theologen Rudolf Bultmann. 1928 übernahm er als Nachfolger von Husserl, der ihn selbst dafür präferiert hatte, dessen Lehrstuhl in Freiburg; er lehrte dort bis zu seiner Emeritierung, mit zwei Unterbrechungen: In den Jahren 1933 und 1934 war er national-sozialistisch »belasteter« Rektor der Freiburger Universität; von 1945 bis 1949 hatte er wegen seiner Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus Lehrverbot. 3 Eugen Fink (1905–1975) war ein Husserl-Schüler und arbeitete mit ihm nach dessen Emeritierung, als dieser offiziell nicht mehr an der Universität lehrte. Als Husserl 1933 vom Hitler-Regime zur Einstellung aller Aktivitäten gezwungen wurde, verzichtete auch Fink auf seine Universitätskarriere, um ihm als Privatassistent weiter zur Seite zu stehen. Nach Husserls Tod rettete Fink, zusammen mit Ludwig Landgrebe, dessen Nachlass nach Löwen; dort setzte er eine große Arbeit ins Werk, die den Weg zur Entstehung des aktuellen Husserl-Archivs bahnte. Nach dem Krieg konnte Fink weiter an seiner Habilitation arbeiten; er kehrte 1948 als Professor nach Freiburg zurück, wo er bis zu seinem Tod blieb. In jenen Jahren trug er bei zur Gründung eines Husserl-Archivs an der Universität und blieb in Kontakt mit Heidegger, mit dem er einige Seminare gemeinsam gestaltete. 4 Bernhard Welte (1906–1983), Theologe und Professor für Christliche Religionsphilosophie an der Freiburger Universität, zählte zum Färber-Kreis in Freiburg, um die Theologie vom neuscholastischen Ansatz zu befreien und zu erneuern. Er besuchte auch die Vorlesungen Heideggers und machte sich die phänomenologische Methode zu eigen, indem er sie in Dialog mit der klassischen Metaphysik brachte. Lange Jahre 1

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Die philosophischen Quellen Hemmerles

Letzterem kommt in der philosophischen Prägung des jungen Hemmerle eine Schlüsselrolle zu; er blieb mit ihm zeitlebens eng verbunden. Hemmerle selbst äußerte sich über diese Verbindung und die Bedeutung von Welte für seine Bildung, wie Wilfried Hagemann bezeugt: »Nicht nur einmal hat Hemmerle mir erzählt, wie er durch die Philosophie und die philosophische Arbeit von Bernhard Welte ganz konkret das Sehen, das Wahrnehmen, das Hinsehen gelernt habe, ganz gleich, ob es sich um Philosophie, Architektur, Musik, Poesie gehandelt hätte« 5. Demnach erschloss Welte Hemmerle die Welt der Phänomenologie, aber nicht nur: Er lernte durch ihn auch Thomas von Aquin kennen und schätzen, aber vor allem den Deutschen Idealismus Schellings, Hegels und von Baaders. Die Ausstrahlung dieses Gelehrten auf seine Studierenden blieb nicht auf Hemmerle beschränkt; ihm gesellten sich weitere Studenten zu, von denen zwei mit ihm eine Forschergruppe bildeten, die der Auseinandersetzung mit dem Denken ihres Lehrers diente: Bernhard Casper und Peter Hünermann 6. Aus dieser Arbeitsgruppe ergaben sich weitere Verbindungen, die die Formung des jungen Theologen beeinflussten; dazu gehört u. a. das Denken Franz Rosenzweigs und Martin Bubers. In jenen Jahren studierte auch Heinrich Rombach 7 an der Freiburger Universität, wo er vor allem Seminare Heideggers und Finks belegte; lehrte an der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Christliche Religionsphilosophie. Schwerpunkt seiner Forschung und Lehre war die Spannung zwischen säkularisierter Welt und religiöser Erfahrung. 5 W. Hagemann, Klaus Hemmerle. Grundlinien eines Lebens, in: H.-H. Henrix (Hg.), Bischof Klaus Hemmerle (1929–1994) – Ein geistlicher Meister, Einhard Verlag, Aachen 2004, 11. 6 Bernhard Casper – emeritierter Prof. für Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie an der Theologischen Fakultät in Freiburg und Mitherausgeber der Gesammelten Schriften Franz Rosenzweigs – und Peter Hünermann – emeritierter Professor für katholische Dogmatik an der Eberhard Karls Universität Tübingen – haben in den Jahren zwischen 1950 bis Anfang 1960 zusammen mit Klaus Hemmerle an Forschungen zu der religionsphilosophischen und theologischen Relevanz eines geschichtlichdialogischen Denkens gearbeitet. Casper berichtet von dieser Dreier-Gruppe in: B. Casper, Der Mann der ersten Liebe. Über Klaus Hemmerles Weise des Denkens und deren Bedeutung für die Zukunft des Christentums, in: H. H. Henrix (Hg.), Bischof Klaus Hemmerle (1929–1994), ebd., 71–85. 7 Heinrich Rombach (1923–2004), studierte Philosophie bei Heidegger in Freiburg i. Br. und wurde zugleich auch von Müller, Fink und Szilasi beeinflusst. Er lehrte Philosophie in Würzburg bis zur Emeritierung 1990 und ist Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für phänomenologische Forschung. Im Zentrum seiner Forschung stand das Konzept des Seins als Struktur. Verdankendes Denken

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daraus entwickelte sich dann die »Strukturontologie« 8, von der Hemmerle besonders angetan war. Man darf also behaupten, dass seine intellektuelle Formung von einer regelrechten Schule des Denkens geprägt war, die speziell die Forschung und den Diskurs über die Religionsphilosophie entwickelte, und dass seine Orientierung im Denken aus dieser Richtung kam und beeinflusst war. Stephan Loos führt die These 9 ins Feld, in Freiburg sei eine eigene Religionsphänomenologie entstanden, die von Husserl und Heidegger über Welte bis Rombach und Hemmerle reiche. Diese Schule umreißt Bernhard Casper in drei Punkten: 1.) Triebfeder des Denkens war ein der Philosophie ganz eigenes Bedürfnis, Ursprungswissenschaft zu sein: »Es ist das Bemühen, allen Schutt, den die menschliche Geistes- und Kulturgeschichte im Laufe der Jahrhunderte angehäuft hat, wegzuräumen, um wieder auf den Boden zu kommen, um die Quellen des menschlichen Erkennens neu zu endecken« 10; 2.) In diesem Sinne ging es auch um Korrelationsforschung, das heißt keine Beschränkung im Denken auf einen Einzelgegenstand, um von dort aus auf die Welt zu schließen, sondern ein Eintreten in das vorliegende Beziehungsgeschehen, in dem wir mittendrin stehen 11; 3.) Die eigene Existenz hatte einen konstitutiven Stellenwert für das Denken und die Geschichte als Manifestation des Sich-Zeigens des menschlichen Da-Seins 12.

2.1. Die Phänomenologie: Edmund Husserl Obwohl der Zugang zur Phänomenologie durch Welte – und damit verbunden durch dessen Heidegger-Verständnis – vermittelt wird, darf man daraus nicht schließen, die zuerst von Husserl erarbeiteten Grundlagen der Phänomenologie seien bei Welte nicht präsent gewesen. H. Rombach, Strukturontologie, Eine Phänomenologie der Freiheit, Karl Alber, Freiburg-München 21988. 9 S. Loos, Freiburg – Keimzelle der philosophischen Religionsphänomenologie, in: G. Bausenhart/M. Böhnke/D. Lorenz (Hg.), Phänomenologie und Theologie im Gespräch. Impulse von Bernhard Welte und Klaus Hemmerle, Herder, Freiburg – Basel – Wien, 2013. 10 B. Casper, Der Mann der ersten Liebe, ebd., 72. 11 Casper identifiziert relationales Denken als typischen Hemmerle-Stil. 12 Vgl. B. Casper, Der Mann der ersten Liebe, ebd., 72–74. 8

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Das ursprüngliche Bedürfnis, das das Studium und die Forschung des Begründers der Phänomenologie beseelte, bestand darin, der Philosophie ihre wissenschaftliche Würde wiederzugeben. Verbunden war dies mit der Absicht, der Frage nach Sinn beziehungsweise Sinnverlust der menschlichen Existenz neu Gewicht beizumessen, denn man hatte das beiseitegelegt, indem man Analysen empirischer Fakten favorisierte. »Wir wollen uns schlechterdings nicht mit ›blossen Worten‹ […] zufrieden geben […]. Wir wollen auf die ›Sachen selbst‹ zurückgehen« 13. Diese Rückkehr zu den Sachen selbst vollzieht sich in einer Neubesinnung auf die Beziehung zwischen den Gegenständen und dem Subjekt des Bewusstseins, das mit ihnen konfrontiert ist; zum Interpretationsschlüssel wird dabei die von Franz Brentano eingeführte Intentionalität, die Husserl als jenes »Gerichtetsein« des Bewusstseins interpretierte, so dass es immer Bewusstsein von etwas ist, das uns in der Weise gegenwärtig ist, wie es »intendiert« wird. Das ist aber die Konstatierung einer Tatsache und nicht eine unabdingbare Aufgabe des Subjekts. Somit repräsentiert die intentionale Relation einerseits das Subjekt mit seinem intentionalen Erlebnis (die Art und Weise, wie ich den Computer vor mir sehe, besser: das Sehen des Computers vor mir) und andererseits den intendierten, im Bezug zum Erlebnis transzendierenden Gegenstand, der demzufolge nicht sein effektiver Gehalt ist (der Computer, den ich sehe). Daraus lässt sich folgern, dass intentionale Erlebnisse einen ihnen eigenen reellen Gehalt aufweisen beziehungsweise auf psychischen Elementen beruhen, die an das Subjekt und sein Handeln gekoppelt sind, was Husserl als noesis bezeichnet, sowie auf objektiven Elementen, die deren intentionales Korrelat bilden, und noema genannt werden; Letztere sind nicht gedankliche Objekte und schon gar nicht reale Gegenstände, sondern der intendierte Gegenstand, in der Art, wie er gemeint ist und innerhalb der Grenzen, in denen er gemeint ist. Praktisch steht der Denkinhalt als solcher, das noema, immer und allein in intentionaler Relation zu seinem noetischen Subjekt und demzufolge zu den Akten, die ihn intendieren. Daraus folgt, dass ein Objekt nie nur für sich gegeben ist, sondern immer und allein als Wahrgenommenes, Vorgestelltes, als Fantasiegebilde usw., d. h. ganz eng verbunden mit dem Subjekt, das wahrnimmt, sich E. Husserl, Logische Untersuchungen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis II.1, Max Niemeyer, Tübingen, 61980, 5–6.

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etwas vorstellt und fantasiert. In dieser Auffassung schlug Husserl massive Kritik entgegen, im Besonderen hinsichtlich seiner Methode der transzendentalen Reduktion, in der alles auf das Subjekt zurückgeführt wird und die Möglichkeit verloren zu gehen scheint, eine größere Objektivität der Dinge zu wahren. In Wirklichkeit geht es Husserl darum, das objektive Element neu aufzugreifen, indem er dessen Identität herausarbeitet als Bestand, der trotz des Variierens meiner Wahrnehmungen und Vorstellungen als Grundkern unverändert fortbleibt und den Gegenstand selbst kennzeichnet 14. Hinzu kommt eine weitere Entwicklung der phänomenologischen Methode in den Ideen 15 mit der Anwendung der Epoché und der phänomenologischen Reduktion – was Husserl zahlreiche Auseinandersetzungen mit seinen Schülern einbrachte, die teilweise zum Abbruch der Beziehung und der Zusammenarbeit führten, worauf wir hier nicht näher eingehen können 16. Vgl. S. Luft/S. Overgaard (Hg.), The Routledge Companion to Phenomenology, Routledge, Abingdon 2012 und K.-H. Lembeck, Einführung in die phänomenologische Philosophie, WBG-Bibliothek, Darmstadt 1994. 15 E. Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und für eine philosophische Phänomenologie (Husserliana), K. Schumann (HG.), Bd. 1, Martinus Nijhoff, Leiden 1976. 16 Für mehrere Schüler der Phänomenologischen Gesellschaft standen die Ideen in völligem Kontrast zu dem, was in den Logischen Untersuchungen erarbeitet und in Aussicht gestellt worden war, nämlich die reelle Wiederherstellung des Gegenstandes sowie ein Überdenken der intentionalen Relation. Im Blick auf jene Schüler, die diese Schritte in den Ideen nicht mitgingen, sei hier an die getreue Husserl-Schülerin Edith Stein erinnert, die ihm nach Freiburg folgte, um dann ihren eigenen Weg zu gehen, ferner an Hedwig Conrad-Martius, Dietrich von Hildebrand und Adolf Reinach, um nur ein paar Namen zu nennen. Das Ganze ist jedoch etwas komplexer; viele Kritiker sind gegenwärtig der Auffassung, bei Husserl könne man nicht von einem wahren Bruch und Wandel sprechen, sondern man müsse das eher als eine Vertiefung sehen, die für einige seiner Schüler möglicherweise nicht plausibel war, die die philosophische Methode ihres Meisters bereits in anderer Weise interpretiert hatten. Man spricht heute tatsächlich von einer realistischen Phänomenologie und bezieht das auf eine Reihe von Phänomenologen, die sich, obwohl sie Husserl-Schüler waren, von ihm lösten, um dem Transzendentalismus der Ideen durch eine realistischere Zugangsweise zu entkommen. Zur weiteren Vertiefung in dieser Hinsicht vgl. E. Stein/ A. Neyer, Aus dem Leben einer jüdischen Familie und weitere autobiographische Beiträge (ESGA 1), Herder, Freiburg 2002; K. Rynkiewicz, Zwischen Realismus und Idealismus: Ingardens Überwindung des transzendentalen Idealismus Husserls, Ontos Verlag, Frankfurt 2008, 349 f.; J. Feldes, Das Phänomenologenheim: der Bergzaberner Kreis im Kontext der frühen phänomenologischen Bewegung, Ad Fontes Bd. 1, Verlag Traugott Bautz GmbH, Nordhausen 2015; M. Tedeschini, La controversia idealismo-realismo (1907–1931). Breve storia concettuale della contesa tra Hus14

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Die Epoché als Urteilsenthaltung ist nicht als programmatischer Skeptizismus aufzufassen, sondern als Bedürfnis, an der Grundlegung der Möglichkeitsbedingungen zum sicheren Erkennen zu arbeiten. Sie setzt eine Einklammerung voraus, das heißt eine temporäre Aufhebung, sei es der empirisch-faktischen Kenntnisse, sei es all jener erkenntnistheoretischen Einstellungen, die in gewissem Sinne durch Vorverständnisse und Vorurteile belastet sind, Begleiterscheinungen dessen, was Husserl als natürliche Einstellung bezeichnet. Auf die Einklammerung folgt die Urteilsenthaltung, will sagen, man lässt das Urteil in der Schwebe im Blick auf all das, was jetzt hier für mich so ist und dem ich unterstelle, es sei für jeden nachvollziehbar: Die Motivation für diesen Akt ist der Anspruch, sich aufzumachen, um die Genesis dieser Sache, wie sie sich uns als Objekt darstellt, in den Blick zu nehmen. Durch den methodischen Schritt der Epoché wird der phänomenologischen Reduktion der Weg gebahnt, der allererst zu einer Reduktion an der Immanenz des Phänomens führt, das heißt eine Reduktion am Ich in der Einklammerung der natürlichen Einstellung. So reduziert sich alles auf die Ebene des ego cogito, von wo aus eine Anerkennung evidenter Urteile möglich ist. Auf dem Wege gelangen wir zur eidetischen Reduktion beziehungsweise zur Wesensreduktion: Das bedeutet, dahin zu gelangen, das quid einer Sache zu erfassen, seine Materialität im Allgemeinen, die sich in ihrer Ursprünglichkeit wahrnehmen lässt. Ausgehend von der Beziehung zwischen dem cogito, an dem sich die gesamte Realität als noetischer Pol reduziert, und dem cogitatum, als dessen dazugehörigem relationalen Pol, wird die Welt in ihrer erfahrungsgemäßen Gegebenheit und als Welt der anderen, als Lebenswelt erschlossen. Es ist eine Welt, die offen ist, selbst im Fragen nach Gott. Die Einklammerung der natürlichen Welt und der psycho-physischen Natur des Menschen bringt Husserl auf die Frage nach der Transzendenz Gottes, die der Welt in polarer Beziehung gegenübersteht. Abgesehen von der Feststellung, dass diese Transzendenz lediglich durch absolutes Beobachten fassbar ist und dass sie den alles umfassenden telos repräsentieren muss, beschäftigt sich Husserl nicht

serl e gli allievi di Monaco e Gottinga, in: »Lexicon Philosophicum: International Journal of the History of Texts and Ideas« 2, 2014, http://lexicon.cnr.it/. Verdankendes Denken

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direkt mit dem Thema Religion und Gott, sondern nur am Rande anderer Problemstellungen 17.

2.2. Heidegger und Welte: Die Religionsphilosophie Zahlreiche Husserl-Schüler beziehungsweise Teilnehmer am Phänomenologen-Kreis waren interessiert am Phänomen der Religion und an der religiösen Akt-Erfahrung, mit der sich Husserl wenig befasst hat. Dieser Sachverhalt ist bis auf den heutigen Tag wenig erforscht. Gleichwohl weckt es Neugier, dass gerade von einem Denker her, der dem Religiösen wenig Aufmerksamkeit und Raum widmete, in der Richtung umfangreiche Studien vorangetrieben wurden. Bei genauerem Hinsehen lassen sich Antworten finden. Als Erstes gilt es, die Epochè in den Blick zu nehmen, die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland: Es ist unschwer vorstellbar, dass und in welchem Maße die beiden Weltkriege Einfluss auf junge Intellektuelle hatten, in denen sie den Drang nach einem Hinterfragen weckten, jedenfalls nach einem Überdenken dessen, was man früher gewusst und geglaubt hatte 18. Des Weiteren brachte ein Aufblühen der katholischen Kirche mitsamt ihrer zunehmenden Annäherung an die zeitgenössische Kultur wachsenden Zuspruch ein und führte sie zu einer verstärkten Partizipation am sozialen und kulturellen Leben. Nicht zuletzt – um das Ganze nicht allein auf existenzielle Erscheinungsformen zu beschränken – ließ die phänomenologische Methode die Frage nach Gott beziehungsweise nach dem Religiösen als allgemeines Phänomen nicht unberührt. Ein philosophischer Ansatz nämlich, der sich anschickt, von Vor-Urteilen und Vor-Verständnissen zu befreien, um Raum zu schaffen für die Sache selbst, wie sie sich ursprünglich gibt, kommt nicht umhin, ihren Blick auf den Gesamthorizont der Erscheinungsformen dessen, was ist, zu öffnen, somit auch auf Gott. Interessant und anregend zur weiteren Reflexion ist die Übernahme eines bestimmten Credos: Die Phänomenologen in Göttingen,

Hierzu vgl. K. Held, Gott in Edmund Husserls Phänomenologie, in: F. Mattens/ H. Jacobs/C. Ierna (eds) Philosophy, Phenomenology, Sciences. Phaenomenologica, Bd. 200. Springer, Dordrecht 2010, 723–738. 18 Vgl. S. Loos, Freiburg – Keimzelle der philosophischen Religionsphänomenologie, ebd. 17

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München und Freiburg (die drei Orte, an denen sich der Phänomenologen-Kreis in der Anfangszeit traf) wurden tatsächlich mehrheitlich Gläubige, nachdem sie die Phänomenologie kennengelernt hatten und durch den Austausch mit ihren Lehrern und Gefährten; das geschah sogar auf dem Weg einer Konversion wie beispielhaft im Fall von Edith Stein und Dietrich von Hildebrand. Das ist ein Fingerzeig im Blick auf das, worauf wir bei Welte und Hemmerle stoßen werden, das heißt die Tatsache, dass wir vor einem intellektuellen Phänomen stehen, das seiner Natur nach ein Suchen wachruft, in dem das Denken komplett mit einem existenziellen Suchen gepaart ist, aber auch »umgekehrt«: Die existenziellen Entscheidungen färben und bereichern das Denken. Nicht zuletzt deshalb kann man von einer »Schule des Denkens« 19 sprechen; wir befinden uns vor Lehrmeistern, die ihr Suchen unter Einbeziehung ihrer Freunde, Kollegen und Studenten gestalteten und aus dem unablässigen Dialog mit diesen ihre eigene Reflexion zu weiterer Reife führten. Martin Heidegger ist einer dieser Lehrmeister, der neben Husserl in diesem Sinne zur Formung ganzer Generationen junger Menschen und darüber hinaus beigetragen hat. Gemeinsam ist beiden die Methode. Der Marburger Philosoph hat es so formuliert: »Der Ausdruck ›Phänomenologie‹ bedeutet primär einen Methodenbegriff. Er charakterisiert nicht das sachhaltige Was der Gegenstände der philosophischen Forschung, sondern das Wie dieser« 20. Und was wird in dieser Weise aufgewiesen? Das Sein der Dinge, das den Menschen zunächst in der Weise der »Zuhandenheit« eingeht und das sich einem »reinen Ich« nie geben kann. Hier liegt der Unterschied zu Husserl, denn der Intentionalität wird eine andere Rolle zugeordnet: Sie ist nicht mehr »Brücke« zwischen dem Subjekt und den Inhalten der Sinneswahrnehmung, um zu den Dingen in ihrer Faktizität zu gelangen; vielmehr manifestiert Einige Forscher vertreten die Auffassung, man könne in der »Freiburger Schule« ab Beginn der Heidegger-Vorlesungen in den Jahren 1920/1921 eine regelrechte Ideenschmiede der Religionsphänomenologie ausmachen. Zur Vertiefung in der Hinsicht vgl. C. Lambert, Historische und systematische Aspekte einer Freiburger Religionsphänomenologie, in: G. Bausenhart/M. Böhnke/D. Lorenz (Hg), Phänomenologie und Theologie im Gespräch, ebd., 74–83; G. Bausenhart, Martin Heideggers Weichenstellungen für eine mögliche Rezeption der Phänomenologie in der Theologie ausgehend von der Vorlesung »Einleitung in die Phänomenologie der Religion« (1920–21), in: ebd., 95–126. 20 M. Heidegger, Sein und Zeit § 7, Max Niemeyer, Tübingen 101963, 27. 19

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sich das Seiende in seinem Sein, das heißt in bestimmter Dinglichkeit und mit einer spezifischen Anwendungsfunktion, aus der die generellen Begriffe abgeleitet werden. Heidegger ist zutiefst davon überzeugt, dass der Zugang zu dem, was ist, verstanden werden muss ausgehend von der menschlichen Bedingung des Seins in der Welt und daher immer die Nähe zu den Dingen sucht. So gesehen ist die ursprüngliche Beziehung nicht Beziehung-zu, sondern ein bei-denDingen-Sein; die Kenntnisnahme der Welt beschränkt sich nicht auf die reine Wahrnehmung, sondern bedarf der praktischen Dimension, der Anwendung und Aufmerksamkeit. Die »Faktizität« zeigt uns nämlich, dass man die Dinge untereinander nicht trennen kann, um sie als Einzelgegebenheiten zu registrieren, sondern dass alles verbunden ist und in Beziehung steht. Deshalb kann ein transzendentales Subjekt die Realität nicht konstituieren, sondern es selbst setzt sich in Beziehung zu ihrer wesenhaften Faktizität. Diese Einstellung der objektivierenden Offenheit und Enthaltung enthält eine noch stärkere Kontaktmöglichkeit mit dem religiösen Verhältnis als der husserlsche Ansatz: Die Religion wird in einer Kenntnisnahme aufgefasst, die auf die Perzeption des Phänomens selbst folgt, das sich nur durch faktische Lebenserfahrung zeigen kann. Das bedeutet, dass sich für Heidegger die phänomenologische Methode geschichtlich erfüllt, insoweit sich in ihr die Selbstherstellung des Da-Seins vollzieht; von daher ist das phänomenologische Verständnis der historischen Situation unterworfen. Es ist also der Übergang von einer reflexiven Phänomenologie zu einer hermeneutischen beziehungsweise deutenden Phänomenologie des Gegebenen. Diese Einstellung faszinierte und motivierte den jungen Bernhard Welte (1906–1983). Er kam aus einem Horizont geistiger »Enge«, die einige Theologiekurse während seines Studiums in ihm heraufbeschworen hatten, und hörte auf Einladung des Verantwortlichen seines Priesterseminars Heideggers Vorlesungen, die ihm einen neuen Deutungshorizont für das Phänomen des religiösen Verhältnisses zugänglich machten. Welte war der Erste, der den phänomenologischen Ansatz Heideggers für eine christliche Religionsphilosophie fruchtbar werden ließ 21. Ab dem Jahr 1949 hielt er an der Freiburger Universität Vorlesungen in Religionsphilosophie – die Hemmerle hörte –, wobei er versuchte, den unabdingbaren Wert Vgl. S. Loos, Freiburg – Keimzelle der philosophischen Religionsphänomenologie, ebd.

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der Religion hervorzuheben, nicht nur subjektiv, sondern auch greifbar über die bloße Subjektivität hinaus. In diesem Sinn waren die Ausführungen Rudolf Ottos und Max Schelers in manchen Punkten zu stark psychologisierend beziehungsweise zum Irrationalen tendierend 22, wenngleich sie ihre Gültigkeit haben in Anerkennung der Verschiedenartigkeit des religiösen Objekts und der Notwendigkeit entsprechender Akte: Das Heilige kann vom Bewusstsein nicht in gleicher Weise wahrgenommen werden wie das Profane. Die Frage ist jedoch, in welcher Weise man sich dem Heiligen nähert, wenn man es nicht durch eine Typisierung von Akten des Menschlichen erfassen kann, die in gewisser Weise Antworten auf eine natürliche Notwendigkeit wären. Mit anderen Worten: Es stellt sich die Frage, wie sich die Vernunft im Verlauf des Prozesses von jeder Modifizierung freimachen kann, um das Heilige als das Heilige wahrzunehmen. Weltes Vorschlag ist ein dreistufiger Weg, der primär von einer Askese im Loslassen aller Begriffe (via negationis) ausgeht, sich vollständig öffnet, um all das zu sammeln, was ihm begegnet (via affermationis), bis zur wesenhaften Einfalt (via eminentiae). Es geht darum, an den Punkt zu gelangen, an dem »das Denken selbst in seinem Vollzug der Askese, Sammlung, Einfalt und Stille dem Heiligen [entspricht]« 23. Hier findet sich die zentrale Aussage, die dann auch Hemmerle in seiner philosophisch-theologischen Reflexion motivieren wird, und zwar nicht nur im Bezug auf das Heilige und Themen der Religion. Im Besonderen Weltes Aufforderung zu einem Denken, das nicht zur Irrationalität berufen ist, sondern zum Zuhören und Schweigen angesichts des Heiligen, um danach neue Worte darüber zu finden, die von ihm zu sprechen vermögen, wird in einigen Schriften und Gedanken seines Schülers ein nachhaltiges Echo finden. Grundlegend für eine solche Einstellung und ein derartiges Verständnis der Annäherung an das Heilige ist die epochetische Erfahrung, die Welte als Spur desselben die Existenz in der Welt »als offenen Erfahrungsraum« finden lässt, sodass er zu der Behauptung kommt: »Als erste dieser unleugbaren Tatsachen schlage ich vor, diese

Vgl. R. Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, 261947, Biederstein, München (wurde in über 20 Sprachen übersetzt). 23 Vgl. S. Loos, Freiburg – Keimzelle der philosophischen Religionsphänomenologie, ebd., 58. 22

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ins Auge zu fassen: dass wir da sind, inmitten anderer Menschen, inmitten unserer Gesellschaft, inmitten unserer Welt« 24. Zu dieser ersten unausweichlichen Erfahrung gesellt sich eine weitere: Wir haben nicht immer existiert und werden nicht für immer existieren. Es gibt also neben der Existenz eine Dimension der Nicht-Existenz, die Welte als Nichts bezeichnet, dem wir Rechnung zu tragen haben. Beide können gleichzeitig bestehen, ohne dass die Existenz einfach durch die Negativität des Nichts aufgesogen endet; und zwar nur wenn das Nichts nicht schlechterdings ein Vakuum ist, sondern in sich die Präsenz von etwas/jemandem birgt, das/der Sinn gibt und das Ganze bestimmt. Ausgehend von der Erfahrung des Nichts als Quelle und Ursprung von allem, als etwas, das sich in einem persönlichen Du schenkt, zeigt sich all das Seiende dem offenen und aufnehmenden Blick in seiner Dimension von Sinn und tiefer Beziehung. Nach dem Maß Heideggers ist auch Welte nicht nur von der Geschichtlichkeit und Faktizität des Seins überzeugt, sondern auch von seinem SichGeben immer und allein in einer Mitgegenwart von anderen. Es ist jedoch notwendig, sich stets in eine Haltung des Zuhörens und echter Aufnahmebereitschaft zu versetzen, wobei die Vorverständnisse beiseitezulegen sind: Epoché bedeutet immer »Abstinenz« von Urteilen und Überzeugungen, damit sich die Sache in ihrer Fülle des Seins frei zeigen kann; das erfordert Demut im stets neuen Lernen vom anderen bei gleichzeitiger Anerkennung der eigenen Grenzen sowie ein Neu-Denken ausgehend von der Perspektive der Sache selbst. Diese Einstellungen begleitet die »phänomenologische Reduktion«, die sich für Welte in zwei Aspekten entfaltet 25: 1.) Selber-Denken repräsentiert die noetische Dimension Husserls; 2.) »die Sache des Denkens« repräsentiert die Berufung auf die Dinge selbst beziehungsweise die noematische Dimension. Der Vollzug des Denkens an sich ist das, was im Grunde die Philosophie ausmacht, die sich dort verwirklicht, wo ein menschliches Wesen für sich denkt, je nach seinen eigenen Fähigkeiten und seinem eigenen Denkvermögen. Konkret ist dieser Vollzug ein Loslassen, damit sich die Sache zeigt, befreit von all dem, was sie überlagern kann und Missverständnissen aussetzt. Die Sache selbst wird ihrerseits im Sinne Heideggers gemäß Sein und Zeit § 7 aufgefasst als das, was sich von sich selber her zeigt B. Welte, Gesammelte Schriften, Bd. III/1, Religionsphilosophie, Herder, Freiburg 2008, 50. 25 Vgl., Ebd. 19–22. 24

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und so offenbart; sie ist das, »was ihm an Wahrheit oder an Sein aus den Gestalten der Welt entgegenkommt. Diesem ihm begegnenden Zuspruch von Wahrheit und Sein muss das Denken ent-sprechen, ihm muss es ver-antwortlich Antwort geben« 26. Fassen wir zusammen, was wir über die Phänomenologie Weltes gesagt haben, in Worten, die Hemmerle verwendet, der sie wie folgt umschreibt: Vielleicht darf man die Aussage wagen: Weltes »phaenomenologia qua« ist der Schlüssel und das Proprium zu seiner »phaenomenologia quae«. Sicher ist Phänomenologie als solche Weg, Methode, doch bei Bernhard Welte wird es entscheidend, daß diese Methode nicht nur nicht von ihrem Gegenstand abzulösen ist, sondern daß sie auch die Existenz dessen angeht und einbezieht, der da Phänomenologe ist. Und so wird der Phänomenologe als Phänomenologe Zeuge, Mitteilender, er bringt einen Prozeß des Miteinander-Sehens, einer Tradition des Sehens in Gang 27.

2.3 Dissonanzen im Chor: Heinrich Rombach und die Strukturontologie Die Veröffentlichung 1971 der Strukturontologie 28 von Heinrich Rombach markiert ein Novum im phänomenologischen Spektrum: Er selbst hielt sie für dessen einstweilige Vollendung. Das Herzstück seiner Reflexion, im Versuch, nicht nur die Sache klar zur Geltung zu bringen, sondern auch die gelebte Zeit und somit die historische Existenz des Menschen, ist ein Verständnis des Seins nicht mehr als System, sondern als »Struktur«. Dieser Begriff weist trotz seiner gängigen Bedeutung, mit der er aufgeladen ist, nicht auf etwas stabil Geordnetes; die Struktur ist im Gegensatz dazu das dynamische Zusammenspiel unterschiedlicher Bewegungen, das die Grundlage von allem bildet. Die Strukturontologie wird somit als objektiv und historisch verstanden, weil sie nicht mehr, nach Art Husserls, ein rein transzendentales Objekt in Erwägung zieht, sondern immer eines, das historisch in den Kontext der Wirklichkeit und der Dinge selbst Ebd., 21. K. Hemmerle, Eine Phänomenologie des Glaubens – Erbe und Auftrag von Bernhard Welte, in: K. Hemmerle, Auf den göttlichen Gott zudenken, Schriften zur Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie, Bd. 1, Herder, Freiburg – Basel – Wien 1996, 476–477. 28 H. Rombach, Strukturontologie. Eine Ontologie der Freiheit, ebd. 26 27

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in ihrer konkreten räumlichen und zeitlichen Gegebenheit eingebunden ist. Subjektivität besagt dann nicht mehr Innenverfassung eines speziellen Seienden, sondern das »Innen« der Struktur oder Wirklichkeit, innerhalb deren sich überhaupt erst Subjekt und Objekt (in je verschiedener Weise) auseinandersetzen und in ein Verhältnis der Gegenspannung bringen können. »Reduktion« besagt darum nicht mehr Rückzug aufs Subjekt, sondern Rückgang auf den vorsubjektiven und vorobjektiven Grund, der für alle objektiv-subjektive Wirklichkeit Grund ist […]. So tritt die »Strukturanalyse« (von Grundformen der Wirklichkeit) an die Stelle der »Bewusstseinsanalyse« (von Subjekten), und die »Reduktion« führt in jene ursprüngliche Vorgegebenheit zurück, die (je unterschiedlichen) Aufgang (von immer wieder anderen Zuordnungen des »Subjekts« und des »Objekts«) bedeutet 29.

Daraus leitet sich das Originelle, aber auch Dissonante im phänomenologischen Kontext ab, der gleichwohl als Grundströmung erhalten bleibt, aus der Rombach diese Strukturontologie entwickelt. Von besonderem Interesse ist hier für uns auch die Unterscheidung, die er vornimmt zwischen zwei Perspektiven, einer äußeren und einer inneren, wonach in der ersteren sich die Sache gibt, das Objekt, das im Rahmen des Vorverständnisses in Betracht gezogen wird, um dann in der Distanz eines bestimmten Horizonts festgelegt zu werden, was im Ergebnis kommunizierbar ist; die Innenperspektive hingegen kann das Phänomen nicht bestätigen und bleibt deshalb für das wissenschaftliche Verständnis unzulänglich, denn deren Ergebnisse sind nicht wiederholbar 30. Auf die Ebene der Religion angewandt, bedeutet dies, dass eine Religionsphänomenologie stets diese Innenperspektive zu berücksichtigen hat, da sie selbst »religiös« ist, damit sich die religiösen Phänomene erschließen können. Deshalb kommt man nicht umhin, von der Erfahrung des Heiligen auszugehen, das sich nicht aus einem distanzierten Denken beobachten lässt, um erst im Nachhinein zum Glaubensinhalt zu werden; Gott erscheint ausschließlich im Akt des Glaubens und nicht außerhalb davon. »Gott kommt entweder geglaubt – oder er wird nicht angemessen wahrgenommen. Nur der Glaubende weiß auch, woran er denkt; einer, der nur einfach denkt, Ebd., 162–163. Vgl. S. Loos, Freiburg – Keimzelle der philosophischen Religionsphänomenologie, ebd., 59–63.

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weiß nicht, woran er im Grunde glaubt« 31. Nur innen von der Struktur her kann man sehen und verstehen, nicht außerhalb von ihr; aber das bedeutet, dass sich das religiöse Verhältnis nicht auf allen Ebenen in rational gültiger Weise rechtfertigen kann. Man muss die naturwissenschaftliche Rationalität verlassen und mit anderen Augen zu sehen versuchen. Dies wiederum bedeutet, dass über das religiöse Phänomen nicht die Rede sein kann, sondern nur aus ihm heraus, beziehungsweise dass das »Objekt« selbst die Sprache liefert, die anzuwenden ist, und nicht das Subjekt, das es wahrnimmt. So entwickelt sich der religiöse Diskurs in eine Phänomenologie des Glaubens, sodass nur derjenige, der eine Erfahrung des Heiligen macht, sie auch zur Sprache bringen kann, indem er sie bezeugt, wo der Inhalt der Erfahrung, die es zu bezeugen gilt, nicht vom Akt des Zeugen getrennt ist. Hemmerle wird diese Dimension des Zeugnisses aufgreifen und sie in seinem Verständnis von Theologie als Nachfolge theologisch entfalten, ausgehend vom Zeugnis Jesu und derer, die über ihn berichtet haben. Dieser Aspekt der Strukturontologie Rombachs ist nicht der einzige, der Hemmerles Denken beeinflusst hat 32; er hat sogar in einer Rezension 33 des Hauptwerks dieses Philosophen das Neue ins Licht gerückt. Seine Definition der Strukturontologie als Phänomenologie der Freiheit greift Hemmerle als hermeneutischen Schlüssel auf; »Der Genitiv »der Freiheit« ist im Titel ›Phänomenologie der Freiheit‹ genitivus obiectivus und genitivus subiectivus; gerade das macht ja Freiheit aus und gehört, so oder so herum, in ihre Phänomenologie« 34. Das bedeutet, dass das Verständnis des Seins als Struktur all seine Akteure befreit, denn die Zugangsweise als solche ist befreiend; H. Rombach, Die Religionsphänomenologie. Ansatz und Wirkung von M. Scheler bis H. Kessler, in: »Theologie und Philosophie« 48 (1973), 479. 32 Zum Einfluss Rombachs auf Hemmerles Denken vgl.: K. Kienzler, Bewegung in die Theologie heute bringen. Theologie in Erinnerung an Klaus Hemmerle, Herder, Freiburg – Basel – Wien 2017; K. Kienzler, Strukturontologie – von Heinrich Rombach zu Klaus Hemmerle, in: G. Bausenhart/M. Böhnke/D. Lorenz (Hg.), Phänomenologie und Theologie im Gespräch. Impulse von Bernhard Welte und Klaus Hemmerle, ebd., 248–265; M. Böhnke, Einheit in Mehrursprünglichkeit. Eine kritische Analyse des trinitarischen Ansatzes im Werk von Klaus Hemmerle, Bd. 33, Echter, Würzburg 2000. 33 K. Hemmerle, Besprechung von Heinrich Rombach »Strukturontologie«, in: K. Hemmerle, Auf den göttlichen Gott zudenken. Schriften zur Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie 1, ebd., 416–432. 34 Ebd., 426. 31

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da jedes Element in seinem Sich-Geben teilhat, konstituiert es in einer solchen Dynamik die Struktur 35. Sie ist nur Beziehung und konstituiert in der Beziehung Wirklichkeit, wo das Draußen als solches nur innerhalb der Struktur ist, weil eben in dieser Beziehung Differenz entsteht und bleibt; deshalb ist jedes Element einzig und allein in der Gegenseitigkeit mit den anderen und nimmt als Identität Gestalt an nur in der Relation zum Ganzen. Doch wenn alles Dynamik ist, dann trägt nicht einmal mehr der Begriff der statischen Substanz und ist in sich inbegriffen, dann funktioniert nicht mehr das Substantiv, sondern das Verb wird zur Aktualisierung des Subjekts, weil es auf den anderen angewiesen ist. Gerade diese relationale Prägung der Strukturontologie hatte großen Einfluss auf Hemmerle in seinen Thesen zu einer trinitarischen Ontologie 36, in denen er nicht nur Begriffe der Strukturontologie neu aufgreift, sondern deren relationale Konzeption als solche, wobei er sie ausweitet und im Licht der Trinität neu interpretiert in einer Ontologie der Gemeinschaft, die auf Gegenseitigkeit gründet.

2.4 Das dialogische Denken: Buber und Rosenzweig Eine kulturelle Erfahrung von ansehnlicher Tragweite in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist neben der Phänomenologie zweifelsohne das dialogische Denken, das sich im Besonderen um Martin Buber (1878–1965), Franz Rosenzweig (1886–1929) und Ferdinand Ebner (1882–1931) entfaltete. Die Neuinterpretation der jüdischen Erfahrung, das heißt die biblische Offenbarung Gottes in den Mittelpunkt der Reflexion zu stellen, veranlasst sie, die klassischen metaphysischen Kategorien beiseitezulegen, um dem Ort der Beziehung als Manifestation Gottes und Erklärung der Welt den Vorzug zu geben. Speziell Buber definiert die ursprüngliche Kategorie ausgehend vom Beziehungsgeschehen neu. Nichts gibt sich in seiner Einzigartig-

In gewisser Weise kann man in der rombachschen Struktur das heideggersche Konzept des »In-der-Welt-sein« wiederfinden, wo jedes Seiende nur ein anderes berühren kann, wenn sein Dasein schon in sich die Welt entdeckt hat; deshalb ist die Seinsstruktur »durch die überkommenen ontologischen Kategorien grundsätzlich nicht faßbar«. Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, ebd., § 12 und 13. 36 K. Hemmerle, Thesen zu einer trinitarischen Ontologie, Johannes Verlag, Einsiedeln 21992. 35

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keit, soweit es nicht in Beziehung steht zu einem Ich und dieses seinerseits nur in einer Beziehung mit einem Du und mit einem Es. Im Mittelpunkt beziehungsweise am Anfang – um es mit Bubers Worten zu sagen – steht die Beziehung. Die Welt ist dem Menschen zwiefältig nach seiner zwiefältigen Haltung. Die Haltung des Menschen ist zwiefältig nach der Zwiefalt der Grundworte, die er sprechen kann. Die Grundworte sind nicht Einzelworte, sondern Wortpaare. Das eine Grundwort ist das Wortpaar Ich-Du. Das andre Grundwort ist das Wortpaar Ich-Es; wobei, ohne Änderung des Grundwortes, für Es auch eins der Worte Er und Sie eintreten kann. Somit ist auch das Ich des Menschen zwiefältig. Denn das Ich des Grundworts Ich-Du ist ein andres als das des Grundworts Ich-Es 37.

Demzufolge steht die Beziehung im Mittelpunkt von allem, und nach Buber lassen sich drei Sphären unterscheiden, auf denen sie gründet: 1.) das Leben mit der Natur – die nicht zum Wort gelangt, denn die Dinge können nicht bis zu uns gelangen; 2.) das Leben mit den Menschen – gekennzeichnet durch das Wort, denn man kann das DU geben und empfangen, ja, es ist das, was im eigentlichen Sinn aus der Gegenseitigkeit des Wortes lebt, das sich gibt und empfängt; 3.) das Leben mit den geistigen Wesenheiten – sprachzeugend, aber gleichzeitig sprachlos, was wir im Angerufensein vernehmen und worauf wir ebenfalls ohne unmittelbare Worte antworten. Diese Beziehungen sind untereinander verknüpft und kennzeichnen das menschliche Leben wesenhaft, denn ohne das Es könnte der Mensch nicht leben, aber nur mit dem Es wäre er nicht wirklich menschlich. Im Schauen eines Gegenüber erschließt sich dem Erkennenden das Wesen. Er wird, was er gegenwärtiglich geschaut hat, wohl als Gegenstand fassen, mit Gegenständen vergleichen, in Gegenstandsreihen einordnen, gegenständlich beschreiben und zergliedern müssen; nur als Es kann es in den Bestand der Erkenntnis eingehen. Aber im Schauen war es kein Ding unter Dingen, kein Vorgang unter Vorgängen, sondern ausschließlich gegenwärtig. […] Dass das Allgemeine gedacht wird, ist nur eine Abwicklung des knäuelhaften Ereignisses, da es im Besonderen, im Gegenüber geschaut wurde. Und nun ist dieses in der Esform der begrifflichen Erkenntnis eingeschlossen. Wer es daraus erschließt und wieder gegenwärtig schaut, erfüllt M. Buber, Das dialogische Prinzip, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, Heidelberg 51984, 6.

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den Sinn jenes Erkenntnisaktes als eines zwischen den Menschen Wirklichen und Wirkenden 38.

Die vollständige Realisierung beziehungsweise der Ausdruck des Menschen besteht demnach in der Beziehung, die gegenseitiges Zuhören voraussetzt und die sich in einem Ich ausdrückt, das stets mit einem Du im Dialog verbunden ist, mit einem Du, das einen »Durchblick zu ihm [Gott]« in uns anrührt, denn »die verlängerten Linien der Beziehungen schneiden sich im ewigen Du« 39. Demzufolge ist auch aus erkenntnistheoretischer Sicht ein solipsistisches Denken nicht möglich, wenn es nicht darin einbegriffen ist, als in sich geschlossen, als Denken, das die Wirklichkeit erfasst und chiffriert – die ganze Realität – allein durch deren Reduktion auf das Es. Kennzeichnend für die reale Beziehung in der Welt ist nämlich ihr exklusives und individualisierendes Sein, weil der andere mit einem Anspruch in unser Leben dringt, der auf der Individuation basiert, »denn nur so ist Einandererkennen der Verschiedenen gewährt, und ist ihre Grenze, denn so ist das vollkommene Erkennen und Erkanntwerden versagt« 40. Es ergeben sich drei Arten, den anderen wahrzunehmen – wer immer es sei. Das sind drei menschliche Aktivitäten, die diese Typologien der Wahrnehmung entfalten: Beobachten, Betrachten und Innewerden. Das Beobachten ist gekennzeichnet durch eine Haltung exakter Erforschung und Reproduktion; wer beobachtet, ist gespannt dem Beobachteten zugewandt, um jedes kleinste Detail davon zu erfassen. Im Stadium der Betrachtung ist diese Spannung aufgrund einer gelasseneren Einstellung nicht mehr vorhanden, die das Objekt mit Freiheit anschaut und ohne die Erwartung, jede Einzelheit ganz zu erfassen. Trotz der offensichtlichen Unterschiedlichkeit dieser Einstellungen in der Wahrnehmung haben sie etwas Gemeinsames aufgrund der Tatsache, dass man ein gegebenes Objekt wahrzunehmen wünscht und dass man dieses als solches gesondert betrachtet. Einer Sache innewerden hingegen bedeutet, dass etwas mir etwas sagt, mir vermittelt, was mein eigenes Leben berührt. Demzufolge ist das Objekt nicht mein Objekt; es ist einfach geschehen, dass es etwas mit ihm zu tun hat. Im Innewerden sagt der andere sich aus, und indem er das tut, spricht er mich an, weil er aussagt; deshalb erwartet er eine 38 39 40

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Ebd., 42–43. Ebd., 76. Ebd., 101.

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Antwort, die nicht unbedingt unmittelbar von mir erfolgen kann, sondern möglicherweise in einem anderen Kontext oder in einer anderen Form: Immer jedoch wird es Antwort auf einen Anruf sein. Darauf beruht die Grundlage der dialogischen Beziehung, die ein Hinwenden – physisch und geistig – zum anderen voraussetzt, eine Haltung ihm gegenüber, die dann ihren Ausdruck im Wort findet, egal, ob phonetisch hörbar oder nicht. Doch wie hängt dieses relationale Geschehen mit dem Denken zusammen? Machen wir Ernst mit dem Denken zwischen Ich und Du, dann ist es nicht genug, auf das gedachte andre Denksubjekt hin zu denken: man müsste, auch mit dem Denken, eben mit dem Denken, auf den anderen nicht gedachten, sondern leibhaft vorhandenen Menschen hin leben, auf seine Konkretheit hin. […] Nur wer den anderen Menschen selber meint und sich ihm zutut, empfängt in ihm die Welt. Nur das Wesen, dessen Andersheit, von meinem Wesen angenommen, ganz existenzdicht mir gegenüberlebt, trägt mir die Strahlung der Ewigkeit zu. Nur wenn Zwei, mit allem, was sie sind, zu einander sagen: »Du bist es!«, ist die Einwohung des Seienden zwischen ihnen 41.

In Wirklichkeit entsteht und erfüllt sich das Denken nicht in der Einsamkeit, denn es trägt in sich immer das Verlangen nach einem anderen, an den es sich wendet, mit dem es kommuniziert und bei dem es Anklang findet. All das – ebenso wie die dialogisch-relationale Dimension – findet einen Widerhall im Denken Hemmerles: Im Besonderen die Erfahrung des Heiligen und des Göttlichen führt auf diese Ebenen, auf denen das Denken aufhört festzuhalten, um zu besitzen, und – indem es sich mit neuer Intentionalität dem anderen zuwendet – zulässt, dass dies sich in voller Freiheit gebe und mitteile. Auch im Blick auf Hemmerle befinden wir uns immer in einer Beziehung, die sich einem Dritten öffnet, der in der Doppelgleisigkeit des buberschen Beziehungsmodells nicht präsent ist: Der dreifaltige Gott ruft zu einer Gegenwart unter den Menschen, die ihn in der Öffnung uns gegenüber nicht annulliert. Diese Dimension findet stärkere Resonanz in Rosenzweig, dessen Denken, wie Hemmerle selbst in einer Schrift der hier vorliegenden Textsammlung bezeugt 42, ihm durch Welte und durch den Kollegen Casper vermittelt wurde, der in seinen Studien Rosenzweigs Denken vertieft hat, einem Denker von besonderer Dichte – die viel41 42

Ebd., 179–180 und 183. Vgl. Weite des Denkens im Glauben – Weite des Glaubens im Denken, 215.

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leicht auch der ihm gewährten kurzen, zudem von physischem Leid geprägten Lebenszeit geschuldet war. Von Rosenzweig geblieben ist sein Hauptwerk 43, in dem sich sein ganzes Denken verdichtet – sodass es nicht auf Anhieb verstanden wurde und später einer kurzen Einführung samt Klärung bedurfte 44 – das mit Sicherheit Hemmerles Denken beeinflusste: Es handelt sich um das Werk Der Stern der Erlösung 45. Da stehen wir vor einem Neudenken der Geschichte der Welt und im Zusammenhang damit der Beziehung zwischen dem Ich, der Welt und Gott, wo sich im Gegensatz zum metaphysischen Modell Kants und dem Idealismus Hegels das klare Bedürfnis auftut, zu einer neuen Denkweise überzugehen, die von der realen Erfahrung Gottes in der Welt und demzufolge in den anderen ausgeht. Die Philosophie kann Gott – für Rosenzweig die einzige Realität – nicht aussagen; vonnöten ist eine Umwandlung derselben in eine Erfahrungsphilosophie, in der Aufnahme von neuen relationalen Kategorien, durch die man von der Abhandlung zum Erzählen übergeht – eine Erfahrung kann man nämlich nur erzählen, nicht erklären – und zu guter Letzt in den Chor inniger Anbetung und des Gebets einstimmt. Die Erfahrungsphilosophie hat den Mut zur Endlichkeit, zum Tod 46 und zum Nichts, das heißt zu einem Schicksal, das erlösungsbedürftig ist und das, im offenen Anerkennen dessen, die entsprechende Erfahrung machen kann und Gott zu begegnen vermag, sodass sie Aussagen über ihn machen kann, in einer Kenntnis, die Rosenzweig messianisch nennt.

Obwohl nicht am Ende seines Lebens, aber in den Schützengräbern während des Ersten Weltkrieges geschrieben, war für Rosenzweig Der Stern der Erlösung sein Schlusswerk: »Ich habe endgültig das Gefühl, hier die Summe meiner intellektuellen Existenz abgehandelt zu haben, und dass alles, was in der Folge noch kommen mag, nur Anhänge sein werden, die mir vielleicht der Moment oder Impulse von außen gelegentlich eingeben können«. Vgl. F. Rosenzweig, Brief an Martin Buber, in: ID., Briefe und Tagebücher, I, Martinus Nijhoff, Haag 1979, t. 2, 645. 44 Diese Anmerkung schreibt Rosenzweig in dem kurzen Text Das neue Denken. Einige nachträgliche Bemerkungen zum Stern der Erlösung, 1925 veröffentlicht; darin gibt er Hilfestellungen zum Verständnis des Sterns, wobei er – unter anderem – Angaben macht zu seiner Vorstellung, ein neues Denken zu entwickeln. Vgl. F. Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk, III, Zweistromland, Martinus Nijhoff, Haag 1984. 45 F. Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, ebd. 46 Obwohl Rosenzweig nicht zur phänomenologischen Schule gehörte, gibt es starke Bezüge zum Denken Heideggers hinsichtlich des Ernstnehmens der Phänomene der Zeit. 43

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Im Stern werden der Zeitdimension– sie bestimmt nicht nur den Rhythmus dieser Schrift, sondern das gesamte Denken – wie auch der Geschichte, der Sprache und der Kunst ein enorm hoher Stellenwert zugeordnet. Die Zeit bewegt sich innerhalb einer Geschichtlichkeit, der des Ichs und der Welt, die in Wirklichkeit einen Weg auf Gott zu markiert, ein ständiges Suchen, um zwischen Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft zu ihm zu gelangen: Hierbei liefert Rosenzweig eine grandiose Zusammenschau der Geschichte der Welt bis zur Offenbarung des Gottes Israels. Es ist die Geschichte der antiken Welt – eben Geschichte in die Vergangenheit hinein – der griechischen Kulturen und darüber hinaus, die in ihren Mythen und dann in der Philosophie versucht haben, sich Gott zu verdeutlichen und ihn zu erklären; die dabei verwendete Sprache ist die der philosophischen Abhandlung, die im System des Idealismus Gott absorbiert hat. Mit der Offenbarung betreten wir die Gegenwart, die Zeit des Dialogs und des Gesprächs zwischen Gott und Mensch und in der Folge zwischen Mensch und Mensch; es ist die Zeit des Narrativs, in der die Philosophie nur weitermachen kann in dem Gespräch, von dem oben bereits die Rede war. Hier tritt die ganze relationale Tragweite des hebräischen Gottes zutage, eines liebenden Gottes, der das menschliche Wesen ruft, Beziehung mit ihm aufzunehmen, sodass dieser die unverdiente Liebe angesichts des eigenen Elends der Sünde anerkennt und nicht anders kann, als mit Dankbarkeit und Lobpreis zu antworten. Das ist der abschließende Übergang, die zukünftige Zeit der Erlösung, in der Ich-Welt-Gott in einer neuen gemeinschaftlichen Harmonie sein werden und in der nur die Sprache der Anbetung und des gemeinsamen Gebets einen Platz haben. Ein großer Anreiz für die Reflexion ist für Hemmerle, was Rosenzweig in seinem Denken aussagt, und zwar in einem solchen Maße, dass sich in einigen seiner Texte unterschiedliche Anregungen finden lassen, im Besonderen die antimetaphysische Einstellung 47, die ihn zu einer Beziehung führt, die weniger an bestimmte Begriffsschemata gebunden ist. Die Entwicklung des Denkens selbst, wie man der ersten Schrift der hier vorliegenden Textsammlung entnehmen kann, Das Heilige und das Denken, widerspiegelt die rosenzweigsche Triade in einer Bewegung des Denkens, die vom »Fassen« übergeht zum »Lassen« und schließlich zum »Verdanken« in der Anbetung. Beispielsweise kann man das neue Denken Rosenzweigs als Gegensatz und reelle Alternative zum dialektischen System Hegels verstehen.

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Darüber hinaus ist hier das Thema des Gerufenseins und des Namens zu erwähnen, die in der Begegnung mit einem Gott sehr viel lebendiger werden, der Fleisch wird und die Zeit der Welt annimmt: Hier kann das christliche Denken der Trinität gewiss nur die in der Gegenwart bereits verwirklichte Erlösung sehen, wodurch sich die Zeit Hemmerles, im Unterschied zu Rosenzweig, zu einer Zwischenzeit kondensiert 48, in der Gott in der Gegenwart unter uns ist, und nicht nur in der Erwartung einer erlösten Zukunft.

2.5 Der Idealismus Der Einfluss des Deutschen Idealismus auf das philosophische Denken Klaus Hemmerles ist vermittelt durch seinen Lehrmeister Bernhard Welte, der ihn in diese Denkrichtung einführte. In seiner Dissertation und in seiner Habilitation widmete Hemmerle zwei Denkern des Deutschen Idealismus seine Aufmerksamkeit: In der Doktorarbeit entwickelt er eine Analyse des Denkens Franz von Baaders – ein kaum bekannter und wenig erfoschter Philosoph – über die Schöpfung; in der Habilitationsschrift befasst er sich mit dem späten Schelling in der Frage nach Gott und dem Denken 49. Von Baader (1765–1841) war ein katholischer Philosoph, in besonderer Weise von seinem Lehrmeister Schelling beeinflusst, aber auch von Hegel, mit dem er eher im Briefkontakt stand. Seine Originalität findet innerhalb seines Denkens und seiner Schriften Ausdruck in seiner Mitwirkung an einem tieferen Verständnis unterschiedlicher Elemente: auf der einen Seite des Idealismus, aber daneben der christlichen Philosophie, der Deutschen Mystik und der Patristik. Es handelt sich um ein Denken, das den Idealismus loyaler als Hegel im Licht des Christentums als Glaube neu liest und interpretiert: Die Religion wird nicht in das dialektische Schema eingeordnet, sodass »Einheit und Zusammenhang […] im Mass der Differenzierung, ja Polarisierung Gestalt [gewinnen]« 50. Baader denkt die Trinität nicht in der Dialektik, sondern versucht die Einheit zu denken, ohne die Unterscheidung Hinsichtlich dieses Aspekts siehe die zu dieser Textsammlung gehörende Schrift Trinität und Zeit, 150–168. 49 K. Hemmerle, Gott und das Denken in Schellings Spätphilosophie, Herder, Freiburg 1968. 50 K. Hemmerle, Theologie in Fragmenten. Franz von Baader, in: K. Hemmerle, Auf den göttlichen Gott zudenken, ebd., 211. 48

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der drei göttlichen Personen zu verlieren, das heißt, im relationalen dialektischen Prozess bleibt der andere der andere und wird nicht vom Ich absorbiert, wobei er trotzdem nicht zu einem Nicht-Ich wird. So bleibt Gott Gott und das menschliche Wesen bleibt solches; es kommt nicht zu einer Vermischung, bei der die Natur der Identitäten, so wie sie sind, nämlich durchaus unterschieden, verlorengeht. In dieser Hinsicht führt uns die Erfahrung Gottes, die vom cartesischen cogito ausgeht, notwendigerweise dahin anzuerkennen, dass dieses Denken selbst von Gott kommen muss, das heißt, die Tatsache des Denkens muss uns dahin führen, einen anderen anzuerkennen, der uns geschaffen hat, um zu sein und zu denken. Dieser andere, dank dessen wir denken können und durch den wir im Denken unser Sein erfahren, ist der dreieinige Gott, der Gott der Beziehungen, der den Menschen berührt und der ihn ruft, ihm zu antworten. Auch das menschliche Leben ist nur, wenn wir uns vom anderen berühren und affizieren lassen, denn das führt dazu, in Beziehung zu treten, sich für den anderen zu interessieren, mit dem Wunsch, ihn kennenlernen zu wollen. Diese Themen kommen wiederholt vor in Hemmerles Schriften, wie beispielsweise in Das Heilige und das Denken 51 und Vorspiel zur Theologie 52. Hinsichtlich Friedrich Schelling (1775–1854) ist der herausragende Aspekt, der Hemmerles Denken begleitet, die von ihm definierte dia-logische Ana-logie 53; die Auseinandersetzung mit diesem idealistischen Denker leitet sich von der gleichen Zugangsweise ab wie vorher bei Baader, das heißt vom Suchen nach einem Weg des Zugangs zum Geheimnis Gottes. In den verschiedenen Phasen, in die man das schellingsche Denken gliedern kann, kristallisiert sich im Besonderen eine negative und eine positive Philosophie heraus: erstere befasst sich gedanklich mit dem universalen Sein, die zweite mit der realen Existenz der Dinge. Im inneren Kontext dieser letzteren wird auch die Offenbarung möglich, aber das tiefe Bedürfnis – für Hemmerle als intellektuelle Auseinandersetzung grundlegend – beK. Hemmerle, Das Heilige und das Denken. Zur philosophischen Phänomenologie des Heiligen in: B. Casper/K. Hemmerle/P. Hünermann (Hg.), Besinnung auf das Heilige. Herder, Freiburg – Basel – Wien 1966, 9–79. 52 K. Hemmerle, Vorspiel zur Theologie. Einübungen, Herder, Freiburg – Basel – Wien 1976. 53 Vgl. K. Hemmerle, Dia-logische Ana-logie als Weg des Denkens zum göttlichen Gott, in: ders., Ausgewählte Schriften, Bd. I, Herder, Freiburg i. Br. 1995, 192–201. 51

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steht darin, ausschließlich mit dem Instrument der Vernunft und des Denkens zu Gott zu gelangen. Vom Absoluten bewegt sich Schelling zum Gott der Offenbarung hin, aber weil die Begegnung mittels des Denkens geschieht, muss sich ein Weg finden, um die Selbstbezogenheit des Ichs zu überwinden und das völlige Anderssein Gottes anzuerkennen. Wenn man an Gott »wie an mich« denken würde, könnte er nur in mir bleiben, in meinem Denken, er würde zu einer Projektion meines Ichs. Hemmerle entwickelt daraufhin einen Versuch, dem durch die dia-logische Ana-logie zu entkommen 54; damit ist eine Grundlage geschaffen, um Gott zu denken beziehungsweise ihn als denjenigen zu denken, der der Begegnung mit dem Menschen entgegenkommt. So wird der logos zum dia-logos, zum Mittler der Gegenwart Gottes in einer Bewegung der Askese in Bezug auf ihn (ana-logia), die in einer berühmten Aussage Hemmerles zum Ausdruck kommt: »Du bist wie ich, Gott ist nicht wie ich, sondern wie du. Du bist wie, weil und was Gott ›ist‹, das eben nicht ist, sondern begegnet« 55. Das bedeutet, dass Gott wie der andere ist im Sinne vom anders als ich und nicht im Sinne einer Reduzierung Gottes auf den anderen. In dieser Richtung entwickelt Hemmerle ein neues Verständnis von Analogie, denn im Idealismus gibt es die Beziehung nicht auf diesen Ebenen und selbst die thomistische analogia entis beinhaltet etwas anderes, da sie eher ontologisch als dialogisch ist. Die Analogie, die Hemmerle entwickelt, ist eine analogia relationis.

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Im eher theologischen Bereich lassen sich noch weitere Quellen für die Reflexion finden, die das Denken Klaus Hemmerles beseelen: Da sind zum einen zwei Persönlichkeiten aus der Zeit seines Universitätsstudiums, Alfons Deissler und Anton Vögtle – beide Professoren der Exegese –, worüber Wilfried Hagemann in seiner Hemmerle-Bio-

In eine ähnlliche Richtung bewegen sich auch andere Interpreten von Schelling, wie Krüger in seiner Arbeit untersucht; speziell nennt er Walter Kasper. Vgl. M. D. Krüger, Göttliche Freiheit. Die Trinitätslehre in Schellings Spätphilosophie, Mohr Siebeck, Tübingen 2008, 40 ff. 55 K. Hemmerle, Dia-logische Ana-logie als Weg des Denkens zum göttlichen Gott, ebd., 200. 54

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grafie 56 berichtet. Deissler (1914–2005) gilt als einer der herausragenden Exegeten des Alten Testaments im 20. Jahrhundert, der die historisch-kritische Methode in der Bibelauslegung anwandte und implementierte, und zwar flankiert von einer tiefen geistlichen Zugangsweise, die die Studenten begeisterte 57. Vögtle (1910–1996) hingegen war Professor für Neues Testament und trug auch zur Etablierung der historisch-kritischen Methode in der katholischen Theologie bei; er war Mitherausgeber des Werkes Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament sowie der Jerusalemer Bibel 58. Speziell Vögtle hatte erheblichen Einfluss auf Hemmerles Verständnis der durch Jesus selbst gewirkten Ankunft des Reiches Gottes, was Hemmerle mit eigenen Worten so beschreibt: Die Herrschaft Gottes ist nicht ein Reich, das man räumlich abgrenzen kann, auch nicht ein System von Wahrheiten und Geboten, sondern das ist Gott selbst. Gott ist nicht mehr ferner Horizont oder oberstes Prinzip, sondern in Jesus ist er in die Mitte dieser Welt hineingesprungen. Mir war klar geworden, er will auch die Mitte meines Lebens sein, sodass es gilt, alles von ihm her zu sehen, immer von ihm her zu handeln 59.

Neben der biblischen Dimension, die im Leben und Denken Hemmerles eine herausragende Rolle spielte 60, was sich auch dem obigen Bekenntnis entnehmen lässt, mangelt es nicht an daran anschließenden Einflüssen auf der eher theologischen Ebene des trinitarischen Geheimnisses, die Herzmitte seiner theologischen Reflexion. Sicher ist hier Hans Urs von Balthasar (1905–1988) zu nennen, mit dem HemW. Hagemann, Verliebt in Gottes Wort. Leben, Denken und Wirken von Klaus Hemmerle, Bischof von Aachen, Echter, Würzburg 2008. 57 Insbesondere kann man ihre Bücher Die Grundbotschaft des Alten Testaments. Ein theologischer Durchblick, Herder, Freiburg 1969 und Die Psalmen, 3 Bd., Patmos, 1963–64 hier erwähnen. 58 Vögtle hat einige der Bände von Herders Theologischem Kommentar zum Neuen Testament mitherausgegeben, ein Standardwerk in dem Bereich der Exegese. Die Jerusalemer Bibel hat er u. a. auch mit Deissler herausgegeben. 59 K. Hemmerle, Unser Lebensraum – der Dreifaltige Gott, in: »das prisma«, Heft 1, 1994 (6. Jahrgang), 17–23, hier 17 f. 60 Hemmerle hat sich mit der Heiligen Schrift nicht nur intensiv befasst und sich darin vertieft, sondern er ließ sich von ihr in seinem Leben begleiten, wobei er versuchte, daraus lebendige und konkrete Erfahrungen zu ziehen. In seinen letzten Lebensjahren widmete er sich speziell der Vertiefung des Johannesevangeliums, das ihn in besonderer Weise faszinierte aufgrund der communio-Dimension und wegen des Testaments Jesu über die Einheit. Dieser Einfluss wird am deutlichsten sichtbar im letzten Text der hier vorliegenden Schriften, Das unterscheidend Eine, 224–241. 56

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merle in hoher Wertschätzung und freundschaftlich verbunden war, sodass er ihm eine kleine Broschüre widmete, die zu seinem Hauptwerk wurde, gegenwärtig am meisten untersucht, die Thesen zu einer trinitarischen Ontologie 61. Im Besonderen das trinitarische Verständnis Balthasars wird zur Anregung für das hemmerlesche Denken, wenngleich mit unterschiedlichen Akzenten; beiden war vor allem die johanneische Prägung eigen und demzufolge die Dimension der Liebe Gottes, die zum Ausgangspunkt der gemeinsamen Reflexion wird, sowie auch das Aufgreifen des mystischen Faktors und der spirituellen Dimension; es ist mittlerweile unstrittig, dass Balthasars Denken untrennbar von der mystischen Erfahrung der Adrienne von Speyr 62 ist. Im Blick auf eines der großen Werke der balthasarschen theologischen Trilogie, die Theodramatik 63, kann man auf einige theologische Motive verweisen, die er vertieft und die Hemmerle aufgreift, um sie unabhängig in den Thesen weiterzuentwickeln: Der Kern seiner Abhandlung, die Offenbarung, aufgefasst als das, was das Christentum eigentlich ausmacht, wird für Hemmerle zum Ausgangspunkt, um eine Ontologie zu entwickeln beziehungsweise um den Sinn des Seins zu erhellen. Balthasars Trilogie zielt darauf ab, das eigentlich Christliche durch die Liebe zu erklären – formales und materielles Prinzip der Einheit – und aufzuzeigen, wie durch die Liebe der Hingabe, die kenosis der Liebe Gottes, alle möglichen Denkmodelle eingeholt werden. In besonderer Weise entfaltet Balthasar das Konzept des Richard von Sankt-Victor über die Liebe als innerstes Prinzip der Dreieinigkeit, die sich dann in eine analogia caritatis wandelt, von der sich Hemmerle in seiner dia-logischen Ana-logie teilweise inspirieren lässt. Auch die ästhetische Dimension, die den dritten Teil der Theodramatik bildet, wird von Hemmerle aufgegriffen, der allerdings die noch streng metaphysische Dimension überwindet, in der sich Balthasar bewegt, indem er sie mittels des rombachschen StrukturprinDie Thesen zu einer trinitarischen Ontologie entstanden als Geburtstagsbrief an Hans Urs von Balthasar, der sie nicht nur rezipierte, indem er sie in seinem Johannesverlag in Einsiedeln veröffentlichte, sondern auch, indem er durch sie zu einer Weiterentwicklung seines eigenen Denkens angeregt wurde. 62 Balthasar selbst äußert sich in der Hinsicht, indem er über den Einfluss der Adrienne von Speyr auf die Kirche spricht; vgl. H. U. von Balthasar, Erster Blick auf Adrienne von Speyr, Johannes Verlag, Einsiedeln 1968. 63 H. U. von Balthasar, Theodramatik I–IV, Johannes Verlag, Einsiedeln 1971–1983. 61

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Hemmerle als Theologe

zips integriert 64. Hanspeter Heinz bringt diese Lesart und die Neubearbeitung der trinitarischen Theologie Balthasars wie folgt zum Ausdruck: Versuchen wir, in einem einzigen Satz, den christologischen Ansatz Balthasars auszudrücken: Innen, Unten und Außen. Trinität, Kenosis und Kontextualität sind die strukturalen Momente von Christologie; ihr Ineinander und Zueinander ist der Vollzug des ästhetischen Ansatzes, des Ansatzes der sich unselbstverständlich in ihre Gestalt und somit in ihr Anderes äußernden Liebe, die in solcher Äußerung gerade mit sich identisch ist, Struktur ist und Struktur erbildet, Struktur, deren Gleichgewicht aber, weil sie Struktur der Liebe ist, der Komparativ, das Je-mehr heißt 65.

Hingegen wird im Denken Hemmerles weder die Theologie des Karsamstags noch eine eigene Kreuzeslehre entfaltet – zentrale Aspekte im balthasarschen Denken 66, teilweise beflügelt durch die Spiritualität der Adrienne von Speyr –, wahrscheinlich auch aufgrund der geistlichen Inspiration Hemmerles aus dem Charisma der Einheit Chiara Lubichs, eher zentriert auf das Geheimnis der Einheit und die Gottverlassenheit am Kreuz, die zum Heilsplan der Inkarnation gehört. Nicht zuletzt ist dann die Auseinandersetzung mit einem Denker der Vergangenheit zu nennen, nämlich mit Bonaventura (1217/ 1221–1274), dessen theologischen Ansatz Hemmerle schätzt und den er teilweise übernimmt: die Tatsache, dass er »von oben« anfängt, dass »der Sprung in den Ursprung […] für Bonaventura dem ersten Schritt des Denkens bereits voraus[geht]; dieser erste Schritt ist somit bereits Schritt des Mitgangs auf dem Weg des Ursprungs« 67. Das bedeutet für Hemmerle, dass die Theologie mit Gott anfängt und nicht Vgl. M. Böhnke, Einheit in Mehrursprünglichkeit. Eine kritische Analyse des trinitarischen Ansatzes im Werk von Klaus Hemmerle, ebd., 172–178. Ähnliche Entwicklungen, die ausgehend vom philosophischen Denken Rombachs eine mögliche Lesart des trinitarischen Dogmas ausdrücken, jedoch nicht in der Begrifflichkeit trinitarischer Ontologie, findet man noch weit stärker ausgeprägt bei Ganoczy, der sein trinitarisches Verständnis unmittelbar von Rombach her entwickelt. Vgl. A. Ganoczy, Der dreieine Schöpfer. Trinitätstheologie und Synergie, Darmstadt 2001. 65 H. Heinz, Der Gott des Je-mehr. Der christologische Ansatz Hans Urs von Balthasars, Frankfurt-Bern-New York 1975, 300. 66 Zu einer Vertiefung der balthasarschen Theologie vgl. K. Lehmann/W. Kasper (Hg.), H. U. von Balthasar, Gestalt und Werk, Communio, Köln 1989. 67 K. Hemmerle, Bonaventura und der Ansatz theologischen Denkens, in Unterwegs mit dem dreieinen Gott. Schriften zur Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie 2, R. Feiter (Hg.), Herder, 1996, 164–176. 64

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mit dem Menschen – auch wenn der christliche Gott sich mit menschlichen Worten erkennbar macht – was wiederum die Initiative Gottes unterstreicht. Bonaventura bietet sich nach Hemmerle als »ein Theologe für heute, fähig, unserer Not um den Glauben und um seine theologische Reflexion Wegweiser zu sein« 68. Von seiner theologischen Betrachtung übernimmt Hemmerle auch das Verständnis von Theologie und vom Denken allgemein als Weg, als Bewegung auf Gott hin, der gleichzeitig uns entgegenkommt; Weg der Nachfolge in der ständigen Begegnung mit dem dreieinen Gott 69 unter den Menschen.

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Die Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Theologie

Nachdem wir Philosophie und Theologie willkürlich getrennt haben, gilt es jetzt, den Zusammenhang herzustellen, um der Zugangsweise Hemmerles und seiner Ausdruckweise in schriftlichen Texten wie auch bei Vorträgen näher zu kommen. Obwohl Hemmerle offiziell Theologe mit pastoraler Erfahrung war – angesichts seiner langjährigen Tätigkeit als Bischof –, dachte er keineswegs ausschließlich theologisch, vielmehr war sein Denken immer zutiefst von der jeweiligen Fragestellung bestimmt: Ja, für ihn bedeutete Philosophie wesentlich Fragen, und die Kategorie, in der dies am ehesten Ausdruck findet, ist die des Denkens. Nicht zufällig lässt sich eine Großzahl seiner Schriften unter diesem Zugang subsumieren. Dabei sucht er nach den Grundlagen, die ihn zum notwendigen Dialog mit ihrer göttlichen Quelle führen. Andererseits erfolgte seine Ausbildung, wie K. Hemmerle, Vorwort, in: Theologie als Nachfolge. Bonaventura – ein Weg für heute, Herder, Freiburg i. Br. 1975. 69 Hanspeter Heinz hat einen kurzen Beitrag über die Beziehung zwischen Hemmerle und Bonaventura, insbesondere in der trinitarischen Vision der Theologie und der Kirche, in einem Sammelband zum 60. Geburtstag Hemmerle verfasst. Dabei übernimmt er eine Reflexion Hemmerles, um zu schließen, dass der Aachener Bischof »nichts anders als Bonaventura [sagt], aber er sagt dasselbe anders. Dasselbe anders, weil er Bonaventuras Gedanken nicht vor dem neuzeitlichen Denken zu schützen, sondern in ihm zu bewähren sucht«. Vgl. H. Heinz, Trinitarische Kirche – Kirche als communio, in: Der dreieine Gott und die eine Menschheit. Für Bischof Klaus Hemmerle, mit Beiträgen von M. Albus – R. Göllner – H. J. Görtz – H. Heinz – A. van Hooff – K. Kienzler – R. Lorenz – E. Maier – W. Schneider – B. Trocholepczy – E. Vienken, Herder, Freiburg i. Br. 1989, 139–168, 167. 68

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wir bereits andeutungsweise sehen konnten, in besonderer Weise im Bereich der Religionsphilosophie, die zwischen Philosophie und Theologie ihren Ort hat. Dies voraussetzend, wird verständlich, wie Hemmerle tatsächlich die Beziehung zwischen den beiden Disziplinen sah und wie er damit die Spuren einer langen Tradition aufnahm. Es ist ja keine auf ihn gründende Neuigkeit und auch kein ausschliesslich neuzeitlicher Zugang, sich zu fragen, in welcher Art von Beziehung Philosophie und Theologie miteinanderstehen, und in wieweit diese notwendig ist. Damit sind wir mitten im Thema, mit dem sich diese Sammlung von Schriften befasst, die wir ausgewählt haben. Es geht darin – direkt oder indirekt – um diese Thematik; von daher lässt sich diese Beziehung von Hemmerle selbst her definieren. Gleichwohl werfen wir einen Blick auf die Fragestellung als solche, um die hemmerlesche Sichtweise und deren Besonderheit dem Kontext zuordnen zu können. Gewiss kann diese Fragestellung hier nicht erschöpfend erörtert werden, und es ist auch nicht möglich, ausführlicher auf Einzelaspekte einzugehen – das würde angesichts des weiten Feldes der Thematik und bei dem enormen Umfang des Diskurses, sowohl philosophisch als auch theologisch bis heute, eine eigene Abhandlung erfordern. Wir werden uns zufrieden geben müssen mit einem Überblick, der den aktuellen Kern, im Innern dessen Hemmerle selbst zu verstehen ist, neu ins Licht rückt 70. Seit jeher, seit der griechischen Antike fragt die Philosophie nach dem Prinzip, nach dem Ursprung, nach einem Gott als Ursache der ganzen Welt; sie tut das ausgehend von einer klaren Trennung zwischen logos und mythos, zwischen einer Konzeptionierung im rein Denkbaren und Verständlichen beziehungsweise Erklärbaren und dem Narrativ des Unbegreiflichen und rätselhaft Unerklärbaren. Die sich daraus ergebende philosophische ratio trifft dann auf die Botschaft Christi und die Erfahrung eines Gottes, der Fleisch wird: Das Unerklärliche sucht nach einer kommunizierbaren Erhellung, denn das Prinzip selbst hat Worte gesucht, in denen es sich mitteilen konnte. Im Ergebnis führt das zu einer Assimilierung philosophischer Begriffe und Ausdrücke innerhalb der Erfahrung des christlichen ZeugZur Vertiefung des Themas vgl. H. Verweyen, Philosophie und Theologie. Vom Mythos zum Logos zum Mythos, WBG Verlag, 2005; J. Rohls, Philosophie und Theologie in Geschichte und Gegenwart, Mohr Siebeck, Tübingen 2002.

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nisses: So entsteht die christliche Theologie als Disziplin, die Gott erklären und ihn auf diese Weise möglichst vielen zugänglich machen will, speziell jenen Köpfen, die – durchdrungen von philosophischen Fragestellungen und im Besonderen von einer Ontologie als Grundlage alles Seienden – die christliche Erfahrung umgehend als nicht nachvollziehbar stigmatisieren würden, weit über etwas Unerklärbares hinaus. Ein Gott nämlich, der Prinzip und Ursache des ganzen Universums ist, der Mensch wird und gleichzeitig vollständig göttlich bleibt, ist das, was sich der menschlichen Vernunft zu widersetzen scheint. Tatsächlich drehen sich die großen Dispute im europäischen Mittelalter hauptsächlich um christologische und trinitarische Fragestellungen, und es ist ein Faktum, dass die meisten Philosophen jener Zeit Theologen waren, aber auch umgekehrt. In der Philosophie hat das zur Übernahme der Ontotheologie geführt, die dann einen Großteil der Geschichte des philosophisch-theologischen Denkens in der westlichen Welt beherrscht hat. Der italienische Philosoph Massimo Cacciari hat diesen Prozess skizziert 71, wobei er deutlich macht, dass die Schwierigkeit, Philosophie und Theologie als jeweils eigene Disziplinen und dennoch eng miteinander verbunden zu definieren, ihre Wurzel gerade in der Ontotheologie hat, die die Prämissen für die extremen und einander widersprechenden Schlussfolgerungen Hegels und Heideggers schuf. Die grundlegende Position der bereits im Griechentum konzipierten Ontotheologie findet sich bei Thomas von Aquin in seiner Aristoteles-Rezeption und in seinem Bemühen, die beiden Zugänge miteinander zu versöhnen. »Was in entibus ein Sein actu existens infinitum zeigen will, kann nicht dem widersprechen, was es auch als absolute Vollkommenheit und nicht nur als Ursache jeder Bewegung zu zeigen beabsichtigt« 72. Die Ontotheologie, die sich schrittweise entwickelt hat, ist nichts anderes als der Versuch, die beiden Bewegungen in einer einzigen zu versöhnen. Andererseits konnte sie selbst dort, wo die Philosophie, vor allem in der Neuzeit, versucht hat, eine anthropologische Wende zu vollziehen, indem sie den traditionellen Gottesberiff problematisierte und ablehnte (Nietzsche), sich nur in einer Sprache artikulieren – Mittlerin einer unterdessen von der Zeit geprägten forma mentis –, M. Cacciari, Filosofia e teologia, in: P. Rossi (Hg.), La filosofia e le scienze, Bd. II, 4, Garzanti, Turin 1995, 365–421. 72 Ebd., 376. 71

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die grundlegend und unausweichlich von ontotheologischen Vorgaben durchdrungen war. Es ist in der Tat nicht möglich, die Philosophie völlig unabhängig von der Theologie neu denken zu können, wenn man im System der Ontotheologie verharrt, und umso weniger reicht es, auf die Metaphysik zu verzichten, wenn man nicht den Mut hat, einen bestimmten Dualismus ganz und gar auszuräumen, der aus einem Verständnis des Seins herrührt, das dem Nicht-Sein und dem Endlichen gegenübergestellt wird, das sich nicht durch die Vielfalt löst und versöhnt. Der Vorschlag Hegels und der Heideggers haben gerade in der Hinsicht eine enorme Faszination auf die zeitgenössischen Philosophien und Theologien ausgeübt. Ersterer versuchte, die trinitarische Bewegung sowie die Frage nach dem Endlichen im Unendlichen im Innern der Dialektik zu denken; so flachte er Philosophie und Theologie in einem Unikum ab, das unterm Strich nichts anderes als die Philosophie ist (es sei daran erinnert, dass für Hegel die Philosophie diejenige ist, die allein den Geist zum Ausdruck bringt, denn die Theologie, die eine Zeit des Aberglaubens und der Ignoranz zu überwinden hat, muss notwendigerweise durch die Philosophie eingeholt werden, die allein den Glauben absichern kann 73); Heidegger hingegen versucht, die beiden Disziplinen zu unterscheiden: Die Theologie kann sich als positive Wissenschaft mit der Tatsache und Logik des glaubenden Zugangs beschäftigen, während sich die Philosophie mit der Ontologie beziehungsweise mit dem Sein generell zu befassen hat 74. Daraus wird ersichtlich, dass die historische Entwicklung von Theologie und Philosophie die Geschichte einer Hassliebe ist, von Autonomie und Abhängigkeit, eine konfliktreiche Geschichte, nach Auffassung Cacciaris unüberwindbar, es sei denn in der definitiven Unterscheidung beider Bereiche in einer radikalen Unterscheidung, die, gerade weil sie unterscheidet, beide untrennbar macht 75. Wie kann man also die Beziehung zwischen Philosophie und Theologie denken?

Vgl. G. F. W. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Werke 3, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1986. 74 Vgl. M. Heidegger, Wegmarken (GA, Bd. 9), »Phänomenologie und Theologie« (1927), Frankfurt 1976. 75 M. Cacciari, Filosofia e teologia, ebd., 411. 73

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Die Theologie interpretiert ein Wort, das im Anfang ist (en archê) und vom Anfang, der aber nicht der Anfang ist. Lässt sie diese Unterscheidung außer Acht, macht sie zwangsläufig aus der Offenbarung eine entschleiernde Darstellung, eine Idee […] Die philosophische Fragestellung weiß auch, dass all ihr kategoreuein lediglich eine Vermutung des Anfangs sein kann – doch sie kann eine echte Vermutung sein, denn der Anfang muss auch ek-sistere 76.

Auf diesem Weg können wir Hemmerle als Philosophen und als Theologen lesen: In einer Neubesinnung auf den Anfang, der mich als etwas absolut anderes als Ich selbst mich konstituiert, indem er mich als Du in Anspruch nimmt, befinden sich Philosophie und Theologie in einer unauflösbaren Umarmung. Aber die Umarmung ist nur zwei Seinsgegebenheiten möglich, die an sich unterschieden und autonom sind, deren Unterscheidung jedoch einzig und allein aus der Gegenwart des anderen erwächst; die Philosophie kann sich also als solche nur so bezeichnen, weil es eine Theologie gibt, die als andere ihr Gegenüber bildet, und umgekehrt kann sich die Theologie nur so qualifizieren, wenn sie die Philosophie als andere vor sich hat; Voraussetzung ist gegenseitige Aufrichtigkeit. Hemmerle verhehlt nicht, dass das Verhältnis tatsächlich etwas unausgewogen ist und bleibt, aufgrund der Tatsache, dass, wenn die Theologie ohne philosophisches Hinterfragen nicht wirklich denkbar ist, die Philosophie nicht unbedingt der Offenbarung bedarf, aber da sie sich in ihrer metaphysischen Tradition die Frage nach dem Ursprung gestellt hat, kann sie die Offenbarung in der Tat auch nicht schlichtweg ignorieren. Das erfordert Demut auf beiden Seiten und die Fähigkeit, Spur zu halten in der Grenze, die sie trennt und eint, in einem Kreuz, das sich in dreifacher Weise artikuliert, wie wir in Das problematische Verhältnis von Philosophie und Theologie 77 lesen: »… das Kreuz der je eigenen Unvollendbarkeit, das Kreuz der Verwiesenheit auf den anders gearteten Partner, das Kreuz, nicht im Eigenen das Ganze der Wahrheit aus sich selbst heraus erreichen und vollenden zu können« 78. Die Nicht-Aneignung birgt die Chance, vom anderen zu empfangen und sich so in der Annahme dessen zu haben.

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Ebd., 413; 415. Vgl. in dieser Textsammlung, Kap. III, 103–123. Ebd., 116.

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Die Beteiligung eines Charismas

Wiewohl das Studium der Theologie und der Philosophie Hemmerle prägen und sein Leben als Professor und Bischof markieren und ihm wertvolle Instrumente liefern für seinen Wunsch nach einer Beziehung mit Gott und in ihm mit der umgebenden Realität, ist der Beitrag nicht zweitrangig, der ihm aus der Begegnung mit einer Spiritualität und deren Übernahme zuwächst. In Hemmerle war ein tiefer Wunsch nach einem intensiven geistlichen Leben, und da gab er sich keineswegs leicht zufrieden, auch hinsichtlich seiner Berufung zum Priestertum und seines Allein-Lebens, lediglich getragen von der Theologie. Diese Sehnsucht war ihm nicht zuletzt vermittelt worden durch den Regens im Priesterseminar, Rudolf Hermann, der ihm auch zur Begegnung mit der gemeinschaftlichen Spiritualität Chiara Lubichs verhalf. Dazu kam es im Jahr 1958 in Fiera di Primiero, einem Ferienort in den Dolomiten, als Hemmerle noch mit seinen Studien befasst war; es war eine Begegnung, die ihn im Innersten berührte und sein ganzes Leben markierte, wie diesen seinen Worten zu entnehmen ist: Zum ersten Mal habe ich da Gott wirklich erfahren […]. Es war eine Nähe und Gegenwart Gottes, wie ich sie trotz meiner intensiven theologischen Studien nie zuvor erlebt und ermessen hatte […]. Mit einem Mal erschien mir die Welt als der unendliche, aber bergende Raum, in dem Gott uns Vater ist und wir uns ihm anvertrauen, alles in seine Hände geben, ihm bedingungslos folgen können 79.

Das Leben des Evangeliums, gemeinschaftlich gelebt, wurde für ihn zu einem unmittelbaren Bedürfnis, und zwar in einem solchen Maße, dass er gleich nach Wegen suchte, das konkret umsetzen zu können. Es blieb jedoch nicht dabei, sondern ihm wurde sehr bald die kulturelle Bedeutung bewusst: Das Ja zum Charisma der Einheit bedeutete nicht nur, einen Weg zu Gott zu gehen, einen Weg persönlicher und gemeinschaftlicher Heiligkeit auf rein geistlicher Ebene. Die charismatische Dimension Chiara Lubichs birgt in sich ein Potenzial, das ihm das Denken erleuchtet und wandelt und damit einhergehend die gesamte Wirklichkeit der Kultur, die uns Menschen begleitet. Hemmerle selbst unterstreicht diesen Aspekt in einer Äußerung wie: »Chiara Lubich hat uns in eine Schule des Lebens genommen, aber 79

W. Hagemann, Verliebt in Gottes Wort, ebd., 49.

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diese Lebensschule ist zugleich auch eine Schule für die Theologie. Das Ergebnis ist nicht eine Verbesserung der Theologie, sondern gelebte Theologie aus dem Ursprung der Offenbarung« 80. Tatsächlich wurde schon bald der theologische Dialog zwischen dem Bischof von Aachen und der Gründerin der Fokolar-Bewegung intensiver, zumal Hemmerle das Bedürfnis verspürte, die sich aus dieser Spiritualität ergebende Theologie herauszuarbeiten und ins Licht zu rücken. Dieser Austausch führte zu unerwarteten Entwicklungen, die aber von Hemmerle zutiefst herbeigesehnt wurden, wie der Entstehung einer Schule, die sich nicht nur Gedanken über die theologische und philosophische Dimension des Charismas der Einheit machen sollte. Es ging um eine intellektuelle Erfahrung, die ein intensives Leben mit Gott sowie mit den Brüdern und Schwestern voraussetzt, in einer Haltung vollständiger Annahme ausgehend vom Beiseitelegen des Eigenen, was als »Pakt der Einheit« bezeichnet und durch die Eucharistie besiegelt wird. An dieser Schule des Lebens und Denkens 81 nahm Hemmerle weiter teil durch sein Leben und seine Reflexion, wobei er seinerseits dazu beitrug, einzelne theologische Elemente dieser Spiritualität zu erläutern, wie Jesus, den Verlassenen, Herzstück und Schlüssel, um einen Zugang zu ihr zu finden. Aus dem Verständnis der Verlassenheit Jesu seitens des Vaters erwächst z. B. die Vertiefung der Liebe als Dimension äußerster Hingabe: Die gesamte hemmerlesche Theologie wird ausschließlich von der Kategorie der Hingabe Gottes her verständlich, die im extremen Akt der Selbstentäußerung zum Ausdruck kommt – in einer Liebe ohne Maß, dank der die Menschen voll aufgenommen werden in den trinitarischen Rhythmus eines Sich-Gebens, das immer ein Sich-Empfangen vom anderen beinhaltet. Auch die Reflexionen über die Einheit Gottes sowie zwischen Gott und dem Geschaffenen stehen unter dem Einfluss K. Hemmerle, Unser Lebensraum – der Dreifaltige Gott, in: »das prisma«, Heft 1, 1994 (6. Jahrgang), 17–23, hier 23. 81 Diese Erfahrung – von Chiara Lubich »Schule Abba« genannt – fing 1990 an, als die Gründerin der Fokolar-Bewegung in einem intensiven Dialog mit Klaus Hemmerle beschloss, ein Studium ihrer mystischen Erfahrung mit einigen Theologen anzufangen. Ein Jahr später tun sich die ersten Teilnehmer dieser Schule, Dozenten/ innen und Experten/innen nicht nur der Theologie, sondern auch der Philosophie und nach und nach anderer Disziplinen zusammen. Piero Coda, Zeuge jenes anfänglichen Gesprächs zwischen Lubich und Hemmerle, berichtet davon in einem Artikel. Vgl. P. Coda, Mistica dell’unità e ontologia trinitaria: una relazione pertinente?, in V. Gaudiano/A. Clemenzia (Hg.), Sulla soglia tra filosofia e teologia in dialogo con Klaus Hemmerle, Città Nuova, Roma 2019, 73–82. 80

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des Charismas der Fokolar-Bewegung, in einer Neuinterpretation des Testamentes Jesu, die zum Schlüssel für das Verständnis jeder theologischen Trennung unter Christen wird 82. Ein weiterer entscheidender Aspekt ist sodann das Gemeinschaftliche – Grundkonzept und Realität dieser Spiritualität, die tatsächlich als neuer Ausdruck eines geistlichen Weges entstand, der nicht mehr exklusiv individuell ausgerichtet war, sondern in Gemeinschaft mit anderen – gleichfalls in verschiedenen Vorträgen betont, nicht nur in solchen mit pastoralem Charakter; einen davon haben wir unter der Überschrift Person und Gemeinschaft 83 in diese Textsammlung aufgenommen. Daraus entstanden Artikel und Beiträge verschiedener Art innerhalb der Fokolar-Bewegung und für sie, aber bei einer aufmerksamen Lektüre anderer seiner Schriften und Reden – von der Theologie bis zur Philosophie, von der Ekklesiologie zur Anthropologie – entgeht einem nicht der Einfluss mystischer Einsichten 84 Lubichs hinsichtlich der Entwicklung des Denkens Hemmerles, sodass man es nicht voll und ganz lesen und verstehen kann, wenn man diese geistliche Wurzel außer Acht lässt.

Hemmerle war aktiv im Bereich der Ökumene engagiert, durch persönliche Beziehungen, die er pflegte, durch Veranstaltungen auf Diözesanebene und bei den Kirchentagen; nicht zuletzt leitete Hemmerle seit 1981 über Jahre echte »Schulen der Ökumene«. Als Bischof, der der Fokolar-Bewegung eng verbunden war, wurde er beauftragt, den internationalen Kreis der Bischöfe aus allen Kirchen zu begleiten. Er stand aber auch im tiefen Dialog mit Juden und Menschen anderer Weltanschauungen, nicht nur intellektuell – wie mit Franz Rosenzeig und Emmanuel Levinas, sondern auch im religiösen Sinn, indem er den Gesprächskreis »Juden und Christen« begleitete. Hierzu findet man Berichte in: W. Baader / W. Hagemann, Klaus Hemmerle. Grundlinien eines Lebens, Neue Stadt, München 2000; W. Hagemann, Verliebt in Gottes Wort. Leben, Denken und Wirken von Klaus Hemmerle, Bischof von Aachen, Echter, Würzburg 2008. 83 Vgl. in dieser Textsammlung, Kap. VII, 190–205. 84 Das Verhältnis zu Chiara Lubich und ihren Intuitionen wird immer entscheidender in den Jahren vor dem Heimgang Klaus Hemmerles, infolge seines Kontakts mit einigen Schriften der Gründerin, in denen von einer besonderen Erfahrung ihrerseits berichtet wird, die unter der Bezeichnung Paradies ’49 bekannt wurde. Darauf bezieht sich Hemmerle in einem nach seinem Tod nur auf Italienisch veröffentlichten Artikel. Vgl. K. Hemmerle, L’ontologia del »Paradiso ’49«. In: »Sophia« VI (2014.2), 127–137. 82

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Der kommunikative Stil Klaus Hemmerles

Kann man von einem eigenen Kommunikationsstil Klaus Hemmerles sprechen? Wer sich seinen Werken nähert, für den ist das vielleicht nicht von vornherein klar: Man findet vor sich ein Meer an Worten – Schriften, förmliche und offizielle Ansprachen, in Reimform oder in komplexen strukturierten Formulierungen, betend oder fragend –, die die gesamte Existenz und das Geheimnis des Absoluten berühren. Gleichwohl ergeben sich diese Worte nicht zufällig, und sie folgen auch nicht einem Schema; bei Hemmerle findet man kurze theologisch-philosophische Abhandlungen neben Briefen und Predigten, Poesien und Ansprachen, denen allen etwas gemeinsam ist: Sie sind zutiefst dialogisch. Es gibt von Hemmerle keine Worte, die zu irgendeinem Argument und Thema kommuniziert oder geschrieben wurden, die nicht an jemanden gerichtet sind, an ein Du/Wir, auf das etwas Bezug nimmt oder das in Bezug genommen wird und zum Handeln auffordert. Es gibt also einen Hemmerle-Stil: Es ist der des Narrativs und der Konversation, auch dort, wo es um Philosophie und Theologie geht. Hemmerle spricht, wenn er angesprochen wird, nicht nur zu einem persönlichen Du, sondern bezieht sich auch auf eine Situation. Deshalb ist sein Kommunizieren situativ und immer in seinem ganzen Kontext zu sehen, weil sich sonst unscheinbare Nuancen im Sinn verlieren. Viele Male hat Hemmerle tatsächlich gesprochen, in dem Sinne, dass viele Schriften zunächst als Vorträge konzipiert waren, die erst im Nachhinein schriftlich fixiert wurden, vielleicht einfach durch Anhören der Tonbandaufzeichnungen. In dieser Textsammlung ist dieser Faktor zu berücksichtigen, denn unter den Schriften, die ausgewählt wurden, sind mehrere, die auf diese Weise entstanden sind. Andererseits spiegelt der Stil auch die Vorstellung, die er von Theologie als Nachfolge hatte, das heißt in starker und enger Verbindung zwischen Leben und Denken. Wie Schreier, der Herausgeber der Hemmerle-Bibliografie, betont, »Sprache ist für Hemmerle so ein Phänomen der Bewegung, der Mitte, ein Phänomen der Ineinanderbewegung, der ›Gegenwendigkeit‹ von Mitte und Peripherie, von Wort und Antwort« 85. Es handelt sich um einen dialogischen Stil, J. Schreier, Das Schrifttum Klaus Hemmerles als Zeugnis zu seinem Denken, in: H. H. Henrix (Hg.), Bischof Klaus Hemmerle (1929–1994) – Ein geistlicher Meister, ebd., 59.

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um eine Kultur des Narrativs – sicherlich beeinflusst durch das sprechende Denken Rosenzweigs 86 –, lebendig, in intimer Anlehnung und Verknüpfung zwischen Denken und Dichten, die als Stil nicht unterschieden und nicht getrennt sind, Akte also, die verschiedene Bereiche der Existenz zum Ausdruck bringen, aber in der Tonlage desselben einzigen Geschehens, das das von jemandem geschenkte Leben ist. Wir können von daher sagen, dass sein Kommunikationsstil voll und ganz seinen Zugang zum Leben und zum eigenen Verständnis von Philosophie und Theologie zum Ausdruck bringt: Da gibt es keine Abteilungen, die im rechten Moment und am richtigen Ort aktiviert werden, sondern alles trägt dazu bei, mit größerer Tiefe auszudrücken, was man nicht auf eine Einseitigkeit bestimmter programmatischer Auswahlen reduzieren könnte. Da es sich um einen dialogischen Stil 87 handelt, trifft man nicht selten auf Motive voller Humor – darauf verstand sich Hemmerle meisterhaft. Er liebte Wortspiele, die er auch in Titeln verwendete, und darüber hinaus in seinen Texten oder Vorträgen. Zweifellos hatte er ein besonderes Sprachtalent, das ihm nicht nur half, im richtigen Moment die rechten Worte zu finden, sondern auch seinen Gedanken Gestalt zu geben, indem er über deren Gehalt hinaus in sie eine stilistische Schönheit, etwas wie eine expressionistische Sprache, hineinlegte. Worte leben aus ihrem Sinn und ihrer Bedeutung, beseelt von einer Vielfalt von Wortspielen, die es erlauben, über den Horizont des Bestimmten und Bekannten hinauszugehen, um darin neue Deutungshorizonte freizusetzen, die manchmal Missverständnissen vorbeugen, indem sie unerwartet Wege zum Verständnis bahnen 88. Ein solcher Rahmen mag Sorge wecken im Blick auf ein mögliches Verständnis von etwas, das in ständiger Bewegung und demnach »ungreifbar« zu sein scheint. Tatsächlich kann man Hemmerle nicht verstehen, wenn man sich nicht auf seine Einladung zum Mitdenken einlässt, mit ihm die Spiralen des Denkens nachzuvollziehen, ohne dem Widerstand entgegenzusetzen oder Filter in Bezugnahmen F. Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, ebd. Obwohl es dabei grundsätzlich immer um drei »Gesprächspartner« geht: Hemmerle selbst, die Person, mit der er spricht und die »Sache«, d. h. das Thema des Dialogs – wobei hierunter das Ganze, im Sinne der Totalität, zu verstehen ist. Davon spricht Hemmerle in: Bildung und Bistum, in: R. Feiter (Hg.), Ausgewählte Schriften, Bd. IV, ebd. 88 J. Schreier, Das Schrifttum Klaus Hemmerles als Zugang zu seinem Denken, ebd., 62. 86 87

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zu suchen: Man muss in das Wechselspiel von Position und Perspektive eintreten, frei werden für die Überraschung eines neuen Gedankens, der vorher nicht präsent war und sich dem scheinbar Gegensätzlichen beiordnet. Stefan Loos verwendet zur Charakterisierung des HemmerleStils drei Attribute, gewissermaßen eine Zusammenfassung dessen, was bislang ausgeführt wurde: dialogisch, zirkulär und fragmentarisch 89. Auf den dialogischen Aspekt sind wir bereits eingegangen; darüber hinaus wäre zu sagen, dass sich das auch dort findet, wo es um Theologie und Philosophie beziehungsweise um das Verhältnis zwischen beiden geht: Die Gesamtheit der konkreten Situation, die sein Sprechen, sein Thema und seine Methode bestimmt, charakterisiert den Dialog zwischen Philosophie und Theologie. Gewiss verliert sich der dialogische Charakter im geschriebenen Text, verbunden mit der Gefahr einer Fixierung auf etwas, das in Wirklichkeit pure Bewegung ist; tatsächlich aber bleiben auch die geschriebenen Texte den Interpretationen jener unterworfen, die sie lesen; von daher kann man nicht sagen, eine Form sei »sicherer« als die andere. Das Dialogische hat jedoch nicht nur mit einem Publikum oder direkten Gesprächspartnern zu tun, denn zuallererst ist Hemmerles Denken selbst dialogisch, insofern es Dialog mit Gott ist, was wiederum andere Denker einbezieht, mit denen er sich auseinandersetzt; eine Art Weltgespräch. Darauf geht Hemmerle nicht immer ausführlich ein – seine Schriften enthalten nur wenige Fußnoten, was bereits der vorliegenden Textauswahl zu entnehmen ist –, und zwar nicht aus einem Mangel an Gründlichkeit hinsichtlich der Überlieferung im Umfeld einer bestimmten Thematik, sondern weit mehr, weil im Mittelpunkt »die Sache selbst« steht, die Tatsache, dass man denkt und Dialog führt in jenem Mitdenken, das in der Bewegung des Denkens die Konturen zwischen eigenem Denken und dem der anderen verblassen lässt. So steht man oft vor Begriffen aus der philosophischen und theologischen Tradition, die ohne jede Diskussion oder Verifizierung neu eingebracht werden, unhinterfragt übernommen und zustimmend approbiert. Aus dem Grunde sind die in dieser Textauswahl übernommenen Schriften mit weitaus mehr Fußnoten versehen worden, wobei versucht wird, jene Passagen zu interpretieren, in denen

S. Loos, Religion als Freiheit. Eine hermeneutische Phänomenologie der Religion nach Klaus Hemmerle, Karl Alber, München, 96–110.

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Hemmerle eine Reihe von Konzepten als bekannt und klar voraussetzt, die aber nicht für jedermann so erscheinen könnten. Die Zirkularität im hemmerleschen Diskurs basiert auf einem ständigen Fragen und Antworten, was sich gegenseitig bedingt. Häufig wird ein Text von einer oder mehreren Fragestellungen geleitet, die neu auftreten, wenn man meint, eine Antwort gegeben zu haben, in der vielleicht neuen Weise, die diese Antwort auf die Frage gibt. Zentral ist in jedem Fall die Frage und das Fragen: In der Hinsicht ist Hemmerle wirklich und radikal Philosoph; wie er selbst bekräftigt, ist nämlich der Mensch, das Wesen der Frage, fähig zu fragen – nach sich, nach der Welt und nach seinem Ursprung. Frage und Antwort bedingen sich also wechselseitig in einer noch spezifischeren Ausdrucksweise, die in Das Heilige und das Denken (erste Schrift dieser Textsammlung) bestimmt wird, aber implizit oder explizit auf andere Texte zurückgreift, nämlich den »Ruf beim Namen« und die Antwort: Tatsächlich ist Hemmerles Philosophieren immer ein Anruf, ein Rufen beim Namen eines Du, das seinerseits antwortet auf den, von dem der Anruf kommt. Es gibt keine abschließende Antwort, es gibt nicht die definitive und wohl strukturierte Lösung, die der Philosophie und dem menschlichen Geist im Allgemeinen lieb geworden ist; es ist vielmehr ein konstantes Zurückverweisen auf immer neue Möglichkeiten, die jedoch nicht in absoluter Ungewissheit und offensichtlicher Nutzlosigkeit des Fragens und Suchens zurücklassen, denn Hemmerles Fragen verweist auf eine Antwort, allerdings kann sie nur aus dem Ursprung dieser selbst je neu entspringen. Die Antwort ist jedoch Verantwortlichkeit, und somit wird die Philosophie zum Versuch, mit anderen menschlichen Wesen ständig neu ins Gespräch zu treten, in einem Überschreiten der dem Gespräch eigenen Sprache. So wird verständlich, dass das Denken in dieser ständigen Bewegung von Frage-Ruf und Antwort zu einem Zirkulieren um das jeweilige »Objekt« führt, in einer doppelten Zirkularität, die auch die Bewegung zwischen der radikalen Offenheit für mögliche Lösungen und einem umrissenen Ziel einschließt. Im Geschehen des Denkens steht alles in Beziehung zueinander, jeder Punkt oder entgegengesetzte Pol wird im ständigen Verweisen in Betracht gezogen, sodass die Gedanken eines Textes oder einer Mitteilung – obwohl sie tatsächlich in einem Vorher und Später bleiben, in dem jedem ausgeführten Gedanken ein anderer vorausgeht und ein weiterer folgt, unterschieden und getrennt von ihm – aus der gleichen zirkulären Dynamik der Mitzugehörigkeit zu dem Komplex leben, der sich nach und nach bilVerdankendes Denken

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det. Gerade der bereits erwähnte Text Das Heilige und das Denken zeigt diese spiralförmige Zirkularität deutlich, in der Hemmerle sich bewegt und mit der er die Konzepte von Denken und Heiligem umgibt. Das Denken wird zum Weg, ein Weg der Suche, der sich nicht in definierte Systeme einschließen lassen kann: Die Prozesshaftigkeit des Denkens durch die Frage kommt sodann im Fragment zum Ausdruck. Der Weg kann sich nämlich nie definitiv schließen; er wird Etappen haben, kann Haltestellen vorsehen, aber als Weg führt er nicht zu Ende. Das Bruchstückhafte seinerseits hat jedoch zu tun mit dem Thema Denken über Gott, denn das kann sich nie abgeschlossen und endgültig wähnen. Dieses Denken bleibt vielmehr teilweise »Stückwerk«; lediglich als Fragment kann die Frage nach dem Ganzen und dem Zusammenhang die Feststellung der Unmöglichkeit der definitiven Antwort ohne Widerspruch bleiben. Hemmerle lesen bedeutet deshalb, auf jeden Anspruch absoluter Kohärenz, Einordnung und Eingliederung, auf ein geschlossenes System zu verzichten, will man nicht Gefahr laufen, ihn nicht zu verstehen und sein Denken einzuschränken.

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Textauswahl und Aufbau des Werkes

Die Auswahl der Texte in diesem Band entstand aus einem dreifachen Bedürfnis: Es ging zunächst darum, Schriften von Hemmerle zum Verhältnis von Philosophie und Theologie und ihn als Denker neu ins Blickfeld zu rücken. Das steht auch im Zusammenhang mit Entwicklungen in der Biographie Hemmerles, der ja schon früh mit dem Bischofsamt betraut wurde, was verbunden war mit dem Aufgeben seiner Karriere an der Universität; jedenfalls hatte er nicht mehr viel Gelegenheit, sich in der Forschung zu vertiefen und wissenschaftliche Texte zu erstellen; aus dem Grund war es auch schwierig, dass sich eine Schule von Forschern um ihn herum bildete 90 – wie sich das bei Welte ergeben hatte –, die größere philosophisch-theologische Werke hervorbringen konnte. Wenn wir das verbinden mit dem, was oben über den Stil gesagt wurde, wie Hemmerle Philosophie und Theologie Es sei jedoch erwähnt, dass Hemmerle, solange er an der Universität lehrte und selbst noch in der ersten Zeit als Bischof, mehrere Doktorarbeiten und Forschungsvorhaben begleitete, und zwar bis zu deren Abschluss.

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betrieb, weit davon entfernt, das in große Systeme einzuordnen und zu organisieren, wird das Fragmentarische seiner Werke mit eher theoretisch-spekulativem Charakter sowie das Bedürfnis, mehr »Fragmente« lesen zu müssen, verständlicher, um daraus in der Tiefe die Hauptgedanken zu verstehen und die Spuren der Reflexion und des Suchens aufzudecken, die es weiterzuentwickeln gilt. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Philosophie und Theologie – und damit berühren wir den zweiten Beweggrund für die hier vorliegende Textauswahl – sowie nach einer Zugangsweise, die beide Perspektiven erhellt, sofern sie mit Anteil am Ursprung der gleichen Realität haben und mit zu ihr gehören, demnach aus unterschiedlichen, aber nicht entgegengesetzten Positionen betrachtend, ist eine der Spuren – ja, ich würde wagen, zu behaupten, ist die Spur – von der ausgehend oder im Innern derer man alles Übrige lesen kann; das zu vertiefen und neu zu überdenken, lohnt die Mühe. Dann zum dritten Motiv: Die Tatsache, dass sich das Interesse an diesem Denker aktuell auf philosophisch-theologische Studien bezieht – dabei unterstreiche ich das »Philosophische«, denn von Hemmerle ist bislang zumeist »die theologische Seele« vertieft worden –, hier sind Piero Coda und andere Forscher 91 zu nennen, die an ihm den Vorschlag einer trinitarischen Ontologie entfalten, wie sie Hemmerle selbst so wörtlich formuliert hat 92. In den letzten zehn Jahren hat sich ein immer breiterer Kreis an Intellektuellen ausgebildet, die inspiriert worden sind von dem Vorschlag eines Überdenkens der Philosophie und der Theologie im Dialog durch den Ansatz der trinitarischen Ontologie. Die Idee stammt von Piero Coda, Professor für Trinitarische Ontologie am Sophia University Institute (Florenz), und einige seiner Freunde/innen und Kollege/ innen. Das Projekt nimmt die Thesen von Klaus Hemmerle als Inspirationsquelle, um sie kreativ weiter zu entwickeln. Inzwischen gibt es nicht nur italienische Theologen/inen und Philosophen/inen, die engagiert sind, sondern auch weltweit, so dass man auch von verschiedenen Ansätzen einer trinitarischen Ontologie bzw. einer Ontotriadik sprechen kann, wie der internationale Kongress New Trinitarian Ontologies bezeugt, der 2019 in Cambridge stattfand, und die daraus folgenden Veranstaltungen. 92 Das Konzept einer »trinitarischen Ontologie« stammt ursprünglich nicht von Hemmerle, in dem Sinne, dass es nicht seine Erfindung war; das Neue bei Hemmerle besteht darin, dass er den Begriff geprägt hat und ihm eine neue Tragweite beigemessen hat, die Theologie und Philosophie in grundlegender Weise auf den Plan rief. Hierzu sei verwiesen auf: L. Zak, Verso un’ontologia trinitaria, in: P. Coda/L. Zak (Hg.), Abitando la Trinità. Per un rinnovamento dell’ontologia, Città Nuova, Rom 1998, 5–25. Bezüglich der Studien, die im Umfeld Piero Codas hinsichtlich einer Wiederaufnahme der trinitarischen Ontologie Hemmerles entstanden, vgl. ebd., A. Frick, Le tesi di ontologia trinitaria di K. Hemmerle – un nuovo inizio, in: 91

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Einleitung

Nach Klärung der Beweggründe für dieses Werk – welche Texte wurden ausgewählt? Es handelt sich um neun Schriften, darunter Artikel und Vorträge, deren Entstehung sich über das gesamte Leben Hemmerles erstreckt, im Besonderen von 1966 bis 1994. Alle sind relativ kurz, abgesehen vom ersten Beitrag, der fast so viele Seiten Umfang hat wie seine Thesen. Wenn man die Überschriften durchgeht, erschließt sich nicht gleich der ihnen gemeinsame Leitfaden, und hier ist zu sagen, dass sehr wahrscheinlich nicht einmal Hemmerle selbst, dem am Aufbau eines kohärenten und kontinuierlichen Systems nicht sonderlich gelegen war, einen solchen vor Augen hatte. Von Das Heilige und das Denken gehen wir weiter zu Trinität und Zeit – Überschriften, die eindeutig auf einen eher theologisch-philosophischen Kontext verweisen – bis hin zu etwas anders klingenden Überschriften wie Denken der Grenze – Grenze des Denkens oder auch Person und Gemeinschaft sowie Wahrheit und Liebe – ein perichoretisches Verhältnis, mit eher anthropologischem Aussagecharakter. Wenn man sich die Überschriften genauer anschaut, deuten sie auf eine Grundabsicht des Autors: Perspektiven vorzustellen, die in einer Beziehung wechselseitiger Zugehörigkeit und des Gesprächs als gegensätzlich gelten; es handelt sich dabei um Polaritäten, die nur kraft der polaren Spannung selbst inbegriffen sind und die, nach der Lesart, die ich im Bezug darauf hier vorschlage, implizit und explizit zur Philosophie und zur Theologie gehören, wenngleich bei aufmerksamer Lektüre Hemmerles sehr bald deutlich wird, dass beide aufeinander einwirken und dennoch unterschieden bleiben. Die alleinige Kategorie des Denkens – zentral und allgegenwärtig – kann man nicht einzig und allein der Philosophie zuschreiben, als wäre Theologie lediglich eine Glaubensangelegenheit und das Denken eine philosophisch-rationale, vom anderen losgelöste Aktivität. Die Schriften werden einfach nach ihrer Chronologie der Entstehung oder Veröffentlichung vorgestellt, ohne dem Kriterium ihrer Bedeutung Rechnung zu tragen 93. Es sei jedoch darauf hingewiesen, P. Coda/A. Tapken (Hg.), La Trinità e il pensare. Figure, percorsi, prospettive, Città Nuova, Roma 1997, 283–300; P. Coda/A. Clemenzia/J. Tremblay (Hg.), Un pensiero per abitare la frontiera, Città Nuova, Rom 2016. 93 Wenn man nach dem Schriftenverzeichnis Klaus Hemmerles sucht, kann man die Bibliographie von Josef Schreier konsultieren, der all seine Werke aufgelistet hat. Man findet sie verlinkt in der Homepage vom Klaus-Hemmerle-Werk e. V. (www. klaus-hemmerle.de). Dort findet man auch den link zur Diözesanbibliotek von Aachen, in der der gesamte Nachlass aufbewahrt wird.

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dass der erste und der letzte der ausgewählten Texte, das heißt Das Heilige und das Denken und Das unterscheidend Eine, für die anderen Schriften tatsächlich einen Rahmen bilden; in ihnen klingen nämlich zwei wesentliche Aspekte der hemmerleschen Reflexion an: zum einen die Frage nach der Beziehung zwischen dem menschlichen Denken und der Dimension des Heiligen, eine ständige Fragestellung, wenngleich oft mit anderen Begriffen und Kategorien abgehandelt; zum anderen die Frage nach der Einheit angesichts der Vielfalt, die ihrerseits den offenen Kreis von Heiligem und Denken im Bezug zueinander schließt, um ihn erneut zu öffnen: Die Denkbarkeit des Heiligen öffnet sich der Vielfalt ihres einzigen und alleinigen Ursprungs. Das bedeutet nicht, dass diese beiden Texte mit vielen kommentierenden Anmerkungen versehen sind. Tatsächlich ist Das Heilige und das Denken, da es der erste Text überhaupt ist, jener Text, der die Gelegenheit für eine größere Anzahl von Bemerkungen und Erklärungen bietet, die implizit auch zum Text Das unterscheidend Eine gehören. Jeder Schrift Hemmerles geht eine kurze Einführung voraus, die sich hauptsächlich auf den historisch-editorischen Rahmen ihrer Veröffentlichung bezieht; es geht darum, den Text in den Kontext einzuordnen, um in gewisser Weise die Hintergründe zu verlebendigen, die ihn veranlasst haben und/oder die eventuell damit verbundenen Gründe aufzuzeigen, aber auch Ausgaben zu nennen, in denen er aufgenommen wurde. Nach jeder Schrift werden dann »Leseschlüssel« angeboten, die eine Erläuterung zu den von Hemmerle bearbeiteten Themen sein wollen, mit besonderem Augenmerk auf die Quellen, auf die er Bezug nimmt – auch hier mehr oder weniger implizit –, ohne dies erschöpfend abzuhandeln: Jedes Konzept oder Thema könnte eine Diskussion und eine Vertiefung an sich öffnen, was den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Die Schriften Hemmerles wurden mit einem umfangreichen Apparat an Anmerkungen versehen, was dem Zweck dient, Klarstellungen und Elemente zur Vertiefung anzubieten, die Hemmerle selbst nicht anbietet, und dadurch das Textverständnis zu erleichtern. Trotz der vielfältigen Verweise von einem Text zum anderen – mehr oder weniger explizit – handelt es sich um in sich vollständige und selbstständige Schriften; daher sind auch die Verstehenshilfen so gedacht, eine Verwendung der Texte für sich allein zu ermöglichen, das heißt eine Lektüre der einzelnen Schriften ohne unbedingt notwendige vorausgehende und folgende Lektüre anderer Schriften.

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Schlussbemerkungen

Die Originalität Klaus Hemmerles bezieht sich nicht nur auf seinen Stil und die Inhalte, worauf wir in dieser Einleitung schon kurz hingewiesen haben, sondern auch auf seinen Sprachgebrauch: Wir haben vor uns ein regelrechtes Sprachtalent. Das wird ihm von vielen bescheinigt, die seine Schriften kennen und seine Vorträge gehört haben. Hemmerle versteht sich darauf, mit Worten zu spielen, was ihm selbst in italienischer Sprache gelang 94. Von ihm gibt es neue Wortschöpfungen, die besser fassen, was er aussagen will; aber er ist gleichzeitig ein Autor von Rang, dessen Stil, abgesehen vom phonetischen Klang, ästhetisch eine eigene Schönheit aufweist, was aus meiner Sicht mit seinen Talenten als Maler und Musiker einhergeht. Ein Aspekt, der in Betracht zu ziehen ist: Hemmerles Gebrauch von Verben und Substantiven. In den Texten stößt man häufig auf substantivierte Verben 95; solche Tätigkeitswörter prägen den Stil seines Denkens. Andere Male greift Hemmerle zurück auf Abstraktionen, wobei er mitunter neue Begriffe konstruiert, an die er Suffixe wie -keit oder -heit hängt, in einer fast hyperbolischen Dehnung. Beim Lesen dieser Schriften ist deshalb Geduld gefordert, weil man meist nicht schnell etwas überblicken oder gar überfliegen kann: Ursache dafür ist die Dichte mancher Passagen wie auch die notwendige, hier erläuterte Auswahl. Bei der Textauswahl ging es mir nicht zuletzt darum, mit Klaus Hemmerle zu denken, und das ist zugleich die Einladung an die Leser dieser Veröffentlichung, sich auf das Abenteuer der Wege des Denkens einzulassen und auf das Staunen und Erschrecken darüber, was diese Horizonterweiterung zu eröffnen vermag, bis er oder sie zu der einen Quelle mit höchster Anerkennung und verdankender Haltung hinschaut.

In seiner Rolle als Bischof, der Kontakt mit dem Vatikan hatte, wie auch aufgrund seiner Verbindung mit der in Italien entstandenen Fokolar-Bewegung sah sich Hemmerle mehrmals veranlasst, Beiträge in italienischer Sprache mündlich vorzutragen oder zu schreiben. 95 Nur ein Beispiel: denken ist der Infinitiv des Verbs; wird es jedoch substantiviert und mit bestimmtem Artikel versehen – das Denken –, so bezeichnet es sowohl die Tätigkeit als auch den Übergang vom Verb zum Substantiv im Sinne von »der Gedanke«. 94

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I. Die Herausforderung des Heiligen

A. Zur Einführung Das Heilige und das Denken – für eine philosophische Phänomenologie des Heiligen wurde 1966 veröffentlicht in einer Sammlung von Schriften Klaus Hemmerles sowie seiner Studienkollegen Bernhard Casper und Peter Hünermann, wie er Schüler von Bernhard Welte. Das Buch erschien im Herder Verlag unter dem Titel Besinnung auf das Heilige 1. Später, im Jahre 1995 wurde dieser Hemmerle-Text in den ersten Band der von Prof. Reinhard Feiter herausgegebenen Sammlung Ausgewählte Schriften aufgenommen, Auf den göttlichen Gott zudenken 2. Es handelt sich um einen von Hemmerle direkt für die Veröffentlichung bestimmten Text, der heute in der ursprünglich von ihm konzipierten Fassung zugänglich ist. Es ist seine erste Schrift nach seiner Promotion, in der Hemmerle sich selbstständig in eigener Weise an eine Thematik wagt, die seiner phänomenologischen Schule des Denkens viel bedeutete: das Heilige 3. Das erklärt vielleicht die Mühe des Suchens in der BegriffB. Casper/K. Hemmerle/P. Hünermann (Hg.), Besinnung auf das Heilige, Herder, Freiburg/Basel/Wien 1996. 2 K. Hemmerle, Auf den göttlichen Gott zudenken, Schriften zur Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie, Bd. 1, ebd. 3 Die erste Monografie über diese Thematik, nachhaltig prägend und mit breiter Resonanz, stammt von dem evangelisch-lutherischen Theologen Rudolf Otto (1869– 1937). Er hatte sich nach einer starken persönlichen Erfahrung daran gemacht, sich der Frage nach dem Heiligen zu stellen, die für ihn zum Mittelpunkt seiner Forschung und Reflexion wurde. Das reifte dann heran im bekanntesten Werk Ottos, durch das er berühmt wurde: Das Heilige, 1917 veröffentlicht. Otto wird – wenngleich in ganz eigenständiger Weise und Originalität – als Denker dem Bereich der Phänomenologie zugeordnet. Husserl selbst bekundete hohe Wertschätzung für dessen Werk Das Heilige. Dieses Werk ist zum Verständnis der weiteren Entwicklung der anschließenden Studien im Bereich der Philosophie und Psychologie der Religion unerlässlich. 1

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lichkeit, die besser den Weg kennzeichnet und ausdrückt, den Hemmerle gegangen ist und auf dem er einlädt, das Heilige aufzufassen. Nach Aussagen Hünermanns markiert dieser Beitrag einen intellektuellen Weg, den Hemmerle nach seiner Doktorarbeit 4 weiter gegangen ist, indem er besondere Entwicklungen und neue thematische Schwerpunkte findet, die mit ihr in weiteren zwei Texten verbunden sind; deren Mittelpunkt ist nach Hünermann »ein neues Bild der Theologie […], ein verändertes Miteinander von Theologie und Philosophie, das man als eine perichoretische Durchwaltung bezeichnen könnte« 5. Die anderen beiden hier in Betracht gezogenen Texte sind der Band über Schelling Gott und das Denken nach Schellings Spätphilosophie 6 aus dem Jahr 1968 sowie die Thesen zu einer trinitarischen Ontologie 7, die 1976 erschienen. In der Abhandlung über das Heilige, dem umfangreichsten und komplexesten Text in dieser Sammlung, hat Hemmerle … in großartigen Phänomenanalysen aufgezeigt, wie angesichts des Heiligen das Denken zur sich überfragenden Anfrage wird, seinen denkerischen Zugriff auf das Seiende in der Weise des Lassenden vollzieht und insgesamt zum verdankenden Denken wird 8. In seiner Doktorarbeit, von Bernhard Welte begleitet und 1957 abgeschlossen, setzt sich Hemmerle mit dem Denken Franz von Baaders (1765–1841) auseinander, jenes deutschen Philosophen, der in seiner spekulativen Reflexion die Deutsche Mystik Meister Eckharts und im Besonderen den pantheistisch orientierten Theosophen Böhme wie auch die kabbalistische und aufklärerische Tradition des französischen Okkultismus aufgegriffen hat. Es ging ihm dabei um eine Erneuerung des Christentums und der Gesellschaft durch die Erarbeitung einer Philosophie der Freiheit Gottes vom Menschen und umgekehrt von Gott. Baader war zu seiner Zeit recht einflussreich aufgrund seiner breiten Aktivitäten als Schriftsteller, Dozent und Publizist, hatte jedoch keinen sonderlichen Einfluss auf das folgende 19. Jahrhundert; es mangelt bis heute an wichtigen kritischen Untersuchungen zu seinem Werk. Hemmerle befasst sich in seiner 1963 veröffentlichten Dissertation speziell mit Baaders Reflexion über die Schöpfung, vgl. K. Hemmerle, Franz von Baaders philosophischer Gedanke der Schöpfung, Karl Alber (Symposion: Schriftenreihe 13), Freiburg 1963. 5 P. Hünermann, »Der Andere ist wie ich – aber Gott ist wie der Andere. Grundzüge im theologischen Denken von Klaus Hemmerle«, (Vortrag von Prof. Hünermann bei der ersten Akademietagung in Freiburg über Bishof Hemmerle, 1995) in: »Verliebt in Gottes Wort« ebd., 296–305, hier 298. 6 K. Hemmerle, Gott und das Denken nach Schellings Spätphilosophie, Herder, Freiburg 1968. 7 Dieser relativ kurze Text, den Hemmerle zum 70. Geburtstag von Hans Urs von Balthasar verfasste, wird als eine der grundlegenden Schriften betrachtet, auf denen Klaus Hemmerles Denken ruht. 8 P. Hünermann, »Der Andere ist wie ich«, ebd. 299–300. 4

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I. Die Herausforderung des Heiligen

Durch diese Bewegung regt das Denken das ganze menschliche Wesen an, sich aufzumachen und zu entdecken, dass etwas/jemand es erdacht und gewollt hat, noch bevor es selbst denken konnte. Der Mensch befindet sich auf einem Weg, der ihn jene ihm eigene Fähigkeit zur Antwort verlieren sieht, um sich dem Staunen zu öffnen. »Was ist mir passiert? Auf einmal ist alles anders!« Es ist die Haltung des Denkens, die zuzugeben weiß, eine Antwort auf die letzten Fragen nicht geben zu können, und die sich der Anmaßung erwehren kann, alles im Griff zu haben und zu besitzen. Hemmerle verdeutlicht, dass nur diese Art des Denkens einen Zugang zum Heiligen zu erschließen vermag. In einer Haltung der Anerkennung und Dankbarkeit gewährt man dem Heiligen die Möglichkeit, sich zu geben und sich auf seine Weise zu äußern, gleichwohl verständlich für das menschliche Wesen, dessen Haltung ein vitales Denken sein soll, ein Denken, das sich in einen existenziellen Gestus übersetzt, in den des Gebets der Anbetung.

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Das Heilige und das Denken (a) Zur philosophischen Phänomenologie des Heiligen

I.

Was heißt philosophische Phänomenologie des Heiligen?

Eine philosophische Besinnung auf das Heilige muß wissen, was sie unter dem Heiligen versteht, und muß unter dem Heiligen das verstehen, was sie vom Heiligen selbst her unter ihm zu verstehen hat. Vom Heiligen selbst her: d. h. also nicht von einem willkürlich oder unausgewiesen angesetzten Begriff des Heiligen her, sondern aus seinem Sich-Zeigen. Dieses Sich-Zeigen gilt allein, wenn es in ein sich selbst als Denken helles Denken hineinblickt – d. h. in ein Denken, das sich als Denken sich selber zeigt; denn nur ein als Denken sich helles Denken ist Organ philosophischer Besinnung, und nur

Bei Hemmerle kommt dem Verb »denken« als Tätigkeitswort, aber auch substantiviert, eine besondere Bedeutung und Aussagekraft zu, wozu sicherlich Rosenzweig auf der einen Seite und Rombach auf der anderen beigetragen haben. Diese Denker bevorzugen das Verb aus unterschiedlichen Gründen, weil es eine Dynamik und Bewegung in sich birgt, die das Substantiv nicht hat. Rosenzweig sagt über den Stil im zweiten Teil des Stern der Erlösung, über die Erzählung, Folgendes: »Substantive, also Substanzworte, gehen in seine Erzählung zwar ein, aber das Interesse liegt nicht auf ihnen, sondern auf dem Verbum, dem Zeit-wort« (vgl. F. Rosenzweig, Das neue Denken. Nachträgliche Bemerkungen zum ›Stern der Erlösung‹, in: Der Mensch und sein Werk III, Zweistromland, Martinus Nijhoff, Den Haag 1984, 148). Das Erzählerische bedarf der Verben, denn es erzählt Erfahrungen in der Zeit, während die Substanz einer systematischen, mit Nomen fixierten Abhandlung bedarf. Die neue Philosophie, das neue Denken hingegen ist besonders an der Erfahrung und damit am Verb interessiert. Zudem steht im Mittelpunkt des Sterns die Liebe Gottes zu den Menschen, das heißt eine Aktivität, eine Präsenz, deren Grundlage eine dynamische Beziehung ist. Rombach wiederum zielt auf den Wert der Bewegung und all das, was Bewegung signalisiert oder mit sich bringt, und typische Ausdrucksweise dafür sind eben die Verben (vgl H. Rombach, Strukturontologie, eine Phänomenologie der Freiheit, ebd.; F. Rosenzweig, Das neue Denken, ebd.). In diesem Hemmerle-Text ist das Denken vor allem in seiner eigenen Aktivität zu sehen, aber gleichzeitig als Subjekt im Bezug zum Heiligen.

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ein solches Denken kann auch scheiden zwischen dem, was sich wahrhaft ihm zeigt, und dem, was es bloß sich selbst ausdenkt. Alles, was dem sich hellen Denken sich zeigt, ist mögliche Sache philosophischer Besinnung. Diese will ihre Sache indessen nicht nur verstehen, sondern sich selbst auf sie verstehen. Damit ist keineswegs gesagt, daß sich helles Denken alles, was sich ihm zeigt, aus sich selbst ableiten wolle; doch es will wissen, warum es zu ihm gehöre, daß sich gerade dieses ihm zeigt, warum es seine Möglichkeit sei, Zeuge solchen Sich-Zeigens zu sein. Es will das Sich-Zeigen (b) nicht als bloßes Faktum hinnehmen, sondern in seine, des Denkens, Helle für sich selbst hineinnehmen. Verständnis des Gezeigten und Verständnis seiner selbst wollen ihm Eines, das Sich-Zeigen seiner Sache will ihm zu seinem eigenen Sich-Zeigen werden. Würde ihm hierbei die sich zeigende Sache (c) nur Exempel und Moment seines Selbstverhältnisses, so würde ihr Aufgang aus sich selbst freilich verfremdet. Nur wenn sie von sich her sich ihm zeigen darf, zeigt sie sich rein. Sich helles Denken weiß indessen, daß es »nichts anderes« als Aufgang seiner Sache ist, sich selbst als »bloßes« Denken je ins »reine« Denken verzehren, sich seiner eigenen Zusätzlichkeit zur Sache selbst gerade entledigen muß: Sich wollen und nur

Das Verb »Sich-Zeigen« gehört zur hemmerleschen Phänomenologie und ist der Freiburger Schule und generell der Phänomenologie entliehen, deren Methodik grundsätzlich auf der Beobachtung des Objekts basiert – Aktivität des bewussten Subjekts – sowie auf dem Sich-Zeigen der Dinge – Gegenstand der Wahrnehmung. Das Sich-Zeigen wird im Besondern von Heidegger und von der Freiburger Schule im Sinne von »sichtbar werden lassen« oder »klar hervortreten lassen« durch das Wort verwendet. Das Sich-Zeigen findet man bei Hemmerle in der Bedeutung einer authentischen, offenen Beziehung, in der das bewusste Subjekt zulässt, dass die Sache sich zeigt, dass sie offen und unmittelbar ihre Kenntnisnahme darbietet, was die Beziehung mit dem Subjekt ausmacht (vgl. H. Vetter, Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe, Felix Meiner, Hamburg 2004). (c) Wenn im Text von »Sache« die Rede ist, so ist damit das gemeint, was man vor sich hat beziehungsweise das, was Objekt für ein Subjekt ist. Der Begriff ist zentral in der phänomenologischen Sprache und Forschung. Das »zurück zu den Sachen selbst« ist ein Appell Edmund Husserls an sich und seine Schüler, damit die Sachen sich von sich aus geben und von uns hinterfragt werden können, sodass wir frei werden von allen vorgefassten Meinungen und Vorverständnissen, die wir ihnen gegenüber haben. Die Sache ist also das, was wir gemeinhin als Objekt bezeichnen, wobei es nicht nur etwas Materielles ist, was man mit den Sinnen sieht oder hört – es ist nicht notwendigerweise etwas Empirisches –, sondern sie weist auf Wesenheiten und objektive Kategorien, die sich dem Sehen in ursprünglicher Weise darbieten. Zum Begriff »Sache« vgl. H. Vetter, Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe, ebd. (b)

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die Sache wollen ist dem Denken dasselbe, dasselbe aber gerade durch den lauteren Vorrang, den es der Sache vor sich selber gibt. Denken darf an sich selbst nichts anderes mehr sein als der Aufgang seiner Sache, es ist dies: sie von sich selbst her aufgehen zu lassen. Das Denken ist sich selbst also nur treu, indem es seiner Sache treu ist, diese rein sich selber zeigen läßt. Die Identität des Denkens mit dem Sich-Zeigen der Sache ist im Denken von Gnaden des SichZeigens der Sache her. Dieses Sich-Zeigen der Sache darf aber vom Denken so wenig der Sache selbst gegenüber behauptet und festgehalten werden, wie es sich selbst dem Sich-Zeigen gegenüber festhalten durfte. Nur indem die Sache nicht darauf festgelegt wird, sich bloß zu zeigen, nur wenn sie selbst sich dem Denken »antut«, zeigt sie sich wahrhaft. Gewiß muß das Denken darauf achten, daß nichts in ihm sei, was nicht von der Sache herkommt. Von der Sache aber darf alles, darf sie selbst herkommen, sie muß im Denken ihren Raum, unbegrenzten Raum für sich finden, nur dann zeitigt (d), nur dann zeigt sie sich selbst dem Denken. Wo das Denken sagte: Zeige Dich nur, dann geh wieder weg von mir!, da könnte sie sich nicht zeigen. Mit der geforderten Beschränkung des Denkens aufs Sich-Zeigen der Sache ist eine Beschränkung des Denkens gemeint: es muß sich als Quelle möglicher Verdeckungen, Zutaten und Kombinationen ausschalten, damit nichts anderes als die Sache sich zeige. Nicht gemeint ist eine Beschränkung der Sache, die sie in die Distanz der bloßen Feststellbarkeit und Darstellbarkeit ihres Erscheinens im Denken eingrenzte. Denken ist nur wahr, wenn es sich dem von der Sache her auferlegten Wesensgesetz ihrer selbst anmißt, wenn es, freilich Das Verb zeitigen, substantiviert Zeitigung, verdankt Hemmerle seinem Lehrer Welte, der es seinerseits häufig verwendet in einer Reihe von Reflexionen über die Zeit und die Geschichte, aktuelle Themen zu seiner Zeit (vgl. im Besonderen: B. Welte, Gesammelte Schriften. Mensch und Geschichte, Bd. I/2, Herder, Freiburg – Basel – Wien 2006; und im Allgemeinen: M. Heidegger und F. Rosenzweig). Für Hemmerle selbst ist das kein zentrales Thema seines Denkens, aber wir finden Andeutungen in der Schrift Trinität und Zeit. Die Zeitigung von etwas weist auf einen Prozess, der etwas in Gang setzt, eine Aktualisierung der Zeit und demnach der Geschichte. Die Zeitigung ist ein Grundbegriff dieser Schrift. Es handelt sich um einen heideggerschen terminus technicus, den wir in Sein und Zeit häufig finden: Die Zeitigung ist das Entgegenkommen, das Hervorkommen von etwas, d. h. ein Prozess der Umsetzung. Die Dimension dieser Erfahrung richtet sich spezifisch auf das Verständnis und die Interpretation des Seins, wobei sie alle Sinnebenen des Seins selbst mit einbezieht (Empfindung, Wahrnehmung, Gefühl, Engagement, Praxis).

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als Denken in seiner Helle für sich selbst, sich dorthin begibt, wo die Sache in ihrem Eigenen aufzugehen vermag. Denken darf nichts, darf sich nicht hineinschauen in seine Sache, es muß ihr zuschauen. Sein Zuschauen darf aber nicht nur gegenüber bleiben, es muß sich freigeben in die Weise der Betroffenheit, in der je diese Sache nur als sie selbst bei ihm einzutreffen vermag. Damit ist die Grundfrage einer philosophischen Phänomenologie erhoben, die für die folgende Untersuchung maßgeblich ist und mit der die philosophische Besinnung aufs Heilige im Ganzen sinngemäß beginnt. Diese Frage heißt: Wie ist das Heilige zu denken, daß es dem Denken heilig sei? Das Heilige denken heißt: das Heilige sich zeigen, es aufgehen lassen – »lassen« im Sinne sich freigebenden Zulassens –, es aufgehen lassen aber so, daß es als Heiliges nicht nur gewußt, und auch nicht nur so, daß es einem vom Denken distanzierten religiösen Vollzug, sondern so, daß es dem Denken selbst in sich selbst, in seiner Helle für sich selbst heilig sei, daß also das Denken selbst sich zum Heiligen als einem Heiligen verhalte. Erst wenn dieses die phänomenologische Besinnung scheinbar übertreffende Ziel erreicht wird, kommt sie zu sich selbst, dazu nämlich: auf um sich wissende Weise »nichts anderes« mehr zu sein als der Aufgang des Heiligen selbst 1.

Eine so verstandene philosophische Phänomenologie setzt die grundlegenden Untersuchungen von: Otto, Rudolf: Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, 1. Aufl., Breslau 1917; Aufsätze: das Numinose betreffend, 1. Aufl., Gotha 1923 und Scheler, Max: Vom Ewigen im Menschen, 1. Aufl., Leipzig 1921, geschichtlich voraus, unterscheidet sich aber von ihnen durch die andere Richtung ihrer Frage, die sich dem Denken als einem solchen zuwendet. Sie ist darin bewegt einerseits von der Selbstreflexion des Denkens beim späten Schelling und ihrer, sie freilich umgestaltenden Wirkung auf Denker wie Franz Rosenzweig, anderseits von dem Verständnis der Phänomenologie, das in § 7 (27–39) von Heidegger, Martin: Sein und Zeit, 1. Aufl., Halle 1927 formuliert ist. Ihr Gang schaut jedoch nicht auf derlei Anstoß und Geleit, sondern unmittelbar auf die Frage, mit der sie beginnt, und somit auf ihre »Sache selbst«.

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II.

Zugang des Heiligen

1.

Zweiheit und Einheit des Zugangs

Die Frage: Wie ist Heiliges zu denken, daß es dem Denken heilig sei? fragt nach dem Zugang des Heiligen, nach der Stätte, wo Heiliges und Denken sich begegnen. Diese Stätte muß im Denken liegen, denn dem Denken soll in sich selbst, in seiner Helle der Aufgang des Heiligen widerfahren. Sie muß ebenso im Heiligen liegen; denn das Heilige selbst soll, als Heiliges, dem Denken aufgehen. Das Denken soll zugehen aufs Heilige, damit es ihm heilig sei, das Heilige zugehen aufs Denken, um als heilig sich ihm anzutun. So entläßt unsere leitende Frage zunächst aus sich ein zu ihr hinleitendes Fragepaar, das, sich begegnend, nach einer gemeinsamen Antwort verlangt: Wie kommt Denken als Denken zum Heiligen, wie Heiliges als heilig zum Denken? Es geht um den Zugang des Denkens zum Heiligen und den Zugang des Heiligen zum Denken. Um diesen zweieinen Zugang zu finden, ist notwendig das Denken an sich selbst verwiesen: in sich selbst soll es einen Hinweis finden, der es als Denken auf so etwas wie das Heilige zuführt, und ebenso in sich selbst eine Spur, die in ihm als Denken von so etwas wie Heiligem herrührt. Sucht also Denken von sich her das Heilige, und hat das Heilige zugleich von sich her das Denken gesucht oder gar heimgesucht (e)? Diese Fragen sind dieselben wie die obigen, doch ist jetzt offenbar, daß sie beide sich ans Denken richten. Es soll also nicht auf der einen Seite zwar eine Selbsterörterung des Denkens aufs Heilige hin statthaben, auf der anderen Seite aber nur in einem von sich absehenden Denken der phänomenale Gehalt des Heiligen »in sich« erhoben und dann an das sich denkende Denken von außen herangetragen werden, es soll vielmehr auch auf dieDer Begriff »heimsuchen« kann hier mit einer etwas ironischen Konnotierung gelesen werden. Wie auch Richard Lorenz in einer Anmerkung an einem Text Klaus Hemmerles unterstreicht, kann dieses Verb sowohl etwas Positives, Erfreuliches bedeuten, als auch etwas eher Bedrohliches, sogar im Sinne einer Straftat von Gott. Seiner Meinung nach ist sowohl »die zum ersten Mal begegnende Transposition von religiös-theologischen Begriffen in den philosophischen Kontext als auch der bedrohliche Unterton, der mit dem Heiligen in Verbindung gebracht wird«, typisch für Hemmerle. R. Lorenz, Denken als Zeugenschaft und Antwort in Freiheit. Zur Bestimmung des Denkens im Werk Klaus Hemmerles, in: G. Bausenhart/M. Böhnke/ D. Lorenz (Hg.), Phänomenologie und Theologie im Gespräch, ebd., 400–448, 404.

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ser anderen Seite, der des Zuganges, den das Heilige zum Denken nimmt, sich zeigen: Nur weil Heiliges als solches es aufs Denken absieht, kann dieses von sich absehend Zeuge des Aufgangs des Heiligen werden; als Denken ist es, indem es denkt, in die Zeugenschaft dieses Aufgangs gerufen, denn nur so kann Heiliges dem Denken wahrhaft heilig sein. Wenn auch noch in keiner Weise ausdrücklich wurde, was »heilig« überhaupt heiße, dem Denken ist es nur heilig, wenn seine Heiligkeit nicht eine bloß gedachte ist, sondern wenn sie aus sich her dem Denken und aufs Denken zukommt. Die Fragen nach dem doppelten Zugang des Heiligen: dem des Heiligen zum Denken und dem des Denkens zum Heiligen, haben so zunächst zwar ein entgegengesetztes Woher und Wohin: die eine leitet vom Denken zum Heiligen, die andere vom Heiligen zum Denken. In beiden geht es aber um Eines: um die Begegnung des Heiligen und des Denkens in einem Aufgang des beiden für- und ineinander. Doch nun zeigt sich des Weiteren: Beide Fragen richten sich ans Denken, das Denken ist ihr Weg, im Denken ist anzufangen, um zur Antwort zu kommen. Soviel aber hat sich im Vorhinein von dieser Antwort ebenfalls schon ergeben: Nur dann findet das Denken einen Weg zum Heiligen, nur dann kann Heiliges ihm heilig sein, wenn im Denken das Heilige dem Denken zuvorkommt, wenn aus dem zuvorkommenden Zukommen des Heiligen zum Denken dieses aufs Heilige zugeht. Denn gerade indem das Denken auf sich besteht (ihm als Denken soll das Heilige heilig sein), besteht es darauf, daß sein Gedachtes nicht bloß sein Gedachtes, sondern von sich her es selber sei. Deshalb faßten wir die Frage des Denkens nach seinem Zugang zum Heiligen präsentisch: Sucht Denken von sich her das Heilige? Die Frage des Denkens nach dem Zugang des Heiligen zu ihm hingegen rückten wir ins Perfekt: Hat das Heilige von sich her das Denken gesucht oder gar heimgesucht? Das Erörterte gilt allgemein vom Verhältnis des Denkens zu seiner Sache, entfaltet die durchgängigen Bedingungen einer philosophisch-phänomenologischen Untersuchung, die jeweils im Denken, im Denken aber mit dem Vorrang des Sich-Zeigenden, weil so nur gemäß Gedachten, beginnt. Wir sind also, wie es scheint, dem Eigenen und Unterscheidenden einer philosophischen Phänomenologie des Heiligen noch nicht nähergerückt. Es soll sich im Folgenden indessen erweisen, daß gerade im Fall des Heiligen die ausgeführten Verhältnisse ihre unüberholbare Ursprünglichkeit erreichen: Die fürs Denken konstitutive Beziehung auf das, was allein als nicht nur geVerdankendes Denken

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dacht wahrhaft gedacht ist, soll sich als das anfängliche Denk-Mal des Heiligen im Denken enthüllen, dessen innewerdend es zum Andenken (f) des Heiligen wird.

2.

Das Auseinander von Denken und Heiligem

Was immer Denken heißt und was immer es unter dem Heiligen versteht, dies läßt sich im anfänglichen Hinblick des beiden aufeinander sehen: Wo Heiliges unmittelbar aufgeht, da ist die spontane Antwort des Vollzuges auf diesen Aufgang nicht ein als solcher sich ausdrücklicher Gedanke. Gewiß ist der Gedanke dabei: Hier ist Heiliges! Doch er wird als Gedanke gerade überschattet und verzehrt von der Anwesenheit des übers Denken hinausrufenden Heiligen. Umgekehrt gilt Entsprechendes: Denken ist als Denken gerade darauf aus, zu durchdringen und zu erklären, was ist, nicht ein ihm Entzogenes zu vermuten, vor dem sein wissenwollender Ausgriff zum Stehen käme, sondern nicht zu ruhen, bis alles von ihm gesichtet und als Gedachtes des Denkens diesem anverwandelt wäre. Doch damit ist vom Denken und vom Heiligen schon gesagt, was erst durch die behutsame Frage, was je jedes heiße, zu erheben ist. Das anfänglich gewahrte Auseinander von Denken und Heiligem weist das Denken zurück an die Pole seiner Spannung; es gilt, allererst sie selbst in den Blick zu bekommen. Soviel steht vom Denken schon fest: Was das Denken denkt, das ist sein Gedachtes, aber es ist gedacht als etwas, das »ist«, als gedacht behauptet es an sich und unmittelbar, zu sein, als was es gedacht ist. Auch der spielende (g), dichtende, irrige Gedanke ist nur darin spielend, dichtend, irrig, daß er in der hiermit je genannten Weise seinen Inhalt als seiend meint. Denken setzt nicht nur Gehalte, sonDieses »Andenken« weist auf Folgendes: Im Denken schafft das Heilige eine eigene Erinnerung, die das Denken prägt und begleitet. Das Heilige erfordert sodann eine Zuwendung des Denkens, ein Abstandnehmen von den »üblichen Praktiken«, um sich auf das andere – das Heilige – einlassen zu können, damit es ihm von sich erzählt. Das Denken über etwas ist immer konzentriert auf das Ich, auf den, der denkt, während das Heilige – und das entwickelt Hemmerle in dem Text ausführlich – ein Herausgehen aus sich verlangt, denn vom anderen aus beginnt die Beziehung; also bedarf es des Andenkens, es muss ein auf einen anderen gerichtetes Denken sein, aus sich selbst heraus. (g) Das hier von Hemmerle verwendete Verb spielen nähert sich semantisch dem englischen to play und ist in seinem Werk nicht indifferent. Er greift häufig darauf zu(f)

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dern indem es sie denkt, meinen sie und meint es mit ihnen das, was ist, was, sofern es aber ist, nie bloß gedacht ist. Nur das nicht bloß Gedachte ist das eigentlich Gedachte. Wollte Denken sich daranmachen, alles, was es denkt, als nur gedacht zu denken, so dächte es gerade: Mein Gedachtes ist nichts Anderes als eben gedacht. Im Denken ginge also gleichwohl gerade das auf, was das Gedachte übers Denken hinaus ist. Kann Denken aber nicht von diesem Seinsbezug seiner selbst einfachhin absehen? Auch das Absehen sähe es ab auf das, was in seinen, des Denkens, Gehalten an sich selbst als seiend erscheint, auch das Verweilen des Denkens in seinem bloßen Was verweilt bei dem, was als Was hinblickt auf das, was es sein kann und, als solches, eben ist. Denken scheint einerseits nie über sich hinauszukommen: Alles, was es denkt, ist je gedacht. Andererseits vermag es nie hinter sein rück, auch mit besonderen Bedeutungen, wie in den Thesen zu einer trinitarischen Ontologie, in denen es sich auf die Beziehung zwischen den Personen der Trinität bezieht, oder auch im Vorspiel zur Theologie, wo das Spiel als theologische Kategorie dominiert, um von Gott zu sprechen. Dies beruht wahrscheinlich darauf, dass Hemmerle überhaupt gerne mit der Sprache experimentierte, und mit dem Wortspiel verbindet sich Gelassenheit im persönlichen Engagement – denn wer spielt, ist normalerweise selbst emotional engagiert. Das Spiel ist eine Aktivität von Kindern wie von Erwachsenen; es ist etwas, das niemanden ausschließt, das Regeln folgt, aber zugleich Raum lässt für Unterhaltung und zur Heiterkeit. Darüber hinaus ist zu bemerken, dass die Anregung, das Wort »Spiel« zu verwenden, wahrscheinlich von Rombach herrührt, der es in seiner Strukturontologie oft anklingen lässt. Er versteht darunter eine Dynamik der Struktur, die einsetzt, wenn die Fähigkeit der Bewegung die Selbstkorrektur voll und ganz erreicht hat. Das Spiel weist auch auf dieses Handeln – Rombach bringt das Beispiel der Theaterdramaturgie: Sie enthält mehr Momente, die von außen betrachtet nur Worte und Gesten sind, aber denjenigen, der daran teilnimmt beziehungsweise den, der sich ins Spiel einbringt, indem er sich diese Worte und Gesten zu eigen macht, in die Handlung einbezieht; er wird Teil dessen, was in dem Moment Wirklichkeit ist. (Vgl. H. Rombach, Die Strukturontologie, ebd., insbesondere 115–117 und 155). Neben Romach findet man aber auch in Welte Andeutungen zum Spiel in Bezug auf die Person und ihre Definition, mit alledem, was sie ausmacht: Vgl. B. Welte, Dasein im Symbol des Spiels und Kampfspiel als Lebenssymbol. Philosophisch-theologische Gedanken über das Fußballspiel, beide in: Id., Gesammelte Schriften/Person, Bd. 1, Herder, Freiburg 2006, 252–264 und 265–273. Ein anderer Phänomenologe, Eugen Fink, hat sich mehrfach mit der menschlichen Kategorie des Spiels auseinandergesetzt und sogar eine Ontologie des Spiels skizziert, indem ein nicht philosophisches Feld – eben das Spiel – phänomenologisch betrachtet und in seinem Zusammenhang mit dem Leben als wesentlichen Charakter dessen entdeckt wird. Vgl. u. a. E. Fink, Oase des Glücks. Gedanken zu einer Ontologie des Spiels, Karl Alber, Freiburg-München 1957 Verdankendes Denken

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Übersichhinaussein zurückzukommen: Seine Gehalte meinen immer, was ist und insofern das bloße Gedachtsein übertrifft. Was das Denken denkt, ist also zugleich »unter« dem Denken, seinem Fassen unterworfen, und doch gerade als gedacht dem denkenden Fassen dahinein entwunden, auf irgendeine Weise: zu sein. Es ist die innere Herrscherlichkeit fassenden (h) Denkens, zu wissen: Jetzt habe ich es, habe ich, was das – ist, also vor und insofern über meinem Fassenkönnen ist. Es »erbeutet« das, was ist, bringt es in und unter sich und bezeugt so gerade sein Erbeutetes, das, was ist, als das ihm Unselbstverständliche, Frühere, erst Zukommende. Noch schärfer tritt das hervor, wo das Denken, um sich selbst zu erhellen, sich in die Frage ruft: Ist es auch so, wie ich es denke? Denken lebt durchgängig aus der Beunruhigung von dem, was ist. Anders gesagt: Es lebt aus der Frage, in der es sich in sich zurück und dadurch zugleich über sich hinaus beugt. Soviel also steht im Vorhinein vom Denken fest: Es ruht nicht in sich, sondern ist wesenhaft ausständig auf das, was ist. Im »ist« des Denkens verschränkt sich aber ein Doppeltes: Das, was gedacht ist und als gedacht eben ist, trägt in diesem »ist« den Prägestempel herrscherlichen Denkens, es ist vom Denken bewältigt und ihm untertan, doch, weil und sofern es ist, ist es immer auch dem Denken voraus und entwunden, im Gedachtsein mehr als Gedachtsein. Im Jakobskampf des Denkens mit dem Sein obsiegt das Denken nur, sofern es sich verwunden und segnen läßt vom Sein, sofern es sein Denk-Mal also in sich bewahrt. Wieviel aber, so heißt es nun zu fragen, steht im Vorhinein vom Heiligen fest? Diese Frage trifft das Denken anders als die zuvor aufgeworfene, wieviel vom Denken im Vorhinein feststehe. Denken entfaltet sich selbst, wenn es sich bedenkt; es braucht nichts als seinen eigenen Das fassende Denken ist ein zentrales Konzept in diesem Text und in weiteren, entliehen von Welte, seinem Lehrer. Es bezeichnet eine Modalität des Denkens, ein Stadium, das keinen Ersatz durch etwas anderes vorsieht, sondern es bringt eine Dimension des normalen Denkens zum Ausdruck, das seine Grenzen hat, aber es ist eine unabdingbare Dimension. Bemerkenswert ist die Verwendung des Verbs »fassen«, weil es eine doppelte Bedeutung hat: Auf der einen Seite ist damit das Ergeifen von etwas gemeint, an dem man eventuell sogar mit Gewalt festhält, auf der anderen Seite weist das Fassen auf eine Fähigkeit, im Verstehen etwas zu erfassen, das Verständnis von etwas. Demnach ist das fassende Denken das, was versteht, was verstehen und in sich behalten will.

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Vollzug, d. h. die selbst vollzughafte Zukehr zu diesem seinem Vollzug, um an ihm abzulesen, was es vom Wesen her und insofern also »im Vorhinein« sei. Das Heilige ist dem Denken hingegen nicht einfachhin als dasselbe seiner selbst und seines Vollzuges gegeben. Das Denken vermag nicht in der unmittelbaren Zukehr zu sich allein den Gehalt dessen zu erheben, was »heilig« meint. Es muß also von seinem reflexiven Anfang wegblicken, sich an Situationen seines von sich abgewandten Vollzuges erinnern, die es etwas als heilig gewahren ließen, und dann wieder in seinen reflexiven Anfang einkehren, um ihn nach einer in ihm etwa verborgenen Richtungnahme auf ihm Heiliges hin zu befragen. In welche Richtung also ist das Denken gewiesen, wenn es sich selbst nicht thematisierend, sondern einen Daseinsvollzug artikulierend, ihn auf Heiliges hin versteht? Diese Frage mag wie eine Untreue zu dem Vorsatz einer philosophisch, also im Medium des sich hellen Denkens zu gewinnenden Phänomenologie des Heiligen erscheinen. Sich helles Denken weiß aber um seine Bezogenheit auf das, was ist, um sein Über-sich-Hinaussein, ohne das es nicht in sich wäre. Das Insichsein des Denkens ist das Insichsein seines Übersichhinausseins. Das heißt: Denken befaßt sich thematisch nie nur mit sich, sondern je mit dem, was ist. Es heißt zugleich noch mehr: Denken geschieht auch energetisch (i) nicht als eine Ablösung vom »wirklichen« Bezug zu dem, was ist, sondern es ist gerade dort für sich selber hell, wo es sich als die Helle dieses wirklichen Bezuges weiß, wo es dieses Wirklichsein des Daseinsbezuges nicht außerhalb seiner selbst unbedacht, sein Denken also im Unwirklichen läßt. Denken darf sich nicht damit begnügen, zu denken, Mit energetisch ist hier gemeint, was Energie gibt. Den Ausdruck findet man bei Rombach, der ihn im Bezug auf die Beziehung zwischen Positionen verwendet, die fern auseinander liegen oder zu verschieden sind, um zu einem Ausgleich zu finden. Eine Position ist immer relativ, hat also notwendigerweise einen einzigen Inhalt, der auf nur eine Perspektive der Wirklichkeit antwortet – auch im rein physisch-materiellen Sinn verstanden. Die Wirklichkeit besteht aus Einseitigkeiten in der Vielfalt der Positionen; um die erstere zu erreichen, bedarf es einer energetischen Beziehung derselben mit den anderen, denn nur durch diese Beziehung können sie hervortreten in ihrem spezifischen Blickwinkel, der zur Vielfalt der Struktur beiträgt (vgl. H. Rombach, Strukturontologie, ebd., 137). In dem Passus, in dem Hemmerle diesen Ausdruck verwendet, wird genau die Dynamik erklärt, von der Rombach spricht: Es ist die Situation des Denkens, das in sich außerhalb von sich ist und sich nur in der Beziehung zwischen diesen beiden Positionen mit Energie auflädt und als Denken neue Impulse erfährt.

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was ist, es muß sein Denken dessen, was ist, auch sein; denn nur so denkt es sein zu Denkendes ganz. Die Richtung, in welcher der Sinn des Heiligen liegt, kann das Denken, um seiner selbst und um des Heiligen willen, also nicht erstellen, es muß sie vernehmen, vernehmen aber, indem es sich vernimmt aus dem ursprünglich auf Heiliges ausgerichteten Daseinsvollzug. Dieser findet sich dort aufs Heilige bezogen, wo er aus seinem verfügend-bestimmenden Umgang mit dem, was ist, und dem, was er will, herausfällt in eine ihn durchdringende Betroffenheit. Als Heiliges geht ihm auf das ihn zuinnerst Berührende und zugleich von ihm nicht durch Gewalt oder Verbot, sondern von seinem Rang und Wesen her Unberührbare. Nur vor solchem hätte die Rede vom »Heiligen« einen Sinn. Das nur Entzogene, Überlegene, das beziehungslos neben dem Dasein (j) aufragte, wäre ihm sowenig heilig wie das nur in ihm sich Erschöpfende, von ihm Verfügte und Vermochte. Selbst wo Denken oder Dasein ihr sich und alles in sich selber schließendes Selbstgeschehen, ihre All-Einheit postulierten und als das schlechthin Heile und Heilige feierten, hätte das Wort »heilig« nur Sinn, sofern es darin auf eine unerschöpfliche Fülle wiese, d. h. auf eine, die sich nie in ein plattes Dahaben bemächtigenden Zugriffes gäbe, sondern im Sich-haben sich je zugleich doch bevorstände, als anwesend immer auch noch entzogen und nur als auch noch entzogen, als künftig, beseligend anwesend wäre. Das Heilige schließt sein von dem Vollzug, dem es heilig ist, verfügtes Präsens aus. Es ist, phänomenal, um so heiliger, je mehr es allein aus seiner eigenen Entzogenheit heraus präsentisch wird. Das Dasein ist ein Begriff, den Christian Wolff in seiner Ontologie aus dem Jahre 1728 zur Übersetzung des lateinischen Wortes existentia einführte, neben Ausdrükken wie Existenz und Wirklichkeit. Er versteht darunter das real Existierende von etwas, im Unterschied zu rein geistigen Objekten, was sich zum Sosein gesellt, also zur essentia. Später nimmt Husserl diese Terminologie neu auf und spricht davon im Bezug auf materielle Objekte, auf das menschliche Sein, oder auch über Objekte der Technik und Kunst. Im phänomenologischen Bereich macht auch Scheler häufig Gebrauch davon, und zwar so wie Wolff, indem er es dem Sosein beigesellt. Doch derjenige, der sich diesen Ausdruck mit weiteren Konnotationen zu eigen machte, war Heidegger, der ihn in Fortführung und Revision seiner frühen Phänomenologie von »Leben« verwendet (vgl. H. Vetter, Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe, ebd., 99–101). Speziell in Sein und Zeit entwickelt er die Analyse des Daseins, indem er die klassischen Begriffe, die mit existentia und essentia verbunden sind, neu definiert (vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, ebd.)

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Aus diesem allgemeinsten Vorblick wächst von allein dem sich hellen Denken ein Wissen darum zu, wie das sein müßte, das ihm heilig zu sein vermöchte – philosophische Phänomenologie kommt in ihr Feld, das des sich als Denken gegenwärtigen Denkens, zurück. Nur von dem kann es sagen: Dies ist heilig!, was ihm sein Istsagen (k) gerade verschlägt. Im »ist« geht gewiß auf, was ist, aber es geht auf, indem es sich feststellen läßt, unter die fassende, ortende, in der ortenden Fixierung entzaubernde, »unschädlich« machende Macht des Denkens gerät. Jenes, dessen Aufgang aus sich selbst gerade nicht einginge in die fassende Herrscherlichkeit des Denkens, jenes, das gerade nicht im »ist« sich erbeuten ließe vom Denken, jenes, das sich von sich her als dem »ist« unangemessen zeigte, nur jenes würde vom Denken als das Heilige verstanden. Wohl werden wir nicht um das »ist« herumkommen, wenn wir Heiliges zur Sprache bringen, und es gehört wesenhaft zur Begegnung mit dem Heiligen, sie zu »orten«: Hier ist Heiliges mir begegnet. Doch dieses »ist« ortet nicht das Heilige als ein umfaßbares, ins größere Ganze des Auskennens integrierbares Etwas, sondern ortet die »Verwundung«, die dem denkenden Vollzug vom Heiligen her widerfährt, und ihr »ist« begreift nicht ein, es sondert aus, ist ein reziprokes »ist«. Das Heilige »ist« also das Gegenteil des Denkens; denn Denken ist in seinem unmittelbaren Zugriff gerade darauf aus, nichts »heilig« sein zu lassen, alles fragend zu erklären, also einzubringen in seine, des Denkens durchdringende Klarheit. Das Heilige ist damit zugleich aber auch die Engführung und Eigentlichkeit des Denkens; denn Denken ist ja Denken gerade auf jenes hin, was nur dann dem Denken aufgeht, wenn es nicht darin aufgeht, nur sein Gedachtes zu sein. Das Heilige überholt das »ist« nicht von der Seite des Denkens, so daß sein Bezug aufs Sein als das andere seiner unerfüllt ausfiele, Denken also zur freischwingend beziehungslosen Figur in sich selbst würde; das Heilige überholt das »ist« vielmehr auf der entgegen»Istsagen« bedeutet, kurz zusammengefasst, die Bestätigung des Seins von etwas, dass etwas ist. Bemerkenswert ist, dass Ist-sagen sich in der gleichen Bedeutung im Neuen Denken von Rosenzweig findet. Darin kritisiert er die Philosophie, die Fragen nach dem Sein stellt, Fragen über das, was ist; das führt notwendigerweise zu IstBehauptungen, die in letzter Instanz immer Bezug zum Ich herstellen, wobei sie Gott und die Welt ausblenden, die für Rosenzweig die beiden anderen Ur-elemente sind, die in der Geschichte ihre Rolle spielen (vgl. F. Rosenzweig, Das neue Denken, ebd., 142 ff.).

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gesetzten Seite, auf der Seite dessen, was ins Denken hinein aufgeht: es übertrifft die fassende Kraft des Denkens nicht graduell, sondern wesentlich, so, daß das Denken nur in der Anerkenntnis dieses seines Versagens mit sich und dem Aufgehenden eins zu werden vermag. Heilig ist nicht jenes, vor dem das Denken »noch« oder faktisch auch »immer« zu klein bleibt, es ist jenes, was dem Denken als das ihm je Inkomparable offen ist, Denken ist seine sich selbst helle Unangemessenheit ans Heilige. Von dem im Denken sich verfassenden bzw. eben nicht verfassenden Aufgang des Heiligen her gesagt: Das Heilige ist das nicht mehr und darin gerade das schlechthin sich Zeigende. Es zeigt sich nicht mehr, sofern das, was sich zeigt, darin doch auch ein denkend Gefaßtes, Fixiertes, im Zukommen zum Denken also zugleich ein vom Denken Hervorgebrachtes und Vermochtes ist; es zeigt sich schlechthin, sofern »alles« in seinem Aufgang an ihm selber liegt, das Denken seiner inne nichts mehr von sich selbst in der Hand hat und alles, was ihm an fassenden Bestimmungen einfällt, zugleich auch verwirft, selbst verstummend in die reine Hingerissenheit. Doch nur dann ist in ihr das Denken dem Heiligen wahrhaft begegnet, dem Heiligen nämlich, das ihm selber heilig zu sein vermag, wenn das Denken es sich nicht wie von außen einfallen ließ: Jetzt wird nicht mehr gedacht, jetzt wird umgestiegen in eine andere Weise des Vollzugs! Denken muß vielmehr, weil und indem es dachte, innegeworden sein, in der Achtsamkeit auf das, was sich ihm zeigt, und darin zugleich in der Achtsamkeit auf sich selbst: Hier bin ich am Ende, hier ist in mir das mich überwindende Andere meiner, das mir mich und mein verfügendes Istsagen von sich her und darum gerade auch von mir her aus der Hand nimmt! Wie aber ist solches möglich: ein Zugleich von Dabeisein und Sichaufgeben des Denkens im Denken, und so gerade Ankunft des Denkens auf dem Boden des Heiligen?

3.

Das mögliche Zueinander von Denken und Heiligem

Denken weiß über seine Andersheit zum Heiligen hinweg und als diese seine Andersheit zum Heiligen, wie das Heilige sein müßte, um ihm, dem Denken, heilig zu sein. Doch darf das sein? Heiliges, das vom Denken darauf festgelegt würde, so oder so zu sein, fiele unter das »ist« des Denkens, wäre als 76

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unfaßbar doch von ihm gefaßt, ihm unterworfen und gerade nicht mehr heilig. Gewiß weiß das Denken zu Recht, daß es nur in der Überwältigtheit seiner selbst dem Heiligen begegnen könne, aber die Weise seines Wissens, die Weise, wie es selbst Denken ist, muß aus der des Fassens sich freigeben in eine andere, sich selbst und dem Aufgang des Heiligen zugleich gemäße, damit dieses sich unverstellt dem sich hellen Denken antun könne. Das Postulat, das in unserer leitenden Frage ans Heilige gerichtet erscheint (Wie ist Heiliges zu denken, damit es dem Denken heilig sei?), muß offenbar werden als Postulat ans Denken: Nicht das Denken hat Bedingungen zu stellen ans Heilige, sondern das Heilige ans Denken – dies ist die einzige Bedingung, die das Denken ans Heilige zu stellen hat. Sie fällt ans Denken zurück: es soll sich lösen von seinem ist-sagenden Verfügen in eine totale Verfüglichkeit, aus welcher das Heilige die Weise des Denkens entbinden kann, die allein seinem Aufgang gerecht wird. Um dasselbe von der anderen Seite her zu sagen: Nicht dann ginge das Heilige dem Denken auf, wenn es feststellte: Hier ist etwas, was sich dem Istsagen entzieht, ihm etwa ermöglichend voraufgeht. Solches Feststellen geschähe ja seinerseits, vom Denken, als ein »ist«, das beherrschend dem Unbeherrschbaren zuschaute. Wie aber muß Denken dann Denken sein, damit es dem Aufgang des Heiligen entspreche und ihm doch als Denken entsprechen könne? Als Denken, das heißt: in der Achtsamkeit auf das, was ist. Die Frage, ob es auch so sei, wie das Denken es denke, die Verantwortung für sich selbst aus der Beunruhigung vom Sein her, ist jenes, das alles Denken begleiten können muß, damit es sich helles Denken sei (um hiermit eine von der Kantischen transzendentalen Apperzeption im Ansatz verschiedene umgreifende Grundbedingung alles möglichen Denkens namhaft zu machen) 2. Denken, das sich in seinem Fassen nicht schließen und doch Denken bleiben soll, Denken, das also vom Sein her kommen soll, ohne sich im verfügenden Istsagen zu erfüllen, ist Frage, Frage aber, die als Frage bleibt und nicht auf eine sie stillende Antwort ab-, sondern über sie wesenhaft hinaussieht. Ist solche Frage aber nicht ein Selbstwiderspruch? Will die Frage nicht ihr Erfragtes so notwendig wie das Denken sein Gedachtes als eines, das ist? Hat sie sich nicht schon je im Umgrenzen eines Raumes möglicher Antwort fassend geschlossen? 2

Vgl. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, B 131 f. und A 106 ff.

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Um sich helles Denken zu bleiben, kann das Denken nicht auf die Frage verzichten, um vors Heilige zu kommen, muß diese Frage aber, wie es scheint, auf ihren Wesensbezug zur faßbaren Antwort verzichten. Es bleibt dem Denken nur, bei sich selbst anzufragen, ob es eine Weise seiner selbst kenne, die über sich hinausreicht, ohne im Übersichhinausreichen das, wohin sie reicht, fassend in sich zu setzen. Solches geschieht in der Anrede. Anrede ist eine Weise des Denkens, denn das Denken weiß, daß es anredend nicht in sich bleibt, sondern von sich weg, über sich hinausgeht, der Bezug zum Anderen des Denkens als Bezug im Denken ist gewahrt, ja gesteigert. Und doch weiß das anredende Denken, daß es anredend gerade nicht »fasst«, sondern sich freiläßt in die Überraschbarkeit aus dem Angeredeten, das in der Anrede in seinen Rang der Unfaßbarkeit, weil eigenen Ursprünglichkeit erhoben ist. Denken, das seine Frage anredend, d. h. als Anfrage fragt, vermag den Überstieg vom fassenden zum lassenden (l) Denken, und dieses lassende Denken allein ist bereit für den Aufgang des Heiligen.

4.

Der Weg des Zueinander: vom fassenden zum lassenden Denken

Ist indessen Denken nicht überhaupt, je zugleich mit seinem Fassen und ihm zuvor gar: lassendes Denken? Gehört nicht als sein Wesentlichstes zu ihm, das, was ist, auf sich zuzulassen, daß es sich zeige, aufgehe aus sich selbst? Lebt nicht im fassenden »ist« selbst diese Zulassung des Anderen ins Denken, eben dessen, was ist, damit es sich fasse in seine Bestimmtheit, in der das Denken sich doch ihm und nicht es sich dem Denken anmißt? Ist nicht das Fassen nur »Funktion« des Lassens, in seinen Dienst genommen, da das aus seinem Ur-

Das lassende Denken ist die zweite Modalität des Denkens, dem wir begegnen, das nicht einen Gegensatz darstellt, im Sinne von einem Ersatz zum fassenden Denken, sondern eine Andersartigkeit desselben. Das lassende Denken will nicht fassen, mit anderen Worten, es beansprucht nicht, das Sein dessen zu behaupten, was ist, sondern lässt zu, dass es sich zum Ausdruck bringt. Wie auch Thorsten Obst hervorhebt, übernimmt Hemmerle diese lassende Haltung wahrscheinlich von der Spätphilosophie Heideggers (Vgl. T. Obst, Das Heilige und das Denken. Untersuchungen zur Phänomenologie des Heiligen bei Klaus Hemmerle, Bonner Dogmatische Studien 49, Echter Verlag, Würzburg 2010, 64–65).

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sprung ins Denken Zu- und Eingelassene ohne die fassende Entsprechung, also entsprechende Fassung zerrönne? Doch hier fällt die Entscheidung: eine Doppeldeutigkeit des Denkens von seiner Wurzel her wird sichtbar. Warum »will« Denken, einfach indem es denkt, daß das, was ist, ihm nicht zerrinne, sondern sich fassend in sein Eigenes und so ins Denken eingehe, als gefaßt in seinem Wesen und so im Denken bleibe? Was ist das Gewollte in diesem unwillkürlichen, wesenhaften und mit ihm selbst identischen Wollen des Denkens? Will Denken das, was ist, haben und sich in dem, was ist, haben, oder will Denken einfach, daß das, was ist, sei und daß darin es selber sei? Diese Frage scheint aufs erste über das Denken als Denken hinauszuführen und eine ihm wesenhafte Mehrdeutigkeit von außen festzulegen. Dennoch ist sie, zweifellos, eine Frage des Denkens – und dies zumindest in doppelter Hinsicht. Zunächst: Denken macht vor nichts, was es zu fragen gibt, einen Halt, und so fragt es auch nach dem, was es, als Denken, gemäß mit sich selber will. Warum aber fragt es so? Gewiß will es sich »haben« in solcher Frage, aber dieses Sich-Habenwollen ist selbst kein blindes Faktum, sondern das ihm Zugewiesene, das von ihm mit sich selbst Übernommene, das mit seinem Sich-Vernehmen und Alles Vernehmen Identische. Dieses Sich-Habenwollen des Denkens vermag zumindest zugleich Gehorsam gegen das, was ist, und gegen das eigene Wesen des Denkens zu sein, ja es ist zuerst und zuvor sogar dieser Gehorsam. Denn gleichviel, ob Denken haben oder sein lassen will, es fragt danach, und indem es fragt, ist es für beide Möglichkeiten offen: Es hat sich habenwollend also dieses sein Habenwollen bereits in eine lassende, lauter zulassende Gebärde hinein überwunden. Es will haben aus seinem Seinlassen her: Identität des beiden aus dem Vorrang des Lassens vor dem Fassen. Die zweite Hinsicht, in der sich die Frage nach dem immanenten Wollen des Denkens als Frage des Denkens bestätigt: Wollte Denken sich festlegen auf sein fassendes Habenwollen, so könnte es sich gerade nicht vollenden – dort nicht, wo ein nur Gefaßtes, Gehabtes nicht mehr es selbst wäre, so wie z. B. das nur in der freigebenden Anrede an sich selbst erreichbare Du dem Fassen- und Habenwollen des Denkens entginge. Denken kann das Du nur haben, indem es, nicht nur methodisch, sondern im Ernst, das Du nicht »haben« und fassen will. Das Denken, das es auf alles absieht, was und wie und sofern es ist, vermag seine Universalität nur, indem es sich als Fassen läßt in

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den Vorrang des Lassens. Fassen, das Fassen bleibt, vermag das Lassen nicht, Lassen umfaßt auch das Fassen. So wesenhaft es zum Denken gehört, sein eigenes Wollen als Freigabe, als Lassen dessen, was ist, in seinen Aufgang von sich her zu verstehen, so unerzwingbar ist dem Denken doch diese innerste Identität mit seinem Wesen, unerzwingbar, weil nicht von einem fassenden Umgriff istsagenden Denkens zu bewerkstelligen. Das Lassen ist nicht, es geschieht nur frei, als das Eigene des Denkens, das seinen ist-sagenden Vollzug erst trägt, es ist kein »ist«, sondern ein »bin«, hinter das »ist« zurücksteigende Entsprechung zu der das »ist« nach vorn übersteigenden Anrede. Diese Zweideutigkeit wohnt dem Denken also unaufhebbar inne: Es ist von sich her seinlassendes Denken; es ist, was es von sich her ist, aber nur wirklich aus der freien Einstimmung sich seinem Wesen lassenden Vollzuges 3. Wie unterscheidet sich in seinem Vollzug, in seiner Durchführung lassendes vom fassenden Denken? Wie schon gesagt, wird lassendes Denken nun nicht einfach aufhören, auch fassendes Denken zu sein. Die alles als es selbst aufgehen lassende Offenheit des Denkens wird seine fassende Mächtigkeit von selbst dem entgegenbringen, was von sich her das ihm Faßliche ist. Auch der lauter empfangende Griff faßt. Doch er ist Griff einer »Hand«, die, für mehr Bewegungen als für die des Fassens bereitet, gerade auch dem gemäße Weisen der wahr-nehmenden Gegenwart entgegenbringt, was nicht ins umgreifende Fassen eingehen kann, ohne zerstört oder verfremdet zu werden. Unmittelbar vom Denken gesagt: es ist nicht nur Inbegriff von Strukturen, die sich in der Konstitution und Erklärung von Gegenständen (im Kantischen Sinne) erschöpfen. Denken hält nicht nur sein »ist« bereit für das, was ihm als Gegenstand vorhersehbar und erwartbar, für das es also »eingerichtet«, a priori eingestellt

Mag der Versuch des »Systems des transzendentalen Idealismus« beim jungen Schelling scheinbar auch gerade entgegengesetzt gerichtet sein: auf die Verwandlung alles als »Sein« Aufgehenden in die Setzung des Denkens, der Einstieg in solches Denken durch den ästhetisch verstandenen, freien Vollzug intellektueller Anschauung gerät insgeheim in die Nähe zum Ansatz des lassenden Denkens beim freien Entscheid für sein ihm gleichwohl unbeliebiges Wesen (vgl. Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Sämtliche Werke, Bd. III, hg. v. Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart u. a. 1856–61, 365–374) – an der Wende zur Spätphilosophie scheint dies sich zu bestätigen (vgl. etwa IX, 228 f.).

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ist, Denken hat ein grundlegenderes Apriori, das der Offenheit fürs Unversehene, dem es in selbst unversehener, unkonstruierbarer Freigabe Stätte seiner Ankunft zu sein vermag. Gewiß wird auch hier die Struktur des ist-sagenden, feststellenden und verknüpfenden Denkens ins Spiel kommen, aber ihr »ist« und »was« und »weil« wird vor dem es Übersteigenden und ihm Ungemäßen in die Funktion des indirekten Zeichens zurücktreten und dieser Funktion innesein, der Griff der universal beweglichen »Hand« des Denkens wird sich als verweisende Gebärde verstehen und übertreffen. Was die Hand greifen kann, ist im Vorhinein umgrenzt, auch wenn sie »alles« greifen kann. Wohin sie zu weisen und worauf sie zu deuten vermag, sprengt ebenso notwendig die Grenze voraufgehender Festlegung. Gegenstandserkenntnis ist apriorisch strukturiert, personale und geschichtliche setzt den Wegfall eines solchen Apriori voraus, nur die Ausgrenzung gegen die gegenständliche Erkenntnis, der Abstoß von ihr, das »Negativ« ihrer selbst also ist apriorisch strukturiert. Das Gegenständliche ist von seinem Wesen her das Beständige, Selbige, »nichts Neues«, Ereignis und Person sind das je qualitativ Einmalige und Neue. Sich lassendes Denken vermag sich also über den Bereich seines vergegenständlichenden Fassens hinauszulassen und insofern auch das auf sich zu- und in sich einzulassen, dem es nicht mehr mit gegenständlich-fassender Erkenntnis gerecht würde. Weil Begreifen nur eine seiner Weisen ist, liegt ihm das Sich-Vergreifen an dem, was nicht mehr zu begreifen ist, fern, es ist dafür offen, daß es auch solches gebe, was sich nur als entzogen gibt, offen für jenes, was die Profanität des Zugriffs von innen her verbietet, fürs Heilige.

5.

Das wirkliche Zueinander: Denken als sich überfragende Anfrage

Wie aber kommt sich helles, sich gegenwärtiges Denken als lassendes in die wirkliche Gegenwart des Heiligen? Bislang war die Rede nur von einem »möglichen« Heiligen, dieses aber ist als bloß möglich gerade nicht heilig, weil nicht betreffend und berührend und so auch nicht unberührbar. Doch nun geht es um das Heilige in seiner Heiligkeit und damit das gegenständlich Wirkliche schlechthin übertreffenden Wirklichkeit. Gibt es dieses Heilige, und wie gibt es sich dem Denken? Verdankendes Denken

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Als die gemäße Weise des Denkens vor dem Heiligen ergab sich bereits das Zugleich von Frage und Anrede in der Anfrage. Frage tut not, weil es dem Denken auf die sich klärende Gewißheit, etwas von Art der Anrede tut not, weil es ihm hier aufs Heilige, und d. h. auf ein sich der gegenständlichen Schlüssigkeit seiner selbst Entziehendes, über ihr Draußenliegendes, ankommt. In der Frage bezieht Denken sein Befragtes auf sich, zu sich her, in der Anrede entschlägt es sich einer aus sich selbst erstellbaren, es mit sich allein und so in seiner selbstvermochten Gegenwart belassenden Antwort. Es gibt die fragende Beziehung auf sich selbst anfragend also zugleich über sich hinaus frei, läßt das »Fassende« der Frage. Um zum wirklichen Heiligen zu kommen, um des Heiligen im Denken gewiß zu werden, muß das Denken indessen dieses sein Ziel vergessen, ja aufgeben. Die »Anrede« darf nur in der Weise der lauter alles zulassenden Offenheit im Denke anwesend, dieses selbst muß, in solcher Offenheit, »fragender« als jede bloß auf faßliche Antwort es absehende Frage, es muß reine Frage und ganz und gar Frage sein. Das »Anredende« der Anfrage meint also nicht ein Fixieren der Frage auf eine vorausgesetzte und so doch zugleich vergegenständlichte und unerwiesene Instanz hin, sondern die sich lassende Freigabe der Frage über sich hinaus. Die Frage, in der sich das Denken in seiner Beunruhigung vom Sein und in seiner Verantwortlichkeit vor ihm, in seiner Helle für sich selbst also durchhält, hat drei Grundrichtungen: sie gehen aufs Daß, aufs Was und aufs Warum. Wo immer dem Denken etwas aufgeht, geht ihm etwas auf, erschließt sich ihm ein Gehalt, ein Was, denkt sich Denken, was da sei. Dies die erste Fragerichtung. Des Gehaltes, des Was inne, prüft das Denken das Zugehören seines Gedachten zu dem, was dieses Gedachte meint, zu dem, was ist: Ist das auch so, wie ich es dachte? Entspricht dem Gedanken, den das Denken dem Aufgehenden anmaß, dieses Aufgehende selbst? Ist sein Gedachtes, sein im Aufgang dem Aufgehenden entgegengebrachtes, angebotenes Was auch nicht bloß gedacht, gehört es dem, was ist, zu? Dies die zweite Fragerichtung, die aufs Daß, auf die Sicherung der Wirklichkeit geht. Die dritte bezieht das, was dem Denken aufging, in das Geschehen seines Aufgangs und alles Aufgehenden. Denken ist nicht zufrieden mit der Zugesellung und Absicherung dessen, was ist, zu seinem Gedanken, oder, was dasselbe heißt, dessen, daß etwas ist, zu seinem Wesen und dieses Wesens zur Wirklichkeit. Denken versteht sein Gedachtes und sich in 82

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ihm nur, indem es den Bezug des Woher und Wohin, Sinn, Ziel und Herkunft, indem es also den Grund dessen klärt, was ihm aufgeht: Frage nach dem Warum in allen seinen Dimensionen. Im Sich-Zeigen entsteht dem es gewahrenden Zusehen ein Bild, ein Licht: das Was. Dieses Bild und Licht gehört nicht sich, sondern weist auf das, dessen Bild und Licht es ist, aufs Daß. Sich-Zeigen umgreift Entstehen des Bildes und Herkunft von seinem Ursprung, durchmißt in sich selbst einen Weg, stiftet und ist Beziehung, stößt das Denken übers punktuelle Hier und Jetzt hinaus: ins Woher und Wohin, ins Warum. Solches dreigerichtetes Fragen geschieht in der denkenden Bewältigung des Seienden, im fassenden Denken, es sichert und festigt sein Ist-sagen. Es vermag aber auch dieses Fassen freizugeben und loszulassen über sich hinaus, alle Bescheid wissende (was), behauptende (daß) und erklärende (warum) Sicherheit in Frage zu stellen, d. h. sie zu beunruhigen vom Sein her und dieses Sein selbst aus seiner Selbstverständlichkeit hinweg zu beunruhigen, den Bezug des Denkens zum Sein als das schlechthin Unselbstverständliche zu offenbaren. Was ist es denn mit alldem, was ist und was das Denken denkt? Ist alles überhaupt, wie es ist und wie das Denken es denkt? Warum ist überhaupt etwas und nicht nichts, warum gar denkt Denken und fragt sein Fragen überhaupt? Solche Frage verbittet sich jede Antwort, denn diese müßte hinter dem unbedingten Maß der Frage zurückbleiben, von diesseits dessen antworten, über was die Frage hinausfragt, die das Denken – und damit den Bezug des Denkens zum Sein und damit sich selbst als Frage – in Frage stellt. Soll die Frage also unterbleiben, sollen Denken und Fragen sich unbedacht und ungeklärt ihrem Zug überlassen, im Umtrieb ihres Geschehens aufgehen? Oder sollen sie, die von innen nicht aufhören können, ohne ihrem Wesensmaß, nie am Ende zu sein, untreu zu werden, doch aufhören an diesem Ende? Oder sollen sie weitergehen, sich lassend und nicht fassend, nicht greifend mehr, sondern verweisend, eben als Anfrage? Diese ist ihre innere, aber eben unerzwingbare Wahrheit. Denken kommt an dieses Ende, dem es mit begreifender Auskunft nicht gewachsen ist. Es stellt alles in seine Gegenwart, indem es alle befragt. Es selbst aber wird sich zur Gegenwart, die nicht mehr aus ihm selbst, sondern aus einem ihm Entzogenen her gegenwärtig ist – aus einem ihr freilich so abgründig Entzogenen, daß es selbst die Entzogenheit als feststellendes Prädikat des Denkens abweist. Verdankendes Denken

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Selbst wenn das Denken in ungebrochenem Selbstvertrauen auf seine letzte Befragtheit durch sich selbst antworten wollte, es gegenwärtige sich rein aus sich allein, so gäbe diese Antwort an sich selbst die Frage zurück, in die jede nur faktische Auskunft das Denken führt, das mit nichts und am wenigsten mit sich selbst als bloßem Faktum zufrieden sein kann. Schlösse sich der Kreis des Denkens in der Tat in sich selbst, so müßte vor diesem sich restlos in sich fassenden Kreis gerade das Denken fassungslos verstummen: Was ist es, und woher rührt es, daß ich mich aus mir selbst erhebe und in mir selber schließe? Gerade ein Denken, das nur mit sich selbst anfinge, wäre sich das Befremdlichste und Erstaunlichste. Indem das Denken in seinen Gang kommt, der doch, um als Denken sich hell zu sein, notwendig ein Gang des Sich-Befragens ist, kommt es nicht umhin, sich zu überfragen. Daß Denken denkt und Denken fragt, stellt selbst dem Denken die Frage, was das heiße und warum es denke und frage. Doch darf das Denken so überhaupt fragen? Hat es sich nicht einfach damit zu bescheiden, daß ihm sein eigener Gang und daß ihm auf diesem Gang das, was ist und als solches sich zu fassen gibt, zu denken gewiesen ist? Gerade wo das Denken aber solche Bescheidung sich auferlegt sieht, gerade wo es zu seiner Endlichkeit sich entschließt, zeigt es sich verwundet von dem Anderen seiner selbst, das nicht mehr an sich selber gedacht werden kann. Zwei äußerste Positionen des Denkens sind denkbar: In der einen setzt das Denken, seiner Ursprünglichkeit und Unendlichkeit inne, sich selbst als das schlechthin Ganze und Erste, lebt von dem inneren Imperativ, nichts ungedacht sein lassen zu dürfen, allem nur Faktischen und Verfügten mit seiner Frage also zuvorzukommen. Dieses Fragenmüssen, dieses Nichts-unbedacht-sein-lassen-Dürfen aber, Frage und Denken selbst also, entziehen sich jeder sie erklärenden Frage in den Abgrund einer sie unerfindlich an sich selbst verweisenden Herkunft. In der entgegengesetzten äußersten Position geschieht insgeheim dasselbe: Das Denken weiß um seine Grenzen und ergreift sich selbst und sein zu Denkendes nur innerhalb ihres Maßes. Das innere Pathos des sich unbedingt und unendlich setzenden Denkens sagte: Ich darf nichts ungedacht sein lassen, soll, ja muß alles in mich und meine frühere Ursprünglichkeit hinein aufheben! Das sich bedingt und endlich nehmende Denken aber hat nicht minder sein Pathos, das der Wachsamkeit, die Grenze nicht zu überschreiten, ihrer 84

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inne zu sein, innerhalb deren es sich als Denken bewähren kann, als Denken sein darf. Gerade die Nüchternheit dieser Bescheidung birgt in sich den Ernst der Verantwortung, der nichts mehr nur vom Denken Ausgedachtes, sondern das anfänglich ihm Zugedachte ist. Ja, wollte gar das Denken mißtrauisch gegen sich selbst sich nur als Funktion eines übergeordneten materiellen oder biologischen Systems verstehen, so hätte die Redlichkeit, mit der es nicht mehr sein will, als was es ist und also sein darf, ihre Herkunft gerade von einem unberührbar gewährenden Maß, das selbst kein endliches Datum ist. Hinter das Interesse des Denkens, das zu sein, was es ist und also sein darf, kann kein erklärender Gesichtspunkt das Denken zurückführen, und in diesem Interesse hat es sich selbst bereits je über alle seine Endlichkeit hinaus, ja über alle Absolutheit sich selbst absolut setzenden Denkens hinaus übertroffen; denn auch das letztere vermag seinerseits es selbst zu sein nur aus dem ihm selbst entzogenen Woher, das ihm zuweist, Denken und in sich selbst entspringendes, absolutes Denken zu sein. Die umrissenen gegensätzlichen Gestalten des Denkens – jene, die kein Heiliges kennt, weil sie das Denken selbst als den unbedingten, in sich hellen und nicht hinter sich zurückweisenden Anfang versteht, und die andere, die kein Heiliges kennt, weil sie Denken sich in der Reichweite seines Fassens erschöpfen sieht – sind im Widerspruch miteinander verbunden und weisen auf ein selbes: Sich absolut setzendes Denken darf nichts ungedacht, nichts von sich unberührt und undurchdrungen, nichts sich heilig gelten lassen – aber woher rührt dieses Nicht-Dürfen? Sich in seiner Endlichkeit ergreifendes Denken darf seine Grenzen nicht überschreiten, nicht sich hinauswinden durch ein Denken des Undenkbaren, Heiligen, in den Bereich des ihm einfachhin Entzogenen, Nichterscheinenden, daher notwendig fürs Denken Nichtigen. Woher aber wiederum dieses Nicht-Dürfen, diese Bindung ans Wesen? Beidemal ist Denken, so unterschiedlich es sich versteht, darin sich eins: gebunden zu sein ans Maß seines Wesens. Es ist nicht verwiesen an »Etwas«, an einen »anderen« Bezirk, aber in der Verwiesenheit an sich selbst betroffen und durchdrungen von der Schranke (m), die es sich selbst gewährt und an sich freigibt, und von Die »Schranke« ist ein Bild, das Hemmerle Welte verdankt, der davon in seinen Vorlesungen über das Heilige in Freiburg im Jahre 1949 spricht. Dort verwendet er den Begriff im Bezug auf die Schranken des Verständnisses – beziehungsweise Vor-

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dieser Schranke her verwandelt und emporgerissen aus einem bloß formalen Ablauf seiner selbst in den Ernst und die Verantwortung für sich selbst 4.

6.

Die Erhellung des Zueinander: verdankendes Denken

Denken »darf« sein; Denken ist allererst freigegeben an sich selbst durch die Bindung an sein Wesen. Sie ist ihm nicht von außen verfügt und doch auch nicht von innen, durch seine eigene Kraft vermocht. Sie geschieht in ihm doch ihm selbst zuvor, sie liegt in der Richtung jenes augustinischen »interior intimo meo«. Denken ist im Ganzen nichts anderes als Antwort auf diesen es zugleich an sich bindenden und an sich freisetzenden Zuspruch seines Wesens. Aus ihm ist es beschenkt mit sich selbst und hat so sein Dürfen, seine ihm eigene Schwungkraft. Aus ihm ist es beladen zugleich mit dem Ernst seines Müssens, seiner Verantwortung, es gelangt in die Schwerkraft seiner eigenen Gewichtigkeit. Von seiner Wurzel her, die im Wachstum seiner Gestalt nicht nur offenbar, sondern mehr noch verdeckt wird, lebt in ihm also jene zweieine Qualität oder Gestimmtheit, die, wiederum augustinisch, sich artikuliert als das »et inhorresco, et inardesco« 5. Diese Gestimmtheit des Denkens und das, was in ihr sich vermeldet, der seinem eigenen Innen vorlaufende Abgrund, aus dem das Denken sich zukommt, die es sich selbst gewährende unbedingte

Ludwig Wittgenstein schreibt 1930 im Vorwort zu »Philosophische Bemerkungen«, 1. Aufl, hg. v. Rush Rhees, Oxford/Frankfurt a. M. 1964: »Ich möchte sagen, ›dieses Buch sei zur Ehre Gottes geschrieben‹, aber das wäre heute eine Schurkerei, d. h. es würde nicht richtig verstanden werden. Es heißt, es ist in gutem Willen geschrieben, und soweit es nicht mit gutem Willen, also aus Eitelkeit etc., geschrieben, soweit möchte der Verfasser es verurteilt wissen. Er kann es nicht weiter von diesen Ingredienzen reinigen, als er selbst davon rein ist.« 5 »interior intimo meo«: Augustinus, Confessiones III, 6, 11; »et inhorresco« »et inardesco«: XI, 9, 11; (vgl. auch VII, 10, 16: »contremui amore et horrore«). 4

verständnisses –, dieser Welt, das in uns gegenwärtig ist, die das Denken überwinden muss, um Zugang zur Sicht des Heiligen zu finden (vgl. B. Welte, Das Heilige in der Welt und das christliche Heil, in: Ders., Gesammelte Schriften. Hermeneutik des Christlichen, Bd. IV/1, Herder, Freiburg – Basel – Wien 2006, 251–252). Die Rede von den Schranken der Vernunft im Bezug auf die Sinnlichkeit und deshalb allgemein auf die menschliche Vernunf findet man schon bei Kant; vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft in: Sämtliche Werke Bd. 1, Mundus Verlag, 2000.

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Schranke seiner selbst, werden dem Denken nicht offen auf die Weise »zwingender« Erkenntnis. Diese hat ja, so zeigte sich bereits, nur statt innerhalb der Reichweite fassenden Denkens. Eindeutig, aber je nur unerzwingbar läßt das Denken sich los aus seinem ist-sagenden Fassen in die Identität mit seinem Wesen: alles sein zu lassen als das, was es ist, und in die Weise, wie es ist oder das »ist«, gerade von sich abweist. Das sich frei in diese Identität mit seinem Wesen gebende Denken entdeckt nun aber diese seine Freigabe ans Wesen als Antwort auf eine ebenfalls freie, unerrechenbare und unerzwingbare Urgabe, die ihm sein Wesen allererst zuweist und läßt, damit zugleich und als ein selbes ihm auch die Freiheit zuseinem Wesen zuweist und läßt, das Denken also in einem mit sich selbst beschenkt und für sich selbst verantwortlich macht. Gewiß kann das Denken der Versuchung verfallen, sein Fassen und Greifen über das Ende des Faßbaren und Begreifbaren hinaus zu projizieren, das, was ihm nicht Gegenstand ist, in naiver Selbstüberschätzung, rascher Unachtsamkeit auf seine Grenzen oder willentlicher Verfügung als seinen Gegenstand aufzubauen. Solches würde zum von Gregor von Nyssa gerügten Götzendienst des Begriffes 6. Er wäre genau das Gegenteil einer Begegnung mit dem Heiligen. Doch so wenig das Denken über sich selbst, und d. h. über das, was ist und insofern unter ihm ist, hinausgreifen darf, so wesenhaft gehört es ihm zu, sich selbst zu »orten«, seiner es mit sich beschenkenden und beladenden Betroffenheit und Unselbstverständlichkeit innezuwerden und durch dieses Innesein selbst über sich hinauszuweisen ins Unbegreifliche. Denken fängt unbegreiflich, fängt zutiefst als ein nicht von etwas, sondern von allem und von sich selbst betroffenes ϑαυάζειν an. Wenn es unerzwingbar in diesen seinen Anfang gerät, so kann es ihn nicht mehr auf sich beruhen lassen und vergessend von ihm weggehen, die »Qualität« des Dürfens und Schuldens, des Geschenks und der Verantwortung gehen mit ihm und machen es zum verdankenden Denken. Im Dank, im Sich-Verdanken geschieht die Identität des Sich-Gehörens und Sich-Schuldens, der Seligkeit und des Ernstes, des inardesco und des inhorresco. Lassendes Denken entdeckt sich Siehe hierzu Ivánka, Endre von: Plato Christianus. Übernahme und Umgestaltung des Platonismus durch die Väter, Einsiedeln 1964, 158 f.; Balthasar, Hans Urs von: Présence et pensée, Paris 1942, 64 (vgl. etwa die Texte Gregors: Vita Moysis, PG 44, 404 B; Contra Eunomium, 12, PG 45, 944 C).

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selbst in der sich überfragenden Frage als ein sich gelassenes Denken und wird so zum verdankenden (n) Denken. Drei Momente umfängt dieser Gang des Denkens in sich selbst. 1. In der Unbeantwortbarkeit der Frage nach seinem Fragenkönnen findet das Denken sich an einer unbedingten Schranke, die es zugleich erst sich gewährt, ihm sein Wesen zuweist. 2. Diese gewährende Schranke betrifft das Denken auf die zwiefältige Weise eben des Dürfens und Schuldens: Denken darf denken, und Denken schuldet es zu denken, Denken ist mit sich beschenkt und für sich verantwortlich, es ist durchstimmt von Das Verb verdanken mit dem Partizip verdankend bezeichnet hier die dritte Modalität neben dem fassenden Denken und dem lassenden Denken und bedeutet »jemandem etwas schulden«. Das Wort birgt in sich semantisch Inhalte, die Hemmerle sich zunutze macht: Im Verdanken steht nämlich das Danken vor dem versteckten Schulden. Man kann hier nicht die Textpassagen von Sein und Zeit überhören, wo nämlich die Rede von einem Schuldigsein vonseiten des Daseins ist, weil es sich nicht selbst sein Da gegeben hat; das Dasein »ist nie existent vor seinem Grunde, sondern je nur aus ihm und als dieser. Grundsein besagt demnach, des eigensten Sein von Grund auf nie mächtig sein […]. Das Dasein ist als solches schuldig, wenn anders die formale existentielle Bestimmung der Schuld als Grundsein einer Nichtigkeit zu Recht besteht«. (M. Heidegger, Sein und Zeit, § 58, [284–285]). Allerdings liegt der Schwerpunkt des heideggerschen Diskurses eher auf der Geworfenheit und Nichtigkeit des Daseins, deswegen auch die Rede von Schuld und Schuldigsein; bei Hemmerle steht mehr die positive, doch nicht naive und deshalb evidente Entdeckung im Vordergund, dass das Dasein (hier durch das Denken angesprochen) dank etwas anderen denken kann und darf. Mit der Formulierung verdankendes Denken will Hemmerle deswegen Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, und zwar nicht nur gegenüber jemandem, sondern wegen der Freiheit, die er dabei genießt; auch dafür ist er dankbar. Wie Hemmerle im Weiteren erläutert, ist das Denken verdankend, weil es wahrgenommen hat, von einem anderen zu sein, ins Leben gerufen zu sein von einem anderen, dem es sich als Geschenk verdankt. Bernhard Casper nennt in seinem Beitrag zu dem Welte gewidmeten Buch Besinnung auf das Heilige, in dem er sich zur Beschreibung des Heiligen auf das Thema der Sprache und des Wortes konzentriert, verdankendes Denken »das Denken der Begegnung«, dort wo ein Ich ein Du anspricht, wo in der Begegnung das Ich kraft des vom anderen genannten Namens weiß, dass es sein Name ist. Und für jede Begegnung mit dem Sein, so fügt Casper hinzu, gilt, was das Denken bewirkt: Das verdankende Denken ist Denken der Begegnung, denn im Vollzug der Begegnung vertraut es darauf, dass es sich zeigt und gibt (vgl. B. Casper/K. Hemmerle/P. Hünermann [Hg.], Besinnung auf das Heilige, Herder, Freiburg – Basel – Wien 1966, 94). In diesem Sinn ist der Ansatz Hemmerles näher an der donation von Jean-Luc Marion als an der Geworfenheit Heideggers. Das Denken erlebt sicher als Grenze, dass es nicht von sich her ist, daraus entsteht aber kein Verzweifeln, sondern Dankbarkeit wohl im Bewusstsein des etwas schulden, das man nie wirklich abdecken kann; genauso wie die Situation des Empfängers der Gabe: er/sie kann immer nur schuldig sein, weil er/sie die Gabe nicht rückerstatten kann.

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seinem entzogen-gewährenden Anfang als einem fascinosum et tremendum (o). 3. Indem das Denken, seiner Grundstimmung inne, dem es bestimmenden Anfang frei zustimmt, findet es diesen selbst als frei ihm zubestimmt. Dürfen und Schulden sind nie bloße Fakten, sondern Antwort, Antwort ist Antwort nur in Freiheit, und das, worauf die Antwort antwortet, wird von ihr als selbst frei bezeugt. Freiheit antwortet der Freiheit, dankt und verdankt sich ihr 7. Diese Freiheit, die dem nur im Verdanken mit seinem Wesen und Anfang einigen Denken bezeugt ist, darf nicht als ein verfügendes Prädikat verstanden werden, das hinausgriffe über den Raum des möglichen Fassens. »Freiheit« kann in die seinem eigenen Innen innerlich vorlaufende Ursprünglichkeit vom Denken nur hineingesagt werden im Sinne eines Frei-Lassens und Frei-Gebens des Geheimnisses an sich selbst, eines reinen Verdankens eben, das sich lassend weiß, daß es sich allererst zukommt aus dem Abgrund, in den es sich läßt.

7.

Die neue Eindeutigkeit des verdankenden Denkens

Verdankendes Denken faßt das nicht, dem es sich verdankt, es verweist nur, und doch lebt in solchem Verweis eine ihm eigene Deutlichkeit, ja Eindeutigkeit. Fassendes Denken läßt die zwingende Kontrolle, die grundsätzliche Beliebigkeit der Wiederholung seines Griffes zu, es »verfügt« ja über das, was es faßt und begreift, insoweit dieses sich fassen und Zum verdankenden Denken vgl. Meister Eckhart, Predigt 2, über »Intravit Iesus in quoddam castellum« (»wan vruhtbaerkeit der gabe daz ist aleine dankbaerkeit der gabe, und da ist der geist ein wip in der widerbernde dankbaerkeit«), in: Die deutschen Werke, Bd. 1, hg. v. Josef Quint, Stuttgart 1958, 27).

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Das Fascinosum et tremendum ist eine wirkmächtige Redewendung, seitdem sie Rudolf Otto in seinem Werk Das Heilige verwendete; man findet sie in vielen Kontexten, in denen man sich mit diesem Thema befasst. Mit diesem Ausdruck will Otto das Phänomen des Heiligen charakterisieren, das sich nur zeigt und zugänglich wird als Erfahrung, die gleichzeitig fasziniert und erschreckt. Das Heilige ist »so, dass es ein menschliches Gemüt mit der und der Gefühlsbestimmtheit ergreift und bewegt« (vgl. R. Otto, Das Heilige, ebd. 12), dass man davon nur als mysterium tremendum sprechen kann.

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begreifen läßt. Der zwingende Charakter dieses Denkens haftet gerade an der im Verfügenkönnen beschlossenen Beliebigkeit. Diese beruht darauf, daß vom Denken bewältigt, umgriffen ist, was dieses da sei. Das Umgreifen des Was gibt dem Denken die Möglichkeit, zumindest in selbst denkender Reproduktion, dieses Was je neu in sein Daß, in seine Präsenz vor sich hin und zu sich her zu stellen. Die vorstellende Kraft des Denkens – jene, die aus dem Umgreifen des Was dessen Daß sich selbst zuzustellen vermag – ist selbst das »Warum«, welches ein solches Was in sein Daß zwingt und zwingend auch sein Daß ans zugehörige Was bindet. Das Was des vorstellend Umfaßten und Eingeordneten würde in der letzten Konsequenz (die bezeichnenderweise faktisch nicht einzuholen, sondern nur als Grenzmodell per impossibile entworfen ist) zur »Zahl« 8, zum fixierenden Stellenwert innerhalb einer universalen Gleichwertigkeit und Gleichgültigkeit. Das Wesen sinkt dann entweder ins Unvergewisserbare und Uninteressante ab, so daß nicht mehr nach ihm gefragt, an seine Stelle nur das Zählbare des Seienden gesetzt wird, oder diese Zählbarkeit selbst erhebt sich in den Rang des ganzen Wesens, erschöpft das, als was etwas sich zeigt und also – ist. Der Akt des Sich-Zeigens, das Zum-Vorschein-Kommen: das Daß, wird zu dem aus zählender Verfügung Bemächtigten, entweder derart, daß nur das als wirklich wahrgenommen wird, was sich zählendem Zugriff gibt, oder derart, daß dieser zählende Zugriff aus seinem Bescheidwissen über die quantitativen Verhältnisse das wirkliche Vor- und Herauskommen, die Faktizität produzierend bewerkstelligt. Das Warum zieht seinen Sinn und seine Reichweite entsprechend zusammen auf die Bewerkstelligung, auf die zahlhafte Verknüpfung eines Angezielten mit den Bedingungen, die sein Herauskommen erzwingen. Fassendes Denken hat seine Eindeutigkeit also aus dem Subjekt. Von ihm her wird festgestellt, als was das, was ist, sich zeigen und vorkommen könne. Das, was ist, ist und ist, was es ist, aus den Bedingungen heraus, unter denen es sich vom Subjekt fassen läßt. Diese Bedingungen sind selbst dem Subjekt zwar unbeliebig, geben aber das, was unter ihnen erscheint und sich herstellen läßt, ins überlegene Belieben des Subjektes.

Es sei hier erinnert an die Idee der »mathesis universalis«, wie sie sich grundlegend artikuliert bei Descartes, René: Regulae ad directionem ingenii, Regula IV.

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Fassendes Denken führt, für sich allein genommen, in eine eigentümliche und doppelte Zweideutigkeit zurück: Zunächst ist es mächtig, über das, was ist, zu verfügen, es sich verfüglich zu machen. Doch diese Macht, das, was ist, zu zwingen, und die Strukturen dieses Zwingens sind ihm selbst zwingend verfügt. Seine Macht ist ihm also auferlegt, ist sich selbst entzogen. Darin erwächst dem fassenden Denken die zweite Doppeldeutigkeit: Es weiß sich so organisiert, daß es kraft dieser Organisation das, was ist, für sich erbeutet. Gerade das macht es aber gegen sich mißtrauisch: Ist fassend zwingendes Denken im Grunde nicht mit sich allein? Ist sein Haben dessen, was ist, im Haben, im Verfügen nicht zugleich ein Verfremden? Entgeht seinem Fassen dessen, was ist, nicht gerade die Weise, wie dieses von sich her ist? Und auf letztere kommt es dem Denken doch an. Die vordergründige Eindeutigkeit des Fassens ist letztlich nur dessen sicher, was von ihrer Fassenskraft schon im voraus umfaßt ist, sie faßt also je nur – sich selbst. Die Gegenmöglichkeit gegen solche Einsamkeit des Denkens mit sich selbst ist das verdankende Denken. Auch es hat »etwas« in der Hand, sein Umfaßtes ist dasselbe Umfaßte wie das des fassenden Denkens. Aber es faßt es als ihm gelassen, und so ist sein Fassen nicht bloß Fassen, sondern Verweis über sich hinaus. Was verdankendes Denken in der Hand hat, ist nicht in sich das »Was« dessen, dem sein Danken gilt, sondern das Denk-Mal seiner im faßbaren Etwas nicht zu erschöpfenden und festzulegenden Gewähr (p). Das Konzept der »Gewähr«, bisweilen abgewandelt in den Begriff der »Gewährung«, ist zentral in dieser ganzen Schrift Hemmerles, denn es weist auf Gott, der als solcher der Einzige ist, der unsere Existenz gewährleisten kann und im Spezifischen das Denken selbst. Auf dieses Geheimnis – stets gegenwärtig und vorausgehend – bewegt sich das Denken hin, ohne dass es ihm gelingt, es zu fassen, bis zu einer Bekehrung in eine andere Haltung. Bemerkenswert ist, dass man es auch in Rosenzweigs Stern wiederfindet, der es aber Gott zusagt in der Weise des Bürges der Ewigkeit trotz der Zeitlichkeit: Rosenzweig hat bis zu dem Punkt von der Gegenwart Gottes gesprochen, die durch die Offenbarung gegeben ist und die sich als Prämisse der Erlösung und demzufolge des ewigen Heils darstellt. Die Frage ist, wie solche Ewigkeit es mit dem Menschen und der Welt angesichts der konkreten Zeiterfahrung aufnehmen kann. Hier erklärt Rosenzweig, dass es in Wirklichkeit nur in Gott Ewigkeit geben kann, denn nur in ihm fallen die Gewähr derselben und ihre Erfüllung zusammen. Das trifft auf den Menschen und die Welt nicht zu, denn sonst wären sie nicht von Gott unterschieden. Also kraft des Faktums, dass Gott bereits das Ewige gewährleistet und implementiert beziehungsweise es ist, wird es auch zum Garanten der Zeit der Welt und des Menschen und ihrer möglichen Ewigkeit (vgl. F. Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, ebd., 287–290). Es handelt sich also um eine bekannte

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Sie geschieht in der Gabe des Etwas, also an einer Stelle, an einem Ort innerhalb der faßbaren Tatbestände dessen, was ist, und des Lebens des die Zueignung denkend wahrnehmenden Selbst. Es ist nicht unmöglich, diese Stelle in den Zusammenhang des Faßbaren hinein- und aus ihm herauszurechnen, sie physiologisch, soziologisch und psychologisch also zu »erklären«. Die Zueignung selbst ist darin keineswegs erklärt. Sie stimmt je das Denken im Ganzen und somit den Raum, den das Denken umfaßt, den universalen Raum dessen, was ist, im Ganzen von dieser bestimmten Stelle aus in eine neue Grundweise hinein. Die »Stelle« ist Denkmal der Zueignung, Hinweis auf ihr unfaßbares, nicht zu ortendes, sondern selbst das Denken in seine neue »Stimmung« zeitigendes Geschehen. Viele Stellen des Seienden und Stellungen des Selbst, grundsätzlich alle Bestände dessen, was ist, können die Stätte solchen Geschehens sein. Als seine Stätte sind sie aber der Beliebigkeit des verfügenden und zwingenden Denkens entnommen, ausgesondert und selbst wiederum zugeeignet dem je unverfüglichen »Einmal« des nur von sich her sich Zueignenden, nur in der nicht herstellenden, sondern wahrenden Erinnerung das Denken geleitend, nicht von ihm und seiner Kraft her reproduzierend ins neue Daß zu zwingen. Verdankendes Denken »zählt (q)« nicht, sondern es »er-zählt« 9, bezeugt im Vgl. Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Die Weltalter. Fragmente. hg. v. Manfred Schröter, München 1946, bes. 3 f., 111 f., und Rosenzweig, Franz: Das neue Denken, in: Kleinere Schriften, Berlin 1937.

9

Verwendung des Begriffs Gewähr im Bezug auf Gott, auch wenn Hemmerle ihn ausweitet, indem er ihn auf die Aktivität des Menschen bezieht als Denkenden und demzufolge Dialogführenden mit Gott in diesem Leben, das heißt schon in der Gegenwart. In dieser Hinsicht spricht auch Casper vom Heiligen als dem Gewährenden des Gesprächs, denn man kann selber nicht über das Heilige sprechen, wenn es sich nicht selber gewährt; »die heilige Macht gewährt mir im Gewährtsein der Beziehung, dass ich bin«. (B. Casper, Seit ein Gespräch wir sind, in: B. Casper/K. Hemmerle/P. Hünermann [Hg.], Besinnung auf das Heilige, ebd., 80–123, 99). D. h., dass auch Casper wie Hemmerle die Unmöglichkeit unterstreicht, das Heilige oder Gott zu denken oder über es/ihn zu sprechen, ohne dass man dazu selbst vom Heiligen fähig gemacht wird. (q) Hemmerle spielt hier erneut mit Begriffen, die ihm zur Verfügung stehen: das quantitativ-mathematische Zählen. Zwischen einer reinen Aufzählung von Fakten, einer Rechnung – eben dem Zählen –, und der Darlegung von Fakten, dem Er-zählen, besteht eine enorme Differenz. Es handelt sich um eine Gegenüberstellung von quantifizieren und qualifizieren: Das verdankende Denken kann in seiner Dankbarkeit nicht zählen: Die Anerkennung schaut darauf nicht, ebenso wie die Gratuität ihre Grundlage ist. Nur das fassende Denken, das festhalten und besitzen will, muss notwendigerweise zählen, quantifizieren und festlegen, was es hat.

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Bericht (r) dessen, was sich begab, nicht die faßbaren Bestände, sondern das ihnen je Entgehende und in ihnen sich doch Zueignende. Im verdankenden Denken wird aus den unzähligen Stellen der möglichen Zueignung die eine nicht zwingend hergeleitet und nicht beliebig ausgewählt, sondern eben verdankend erzählt, an der sich die Zueignung wirklich begab, und diese Stelle und das Wort, das auf sie weist, werden so eindeutig als deutend und bedeutsam. Vielfältig kann das Unerzwingbare aufgehen, aber gerade so ist es aufgegangen, darin nicht nur sich selbst eindeutig bezeugend, sondern auch das Zeichen des Zeugnisses erhebend in eine neue und andere Weise bedeutsamer Eindeutigkeit, bestimmten Hinweises auf das dem Zugriff je Entzogene. Die Eindeutigkeit, die »etwas« fürs zwingende Denken hat, ist die Eindeutigkeit des Was oder, verkürzt, der »Zahl«, die das, was ist, hineingreifen in das je zugleich gegenwärtige Gesamt des Seienden, in den alle Orte offen umspannenden, dem Hinblick und Zugriff präsentierenden »Raum«. Die Eindeutigkeit, die etwas im verdankenden Denken erhält als Denkmal und Gabe seiner Gewähr, ist hingegen gerade nicht die des Was und also nicht die der umfassend-präsentischen Räumlichkeit, sondern die der Zeitigung: in diesem bestimmten Etwas spricht sich mir die gewährend unsägliche Huld zu, sie hat mir dieses, gerade dieses und dieses gerade damals zugeeignet, so tritt dieses bestimmte Etwas nicht hinein in seine allgemeine Verfüglichkeit durch den washaften Begriff, sondern aus ihr heraus in sein nur zu erzählendes Einmal, in dem sich das zeitigende Einmal der gewährenden Huld zugleich öffnet und verbirgt. Verdankendes Denken kennt nicht den geometrisch durchgängig gleichen, an allen Stellen gleichgültigen Raum, sondern den je unversehens gezeitigten, den Raum als »Landschaft«. Zeit ist ihm entsprechend nicht sich räumlich

Hemmerle verweist in der vorausgehenden Fußnote auf Rosenzweig, ohne jedoch zu erläutern, weshalb. Rosenzweig vollzieht einen radikalen Wandel in der Auffassung der Philosophie, indem er an die Stelle der Abhandlung – die festlegt und spezifiziert – das Erzählen setzt, das er im Stern vorschlägt: eine große Erzählung in drei Akten, in der dann das Narrativ als Kommunikationsstil in besonderer Weise das Profil der Vergangenheit bekommt, um durch den Dialog der Gegenwart und durch das Gebet der Zukunft ergänzt zu werden. Dies deshalb, weil es auch für Rosenzweig nicht möglich ist, das Denken, vor allem in der Beziehung mit Gott, auf quantifizierte und festgelegte Abhandlungen zu reduzieren: Es handelt sich vielmehr um eine Erfahrung, und die lässt sich lediglich durch die Erzählung vermitteln.

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verzeichnende, ins Gleichmaß ihr Je und Einmal einebnende, sondern die geschichtliche, »zeitliche« Zeit. Im Kontext verdankenden Denkens erhält so die Frage danach, was etwas sei, einen anderen Sinn. Sie ist nicht mehr damit abzugelten, daß je »dieses da« auf seinen eingereihten und daher wesentlich »allgemeinen« Platz im Ganzen dessen, was sein kann, bezogen wird, sondern weist in den Zusammenhang der Zeitigung, in die Geschichte von Gewähr und Empfangen, Schenken und Schulden. Sie ist das Umgreifende des je einzelnen Etwas, umgreifend aber nicht als einreihend, sondern als je aussondernd und freigebend. Nicht durch seinen Stellenwert im gleichgültig- durchgängigen Ganzen ist das einzelne Etwas bestimmt, sondern durch die »Stimmung«, die es ins Zugehören zu der es zeitigenden Gewähr stimmt – schärfster Gegensatz zu der bis auf die quantitative Zahl sich zusammenziehenden Wesenheit des Etwas im bloß fassenden Denken 10. Wo Denken sich selber hell ist als der Raum, der alles, was ist, umfaßt und in dieser Helle sich überfragt ins Verdanken hinein, wo also nicht nur etwas, sondern das Denken selbst zum Denk-Mal seiner Zeitigung wird, erreicht der Gegensatz der verweisenden Eindeutigkeit verdankenden Denkens zur zwingenden Eindeutigkeit fassenden Denkens seinen eigenen Grund im Denken. Fassendes Denken ist eindeutig aus den zwingenden Strukturen des Subjektes heraus, in denen ihm alles, denen aber auch es selbst unterworfen ist, so daß es diesseits seines Fassens in die genannte Zweideutigkeit gerät. Dem verdankenden Denken, das alles und sich selbst in der radikalen Anfrage über sich hinausläßt, wird gerade das, was das fassende Denken in die Zweideutigkeit führt, zum Anlaß seiner verweisenden Eindeutigkeit. Auch es, ja gerade es weiß keine Erklärung, warum es überhaupt denke, auch ihm ist sein Denken das zutiefst nicht nur Eigene, sondern mehr noch Andere, Zugekommene. Die Frage: Warum denke ich? weist jede Antwort von sich ab. Dieser Abweis setzt das fassende Denken, wie gezeigt, ins Mißtrauen, ins Bewußtsein seiner Einsamkeit mit sich. Diese Einsamkeit löscht die Eindeutigkeit aus, die nur »gerichtet«, von sich weg, auf andere

Pascals »esprit de finesse« weist in seinem Gegensatz zum »esprit de géométrie« (vgl. Pensées, ed. Brunschvicg, Frgm. 1) in die Nähe dieser Unterscheidung zwischen dem Was des fassenden und dem Was des verdankenden Denkens, das freilich je nur als solches, d. h. in der unerzwingbaren Einstimmung des offenen Empfangens und Verdankens, das stimmende Was seines begegnenden Etwas entdeckt.

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seiner selbst zu – hier also: aufs Seiende zu – statthat. Die Unerklärlichkeit seiner selbst, das Sichzugekommensein ist fürs verdankende Denken hingegen der Durchbruch aus der Einsamkeit hinweg, verdankend weiß Denken sich als Antwort, in seiner Freiheit aus Freiheit sich geschenkt, so nicht allein, und darum gerade eindeutig, eindeutig aber nicht mehr auf die Weise des das, was ist unter sich zwingenden Fassens, sondern auf die freie Weise des Verweises.

8.

Die Umkehr von Daß, Was und Warum im verdankenden Denken

Die vorstellende Kraft des Denkens ist im zwingenden Fassen das Warum, welches jedes Daß an sein Was bindet und im Was das zugehörige Daß bemächtigt; Daß, Was und Warum versammeln sich also aus der Struktur des Subjektes ins erklärende Fassen des Gegenstandes. Verdankendes Denken ist entgegengesetzt gerichtet: Fassendes Denken erklärt sein Woraufhin, klärt aber sich selber nicht, sondern entgeht sich; verdankendes Denken läßt vor seinem Woraufhin alles Erklären zu Boden fallen und ist im Verdanken seiner selbst als des Unerklärlichen so gerade sich selber klar, mit sich selbst eins. Daß Denken denkt, wird ihm zur Tatsache, in der sein Anderes, das Gewährende sich bekundet, das seinerseits so gerade nicht als Gezeitigtes, als Tatsache, sondern als das aktive Gegenteil alles fixierten und konstituierten Daß, als die reine Zeitigung, als »Freiheit« aufgeht. Was sich so nur als das Gegenteil der Tatsache, als reziproke Tatsache weist, kann entsprechend vom Denken auch nicht »festgestellt« werden – und doch ist es das Gewisseste des Denkens. An die Stelle der Feststellung tritt das Zeugnis. Denken selbst, die Tatsache des Denkens, sein Festgestellt- oder besser: sein Sich-übergeben-Sein bezeugt die gebende Gewähr, der es sich verdankt. Denken »ist«. Dieses »ist« aber hat einen anderen Sinn als das des feststellenden Istsagens: es übernimmt die Zuweisung des Denkens an sich selbst, seine Freisetzung aus dem Abgrund der es gewährenden Freiheit. In solcher Übernahme seiner selbst beantwortet das Denken diese Zuweisung, setzt verdankend frei sich selbst auf die es freisetzende Gewähr hin. Das bezeugende »ist« weiß sich als Antwort, als unbeliebig, als wahr-nehmend und weiß doch, daß es nicht aus bloßer Logik, sondern aus dem freien Entschluß kommt, ohne Verdankendes Denken

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den Antwort nicht Antwort ist. Nichts ist so unverfügbar und nichts zugleich so frei wie das Zeugnis (s). In der bezeugenden Tatsache seiner selbst wohnt dem verdankenden Denken so eine qualitative Spannung inne: es ist nicht blindes Nun-einmal-Denken-Sein, sondern eben: mit sich und seinem bezeugenden Verweis Beschenkt- und Beladen-Sein. Denken wird sich offen als Ermächtigung zu sich und allem und zugleich als Verantwortung für sich und alles, sein Wesen wird aus der formalen Bestimmtheit, Umgriff und Inbegriff von allem und darin Verhältnis zu sich selbst zu sein, umgestimmt in seine ursprüngliche Stimmung und das in ihr sich weisende Verhältnis zu dem aller Bestimmung enthobenen rein sie und alles Stimmenden. Dieses ist im verdankenden Denken nicht nur bezeugt als die Umkehrung aller Tatsächlichkeit in die reine Gewähr, es ist, über aller Bestimmbarkeit draußen, zugleich auch das Gegenteil alles Was, doch sein Gegenteil nicht in der Richtung aufs Leere und Nichtige und darum nichts zu fassen Bietende, in sich Ungestimmte, sondern in der genau anderen Richtung. Um seines Ranges und seiner Fülle willen weist es die definierend washafte Aussage von sich ab, die von ihm ins Verdanken gestimmte Rede des Denkens wird zur Rühmung. Das Denken rühmt, was es bezeugt. Das von ihm Gerühmte wird im rühmenden Wort über es hinaus und von sich weg in seine Unsäglichkeit erhoben. Ist-sagende, einen Wasgehalt prädizierende Aussage sagt so viel, wie sie sagt, Rühmung ist Rühmung nur, indem sie, qualitativ, mehr meint, als ihr Sagen zu sagen vermag, indem also an die Stelle des Was das Geheimnis tritt. »Geheimnis« meint die aller Bestimmung entzogene, selbst alles stimmende und bestimmende Umkehrung des Wesens, auf welche das verdankend gestimmte Denken weist, indem es das gewährende Gegenteil seiner und aller Tatsächlichkeit bezeugt; die Frage, was dies Gewährende sei, läßt sich eben nur beantworten durch den rühmenden Verweis aufs Geheimnis, der in solchem Beantworten seine Frage als solche unberührt stehen läßt. Im verweisenden Zeugnis ist dem Denken sein als Feststellung sich versagendes Ist-Sagen zurückgegeben, in der Rühmung erhält das Denken sein nicht mehr des Bestimmens mächtiges Etwas-Sagen als bedeutend wieder. Zum Thema Zeugnis nimmt Hemmerle in besonderer Weise Stellung in der Schrift Wahrheit und Zeugnis, die ebenfalls zu dieser Sammlung gehört (vgl. das Kapitel »Der Wert des Zeugnisses«).

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Sich selber helles Denken sind Zeugnis und Rühmung nur, indem sie wissen, warum sie zeugen und rühmen. Verdankendes Denken kennt sein Warum und ist gerade deshalb eindeutig und gerade deshalb auf gesteigerte Weise denkend. Das Warum liegt im Verdanken selbst. Das heißt aber wiederum: es kehrt, als Warum, sich um in sein Gegenteil. Denken denkt, weil es sich zugedacht ist, aber warum ist es sich zugedacht? Hier gerät die Frage an das Ende, über das sie selbst, über das aber keine Antwort hinausführt. Das Ausbleiben der Antwort bedeutet dem verdankenden Denken indessen gerade keinen Abbruch, keinen von außen kommenden Verzicht, sein Sich-Gegebensein, sein Denkendürfen und -sollen verschlägt ihm von selbst ein Weitertreiben seines Wissenwollens über die gewährende Grenze. Was bei jedem wahrhaften Beschenktwerden geschieht: die letztlich fraglose Annahme aus der frei tragenden Huld, die sich mir gönnt, das Ausbleiben von »Motiven« und »Hintergründen« im lauteren Zuspruch, der mich angeht, das ruht auch auf dem Grunde des Denkens, wo dieses sich annimmt: es nimmt mit sich seinen Anfang aus dem Unbegreiflichen, sein Sich-Gewährtsein und Gestimmtsein an als das Wunderbare. Wunderbar ist im phänomenalen Sinne nicht etwas, das aus gängigen Ursachenreihen nicht erklärt und daher nur auf eine dahinterliegende Ursächlichkeit hin zurückgeführt werden kann, wunderbar ist vielmehr jenes, was von seiner inneren Qualität her jedes Dahinterkommenwollen zum Verstummen bringt und die Kette der Erklärungen zerreißt. Wunder ist nicht eine höhere Weise von Ursächlichkeit, sondern die Umkehrung aller Ursächlichkeit, jenes, das von sich her dem Denken gleich ursprünglich die Warum-Frage und die Hingabe des Warum, der Antwort aufs Warum, zumutet. Das Wunder kann also nicht erklärt, es kann nur »erzählt« werden: »Das hat sich begeben, das habe ich erfahren!« Ursächlichkeit ist im Wunder überboten in die reine Zeitigung: kein vom Denken reproduzierbar in seiner Verknüpfung durchschaubarer Zusammenhang, sondern das lautere Geschehen des Zukommens gibt sich in den bezeugenden Bericht. Sein Erzählen ist freilich auch das Gegenteil des Aufzählens, der geordnet-gereihten oder gar zufällig-zusammenhanglosen Anhäufung von aufeinander Folgendem. Doch nicht eine »Regel« ist es, die hier das Voraufgehende mit dem Folgenden verbindet, sondern die freie Gewähr, der sich das Folgende verdankt. Und nur im Verdanken und in seinem Bezeugen wird dieser Zusammenhang, der das andere Verdankendes Denken

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der Kausalität und des Zufalls zugleich ist, offen; nur verdankendes Denken vermag das Wunderbare zu erzählen. Im Annehmen der Gründung seiner selbst aus dem Wunderbaren birgt sich ein weiterer und noch tieferer Zug des Denkens, der es ihm erst ermöglicht, erzählendes Denken zu sein, weil er das Denken erst auf das zu erzählende Wunderbare aufmerksam und zu seiner Zeugenschaft fähig macht: Denken wird vor dem Wunderbaren seiner freien Gründung aus dem Geheimnis zum glaubenden Denken. Es sagt, sich übernehmend in seinem unergründlichen Anfang, ins gewährende Woher dieses Aufgangs hinein: Ich glaube mich dir! Dieses sein Glauben ist nichts Fremdes zum Denken, sondern selbst ganz und gar Denken, wenn anders doch Denken nur als ermächtigt und verantwortlich zu denken, als denken dürfend und zu denken schuldend wahrhaft sich selber helles Denken ist. Denken hat, als Denken, wo immer es auf dem Weg des Denkens geht, mit solchem verborgenen Glauben begonnen 11. Das Fragen und das Erklären des Denkens versänken in sich selbst, wenn Fragen und Erklären sich nicht der Zusage und Zuweisung sicher wüßten, die dem Denken verstatten und abfordern, Denken zu sein. Alle Eindeutigkeit des Denkens weist zurück auf diese anfängliche Beziehung des Denkens von sich weg in sein Gewährendes, in das »Glauben« des Denkens hinein. Auch das verknüpfende und durchschauende Erklären fassenden Denkens erzählt, auf sich helle oder auf sich selbst entgehende Weise, von seinem wunderbaren Ursprung, bezeugt seine freisetzende Zeitigung und rühmt sein unsägliches Geheimnis.

9.

Überblick des Zugangs

Was zeigt sich dem Denken auf seinem Weg, den es aufs Heilige zu als einen Weg zu sich selbst zu gehen versuchte? Denken, so zeigt sich zunächst, ist als fassendes Denken dem Heiligen unangemessen. Fassend unterwirft es sich sein Gedachtes, in dieser Unterwerfung wird das Gedachte zwar offenbar als das, was ist und insofern je mehr als bloß gedacht ist. Fassendes Denken ist indessen das Insichsetzen dieses Mehr, der Sieg des Denkens über dieVgl. hierzu Franz von Baaders Gedanke zum »glaubenden Wissen«, zum Ursprung des Wissens in einem ihm fundierend immanenten Glauben, Sämtliche Werke, Leipzig 1851–60, X, 24; VIII, 29; I, 365 ff.

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ses Mehr, seine Entzauberung – dem fassenden Denken als einem solchen kann nichts heilig, von sich selbst her unberührbar und doch es berührend in ihm mächtig sein. Im fassenden Istsagen verwandelt das Denken das ihm Andere in sein Eigenes, eben ins gefaßt Gedachte. Es strebt in letzter Konsequenz gar danach, sich zur alles setzenden und entwerfenden Alleinigkeit aufzurichten. Aber auch in dieser Alleinigkeit konstituiert es sein Entworfenes doch als seiend, und d. h. als von sich, dem Seienden, und nicht von ihm, dem Denken her seiend. Auch und gerade wo die Freigabe des Seienden an sich selbst durchs Denken sich nicht mehr als Gehorsam, sondern als schöpferische Tat versteht, bleibt die Frage, ob es auch wahrhaft und letztlich so sei, wie das Denken es sich denkt, oder zumindest die Frage, ob es noch sinnvoll oder gar nötig sei, diese Frage zu stellen. Die Alleinigkeit des fassenden Denkens, die alles, aber sich selbst nicht mehr zu fassen vermögende Subjektivität, bleibt aus sich selbst eben: allein und gerade darin, in der Einsamkeit ihrer Frage an sich selbst, blickt sie über sich hinaus. Dieses Blickes innezuwerden ist keine Konsequenz des Fassens als eines solchen; zwingendes Fassen kann nicht über sich hinaus gezwungen werden, aber es lebt aus der Frage, aus der Beunruhigung vom Sein, und es kann sich in sie, in ihren Hinblick lassend freigeben. Denken wird sich unerzwingbar, aber eindeutig gewiß, von seinem Wesen her nicht fassen und zwingen, sondern sein lassen zu wollen. Die Frage, die auch dem Fassen zugrunde liegt, läßt von sich her aufgehen und sich gewähren, was sie selbst nicht mehr verfügt und vermag. Nicht das beherrschende Fassen, sondern erst das gehorsame Fragen erfüllt den transzendentalen Anspruch des Denkens, nichts außer sich zu lassen; denn die zulassende Gebärde des Fragens ist nicht mehr wie die zugreifende Gebärde des Fassens sich selbst entzogen: Fassen faßt sich nicht selbst, doch Fragen befragt sich selbst, was und warum sein Fragen sei. Darin aber überfragt dieses Fragen den von ihm umspannten Raum möglicher Antwort, weil jede von ihm erhobene Antwort sich selbst wieder in die Bewegung des Fragens zöge. Es wird zur Anfrage, es gerät in die sich durchhaltende, aber im Durchhalten sich über sich hinausgebende Fraglichkeit seiner selbst: Was ist es und woher rührt es, daß ich frage, daß ich fragen kann und fragen darf? Die Frage fragt nach ihrer Ermächtigung, das Denken übernimmt sich aus einem schlechthin nicht mehr zu fassenden Woher, welches sich nicht einstellen läßt in die Geräumigkeit der Verdankendes Denken

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Möglichkeiten des Denkens, sondern seinerseits das Denken allererst zeitigt. Dieser seiner Zeitigung inne, wird das Denken als dasselbe, was es ist, doch verwandelt, es wird gestimmt in den Ernst der Verantwortung und in den Mut seines Dürfens. Es wird sich verdankendes und darin verweisendes Denken. Sein Bezug erschöpft sich nicht mehr in umgreifbarem, zwingbarem Etwas, sondern bezeugend, rühmend, erzählend, letztlich: sich glaubend bezieht es sich auf das unsägliche Woher seiner Zeitigung, seiner es allererst an sich gewährenden Schranke seiner selbst. Diese erweist sich als die Umkehrung aller Faßbarkeit: nicht Tatsache, sondern Freiheit, nicht Etwas, sondern Geheimnis, nicht Ursache, sondern Wunder, wobei solche Prädikate nicht verfügend aussagen, sondern verweisend sich hineinsagen in die sie selbst je überholende Richtung reiner Gewähr. Der zurückgelegte Weg des Denkens umspannt also zwei Abschnitte: der erste ist Weg des Denkens zu seinem Woher, Weg der Frage, auf dem die begegnenden Bestimmungen im Denken liegen, Bestimmungen des Denkens sind; der zweite Abschnitt hebt an vom Wendepunkt der sich ins antwortend nicht mehr einholbare Woher überfragenden Frage und wird zum Weg des verdankenden Verweises, auf welchem die begegnenden Bestimmungen des Denkens von diesem hinweg auf sein verwiesenes Woher zublicken.

III. Aufgang des Heiligen 1.

Aufgang ins Andenken

In der Besinnung des Denkens auf sich selbst entdeckt das Denken die Spuren seines es zeitigenden, mit sich selbst beschenkenden und beladenden Woher. Dieser Spuren seines Ursprungs gewahr, verwandelt sich das Denken in sich selbst und geht seinen Weg verweisend auf dieses Woher zu. Indem Denken in sich geht, geht es hinter sich zurück und entdeckt sich selbst als je nur von diesem seinem ihm zugleich entzogenen und es an sich gewährenden Ursprung her zu sich selbst ermächtigt. Denken wird seiner selbst inne als seines Herkommens aus diesem Ursprung. Auf sein Herkommen zurückkommend, wird es, als dieses selbe Denken, doch ein neues Denken, Denken, das seinen Weg nimmt als Hinführung zu dem es übertreffenden, nie von 100

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ihm eingeholten, je ihm künftigen, nur im Verweis bedeuteten Wohin. Ist solcher Umschlag des Denkens vom Herkommen ins Hinweisen, seines Woher zum Wohin der Aufgang des Heiligen ins Denken, das sich selbst so als den zweieinen Zugang des Heiligen, Zugang des Heiligen zum Denken und Zugang des Denkens zum Heiligen, verstehen dürfte? Der Sinn der sich überfragenden Rückfrage des Denkens nach seinem Anfang und seinem Recht wäre dann von dem es zeitigenden Woher aus das Drängen dieses Woher ins Offene des Denkens, um ihm als entzogen offen und also ihm heilig zu sein. Der Sinn des verdankenden Verweises, zu dem sich das Denken durch die letzte Aporie seiner Frage hindurch wandelt, wiederum wäre: das undenkliche Woher als Wohin seines Dankes in seinen unerreichbaren Rang hinein freizugeben, es sich heilig sein zu lassen. Die Frage, ob sich der Aufgang des Heiligen an der Wende unseres denkenden Zugangs begeben habe, mag sonderbar erscheinen. Wäre es nicht an der Achtsamkeit des Denkens gewesen zu bemerken, daß hier »heiliger Boden« betreten wird? Doch gerade dies ist kennzeichnend: Das Denken vermag nicht, ein vorgängiges Signal zu ermitteln oder nur zu erhalten, das es »startbereit« machte, um den Aufgang des Heiligen in sein Visier zu bekommen. Erst als Moses bereits auf heiligem Boden stand, eröffnete es sich ihm, ward er inne, seine Schuhe von den Füßen tun zu müssen, da die Stätte von der Nähe des Heiligen durchmächtigt war. Jakobs Ruf: »Dieser Ort ist heilig, und ich wußte es nicht!«, oder das Gewahrwerden der Emmausjünger, daß der Herr sie begleitet hatte, erst als er entschwand, bezeugen einen Wesenszug am Aufgang des Heiligen, der auch in seiner philosophischen Phänomenologie entscheidend hervortritt. (Zu »Moses«: Ex 3, 5; »Jakob«: Gen 28, 16 f.; »Emmausjünger«: Lk 24, 31) Diese könnte versucht sein, vorschnell aus den phänomenalen Elementen, die der Weg ihres Zugangs ihr einträgt, eine Summe zu ziehen, sie zusammenzudenken und so die Phänomenalität des Heiligen zu fixieren. So aber entginge diese dem Denken, wäre ihm das Heilige nicht heilig, sondern aus dem Gewahrten seiner Betroffenheit zum Bemächtigten seines Vorstellens verkehrt. Die Umwendung des Denkens vom Herkommen zum Hinweisen ist doch nichts anderes als das Innewerden des Herkommens als eines solchen, als die betreffende Verwandlung, die dem Denken Verdankendes Denken

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widerfährt, indem es sich als immer schon und sich selbst voraus mit sich beschenkt und beladen entdeckt. Das Denken begegnet dem Geheimnis nicht, dem es sich verdankt, ihm begegnet, daß es diesem Geheimnis auf seinem Weg begegnet ist. Der Aufgang des Heiligen ist also nur da im Andenken, und zwar in einem Andenken, welches das Geheimnis, dessen es gedenkt, weder herstellt in ein verfügbares Präsens noch wegstellt in die Vergangenheit, die zwar als unabänderlich unverfügbar erscheint, als das gewußte Gewesene aber überschaut und eingeordnet und so doch wieder in den Raum des verfügbaren Präsens gerückt wäre. Vorausblickend gesagt: Der Aufgang des Heiligen begibt sich dem Denken in jenem Andenken, welches ihn hinweisend verkündet, »bis er kommt«, und als einen, der kommt, und welches darin seine aus dem Entzug her betreffende, umwendende und geleitende Gegenwärtigkeit erfährt (vgl. die Formel 1 Kor 11, 26).

2.

Der neue Sinn von Gegenwart

Die vermittelnde Mitte des sich herleitenden zum hinweisenden Denken ist auf seiten des Denkens schweigendes Betroffensein im Übertroffensein jeder möglichen Antwort von der sich überfragenden Frage. Solche schweigende Betroffenheit läßt sich nicht in die Distanz des Beobachtens ablösen, in welcher der Aufgang des Heiligen präsentisch gefaßt oder doch aufgezeichnet werden könnte. Wo das Denken den Aufgang des Heiligen zur Sprache bringt, ist es bereits ein umgewendetes, ein »bekehrtes« Denken, d. h. Denken, dem dieser Aufgang widerfuhr und dem in diesem Aufgang widerfuhr, schon eh und anfänglich im Geleit und in der Gewähr des Heiligen zu sein. Und die Sprache, zu der es ihn bringt, ist die des Bezeugens, Rühmens (t), Erzählens. Was bezeugt, gerühmt und erzählt wird, liegt über

Auch Casper unterstreicht diese Dimension der Begegnung mit dem Heiligen: »Auf eine höchste Weise bin ich im Gespräch. Ich bin angerufen und darf sprechen. Ich höre und darf sicher sein, gehört zu werden. Jedes wirkliche Gebet besteht in seiner Tiefe in dem so gearteten Verhältnis« (B. Casper, Seit ein Gespräch wir sind, in: B. Casper/K. Hemmerle/P. Hünermann [Hg.], Besinnung auf das Heilige, ebd., 110). Lob- und Dankgebete, aber auch Bittgebete sowie die des Zweifels sind von einer solchen Modalität der Beziehung charakterisiert, von der Entdeckung, sein zu können dank jemand anderem.

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der Verfüglichkeit fürs Denken, über dem Anwesen (u) einer zu genießenden oder zu beschreibenden, jedenfalls: einer wie auch immer von der eigenen Macht des Denkens festzuhaltenden Gegenwart draußen. Und doch ist das Bezeugte, Gerühmte und Erzählte auf ausgezeichnete Weise dem im Bezeugen, Rühmen und Erzählen ekstatisch gewordenen, über sich hinausgewendeten Denken gegenwärtig. Welcher Art nun ist solche Gegenwart? Dem fassend verfügenden Denken und auch dem in der Gestalt bloßer Beobachtung sein lassenden Denken entgeht sie, entgeht mit und in ihr die Heiligkeit des Heiligen und also der Aufgang des Heiligen. Sie erschließt sich nur dem Denken, das seinen Weg zum Woher seiner selbst bis ins Verstummen aller Antwort in der letzten Rückfrage gegangen und so ins verdankende Verweisen übergegangen ist. Es gilt, dieses Denken auf seine Weise von Gegenwart zu befragen. Gegenwart des Denkens ist immer Gegenwart des Denkens für sich. Und die Gegenwart des Denkens für sich, das in seinem umwendenden Übergang ins Verdanken sich als Denken durchhält, ja neu mit sich beschenkt ist, verlautet in der ihm aufsteigenden Frage: »Was ist mir geschehen? Auf einmal ist alles anders!« Denken bewegt sich nicht mehr in einer ihre Schritte auseinander entwickelnden Geläufigkeit seines Fragens, es ist auch nicht mehr erstarrt in den Stoß, in welchem es diese Geläufigkeit losließ, weil keine Antwort mehr sinnvoll möglich ist – Denken findet sich vielmehr in einem neuen Weitergehen seines Umganges mit dem, was ist und was es selber ist; und darin eben, nicht als Gegensatz zum verweisenden Wegschauen des Denkens von sich selbst, sondern als ein selbes, als innere Helle dieser verweisenden Richtung erhebt sich die Frage des Denkens an sich selbst und zugleich über sich hinweg: Was ist mir geschehen? Daß »auf einmal alles anders ist«, artikuliert sich in dieser Frage. Auf einmal, in einem Augenblick also, in einem Nu, das nicht vom Gang des Denkens zu sich selbst abgeleitet wurde, sondern in seinem Abbruch sich gewährte, geschah die Verwandlung des Denkens und

Das hier von Hemmerle verwendete Wort ist nicht das klassische Existenz, sondern Anwesen, hergeleitet von an-wesen, ein typisches Heidegger-Wort, in dem sich die Wurzel wesen findet, die ein Teil des Partizips Perfekt des Verbs sein (ge-wesen) ist, und das – fast ausschließlich als Substantiv – Wesen, Natur bedeutet. Das Anwesen, von dem die Rede ist, ist also Indikativ dessen, was gegenwärtig ist, was existiert.

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des »Alles«, auf das hin Denken je nur Denken ist. Keine Veränderungen im Bestand dessen, was ist, keine formale Verschiebung der logischen Strukturen in sich meint dieses um- und durchgreifende Anderswerden, sondern eine andere Stimmung. Stimmung – das heißt hier nicht: Zutat zu einem Sein des Alles an sich oder zum Denken an sich, es heißt: Grundweise dessen, wie alles dem Denken und wie das Denken sich vorkommt, wie alles und es selbst sich ihm gibt, wie alles und es selber – ist. Der im Andenken gewahrte Augenblick der Verwandlung wendet aus sich dem Denken eine andere Weise von Gegenwärtigkeit zu, er zeitigt ihm einen neuen Sinn von Sein überhaupt. Sein: daß überhaupt etwas ist, und das darin entzogen Waltende und verborgen Bestimmende, dies ist anders geworden. Die neue Gegenwärtigkeit, welche der dem Dahaben entzogene, aber im Andenken bewahrte Augenblick dem Denken eröffnet, macht das Denken allererst sich selbst gegenwärtig. Es fragt: Was ist mir geschehen? und nimmt sich darin aus der Betroffenheit jenes Augenblickes an sich. Sich selbst dasein, sich gegenwärtig sein bedeutet dem Denken jetzt aber gerade das Gegenteil von Subjektivität. Ihm ist etwas, oder nicht etwas, sondern das Eine, Große, Neue geschehen, und solches Geschehen ist ihm nicht mehr der Erklärungsgrund, den es in seiner eigenen Tiefe oder auch hinter ihr draußen findet, um sich so in seinem Selbst- und Allbesitz, und d. h.: in sich, zu beruhigen und zu schließen. Seine Gegenwart erschöpft sich nicht mehr in einer – allenfalls zu der ihr überlegenen causa prima hin verlängerten oder verlagerten – Einsamkeit mit sich selbst, in die es alles hineinbegreift und einordnet; es ist »gemeint«, indem ihm das Unsägliche geschah. Es ist Sich-Dürfen und Sich-Schulden, Andenken an ein gewährendes Zudenken, das nicht mehr vom Denken bewältigt, konstruiert oder einbegriffen, sondern nur mehr vernommen wird, indem es sich als Denken selbst vernimmt, selbst an sich nimmt. Seine Gegenwart ist nun Geschenk, Geleit und Gespräch von Gnaden der es an sich gewährenden Schranke seiner selbst. Denken und Alles, der Denken und alles in sich sammelnde neue Sinn von Sein, die gewährende Schranke selbst, sind gegenwärtig aus dem Augenblick der Zuwendung, den das Andenken bewahrt. Das Andenken bewahrt ihn nicht aus eigener Mächtigkeit, im Andenken geschieht das Weiterwähren der Gewähr ins Denken hinein. Ihr Augenblick ist nicht ein Vergangenes, Gewesenes, sein Zuvorkommen und das Je-schon-Zuvorkommen des Heiligen, das in diesem Augenblick ins Denken trat, sind keine abgeschlossenen Tatbestände, son104

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dern weiterwirkende Mächtigkeit des Heiligen aus sich selbst im Denken, im Alles, im Sein. Das an-denkende Gewahren des Heiligen wird mit dem Heiligen nicht »fertig« – dies gerade nicht. Sein Aufgang hat sich ereignet als Aufgang unerschöpfbaren Zukommens. Die Wende vom Woher zum Wohin, die sich dem Weg des Denkens begab, ist das Ereignis vorlaufender Zukünftigkeit und so gerade die Zeitigung neuer Gegenwart. Sie unterscheidet sich von der verfügenden Gegenwart des Dahabens also nicht nur darin, daß sie Gegenwart im An-denken, im Rückverweis des Denkens auf eine ihm entzogene Gewähr ist, sie unterscheidet sich vom Dahaben auch darin, daß sie Gegenwart ist im verhoffenden Andenken, im Andenken, das sich beschenkt weiß aus Freiheit, die sich nicht in die Zeitigung einer Tatsache ablöst, sondern zeitigend, gewährend, somit unverfügbar und je neu des Zukommens mächtig bleibt. Nur das Zugleich von Andenken und Verhoffen konstituiert die neue Gegenwart und berührt die reine, als rein also nie nur gewesene Gewähr. Denken hat nicht im Verdanken nun einmal, was es hat, es ist nicht mit einer noch so unerhörten Gabe »abgefunden«. Verstände es sich selbst, alles, das Sein als die Abfindung, als das in sein beziehungsloses Verfügen anheimgegebene Erbteil, so wäre es damit, wie der verlorene Sohn, in die Fremde der sich verzehrenden Einsamkeit gerufen; nur einer aus dem Andenken sich neu verhoffenden Hinwendung geschieht die neue Gegenwart. Bewahrte das Andenken nur, was sich begeben hat, wäre es das Konservieren gehabter Erfahrung des Heiligen, so wäre dieses ihm nicht mehr heilig; denn das Bewahrte wäre mächtig aus der festhaltenden Kraft des Andenkens und nicht aus sich selbst, aus seinem im Andenken diesem zuvorkommenden Sich-Zudenken. Eine Stätte ist »heilig«, weil an ihr Heiliges sich begeben hat; daß Heiliges sich begeben hat, heißt nicht, daß es ins Gewesene abgedrängt ist, sondern im Gegenteil, daß es hier um die Wege, daß es hier unterwegs ist, daß es sich hier zu erhoffen gibt. Ansonsten wird der Tempel zum Museum. Das Denken selbst ist An-denken und Denk-Mal des Heiligen, weil es weiß: Alles ist anders geworden, es ist ihm etwas geschehen! Daß es dies weiß, heißt nicht, daß das Geschehene vorbei oder durch die Verwandlung vorbei wäre und von nun an, innerhalb dieses neu erreichten Standes, alles beim Alten bliebe. Daß »auf einmal« dem Denken das Umwendende widerfuhr, bezeichnet zwar einen unwiderVerdankendes Denken

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ruflichen Einschnitt im nicht umkehrbaren, eindeutigen Richtungssinn seines Geschehens, doch kann dieses von solcher Wende an gerade nicht mehr Bescheid wissend vorumgriffen werden, es gibt keine vorlaufende Geometrie seiner Kurve, sondern allein die offen bleibende Gewärtigkeit, in der das Denken auf das je Künftige aus gedenkender Hoffnung her sich ausspannt, unterwegs bleibt. So gerade bleibt es gegenwärtig und kommt das Heilige selbst ihm in seine rein gegenwärtigende Gegenwart. Solche Gegenwart des Heiligen ist das aktive Gegenteil dessen, was Gegenwart gemeinhin bedeutet: nicht feststellbares und denkend aufarbeitbares, wenn auch faktisch nie erschöpftes Vorliegen, nicht Widerständigkeit, an der das Wahrnehmen sich bewährt und stillt und die es zugleich doch als seinen Bezugspunkt fordert, setzt und entwirft, sondern das im Augenblick offene und doch in seiner eigenen Offenheit gerade ausständige und vorenthaltene den Augenblick Zeitigende. Nicht nur das Heilige, auch das als Denkmal und Verweis aufs Heilige hin von ihm neu geschenkte Seiende ist im umwendenden Augenblick auf verwandelte Weise gegenwärtig. Es ist nicht mehr vorliegend, verfüglich, widerständiger Gegenwurf denkender Setzung, es wird vielmehr zum Jeweiligen, jetzt zu Bestehenden, jetzt Gewährten. Es tut sich nicht einem auskennenden Überblick, sondern nur einer selbst augenblicklichen Gewärtigkeit und Verfüglichkeit des Denkens an, bestimmt vom Heiligen her und auf es zu die »Situation« des Denkens und seiner sich verdankenden Verantwortung. Das Seiende ist nicht mehr in sich selbst unter Absehung seiner Gewähr in der ihm für immer und ewig vereigneten Gesetzlichkeit seiner selbst, seiner fraglosen Verwahrtheit im Sein zu verstehen; Denken nicht mehr als der überblickbare Besitz seiner selbst und darin des Seienden und des Seins; Sein selbst nicht mehr als die Beständigkeit seiner selbst und darin des Seienden und des Denkens, die ihren Sinn erfüllt im gesicherten Dahaben, in welchem das Denken alles in seine verweilende, im Grunde: zeitlose Gegenwart zwingt; Zeit nicht mehr als die Zubereitung des Seins des Seienden in seine »zeitlose« Verfüglichkeit fürs Denken oder als die von der »zeitlosen« Beständigkeit des Seins umspannte, das Seiende in sie einbegreifende Unbeständigkeit des Seienden; der Augenblick nicht mehr als ein Punkt auf der Linie verlaufender Zeit, mit einem aus ihr ableitbaren und in sie einbegreifbaren Stellenwert. Auch der Augenblick selbst ist anders geworden in jenem Au106

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genblick, in welchem alles anders geworden ist. Gewiß liegt in der Aussage, alles sei anders, ein Vergleich des Zuvor mit dem Hernach beschlossen, gewiß also eine sich durchhaltende Selbigkeit des Denkens mit sich und des Seins mit sich, in welcher die andere Verfaßtheit als eine andere zum Vorschein kommt. Ist so gerechnet der Augenblick nicht doch ein Punkt in der Folge der Zeit, die das Einzelne aus seinem Auseinander ins Innesein (v) der einen Erfahrung und des einen Denkens sammelt und deren Gesetzen gefügig macht? Nein. Denn: Wo das Denken in der zeitlos präsentischen Selbigkeit seiner selbst mit sich selbst und des Seins mit sich selbst verharrte, wo es die Zeit als eine bloße Funktion seiner selbst, sich als Vorstellen und Sein als Vorliegen verstände, da käme ihm die Frage: Was ist geschehen?, der Ruf: Alles ist auf einmal anders! – da käme also der umwendende Augenblick überhaupt nicht vor, es bliebe alles in seinem vorliegenden Bestand, in seiner Stimmung und seinem Sinn: dasselbe und beim selben. Aus der währenden Selbigkeit des Seins und des Denkens je mit sich selbst, aus dem zeitlos präsentisch gewahrten Sinn von Sein heraus läßt sich der umwendende Augenblick nicht nur nicht ableiten, er ist darin wie nichts. Von innen her trägt die präsentische Identität des Denkens oder Seins nicht über sich hinaus, läßt keinen Vorblick aufs ihr Künftige, ganz Andere und so keine Identität über die Grenze des Anderswerdens von Sein und Denken im Ganzen hinweg zu. Wohl aber läßt in der anderen Richtung der Aufgang dieses Anderswerdens, die Umkehr von Denken und Sein im betreffenden Augenblick das Andenken ans Früher und so auf eine neue Weise die Selbigkeit und Beständigkeit von Denken und Sein in der Verwandlung zu. Daß alles anders wurde, die Verwandlung, trägt die Selbigkeit, nicht umgekehrt; der Augenblick, in dem die Linie der verlaufenden Zeit abbricht, umspannt diese zugleich in seinem Neubeginn, nicht aber umspannt die Linie diesen Augenblick. Doch welchen Sinn hat diese Selbigkeit, wie deutet sich das Zusammengehören von Jetzt und Zuvor, von verdankendem und verDer Begriff Innesein – wenig gebräuchlich, meist reduziert auf das alleinige inne, das häufig mit werden, haben, halten kombiniert wird – bedeutet, in etwas wirklich drin sein, in konstitutiver Weise zu seinem Innersten gehörig. Beim Innesein liegt der Akzent auf dem im-anderen-sein, nicht auf dem in, das nur eine Modalität des Seins expliziert; das Innesein drückt eine Dimension des Seins aus, die auf eine Zusammengehörigkeit von Entitäten untereinander, wie sie sind, weist. Es bezeichnet eine ganz intime Beziehung mit dem anderen, eine Modalität des Seins.

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fügendem Denken, von Sein als je neuem Geschenkt- und Geschuldetsein und Sein als bleibendem Vorliegen? Im Augenblick, in welchem »alles anders« geworden und dem Denken etwas geschehen ist, wird dem Denken doch allererst offenbar, daß es sich selbst geschehen, sich selbst also geschenkt, nicht Mächtigkeit aus sich selbst, sondern Ermächtigung ins Gespräch mit dem unsäglich es Ermächtigenden ist. Es begegnet ihm jetzt sein Sich-geschenkt-Sein von Wesen und Anbeginn. Die Frage, in die das Denken sich stellte und in die es sich über sich selbst hinaus losließ, zerstört nicht sein Sich-Gehören, sondern bezieht es auf sein ihm nicht mehr selbstmächtig erreichbares und gehörendes Woher. Haben, Besitz, zeitlose Präsenz, Vorstellen werden offen als die von seinem Woher dem Denken gelassenen Weisen des Beschenktseins, in denen dieses da, aber nicht als ein solches da und offen, sondern verborgen oder vergessen war, sie gehören in die Geschichte, die dem Denken sein Sich-geschenkt-Sein schenkt. Diese Geschichte des Denkens mit sich als seinem Sich-geschenkt-Sein und Sich-Schulden ist das sich Durchhaltende, ist die Selbigkeit des Denkens und des Seins mit sich über den Augenblick hinweg – aber je nur aus dem Augenblick. Denn nicht von einem vorgängigen Außen, sondern von ihrem Sich-Begeben, von der Unablöslichkeit des Geschehens dieser Gabe her, auf daß sie Gabe sei, ist sie diese Geschichte. Wenn gesagt wurde, die neue Weise der Gegenwart, nicht nur des Heiligen, sondern selbst dessen, was ist, sei nie abgeschlossene Jeweiligkeit, so heißt dies nicht, es gebe in solch neuer Zeitlichkeit kein Währen und Bestehen, es heißt vielmehr: auch das Währende und Bestehende steht nicht in sich oder in einem vom vorstellenden und verfügenden Denken besessenen Grund, sondern in der Gewähr einer je von sich her sich ereignenden und je neu zu gewärtigenden Zueignung. Das »Ein-für-allemal« der neuen Zeitlichkeit gemahnt an das »Ein-für-allemal« der personalen Beziehung. Einem Du ein für allemal begegnet, mit ihm gar im Bunde zu sein, erübrigt nicht, sondern fordert und gewährt das je neue Aufeinander-Zugehen, beendet nicht, sondern eröffnet die Geschichte der gerade in der Stetigkeit der Treue unabsehbaren Augenblicke und Wendungen des Mitseins.

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3.

Aufgang des Heiligen als Zeitigung

Verdankendes Denken weiß um den Rang der von ihm nie einholbaren Zueignung, der es sich verdankt, und weiß sein Verdanken darum in die Treue gerufen. Treue ist so das Gegenteil der verfügenden Präsenz, ist die Identität des Währens mit dem Ereignis, ist die innere Zeitlichkeit der bleibenden Gegenwart, indem sie diese nicht und sich nicht ablöst aus der Zeitigung, der sie unverfügbar sich verdankt und die sie qualitativ und wesentlich nie abgilt mit ihrer Leistung und ihrem Vermögen. Treue ist »ewig« auf die Weise der aus dem Andenken auf Hoffnung hin sich durchhaltenden, aber nicht festhaltenden, sondern offenen, ebenso jeweiligen wie bleibenden Geduld. Ihr geht das Geheimnis des Heiligen in seiner Ewigkeit auf, die sich von jener der »ewigen Wahrheiten« oder »ewigen Werte« wesenhaft unterscheidet: Diese erscheinen wie weggestellt aus der Zeit, einem sich ebenfalls aus seiner Zeitlichkeit sich wegstellenden Denken beliebig erreichbar, vielleicht gar sein eingeborener Inhalt. Zwischen ihnen und diesem Denken waltet eine prästabilierte Harmonie, eine Übereinstimmung, die als solche, als Verhältnis nicht von Belang, sondern ins fraglose Anwesen überspielt erscheint 12. Denken wird hier entweder die Selbstverständlichkeit der ewigen Wahrheiten und Werte und so das sich selbst Selbstverständliche und zuletzt Fraglose, oder es wird gar die sie aus sich selbst setzende und vermögende Macht. Es gerät in eine diesseits oder jenseits des menschlichen Gedankens wurzelnde, so oder so aber sich in ihm vollstreckende Alleinigkeit mit sich selbst. Sie weist nicht in die unaufhebbare Zweiheit von Zu-denken und An-denken zurück, sondern subsumiert das Zudenken vorstellend ins eigene Andenken, läßt das Denken so sich selbst als Andenken vergessen und bringt es zum perfekten, fertigen Vorliegen für sich selbst, zur Zeitlosigkeit, weil Zukunftslosigkeit. Die Ewigkeit heiligen Geheimnisses, wie sie in der treuen Geduld verhoffenden Andenkens gegenwärtig ist, verdeckt hingegen Erinnert sei an die geschichtliche Diskussion, ob die ewigen Wahrheiten aus der bloßen Willkür Gottes her oder ihr (und im Grunde so doch auch: dem metaphysisch verstandenen Gott selbst) zuvor aus seinem Wesen her gelten; in solchem Ansatz der Frage ist das »Verhältnis«, um das es hier geht, gleichwohl »vergessen« (vgl. Leibniz, Discours de Métaphysique, cap. 1 und 2; auch Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Über die Quelle der ewigen Wahrheit, Werke XI, 575–590).

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nicht, sondern eröffnet das Verhältnis, das im besitzenden Wissen ewiger Wahrheiten oder Wahren ewiger Werte entschwindet. Dieses Verhältnis ist selbst die Zeitigung. Das heißt fürs Denken: Es weiß sich gezeitigt, mit sich selbst beschenkt und beladen, und gerade daher, daß es sein darf und sein soll, ist es nie am Ende. Es bleibt sich treu, indem es seiner anfänglichen Gabe und Weise treu, je neu sich vernimmt in sein Nie-zu-Ende-Gedachtsein. Was bleibt, ist gerade dieses Verhältnis, ist die Uraufhebbarkeit des Verdankens und Vernehmens. Solche Unvollendbarkeit des Denkens versteht sich selbst nicht als unstetes Immer-weiter-Getriebensein, sondern nimmt in sich die Unerschöpflichkeit der Gewähr wahr, die das Denken an sich weist und mit sich beschenkt. Für das heilige Geheimnis heißt dieses selbe, heißt seine in der Zeitigung des Denkens offenbare Ewigkeit: Das Geheimnis schlägt nicht dahinein um, selbst gezeitigt, selbst zum Gedachten oder doch Denkbaren des Denkens, zum potentiellen Perfectum zu werden, es »ist« reine Gewähr, reines Gegenwärtigen und Zeitigen, reines Zudenken, im es eröffnenden Geschehen der Zeitigung ihr je vorenthalten und so nur und so gerade in ihr da. Sich zudenkend ist es nie ausgedacht, sich zusagend nie aussagbar, und nur, weil es nie auszudenken ist, ist sein Zu-denken nie am Ende, nur weil nie aussagbar, erschöpft sich auch seine Zusage nie, nur dadurch also, daß es sich dem vernehmenden Gegenübersein des Denkens je auch noch vorenthält, ist es überhaupt als es selbst da – ähnlich wie das erklärte und ins Verstehen aufgearbeitete Du verschwände, wie das Du also nur in der Unerklärlichkeit, eben im Geheimnis seiner selbst, Du und nur als Du (w) Partner des Ich bleibt. Im Falle von Ich und Du freilich ist die Vorenthaltenheit der Partner ins Geheimnis ihrer selbst verschränkt mit der Gegenseitigkeit von Zu-denken und Andenken, die Partner zeitigen sich ineinander hinein, sind voneinander gezeitigt, sie sind sich ewig und zeitlich in einem, besser: sie sind sich nur in der Zeit ewig. Die Ewigkeit des allererst zeitigenden, nie zu zeitigenden Geheimnisses setzt hingegen Zeit gerade nicht voraus,

In der Hinsicht lese man Abschnitte aus dem Stern der Erlösung von Rosenzweig und aus dem Dialogischen Prinzip von Buber: Beide entwickeln den Dialog als notwendige gleichzeitige Präsenz der beiden Pole Ich und Du, und zwar so, dass sich der eine nicht gibt ohne den anderen und dass sie gerade kraft dessen füreinander bestimmend werden (vgl. F. Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, ebd.; M. Buber, Das dialogische Prinzip, ebd.)

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sondern zeitigt sie allererst in die Eindeutigkeit ihres Richtungssinnes, und d. h.: in ihr Wesen. Die das Denken durch die Geschichte hin bedrängende Frage, wie das Unbedingte und Einzige das Andere seiner selbst sein lassen, wie die Möglichkeit seines Anderen als eines Anderen in ihm entspringen und zu ihm gehören könne, ohne daß es selbst dadurch aufhört, das Unbedingte und umfassende Einzige zu sein, erhebt sich darum fürs verdankende Denken nicht mehr. Die Konstruktion des »Anderen« aus dem vom Selbstsein her verstandenen und vom Selbstsein des Denkens insgeheim sich selbst zugesprochenen Geheimnis der Anfänglichkeit aus ist überholt ins dankende Vernehmen, das sein eigenes Andenken dem Zudenken je gegenüber und nur als gegenüber sich eins mit ihm weiß. Denken selbst ist das Gezeitigte seines es stiftenden Ursprungs, ist das als Andenken überholbare Geschehen der Zeitigung, in der das schlechthin Andere des Denkens »geschieht«, sich zudenkt ins Denken und so zugleich sich zurückhält vom Denken. Denken als gezeitigt aus seinem ihm entzogenen und so nur sich ihm eröffnenden Ursprung vermag Zeitigung gerade nicht umgreifend, in sich einbegreifend zu denken. Zeitigung ist nicht ein Begriff, in dem es den zeitigenden Ursprung und sich als Gezeitigtes in eine energetische Identität zusammengriffe und so sich über das in ihr geeinte einend und überblickend emporschwänge. Das als solches offene »Zuvor« ist nur im Hernach diesem da, und das Hernach, welches das Denken ist, trägt sich nicht auf eine im Denken vermochte, von ihm aus ins Zuvor verlängerbare Linie ein, der entlang das Denken also doch sein Zuvor erklimmen und in sich setzen könnte. Sein ganz und gar unselbstverständliches Sein-dürfen und -sollen, sein unbegreiflicher und unerstellbarer Anfang mit sich selbst ist Sich-Empfangen, Empfangen seiner eigenen Anfänglichkeit, Totalität, Universalität und Helle. Diese ist unüberholbar eine je »zweite«, eben empfangene, nur in der alle Antwort übertreffenden Frage und ihrem sich verdankenden Verweis ins rein zeitigende »Zuvor« hinein offen. »Zeitigung« als nur zum Gezeitigten hin und nicht von ihm zurückführend, als es berührend und gewährend, aber nicht von ihm berührbar, als in ihm offenbar und doch nie in solcher Offenheit reproduzierbar ist hier nicht gedacht als Selbstgeschehen der Subjektivität, in dem sie das, was sie setzt, in sich und für sich und so sich selbst ihm voraussetzt. Zeitigung meint hier vielmehr das schlechthin anfängliche Sich-Zugekommensein der Subjektivität als einer solVerdankendes Denken

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chen, das »Wunder«, dem alles Selbstsein als seiner Voraussetzung in sich selbst begegnet: Daß ich bin, daß ich sein soll und darf! Dieses Wunder des sich zugekommenen Selbstseins ist der radikale und konstitutive Fall des Augenblicks, in welchem das Denken innewird: Was ist mir geschehen? Es ist auf einmal alles anders! Solche »vertikale« Zeitigung, deren Andenken das Denken als der Vollzug und die Helle des Selbstseins ist, verwandelt auch die »horizontale« Zeitlichkeit, d. h. jene Zeitlichkeit, in der das Subjekt sich in seine Welt, seine Welt in sich hinein vollbringt: Auch sie hört auf, bloße Anschauungsform des Subjektes, bloßer Schematismus zu sein, der aus der Struktur des Subjektes resultiert, und wird zur Zeit der Augenblicke, in der das Subjekt nicht das Setzende, sondern das unverfügbar Gerufene, Antwortende, Verantwortliche ist 13. Zeitlichkeit ist nun nicht mehr auf die Gleichung dessen, was ist, mit sich selbst, nicht mehr auf die alles umgreifende Identität des Seins mit sich oder Denkens mit sich oder Denkens und Seins miteinander ein- und zurückzutragen. Diese Gleichung selbst, ihre alles, was ist, einbegreifende Geräumigkeit kommt sich zu aus dem Zudenken, dessen Andenken sie dem verdankenden Denken ist. Daß alles ist, was es ist, die Gleichung alles dessen, was ist, mit dem, was es ist und warum es ist, ist selbst irreversibel sich zugewendet, sich gewährt, als unverbrüchlich und »ewig« verweisend auf die ihr entzogene »aktive« Ewigkeit der zeitigenden Gewähr. In dieser Zeitigung ereignet sich das Unterscheidende des Heiligen. Ewige Wahrheit, ewiges Gut, Unbedingtheit: solche Bestimmungen eröffnen die Qualität des Heiligen dem Denken noch nicht, solange sie Resultat der Analyse des Denkens bleiben, das dieses Resultat sich oder sich diesem Resultat einbegreift. Erst wo die Diskontinuität des Denkens mit sich selbst von Anfang an, wo sein sich gewährter Aufstieg aus dem Undenklichen offen und nicht als ein Zusatz zu dem, was Denken ist, sondern als das Wesen des Denkens selbst offen ist, wo Denken also seiner selbst als Andenken innewird, ist Denken an sich selbst betroffen und in der Beschenktheit und Geschuldetheit seiner selbst zugleich dem es schlechthin Unberührbaren gegenüber. Das Denken, das sein Gezeitigtsein erkennt und das sich als gezeitigt verdankend und verhoffend selbst übernimmt, gelangt Vgl. das Zeitverständnis bei Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, B 46–66 / A 30–49 und B 176–187 / A 137–147, und beim jungen Schelling, System des transzendentalen Idealismus, III, 466 ff. und 577 ff.

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vor den Aufgang des Heiligen, dorthin, wo sein undenkliches Woher und Wohin im Denken offen und darum ihm als Denken heilig ist. Seine Zeitigung selbst ist ihm der Aufgang des Heiligen.

4.

Eucharistische Struktur der neuen Zeitlichkeit

Den Aufgang des Heiligen, sein Sich-Zeigen im Denken entfalten heißt die Zeitlichkeit des Denkens, heißt Denken als Andenken seiner eigenen Zeitigung entfalten, mehr noch: andenkend (so aber gerade nicht konstruierend oder reproduzierend) diese seine eigene Zeitigung vollziehen. Und sie vollziehen heißt: aus ihrem dem denkenden Zugriff entzogenen Geschehensein her das Denken verhoffend sich mit sich selbst und darin mit dem Heiligen und darin mit allem beschenken lassen. Dies wiederum heißt: das Denken sich selbst dem Heiligen verdanken lassen und in diesem Verdanken eine neue, gewährte, währende, aber nie ins Fertige abzuschließende Gegenwart gewahren. Der gedenkende Rückblick auf die Züge, welche solche neue Zeitlichkeit dem ihrer achtenden Denken enthüllte, gestattet es, sie – in einer den Charakter des Verdankens bewußt anschärfenden Analogie – »eucharistische« Zeitlichkeit zu nennen, Denken so als die »Eucharistie« des Aufganges des Heiligen zu verstehen. Indem das Denken innewird: Hier ist etwas geschehen, es ist auf einmal alles anders! begeht es in seiner Gegenwart die Gegenwart des seinen Gang ins Verdanken umwendenden Augenblicks, die gedenkend gewahrte Gegenwart des Augenblicks ist seine Gegenwart. In diesem dem Gewahren zuvorkommenden, sich ihm gewährenden Augenblick ist es indessen nicht allein von etwas angeblickt, das ihm auf seinem Weg (x) des Denkens begegnet ist, sondern darin von dem, was diesen Weg allererst in Gang, was ihn also dahin brachte, Weg und Denken, Denken als Weg zu sein. Die Ankunft dieses den Weg des Denkens konstituierenden Ereignisses, seiner sich ihm zudenkenden, nie vom Nachdenken einzuholenden Zeitigung wandelt den Weg

In dem Begriff Weg kommt Hemmerles ganzes Denken zum Ausdruck. Das Konzept einer Philosophie und Theologie auf dem Weg, als Menschen auf dem Weg – den man nicht nur allein geht, sondern vor allem mit anderen – ist ein Schlüssel zum Verständnis der Schriften Hemmerles. Er signalisiert und unterstreicht das Bedürfnis einer Bewegung, die die Realität nicht in fixe Raster einordnet.

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des Denkens, macht ihn als solchen sich gegenwärtig. Sie macht in ihm zugleich die sich und ihn gewährende und in solcher Gewähr jeweils nochmals verborgene Huld der freien Anfänglichkeit gegenwärtig, der das Denken sich verdankt, das unberührbar berührende Geheimnis, kraft dessen das Denken denken darf und soll. Und schließlich macht diese Ankunft des heiligen Geheimnisses im Andenken alles, was auf dem Weg des Denken begegnet, alles, was ist, neu gegenwärtig: als Geschenk des Geheimnisses, als Zeichen seines von diesem Zeichen ebenso bedeuteten wie es überschreitenden, in ihm gegenwärtigen wie es überwaltendem, sich selbst schenkenden Schenkens. Indem der Augenblick der Anfänglichkeit sich ins gedenkende Denken hinein wiederholt und bei ihm ankommt, hört aber der Weg des Denkens gerade nicht auf, Weg zu sein, er geht kraft seines Beschenktseins verhoffend weiter. Der Aufgang des heiligen Geheimnisses ist seine eigene Verheißung, seine eigene, durchs Denken nie abzulösende Künftigkeit. Die Gemeinschaft des Denkens mit dem unerdenklichen Geheimnis ist Gegenwart: Gegenwart von seiten des Geheimnisses, weil dieses sich dem Denken zugedacht und sein Zudenken selbst ihm ins Offene zugedacht und darin sich als das Bleibende, im Bleiben aber seine Künftigkeit ihm zugedacht hat; Gegenwart von seiten des Denkens, weil dieses gedenkend sein gegenwärtiges Geschehen dem ihm Entzogenen einräumt und zuwendet, bezeugend und verkündend es in seine Gegenwart vollbringt. Solches Bezeugen und Verkünden aber unterscheidet sich vom Feststellen und Behaupten dadurch, daß nicht das Denken das Verkündete vermag und bemächtigt und es somit ins bloße Gewesensein wegdrängt, sondern daß umgekehrt das Bezeugte und Verkündete selbst das Denken übermächtigt, sein gegenwärtiges Geschehen über sich hinaus ins unabsehbar Künftige hinein überholt. Das Verkündete ist mächtiger als das bezeugende Verkünden, ihm voraus und über es hinaus und so gerade, aus seinem Zuvorsein und seiner Künftigkeit, in ihm gegenwärtig. Das verdankende Denken verkündet solchermaßen das heilige Geheimnis, ist seine Gegenwart und damit Gegenwart des ihm Entzogenen, es Übertreffenden – nicht auf die Weise beschwörender, also bemächtigender Magie, sondern im Wahren der Entzogenheit, im Übermächtigtsein von seinem Zuvorkommen und so zugleich im Verhoffen seiner unerschöpften Künftigkeit. Indem das Denken sich überfragend sich losläßt, ist es »Opfer«, 114

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Weggabe verfügend vermochter Gegenwart und ihrer Zeitlichkeit. In diesem »Opfer« begibt sich ihm die Zuwendung der neuen Zeitlichkeit, der es umwendende Augenblick beschenkt es mit der anfänglich es zeitigenden Gewähr, bringt es in die Gemeinschaft mit ihr. Die Gemeinschaft mit dem in ihr ebenso offenen wie je ausständigen Geheimnis seiner Anfänglichkeit zeitigt zugleich die horizontal neue Zeitlichkeit, in welcher das Denken des Augenblicks je gewärtig das, was ist, nicht mehr als überblickbaren Bestand, sondern als Raum des Gespräches, des Gemeint- und Gerufenseins, der Antwort und Verantwortung erfährt; Denken spielt im Zu- und Andenken, wird selbst Gemeinschaft, Mitdenken (y), »Mahl«. Denken als Eucharistie des Aufganges des Heiligen ist Voraussetzung fürs Verständnis der christlichen Eucharistie, Voraussetzung aber, aus der, gemäß der hier wie dort waltenden Zeitlichkeit, die Folge gerade nicht abgeleitet werden kann.

IV. Der Unterschied des Heiligen 1.

Das Heilige und das Sein

Wenn das Denken von der Frage an sich selbst begleitet werden können muß, damit es sich helles Denken sei, so ist nochmals eine grundsätzliche Frage zu stellen angesichts des Augenblickes, in dem das anfängliche Beschenktsein des Denkens mit sich selbst in den Vollzug des Denkens eingebrochen ist. Dieser Augenblick hat sich dem Denken selbst in eine Frage hinein artikuliert: Was ist geschehen? Es ist auf einmal alles anders! Und nun die Frage, die an diese Frage zu stellen bleibt: Ist sie in der Tat nicht anders als auf den Aufgang des heiligen Geheimnisses hin zu verstehen? Ist dieser Aufgang das von ihr, wenn nicht zwingend, so doch eindeutig Bezeugte? Das mitdenken spielt in dieselbe Kategorie wie das Mitsein, das wir bei Welte finden, von dem Hemmerle es entliehen hat. Es weist auf das Bedürfnis, dass das Denken nicht bei sich stehen bleibt, sondern immer in den Dialog mit anderen eintritt, seien dies lebendige Personen, mit denen man direkt zu tun haben kann, oder aber auch Denker, von denen die Rede ist oder die durch eine Publikation präsent sind. Diesbezüglich findet man Andeutungen in einem Vortrag, den Hemmerle Welte widmet und der in dieser Textsammlung präsent ist: vgl. »Weite des Denken im Glauben – Weite des Glaubens im Denken«.

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Genau besehen, sind es zwei Wege, die sich dem Denken in seiner betroffenen Frage: »Was ist geschehen?« eröffnen, sofern es sich nicht aus dem alles wandelnden und doch nichts bestandhaft verändernden Augenblick in den alten Gang überschauenden Folgerns und Sicherns zurückzieht. Die Frage: Was ist geschehen? verbietet eine bescheidwissende Antwort, sie schließt sich nicht in einer endlichen Auskunft; denn das Geschehene, das in dem die Frage entbindenden Augenblick Eintreffende ist nicht Etwas, sondern das nicht mehr gegenständlich oder abstrahierend fixierbare Ereignis der dem Denken sein Denken allererst zudenkenden Gewähr. Die Frage: Was ist geschehen? ist Frage der Betroffenheit des Denkens. Diesem bleibt indessen in der Verwandlung seines Fassens durchs fassungslose Staunen hindurch zum Verdanken, in der neuen Eindeutigkeit seines verdankenden Vollzuges gleichwohl der Spielraum zweier entgegengesetzter, allerdings je miteinander verschränkter Möglichkeiten. Die Betroffenheit des Denkens vermag das Denken ins Andersgewordensein hinein oder übers andersgewordene Alles hinaus dem es Betreffenden zuzuwenden. Verdanken kann als Staunen, Staunen kann als Verdanken geschehen. Im ersten Falle wächst aus dem Denken und als das Denken die Besinnung, im zweiten der Ruf, die Anrede. Die Besinnung artikuliert die Erfahrung des Seins, die Anrede hingegen unmittelbar die Erfahrung des Heiligen – beide Erfahrungen sind Erfahrungen des Denkens und aufeinander bezogen, füreinander durchlässig. Das so erst verkürzt Vorgezeichnete soll nun sich entfalten, an sich selbst zum Vorschein kommen: Daß etwas und nicht nur etwas, sondern das alles Etwas Übersteigende geschehen und daß so alles anders geworden ist, tritt in den Blick des Denkens und reißt ihm zwei Differenzen auf. Einmal ist es die Differenz des Seins zum Seienden: Am Seienden, an seinem Bestand und den ihn bemeisternden Kategorien des Denkens hat sich nichts verändert, und doch ist alles auf eine neue Weise das, was es ist, heißt und wiegt das »ist« etwas anderes als zuvor. Dieses Heißen und Wiegen, die Stimmung und der Sinn, die dieses »ist« durchwalten, schließen sich aber nicht in einem einzelnen oder auch in allem »ist« – alles, von dem das »ist« ausgesagt werden kann, ist im Ganzen diesem Sinn und dieser Stimmung inne und erschöpft sie doch nicht. Das in seinen neuen Sinn und seine neue Stim116

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mung gezeitigte Sein wird so als Sein, wird in seiner Differenz zum Seienden allererst offenbar. Darin zugleich aber wird das Sein offenbar als je »geschichtlich«. Indem das »ist« jetzt anders klingt als zuvor, bricht in solch neuem Klang nicht nur das Sein überhaupt auf, es bricht auch der Unterschied seines neuen Klanges zu dem verklungenen, es bricht die Geschichtlichkeit der Weisen auf, in denen das Sein sich gibt 14. Sein ist im Seienden offenbar und entzogen, offenbar und entzogen aber auch in der vom Sein selbst gewährten Weise seines Sich-Zeigens. Vom Denken her gesagt: Es ist nicht denkbar, alle Gedanken, die denkbar sind, auszudenken, und dies nicht um der quantitativen Unmöglichkeit solchen Ausdenkens willen, sondern deswegen, weil mit solchem Ausdenken nur eine Weise des Denkens vollbracht, weil der im Denken dieses ermächtigende Anspruch so auf nur eine Weise vernommen wäre; und gerade darin bestätigt sich, daß er vom Denken unbeschadet seiner Universalität und Totalität nur auf je eine Weise vernommen werden kann. Die Bestimmtheit, mit der sich und die in sich das Denken übernimmt, indem es sich mit sich beschenkt und beladen findet, bestimmt das Denken als solches und im Ganzen, bestimmt es aber in seine je geschichtliche Weise hinein. Eine Summierung dieser geschichtlichen Grundbestimmungen des Denkens zu einem Gesamt ist nicht möglich; denn sie löste sich ab von der stimmend sich zudenkenden Mächtigkeit des Seins, vom es ins Denken zeitigenden Ereignis. Gleichwohl durchstimmt die geschichtliche Grundstimmung des Seins und Denkens je alles und läßt in sich selbst sogar die anderen universalen Grundstimmungen des Seins erscheinen; die Gegenwart ihrer Vielfalt ist gleichwohl Gegenwart in dieser einen Gestimmtheit, selbst geschichtliche, nicht zeitlose Geschichtlichkeit. Das Sein selbst ist, weil in seinen das Denken je bestimmenden Sinn hinein gezeitigt, nie ins bloße Da zu bringen, je im Da zugleich verborgen und ausständig. Die Differenz des Seins zum Seienden enthüllt in sich selbst zugleich die Differenz der geschichtlichen Grundweisen des Seins. Das anfängliche und durchgängige Gezeitigtsein des Denkens und des Seins ins Denken ist im Denken je nur da in der selbst gezeitigten Weise, in der das Denken sich und alles und das Es sei hier an Martin Heideggers fundamentalen Gedanken der »Seinsgeschichte« erinnert. Vgl. besonders M. Heidegger, Nietzsche, Bd. II, Pfullingen 1961; dazu O. Pöggeler, Der Denkweg Martin Heideggers, Pfullingen 1963, 100–142.

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Sein selbst übernimmt; der anfängliche Augenblick, der das Denken mit sich belehnt, blickt das Denken nicht anders als in dem je geschichtlichen Augenblick an, der es zu je diesem, zu je solchem Denken macht. Nur als »dieses«, nur als »solches« Denken ist es Denken, gerade als geschichtliches Denken, in der verdankenden und im Verdanken sich bescheidenden Übernahme seiner selbst also, tritt es in seinen wesenhaften Rang, ist es wahrhaft Denken. Sein ist beim Denken da als die unverfügbare, sich in ihre je eine Grundstimmung zeitigende Vielfalt und so als die uneinholbare Entzogenheit seiner selbst, es ist da als die Unselbstverständlichkeit seines Daseins beim Denken, in welcher es dieses ins Staunen, in die fragende Besinnung, in die Philosophie ruft. Vielfalt, die sich nicht summieren läßt, die je nur eine Weise ihrer selbst entfaltet und in diese eine Weise doch auch je sich selbst einbringt, ist Dasein und Entzug der Einheit in einem. Wird diese Einheit des Seins als »Prinzip« gedacht, im Denken gesetzt oder doch vorausgesetzt und in seine Entfaltung hinein abgeleitet, so ist das aus dem Augenblick der Betroffenheit Vernommene wiederum subsumiert unter das vorstellende, bemächtigende Denken: Sein als die sich und in sich ihre Alleinigkeit vollziehende Subjektivität. Wird diese Einheit des Seins in der Vielfalt seiner Zueignung an sich selbst freigegeben, bleibt sie das Verdankte des Denkens, so erinnert sie hingegen in sich, im Sein selbst, das Gespräch. Das Gespräch (z) ist eines nicht als deduzierbar aus einem Prinzip, sondern eins, indem es sich begibt, es begibt sich nur in der je unversehenen Wendung seiner selbst, sie begibt sich aus dem freien Zueinander von Wort und Antwort, von Partner und Partner. Die Einheit des Gesprächs wächst aus den Partnern und ist doch über ihnen, sie führt das Gespräch, indem sie es miteinander führen, sie müssen diese Einheit einander schenken, und doch schenkt sie darin zuvor und zuhöchst ihnen sich selbst und ihr Miteinander, sie ist da nur, indem sie nicht »fertig« ist, ihnen inständig und ausständig zugleich: Sein die Einheit des Gesprächs, welches das Denken, seiner Zeitigung inne, selber ist. Das Thema des Gesprächs im Bezug auf das Heilige und als Ort der BegegnungBeziehung zwischen den Menschen und dem Heiligen findet man im Beitrag von Bernhard Casper in der Buchausgabe, wo selbst Das Heilige und das Denken Klaus Hemmerles zum ersten Mal erschien (B. Casper, Seit ein Gespräch wir sind, ebd., 80– 123); insbesondere entwickelt Casper die Aspekte und Implikationen des Gesprächs im Licht der Erfahrung des Heiligen als des Gewährenden des Gesprächs.

(z)

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Ist das Denken also Gespräch, das sich in und aus der Einheit des Seins vollbringt und so diese selbst vollbringt, so geschieht es auf doppelter Ebene: einmal ist es das Gespräch, welches die verschiedenen Grundweisen, wie das Sein sich geschichtlich – epochal verschieden zeitigt, miteinander, miteinander aber je nur in einer dieser Grundweisen führen; zum anderen das Gespräch, das aus einer gemeinsamen und doch je eigenen und einmaligen Betroffenheit vom Selben die Denkenden einer Epoche führen und als das sich diese Epoche selbst heraufführt. Doch nicht ums Miteinander der Epochen oder der Epoche des Denkens ist es an dieser Stelle der Überlegung zu tun, sondern um den Unterschied zwischen der Einheit eines sich entwickelnden und alles in sich befassenden Prinzips von Sein oder Geist und der Einheit des Seins, wie sie im Modell des Gespräches aufscheint: Einheit eines aus der Zeitigung schlechthin sich öffnenden und nur in selbst je gezeitigter Übernahme währenden Zusammenhanges, der nicht mehr verfügbar und vorstellbar, der nicht mehr auszudenken ist, sondern nur der andenkenden Treue sich zudenkt, die sich in ihm und d. h. im Wunder seines unselbstverständlichen Gewährtseins hält. Sein als der alles ins Gespräch greifende und in ihm je neu sich bildende, in solchem Wandel gleichwohl nicht von den Partnern des Gespräches gemachte, sondern ihnen, auf sie zu, sich eröffnende Horizont: dies ist die Landschaft, der gezeitigte, selbst zeithafte Raum, in den der Augenblick, der alles anders werden läßt, den Vollzug des Denkens führt. Doch: ist dies der einzige Weg, den der alles verwandelnde Augenblick dem Denken eröffnet? Alles ist auf einmal anders, was ist geschehen? Diese Frage läßt nicht nur die Besinnung zu, die im verweilenden Hinblick fragend sich in die neue Landschaft hineinwendet, als die das Sein sich ihr auftat. Gewiß, solche Hinwendung zum Eröffneten und Gewährten, zur Gabe und ihrer Unselbstverständlichkeit ist Dank, den so das Denken und als den so das Denken sich selbst abstattet. Doch nicht nur in sich und sein Gewährtsein hinein ruft die Gabe; ihre Zeitigung, ihr Ereignis rufen zugleich über sich hinaus. Die Frage: Was ist geschehen? hat beide Richtungen: die Richtung hinein in das in solchem Geschehen anders Gewordene, in die neue Stimmung und den neuen Sinn des Seins und so in dieses selbst; und die Richtung von sich selbst und vom Geschehenen hinweg ins »Nirgends«, aus dem sein Geschehen betreffend sich zukommt, in dem es keinen Aufenthalt mehr gibt, zu dem nicht mehr besinnendes Verdankendes Denken

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Verweilen führt, sondern das nur noch verweisende Sich-Ereignen des Denkens im sich loslassenden, anredenden Ruf. Was ist mir geschehen? klingt nun wie das: »Großes tat an mir der Mächtige!« oder, als Abbruch allen Klanges, wie der wortlose Schrecken im Erscheinen des Engels (vgl. Lk 1, 49 und etwa Mt 28, 4.). Das Denken wird inne, im betreffenden Stoß des Geschehens, in welchem es sich selbst geschieht, gemeint zu sein, und dieses Gemeintsein, seine Direktheit rufen es in den selbst direkten, positiv über sich hinausreichenden Vollzug von Ruf und Anrede. Hier bricht die zweite Differenz auf, die in der Situation der Frage: Was ist mir geschehen? beschlossen liegt: die Differenz des Heiligen. Das Geschehen der Zeitigung zeitigt das Denken, spricht zu ihm: Sei! Denke! Das Denken soll und darf denken. Indem es sich gezeitigt, sich gegeben ist, ist das Sein selbst ihm gezeitigt und eröffnet, sein alles Durchstimmendes, sich zugleich lichtendes und verbergendes Walten. Wie sollte es solcher Zeitigung anders danken, wie anders ihr entsprechen als dadurch, daß es sich und in sich das Sein vollzieht, daß es in Besinnung und Frage dem innebleibt und mit dem mitgeht, was sich ihm wies? Besinnung ist das Denken, das sich auf die Weise des Denkens verdankt. Doch der Dank blickt nicht nur auf seine Gabe, verdankt sich nicht nur in der Freude an ihr, er legt die Gabe zugleich hinweg und blickt ins Antlitz des Gebers, wendet sich in die Richtung der Gewähr. Es gibt also auch einen Dank des Denkens, der denkend das Nichtmehr-Denken vollzieht. Denn in dem zeitigenden Stoß und Ruf des: Sei! Denke! geschieht nicht nur der Stoß und Ruf ins Sein und Denken, es geschieht darin zugleich die meinende Anrede, die durchs Vollziehen von Sein und Denken nicht erschöpft und beantwortet wird. Geheiß und Geschenk tragen solche Zweiheit wesenhaft in sich selbst, eine den Geheißenen oder Beschenkten in seinen gesollten oder gedurften Gang bringende Richtung auf ihn zu über ihn hinaus, und eine zweite Richtung auf ihn zu genau bis zu ihm hin, ein: Du!, das sich nicht mehr im heißenden und lassenden: Geh! erschöpft, sondern den angestoßenen Vollzug umkehrt, von sich weg wendet in die Unmittelbarkeit zum Anredenden; Richtung, die nicht ins Geh!, sondern ins: Komm! mündet. Beide Richtungen gehören zusammen: Das bloß ins »Komm!« rufende Meinen des Andern, das ihn »nicht gehen« läßt, nicht sich selbst überläßt, müßte ihn vernichten, höbe sein Kommen selbst auf, ein bloßes Ihn-Lassen, ein »Geh!« müßte 120

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ihn verlassen in die Fremde der Einsamkeit. Das Denken, das betroffen gewahrt: Was ist mir geschehen? und so sich selbst als sich geschehen bewahrt, ist gerufen ins »Geh!«, in den denkenden Vollzug seiner selbst; doch die Betroffenheit des Vollzuges von seiner ihn zeitigenden Zuweisung, seine ihn ermächtigende und zugleich ihn bescheidende Herkünftigkeit, die sich in seinem Dürfen und Sollen ihm bekundet, sind dem Denken der Ruf ins »Komm!«, d. h. in die das Denken und Sein loslassende reine Rückwendung, in den Vollzug der lauteren Aufgabe über sich hinaus, ins antwortende Meinen. Das Lassen, von dem hier die Rede ist, unterscheidet sich von der früher bemerkten Qualität lassenden Denkens nochmals: lassendes Denken war ein zu-lassendes, sich dem Zukommenden überlassendes, einräumendes Denken. Diese Bewegung wird jetzt gesteigert in ihre Radikalität und Positivität: Denken läßt sich, heißt jetzt: es gibt sich über sich hinaus, von sich weg, in die Richtung, aus der es zu sich und in die es selbst so gerufen ist. Enthüllt sich hier indessen, in Ruf und Anrede herüber und hinüber, das Heilige nicht als dasselbe wie das Sein, als Einheit des Gespräches? Und doch, dies spricht gegen solche Gleichsetzung, tritt Gespräch in wesentlich anderer Stellung in den Blick als zuvor, im Falle des sich in seine Vielfalt im Denken gebenden Seins: Dort spiegelte die zeithafte Geräumigkeit, die sich ereignende, nicht zu konstruierende Einheit der Partner im Gespräch die Einheit des Seins in der Vielfalt seiner je geschichtlichen Weisen. Hier ist es, als schmelze die einende Geräumigkeit des Gespräches hinweg in die bloße Polarität (aa) In der Polarität, auf die sich Hemmerle bezieht, könnte man einen Widerhall Guardinis spüren: Guardini hat in Der Gegensatz einen Diskurs über dieses Konzept entfaltet. Grundlegend ist die Unterscheidung, die er zwischen Gegensätzen und Widersprüchen macht, wo erstere auf eine Realität mit einer positiven Spannung untereinander hinweisen, und zwar so, dass das Schwinden eines Gegensatzes dazu führt, dass auch der andere Pol seinen Sinn verliert. Die Widersprüche hingegen sind so beschaffen, dass man zwischen dem einem und dem anderen wählen muss. Die Reflexion bewegt sich von der existenziellen menschlichen Ebene, also von der konkreten Situation, die wir im Leben vorfinden, um dahin zu gelangen, die Gegensätze herauszufinden, die sie charakterisieren. Guardini findet acht Paare, deren Begriffe immer füreinander stehen. Die Polarität Hemmerles bewegt sich auf einer ähnlichen Achse wie die Gegensätze Guardinis, das heißt auf Gegensätzen, die einander brauchen und implizieren. Inwieweit Hemmerle den Text Guardinis präsent hatte, ist nicht klar, zumal er selten direkt Bezug auf Autoren oder Strömungen des Denkens nimmt, mit denen er im Dialog steht (vgl. R. Guardini, Der Gegensatz. Versuche zu einer Philosophie des Lebendig-Konkreten, Grünewald, Mainz 52019).

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des Rufes, der meinend betrifft und anzieht, der das Denken ins Gegenüber und darin gerade über sich hinaus, von sich wegruft. Die Räumlichkeit, die von solcher zeitigenden Bewegung eröffnet wird, ist im Vollzug vergessen. Hier ist das Denken sich nur treu, indem es sein Gegenteil tut, indem es vergißt: alles vergißt außer seinem Gemeintsein, außer dem Polarisiertsein aufs rufende Geheimnis hin. Und noch der Ausdruck dieses »Polarisiertseins« ist zu »räumlich« für die reine Intensität des Gegenüber, in welchem das rufende Geheimnis sich hält, indem es zu sich ruft, für das Zugleich seiner Unberührtheit mit seinem betreffenden Anziehen, für die letzte Bedrohtheit und erst Gewährtheit, die im Innewerden des anfänglichen Gemeintseins das Denken angehen. In solchem Angegangensein schmilzt dem Denken nicht nur die Geräumigkeit des Seins, das Denken selbst als die ihm selbige Geräumigkeit schmilzt hinweg ins Nirgends, in den unfaßlichen Abgrund des »Ich selbst« – dieses ist in solcher Stellung freilich das Gegenteil sowohl des transzendentalen Ego als auch einer beziehungslos vereinzelten Innerlichkeit, vielmehr: das gemeinte angeredete Du des anredenden, meinenden Heiligen. »Das Denken« kann die Erfahrung des Heiligen nicht machen, sosehr sie Erfahrung des Denkens ist; das Denken wird zum je meinigen, zum Vollzug der Hingabe des in ihr allein »an sich« zur »Gegebenheit« kommenden Selbst. Hier erst erreicht die Betroffenheit des Denkens sich selbst, die in der Frage: Was ist mirgeschehen? aufbrach. Das Denken, das sich widerfährt, gerinnt in solchem Dativ zum – nicht vereinzelten, aber einmaligen – Selbstsein. Die Aussage, die Zeitigung des Denkens als solche sei ihm der Aufgang des Heiligen, differenziert sich also: Die Zeitigung des Denkens, auf daß es denke, sich übernehme, ist der Aufgang des Seins, der dem Denken gezeitigten und je neu sich zeitigenden Be-Stimmung des Seins und im Sein. Die Zeitigung des Denkens, auf daß es sich lasse, sich lassend sein in seiner Zeitigung impliziertes Gemeintsein beantworte, das im Stoß ins Sein es aus ihm in seine Unselbstverständlichkeit zurückziehende Implikat seines Gemeintseins selbst, sein Werden zum Ich selbst in der geforderten Aufgabe des Ich selbst: dies ist dem Denken der Aufgang des Heiligen. Wie aber verhalten sich in derselben Zeitigung des Denkens der Aufgang des Seins und der Aufgang des Heiligen zueinander? Indem das Denken sein soll und darf (Sein soll und darf), schwingt in seiner Besinnung insgeheim das es Meinende, sein Ruf. 122

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Die das Gemeintsein beantwortende, aufgreifende Anrede verbirgt sich, wie schon früher gezeigt, in die Gestalt der Frage. Die Offenheit des Seins fürs Heilige macht aber das Heilige gerade nicht zu einem aus dem Sein Errechenbaren oder Sicherbaren. Das Heilige ist nicht die Vergegenständlichung des im Staunen gewahrten Woher der zeitigenden Gewähr des Denkens, nicht das Weiterreden des Denkens, wo es verstummt. Was ist dieses Woher, was ist diese Gewähr? Auf solche Frage gibt die selbst fragende, im Sein inständige Besinnung gerade keine Auskunft. Sie zieht sich nicht ratlos zurück, sie weiß um die Ungemäßheit aller nur gedachten Antworten, weiß als sich verdankende um den Verweischarakter ihres Verstummens, weiß aber auch, daß dieses Verstummen nur dann in den Ruf und in seine zu allem Fassen und Besinnen andere Weise des Sagens aufbricht, wenn sie ihren Vollzug ins äußerste Sich-Lassen und somit in eine andere Richtung gibt. Umgekehrt ist aber auch der sich in den Ruf gebende Abstoß des Denkens von sich selbst, seine zur getanen, nicht mehr aussagenden Antwort sich lassende Betroffenheit, seine Auslieferung an das es meinende Geheimnis, seine Kontraktion zum Ich-selbst in der Selbsthingabe ein Vollzug des Denkens, ja dieser Abstoß ist das Denken selbst, indem es sich preisgibt. Was ist mir geschehen! birgt hier die Frage in den Ruf, in die Anrede. Das Komm impliziert das Geh, die Erfahrung des Heiligen die in ihr und ihrer Intensität wegschmelzende Erfahrung der Geräumigkeit des Seins. Ohne die Bewegung des gewährenden Freigebens, die das Denken sein und dem Denken das Sein läßt, könnte das Denken ja gar nicht an sich selbst gemeint und gerufen sein, nur auf dem Weg seines Seins und Denkens begegnet ihm und betrifft es die im Sein und Denken verborgene Anrede. Folgt es ihr, so läßt es diesen seinen Weg des Sich-Vollziehens und Sich-Gehörens, und doch ist der Ruf, der das Denken meint, und der Ruf, zu dem das Denken wird, eingefärbt in den Klang und in die Stimmung des Seins, seiner Gestalt nach geprägt aus der geschichtlichen Weise, wie das Sein sich dem Denken und wie das Sein das Denken sich selbst überläßt. Jede Gestalt der Erfahrung des Heiligen ist Gestalt im Sein und in seinem je geschichtlichen Horizont. Die Erfahrung des Heiligen kennt kein reines, zeitloses An-sich, sondern je nur die Konkretheit, in der sie sich vom Heiligen ereilt und gemeint findet. Daß gerade ich, ich gerade so, hier und jetzt gemeint und gerufen bin, ist das Unselbstverständliche, dem heiligen GeheimVerdankendes Denken

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nis Inkommensurable; doch geht das Geheimnis erst in solcher Inkommensurabilität als heilig auf. Unter der Anrede vom Heiligen her läßt der Betroffene sein Ich, Hier und Jetzt, läßt er Sein und Denken im Ganzen, wendet sich von ihnen weg – und trägt sie so gerade in seine Antwort, in seine Erfahrung des Heiligen. Der Erfahrung des Heiligen eignet so eine Weise der »Seinsvergessenheit«, die der anderen Seinsvergessenheit, der des bloß verfügenden und fassenden Umgangs mit dem Seienden und den formalen Abläufen des Denkens, genau entgegengesetzt ist. Das Sein wird in der Erfahrung des Heiligen vollzogen, aber es wird nicht als solches thematisch. Auch in Epochen des Denkens, die das Sein als solches in die Gestalten des vorstellend-fassenden Umgangs mit dem Seienden hinein vergessen haben, ist daher der Vollzug der Erfahrung des Heiligen nicht notwendig abgeschnitten. Seine Gestalt teilt alsdann zwar die der epochalen Seinsvergessenheit, verstellt zumeist gar das Heilige als solches in deren Medien – und doch vermag das Heilige auch in solcher Inkommensurabilität noch sich rein und mächtig, als unberührbar berührend dem Vollzug und im Vollzug zu bezeugen.

2.

Das Heilige und die Transzendentalien (ab)

Die Verschiedenheit und Verbundenheit des Heiligen und des Seins zeigt sich in der ihre Pole gleichwohl ineinander implizierenden Differenz der sein-lassenden und der meinend-anredenden, zu sich rufenden Komponente im einen Geschehen der Zeitigung. Das Verhältnis des sich verschränkenden Zugleich von Verschiedenheit und Verbundenheit erinnert an das verwandte Verhältnis zwischen dem Sein und seinen mit ihm identischen und dennoch nicht aus ihm ableitbaren ersten »Antlitzen«, als welche zumal die scholastische Philosophie die transzendentalen Bestimmungen (res, unum, aliud, verum, bonum – hinzuzufügen wäre das bezeichnenderweise erst im geschichtlichen Nachtrag ausdrücklich hinzugenom-

Die Transzendentalien bilden eine klassische philosophische Kategorie: Das Thema entsteht im 13. Jahrhundert mit einer großen Arbeit Thomas von Aquins, der sie als die Charakteristiken definiert, die die Entität als solche übersteigen – von daher Transzendentalien – die Prädikate, die sich so auf jede Entität beziehen. Es gibt vier Transzendentalien: das Eine, das Wahre, das Gute und das Schöne.

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mene – pulchrum, in dem das Sein als das Betreffende, Staunenlassende, in diesem Sinne sich Ereignende hervortritt) 15 verstand. Sie sind Landschaften, die eine jede den ganzen Raum dessen einnehmen, was ist und sein kann, doch jeweils so, daß dieses Viele, das ist, in je verschiedener Färbung, in je anderem Licht begegnet. Jedes möglicherweise Begegnende steht in dem jeweils besonderen und doch alles durchflutenden, sich allem mitteilenden Licht, und zugleich steht alles und jedes in Differenz zu diesem Licht selbst, und in seiner Strahlung im ganzen eröffnet und verbirgt sich nochmals zugleich das alles und sein eigenes Strahlen durchstimmende und in solcher Stimmung gewährende Woher dieses Strahlens. Die Transzendentalien sind ihrem Raum nach deckungsgleich; was sie zur je verschiedenen Landschaft macht, ist die je andere Weise des je denselben und so doch nie gleichen Raum eröffnenden, sein-lassenden Anfangs. Als erste Antlitze und Strahlungen des Seins bieten sie sich dar. Am Beispiel des unum gezeigt: Alles, was ist, ist dadurch, daß und wie es ist, auf seine eigene Weise selber eins, in diesem es besondernden und an sich selbst gewährenden Einssein verschwistert mit allem, und doch ist keines und ist alles zusammen nicht jenes Eine, was mit dem anfänglichen Namen des Einen gemeint ist; dieses anfängliche Eine ist im einend-besondernden Walten des Seins bekundet und entzogen und nochmals bekundet und entzogen darin, daß es als Eines überhaupt genannt ist. Was so vom Namen des Einen gilt, das gilt von den anderen ersten Namen je in sich selbst und gilt nochmals vom Verhältnis dieses Namens des Einen zu jenen anderen Namen, deren jeder ein einer und ein an sich selbst dem Namen des Einen entzogener und in ihm nicht enthaltener Name ist. Die Transzendentalien sind unter sich je vertauschbar und unersetzbar in einem. Und nun eben die Frage: Zählt das Heilige unter die transzendentalen Bestimmungen? Läßt sich der Satz formulieren: Omne ens est sanctum? Die Frage, wie das Heilige sich zum Sein verhalte, stellt sich aufs neue und am Ende noch schärfer in dieser Frage, ob das Heilige eine transzendentale Bestimmung sei. Bedachtem Zusehen weist indessen das Heilige sich als Gegenteil, als Umkehrung der transcendentalia. Vgl. Thomas von Aquin, Quaestiones disputatae de veritate, q. 1 a. 1 c. a., sowie De natura generis, cap. 2.

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Wieso? Sosehr die transzendentalen Bestimmungen die unaufholbare Differenz ihrer wesenhaften Höhe zu dem Grad ihrer Realisierung in einem jeden Seienden offenbaren, sosehr sie also an sich selbst in jenes Geheimnis weisen, das über allem verfügenden Vorstellen draußen liegt, so deutlich ist ihr Blick doch dem Seienden zugewandt. Indem das Seiende ist, indem das Denken sich vollzieht, gehen sie auf. Dem Vollzug zwar zuvorkommend und ihn überholend, haben sie dennoch in diesem Vollzug ihre Stätte. Sie sind, obschon unendlich das Seiende übertreffend, jenes, was das Seiende ist. Das Seiende ist ihre Epiphanie, sie sind die umfassend gewährende Wesenhaftigkeit des Seins fürs Seiende. Kann man, von diesem ihrem Übertreffen her gesehen, auch das Gegenteil der Transzendentalität aussagen: Kein Seiendes ist wahr, gut oder schön, so trifft dies doch nur zu in dem Sinn und Maß, als auch kein Seiendes seiend ist. Sofern Seiendes ist, sofern ist es auch z. B. eins, wahr, gut. Die Differenz des Seienden zum Sein ist die Differenz des Wahren zur Wahrheit, des Guten zur Gutheit usf. Die Geschichtlichkeit des Seins im ganzen wiederholt und vollbringt sich in der Geschichtlichkeit dieser transzendentalen Grundbestimmungen selbst. Indem Sein im ganzen anders wird, wandelt sich auch der Sinn von Realität, Einheit, Unterschiedenheit, Wahrheit, Gutheit und Schönheit. Ändert sich indessen nicht auch zugleich der Sinn des Heiligen? Gewiß. Und doch ist die Differenz des Seienden zum Sein nicht mit jener des Seienden zum Heiligen identisch. Der Satz: Kein Seiendes ist heilig! hat einen qualitativ anderen Sinn als der Satz: Kein Seiendes ist gut oder wahr oder seiend. Die transzendentalen Wesenszüge des Seins verwahren das Seiende im Sein, sichern es, seine Gegenwart in ihm, so unabdingbar sie an sich selbst in ihm auch verborgen, in Differenz zu ihm sind. Sie sind Züge des Seins aufs Seiende zu in den Vollzug seines Seins hinein – auch von den phänomenal gesprochen: »Nächsten« unter ihnen zum Heiligen, vom Schönen und vom »aliud quid« gilt dies –, sie kommen am Seienden, indem und sofern es ist, zum Vorschein. Das Denken wendet sich in sein Eigenes, indem es sich den Transzendentalien zuwendet. Es verläßt sein Eigenes, sich selbst hingegen in der Betroffenheit des Gemeint- und Gerufenseins. Es ist gemeint und gerufen, freilich indem es ins Sein und in seine umgreifenden Wesentlichkeiten gerufen ist, doch dieses »indem«, dieses Weilen im Sein und in ihnen sinkt gerade zurück hinter seine Rückwendung ins 126

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Geheimnis. Das Seiende kann nur »heilig« heißen, sofern es vom Aufgang des Heiligen ergriffen, sein Denk-Mal, Stätte des Ereignisses wurde, das sich an ihm über ihm begab. Alles Seiende gar, Sein selbst, könnte heilig heißen nur so, daß sie das von sich weisende Mal der Erinnerung ihrer Gewähr würden, daß sie das Geopferte, Dargebrachte und so neu Gewährte einer alles eingreifenden und vollziehenden Hingabe, eines »Todes« wären, der alles, was ist, verläßt und so alles zugleich verdankend weiht und anheimgibt der rufenden Huld heiliger Anfänglichkeit. Es bestätigt sich: Das Heilige ist die Dimension des »Zurück!«. Es ist die Umkehr des Seins und seiner transzendentalen Bestimmungen in das im Sein-lassen Meinende und Rufende und nur in diesem Meinen und Rufen sein-lassende Geheimnis. Das in seinem Unterschied zum Sein und seinen transzendentalen Grundweisen aufgehende Heilige rückt auch ab von einem bloß »Numinosen«, als das es Gestimmtheit und Eigenschaft des Seins und am Seienden würde. Ein so verstandenes Numinoses wäre zugeordnet einem »religiösen Sinn«, einer Anlage des Geistes unter seinen anderen Sinnen und Anlagen, abgelöst von der das Denken an sich selbst und im ganzen einbegreifenden Scheidung, in welcher das Ich selbst dem Ruf des Komm antwortet, der es aus sich selbst, aus allem Seienden und aus dem Sein selbst hinwegruft. Sofern dieser Ruf des Heiligen je nur im Sein Gestalt gewinnt, hat die Rede vom Numinosen und seiner Erfahrung ihren Sinn; das Numinose ist die Spur des Heiligen im Sein, im Wahren, Schönen, Guten, die aber in sich selbst zweideutig bleibt: Macht das Denken sich in ihr fest, so verfehlt es die Heiligkeit des Heiligen; verläßt es sie und sich selbst, seine Erfahrung, im vollzogenen Eingehen auf den Ruf des Komm, so und so allein wird sie ihm zur Spur des Heiligen. Gerade dort aber, wo geschichtlich diese Spur sich zurücknimmt, wo das Numinose nicht mehr erfahren wird, wo das »Wunderbare an den Dingen« entschwindet, wo das Denken und in ihm das Selbst auf die Spitze ihrer selbst und ihrer allein gestellt sind, in der äußersten Profanierung, in der höchsten Gefahr des Verlustes des Heiligen also, vermag das Gestelltsein des Denkens und des Selbst in die Bodenlosigkeit seiner letzten Frage sich zu entbergen als das Gestelltsein in die Grundlosigkeit des reinen Rufes.

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Das Heilige und das Denken

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Im Zuge philosophischer Besinnung eröffnete sich der Unterschied des Heiligen vom Sein. Ihm zugeordnet, ja Stätte der Unterscheidung zwischen Heiligem und Sein ist der Unterschied zwischen sich weggebend, antwortend vollzogener Anrede und philosophischer Besinnung. Ihr Letztes ist also, sich über sich hinaus, von sich weg gerufen zu wissen in ihr Anderes. In diesem Anderen verläßt das Denken sich und verläßt sich mit dem Denken zugleich das, es im Ernste seiner selbst, vollziehende Ich selbst. Der Besinnung und Anrede des Heiligen zugleich freigebende Augenblick stellte das Denken in die Frage: Was ist geschehen? Als betroffene Frage ist sie zugleich und anfänglich schon die Frage: Was ist mir geschehen? Das Ich selbst ist im Betroffenen, sich verdankenden Denken also wesenhaft impliziert. Doch wofern der Stoß dieses Betreffens sich ins Geh wandte, wofern der Vollzug des Denkens als Denken, wofern also die Besinnung in Gang kam, war das Ich selbst in diesen Gang hineingenommen: das Geh vereinigt das Denken mit sich und so das Ich selbst mit seinem Denken. Anders das direkt meinende Komm. Das Denken von sich wegrufend trennt es das Denken von sich und so von allem und so auch vom Ich und darin das denkende Ich von sich selbst. Gewiß gibt es die höchste und lauterste Ichvergessenheit im Hingerissensein von der rufenden Übermacht des Heiligen. Doch diese Ichvergessenheit ist gerade der Vollzug des Ich selbst in seiner Hingabe. Sie unterscheidet sich von der im Vollzug des Denkens als Denken möglichen Ichvergessenheit: Hier ist das Ich in die ihm zugehörige Geräumigkeit des ihm und zugleich von ihm gezeitigten Denkens, in sein Eigenes also hineingewandt; dort, beim Hingerissensein ins Heilige, ist das Ich hingegen nicht hineingetaucht ins Eigene, sondern in der eigentlichen Ek-stase, die es von sich wegstellt, indem sie es aus sich herausstellt in sein Anderes, das als Anderes, Angerufenes, Überwältigendes seinen Unterschied gerade in der einenden Hingabe gegenwärtigt. Die Grundsituation der Erfahrung des Heiligen ist also der Anruf des Ich selbst. Dieser Anruf als solcher, der Ruf zum Komm trifft ins Geh. Er ist der Besinnung noch zugänglich, expliziert ihr das SichGeschehensein des Denkens, dem es sich und sie sich verdankt. Die Besinnung verfehlte freilich diesen Anruf, wenn sie bedenkend sich in ihm aufhielte; er hat seine Wahrheit nur im wirklichen Kommen, 128

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in welches sie als bloße Besinnung sich aufgegeben hat und in welchem nie nur das Denken kommt, sondern ich komme. An dieser Schwelle philosophischer Besinnung aufs Heilige zu ihrem Anderen, in welchem das Heilige ihr erst wahrhaft heilig, an der sie erst vollends Phänomenologie des Heiligen wird, gewahrt das Denken sein Äußerstes: Es ist (und das heißt also ich bin) in die Entscheidung gerufen, in den Vollzug der geschehenden »Trennung«. Eine neue Differenz tut sich auf: die Differenz des Heiligen, des Geh und des Komm in der Zeitigung des Denkens, offenbart sich als Differenz des Heils. Was heißt das? Indem das Denken nicht mehr nur Unterschied und Bezug des Seins und des Heiligen, des Stoßes ins Geh und des Zuges ins Komm wahrnimmt, sondern sich anschickt, das Komm ernst zu nehmen, ihm zu folgen, schwindet das Gleichgewicht von Geh und Komm. Es nützt nichts mehr festzustellen, daß ich nur als sein-gelassen gemeint, nur als mir gelassen über mich hinaus gerufen sein, nur denkend mein Denken aufgeben kann. Das Komm fordert das Denken und fordert mich ganz, erhält darin ein unendliches Übergewicht. Wozu ich gerufen bin, ist doch gerade nichts mehr aus dem Denken sich Ergebens, sondern das es gebende und darin mir selbst zu gebende und so mich gebende Kommen selbst, die Bereitschaft, angesichts des mich, das Denken, das Sein und alles mir erst gewahrendes Geschenkes dieses Loszulassen aufs gewährende Geheimnis zu. Denken hat in sich, ich habe in mir kein Recht und kein Pfand und keine Sicherheit gegenüber dem Anspruch des Heiligen. Vor seiner zeitigenden Macht habe ich nur das Nichts niederzulegen, das ich aus mir und das das Denken aus mir und aus sich selber ist. Die Trennung, die im Komm geschieht, muß auch seitens der Antwort vollzogen werden, so erst wird Anbetung – sie ist das in der Direktheit zum Heiligen einzig Gedurfte und Geschuldete, das Einzige, dem das Heilige in Wahrheit heilig ist. Doch auch, daß das Heilige ihr heilig ist, fällt noch zu Boden. Indem sie alles und das anbetende Ich selbst dem Heiligen überläßt, nimmt dieses auch sich selbst noch zurück und an sich: nicht mehr das Denken und das Heilige, sondern ich selbst vor dem lebendigen Gott, Er selbst, Du allein. Wenn hier, in der Anbetung (ac), der Name des lebendigen Gottes verlautet, wenn hier das »Du« in den Abgrund (ac)

Das ist unleugbar eine Reminiszenz an das messianische Denken Rosenzweigs und

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des Heiligen hineingerufen wird – Anbetung geschieht indessen auch, wo Du und Gott nicht mehr gesagt, sondern nur im eigenen Nicht alles Seins und Selbst und Denkens verschwiegen und darin getan werden –, so geschieht in solchem Ruf gerade das Gegenteil alles vorstellenden Denkens, welches das Heilige vergegenständlicht, und sei es: zur unendlichen Person oder zum »ens realissimum« 16 vergegenständlicht, Gottheit als ein Prädikat versteht. Die Anbetung, der Eintritt ins Komm mit dem Nichts des Denkens und Seins aber ist fürs anbetende Denken, fürs anbetende Ichselbst totale Gefährdung. Die Weggabe des gedurften Geh ins alles und es selbst einfordernde Komm steht in der Not ums Heil. Es ist nicht im Vorhinein fordernd oder verrechnend auszumachen, ob der trennende Ruf ins Komm »neue Schöpfung«, neues Geh, neue Gewähr des Geh im Komm sei, ob er mich mit mir, dem Sein, dem Denken, mit allem erlösend einen werde. Denn mein »Ich komme!« ist nicht zu verrechnen mit dem es fordernden Komm, mein Vollzug kann seiner Entsprechung zum Ruf nicht aus sich selbst sicher sein, ich vermag das angebetete Du nicht mit mir und meiner Anbetung einzuholen. Daß der Weg dieses »Kommens«, daß die alles dem Heiligen anheimstellende, in die letzte Ungesichertheit ausliefernde Hingabe das Gegenteil von Verzweiflung, daß sie die Hoffnung des Heiles ist, weiß die philosophische Besinnung nicht mehr aus sich selbst. Die letzten Worte ihrer Phänomeno-Logie wenden sie um in die anbetende Bitte, da sie aus der Kraft des Denkens kein Sich-Zeigen ihrer Sache und so kein eigenes Wort mehr vermag. Sie lauten: »Zeig uns Dein Angesicht, und wir sind heil!« (Ps 80, 4.20) und: »Sag meiner Seele: Dein Heil bin Ich!« (Ps 35, 3).

16

Vgl. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft B 604 / A 576; B 633 / A 605.

an den dritten Teil des Stern, in dem er vom Gebet der persönlichen und gemeinschaftlichen Anbetung als einziger Ausdrucksweise der Erlösung spricht.

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Handreichungen zur Lektüre

Die Phänomenologie des Heiligen, der Hemmerle in diesem Text nachspürt, gehört in einen umfassenderen Diskurs im Bezug auf eine Thematik, die sich nicht allein in der Freiburger phänomenologischen Schule entwickelt, der Hemmerle selbst angehörte, sondern auch in einem breiteren Spektrum der philosophisch-theologischen Rezeption und Reflexion Resonanz findet. Im Übrigen kann man, wie Hemmerle selbst in einer Fußnote anmerkt, diese Reflexion nicht verstehen und weiterdenken ohne die Werke zweier großer Denker: Rudolf Otto (1869–1937) und Max Scheler (1874–1928). Im Folgenden wollen wir einige Aspekte aus diesem HemmerleText ins Licht rücken und in diesem Bezugsrahmen darauf schauen, allerdings ohne Anspruch, jede einzelne Aussage erschöpfend abzuhandeln. Das würde eine Untersuchung des Heiligen als solchen erfordern 1, was nicht unmittelbar Gegenstand der vorliegenden Veröffentlichung ist. Gehen wir zunächst von einem Faktum aus: Der Text wird von Hemmerle ein Jahr vor Abschluss seiner Habilitationsschrift über Schelling verfasst und drei Jahre nach seiner Dissertation über Baader. Angesichts der mit diesen beiden Arbeiten angegangenen Forschungsorientierung sowie auch im Blick auf die diesbezüglichen Abhandlungen seitens seines Lehrers Welte und seiner Kollegen in Freiburg erscheint die Wahl des Themas kein Zufall. Wenn deshalb Das Heilige und das Denken ein Beitrag ist, der neben den oben genannten Texten eine Richtung anbahnt, die in den Thesen zu einer trinitarischen Ontologie zur Weiterführung gelangt, so sind die Beiträge von Baader und Schelling mit zu berücksichtigen, das heißt mit ihnen der Beitrag des Idealismus, um die Kontinuität zu verstehen Hier seien aber einige bibliographische Hinweise vorgelegt, um das Thema weiter vertiefen zu können: T. Obst, Das Heilige und das Denken. Untersuchungen zur Phänomenologie des Heiligen bei Klaus Hemmerle, Echter, Würzburg 2010; S. Loos, »Phänomenologie der Freiheit« in: Ders. Religion als Freiheit. Eine hermeneutische Phänomenologie der Religion nach Klaus Hemmerle, Karl Alber, Freiburg-München 2006, 367–450. Nach der Veröffentlichung des Textes von Hemmerle auf Italienisch gab es auch Vertiefungen und Reflexionen in dieser Richtung; vgl.: W. Hagemann, »Pensare il sacro«, in V. Gaudiano/A. Clemenzia (Hg.), Sulla soglia tra filosofia e teologia. In dialogo con Klaus Hemmerle, Città Nuova, Roma 2018, 17–24; M. Donà, »Il sacro e la catastrofe del pensiero. Annotazioni su Il sacro e il pensiero. Per una fenomenologia del sacro di Klaus Hemmerle«, in: »Sophia. Ricerche su i fondamenti e la correlazione dei saperi«, XII/1 2020, 112–126.

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und das Novum, das Hemmerle entwickelt. Nach Thorsten Obst 2 bewegt sich die Reflexion über das Heilige ausgehend von zwei Fährten, denen einige Denker/Denkschulen Ausdruck verleihen in einer Bewegung, die Hemmerle diesen annähert und zugleich von diesen entfernt. Auf der einen Seite finden wir das unmittelbare Arbeitsumfeld und die intellektuelle Inspiration, mit anderen Worten: die Phänomenologie – Vertreterin eines post-metaphysischen Denkens –; für Hemmerle sind dafür direkte Gesprächspartner Welte, der sich seinerseits wesentlich von Heidegger inspiriert, Rombach und Rosenzweig; auf der anderen Seite Schelling und Baader sowie indirekt auch Hegel, die das metaphysische Denken repräsentieren. Man kann also sagen, dass sich die Reflexion Hemmerles über das Heilige auf Arbeiten des Idealismus stützt und diesen in einem post-metaphysischen Denken zu überholen sucht, das sich seinerseits diversifiziert und artikuliert dank des intellektuellen Austausches von Denkern, die in weitgehender Rezeption und Abwendung von Heidegger originelle Wandlungen im Denken vollziehen.

Die phänomenologische Inspiration der Freiburger Schule Was Hemmerles Arbeit grundlegend in den Strom des post-metaphysischen heideggerschen-welteschen Denkens eingliedert, ist die radikale Aufnahme der Frage nach dem Heiligen, das heißt, nicht mehr die Einheit von Denken und Sein vorauszusetzen, sondern die Frage des Seins unabhängiger und unterschieden von der Frage nach Gott zu stellen. Es wird dann zur Frage, wie das Denken in Beziehung zum Heiligen treten kann, ohne von einem göttlichen Sein »abzuhängen«, oder wie Hemmerle es in Resonanz auf die Frage formuliert, die Welte sich in seinen Vorlesungen aus dem Jahre 1949 3 stellt: »Wie ist das Heilige zu denken, dass es dem Denken heilig ist?« 4. T. Obst, Das Heilige und das Denken, ebd. 17–18. Welte stellt die Frage genau im Bezug zur Situation der Welt, in der er lebt, in einer Abwesenheit Gottes beziehungsweise in einem Vergessen desselben: »Denkt man darüber nach: Lassen sich im Grunde unserer Erkenntnis keine Fundamente und Quellen ontologischer Natur finden, deren Struktur ihren heiligen Charakter als heilig erkennen lässt?«. B. Welte, Das Heilige in der Welt und das christliche Heil, in: Gesammelte Schriften, Hermeneutik des Christlichen, ebd., 240–241. 4 Vgl. im Hemmerle-Text, 37. 2 3

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Das Denken bewegt sich autonom vom Heiligen, ist davon nicht abhängig, sondern freigelassen, sich von sich aus mit dem Heiligen auseinanderzusetzen. Es lässt sich von ihm anregen in eine Bewegung der Umkehr in Richtung dessen, was es als seinen Ursprung entdeckt, auf das hin, was vor ihm existiert hat und wovon es tatsächlich abhängt beziehungsweise dank dessen es sein kann, was es ist. Daher wird die Beziehung zwischen dem Denken und dem Heiligen nur möglich in der Bewegung, in der das Denken seine Stellung ihm gegenüber anerkennt, aufhört, es im Griff haben zu wollen, und sich ganz hingebend im Heiligen den Beginn dessen erkennt, der diese Beziehung trägt, ein Anfang, der es bereits in Beziehung mit ihm sein lässt. Das zentrale Element, das das post-metaphysische Denken Heideggers und Weltes vom metaphysischen Idealismus unterscheidet, ist demnach die Beziehung zwischen Gott und dem Denken. Und genau auf der Achse bewegt sich Hemmerles Reflexion, in der Da-sein und das Heilige in neuer Weise ins Denken einfallen. Heidegger greift die Frage nach dem Heiligen in einer späten Phase seiner Reflexion wieder auf und tut das, indem er die Frage des Denkens sowie aus dem Denken neu in den Vordergrund rückt, was bedeutet – das ist ein Aspekt, den wir in Hemmerles Schrift wiederfinden –, dass das Denken, das nach dem Heiligen fragt, zugleich nach sich selbst fragt. Indem es sich auf die Suche nach dem Heiligen macht, entdeckt es sich als Denken und muss sich auch mit seinem Wahrheitsverhältnis auseinandersetzen. Das Heilige gibt sich nämlich dem Denken, indem es sich ihm entzieht und ihm abverlangt, diese Entzogenheit in seiner Entstehung anzuerkennen. Es bleibt somit ungewiss, ob das Denken sich dem Heiligen wirklich öffnen kann, um es aufzufassen. Hemmerle hingegen wagt einen Schritt, der sich kritisch mit Heidegger auseinandersetzt auf der Linie Weltes, der im Akt des Andenkens und des Gedächtnisses die Möglichkeit für ein Denken findet, das Heilige zu wahren, das ihm entgegengekommen ist und zum Denk-Mal desselben wurde. Der Schritt, den Welte geht und dem Hemmerle folgt, ist die Verknüpfung der Frage nach dem Heiligen nicht nur mit der Frage des Seins, sondern noch konkreter mit der Frage nach dem Menschen und seiner existenziellen Verfasstheit. Das Denken ist nämlich Denken eines konkreten menschlichen Wesens, das Kind einer bestimmten historischen Epoche 5 ist, als solches gewöhnt, mit der umgeben5

Welte ist auf den Diskurs über die Geschichte und über die Epochen mehrfach in

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den Wirklichkeit Beziehung aufzunehmen in einer Haltung des »Zugriffs«: Das Denken will verstehen und das Objekt in den Griff bekommen, das es vor sich hat. Um Zugang zum Heiligen zu bekommen, muss diese Haltung abgelegt werden und das Denken muss sich in Richtung der ursprünglichen Immanenz seiner Möglichkeit bewegen, in Richtung jenes Ortes, der es von sich selbst befreit. Wie Obst unterstreicht 6, stellt sich Welte mehr als Heidegger das Problem der Subjektivität und kann sich deshalb nicht damit zufrieden geben, dass das lassende Denken nach dem Sinn des Seins als solchem fragt, es muss sich vielmehr der Frage stellen, wie jedes Sein und auch das Denken gewährt wird. Was hinter dem lassenden Denken Hemmerles steht, ist das Nichts, ein Konzept, mit dem Welte sich ausgiebig befasst hat 7, ausgehend von seinem Interesse an Meister Eckhart – dem er mehrere Reflexionen widmete, die vor allem in zwei Bänden zusammengetragen sind 8 –; dessen Konzept der Abgeschiedenheit 9 greift er neu auf, um das Denken zum Ausdruck zu bringen, das den Zugriff aufgibt, das jedes eigene Bild und jede eigene Vorkenntnis verlässt, um in dieser Leere die ursprünglichen Bilder zu erfassen: dessen eigene Ursprünglichkeit. Was geschieht dann mit dem Denken? Es will das denken, was es ist und zwar als etwas, was ist, aber es geht wirklich nicht, es so zu denken, sondern nur als das, was nicht ist, das heißt in der Negation der eigenen Struktur des Denkens: dort, wo das Denken in der Begegnung mit dem Heiligen verstummt, nimmt es in der Selbstverleugnung eine Transzendenz wahr. Das Heilige nähert sich für

Schriften und Vorlesungen ausführlich eingegangen. Vgl. B. Welte, Gesammelte Schriften. Mensch und Geschichte, ebd. 6 Vgl. T. Obst, Das Heilige und das Denken. Untersuchungen zur Phänomenologie des Heiligen bei Klaus Hemmerle, ebd., 43–60. 7 Vgl. B. Welte, Religionsphilosophie, hg. von Bernhard Casper und Klaus Kienzler, Knecht, Frankfurt a. M. 51997. 8 Vgl. B. Welte, Meister Eckhart. Gedanken zu seinen Gedanken (21992), Meister Eckhart als Aristoteliker (1961), Der mystische Weg Meister Eckharts und sein spekulativer Hintegrund (1980), in: Des., Denken in Begegnung mit den Denkern I: Meister Eckhart, Thomas von Aquin, Bonaventura, Bernhard Welte GS Bd. II/1, Herder, Freiburg – Basel – Wien 2007. 9 In Der Weg ins dunkle Licht der Gottheit erklärt Welte nicht nur die Bedeutung und den Sinn der Abgeschiedenheit Meister Eckharts, sondern die Nähe zu Heidegger und Husserl. Vgl.: B. Welte, Meister Eckhart. Gedanken zu seinen Gedanken, ebd., 38– 121.

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Welte dem Nichts 10 in einer Ambivalenz, die Hemmerle nicht entfaltet; tatsächlich kann für ihn das Denken nicht vom Nichts ausgehen, sondern muss immer einen positiven Bezugshorizont haben; deshalb beginnt er nicht von einem leeren Raum des Seins, sondern immer in der Möglichkeit des Seins, das sich bereits in seinem existenziellen Zustand befindet, nicht in der Situation einer Geworfenheit, sondern des Gerufenseins, was das Denken nicht aus sich hervorbringen kann, aber was es denken lässt. Es handelt sich für ihn um eine Begegnung (in dem Punkt stimmt er mit Welte überein): Das persönliche Denken ist zu einer Begegnung mit dem Heiligen gerufen und wird dadurch angesprochen, was die Grundfrage des Hemmerle-Textes »Wie ist das Heilige zu denken, dass es dem Denken heilig ist?« verdeutlicht. Die Antwort auf diese Frage lässt uns nicht nach einem Bezugsmodell suchen und evaluieren, ob und wie sich das Heilige als solches darin manifestieren kann, sondern eher hinbewegen auf eine Begegnung mit ihm, denn nur in der Begegnung manifestiert sich dem Denken etwas, soweit es heilig ist. Um das zu vollziehen, bedarf es der Freiheit 11 des Denkens, In der Religionsphilosophie entwickelt Welte das Thema des Denkens und seiner Situation vor der Existenz und vor der Nicht-Existenz beziehungsweise vor dem Nichts (in großer Nähe auch zum Ansatz Heideggers des Nichts als Teil des Seins, als ihm gehörig) und bekräftigt, dass wir uns normalerweise in einer derartigen Situation befinden, dass uns das Nichts entgegenkommt und dass wir aus dem Nichts hervorgehen, denn wir haben nicht immer existiert. »Jeder von uns ist als er selber verklammert mit seinem eigenen ehemaligen Nicht-Sein, von dem er sich zugleich abstösst und das er zugleich in seinem Sein aufhebt […]. An der Stelle nun, wo unser Dasein oder irgendein Dasein seinem eigenen Nichts oder Nicht-Sein entspringt und dieses zugleich von sich stösst und in sich aufhebt und also nun als neues da ist, entsteht eine eigentümliche Spannung im Sein des Seienden« (66–77). Angesichts dieser Situation fühlt sich das Denken hinterfragt, weil es sich vor etwas Dunklem befindet, für das es keinen Grund zu finden vermag; daher ist es gedrängt, nach einer Erklärung zu suchen. Weil es jedoch nicht sich selbst denkt, sondern seine Sache, wird es Antwort auf das Bedürfnis der letzteren, einen konstituierenden Grund zu haben. Die Frage »Warum existiert im Allgemeinen etwas und nicht nichts?« wird zur Fährte, die das Denken zur Suche nach dem Fundament dieses Etwas drängt, das, wenn es sich zeigt, sagt, dass es ist. Wenn man dem folgt, gelangt das Denken in einen bodenlosen Abgrund, jenseits alles Seienden, in ein Geheimnis, das die Grundlage des Seienden sein muss. Vgl. B. Welte, Religionsphilosophie, ebd. 11 Dem Frei-sein des Denkens gehört nach Heidegger die Nichtigkeit des Grundseins. Deshalb ist die Freiheit nur »in der Wahl der einen, das heißt im Tragen des Nichtgewählthabens und Nichtauchwählenkönnens der anderen«. Im Grunde bekräftigt Heidegger die Notwendigkeit der Antwort auf den Ruf des Gewissens und zwar als Anerkennung des eigenen Schuldigseins: darin besteht die Freiheit, sodass »Anruf10

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ein weiteres gemeinsames Element, in dem Welte und Hemmerle übereinstimmen: Ein Denken, das philosophisch sein will, muss frei sein, es kann nicht etwas unterworfen oder im freien Akt des Denkens eingeschränkt sein, sondern muss fragen können. Genau das begleitet und prägt das Denken in der Erfahrung der Wirklichkeit, und demnach auch des Heiligen. Die Frage – für Hemmerle definitives und bestimmendes Element des menschlichen Seins – ist das, was das Denken mit sich bringt, was der Ort der Begegnung mit dem anderen ist, wenn es fähig ist, das An-sich-Reißen beiseite zu lassen und in der Suche nach seinem Ursprung Frage zu bleiben, die keinen Anspruch auf Antwort erhebt. In diesem Überstieg nimmt Hemmerle eine heideggersche Terminologie und Konzeptionierung auf, vom fassenden Denken zum lassenden Denken, und formuliert eine klare Unterscheidung der beiden, die deutlich werden lässt, dass sich nur im zweiten die ursprüngliche Situation der Freiheit des Denkens offenbart, obwohl dies in der Haltung des fassenden Denkens verborgen präsent ist, insofern es dem anderen vorausgeht. Das Denken muss in seiner Haltung des Fragens bleiben und kann darauf nicht verzichten – will es nicht Gefahr laufen, seine philosophische Identität zu verlieren –, um die Erfahrung dessen machen zu können, was es denkt, ohne sich dessen gleichzeitig zu bemächtigen. Mit anderen Worten: »Das Gesuchte ist das, was nur denkbar ist als das Undenkbare« 12. Wir könnten sagen, dass die vom Denken von einer Phänomenologie des Heiligen geforderte Haltung die der Reinheit und des Loslassens ist, fähig zu wünschen, ohne zu konsumieren. Deshalb steht, wie Obst bekräftigt, das Denken vor einem Paradox 13; es liegt nicht an ihm, die Begegnung mit dem Heiligen zu »managen«, nicht an ihm, die Regeln zu diktieren, die Begegnung geht nicht von ihm aus, sondern es ist das Heilige, das die Bedingungen setzt 14, verstehen besagt: Gewissen-haben-wollen« (M. Heidegger, Sein und Zeit, ebd., § 58). Allerdings hat das Schuldigsein hier keinen negativen Sinn und das Dasein kann vollkommen frei werden, gerade, wenn es sich bereit erklärt, angerufen werden zu können, also offen zu sein. 12 B. Welte, Das Heilige in der Welt und das christliche Heil, in: Ders., Gesammelte Schriften. Hermeneutik des Christlichen, ebd., 246. 13 Vgl. T. Obst, Das Heilige und das Denken, ebd., 63–67. 14 In der etwas späteren Phänomenologie Marions und anderer wird sich das im Zeichen der Gabe (donation) ausdrücken: Gott gibt sich und kann deswegen nur empfangen werden. Der Mensch stellt nicht die Regeln dieser Begegnung, er kann nur die Gabe annehmen und sich selber als Gabe anerkennen (vgl. J.-L. Marion, Gott ohne Sein, übersetzt von K. Ruhstorfer, Schoeningh 2013). Hemmerle spricht zwar auch

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damit die Begegnung stattfinden kann. In dieser Begegnung erfährt das Denken eine Veränderung in seiner Beziehung zum Sein, es wird gerufen, sich zu erinnern, zum Gedächtnis der Begegnung zu werden, sich zu bewegen, wiederum nicht nach eigenen Regeln – sonst würde es in die Situation des Festhaltens des Heiligen fallen und es auf diese Weise verlieren –, sondern im Einlassen auf die Einladung des Heiligen selbst. Was hat das Denken also zu tun? In der Haltung des Loslassens muss es sich entscheiden, der Erinnerung dieser Begegnung Raum zu geben, jenem Moment, in dem sich für das Denken alles verändert hat. »Was ist mir geschehen? Auf einmal ist alles anders!« 15 Im Erinnern wird sich das Denken bewusst, was sich in ihm durch jene Begegnung verändert hat, und erkennt in sich ein »Mal«, eine Prägung des Heiligen (ein Denk-Mal), wobei es dieses Mal erneut vergegenwärtigt, das Heilige gegenwärtig werden lässt und eine neue Form der Präsenz in der Gegenwart öffnet. Was will Hemmerle damit sagen? Er betont, dass nur im Akt des Erinnerns an die Tatsache, dass sich das Heilige uns vergegenwärtigt hat, dies erneut gegenwärtig wird; in dieser Vergegenwärtigung wird es zur Präsenz, die uns unsere Herkunft offenbart; ja, da erkennt sich das Denken als Schuldner und nimmt deshalb eine neue Haltung gegenüber dem Heiligen an, die des verdankenden Denkens. Das Denken kann nicht von sich aus ein Konzept vom Heiligen entwickeln, es als Idee hervorbringen, sondern nur hüten in einer Haltung der Dankbarkeit und die neue Atmosphäre bewahren, die durch die Präsenz des Heiligen gezeugt wird, die alles verändert – »Auf einmal ist alles anders!« –; in der Freiheit ist es vom Heiligen gerufen, diesem Ruf zu folgen und sich abzuwenden von dem, was ihm am innersten und teuersten ist, seine Macht über das Sein. Das Heilige verlangt vom Denken eine bedingungslose Kapitulation 16, immer wieder von Gabe und Geschenk-sein, entwickelt aber nicht direkt eine Phänomenologie der Gabe; man muss sie durch die Zeilen vieler Beiträge suchen und speziell in seinen letzten Referaten, die er 1992 in St. Georgen hielt. Vgl. K. Hemmerle, Leben aus der Einheit, ebd. 15 Vgl. in diesem Buch, I 3.2. »Der neue Sinn von Gegenwart«, 58. 16 Hier findet sich ein Widerhall einiger Abschnitte aus einer Vorlesung Weltes über das Heilige, in denen er die Voraussetzungen des Denkens klar umschreibt, das vom Heiligen vollständig beiseite geräumt wird. Dabei bekräftigt er, dass wir in dieser Lage immer noch denken das, was ist; das Sein von etwas Gegenwärtigem in der Welt stellt uns die Frage, warum es ein gewisses »Dunkel« behält, das wir nicht unmittelbar zu durchdringen vermögen. Es gibt also eine Modalität, dem Geist gegenwärtig zu sein, vor der Begegnung mit einer x-ten Seinsgegebenheit. Doch was geschieht im SpeziVerdankendes Denken

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aber tut das, ohne es dazu zu verpflichten, denn das Denken kann den Ruf ablehnen und den Appell des Heiligen nicht aufgreifen, es kann sich ihm in seiner fassenden Haltung widersetzen; doch wenn es dies tut, verzichtet es auf seinen Ursprung, es verzichtet darauf, aus sich herauszukommen. Hemmerle bringt diese Situation des Denkens zum Ausdruck, die eindeutig die eines Ichs, einer Person ist – »Das Gespräch […] begibt sich aus dem freien Zueinander von Wort und Antwort, von Partner und Partner« 17 – durch zwei Verben »Komm!« und »Geh!«, wo das vom Heiligen dem Denken gegenüber geäußerte »Komm!« zu dem einlädt, was oben beschrieben ist, zu einer Ek-stase, soweit es ein Herauskommen aus den eigenen Kategorien ist, um dem gänzlich Anderen zu begegnen; das »Geh!« hingegen verweist auf die Bewegung des Zeugnisses der gemachten Erfahrung, die das Denken und damit das Ich aus der Situation des Prekären und Unsicheren, in die das Heilige sie geführt hat, nicht befreit. An diesem Punkt können wir den Schritt sehen, den Hemmerle im Vergleich zu Heidegger macht, indem er das Denken verdankend macht und damit zu einem neuen Ausdruck post-metaphysischen Denkens, das sich nicht für den Sinn des Seins fassen zu können vermeint, sondern sich für den Sinn des Heiligen öffnet, wenngleich der Unterschied des Heiligen noch identisch bleibt mit jenem ontologischen. Hemmerle arbeitet aus dem Stummwerden des Denkens, in seinem Schweigen vor dem Heiligen, das mögliche Berührtwerden vom Heiligen im Geschehen der Begegnung heraus. Gott, das Heilige, kann nicht ins Sein eintreten, weil er dies definitiv ist, er ist selbst das, was es gewährleistet: Das ist der Ausgangspunkt der Phänomenologie des Heiligen bei Welte und Hemmerle 18. fischen? – so fragt sich Welte – »Betrachten wir, um das ausfindig zu machen, die Fragen, die wir gewöhnlich stellen, und auch jene, die wir gewöhnlich nicht stellen. Dann beobachten wir, dass unserem fragenden Leben in der Welt ein Entwurf ihrer Struktur im Ganzen zugrunde liegt, den wir – bewusst oder nicht – als selbstverständlich, als sich selbst verstehend und tragend ansetzen und auf den hin wir alles Begegnende zu verstehen und, wo nötig, durch Fragen und Forschern zu reduzieren trachten«; B. Welte, Das Heilige in der Welt und das christliche Heil, ebd., 242–243. 17 Vgl. in diesem Buch, I 4.1. »Das Heilige und das Sein«, 68. 18 Später, in den Thesen zu einer trinitarischen Ontologie, wird sich Hemmerle von dieser Position etwas dinstanzieren, ohne sie ganz zu überwinden, denn er wird stärker die christliche Offenbarung in den Mittelpunkt stellen und dabei versuchen, sie und ihre Botschaft der Menschwerdung Gottes – d. h. das Herbeikommen Gottes in die menschliche Gestalt – neu zu denken, ausgehend von der Liebe. Das Heilige/Gott

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Wie anfangs bereits angedeutet, nährt sich diese hemmerlesche Phänomenologie nicht nur vom unmittelbaren Austausch mit dem Lehrer der Freiburger Schule und mit seinen Studienkollegen, sondern auch aus Quellen, die weniger direkt mit ihnen verbunden sind, wie Rosenzweig, auf den wir hier im Bezug zum vorliegenden Text kurz eingehen wollen. Wie bereits erwähnt, wurde dieser Text im Jahre 1966 verfasst und veröffentlicht, in Kooperation mit den Kollegen Casper und Hünermann 19, und durch den ersten 20 der beiden lernte Hemmerle das Denken Rosenzweigs kennen, dessen Stern der Erlösung 21 umfassend rezipiert worden war. wird dann den Menschen und sein Denken direkt erreichen und ansprechen, weil er menschliche Worte verwendet: Zeichen einer Liebe, die alles überwindet und maßlos sich verschenkt. In dieser Hinsicht nährt sich diesem Ansatz Jean-Luc Marion, der eben versucht, Gott nachmetaphysisch zu denken, d. h. ohne das Sein: für ihn ist Gott unabhängig vom Sein und kommt uns entgegen in und durch die Gabe. Vgl. J.-L. Marion, Gott ohne Sein, ebd. 19 Die Akteure selbst bezeugen das, indem sie bekunden, dass in jenen Jahren unter ihnen ein reger Austausch von Ideen und Forschungsvorhaben stattfand. Darüber äußert sich Hünermann wie folgt: »Das Jahr 1961 führte Klaus Hemmerle, Bernhard Casper und mich im Seminar von Bernhard Welte in Freiburg zusammen. Wir hatten zuvor promoviert und machten uns gemeinsam an die Habilitation. In einem international geprägten Kreis von Schülern des Freiburger Religionsphilosophen diskutierten wir in den Seminaren und Kolloquien, wir lasen uns gegenseitig Kapitel unserer entstehenden Arbeiten vor. Gemeinsame Wanderungen im Schwarzwald, Ferien in der Schweiz banden uns eng zusammen. Das Anliegen Bernhard Weltes beseelte uns aus einer neuen, vertieften Aneignung der philosophisch-theologischen Tradition dazu beizutragen, ein neues Denken in der Theologie zu befördern«. Vgl. P. Hünermann, »Ein Welt-Geistlicher«. Philosoph und Theologe, in: »das prisma« 6, Sonderheft (1994), 12. 20 Bernhard Casper hat vor ein paar Jahren eine Doktorarbeit unterstützt und begleitet, die gerade den Einfluss Rosenzweigs auf Hemmerle untersucht und insgesamt die Beziehung beider Denker in den Fokus rückt. Vgl. M. B. Curi, Pensare dall’unità. Franz Rosenzweig e Klaus Hemmerle, Città Nuova, Roma 2017. 21 Der Stern der Erlösung wurde von Rosenzweig zwischen 1914 und 1918 an der Front geschrieben, aber erst einige Jahre später, 1921, veröffentlicht. Es geht um ein Musterbeispiel auch für seine Einzigartigkeit, denn Rosenzweig litt in seiner Jugend an einer Sklerose und konnte daher nicht länger als Dozent und Schriftsteller tätig sein. Nach dem Stern konnte er bis zu seinem Tod an verschiedenen Texten arbeiten, weil seine Frau sie für ihn verfasste. Doch hat er durch den Stern nicht nur Erfolg und Zustimmung geerntet, sondern auch dazu beigetragen, die Fährte des dialogischen Denkens voranzutreiben. Zur Einführung in den Text Rosenzweigs vgl.: B. Casper, Transzendentale Phänomenalität und ereignetes Ereignis. Der Sprung in ein hermeneutisches Denken im Leben und Werk Franz Rosenzweigs, in F. Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, A. Raffelt (Hg.), Freiburg i. Br. 2002, https://www.freidok.unifreiburg.de/fedora/objects/freidok:310/datastreams/FILE1/content, V–XVI. Verdankendes Denken

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Gemeinsamkeiten zwischen Rosenzweig und Hemmerle findet man in der sprachlichen Dimension, genauer gesagt: im Gespräch zwischen Ich und Du und in ihrem »zwischen«; obwohl Hemmerle den Begriff »zwischen« vor allem in anderen Texten mit eher geistlichem Charakter entwickelt und verwendet, so ist er indirekt auch im vorliegenden Text präsent, dort, wo die Gegenwart des Heiligen für das Denken zugänglich und verfügbar wird. Dieses Letztere ist gerufen und fähig, auf diesen Ruf zu antworten, indem es die »Waffen« des fassenden und katalogisierenden Denkens streckt, um dank dieses Rufs sein Sein zu erkennen. In dem »zwischen« dieser beiden Seinsgegebenheiten – des persönlichen Denkens und des Heiligen – ist die Begegnung zu verorten sowie die Möglichkeit eines »neuen Denkens« nach Art Rosenzweigs, eines verdankenden Denkens. Rosenzweig erläutert dies, indem er von der Liebe Gottes spricht, die dieser über den Menschen ausgießt, ein weiterer Pol der Offenbarung: Zuerst ist der Mensch sprachlos, er hört nicht und sieht nicht, wie das Denken Hemmerles, das in seinem Fassen, in seinem Wissen-Wollen, den anderen in sich absorbiert und nicht mehr – als anderen – sieht, weil er ihn in sich assimiliert hat. Nur die Liebe Gottes kann im Menschen jene »demütig-stolze Ehrfurcht, Gefühl der Abhängigkeit zugleich und des sicheren Geborgenseins, der Zuflucht in ewigen Armen« 22 wecken. Sie macht offen zur Antwort und zum Gespräch. Wenn das Ich das Du als anderen anerkennt, als etwas Externes als es selbst, kommt es aus dem Monolog des fassenden Denkens heraus und lässt zu, dass der andere der andere sei und Du eines Dialogs sei. Diese Begegnung findet nach Rosenzweig in der Gegenwart statt: Das Verbum der Offenbarung ist die Gegenwart, nicht die Vergangenheit und auch nicht die Zukunft. Auch dieses Motiv ist im Hemmerle-Text präsent, denn die Abkehr des Denkens von seinem umklammernden Zugriff im Lassen ist Frage eines Augenblicks. »Was ist passiert? Auf einmal ist alles anders!« Das ewig Heilige zeigt sich nur im »zwischen«, das zwischen einem Ich und einem Du generiert wird, an jenem Ort des Dialogs und des Gesprächs, der es zeitigt. Man kann Gott nicht unmittelbar fassen wie den anderen, wie das Du. Gott ist niemals wirklich fassbar: Ich bin im »zwischen«, in der Schwebe des Sehens, denn man wird gesehen von jemandem, der Garant für mich und für dich ist, nur im Zwischenraum des Wortes und des 22

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F. Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 112018, 188.

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Zuhörens, dort, wo das Heilige sich offenbart und in der Zeit zugänglich wird. »Die Partner sind gegenseitig ewig nur in der Zeit«, sagt Hemmerle, sodass auch die Zeitdimension eine Affinität zwischen ihm und Rosenzweig zum Ausdruck bringt, der speziell im dritten Buch des Sterns ausführlich auf die Beziehung zwischen Zeit und Ewigkeit eingeht sowie auf die Notwendigkeit, dass die Ewigkeit Gottes Zeit annimmt im Jetzt, im Heute, um ewig im Dialog mit der menschlichen Zeitlichkeit zu bleiben, die geprägt ist von den beiden Polen der Schöpfung und der Erlösung: Das geschieht durch den Menschen, der die durch die Schöpfung diktierten Zeiten umwandelt, die Augenblicke, in denen er lebt und die sein Leben in Stunden, Tagen und Wochen einteilen, in ewige Augenblicke beziehungsweise Augenblicke, die in dem Moment, in dem sie vergehen, bereits im Zyklus des Kultes wiederkehren. Das Denken, das zum Gottesdienst wird, zum Gedächtnis des Heiligen als das, aus dem es hervorgeht und Leben hat, wird zum gegenwärtigen Zeugnis dessen, was ihm geschehen ist und so »seine Gegenwart und damit Gegenwart des ihm Entzogenen, es Übertreffenden« 23 ankündigt.

Der Beitrag des Idealismus: Schelling und Baader Hemmerle stößt auf Franz von Baader während seiner Doktorarbeit, wenngleich davon auszugehen ist, dass eine Auseinandersetzung mit dem Idealismus Hegels bereits in den Jahren seines Studiums vor der Promotion erfolgte. Der Gedanke der Schöpfung bei Baader – zentrales Thema der Dissertation Hemmerles – setzt voraus, dass das menschliche Denken und demzufolge das endliche Denken sich vom schöpferischen Willen Gottes ableiten muss, aber es kann sich nicht unmittelbar vom Sein Gottes ableiten, sondern nur von dem göttlichen Willen, der in seinem Sein aufspürbar ist 24. Dies gründet auf Baaders Überzeugung, wonach Gott nicht etwas schaffen kann, wenn diese schöpferische Fähigkeit nicht schon seit jeher in ihm wäre, das heißt, Gott ist nicht auf die Schöpfung angewiesen, um Gott zu sein. Folgerichtig ist das Sein der Welt in Gott gegründet, ohne dass dieser Im Text, 66. Vgl. K. Hemmerle, Franz von Baaders philosophischer Gedanke der Schöpfung, Karl Alber, Freiburg/München 1963, insbesondere Kap. V.

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Anfang einer Kausalkette ist. Gott ist als Schöpfer ständig am Werk, er ist das, was bewegt und zeugt in der dem Menschen gewährten Freiheit, in Beziehung mit ihm zu treten. Das reale Sein wird so von Baader mit der Beziehung zwischen Gott und dem Menschen verbunden und nicht unmittelbar nur mit Gott, sodass die Beziehung selbst beide in die Lage versetzt, das Sein zu denken, und der Mensch ist derjenige, der Gottes Werk fortsetzt, indem er durch sein Denken das Sein sichtbar macht. Dennoch unterscheidet Baader klar zwischen dem ursprünglichen Zustand in Gott und dem der Schöpfung infolge der Erbsünde: Da wären demnach zwei Schöpfungen, die wir in Hemmerle nicht vorfinden. Er führt hingegen das menschliche Denken auf das Sein zurück, so, wie es in der einen Schöpfung Gottes ist, wie er sie gewollt und bejaht hat. Im Unterschied zu Baader kann und darf das reale Sein nach Hemmerle nie im reinen und ursprünglichen Sein absorbiert werden. Das reine Sein zeigt sich nach Baader in zwei Perspektiven: Auf der einen Seite kennzeichnet es die Unabhängigkeit Gottes von der Schöpfung, auf der anderen Seite die von ihm selbst begründete Fähigkeit einer Beziehung der Schöpfung mit ihm selbst, in einer Beziehung der Hingabe an den anderen. Das Heilige/Gott kann nur eintreten in die Beziehung zwischen dem menschlichen Denken und ihm selbst: Wenn sich das Denken an Gott wendet, muss es zuerst die Befreiung wahrnehmen, die Gott allem Geschaffenen gewährt hat, und deshalb auch der Beziehung zum anderen, so wie sie aus ihm hervorgeht. Hier klingt in gewisser Weise das lassende Denken Hemmerles an in der Befreiung vom Denken Baaders, das sonst in sich geschlossen bleibt und einen Gott im Denken durch ein fassendes Denken hervorbringt. In der Reflexion über die Möglichkeiten des Denkens im Bezug zu Gott kommt auch Schelling Hemmerle als Denker nahe, dessen Spätphilosophie er vertieft. »Gott wird von Schelling als Gott gedacht mit Hilfe des Denkens. Das Denken aber ist die Extrapolation des denkenden Subjektes, die Generalisierung der Selbstauslegung des Daseins, des menschlichen Ich also. Der Gott ›des‹ Denkens wird so Gott ›wie ich‹, nach meinem Bilde« 25. Schelling sieht eine einzige Möglichkeit für das Denken im Bezug auf Gott, das heißt die Umkehr im Akt des Denkens selbst: Es ist nicht das Denken, das die Begegnung mit Gott bestimmt, sondern Gott selbst in seiner absoluten K. Hemmerle, Dia-logische Ana-logie als Weg des Denkens zum Göttlichen Gott, in: Id., Auf den göttlichen Gott zudenken, ebd., 192–201, 194.

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Möglichkeit im Blick auf seinen »anderen«. Gleichwohl muss sich das Denken offenhalten für diese Begegnung mit dem reinen Sein. Es ist kein großer Schritt, gleich an den Übergang des hemmerleschen Denkens in das verdankende Denken zu denken. Aber Hemmerle entfernt sich von Schelling, indem er das reine Sein nicht mit dem realen Sein verbinden will, wobei es aus diesem letzteren einen Moment des vorhergehenden macht; deshalb wird das reale Sein von Hemmerle nicht als notwendige Bedingung für Gott gesehen; das reine Sein bleibt reine Möglichkeit Gottes im Bezug zu seinem »anderen«. Mit Blick auf die Lehre Schellings von den Potenzen kann man einen weiteren Unterschied zwischen dem fassenden und dem lassenden Denken ausmachen. Die göttlichen Potenzen (Vater, Sohn und Geist) sind die Hinwendungen Gottes zum Sein und mit ihm zu allem, was denkt: Das fassende Denken ist ein individualistisches Denken, in sich geschlossen, weil es jeden Gedanken der Herrschaft seines Fassens und seines eigenen Denkens über das Sein unterordnet; es ist ein subjektives Denken, insofern es nur eine eigene Modalität des Seins denkt. Nur in dem Moment, wo das Denken in seiner Frage bleibt, stellt es sich als fragendes Denken dar und lässt zu, dass der andere ist, entdeckt seine Freiheit angesichts alles Denkbaren. Das Heilige stellt sich als Bindeglied dar, das das Denken zur Dankbarkeit führt, weil das menschliche Denken, wie Gott, von der Freiheit weiß, die jedem Denken vorausgeht. Für Schelling hingegen gilt dies nur für Gott und nicht für den Menschen. Man kann also die positive Philosophie Schellings als Entsprechung zum verdankenden Denken Hemmerles lesen, das nichts anderes ist als die Begegnung und Verschränkung des fassenden Denkens mit dem lassenden Denken, eine Synthese, die in ihrer These und Antithese zwei untereinander völlig entgegengesetzte Elemente sieht, deren Identität sich in der endgültigen Synthese verliert. Für Hemmerle gibt es kein verdankendes Denken ohne die beiden anderen, und man kann auch nicht sagen, dass das fassende Denken in sich geschlossen bleiben und mit sich selbst zufrieden sein kann, sondern es bedarf seiner anderen Modalitäten, um vollständig als Denken zum Ausdruck kommen zu können.

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II. Die Bedeutung des Zeugnisses

A. Zur Einführung Wahrheit und Zeugnis entstand als schriftlicher Text und wurde erstmals 1968 in den »Freiburger Universitätsblättern« 1 veröffentlicht. Zwei Jahre später erschien der Text in einer erweiterten Fassung in Theologie als Wissenschaft. Methodische Zugänge, zusammen mit Beiträgen von Casper und Hünermann. Im Jahre 1995 fand er Aufnahme in den ersten Band 2 der Sammlung Ausgewählte Schriften. Der Artikel erscheint im Jahr der Veröffentlichung der Habilitationsschrift Hemmerles über Schelling. Es geht in diesem Beitrag um zwei wesentliche Themen im hemmerleschen Denken: das Zeugnis und die Wahrheit. Der erste Aspekt wird neu aufgegriffen in Macht und Ohnmacht des Wortes 3, 1978 erschienen, in dem Hemmerle einen Teil der zeugnishaften Natur des Wortes widmet; fast 20 Jahre später wird das Zeugnis Gegenstand der Reflexion über die Politik: Politik und Zeugnis 4, veröffentlicht 1992 in einer Festschrift für Bernhard Vogel 5. Darin erörtert Hemmerle, was Zeugnis und Zeuge

Dieses redaktionell eigenständige Organ der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg erscheint seit 1962 vier Mal pro Jahr im Auftrag des Universitätsrektors. Zielsetzung der Veröffentlichungen ist die Förderung und Bekanntmachung eines möglichst breiten Spektrums der dortigen akademischen Aktivitäten. 2 K. Hemmerle, Auf den göttlichen Gott zudenken. Schriften zur Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie, Bd. 1, ebd. 3 K. Hemmerle, Macht und Ohnmacht des Wortes, in: H. Fries, Möglichkeiten des Redens über Gott, Düsseldorf 1978, 81–103. 4 K. Hemmerle, Politik und Zeugnis, in: Civitas: Widmungen für Bernhard Vogel zum 60. Geburtstag, P. Haungs u. a. (Hg.), Paderborn 1992, 315–324; und später aufgenommen in Ausgewählte Schriften, Bd. III, Herder, Freiburg – Basel – Wien 1995, 180–192. 5 Bernhard Vogel (* 1932) war von 1976–1988 Ministerpräsident von RheinlandPfalz und von 1992–2003 von Thüringen. 1

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bedeuten, er spricht über ihren Wert und ihre Notwendigkeit im aktuellen politischen Umfeld. Zum Thema Wahrheit finden wir zwei weitere Schriften: Die Wahrheit Jesu 6 sowie Wahrheit und Liebe – ein perichoretisches Verhältnis 7; der zweite Text findet sich auch in der vorliegenden Sammlung. In Die Wahrheit Jesu, 1976 veröffentlicht, konzentriert sich Hemmerle auf die Definition des Begriffs der Wahrheit als solcher sowie in ihrem Bezug zu der Zeit, um daraus einige Kriterien abzuleiten, die dann einem Vergleich mit der Wahrheit Jesu unterzogen werden, um die Plausibilität dieser letzteren zu sondieren. Wie dem Titel zu entnehmen ist, befasst sich Hemmerle in diesem kurzen Text, den wir hier veröffentlichen, mit dem Thema des Zeugnisses im Bezug zur Wahrheit. Methodisch verwendet er dabei eine phänomenologische Reflexion, »das heißt: Wir wollen darauf achten, was im Wort Zeugnis, so wie wir es gebrauchen, schon je mitgedacht und vorverstanden ist« 8. Darauf folgen Erwägungen über die Zeit des Zeugnisses, um zu dessen Ursprung sowohl im Zeugen als auch in der Wahrheit zu gelangen durch eine Neuformulierung der Ausgangsfrage »Was ist das überhaupt, ein Zeugnis?« in die Frage: »Was geschieht, wenn ein Zeuge Zeugnis gibt?« Das Auftreten eines doppelten Ursprungs für das Zeugnis, nämlich des Zeugen und der Wahrheit, führt dazu, im Menschen den Zeugen der Wahrheit zu finden und damit die Möglichkeit zu verbinden, die Wahrheit in der Zeit aufzufassen, durch die das Zeugnis zu einem Weg der Zeitigung derselben wird. In diesen Überlegungen erinnert Hemmerle am Schluss an Das neue Denken 9 bei Franz Rosenzweig, worauf wir in den Handreichungen zur Lektüre näher eingehen werden.

Vgl. K. Hemmerle, Die Wahrheit Jesu, in: Ders., Ausgewählte Schriften, Bd. II, Herder, Freiburg – Basel – Wien 1995, 176–199. 7 K. Hemmerle, Unterwegs mit dem dreieinen Gott. Schriften zur Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie, Bd. II, Herder, Freiburg – Basel – Wien 1996. 8 Im Buch auf S. 48–49. 9 F. Rosenzweig, Das neue Denken, ebd. 6

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1.

Vorüberlegungen

Der Glaube an eine geschichtlich ergangene Offenbarung wird vermittelt durchs Zeugnis. Zumindest der Sache, vielleicht nicht im gleichen Ausmaß auch der reflexen Ausdrücklichkeit nach ist daher das Zeugnis einer der zentralen Begriffe christlicher Theologie. Besonders deutlich wird dies in der fundamentaltheologischen Frage nach den Zugängen zum Glauben. Hier wird von der Glaubwürdigkeit der geschichtlichen Zeugnisse für die Gottesoffenbarung in Jesus gehandelt. Doch nehmen Rang und Dringlichkeit der Frage nach dem Zeugnis im Innern der Theologie nicht ab. Was ist das wahrhaft Bezeugte der als solche angenommenen Zeugnisse der Offenbarung und ihrer verbindlichen Überlieferung in der Kirche? Wie ist das Leben der Glaubenden angefordert, um selbst als gültiges Zeugnis dem Anspruch der geglaubten Offenbarung zu entsprechen? Wie können schließlich gegenwärtiges Wort und gegenwärtiges Leben Wort und Leben des Glaubens so weiterzeugen, daß es heute als Wort und Leben des Heiles für den Menschen verstanden und angenommen wird? Exegese, historische Theologie, Dogmatik, Moraltheologie und praktische Theologie haben es also mit dem Zeugnis zu tun, noch anders als jede Wissenschaft aufs Zeugnis, auf die Vermittlung des unmittelbar Entzogenen und nicht durch Reflexion oder Experiment Herbeistellbaren angewiesen ist. Doch was ist das überhaupt, ein Zeugnis? Diese Frage, zurückfragend hinter die Zusammenhänge historischer Zuverlässigkeit und hinfragend auf das Zeugnis als Phänomen geistigen Lebens überhaupt und so auf den Zusammenhang dieses Phänomens Zeugnis mit dem, worum es allem geistigen Leben geht, mit der Wahrheit: diese Frage nach Wahrheit und Zeugnis wird von der Theologie der Philosophie, der Besinnung des Denkens übergeben. Ihre Klärung ist ein Dienst der Philosophie an der Theologie des146

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sen diese bedarf; denn als Offenbarung ist das Wort Gottes eingelassen ins Menschenwort, es gibt als das aus dem menschlichen unerdenkbare und unherstellbare Wort des Anspruchs und Zuspruchs Gottes sich doch hinein ins Gehör und Gespräch des Menschen. Heute wird allerdings die Verwiesenheit von Theologie und Philosophie aufeinander so grundsätzlich und vielfältig in Frage gestellt wie noch selten. Die fragenden Stimmen erheben sich einerseits von der Theologie her, die Ansätze der frühen dialektischen Theologie wirken heute noch weithin nach. So ernst das Bemühen der Theologie zu nehmen ist, sich radikal und unmittelbar im Wort Gottes zu gründen, so wenig kann indessen doch die Dynamik dieses Wortes Gottes selbst außerhalb des theologischen Blickfeldes bleiben; und dies ist die Dynamik der ursprünglichen Richtung dieses Wortes: es spricht in das menschliche Verstehen hinein und setzt sich so seinen Strukturen aus, die im Denken vom Denken und das heißt doch: philosophisch zu erhellen sind. Es ist gerade die Souveränität des Wortes Gottes, daß es Wort Gottes bleibt, indem es sich selbst die Knechtsgestalt des Menschenwortes zumutet. Hier tritt das Phänomen des Zeugnisses in unseren Blick: Das Zeugnis erbringt die Wirklichkeit, von der es zeugt, in den Horizont derer, denen es Zeugnis gibt. Daß das Bezeugte den Hörern nicht selbst verständlich ist, verschränkt sich im Zeugnis damit, daß es ihnen doch verständlich wird. Im Zeugnis ist die Stätte zu vermuten, an welcher sich unvermischt und ungetrennt die Gleichzeitigkeit von göttlichem Geheimnis und menschlichem Denken gewährt. Nicht minder wird gegenwärtig von seiten der Philosophie her das Verhältnis zwischen Theologie und Philosophie fragwürdig. Es genügt, an die Position von Karl Jaspers zu erinnern, etwa in seinem Buch »Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung« 1 oder an die Kontroverse zwischen den Berliner Professoren Weischedel und Gollwitzer 2(a). Muenchen 1962. Cf. H. Gollwitzer – W. Weischedel, Denken und Glauben. Ein Streitgespräch, Stuttgart 1965.

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Es handelt sich um einen Philosophen – Weischedel (1905–1975) – und einen Theologen – Gollwitzer (1906–1973) –, die viel zusammengearbeitet haben. Weischedel bezog seine Ausbildung vor allem bei Tillich, Heidegger und Hartmann; er war als Professor an der Universität Tübingen tätig. Er äußerte sich stets in ziemlich kritischer Weise gegenüber den christlichen Institutionen, fand jedoch mit Gollwitzer zu

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Dem je weiterfragenden Denken der Philosophie erscheint ein Glaube hier unannehmbar, der auf endgültiger Bindung an ein geschichtlich endliches Wort beruht. Doch gerade um der universalen Offenheit des Denkens willen bleibt der Philosophie die Aufgabe, das aus dem Denken nicht Erstellbare, in der Erfahrung nicht Verifizierbare, in der eigenen Existenz nicht unmittelbar Berührbare, aber dem Denken in der Mittelbarkeit des Zeugnisses Zugesprochene in ihren Gesichtskreis einzubeziehen, nach Wesen und Sinn des Zeugnisses von sich her also zu fragen. Auch von der Philosophie aus bestätigt sich das Zeugnis als die Stelle, an welcher das Denken sich selbst der Möglichkeit eines Anspruchs stellen muß, der sich den unmittelbar-einsamen Möglichkeiten des Denkens versagt. Das Zeugnis ist nicht Allgemeinbegriff, der die verschiedenen »Fälle« von Zeugnis in sich einebnete. Zeugnis ist vielmehr das je Unversehene, Einmalige und so eine Kategorie, die dem unvergleichlichen und ungeschuldeten Charakter der Offenbarung angemessen erscheint. Weil umgekehrt aber das philosophische Denken von sich her nicht nur alles in seine Helle hineinfragt, sondern sich über alle seine Ableitbarkeiten hinausfragt in die Gewärtigkeit für den je neuen und anderen Aufgang der Wahrheit, ist das Zeugnis auch als genuines Thema philosophischen Fragens gesichert.

2.

Die Elemente des Zeugnisses

Wir dürfen uns also an eine philosophische Erörterung des Themas Wahrheit und Zeugnis heranmachen, der Belang dieser Erörterung für die Theologie und der eigenständige Rang dieser Erörterung in der Philosophie haben sich uns gezeigt. Die grundlegende Frage ist uns schon aufgetaucht. Sie lautet: Was ist überhaupt, ein Zeugnis? Wir wollen sie phänomenologisch stellen, und das heißt: Wir wollen darauf achten, was im Wort Zeugeiner interessanten Zusammenarbeit. Kern seiner Forschung war das Bedürfnis radikalen Hinterfragens, das sich nicht mit Antworten zufrieden gibt, sondern sich immer weiter auf die Suche begibt. Gollwitzer wurde in besonderer Weise durch Karl Barth geprägt; er wurde Professor in Bonn und Berlin, wo er sich mit systematischer Theologie befasste. Sehr wahrscheinlich bezieht sich Hemmerle im Text auf die Auseinandersetzung zwischen den beiden Intellektuellen, die in dem Buch Denken und Glauben dokumentiert ist (vgl. H. Gollwitzer/W. Weischedel, Denken und Glauben, Kohlhammer, Stuttgart 21965).

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nis, so wie wir es gebrauchen, schon je mitgedacht und vorverstanden ist. Wenn wir das Wort Zeugnis sagen, so kann uns zunächst verschiedenes dabei einfallen: das Zeugnis vor Gericht, das Schulzeugnis, die große, eine Überzeugung bezeugende Tat, ein Gegenstand oder Text aus früherer Zeit. Gliedern wir diese Vielfalt vorläufig, so ergibt sich eine Zweiteilung: Zeugnis kann einen vorliegenden Bestand, Zeugnis kann aber auch einen Vorgang meinen. Der Turm unseres Freiburger Münsters etwa ist ein Zeugnis gotischer Baukunst. Ein Bestand, der aus einer vergangenen Epoche herrührt und in einer anderen, der gegenwärtigen Epoche, noch besteht, wird als Zeugnis dieser früheren Epoche angesprochen. Der Münsterturm tut indessen nichts, um Zeugnis der Gotik zu sein, sein Zeugnischarakter ruht in seiner Gegebenheit. Dem steht die andere Gruppe von Zeugnissen entgegen, die als Zeugnis abgelegt werden: das Bestandhafte an ihnen ist Ergebnis eines zeugnisgebenden Aktes, einer transitiven Tätigkeit, deren spezifierender Inhalt nicht eigentlich der zugehörige Bestand, sondern das in ihm Kundgegebene, Offenbarwerdende ist. Ein Zeuge vor Gericht gibt zwar ein als »Text« fixierbares Zeugnis, der Schwerpunkt des Zeugnisses als Zeugnis liegt jedoch im Vollzug der Aussage als einer solchen, genauer: des bestätigenden und erhellenden Einsatzes des Zeugen für das in der Aussage Ausgesagte. Noch schärfer tritt dieser Vollzugscharakter von Zeugnis dort zutage, wo das Zeugnis unmittelbar gar keinen Bestand zeitigt, sondern im Vollzug selbst liegt, es ist zu denken zuhöchst an jene Zeugenschaft, die gerade den Bestand eigenen Daseins weggibt und aufgibt, damit das Bezeugte als ein solches aufgehe. Die verschiedenen Spielarten von Zeugnis, Zeugnis als Bestand und Zeugnis als Vollzug, lassen sehr vorläufig die grundsätzlichen Bezugspunkte sichtbar werden, die in jedem Zeugnis eingebunden sind. Immer ist ein Bezeugtes da, und dieses Bezeugte ist das unmittelbar Entzogene, Abwesende, das im Zeugnis hervorkommt, anwesend wird. Immer ist da des Weiteren ein Horizont, in welchen dieses Bezeugte hineinbezeugt wird, und in welchem ohne das Zeugnis das Bezeugte gerade nicht oder doch nicht so offenbar wäre. Immer ist schließlich da ein Medium des Zeugnisses, ein Bestand, der das Bezeugte durch sein Währen vor- und weiterträgt in den Horizont, in den hinein das Zeugnis geschieht, oder aber eine Negation von Bestand, wie bei der Selbsthingabe, worin wiederum der Rang und die Verdankendes Denken

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Wirklichkeit des Bezeugten hineinstellt in diesen Horizont. Immer ist auch, wenn auch manchmal verborgen, ein Vollzug da, der direkt oder indirekt das Zeugnis vollbringt, und das heißt: den Bestand erbringt oder negiert, in dessen Endstand, Währen und Vergehen das Zeugnis in den Horizont seiner Empfänger eintritt. Immer, so dürfen wir sagen auch angesichts des scheinbar bloß bestandhaften Zeugnisses. Denn daß es den Münsterturm als Bestand etwa gibt, gründet ja doch in einem Vollzug, im Planen und Bauen, und nur daß die Form des Geplanten und Gebauten noch jetzt in diesem Bestand erstrahlt, qualifiziert ihn zum Zeugnis. Der Vollzug des Bauens und Planens hebt sich freilich ab vom Vollzug des Zeugen vor Gericht oder gar des Blutzeugen. Bei näherem Zusehen werden wir jedoch, in einer späteren Phase unserer Betrachtung, bemerken können, wie jegliches menschliche Tun, das es zu einem bezeugenden Bestand kommen läßt, selbst Anteil hat an der Grundstruktur des Bezeugens. Die genannten Elemente, die dem Phänomen Zeugnis eine Struktur geben, rücken so auf drei zusammen: 1. 2. 3.

das Bezeugte, unmittelbar Entzogene, der gegenwärtige Horizont, in den hinein dieses Bezeugte gegenwärtig gesetzt wird, der Vorgang des Zeugnisses, in dem auf je verschiedene Weise ein Geschehen und ein Bestand miteinander verknüpft sind.

Das letztgenannte Element, der Vorgang des Zeugnisses, verbindet das Woher und Wohin des Zeugnisses; dieser Vorgang drängt in die Mitte unserer weiteren Betrachtung. In ihm ruhen die entscheidenden Differenzen der Grundweisen von Zeugnis, in diesen Differenzen wird aber auch gerade das eine und durchgängige Wesen des Zeugnisses sichtbar.

3.

Die geschehende Zeit als Dimension des Zeugnisses

Einen ersten und entscheidenden Grundzug dessen, was das Zeugnis zum Zeugnis macht, lesen wir am Minimalfall von Zeugnis ab, in welchem der Vollzug des Zeugnisses noch völlig hinter dem bezeugenden Bestand zurücktritt. Wo ein historisch Interessierter Zeugnisse früherer Epochen sucht, da geht es ihm um folgendes: Eine vergangene Zeit ist nicht mehr, und doch will er in der jetzigen Zeit wissen, 150

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wie es in jener Zeit gewesen ist. Die gewesene Zeit entzieht sich unmittelbar der gegenwärtigen, und doch gehört sie in ihren Horizont mit hinein. Dieses Hineinreichen der vergangenen Zeit in die gegenwärtige geschieht durch Bestände, die, in dieser vergangenen Zeit gestiftet, sich in die gegenwärtige hinein aufbewahrt haben. In dieser gegenwärtigen freilich können diese Bestände an sich Verschiedenes bedeuten: Materialien etwa des Gebrauchens oder Genießens. Sie können aber auch als Zeugnisse gelesen werden, dann nämlich, wenn ihr gegenwärtiger Nutz- oder Genußwert überschritten und das Wort entborgen wird, das von der Stiftung dieses Bestandes ihm innewohnt: was damals damit gemeint war, was an Umständen, Möglichkeiten und Erwartungen, Meinungen damals lebendig mitspielte, als so etwas entstand. Ein verstummtes Wort spricht in die gegenwärtige Zeit, ins gegenwärtige Gespräch hinein, wenn ein in früherer Zeit gestifteter Bestand auf seinen Ursprung hin gelesen wird. Die entscheidende Dimension des Zeugnisses, die hier aufbricht, ist die Zeit: Zeit, die war und also nicht mehr ist, und Zeit, die ist und doch nicht ist ohne das, was war, kommen ins Gespräch durchs Zeugnis. Die Zeit, so sagten wir, ist die entscheidende Dimension des Zeugnisses. In dieser Zeit des Zeugnisses wohnen demnach drei Dimensionen, die nicht einfachhin Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bedeuten: 1. 2. 3.

Zeit als sich entziehende, je ins Nicht-Mehr entgehende, Zeit als jetzige, die in ihrem Nur-Jetzt doch alles in ihr Jetzt hineinbeziehen möchte, Zeit als verwahrend-währende, die überliefert, zueignet, weitersagt, bezeugt.

So verstandene, vom geschichtlichen Zeugnis so dem Verstehen aufgetragene Zeit entbirgt sich aber als Gespräch. Denn dies sind die drei Dimensionen: Zeit, die war und nicht mehr ist, kann doch nur Zeit heißen, weil sie – wie auch immer – erinnerbar ist. Das heißt aber: sie sagt ein Wort, das in ihrem Nicht-Mehr noch nachhallt, sie ist sich über sich hinaussagende. Wohin über sich hinaus? In Zeit, die jetzt ist, die also ihr Wort spricht, aber nicht nur selbst spricht, sondern darin hört, zuhört und zugehört dem, was war und sein Wort hinterlassen hat. Wo hinterlassen hat? Eben in dem während Verbindenden und das Gewesene zum Jetzt erweckenden, im Zeugnis, das auf sein Bezeugtes hört und es den anderen sagt. Verdankendes Denken

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Doch gilt solches wirklich für alle Zeugnisse? Ja, jedes Zeugnis ist zeithaft in seiner Struktur und gesprächshaft in seiner Zeitlichkeit. Wir können jeden beliebigen Fall von Zeugnis herausgreifen, um diese Grundverhältnisse zu bestätigen: das Zeugnis des Zeugen vor Gericht, oder das Zeugnis einer Prüfung etwa. Die Durchführung der Einzelanalyse sprengte jedoch den Rahmen dieser Untersuchung. Die Zeitstruktur des Zeugnisses scheint indessen zu versagen, wo man im höchsten Sinne von Zeugnis spricht. Als beispielsweise Kardinal Leger (b) seinen Bischofssitz verließ, um zu den Aussätzigen zu gehen, sagte man: Das ist ein Zeugnis. Hier bezeugte ein Mensch durch seinen Entschluß nicht etwas, das war und nicht mehr ist, sondern er steht mit sich selbst für das ein, was ist, was seiner Überzeugung nach allein entscheidend und jetzt wichtig ist. Und doch bewährt sich zutiefst gerade hier die Zeitlichkeit des Zeugnisses und der dialogische Charakter der Zeit des Zeugnisses. Denn nicht ein Wert »an sich« oder eine ewige Wahrheit »an sich« bringt das Zeugnis der hohen Tat hervor, sondern das Gespräch des Zeugen mit dieser Wahrheit, und in diesem Gespräch erwächst das Zeugnis des Zeugen als Antwort. Antwort setzt aber den sie zeitigenden Anruf, setzt das Ereignis voraus, in welchem diese Wahrheit drängende und bestimmende Macht über den Zeugen gewinnt. Die bezeugte Wahrheit entginge ohne das Zeugnis der Gegenwart derer, an die das Zeugnis solcher Tat ergeht, sie entginge ihr aber nicht deswegen, weil sie an sich selbst der Hinfälligkeit von Zeit ausgesetzt wäre, vielmehr deshalb, weil ihr innerer Rang ohne die zeitigende Übersetzung durchs Zeugnis gar nicht ankäme und wirksam würde. Aus dem quantitativen Gefälle, in welchem etwas Gewesenes durchs Zeugnis in die Gegenwart hinein übertragen wird, ist ein qualitatives Gefälle geworden, in welchem etwas unabdingbar Kostbares und Entscheidendes in seine Offenheit für die vielen, in seine Gegenwart im Horizont des Allgemeinen und Öffentlichen drängt. Die verborgene, exklusive Ursprungserfahrung, die zu bezeugende Begegnung, genauer das Ereignis, das sich in dieser Begegnung eröffnet, die das Zeugnis begründende Zeit also, drängt im Zeugnis Paul-Émile Léger wurde 1950 zum Bischof von Montreal und 1953 zum Kardinal ernannt; im Jahre 1967 legte er seine Ämter nieder, um sich missionarisch in Afrika zu betätigen, vor allem im Dienst an einem Zentrum für leprakranke Kinder und solche mit Behinderung.

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dazu, mit der Zeit jener, vor denen das Zeugnis abgelegt wird, gleichzeitig zu werden, diese Zeit in sich selbst zu verwandeln. Der Sinn des Zeugnisses ist zuhöchst also nicht nur die Kundgabe einer entzogenen Zeit durch die währende Zeit des Zeugen oder Zeugnisses in die gegenwärtige Zeit, sondern der Aufgang und Eingang der entzogenen Zeit in die gegenwärtige, die Ereignung des das Zeugnis gründenden Ereignisses in die Zeit derer, vor denen das Zeugnis geschieht. Das qualitative Gefälle des Zeugnisses hat so die Tendenz, sich aufzuheben, den Rang der Ursprungszeit als einer solchen mitzuteilen, die Zeit als Horizont der Empfänger des Zeugnisses selbst zur Ursprungszeit zu verwandeln. Das zuletzt Ausgeführte kann nicht mehr einsinnig für jedwedes Zeugnis gelten, sondern nimmt seine Maßstäbe dort, wo das Zeugnis selbst in seinen vollen Rang emporsteigt. Die Abschattung der dargestellten Verhältnisse findet sich aber überall. Auch das, was nur dem Historiker Zeugnis ist, auch das Zeugnis einer Leistung, auch das Zeugnis vor Gericht tragen das, was gilt, in die Gegenwart derer, die mit solchem Zeugnis kommunizieren. Gerade auch die gewesene Zeit, die ein historisches Zeugnis hinterläßt, will in diesem Zeugnis hineinreichen ins Künftige, auch die Tat, die dieses Werkzeug, diesen Bau, diese Urkunde fertigte, setzt an sich selbst unter das, was sie bekundet, das Siegel: Ja, so ist es, ja, so soll es gelten, ja, so ist es gut und so soll es bleiben. Jede Tat, die einen Bestand zeitigt, erbildet Welt, das heißt, sie mutet sich grundsätzlich dem Währen ihrer selbst ins Allgemeine und Bleibende zu. Die Analyse der Zeitlichkeit des Zeugnisses war der Weg, um zu seinem Wesen vorzustoßen. Das bislang Gesehene läßt sich zur Aussage verkürzen: Zeugnis ist Zeitigung ursprünglichen Ereignisses in neue Zeit hinein, wobei Zeit selbst ihr Wesen hat zwischen den Sprechenden und Hörenden, die ihre Zeit, je gemeinsame Zeit ist.

4.

Der Ursprung des Zeugnisses im Zeugen und in der Wahrheit

Je näher wir dem Wesen des Zeugnisses rücken, desto deutlicher stoßen wir indessen auf den Zeugen. Zeugnis im vollen Sinne ist Zeugnis des Zeugen, und in einem folgenden Gang der Besinnung soll das Zeugnis nun von dem her bedacht werden, der es ablegt. Das Zeugnis wird dabei dieselben Züge zeigen, diese Züge aber werden nicht mehr Verdankendes Denken

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nur als deskriptive Strukturen, sondern als Kriterien für die innere Echtheit des Zeugnisses erscheinen, und sie werden des Weiteren den Menschen überhaupt in seinem Wesen als den Zeugen der Wahrheit enthüllen. Wir müssen unsere Frage nach dem Zeugnis also neu stellen. Sie lautet nun: Was geschieht, wenn ein Zeuge Zeugnis gibt? Es geschieht zugleich und als ein selbes zweierlei, und dieses beide ist scheinbar genau sich entgegengesetzt. Zum einen geschieht das totale Engagement des Zeugen. Er spricht im Zeugnis nicht spielend, probierend, aufs Geratewohl, nicht ad experimentum, nicht als Arbeitshypothese, nicht auf Widerruf. Er spricht als er selbst. Die Instanz, die für sein Sagen eintritt, ist sein Ich-Selbst, die Einmaligkeit, Verbindlichkeit, Unablöslichkeit seines Daseins. Gerade im Zeugnis wird aufgeschlossen, was im Menschen ist: Das, wofür er einsteht, ruft ihn erst in seine volle Wirklichkeit hervor. Doch eben: das, wofür er einsteht. Zeuge wird der Mensch nicht um seiner selbst willen, sondern je um dessentwillen, was größer ist als er. Indem der Mensch zum Zeugen wird, tritt er also, und dies ist die andere Seite desselben, an sich selbst zurück, es geht ihm um das, was größer ist als er, unverrechenbar mit seinem Dasein. Zeugnis ist nicht Präsenz des Zeugen, sondern Präsenz des Bezeugten, diese Präsenz des Bezeugten geschieht aber gerade mit dem Ich-Selbst und durch das Ich- Selbst des Menschen. Das Zeugnis des Zeugen sagt, auch wo es nicht in Worten geschieht, zugleich: Ich selbst sage das und: Nicht ich sage das, sondern die Wahrheit selbst sagt es! Die Bewegung, die den Zeugen in die Fülle seiner selbst zeitigt, und die Bewegung, in welcher das, was früher und größer ist als der Zeuge, sich über sein Selbst hinaus zeitigt, sind eine und dieselbe Bewegung. Dies ist nun nicht mehr nur eine neutrale Struktur des Zeugnisses, sondern es ist ein Kriterium für seine innere Echtheit. Nur dort, wo der Einsatz des Zeugen und sein Zurücktreten hinter das Bezeugte zugleich und nahtlos miteinander verbunden sind, ist der Zeuge als solcher glaubwürdig. Das Zeugnis hat so wesenhaft einen doppelten Ursprung: den Zeugen und in seiner Ursprünglichkeit, ihr voraus, die Wahrheit selbst. Natürlich setzt das Zeugnis beim Zeugen, bei der Mitte seiner Freiheit und Freiwilligkeit ein, er selbst will Zeugnis geben. Und doch ist sein Wille nicht Willkür, sein Zeugnis nicht Zufall, sondern das ihm Zugewiesene von dem her, was er bezeugt. Die Freiheit des Be154

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zeugens ist zugleich Übermächtigung von dem, was sich ihm zu bezeugen gibt. Es ist zu groß, zu wahr, zu wichtig, als daß der Zeuge es nicht bezeugen könnte; er hat nicht eigentlich die Wahl, und doch hat er die Freiheit. Die beiden Ursprünge sind miteinander im Bunde, sind zugleich am Werk: Der Ursprung der Wahrheit selbst und der Ursprung des Zeugen, sein Ich, das gerade Ich und Ursprung ist angesichts und von Gnaden der Wahrheit. Das Zeugnis ist also nicht beliebig, aber frei, es ist spontan in diesem doppelten Sinn: daß es aufspringt aus der Mitte des Herzens des Zeugen und daß aus dieser Mitte des Herzens des Zeugen das sich Bezeugende selbst im Glanz der Wahrheit und aus ihrem Ursprung her aufspringt. Darin bezeugt sich indessen nicht mehr nur die Echtheit des Zeugnisses des Zeugen, sondern der Rang und die Echtheit des Bezeugten selbst. Wo etwas die Macht hat, so aus dem Menschen aufzubrechen, daß es ihn überwältigt und frei läßt, ja frei gibt in einem, dort ist ihm zu trauen, dort ist nicht Irreführung des gutgläubigen Zeugen zu vermuten, der mit der Hypertrophie seines fanatischen Einsatzes das wahrmachen will, was von sich her nicht wahr ist. Wo eine Idee den Zeugen irreführt, da vermag sie nicht ihn selbst in seine Freiheit hinein zu zeitigen, wo er sich selbst irreführt oder das Zeugnis vortäuscht, wird wiederum seine Freiheit nicht den offenen Glanz des Aufgangs aus sich selbst vermögen, sondern gewaltsam, verengt und erzwungen oder aber schwärmerisch unverbindlich erscheinen. Dem echten Zeugnis eignet so die Identität von Leidenschaft und Gelassenheit. Das wahrhaft zu Bezeugende ist so groß, daß es die ganze Leidenschaft des Menschen wachruft, und in seiner Größe so mächtig, daß es den Zeugen nicht nur seinem eigenen Dasein gegenüber gelassen macht, sondern auch dem gegenüber, was er bezeugt; denn der Zeuge weiß, es ist mächtiger als ich selbst, es gibt sich zwar durch mich kund, aber nicht erst und nicht nur durch mich wird es seine Wahrheit durchsetzen. Die Zeit, die kommt, ist grundsätzlich bereits die Zeit des Bezeugten, deshalb kann der Zeuge seine eigene Zeit nichts anderem mehr schenken, doch nicht die Hingabe seiner Zeit allein ist es, welche die künftige Zeit zur Zeit des Bezeugten macht. Bezeugen ist ein Tun des Zeugen, es ist aber noch mehr: Wirken der Wahrheit selbst. Bezeugen ist lichten. Das Bezeugte geht im Zeugnis auf, über sich hinaus. Die dem Bezeugten geschenkte Zeit des Zeugen ist das Medium des Aufgangs des Bezeugten in die Zeit der anderen, vor deVerdankendes Denken

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nen er Zeugnis ablegt. Indem das Bezeugte im Zeugnis hell wird, wird aber noch mehr hell. Hell wird zunächst das eigene Sein des Zeugen. Er entdeckt sich als einen, dem dieses Große gilt (c), der in seinem Lichte und für es da ist. Wer sich zum Zeugnis gerufen findet, der ist sich selbst nicht mehr Problem, er ist mit sich selbst zur Identität gebracht dadurch, daß er weiß: dieses gilt. Wissend, daß dieses gilt, weiß der Zeuge aber, daß es nicht nur an sich, sondern daß es zugleich ihm selbst gilt. Er kann das übrige lassen und alles auf die eine Karte des zu Bezeugenden setzen. Indem er gefunden hat, was von ihm bezeugt werden will, hat er sich selbst gefunden. Und so schließt die Macht des Bezeugten in seinem Zeugnis alsdann auch die Wahrheit des Zeugen selbst für die anderen auf. Eine weitere Richtung im selben Vorgang des Zeugnisses: Das Bezeugte soll nicht nur gelten vor den Empfängern des Zeugnisses, es gilt auch für sie, gilt ihnen. Das Zeugnis wirft sein Licht ins Herz derer, die das Zeugnis vernehmen, sie selbst werden im Zeugnis für sich selbst entborgen und entdeckt. Ein Zeugnis von qualitativem Rang macht stets betroffen, weckt die Hörer zu sich selbst auf und bringt sie in eine neue Gegebenheit für sich selbst. Das eine Licht, das alle erleuchtet und alle neu zum Ursprung macht im Vollzug des Zeugnisses, ist das Licht der Wahrheit selbst. Sie wird hell, indem jemand und etwas hell werden im Zeugnis. Im Zeugnis zeitigt sich also die Wahrheit für den Menschen und durch den Menschen, lichtet sie sich als Ursprung und entspringt lichtend zum Menschen hin, um ihn wiederum darin zum zeitigenden Ursprung seines eigenen Lichtes werden zu lassen. Im Zeugnis begibt sich also die Geschichte des Menschen mit der Wahrheit für die Welt.

5.

Die Wahrheit und der Zeuge

Solches ist allerdings von so grundlegender Bedeutung, daß darin das Zeugnis sich als ein zentraler Begriff für das Verstehen der Wahrheit und des Menschen selbst erweist. Diese grundsätzliche Bedeutung Die Bedeutung des Verbs »gelten« weist sowohl auf den Wert wie auch auf die Gültigkeit; damit will Hemmerle sagen, dass der Zeuge sich als denjenigen entdeckt, für den gültig ist, wovon er Zeugnis gibt. Die Gültigkeit hat einen solchen Wert, dass sie notwendig da sein muss.

(c)

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des Zeugnisses für die Wahrheit und für den Menschen muß nunmehr noch kurz zum Thema werden. Dies soll in der Erörterung zweier Thesen geschehen, die gegenseitig aufeinander verwiesen sind. Die erste These lautet: Der Mensch ist von seinem Wesen her der Zeuge der Wahrheit. Die zweite These: Die Zeitigung der Wahrheit für den Menschen geschieht wesenhaft im Zeugnis.

a)

Der Mensch als Zeuge der Wahrheit

So ausnahmsweise die Situation des großen und eigentlichen Zeugnisses fürs alltägliche Leben des Menschen erscheint, so transzendental bestimmt sie doch den Menschen im Verborgenen. Das Zeugnis ist unter Menschen das Seltene und doch so sehr das Wesentliche, daß es im Verborgenen alles Menschliche bestimmt und menschlich macht. Die entscheidenden Grundzüge des Zeugnisses begeben sich nämlich im Wort, in Sprache und Gespräch allenthalben. Durch das Wort, durch Sprache und Gespräch aber ist der Mensch er selbst: noch immer gilt jene alte Definition des Aristoteles, nach welcher der Mensch das Wesen ist, welches das Wort hat. Und was begibt sich im Wort? So wenig dies das Wort erschöpft, so sehr geschieht im Wort doch immer auch: Aussage. Im Wort wird gesagt, wie es ist. Indem aber der Mensch sagt, wie es ist, sagt er selbst es: dieses zu sagen, freilich nicht nur im Wort, es zu sagen in der Gebärde, im Schrei, im Lied, im Tun, im Werk, im Schweigen, in der Liebe, im Tod, es zu sagen, Gestalt, Bestand werden zu lassen, es wie immer auch aufgehen zu lassen, es hervorzubringen, daß es ist, wie es ist, dies ist der durchgängige und alles einbegreifende Grundzug menschlichen Daseins. Der Mensch spricht aus, was ist, und vollbringt es damit, setzt es damit, gibt sich selbst dem mit und in das hinein, was ist, läßt es seine eigene Sache sein. Daß ist, was ist, ist die Sache des Menschen, es ist aber zugleich mehr als die seine. So sehr er es gestaltet, in seiner Aktivität und Produktivität, so sehr, ja noch mehr ist er zuvor der Vernehmende, ist er in all dem der Verantwortliche, Antwortende. Es ist so, das heißt, ich stehe dazu! Es heißt aber nur deshalb: ich stehe dazu, weil es auch heißt: dazu steht die Wahrheit. Mein Sagen sagt sich selbst als das Sagen der Wahrheit. Überall, wo Menschen sprechen, handelt es sich um sie; verborgen bestimmt sie je den Horizont. Überall wo Menschen sprechen, ist sie im Spiel. Überall aber ist sie so im Spiel, daß Verdankendes Denken

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sie die Größere bleibt, im menschlichen Wort also je nur auf bestimmte Weise gezeitigt und sich zeitigend anwest. Indem die Wahrheit den Menschen angeht, geht sie ein in seine Zeitlichkeit, ja die Zeit des Menschen überhaupt ist Zeit, die er mit der Wahrheit hat, Zeitlichkeit der Wahrheit also. Und als der Zeuge dieser Wahrheit zeitigt er wiederum sie den andern, den Partnern des Gesprächs zu, verzeitigt er sie zugleich, indem er sie zeitigt. Beides läßt sich nie voneinander trennen. Im Zeugnis wird die Wahrheit in die Zeit und so auf zeitliche Weise weiter- und wiedergegeben, im Zeugnis aber wird die Zeit auch je drangegeben an die Wahrheit, das Zeugnis ist Behauptung der Wahrheit in der Hingabe seiner selbst, in der Hingabe des Behauptens an die Wahrheit. Sie ist je größer als das Wort des Menschen, gerade dies wird aber im vergehenden Wort offenbar. In Irrtum und Lüge geht diese Drangabe der menschlichen Zeit an die Wahrheit fehl. Doch ohne den Anspruch, ihr Sagen und seine Zeit der Wahrheit zu überantworten, wären Lüge und Irrtum nicht Lüge und Irrtum. Es gilt also ohne Grenze und Ausnahme: Es ist Wesen des Menschen: Zeuge der Wahrheit zu sein. Diese transzendentale Bestimmung des Menschen ist freilich wesentlich anderer Art als die apriorisch selbige Strukturierung transzendentalen Subjekts. Daß der Mensch als der je Vernehmende zugleich der je Sprechende, im Sprechen aber der je Aussagende und in der Aussage der über die Aussage selbst Hinausweisende ist: solches wird zwar im Menschenwesen seine gemeinsamen Strukturen erkennen lassen, die Wahrheit als das Bestimmende des Menschen aber ist nicht eine verfügbare Konstante, von der her sein Wesen auszumessen wäre, vielmehr ist sie das je neu Auf- und Angehende, das nie verrechenbare Ereignis, der stets neu sich zeitigende Ursprung, der Mensch aber ist so der ebenfalls je neu Gerufene, nicht Planbare und Manipulierbare von einer Idee her, sondern von sich her nur der je leer in die Gewärtigkeit für den Aufgang der Wahrheit Gerufene. Jeder Mensch ist Zeuge der Wahrheit, doch gerade deshalb kann ich von keinem Menschen aussagen und vorausberechnen, wie sich ihm und durch ihn die Wahrheit begeben wird. Daß aber Wahrheit sich begibt, daß sie zum Dialog, will sagen zum Vernehmen, zur Antwort, zur Verantwortung, zum Einsatz, zur Produktivität des Zeugnisses ruft, dies ist der Mensch. Dann aber ist das Gespräch des Denkens unter Menschen, dann ist die Philosophie als die Erhellung dieses Gespräches in sich selbst nie am Ende, und doch ist solches Denken die 158

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unverfügbare Offenheit für den Aufgang und Eingang der Wahrheit im Zeugnis eines Zeugen. Die Endgültigkeit und Letztgültigkeit von Zeugnis wird freilich nur in einem solchen Zeugnis zu erwarten sein, in welchem dem Aufgang der Wahrheit in der Zeit die restlose Hingabe der Selbstbehauptung des Zeugen und seiner Zeit entspricht. Nicht die Aussage als Gestalt kann das Endgültige des Zeugnisses sein, sondern die Ansage und Zusage, die in dieser Aussage geschieht. Diese Ansage und Zusage ist je größer als die Gestalt des Zeugnisses, und doch erhält von dieser An- und Zusage her auch diese Gestalt ihre bleibende und unüberholbare Kostbarkeit. Die Gestalt des Zeugnisses ist Steigerung ihrer Endlichkeit über sich hinaus und ist zugleich das Zerbrechen ihrer Endlichkeit. Der Einspruch der Philosophie gegen die endliche Habbarkeit der endgültigen Wahrheit trifft, so verstanden, den Anspruch der Endgültigkeit der Wahrheit im Zeugnis nicht. Der Mensch als Zeuge der Wahrheit, dies sagt zugleich das Bleibende und Einende des Menschenwesens und der Anwesenheit der Wahrheit beim Menschen aus, zugleich aber auch die unabsehbare Geschichtlichkeit des Menschen und der Wahrheit im Menschen. Weil im Zeugnis die Wahrheit selbst und die Zeit zusammengehören, gehören beide auch im Menschen und unter Menschen zusammen.

b)

Das Zeugnis als Zeitigung der Wahrheit

Der Mensch als Zeuge der Wahrheit, diese Aussage ist so radikal und ernst gemeint, daß, wie angedeutet, auch die Umkehrung gilt: Die Wahrheit ist wesenhaft als Zeugnis und durchs Zeugnis beim Menschen und unter Menschen. Gewiß gibt es vielfältige Weisen, wie Wahrheit dem Menschen aufgeht. Es gibt die Wahrheit dessen, was so ist, weil es nicht anders sein kann, die Wahrheit dessen, was logisch mit immanenter Notwendigkeit sich dem Denken in sich selbst aufschließt. Es gibt die Wahrheit der unmittelbaren Erfahrung, gibt die Wahrheit, die in der wissenschaftlichen Bewältigung der Erfahrung, kantisch gesprochen: durch die Anwendbarkeit synthetischer Urteile a priori aufs Erfahrbare erschlossen wird. Es gibt, scheinbar daneben, die Wahrheit des nur mittelbar dem Menschen sich Gebenden, das er nur durchs Zeugnis erreichen kann. So scheint Zeugnis also einer unter vielen Zugängen zur Wahrheit zu sein. Verdankendes Denken

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Aber bezeugt sich im Zeugnis Wahrheit nicht in einer umfassenderen Weise als in den anderen Weisen der Wahrheitserschließung? Und kommt in dieser umfassenderen Weise Wahrheit nicht intensiver zum Vorschein? Hebt sich Zeugnis so nicht über die Nebeneinanderreihung von Zugängen zur Wahrheit hinaus? Wir haben mit unserer Aussage, daß Wahrheit sich wesenhaft im Zeugnis vorbringe, gerade dies im Auge. Es wäre möglich, dies in einer Erörterung dessen, was das Herz oder was die drei Ordnungen in Pascals (d) Pensées 3 bezeichnen, zu erhellen. Einen vielleicht noch unmittelbareren Weg führt uns eine Bemerkung Franz Rosenzweigs in seinem Aufsatz »Das neue Denken«. Rosenzweig spricht dort vom Begriff der »Bewährung der Wahrheit«, die zum Grundbegriff einer »neuen Erkenntnistheorie« werden müsse, »die an die Stelle der Widerspruchslosigkeits- und Gegenstandstheorien der alten tritt und an Stelle des statischen Objektivitätsbegriffes jener einen dynamischen einführt«. Rosenzweig fährt fort: »Die hoffnungslos statischen Wahrheiten, wie die der Mathematik, die von der alten Erkenntnistheorie zum Ausgangspunkt gemacht wurden, ohne daß sie dann wirklich über diesen Ausgangspunkt hinauskam, sind von hier aus als der – untere – Grenzfall zu begreifen, wie die Ruhe als Grenzfall der Bewegung, während die höheren und höchsten Wahrheiten nur von hier aus als Wahrheiten begriffen werden können, statt zu Fiktionen, Postulaten, Bedürfnissen umgestempelt werden zu müssen. Von jenen unwichtigsten Wahrheiten des Schlages ›zwei mal zwei ist vier‹, in denen die Menschen leicht übereinstimmen …, führt der Weg über die Wahrheiten, die sich der Mensch etwas kosten läßt, hin zu denen, die er nicht anders bewähren kann als mit dem Opfer seines Lebens, und schließlich zu denen, deren Wahrheit erst der Lebenseinsatz aller Geschlechter bewähren kann.« 4 Wahrheit erfordert also die Angemessenheit des wahrnehmenden Organs an das Wahrgenommene, an das als wahr Angenommene. 3 4

Vgl. z. B. B. Pascal, Pensées, ed. Brunschvicg, Frgm. 277–284, 793. F. Rosenszweig, Kleinere Schriften (Berlin 1937) 397 f.

Pascal bekräftigt in seinen Gedanken, dass es unter den Menschen drei Stufungen gibt: die irdische, die geistige und die der Liebe. Zu diesen drei Stufungen gehören Menschen, die sich jeweils den materiellen Dingen beziehungsweise, wie er es nennt, dem Fleischlichen, dem Intellektuellen und dem Heiligen widmen (vgl. B. Pascal, Pensées, L. Brunschvicg (Hg.), Flammarion, 71993).

(d)

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Eine zwingende Wahrheit braucht das Organ zwingender Erkenntnis, d. h. das von allen subjektiven Bedingungen geläuterten reinen Denkens. Dies ist die Höhe, dies ist aber auch die Endlichkeit zwingender Erkenntnis: nur was sich von sich her zwingend dartut, nicht also, was die unerzwingbare Freiheit angeht, ist ihre Sache. Schon etwa das Ästhetische ist nicht mehr es selbst, wo es in zwingenden Maximen, in notwendigen Denkzusammenhängen aufgelöst und in ihnen allein gefaßt ist. Das Mitspielen und Sich-Einschwingen in das Spiel des Schönen ist nicht mehr zwingend, und nur wer jenes in sich zum Einsatz bringt, was nicht erzwungen werden kann, wird dem Rang und der Wahrheit des Ästhetischen an diesem selbst gerecht. Der Einsatz, den das Ästhetische verlangt, ist freilich, zumindest beim nur Ästhetischen – sofern es solches überhaupt gibt – noch ein ebenfalls nur spielender Einsatz, der vom Ich-Selbst des Mitspielenden also noch abzusehen vermag. Anders verhält es sich mit personaler Wahrheit. Wo es darum geht, einem Du als Du gerecht zu werden, da versagen die Methoden zwingender Analyse, sichernden Austestens und Berechnens, versagt aber auch die bloß ästhetische Einfühlung und Einschwingung. Die unerzwingliche Freiheit des Ich-Selbst des anderen fordert mein IchSelbst, meine Freiheit, d. h. aber: mein Vertrauen und meinen Einsatz, mein Mich-Aussetzen ins Gespräch heraus. Wo ich solches grundsätzlich draußen ließe, da könntest du mir nicht aufgehen. Wo es aber um die ganze Wahrheit, wo es um die Wahrheit des Ganzen und seines Sinnes geht, da kann das Organ kein anderes mehr sein als die ganze und ausnahmslose Wirklichkeit meiner selbst; nur mit meinem Dasein, nur mit meiner radikalen und nicht nur theoretischen Offenheit, nur mit meiner Bereitschaft bis zum Äußersten kann jene Wahrheit mir aufgehen, die mich selbst in dieses mein Dasein und seinen totalen Charakter hinein gezeitigt hat.

c)

Die WAHRHEIT im Zeugnis des Lebens

Rosenzweig nennt seine »neue Erkenntnistheorie« eine »messianische Erkenntnistheorie«, d. h. eine, welche die letzte und ganze und äußerste Wahrheit mit dem Letzten, Ganzen, Äußersten bewährt, mit dem Blut. Dies ist, so läßt sich unmittelbar sehen, alles eher als ein Irrationalismus. Aus dem Ganzen, das ich bin, und welches allein das OrVerdankendes Denken

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gan für die ganze Wahrheit zu sein vermag, ist gewiß die Helle meiner Vernunft nicht ausgeschlossen. Diese Helle aber öffnet sich über den Binnenraum ihrer Verfügbarkeiten hinaus in ihre eigene und ganze und mein Leben und Sterben einbegreifende Totalität. Die letzte Wahrheit, so bezeugt mir mein Dasein in seiner Totalität, in seiner Berufbarkeit bis zum Blut, wird nur aufgehen, wo ich bis zum Letzten gefordert bin. Sie ist nicht feststellbar, sondern vernehmbar, vernehmbar aber nur, indem sie sich ins Ganze meines Daseins hinein übersetzt, indem sie mich zu ihrer Zeugenschaft ruft. Wahrheit, ganze Wahrheit, geschieht im Anruf an mich, sie ist das DU, das mich ich sein läßt, ich sein als den Zeugen des großen DU vor allem Du. Es sei gestattet, daß wir an dieser Grenze unserer philosophischen Besinnung auf Wahrheit und Zeugnis jenes Zeugnisses gedenken, das philosophische Besinnung nicht von sich her geben kann, sondern das selbst Sache des Glaubens und des Bezeugens ist. Man könnte unsere ganze Erwägung als eine Vorübung des Denkens verstehen zu dem bezeugenden Satz Jesu im 7. Kapitel des JohannesEvangeliums: »Meine Lehre ist nicht mein, sondern dessen, der mich gesandt hat. Wer seinen Willen tun will, der wird an der Lehre erkennen, ob sie aus Gott ist oder ob ich aus mir selber rede.« (Joh 7, 16 f.) Von hier her freilich ist es nicht im Sinne praktischer Ermahnung, sondern als strengste theologische Aussage zu verstehen, wenn der johanneische Christus die Liebe, mit der er geliebt hat, die Einheit, in der er mit dem Vater eins ist, uns als das Zeugnis für die Welt aufträgt.

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Handreichungen zur Lektüre

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Nach der langen Einübung über das Heilige und das Denken, in der Hemmerle Theologie und Philosophie erstmals in Dialog miteinander bringt, und nach den großen Arbeiten der Dissertation und Habilitation wendet er sich dem Zeugnis zu als Aspekt, der die christliche Religion kennzeichnet, aber zugleich ein philosophisches Thema wäre 1, denn es gibt, worauf er selbst aufmerksam macht, verschiedene Arten von Zeugnis. Damit das Thema Wahrheit zu verbinden, entspringt demnach einem doppelten Bedürfnis: Die Wahrheit stellt gewissermaßen das Denken und die Philosophie dar, aber Theologie, die auf einer von Zeugen überlieferten Nachricht basiert, muss sich der Wahrheit stellen, sie ist der Nachricht selbst wert, die als authentisch weitergegeben werden soll. Es gibt nicht viele andere Texte, in denen Hemmerle sich mit diesem Thema befasst hat, es sei denn indirekt – wie in Unterscheidung des Christlichen 2 – oder in einer interessanten Interpretation eines Musikstücks Beethovens als Zeugnis des Heiligen 3. In Unterscheidung des Christlichen, geschrieben 1972, also vor dem Text, den wir hier betrachten, kehrt das Thema des religiösen Zeugen als besonderes Element der religiösen Dimension als solcher zurück: Hier wird der Zeuge klar als derjenige definiert, der eine EpiphanieErfahrung gemacht hat, durch die er am Aufbrechen des heiligen Geheimnisses teilhat. Dieser Zeuge ist sich dessen, was er erfahren hat, absolut sicher, ferner, dass auch dem, der seinem Zeugnis Glauben Ich benutze hier den Konditional, denn in der Tat gibt es kaum philosophische Untersuchungen über Zeugenschaft in der Geschichte der Philosophie. Nur in den letzten Jahrezehnten hat das philosophische Interesse daran ein Wachstum erlebt. Als Beispiel in der phänomenologischen Schule kann man Eugen Fink, Schüler Husserls und Heideggers in Freiburg, lesen, der das Thema des menschlichen Zeugnisses entwickelt und darüber in Begriffen wie »Philosophie des Zeugnisses« spricht. Vgl. E. Fink, Grundphänomene des menschlichen Daseins, Alber-Thesen, Freiburg 21995. Ein paar Jahre davor hatte C. A. J. Coady seine Untersuchung Testimony: A Philosophical Study veröffentlicht, die den Diskurs über Zeugenschaft und Zeugnis in den Fokus der aktuellen philosophischen Diskussionen einbringen wollte. 2 K. Hemmerle, Unterscheidung des Christlichen, in: Auf den göttlichen Gott zudenken. Schriften zur Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie, Bd. 1, Herder, Freiburg – Basel – Wien 1996, 307–321. 3 K. Hemmerle, Gestalt als Zeugnis – zu Beethovens letztem Klavierstück, in: Unterwegs mit dem dreieinen Gott. Schriften zur Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie, Bd. II, Herder, Freiburg – Basel – Wien 1996, 258–279. 1

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schenkt und ihm Folge leistet, indem er es sich zu eigen macht, gegeben ist, in gewisser Weise an der gleichen Erfahrung teilzuhaben. Nur so kommt es zur Verwirklichung der religiösen Erfahrung: durch den Zeugen kann man sich ganz hingegeben und vom heiligen Geheimnis angenommen und umgeben fühlen. Für das Christentum ist das Zeugnis in herausragender Weise konstitutiv, und zwar deshalb, weil man in ihm nicht nur von Zeugen in Bezug auf das, was sie zur Zeit Jesu erlebt haben, sprechen kann, sondern vor allem, weil sie sich ganz auf ihn selbst beziehen. »Das Zeugnis Jesu, auf dem Christentum beruht, ist nicht nur Zeugnis von einer Epiphanie, sondern es ist zugleich Epiphanie« 4. Gleichwohl bleibt die Tragweite des Zeugnisses Jesu für Hemmerle hier nicht stehen; »das Zeugnis Jesu für den Vater, in letzter Radikalität sein Tod und seine Auferstehung, sind nicht nur Epiphanie Gottes, sondern – wenn diese Sprechweise einen Augenblick lang erlaubt ist – auch Epiphanie des Menschen« 5. Das Zeugnis Jesu zeitigt Glauben an Gott, der sich durch das Jüngersein ausdrückt, das heißt durch die Entscheidung, seinem Weg zu folgen. Bei einem Blick auf die Schriften Bernhard Weltes finden wir mehrere Darlegungen über das Zeugnis, die dem sehr ähneln, was soeben über Hemmerle gesagt wurde. Nehmen wir beispielsweise eine Schrift aus dem Jahr 1982 über den Glauben, da finden wir die Verbindung des Zeugnisses mit dem Wort im Innern der Glaubenserfahrung mit anderen. Welte fragt nach der Bedeutung der Aussage »ich glaube an dich«. Wie kommt man zu einer solchen Aussage gegenüber jemand anderem? Es bedarf der Initiative des anderen, der aus sich herausgeht und sein Wort an mich richtet; indem er das tut, öffnet sich eine Beziehung, in der der andere, der mir etwas sagt, im Grunde sich selbst aussagt; von daher bekommt das Wort den Charakter des Zeugnisses. »Du bezeugst in deinem Wort, was du denkst und was du willst und vor allem: Du bezeugst, was du bist« 6. Demnach öffnet der andere den Raum des Zeugnisses, und er tut dies durch sein Wort, das ihn selbst aussagt, indem er es dem anderen sagt: Das ist genau das, was Hemmerle bekräftigt. Wo Welte von der Seriosität des anderen spricht, der mir etwas mitteilt, spricht Hemmerle vom radikalen Einsatz des Zeugen. Ein weiteres gemeinsames K. Hemmerle, Unterscheidung des Christlichen, Ebd., 310. Ebd., 311. 6 B. Welte, Wege in die Gehemnisse des Glaubens, in Bernhard Welte Gesammelte Schriften, IV/2, Herder, Freiburg i. Br. 2007, 55. 4 5

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Element ist sodann die Zeit: Das Zeugnis bedarf der Zeit, der Zeit dessen, der spricht und das mitteilt, was er bezeugen will, wie auch der Zeit der Wiederholung dieses Inhalts, damit er mich erreicht. Was erreicht mich wirklich? Nach Welte kann es sich nur um die ganze Welt handeln, die mich umgibt und in der ich lebe: Wenn ich mich bezeuge, teile ich etwas mit aufgrund der Tatsache selbst, dass ich in einer Welt von Beziehungen und Gepflogenheiten lebe; mein Zeugnis ist zugleich Zeugnis der Welt und des Geistes. Dieser Aspekt ist höchst bedenkenswert, wenn man den Diskurs über das Zeugnis auf die religiöse Ebene verlagert sowie auf den Glauben, den es aus einer Distanz von viel Zeit hervorrufen soll, wenn also die Welten und Kulturen einander nicht mehr unbedingt nahe und verständlich sind. Man kann demnach ein unmittelbares Zeugnis – im Gegenwärtigen und aus dem Lebendigen – von einem historischen Zeugnis unterscheiden, ein Zeugnis des Zeugnisses, wie Welte es formuliert 7, das uns von Dritten übermittelt wird, mündlich oder schriftlich. Dieses Zeugnis – das gleiche, was auch Hemmerle analysiert – ist fast eine Erfahrung nebenbei, denn in ihr sind die Konturen der Welt und des Kontextes weniger präsent und offensichtlich als im direkten Zeugnis; trotzdem können wir auch in diesem Fall die Persönlichkeit des Zeugen wahrnehmen und, ungeachtet der Distanz, die Erfahrung eines Du machen, das zu uns spricht und uns etwas mitteilen will, das er selbst erlebt hat und dessen Zeuge er ist. Da der Mensch fähig ist, die Bedeutung des geschriebenen Zeugnisses zu erkennen und zu verstehen, was es übermitteln will, ist das Verstehen einer heiligen Botschaft, eines Zeugnisses, das Glauben weckt, möglich. Es bedarf der Annahme der bezeugten Botschaft: Darüber spricht Hemmerle nicht, da er sich eher auf eine phänomenologische Analyse des Zeugnisses als Überbringerin der Wahrheit konzentriert, in diesem Sinne mehr an den Zeugen gebunden als an den, der an das Zeugnis glaubt. Welte hingegen vertieft die Dynamik, die zwischen mir und dir im Gespräch fließt, das zur Übermittlung bestimmter Inhalte dient: Wenn das Zeugnis von dir ausgeht, weil du mir etwas mitzuteilen hast, beginnt der Glaube hingegen bei mir, der ich von dir angesprochen wurde, und ich muss mich dir und dem Inhalt deiner Botschaft öffnen. Ich werde aufmerksam, aber nicht in erster Linie und vorrangig auf deine Worte, sondern auf dich als jemanden, der sich gibt und Vgl. B. Welte, Hermeneutik des Christllichen, in Bernhard Welte Gesammelte Schriften, IV/2, Herder, Freiburg i. Br. 2006 IV/1, 176–179.

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sich selbst bezeugt; danach richtet sich meine Aufmerksamkeit natürlich auf den Inhalt dessen, was du bezeugst, um ihn zu verstehen. Jedoch erst in dem Moment, wenn ich mich von dir und deinen Worten berühren lasse, kann das Ja auf sie und ihren Inhalt ausgelöst werden, denn dann erkenne ich in ihnen deinen Geist, der zu mir spricht und der mich wachruft für diese Inhalte und sie in mir einen Widerhall finden lässt. Der entscheidende Schritt, den Welte betont und der die Grundlage für den gesamten Diskurs über das Zeugnis bildet – auch bei Hemmerle – besteht darin, dass in mir ein »Potenzial« existiert, das nur dank des anderen Realität werden kann. Das bedeutet, dass der Diskurs über das Zeugnis auf der geistlichen Dimension des Menschen basiert und demnach auf der Fähigkeit, sich auf mehreren Ebenen zu öffnen und auf Botschaften einzugehen, die vom Geist kommen und die den Geist ansprechen. Auf dieser Basis und nach der oben beschriebenen Begegnung wird der Glaube geweckt oder auch nicht, denn an jenem Punkt stehe ich vor der Entscheidung, dem zuzustimmen, was der andere mir berichtet, also ihm Glauben zu schenken, oder aber ihm zu misstrauen und nicht zu glauben. Das Zeugnis bringt einen Aspekt doppelter Freiheit mit sich: Ich bin frei, zu glauben oder nicht, weil das, was der andere sagt, mir keinen Zwang auferlegt, sondern eher eine Einladung ist; aber auch der Zeuge ist frei, weil ich ihn nicht verpflichte. Wenn sich jedoch der Glaube nur in einem Raum der Freiheit verwirklicht, so gilt das nicht ebenso für das Zeugnis, wie Hemmerle erläutert – vor allem in Fällen des Zeugnisses, wo man vor der absoluten Wahrheit steht –, weil der Zeuge sich verpflichtet 8 sieht, bestimmte Dinge mitzuteilen, sie nicht für sich zu behalten; deshalb handelt er spontan, aber nach einem Antrieb, den er nicht aufzuhalten vermag, mit allen Konsequenzen im Einzelfall (man denke an die Märtyrer des Glaubens). Hier nähern wir uns der Wahrheit, mit der Hemmerle den Diskurs über das Zeugnis verbindet 9; an diesem Thema ist seiner Schule In der Bibel findet man verschiedene Beispiele dafür, besonders bei den Propheten wie Jona, der sich mit all seinen Kräften sträubt, Zeugnis für Gott abzulegen, aber am Ende doch aufgeben und dieser Wahrheit Folge leisten muss. Vgl. Jona, 1–4. 9 An sich ist die Frage nach der Wahrhaftigkeit eines Zeugnisses gerade die Hauptfrage, besonders wenn es darum geht, dieser alltäglichen menschlichen Erfahrung – etwas aus dritter Hand zur Kenntnis zu nehmen – den Rang einer Erkenntnisquelle zuschreiben zu wollen. In der philosophischen Debatte ging es gerade um konträre Positionen: Zeugenschaft sei keine eigenständige Erkenntnisquelle (Hume); die Zeu8

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des Denkens besonders gelegen. Heidegger hat sich ausgiebig zu diesem Thema geäußert, sowohl in Sein und Zeit 10 als auch in seiner Schrift, die ausdrücklich der Wahrheit gewidmet ist: Vom Wesen der Wahrheit 11, wobei er in der Hinsicht ein rein ontologisches Interesse zeigt. Die Wahrheit, von der Heidegger spricht, ist etwas Freies und Zeitgebundenes, von daher ist die Nähe zu Welte offensichtlich und mit ihm zu Hemmerle selbst. Sie ist kein Anpassungsprozess des Intellekts und der Sache, sondern ist zu entdecken, muss vom Dasein enthüllt werden. Es bleibt jedoch zu erwähnen, dass Welte bei der heideggerschen Kritik an dieser klassischen thomistischen Formel der adaequatio rei et intellectus nicht allein stehen bleibt, sondern er gewinnt sie neu, indem er sie überdenkt 12. Wenn wir von Wahrheit sprechen, verbinden wir im Allgemeinen Denken und Sache, und das bedeutet, dass wir sie miteinander abgleichen, das heißt, dass wir das Denken in gewisser Weise der Sache gleichsetzen – sonst könnte es nicht zu einer möglichen Anpassung kommen, die Wahrheit zeitigt oder nicht. Das wiederum bedeutet, dass das Denken nicht etwas in sich Geschlossenes sein kann, sonst wäre die gedachte Sache nicht anders als gedacht, und tatsächlich ist das Denken immer schon bei etwas, es ist frei, über sich hinaus zu sein. Demnach gibt sich die Wahrheit, wenn offene Blicke des Denkens das Sich-Geben und das Aufkommen des Seienden in seinem Sein wahrnehmen, wenn – um es mit Heideggers Worten zu sagen – das Seiende sich zeigt und das Denken den Raum öffnet, in dem es sich enthüllen kann. Wenn das Denken und das Sein also vom Ursprung her offen sind für die Begegnung, dann kann es Wahrheit als adaequatio rei et intellectus geben. In diesem Sinne hat die Wahrheit – metaphysisch gedacht – immer etwas mit dem Geist zu tun und nicht mit etwas Materiellem; sie kommt jedes Mal auf, wenn ein menschlicher Geist versteht, dass etgenschaft sei eine solche, denn es wird das Wissen aus zweiter Hand anerkannt (Reid). Zu einer Vertiefung der Thematik vgl. S. Krämer/S. Schmidt/J.-G. Schülein (Hg.), Philosohie der Zeugenschaft. Eine Anthologie, Mentis, Münster 2017. 10 M. Heidegger, Gesamtausgabe, Bd. 2, Sein und Zeit, Max Niemeyer, Tübingen 101973, insbesondere § 44. 11 M. Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 1977. 12 Vgl. B. Welte, Wahrheit und Geschichtlichkeit. Einstündige Vorlesung, Sommersemester 1962, in: Mensch und Geschichte, I. Feige (Hg.), Bd. I,1, Herder, Freiburg i. Br. 2006, 87–135. Verdankendes Denken

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was so ist, denn das, was so ist, ist wirklich so und kann nicht anders sein. Das ist immer auch etwas, was mitgeteilt wird und was mitteilbar ist; deshalb ist die Wahrheit an die anderen und an unser Mitanderen-Sein in der Welt gebunden. Hemmerle ergründet das Thema Wahrheit ausführlicher in seiner Schrift Die Wahrheit Jesu, in der er, um die Wahrheit Jesu zu erklären, zunächst darlegt, worum es geht, wenn wir von Wahrheit sprechen. Man kann vor allem drei Aspekte der Wahrheit ins Licht rücken: 1.) »Einmal ist Wahrheit Offenheit der Wirklichkeit im Denken«, weil die Wirklichkeit so beschaffen ist, dass sie sich im Denken öffnet und entwickelt; 2.) »Das Denken [hat] kraft dieser Offenheit der Wirklichkeit einen Verantwortungscharakter«, deshalb muss sich das Denken der Wahrheit nähern; 3.) »Schließlich ist menschliches Denken endliches Denken, endliches Denken, das in der Entsprechung einer eigenen Nichtentsprechung gewahr wird« 13. Von daher kann das Denken keine Regeln festlegen für das Sich-Zeigen oder Nicht-Sich-Zeigen der Wahrheit, sondern es muss vielmehr offen sein, sich in immer neuer und verschiedener Weise vom Aufkommen der Wahrheit herausfordern zu lassen: Hier finden wir das Motiv wieder, das bereits zehn Jahre vorher in Das Heilige und das Denken 14 präsent war. Gleichwohl gilt es auch, einige Kriterien herauszuarbeiten, die das Aufkommen der Wahrheit Jesu definieren, sodass das Denken einen Bezugskompass haben kann, um sie zu erkennen und nicht mit anderem zu verwechseln. Hemmerle nennt dafür vier Kriterien. Das erste ist die Negation, das heißt, wenn etwas Neues entsteht, kommt es im Allgemeinen aus dem Alten und legt dieses beiseite, negiert es also, sodass ein neues Ganzes entstehen kann; dieses Neue aber muss alles wandeln, das heißt, eine neue Ordnung mit sich bringen, die stimmig ist: »Jede neue Wahrheit hat ihre neue Identität«; was als etwas Neues entsteht und in sich stimmig ist, erweist sich auch als wahr, solange es keine isolierte Welt schafft, sondern ein offenes Fenster auf das Innere lässt, sodass alle Erfahrungen und Fragen darin Platz finden können. »Wahr ist nur, was es nicht nötig hat, andere Wahrheit zu verfremden, zu verkürzen, zu verdrängen. Wahr-

K. Hemmerle, Die Wahrheit Jesu, in Unterwegs mit dem dreieinen Gott, ebd., 1996, 178. 14 Vgl. Kap. I, »Die Herausforderung des Heiligen«. 13

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heit ist integrativ« 15. Das bedeutet aber eben nicht nur das Alte zu bewahren, sondern es durch die Wandlung im Neuen zu integrieren. Schließlich gilt auch das scheinbare Gegenteil, das heißt, dass etwas wahr ist, wenn es wirklich neu ist, will sagen, wenn es wirklich wandelt, was es integriert. Das bedeutet eine neue Herausforderung, ein neues Zeugnis und ein neues Licht, die eine Steigerung mit sich bringen, die etwas mehr bringen. Aus der Zusammenfassung der vier Kriterien – Negation, Stimmigkeit, Integration und Steigerung – ergibt sich, dass »neue Wahrheit anders ist; sie ist das, was sie ist; sie lässt alles sein, was es ist; sie lässt alles mehr werden, als was es war, denn sie ist selbst in ihrer Identität ein Mehr« 16. All das ist aber nur möglich, wenn wir da sind als Pole des Empfangens und der Gabe seitens der Wahrheit und an die Wahrheit, was auch dem vorliegenden Text, aber ebenso Welte zu entnehmen ist. An dieser Stelle lohnt es sich, kurz in einer Klammer etwas über den Einfluss Rombachs hinsichtlich der Erarbeitung dieser Kriterien der Wahrheit einzufügen: Hemmerle schrieb Die Wahrheit Jesu nämlich in nahem Zusammenhang mit der Lektüre der Strukturontologie 17. Man braucht sich nur das Inhaltsverzeichnis des Werkes von Rombach anzuschauen (darauf hat Klaus Kienzler in seiner Reflexion 18 über die Beziehung zwischen Hemmerle und Rombach hingewiesen), dann lassen sich dort die vier Kriterien Hemmerles aufspüren. In der Strukturdynamik spricht Rombach ausdrücklich von der Steigerung, und in dem Kapitel, in dem er die Kriterien der Steigerung definiert, finden wir eine Spur für die hemmerlesche Integration im Prinzip der Wandlung, für die Stimmigkeit in der Folge dieser Verwandlung und letztlich untersteht die Negation den Prinzipien von Hebung und Abhebung bis zum Sprung – eine weitere Kategorie, die man in anderen Schriften Hemmerles findet. Tatsächlich konzipiert auch Rombach die Wahrheit als etwas, das in Bewegung ist, nicht statisch und definitiv, weil die Struktur so nicht ist. Anhand dieser Kriterien kann man die Wahrheit erkennen, die Jesus bringt, der an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit K. Hemmerle, Die Wahrheit Jesu, ebd., 181. Ebd., 182. 17 Die Wahrheit Jesu erschien 1976, fünf Jahre nach der Strukturontologie. 18 Vgl. K. Kienzler, Strukturontologie – von Heinrich Rombach zu Klaus Hemmerle, in: G. Bausenhart/M. Böhnke/D. Lorenz (Hg.), Phänomenologie und Theologie im Gespräch. Impulse von Bernhard Welte und Klaus Hemmerle, ebd. 15 16

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Wahrheit und Zeugnis

und in einer bestimmten Gestalt das Unendliche im Endlichen und im Bestimmten zeigt, also etwas, das mein Denken übersteigt und alle Beziehungen erneuert, in gewisser Weise auch, indem sie aufgelöst werden. Und wie macht er das? Indem er sich an uns wendet, indem er sich uns zeigt in der Zeit und in der Geschichte, indem er neues Licht auf das Alte wirft, aber er tut es vor allem nach den ersten beiden oben genannten Prinzipien, Negation und Stimmigkeit. Negation, weil ich selbst durch die Wahrheit Jesu in Frage gestellt bin, und alles, was mich umgibt; Stimmigkeit, weil er eine neue Ordnung mit sich bringt, die von außen nicht beurteilbar ist, sondern nur verständlich und stimmig wird für den, der sich ihr anvertraut. So wird diese Wahrheit Jesu für uns nur durch das Zeugnis zugänglich, das seinerseits Jüngersein weckt: In ihr sind Mensch und Welt integriert in der Wahrheit Jesu und erreichen in ihr ihre eigene. Demnach sind die Kriterien der Wahrheit ihrerseits von Jesus verwandelt, sodass am Beginn die Negation steht als Ruf, alles zu verlassen, um ihm zu folgen. Negation bedeutet hier: nicht du, nicht deine Familie oder deine Interessen, sondern Gott allein. Es ist gerade das schematische Grundmuster des Zeugnisses, das sich wiederholt, aus fremdem Antrieb zu erzählen, aus sich herauszugehen für den anderen, Gott. Der Ruf, Jesus zu folgen, bedeutet zugleich Ankündigung der Botschaft, des Lebens, das aus der Nachfolge auf einem Weg entsteht, in Stimmigkeit mit dem Jesus, der äußerste Hingabe ist, Selbstentäußerung, Ausgang aus dem Vater, um zu ihm zurückzukehren, also Weg der Steigerung, der alle Schritte integriert. Schließlich besteht das Geheimnis Jesu in der Integration von Ebenen, die untereinander scheinbar entgegengesetzt sind, nicht im Einklag mit einem Gott, der in seiner äußersten Armut, in der Verlassenheit und im Tod, Gegenwart absoluter Liebe ist. Derjenige, der berufen ist, die Theophanie zu bezeugen, wird »restlos gefordert, angegriffen, enteignet – aber genau das lässt ihn allein, es erschöpft ihn«, wohingegen derjenige, der die Wahrheit Jesu bezeugt, auch wenn es auf einem Weg der Teilhabe ist, der schwierig und mühsam sein kann, nie allein und erschöpft ist, weil er in Gemeinschaft mit ihm ist. Die Wahrheit ist und wird also nach Hemmerle etwas, das in einem Ruf stattfindet, im Ruf von einem Du, das den anderen so stehen lässt wie es ist, aber zuleich für jemand anderen steht. Das bedeutet aber, dass jeder Mensch potenziell Zeuge ist und dementsprechend die Wahrheit in der Begegnung/Berufung stattfindet, indem sie zur Antwort und zur Verantwortung beruft. 170

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Das Zeugnis ist also eine aus Anerkennung und Zustimmung zutiefst menschliche Handlung einer leuchtenden Wahrheit entgegen. Diese Handlung bedarf einer Haltung des Denkens, das nicht mehr fassen will, sondern verdankend offen ist, eine wahre Botschaft zu empfangen. »Nur solches folgsame, dem anfänglichen Ruf folgende Denken, nur solches von sich selber umkehrende und sich in seine Umkehr mitbringende und sogleich loslassende Denken kann Zeuge der Offenbarung werden; Offenbarung aber kann nur Glaube und nur bezeugtes Wort werden, indem solches umkehrende Denken sich ihm öffnet, sich und seine Worte ihm einräumt« 19. Klaus Hemmerle hat versucht, durch seine intellektuelle Tätigkeit wie durch sein Leben, Zeugenschaft dieser Wahrheit abzulegen, als Zuhören und Empfangen der Möglichkeit eines Denkens und Kommunizieren, die von anderswoher kommen.

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K. Hemmerle, Denken der Grenze – Grenze des Denkens, vgl. infra, 142.

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III. Fragen der Beziehung

A. Zur Einführung Das problematische Verhältnis zwischen Philosophie und Theologie entstand als Vortrag, den Klaus Hemmerle anlässlich der Versammlung der Görres-Gesellschaft vor der Sektion für Philosophie am 28. September 1976 in Koblenz hielt. Dieser Beitrag wurde dann im Jahr darauf im Philosophischen Jahrbuch der Görres-Gesellschaft veröffentlicht. Im gleichen Jahr publizierte Hemmerle eine kürzere Fassung, in der auch die Überschrift leicht abgewandelt ist: Das Verhältnis zwischen Philosophie und Theologie aus theologischer Perspektive; dieser Artikel wurde in der Herder-Korrespondenz 31 veröffentlicht. Die ausführlichere Urfassung wurde 1993 in den ersten Band der Ausgewählten Schriften 1 aufgenommen. Die Geschichte dieses Textes hat einen bewegten Hintergrund, weil auf die zweite Ausgabe in der kürzeren Fassung und mit geänderter Überschrift eine schriftliche Reaktion in jener Zeitschrift aus der Feder von Prof. J. Brechtken (Erlangen) folgte: Philosophie welcher Theologie? Eine Rückfrage an Bischof Klaus Hemmerle 2. Darauf antwortete Hemmerle mit einem kurzen Beitrag unter der Überschrift: Plädoyer für eine »naive« Theologie 3. Es ist nicht klar, ob die leichten Abänderungen im Artikel der Herder-Korrespondenz vom Autor selbst oder vom Herausgeber vorgenommen wurden; in jedem Fall ist das Weglassen des EigenschaftsK. Hemmerle, Das problematische Verhältnis zwischen Philosophie und Theologie, in: Ders., Auf den göttlichen Gott zudenken. Schriften zur Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie, Bd. I, ebd. 2 Vgl. J. Brechtken, Philosophie welcher Theologie? Eine Rückfrage an Bischof Klaus Hemmerle, in: »Herder Korrespondenz« 4 (1977), 201–211. 3 K. Hemmerle, Plädoyer für eine »naive« Theologie. Zu einer Rückfrage von Josef Brechtken, in: »Herder Korrespondenz« 5 (1977), 269–270. 1

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III. Fragen der Beziehung

worts »problematisch« im Bezug auf das Verhältnis zwischen Philosophie und Theologie nicht indifferent, da es den Akzent einer Qualifikation der Beziehung setzt beziehungsweise nimmt. Dieser Akzent ist aufgeladen mit einer gewissen Negativität, denn Problematisches ist nach allgemeinem Verständnis nichts Erfreuliches; das wird aber dem Leser in der Überschrift vorab so vorgeschlagen. Die Kürzungen im Text selbst scheinen hingegen weniger markant und hauptsächlich auf leichtere Lesbarkeit gerichtet. Ich würde nur das Auslassen eines Satzes betonen, in dem gerade das »Problematische« der Beziehung am Schluss des Artikels hervorgehoben wird: Wenn Hemmerle resümierend die Situation der beiden Disziplinen so darstellt, dass über ihnen ein Kreuz steht, dann beschreibt er dieses Kreuz im ursprünglichen Beitrag in dreifacher Weise 4; hier hingegen fehlt »das Kreuz der Verwiesenheit auf den anders gearteten Partner« 5, wodurch herausgehoben wird, in welchem Maß die beiden Fächer aufeinander angewiesen sind, nämlich gerade wegen ihrer Andersartigkeit. Wo liegt die Kritik in der Frage, die Brechtken dem Bischof stellt? Es geht um die These, die Hemmerle ins Feld geführt hat, hinsichtlich der Autonomie der Philosophie in der Theologie beziehungsweise geradewegs im Glauben. Nach Brechtkens Auffassung bringt der Versuch, aus einer Grundorientierung der Theologie eine innere Beziehung mit der Philosophie herzuleiten, und nicht eher distanziert und rational zu bleiben, Risiken mit sich nicht nur für die Theologie, sondern auch für die Philosophie. Ein Denken, das von Gott und von seinem Beginn spricht, beziehungsweise von ihm als Mittelpunkt und Quelle – Ausdruck einer neu gesuchten Autonomie der Philosophie – läuft Gefahr, Gott zu einem reinen Objekt vorkritischer Unbekümmertheit zu degradieren, was im Grunde in der Geschichte des Abendlandes passiert ist 6. Letztlich richtet sich die BeIm Folgenden die betreffende Passage aus Das problematische Verhältnis zwischen Philosophie und Theologie: »Es steht in der Geschichte so immer ein Kreuz zwischen Philosophie und Theologie: das Kreuz der je eigenen Unvollendbarkeit, das Kreuz der Verwiesenheit auf den anders gearteten Partner, das Kreuz, nicht im Eigenen das Ganze der Wahrheit aus sich selbst erreichen und vollenden zu können«. Vgl. im Text, III,5, 121. 5 Vgl. ebd. 6 Es ist das klassische metaphyische Problem, das zu der Ontotheologie eines Thomas von Aquin und vieler anderer geführt hat und nicht zuletzt das Problem der Philosophie Heideggers bleibt. Hemmerle versucht dies nicht nur in diesem Text zu überwinden; auch die Thesen sind ein Versuch in diese Richtung. Allerdings bleibt dieser Versuch doch unvollendet – wahrscheinlich auch auf Grund seiner Lebenssituation –, 4

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III. Fragen der Beziehung

fürchtung Brechtkens auf das Denken einer Theologie, die sich auf die existenzielle und geschichtliche Dimension des Menschen in seiner Beziehung zu Gott beruft, und damit auch auf seine Möglichkeit der Kenntnis desselben. Die Befürchtung zielt also auf den Eindruck, den Hemmerles Text hervorrufen kann, nämlich die Philosophie auf eine unkritische Theologie zu reduzieren, was unter anderem die Theologie selbst abwertet. Hemmerle antwortet auf diese Provokation mit Demut, indem er zugibt, dass »knapp hingeworfene Thesen […] in der Tat zu knapp [sind], um den ganzen Gedankengang sichtbar zu machen, der hinter ihnen steht« 7; dabei dankt er für die Frage, die eine weitere Vertiefung gestattet. Andererseits ist Hemmerles Antwort klar und sorgfältig strukturiert, wobei er von seinen Positionen, die er in seinem Artikel dargelegt hat, nicht abrückt. Die drei Hinweise, die er gibt, können hilfreich sein als Einführung in den Text selbst; deshalb werde ich sie hier einmal kurz skizzieren. 1.

2.

Hemmerle ist einzig und allein an der Begründung der Beziehung zwischen Philosophie und Theologie gelegen und nicht an einer Grundlegung der Philosophie als solcher. Die Beziehung wird aus der Perspektive der Theologie verstanden, die auf das vorhergehende Verständnis des gleichen Verhältnisses aus der Perspektive der Philosophie folgt. Die zentrale Frage lautet hier: »Inwiefern ist vom Eigenen und Inneren der Theologie her eine Autonomie der Philosophie im Verhältnis zur Theologie zu begründen?« 8. Zum Versuch dieser Rechtfertigung wählt Hemmerle den Ausgangspunkt, der am weitesten von der Philosophie entfernt liegt, das heißt, er geht vom Glauben und von der Offenbarung aus. Was so gerechtfertigt werden soll, ist das Recht und die Pflicht zur eigenen Autonomie seitens der Philosophie im Blick auf sich selbst, auf das eigene Denken und Fragen. Die Philosophie, die hier in Betracht gezogen wird, ist jene Aktivität des Denkens des Menschen, die auf das Denkbare und Nachprüfbare zielt, was sich zu denken gibt und was die Mög-

denn er konnte die Botschaft der Offenbarung Gottes nicht bis zu ihrer radikalsten Folgerung führen und das Denken vollkommen neu aus dem Ansatz des Christentums denken. Er tut es aber sicher ansatzweise. Erweiterte Versuche in diese Richtung findet man beispielsweise in der Phänomenologie Marions. 7 K. Hemmerle, Plädoyer für eine »naive« Theologie, in: Auf den göttlichen Gott zudenken, ebd., 50. 8 Ebd., 51.

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III. Fragen der Beziehung

3.

lichkeit zu Fragen und Antworten in der Hinsicht bietet. Da Gott sich in der Perspektive und im Horizont menschlichen Handelns und Verstehens offenbart, demnach im menschlichen Denken und Fragen, hat die Philosophie einen unverzichtbaren Platz im Innern der Theologie. Und die Tatsache, dass die Theologie philosophischer Prämissen bedarf und dass der Glaube seinerseits der Prämissen des Denkens und menschlichen Fragens bedarf, sagt etwas darüber, von welchem Gott wir sprechen: einem, der für den Menschen und aus ihm ausgehend Gott sein will. Die Theologie, auf die sich das bezieht, ist als Wissenschaft des Glaubens 9 eine Wissenschaft von innen und nicht eine von draußen, das heißt, sie ist Wissenschaft, die von der Wende des Glaubens her denkt – die zugleich Umkehr ist. Also bin nicht ich – menschliches Subjekt des Denkens – derjenige, der eine Grundlegung für meinen Glauben sucht, sondern es ist der Glaube selbst, der von innen her eine Plausibilität, eine Selbstklärung anstrebt. Das Neue Testament ist eine Geschichte der Möglichkeit des Denkens und des Wortes, die der Mensch in der Begegnung mit dem Glauben in sich trägt – Glaube, der nachfragen und modifizieren kann. Das auszudrücken und klarzustellen ist Aufgabe der Theologie und der Philosophie in der Theologie.

In dieser Hinsicht übernimmt hier Hemmerle die Definition Heideggers in Phänomenologie und Theologie, wo der Messkirchner Philosoph von der Theologie als positiver Wissenschaft spricht, die als solche absolut verschieden von der Philosophie sei. Die Theologie unterscheidet sich von der Philosophie, weil die eine aus dem Prinzip des Glaubens und die andere aus dem der Vernunft bestimmt wird. Vgl. M. Heidegger, Phänomenologie und Theologie, in: Wegmarken, Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 21978, 45–78.

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Das problematische Verhältnis von Philosophie und Theologie. Theologische Perspektiven

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Theologische Grundorientierung

»Nachdem aber Johannes ausgeliefert war, kam Jesus nach Galiläa, verkündigte das Evangelium Gottes und sagte: ›Erfüllt ist die Zeit! und: Genaht ist die Herrschaft Gottes! Kehrt um! und: Glaubt an das Evangelium!‹« So faßt Markus das Neue, das mit Jesus hereingebrochen ist (Mk 1, 14 f.). Hier hat Theologie anzusetzen. Denn der Glaube fängt nur mit dem Glauben, will sagen mit der absoluten Initiative und absoluten Hoheit des sich selber gebenden Gottes an (auctoritas Dei revelantis). Gewiß, wir treffen auch bereits innerhalb des Neuen Testamentes auf andere theologische Figuren, in denen sich der Anfang der Botschaft verfaßt. Sie alle aber weisen in diese grundsätzlich selbe Struktur zurück. Theologie nun fängt an, wo der Glaube und wo die Botschaft anfängt; denn sie will den Glauben und die Botschaft aus ihnen her, von ihrem eigenen Ursprung her auslegen, reflektieren, vermitteln. Und gerade wenn es um das Verhältnis der Theologie zur Philosophie geht, tun wir gut daran, so scharf wie überhaupt nur möglich, so exklusiv wie überhaupt nur möglich bei dem Ansatz einzusteigen, der die Theologie von der Philosophie abhebt. Wie aber »geht« der Ansatz der Botschaft selbst und somit eben der Ansatz von Theologie? Wir versuchen eine knappe Antwort, die sich nicht auf den Befund der herangezogenen Stelle allein stützt und zugleich auch nicht ihre ganze Fülle exegetisch und theologisch auslotet. Aber eines ist, wenn wir diesen elementaren Satz des Markusevangeliums mit der gesamten Botschaft des Neuen Testamentes zusammenlesen, doch unabweislich klar: Es passiert hier eine totale Umdrehung menschlichen Denkens, menschlicher Existenz, menschlichen Weltverständnisses. Wir denken normalerweise und notwendigerweise von uns her. Wir rekurrieren auf die Möglichkeiten, die uns in der Hand sind, wir knüpfen bei dem an, was uns gegeben ist. 176

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Wir gehen von uns aus, von den Erfahrungen, die wir machen, von den Möglichkeiten, die wir haben, von den Fragen, die uns bedrängen. Und von hier aus geschieht jener Ausgriff (a) des Denkens und Daseins, dem Sinn, Ganzes, Übersteigendes, Gott gar, äußerster Horizont sind, Horizont, an den wir vielleicht rühren, der sich aber zunächst einmal entzieht (b), der uns nicht selbstverständlich zur Verfügung steht. Selbst wenn Weltauslegung und Seinsauslegung zu dem Schlusse kämen, daß sie im Grunde immer schon von diesem Horizont ausgehen, daß er das Erste und die Mitte sei, so müßte solches Ereignis doch vermittelt werden in einem Prozeß der Aufhebung des anders laufenden Anscheins. Wenn menschliches Denken und Dasein mit seinem Anderen, vielleicht mit seinem absolut Anderen, wenn es – wie auch immer – mit dem Absoluten beginnt, so doch dergestalt, daß dieses Absolute als der Grund oder als das Ziel oder als der Kern aus dem Eigenen zu erheben wären. Hier aber, im Evangelium, geht die Bewegung anders. Gott bricht ein, Gott gibt sich, Gott setzt einen Anfang, Gott selber wird zum Anfang von sich her, der uns aus uns selber herausruft – und nun heißt es, nicht mehr von uns auszugehen, sondern von ihm. Am schärfsten und wohl am unmittelbarsten stellt sich dies dar im neuen Verhältnis zur Zeit, das die Botschaft vom nahenden Gottesreich eröffnet. Von uns her betrachtet, aus unseren eigenen Möglichkeiten her gesehen, leben wir auf eine Zukunft hin, die wir andauernd entwerfen, die wir jeden Augenblick neu antizipieren, in die wir ständig neu aufbrechen – und doch muß sie je von sich her zu uns aufbrechen, sich jeden Augenblick neu schenken. Sie bleibt unter dem Siegel der Unverfügbarkeit. Wir dürfen jeden Augenblick neu staunen, daß dieser Augenblick überhaupt stattfindet. Wir spielen unser Dasein und unser Denken in eine Zukunft hinein, wir schreiben dem, was kommt, unser Maß vor. Nur das eine können wir nicht vorschreiben und machen: daß diese Zukunft überhaupt kommt. Und nun, in Jesus, bricht eine neue Zeit an: die entzogene Quelle der Zukunft liegt nicht mehr über dem je äußersten Horizont unseres Se-

Dieser »Ausgriff« ist als Ausdruck des fassenden Denkens zu verstehen, von dem Hemmerle in Das Heilige und das Denken spricht (vgl. Kap. I, 50–56). (b) Diese Dimension ist in dem Diskurs über das Heilige entfaltet worden, das sich entzieht und vor dem Zugriff des Denkens zurückweicht, das heißt vor dem Anspruch des menschlichen Denkens, zu fassen und zu katalogisieren (vgl. ebd.). (a)

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hen- und Verfügenkönnens draußen; nein, diese Quelle, Gott selber, rückt jenseits der Peripherie ins Zentrum. Gott selbst wird Zentrum und Quelle, hier, auf dem Terrain unseres Daseins und Denkens, damit wir aus ihr schöpfen, von ihm her leben können. Gott nicht mehr Horizont, sondern Zentrum, noch einmal: das ist radikale Umkehrung, radikale Umkehr. Leben geht nicht mehr von mir her, sondern nur noch von ihm her. Der Richtungssinn aller Bewegungen und Regungen meines Daseins und Denkens dreht sich. Leben wird paradox, wird zum scheinbaren Widerspruch gegen sich selbst – und wird zugleich doch radikal einfach, Dasein wie die Lilie des Feldes und der Vogel auf dem Dach. Solcher Neuanfang, solcher Abbruch und Aufbruch, solche Umkehrung, solches Anfangen mit Gottes Anfangen von ihm her ist aber gerade nicht beziehungsloses Nebenan zum Raum und zu den Möglichkeiten unseres Lebens und Denkens, sondern vollzieht sich in diesem Raum und in diesen Möglichkeiten. Was hier geschieht, ist ja Erfüllung. Erfüllung aber hat Bezug zu dem, was sie erfüllt. Indem Gott sich hineinsagt in unser Verstehen, indem Gott sich hineinwagt in unser Dasein, indem Gott aufbricht als Zentrum in der Sphäre unseres Daseins, stellt er sich selber, wenn auch verwandelnd und umkehrend, in Beziehung zu dieser Sphäre, läßt er sich ein in sie – und das heißt: mit uns, mit unseren Fragen, mit unserem Denken, mit unseren Möglichkeiten, mit unserer Zeit. Gott selbst tritt in Beziehung zu uns, und somit wird das, was wir sind und wo wir sind und wie wir sind, zu einem »theologischen Ort« (c). Gott könnte gar nicht anders sich geben, Gott könnte gar nicht anders sich offenbaren, Gott könnte gar nicht anders der »Gott für »Theologischer Ort« ist ein Fachbegriff der evangelischen und katholischen Dogmatik ebenso wie der theologischen Erkenntnistheorie. Die Schrift von Melchior Cano De locis theologicis (1563) war jahrhundertelang richtungsweisend für die Lehre und Verwendung der »theologischen Orte«. Zum aktuellen Verständnis und Einsatz des Begriffes in der zukünftigen theologischen Erkenntnislehre hat Bernhard Körner mit seinem Orte des Glaubens – loci theologici. Studien zur theologischen Erkenntnislehre beigetragen. Dabei übernimmt er die Tradition und interpretiert die Absicht Canos eher als Versuch einer Argumentationslehre denn als eine Topologie des Glaubens. (Vgl. B. Körner, Orte des Glaubens – loci theologici. Studien zur theologischen Erkenntnislehre, Echter, Würzburg 2014). Die Verwendung Hemmerles ist hier sehr marginal, doch es ist interessant, dass jeder Mensch als solcher ein »theologischer Ort« sein kann, abgesehen von den klassischen Unterschieden zwischen Kirche und Welt als Orten des Glaubens – wo unter Welt hauptsächlich die Philosophen oder vernunftbegabte Menschen zu verstehen sind.

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uns« sein, der Gott seiner »Herrschaft«, wenn er sich nicht dieses Unbegreifliche zumutete: sich den Bedingungen zu unterziehen, die er, in sie eintretend, umkehrt und verwandelt. Ein erster Punkt, an dem deutlich wird: Ausgang des Glaubens und somit der Theologie von Gott und seiner Souveränität allein heißt ohne Minderung und Vermischung Mittun der Zuwendung Gottes, des Eintritts Gottes in die Bedingungen menschlichen Sagens, menschlichen Denkens, menschlicher Zeit. Gott nimmt es auf mit unserem Fragen, wenn er ihm Antwort werden will. Und unser Fragen heißt doch immer, daß wir uns fragen; denn nur wer sich fragt, kann einen anderen fragen; anders gewendet: die Frage, die ich einem anderen stelle, ist darin je auch Frage an mich. Die Antwort sieht nicht ab von der Frage, der sie sich gibt, auch wenn sie diese Frage korrigiert, überholt, übersteigt. Diese Frage aber, die sich in die Antwort einholt, holt sich ein zu sich, wird in der Antwort mit dieser zugleich ins Licht gerückt. Somit aber ist Sich-Fragen, somit ist – in einem vorläufigen, allgemeinsten Sinn – Philosophie von Anfang an, vom ersten Moment an mit im Spiel, wenn die Botschaft von der Herrschaft Gottes ergeht. Die Geschichte der Philosophie in der Theologie fängt dort an, wo die Geschichte menschlichen Fragens und Denkens im Sprechen Gottes anfängt, und diese Geschichte fängt dort an, wo dieses Sprechen Gottes selbst anfängt. Aber an diesem Punkt ist die Geschichte nicht zu Ende. Im Leben Jesu, in seinem Wirken, wie es die junge Gemeinde rezipiert und wie sich diese Rezeption in den Evangelien darstellt, gibt es sozusagen zwei dramatische Phasen, zwei konstitutive Schritte, in denen das Mißverständnis der Botschaft vom nahenden Gottesreich ausgeschlossen wird. 1. Phase: Gottes Herrschaft bricht in Jesus nicht an als ein Naturoder Geschichtsereignis, das unsere bisherige Verfassung und Situation abschafft, durch neue Bedingungen ersetzt. Nein, Gottes Herrschaft wird nur im Glauben erschwungen, nur wer glaubt, tritt in sie ein. Wo die Botschaft als bloße Erfüllung erfahren wird, da wird sie mißverstanden. Bloße Erfüllung meint: an die Stelle der Frage tritt die Antwort, an die Stelle des Vergehens tritt das Bleiben, an die Stelle, die wir einnehmen unter den Bedingungen unserer Endlichkeit, tritt die grenzenlose Verfügung. Schlaraffenland, machen können, was wir wollen, alles wissen und vermögen: das wäre Rückfall genau in die Verfassung und Situation des Menschen vor und außerhalb der Verdankendes Denken

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Zeit des herannahenden Gottesreiches. Diese Gestalt von Erlösung wäre Unerlöstheit mit anderen Mitteln. Leben ohne weiterfragen, Leben ohne weiterdenken, Leben ohne weitergehen: dies wäre, verkürzt und verschärft ausgedrückt, nicht eine Alternative zur bloßen Philosophie, sondern eine bloß passive Philosophie. Wo der transzendentale Service Gottes unseren Ausgang von uns selber überholt und erstickt, da sind wir gerade zu uns selbst, zu bloß uns selbst verurteilt. War dies nicht bereits das Mißverständnis des Adam? Er wollte sein wie Gott aber er glaubte, Gott sei die absolute Behäbigkeit der ungetrübten Selbstverfügung. Wie Gott wirklich ist, wurde offenbar in Jesus, der das leidenschaftliche Interesse Gottes am Ganzen, am Anderen und der so Gott selbst als jenen eröffnet, der sich selber besitzt, indem er sich verschenkt, indem er von sich weggeht. Und so ruft auch die Botschaft vom nahenden Gottesreich genau zum selben: Wir bekommen dieses Gottesreich nicht serviert, sondern es ist an uns, auf die Botschaft uns einzulassen, uns auf sie hin zu verlassen und so uns selbst in sie mitzubringen. Das unabdingbare Korrelat zur Botschaft heißt Glaube, und dieser Glaube ist Gnade, indem er zugleich Entscheidung, Aufbruch ist. Der radikalste Ausgang von uns selbst ist jener Ausgang, der uns selber mitbringt in den Ausgang von unserem Anderen, in den Ausgang von Gott hinein. Es ist Selbstvollzug der Vernunft, die Vernunft mit Vernunft aufzugeben. Gerade dort sind die Fragen, sind die Möglichkeiten, sind die Erkenntnisse und Grenzen des Denkens so gegenwärtig wie nirgendwo sonst, wo dieses Denken gefordert ist, sich selber zu verlassen und zu übergeben an den, der es ruft. Nicht nur im Wort Gottes und in dem, der dieses Wort spricht, in Gott selber, ist die »Philosophie« in der Theologie eingeschlossen, nicht nur darin ist menschliches Sagen und Denken und menschliche Reflexion gegenwärtig, daß Gott sich herbegibt in den Horizont dieses Fragens und Denkens; nein, auch umgekehrt gilt: im Glauben selbst, im innersten Mark und Kern des Glaubens ist unser Uns-Fragen, Uns-Verstehen mit drinnen. Wer dem Ruf des Evangeliums folgend alles verkauft, was er hat, um nachzufolgen, gerade der erfährt und weiß erst, was er hat. Und weiter: Verlaß dich selbst! heißt: Bring dich mit! Offenbarung schließt Glaube, Aufbruch Gottes, unseren Aufbruch mit ein. Weil zur Botschaft von der Gottesherrschaft der Glaube gehört, ist umgekehrte Philosophie keine bloß passive Philosophie. Aber noch kühner, noch verwunderlicher, noch paradoxer ist die 2. Phase, in welcher erst die ganze Härte, Totalität und Universalität 180

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der Botschaft vom Kommen der Gottesherrschaft aufgeht. Als die Jünger von den ersten Plätzen träumten, als sie sich Gedanken machten über das Sitzen zur Rechten und zur Linken des Herrn, da spricht er vom Kelch und vom Kreuz (vgl. Mk 10, 32–45). Sie verstehen nicht, und er schilt ihr Mißverständnis; dem Petrus gar sagt er: Satan, weiche hinter mich! Du denkst nicht, was Gottes ist, sondern was der Menschen ist (vgl. Mk 8, 31–33). Dies nun ist das Schockierende: Das Zuendegehen der Zeit, die Not unserer Endlichkeit, das Stoßen an die Grenze, der Verbrauch der eigenen Kräfte, die Erfahrung der scheinbaren Sinnlosigkeit und Ergebnislosigkeit, die Einsamkeit und das Warum sind nicht am Ende, als Jesus die Gottesherrschaft verkündet, sondern sie werden neu aktuell, ja konstitutiv für den Anbruch dieser Gottesherrschaft. Ganz und allein vom Willen des Vaters her leben, das heißt für Jesus: gehorsam sein bis zum Tod, sich weggeben bis zum äußersten, auf nichts Eigenem, auf keiner Vorstellung, Meinung und Erwartung bestehen, sondern allein und rein sich in die Verfügbarkeit für den Vater begeben. Bis hin zu dem Punkt, wo der Tod nicht abgewendet wird, wo der Vater ihn nicht vom Kreuz holt. Bis hin zum Schrei der Gottverlassenheit. Der radikale Selbstvollzug der eigenen Endlichkeit bis ans Ende, das Ausgehen von sich selbst bis ins äußerste, bis ins Nichtmehr: hier, hier allein hat Gott die einzige Initiative, hier allein bricht seine Herrschaft durch. Aber es ist nicht die Herrschaft eines grausamen Tyrannen, sondern es ist eben die Herrschaft der Liebe, die im eigenen Sohn ganz und gar das Unsere teilt und übernimmt und ernst nimmt. Indem der Sohn glaubt bis in die Kenosis (d), bis in die äußerste Entäußerung hinein, begibt sich Gottes Das Konzept der kenosis gehört zum Geschehen der Inkarnation des Gottessohnes und bekommt theologisch den Rang der Definition desselben göttlichen Aktes des Vaters im Sohn, der Fleisch wird, indem er sich seiner Göttlichkeit entäußert. Darüber lesen wir in Phil 2, 6–8: »Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.« In Jesu Entäußerung seiner göttlichen Natur besteht die Größe der Liebe Gottes zu den Menschen und die Bestätigung der Autonomie und Freiheit der göttlichen Personen untereinander, die trotzdem eins sind: Jesus entscheidet sich aus freiem Willen dafür, diesen Verzicht zu leisten. Das bekräftigt Coda: »Das Sein und das Leben Gottes sind also bestätigt in dem fleischgewordenen Sohn durch eine γένεσις und κένωσις, das heißt eine Hingabe und ein Opfer aus Liebe, die sich nicht widersprechen, sondern in den Koordinaten des Menschlichen das abgrundttiefe Geheimnis des Seins Gottes als άγάπη zum Ausdruck bringen (vgl. P. Coda, From the Trinity. The Coming of God in Revelation and Theology, W. Neu [Hg.], The Catholic University of America Press

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Liebe bis in unser Innerstes und Eigenstes hinein. Das Kreuz ist nicht nur Tat des äußersten Gehorsams, in dem Gott als der Herr aufgeht, sondern darin zugleich Tat der äußersten Solidarität Gottes mit uns, in der sich diese Herrschaft als lautere und radikale Liebe entbirgt. Hier aber erhält Philosophie in der Theologie einen neuen Stellenwert, einen neuen Sinn: sie ist nicht nur Selbstvollzug der Fragen, die wir haben, sondern sie ist zugleich Mitvollzug aller Fragen, die in dieser Welt gefragt werden. Philosophie in der Theologie ist Ausdruck der Solidarität Gottes mit allen menschlichen Fragen und mit allen menschlichen Erfahrungen, die er am Kreuz seines Sohnes mitgetragen und bis in ihr Ende ausgestanden hat. Das Fragen bis zum Ende wird zum Ort der Liebe bis zum Ende. Glauben heißt glauben an diese Liebe bis zum Ende auch in der bleibenden Fraglichkeit, und mehr noch: annehmen dieser Liebe als Mitübernehmen ihrer Bewegung, die sich in die äußersten Fragen solidarisch hineinwagt. Im »Ecce homo« geschieht auch ein »Ecce philosophia«. Der Mensch in seiner Sterblichkeit und Sündlichkeit, der Mensch als Opfer des Menschen wird die Gestalt göttlicher – und darin menschlicher – Hingabe und Liebe. Die un-endliche Endlichkeit menschlichen Fragens und Denkens wird offen nicht nur als das Schicksal und das Scheitern des Menschen vor dem Letzten, sondern zugleich als Ort der communio 2020, 276–277). Für Moltmann beginnt die kenosis des Sohnes bereits mit der Schöpfung und findet in der Inkarnation ihren Höhepunkt; nach seiner Auffassung inkarniert sich Jesus nicht, um die Situation der Sünde zu retten und zu heilen, in der die Menschheit gefallen war, also als ein vom Vater ursprünglich nicht mitbedachter Akt. Moltmann ist – unterstützt von anderen Theologen – Anhänger der Auffassung, dass die Inkarnation seit jeher in den Plänen Gottes war, unabhängig von der Sünde des Menschen. Die Inkarnation ist für Moltmann ein weiterer Ausdruck der Liebe Gottes, eine zweite kenosis, die seinem ersten Akt der Liebe folgt, will sagen, der Schaffung der Welt (vgl. J. Moltmann, Trinität und Reich Gottes. Zur Gotteslehre, Gütersloher Verlagshaus 1986). Der Weg zur Nachfolge Jesu besteht nach Auffassung Hemmerles in der kenosis; in Glaubwürdig die Botschaft Jesu leben fasst er das in drei Schlüsselworten zusammen: Annahme, Hingabe, Aufnahme. Jesus hat sein Schicksal vom Vater akzeptiert und bejaht, er hat es sich zu eigen gemacht, obwohl er es vielleicht nicht verstand oder es voll und ganz spürte; deshalb hat er sich vollständig ohne Maß und Berechnung hingegeben für die Menschheit, die ihn umgab; schließlich hat er nicht nur die menschliche Natur angenommen, sondern ist an ihre Stelle getreten, indem er für uns handelte und sich genau das zu eigen machte, was nicht seins war (vgl. K. Hemmerle, Glaubwürdig die Botschaft Jesu Christi leben. Referat zum 11. Studientag der kirchlichen Jugendarbeit am 21. Mai 1984, in: U. Deller/E. Vienken (Hg.), Wagnis Weggemeinschaft: Beiträge und Reflexionen zur Jugendpastoral Klaus Hemmerles, München 1997, 155–178). Es finden sich auch Hinweise auf die kenosis in dem Text Das unterscheidend Eine in dieser Sammlung im IX. Kapitel, 225–237.

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Gottes mit seinem Denken und Fragen und somit als Ort der Vollendung dieses Denkens und Fragens. Doch ist solches Fragen bis zum Ende nicht ein für allemal im Tod Jesu ausgestanden? Zweifellos, für den Glauben zweifellos: es gibt keine Frage, die im Tod Jesu nicht mitübernommen, nicht mitverschenkt, nicht mitanheimgegeben (e) wäre in die Hände des Vaters. Und die Auferweckung aus dem Tod, das neue Leben, das dem getöteten Jesus geschenkt wird und in ihm unser Leben wird, ist nicht kleiner als das Kreuz, ist die Verwandlung und Lösung von allem, was er in sein Kreuz hineingenommen hat. Aber das Kreuz ist nicht nur der Ort, von dem aus die Auferweckung geschieht, am Kreuz gibt der Herr uns auch seinen Geist. Gewiß und ohne jede Einschränkung: die Zukunft des Kreuzes ist und bleibt die Auferweckung des ganzen Menschen, die Zukunft des Warum die ganze Antwort Gottes, die Zukunft des Todes das unendliche Leben. Aber diese Zukunft bleibt, solange Geschichte währt, eben Zukunft. Der Frage der Jünger an den auferweckten Herrn, wann er das Reich Israel wiederherstelle, wird als Antwort zuteil, daß sie den Geist empfangen werden und daß er sie als Zeugen sendet bis ans Ende der Zeiten und der Welt (vgl. Apg 1, 6–8). Im Geist aber erkennen wir sowohl, daß die Zukunft allen Kreuzes die Auferweckung ist, als auch, daß diese Zukunft je neu aus dem Kreuz, das wir mit dem Herrn tragen, sich uns schenkt. Auferweckung und Kreuz werden offenbar als die beiden Gestalten der einen Liebe, die jetzt schon währt und gilt und herrscht. Wir können also sagen: aus dem Kreuz entspringen Auferwekkung und Geist, und jeder der drei Pole dieses Geschehens »erzeugt« aus sich selbst je neu die beiden anderen. Der Geist aber befähigt ebenso zur Liebe in der Gestalt des je neu zu übernehmenden Kreuzes wie zur Hoffnung auf die je künftige, alles vollendende und lösende Auferweckung.

In diesem Passus konstruiert Hemmerle ad hoc drei Verben: mit-übernommen, mit-verschenkt, mit-anheimgegeben. Demnach sind diese Handlungen nicht nur von Jesus vollzogen worden, sondern sie sind in sich mit einem anderen vollzogen worden, und es ist nicht klar, wer dieser andere ist. Ich würde dazu neigen, das in doppelter Weise zu interpretieren, das heißt, Hemmerle will sagen, dass Jesus all das mit den Menschen vollzieht, deren Natur und Situation er angenommen hat, aber auch mit dem Vater und für den Vater. Das bedeutet: Die Gesamtheit als Miteinander fasst in das Medium, eben Jesus, Himmel und Erde zusammen, was zur Aufnahme und Erlösung in der Dreifaltigkeit selbst führt.

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Gerade in diesem Ineinander von Kreuz, Auferweckung und Geist, als der Struktur unserer nach Tod und Auferweckung Jesu fortwährenden Geschichtszeit, erhält Philosophie in der Theologie ihren endgültigen Ort. Die Endlichkeit geht weiter. Die Erfahrung, die Fragen, die Möglichkeiten des Menschen gehen weiter, sie stellen sich jeden Augenblick, jede Epoche neu dar. Was bereits »drinnen« ist im Kreuz Christi und in seiner Auferstehung, das kann nicht durch eine Deduktion aus ihm abgeleitet und allenfalls äußerlich nachgeholt und nachgeleistet werden; es kommt je unabsehbar und neu auf uns zu, damit wir im einen, schon gegebenen und sich je neu gebenden Geist den Weg Jesu mittun. Dies heißt aber: Weiterdenken und weiterfragen, mitdenken und mitfragen mit allen Gedanken und Fragen dieser Geschichte gehört zum Weg der Christen. Nur in solchem Mitdenken und Mitfragen wird die Botschaft in jede Stunde neu eintreffen, wird sie dieselbe bleiben, ohne Minderung und Verbiegung, und trotzdem ihre je neue Sprache finden, Sprache nicht als bloßes Gewand, sondern als das Sich-Zusprechen Gottes in die Geschichte hinein. Und deswegen ist Philosophie in der Theologie nicht eine Sache bloß der ersten Stunde, nicht eine Sache, die irgendwann einmal zum Ende käme, sondern sie ist das Zeichen und Siegel des wandernden Gottesvolkes, das den Weg der Menschheit mitgeht, als Kreuzweg zur Auferweckung, als Weg im Geist der Liebe, welche die Fragen nicht durch die Antwort tötet, den Fragen die Antwort aber auch nicht vorenthält, sondern die Fragen in die sich schenkende Antwort hinein bis zum Ende aushält.

2.

Die Konsequenz: theologische Postulate an die Philosophie

Weil Gott in die menschlichen Fragen hineinspricht, weil Gott sich selber ins menschliche Denken und Sagen hineinsagt, weil Gott in Jesus die Fragen des Menschen mitspricht und selbst übernimmt, weil glauben sich selbst mitbringen heißt auf den sich uns zubringenden Gott hin, weil glauben des Weiteren heißt den Weg Jesu mitgehen und somit den Weg der Menschheit mitgehen, deshalb gehört Philosophie ins Innerste der Theologie hinein. Die Struktur der Theologie, welche Philosophie mit einschließt, schließt sie freilich in bestimmter Position mit ein. Theologie richtet sich nicht eine »angepaßte« Philosophie her – sie darf es wenigstens nicht –, deren sie sich bedienen kann, ohne sich selber wehezutun; 184

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aber wenn sie überhaupt die Partnerschaft Gottes zum menschlichen Denken, in die Gott sich begeben hat, ernst nimmt, dann sind damit Qualitäten, Merkmale der Philosophie mit gesetzt, die in der Theologie ihren Ort hat. Nennen wir vier solcher Qualitäten oder Merkmale: Philosophie als Anderes gegenüber der Theologie, Philosophie als Frage nach dem Ganzen, Philosophie als unabschließbar und Philosophie als offen. Philosophie als Anderes gegenüber der Theologie: Wenn Gott nicht bloß bei sich selber bleibt, wenn Gott sich über sich selbst hinausbegibt und entäußert, wenn Gott uns dort sucht und einholt, wo wir sind, dann gehört eben das, was wir von uns aus sind, dann gehören wir in unserem Eigenen, dann gehört auch unser Denken in seinem Eigenen in diesen Kontext der Theologie. Philosophie, die nur Theologie im Medium des Begriffs wäre, griffe zu kurz, eignete sich nicht für die Partnerschaft zu dem Gott, dessen Souveränität und Allmacht und Alleinigkeit es gerade ist, anderes als anderes sein zu lassen und anderes als anderes anzusprechen, anzunehmen. Philosophie als Frage nach dem Ganzen: Wenn Philosophie darauf verzichten wollte – und diese Gefahr ist alles eher als abstrakt –, die Frage nach dem Ganzen zu stellen, nach dem, von woher alles seinen Sinn hat, worauf alles hinausläuft, was alles trägt, wenn sich Philosophie also in bloßer Pragmatik und Analytik erschöpfte, dann käme sie gar nicht bis zu dem Punkt, an dem sie als Philosophie von der Theologie befragt ist. Solche Philosophie wäre zwar als Phänomen auch für die Theologie von Belang; Theologie müßte es als die Situation des Denkens ernst nehmen, daß dieses Denken nicht mehr nach sich selber, nach seinem Horizont und nach seinen Implikaten fragt. Aber Theologie müßte zugleich hartnäckig und unablässig die Philosophie dazu herausfordern, sich nicht selbst zu unterlassen. Sie müßte den Finger darauf legen, daß die Verweigerung der Frage nach dem Ganzen und nach dem Sinn bereits eine Antwort auf diese Frage impliziert und undurchschaute Vorentscheide mitenthält. Philosophie als unabschließbar: Eine Philosophie, die mit sich und allem »fertig« würde, eine Philosophie, die damit rechnete, daß ihr Ergebnis eines Tages das Weiterfragen erübrigte, eine Philosophie also, in welcher die Geschichte menschlichen Denkens und Fragens nicht als je größere, unvollendbare Geschichte mächtig wäre, nähme nicht die Herausforderung der Theologie an, je neu das Fragen des Menschen einzubringen in die Begegnung mit der Botschaft. Dies bedeutet alles eher als Relativismus, als Verzicht der Philosophie auf Verdankendes Denken

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Endgültiges und Verbindliches. Endgültigkeit und Verbindlichkeit selbst aber stehen im Prozeß des Weitersagens und Weiterfragens inne, wie auch die Endgültigkeit und Letztgültigkeit der Offenbarung Gottes in Jesus die Geschichte des Glaubens eben nicht aussondern einschließt und in Gang bringt. Philosophie als offen: Philosophie kann nie Theologie »machen«, Denken nie Offenbarung herstellen. Beide Ordnungen sind je eigene, je andere. Aber weil beide Ordnungen universale Ordnungen sind, muß auch das je andere in ihnen vorkommen. Also: Philosophie ist etwas für die Theologie, aus ihrem eigenen, theologischen Ursprung – und auch Theologie, Offenbarung müssen etwas sein für die Philosophie, aus ihrem eigenen, philosophischen Ursprung her. Nur diejenige Philosophie ist wahrhaft transzendental, die jenes bedenkt und ernst nimmt, was sie nicht aus sich selber heraus zu erstellen vermag. Gerade zur Universalität und Transzendentalität der Philosophie gehört es, die Theologie, die Offenbarung als ihr je Anderes zu bedenken. Nicht Rückführung auf innerphilosophische Prinzipien und Möglichkeiten, sondern philosophisches Ernstnehmen des philosophisch nicht Machbaren: dies ist das »Philosophischste« von Philosophie. Mit diesen vier Postulaten ist freilich ein »Gericht« über die Philosophie angesagt. Der Glaube kennt eine Wahrheit und ein Heil, welche die Philosophie nicht aus ihrem Eigenen, nicht aus ihrem Apriori als Wahrheit und Heil kennen – darum aber auch nicht als Wahrheit und Heil ausschließen kann. Theologisch ist so Philosophie zwar je eingeschlossen in und herausgefordert von der Offenbarung – aber sie bleibt ihr gegenüber Vorletztes, vermag nicht aus sich das Heil. Doch gerade in solchem Gericht ist Philosophie aufgerichtet und freigegeben an sich selbst: eben als das Andere gegenüber Offenbarung und Theologie, als Frage nach dem Ganzen, als unabschließbar und als offen. Theologie darf solches »Gericht« freilich nicht ansagen, ohne sich zugleich selbst unter dieses Gericht zu stellen. Wenn Theologie ihre Verwiesenheit auf die Philosophie verliert, verliert sie sich selbst; denn sie verliert die wesenhafte Ausrichtung des Wortes Gottes auf das partnerische, sich allein von sich her gebende und öffnende Fragen und Denken des Menschen. In solchem Gericht über sich muß Theologie jedoch auch den Mut bewahren, anders zu sein gegenüber der Philosophie. Indem sie sich von der Philosophie in Frage stellen 186

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läßt, darf sie eines nicht in Frage stellen lassen für sich selber: ihren Ausgang bei der Offenbarung Gottes, bei der auctoritas Dei revelantis. Würde sie diesen Anspruch und diese Autorität an eine andere Instanz abtreten, an die sich selbst durchsichtige menschliche Vernunft, so nivellierte sie ihren Unterschied zur Philosophie. Noch immer ist das Eigene der Theologie und der Philosophie gültig gewahrt in der alten Antwort auf das Problem der analysis fidei: Es gibt keinen anderen Grund des Glaubens als den ihm immanenten, die auctoritas Dei revelantis. Das entwertet keineswegs die motiva credibilitatis und credenditatis, aber philosophische oder historische Plausibilität kann nicht Glauben als Glauben begründen und tragen. Die Herausforderung von Theologie und Philosophie aneinander ist die Herausforderung in den je eigenen, je anderen Ansatz hinein.

3.

Ausgeschlossene Verhältnisse

In den Postulaten der Theologie an die Philosophie und in der Rückwirkung dieser Postulate auf die Theologie selbst zeigen sich grundsätzlich zwei gegenseitige Verhältnisse als ausgeschlossen an: das beziehungslose Nebeneinander und die Reduktion des einen aufs andere. Ein paar knappe Hinweise können hier genügen. Philosophie, die sich als unbetroffen und unbetreffbar erklärt vom Anspruch der Offenbarung, Philosophie, die sich also damit begnügt, daß Theologie eine andere Sache und somit keinerlei Thema für die Philosophie sei, ist der Theologie, ist der Offenbarung gegenüber nicht »neutral«, sondern steht zu ihr im Widerspruch. Sie behauptet nämlich, die Aussage der Theologie, daß Offenbarung menschliches Denken und somit Philosophie angehe, treffe nicht zu. Wäre Offenbarung, wäre Theologie das bloß Andere, wäre sie Unphänomen für die Philosophie, so wäre sie eben in sich selber nichtig. Oder aber Philosophie hat sich von ihrem eigenen transzendentalen Anspruch zurückgezogen und sich thetisch Grenzen auferlegt. Als Philosophie müßte sie freilich diese Grenzen vor sich selber ausweisen, indem sie über sie hinausfragt und hinausblickt. Somit aber hätte sie sich bereits wieder in Beziehung gesetzt zu ihrem Anderen. Umgekehrt gibt es aber auch keine bloße epochè der Theologie gegenüber der Philosophie. Wenn die ergehende Botschaft von der Herrschaft Gottes alles in ihren Horizont mit einbezieht, dann eben auch und gerade die Philosophie. Philosophie ist entweder heilsirreleVerdankendes Denken

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vant oder sie ist Ausdruck menschlicher Hybris oder sie ist Folge der Erbsünde oder aber sie ist beansprucht, in ihrer eigenen Autonomie, in ihrer eigenen Ursprünglichkeit in den Dialog, in das Verhältnis zur Offenbarung zu treten. Es bleibt dabei: Theologie und Philosophie schließen einander als ihr je Anderes, freilich auf je andere Weise ein. Philosophie könnte Philosophie sein, auch wenn es keine Offenbarung gäbe. Wenn aber sich der Anspruch von Offenbarung erhebt, so ist sie gerufen, diesen in ihr eigenes Denken einzubeziehen, Offenbarung in ihrer Andersheit eben zu bedenken. Anders der Einschluß der Philosophie in der Theologie. Ohne Philosophie könnte Theologie nicht sein. Theologie muß Philosophie zwar anerkennen als ihr Anderes, als von ihr selbst nicht zu leisten; aber sie ist in sich selber, in ihrem Geschäft der fides quaerens intellectum auf die Philosophie angewiesen. Philosophie ist als Philosophie konstitutiv anwesend im Innen der Theologie. Offenbarung und insofern Theologie hingegen sind als das Außen und Gegenüber positiv und unabdingbar, aber nicht konstitutiv eingewiesen in den Horizont der Philosophie. Bleibt nur nachzutragen, daß die Weise der gegenseitigen Implikation, der gegenseitigen Verwiesenheit von Philosophie und Theologie aufeinander eine »Halbierung« des Gesamtfeldes der Wirklichkeit oder der Wahrheit im quantitativen Sinn nicht zuläßt. Philosophie und Theologie sind nicht aneinanderklebbare Stücke, sondern unterschiedliche und in ihrer Unterschiedlichkeit füreinander offene, sich selbst gegenseitig anwesende Weisen der Anwesenheit des Ganzen im Denken. Ebensowenig wie ein beziehungsloses Nebeneinander von Philosophie und Theologie aber geht die Reduktion der Philosophie auf die Theologie oder der Theologie auf die Philosophie an. Also: Philosophie ist nicht Theologie mit anderen Mitteln. Ein Fideismus der Vernunft ist weder theologisch noch philosophisch verantwortbar. Und umgekehrt ist Theologie nicht Philosophie mit anderen Mitteln. Wo die Theologie sich auflöst in bloße Daseinshermeneutik, wo sie Gott als bloßes Existential des Menschen und die Offenbarung als bloße Selbstdarstellung der Vernunft begriffe, da hätte sie sich selber, da hätte sie aber auch die Philosophie als eine unabschließbar je weiterfragende fundamental verfehlt. Wie rasch Beziehungslosigkeit in Reduktion umschlagen kann, zeigt die neuere und neueste Geschichte des Verhältnisses von Philosophie und Theologie. Wenn Reduktion nicht angeht, dann geht freilich – dies ist struk188

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turell miteingeschlossen – auch Instrumentalisierung des einen durchs andere nicht an. Um es scherzhaft auszudrücken: Offenbarung ist nicht die Fernbrille der an sich selbst kurzsichtigen Vernunft, Philosophie nicht die Lesebrille der an sich selbst weitsichtigen Offenbarung.

4.

Positive Verhältnisbestimmung

Wie also läßt sich das Verhältnis von Philosophie und Theologie aus der Perspektive der Theologie her positiv bestimmen, und wie gewinnen aus diesem Verhältnis Theologie und Philosophie ihr Profil? Gehen wir, unserem Ansatz gemäß, vom Eigenen der Theologie aus. Die Herkunft der Theologie allein aus dem Ursprung der Offenbarung, allein aus der auctoritas Dei revelantis als Glaubensgrund schließt, so sahen wir, gerade die gleichzeitige Herkunft aus dem menschlichen Denken, aus der Philosophie mit ein. Um es an der klassischen Formel des Anselm von Canterbury zu sagen: fides quaerens intellectum meint die fides, die ihren eigenen intellectus von innen her erstrebt, sich von innen her zu ihm durchklärt; diese innere Erzeugung des intellectus fidei ist aber in einem Wendung der fides über sich hinaus, zum intellectus, zur Vernunft hin, auf die sie bereits trifft. Die Erzeugung der Theologie ist eine Erzeugung von innen, vom Glauben her, und darin zugleich eine Erzeugung im Außen, und das heißt auch: vom Außen her. So aber läßt sich von einem doppelten Apriori der Theologie sprechen: von einem theologischen und einem philosophischen. Stellen wir es uns noch einmal vor Augen: Gottes Wort bricht auf aus seinem unerzwinglichen, unableitbaren Ursprung. Dieses Wort aber springt (f) hinein in den Frage- und Verständnishorizont In diesem Verb, das Hemmerle gern verwendet, spiegelt sich ein Vers aus dem Buch der Weisheit, in dem genau von diesem Springen/Aufbrechen Gottes die Rede ist – »Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab als harter Krieger mitten in das dem Verderben geweihte Land« (Weish 18,14 f.) –, aber es klingt auch Rombach an, der in seiner Strukturontologie häufig das Bild vom »Sprung« verwendet. Der Sprung ist eine der Hauptkategorien der Strukturontologie, wodurch eine ganze Reihe von Phänomenen zugänglich werden, die in einer eindimensionalen Ontologie nicht verständlich wären. Der Sprung ist die Erfahrung dessen, der lebt, damit all das, was lebendig ist, in den Phasen des Lebens, der Entwicklung, in den Phasen eines Arbeitsprozesses usw. ständig »Sprünge« vollbringt. Die Welt ist kon-

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des Menschen, beansprucht Worte, die Menschen schon sagen, um in ihnen neues, göttliches Wort zu sein. Anderswo als im Menschenwort kommt Gottes Wort nicht vor, sonst wäre es für Menschen nichts. Dies aber ist eben kein Notbehelf, kein äußerer Zusatz, sondern selbst Inhalt, Gesagtes dieses Wortes. Die Struktur des doppelten Apriori der Theologie ist ihr erster und sogar ihr fundamentaler Inhalt: Gott will von sich her, daß er vom Menschen her da sei, und schenkt sich so, nur so, ganz und selbst dem Menschen. Indem sein Wort sich unter ein philosophisches Apriori, unter die Voraussetzung des Selbstverständnisses des Menschen stellt, indem Gott bereit ist, dem Menschen, der sich nach sich fragt, sich selbst, Gott selbst, als Antwort zu geben, tritt aber das philosophische Apriori selbst unter ein theologisches Apriori. Daß die Theologie ein philosophisches Apriori hat, ist ein theologisch höchst bedeutsamer Befund, ist eine Aussage über Gottes Eigenstes und Innerstes, ist die Aussage, daß er Sich-Entäußern, Sich-Geben, daß er Liebe ist. Dies, gerade dies qualifiziert aber das philosophische Apriori der Theologie neu und weist der Philosophie selbst ihren theologischen Ort zu. Gott spricht zum Menschen, der selbst bereits spricht. Gott antwortet dem Menschen, der von sich aus bereits fragt. Gott geht ein auf die Struktur des Menschen, die schon besteht. Gott richtet sich an ein Seins- und Weltverständnis, das sein Wort bereits vorfindet. Dieses Seins- und Weltverständnis, dieses Sich-Verstehen und Sich-Frastituiert aus Sprüngen, und das Springen von einer Realität zur anderen löscht die vorhergende nicht aus. Was vorher war, ist noch da, aber in anderer Weise. Der Sprung bringt die Veränderung und Verwandlung. Es handelt sich also um etwas weitaus Komplexeres als der biblische Vers, aber will genau dies erklären: Der Aufbruch Gottes in die Geschichte der Menschheit löscht sein göttliches Sein nicht aus, und er löscht auch nicht jenes menschliche aus, und doch sind beide neu. Hemmerle sagt, dass Gott menschliche Worte verlangt, da er von seiner Ebene auf die menschliche »gesprungen« ist, aber diese werden von den Menschen nicht mehr wie früher verwendet werden. Man kann hier auch nicht den heideggerschen Hintergrund verschweigen, den aus der späten Produktion von Beiträge zur Philosophie: Dort verwendet Heidegger den Begriff Sprung, um seine Ereignisphilosophie zu erklären und entwickeln. In seinem Verständis geht es um die Ent-eignung des Seins dem Da-sein gegenüber; weil dem Menschen das Sein nicht zu eigen ist, muss er in die Öffnung des Seins eintreten und das bedeutet, sich hineinschwingen in eine Gegenbewegung – eben durch einen Sprung; es anzunehmen und sich dadurch verwirklichen. Das Sein »bewegt« sich zwischen sich geben und sich zurückziehen und in diesem Zwischen ereignet es sich. (vgl. H. Rombach, Strukturontologie, ebd., 100– 101, 164–165, 229–232; M. Heidegger, Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), Gesamtasugabe Bd. 65, F.-W. von Hermann (Hg.), Vittorio Klostermann, 32003).

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gen des Menschen, seine Philosophie geht vom Menschen, von ihm selber aus. Daß sie aber von ihm selber ausgehen kann, das ist theologisch nochmals kein bloßes Fatum, kein bloßes Widerfahrnis, das Gott eben hinnimmt, sondern es ist seine eigene Tat. Die Tat der Offenbarung, eine eigene und neue Tat, die Bereitschaft Gottes, sich in den Verständnishorizont des Menschen hineinzustellen und ihm zu unterstellen, hat bereits ein anderes zur Voraussetzung, ist die Vollendung und unableitbare Weiterführung der grundlegenden Tat Gottes: daß er den Menschen geschaffen hat und so geschaffen hat, daß er von sich ausgehen, daß er sich selber fragen und verstehen, daß er mit seinem eigenen Denken nach allem auslangen kann. Theologie setzt also eine autonome Philosophie, eine Philosophie, in welcher der Mensch von sich her fragt und denkt, voraus. Die Autonomie des philosophischen Denkens aber ist gerade, theologisch betrachtet, Zeugnis und Bildnis des göttlichen Gottes selbst. Zeugnis und Bildnis seiner Autonomie, seiner Ursprünglichkeit, seines Aufgangs allein aus sich her. Indem Gott dem Menschen Gott schenkt, schenkt sich Gott seinem Anderen, das aber zugleich sein Bild ist – Gott begegnet im Bilde sich selbst. Allerdings wirft die Theologie ein neues Licht darauf, was göttliche Autonomie heißt: sie ist nicht selbstgenügsame Verschlossenheit, sondern Sich-Überschreiten, Sich-Verschenken. Es sei noch einmal an das Mißverständnis im Wunsch Adams erinnert, der sich nicht dadurch verfehlte, daß er Gott gleich sein wollte, sondern daß er die Göttlichkeit in diesem falschen Sinne verstand. Die »Autonomie«, das Herrsein Jesu stellt sich dar unter der paradoxen Gestalt des Gehorsams bis zum äußersten, in der Knechtsgestalt also, welche Knechtsgestalt aber gerade Gestalt der Liebe, der äußersten Souveränität ist. Und so ergibt sich, zunächst theologisch, die Vermutung: Ist nicht auch die »Autonomie« der Philosophie zuletzt und zutiefst gerade ihre Fähigkeit, unabgeschlossen und unabschließbar, offen über sich selbst hinaus zu fragen, auf das zu und von dem her sie selbst zu sein, was sie nicht mehr selbst erstellen, leisten und verfügen kann? Heißt Autonomie nicht als solche: Beziehentlichkeit? Die Antwort auf diese Frage muß die Philosophie freilich philosophisch geben – und gerade dies ist die Herausforderung der Theologie an die Philosophie.

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5.

Ein paar praktische Folgerungen

So grundsätzlich und abstrakt derlei Überlegungen vielleicht klingen, sie haben in der konkreten Situation zwischen Theologie und Philosophie einschneidende, handfeste Konsequenzen. a) Theologie ohne Philosophie ist keine Theologie. Entweder reflektiert Theologie ihre philosophischen Implikationen oder aber sie unterliegt ihnen, ohne sie zu durchschauen. Nur im Zugleich von Freigabe der Philosophie an sich selbst und Einbeziehung der Philosophie in ihr Eigenes, in ihr Theologiesein, entspricht die Theologie dem Anspruch des Wortes Gottes, das sich in menschliches Sagen und Fragen hineinwagt und es mit übernimmt. b) Theologie darf sich nicht ihre bequeme Philosophie herrichten, die zu ihr paßt, sondern muß Philosophie an sich selber freigeben, ihre Autonomie achten. Denn eine abgeschlossene, fertige, nicht mehr weiterentwickelbare, bloß patentierte und versiegelte Philosophie wäre nicht jene, die dem Gang des Wortes Gottes in die Geschichte und durch die Geschichte entspricht. Annehmen der Partnerschaft, Annehmen des Wandels in der Philosophie gehört zum theologischen Selbstvollzug der Theologie. c) Das bedeutet aber gerade keine Neutralität der Theologie gegenüber den Gestalten von Philosophie. Wären alle Philosophien der Theologie gleich gültig, dann wären diese Gestalten in sich gleichgültig – und dies wäre eine Degradierung der Philosophie. Theologie ist daran gewiesen, hartnäckig von ihrem eigenen Ursprung her Philosophien zu befragen und herauszufordern, damit sie in ihrem Gespräch mit der Theologie sich selber finden, messen und einbringen. d) Theologie muß freilich ebenso jedem Versuch widerstreiten, philosophisch vereinnahmt zu werden. Nur wenn die Theologie unbestechlich an ihrem eigenen und anderen Ursprung, an der unerstellbaren und unaufhebbaren Positivität des aus eigener Hoheit sich eröffnenden Anspruchs und Zuspruchs Gottes festhält, nur wenn sie also nicht in Philosophie aufgeht, geht sie nicht in ihr unter. Und nur wenn sie nicht in ihr untergeht, hat sie auch eine Funktion für die Philosophie. e) So unabgeschlossen die Geschichte der Theologie und somit ihres Gesprächs mit der Philosophie und den Philosophen ist, 192

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sowenig darf Theologie doch davon absehen, daß Offenbarung konkret, in einer bestimmten Gestalt, ergangen ist und in einer bestimmten Gestalt von Tradition sich theologisch reflektiert und ausgebildet hat. Die philosophischen Optionen, welche die Theologie auf ihrem Gang durch die Geistesgeschichte traf und die ihre Gestalt auch heute noch prägen, sind nicht beliebig. Patristik und Scholastik lassen sich nicht »ausschälen« aus der Theologie – so sehr ihre Tradition nur im Reflektieren, Übersetzen und Weiterdenken gewahrt werden kann. Offenheit, Unabgeschlossenheit und Übernahme der eigenen Tradition sowie Reflexion der Gründe für diese Gestalt von Tradition gehören in den Vollzug der Theologie hinein. f) Dann aber ist auch für die Theologie als »Fach« – der universitas litterarum, als gelehrte und zu lernende, eindeutig klar: Wer Theologie studiert, ohne Philosophie zu studieren, der studiert keine Theologie. Und wer bloß Scholastik studiert und sich nicht fragt, was sich zuvor und hernach und bis heute getan hat, der studiert wiederum nicht jene Philosophie, die zur Theologie gehört – wie freilich auch jener, der Patristik und Scholastik als eine bloße Episode abtut und ignoriert, nicht Philosophie und nicht Theologie studiert, da nun einmal ihr Gedankengut und ihre Denkform zu beiden, zur Geschichte und Substanz beider, wesentlich hinzugehören. g) Somit aber haben Philosophie und Theologie füreinander gegenseitig heute eine wesenhafte Funktion. Philosophie muß die Theologie aus aller Verengung auf sich selbst, aus allem Getto der bloßen Pragmatik, der bloßen Positivität, herausreißen und zu sich selber bringen, indem sie hart und bohrend ihre Fragen an die Theologie stellt und die Unstruktur einer unphilosophischen Theologie aufweist. Umgekehrt hat aber auch Theologie die Chance und Aufgabe, eine Philosophie, die sich vor dem Philosophischen, die sich vor der Frage nach dem Ganzen zurückzieht, zu sich selbst herauszufordern. Und wenn einmal Theologie in der ihr gegenwärtigen Philosophie keinen Partner mehr fände oder sofern sie diese Partnerschaft vermißt, ist sie gehalten, aus ihrem eigenen, theologischen Impuls Philosophie wach- und hervorzurufen. Geht in solcher gegenseitigen Anerkennung, Verwiesenheit und Herausforderung also doch alles glatt auf? Keineswegs. Es bleibt die Grenze, es bleibt der Schmerz, daß Theologie und Philosophie ihrer Verdankendes Denken

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gegenseitig nie sicher sein können, daß nie die eine den Part der anderen einfachhin übernehmen und leisten kann, daß die unterschiedlichen Perspektiven einander nicht selbstverständlich integrieren. Es steht in der Geschichte so immer ein Kreuz zwischen Philosophie und Theologie: das Kreuz der je eigenen Unvollendbarkeit, das Kreuz der Verwiesenheit auf den anders gearteten Partner, das Kreuz, nicht im Eigenen das Ganze der Wahrheit aus sich selbst erreichen und vollenden zu können. Aber ist solches Kreuz nicht gerade – es sei erlaubt, nun theologisch, nur theologisch zu sprechen das Zeichen der Herrschaft Gottes? Will sagen: Was der Mensch, was auch Philosophie und Theologie als Menschenwerk nicht vermögen, vermag Gott allein. Er wird es tun. Die alles einbegreifende, versöhnende und vollendende Auferweckung steht noch aus. Aus solcher Hoffnung und aus solchem Kreuz zugleich aber will der Geist aufbrechen, der Geist, der im Kreuz der Endlichkeit und in der je ausstehenden Vollendung das eine enthüllt und zu dem einen befähigt: Liebe. Liebe, die Partnerschaft, Liebe, die Mut heißt, aufeinanderzuzugehen, sich je neu zu suchen, sich je neu herauszufordern, sich je neu in die Krisis und in den Selbstgewinn und Neubeginn zu rufen. Und so darf die Reflexion über das Verhältnis von Philosophie und Theologie aus der Perspektive der Theologie damit enden, daß die Theologie ihre Liebeserklärung an die Philosophie und ihre Liebeswerbung um die Philosophie formuliert.

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Handreichungen zur Lektüre

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Handreichungen zur Lektüre

Mit diesem Text sind wir in der Mitte der für diesen Band ausgewählten Schriften: die Beziehung zwischen Philosophie und Theologie samt ihrer gegenseitigen Beeinflussung sowie deren gleichzeitige Präsenz im Denken Hemmerles. Das ist gewiss kein neues Thema, weder für die eine noch für die andere Fachdisziplin; es hat im Laufe der Geschichte des Denkens wechselvolle Phasen durchlebt, mit unterschiedlichen Akzenten auf beiden Seiten 1. Hemmerle scheint sich der Tradition zu bedienen und untersucht, ausgehend von einem vorrangig theologischen Diskurs, die beiderseitige Verwiesenheit der Fachdisziplinen, indem er das proprium, das in der Beziehung besteht, mit dem, was unterschiedlich ist, ins Licht rückt. Der unmittelbarste Einfluss geht hier auf Welte zurück und kommt demnach im Besonderen aus der Religionsphilosophie, von der Hemmerle ausgeht. Man kann jedoch sagen, dass sich die gesamte phänomenologische Schule für eine Gegenseitigkeit öffnet und für ein klares Fragen, das frei von Vorurteilen seitens der Philosophie hinsichtlich der Theologie oder allgemeiner des Religiösen ist; im theologischen Bereich hingegen ist die Tradition besonders vielfältig, da sich die Theologie in größerem Umfang nach ihrem notwendigen Dialog mit der Philosophie gefragt hat. In der Hinsicht ist es interessant, sich mit einer Vorlesung Bernhard Weltes zu befassen, die er in den 60er-Jahren gehalten hat 2; darin stellte er die Frage nach der Verortung der Philosophie in der Theologie. Nach einem kurzen geschichtlichen Aufriss über dieses Verhältnis, ausgehend von der Einbeziehung der Philosophie in die theologische Reflexion durch Anselm von Canterbury und dessen »credo ut intelligam« bis zum Idealismus Hegels und Schellings, kommt Welte dann auf seine eigene Zeit zu sprechen, in der die akademische und universitäre Erneuerung auch Auswirkungen in der Philosophie und Theologie zeitigte, samt einem entsprechenden Überdenken ihrer Beziehung. Geschichtlich ist diese Beziehung also nachweisbar: Doch von Neuem kann man und muss man sich fragen, was die Philosophie in der Theologie zu suchen hat. Um dies zu erDarauf ist in der Einleitung ausführlicher eingegangen worden, siehe 21–24. B. Welte, Die Philosophie in der Theologie, in: Zur Vorgehensweise der Theologie und zu ihrer jüngeren Geschichte (Bernhard Welte Gesammelte Schriften), Bd. III/1, Herder, Freiburg 2008, 137–152.

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klären, geht Welte vom Gegenstand der Theologie aus, der die Offenbarung und all das ist, was damit zusammenhängt: Eine Offenbarung zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich an jemanden wendet, sonst wäre es keine Offenbarung, und dieser jemand ist der Mensch. Wenn Gott sich an den Menschen wendet und ihm etwas offenbart, muss dieser seinerseits diese Botschaft verstehen und aufnehmen können, um sie in die Praxis umzusetzen. Dies bedeutet, dass das menschliche Verstehen – das sich der Vernunft bedient – ursprünglich an die Offenbarung gebunden ist, unabhängig davon, ob es den Glauben annimmt oder nicht; tatsächlich ist die menschliche Vernunft gegenüber der offenbarten Botschaft frei, ihr zu glauben oder nicht, ihr zu folgen oder sie zu ignorieren. Die Initiative geht von Gott aus; er ist es, der den gesamten Prozess in Gang setzt, aber das menschliche Verstehen ist gleich mit einbezogen, sicher nicht als rein passives Empfangen, denn zum Denken gehört immer ein Mitvollziehen, gebunden an das Sein. Nachdem Welte geklärt hat, dass das Verstehen zur Offenbarung gehört, wird auch der Beitrag der Philosophie zur Theologie deutlicher; damit begründet und erklärt er die Philosophie nicht wie Hemmerle, ausgehend vom menschlichen Fragen angesichts der Offenbarung, sondern grundlegender aus dem Verstehen, weil das Fragen tatsächlich eine rationale Kategorie ist: Dank der Fähigkeit, die göttliche Botschaft zu verstehen, kann man sie auch befragen und hinterfragen – das sind im eigentlichen Sinne philosophische Kategorien. Und welche Rolle kommt der Philosophie in der Theologie zu? Welte erklärt das in folgenden Worten: … die Philosophie [ist] bestimmt […]: Das Sein, das dem Menschen eröffnet ist und ihn dadurch zum Menschen macht, das Sein und das zu diesem Zustehende auszulegen: to òn kaì tà touto hypárchonta. Dann ist es die Sache und Funktion solcher Philosphie, d. h. nun solcher Auslegung des Seins und des ihm Zustehenden, das je schon verstandene Sein auf die ihm zugehörenden Möglichkeiten des verstehenden Mitvollzugs der Offenbarung hin auszulegen, also diese Möglichkeiten herauszulegen aus dem Grund des Seinsverständnisses, und damit aus dem Schoße der menschlichen Vernunft 3.

In dieser im Innern der Theologie verankerten Funktion kommt der Philosophie eine Rolle zu, die gleichzeitig die einer Herrin und Dienerin ist: erstere aufgrund ihrer Überlegenheit, die fragt und hinterfragt, damit man besser versteht, wie man das denken soll, woran

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man glauben soll; zum anderen aufgrund der Notwendigkeit, immer hörbereit zu sein, in der Bereitschaft, sich von der Botschaft der Offenbarung in Frage stellen zu lassen. Die Philosophie kann nie aufhören, zu hinterfragen und Fragen zu stellen, will sie nicht ihre Identität verlieren, aber im Dialog mit der Theologie kann sie nicht aufhören, gegenüber sich selbst und ihrem Wunsch nach Selbstgenügsamkeit misstrauisch zu sein. Hier finden wir, knapp zusammengefasst, das Bild, das Hemmerle in seinen sieben Punkten darlegt, mit denen er die praktischen Konsequenzen der Beziehung zwischen Theologie und Philosophie skizziert, wenngleich Hemmerle mehr ins Werk setzt als sein Lehrer, indem er die Beziehung von beiden Seiten aus durchleuchtet, das heißt nicht allein, ob und wie die Philosophie ihr Verhältnis zur Theologie bestimmen soll, sondern auch von dieser her zur ersteren. Hier ist jedoch zu sagen, dass Hemmerle vom Standpunkt der Theologie aus auch andere Impulse der Reflexion Weltes aufgreift. In Weltes Schrift Die hermeneutische Aufgabe der Theologie und die Philosophie 4 tauchen beispielsweise drei Punkte auf, die die Aufgabe der Philosophie in der Theologie umschreiben; das geht aus von einer geschichtlichen Reflexion über die Beziehungen gegenseitiger Einflussnahme der beiden Fachdisziplinen. Diese drei Punkte entsprechen dreien der sieben Punkte im Text (vgl. S. 120– 121) von Hemmerle: wenn auch anders formuliert und mit einer Abänderung, die bei Hemmerle auf die Absicht zurückgeht, für beide Disziplinen zu sprechen, und nicht nur für die Theologie. Bernhard Welte 1.) Die Theologie hat Theologie zu sein gemäß ihrem ursprünglichen theologischen Zugang, und nicht nach dem philosophischen, wobei sie der Überlieferung von Dokumenten die Treue wahrt. 2.) Dafür bedarf sie eines philosophischen Elements, das ihr ermöglicht, ihre ursprüngliche Quelle in Denkformen zu artikulieren.

Klaus Hemmerle 4.) Nur wenn die Theologie unbestechlich an ihrem eigenen und anderen Ursprung festhält, nur wenn sie nicht in der Philosophie aufgeht, geht sie nicht in ihr unter. 1.) Theologie ohne Philosophie ist keine Theologie.

B. Welte, Die hermeneutische Aufgabe der Theologie und die Philosophie, in: Ders., Gesammelte Schriften. Hermeneutik des Christlichen, ebd., 19–64.

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Bernhard Welte 3.) Die Erfahrungen aus der Vergangenheit dürfen nicht verkannt werden, ohne sie einfach zu wiederholen

Klaus Hemmerle 5.) Die philosophischen Optionen, welche die Theologie auf ihrem Gang durch die Geistesgeschichte traf, sind nicht beliebig.

Liest man Welte, so hat man jedenfalls den Eindruck, dass Philosophie und Theologie grundsätzlich miteinander verknüpft sind im religiösen Diskurs und vor allem in jener Denkform, die er ausgehend von der Phänomenologie sowie auch in der Auseinandersetzung mit dem dialogischen Denken Rosenzweigs und Bubers entwickelt: Es geht nicht so sehr und ausdrücklich um die Frage, ob und was die Philosophie in der Theologie und umgekehrt bewirkt, sondern mit welchem Denken wir uns der ganzen Wirklichkeit nähern, vom menschlichen Sein zur Welt und zu Gott. Welte spricht darüber als eine andere Weise des Denkens, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufkommt neben jener, die sich stets eng an die logisch-analytischen Parameter der exakten Wissenschaften binden wollte, indem sie nur in ihnen und ihren methodischen Verfahren Wege aufspürte, um zur Wahrheit zu gelangen. Sicherlich bieten sich diese für den religiösen Diskurs nicht an, und m. E. auch nicht für den anthropologischen, denn beide sind zu stark an Rätsel gebunden, die durch die menschliche ratio nicht ohne Weiteres verifizierbar sind. Und hier fügt sich eine zweite Weise des Denkens ein, die – nach Auffassung Weltes 5 – geeigneter ist, Gott und das religiöse Phänomen als Phänomen aufzufassen, ebenso wahrheitsgetreu wie die naturwissenschaftlichen Wahrheiten. Diese neue Weise des Denkens, die als solche weder streng philosophisch noch einzig und allein theologisch ist, ist die, die in der Phänomenologie wie auch – in autonomer Weise – in der Gestalt Rosenzweigs die aristotelische Kategorie der Beziehung in ihrem umfassenderen Wert wieder aufgreift. Dabei wird sie als Grundlage jeder Form von Verständnis neu entdeckt, ausgehend von der inhärenten und notwendigen Verbindung zwischen der Sache – Substanz –, die es kennenzulernen gilt, und dem Subjekt, das gerufen ist, sie nicht mehr nur zu bestimmen, sondern sie in ihrer ganzen Tragweite zu entdecken.

B. Welte, Über zwei Weisen des philosophischen Denkens, in: Ders., Gesammelte Schriften. Zur Frage nach Gott, ebd., Bd. III/2, 99–117.

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Diesen Zugang, den Richard Schaeffler in einer Rezension des Welte-Textes 6 über die Religionsphilosophie kritisch betrachtete, finden wir vollständig bei Hemmerle und in seiner Art, wie er Philosophie und Theologie treibt, wieder, in seinem Zugang zum Denken, das als solches – das heißt in seiner typischen Natur der Reflexion, in seinem Erfassen der Dinge, in seinen Fragestellungen und in der sprachlichen Übersetzung – nicht nur die Fähigkeit hat, sondern auch in die Lage versetzt wird, die umgebende Welt zu erkunden, sie zu hinterfragen und sich hinterfragen zu lassen. Wenn die Dinge sich so verhalten, dann gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Philosophie und Theologie! Tatsächlich ist für Hemmerle ziemlich klar, dass die beiden Disziplinen je eigene unmittelbarere Bereiche haben, für die sie zuständig sind; das tritt zutage in der Analyse des problematischen Verhältnisses zwischen den beiden. Gehen wir auf diese Beziehung noch näher ein. Von der Philosophie wird gefordert, Fragen zu stellen; darauf weist Hemmerle in seinem Text immer wieder hin. Es geht nicht nur um die persönlichen Fragen, sondern um alle Fragen der Welt, denn Gott gibt dazu die Möglichkeit, und indem er in die Geschichte der Menschheit eintritt, stellt er seine tiefe Solidarität mit ihr unter Beweis. Während Welte mehr die Kategorie des Verstehens 7 in den VorR. Schaeffler, Sinnforderung und Gottesglaube, in: »Philosophisches Jahrbuch« 86 (1979), 201–209. 7 Es gibt bei Welte mehrere Untersuchungen und Reflexionen über die Kategorie des Verstehens. In Die hermeneutische Aufgabe der Theologie und die Philosophie erklärt er sie ganz ausdrücklich gerade in ihrer Verbindung mit der Philosophie und dadurch mit der Theologie. Es könnte den Anschein haben, als hätte das Verstehen eine zweitrangige Bedeutung unter den Aspekten, die als notwendig aufgelistet werden, um die Rolle der Philosophie zu verstehen, denn Welte nennt sie erst nach dem Zuhören und lässt darauf noch das Wahrnehmen und das Ausführen folgen. Tatsächlich steht das Verstehen wirklich im Mittelpunkt: Man muss zuerst hören, was man verstehen will, und Gott tut den ersten Schritt, indem er sich durch eine Botschaft offenbart; mittels dieser Botschaft verstehen wir das Wort, das sie vermittelt, und dieses weckt den Glauben an ihren Inhalt. Um das zu bewerkstelligen, sind wir auch in einer Haltung, Raum zu schaffen, jenen notwendigen Raum im Innern zuzulassen, in dem Gott sich ausdrücken kann. In diesem Raum des Hörens und des »glaubenden Verstehens« beziehungsweise »verständnisvollen Glaubens« führen wir den Inhalt der Botschaft aus, damit sie uns erfasst und berührt und uns auf diese Weise bewegt, sie für uns selbst zu denken, sie zu unserem Denken werden zu lassen. Das ist der Grund, weshalb das Verstehen die zentrale Kategorie in der Beziehung zwischen Mensch und Gott ist, zwischen Philosophie und Theologie: Sie ist nie ein passives Verstehen, sondern immer aktiv, weil sie Bewegung im Gewähren eines Raumes für das Zuhören 6

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dergrund rückt als jene typisch menschliche und demnach philosophische, die die Notwendigkeit der Philosophie in der Theologie begründet, sieht Hemmerle das Zentrale der Philosophie im Fragen, wobei er den Menschen als Wesen der Frage definiert. Wenn also die Theologie von der Offenbarung Gottes ausgeht und damit von seinem Wort in menschlichen Worten, weil sie an Menschen gerichtet sind, muss sie sich dieses philosophischen Instruments bedienen, um alle Fragen stellen zu können, die ein solches Mysterium aufgibt. Dennoch bleibt die Philosophie nicht bei den Fragen stehen, sondern versucht Antworten zu geben, also den in Frage stehenden Gegenstand zu verstehen, um zu versuchen, ihn sich in all seinen Implikationen zu erklären, die nicht auf Anhieb verständlich sind. Philosophie und Theologie sind also für Hemmerle eng miteinander verbunden, und zwar beiderseitig, denn es handelt sich, wie er auch in den Thesen zu einer trinitarischen Ontologie bekräftigt, die erst ein Jahr vor unserem Text veröffentlicht wurden, aus Sicht der Offenbarung um eine Begegnung mit Worten beziehungsweise Sprachen: Das Wort Gottes teilt sich im menschlichen Wort mit, und dieses wird seinerseits zum Zeugen und zum Vermittler des göttlichen Geschehens 8. Beide sind koexistenziell und mit-ursprünglich, und das sind sie im Bezug zu zwei Kategorien, die sich einem Dialog stellen, wobei sie Philosophie und Theologie zum Ausdruck bringen, das heißt zum Glauben und zur Vernunft. Wenn wir jedoch zu den ganz allgemeinen Kategorien zurückkehren, die wir in den Ausführungen Weltes gefunden haben, begegnen sich bei Hemmerle Glauben oder Denken und Vernunft in einer doppelten Bewegung: die des Denkens, das sich dem Glauben zuwendet, und die des Denkens, das sich vom Glauben aus bewegt. Die erste – dem Glauben zugewandtes Denken – ist das offene Denken, verfügbar für das Wort Gottes, für sein Offenbarwerden, und, um es in der Sprache von Das Heilige und das Denken zu sagen, es ist ein Denken, das sein lässt, ohne festhalten zu wollen, bis zum Verdanken; die zweite – Denken aus dem Glauben – Gott gegenüber ist, der sich berühren lässt und zu einem Mitvollzug desselben bewegen lässt (Vgl. B. Welte, Die hermeneutische Aufgabe der Theologie und die Philosophie, ebd.). Man kann den Artikel von Cesar Lambert dazu lesen: Vgl. C. Lambert, Der Begriff »Verstehen« bei Bernhard Welte, in: G. Bausenhart/M. Böhnke/D. Lorenz (Hg.), Phänomenologie und Theologie im Gespräch, ebd., 161–170. 8 Hierzu hat sich in einem kurzen Aufsatz Bernhard Körner geäußert: Vgl. B. Körner, L’interazione tra filosofia e teologia come »luogo« dell’ontologia trinitaria, in: V. Gaudiano/A. Clemenzia (Hg.), Sulla soglia tra filosofia e teologia, ebd., 45–52.

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ist diejenige, die die Botschaft aufnimmt und sie entwickelt, ohne jedoch sagen zu können, dass sie automatisch aus der ersten resultiert 9. Noch mehr lebt in Hemmerle die Überzeugung, dass Glauben und Denken zwei ursprüngliche Weisen menschlicher Selbstverwirklichung sind; von daher sind sie untrennbar, und darum ist auch der Diskurs über Philosophie und Theologie kein Nebenschauplatz im Denken Hemmerles, sondern konstitutiv 10. Wie Böhnke in der Hinsicht bekräftigt, werden »bei Hemmerle […] beide Disziplinen jedoch nur unterschieden, um sie im Vollzugsgeschehen miteinander zu verknüpfen und nicht, um sie zu trennen« 11. Daraus folgt, dass die Philosophie als ein internes Problem der Theologie gesehen wird beziehungsweise die Theologie als ein internes Problem der Philosophie und dass sie deshalb nur in einer Bedingung gegenseitiger Abhängigkeit sein können. Es wäre eine etwas naive Position – wie es Brechtken angeprangert hat 12 – beziehungsweise nur vonseiten der Theologie vorschlagbar und verständlich: Dass sie nämlich rationaler Kategorien oder allgemeiner gesagt des Denkens bedarf, um immer mehr in der Tiefe das Geheimnis der Offenbarung auszudrücken und zu verstehen, ist wahrscheinlich für jeden Theologen einsichtig, vor allem in den letzten beiden Jahrhunderten. Dass aber auch das Gleiche für die Philosophie gilt, ist weit weniger evident und weitaus fragwürdiger, denn die Philosophie bedarf der Offenbarung nicht, um nachzudenken und Antworten auf die Fragen des menschlichen Seins zu suchen. Tatsächlich ist auch Hemmerle nicht dermaßen unbedarft und wenig aufmerksam hinsichtlich der Philosophie, die er sehr liebt, sie in naiver und fast absorbierender Weise in der Theologie zu denken – das bringt er selbst in mehreren Schriften zum Ausdruck –, sondern er ist sich in jedem Fall bewusst, dass die Philosophie kein Böhnke hat diese Dynamik, von der Hemmerle spricht, in besonderer Weise hervorgehoben. Vgl. M. Böhnke, Einheit in Mehrursprünglichkeit. Eine kritische Analyse des trinitarischen Ansatzes im Werk von Klaus Hemmerle, ebd., 160–170. 10 Bemerkenswert ist, dass Cacciari genau diese Sichtweise aufgreift und in seiner Eigenschaft als nichtchristlicher Philosoph bekräftigt, dass »die theologische Forschung in ihrem intimen Überschneiden-Widersprechen mit der Philosophie nicht von außen auf sie zukommt, wie ein ungebetener Gast, sondern zu ihrer Natur gehört, die in sich einen Exodus-Charakter hat und nicht a priori von sich aus weder Irrtum noch Zweifel zurückdrängen kann«. Vgl. M. Cacciari, Filosofia e teologia, in: P. Rossi (Hg.), La filosofia, II: La filosofia e le scienze, Turin 1995, 365–421. 11 M. Böhnke, Einheit in Mehrursprünglichkeit. Eine kritische Analyse des trinitarischen Ansatzes im Werk von Klaus Hemmerle, ebd., 160. 12 Vgl. oben, Kap. III, Zur Einführung, 108–110. 9

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Partner auf Augenhöhe für die Theologie ist 13, denn als Denkender glaubend kann ich vom Glauben her mein Denken als solches und in sich selbst artikulieren und es im Blick auf allgemein zugängliche Phänomene direkt mitteilen und erschließen – vom Denken her, das in sich selber steht, kann ich keinen kontinuierlichen Übergang zum Glauben und zur Glaubenserkenntnis gewinnen, wenn auch das vom Glauben erhellte Phänomen im Denken Wegmarke zum Glauben hin zu sein vermag 14. Demnach gelingt die Kommunikation der Wechselseitigkeit zwischen diesen beiden Disziplinen nur seitens der Theologie vollständig, wohingegen sie vonseiten der Philosophie eher als Postulat denn als ihre Forschung resultiert. Wenn nämlich wahr und einsichtig ist, dass die Philosophie als Promotorin der Frage über das Seiende keinen Ausdruck davon vernachlässigen darf, was heißt, dass sie aus dem eigenen Bereich der Reflexion das religiöse Verhältnis und Gott nicht ausklammern kann, ist ihre Verbindung mit einer speziellen Erfahrung des Glaubens und der Religion wie dem Christentum nicht so konsequent. Andererseits finden sich bei Hemmerle keine pauschalen und allgemeinverständlichen Behauptungen in der Hinsicht, sondern der Diskurs bewegt sich immer eindeutig auf der Ebene einer trinitarischen Ontologie und demzufolge eines Denkens und Glaubens, die sich im Innenraum der christlichen Erfahrung und des Geschehens der Offenbarung als Ort des Denkens und Glaubens bewegen. Persönlich sehe ich in diesem Hemmerle-Text eine große, für die Philosophie noch aktuelle Herausforderung, speziell für das europäische Denken, dessen Wurzeln – ob man das will oder nicht – tief hinabreichen, parallel in der grundlegenden Erfahrung der griechischen Philosophie sowie in der ebenso grundlegenden jüdisch-christlichen Erfahrung eines Gottes, der sich zum dialogbereiten »Du« und anderen des Menschen macht. Europa und sein kulturelles Profil kann Über die kritische Beziehung der zwei Disziplinen in Auseinandersetzung mit Hemmerle haben sich ein Theologe und ein Philosoph innerhalb eines Seminars auseinandergesetzt, dessen Beiträge kürzlich veröffentlicht wurden. Vgl. P. Coda, Che cos’è pensare tra filosofia e teologia? (Was heißt Denken zwischen Philosophie und Theologie?) und V. Vitiello, La verità come testimonianza. Klaus Hemmerle e il rapporto tra filosofia e teologia (Die Wahrheit als Zeugnis. Klaus Hemmerle und die Beziehung zwischen Philosophie und Theologie), in: »Sophia. Ricerche su i fondamenti e la correlazione dei saperi«, XII/1, 2020, 135–141, 127–134. 14 Siehe unten, Wahrheit und Liebe – ein perichoretisches Verhältnis, Kap. VI, 161– 172. 13

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man nicht verstehen, wenn man eine von diesen beiden Wurzeln abschneidet, denn aus ihrem Gespräch und aus ihrer Auseinandersetzung ist es im Laufe der Jahrhunderte gewachsen, geworden und hat hervorgebracht, was wir heute kennen 15.

Der Philosoph Massimo Cacciari hat wiederholt über die Weise gesprochen, wie er von seinem Standpunkt aus das Thema der Beziehung Philosophie-Theologie angegangen ist, wobei er zu einer Sichtweise kam, die der Hemmerles nicht unähnlich ist.

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IV. Zur Schwelle des Denkens: Innerhalb und jenseits der Grenze

A. Zur Einführung Im Jahre 1981 nahm Klaus Hemmerle anlässlich des 75. Geburtstages von Bernhard Welte an einer Studientagung teil, die von der Katholischen Akademie Freiburg veranstaltet wurde. Das Thema dieser Tagung war das Überdenken der Phänomenologie Weltes mit besonderem Akzent auf die Abhängigkeit der Theologie von der Philosophie. Der Beitrag von Klaus Hemmerle in diesem Kontext zielt auf den Bezug des Glaubens zum Denken, dabei interpretiert er auf seine Weise die »Grenze« im Denken Weltes. Dieses Referat unter der Überschrift Denken der Grenze – Grenze des Denkens. Zur Phänomenologie Bernhard Weltes wurde 1982 in einer Sammlung von Beiträgen veröffentlicht, die aus der Studientagung unter dem Titel Die Angewiesenheit der Theologie auf das philosophische Fragen 1 hervorging; später wurde es in den ersten Band der Ausgewählten Schriften 2 im Jahr 1995 aufgenommen; in dieser Ausgabe haben die Herausgeber zu den beiden Exkursen am Schluss Überschriften eingeführt, die es bei Hemmerle in der ursprünglichen Fassung nicht gab. Im Mittelpunkt der Reflexion stehen zwei Schlüsselworte, die sich – unmittelbar oder nicht – im welteschen Denken wiederfinden, aber auch bei Hemmerle selbst: »Grenze« und »Denken«, die wechselseitig aufeinander verweisen. Das Wort »Grenze« weist sprachlich auf eine Trennungslinie zwischen zwei Bereichen oder Territorien ebenso wie auf Beschränkung, Abgrenzung, Begrenztheit und Be-

B. Casper (Hg.), Die Angewiesenheit der Theologie auf das philosophische Fragen, Schnell & Steiner, München 1982. 2 K. Hemmerle, Denken der Grenze – Grenze des Denkens. Zur Phänomenologie Bernhard Weltes, in: Ders., Auf den göttlichen Gott zudenken, Schriften zur Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie, Bd. 1, ebd. 1

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scheidung. Bei Hemmerle hat es eine Bedeutung, die nicht nur einen der beiden Pole im Dialog in seinem Denken konstituiert, sondern gewissenmaßen den Gedankengang selbst charakterisiert.

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Denken der Grenze – Grenze des Denkens. Zur Phänomenologie Bernhard Weltes

Bernhard Welte hat Gewichtiges zum Wechselverhältnis von Theologie und Philosophie ausdrücklich gesagt. Aber nicht weniger gewichtig für dieses Thema ist sein Denken selbst, sein Denken im Ganzen, auch dort, wo es, vordergründig angeschaut, andere Gegenstände behandelt. Sein Denken selbst, das Vorgehen seines Gedankens und der Vorgang des ihn denkendes Denkens in die Sprache, das hat eine eigentümliche Konsistenz, und wenngleich diese Charakterisierung keineswegs ausreicht, es scheint berechtigt zu sein, zu sagen: Bernhard Weltes Denken, das ist seine Phänomenologie. Es wäre nun reizvoll, das Besondere dieser Phänomenologie anderen Typen von Phänomenologie gegenüber herauszuarbeiten. Hier soll etwas Bescheideneres versucht werden. Ansatz unserer Besinnung soll ein 1957/58 im Rahmen des Dies Universitatis gehaltene und im Buch »Auf der Spur des Ewigen« nachgedruckte Vortrag: »Die Grenze als göttliches Geheimnis« 1. Vermutlich gibt es wenige Texte, in denen so einfach und doch so perspektivenreich, so knapp und doch so tief, so in sich verdichtet und zugleich über sich hinausweisend Weites Gedanke im Ganzen anschaubar wird. Nach einer Vergegenwärtigung des in diesem zentralen Text Gesagten soll die Frage gestellt werden: Wie kommt man auf einen solchen Gedanken, wie kommt man dazu, ihn so zu sagen? Der Versuch einer Antwort auf diese Frage soll erläutern, was das heißen soll: Bernhard Weltes Phänomenologie. Ein weiterer Hinblick auf den so in seine innere Genese hin gelesenen Text möchte den Charakter dieser Phänomenologie als eines sich in sich selbst transzendierenden Denkens erhellen, und in einem

Vgl. Welte, Bernhard: Die Grenze als göttliches Geheimnis, in: ders., Auf der Spur des Ewigen. Philosophische Abhandlungen über verschiedene Gegenstände der Religion und der Theologie, Freiburg i. Br. 1965, 62–73.

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letzten Schritt soll das darin zum Thema Wechselverhältnis Philosophie und Theologie Implizierte eröffnet werden.

I.

Grenze im Hinblick Bernhard Weltes

Vergegenwärtigen wir uns also einleitend den Gedanken, den Bernhard Welte zu seinem Thema »Die Grenze als göttliches Geheimnis« vorlegt. Der Kontext – wir bemerkten es schon – war ein Dies Universitatis, der seinerseits »Die Grenze (a) im Leben der Wissenschaft« behandelte. Es ist natürlich einerseits mißlich, einen ohnehin auf sein Wesentliches konzentrierten Gedanken nochmals zu konzentrieren. Andererseits zwingt solches Bemühen, den Gedanken möglichst nahe bei seinem Ursprung aufzusuchen, sozusagen in den Prozeß seiner Genese (b) hineinzuschauen. Kennzeichnend, wie in einem ersten Schritt Bernhard Welte selbstverständlich Vorausgesetztes so ans Licht hebt, daß es in seiner einfachen, unmittelbaren Gegebenheit sich zeigt und darin gerade mehr zeigt als seine vorgewußte Selbstverständlichkeit. Er setzt dabei an, daß da von Wissenschaften die Rede ist und von Grenze. Was haben diese beiden miteinander zu tun, die Wissenschaften und die Grenze? Nun, es gibt Grenzen zwischen Wissenschaften, die eine ist nicht die andere. Wer in der einen Wissenschaft forscht, lehrt, studiert, der sieht anderes und sagt anderes als jener, der die andere Wissenschaft betreibt. Dieselbe Sache kommt nicht in derselben Hinsicht Das Konzept der Grenze und die philosophische Auseinandersetzung damit hat eine längere Tradition und führt auf Kant zurück, insbesondere auf seine Betrachtung der Begriffe »Grenze« und »Schranke« innerhalb der Kritik der reinen Vernunft und dann in den Prolegomena. Dabei geht es ihm gerade um die Abgrenzung der menschlichen Vernunft als solche und um die Frage nach der Metaphysik beziehungsweise nach der Erfahrung einiger Wirklichkeiten, mit denen der Mensch in Berührung kommt und die doch nicht als »rational« einstufbar sind. Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, J. Timmermann (Hg.), Meiner Verlag, Hamburg 1998; Id., Prolegomena, in Sämtliche Werke, Bd. 2, Mundus Verlag, 2000, 291–401. (b) Der hier verwendete Terminus »Genese« ist stark phänomenologisch geprägt (als Genesis) und wird von Hemmerle mit Bezug auf Husserl verwendet, im Unterschied zu dem Gebrauch in Weite des Denkens im Glauben – Weite des Glaubens im Denken, wo Hemmerle mit eindeutigem Bezug zu Rombach vom »genetischen Mitdenken« spricht. Zur Bedeutung vgl. H. Vetter, Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe, ebd., 220–223. (a)

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in der einen und in einer anderen Wissenschaft vor, und da die Hinsicht in der Wissenschaft keine beliebige, sondern eine sich methodisch an ihrer Sache vermittelnde ist, können wir sagen: Die Sache der einen Wissenschaft ist nicht die der anderen. Dann aber haben die verschiedenen Wissenschaften verschiedene Standorte innerhalb eines umgreifenden Raumes dessen, was ist. Die Sache einer Wissenschaft ist das, was von ihrem Standort aus innerhalb dessen, was ist, in Sicht kommt, die Grenzen zwischen den Sichtfeldern sind die Grenzen zwischen den Wissenschaften, sie gründen also in den Grenzen, die durch das Ganze dessen hindurchlaufen, was ist. Es genügt indessen nicht, Grenze und Wissenschaft dadurch in Beziehung zu setzen, daß man Grenzen zwischen den Wissenschaften konstituiert und sie als Grenzen bezeichnet, die zwischen der einen und der anderen Region (c) des Seienden verlaufen. Mit diesem Bild des Ganzen, das in Regionen geteilt und somit von Grenzen durchlaufen ist, und dem in dieses Bild eingefügten Merkmal des Standortes in je einer Region, von dem aus diese selbst und so zugleich ihre Grenze zu anderen Regionen in Sicht kommen, gewinnt das bislang Gesehene eine Bildlogik, die noch mehr zu sehen erschließt, noch mehr an »Grenze im Leben der Wissenschaft« sehen läßt. Der Blick der Wissenschaft ist nicht allein und nicht einmal zuerst der Seitenblick, der die benachbarte Region in ihrem Entgehen, die benachbarte Wissenschaft in ihrer sich an sich selbst nehmenden Andersartigkeit eben noch gewahrt. Der Blick der Wissenschaft ist in erster Linie der Vorblick auf das, was in der Region des eigenen Hinblicks bislang noch nicht in Sicht trat. Die Region ist nicht einfach durch Grenzen in einem im vorhinein Überschauten und Überschaubaren umschlossen, sondern die Region ist, trotz ihrer seitlichen Begrenzung, im Blick nach vorne in Unendliches, zumindest Endloses hinein geöffnet. Je mehr der sich dem wissenschaftlichen Hinblick erschließt und je mehr sich in ihn einbringt, desto weiter schiebt sich die Grenze des Erkannten und Gesicherten hinaus – aber diese Grenze bleibt doch die Front gegenüber dem, was als das noch zu Erforschende und zu Klärende der jeweiligen Wissenschaft noch aus- und bevorsteht. Sicher müßte auch hier weiter differenziert werden, je

»Region« ist wie »Genese« ein ureigener phänomenologischer Begriff husserlschen Ursprungs. »Region nennt Husserl jedes durch eine oberste sachhaltige Gattung umgrenzte Gebiet«. (vgl. ebd., 460).

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nach Art des konstitutiven Hinblicks einer jeden Wissenschaft auf ihre Sache. Aber im Ansatz bleibt diese Erkenntnis bestehen: Wissenschaft lebt von einer Grenze, die je vor ihr liegt, die sich je weiter hinausschiebt, die die Wissenschaft aber je in der Relation zu dem beläßt, was ihr noch nicht gehört, was ihr als noch ungelöste Aufgabe, noch unbetretenes Land bevorsteht. Seitenblick und Vorblick, Grenze zwischen den Wissenschaften und Grenze zwischen dem Schon und dem Noch-Nicht – ein Drittes entgeht dem Hinblick der Wissenschaft noch radikaler und konstituiert doch gerade so sie selbst, indem es sie begrenzt. Der Hinblick hat sein Woher, sein Woraus, in die er gerade nicht hineinblickt. Warum ist Zahl nicht Sprache und Sprache nicht Zahl? Warum ist Geschichte nicht Natur und Natur nicht Geschichte? Das, was eine Region des Seienden und somit eine Wissenschaft konstituiert, kommt in dieser Region und somit in dieser Wissenschaft nicht an sich selber vor. Sowenig wie eben das Eigene des Sehens sichtbar, das Eigene des Hörens hörbar ist. Wissenschaften werden, in der bezeichneten Bildlogik, zu Wegen des Sehens innerhalb dessen, was ist. So aber zeichnen sich den Wissenschaften Grenzen ein, die sie konstituieren, indem sie zugleich sie relativieren: Grenzen zwischen den Wissenschaften, Grenzen vor einer jeden Wissenschaft, Grenzen im Rücken der Wissenschaften. So unerläßlich diese erste Stufe im denkenden Hinblick auf so etwas wie Grenze ist, so betroffen müssen wir auf der zweiten Stufe feststellen: Eines ist dabei nicht in den Blick gekommen, und dieses eine ist – die Grenze selbst. Wir sahen, wo Grenzen laufen, aber was das ist, eine Grenze, das ist uns dabei entgangen. Es wird deutlich: Wir haben hier anders zu blicken, der Hinblick muß anderer Art sein als jenes Blicken, das wir bislang anwandten und das wir auch als die Blickweise der Wissenschaften selber in Blick nahmen. Allerdings haben wir schon anders geblickt, denn sonst hätten wir die Wissenschaften gar nicht solchermaßen »jenseits« ihres je im einzelnen bestimmten Hinblicks gesehen, und es wäre uns erst recht nicht aufgefallen, daß wir Grenze selbst in ihrem Wesen nicht entdeckten. Lassen wir die Frage nun einmal beiseite, inwiefern immer ein Mehr gegenüber dem je Eigenen der Wissenschaft auch in diese mit eingeht und es möglich macht, daß sie als Wissenschaft betrieben wird. Schauen wir jedenfalls auf dieses Eine: Grenze als Grenze ist anderer Art als die »Sachen« der Wissenschaften, anderer Art als die Regionen dessen, was ist, als das Erblickte, Erblickbare, dem Blick sich Auftuende, AnVerdankendes Denken

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verwandelnde, von ihm Festzumachende in der Blickweise einer Wissenschaft. So wichtig und so kennzeichnend die in dieser zweiten Stufe von Weite geleistete Phänomenologie der Grenze auch ist, so angebracht erscheint es doch, hier im Referat kürzer zu sein. Wir legen es eher darauf an, Vorbereitung, Genese und Kontext der Schritte seines Gedankens zu erinnern als diesen selbst. Wer sich einmal auf ihn eingelassen hat, dem ergibt sich das sozusagen von selbst, was nun sein Hinblick auf das Entgangene und durch sein Entgehen gerade erschlossene Eigene von Grenze ist. Welte führt auf die je entsprechenden, selbigen Momente von Grenze in drei Gängen hin. Erster Gang: Grenze zwischen diesem und jenem Etwas, die aneinandergrenzen, ist nicht ein drittes Etwas, sondern sie ist gerade: Nichts. Deswegen entgeht Grenze, weil sie an sich selber Nichts ist. Aber sie ist Nichts zugleich so, daß sie nicht Nichts ist, nicht nichtiges Nichts, sondern bestimmendes Nichts. Sie ist somit ein Waltendes und erfordert ein Hinblicken, das über die Pole von Nichts und Etwas hinausfährt und Walten dessen, was anders ist als Nichts und Etwas, gewahrt. Zweiter Gang: Wie waltet Grenze? Sie waltet als Bestimmung (determinatio); denn was begrenzt ist, das gerade ist bestimmt, das ist an sich selbst es selbst. Wie aber geht solche Bestimmung, wie waltet Grenze als Grenze? Als negatio, distinctio und unio. Grenze macht, daß das eine nicht das andere ist und das andere nicht das eine und daß es, im selben und eigenen zumindest, an der Grenze nicht weitergeht. Solches Nicht gerade leistet Unterscheidung und somit eben Bestimmtheit. An der Grenze erfolgt der Rückstoß in das Eigene, es gerinnt zur Gestalt, die in sich selbst steht und stimmt, weil sie nicht zerfließt und ins Ununterschiedene entschwebt. Zugleich aber bindet Unterscheidung das Unterschiedene zusammen. Nur wer an die Grenze kommt, kann über sie hinauskommen, und nur weil er schon über sie hinausgekommen ist, kommt er überhaupt an sie; ohne den Ausgriff erführe er den Abstoß ins Eigene nicht. Und wer die Grenze sieht, der hat schon über sie hinausgesehen. Grenze verbindet jene, die in ihr aneinandergrenzen. Damit aber ist der dritte Gang bereits geschehen: Grenze schenkt drei Urbegriffe:»Dieses (Bestimmte), Nichts (nichts anderes), Und« 2. Was haben wir gesehen, indem wir die Merkmale von Grenze an ihr selbst gewahrten, indem wir unser Nichtsehen von Grenze als ein 2

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Sehen der Grenze in die Sicht bekamen? Was haben wir gesehen, und wie haben wir es gesehen? Die Bildlogik der ersten Stufe ist verlassen. Wir haben uns umgewandt und in die Richtung der Herkunft geschaut, so freilich, daß die Umwendung des Hinblicks, die Umkehr des Denkens dieses Hinblicken und Hindenken selber ist. Das geht keineswegs so, daß wir nun einfach das, was ist, hinter uns ließen und geradewegs hineinblickten in seine und unsere Herkunft. In solchem Denken würde die Herkunft selber zum verfügbaren Seienden, und aufs neue entginge genau dasselbe, was im Hinblick auf der ersten Stufe entgangen war: die Grenze an ihr selbst. Der Hinblick aus der Umkehr in die Herkunft kann nur anrühren, verfügen kann er nicht. Nur wenn er sich bescheidet ins Nichts, nur wenn er in solche Bescheidung die eigene Unterscheidung und jene des Geheimnisses wahrt, schenkt sich die einende Kraft des Denkens, die das andere als es selber und sich als das andere dieses anderen mit ihm zusammen sieht. In solchem neuen Denken in der Umkehr aber, in solchem Denken, dessen Gang und Wesen die Grenze selber wird, eröffnet sich Erstaunliches. Die Bekanntschaft mit der Grenze als solcher kommt nicht nur dem Kennen der Wissenschaften zugute. Was als das Wesen von Grenze sich zeigt, ist die Bestimmung alles dessen, was ist, sofern es selber ist. Die drei Grundworte, die wir entdeckten, sind die Grundworte dessen, daß ist, was immer ist. Alles sagt: Dieses, Nicht, Und. Alles sagt so dasselbe Wort, und indem alles dasselbe Wort sagt, sagt jedes sich selbst und jedes sich in seinem Unterschied, seiner Andersheit, seiner Eigenheit gegenüber allem anderen. Wie ist dies möglich? Alles sagt jenes Wort, das ein jedes sich selber zuspricht, aus dem her alles ist, was es ist. Grenze ist Wort. Eine Phänomenologie des Wortes führte zu denselben Momenten wie die der Grenze 3. Das Seiende sagt, indem es die Grenze als sein eigenes Wesen enthüllt, ein Wort weiter, von dem es je selber gesagt ist. Und dieses sagende Wort dürfen wir vernehmen in den ersten Worten der Schrift, in den Worten vom Anfang, vom Schaffen, vom Wort des »Es werde!«, davon, wie dieses Wort das Licht und die Finsternis scheidet.

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Vgl. Exkurs 1.

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So gelangen wir wie von selbst zur dritten Stufe. Wir haben die Grenze vom Begrenzten her berührt, aber so hat uns in ihr das Begrenzende berührt. Und hier sind wir an der entscheidenen Grenze: jener zwischen dem, was begrenzt ist, und dem, was begrenzt. Können wir irgendwo in unserem Bereich, in dem des Begrenzten, diesen schöpferischen Anfang, dieses unbegrenzt Begrenzende sich spiegeln sehen? Wo wird Begrenztsein selber zum Grenzenden, Schöpferischen? Die Szene wechselt noch einmal: Nachdem wir von der Wissenschaft hinübergedrängt wurden in die Umkehr zum Geheimnis, eröffnet sich uns nun die Einkehr in die Kunst (d). Was passiert, wenn ein Lied, ein Tanz, ein Spiel, ein Bild anheben? Es fängt etwas an, was vorher nicht da war. Und es fängt an, indem einer über sich hinausgeht, die Grenze des Nur-Ich überspringt, das, was in ihm lebt, sich von seinem Inneren unterscheiden läßt, so daß es auch jenseits seiner, im Äußeren lebt. Solches Entspringen geht in aller Leichtigkeit als Einung und Unterscheidung zugleich, in welchen allererst Grenze konstituiert wird. Dies ist das Positive, das setzende und nicht absetzende Setzen von Grenze. Unterscheidung im Überstieg, im Gewähren, im Aufgehenlassen. Im Und wird ursprünglich das Dieses und Nicht geboren, um des Und willen sind sie da. Dies ist die eine, die vertikale Richtung des Anfanggeschehens, wie es im Entstehen von Kunst sich anzuschauen gibt. Aber dieses vertikale Geschehen läßt sich keinen Augenblick ablösen von einem horizontalen: Indem das Leben des Künstlers Leben seines Kunstwerks und somit Leben außerhalb seiner selber wird, legt dieses Lebendige sich auseinander, es wird ein in sich selber distinktes, gegliedertes Gebilde. Ein Ton etwa ist nicht der andere, jeder läßt sich unterscheiden, und alles gehört doch zusammen, bildet ein Eines, lebt in der Beziehung. Die Entsprechung, die Ergänzung, die Einheit im Ganzen lebt nur in der Unterscheidung, das Werk grenzt sich nach

Dieser unerwartete Übergang zur Kunst ist fast unverständlich, ist es aber in Wirklichkeit nicht, wenn man sich alle Ebenen der Strukturontologie vergegenwärtigt sowie auch den Verlauf des Stern der Erlösung von Rosenzweig: Beide gliedern die Kunst in einen Prozess des Neudenkens und der Neubegründung des Denkens ein – der eine durch eine extreme Formel der Phänomenologie in seiner Struktorontologie, der andere durch das messianische Denken. Rombach fügt in seine Schrift Texte und Bilder ein zur Illustration dessen, was er im Text sagt (vgl. H. Rombach, Strukturontologie, ebd.; F. Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, ebd.).

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außen ab, indem es in sich selber in jeder Faser, in welcher es ist, abgegrenzt, unterschieden, geklärt ist. Und so geht der Weg zurück, im großen und überraschenden Bogen, in den Anfang des Gedankens. Auch jene Welt, auf die wir zuerst geblickt haben, jene Welt, die von den Grenzen zwischen den Bereichen des Seienden durchzogen ist, jene Welt, die aus verborgenem, geheimnisvollem Ursprung wächst und weiterwachsen will in ihr eigenes Nochnicht, die Welt dessen, was ist und sich zu wissen gibt, läßt sich zutiefst nicht anders verstehen denn als Werk der ars aeterna, der ewigen Kunst. Wissenschaft wird zuletzt antwortendes Mitspiel mit jenem schöpferischen Spiel Gottes, das sich im intelligiblen Antlitz dieser Welt bekundet. Nicht das Herauspressen extremer Möglichkeiten des Könnens und Machens aus unserem Geist und dem Stoff der Welt, nicht die Abstraktheit des an sich eben noch Möglichen, nicht das blinde Verfügen, in welchem die Welt zum bloßen Material der ihre einsamen Ideen vollstreckenden Vernunft wird, sondern das Annehmen jener Grenzen, ohne die Wissenschaft ins Maßlose oder Unverbindliche zerflösse, zeigen sich als ihr der Wissenschaft tiefster Sinn. Bernhard Weltes Gedanke wurde im Winter 1957/58 formuliert. In denselben Monaten, in welchen Reinhold Schneider(e) seinen »Winter in Wien« schrieb. In der Zwischenzeit schienen beider Gedanken weit weg gerückt von dem, was in Wissenschaft und Technik sich begab. Sind nicht beide Gedanken, die düstere Ahnung von der Ungeheuerlichkeit dessen, was eine sich selbst überlassene Wissenschaft an zerstörerischer Potenz gegen die Zukunft der Welt ein-

Der Schrifsteller Reinhold Schneider wurde 1903 in Baden-Baden geboren. Er war ein tiefreligiöser Mann, der gemeinsam mit Romano Guardini zur Erneuerung der Jugend nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen hat. Seine Gedichte und allgemein seine Schriften sind motiviert und durchdrungen vom Sinn für das Religiöse, eher interessiert am Leben und seiner Bedeutung als an reiner Ästhetik. Hemmerle hat ihn persönlich kennengelernt, denn er gehörte zum Freundeskreis des Vaters, mit dem sie während des Krieges im Widerstand gegen die Nazis heimlich im Kontakt standen. Wilfried Hagemann berichtet, dass Hemmerle tief beeindruckt war von Schneiders Erzählung Die dunkle Nacht des Johannes vom Kreuz (1942), sodass er sagte: »In dieser Spannung hinein traf die Botschaft Reinhold Schneiders, das lebendige, anschaubares Zeugnis eines Menschen, der im Betroffensein vom Kreuz die beide Pole miteinander verband, dem Schrecklichen ins Auge schauend, aber auch jener Liebe, die das Schrecklichen annimmt, trägt und verwandelt« (vgl. W. Hagemann, Klaus Hemmerle. Verliebt in Gottes Wort, ebd., 25).

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zubringen hat, aber auch die neue Ermutigung zur Wissenschaft, sofern sie ja sagt zu ihrer Begrenzung, ja zur Ehrfurcht vor dem schöpferischen Spiel Gottes, wieder neu aktuell geworden? Diese Nebenbemerkung sei am Ende des Referates über den denkwürdigen Vortrag Bernhard Weltes erlaubt.

II.

Das Was des Gedankens und das Wie des Denkens

Wie kommt es zu einem solchen Gedanken? Wie geht das, Grenze so zu sehen, genauer gesagt: in den Wissenschaften zunächst jenes Gelände des Seienden zu entdecken, in welchem Grenzen, für diese Wissenschaft konstitutiv, verlaufen, in diesen Grenzen dann das vorab Ungesehene, das Wesen von Grenze selbst, zu gewahren und in diesem Wesen von Grenze alles Begrenzte und das anfänglich Begrenzende, den begrenzenden Anfang selbst, und zwar dergestalt, daß er im Feld des Begrenzten seine begrenzende Anfänglichkeit spiegelt und mitteilt? Man kann für solche Frage nach dem Wie des Gedankens in seinem Was eine doppelte Spur entdecken. Die eine: Man kann von dem her, was am Ende, auf der dritten Stufe, Bernhard Welte über die Phänomenalität künstlerischen Anfangens sagt, ausgehen und in diesem Wahrgenommenen die Gangart des Gedankens selbst erheben, der sich in unprätentiösem, unmittelbarem Angang dem Phänomen nähert, indem er es einfach entwirft, aus sich wirft und in seine gefügte Ordnung auseinanderwirft, so daß darin das zu Denkende sich wiederfindet und spiegelt und wir sagen: Ja, so ist es! Man könnte alsdann sozusagen den Weg dieser drei Stufen nach rückwärts weitergehen, im leichten, intuitiven Spiel des Gedankens die Momente des Anfangens entdeckend, die von sich her das Walten von Grenze aufschließen; und weil dieses Walten von Grenze schon in Gedanken anwesend ist, versteht sich, wieso sich ihm die Wissenschaften in jenes Bild geben, in welchem die mannigfachen Grenzen zwischen den Wissenschaften und der Wissenschaften zu orten und zu deuten sind. Man könnte also sagen: In der einenden und unterscheidenden Dynamik künstlerischen Anfangens hat Bernhard Welte nicht nur das Feld eröffnet, in welchem sich in letzter Konsequenz das Geschehen und Wesen von Grenze erhellt, er hat hier seine eigene Art zu denken vor sich gebracht. Sie trifft auf dem Weg des Denkens an dieser letztlich entscheidenden Stelle seines Gedankenganges bei sich selber ein und 214

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erreicht hier die Herkunft dieses Gedankenganges. Ein solches Denken dächte dann einerseits also gerade sich selbst – aber wenn es an sich selber jener künstlerische Überschritt über die Grenze ist, in welcher Grenze sich allererst konstituiert, dann befähigt gerade dieses Bleiben des Gedankens in sich, im Eigenen, seine Fähigkeit, das andere an ihm selbst zu erhellen. Die Phänomenologie Bernhard Weltes wäre dann die Phänomenologie des eigenen Denkens, das aber als »grenzendes« Denken in seiner Aktivität zugleich die Rezeptivität für den Aufgang seines anderen ist. Verweilen wir jedoch mit noch mehr Bedacht bei der zweiten Spur, die sich im selben Gedankengang eröffnet. Sie mutet vielleicht naiver und vordergründiger an, hebt aber noch mehr von der Textur des Gedankens ans Licht und bestätigt von der anderen Seite her doch auch die zuerst begangene. Bernhard Welte schaut einfach hin. Damit hebt es an, damit hebt ausdrücklich und immer wieder er an. Fangt doch nicht gleich an mit Einordnungen, macht nicht gleich Konstruktionen, reflektiert nicht sofort auf Koordinatensysteme, die nur mit Material aufgefüllt und mit Einzelergebnissen bestätigt werden sollen! Habt den Mut, einfach einmal behutsam hinzuschauen und dann aus diesem Hinschauen den Gedanken sich gebären zu lassen! So hat er es Ungezählten immer wieder gesagt, die sich mit ihm auf den Weg des Denkens und Verstehens angesichts der großen Gedanken der Geschichte, der Zeugnisse von Kultur und Natur, der Gegebenheiten und Gaben der sich uns zutragenden Alltäglichkeit eingelassen haben. So hat er es auch hier, bei diesem Phänomen von Grenze, selber gemacht. Er hatte die zwei Vorgaben: Wissenschaft – Grenze. Und er hat sie nicht in irgendeiner Konstruktion miteinander gekoppelt, sondern hat so lange auf das Geschehen und Leben von Wissenschaften hingeschaut, möglichst elementar, möglichst nicht in fachmännischer Spezifizierung auf besondere Probleme, bis sich in diesem Feld Grenzen zeigten und in ein Gefüge gaben, das sich dann mehr und mehr als das Gefüge von Wissenschaft selber enthüllte. Einerseits ist solches Hinschauen naiv, es hat sein Recht und zugleich seine Besonderheit, wie es scheint, allein in den drei Tugenden der Geduld, die nicht schnell Ergebnisse vorwegnimmt, der Behutsamkeit, die zwar nicht nervös auf Kleinigkeiten, aber zart auf Unscheinbares achtet, des Mutes, der gegen den Strom andrängender Interpretationen und Begriffe den Blick auf die Sache selber durchhält. Verdankendes Denken

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Aber diese drei Tugenden der Geduld, der Behutsamkeit und des Mutes sagen doch mehr über solches Hinsehen als nur eine Askese, eine Übung, welche die inneren Sinne verfeinert. Solches Zusehen hält sich selber in der Geduld aus, es geht in der Behutsamkeit mit sich selber mit und vollzieht den Gang des Sehens im Mut über sich selber hinaus in sein anderes. Diese Tugenden des Zusehens sagen: Das Sehen sieht sich selber zu, indem es gerade von sich absieht, indem es gerade »einfältig« nur auf die Sache selber achtet. Hier haben wir den Nerv erreicht. Das ist Bernhard Weltes Phänomenologie: Hinsehen, das, gerade indem es sich auf seine Sache zusammelt, in sich selber sammelt, indem es von sich selber absieht, seiner selbst gewahr wird, indem es vom anderen seiner bestimmt wird, dieses und sich selber mit Genauigkeit bestimmt. Das von Welte zitierte Hegel-Wort aus der Vorrede der Phänomenologie des Geistes sagt die gewiß andere und eigene Art Welteschen Denkens aus: »Das Wahre ist so der bacchantische Taumel, an dem kein Glied nicht trunken ist, und ebenso die durchsichtige und einfache Ruhe …« 4. Auf Weltes Gedanken gewendet: Er ist gelassenes und zugleich gespanntes Hinsehen auf seine Sache, das von sich selber absieht, aber gerade so in die jeder Sache angemessene, von ihr ausgehende Schwingung und Gangart hineingebracht wird, so daß dieses Denken seine Identität wahrt, indem es sich je dem anverwandelt, was in es hinein aufgeht. Wie aber geschieht solches Aufgehen, wie der Einklang von Ausgang und Eingang, Ruhe und Schwingung? Solches Denken ist Vollzug von Grenze. Das »Nicht«, das Ausschließen von allem, was nur Zusatz, Überbau, kluger Kontext, aber nicht die Sache von ihr selber her wäre, diese mutige, enthaltsame Strenge, diese sich selbst zum reinen Medium des Aufgangs des anderen depotenzierende Demut, steht am Anfang. Darin aber geschieht gerade der Aufgang des »Dieses«, die Konzentration auf das, was sich von sich her zeigt, das Verbrennen der eigenen Kräfte des Denkens in die adaequatio ad rem. Und so wiederum wird das Leben des Gesehenen zum Leben des Sehens selbst, beide schlagen ineinander, beschenken sich miteinander, konstituieren sich gegenseitig. Sehen, hinsehendes Denken wird der Vollzug des Einens, des »Und«. Wenn aber solchermaßen Grenze in ihren Momenten das Leben des Sehens und des Gesehenen zugleich wird, dann eröffnet sich Se4

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hen als Kunstwerk, der solchermaßen sehende Gedanke ist nicht Reproduktion, sondern in seiner Reinheit gerade neues, erstmaliges, anfangendes Vollbringen seiner Sache. Die zweite Spur holt also die erste ein. Hinsehen, damit nur von sich her das Gesehene aufgehe und in solchem Aufgang das Hinsehen selber in seine kreative Angemessenheit ans Gesehene verwandle: das ist die Phänomenologie Bernhard Weltes, aber es ist sie noch nicht in der Fülle ihrer Dimensionen. Schon in dieser Formel, schon in dem, was das Ausziehen und Aufeinanderzu-Lesen der beiden Spuren der Genese des Gedankens zeigt, steckt ein doppelter Überschuß. Der Überschuß eben des Sehens über das bloße Registrieren, der Überschuß des Gesehenen über das Sehen, das nie am Ende ist, das sich weder je satt sehen noch je das Gesehene in sich hineinsehen könnte, so daß es darüber hinwegsehen dürfte. Nur im Je-Mehr des Sehens und des Gesehenen geschieht ihre adaequatio. Doch in solchem doppelten Überschuß geht ein noch Verborgeneres, Grundlegenderes auf. Wir haben bereits in unserem Referat des Welteschen Vortrags die Umkehr des Sehens auf der zweiten Stufe, die Umkehr in die Herkunft bemerkt. Und wir haben des Weiteren bemerkt, daß solche Umkehr im Hinsehen Weites auf die Phänomene, also auf die Wissenschaften und ihre Grenzen bereits vom Anfang her waltet. An dieser Stelle nun löst sich ein bislang noch ungeklärter Widerspruch. Wie kann reines Hinsehen, reines Absehen von sich aufs Gesehene sich selber, sich als Sehen in den Blick bekommen? Sicher, die Tugenden des Sehens, also Geduld, Behutsamkeit und Mut, lassen besser und reiner sehen und machen zugleich das Sehen selber sichtbar. Aber woher wachsen diese Tugenden dem Sehen zu? Aus welcher Wurzel her ist es möglich, das Sehen so in den Blick zu bekommen, daß nicht es selber, sondern gerade das Gesehene sein Alles werde? Solches geschieht nur, indem Sehen über sich und sein Gesehenes hinaussieht, indem Sehen also nicht nur Grenze ist, sondern Grenze sieht. Nur in der Umkehr zur begrenzenden Grenze, zu jener, die so, wie sie hinter der Wissenschaft liegt, auch hinter dem Sehen liegt, eröffnet sich das einfältige Ganze, in welchem das Gesehene alles und das Sehen nichts, das Gesehene zugleich aber nicht alles und das Sehen nicht nichts, in welchem beide als ihre gegenseitige Begrenzung ihre gegenseitige Gewähr sind. Im anrührenden Umblick hin zu jener Grenze, von der aus Sehen und Gesehenes sich gegenseitig zugewiesen sind, aneinander und, wenn dieses Wort erVerdankendes Denken

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laubt ist, ineinander grenzend, gelingt jenes Sehen, das wir als die Phänomenologie Bernhard Weltes aus seinem gedachten Gedanken herausheben durften. Im Denken der Grenze erreichen wir die Grenze des Denkens, von welcher aus es als der gegenseitige Aufgang und gegenseitige schöpferische Vorbehalt des zu Denkenden und des Denkens in sich selbst, in seine Klarheit und sein Wunder eingesetzt ist. Die Bescheidung des Denkens auf seine Sache, seine Nüchternheit und Strenge, sein Bleiben bei dem, was sein ist, fallen ihm zu allein aus diesem Denken seiner Grenze, in welchem sein anderes, sein Früheres, sein Aufgang geborgen und gegründet sind. Phänomenologie im Sinne Bernhard Weltes und Denken des undenklichen Geheimnisses im wahrenden, anrührenden Andenken sind selber, im Sinne von Grenze gedacht, eines. Wie aber kommt der Gedanke dazu, sich umzuwenden in die je entgehende Herkunft? Kehren wir in die Bildlogik zurück, die sich uns auf der ersten Stufe des referierten Gedankens von Weite zeigte. Der Sehende schaut vor sich hin, schaut ins noch Unübersehene, das Stück um Stück gewonnen wird und doch noch grenzenlos das Ungesehene vor sich läßt. Er schaut zur Seite und stößt so an die Grenzen der eigenen Sichtweise gegenüber anderen Weisen des Sehens. Dann aber rührt ihn – und dies ist das Auslösende der Umkehr – sozusagen vom Rücken her der Ruf: Wer hat mich gerufen? Und dieser Ruf, der zur Umkehr ruft und befähigt, ist zugleich jener, der auch nach vorne und zur Seite blicken läßt, jener, der Sehen allererst auslöst: Sieh doch! Im Eigensten und Innersten unseres Denkens und Sehens rührt und ruft uns etwas an, das nicht eigene Beliebigkeit oder blinder Zufall oder automatische Dynamik wäre. »Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt« 5. Hier geht uns ein Letztes auf, was endgültig die Phänomenologie im Denken Bernhard Weltes sprengt und doch ihr tiefster Antrieb und ihre überbietende Vollendung ist. Etwas, das sie selber zur Antwort und zum praeambulum macht. Eben der Ruf. Scheu und doch kühn hat an der Grenze der zweiten zur dritten Stufe seines Gedan-

Es sei eigens vermerkt, daß hier das Bild des Sehens verlassen wird, daß hier ein Hören des Sehens eingeführt wird, dem Sehen sich allererst verdankt. Sehen geschieht im Hinsehen, Hinsehen aber ist ein Sehenwollen, Sehenwollen aber ist keine Beliebigkeit, sondern Gehorsam. Sehen sieht sich nur ganz, wenn es sich aus diesem Gehorsam, also aus diesem Hören her »sieht«.

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kens Bernhard Welte den Anfang der Heiligen Schrift zitiert. Die Botschaft hat ihm zugesagt, ausgelegt, bestätigt, gedeutet, zugespielt, was sein Sehen sah – und nun legt sein Sehen verstehend das aus, was das Wort ihm sagt, jenes Wort, das im Anfang ihn ins Sehen rief und am Ende das im Unsichtigen Gewahrte ihm zumutet und anvertraut. Hier ist eine letzte Grenze erreicht, eine, an welcher nicht mehr nur von der gegenseitigen Zuweisung und dem gegenseitigen Überschuß so zu reden ist wie bisher. Dieses Reden, alles Reden stößt hier an jene Grenze, an welcher es nur noch zu hören gilt. Aber indem das Wort gehört wird: »Es werde Licht!«, gehen dem Denken zugleich seine Augen auf, und es gewahrt jenes Licht, das es nicht aus sich selber zu gewahren vermag und doch nur mit seinen eigenen, wenn auch vom Licht für es selbst gestärkten Augen. Und in solchem Licht des sich offenbarenden Ursprungs sieht das Denken Licht, sein Licht. Und nur in seinem Licht, nur indem es Denken ist, kann es auch jenen Ruf und jenes Licht zur Sprache bringen und sich leuchten lassen, die im Anfang und der Anfang sind. Das göttliche Geheimnis und seine Offenbarung sprengen und eröffnen zugleich den Horizont der Phänomenologie Bernhard Weites, sie sind ihm die schöpferische, offenbarende, erlösende Grenze, die sie in ihr Eigenes einsetzt und über das bloß Eigene hinausruft.

III. Bernhard Weltes Phänomenologie als in sich transzendierendes Denken Bereits die Nachzeichnung der Genese jenes Gedankens, in dem Bernhard Weite die Grenze denkend, sein eigenes Denken denkt, hat uns den in sich transzendierenden Charakter seiner Phänomenologie vor Augen gestellt. Es muß in unserem Kontext genügen, solches immanente Transzendieren im Ansatz selber phänomenologisch nochmals zu vermitteln. Phänomenologie lebt von der Beschränkung, von der Enthaltsamkeit, vom Ausschluß: nichts anderes, nur dieses! Der Abtrag von Vorurteilen und Beiläufigkeiten, die Wachsamkeit für alles, was im Denken sich meldet, um das Denken zu reduzieren in die reine Achtsamkeit, das ist sozusagen die Folie, innerhalb welcher das »Dieses!« aufgehen, sich von sich selber her gewähren kann. Gerade so aber wird das »Dieses« nur verständlich, indem es unselbstverständlich wird, in seinem Einmal und So aufgehend und betreffend. Reines Verdankendes Denken

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Hinsehen ist zugleich Betroffenheit von dem, was es gewahrt. Dann aber nimmt sich im Aufgang des »Dieses« das Nicht in solchen Aufgang, in solches Aufgehende hinein. Genau besehen, kam das Nicht bislang zweimal vor: einmal im Hinsehen, das alles, was nicht lauteres Hinsehen ist, ausschließt, zum anderen im Gesehenen, das aufgeht und das als Dieses eben dieses und nichts anderes ist, also abgehoben und ausgeschlossen wird von dem, was es nicht ist. Nun aber bringt das Aufgehende, das Dieses von innen her dem Hinsehen es als sein eigenes Wunder zu: Daß es so etwas gibt und Nicht nicht gibt! Ein drittes, entscheidendes Mal also: Nicht. Und hierbei ist gleich dreierlei erstaunlich: die Gegebenheit dessen, was sich da gibt; das Was, das in solcher Gegebenheit aufleuchtet; die Einheit solchen Was mit seinem Daß. Solches dreifaltige Wunder, in welchem Daß, Was und Einheit beider als ein je Dieses sich vom Nicht abheben, spielt in allem, was sich zeigt, wenn auch auf je unterschiedliche Weise. Es spielt in der Hinfälligkeit und doch Stabilität des je konkret Gegebenen, Kontingenten; es spielt im Aufgang reiner Gestalten und Wesenheiten, die in solchem Aufgang ja auch so etwas wie eine, wenn auch »ewige«, Gegebenheit uns vor Augen stellen; es spielt in jenen Grenzerfahrungen, die fraglich, kostbar, schrecklich, beglückend, großartig werden lassen, daß überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts. So aber wird alles, was dem zusehenden Denken sich zeigt, zugleich es selbst und Verweis über sich selber hinaus. Selber sein und verweisen, das wird zu zwei Seiten eines und desselben. In allem, was sich zeigt, ereignet sich in der Epiphanie des je Eigenen die Epiphanie des je Anderen, je Größeren. Einung und Unterscheidung begeben sich zugleich. Bescheidung und Beschränkung einerseits und Überschritt über die Schranke, indem sie berührt wird, Aufbruch über die Grenze, indem das Denken an sie stößt, andererseits geschehen in einem. Sie können aber gerade darum nicht ineinander hinein nivelliert werden. Das Nicht im Dieses und zugleich das Ecce im Nicht, dies ist die innere Dynamik in einem jeden Phänomen. Ein auf solche Phänomenalität achtendes Denken, eine solche Phänomenologie werden zum in sich selber transzendierenden Denken. Sosehr solches Denken von Anfang an sich transzendiert, so sehr ist das Geschehen des Transzendierens zum gewährende Anderen je Ereignis. Es ist immer überraschend, neu, spannend wenn im Zulauf auf die Phänomene in ihrer eigenen Mitte die Umkehr in jenes geschieht, was sich in ihnen vorenthält un doch sie gewährt. Daß in 220

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den Grenzen Grenze waltet, daß im Walten von Grenze sich der alles gewährende und fügende Anfang auftut, das ist im Gedanken Bernhard Weltes und in unserem Mitdenken mit ihm unabsehbare Dramatik, so sehr im nach hinein aus dem Ereignis des Transzendierens her deutlich wird: Nur so geht es und nicht anders! Dies zu vermerken, ist für de Charakter der Phänomenologie Bernhard Weltes von höchstem Belang. Sie geht nicht zeitlos, sondern sie braucht den Durchbruch ins Unversehene. Wenn er aber gelingt, dann gelingt er als Geschenk. Sosehr Denken auslangt über alle Begrenztheiten, sosehr ist das Rühren an die Grenze doch Berührtwerden von einem Grenzenden und darin Gewährenden. Alle Phänomenerfahrung wird Grenzerfahrung, Grenzerfahrung selber aber widerfährt in einem Transzendieren, das zuerst und mehr die reziproke Transzendenz, die Transzendenz von Seiten des in der Grenze begrenzenden und so gewährenden Geheimnisses bedeutet. Was von Anfang an ruft, was von Anfang an hinlenkt zum Hinsehen, das ruft von Anfang an auch zum Umkehren, um im Geschehen solcher Umkehr je neu und je anders, unberechenbar und unverfügbar sich selber umzukehren, her zum gewahrenden Denken. Die Tugenden des Sehens, Geduld, Behutsamkeit und Mut, gewinnen so einen tiefsten Grund: Geduld läßt sich ein auf eine Zeit, die nicht im Verfügen bestimmt werden kann, sondern Gewärtigkeit für das Ereignis ist. Behutsamkeit ist jenes Verdanken, das in allem die Gabe erwägt und nichts von der Gabe vernachlässigt, ihre Zeit ist der je neue Augenblick. Mut wird zur Antwort, die sich selber und ihre Sicherheiten losläßt und auf das rufende Wort hin sich über die unüberschreitbare Grenze hinauswagt. So aber wird deutlich: Die in diesen Tugenden ihren Weg gehende, dem Ruf folgende und seiner gewärtige Phänomenologie läßt, zum Seienden hingehend und im Seienden über es hinausgehend, Sein und Nicht hinter sich und rüstet zu für die Begegnung mit dem göttlichen Geheimnis.

IV. Philosophie und Theologie Wo das Denken sich einläßt auf diesen Weg, da wird etwas Ungeheuerliches verständlich. Dieses Ungeheuerliche begegnete uns in aller Leichtigkeit und doch erregend in Bernhard Weltes Text von der Grenze. Hören wir den hierfür entscheidenden Abschnitt: »Wer über das Wesen der Grenze nachdenkend ihre unbegreifliche AbgründigVerdankendes Denken

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keit und Anfänglichkeit schließlich wahrnimmt, der wohnt in solchem Wahrnehmen vielleicht dem großen Anfang selbst denkend bei, jenem Anfang, der wohl immer noch am besten mit den einfachen und freilich nicht in der Weise der Wissenschaft sprechenden Worten des Anfangs der Bibel benannt wird …‹« 6. Denken als Beiwohnen dem Anfang und Zuspruch dieses Anfangs in einem Wort, das nicht aus der Selbstverantwortung des Denkens geboren, sondern ihm zugesprochen ist als Offenbarung. Da wird nicht aus dem Denken Offenbarung konstruiert, da wird sie nicht als eine bildhafte Einkleidung und Verdeutlichung des dem Denken Denkbaren statuiert und somit in ihrem Ereignis verfehlt. Da wird aber auch das Denken selber nicht aus seinem eigenen Anfang und seiner eigenen Würde hinweggerückt, so daß nun Offenbarung das Denken, das von sich aus das letzte nicht vermochte, ersetzt. Da werden schließlich beide nicht zusammenmontiert wie zwei von außen aneinander gerückte Hälften, die aufeinander angewiesen sein mögen, aber außereinander bleiben. Da wird das Denken ergriffen von dem Wort, in welchem sich der Anfang, dem es beiwohnt, von sich her zuspricht und deutet. Und da läßt dieser Anfang selber sich über seine Grenze hinein in den Bereich jener Worte, die das Denken mitbringt und die ihm doch vergehen und neu werden und so erst vom heiligen Ursprung beanspruchbar werden, indem es sich an seine letzte Grenze wagt. Nur solches folgsame, dem anfänglichen Ruf folgende Denken, nur solches von sich selber umkehrende und sich in seine Umkehr mitbringende und sogleich loslassende Denken kann Zeuge der Offenbarung werden; Offenbarung aber kann nur Glaube und nur bezeugtes Wort werden, indem solches umkehrende Denken sich ihm öffnet, sich und seine Worte ihm einräumt. So suchen Glaube und Vernunft einander, so begegnen sie sich an der Grenze 7. An dieser Grenze wird das Denken, wird die Philosophie hineingenommen in ihr Anderes und wird das Andere hineingegeben in das Eigene des Denkens, und beide bleiben doch ungetrennt und unvermischt sie selbst. Ein letztes und tiefstes Mal ereignet sich Grenze. Dieses ist dieses und nicht jenes, jenes jenes und nicht dieses. Beide achten das Nicht und erhalten sich selbst in ihrer Bestimmtheit geschenkt, und zwischen beiden geschieht jenes Und des Zusammenspiels, in welchem Denken und Glaube einander vertrauen, einander frei lassen, 6 7

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A. a. O. 69. Vgl. Exkurs 2.

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einander in Anspruch nehmen. Das Denken, das an seine Grenze stößt, indem es sich selber denkend Grenze denkt, ist klein und groß genug, um jene Grenzerfahrung zu machen, die Johannes vom Kreuz uns anempfiehlt: »Del Verbo divino / la Virgen preñada / viene de camino: / si le dais posada!« »Die Jungfrau kommt, schwanger vom göttlichen Worte, ihr Weg war ein langer, tu auf deine Pforte.« 8

Exkurs 1: Wort als Grenze Dies ist hier nur thetisch hingestellt, ausgeführt werden kann es in unserem Zusammenhang nicht. Aber einige Hinweise seien angefügt. Einmal ist jedes Wort ein Dieses. Gerade am einzelnen Wort läßt sich das hören oder sehen, am einzelnen Wort, das ins Schweigen gesprochen oder auf eine leere Seite geschrieben ist. Es bricht das Schweigen, es hebt die Leere auf. Aber es bricht eben das Schweigen und hebt die Leere auf, scheidet sich also vom Ungesagten und Ungeschriebenen, vom Nicht. Das Schweigen oder die Leere erschienen ohne ihre Begrenzung durch das auftauchende Wort überhaupt nicht, erst indem das Wort Schweigen und Leere begrenzt, sind sie als solche da; sie sind nur im Dieses des Wortes da. Natürlich könnte man sagen, daß dies von jedem einzelnen Seienden gilt und nicht allein vom Wort. Aber im Wort wird etwas so deutlich wie in nichts anderem: das Und. Das einzelne Wort läßt die Frage aufkommen: »Und nun?« »Und weiter?« Es drängt in einen Kontext, der im Grunde ohne Ende, der universal ist, in das Sprechen überhaupt, in das Verstehen und Fragen und Weitersagen ohne Grenze. Auch hier könnte man zurücktragen, ob nicht Seiendes als solches diese Bewegung auslöst. Und man muß grundsätzlich mit Ja antworten. Aber im Wort lichtet sich diese Beziehung, im Wort verlautet sie, wird sie faßbar, steigt sie über das Unfaßliche und Schwebende in die Entschiedenheit empor. Wort ist die Grenze, durch welche Seiendes als Grenze begrenzt wird und also zu sich selber kommt. Noch elementarer zeigen sich dieselben Verhältnisse in der inneren Dynamik des Wortes. Wie auch immer, jedes Wort ist Verweis. Es zeigt hin auf »Dieses«, zumindest auf den, der da spricht und durch 8

Gedichte XXI.

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sein Wort auf sich hinweist. Indem aber je Dieses sich eröffnet, erfolgt zugleich Zuspitzung, Abhebung, Distinktion. Das Wort sagt dieses – und nicht jenes. Sprechen und entsprechend jedes Wort leben von der Abhebung, davon, daß es nicht einerlei ist, was man sagt. Sicher gibt es das muntere und tonlose Plaudern, das heiter geschwätzige Lallen des Kindes, die leicht hinfließende, nicht am Thema orientierte Konversation, den unartikulierten Schrei. Aber auch diese Weisen von Sprechen wären nicht Sprechen ohne die Unterscheidung, Abhebung. Das Wort, das auf dieses und nicht jenes weist, konzentriert auf sich selbst. Es ruft so aber den Partner zu sich her. Das Und der Beziehung, des Mit, der communio erwacht, die grundsätzlich ohne Grenzen ist. Hinweis, Herruf aus dem Nicht und Anders, also zum Hören, und Ansprache auf Antwort und Gespräch hin, Dieses, Nicht und Und also, machen die Dynamik des Wortes überhaupt aus. Noch in einer dritten Dimension ließen sich dieselben Momente entfalten: in der Beziehung zwischen dem Wort und dem, wovon es spricht. Im Wort geht etwas auf als Dieses. Darin aber nimmt das Wort sich zurück, wird es das bloße Medium, das Nicht dieses Aufgangs. Doch so ist das Wort zugleich nicht Nichts, sondern das Und der Entsprechung. Im Wort grenzen der Sprechende und seine Sache aneinander, unterscheiden sie sich und einen sich, und dies gerade aufgrund jener Dynamik, in welcher der Sprechende von sich wegund zugeht auf je Dieses. Wie angeführt, sind dies nur grobe und schematische Vorbemerkungen zu einer Phänomenologie von Wort als Grenze. Entscheidend in unserem Zusammenhang ist: Indem Seiendes ist, hat es den Charakter von Grenze, der sich im Wort enthüllt, der sich aber unserem Wort nicht erst verdankt, sondern Wort an unser Schweigen, Wort daraufhin ist, daß wir das Wort finden.

Exkurs 2: Das Heilige und die Offenbarung Es wäre hier fällig, eine philosophische Phänomenologie des Heiligen von Theologie im christlichen Sinne noch genauer abzugrenzen, das Ereignis eines Aufgangs des Heiligen, das in einer philosophischen Phänomenologie artikuliert wird, abzuheben von Offenbarung als der Selbstmitteilung Gottes, die in Jesus ihre Fülle und Endgültigkeit erreicht und die auszulegen Sache der Theologie ist. Theologie ist nicht einfach der Beleg einer Phänomenologie des Heiligen mit 224

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Motiven der Offenbarung oder deren Hermeneutik mit Hilfe religionsphänomenologischer Gedanken. Das Ereignis der Offenbarung Gottes, das zusammenfassend und unüberbietbar in Jesus Christus geschieht, ist dieses, nur dieses. Es ist nicht dasselbe wie irgend etwas anderes, läßt sich nicht subsumieren unter eine Kategorie: Begegnungen mit dem Ursprung, Epiphanien des Göttlichen im Horizont von Menschheit und Geschichte. Aber die Konkretheit (Dieses) und Exklusivität (Nicht) der Offenbarung eröffnen sich nur, indem auch ihre Inklusivität, auch ihre Verhältnisbestimmung zum Denken und allen seinen Erfahrungen ernst genommen wird (Und). In der Offenbarung spricht der im unzugänglichen Lichte wohnende, durch kein Wort und keinen Begriff auszulotende Gott selber sein Und zum Menschen und zum Denken. Nur indem ein göttliches Wort dieses göttliche und ein menschliches wird, geschieht Offenbarung, nur indem ein menschliches und zugleich göttliches verstanden wird, kann Glaube geschehen und sich auslegen. Wenn im Kontext des Welteschen Vortrages über die Grenze das Wort, das am Anfang der Schrift steht, die Grenzerfahrung des Denkens interpretiert, so ist solche Interpretation zugleich die Überbietung der aus dem nur Eigenen möglichen Grenzerfahrung des Denkens. Aber nur indem das schlechterdings Überbietende uns nicht nur aus uns selber setzt, sondern neu in uns selber einsetzt, uns selber identifiziert mit unserer Erfahrung, können wir es als das Überbietende, als Gottes sich selbst erschließende und uns erlösende Zusage verstehen. Philosophie »braucht« so nicht die Offenbarung und also die Theologie, wohl aber braucht Offenbarung und braucht somit Theologie das philosophische Denken. An der Grenze ist das Übermächtige auf das aus sich selbst Ohnmächtige »angewiesen«, um in diesem Ohnmächtigen aufzugehen und es zu erfüllen. Gerade so aber wird die Ohnmacht als Ohnmacht und zugleich als Gefäß für den Überfluß des göttlichen Sich-Schenkens offenbar. Sowenig Philosophie, wenn sie nur Philosophie bleiben will, Offenbarung und Theologie braucht, sosehr ist das Denken doch zu sich selbst gebracht und in sich selbst erfüllt, wenn das Undenkliche sich ihm zu denken gibt. Das Denken ist nur mit sich selber gleich, wenn es dem gleich wird, was unendlich größer ist als es selbst. Diese Struktur des Denkens erfüllt sich nirgendwo radikaler als in der Inanspruchnahme des Denkens durch die Offenbarung, also in der Theologie. Philosophie in der Theologie ist zum Menschen und so zu sich selbst gebrachte Offenbarung und über sich selbst gehobenes und so zu sich selbst befreites Verdankendes Denken

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und erlöstes Denken. Der Überschritt von Offenbarung zu Denken wie von Denken zu Offenbarung und somit die Verbindung und Abgrenzung zwischen Theologie und Philosophie geschehen im Und, im Verbindenden der unterscheidenden und identifizierenden Grenze.

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Handreichungen zur Lektüre

B.

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Der Reflexion Hemmerles über die Grenze 1, ausgehend von Weltes Schrift Die Grenze als göttliches Geheimnis, gingen einige Jahre zuvor andere Überlegungen voraus – diesmal nicht im philosophischtheologischen Bereich –, die Hemmerle 1977 für eine Publikation zur Pastoral und ihren Schwerpunkten erarbeitete. Auch wenn das Anliegen der Texte unterschiedlich ist – sowohl vom Kontext als auch vom sachlichen Inhalt – scheint die genannte Publikation interessant und nützlich, um den Text besser zu verstehen und zu vertiefen, den wir gerade betrachten. Grenzgänger der Transzendenz – eine Zielgruppe der Pastoral – so lautet der Titel der genannten Publikation – weist darauf hin, dass die Pastoral gerufen ist, sich für Gruppen zu interessieren und sie in den Blick zu nehmen, die sich nicht unmittelbar als klar definierte Kategorie ausweisen, sondern sich an der Grenze bewegen; es sind Gruppen, die buchstäblich als Grenz-Gänger bezeichnet werden, Wanderer an oder auf der Grenze. Deshalb nennt Hemmerle sie Grenzgänger: Es sind die Kinder, alte Menschen, zu denen auch die meisten Ordensleute zählen, die Kranken und zahlreiche menschliche

Das Konzept der Grenze hat kaum einen Platz in der philosophischen Reflexion gehabt, denn es enthält etwas Unbestimmtes und Unbegreifbares. Es gibt zwar in der Antike die Benutzung des Begriffes péras – sowohl bei Plato (Philebos) als auch bei Aristoteles – mit einer doppelten Bedeutung, ontologisch-methaphysisch wie auch ethisch. Bei Plato wird die Grenze in Zusammenhang mit dem Umbegrenzten als eine der vier Prinzipien der Wirklichkeit verwendet. Aristoteles meint mit péras etwas, das der Sache gehört, indem es sie definiert und bestimmt in ihren Anfang und in ihr Ende wie in der ihr gehörigen Substaz (vgl. Plato, Philēbus, in: Werke, Bd. 7, Timaios, Kritias, Philēbus, WBG, Darmstadt 72016; Aristoteles’ Metaphyisik, Bücher I(A)–VI (E), Griechisch-Deutsch, übersetzt von H. Bonitz, H. Seidl [Hg.], Meiner, Hamburg 1989). Später behält man die Benutzung des Konzeptes, indem man die Abgrenzung einhält. Mit Kant hat man eine der weitesten Untersuchungen über Grenze und andere naheliegende Begriffe (etwa Limitation und Schranke), die schon zu einer Verunsicherung der Vernunftpotenz und ihrem abgeschlossenen und beruhigenden Reich beiträgt. Hegel übersteigt dann den Sinn von Grenze, denn sie wird nicht nur etwas, das abgrenzt und dadurch die Sache bestimmt (im Sinne Aristoteles), sondern sie wird zu etwas Negativem, das sich der Sache und ihrer Identität entgegensetzt. In der Diskussion des 20. Jahrhunderts findet man dann eine Art Überwindung des Konzepts der Grenze und eine Auflösung desselben in das der »Schwelle« (vgl. Walter Benjamin oder Ernst Bloch). Wir werden sehen, wie das Verständnis von Grenze bei Hemmerle sehr nah an diese »Auflösung« kommt, obwohl er selber nicht von Schwelle spricht, sondern weiterhin von Grenze.

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Gruppen, die man nicht auf Anhieb miteinander verbinden würde und die auch hinsichtlich der Pastoral keine homogene Gruppe bilden, auf die ein einziges Bezugsschema anwendbar wäre. Was sie tatsächlich eint, besteht darin, dass sie alle in gewisser Weise nahe der »letzten Stunde« sind, sich alle in Grenzsituationen befinden. Doch jeder Mann und jede Frau erlebt diese Situationen in der eigenen Einzigartigkeit, wenn auch nur für Momente oder Phasen im eigenen Leben, und wenn man die eigenen Grenzen/Einschränkungen erreicht, wenn es scheint, dass man mit ihnen allein ist, entdeckt man, dass man tatsächlich immer mit anderen ist, denn die eigene Grenze entgrenzt sich von den anderen her und dadurch rückt jene Gegebenheit ins Licht, die Hemmerle Mitsein nennt. Im Kern bewegt sich die hemmerlesche Analyse hier um die letzten Fragen, die die Grenzen der menschlichen Existenz berühren, jene Grenzsituationen, die in der Moderne immer mehr in das Feld des Religiösen und des Glaubens verwiesen wurden, obwohl es nicht an Existenzphilosophien mangelt, die zu dem Thema Stellung bezogen haben. Die Grenze bedeutet hier eine Trennungslinie zwischen dem, was verständlich, fassbar und bestimmbar ist, und dem, was es hingegen nicht ist, weil es sich dem menschlichen Vermögen der ratio entzieht. Heute scheint es so, als habe der Mensch der Moderne sein Ziel erreicht, dass es ihm durch die Wissenschaft und Technik gelingt, diese natürlichen Grenzen der eigenen Endlichkeit in einem Prozess ständig zu verlegen und sie zu verschieben, sich durch Grenzen und Grenzsituationen nicht mehr ängstigen und sich von ihnen hinterfragen zu lassen. »Der Mensch scheint es geschafft zu haben, sich in die Mitte zu schwingen und die Welt bereits oder wenigstens demnächst in seinen Griff zu bekommen« 2. Gerade in dieser Situation aber entdeckt er seine Existenz als Begrenzung. Der Mensch hat Grenzen, in denen er sich bewegt, die ihn von den anderen und von der Welt im Allgemeinen trennen, aber er hat auch Grenzen/Beschränkungen in sich selbst: Genau das sind die Ebenen, die man im Text von Welte findet und in dem Referat von Hemmerle über Grenze und Denken, jedoch auf die Wissenschaften bezogen. Der christliche Gott nimmt in unbegrenzter Weise den Menschen und die Welt als Begrenzte an, und gerade so ermöglicht er ihnen jenes in ihnen vorhandene Bestreben, sich zu transzendieren K. Hemmerle, Grenzgänger der Transzendenz – eine Zielgruppe der Pastoral, in: Ausgewählte Schriften, Bd. IV, Herder, Freiburg – Basel – Wien 1996, 90–108, 94.

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und ihre Grenzen zu überwinden; das gewährt ihnen Identität und Kommunikationsfähigkeit, nicht jenseits der Grenzen, sondern gerade innerhalb von ihnen. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass ein solches Verständis von Grenze schon in Kant zu finden ist. Fast die gesamte Reflexion Immanuel Kants stellt das Konzept von Grenze in den Mittelpunkt und entwickelt eine Analyse derselben, die eine Erweiterung erlebt. Wenn man die Kritik der reinen Vernunft liest, findet man die Anwendung von Grenze überall im Text. Es ist bedenkenswert, was Kant in der Vorrede darüber sagt: »Es ist nicht Vermehrung, sondern Verunstaltung der Wissenschaften, wenn man ihre Grenzen ineinander laufen lässt« 3. Das Verständnis von Grenze hat nun einen negativen Charakter, obwohl sie gerade die Vernunft davon abhält, über sich hinaus zu gehen und dadurch missbraucht zu werden, indem sie eben ihre Grenze hinauswagt ins Unbedingte, das sie nicht kennen kann. In der Tat, die Betrachtung unserer Vernunft führt Kant zu der Überzeugung, dass der menschlichen Vernunft die Tendenz beiwohnt, über ihre Grenzen hinauszugehen, sich jenseits derer zu erweitern, doch sie kann es nicht in ihrer »reinen« Form, sondern allein in ihrem praktischen Gebrauch. Das bedeutet, dass Grenze eine negative Bedeutung hat, denn sie hindert, blockiert, andererseits hat sie die positive Auswirkung, die reine Vernunft zu beschützen. In den Prolegomena – einige Jahre später geschrieben – finden wir eine Wiederaufnahme des negativen Charakters der Grenze, aber mit einem gleichzeitigen positiven Moment derselben, denn »es ist wahr: wir können nicht über alle mögliche Erfahrung hinaus von dem, was Dinge an sich selbst sein mögen, keinen bestimmten Begriff geben. Wir sind aber dennoch nicht frei vor der Nachfrage nach diesen, uns gänzlich derselben zu enthalten« 4. Die Folge daraus ist, dass die Grenze nie zu einer Abschließung werden darf oder zu einer Demütigung der Vernunft; so wird Grenze tatsächlich eine doppelte Natur annehmen: als Eindämmung und Kontrolle der Versuchungen der Vernunft, sich in »transzendentalen Ideen« zu verlieren einerseits, andererseits als Ansporn und Anregung, über sich und ihre Grenze hinaus zu schauen, wohl bewusst, dass dieses Hinausschauen keine Erweiterung der I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, in Sämtliche Werke, Bd. 1, ebd., 35. I. Kant, Prolegomena, in Sämtliche Werke, Bd. 2, ebd., 374. Einige Seiten weiter äußert sich Kant noch klarer dazu, indem er erklärt, dass eben »in allen Grenzen etwas Positives [ist]«. Ebd., 377.

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Erfahrungsgrenzen ist, sondern etwas anderes. Genau diese doppelte Bedeutung ist bei Hemmerle und Welte wiederzufinden, speziell wenn es um den positiven Sinn von Grenze in der praktischen Anwendung unserer Vernunft geht (die Pastoral für Hemmerle und das praktische Ineinander der Wissenschaften bei Welte). Nach einigen Interpreten Kants kann man sogar ein Verständnis von Grenze als »Schwelle« wiederfinden – im Sinne Weltes und Hemmerles – d. h. als etwas Bewegendes und Bewegtes, etwas, das trennt, gerade weil es eint, ausschließt, wenn es einführt 5. Richtet man damit den Blick wieder auf die Grenzsituationen der Pastoral – Kranke, alte Menschen/Ordensleute, Kinder –, kann man unmittelbar daraus ableiten, dass ihre Begrenztheit in bestimmten Bereichen sie nicht von den anderen isoliert, weil beispielsweise die Kranken aus einer »normalen« Lebenssituation wie der der anderen herausgenommen werden, und sie sind krank, eben weil sie nicht gesund sind, also lediglich in einer Einschränkung im Vergleich zur anderen Kategorie; die Kinder sind in der Situation hinsichtlich der Erwachsenen und die Ordensleute gegenüber den Verheirateten usw.; sie darum als Bezugsgruppe in den Fokus der Pastoral zu stellen, das macht wirklich Sinn, weil die Hinwendung zu ihnen notwendigerweise bedeutet, sich allen zuzuwenden, da jeder aufgrund seines Seins »Nächster« des anderen ist, der sich von ihm unterscheidet. Es ist naheliegend, dass der Diskurs Hemmerles zu einer Pastoral der »Grenzgänger« führt, das heißt zu einer Sichtweise, die unmittelbar praktisches Handeln wird, das sich dem einen und dem anderen zuwendet, und nicht nur dem einen, den anderen dabei ausschließend: Darin liegt wirklich der Sinn der Grenze, wie er hervorgeht aus dem Diskurs von Welte über die Grenzen der Wissenschaften sowie über die Interpretation, die Hemmerle dem gibt, einem »Dritten« zwischen zwei »Welten«. Diese Definition findet sich auch in der »Gestaltherapie«, deren Begründer von »Kontaktgrenze« sprechen: Wo Erfahrung auftritt, trennt der Organismus und seine Umgebung nicht; vielmehr begrenzt es den Organismus, enthält und schützt ihn und berührt gleichzeitig die Umwelt […]. Die Kontaktgrenze – zum Beispiel die empfindliche Haut – ist weniger ein Teil des »Organismus« als vielmehr das Organ einer bestimmten Beziehung zwischen Organismus und Umwelt 6. Vgl. M. Ravera, Kant. Il limite come confine e come »soglia«, in: Sui confini. Sulle soglie, »Filosofie e Teologia«, XVIII 1/2004, 38–45. 6 Where experience occurs, it does not separate the organism and its environment; 5

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Zum vorliegenden Text zurückkehrend, möchte ich eine Passage von Welte aufgreifen, die Hemmerle wegen der geforderten Synthese nicht vollständig wiedergibt: im Versuch, zu definieren, was die Grenze in sich ist, Welte macht einen Vergleich mit der Kunst und sagt, dass im künstlerischen Handeln ein beständiger und unbegreiflicher Wunsch aufkommt, über sich hinauszugehen, was dann in musikalischen Tönen oder in Farben zum Ausdruck kommt, in der darstellenden Kunst in Schritten für den Tanz usw., vielfältige Ausdrucksweisen, die außerhalb des Künstlers liegen, die nicht die des Künstlers sind, die aber eins mit ihm sind, denn was sollte der Sänger als Sänger anderes sein als: Singen, und was sollte das Singen anderes sein als: Lied, und was sollte das Lied anderes sein als: unterschiedene Töne. Von Anfang bis zu Ende ist ein einziges Leben, doch lebt dieses Leben so, dass es als unterscheidend und Unterschied setzend hervorgeht und in sich spielt 7.

Die Wissenschaft als Ausdruck des Denkens hat also ihre Aufgabe oder besser gesagt: ihren Sinn im Sich-Öffnen, im Untersuchen, Denken und Wissen in Bezug auf das, was am Anfang steht – so wie im künstlerischen Schaffen, wo etwas an seinem Anfang ist, das außerhalb und innerhalb des Künstlers ist – an den Grenzen, die »nie trennen, ohne zu verbinden, nie verbinden, ohne zu scheiden, nie bestimmen, ohne die Bestimmung auch zu überschreiten, und nie überschreiten, so dass sie darin unbestimmt würden« 8. Hier schließt das Thema des Denkens an, das Hemmerle neben das der Grenze stellt: Es ist gerufen, auf den Grenzen zu wandern, Grenzgänger des Seienden zu sein und so, indem es Wache hält, zu schauen. Das Sehen und Gesehenwerden ist ein grundlegendes phänomenologisches Thema, das Welte und mit ihm Hemmerle mit der betreffenden Schule verbindet. Das Schauen ist ein grundlegender Begriff der husserlschen Phänomenologie, das auf die Grundhaltung jenes »zurück zu den Sachen selbst« weist, was bedeutet: beschreiben ohne Vorurteile und Vorverrather it limits the organism, contains and protects it, and at the same time it touches the environment […]. The contact-boundary – for example the sensitive skin – is not so much a part of the »organism« as it is essencially the organ of a particular relation of the organism and the environment. F. Perls/R. F. Hefferline/P. Goodman, Gestalt Therapy. Excitement and Growth in the human Personality, The Gestalt Journal Press, Gouldsboro 1994, 5. 7 B. Welte, Die Grenze als göttliches Geheimnis, in: Ders., Gesammelte Schriften, III/3, Herder, Freiburg – Basel – Wien 2008, 21. 8 Ebd., 23. Verdankendes Denken

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ständnisse, ohne irgendwelche Bezugstheorien, was den untersuchten Gegenstand betrifft. Dieses Schauen will genau das sein, was der Idealismus nicht leisten kann, das heißt, eine Beschreibung dessen, was der Gegenstand in seinem wahrnehmbaren und nicht wahrnehmbaren Sich-Geben zeigt; das ist ein Element der phänomenologischen Beschreibung, das in seiner Bedeutung in fast unveränderter Weise bei allen Phänomenologen gewahrt bleibt 9. Was jedoch das weltesche Sehen unterscheidet – das sich dann auch Hemmerle zu eigen macht – ist die Einfalt einer Haltung, die sich durch drei Tugenden auszeichnet – die Geduld, die Achtsamkeit und das Sich-Kümmern –, durch die dieses Sehen zu sich selbst gelangt, gerade in dem Moment, wenn es sich auf das andere konzentriert: Wer schaut, hat zwangsläufig den Blick von sich weg gerichtet, auf den anderen, sich selbst vergessend und ausschließlich auf den anderen konzentriert. Aber gerade in dieser Haltung sieht er sich durch den anderen, denn er sieht nicht nur jenseits der Grenze, sondern er sieht die Grenze selbst, wo Sehen und Gesehenwerden sich begegnen und miteinander verknüpft sind – eben auf der Grenzlinie. Hier finden wir wieder das Motiv der Wende beziehungsweise der Umkehr des Denkens hin zu seinem Ursprung, das wir in der ersten Schrift Hemmerles über das Heilige angetroffen haben: Das Denken ist gerufen von etwas/durch jemanden, das sozusagen hinter ihm steht: das göttliche Geheimnis. Das Denken kann denken, weil es schon gedacht worden ist von etwas Ursprünglichem und UrsprungVerleihendem, und es ist diese Quelle, die das Denken zu einer Reinheit des Blickes drängt, der nicht zugreift, der nicht schaut, indem er sein Objekt »aufsaugt«, sondern es lässt, damit es sich zeigt und von sich spricht. Dieses Denken der Grenze scheint nicht weit entfernt von dem »neuen Denken« Rosenzweigs, wenn es in der Realität nur in den eigenen Grenzen bleiben kann und nichts anderes denken kann als sich selbst – das ist Rosenzweigs Kritik an der herkömmlichen Art, Philosophie zu betreiben als Frage und Suche nach etwas, das in So bringt Heidegger dies in Sein und Zeit zum Ausdruck: »Alle Sicht [gründet] primär im Verstehen […]. ›Anschauung‹ und ›Denken‹ sind beide schon entfernte Derivate des Verstehens. Auch die phänomenologische ›Wesensschau‹ gründet im existenzialen Verstehen. Über diese Art des Sehens darf erst entschieden werden, wenn die expliziten Begriffe von Sein und Seinsstruktur gewonnen sind, als welche einzig Phänomene im phänomenologischen Sinne werden können«. M. Heidegger, Sein und Zeit, Max Niemeyer, Tübingen 101963, § 31, [147].

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Wirklichkeit anders wäre als das, was als gemeinsame Art zu denken der Menschen erscheint. Tatsächlich wäre es Nonsens, den Menschen, die Welt oder Gott jeweils für sich gesondert zu denken, denn es sind benachbarte Wirklichkeiten, sodass in der Erfahrung ein Ich immer in der Welt ist; und ein Gott ohne Welt und Mensch ist undenkbar. Welt, Mensch und Gott sind für Rosenzweig Ausdrucksformen desselben Seienden; darüber kann man nur berichten, soweit man damit Erfahrungen macht. So bietet sich die Grenze als eine Kategorie eines neuen Denkens an, das aufkommt, angereichert mit angrenzenden »Blicken«, wirklich auf der Schwelle stehend, die es ist und zeugt. Es ist eine Schwelle, die man überschreiten kann oder auf der man stehenbleiben kann, um eine weite Anschauung zu bekommen, die sowohl das eine und als auch das andere berücksichtigt – die verschiedenen Wissenschaften ebenso wie die unterschiedlichen Kulturen – die Teil des gleichen Panoramas sind, auf das es sich bezieht.

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V. Die Zeit überdenken

A. Zur Einführung Der Anlass für Hemmerle, den Text Trinität und Zeit zu verfassen, ergab sich aus einer Anfrage an ihn für einen Beitrag zu einer Festschrift für Wilhelm Breuning zu dessen 65. Geburtstag: Im Gespräch mit dem dreieinen Gott. Elemente einer trinitarischen Theologie 1, so lautete der Titel dieser 1985 veröffentlichten Sammlung. Auch dieser Beitrag wurde in den zweiten Band der Ausgewählten Schriften aufgenommen 2. Wilhelm Breuning, Theologe und Priester, war Hemmerles Kollege in der kurzen Phase seiner Lehrtätigkeit an der Bonner Universität, an der Breuning im Jahre 1968 den Lehrstuhl für Dogmatik übernahm, den zuvor Auer innehatte, wobei er sich hauptsächlich mit der Gotteslehre und der Christologie befasste. Eine Gemeinsamkeit zwischen Breuning und Hemmerle war, abgesehen vom Thema Trinität, das Interesse am christlich-jüdischen Dialog und die engagierte Reflexion in diesem Zusammenhang. Das von Hemmerle gewählte Thema in dieser Schrift bewegt sich erneut auf relationaler Ebene: Die Zeit und die Trinität miteinander »ins Gespräch« zu bringen bedeutet, das Menschliche mit dem Göttlichen in Dialog treten zu lassen, erneut die Philosophie mit der Theologie. Dennoch liegt der Schwerpunkt der Analyse aufseiten der Zeit, über die eine interessante philosophische Reflexion angeboten wird, die im Vorschlag einer anderen Zeit mündet – der Zwischenzeit –, die sich als Zeit Gottes verstehen lässt, des Gottes, der unter

P. Böhnke/H. Heinz (Hg.), Im Gespräch mit dem dreieinen Gott. Elemente einer trinitarischen Theologie. Festschrift zum 65. Geburtstag von Wilhelm Breuning, Düsseldorf 1985. 2 K. Hemmerle, Trinität und Zeit, in: Ders., Unterwegs mit dem dreieinen Gott. Schriften zur Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie, 2, ebd. 1

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V. Die Zeit überdenken

den Menschen gegenwärtig ist, mit anderen Worten: der Trinität. Von den zwei hier in Frage stehenden Begriffen ist zu sagen, dass die Zeit, ausgehend von Husserl und mit Varianten bis hin zu Heidegger, eines der Hauptthemen für die Phänomenologie repräsentiert – diese ganze Philosophie wäre nicht verständlich, würde man aus ihr die Reflexionen über die Zeit ausklammern. Die Trinität wiederum ist ein Thema, an dem Hemmerle sehr gelegen war, und das bei Welte beziehungsweise generell in der Freiburger Schule weniger präsent ist; der Aachener Theologe/Philosoph kommt mehrmals darauf zurück, bei verschiedenen Anlässen und in unterschiedlichen Texten, wozu auch die Broschüre der bereits öfter genannten Thesen zu zählen ist, ferner die Konferenz Kirche und Wirtschaft 3, die 1978 stattfand, und dann eine Reihe von Vorträgen, die sehr viel später, im Jahre 1991, im österreichischen St. Georgen gehalten wurden, in denen Hemmerle nicht nur tiefer auf die Trinität an sich eingeht, sondern ihre Verbindung mit Maria, mit der Kirche und dem Kreuz aufzeigt. 4

Das Referat, das Hemmerle vor der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf im Rahmen einer Reihe von Vorträgen hielt, wurde bald danach in zwei Folgen veröffentlicht und findet sich jetzt in den Ausgewählten Schriften; vgl. K. Hemmerle, Kirche und Wirtschaft, in: Ders., Die Alternative des Evangeliums. Beiträge zu gesellschaftlichen Fragen, Herder, Freiburg – Basel – Wien 1995, 206–221. 4 Diese Vorträge, die in der Akademie St. Georgen in Kärnten/Österreich gehalten wurden und deren Veröffentlichung Hemmerle wegen seiner Erkrankung nicht mehr vollständig realisieren konnte, wurden nach seinem Tod veröffentlicht. Vgl. P. Blättler (Hg.), Leben aus der Einheit. Eine theologische Herausforderung, Herder, Freiburg – Basel – Wien 1995. Eine zweite, revidierte Neuauflage erfolgte im Jahre 2019: K. Hemmerle, Leben aus der Einheit. Reflexionen über die Grundlagen christlicher Existenz, hg. von Wilfried Hagemann, Neue Stadt, München – Zürich – Wien 2019. 3

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Trinität und Zeit

I.

Die Fabel vom Igel und vom Hasen – und die neuzeitliche Zeiterfahrung

Jedermann kennt sie von Kindestagen an, die Fabel vom Igel und vom Hasen. Im Wettlauf zwischen Igel und Hase in der langen Ackerfurche rennt der Hase sich zu Tode, weil immer der Igel schon am anderen Ende ist, und doch bewegt der Igel sich selber gar nicht, weil am einen Ende seine Frau, am andern er selbst den Hasen erwartet. Wie dies bei großen und guten Sinnbildgeschichten der Fall ist, läßt sich das einfache Geschehen in vielfache Richtungen (a) hinein lesen. Doch in der Fülle möglicher Assoziationen wird sich ziemlich sicher ein Moment immer wieder einstellen: Zeit. Sich totzulaufen in einem Wettlauf, der gar keiner ist, das überholen zu wollen, was uns je schon überholt hat, kennzeichnet jene Gefahr, gegenüber der uns die Weisheit der Fabel gefeit sein lassen möchte. Es wäre nun gewiß fatal, aus solcher »Moral von der Geschicht« eine Moralpredigt gegen neuzeitliche Selbstherrlichkeit und selbstherrlichen Fortschrittswahn zu machen. Dennoch kann uns die Fabel auf die merkwürdige Dialektik neuzeitlicher Zeiterfahrung, ihrer Größe und ihrer Grenze, verweisen. Die Bedrohung, welche dem Hasen durch den Igel und seine Frau widerfährt, löste sich zum einen, verschärfte sich zum andern, wenn es sich im Grunde um ein bloßes Ein-Personen-Stück handelte, wenn also nicht die heimliche Aufspaltung des einen Partners in zwei, sondern die Zusammenfassung aller

Das Märchen vom Hasen und Igel der Gebrüder Grimm wird häufig unter dem Aspekt des verkörperten Stolzes des Hasen gelesen, der sich nicht vorstellen kann, dass ihm ein Igel an Geschwindigkeit überlegen ist und als Erster ans Ziel gelangt. Ein weiterer Aspekt ist der Respekt, denn der Wettkampf entsteht, weil sich der Hase über die kurzen Beine des Igels mokiert.

(a)

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zwei oder im Grunde drei Partner in einen einzigen als zugrundeliegende Spielanweisung gälte. Aber wie soll das gehen? Wenn Zeit (b) – so simpel ist das bei Kant keineswegs, aber Simplifizierungen prägen oft genug Bewußtsein und Erfahrung – schlechterdings nichts anderes mehr ist als die Anschauungsform (c) des Subjekts, dann ist in letzter Konsequenz das in der Zeit Anschauende und Angeschaute das Subjekt selbst, und das Anschauen selber, und zwar nicht nur als theoretisches, sondern als praktisches Geschehen, das alles andere Geschehen begleitet und prägt, ist nochmals dieses selbe Subjekt. Ein bißchen entschlüsselt und in die praktischen Konsequenzen theoretischer Ansätze hinein ausgelegt: Das überkommene, gerade im Mittelalter prägende Zeitbewußtsein ging aus vom Zukommen des Seins zum Menschen und von seinem Zugehen auf das Ziel. Quelle und Ziel sind in ihm anwesend auf die Weise des Strebens und Erkennens, sie bekunden sich in diesem Streben und Erkennen aber als das je Andere und je Größere. Nun aber bereitet sich von langer Hand her ein innerer Umschwung vor. Die Bedingungen, unter denen sich Zukommen des Seins aus dem absoluten Ursprung und Zugehen allen Seins auf das absolute Ziel zeigen, stecken zweifellos im erkennenden und strebenden Subjekt selbst. Zwischen

Die Frage nach der Zeit haben sich im Laufe der Geschichte fast alle Philosophen und Denker gestellt, mit unterschiedlichen Perspektiven und Anschauungen. Man kann jedoch zwei Strömungen ausmachen, die sich bei vielen wiederfinden und die sich wiederholen: auf der einen Seite die messbare Zeit, die Zeit der Naturwissenschaft, die als »quantitativ« definiert wird; auf der anderen Seite die Zeit des Lebens des Einzelnen, wahrgenommen als Dahinströmen von Gelebtem im Inneren, also »qualitativ«. Zur Vertiefung des Themas, vgl.: K. Gloy, Philosophiegeschichte der Zeit, Wilhelm Fink Verlag, 2008; N. Sieroka, Philosophie der Zeit. Grundlagen und Perspektiven, C. H. Beck Verlag, 2018. (c) Nach Kants Verständnis ist die Zeit »nichts anderes, als die Form des inneren Sinnes, d. i. des Anschauens unserer selbst und unseres inneren Zustandes. Denn die Zeit kann keine Bestimmung äußerer Erscheinungen sein; sie gehört weder zu einer Gestalt, oder Lage usw., dagegen bestimmt sie das Verhältnis der Vorstellungen in unserem inneren Zustande«. Das bedeutet, dass sie als Apriori nicht aus der Erfahrung hervorgeht, sondern dass sie dieser vorausgeht, und, soweit sie auf den inneren Sinn bezogen ist, uns selbst und unsere inneren Prozesse betrifft. Die Zeit ist also eine notwendige und universelle Manifestation, die sich zum Raum gesellt, ohne den sie nicht auskommt, um Erfahrungen zu sammeln und kennenzulernen: Raum und Zeit sind Voraussetzungen und Bedingungen, die logischerweise vorausgehen und die Manifestation von etwas ermöglichen; sie sind absolut subjektiv, das heißt relativ gegenüber der Struktur der menschlichen Gefühlswahrnehmung (vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, Buch I, § 6, in Id., Sämtliche Werke, Bd. 1, 75). (b)

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einem Woher und Wohin zu sein, ist so aber nicht nur Bedingung des endlichen Subjekts, sondern dieses endliche Subjekt ist selber so geartet, daß es sich als Woher seines Woher und Wohin seines Wohin zu verstehen vermag. Subjektivität entwirft sich also derart, daß sie sich von einem Woher her und auf ein Wohin hin erfährt – und wird so zum Woher ihres Woher und Wohin ihres Wohin. Dies braucht nicht im Sinn einer ontischen (d) Alleinigkeit des Subjekts verstanden zu werden, es signalisiert jedoch eine Richtung des Erkennens und Strebens: Entdecke dich und vollbringe dich als die Quelle und als das Woraufhin deines Seins, ja allen Seins, das du nur unter den Bedingungen deiner eigenen Subjektivität zu Gesicht und folglich in die Hand bekommst! Dem entspricht ein praktischer Imperativ, der den großen Erfolgen neuzeitlichen Forschens, Planens und Herstellens zugrunde liegt. Man könnte diesen Imperativ etwa so fassen: Werde immer mehr zur einzigen Bedingung und zur einzigen Quelle dessen, was in der Welt ist und was in der Welt geschieht, laß alles immer mehr zu deinem eigenen Kunstwerk, zum Produkt deiner Selbstverwirklichung werden! Mache die Welt immer menschlicher, indem alles zu deinem, des Menschen, Kunstprodukt gerinnt und deinen, des Menschen, selbst entworfenen Bedürfnissen und Wünschen entspricht! Ein den Menschen transzendierendes Woher und Wohin wird auf solche Weise immer mehr draußengehalten aus der theoretischen und praktischen Gestalt von Leben und Welt, zumindest aus deren Unmittelbarkeit. Gott wird allenfalls der Gott vor der Klammer. Seine Eingriffe werden aufgeklärt als Folgen bislang noch unerkannter Kausalzusammenhänge, diese selbst werden im Erkennen je besser steuerbar und beherrschbar gemacht, sie werden gezähmt zu Konsequenzen des sich selbst und aus sich alles vollbringenden Subjekts. Zweifellos werden von diesem neuzeitlichen Ansatz bleibend Veränderungen ins Denken und Verhalten des Menschen eingehen. »Ontisch« bedeutet buchstäblich das, was existiert, und unterscheidet sich so vom Ontologischen, das wiederum an das Wesen oder die Natur des Existierenden geknüpft ist. Diese Unterscheidung wird in besonderer Weise von Heidegger betont, der im Bezug auf das Sein zwischen einer ontischen beziehungsweise existenziellen Bestimmung und seiner ontologischen unterscheidet: Die erste zielt auf das Faktum, dass das Dasein vorrangig von seiner Existenz her bestimmt ist, die zweite hingegen bekräftigt, dass das Sein de facto kraft seiner existenziellen Bestimmung in sich ontologisch ist. Das gründet auf sein Seinsverständnis überhaupt, sodass das In-der-WeltSein in sich den Bezug der Existenz zum Sein im Ganzen einschließt (vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, ebd., § 4).

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Auch in einer anders ansetzenden und in einer die christliche Unmittelbarkeit zu Gott integrierenden Weltsicht wird der Mensch mit seiner Mächtigkeit, sich in der Welt auszuprägen und Welt von sich aus zu prägen, Platz finden, nicht im Sinn einer »Verdünnung« der unmittelbaren Beziehung zu Gott, sondern in einer Steigerung der eigenen und der göttlichen Partnerrolle innerhalb dieser Beziehung. Diese Zwischenbemerkung ist notwendig, um mit den nachfolgenden Konsequenzen nicht reduktive Vorstellungen sich verbinden zu lassen. Doch auch bei Anerkenntnis der bleibenden Veränderung oder Erweiterung des menschlichen Selbst- und Weltverständnisses durch die neuzeitliche Wissenschaft, Technik und beiden zugrundeliegende Philosophie sind wir nicht nur durch praktische Probleme, die uns bedrängen, sondern vom Ansatz her in eine merkwürdige Aporie geraten, eben in jene des Ein-Mann-Stückes Igel und Hase. Der Mensch geht aus von sich – und kommt immer nur zu sich. Alles, was er erreicht, ist in seinem eigenen Ansatz schon drinnen, wahrhaft Neues widerfährt ihm nicht mehr, denn alles Neue ist nur das, was er kann. Er wird zum Erfüllungsgehilfen seiner eigenen Pläne und Ansätze, wird von sich selber angestachelt zu immer neuen Anläufen des Weiterkommens – und wird dabei doch je von sich selbst überholt, kommt nie los von sich selbst. Die Freiheit erschöpft sich in der Instrumentalisierung ihrer selbst – und bleibt mit sich allein. Die beiden Spielarten, unter denen der Mensch dies anschaut, sind die Vision der vom Menschen ohne unberührte Ursprungsräume durchorganisierten und ver-brauchten Welt oder aber die Vision des vernichtenden Unfalls, der aus der Möglichkeit totalen Konsums oder totaler Selbstsicherung zu erwachsen droht. Bleibt nur am Rande zu erwähnen, daß die Flucht vor derlei Visionen nur allzu leicht in sie hineintreibt, daß sich im bloßen »contra« der Ansatz bestätigt, die Geschichte von Igel und Hase sich potenziert. Destillieren wir aus dem gewonnenen Modell die Momente absolut gesetzter, in solcher Abstraktion notwendig überzeichneten neuzeitlichen Zeitbegriffs. Zeit ist der Verzehr aller Herkunft ins sich selber setzende, von sich allein ausgehende Subjekt (Rekonstruierbarkeit und damit Entgeschichtlichung der Geschichte, Ersatz der memoria durch intellectus als sich entwerfende Vernunft, schließlich Geschichtsvergessenheit). Zeit ist zugleich das Zustreben auf eine je größere Zukunft, die aber in ihrem Größersein nichts anderes ist als das Größersein des entwerfenden Subjekts und die so je schon von Verdankendes Denken

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ihm und seinem Sich-Setzen eingeholt, ja überholt ist. Alles Neue, was geschieht, ist schon drinnen in dem einzigen Akteur der Geschichte, dem Subjekt. Gegenwart ist dann die Vermittlung des Subjekts mit sich selbst, die entweder zum Streß des andauernden Unterwegsseins zu sich selbst oder zur lähmenden Langeweile des Eingesperrtseins in sich selbst oder aber zur hektischen Flucht vor der Alleinigkeit und Einsamkeit des Subjekts mit sich selber gerinnt. Beständiger Fortschritt und Erstarrung in sich selbst, Zulaufen auf sich selbst und Fortlaufen vor sich selbst gelangen zu einer ungeheuerlichen Koinzidenz.

II.

Not und Segen der Zeit: Zeit ist Zwischenzeit (e)

Haben wir indessen nicht ein entscheidendes Moment vergessen? Wir sprachen von dem Subjekt, von dem Menschen. Aber Menschen – ist das nicht ein Plural? Hier berühren wir gar den Nerv neuzeitlicher Zeitnot. Neuzeitliches Denken geht, in der Tradition der klassischen Philosophie, in welche das trinitarische Gottesverständnis keinen tiefgreifenden Wandel eingetragen hatte, von dem Subjekt, von dem Selbstbewußtsein aus. Dieser Ansatz verschärft sich noch durch die thematisierte Selbstreflexion, welche eben die Mitte neuzeitlichen Denkens ausmacht. Der Mensch, der einzelne, wird, ungeachtet seiner absoluten Personenwürde, als Gattungswesen betrachtet, also zum Einzelfall eines allgemeinen »Modells«. Die Synchronisierung der einzelnen Subjekte in der Instrumentalisierung dessen, was das Subjekt ist und kann und vermag, führt zu unterschiedlichen Problemlösungen. Die drei generellen Typen brauchen nicht näher erläutert zu werden: Was das Subjekt kann, wird sozusagen von einem Herrschenden oder einer Gruppe von Herrschenden mit Hilfe der anderen und, wie die Selbstrechtfertigung lautet, zum Wohl der anderen instrumentalisiert – im freien Zusammenspiel der einzelnen setzt sich die Logik des Subjekts kraft des Vorsprungs des organisierenden Der hier verwendete Begriff Zwischenzeit wird von Hemmerle spezifisch gebraucht, um seine Idee von Zeit zum Ausdruck zu bringen, und wird in diesem Beitrag entwickelt. Das Wort besteht aus den beiden Elementen zwischen und Zeit; hier ist an das zwischen von Buber/Rosenzweig im Bezug auf die Zeit zu erinnern, das zu einem Ort wird – Räumlichwerden der Zeit –, der die Zeiten markiert, die aus den anerkannten sozialen Parametern heraustreten und vor allem die nicht in Einsamkeit verbracht werden, sondern immer Zeiten sind, die man miteinander teilt.

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Intellekts und derer, die die Mittel haben, ihre Pläne ins Werk zu setzen, durch – das Kollektiv versteht sich selber als das Subjekt und organisiert sein eigenes Werk in kollektiver Verantwortung, wobei aber dieselben Strukturen bestimmend bleiben wie in den beiden erstgenannten Versuchen. Der Punkt, auf den es hierbei ankommt: Immer wird das Verhältnis der vielen Subjekte zueinander dadurch bestimmt, daß sie in der Nötigung stehen, das Eine zu vollbringen, was aus der Selbstreflexion und dem Selbstentwurf neuzeitlicher Subjektivität und ihrer sich funktionalisierenden und rationalisierenden Möglichkeiten entspringt. Die Beziehung zwischen den Subjekten ist also vermittelt durch den Apparat, in dem sie zusammenwirken, der in ihnen sozusagen sich selbst verwirklicht als das alle einbegreifende Über-Subjekt. Dies hat aber für die Konstitution der Zeit tiefgreifende Konsequenzen. Zeit hat in einem solchen System, gleichviel, ob es sich nun absolutistisch, liberalistisch oder sozialistisch verfaßt, den Zug einer eigentümlichen Einsamkeit an sich. Sie ist Zeit je meiner Brauchbarkeit für das Werk des Ganzen. Hierbei kann ich die Zeit dieser meiner Brauchbarkeit verstehen als Zwischenzeit zwischen den mir verbleibenden Frei-zeiten, die aber im System eine genau andere Funktion haben: Sie sind Zwischenzeiten der Regeneration der Kräfte zwischen den eigentlich nutzbaren Zeiten der Leistung im Werk des Ganzen. Die Freizeiten werden Leerzeiten, über die der einzelne vielleicht verfügen darf, wobei die Frage bleibt, wie lange er noch die Kraft behält, sie zu gestalten, bis das Zweitsystem der Freizeitindustrie als Schatten und Produkt des Erstsystems wiederum diese Leerzeiten auffrißt. Jedenfalls setzt sich ein fundamental von überlieferter Zeit abgehobener Sinn der nicht durch Erwerbsarbeit belegten Zwischenzeiten durch: gesellschaftliche Leerzeit zur Regeneration, privatisierte Freizeit zu Verfügung und Konsum. Was ausfällt, ist hingegen jene Zeit, in welcher die Gesellschaft ihren Sinn, ihre Gleichzeitigkeit, ihr sie überragendes Woher und Wohin gemeinsam feiert und erfährt. Kult fällt aus der Zeit aus, Sonntag entfremdet zum Wochenende. Zwei Folgen zeitigen sich mit logischer Stringenz: Einmal wird es immer schwerer, unmittelbare, nicht mediatisierte und medialisierte Zeit miteinander zu erleben, eben in Gespräch und Feier, Zuwendung und Muße. Zum anderen droht existentielle Katastrophe, wo die Zeit des einzelnen nicht mehr für das gemeinsame Werk gebraucht wird. Selbst wo wirtschaftliche Notstände, die aus Arbeitslosigkeit erVerdankendes Denken

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wachsen, steuerbar werden, bleibt die fundamentale Sinnleere zurück: Zeit, die für nichts mehr gebraucht wird, wird zur Zeit eines, der nicht mehr gebraucht wird, Zeit, die für nichts mehr gut ist, scheint für niemand mehr gut, und am Ende ist Dasein dem, dessen Zeit nicht gebraucht wird, überhaupt nicht mehr gut. Daß hier große gesellschaftliche und pastorale Aufgaben harren, liegt auf der Hand, aber sie können nicht gemäß geleistet werden, wenn dabei nicht der anthropologische, ja der epochale Hintergrund mit in den Blick tritt. Wir können an dieser scheinbar allein an gegenwärtiger Aktualität orientierter Überlegung indessen auf drei fundamentale Konstituentien von Zeit überhaupt aufmerksam werden. Sie als Konstituentien von Zeit sehen heißt einen anderen Ansatz von Zeit als den neuzeitlichen ins Visier nehmen. Zeit ist in dreifacher Hinsicht Zwischenzeit: – Erste Hinsicht: Zeitliche Gegenwart ist Gegenwart zwischen einem Vorher und einem Nachher, zwischen Herkunft und Zukunft, zwischen einem Nicht-mehr und einem Noch-nicht. Wie immer Zeit angeschaut oder gedacht wird, ihre Zeitlichkeit geht nur dann auf, wenn ich mich vorstellend oder denkend in sie einlasse, mich in ihr Innen hineinbegebe. Und dieses Innen ist stets ein Zwischen, ist je die Flüchtigkeit des Jetzt zwischen dem unwiderruflich entglittenen und dem unberührbar ausstehenden Jetzt, die eben nicht mehr bzw. noch nicht jetzt sind. Wir scheinen zu unserer Ausgangsparabel zurückzukehren: Zeit – Übermacht der Herkunft und der Zukunft über die Furche des Jetzt, wie immer ich mich in ihr drehen, wenden, verhalten mag. Die tragische Stimmung dieser Parabel ist freilich nicht die einzige Zeiterfahrung; denn Zeiterfahrung ist immer durch den Charakter des Ernstes ausgezeichnet, aber es gibt auch den Ernst der Gelassenheit und Geborgenheit, wo das Jetzt sich umfangen weiß von der Gunst des Woher und Wohin. Damit aber hätten wir bereits eine weitere Perspektive erreicht. – Zweite Hinsicht: Zeit ist immer Zwischenzeit, will sagen Beziehungszeit zwischen dem Gezeitigten und dem Zeitigenden, zwischen dem Zeitlichen und der es zeitigenden Herkunft und Zukunft. Die im Bild wie von selbst in der Waagerechte angeschaute lineare Verlaufszeit dreht sich zur Senkrechten, in welcher seit altersher die Abhängigkeit der Erde vom Himmel, des Zeitlichen vom Überzeitlichen versinnbildet wird. Daß ich zeitlich verfaßt bin, daß das Leben und die Welt zeitlich verfaßt 242

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sind, das wird zum Hinweis darauf, daß Zeitlichsein sich nicht selber trägt, sondern das, was zeitlich ist, gerade deshalb zeitlich ist, weil es nicht von sich selber stammt und nicht in sich selber mündet. Wird mit dieser Aussage nicht Kants Kritik an der Reduktion der Zeitlichkeit auf die Kausalität und der Extrapolation der Kausalität aus dem Raum der Empirie übersprungen? Gewiß, diese Kritik Kants bleibt hier nicht das letzte Wort. Die großen Philosophien der Zeit sind ja auch merkwürdigerweise erst nach Kant, durchaus in der respektierenden Kenntnisnahme seiner Kritik und doch in Abhebung von ihr entstanden; ich erinnere an Kierkegaard, Heidegger und Rosenzweig (f). Es geht uns hier jedoch nicht um eine philosophische Aufarbeitung der entsprechenden Problematik. Wohl aber kann die Zeiterfahrung am Ende der Neuzeit, auf die wir anspielten, etwas wie eine innere Grenze jenes Zeitverständnisses offenlegen, das bei der Selbst- und Weltanschauung des Subjekts, bei seinem Selbstbezug ansetzt. Sozusagen außerhalb des systematischen Gedankenaufbaus seiner Zurückweisung des kosmologischen Gottesbeweises schreibt Kant den Satz: »Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, man kann ihn aber auch nicht ertragen: daß ein Wesen, welches wir uns auch als das höchste unter allen möglichen vorstellen, gleichsam zu sich selber sage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, außer mir Für Heidegger ist die Zeit weder etwas Äußeres, wie ein Rahmen für die Ereignisse, noch dem Bewusstein innerlich; sie ist vielmehr der Horizont, in dem das Dasein/die Existenz möglich wird. Die authentischste Weise, sie zu leben, besteht darin, sich der Gegenwart zu stellen und dabei die Vergangenheit anzunehmen, um Zukunft sein zu können. So wird die Zeitlichkeit für ihn zum Projekt der Existenz, sie begründet die Geschichtlichkeit jedes Daseins, und aus ihr werden Stunden abgeleitet, das heißt die Aufteilung der Zeit, die wir gewöhnlich leben. Die ursprüngliche Zeitlichkeit, die die Zeit der Welt fundiert, die wir tagtäglich leben, »verliert« sich aber, indem sie immer wieder in die »Uneigentlichkeit verfällt«. Daraus entsteht das Konzept des Seins zum Tode, das alle Charaktere des Seins des Daseins einschließt (Existenz, Faktizität und Verfallen). Auf vielleicht vergleichbarem Pfad bewegt sich Rosenzweig, der die zeitliche Dimension in gleicher Weise an das erfahrungshafte Werden der Welt und des Menschen in Beziehung zu Gott bindet. Da darüber hinaus die Erfahrung von zentraler Bedeutung ist, wird die Zeit nicht mehr als dasjenige verstanden, was passiert – fast so, als wäre es ein ganz allgemeines Behältnis wie bei Kant –, vielmehr passiert sie selbst. Diese Konzeption ist aus dem Überdenken der Philosophie als Philosophie der Erfahrung abgeleitet, die nicht mehr an dem Wesen interessiert ist, das die Zeitdimension nicht betrachtet, sondern an dem Erfahren-können Gottes (vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, ebd., insbesondere den zweiten Abschnitt – »Dasein und Zeitlichkeit« – § 45–§ 83; F. Rosenzweig, Das neue Denken, ebd., 149–151).

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ist nichts, ohne das, was bloß durch meinen Willen etwas ist; aber woher bin ich denn?« 1 Gott selber wird hier in seiner Absolutheit doch als das »Zwischen« vorgestellt, zwischen Ewigkeit und Ewigkeit als Herkunfts- und Zukunftsraum seines Jetzt. Auch wenn diese Ewigkeit von Gott, von seiner Ursprünglichkeit nicht getrennt, sondern nur von ihr her gelesen werden kann, droht sie doch den, der sich in dieser Ewigkeit anschaut, zu verschlingen. Trifft dieser Blick auf den sich seiner Ewigkeit innewerdenden Gott in Kants Text indessen nicht viel eher das neuzeitliche Subjekt, das sich und alles aus sich setzt, dabei aber gerade von dem Erschrecken vor sich selbst und der Einsamkeit mit sich selbst überwältigt wird? Bleibt nicht Zeitlichkeit als solche ihm doch die Marke dessen, der Wegweiser darauf hin, daß es selbst und alles versiegelt sind unter einer aller Zeitlichkeit vorenthaltenen und sich doch in ihr bekundenden Gewähr? Sind die drei Zeitekstasen nicht doch »Sakrament« der verborgenen Gegenwart des Geheimnisses, das Herkunft und Zukunft aller Gegenwart, aller Herkunft und aller Zukunft ist? Dann aber wäre Zeitlichkeit ebenso die Abwesenheit wie die Anwesenheit dessen, wodurch sie allererst konstituiert ist. Zeit zeigt sich hier als das Zeichen, das vom unberührbaren Geheimnis und vom zeitlich seienden Subjekt zugleich ausgeht, als das Zwischen der Beziehung. Zeit ohne Kult ist also nicht ganze, nicht heile Zeit. – Dritte Hinsicht: Zeit ist Zwischenzeit zwischen dir und mir, zwischen uns. Hier liegt der Punkt, an dem Zeit sich als Zwischenzeit uns enthüllte. Wir müssen diese dritte Dimension von allem Anfang an mitdenken, ja, sie ist im Grunde konstitutiv für das »andere«, nachneuzeitliche Zeitbewußtsein. Die Furche läuft nicht nur längs, sie geht nicht nur von unten nach oben und von oben nach unten, sondern sie stellt sich auch quer: zwischen uns. Wir sind einander Herkunft und Zukunft, und nur wo wir dies wechselseitig ergreifen und ernst nehmen, gelingt Gegenwart, die nicht lastendes Stehenbleiben des in sich verharrenden Ich oder Moment auf der Flucht des Ich vor sich selber ist. Zeit, die als Zwischenzeit im kommunikativen Sinn verstanden wird, hat in sich vier Erstreckungen. – Erste Erstreckung: von dir zu mir. Ich werde angeblickt, angerufen, zu mir selber erweckt. Weil du mich angehst, komme ich Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft (Philosophische Bibliothek 37a), Hamburg 1956, B 641/A 613.

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zu mir; weil ich deine Zukunft bin, werde ich mir gegenwärtig. Ich sehe mich – von dir her. Du meine Herkunft, ich deine Zukunft, wir uns gegenwärtig. – Zweite Erstreckung: von mir zu dir. Der Strahl meines Ich geht auf, aber faßt sich noch nicht, bis er auf Wahrnehmung, Verstehen, Gegenüber trifft. Indem du mir gegenwärtig wirst, werde ich mir es selbst, finde Zukunft in dir. – Dritte Erstreckung: vom Wir zu dir und mir. Erst im Gespräch, erst in der Gegenwart füreinander, erst in der einen Mitte, die uns gegenseitig füreinander lichtet, wird es möglich, Position zu beziehen, mich selbst als verantwortliche Herkunft zu entdecken und einzubringen und verantwortet Zukunft zu übernehmen. – Vierte Erstreckung: von der bloßen Verlaufszeit zur Gegenwart. Natürlich bleibt das Gespräch, bleibt die Kommunikation eingetaucht in jene Verlaufszeit, die das Jetzt nicht stehen läßt, Zukunft vorenthält, Vergangenheit unberührbar versiegelt. Aber dieses Ineinander der sich ausschließenden Zeitdimensionen zerschmilzt in den Raum je neuer Übernahme und Annahme, in eine bewegte und doch bergende Gegenwart, wo wir Zukunft und Herkunft je von mir und dir her einbringen ins Zwischen, sie aufdecken füreinander, sie einander erzählen, ausliefern. Es geh also darum, miteinander Zeit zu teilen, und nur so kann Zeit geheilt werden. Letztlich käme es darauf an, daß auch Zeit, die zwischen dem entzogenen Ursprung ihrer selbst und dem antwortenden Selbst des Menschen spielt (g) (Zeit als »vertikale Zwischenzeit«), Zeit zwischen uns (»horizontale Zwischenzeit«) würde. Wir sprachen bereits vom Kult. Er ist in letzter Konsequenz Gemeinschaft zwischen Gott und dem Menschen, Gemeinschaft aber, die sich in der Gemeinschaft der Menschen miteinander begibt und aus der Gemeinschaft der Menschen miteinander erwächst. Hat sich uns unter der Hand nicht ein zu positives Bild, ein zu heiles Bild von Zeit ergeben? Daß Zeit nicht nur die Zeit des Es und des einsamen Ich, daß sie nicht nur Zwischenzeit als Verlaufszeit ist, sondern als Zeit zwischen Himmel und Erde, zwischen Du und Ich,

Zur Verwendung des Wortes spielen vgl. Kap. I »Die Herausforderung des Heiligen«, Anm. g, 75–76.

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bedeutet gewiß ein Heilszeichen. Aber diese Struktur als solche gewährt noch keineswegs, daß sie, daß also Zeit, daß also zeitliches Dasein gelingt. Das zerbrochene Wir, der sich versagende Gott, ja der in der Konzentration des Ich auf sich oder des Wir auf seinen babylonischen Turm verdunkelte Gott, dieser Schatten, diese Möglichkeit kann nicht durch Analyse oder durch bloße eigene Anstrengung gebannt werden. Zeitlichkeit ist und bleibt Zeichen der Auslieferung, der dreifachen Auslieferung des Ich an sich, des Ich an das Geschick, des Ich an die anderen Ich. Wie aber kann Heil kommen? Es muß sich ereignen, sich selber schenken. Sonst bleibt die Zeit leer, »wird es nicht Zeit«.

III. Erlösung der Zeit Es führte zu weit, in diesem knappen Abriß die Entsprechungen und Differenzen aufzuzeigen, welche zwischen dem am Phänomen erhobenen Bild von Zeit und dem Glaubensverständnis von Zeit als Unheils- und Heilszeit walten. Es muß genügen, einige Fingerzeige zu geben: Die Konkurrenzsituation, die Situation des Wettlaufs, des Vergleichs zwischen Gott und Mensch verdirbt die paradiesische Gleichzeitigkeit zwischen Gott und Mensch und zwischen Mensch und Mensch. Im Bruch wird Zeit als Verlaufszeit empfindlich, gewinnt sie dramatische Gestalt. Um es nochmals einzublenden: die Fabel von Igel und Hase ist eine spezifisch »nachparadiesische« Erzählung! In der Not der Zeit, in welcher der Mensch seine Ohnmacht gegen Gott und im Bruch des Verhältnisses mit Gott auch das des Verhältnisses zum Mitmenschen erfährt, bleibt Zeit nichtsdestoweniger als solche ein Hoffnungszeichen, das dem Menschen aufgerichtet wird. Das Zwischen der Verlaufszeit bringt nicht nur die Last des »immer wieder« und des »noch«, vielmehr werden »immer wieder« und »noch« zur Chance von Bewährung, von Ausschau nach einem Rettenden und Auslangen nach einer Huld, welche die Vollstreckung des Gerichts aufhält. In diese Notgeschichte und nicht heile Geschichte kann immer neu der Bund einbrechen. Die Verheißung, der Weg des Vergehens wird zum gemeinsamen Wandern mit Gott, zur gemeinsamen Geschichte unter der Verheißung Gottes. Kennzeichnend, daß es immer neu und eigentlich an allen Stellen – ungeachtet aller einmaligen, personalen Anforderung, ja gerade in ihr – Ge246

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schichte des Mitseins (h) ist, mitmenschliche Geschichte, in welcher die Geschichte mit Gott sich anbahnt und vollbringt. Zwischenzeit wird heilsgeschichtlich zur Wegzeit, zur Wegzeit miteinander und mit Gott – auf Gott hin. Ihr universales Maß, aber noch weit entscheidender: ihre universale Gleichzeitigkeit, erreicht diese Geschichte freilich im Kommen Jesu. Hier wird Herrschaft Gottes nicht nur angesagt, sondern hier reicht sie herein in die Zeitlichkeit und verwandelt sie von innen her. Zeit wird erfüllte Zeit (vgl. Mk 1, 15; Gal 4, 4). Und dies zuletzt und zutiefst nicht dadurch, daß die Verfassung der Zeitlichkeit, ihr Zerspanntsein in sich, ausgeschaltet oder Zeit in die Paradieseszeit zurückgedreht würde, sondern dadurch, daß derjenige, der Ursprung und Quelle der Zeit ist, sie selber mitlebt: Gott sendet seinen Sohn in die Zeit, in die Daseinsweise verfallender Zeitlichkeit (»Fleisch«) und lebt in ihr die göttliche Gleichzeitigkeit der Liebe mit uns. Dies erreicht seine Spitze in der Paradoxie des Kreuzestodes, im Teilen der äußersten Ohnmacht unserer eigenen Zeitverfallenheit – und gerade hier bricht die radikale Verwandlung der Zeit doppelt durch: Tod wird Erlösungstod und er wird Weg zur Verherrlichung, zur österlichen doxa. In der Menschwerdung des Sohnes wird nicht nur die Zeitstruktur unserer Verlaufs- und Verfallszeit von Gott in seinem Sohn »angeeignet« und angenommen, sondern diese Aneignung und Annahme ist zugleich Übernahme aller menschlichen Schicksale, aller vom Menschen gelebten Zeit. Jesus kommuniziert unsere Zeit, macht sie in seiner Lebens- und Sterbenszeit gleichzeitig mit sich und sich gleichzeitig mit ihr. Dadurch entsteht für unsere Zeit eine neue Chance: wir können in unserer Zeit durch seinen Geist kommunizieren mit ihm, können sein Leben in unserem Leben mitleben. Wir sind hineingetauft in seinen Tod und seine Auferstehung, ausgerüstet mit seinem Geist, so daß wir mit ihm und in ihm zum Vater »Abba« sagen können. Den Geist empfangen, aus dem Geist leben, der Jesus zur gehorsamen und liebenden Hingabe im Auftrag des Vaters für die Welt Mitsein ist ein charakteristisches Konzept Weltes, das man in verschiedenen seiner Werke findet: Es weist auf die existenzielle Dimension des Menschen, der in seinem Dasein nie allein ist, sondern immer mit anderen. Zur Vertiefung des Konzepts vgl.: J. Elberskirch, »Der dialektische Ursprung des personalen Moments« in: Id., Person – Miteinander – Kirche. Bernhard Weltes philosophische Soziologie als Suche nach dem Wesen von Gemeinschaft, Karl Alber, Freiburg/München 2017, 116–187.

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treibt und der den hingegebenen Herrn verherrlicht, dies ist der Schlüssel für die neue Zeit der Erlösten, für die erlöste Zeit. Die Grundstruktur dieser erlösten Zeit heißt: nicht mehr aus dem Fleisch leben, sondern aus dem Geist (vgl. Röm 8, 1–12). Aus dem Fleisch leben, das bedeutet: leben aus der Selbstbehauptung, leben aus dem Festhalten des Ich an sich selbst, aus der Konkurrenz zu Gott als dem einzigen Ursprung und Ziel. Gerade im Versuch solcher radikalen Autonomie geschieht indessen Selbstentfremdung, Verfall an die Vergehenszeit und ihre Übermacht. Aus dem Geist leben heißt: Herkunft und Zukunft nicht von sich her haben wollen, sondern mit Jesus vom Vater auf den Vater zu leben, sich aus der Hand gebend aber gerade die Freiheit des Sohnes gewinnen, den Mächten und Gewalten, die stärker sind als wir, entrinnen (vgl. Röm 8, 12–17). Wir können formulieren: Wer sich dem Geist öffnet, der hat nur noch eine Herkunft, den Sohn, der alles, was gewesen ist und je gewesen sein wird, angenommen, liebend ausgelitten und in seinem Tod verwandelt hat. Es heißt weiter: nur eine Zukunft haben, den Vater, der den Sohn und in ihm uns annimmt und verherrlicht. Es heißt schließlich: nur eine Gegenwart haben, den Geist, der uns in das ewige Gespräch des Vaters und des Sohnes mit hineinnimmt. Dieser Geist aber läßt uns im Sohn auch die anderen, alle finden, für die der Sohn sich hingab, die Gegenwart wird zum universalen Zwischen, das uns freisetzt zur Gemeinschaft, freisetzt in die Welt. Unsere Herkunft der Sohn, das schließt in ihm freilich den Vater auf, der ihn sandte, und schließt den Geist ein, durch den der Sohn in uns lebt und wir in ihm leben. Die Zukunft der Vater, das schließt freilich den Sohn mit ein, der schon jetzt in der Herrlichkeit des Vaters lebt und ist, wie wir und was wir sein werden; und diese Zukunft des Vaters ist uns offen in jenem Geist, der über alle erfahrbare Gegenwart in uns hinausseufzt auf diese je größere Zukunft der alles Begreifen übersteigenden Herrlichkeit, welche der Sohn uns verleiht (vgl. Röm 8, 18–30). Die Gegenwart der Geist, das heißt: alles ist im Geist uns gegenwärtig, weil der ganze, die Welt aus sich entlassende und in sich bergende Dialog des Vaters und des Sohnes im Geist gegenwärtig ist. Tragen wir die durch den Geist geschehende Verwandlung unserer Zeit ein in den dreifachen Charakter der Zeit als Zwischenzeit. Wir sind nicht ausgenommen aus der Geschichte und damit aus der Zeit des Vergehens und Verfalls, aus der Erfahrung des Kreuzes (vgl. Röm 8, 18–28). Aber das je vergehende Zwischen ist umfangen eben von der Herkunft aus dem Sohn, der alles schon durchlitten und so 248

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erlöst hat, und von der Zukunft im Vater, der seinen Sohn schon verherrlicht hat und der sich selbst im verherrlichten Antlitz seines Sohnes als der Kommende uns zukehrt. Die Dynamik, die Überraschung, Leiden und Leidenschaft der Vergehenszeit werden keineswegs verringert, aber in der Gegenwart des Geistes werden die Zeitekstasen zum Sakrament der die Zeit vollendenden Zuwendung des dreifaltigen Gottes. Darin ist in der Zeit jenes Verhältnis gegenwärtig, das die Zeit als ganze kennzeichnet: Sie ist Liebesgabe Gottes an sein Geschöpf und im Geist durch Christus dargebrachte Opfergabe an den Vater, sie selber ist, als Werktag und Sonntag, als unser eigenes Leben »lebendiges und heiliges Opfer, … das Gott gefällt«, »der wahre und angemessene Gottesdienst« (Röm 12, 1). Schließlich ist die im neuen Jetzt des Geistes eröffnete Zeit Zwischenzeit zwischen uns. Juden und Griechen, Menschen, die von Herkunft, Kultur und religiöser Tradition getrennt sind, finden »im einen Geist Zugang zum Vater« (Eph 2, 18), werden ein Leib aus dem einen Geist. Der Herr, der für uns Mensch geworden und gestorben ist und der jetzt beim Vater lebt, wird gegenwärtig in unserer Mitte und vermittelt uns in eine neue, brüderliche Gegenwart zueinander (vgl. Mt 18, 20). Die neue Zeit, die der Geist erschließt, ist indessen nicht Getto, in welchem wir vor der »Weltzeit draußen« uns schützen könnten. Wir sind hineingehalten mitten in die Schmerzen des Vergehens, in die Gemeinschaft mit dem Todesschicksal Jesu, in das Seufzen und Stöhnen der Kreatur auf ihre Vollendung hin. Doch solche Erfahrung des »Noch nicht« steht nicht im Gegensatz zur anderen des »Jetzt«. Beides gehört zusammen, steigert sich. Das in der Hoffnung erfahrene Jetzt hat den Charakter der Verheißung, der Leidenschaft auf das je größere und nie einzuholende Maß der uns noch verborgenen Herrlichkeit. Dies erhöht die Spannung, vertieft das Leiden und Mitleiden, aber tröstet und verwandelt es zugleich. Die neue, trinitarisch geprägte Gegenwart verschärft und vertieft die Zeitlichkeit unserer Zeit, indem sie diese hineinhebt in die communio mit dem Leben Gottes, mit seiner Ewigkeit.

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IV. Zeit und Trinität, Trinität und Zeit Wir können weder biblisch noch spekulativ die neue, erlöste Zeit zur Sprache bringen, ohne Trinität zur Sprache zu bringen. Dies ist die neue Zeit: daß wir hineingenommen sind in die Beziehung des Sohnes zum Vater im Geist. Darin ist freilich bereits ein inneres Verhältnis zwischen der ökonomischen (i), der sich in der Heilsgeschichte, also in der Zeitlichkeit offenbarenden, hier handelnden Trinität und der immanenten, der Trinität in sich ausgesagt. Das Heilshandeln des dreifaltigen Gottes mündet in die Hineinnahme unseres Lebens in die Beziehung des Sohnes zum Vater im Geist. Damit aber haben wir nicht Anteil an etwas von Gott, sondern an ihm, an seinem eigenen Leben. Dies ist es, worin seine Liebe sich vollendet: daß sie frei und unkonstruierbar an sich selbst, an seinem Innersten uns teilgibt. Was in solcher Annahme und Hineinnahme unseres Lebens in das dreifaltige Leben aber geschieht, das ist Hineinnahme unserer zeithaften Konstitution. Diese vollendet sich, wie wir im Ansatz sahen, in solcher Hineinnahme. Sie zeigt darin sich selbst als trinitarische Spur, wir dürfen sagen: als die konstitutive, erste Spur des dreifaltigen Gottes in der Schöpfung; denn nichts ist in dieser Schöpfung früher als eben ihre zeitliche Verfaßtheit. Das ewige In-sich-Vollendetsein, die reine Gegenwart des dreifaltigen Lebens ist in sich selbst ekstatisch, ist Zugehen aufeinander ins Zwischen. Zeit »sagt« in Spur und Verweis, was ihr schlechthin entzogen ist: Trinität. Eine zentrale Frage innerhalb der trinitarischen Theologie ist die Beziehung zwischen der heilsgeschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes – ökonomische Dreifaltigkeit – und dem Leben dieses einzigen Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist – immanente Dreifaltigkeit; mit anderen Worten: In welcher Beziehung steht die innere trinitarische Dynamik zur geschichtlichen Offenbarung? In der Hinsicht gibt es unterschiedliche theologische Positionen, von denen gesagt werden kann, dass ihnen die Bestätigung gemeinsam ist, dass die ökonomische Dreifaltigkeit in jedem Fall einen Hinweis auf einen höchst schwierigen Zugang zur immanenten bildet, also nicht die Quelle ist, um sie kennenzulernen, und auf der anderen Seite ist die immanente Dreifaltigkeit die Grundlage der Entität jener ökonomischen. Rahner ist der Auffassung, dass beide genau das Gleiche sind; von Balthasar spricht über die Verherrlichung, die Gott-Vater durch die Inkarnation des Sohnes erwächst, und die daraus folgende Teilnahme an der trinitarischen Liebe zu den Menschen. Für einen traditionellen Zugang in der Hinsicht vgl. W. Kasper, Der Gott Jesu Christi, Grünewald, Mainz 1982, 333– 337; S. Cichon-Brandmaier, Ökonomische und immanente Trinität. Ein Vergleich der Konzeption Karl Rahners und Hans Urs von Balthasars, Regensburg 2008; J. Werbick, Trinitätslehre, in: Schneider T. (Hg.), Handbuch der Dogmatik, Bd. 2, Patmos, 2 2002, 481–574. (i)

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Dies aber drängt zu einer auch aktuell bedeutsamen Konsequenz. Wir können Zeit, menschliche Geschichtszeit nur dann recht verstehen und gestalten, wenn wir sie »aus der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes« her verstehen und gestalten 2. Wir sind für unsere geschichtliche Zukunft den Weg gewiesen, von der verfügenden, das Subjekt projizierenden, zur Herrschaft erhebenden, zuletzt aber knechtenden Zeit hinweg umzulernen zur dreifachen Zwischenzeit, in welcher wir als Empfangende frei gestalten und als frei Gestaltende verdanken, damit wir in der Furche des Jetzt auf Zukunft hin pflanzen können, statt uns in dieser Furche totzulaufen.

2

Lumen Gentium 4; vgl. Cyprian: De oratione dominica, 23.

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B.

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Mit dieser Schrift begibt sich Hemmerle, wie in der Einleitung bereits angedeutet, auf die Spuren einer Reflexion, an der nicht nur der phänomenologischen Schule gelegen war und die generell in besonderer Weise durch die Philosophie im 20. Jahrhundert vertieft wurde, sondern die in der gesamten Geschichte des Denkens eine Rolle spielt: das Nachdenken über die Zeit. Die Zeit hat seit jeher eine eigene Faszination ausgeübt und wurde zur Frage für die Philosophen 1, sodass man erste Reflexionen in der Hinsicht bereits bei den Vorsokratikern in der griechischen Antike findet. Sie haben sich im Allgemeinen mit der zentralen Frage auseinandergesetzt, inwieweit die Zeit und ihre Beziehung zum bewussten Menschen existiert oder nicht. Daraus entwickelten sich zwei gegensätzliche Strömungen, die Paul Ricœur 2 auf Aristoteles und Augustinus zurückführt. Für Aristoteles ist die Zeit ein Aspekt der Physik und hat als solche mit Bewegung zu tun, obwohl die Zeit selbst nicht Bewegung ist. Es handelt sich also um etwas Räumliches, Quantifizierbares. Augustinus hingegen verortet die Zeit in der menschlichen Seele, sodass die Zeit Ausdruck des inneren Lebens im Strom der Erfahrungen des menschlichen Subjekts wird. Es scheint also, als gebe es zwei »Zeiten«, die einander entgegengesetzt sind: die eine quantitativ und objektiv, die andere qualitativ und subjektiv; die eine – um in der Begrifflichkeit Ricœurs zu bleiben – kosmologisch, die andere psychologisch. Von diesen beiden Perspektiven aus kann man gewissermaßen alle anderen Reflexionen über die Zeit leDie Frage nach der Zeit haben sich im Laufe der Geschichte fast alle Philosophen und Denker gestellt, mit unterschiedlichen Perspektiven und Anschauungen. Man kann jedoch zwei Strömungen ausmachen, die sich bei vielen wiederfinden und die sich wiederholen: auf der einen Seite die messbare Zeit, die Zeit der Wissenschaften, die als »quantitativ« definiert wird; auf der anderen Seite die Zeit des Lebens, individuell wahrgenommen als Dahinströmen von Erfahrungen der Innerlichkeit, die als »qualitativ« definiert wird. Vor einigen Jahren versuchte Weinrich, die Zeit nicht nur philosophisch und theologisch, sondern unter vielen anderen kulturellen Aspekten zu beleuchten. Dabei übte der Autor dieselbe Kritik der modernen Zeit, die wir im Text von Hemmerle finden, indem er die Abendlandsgeschichte durchging und die Konzeptionen der Zeit bei Denkern und Schriftstellern in Bezug auf die »Befristetheit« des Lebens verglich. Vgl. H. Weinrich, Knappe Zeit. Kunst und Kritik des befristeten Daseins, Beck, 32005. Zum Thema vgl. auch P. Gendolla/D. Schulte (Hg.), Was ist die Zeit?, Wilhelm Fink Verlag, München 2012. 2 Vgl. P. Ricœur, Zeit und Erzählung, I–III, Wilhelm Fink, Paderborn 1991. 1

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sen, die ständig bis zum heutigen Tag aufeinander folgten. Hemmerle reiht sich in diese Überlegungen ein, indem er in diesem kurzen Essay eine Alternative anbietet, die zurückgeht auf den Einfluss Levinas’ und darüber hinaus auf den der dialogischen Denker. Bleiben wir jedoch bei diesen Reflexionen, um aus ihnen die Kontinuität und Originalität Hemmerles herauszuarbeiten. Levinas geht das Thema der Zeit an ausgehend von Heidegger, indem er es hauptsächlich mit dem menschlichen Subjekt und seiner existenziellen Dimension verbindet. Er hat ein dialogisch- diachronisches Zeitverständnis 3, das – zutiefst beeinflusst von den Studien Henri Bergsons, dem seiner Auffassung nach das Verdienst zukommt, der gelebten Zeit durch das Verständnis der Dauer neue Bedeutung verliehen zu haben – darüber hinaus geht in einer originellen Assoziation der Zeit mit dem anderen. Indem er Heidegger aufgreift, erklärt er, wie Da-Sein die Zukunft ist, insofern es Existenzmöglichkeit ist, eine Zukunft, die jedoch wieder von vorne anfängt. Das bedeutet, dass das Existierende, um sich die Zukunft zu entwerfen, die Vergangenheit annehmen muss. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind gleichermaßen ursprünglich, obwohl die Zukunft einen bestimmten Vorrang hat, und sie sind es immer in ihrem Bezug zu den anderen: Die Zeit kann nicht die Dimension eines isolierten Subjekts sein, sondern nur eine, die in Beziehung zu anderen steht. Die Zukunft ist der andere und der Bezug zur Zukunft ist deshalb Beziehung zum anderen; so definiert sich die Zeit als Beziehung zwischen Bewusstseinswirklichkeiten und charakterisiert sich als immer neue Geburt. Die Zeit fließt nicht wie ein Fluss. Aber die Gegenwart realisiert die außergewöhnliche Situation, in der es möglich ist, dem Augenblick einen Namen zu geben, ihn als Substantiv zu denken […]. Die moderne Philosophie hegt eine Verachtung gegenüber dem Augenblick, in dem sie nur die Illusion der wissenschaftlichen Zeit sieht, ohne jede Dynamik, ohne jedes Werden 4.

Im Augenblick hingegen liegt nach Auffassung von Levinas der absolute Charakter der Beziehung zwischen dem Existierenden und der Existenz, konstituiert durch die Herrschaft des Existierenden über Vgl. K. Kienzler, »Emmanuel Levinas – dialogisch diachrone Zeitlichkeit« und »Klaus Hemmerle – Zwischen- Zeiten« in: Id. Bewegung in die Theologie bringen. Theologie in Erinnerung an Klaus Hemmerle, Herder, Freiburg – Basel – Wien 2017, 72–91. 4 E. Levinas, Vom Sein zum Seienden, Karl Alber, Freiburg i. Br. / München 1997. 3

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die Existenz und durch das Gewicht derselben über das Existierende. Die Zeit ist nämlich keine Abfolge mathematischer Momente und auch nicht die Aktualisierung der bergsonschen Dauer, vielmehr: »Die Zeit fügt dem Sein Neues hinzu, absolut Neues« 5. Auch für Levinas ist im Gefolge Heideggers die Frage der Zeit eng mit dem Problem des Todes verbunden 6, aber nicht als isolierender Verlust zum je eigenen Tod, sondern in der Verbindung mit dem anderen, in meiner Verantwortung für den anderen. Die Zeit markiert die Verantwortung eines jeden gegenüber dem Nächsten, zumal für Levinas die Zeit im doppelten Sinne verstanden werden kann, als Zeit des Selbst und als Zeit des anderen. Nur die zweite ist Zeit des aus-sich-heraus auf den anderen hin, eine nicht lineare Zeit, weil sie nicht in sich geschlossen bleibt als Zeit des Ichs, des Einzelsubjekts. Die Zeit des anderen ist Transzendenz, Bewegung hin zum Unendlichen, aber sie verdrängt nicht die Zeit des Ichs: Nach Levinas sind wir gerufen, nicht nur in der eigenen Zeitlichkeit fixiert zu sein. Die Zeiten, in die wir zu leben gerufen sind, sind in gewisser Weise auch im Stern der Erlösung von Rosenzweig präsent, der ganz auf die Zeit abhebend eine neue Weise zu denken vorschlägt, die eine neue Art zu philosophieren ist, undenkbar ohne Zeit. Der Rhythmus des in drei Teile gegliederten Buches folgt dem Rhythmus der Ausprägungen der Zeit, normalerweise so verstanden: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, dem Rhythmus der Erzählung folgend, was zum typischen Ausdruck des neuen Denkens wird. Und das ist, im Unterschied zur klassischen Art zu philosophieren, die Suche nach dem Sein und dem Wesen, angetrieben von der Frage nach dem Was; sie löst sich durch das Denken, sie basiert auf der Erfahrung, denn es will die Dinge so sagen, wie sie wirklich sind; doch das bedarf der Zeit; die Erfahrung kann man nämlich nur erzählen und die Erzählung bevorzugt die Verben, nicht die Substantive, und in besonderer Weise die Verben der Zeit. Des Weiteren – so Rosenzweig – wird die Zeit »ganz wirklich. Nicht in ihr geschieht, was geschieht, sondern sie, sie selber geschieht« 7, und sie wird zum Bezugskompass des neuen Denkens als Fähigkeit zu warten, nicht alles fassen zu wollen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zeichnen sich durch eine ausE. Levinas, Totalität und Unendlichkeit.Versuch über die Exteriorität, übersetzt von W. N. Krewani, Karl Alber, Freiburg/München 1987, 414. 6 Vgl. E. Levinas, Gott, der Tod und die Zeit, Passagen Verlag, 1996. 7 F. Rosenzweig, Das neue Denken, ebd., 148. 5

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drückliche Form der Erzählung aus: die Vergangenheit weicht in der geschichtlichen Erzählung dessen, was Rosenzweig die Vor-Welt nennt, in der Gegenwart […] der unmittelbaren Wechselrede, denn von Gegenwärtigen, seien es Menschen oder Gott, lässt sich nicht in der dritten Person sprechen, die können nur gehört und angesprochen werden. Und im Buch der Zukunft herrscht die Sprache des Chors, denn das Zukünftige erfasst auch der Einzelne nur wo und wenn er Wir sagen kann 8.

In der Gegenwart spricht man also, man denkt nicht, denn Denken ist immer Aktivität des Einzelnen, selbst wenn es zusammen mit anderen geschieht; nur das Sprechen bedarf des anderen, es geschieht in einer Gemeinschaft von zwei oder mehr Personen und ist zeitgebunden, ja, es »nährt sich von der Zeit, es kann und beabsichtigt nicht, dieses Terrain zu verlassen, es weiß nicht im Voraus, wohin es gehen wird, um sich zu schützen, es überlässt es den anderen, ihm den Impuls zu geben« 9. Auf dieser Ebene bewegt sich Hemmerle in Trinität und Zeit. Die Reflexion über die Moderne und den modernen Menschen stimmt in den selben Ton ein wie die rosenzweigsche Kritik an der modernen Philosophie, die ganz auf das Ich konzentriert ist, und so auf die Konzeption der daraus resultierenden Zeit. Wenn für Rosenzweig die Gegenwart die Zeit schlechthin ist, die Zeit des Dialogs und des Gesprächs, so schlägt auch Hemmerle mit dem Begriff der Zwischenzeit das gleiche Konzept einer Gegenwart vor, die sich zwischen einer Vergangenheit und einer Zukunft zu verorten weiß, ohne die sie nicht wäre, und die sich auf der Ebene des Gesprächs bewegt, die hier von sinngeprägten Feiern und vom Zusammensein repräsentiert wird. Dennoch hat das Zwischen nicht nur einen rosenzweigschen Anklang, sondern auch einen buberschen, da gerade von Buber die ausdrückliche Verwendung des Begriffs »zwischen« als ursprünglich relationaler Kategorie stammt 10. Während jedoch das Zwischen Ebd., 151. Ebd. 10 Ausgehend von der Prämisse, dass es am Anfang zwei Grundworte gibt, das Ich-Du und das Ich-Es, kommt Buber zur Erklärung, dass der Mensch nur in der Beziehung existiert und dass das Einzel-Ich in Wirklichkeit nicht ist; auch die Individualität ergibt sich in dem Moment, wo sie in Beziehung tritt und sich von anderen Individualitäten unterscheidet. Was nun mit dem geschieht, der an der Beziehung teilhat oder besser gesagt: der in der Beziehung ist, ist ein Teilnehmen an einer Realität, das heißt an einem Sein, das nicht rein in ihm und auch nicht rein außerhalb von ihm ist; vgl. M. Buber: »Ich und Du«, in: Ders., Das dialogische Prinzip, ebd. 8 9

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der dialogischen Denker ein relationales Konzept ist, nimmt es hier für Hemmerle eine vollkommen zeitliche Konnotation an, in der dann die Zeit relational wird – Beziehung zwischen dem Woher und Wohin 11. Diese Beziehung zwischen dem Noch-nicht und dem Nichtmehr erinnert an die Problematik, die Ricœur dargelegt hat zwischen der aristotelischen Zeitauffassung und der augustinischen, die folgendermaßen unterscheidbar sind: Das Jetzt der aristotelischen Zeit liegt zwischen einem Vorher und einem Nachher, als Zahl der Veränderung zwischen vorher und danach, das der augustinischen Zeit zwischen einem Woher und Wohin, dessen sie bewusst ist. Hemmerle aber bleibt dabei nicht stehen, weil die Zwischenzeit darüber hinaus auf die Beziehung zwischen dem Gezeitigten und dem Zeitigenden deutet, in dem Bewusstsein, dass die Zeit sich nicht von sich aus gibt, sondern dass sie aus einer Beziehung mit etwas/jemandem hervorgeht, wovon sie abhängt. Das Absolute/Gott wird das Zwischen, das sich zwischen vergangener Ewigkeit und künftiger Ewigkeit positioniert: Der Plan Gottes verbindet sich mit dem des Menschen und der Welt in dem Akt der Annahme, dass Gott in der Gestalt Jesu »Zeit macht«: So erscheint die Trinität in der Zeit des zwischen mir und dir; das ist es, was die Zeit der Moderne zu retten sucht vor dem Verlust im Einzelspiel. Nur gemeinsam Zeit verbringend retten wir demnach die Zeit, wenngleich die Zeitlichkeit geprägt bleibt von dem dreifachen Auftrag des Ichs an sich, am anderen und am Schicksal und damit am Zwischen, das sich von Mal zu Mal zwischen ihnen bildet; ein Zwischen, das weder Anfang noch Ende ist, auch nicht Fixpunkt, sondern im Schwebezustand des Zwischen, bedarf immer beider Pole, um zu funktionieren. Diese Dynamik, beladen mit dem Schwebezustand und mit Leid, ist jedoch nicht ohne Sinn, weil sie vom trinitarischen Gott angenommen wird, der die Zeit nicht auslöscht, der nicht in seiner Ewigkeit bleibt, sondern der unsere Zeit in sich hineinnimmt und aus jeder Zwischenzeit einen Zwischenraum seiner Gegenwart unter uns macht, ganz und erlöst, den wir nicht sehen oder wahrnehmen, aber in dem wir uns in einer Sinnfülle bewegen können. Die Zeit ist also weder nur endlich noch unendlich, weder reine Qualität noch Quantität, sondern in der Zwischenzeit ist die Zeit sowohl endlich als auch unendlich, eine definierbare und messbare 11

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Darüber spricht Hemmerle in Das Heilige und das Denken, vgl. im Text, 34–74.

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Quantität, dennoch qualitativ und sinnerfüllt, objektiv mich und dich und die ganze Welt umfassend, weil von mir unabhängig, obwohl sie von mir wahrgenommen und erfahren wird in Tönen, die sich von denen der anderen unterscheiden. Und so hat jeder Augenblick, der entflieht und endet, wenn er in der Tiefe so gelebt wird, den Geschmack der Ewigkeit, aus der er hervorgeht und wohin er führt. Wir sind auf den Spuren der trinitarischen Ontologie, formuliert in den Thesen des Jahres 1976, wo Hemmerle bereits vom Zwischenraum als trinitarischer Beziehung gesprochen hatte, in der die trinitarische Gegenwart in jedem Fall unter dem Gesetz der Zeit steht. »Sie ist als Gegenwart Sich-Geben an eine Zukunft, deren Gabe also noch aussteht. Mehr noch, Zeit insgesamt wird offen als jene Gegenwart, die, sich gebend, in eine Zukunft zu vergehen hat, welche endgültige, die Zeit überragende und vollendende Gabe ist« 12. Die Trinität steht also unter dem Zeichen des Sich-Gebens; Hemmerle spricht darüber im dritten Teil seiner Thesen, in dem der Zugang zur neuen Ontologie von der Liebe ausgehend definiert wird, vom Sich-Geben, denn die Trinität ist nicht reine Abstraktion, sie ist kein Gedankenspiel, sondern Grunderfahrung, wie Gott sich dem Menschen schenkt und dieser sich Gott schenkt durch den Glauben an Jesus Christus. Zentrum dieses Sich-Schenkens und Liebens ist der Tod Jesu, der Akt der größten Liebe, die sich selbst ohne Maß und Reserven hingibt: Durch diesen Akt sind wir hineingenommen in das innerste Leben der Dreifaltigkeit mitsamt dem zeitlichen Leben, das uns konstituiert. Deshalb finden wir bereits in den ersten Schriften, in denen die Rede von Trinität ist, diese Definition beziehungsweise diese phänomenologische Ausgangshaltung des Sich-Gebens und der Liebe, die etwas Neues öffnet, dessen Hemmerle selbst sich bewusst sein musste. Vielleicht gerade deswegen hat er auch mehrere Zugänge zur Dreifaltigkeit gesucht, wie das Verständnis des Seins als »Produktivität« in Theologie als Nachfolge 13, als »Wort« in den Thesen, als »Grundspiel« in Vorspiel zur Theologie 14: Immer aber, wie Böhnke betont, ist er dabei nicht auf der Suche danach, was die Trinität ist, sondern wie sie geschieht.

K. Hemmerle, Thesen zu einer trinitarischen Ontologie, ebd., 60. K. Hemmerle, Theologie als Nachfolge: Bonaventura – ein Weg für heute, Herder, Freiburg 1975. 14 K. Hemmerle, Vorspiel zur Theologie. Einübungen, ebd. 12 13

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Ein gemeinsames Element in all diesen Weisen der Annäherung an die Trinität ist die Verwendung des Verbs anstelle des Substantivs, das heißt, dem Weg der Bewegung beziehungsweise der Beziehung folgen, die sich nur im Verb aktualisieren; zentral und häufig wiederkehrend sind die Verben schenken, leben, spielen, sprechen: allesamt »Grundphänomene«, wie sie Rombach nennt. Durch diese Analogien, vor allem durch die des Spiels, das in besonderer Weise die Dimension der inneren Bewegung in der Trinität erhellt, wird verständlich, wieso Hemmerle in dem Text, den wir betrachten, von einer der Trinität eigenen Zeitlichkeit spricht. Dies erscheint originell, doch in Wirklichkeit ist es nicht so surrealistisch abgehoben von den theologischen Diskussionen der Zeit hinsichtlich der immanenten und ökonomischen Trinität, in einer Wiederaufnahme der trinitarischen Studien 15. In Deutschland war besonders in der Nachkriegszeit ein Zuwachsen theologischer Studien festzustellen, die sich mit dem trinitarischen Diskurs befassten, sowohl auf katholischer als auch auf protestantischer Seite – von Bonhoeffer bis Jüngel, von Rahner bis Kasper und von Balthasar 16, von dem Hemmerle in besonderer Weise inspiriert wird. Was Hemmerle in diesem Kontext in spezifischer Weise entwikkelt, ist die trinitarische Dynamik, die in drei Stichworten umschrieben werden kann, wie er es in Leben aus der Einheit getan hat: 1.) »gegenseitige[s] ›Innesein‹ der Personen: du in mir – ich in dir, ich im Vater – der Vater in mir; ihr in mir – ich in euch; einer im anderen – der andere im einen« 17. 2.) »Gütergemeinschaft«: »Alles, Mehr zu diesen trinitarischen Fragestellungen in: P. Coda, From the Trinity. The Coming of God in Revelation and Theology, The Catholic University of America Press, 2020. 16 Hemmerle selbst nimmt Bezug auf das Wiederaufblühen der trinitarischen Studien in Vorträgen, die er 1991 in St. Georgen gehalten hat und die postum in Leben aus der Einheit veröffentlicht wurden. Im Besonderen entwickelt Hemmerle unter der Überschrift »Die Botschaft von der Trinität – Botschaft unserer Zeit. Ich, Er, Du und Wir gelesen im Kontext neutestamentlicher Offenbarung«, das trinitarische Modell als menschliches Beziehungsmodell, und versucht daraus die »Lebbarkeit« dieses Modells in der menschlichen Sphäre zu erklären, ausgehend von vier Annahmen, die das neuzeitliche »ich denke« erweitern müssen und die grundlegende christliche Erfahrungen sind: »Ich glaube an die Liebe – ›er‹ liebt mich; ich frage nach dem Willen Gottes – ›ich‹ bin verantwortlich; ›du‹ bist mir so wichtig wie ich mir selbst – ich begegne in dir dem Herrn; ›wir‹ wollen einander lieben, wie er uns geliebt hat – wir sind eins, und er ist in unserer Mitte«. K. Hemmerle, Leben aus der Einheit. Eine theologische Herausforderung, ebd., 34–35. 17 Ebd., 44. 15

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was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein« 18, das bedeutet ein einziges und unteilbares Leben zu haben, das wirklich so nur in Gott ist, aber dazu sind wir berufen durch Christus, der uns in das innertrinitarische Leben hineingeführt hat; 3.) »Herrlichkeit« und Verherrlichung als gegenseitiges Handeln von Vater und Sohn, einer dem anderen gegenüber, was nicht ein ihnen zugehöriges Attribut ist, sondern eine Gabe, die zum Ausdruck kommt im Heiligen Geist. In diesen Stichworten steckt die Entwicklung dessen, was Hemmerle am Schluss von Trinität und Zeit als gemeinschaftliche Perspektive beschreibt, an der teilzunehmen wir gerufen sind und von der etwas sichtbar wird in dem Text Person und Gemeinschaft, der sich ebenfalls in dieser Sammlung findet. Aus dieser Schrift kann man also Linien für eine weitere Vertiefung bezüglich der Zeitlichkeit extrapolieren, die im Zwischen der Begegnung jede Distanz zwischen Endlichem und Unendlichem, Menschlichem und Göttlichem bricht, ohne jedoch auf sie zu verzichten.

18

Ebd., 45.

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VI. Liebe und Wahrheit

A. Zur Einführung Wahrheit und Liebe – ein perichoretisches Verhältnis wurde 1992 in einem Sammelband von Schriften 1 zu Ehren des Bischofs Alfons Nossol veröffentlicht und danach im zweiten Band der Ausgewählten Schriften 2. Alfons Nossol, Theologe und von 1977 bis 2009 Diözesanbischof von Oppeln, hat sich zeitlebens für den ökumenischen Dialog und für die Aussöhnung zwischen Polen und Deutschland eingesetzt – und ist noch immer aktiv. Er fühlt sich als Bürger beider Länder, da er in Oberschlesien geboren wurde, das seit Ende des Zweiten Weltkriegs zu Polen gehört. Hemmerle kam durch seine Arbeit für das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken 3 in Kontakt mit zahlreichen polnischen Katholiken und lernte auf diese Weise ihre Lebensumstände unter dem kommunistischen Regime kennen; er engagierte sich für Beziehungen der Hilfe und des Austausches. In diesem Kontext schloss er Freundschaft mit einigen polnischen Politikern und Bischöfen, darunter Alfons Nossol. In diesem Text, dessen beide Schlüsselwörter sich in der Überschrift der Veröffentlichung widerspiegeln, befasst sich Hemmerle P. Jaskoly (Hg.), Veritati et caritati. W służbie teologii i pojednania. Prace dedykowane Księdzu Biskupowi Alfonsowi Nossolowi z okazji sześćdziesiątej rocznicy urodzin i piętnastolecia święceń biskupich, Oppeln 1992, 106–118. 2 K. Hemmerle, Wahrheit und Liebe – ein perichoretisches Verhältnis, in: Ders., Unterwegs mit dem dreieinen Gott. Schriften zur Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie 2, ebd., 315–332. 3 Hemmerle wurde 1967 von der Deutschen Bischofskonferenz zum Geistlichen Rektor des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK) ernannt. Er fungierte als theologischer und geistlicher Berater bei den geplanten Aktivitäten. Eingehendere Informationen zu dieser Arbeit im ZdK finden sich in: W. Hagemann, Verliebt in Gottes Wort: Leben, Denken und Wirken von Klaus Hemmerle, Echter, Würzburg 2008, Kap. 6, 62–75. 1

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mit zwei ihm wichtigen Themen, die in mehreren Reflexionen im Innern seiner Freiburger Schule präsent sind; zudem sind sie bekanntermaßen komplex und es ist schwierig, sie in Definitionen auf einen Nenner zu bringen. Mir scheint höchst bedeutungsvoll, in diese Reflexion Hemmerles einzuführen, indem ich damit das Thema der Liebe verbinde, mit dem, was Bernhard Casper anlässlich einer Studientagung zehn Jahre nach Hemmerles Tod gesagt hat. Er sprach von der Liebe als einem Charakteristikum Hemmerles und definierte ihn als Mann der ersten Liebe 4. Damit meint Casper die Liebe Gottes, jene Grundliebe, deren Natur sich in einem Ja vonseiten dessen äußert, der sie erfährt, in einer Zustimmung, die nicht ein für alle Mal aus dem Glauben heraus gegeben ist, sondern in einem Akt des je erneuerten Vertrauens, der völligen Hingabe an seine Liebe. Diese erste und ursprüngliche Liebe Gottes zum Menschen ist das, was Hemmerle in seinem Leben und nicht nur in seinem Denken zu verkörpern suchte. Das fasst er in diesem Essay in wunderbarer Weise zusammen, indem er sagt, deutlicher und über Welte hinausgehend, dass die Liebe wesentlich perichoretisch ist, das heißt, sie steht in einer Dialektik, die nicht nur gegenseitig ist, sondern die auch, um es mit den Worten Piero Codas zu sagen, Gegenseitigkeit zeugt 5.

B. Casper, Der Mann der ersten Liebe. Über Klaus Hemmerles Weise des Denkens und deren Bedeutung für die Zukunft des Christentums, ebd. 5 Vgl. P. Coda, From Trinity. The Coming of God in Revelation and Theology, ebd. 4

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Wahrheit und Liebe – ein perichoretisches Verhältnis

Dass Wahrheit nur ganze Wahrheit ist in der Liebe, dass Liebe nur ganze Liebe ist in der Wahrheit, ist eine unabweisliche Konsequenz aus dem Einblick in das Heils- und Offenbarungsgeschehen. Die Wahrheit, die sich uns in Jesus Christus geoffenbart hat, findet ihre Mitte, ihre Grundlage und ihren Gipfel zugleich in der Offenbarung dessen, dass Gott Liebe ist (vgl. 1 Joh 4, 10 und 16). Liebe aber als Synthese des gesamten christlichen Ethos (vgl. Mk 12, 28–34 parr.; Joh 13, 34, 35; 15, 12–17; Röm 13, 8–10; Gal 5, 14; 1 Petr 4, 8) ist nichts anderes als lebendiger Ausdruck der in Jesus Christus offenbaren Wahrheit Gottes und seines Verhältnisses zu uns. Doch so zentral dieser gegenseitige Einschluss von Wahrheit und Liebe für das Selbstverständnis und den Selbstvollzug des Christlichen ist, so neu und überraschend erscheint er doch jeweils dort, wo er im Denken und im Leben der einzelnen, in der Theologie, im kirchlichen Sprechen und Handeln sichtbar und greifbar wird. Oft genug wird Liebe als ethisches Anhängsel an die in sich stimmige Wahrheit betrachtet oder, etwa im ökumenischen Gespräch, Einheit in der Liebe als die schier »ungefährliche Vorstufe« der »eigentlichen« Einheit, jener in der Wahrheit eingeordnet. Dass Einheit in der Wahrheit und Einheit in der Liebe aufeinander angewiesen sind, dass es sich hierbei aber um gegenseitige Voraussetzung und Vollendung beider handelt, das entgleitet oft genug der Aufmerksamkeit. Alfons Nossol, der Bischof und Theologe, wird zu Recht durch eine Schrift seiner Freunde und Weggenossen geehrt, die gerade den Zusammenhang von Wahrheit und Liebe ins Licht rückt. Diesen Zusammenhang in unselbstverständlichen Kontexten sichtbar zu machen und ihn sowohl in kirchlichem Handeln wie in theologischer Reflexion zur Geltung zu bringen, ist für seinen persönlichen Stil kennzeichnend, ist nicht nur ein Schwerpunkt seines Lehrens und Forschens, sondern Wahrheit in Liebe und Liebe in Wahrheit, das ist, recht verstanden, »er selbst«. 262

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Mir persönlich ist, zumal im Nachdenken über die Relevanz des trinitarischen Geheimnisses für das Ganze der Theologie und der christlichen Sicht des Menschen und der Welt, das theologische Motiv der Perichorese wichtig geworden. So möchte ich dieses mir angelegene Motiv mit dem für Alfons Nossol so kennzeichnenden Motiv der Wahrheit in der Liebe und der Liebe in der Wahrheit verbinden und ihm meine Freundschaft durch eine Reflexion über das Verhältnis zwischen Wahrheit und Liebe als ein perichoretisches Verhältnis zum Ausdruck bringen. Ich widme diesem Thema eine längere philosophische Hinführung und einen kurzen theologischen Verweis.

I.

Perichorese (a) – was ist das?

Es tut in unserem Kontext nicht not, die Lehre von der Perichorese, ihre trinitarische und christologische Anwendung, ihre begriffsgeschichtliche Entwicklung, ihre unterschiedlichen Schwerpunkte in griechischem und lateinischem Denken zu entfalten. Michael Schmaus beschliesst seinen geschichtlich und theologisch prägnanten Artikel im LThK 1 mit dem Satz »In systematischer Hinsicht kann man in der Lehre der Perichorese die kürzeste Formel für die Einheit und Verschiedenheit sowohl im trinitarischen als auch im christologischen Bereich dargestellt sehen«. Es geht hier darum, die Bedeutung des Motivs »Perichorese« über seine klassische Anwendung auf Trinitätslehre und Christologie 1

Vgl. M. Schmaus, Art. Perichorese. In: LThK2, 274–276.

Das Konzept der Perichorese, lateinisch auch circumincessio genannt, wird in der trinitarischen Theologie verwendet, um die Einwohnung der drei göttlichen Personen einer in der anderen auszudrücken sowie ihre gegenseitige Hingabe. In der Christologie hingegen wird der Terminus gebraucht, um damit die Durchdringung der göttlichen Natur mit der menschlichen in Jesus zu bezeichnen. Die Idee entstammt dem Johannesevangelium, in dem das Bild der Einwohnung und der gegenseitigen Hingabe besonders präsent ist, die sich auf das Handeln, aber auch auf das Sein der drei göttlichen Personen bezieht. In dieser zweiten Bedeutung wurde es von den Kirchenvätern gedeutet, die jedoch anfänglich nicht den Ausdruck Perichorese verwendeten. Erst infolge christologischer Kontroversen begann man, diesen Ausdruck im Griechischen zu verwenden (vgl. das Wort circumincession, in: J.-Y. Lacoste [Hg.], Encyclopedia of Christian Theology, Routledge 2005 und: J. Auer, Gott – der Eine und Dreieine, kleine katholische Dogmatik, Bd. 2, Pustet, Regensburg 1978, § 21).

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hinaus für theologische und philosophische Erkenntnis überhaupt fruchtbar zu machen. Perichorese meint jenes gegenseitige Sich-Umfassen und SichTreusein von Polen, in denen Einheit, Gleichheit und Unterscheidung zugleich auf dynamische und beziehentliche Weise in ihrem Zusammenhang sichtbar werden. Es ist schon in einem ersten Hinblick offenkundig: Wo Liebe im Spiel ist, wo Liebe konstitutiv ist für Wahrheit, da geschieht Mitteilung des Eigenen ins Andere und Hineinnahme des Anderen ins Eigene, da können Beziehung, Wirken, Erkennen nur je perichoretisch gefasst werden. Die Pole der Beziehung, der Wirklichkeit, der Erkenntnis liegen nicht ausser einander, sondern jeder der Pole ist auf je andere Weise, in sich selbst bestimmt vom je anderen, jeder trägt den anderen und somit auf gewisse Weise das Ganze in sich. Die Unterschiede sind dann nicht so sehr jene von Teilen, die sich nur äusserlich berühren, oder Ganzheiten, die nur zusätzlich zu ihrem Sein akzidentielle Beziehungen aufnehmen, sondern die Unterschiede bestehen gerade darin, wie das Unterschiedene unterschiedlich das je andere und das Gemeinsame in sich trägt und ausprägt. Nicht durchschaute oder vollzogene oder aber nicht gemäss durchschaute oder vollzogene Perichorese sind dann der Grund für Missverhältnisse und Missverständnisse, für Fehler oder Fehlinterpretationen. Der Rekurs auf die je vollständige und je den Sachverhalten und ihrem Bezug entsprechende Perichorese zeichnet einen Weg dialogischer Klärung, aber auch gemässer Komplementarität unterschiedlicher Denkansätze und Sichtweisen an. Im Folgenden sollen nun einige phänomenologische Hinweise darauf gegeben werden, wie Wahrheit und Liebe je in sich selbst und in ihrem gegenseitigen Verhältnis »perichoretisch« zu verstehen sind.

II.

Wahrheit als perichoretisches Verhältnis

Die quaestio I der »Quaestiones disputate de Veritate« (b) des Thomas von Aquin – und vor allem ihr erster Artikel – gehört zu den Grundtexten, die uns eine Phänomenologie der Erkenntnis und somit der Thomas von Aquin, Quaestiones disputatae. 1. De veritate, deutsche ThomasAusgabe, Graz 1933 ff.

(b)

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Wahrheit und Liebe – ein perichoretisches Verhältnis

Wahrheit erschliessen. An einige leitende Motive sei hier erinnert: Die Seele ist »geboren« (also von ihrer Natur her darauf angelegt), mit allem, was ist, übereinzukommen. Sie ist in diesem Sinne »gewissermassen alles«. Der in ihr innewohnende Intellekt kommt zur Erkenntnis und somit zur Wahrheit, indem er sich dem Seienden assimiliert, sich also in Entsprechung zu ihm bringt. Wahrheit ist so »convenientia entis cum intellectu« oder »adaequatio rei et intellectus«. Was steht hinter solchen Bestimmungen? Im Seienden lebt eine Offenheit für das Erkenntnisvermögen, die ihm nicht nur äusserlich ist, sondern mit seinem Sein als solchen zusammenfällt. Das Sein ist von seiner Natur her darauf angelegt und dazu befähigt, sich im Denken zu lichten, im Denken als es selber anzukommen und darin, recht verstanden, »zu sich« zu kommen. Umgekehrt ist der Intellekt nichts anderes als ein Sich-Ausstrecken zur Wirklichkeit, ein Sich-Ausstrecken zum Sein, um es im Seienden zu erheben und ausdrücklich zu machen. Das in der Begegnung mit dem Seienden sich entzündende und diesem sich angleichende Denken ist weder eine bloss äussere Nachahmung eines vom Seienden ausgehenden Impulses, noch produziert der Intellekt Gestalten seiner selbst, die über Seiendes gestülpt würden, um es handhaben zu können. Nein, im Denken geht es um die Frage: Was ist das, was mir da begegnet? Diese Hinorientierung auf das Sein des Seienden hat immer schon die Äusserlichkeit eines bloss zum Sein oder Denken zusätzlichen Verhältnisses zwischen Sein und Denken übersprungen, Denken ist je schon beim Sein angekommen, wie umgekehrt auch Sein immer schon beim Denken angekommen ist. Erkenntnis ist so zwar mehr als eine blosse von Begegnung mit Wirklichkeit ausgelöste Wiedererkenntnis in der Seele bereits vorrätiger Begriffe, diese werden vielmehr im Kontakt mit der lebendigen Wirklichkeit erbildet. Nichtsdestoweniger werden sie erbildet als Begriffe dessen, was das Seiende wirklich ist, es herrscht conformitas, convenientia, Übereinstimmung in der das Sein als solches bestimmenden Form, Zusammenkommen im einen und selben, was des Seienden und was des Intellektes ist. Dann aber ist der Vorgang sich lichtenden Seins ins Denken und der Vorgang des lichtenden Denkens ins ihm gegebene Sein Vorgang in ein perichoretisches Verhältnis: Das Seiende enthält als sein Eigenes die vom Erkennen erhobene Form, es ist das, als was es erkannt ist, und umgekehrt enthält das Denken erkennend das Sein des Erkannten. Im Wahrnehmen und Identifizieren des Seienden zu sich Verdankendes Denken

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gekommenes Denken kommt zu den Dingen, zu ihrer Wahrheit und enthält sie in sich. Wahrheit ist das perichoretische Verhältnis, in welchem Sein seine Kognoszibilität, Erkennen die Entität des Seienden umfängt. Sein ist im Denken, Denken ist im Sein, und so ist im Denken und im Sein die Wahrheit. Es tut freilich not, darauf hinzuweisen, dass solche Perichorese zwischen Sein und Erkennen im Endlichen nur auf je endliche Weise realisiert wird. Erkennen und Sein enthalten einander, sie bleiben einander aber auch in dem Sinne vorenthalten, dass endliches Erkennen das ihm gegebene Sein nie erschöpfend umfängt und umgekehrt auch Denken je über das Sein des Seienden allein hinaus ist. Perichoretisches Verhältnis von Denken und Sein – Entsprechendes lässt sich über alle anderen perichoretischen Verhältnisse im Feld der Endlichkeit oder im Feld des Miteinanders von Endlichkeit und Unendlichkeit sagen – hat stets teil an der analogia entis (c). Wahrheit als perichoretisches Verhältnis ist indessen nur in einer seiner Dimensionen im Blick, wenn sie verstanden wird als Innesein (d) des Denkens im Sein und des Seins im Denken. Indem das Denken das Sein im Seienden erhebt, hebt es dieses Sein in eine Weise von Ausdrücklichkeit und Ausdrückbarkeit, die wesenhaft mit Sprache, mit Kommunikation zu tun hat. Es geht nicht anders: Denken hat Sein in sich, indem es das Sein zur Sprache bringt, im Ansatz (Sprache ist hier in einem weitesten Sinn zu verstehen) »versprachlicht«. Wahrheit ist derart, dass man über sie sprechen kann, sie aussprechen kann; dies gilt gerade auch dort, wo sie in jener Grösse und Dichte aufgeht, dass man nur über sie und vor ihr zu schweigen vermag. Schweigen ist nicht eine unsprachliche, sondern eine sprachhafte Qualität. Das durch Leo den Grossen im Blick auf die Inkarnation formulierte Axiom, dass dasselbe, was es uns unmöglich macht zu sprechen, uns auch zwingt, nicht zu schweigen 2, hat, recht verstan2

Vgl. Sermo XXIX. In Nativitate Domini, IX, cap. 1, PL 54.

Die analogia entis erklärt bei Thomas die Beziehung zwischen Gott und dem Geschaffenen: Es gibt eine Analogie zwischen den Seinsformen und Gott derart, dass sie ein unvollkommenes Bild Gottes sind. Auch Augustinus spricht darüber, indem er sich auf die Spuren der Dreifaltigkeit begibt, die in mehr oder weniger vollkommener Weise im Geschaffenen vorhanden sind. Hemmerle selbst greift dieses Konzept auf, wobei er es in den Thesen zu einer trinitarischen Ontologie in analogia trinitatis abwandelt (vgl. K. Hemmerle, Thesen zu einer trinitarischen Ontologie, a. a. O.). (d) Zur Bedeutung des Ausdrucks vgl. Anmerkung v) zu Kap. I, »Die Herausforderung des Heiligen«,78. (c)

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den, auch eine philosophisch grundsätzliche Bedeutung. Das »ZuGroß« der Wahrheit kommt in der Sprache an, kommt selber zur Sprache, hat im Schweigen einen Ort innerhalb der Sprache. Wenn Sein im Denken ankommt, zur Sprache kommt, dann kommt es ins Gespräch, ins Miteinander der Sprechenden. Sein ist dergestalt im Denken, dass es im Denken vieler, im Denken aller ankommt. Der aristotelisch-thomistische Satz »anima est quodammodo omnia« wäre zu ergänzen: »anima est quodammodo omnes«. Nicht im Sinn einer averroistischen Nivellierung der Individuen in einen einzigen, alle durchströmenden Intellekt, nicht auf die Weise einer Weltseele, wohl aber im Sinne des Sein-könnens und Seins der Seele auch in den anderen Seelen, des Erkennens und somit des Erkennenden auch in den anderen Erkennenden. In dem Denken in allen ist es perichoretisch zugegen in allen. Der eine Gedanke in ihnen ist je mein, je dein Gedanke, er wird auf je die meine, je die deine Art ergriffen, artikuliert, formuliert; indem er aber Partner in ihrer Eigenheit konstituiert, konstituiert er auch das Gespräch. Und Gespräch heisst: Du bist in mir und ich bin in dir, das Ganze ist in mir und ist in dir. Hier wäre eine ganze Reihe von perichoretischen Verhältnissen des näheren zu entfalten; es genüge jedoch, auf einige von ihnen hinzuweisen. Denken und Sprache stehen in einem perichoretischen Verhältnis zueinander – Sprache und Sprache stehen in einem perichoretischen Verhältnis zueinander, sie haben die Chance, ineinander präsent zu werden, es gibt eine grundsätzliche Übersetzbarkeit von Sprache – die Sprechenden selber stehen in einem perichoretischen Verhältnis zueinander, und gerade dies berührt den springenden Punkt: Der Ort der Wahrheit ist das perichoretische Verhältnis der Denkenden und Sprechenden zueinander. In ihm offenbart sich die Sprachlichkeit von Denken und von Sein als diesen ursprünglich innewohnend und entfaltet sich die Formulierbarkeit des Denkens und somit des Seins im Denken in Formuliertheit, in Sprache, in Erkenntnis. Es wäre unschwer zu zeigen, dass auch das »einsame Subjekt« im Grunde eingefügt ist ins umfassende Gespräch, in welchem Wahrheit im Medium der Endlichkeit allein zur Entfaltung kommt. Christen wissen, dass diese Gesprächshaftigkeit von Wahrheit kein Notstand im Medium des bloss Endlichen ist, sondern dass in ihr jenes Gespräch nachhallt, das die Ipsa Veritas, das Gott selber ist. Auch im Philosophischen bereits gilt: Über die – bildhaft ausgedrückt – Tiefendimension von Wahrheit als perichoretisches VerVerdankendes Denken

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hältnis zwischen Denken und Sein und die flächige Dimension der Perichorese zwischen den Partnern des Gesprächs, welches Wahrheit ist, hinaus muss die Höhendimension der Perichorese zwischen unendlicher und endlicher Wahrheit, zwischen Gott und den Menschen zumindest in den Blick kommen. Diese Perichorese sagt: Unser menschliches Erkennen ist im Erkennen Gottes enthalten, und unser menschliches Erkennen hat Teil am Erkennen Gottes. Die Wahrheit, auch in ihrer endlichen Gestalt, in der sie uns gegeben ist, hat von sich selbst und von innen her ein Licht und eine Kraft, die uns hinführen zur Ipsa Veritas, zu Gott selbst; und umgekehrt ist unser Erkennen nur begründet im Sich-Teilgeben der absoluten Wahrheit an uns endliche Wesen. Gottes Denken ist immer, auch wenn es nie von uns ausgedacht und ausgelotet werden kann, ein Zudenken auf unser Denken hin – unser Denken ist, so bruchstückhaft, ja scheiternd es geschieht, im Ansatz immer bereits Mitdenken mit dem Denken Gottes selbst. Hier schlägt freilich der analoge Charakter von Perichorese kraft der Ungleichgewichtigkeit ihrer beiden Pole radikal zu Buche.

III. Liebe als perichoretisches Verhältnis Dass Liebe ein perichoretisches Verhältnis in sich selber darstellt, scheint aufs erste plausibel. Die Vollgestalt von Liebe erscheint unmittelbar als die gegenseitige Liebe, und für sie gilt als unmittelbarer Ausdruck: Du in mir – ich in dir. Andererseits gerät diese Selbstverständlichkeit in die Krise, wenn wir an nichterwiderte Liebe denken und den Rang der Liebe gerade darin erkennen, dass sie den Geliebten und somit sich selber als Liebe nicht aufgibt, wenn sie nicht erwidert wird. Scheint es so fürs erste auch weniger selbstverständlich zu sein, in Wahrheit als in Liebe ein perichoretisches Verhältnis aufzuspüren, so zeigt sich doch näherem Zusehen: Wahrheit ohne Perichorese, Wahrheit ohne das Sein des Seins im Denken und des Denkens im Sein zu denken, geht überhaupt nicht an, ist im Begriff Wahrheit bereits ausgeschlossen. Wie aber verhält sich das mit dem Begriff und der Wirklichkeit der Liebe? Setzen wir unsere knappe Reflexion über Liebe als perichoretisches Verhältnis gerade bei der Liebe an, sofern sie nicht sich zur Gegenseitigkeit »ergänzt« hat: Ich liebe dich, auch wenn du mich nicht liebst. Mein Ja zu dir ist nicht abhängig von deinem Ja zu mir. Auch solche Liebe ist in der Tat perichoretisch. Mein Lieben 268

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heisst: Du gehst mir nahe, ja du bist in mir. Mein Denken, Wollen, Fühlen kreisen um dich, umfangen dich in mir. Und dies heisst zugleich: Ich gebe dich an dich frei; aber gerade so bejahe ich dich in dir, versetze mich in dich. Ich lasse dich sein, nicht indem ich dich »fallenlasse«, sondern indem ich von dir her zu sehen, zu fühlen, zu verstehen suche. Ich bin verborgen, ohne mich aufzudrängen, in dir, gehe von dir aus auf mich zu. Von dir aus auf mich zugehend, gehe ich zugleich von mir aus auf dich zu, aber eben in diesem Akt, der ebenso Freilassen wie Mittragen bedeutet. So geschieht in mir selbst ein perichoretisches Verhältnis, ein: »Du in mir und ich in dir«. Das Phänomen der sich nicht von Antwort abhängig machenden Liebe ist in der bisherigen Sicht der Perichorese von Du und Ich, die ausgeht vom Ich, das liebt, noch nicht von seiner Fülle erfasst. Wenn ich dich liebe, dann bist du mir ein bonum, ein Gutes. Auch die Liebe, die den äusserlich nicht Liebenswerten liebt, entdeckt zumindest kreativ in ihm das Liebenswerte, das Gute. Selbst wenn deine Liebe mich vieles und vielleicht sogar das Leben kostet, ist es gut, dich zu lieben, bist du es mir wert, dich zu lieben. Dies statuiert der Liebende als ein solcher, durch sein Lieben. Was aber, im scholastischen Sinne des Wortes, mir ein bonum, ein Gut ist, das enthält mich von sich her, es mag ihm offen sein oder nicht. Aus diesem Grunde kann eigentlich der Liebende, der nicht wiedergeliebt wird, gar nicht nicht lieben wollen, auch wenn es Gründe geben kann, dieses Wollen zu suspendieren. Zur Wesensfigur von Liebe gehört die Gegenseitigkeit von Liebe. Sie beginnt auch in der einsamen Liebe, einfach dadurch, dass du mir ein Gut bist, in dem mein Leben seinen Ort und seine Erfüllung hat. Gerade wenn ich dich nur um deiner selbst willen bejahe, bejahe ich darin auch mich. Du bist von dir her, auch wenn du dies nicht vollziehst, in mir als mich bestimmendes Gutes, und ich bin in dir, wie eben das Streben in dem ist, was ihm als Gut, als bonum sich zeigt. So gehören zur Liebe auch in jener Gestalt, in welcher ihre Gegenseitigkeit nicht erreicht wird, die zwei Perichoresen: Ich in dir und du in mir von mir her – du in mir und ich in dir von dir her. Lieben heisst dich um deinetwillen bejahen, dieses Bejahen aber ist meine Selbstbejahung, ich will mich selbst als Liebenden, weil du mir ein bonum, ein Gut bist. Die Perichorese von ich und du ist immer zugleich Bejahung des anderen und als solche auch Selbstbejahung. Dabei kann sie freilich als Liebe nicht in Gang kommen, wo sie nur als Konsequenz von Selbstbejahung und nachträglich zu ihr in Gang gesetzt wird; Liebe ist vielmehr immer schon ausgegangen zum andeVerdankendes Denken

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ren, aber dieser Ausgang ist je auch bereits In-mich-Gehen, Selbstbejahung – auch und gerade dann, wenn Liebe zum Opfer bereit ist. An diesem Punkt stossen wir notwendigerweise indessen auf eine dritte in jedem Lieben, auch im einsamen, eingeschlossene Perichorese: Wer liebt, liebt die Liebe selbst, steht mit ihr in einem perichoretischen Verhältnis. Darauf hat Augustin in seinem Werk »De Trinitate« eindrücklich hingewiesen 3. Wer liebt, sagt: Es ist gut, dir gut zu sein. Wer liebt, liebt die Liebe selbst: Dieser augustinische Satz gilt sowohl von der Immanenz des Verhältnisses zum Geliebten wie auch in einem es transzendierenden, aber mit ihm wesenhaft verbundenen Sinn. Die immanente Bedeutung: Was dir gut tut, ist dies, dass ich dir gut bin. Weil ich dich bejahe, bejahe ich mein »Dich-Lieben«. Das scheint eine tautologische Aussage zu sein, aber diese Tautologie ist Aufdecken, lässt Neues sehen: Du hast dein Sein und Gutsein und ich habe mein Sein und Gutsein darin, dass ich dich bejahe, dass ich liebe. Liebe selbst ist das dich und mich Bejahende, die Daseinsform, die dir und mir guttut. Damit aber ist bereits der transzendierende Sinn des Satzes berührt: Wer liebt, liebt die Liebe selbst. Liebe selbst bejahen, sich übersteigend zum anderen hin, ihn freilassend und freigebend, ist die Ankunft dessen, was dir und mir und überhaupt gut ist, des Ipsum Bonum. Die Phänomenologie der Liebe, in der diese als sie selbst ihren unbedingten und somit ursprünglichen, für das Menschsein konstitutiven Rang aufleuchten lässt, ist ein praeambulum jener fides, deren höchste Aussage lautet: Gott ist Liebe (1 Joh 4, 8 und 16). Solches Die-Liebe-Lieben nun ist wiederum ein perichoretisches Verhältnis. Ich kann die Liebe nicht lieben, wenn ich nicht im ursprünglichen Sinn dich als Geliebten und mich als Liebenden liebe. Die Liebe zur Liebe ereignet sich im konkreten Vollzug von Liebe, der als solcher aus sich selber heraus zum anderen aufbricht. Wo aber umgekehrt ein solcher Aufbruch von Liebe geschieht, da werden nicht nur die Pole des liebenden Verhältnisses, sondern wird das dieses Verhältnis in Gang Bringende und Tragende, die Liebe selber also, geliebt. Im Lieben der Liebe (genitivus objectivus und subjectivus) bist du und bin ich inne, im »Ich« und »Du« des Liebens ist die Liebe selber inne.

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Vgl. VII, 7–10; IX, 2.

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Wir verzichten hier darauf, diese Verhältnisse in ihr volles Mass hinein auszuschreiben, das dort aufscheint, wo die Gegenseitigkeit von Liebe ausdrücklich wird. In ihr wirkt sich das Lieben der Partner aus als ein Lieben desselben, das Liebe als gemeinsame Selbstübersteigung ausdrückt und vollendet, wie ein Motiv des Richard von St. Victor aufgreifend Bonaventura in seiner Dreifaltigkeitsspekulation über die Liebe sichtbar macht 4. Perichorese ereignet sich also in vollendeter Gestalt in einer gemeinsamen Selbstübersteigung, die im anderen, im »Dritten« sich verwirklicht und mit ihm wiederum in einem perichoretischen Verhältnis steht. Dieser Öffnung der Gegenseitigkeit von Liebe eignet vom Wesen her eine universale Offenheit. Dasselbe, was die Liebe konkret macht, ganz meine Liebe und ganz Liebe zu dir sein lässt, öffnet sie auch über Begrenzungen, qualifiziert sie zu einem Ja, in dem die Liebenden gemeinsam weitergehen. Der vorgegeben absolute Charakter von Liebe wird zur Konkretion (e) nicht nur in der Totalität der Liebe bis zur Selbsthingabe 5, sondern auch in ihrer Universalität. Die Zuwendung zu jedem Nächsten, das Umfangen eines jeden Menschenantlitzes ist nicht eine Verdünnung und Idealisierung von Liebe, sondern Ausdruck ihrer Konkretion. Daher ist es freilich nur möglich, alle zu lieben, indem je der Nächste der Ort dieses »alle«, der Ernstfall der Universalität ist.

4 5

Vgl. Hexaemeron, XI, 12. Vgl. dieses Maß im Licht der Offenbarung Joh 13, 34 f.

Konkretion ist ein Ausdruck Rombachs, und wir finden ihn in der Strukturontologie: Die Konkretion ist die reale Form der Struktur. Da die Struktur nicht wie das System von den Teilen, die es bilden, abhängig ist, sondern vom Einzelnen, basiert das Ganze der Struktur auf der Konkretion, die die Verbindung zwischen dem Ganzen und dem Einzelnen ist. Man nennt sie Konkretion, um darauf hinzuweisen, dass sie weder vom Ganzen noch vom Einzelnen getrennt werden kann, insofern sie das konkretisiert, was ist. Das bedeutet – und das will Hemmerle in diesem Passus über die Liebe zum Ausdruck bringen –, dass meine Einzelliebe zum anderen für die Struktur nicht indifferent ist, sondern dass sie selbst dank der Konkretion universal ist, das heißt Konkretisierung des Universellen in meiner Liebe zum andern (vgl. H. Rombach, Strukturontologie, a. a. O.).

(e)

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IV. Die gegenseitige Perichorese von Wahrheit und Liebe Achten wir auf die Sprachspiele, die uns unterlaufen sind, indem wir von Wahrheit und indem wir von Liebe jeweils als perichoretischem Verhältnis in sich selber sprachen. Bei der Wahrheit trugen sich uns, aus der aristotelisch-thomistischen Tradition her, zunächst Ausdrücke auf wie convenientia, adaequatio, conformitas: Bewegungen also der Annäherung, des SichAusstreckens zueinander und Angezogenseins voneinander. Sich überschreiten, Sein im anderen, das andere in sich tragen haben zur Voraussetzung die gegenseitige Anziehung, jene Phänomene also, die zu nennen wir nicht umhinkommen, wenn von Liebe die Rede ist. Was im personalen Miteinander als Liebe sich entfaltet, leiht uns das Wort, um jene elementaren Verhältnisse und Ereignisse zur Sprache zu bringen, die je schon geschehen sind, wo Erkenntnis (und somit Wahrheit) geschieht. In einem ontologisch fundamentalen Sinn wird hier bereits deutlich: Wahrheit »ist« Liebe, Wahrheit trägt in sich jene Liebe zwischen Sein und Denken, ohne die alles im Sichtlosen und Sprachlosen, in der kommunikationslosen Punktualität versänke. Wer Wahrheitsgeschehen versteht, hat Liebe verstanden, kann nur von einem elementaren Verstehen von Liebe her das Wahrheitsgeschehen zu jener Sprache bringen, die diesem seine Identität verleiht. So ist es denn ein Wunder zwar, aber nicht zu verwundern, dass der Ort von Wahrheit, der Ort des Zusammenkommens und gegenseitigen Sich-Umarmens von Denken und Sein das Gespräch ist: Gespräch als die Menschen zueinander bringende, ineinander gegenwärtig setzende Bewegung der Einheit von Worten, Gedanken, Partnern in der Vielheit, die sich ins Selbe aufhebt und vollbringt und hier doch zugleich als Vielheit neu konstituiert wird. Woher sonst als von Liebe her soll das Gespräch verstehbar sein, in welchem Wahrheit schon je ist und in welches sie je neu kommen muss, um sich zu entbergen? Nein, der Dialog der Wahrheit und der Liebe lassen sich nicht auseinanderreissen, sonst ist Wahrheit keine Wahrheit und Liebe keine Liebe. Schon in einem elementaren, ontologisch grundlegenden Sinn gilt dieses Ineinander, es ist die Bedingung von Wahrheit, wie natürlich auch umgekehrt die Bedingung von Liebe. Und schliesslich ging Wahrheit uns auf als Teilgabe und Teilnahme, als Gewähr des Ursprungs und von ihm geweckte Mit272

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ursprünglichkeit, als Ereignis, das über den unendlichen Unterschied zwischen unbedingt und bedingt hinweggreift und in der Unterschiedenheit Einheit zwischen beiden stiftet. Nur die grundlose Ursprünglichkeit der aus sich selber anfangenden Liebe macht verstehen, ohne es verfügend zu verfremden, was im Ineinander und Auseinander zugleich der absoluten und der menschlichen Wahrheit geschieht. Ist das Seinsmystik, Bildersprache, Verfremdung in ein anderes Genus des Denkens und Redens hinein? Oder aber jene Erzählung der Ursprünge, die von der strengen Begrifflichkeit selbst empfangen und geliehen werden müssen, damit diese ihrerseits nicht im Sprachlosen und Sichtlosen versinkt? Und solche Anleihe ist nicht nur (wenn schon gewiss auch) die Not des Versagens von Endlichkeit vor dem, was grösser ist als sie. Die Endlichkeit ist gerade im »Bild« des personalen Geschehens, letztlich des Geschehens der Liebe in den Stand gesetzt, das Unendliche, das Unaussprechliche, das »An-sich« benennen, begreifen, fassen zu können. Der unaustilgbare »Rest« der Anschaulichkeit ist zugleich Überschuss über das, was der Begriff in sich selbst nicht zu leisten vermag. Gäbe es da nicht auch etwa ein perichoretisches Verhältnis zwischen Begriff und Bild, Begriff und Erzählung zu bedenken? Wie aber steht es mit der Perichorese zwischen Liebe und Wahrheit auf seiten der Liebe? Unser anderer phänomenaler Ansatz in der Betrachtung von Liebe, den wir um ihrer selbst willen gewählt haben, lässt uns auch anders vorgehen im Erörtern dieser Frage. Der Ernst der Liebe, ihr Überschritt über jede Weise von blosser Nützlichkeit und Verrechenbarkeit mit anderem liegt darin, dass es da um dich selbst, um mich selbst, um die Liebe selbst geht. Um mich und dich und Liebe nicht in irgendeiner ihnen äusseren Hinsicht, sondern um ihr Sein selbst. Sicher ist Liebe unmittelbar, scholastisch ausgedrückt, der transzendentalen Bestimmung des bonum und nicht des verum zugeordnet. Doch die Konvertibilität dieser beiden Bestimmungen hat gerade ihre Spitze im Vollzug der Liebe. Liebe greift auf das bonum in seiner Konkretheit zu, es geht ihr nicht um irgendein Gutes, sondern um das concretissimum der Person. Und ihr Organ ist wiederum nicht irgendein »Vermögen« des Menschen, sondern er selbst, sein Selbst- und Eigensein, seine Personalität. Liebe, die sich in solcher Konkretheit ergriffen, fasziniert, hingerissen vom zu Liebenden findet, ist aber gerade nicht blind (f). Sondern Liebe ist die kri(f)

Über die Blindheit der Liebe haben sich im Laufe der Geschichte viele Denker aus-

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tische Kraft schlechthin, die nichts anderes gelten und stehen lässt als je dich selbst und mich selbst und so gerade die Liebe selbst. Liebe geht auf das Gute aus; aber das Gute ist ja das wahrhaft Gute, das vere bonum, das in Wahrheit Gute, du selbst in deinem wahren Sein. Von dir selbst bin ich als ich selbst, ich in meinem wahren Sein herausgefordert. Wahrheit ist so die Unterscheidungsmarke, der kritische Punkt der Liebe selbst. Wo Liebe sich nicht stellt und ich mich nicht stelle in Liebe, verrät sie ihr Mass und verliert sie ihr Wesen. Dies ist der Grundzug, der unsere skizzenhafte Phänomenanalyse von Liebe in allen ihren Schritten leitete. Liebe ist also nicht nur hermeneutischer Schlüssel zur Wahrheit und so in ihr präsent, sondern Wahrheit ist auch das Kriterium der Liebe und so von dieser in sich selbst umfasst. Wahrheit als Wahrheit verstehen ist Bedingung für wahre Liebe, wie Liebe Ursprung, Organ, Vollzug und Ort von Wahrheit ist.

V.

Zwischenbemerkung: Philosophie in der Theologie, Theologie in der Philosophie

Es geht hier beileibe nicht an, das lohnende Thema der gegenseitigen Umfassung, also des perichoretischen Zueinanders von Theologie und Philosophie grundsätzlich zu behandeln. Dass dies aus der ehrwürdigen anselmischen Bestimmung der fides quaerens intellectum her möglich wäre, liegt auf der Hand. Nötig aber ist hier ein einziger auf dieses Feld führender Hinweis. Wir haben eine philosophische Betrachtung über die Perichorese von Wahrheit und Liebe angestellt. Dabei sind uns jedoch immer wieder theologische Hinweise unterlaufen. Und wir gehen recht mit dem gelassen, aber wie Hemmerle, so widersprechen auch andere, wie Scheler und Hildebrand, dieser Definition, indem sie vielmehr das Gegenteil behaupten, dass nämlich die Liebe mehr und besser sehen lässt. Die Position hinsichtlich der Blindheit der Liebe erwächst nach Scheler und Hildebrand aus einer Erwägung derselben als Leidenschaft, die als solche gegen die Vernunft verstößt; deshalb verwendet derjenige, der von der Liebe ergriffen ist, seinen Verstand nicht mehr und sieht folglich auch nicht mehr, wie sich die Dinge rational zueinander verhalten: Er erblindet durch die Liebe. Hemmerle hingegen wertet die Tragweite der Liebe als Akt und Einstellung neu auf und bezieht sie nicht mehr nur auf die Leidenschaft, also auf etwas Aktives. So kann für ihn die Liebe nur an das bonum und das verum gebunden sein – sie lässt mehr und anderes sehen als die Vernunft (vgl. D. von Hildebrand, Das Wesen der Liebe, Habbel, Regensburg 1971; M. Scheler, Wesen und Formen der Sympathie, Francke, Tübingen 1974).

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Verdacht, dass auch die Phänomenanalysen philosophischer Art geleitet waren von theologischen Erfahrungen und Interessen. Dennoch ist in der Tat das Ausgeführte am Phänomen selbst gewonnen, in der Unmittelbarkeit der Hinsicht des Denkens auf das Phänomen. Wenn der offenbarende Gott in seiner Liebe uns hinführt zu der Wirklichkeit, die er geschaffen hat, so lehrt er uns dadurch, sie sowohl von ihm her wie von sich selber her zu sehen. Das macht es möglich, dass auch ein Denkender, der nicht vom Glauben herkommt, Phänomene zu sehen lernt, wie sie durch das Licht der Offenbarung angeleuchtet werden, aber durchaus auch von sich selber her zu sehen sind. Zwischen der »natürlichen« Erkenntnis einer solchen Phänomenologie und der übernatürlichen Glaubenserkenntnis, die sich in der Theologie entfaltet und auf ihren Begriff bringt, waltet von unten, von der natürlichen Erkenntnis her, ein diskontinuierlicher, von oben, von der Glaubenserkenntnis her ein kontinuierlicher Übergang. Als Denkender glaubend kann ich vom Glauben her mein Denken als solches und in sich selbst artikulieren und es im Blick auf allgemein zugängliche Phänomene direkt mitteilen und erschliessen – vom Denken her, das in sich selber steht, kann ich keinen kontinuierlichen Übergang zum Glauben und zur Glaubenserkenntnis gewinnen, wenn auch das vom Glauben erhellte Phänomen im Denken Wegmarke zum Glauben hin zu sein vermag. Diese Bemerkung erschien fällig, weil andernfalls der folgende knappe theologische Ausblick wie ein »Resultat« der angestellten phänomenologischen Überlegungen erscheinen könnte. Der Sachverhalt ist indessen umgekehrt: Die unableitbare und durch Gottes geschichtliches Handeln eröffnete Glaubenserkenntnis, dass die letzte und ganze Wahrheit Gottes und der Welt die Liebe ist, dass so aber nur Liebe der Wahrheit entspricht und die Wahrheit in ihrer Tiefe erkennt, ist die Grundlage des gesamten Gedankengangs in diesem Beitrag. Dies vorausgesetzt und den Begriff von Wahrheit und den Begriff von Liebe ins theologische Verständnis transponierend, können wir die philosophischen Beobachtungen, die uns zufielen, in den Kontext der Theologie eintragen, der im folgenden angeleuchtet werden soll.

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VI. Theologischer Ausblick auf das perichoretische Verhältnis von Wahrheit und Liebe 1.

Alttestamentliche Hinweise

Die Selbstoffenbarung Gottes im Alten Testament, die Aufdeckung der Nichtigkeit, der Un- Wahrheit der Götter und der Wahrheit des einen Gottes, der Himmel und Erde geschaffen hat, ist unlöslich verbunden mit dem Geschehen der Erwählung, Konstitution und geschichtlichen Führung des Volkes, das Jahwe zu seinem Volke macht (vgl. z. B. Ex 2, 23–25; 3 und 4; 19 und 20; Dtn 4–11; Jes 40–55 im ganzen). Die Liebe Jahwes zu seinem Volk ist der weltgeschichtlich und heilsgeschichtlich entscheidende Ort der Offenbarung seiner Wahrheit. Seine Wahrheit fällt geradezu ineins mit der Verlässlichkeit seiner Bundestreue, seiner Liebe zum Volk. Die Wahrheit des einzigen Gottes trägt in sich, umfängt und umfasst die Treue Jahwes zu seinem Volk. Die Fügung und Führung der Geschichte seines Volkes ist umgekehrt der Raum, in dem Gott als der Eine und Wahre präsent ist in der Geschichte und sich der Weltgeschichte präsentieren will. Die Perichorese der von Gott geführten Geschichte des Volkes Israel und der Selbstoffenbarung Jahwes ist im Ansatz Perichorese von Wahrheit und Liebe. Diese Führung und Offenbarung geschehen als Geschichte des Bundes. Bund aber heisst: Jahwe trägt das Volk in seinem Herzen – das Volk trägt Jahwe in seinem Herzen. Der Treue Jahwes zu seinem Bund entspricht nicht nur die Treue des Volkes zu Jahwe, deren Grundlinien im Bundesgesetz, in den Zehn Geboten niedergelegt sind; diese Zehn Gebote selber umfassen die Gleichung zwischen der Treue des Volkes zu seinem Gott und der Treue im gegenseitigen Verhältnis der Volks- und somit Bundesgenossen (vgl. Ex 20, 1–21; Dtn 5, 1–22). Jesu Reduktion des Gesetzes auf das Gebot der Gottesliebe und das ihm gleiche der Nächstenliebe entspricht dem Grundgehalt des Gesetzes auch von diesem selbst her (vgl. Mk 12, 18–27 parr.). Die Wahrheit, dass Gott, dass er jener Gott ist, der dieses Volk hält und trägt, und dass Israel sein Volk ist, kann nur in solch doppelter Liebe zur Geltung kommen und beglaubigt werden: in der Liebe zu dem einen Gott und in der Wieder-holung des Verhältnisses zu diesem Gott im Verhältnis zueinander, in der Ehrfurcht und Treue, mit denen die Genossen dieses Glaubens zueinander stehen (vgl. Mi 6, 1–8). 276

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So ist schliesslich der Jahwe-Name selbst Besiegelung dieses Ineinanders von Wahrheit und Liebe. Jahwe, der »Ich-bin-Da« (vgl. Ex 3, 14) »ist« nichts anderes als eben: dazusein, in der Zuwendung zu seinem Volk und durch es zur Menschheit sich als der alle Welt und Geschichte Überragende zugleich in sie einzulassen. Der »funktionale«, besser: geschichtliche Charakter dieses Gottesnamens ist von sich her »ontologisch«, trifft die innerste Wahrheit Gottes in sich selbst. Diese innerste Wahrheit Gottes in sich selbst aber kann nur ergriffen, geglaubt, eingelöst werden im Mitwandern mit diesem Gott, in der Treue und Liebe zu ihm, die Treue und Liebe der Volksgenossen zueinander einschliesst. In der so anderen Denk- und Begriffswelt des Alten Testamentes gegenüber jener aristotelisch-thomistischen oder phänomenologischen, in denen sich unser philosophisches Nachdenken aufhielt, führen die Spuren doch ins Selbe; nur in einem perichoretischen Ineinander können Wahrheit und Liebe je als sie selbst verstanden werden, zeigen Wahrheit und Liebe ihre Relevanz sowohl für das philosophische Denken wie für den Glauben.

2.

Neutestamentliche Hinweise

Perichorese von Wahrheit und Liebe heisst neutestamentlich: gegenseitiges Enthaltensein und Sich-Durchdringen von Selbstoffenbarung Gottes und Selbsthingabe Gottes in Jesus Christus und dem von ihm mitgeteilten Geist. Es gibt keine andere Wahrheit als die Liebe Gottes, die sich in Jesus Christus zugleich offenbart und hingibt. Die Liebe Gottes, die auch den eigenen Sohn nicht schont, sondern ihn für uns dahingibt, ist die neue und ganze, endgültige Wahrheit schlechthin (vgl. Röm 8, 31–39). Nur wer Gott liebt, erkennt Gott (vgl. 1 Joh 4, 8 und passim in 1 Joh). An Gott glauben, seine Wahrheit erkennen aber heisst: an seine Liebe glauben, sich von ihr zur Liebe bewegen lassen (vgl. 1 Joh 4, 16). Diese mit unterschiedlichen Farben sich doch entsprechende paulinische und johanneische Sichtweise steht nicht im Gegensatz zu den anderen Theologien innerhalb des einen Neuen Testamentes; diese vielerlei Theologien sind vielmehr unterschiedlich geprägte Weisen, wie die eine Botschaft sich begründet, verfasst und entfaltet. Die Gottesherrschaft als das in Jesus Christus sich ereignende endgültige Offenbarwerden des Gottseins Gottes, das Gnade und Gericht zugleich bedeutet, dessen Sinn aber die Einladung zum Heil und dessen Weg Jesu heilbringendes Verdankendes Denken

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Sterben, sein Sich-Einsmachen mit uns in Tod und Gottverlassenheit ist, prägt die synoptische Botschaft, zumal Markus und Matthäus. Die neue und ins Ganze der Menschheit drängende endgültige Wahrheit Gottes als jene vom grenzenlosen Erbarmen, das äusserste Erbarmen als die Aufdeckung der Wahrheit Gottes und des Menschen sind lukanischer Akzent. Kehren wir zu Johannes zurück: In der Liebe bis zum Äussersten, in welcher Jesus, der eins ist mit dem Vater, sich bis zum Tod am Kreuz entäussert, wird die Wahrheit Gottes offenbar, die Liebe ist, und diese Wahrheit wird ganz nur in einem Glauben ergriffen, der auch seinerseits Liebe ist (vgl. Joh 13–17 im ganzen). Er ist im Vater und der Vater ist in ihm – so teilt der Vater sich uns mit. Diese Perichorese zwischen Vater und Sohn eröffnet sich in der Liebe des Sohnes, die uns ganz und gar in sich hineinnimmt und sich uns ganz und gar anheimgibt: Perichorese zwischen dem Sohn und uns, die in ihm und ihn in uns sein lässt (vgl. Joh 14, 20 und 15, 1–8). Solches Sein in ihm und durch ihn in seinem Verhältnis zum Vater aber erfordert unser gegenseitiges Innesein ineinander, in welchem sein Innesein im Vater und das des Vaters in ihm sich zwischen uns wiederholt, als Teilhabe an seinem dreifaltigen Leben, aber auch als Zeugnis der Glaubwürdigkeit für die Welt (Joh 17, 20–23). Wir können den Zusammenhang der drei »Perichoresen« (Vater und Sohn, Sohn und wir, wir gegenseitig) nicht anders denn zugleich als den Weg der Wahrheit Gottes und den Weg seiner Liebe verstehen. Die phänomenologisch an der Wahrheit und an der Liebe als solchen abgelesenen Momente tragen sich in den Weg und die Gestalt dieser johanneischen Perichoresen ein.

3.

Der theologische Inbegriff der Perichorese von Wahrheit und Liebe: das Kreuz

Wir haben im Blick auf die Schrift nur eine Landkarte, nicht aber die Landschaft gezeichnet, in welcher Wahrheit und Liebe ineinander wohnen, sich unterscheidend sich gegenseitig bestimmen und darin miteinander eins sind. Ein Bild aber, das nicht irgendeines, sondern die Vermittlung schlechthin, das Ereignis schlechthin bezeichnet, sei abschliessend uns vor Augen gestellt: das Kreuz oder besser der Gekreuzigte. Wer glaubend ihn sieht, der sieht die Grösse und Heiligkeit Gottes, der keinen »harmloseren« Weg wählte als jenen, der die ganze 278

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Wahrheit sichtbar macht: die Wahrheit der göttlichen Heiligkeit und der Schrecklichkeit der Sünde, die Wahrheit Gottes und des Menschen. Diese Wahrheit wird aber deswegen vor uns aufgerichtet, weil in ihr die Liebe erscheint und sich ereignet, die solche Wahrheit übernimmt und verwandelt: Die Wahrheit des in sich selber scheiternden und ohnmächtigen, ausgelieferten Menschen ist die Wahrheit des angenommenen, geliebten, von Gott selbst bis ins Äusserste begleiteten und aufgefangenen Menschen. Die Wahrheit des heiligen und grossen Gottes ist die Wahrheit dessen, der sich selber bis ins Letzte, bis ins Gegenteil seiner Selbst hinein loslässt und hingibt. Nur durch diese radikale Liebe, die in jener radikalen Annahme der Wahrheit besteht, durch welche die Wahrheit in sich selber verwandelt wird, erreichen wir das Heil und die Heilung des Menschen, die neue österliche Wahrheit: den Menschen, auf dem die Herrlichkeit Gottes ruht, den angenommenen, erlösten, befreiten Menschen – den Gott, der den Menschen in sich nimmt, ohne ihn in sich auszulöschen, der verherrlicht ist im Lebenkönnen des Menschen. Wer Gott sehen will, muss den Menschen schauen, wer den Menschen sehen will, muss Gott schauen. Dies tut die Liebe, dies ist ihre neue Wahrheit. Im Kreuzesgeschehen ist der durch die Selbstbehauptung des Menschen zwischen Wahrheit und Liebe geratene Hiatus geheilt, die Wahrheit hat das Gesicht der Liebe, die Liebe hat die Geltung und Würde der Wahrheit. Können Theologie, Pastoral, ökumenischer Dialog anders gelingen denn als »Perichorese in der Kreuzform«, die den Hiatus in sich nimmt und durchleidet, bis die Gestalt der Wahrheit Liebe und die Gestalt der Liebe Wahrheit geworden ist?

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B.

Handreichungen zur Lektüre

Wahrheit und Liebe: eine Paarung, die im philosophischen Diskurs nicht so ganz ungewöhnlich ist, wenn auch herkömmlicherweise thematisiert im Konzept der Beziehung Liebe-Erkenntnis. Im vergangenen Jahrhundert wurde diese Beziehung im phänomenologischen Bereich beispielsweise von Scheler 1 und von Hildebrand 2 in Deutschland und von Marion 3 in Frankreich diskutiert: Dies geschah, weil die Phänomenologie – und allgemein die Philosophien des 20. Jahrhunderts – an einer Wiederaufnahme der Affekte und Emotionen arbeiteten, indem sie sie neu mit vollem Recht und in ihrer ganzen Würde in den Strom der wesentlichen Charakteristiken des Menschlichen einfügten und mit der Sphäre der Erkenntnis verbanden. Scheler und Hildebrand bieten ein interessantes Beispiel in Bezug auf die Lektüre der Schrift von Hemmerle, denn beide lassen sie nicht nur befragen hinsichtlich des Phänomens »Liebe«, dem sie auführliche Abhandlungen widmeten, sondern sie tun es, indem sie auch den Zusammenhang mit der Erkenntnis ergründen. Das basiert auf der enormen Bedeutung, die diese beiden Philosophen der Liebe beigemessen haben, und auf dem entscheidenden Platz, den sie im Ganzen ihres philosophischen Denkens einnimmt; deshalb müssen sie sich notwendigerweise nach der Erkenntnis-Dimension der Liebe fragen und sie in Beziehung zur eher kognitiven Sphäre des Erkennens setzen. Die Ausgangssituation ist besonders aufschlussreich – von daher rührt auch die Auswahl dieser beiden Denker, um diesen HemmerleText zu kommentieren und zu rezipieren – und besteht in dem Faktum, dass man den Eindruck hat, sich vor zwei scheinbar gegensätzlichen Perspektiven zu befinden: Nach Schelers Auffassung ist die Liebe die Triebfeder der Erkenntnis, wohingegen für Hildebrand eine Erkenntnis notwendig ist, um zu lieben. Bleiben wir einen Moment Vgl. M. Scheler, Liebe und Erkenntnis, in: Id., Schriften zur Soziologie und Weltanschauungslehre, GW VI, Bouvier, Bonn 42008; Wesen und Formen der Sympathie, Franke, Bern 1974; Ordo amoris in: Schriften aus dem Nachlass, Bd. 1, Zur Ethik und Erkenntislehre, GW X, Bouvier, Bonn 42000. 2 Mit besonderem Akzent auf die Liebe in ihrem Wesen: vgl. D. von Hildebrand, Das Wesen der Liebe, Habbel- Kohlhammer, Regensburg-Stuttgart 1971. Ders., Die Metaphysik der Gemeinschaft, Josef Habbel, Regensburg 1955. Zum Thema Erkenntnis: Ders., Was ist Philosophie?, Bd. I/X, Habbel-Kohlhammer, Regensburg – Stuttgart 1976. 3 Vgl. J.-L. Marion, Das Erotische: ein Phänomen. Sechs Meditationen, übersetzt von A. Letzkus, Karl Alber, Freiburg/München 2003. 1

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bei diesen beiden Perspektiven. Zum einen wird die Frage von einem Grundelement der Erkenntnislehre beflügelt, das heißt von der Tatsache, dass der Erkenntnisprozess, ebenso wie die Liebe, immer zwei Faktoren einbezieht: etwas/jemanden, das/den es zu erkennen/zu lieben gilt, und einen Menschen, der erkennt/liebt. Der Mensch und etwas/ jemand bilden die beiden Pole, die, indem sie in Beziehung zueinander treten, Erkenntnis hervorbringen/Liebe zeugen. Wie das geschieht, das ist die Frage, die die gesamte Geschichte des Denkens mit vielfältigen Ansätzen und Antworten durchzieht. Hier ist nicht der Ort, auf diese Geschichte einzugehen, denn das würde weit weg führen von der Fährte, der wir folgen wollen; deshalb halten wir nur das Grundelement fest, denn darum dreht sich die Diskussion unserer Denker. Nach Hildebrand ist die Beziehung der Erkenntnis zwischen Subjekt und Objekt derart gestaltet, dass das Subjekt hinsichtlich des Objekts rezeptiv ist; es muss aus sich herauskommen, um seinem Objekt im Akt der Selbstübersteigerung entgegenzugehen; es geht um eine Selbstüberwindung, um für das Objekt, das ich intendiere und mir entgegenkommt, Raum zu schaffen. »Erkennen ist eine völlig unvergleichliche Berührung: ein Seiendes berührt ein anderes und besitzt es in einer immateriellen Weise. Sie ist nicht, wie eine kausale Berührung, bei Gegenständen verschiedener Art möglich, sondern sie setzt notwendig voraus, dass ein Seiendes ein personales Subjekt ist, ein bewusst Seiendes« 4.

Beide Pole der Beziehung sind in gewisser Weise aktiv – das Subjekt, weil es sich für die Begegnung mit dem Objekt öffnet; das Objekt seinerseits, weil es »verlangt«, gesehen zu werden und sich dem Subjekt öffnet – und stehen in Beziehung zueinander, obwohl sie autonom bleiben. Wenn wir auf die Liebe schauen, finden wir eine ähnliche Beziehung zwischen dem Liebenden und dem Geliebten: Auch sie sind je in eigener Weise und unabhängig aktiv. Der Akt der Liebe setzt eine Kenntnis des Geliebten voraus, denn die Liebe ist eine Wertantwort 5, was bedeutet, dass lieben heißt, im anderen den Wert D. von Hildebrand, Was ist Philosophie?, ebd., 20. Hildebrand widmet sich einer tiefen und sorgfältigen phänomenologischen Analyse der Liebe, in der er – ausgehend von seiner Wertlehre – die Liebe als eine Wertantwort neben anderen definiert, die sich aber von diesen durch eine Reihe ihr typischer Aspekte spezifiziert und unterscheidet. Zu diesen gehören die allen Formen der Liebe gemeinsamen zwei Hauptaspekte: die intentio unionis und die intentio benevolentiae, will sagen die Intentionen des Einswerdens mit dem Geliebten und des Bemühens um

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der Liebenswürdigkeit 6 oder besser: sein Sein als liebenswürdig zu erkennen. Auch Scheler unterstreicht, dass die Liebe nichts Neues schafft: Der Liebende schafft nicht die/den Geliebte/n, er/sie erkennt sie/ihn vielmehr, und in ihrer Beziehung gibt es ein beiderseitiges Geben und Empfangen. Dies gilt auch für Hildebrand; die Tatsache, dass er die Liebe als Wertantwort definiert, bedeutet nicht, dass der Liebende passiv ist oder lediglich das »Gesuch des Erkanntwerdens« des Geliebten akzeptiert: Auch Antworten ist eine aktive Bewegung, denn es impliziert die Anerkennung und daraus leitet sich ein gewisser Vorrang beziehungsweise eine Priorität des Erkennungsaktes ab. Scheler beginnt sein Werk Liebe und Erkenntnis, indem er Worte von Goethe und Leonardo da Vinci zitiert, in denen die unerlässliche Beziehung zwischen Liebe und Erkenntnis zum Ausdruck kommt; diesen Autoren nach stehen Liebe und Erkenntnis in einer tiefen und intimen Beziehung, aber in unterschiedlicher Weise – die, wenn man so will, die beiden Ansätze von Scheler und Hildebrand repräsentieren können. Hildebrand versteht die Liebe eher in der Weise wie Leonardo, das heißt als einen Akt, der aus der Erkenntnis hervorgeht: »Jede große Liebe ist die Tochter einer großen Erkenntnis« 7; Scheler hingegen versteht die Liebe als eine Folge der Erkenntnis, in der Weise wie Goethe: »Man lernt nichts kennen als was man liebt, und je tiefer und vollständiger die Kenntnis werden soll, desto stärker, kräftiger und lebendiger muss die Liebe, ja Leidenschaft sein« 8. Ausgehend von diesen beiden Perspektiven geht Scheler kurz zwei geschichtlichen Strömungen nach, die seiner Auffassung nach das eine oder andere Verständnis der Beziehung zwischen Liebe und Erkenntnis begründet und getragen haben. Die Strömung des indisch-griechischen Denkens hätte die Priorität der Erkenntnis aufgewertet, während das christliche Denken die Priorität der Liebe besein Wohlergehen. Vgl. D. von Hildebrand, Das Wesen der Liebe, ebd.; ferner: D. von Hildebrand, Die Metaphysik der Gemeinschaft. Untersuchungen über das Wesen und den Wert der Gemeinschaft, ebd. 6 Diese allgemeine Liebenswürdigkeit drückt sich dann in spezifischen Charakterzügen aus, die jede/r besitzt und einige speziell ansprechen; deswegen bilden sich unterschiedliche Liebesformen, je nach Art der Beziehung, die unter Menschen entsteht. Vgl. D. von Hildebrand, Das Wesen der Liebe, ebd., 470–481. 7 Zitiert nach M. Scheler, Liebe und Erkenntnis, ebd., 5. 8 J. W. Goethe, Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, hg. von H. Ostertag, Bd. XIX: Briefe der Jahre 1786–1814, Artemis, Zürich 21962, 660–662.

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tont habe. Dennoch hätte sich in der europäischen Kultur vor allem erstere behauptet und durchgesetzt, weil die Christen nicht in der Lage gewesen seien, das Geheimnis Gottes als Liebe philosophisch zu formulieren. Die einzige wirkliche Ausnahme sei Augustinus gewesen – in dessen Nachfolge lediglich Malebranche und Pascal stünden –, der der Liebe großes Gewicht beimaß, indem er sie in eine unterschiedliche Beziehung zur Kenntnis setzte. Für Augustinus nämlich sind »das Interessenehmen ›an etwas‹, die Liebe ›zu etwas‹ die primärsten und alle anderen Akte fundierenden Akte, in denen unser Geist überhaupt einen ›möglichen‹ Gegenstand erfasst« 9. Priorität der Liebe im Vergleich zur Kenntnis bedeutet, dass nur im Innern des Prozesses der Liebe, das heißt, indem wir lieben, das Objekt sich als Objekt für die Sinne und demzufolge für die Vernunft konstituiert. Die Liebe ist jener Akt, der die Kenntnis begründet, weil wir bewegt werden auf ein Objekt hin aus Interesse, das es in uns weckt, und durch die Liebe; dann, wenn wir uns darauf zubewegen, lernen wir auch etwas von ihm. Nach Auffassung Schelers, der zu diesem Punkt zutiefst auf der Linie seines Freundes Hildebrand liegt, sind die Dinge vor allem in ihrem Wert-voll-sein 10 und dann in ihrem Wesen gegeben. Bevor wir etwas wahrnehmen, erinnern oder verstehen können, lernen wir dessen Werteigenschaften. In diesem Sinne ist die Liebe ein Wertakt, ein schöpferischer Akt, der alle anderen begründet, indem er sein Objekt befragt, damit es sich sagt und sich kennenlernen lässt. Hildebrand seinerseits ist nicht so weit entfernt von diesen Überlegungen, aber der Nachdruck liegt sicherlich auf der Priorität des kognitiven Aktes, der in der Begegnung zwischen Subjekt und Objekt immer der möglichen Wertantwort vorausgeht; so, dass nach dieser ersten Annäherung die Wertantwort aufkommt, sei sie Liebe oder anderes. Wenn ich etwas/jemanden nicht kenne, kann ich ihn auch nicht lieben, denn ich brauche einige Elemente, die mich dazu bewegen, mich ihm durch die Liebe zu öffnen, ihn anzunehmen und »ja zu sagen«. Es scheint also eine Priorität der Kenntnis vor der Liebe zu geben, als ob das Objekt den ersten Schritt tun würde, indem es

M. Scheler, Liebe und Erkenntnis, ebd., 26. Die Wertlehre wird von Scheler in einem großen Werk entwickelt, das ein Versuch sein will, eine materiale Ethik der Werte zu begründen. Vgl. M. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, hg. von Christian Bermes, Meiner, Hamburg 2014.

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sich zu erkennen gibt, indem es sich zum Subjekt hin bewegt und sich ihm zeigt. Nur an dem Punkt akzeptiert das Subjekt es und nimmt es auf durch seine Antwort der Liebe, indem es ein Liebender wird. Doch wenn Scheler tatsächlich im Gegensatz dazu die Vorrangstellung der Liebe betont – dabei auf Augustinus zurückgreifend, ebenso in der Entwicklung eines wahren und eigenen ordo amoris, der ihn dazu führt, vom Menschen als ens amans zu sprechen –, ist gleichwohl wahr, dass er gerade durch das Aufgreifen von Augustinus in Liebe und Erkenntnis bekräftigt, dass der intellektuelle Akt eine Form der Antwort an das Objekt ist, »ein ›Sichgeben‹, ein ›Sicherschliessen‹ und ›Aufschliessen‹ des Gegenstandes, d. h. ein wahrhaftiges Sichoffenbaren des Gegenstandes. Das ist ein ›Fragen‹ gleichsam der ›Liebe‹, auf das die Welt ›antwortet‹, indem sie sich ›erschließt‹– und darin selbst erst zu ihrem vollen Dasein und Wert kommt« 11. Die beiden Ansätze sind jedoch nicht so gegensätzlich. Was die scheinbare Divergenz erklären kann, ist vielleicht die radikalste Überlegung, die Scheler im Blick auf die christliche Botschaft anstellt – und die zu einem Großteil hinter seinem philosophischen Schaffen steht – das heißt sein Versuch, sich nicht auf der griechischen Tradition abzustützen, wie es Thomas von Aquin getan hat und nach ihm die ganze oder fast die ganze Tradition des christlichen Denkens, sondern die Philosophie Fragen stellen zu lassen aus der Grundüberzeugung über einen Gott heraus, der Liebe ist und der, sich inkarnierend, nicht nur liebt, sondern darum bittet, geliebt zu werden. Hildebrand scheint, obwohl er eine detaillierte Phänomenologie der Liebe anbietet und als christlicher Philosoph denkt, in den thomistischen Kategorien zu verharren und damit in den griechischen. Bei Hemmerle finden wir einen Interpretationsschlüssel für diese Beziehung in der Perichorese, die über die logischen und zeitlichen Kategorien hinausgeht. Von daher gibt es keinen Primat der Liebe oder Erkenntnis, sondern eine Mitteilhabe der einen an der anderen und umgekehrt, in einer Dynamik, die aus beiden die zwei Pole der Beziehung macht, die als solche nur in der generierenden Beziehung der einen gegenüber der anderen existiert, die wiederum das Eine zeugt. Das geht bis zu dem Punkt, zu behaupten, dass Wahrheit und Liebe sich nicht voneinander trennen lassen, ohne Gefahr zu laufen, dass die eine nicht mehr Wahrheit ist und die andere nicht mehr Liebe. Auch Hemmerle lässt den Aquinaten nicht hinter sich, wie 11

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Scheler es anstrebt, und sieht sich vor der Schwierigkeit, die gleichzeitige Wesenhaftigkeit von Liebe und Wahrheit auch in der Perspektive der Liebe zu wahren, die eigentlich mit dem Guten korreliert und nicht mit dem Wahren. Doch wenn die Liebe nicht Interesse an einem beliebigen Guten ist, wie sich in der hemmerleschen Analyse zeigt, sondern an der ganz konkreten Person, dann ist sie auf das wahre Gute ausgerichtet und von daher Kriterium der Wahrheit, die ihrerseits dadurch bedingt ist. Das ist eine ganz feine Trennungslinie, eine »Grenze« nach der Art Weltes/Hemmerles, die eine solche nur ist dank der beiden Felder, die sie markiert und in Dialog miteinander bringt. Doch von welcher Liebe und von welcher Wahrheit spricht Hemmerle? Mit anderen Worten: Was ist das, was sich genau in Beziehung mit was setzt? Ausgehend von der theologischen Kategorie der Perichorese stehen wir zunächst vor einem ersten Aspekt, dem Relational-Sein im Sinne einer Gegenseitigkeit, einer Bewegung, die die beiden Pole im Spiel verbindet – im Fall der Liebe ist es der Liebende und der Geliebte, im Fall der Wahrheit ist es der Denkende und das Gedachte – in einer solcher Weise, dass das eine sich zum anderen hinbewegt und umgekehrt. Den Blick auf die Liebe gerichtet und die Wahrheit beiseitelassend, mit der wir uns bereits in der Schrift Wahrheit und Zeugnis befasst haben, geht Hemmerle hier nicht näher darauf ein, ob es sich um Gefühl, Willen oder Akt handelt: alle historisch bekannten Kategorien im Innern der Reflexionen über die Liebe 12. Er beschränkt sich einfach darauf, das Phänomen zu bestimmen, das geschieht, wenn ich liebe/geliebt werde. Man könnte einwerfen, dass dies die Grundhaltung der Phänomenologie ist, ohne dass dies mögliche Definitionen der Phänomene einschränkt, nachdem man sie beobachtet und beschrieben hat; tatsächlich ist es das, was Scheler und Hildebrand zu denken versuchen, aber was auch Welte macht und viele andere Denker aus diesem Bereich des Denkens. Wahrscheinlich ist Hemmerle hier mehr an der Beziehung interessiert, die aus der Liebe entsteht; er möchte in die Tiefe gehen im Verstehen, inwieweit die Liebe und auch die Wahrheit perichoretisch sind; es handelt sich um seine Grundhaltung in jener Frage – bisMir sei gestattet, an dieser Stelle auf eine gestraffte Vertiefung der verschiedenen Positionen in der Hinsicht im philosophischen Denken zu verweisen, auf mein Buch über die Philosophie der Liebe. Vgl. V. Gaudiano, Die Liebesphilosophie Dietrich von Hildebrands. Ansätze einer Ontologie der Liebe, Alber Thesen, Freiburg 2013.

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weilen explizit, andere Male implizit –, dass sich das Was? zum Wie? hinbewegt. Darum ist die Tatsache, dass Hemmerle sich nach dem perichoretischen Verhältnis der Liebe und der Wahrheit fragt, in sich ein Hinweis auf das Bestreben, deren Funktion zu verstehen und nicht ihren wesentlichen Status, keine Definition, sondern eine Dynamik. Die Liebe ist also die Bewegung, die zwischen zwei Seinsentitäten fließt und dabei deren Status einzig und allein in Beziehung zum anderen definiert: Der Liebende ist ein solcher, weil er liebt, nicht, weil er in dieser oder jener Weise beschaffen ist, sondern weil er handelt; das heißt, er ist angetrieben, aus sich herauszugehen, indem er Platz für den anderen in sich schafft, um ihn zu bestätigen als Gut, das vor ihm steht. Aus diesem Grund kann man sagen, dass auch eine nichterwiderte Liebe in sich perichoretisch bleibt, wenn auch nicht in jener vollkommenen Weise wie in der perichoretischen Liebe. Das Lieben ist ein Bestätigen und Wertschätzen des anderen, aber dies heißt gleichzeitig sich selbst bestätigen und wertschätzen als Liebende/r. Das bekräftigt Welte in Dialektik der Liebe 13, einer kurzen Abhandlung über die Liebe, die den Akzent auf die Dialektik dieses Phänomens legt – was Hemmerle durch die Perichorese übersetzt. In der kleinen Schrift Hemmerles klingen einige Passagen aus Welte wieder an, wie beispielsweise die Weite der Liebe, die in der einzigen Bewegung eines Du gegenüber allen anderen besteht, »jedes Menschenantlitz«, genauso wie die Bestätigung eines Guten im Du, das mir in unmittelbarer Weise – also ohne über weitere Überlegungen und Akte der Kenntnisnahme zu gehen – erscheint und mich affiziert. Des Weiteren findet das perichoretische Verhältnis nach Hemmerle Nahrung nicht nur in der Dialektik der welteschen Liebe, sondern auch konkret in einer Metapher, mit der er sie definiert: Die Liebe ist ein Ring, der zwei Extreme zusammenfügt und verbindet 14. Der kurze Essay Hemmerles bietet keine große Reflexion über die Liebe als solche, sondern er zeigt eine bestimmte relationale Dynamik der Liebe mit der Wahrheit auf. Es sind lediglich Impulse, die manche Fragen offen lassen: Ist die Liebe auch perichoretisch, wenn sie auf ein Selbst gerichtet ist? Wie erklärt sich dieses perichoretische B. Welte, Dialektik der Liebe. Gedanken zur Phänomenologie der Liebe und zur christlichen Nächstenliebe im technischen Zeitalter, Josef Knecht, Frankfurt a. M. 1984. 14 Vgl. ebd., 43. 13

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Verhältnis in »asymmetrischen« Beziehungen, beispielsweise zwischen Kindern und Eltern? Was motiviert das Lieben, wenn es wiederholt nicht erwidert wird? 15 Es wäre eine Erwartung, die fehl am Platze wäre, dies und anderes von Hemmerle zu verlangen, auch weil er uns nach meiner Auffassung mit etwas anderem konfrontiert: Liebe und Wahrheit sind nicht in erster Linie als Phänomene an sich zu betrachten; weit mehr repräsentieren sie zwei Perspektiven, die für Hemmerle zusammengehören und die er in seinem ganzen Leben versucht hat, zutiefst ins Gespräch miteinander zu bringen, das heißt Philosophie und Theologie. In den ersten Aussagen des Textes klingt das an, wenn Hemmerle bekennt, er sei zu dieser Reflexion bewegt worden durch das wachsende Interesse am theologischen Phänomen der Perichorese, das er mit dem vorgeschlagenen Thema für den Sammelband verbindet, für den er schreibt. Die Perichorese weist auf das Innewohnen der drei göttlichen Personen, eine in der anderen; es ist ein Innewohnen, das Dynamik der Liebe ist; auf der anderen Seite ist die Wahrheit die zentrale philosophische Kategorie. Das intrinsisch perichoretische Verhältnis der beiden Phänomene – Liebe und Wahrheit – aufzuzeigen, gestattet also, jenes Zwischen zu schaffen, das in beiden Extremen verortet ist, obwohl sie in sich weder das eine noch das andere sind, einen Ort der Zusammengehörigkeit, der sagt, wie sehr Philosophie und Theologie einander brauchen, obwohl jede in sich unterschieden und autonom bleibt. Sie bedürfen einander in einem solchen Maße, dass jede von beiden umso mehr sie selbst ist, je mehr sie sich in die andere hineinversetzt, in der Haltung der Anerkennung ihres bonum.

Markus Enders kritisiert das Gelingen eines Verständnisses der Liebe als perichoretisch, zumal Hemmerle dieses Merkmal auch der einseitigen Liebe als der nicht erwiderten Liebe zuschreibt. Vgl. M. Enders, Il rapporto pericoretico tra verità e amore: un modello appropriato per definire il rapporto tra filosofia e teologia?, in: V. Gaudiano/A. Clemenzia (Hg.), Sulla soglia tra filosofia e teologia, ebd., 53–72.

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VII. Individualität und Gemeinschaftlichkeit: Pole einer menschlich-göttlichen Dynamik

A. Zur Einführung Person und Gemeinschaft – eine philosophische und theologische Erwägung wurde von Hemmerle erarbeitet anlässlich einer Festschrift zum 65. Geburtstag von Anton Rauscher, die 1993 veröffentlicht wurde. Dem folgte die Publikation im dritten Band der Ausgewählten Schriften. Anton Rauscher ist ein Jesuit (Jahrgang 1928), der Theologie sowie Wirtschaftswissenschaften und christliche Sozialwissenschaften studierte; er war bis zu seiner Emeritierung Ordinarius an der Augsburger Universität. Sein intellektuelles Engagement galt in besonderer Weise der christlichen Soziallehre, über die er mehrere bedeutende Werke verfasste. Sein Engagement richtete sich immer auf Fragen der Kirche und Gesellschaft. Über viele Jahre arbeitete Rauscher im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK) sowie auch für die Deutsche Bischofskonferenz und weitere Gremien. Da Rauscher hin und wieder ziemlich konservative Auffassungen vertrat, war Hemmerle nicht immer seiner Meinung, aber die Tatsache, dass er sich an dieser Sammlung von Schriften zu Rauschers Ehren beteiligte, kann man als Zeichen einer für Hemmerle typischen Haltung werten, nämlich der Bemühung, die Tür immer für alle und alles offen zu halten, auch ohne bestimmte Sichtweisen vollständig zu teilen. Diese Schrift gehört, obwohl sie unmittelbar durch die Anfrage nach einem Beitrag zu jener Sammlung sowie aus dem Antrieb veranlasst war, der aus seinem Wirken und Denken stammt – die Person in den Mittelpunkt zu stellen –, zu einem viel weiteren und recht diffusen Diskurs im philosophischen und theologischen Bereich. Gleichwohl sind von vornherein die beiden Worte in der Überschrift ins Licht zu rücken, die Gegenstand der hemmerleschen Reflexion sind. Das Konzept der Person ist zwar nicht direkt Gegenstand seiner Forschung und Reflexion, wie es hingegen wohl die Gemeinschaft ist, ja, 288

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VII. Individualität und Gemeinschaftlichkeit

man kann letztere durchaus als Schlüsselkonzept des Denkens und pastoralen Handelns Hemmerles betrachten. Unter den zahlreichen Begriffen – bedeutungsstark, nicht nur konzeptionell – sei hier an das Wort Weggemeinschaft 1 erinnert, das Hemmerle häufig verwendete. Die Vorstellung, die sich mit diesem Begriff verbindet, ist in besonderer Weise eine gemeinschaftliche Dimension – und die erfordert immer Personen, die sich auf den Weg machen, das heißt, die nicht in einer Situation gegebener Sicherheiten verharren, sondern wissen, dass sie sich auf den Weg machen müssen und nichts für einfach gegeben halten dürfen.

Dabei meinte Hemmerle die Gemeinschaft der Menschen seiner Diözese, die auf seine Einladung eingegangen waren, sich alle gemeinsam auf den Weg zu machen, das Wort Gottes zu leben und sich über ihre Erfahrungen auszutauschen (hauptsächlich durch Briefe). Wie Hagemann berichtet, lud der Bischof einmal im Jahr seine Mitchristen zu einer Begegnung ein. Beim ersten Mal kamen etwa 300 Personen aus dem Bistum. Vgl. W. Hagemann, Verliebt in Gottes Wort, ebd., 108 f.

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Person und Gemeinschaft (a) – eine philosophische und theologische Erwägung

Anton Rauscher rückt die Person in die Mitte seines Denkens und Arbeitens auf dem Feld der christlichen Soziallehre. Wie dringend es ist, diesen Ansatz zu wählen, ihn in sich zu klären und die entsprechenden Konsequenzen aus ihm zu ziehen, steht außer Zweifel. Um Anton Rauscher und seinen Beitrag zu dieser uns allen aufgegebenen Sache zu würdigen, legt es sich nahe, ihm Erwägungen zu widmen, die, auf anderen Denkwegen erwachsend, in dieselbe Mitte zielen. In dieser Perspektive sind die nachfolgenden Bemerkungen zum Thema »Person und Gemeinschaft« zu lesen, deren sieben Schritte mehr an Türen hinführen, als daß es in solchem Kontext bereits möglich wäre, diese Türen zu öffnen und gar die Räume auszuleuchten, die hinter ihnen einladen.

Das von Hemmerle verwendete Wort Gemeinschaft lässt einen Interpretationsspielraum, denn einerseits gibt dieser Ausdruck wieder, was wir Gemeinschaft nennen, womit wir im Allgemeinen ein Zusammensein von Personen aufgrund einer besonderen Verbindung meinen – eine Familie, eine religiöse oder akademische Gemeinschaft –, andererseits weist es auf communio, das heißt auf eine innere und intentionale Verbundenheit zwischen den Personen, die keines gemeinschaftlichen »Statuts« bedarf. Die Gemeinschaft ist das In-Beziehung-Sein mit dem anderen, wer immer das ist. Hemmerle gebraucht diesen Terminus mit beiden hier genannten Bedeutungen, obwohl es einen Text gibt, der mit dem Begriff Communio betitelt ist: Dabei unterstreicht Hemmerle die Verbindung zwischen Communio und Trinität (vgl. K. Hemmerle, Communio als Denk- und Lebensweise, in: Biemer G./Casper B./Müller J. (Hg.), Gemeinsam Kirche sein. Theorie und Praxis der Communio, Sonderdruck 1992, Herder, Freiburg i. Br. 77–89). Man kann jedoch sagen, dass er die Bedeutung im Sinne von communio bevorzugt, zumal sie sehr präsent ist und einen hohen Stellenwert hat bei Chiara Lubich und in der von ihr gegründeten Bewegung, die den geistlichen und intellektuellen Weg des Bischofs von Aachen beseelt hat.

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Person und Gemeinschaft – eine philosophische und theologische Erwägung

I.

Erster Schritt: Die Frage nach Person und Gemeinschaft

Wer Gemeinschaft sagt, sagt Person. Wie steht es mit dem Umgekehrten: Sagt, wer Person sagt, auch Gemeinschaft? So vielfältig der Gebrauch des Wortes Gemeinschaft ist, so deutlich eignen ihm doch einige konstitutive Momente, ohne die das Sprechen von Gemeinschaft seine Kontur verlöre. Gemeinschaft ist nicht bloße Vielheit von Individuen, die durch dieselbe Gattung oder Art zusammengehalten werden. Gemeinschaft hat zwar Voraussetzungen im Wesen derer, die sie bilden, das aber, was sie bildet, erschöpft sich nicht im Wesen oder in der Natur. Gemeinschaft ist ebenfalls nicht die Konstitution eines einzigen Subjektes, in dem das Subjektsein jener, die sie bilden, verschwände. Die Einheit, die in Gemeinschaft geschieht, ist eine Einheit in Unterschiedenheit; die Worte Gemeinschaft und Kollektiv lassen sich in achtsamem Sprechen nicht miteinander vertauschen. Worin besteht dann aber das Einende von Gemeinschaft? Eine große Bandbreite von Möglichkeiten tut sich hier auf; das Wort Gemeinschaft läßt sich mit schier beliebig vielen spezifizierenden Worten zusammensetzen. Es muß zunächst fragwürdig erscheinen, wenn gesagt wird: Die Gemeinschaft gründenden und bestimmenden Momente haben es allesamt mit der Freiheit der Partner zu tun. Gibt es nicht Schicksalsgemeinschaft, Blutsgemeinschaft, Notgemeinschaft? Doch auch und gerade dort, wo keineswegs durch Wahl entsprungene Gemeinsamkeiten den Hintergrund für Gemeinschaft bilden, sagt das Wort Gemeinschaft als solches aus, daß durch dieselbe Vorgabe eine Herausforderung an die Freiheit der Partner erfolgt, sich in das Verhältnis zur objektiven Gemeinsamkeit zu begeben, sie als Verbindendes wahrzunehmen und ernstzunehmen. Tragen wir die beobachteten – für eine Wesensbestimmung von Gemeinschaft noch keineswegs genügenden – phänomenalen Momente zusammen, die zumindest im Begriff von Gemeinschaft enthalten sind und sie mitkonstituieren, so bemerken wir: Gemeinschaft hat keinen bloß wesensmäßigen, sondern einen existentiellen, geschichtlichen Charakter. Sie ist Einheit zwischen vielen Subjekten, die in ihrem Subjektsein nicht in die Gemeinschaft hinein nivelliert werden; sich zum Selben verhaltend, verhalten sie sich vielmehr zueinander, bleiben somit unterschieden. Sich verhalten aber ist Sache der Freiheit. Gemeinschaft ist als solche Gemeinschaft von freien Partnern, die, sich zu einem Gemeinsamen verhaltend, sich zu sich Verdankendes Denken

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Person und Gemeinschaft – eine philosophische und theologische Erwägung

selbst und zueinander verhalten. Wir fragten bislang noch nicht danach, wie denn Person zu verstehen sei; dennoch ist unschwer auszumachen, daß die Kennzeichen der Partner von Gemeinschaft dem Vorverständnis von Person entsprechen. Wer Gemeinschaft sagt, der sagt in der Tat auch Person. Die schon eingangs erwähnte Gegenfrage bleibt so aufgegeben: Sagen wir, Person sagend, auch Gemeinschaft? In diese Frage wollen uns die nächsten Schritte unseres Nachdenkens hineingeleiten.

II.

Zweiter Schritt: Der theologische Hintergrund des Personbegriffs und sein latenter Gemeinschaftsbezug

Wir versuchen eine Annäherung an den Personbegriff nicht, wie im Falle des Begriffes Gemeinschaft, phänomenologisch, sondern in einem freilich sehr summarischen Sinne geschichtlich. Dies hat sachliche Gründe. Das Wort Gemeinschaft wächst uns zu aus einem allgemeinen Sprachgebrauch, der – wie der Blick in unterschiedliche lexikalische Literatur bestätigt – kaum mit einer von langer Hand her faßbaren begrifflichen Arbeit verbunden und durch sie differenziert ist. Das Wort Person ist, vom griechischen »prosopon« und vom lateinischen »persona« zwar durchaus in einem vor- und unphilosophischen Sinn von Gestalt, Rolle, einzelnem Menschen als Akteur in die deutsche Sprache gekommen – die philosophischen Implikationen eines solchen Gebrauches mögen hier einmal auf Seite bleiben; doch läuft abgehoben davon die philosophische und theologische Ausarbeitung des Personbegriffs (b) in einer eigenen Bemühung, wie es sie parallel für das Wort Gemeinschaft nicht gibt. Der Blick in die Geschichte dieser philosophischen und theologischen Bemühung überrascht indessen. Wir dürfen sagen: Person ist ein Hauptbegriff der Anthropologie, der Ethik, des verantwortlichen Sprechens und Nachdenkens über gesellschaftliche Zusammenhänge geworden. Die reflexive Ausdrücklichkeit des Sprechens von Person im heute uns gängigen Sinne setzt aber erst verhältnismäßig spät ein; der Personbegriff ist nicht die Wurzel, eher die Bekrönung jener gedanklichen Arbeit, die auf der Zum Konzept der Person in der Geschichte des philosophischen Denkens vgl. V. Berning, Die Idee der Person in der Philosophie. Ihre Bedeutung für die geschöpfliche Vernunft und die analoge Urgrunderkenntnis von Mensch, Welt und Gott, Schöningh, Paderborn-München-Wien-Zürich 2007.

(b)

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Basis der griechischen Philosophie im Abendland Wesen und Existenz des Geistigen klärte. Dabei ist von besonderem Belang, daß der Anlaß zur Erarbeitung des Personbegriffs ein theologischer war, und dies in zwei Zusammenhängen, die ihrerseits wieder miteinander verknüpft sind. Christologie und Trinitätslehre sind die Punkte, die zur denkerischen Entwicklung des Personbegriffs führten.

1.

Christologie

In Jesus Christus schenkt Gott nicht etwas von sich, sondern sich, er ist als Gott da, unvermischt, unverkürzt. Er selbst will ganze Gemeinschaft mit uns haben. Dazu gehört aber, daß nicht nur er als er selber ganz inne ist in diesem Christusgeschehen, in dieser Christuswirklichkeit, sondern auch wir, unser Menschsein sind in ihm unverkürzt, unvermischt zugegen. Dann aber können in Jesus Christus nicht ein göttliches und ein menschliches Selbstverhältnis nebeneinander stehen, sondern der sich zu seinem Gottsein und zu seinem Menschsein Verhaltende ist Einer. Die Lehre von der einen göttlichen Person des Sohnes in ihren zwei Naturen, der göttlichen und der menschlichen, wird zum Punkt, an dem in einem mühsamen und keineswegs nur geradlinig verlaufenden Ringen der Personbegriff (c) als solcher erbildet wird. Das Interesse ist nicht das einer Gedankenspielerei, sondern gilt dem gemäßen Verständnis jener Gemeinschaft, die Gott mit uns Menschen in Jesus Christus hat und haben will.

2.

Trinitätslehre

Diese theologische Präzisierung des Personbegriffs in der Christologie kann aber gar nicht statthaben, ohne daß in einem Atem im Verhältnis von Vater, Sohn und Geist die entsprechende Klärung des Personseins geschieht: in der Trinitätslehre (d) also. Die einschlägigen Zum Konzept der Person im theologischen Bereich vgl. Stichwort Person, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 8, Person bis Samuel, Herder, Freiburg – Basel – Wien 32006; über die christlichen anthropologischen Implikationen des Konzepts vgl. T. Schneider (Hg.), Handbuch der Dogmatik, Bd. 2, Patmos, Düsseldorf 21995, 543– 556. (d) Hinsichtlich der Frage nach den innertrinitarischen Beziehungen und den Auswir(c)

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Denkbemühungen setzen sich fort bis hinein in das hohe Mittelalter; Thomas von Aquin und Bonaventura, aber auch Duns Scotus tragen Wichtiges dazu bei. Auch hier sei nicht so sehr die immanente spekulative Arbeit in unserem Blick als vielmehr das leitende Interesse: Wie kann die absolute Einheit, Einmaligkeit und Einfachheit Gottes gedacht werden in der Freiheit der Personen, die absolut gleich, miteinander eins und voneinander unterschieden sind? Die Einheit Gottes ist da in einer immanenten Beziehung, sein absolut eines und einziges Wesen im gegenseitigen Schenken und Beschenktwerden, sich schlechterdings in sich selber schließend und so gerade offen zur Selbstmitteilung. Dieser trinitarische Personbegriff ist ebensoweit entfernt von dem Gedanken des Tritheismus, also der drei Götter, wie von einem Gottesbegriff, der sich an der endlichen Einzelperson orientierte und ihr das Spiel dreier Rollen zuwiese (Sabellianismus (e), Modalismus (f)). So wenig also die Trinität einfach im Paradigma einer menschlichen Gemeinschaft aufgeht, so tief muß doch das sowohl Person wie Gemeinschaft Konstituierende von seinem trinitarischen Woher verstanden und in Blick genommen werden. Hier sind theologische und anthropologische Aufgaben, die, in Treue zur großen Tradition und ihrem frappierend genauen Ansatz, doch auf neuen Denkwegen anzugehen sind. Wir können unseren zweiten Gedankenschritt dergestalt zusammenfassen: Der Anlaß zur Ausbildung des modernen Personbegriffs liegt im verantworteten Verstehenwollen jener ganzen Gemeinschaft kungen des Konzepts der Person auf sie vgl. P. Coda, From Trinity. The Coming of God in Revelation and Theology, a. a. O. (e) Der Sabellianismus, eine Strömung des Denkens, die sich im 4. Jahrhundert verbreitete und auf den Priester und Theologen Sabellius zurückging, basierte auf einer streng monotheistischen Konzeption, sodass Gott als Monade aufgefasst wurde, die sich in drei unterschiedlichen und aufeinanderfolgenden Erscheinungsformen (Personen) präsentierte: dem Vater im Alten Testament, dem Sohn in der Inkarnation und dem Heiligen Geist am Pfingstfest (vgl. Stichwort Sabellius, in: W. Kasper (Hg.), Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 8, Herder Verlag, Freiburg i. Br. 2006, 1408). (f) Der Modalismus ist eine Trinitätslehre (3.–4. Jh. n. Chr.), die sich durch Noëtos von Smyrna verbreitete, wonach sich Gott – der alleinige Gott – in unterschiedlichen Weisen manisfestiert: als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Es handelte sich um einen Zugang zur trinitarischen Frage, der in kirchlichen Kreisen breite Zustimmung fand, weil er eine Lösung für das trinitarische Problem bot, die die Einheit Gottes und gleichzeitig die Göttlichkeit Christi wahrte, weil sie nicht klar vom Vater unterschied, da es ein einziger Gott war (vgl. Stichwort Modalismus, in: ebd., Bd. 7, 356).

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Gottes mit dem Menschen, in die Gott sich als Gott ganz einbringt und in der wir als Menschen ganz von ihm und in ihm angenommen sind. Dies heißt aber, daß die eine göttliche Person des Sohnes, ihre göttliche Natur wahrend, die menschliche Natur annehmen kann, daß göttliche und menschliche Natur also in der einen göttlichen Person zu subsistieren vermögen. Darin freilich ist eingeschlossen, daß der Sohn, seine göttliche Person, sich von jener des Vaters und des Sohnes als Person unterscheidet, in solcher Unterscheidung aber diese drei Personen der eine und einzige Gott sind. Die darin mitgesetzten Konsequenzen für menschliches Personsein sind in diesem Denken angelegt, aber in ihm allein noch nicht entfaltet. Welche Chancen und Schwierigkeiten einer reflexiven Erfassung des Zusammenhangs Person und Gemeinschaft das bislang entworfene Denken in sich birgt, soll uns bei den nächsten Schritten unseres Weges ansichtig werden.

III. Dritter Schritt: Fragwürdigkeit des Zusammenhanges von Person und Gemeinschaft im klassischen Personbegriff Der initiierende und bis heute durchtragende Versuch, Person begrifflich zu fassen, stammt von Boethius: »Persona est naturae rationalis individua substantia« 1. An dieser Stelle unseres Gedankenweges geht es uns nicht um die Auslegung der Formel, sondern um den Hinweis darauf, daß diese anfängliche und dann leitend gebliebene Prägung des Personbegriffs auf das Selbstsein und nicht auf das Mitsein zielt. Der Personbegriff ist in seiner Anlage also nicht auf Gemeinschaft hin gelesen, sondern gerade auf den Stand in sich, das SichSchließen in sich selbst. Dies wird in der weiterführenden Ausarbeitung des Personbegriffs in der Scholastik eher noch verschärft, wenn Thomas von Aquin Person etwa 2 als »incommunicabilis subsistentia« bezeichnet. Das steht, konsequent weitergedacht, freilich nicht im Gegensatz zu der im zweiten Schritt gezeichneten theologischen Intention, aus welcher der Personbegriff heraus entfaltet wird. Denn nur der Stand in sich, nur die Unterscheidung vom anderen läßt Gemeinschaft zu, konstituiert Partnerschaft in ihr. Die Kommunikation

1 2

Boethius, Contra Eutychen et Nestorium, c. 3. Thomas von Aquin, 1 Sent. 30.

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mit dem anderen wird nur dadurch gewährleistet, daß der Kommunizierende sich nicht in den Partner hinein auflöst. Kommunikation und in und mit ihr Gemeinschaft »brauchen« die Eigenständigkeit und Unterscheidung gegenüber dem Partner, sie brauchen aber auch die Unterschiedenheit dieses Partners in sich von dem, was diesem mitgeteilt, worin mit diesem kommuniziert wird: Unterscheidung von Person und Person, Unterscheidung von Person und Wesen. Eine Verschärfung der Inkommunikabilität von Person und der Betonung von Substanz bzw. Subsistenz in sich scheint auf im Satz des Thomas: »Excluditur a persona ratio assumptibilis« 3. Eine Person kann nicht als Person von einer anderen »angenommen« werden, so wie die Natur des Menschseins von der Person des Sohnes angenommen worden ist. In aller Kommunikation bleibt Person in sich selbst bestehen. Hiermit ist eindeutig ausgedrückt, daß Person nicht ein kommunikables Gut ist, das ontisch (g) der andere werden kann. Freilich klingt gerade in dem Ton, der auf dem »assumere« liegt, im Annehmen und In-sich-Nehmen also, zugleich mit, daß solches Stehen in sich und Sich-Unterscheiden der Ort ist, in dem das, was des anderen ist, auch mein zu werden vermag. Die Person ist zwar das, was ihr Wesen ist; sie ist das Da und Daß der Geistnatur. Aber sie ist nicht Geistnatur, sondern eben ihr Dasein. Und dieses Dasein, das sich nicht in seine eigene Natur hinein auflöst, sondern zu ihr verhält, indem es sich über sich hinaus verhält, kann der Ansatzpunkt sein, um in einem nächsten Schritt die Formel des Boethius und ein auf sie gründendes Denken im Blick auf Gemeinschaft neu zu lesen. Die Problematik eines Denkens bloß von der Substanz her für das Verständnis von Person sei nicht geleugnet, aber es gilt, zuerst und zunächst in die innere Tiefe dieses Substanzdenkens einzudringen. Dies gilt auch für die vielleicht schärfste Formulierung, die uns die mittelalterliche Philosophie im Nachdenken über die Person beschert. Bonaventura spricht in Blick auf Personalität von einer »privatio communitatis«, bemerkt aber hierzu: »Privatio illa in persona magis est positio quam privatio.« 4 Für Bonaventura bedeutet solche positive »privatio« den Ausschluß einer Reduktion von Person auf

3 4

(g)

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Thomas von Aquin, S.th.I., q29, a.1, ad2. Bonaventura, 1 Sent. d. 25, a2, q. 1 concl. (I, 443). Vgl. oben, Anmerkung d) in: Trinität und Zeit, 161.

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Allgemeinwesen, aber so gerade die Öffnung in eine durch Beziehung ausgezeichnete Fülle der Einheit 5.

IV. Vierter Schritt: Die Öffnung der Subsistenz in sich zur Kommunikation Die Formel des Boethius und ihr folgende, teilweise präzisierende Formeln bei den Scholastikern können, ja müssen in doppelter Richtung gelesen werden. Dies wird exemplarisch deutlich an einer Bemerkung von Thomas von Aquin: »… persona significat id quod est perfectissimum in tota natura; scilicet subsistens in rationali natura.« 6 Hierbei kommt das Wort Natur in zwei Bedeutungen vor. Am Schluß, als »rationalis natura« im bei Thomas üblichen Sinne, nämlich gleichsinnig mit Wesen, essentia, aber akzentuiert als Prinzip jenes Wirkens, das mit dem Sein unmittelbar verbunden ist und aus ihm folgt. Doch der Gebrauch des Wortes Natur im ersten Halbsatz hebt sich davon ab, hier ist offenbar die Gesamtheit des Seienden gemeint. Die Vorstellung des Seienden ist jene der »physis«, der Entfaltung, des Aufgangs des Seins in die Fülle seiner Wesenheiten und Arten hinein. Dieses Gesamt, das in naturhafter Gliederung angeschaut wird, gipfelt im Geist, genauer in der Person, die die in sich stehende Existenz eines Seienden meint, dessen Wesen eben Geist ist. Person wird in diesem Ansatz nicht von Geschichte, Verantwortung, Kommunikation, Gemeinschaft her gelesen, sondern von Natur, von einem Sein her, das in sich unterscheidende genera und species gegliedert ist. Wo dieses Grundverständnis des Seins vorherrschend ist, da läßt sich ontologisch kaum ein Verbindungsweg zwischen Personalität und Gemeinschaft vermuten. Es gibt aber eine zweite Sichtweise, die bei der inhaltlichen Füllung dessen ansetzt, was als die rationalis natura erscheint. Dieses Geistwesen (rationalis natura) geht nicht darin auf, eine Seinsweise neben anderen Seinsweisen zu bezeichnen, im gesamten Kosmos des Seins (in der Natur als dem alles, was ist, Umfangenden) eine Region neben anderen Regionen des Seins zu umschreiben; vielmehr geht es beim Geistwesen um das Sein als solches, um das Sein im ganzen. Es Bonaventura, collationes in Hexaemeron, XI, 8 und seine Überlegungen zur Einheit als indivisio. 6 Thomas von Aquin, S.th.I, q29, a.3. 5

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besetzt nicht nur einen umgrenzten Bereich auf der Landkarte des Seienden, vielmehr ist sein Bereich die Landkarte im ganzen. Was etwa Thomas von der »anima«, von der Geistseele des Menschen sagt, erhellt – bei aller fälligen Distinktion zwischen Seele, Person und Geistwesen – inhaltlich das Geistwesen als solches. Die anima ist »nata« (also von ihrer Natur her angelegt darauf), mit allem, was ist, übereinzukommen. Sie ist in diesem Sinne »gewissermaßen alles« 7. Es gehört nicht nur zur menschlichen Seele, sondern zur Geistnatur als einer solchen, daß das Sein als Sein in den Blick kommt, daß alles unter der Hinsicht auf das Sein selber gesehen, gewollt, ergriffen, vollzogen wird. So aber ist der »Anteil« der Geistnatur das »Ganze«, das sie Unterscheidende die universale Einschließlichkeit. Es versteht sich von selbst, daß hiermit keineswegs eine ontische Vereinnahmung aller Seienden für die Geistnatur erfolgt, ganz im Gegenteil. Indem alles, was ist, in seinem Sein gesehen und bejaht wird, indem von dort aus der Wahrheits- und Gutheitsvollzug in Gang kommt, ist ja zugleich ein Gegenübersein zu allem, was ist, begründet, das nicht untergeht, indem z. B. die Seele »alles« ist. Die Geistnatur kann subsistieren nur in der Person. Die Person aber, die kraft der in ihr subsistierenden Geistnatur alles in ihren eigenen Horizont einbezieht, ist ihrerseits der Selbstand des geistig Seienden, somit der Grund des Gegenüberseins zu allem, was ist. Das »convenire«, die wesensmäßige Verbundenheit mit dem, was ist, die Einung mit dem Seienden und seinem Sein hat in der Person zugleich den Charakter der Unterscheidung. Geistnatur ist also bestimmt durch den untrennbar einen Bezug zum Sein, zu allem, zu sich selbst. Im Lichte des Seins nämlich ist alles im Blick und ist der Blick auf alles sich selbst im Blick. Der Vollzug der Geistnatur, ihr Ort, in dem sie stehen und bestehen kann, ist die Person. So rücken, tiefer betrachtet, in den Aussagen des Boethius, des Thomas und der anderen großen Denker, die zwischen den trinitarischen und christologischen Auseinandersetzungen der frühen Kirche und dem Hochmittelalter das Verständnis der Personalität entfaltet haben, die beiden Charaktere der Ausschließlichkeit und Einschließlichkeit von Person in einen unmittelbaren, sich gegenseitig bedingenden Kontext. Weil die Person nicht von einem anderen aufgenommen und übernommen werden kann, sondern in sich selber steht, steht sie zu allem, steht alles in ihr; weil ihr der Bezug zu allem aus dem Bezug zum Sein her eignet, steht sie 7

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Vgl. Thomas von Aquin, De ver., q1 a1.

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zu sich selbst in Bezug und somit allem gegenüber. In dieser Verfaßtheit aber eröffnet sich eine Annäherung zwischen Person und Gemeinschaft. Das Bedenken ihres inneren Zusammenhanges gewinnt einen Ansatz.

V.

Fünfter Schritt: Personalität – Universalität – Interpersonalität

Die Konvenienz, das »Zusammenkommen« von Seele und Sein, von Seele und Universalität, ist im Sinne scholastischen Denkens zum einen kein bloß subjektiver Prozeß ohne allgemeine Verbindlichkeit, ohne ontologischen Rang; zum anderen – und darauf legt Thomas immer wieder Wert – darf dieser Prozeß nicht gedeutet werden als ein Vollzug, der nicht der einzelnen Person angehörte, sondern einer Allseele, einem einzigen »intellectus agens« im ontisch-numerischen Sinn. Es handelt sich um allgemeine, objektive Erkenntnis und um ein Streben, das vom wahrhaft Guten geleitet ist und es zu ergreifen vermag; doch ist der Akt des Erkennens und des Wollens der Akt des je einzelnen, der Akt der Person, die eben individuale, inkommunikable Subsistenz einer Geistnatur bedeutet. Es ist also nicht der Fall, daß einzelne mit Geistnatur begabte Seiende sich ihre jeweiligen Bilder machen und Ziele suchen, die nicht an der Sache selbst, am wahrhaft Wahren und wahrhaft Guten zu bemessen wären. Es geht im Vollzug der einzelnen Personen in ihrer unvertretbaren Einmaligkeit um das wahrhaft Wahre und Gute, um das Sein selbst, das über den Rang der jeweiligen Individualität hinausreicht. Anderseits ist es aber auch nicht der Fall, daß dieses Wahre und Gute, daß das Sein in den einzelnen geistbegabt Seienden sich selber in einer Art Automatik und Egalität abbildeten und einprägten, vielmehr ist ein vielfältiger Selbstvollzug der einzelnen Personen der Weg, auf dem sich Übereinkunft im wahrhaft Wahren und Guten vollzieht; und solche Übereinkunft vollzieht sich von der je einzelnen Person her, aber eben dergestalt, daß die einzelne Person sich am Sein, am Wahren und Guten selber orientiert, von ihnen her, von ihrer Gegebenheit her denkend, wollend, handelnd. Damit aber ist unausweichlich Zusammenkommen, Konvenienz zwischen Geistnatur und Sein (das Wahrheit und Gutheit umschließt) in personalem Vollzug auch Zusammenkunft zwischen personalen Vollzügen, die sich unterscheiden und dennoch dasselbe, eben das Sein des Seienden, Verdankendes Denken

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seine Wahrheit und Gutheit vollziehen. Die Individualität des personalen Vollzuges vollzieht die Universalität des Seins, und in dieser Universalität der Geltung des Wahrheits- und Gutheitsvollzugs ist zugleich Interpersonalität, Gemeinschaft von Personen angelegt. Sie ist in nuce mitgegeben mit der Personalität. Was aber bedeutet solche Interpersonalität als Kennzeichen von Personalität?

VI. Sechster Schritt: Interpersonalität als Einung und Unterscheidung Halten wir fest: Person ist die Subsistenz, der seinshafte, konstitutive (nicht notwendigerweise faktisch je realisierte und bewußte) Vollzug (Seinsakt) der Geistnatur; diese Geistnatur aber umspannt (als Natur, als Wesen) das Verhältnis zum Sein, somit aber zu allem und somit zu je sich selbst. Daraus nun folgt: Personen kommen kraft ihrer Geistnatur (wieder in einem konstitutiven, nicht jeweils notwendig vollauf realisierten Sinne) von sich aus überein mit dem, was von sich her ist und, im Ansatz, wie es ist. Damit aber ist in der seinshaften Unterschiedenheit der Personen ihnen zugleich aufgrund ihrer Geistnatur auch der Bezug zum Selben, zum Sein, zum Ganzen, zu jeweils sich selbst zu eigen. Aus diesen Verhältnissen nun läßt sich erschließen, daß sie, zum Selben sich verhaltend, sich auch zueinander verhalten, und zwar so, daß in diesem Verhalten auch die Unterscheidung voneinander präsent und keineswegs nivelliert ist. Wir haben es hier also mit einer erschlossenen Interpersonalität zu tun. Interpersonalität ist in dieser Betrachtungsweise nicht unmittelbar angeschaut, sondern eben als Konsequenz ermittelt, der freilich in der Begegnung eine unmittelbare Intuition entspricht. Bleiben wir im Feld solcher erschlossener Interpersonalität. Wir nehmen zwei an ihr ablesbare Eigentümlichkeiten in den Blick. Die erste betrifft die Ebene der Beziehung zwischen Personen. Sofern eine Person sich auf Seiendes bezieht, dem nicht oder sofern ihm nicht ein Geistwesen eignet, ist die Beziehung zwischen der Person und diesem Seienden von seiten der Person und von seiten des Seienden her jeweils fundamental verschieden. Während das Sein des Seienden als solches eingeht in die Beziehung der Person zu diesem Seienden, ist das Sein des Seienden und somit das Sein der Person als Person im Vollzug des Seienden, in seiner Beziehung zur Per300

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son nicht gegenwärtig. Wenn hingegen Personen in der Offenbarkeit ihres Personseins einander begegnen, dann tritt die Beziehung der einen zur anderen und der anderen zur einen wechselseitig und gemeinsam ins Licht. Wechselseitig und gemeinsam: Es bleibt nicht bei einer Addition in sich wesensmäßig gleicher, aber einander nicht betreffender Bezüge. Es kommt vielmehr zu einer Einheit, welche die Pole der beiden Bezüge, die Personen und ihre je eigene Beziehung zur anderen nicht ineinander auflöst, sondern sie in einen einzigen lichten Zwischenraum (es geht ums Selbe, es geht ums Ganze, es geht um dich und mich) einfügt; in dieser Einfügung aber wird gerade die Unterscheidbarkeit und Unterscheidung gewährleistet, es wird in diesem lichten Zwischenraum die Pluralität der Bezüge in ihrer Einheit miteinander hell. Eine zweite Eigentümlichkeit betrifft die Kommunikation der unterschiedenen und in ihrer Unterschiedenheit aufs Selbe bezogenen, im Selben füreinander hellen Personen. Weil die Geistnatur in Personen subsistiert, können sie in einem fundamentalen Sinn miteinander sprechen, sie sind der Namen und Begriffe fähig. Was die Sache in sich bezeichnet, das kann sie für mich und dich bezeichnen, Worte können gemeinsame Worte werden, Sprache, in der dasselbe gegenwärtig ist und mir gleichzeitig die »anderen« als Partner gegenwärtig sind. Sprache ist Ausdruck zugleich der Sache, die sich in die Seinsbezogenheit der Personen als sie selbst hineingibt, wie auch Ausdruck der Personen in ihrer Eigenheit und Selbstgehörigkeit. Doch muß dieser Blick auf die ontologische Genese von Sprache aus dem Sein und der Person sich auf einen dritten Pol hin öffnen: Sprechen als je mein Sprechen setzt nicht beim Nullpunkt an, sondern bei der von anderen Personen bereits zugesprochenen und von ihnen mitgesprochenen Sprache. Zwar kann diese Beziehung nicht aus dem Personbegriff abgeleitet werden, sofern dieser bei der natural verstandenen Geistigkeit ansetzt – oder doch? Jedenfalls gehört zur Geistnatur die Fähigkeit, das Sich-Zeigen und somit Sich-Mitteilen dessen, was ist, zu empfangen und mitzuvollziehen. Zum Sein dessen, was ist, gehören aber auch die Sprachlichkeit und sprachliche Geprägtheit der anderen Personen als höchste Weise des Sich-Zeigens und Sich-Mitteilens von Person als Person. Sprachlichkeit ist dem Geistwesen eingeschrieben als Möglichkeit des gegenseitigen Austauschs der Personen über das Sein und im Sein. Eine ontologisch verstandene Sprachgemeinschaft ist der Punkt, an dem beim Ausgang vom klassiVerdankendes Denken

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schen Personbegriff Gemeinschaft als zugehörig zur Personalität in den Blick kommt. Sprechen heißt im Ansatz: miteinander sprechen, auch dort, wo dieses Sprechen miteinander nicht aktualisiert wird. Die Einheit in der Unterscheidung, die grundsätzliche Freiheit des Sich-Einbringens der Partner, die Bezogenheit aufs Selbe, somit aber Wesensmerkmale von Gemeinschaft, tragen sich der Interpersonalität ein, wenn sie sich auf Sprache hin auslegt. Mit dieser Bemerkung ist freilich die leitende Eingangsfrage erst in einem recht anfänglichen Sinne beantwortet: Sagt, wer Person sagt, auch Gemeinschaft? Ein weiterer Schritt soll die Einsicht in den Zusammenhang zwischen Person und Gemeinschaft aus einem die Person konstituierenden Grund, aus einem sie ontologisch fundierenden Akt sichtbar machen.

VII. Siebter Schritt: Konstitution von Person als Konstitution von Gemeinschaft Kehren wir nochmals zurück zur Fassung des Personbegriffs in der Tradition, die von Boethius ausgeht. Die »individua substantia«, thomasisch ausgedrückt die inkommunikable Subsistenz, sagt zwar aus, daß der Vollzug ihrer selbst, ihrer Hinordnung aufs Sein, aufs Ganze, auf den und die anderen durch die Person selbst geschieht. Sie ist nicht »assumptibilis«, kann sich nicht dispensieren von sich selbst, sich selbst nicht »abgenommen« werden. Noch viel weniger aber kann sich die Person ihr Personsein, ihre Geistnatur oder kann die Geistnatur sich ihr Personsein selber geben. Natürlich kommt jedem Seienden sein Sein nicht aus sich selber, sondern von dem her zu, der das Sein selber ist. Doch diese ontologische Konstitution reicht im Fall der Person ins Ontische hinein, in Entstehen und Bestand des Personseienden. Gegenstände können in ihrem ontischen Bestand hergestellt werden, Naturseiendes, Lebewesen können aufgrund von naturalen Zusammenhängen entstehen. Seiendes, zu dem es gehört, daß in ihm es selber und das Sein im ganzen anwesend sind, tritt durch diese seine für es konstitutive Qualität aus der Reihe des Zeugens, Herstellens, Erwachsens aus ihm äußerlichen Zusammenhängen heraus. Personalität hat es mit einer unmittelbaren Relation ihrerseits zum Schöpfer zu tun, andernfalls kann sie – im Kontext klassischer Ontologie betrachtet – nicht sein und nicht verstanden 302

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werden. Dem entspricht die Lehre von der unmittelbaren Erschaffung der Seele durch Gott, in der ja a fortiori die Erschaffung der Person eingeschlossen ist 8. Dieser Tatbestand bedarf zwar der spekulativen Vermittlung; in dieser aber wird offenbar, daß Personsein eine Teilhabe am absoluten Sein, die nicht auf Zweitursachen reduzierbar ist, zum inneren Seinsgrund hat. Wohl ist bei Boethius die Rede von der Person als einer »individua substantia«, doch gilt für diese »Individualität« gerade nicht als Individuationsprinzip die »materia quantitate signata« 9. Bonaventura hebt eigens hervor, daß das Unterscheidende der Person nicht in der Materie liegen kann wie bei der Individuation, weil eben Person Würde bezeichnet 10. Die naturale Gotteserkenntnis nach Thomas von Aquin ist für den Menschen nicht eine unmittelbare Erleuchtung, sondern Ergebnis des von der Wirkung auf die Ursache schlußfolgernden Denkens, in dem die noch vorreflexive Hinordnung des Menschenwesens auf Gott sich selber durchsichtig und begrifflich faßbar wird 11. Nichtsdestoweniger aber ist die Seele sich selbst und ist Gott der Seele zwar nicht in actu, aber habitualiter seinshaft gegenwärtig 12. Was hat dies indessen mit unserer Frage nach Person und Gemeinschaft zu tun? Der Grund von Personalität ist das Gewolltsein und Gerufensein der Person von Gott. Dieses Gewollt- und Gerufensein, das die Person mit dem Seienden gemeinsam hat, ist im spezifischen Fall der Person aber dadurch ausgezeichnet, daß es dem Prinzip und der Möglichkeit nach als solches bei der Person ankommt, in ihr lebt. Sie ist im qualifizierten Sinne in ihr Sein gerufen; und dieses Gerufensein ruft zugleich nach Antwort, ermöglicht zugleich Antwort, ermöglicht Anrufung Gottes durch die Person. So sehr es sich bei dem beschriebenen Tatbestand um geschöpfliche Person handelt, so deutlich ist doch, daß – im Kontext einer christlichen Theologie – sich Entsprechendes auch für Person überhaupt sagen läßt, da personale relatio den dreifaltigen Gott in sich selber kennzeichnet. Kehren wir in den Bereich geschöpflicher Personalität zurück: Die »Sprachlichkeit«, die, Gemeinschaft stiftend, dem Personsein zuVgl. Thomas von Aquin, S.th.I, q. 76, a.6, ad1. Vgl. Thomas von Aquin, S.th.I, q29, a.1 insgesamt. 10 Vgl. Bonaventura, 2 Sent. d. 3, p.1, a.2, q. 3 concl. (II, 110) sowie 1 Sent. d. 25, a.2, q. 1 concl. (I, 443). 11 Vgl. Thomas von Aquin, S.th.I, q. 2, a.1–3. 12 Vgl. Thomas von Aquin, S.th.I, q. 93, a.7, ad4. 8 9

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gehört, ist verankert im Ursprungsverhältnis der geschaffenen Person zu Gott selbst. Das Ich-Sagen der Person ist von ihrem Wesen her bereits Antworten – wie auch immer dieses Antworten Stellung bezieht zu dem die Person gründenden Ruf ins Sein. Die Hinordnung der Person auf den sie gründenden Anruf Gottes bringt die Verhältnisse ins Spiel, die sich uns in der Sprachlichkeit personaler Existenz aufdeckten. Diese Sprachlichkeit steht nicht beziehungslos neben der Ursprungsbeziehung der Person, sondern ist mit ihr unlöslich verbunden. Die Beziehung zum Schöpfer, in welcher die Person konstituiert und zur Gemeinschaft mit ihm gerufen ist, umfängt ja mit dem Schöpfer zugleich das Sein im ganzen und das eigene Selbstsein der Person. Der Schöpfer ist untrennbar als je mein Schöpfer auch der Schöpfer des Ganzen. Die Antwort an ihn ist Verantwortung fürs Ganze. Die Sprachlichkeit, die Intersubjektivität, die sich als Sprachgemeinschaft auslegt, umschreibt einen Verantwortungsraum, der unteilbar ist: Er umfaßt im Ansatz mich, die anderen, alles. Er legt sich darin aus als Raum der Verantwortung für … und Raum der Verantwortung mit … Sprechen ermöglicht grundsätzlich die Begegnung mit einem anderen, die Ich-Du-Beziehung. Sprechen begründet zugleich aber die Gemeinschaft mit dem anderen, das gemeinsame Innestehen in derselben Welt, in der – im Ansatz – selben Sprache. Begegnung und Gemeinschaft ermöglichen und durchdringen sich gegenseitig im personalen Mitsein. Beide aber sind miteinander verbunden in jener Verantwortung vor dem Ruf Gottes, der die Person gründet und so zugleich die Zugehörigkeit der Personen zueinander gründet, die bewußt oder unbewußt, ausdrücklich oder unausdrücklich vor Gottes Angesicht und in gleicher Unausweichlichkeit voreinander und miteinander im Sein stehen. In der Personalität sind so unlöslich miteinander verknüpft der Charakter des Ich, jener des Du und jener des Wir. Und sie sind verknüpft in der Beziehung zu Gott und in der Beziehung zu dem, ja zu allem, was ist. In voraufgehender Skizze wurde versucht, den Weg von Person zu Gemeinschaft aus dem scheinbar einer solchen Synthese widerstrebenden »naturalen« Personbegriff der klassischen Metaphysik eines Boethius und, in der Folge, eines Thomas zu gehen. Die Offenheit dieser klassischen Metaphysik für »moderne« Fragestellungen trat dabei zutage. Es wäre reizvoll, auch den umgekehrten Weg einzuschlagen, der von einem Seinsverständnis, das in der relatio als sol304

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cher gründet, ausgeht, um zu denselben Bestimmungen und Einsichten zu gelangen. Beide Weisen des Vorgehens treffen sich, sofern sie sich theologisch durchsichtig werden, in jenen Voraussetzungen, die für die Entwicklung des spekulativen Personbegriffs tragend wurden: in dem Verstehen jener Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen, die in der Menschwerdung Gottes sich vollzieht und in der Trinität den Grund ihrer Möglichkeit, ihr höchstes Modell und ihr Ziel hat. Auf beiden Wegen zeigt sich ebenfalls die Dringlichkeit und Möglichkeit des Überstiegs über eine »reine« Philosophie und Theologie zu einer Lehre und Theorie von gesellschaftlichem Handeln aus christlicher Verantwortung, dessen Pole dieselben sind: Unterscheidung und Einheit zwischen Person und Gemeinschaft.

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Vom Beginn an kommt in der vorliegenden Schrift die zentrale Stellung der gemeinschaftlichen Dimension zum Tragen, die für Hemmerle nicht nur pastoraltheologische Bedeutung hatte, sondern die auf die anthropologische Wurzel des Menschlichen zurückverweist. So beginnt er mit dem ersten Schritt, sich zu fragen, ob wir, wenn wir von Person sprechen, automatisch auch von Gemeinschaft sprechen. Ausgehend davon, kehrt sich die Reflexion dann ins Gegenteil, das heißt in die Wiederaufnahme des Konzepts der Person, was Hemmerle veranlasst, sie zu charakterisieren. Das sich daraus ergebende Bild ist eine Bezugnahme auf das, was Welte in der Hinsicht denkt, was seinerseits das Ergebnis der Auseinandersetzung mit einer phänomenologischen Analyse des Phänomens Person 1 ist sowie der Rezeption der dialogischen Denker, darunter vor allem Buber 2 und Rosenzweig. In den Gesammelten Schriften Weltes ist der erste Band vollständig der Person 3 gewidmet, die grundsätzlich durch zwei einander gegensätzliche Aspekte definiert wird, die aber gerade die Person auszeichnen. Diese beiden Aspekte, die Welte aus der Beobachtung der Person und aus dem Blickwinkel auf die Geschichte des Konzepts der Person ableitet, wie es sich im philosophischen und theologischen Bereich entwickelt hat, sind: einerseits ihr Status als Substanz, das heißt als eine in sich erfüllte Identität, andererseits die Öffnung zum Du beziehungsweise eine Transzendenz über sich hinaus und außerhalb von sich. In dieser Spannung steht kein generelles oder universelles Es gibt nicht viele Schriften von Hemmerle über die Person oder allgemein über den Menschen, aber wir können hier auf ein paar hinweisen, die als Hintergrund zu dieser Auseinandersetzung Person-Gemeinschaft dienen können. Vgl. K. Hemmerle, Ehe und Familie in einer trinitarischen Anthropologie, auf www.klaus-hemmerle.de; Leben aus der Einheit. Eine theologische Herausforderung, P. Blättler (Hg.), Herder, Freiburg i. Br. 1995; Unterscheidung des Menschlichen in: Ausgewählte Schriften I, ebd.; Das Verständnis vom Menschen aus dem Anspruch des Evangeliums, auf www. klaus-hemmerle.de. 2 »Stehe ich einem Menschen als meinem Du gegenüber, spreche das Grundwort IchDu zu ihm, ist er kein Ding unter Dingen und nicht aus Dingen bestehend. […] Beziehung ist Gegenseitigkeit. Mein Du wirkt an mir, wie ich an ihm wirkte […]. Der Mensch wird am Du zum Ich«. M. Buber, Das dialogische Prinzip, ebd., 12, 19 und 32. 3 B. Welte, Gesammelte Schriften. Person, Bd. I/1, Herder, Freiburg – Basel – Wien 2006. 1

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Subjekt, denn, so Welte, »das Allgemein-Typische scheint […] nicht die Weise des Personalen zu sein« 4. Die Frage nach der Person ist Frage nach einem Du und nach einem Ich, das nach dem Du fragt; deshalb ist sie als solche keine objektivierbare Frage, denn ein Ich und ein Du sind nicht objektiv, weder auf der Ebene des Denkens noch auf der des Handelns, denn sonst würden sie ins Es fallen: Schon hieraus wird der Anklang an das Denken Bubers deutlich 5. Wenn dieses Du nicht objektivierbar ist, bleibt nun die Frage, wie man Zugang im Denken erhält, um sein Wesen zu erfassen; die Antwort ergibt sich aus der konkreten Erfahrung, die wir machen: Das Persönliche geht aus der Begegnung mit dem Du hervor. Im Vollzug von Begegnung und Beziehung – und ausschließlich in diesem Vollzug – machen wir die Erfahrung des Du; demnach gehört das, was wir Person nennen, zu solcher Begegnung. Dieses Du erscheint als etwas Originäres, in sich Ursprüngliches, das mich anspricht, das mir entgegenkommt; im Wahrnehmen dieses Rufes, indem ich ihn an mich gerichtet höre, vernehme ich das Du, von dem der Ruf kommt. In der Begegnung erfolgt also das Wort, es kommt zu einem Gespräch zwischen dem Ich und dem Du, die sich als ursprünglich und einzigartig wahrnehmen, aber hier kommt bereits die positive Spannung zwischen zwei entgegengesetzten Polen auf: Ich und Du sind einzigartig, denn nur ich bin ich und kein anderer, aber zugleich sind sie nicht einzigartig, denn sie geben sich nur gemeinsam, ich bin nämlich nicht ich, es sei denn für ein Du, das mir gegenüber ist, und das Gleiche gilt für das Du. Hierin liegt das Paradoxon, das Person aussagt: jemand, der absolut einzigartig und unwiederholbar ist – niemand kann mich ersetzen –, der nicht solcher ist, wenn nicht stets in Beziehung zu einem Du, in einem Miteinander 6. Das bedeutet – und hier erkennen wir Hemmerle ganz und gar –, dass ich das, »was ich als ich bin, in Wirklichkeit nur von Dir her und in deinem Anruf [bin]« 7. Aber wenn Ich und Du das sind, was wir nur in der Begegnung sind und in der gegenseitigen Abhängigkeit, im Ich-und-Du, dann ist das Wir eng mit Ebd., 98. M. Buber, Das dialogische Prinzip, ebd. 6 Zu diesem Verhältnis zwischen einzelnen und Miteinander und zur Bedeutung des Miteinanders bei Welte vgl. J. Elberskirch, Person – Miteinander – Kirche. Bernhard Weltes philosophische Soziologie als Suche nach dem Wesen von Gemeinschaft, Karl Alber, Freiburg/München 2007. 7 B. Welte, Gesammelte Schriften. Person, ebd., 109. 4 5

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der Person verbunden, das heißt, die Person ist wesentlich mit der gemeinschaftlichen Dimension verbunden, die Welte nicht so sehr als Gemeinschaft definiert, sondern eher in heideggerscher Sprache als Miteinandersein beziehungsweise Mitsein. Ausdruck dessen ist das Gespräch, der Ort, wo du zu mir sprichst, wo ich mich von dir angesprochen fühle, wo ich dem zuhöre, was du mir zu sagen hast, wo ich deinen Überlegungen folge und dir antworte; es handelt sich also um etwas Dynamisches und nicht um etwas Statisches, weil es immer neu zu Richtungswechseln im Sprechen und Antworten kommt. Dabei kommt es nicht zu einer Summe zweier unterschiedlicher Entitäten, sondern zu etwas anderem, das sie eins werden lässt, einem Dritten 8, der für diesen Moment der Begegnung bürgt und ihn schenkt, woran beide Anteil haben: Im Gespräch bin ich nicht nur ich, sondern auch wir, deshalb haben wir nicht nur Anteil aneinander, sondern auch an etwas, was uns eint, an einem, der uns umgibt. Die Untersuchungen Weltes gehen von der Person aus, um zur Gemeinschaft zu kommen, die jedoch bei ihm, wie bereits erwähnt, eher durch das Miteinandersein ausgedrückt wird als durch Gemeinschaft, was er hauptsächlich auf die kirchliche Gemeinschaft bezieht. Hemmerle vollzieht in seiner kurzen Schrift den umgekehrten Schritt in der Frage der Reflexion, folgt aber dann den Hauptschritten Weltes bezüglich der Person und des Miteinanderseins, wofür er allerdings den Begríff Gemeinschaft verwendet – dieser Begriff findet sich im phänomenologischen Umfeld bereits bei anderen Denkern wie Edith Stein 9, Gerda Walther 10, Dietrich von Hildebrand 11 oder Max Scheler; wir wissen mit Sicherheit, dass Hemmerle in jedem Fall

Bemerkenswert ist die deutliche Übereinstimmung welteschen Denkens mit dem buberschen in dieser kurzen Passage Bubers: »In den intensivsten Momenten des Dialogs, in dem wirklich das Tiefe die Tiefe wachruft, wird ganz klar deutlich, dass es weder das Individuelle noch das Soziale ist, sondern ein drittes wesentliches Element, dem als eine das Geschehen umgebende Sphäre nachzuspüren ist«, M. Buber, Das Problem des Menschen, 134. 9 Vgl. Edith Stein, Der Aufbau der menschlichen Person, Bd. XVI, Herder, Freiburg – Basel – Wien 1994; dies., Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften, (ESGA 6), Herder, Freiburg 2006. 10 Vgl. G. Walther, Zur Ontologie der sozialen Gemeinschaften, in: Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung VI, Herder 1923. 11 Vgl. Dietrich von Hildebrand, Die Metaphysik der Gemeinschaft. Untersuchungen über das Wesen und den Wert der Gemeinschaft, ebd.; ders., Das Wesen der Liebe, Habbel-Kohlhammer, Regensburg-Stuttgart 1971. 8

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mit dem Denken der ersteren vertraut war 12. Die Vier haben ihre Untersuchungen über die gemeinschaftliche Dimension der Person entwickelt und die beiden infrage stehenden Begriffe miteinander in Verbindung gebracht. Im Besonderen analysiert Edith Stein den Begriff der Gemeinschaft in seinen konkreten Bedeutungen, sozial institutionalisiert und anerkannt, wie in der staatlichen Gemeinschaft, und verdeutlicht die wesentlichen Merkmale, die sie von den Massenphänomenen unterscheidet. Was sich aus den philosophischen Untersuchungen ergibt, ist die dynamische Beziehung und die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Person und Gemeinschaft auf der Basis der gemeinsamen Elemente – darunter vor allem die Lebenskraft, die die Person ebenso wie die aus Personen bestehende Gemeinschaft kennzeichnet. Auf der Grundlage dieses Konzepts kann man sagen, dass die Person in Beziehung zur Gemeinschaft steht, sowohl weil sie von dem ihren gibt – sie gibt der Gemeinschaft ihre Lebenskraft für deren Entfaltung und Wachstum – aber auch, weil sie Kraft aus der Gemeinschaft bezieht: In der Gemeinschaft sind nämlich lebensspendende Elemente vorhanden, und umgekehrt bezieht die Gemeinschaft Kraft vom Einzelnen, sie kann ihn sogar überfordern. Im Fall der Gemeinschaft spürt diese beispielsweise jedes Nachlassen eines ihrer Mitglieder – sei es, weil die Person die Gemeinschaft verlässt und anderswo hingeht, sei es, weil sie stirbt. Es besteht also ein wechselseitiges Verhältnis zwischen den beiden Begriffen, sodass Stein, im Einklang mit Hemmerles Schlussfolgerung in seiner Schrift, die Auffassung vertritt, man könne nicht von Person sprechen ohne Gemeinschaft. Von einem Einzelsubjekt zu sprechen, sei reine Abstraktion 13. In ähnlicher Weise, doch mit anderen Beweggründen verfasst Hildebrand eine eigene Metaphysik der Gemeinschaft 14, in der er das Phänomen als solches analysiert, ausgehend von der Kategorie der Liebe: Es ist die Liebe, die das Ich und das Du dazu führt, einander Hemmerle hielt einen Vortrag zum Thema »Die geistige Größe Edith Steins« im Rahmen des internationalen Edith-Stein-Symposions im Jahre 1990 in Rolduc, ein Jahr, bevor er den Artikel Person und Gemeinschaft verfasste; eine Audio-Datei dieses Vortrags ist abrufbar auf der Hemmerle-Homepage: www.klaus-hemmerle.de. 13 »Die Betrachtung eines isolierten menschlichen Individuums ist eine abstraktive. Sein Dasein ist Dasein in einer Welt, sein Leben ist Leben in Gemeinschaft. Und das sind keine äußeren Beziehungen, die zu einem in sich und für sich Existierenden hinzutreten, sondern dies Eingegliedertsein in ein größeres Ganzes gehört zum Aufbau des Menschen selbst«. E. Stein, Der Aufbau der menschlichen Person, ebd., 166. 14 Vgl. D. von Hildebrand, Die Metaphysik der Gemeinschaft, ebd. 12

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zu begegnen und sich in tiefer Weise mitzuteilen. Es ist demnach die Liebe, die die Gemeinschaft stiftet, oder besser gesagt: Es ist in der Liebe, dass man sich für den anderen und in ihm wiederfindet, obwohl man in sich Bestand hat 15, individuelle Substanzen, die anscheinend für ein Einzelwesendasein bestimmt sind. Die Begegnung zwischen Ich und Du, die zu Personen macht, erfolgt überwiegend durch Akte, nicht nur durch die Liebe, sondern durch alle Akte der Wertschätzung des anderen, wie beispielsweise die Achtung. Weniger zentral ist hier, gleichwohl notwendigerweise unterstellt, das Thema der Sprache und Kommunikation, gegenwärtig hingegen als Hauptangelpunkt der interpersonellen Beziehung bei Hemmerle wie bei Welte und bei den dialogischen Denkern. Die linguistische Frage des von Hemmerle verwendeten Begriffs, der in seinen direkten Inspirationsquellen weniger präsent ist, bleibt offen: der Begriff der Gemeinschaft, den Stein wie auch Hildebrand benutzen, bekommt bei Hemmerle eine eher theologische Bedeutung, und vielleicht ist das der tiefste Sinn, der die Gemeinschaft als communio charakterisiert; er nähert sich damit seinerseits auch dem Miteinandersein Weltes beziehungsweise der »Begegnung des Menschen mit dem anderen Menschen« Bubers. Die Gemeinschaft ist das, was die Personen umgibt, weil sie diese in ursprünglicher Weise ruft, wie nur Gott dies tun kann. Unverkennbar ist das trinitarische Gottesverständnis 16 Hemmerles, das in ihm im Laufe der Jahre heranreift – die vorliegende Schrift ist eine der letzten, wenn man vor Augen hat, dass er ca. ein Jahr später stirbt – wie auch die Reflexion über die gemeinschaftliche Dimension, die daraus abgeleitet ist, ausgehend von der intensiven Beziehung im Leben und im Austausch mit Chiara Lubich, der Gründerin der Fokolar-Bewegung. Besonders durch sie hat Hemmerle diese Dimension entdeckt, in die der trinitarische Gott ruft, weil er schon in sich tiefe und intime communio der drei göttlichen Personen ist – ja, communio, und nicht Gemeinschaft. Ohne sie könnte man höchstens auf der Ebene der Beziehung und des gemeinschaftlichen Lebens bleiben, denn man ist notwendigerweise im selben Weltenraum; in der communio gibt es das Ich und den anderen Vgl. ebd., 17–21. Hierzu kann man den Beitrag von Hanspeter Heinz lesen, der ausgehend von einer Aussage Hemmerles über Trinität und Kirche einen Vergleich mit Bonaventura anstellt und seine Vision der Kirche als communio entwickelt. Vgl. H. H., Trinitarische Kirche – Kirche als Communio. Bonaventuras Hexaemeron, in: Der dreieine Gott und die eine Menschheit. Für Bischof Klaus Hemmerle, Herder, Freiburg 1989, 139–168.

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und 17 den anderen nochmals, um das rosenzweigsche und in Erinnerung zu rufen, von dem auch Welte ausführlich spricht, wenn er über das Miteinandersein reflektiert 18, wo das und wirklich ausnahmslos alle besagt, weil sie von Gott zur communio mit ihm und in ihr mit jedem Menschen gerufen sind. Man könnte also eine Analyse nach der communio-Art entwikkeln als eigene Kategorie des »und« oder »zwischen«, eine Kategorie, die in keinem Fall ausschließt, sondern immer aufnahmebereit ist, in einer Unterscheidung zur Gemeinschaft als sozialer Kategorie. Wir hätten es mit einer eher grundlegenden beziehungsweise stiftenden Kategorie des Sozialen im Allgemeinen zu tun.

Dieses »und« besagt den Charakter der Gemeinschaft, in der keine Nivellierung oder Fusionierung der Einzelnen stattfindet, sondern ein Sich-zusammen-finden im Selben, wobei die einzelnen Mitglieder gleichwohl unterschiedlich bleiben. 18 Vgl. B. Welte, Miteinandersein und Transzendenz (1963), in: Gesammelte Schriften. Person, ebd., 151–160. 17

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VIII. Die Potenziale des Denkens im Dialog mit dem Glauben

A. Zur Einführung Am 10. Oktober 1993 legte Hemmerle anlässlich der zu Ehren Bernhard Weltes in der Katholischen Akademie Freiburg abgehaltenen Tagung Mut zum Denken – Mut zum Glauben. Zum zehnten Todestag des Religionsphilosophen B. Welte 1 eine Reflexion vor, die den Glauben mit dem Denken ins Gespräch bringt. Weite des Denkens im Glauben – Weite des Glaubens im Denken ist einer von zahlreichen Vorträgen, die Klaus Hemmerle nicht mehr für die Veröffentlichung vorbereiten konnte, da er einige Monate später starb. Die redaktionelle Aufbereitung anhand einer Tonbandaufnahme verdanken wir Trocholepczy 2 und Lorenz, sodass dieser Beitrag in die 1994 veröffentlichte Sammlung aufgenommen werden konnte. Der Text fand sodann Aufnahme in den zweiten Band der Ausgewählten Schriften 3, wobei die Herausgeber der Sammlung die Zwischenüberschriften hinzufügten. Wir haben also einen ursprünglich gesprochenen Text vor uns – Hemmerle äußerte sich gerne in Vorträgen –, von dem wir einzig und allein die erste Fassung kennen, die aus einem Guss entstand und durch die Situation selbst veranlasst war. Vermutlich durch die Umstände, in denen er sich befand – der ungewisse Ausgang seiner Rekonvaleszenz nach der Tumorerkrankung hatte in ihm gewiss Reflexionen über ganz Wesentliches geweckt – wie auch durch die tiefe L. Wenzler (Hg.), Mut zum Denken, Mut zum Glauben. Bernhard Welte und seine Bedeutung für eine künftige Theologie (Tagungsberichte der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg), Freiburg i. Br. 1994. 2 Bernd Trocholepczy war von 1984 bis 1990 persönlicher Referent Bischof Hemmerles und hat zusammen mit Göllner die Veröffentlichung herausgegeben: Klaus Hemmerle. Spielräume Gottes und der Menschen. Beiträge zu Ansatz und Feldern kirchlichen Handelns. 3 K. Hemmerle, Ausgewählte Schriften, Bd. II, ebd., 239–259. 1

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VIII. Die Potenziale des Denkens im Dialog mit dem Glauben

Verbundenheit in Hochachtung und Zuneigung seinem Lehrer Welte gegenüber bekommt dieser Vortrag einen sehr vertraulichen Ton; Hemmerle selbst macht seine Zuhörer gleich am Anfang darauf aufmerksam: »Ich gehe zurück auf meine persönliche Erfahrung und meine Begegnung mit Bernhard Welte, auf das, was er mir selbst auf meinem Weg des Denkens und Glaubens bedeutet hat«. Es ist kein Zufall, dass Hemmerle sich in der Hinsicht gerade den Glauben und das Denken in ihrer Beziehungsdynamik der Zusammengehörigkeit und gegenseitigen Bereicherung vornimmt: Gegen Ende seines Lebens kehrt das zurück, was ein Leitmotiv seiner ganzen Reflexion und seiner Existenz war. Glauben und Denken stehen ja für das Heilige und das Denken, für Theologie und Philosophie, aber an diesem Punkt der Reife ist das Denken »gebärend« nur in verdankender Anerkennung gegenüber jemandem (dem Heiligen), der ihm vorausgeht und es begründet; es ist jener jemand, der ihm ermöglicht, ein solches zu sein – eben Denken, Frage – in der communio mit diesem Denken selbst, eine communio, die ihm darüber hinaus erlaubt, seine Grenze und darin auch seine Weite zu erkennen.

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Weite des Denkens im Glauben – Weite des Glaubens im Denken

Meine lieben Damen und Herren, ich habe mir überlegt, ob ich es wagen darf, noch so ganz am Anfang meiner Zeit 1 in meinem Bistum, das ja auch ein bißchen Arbeit mit sich bringt, einen Vortrag über etwas zu halten, was mir sehr am Herzen liegt, was jedoch nicht zu meinen unmittelbaren Dienstpflichten gehört. Aber vielleicht gehört die Weite des Glaubens im Denken und die Weite des Denkens im Glauben zu den Pflichten des Bischofs, und dann müßte er versuchen, durch das Nachdenken über seinen verehrten Lehrer hier selbst ein Stück weiterzukommen. Ich habe allerdings auf meine Situation Rücksicht genommen und einer Versuchung widerstanden, die mich sehr viel Zeit gekostet hätte. Sehr gern hätte ich anhand der Schriften von Bernhard Welte dieses Thema ausgefaltet und es auf die gegenseitige Bedingung hin bedacht, die Glaube und seine Weite im Denken und Denken und seine Weite im Glauben bedeuten. Ich habe jedoch einen andern Weg eingeschlagen: Ich gehe zurück auf meine persönliche Erfahrung und meine Begegnung mit Bernhard Welte, auf das, was er mir selbst auf meinem Weg des Denkens und Glaubens bedeutet hat. Ich möchte das Thema nicht in sich abhandeln, sondern fragen: Wo habe ich diese Erfahrung der Weite im Glauben und dieser Weite im Denken von Bernhard Welte gefunden, und warum war dieses Finden einer doppelten Weite für mich die Ermutigung sowohl zum Philosophieren wie zum Glauben und zum Theologietreiben? Ich möchte diese Fragen in sieben Stufen erwägen, die einerseits narrativ sind und etwas von ihm und mir berichten, andererseits aber auch Grundzüge aufscheinen lassen, die für mich in der persönlichen Reflexion zu einer Synthese kommen. Ich möchte allerdings noch bemerken, daß es hier nicht nur um sympathische, liebe Erinnerung an Bernhard Welte geht und um eine Hommage an ihn. Ich bin über1

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Gemeint ist: der Zeit der Wiederaufnahme der Arbeit nach der Rekonvaleszenz.

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Weite des Denkens im Glauben – Weite des Glaubens im Denken

zeugt, daß wir uns in der Theologie, in der Kirche, in der Gesellschaft und auch in der Philosophie in einem Übergangsstadium befinden, in dem ganz große neue Ansätze im Augenblick nicht sichtbar sind. Ein bloßes Zurückziehen auf das, was war, wäre hier jedoch fatal. Eine Weite des Denkens im Glauben und eine Weite des Glaubens im Denken können vielmehr den Raum eröffnen, in dem wir, ohne sie zu erzwingen und zu konstruieren, der Ursprünge und der neuen Zeichen gewahr werden. Dieses sehr persönliche Unterfangen, jemandem wie Bernhard Welte in seiner Weite zuzuschauen, kann ein Weg sein, um uns für das zu rüsten, was die kommende Stunde von uns oder denen, die nach uns (a) kommen – aber doch nicht ohne uns, denn die Gemeinschaft der Geschlechter gehört dazu –, verlangen wird.

I.

Die verborgene Motivation der Weite des Denkens: die drei Grundentscheide in der Berufs- und Lebenswahl Bernhard Weltes

Die erste Stufe soll etwas zeigen von der verborgenen Motivation der Weite in der eigentümlichen Radikalität von Bernhard Welte. Ich durfte einmal Zeuge sein, wie er erzählte, warum er Priester werden wollte. Die Antwort hat nun gar nichts mit unseren heutigen Problemen priesterlicher Identität zu tun. Es waren ganz andere Zeiten, aber seine Antwort, die nicht auf unsere heutige Frage »Priester sein« oder »Priester sein so oder anders« eingeht, hat trotzdem eine tiefe innere Bedeutung. Er war fasziniert von den Sternen, er erschrak vor dem Nichts zwischen dem Etwas, ihn faszinierte die Wirklichkeit, und so begegnete er als Glaubender dem Geheimnis Gottes: »Wenn diese Wirklichkeit mit Ihm zu tun hat, dann muß ich einen Weg für mein Leben Diese Aussage Hemmerles entspringt in Anbetracht seines Todes nur drei Monate später keinem Zufall. Man kann sich daher vorstellen, dass er den Tod vor Augen hatte und deshalb in diesem Referat sprach – vermutlich nicht nur vor seinen Lehrern, die noch lebten, sondern vor zahlreichen Kollegen der Arbeit und des Studiums in Freiburg –, als würde er die letzten intellektuellen Reflexionen zum Ausdruck bringen, gleichsam ein intellektuelles Vermächtnis. Von daher wird auch die letztliche Entscheidung, die er traf, verständlich, eben nicht den Schriften Weltes in der Entwicklung des Denkens zu folgen, sondern sich vielmehr auf einer existenzielleren Ebene des Lebens und Denkens mit ihm zu bewegen.

(a)

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wählen, auf dem ich mich damit beschäftige.« Dieses Offensein für Wirklichkeit, für die Weltwirklichkeit und für die letzte Wirklichkeit nahm Bernhard Welte auf seinem persönlichen Lebens- und Berufsweg in Anspruch. Drei Grundentscheide stecken in dieser Berufs- und Lebenswahl. Der eine Grundentscheid: Wirklichkeit, jedwede Wirklichkeit, hat das Recht, von uns gedacht, von uns ernstgenommen zu werden, sich uns anzutun, sich uns zu erschließen und uns darin zu verändern. Dieser Grundentscheid von Bernhard Welte ist ein ganz geistlicher und ein ganz säkularer, beides zugleich. Denn die letzte und äußerste Wirklichkeit macht sich fest und begegnet in den Wirklichkeiten, im Staunen über sie, im einfachen Sehen, daß sie da sind. Darüber kann ich nicht zur Tagesordnung übergehen. Ich weiß von Spaziergängen mit Bernhard Welte, wie wichtig ihm die Gräser waren. Er kannte sie alle. Er konnte einen Feldblumenstrauß aus Südbaden analysieren, aus welcher Gegend er war, weil er die Bodenverhältnisse kannte. Er sagte: »Ich kann an diesen kleinen Gräsern doch nicht vorbeigehen. Ich muß etwas von ihnen wissen und mit ihnen umgehen. Es geht nicht an, daß ich nicht weiß, über welchen Boden ich laufe.« Er wollte wissen, aber nicht im Sinn eines äußeren Studierens auch wenn die Information dazugehört –, sondern eines Ermessens, welche Wirklichkeit sich hier aufschließt und antut. Das Recht der Wirklichkeit, von uns unverstellt und von ihr selbst her – also phänomenologisch im fundamentalsten Sinn – wahrgenommen zu werden, ist ein Grundentscheid von Bernhard Welte. Und er hat sich durchgetragen bis in die letzten Äußerungen – und ich wage zu sagen: Stunden – seines Lebens und seines Wirkens. Damit ist aber ein zweiter Grundentscheid verbunden: der Grundentscheid für den Menschen. Der Mensch ist das Wesen, das die Pflicht und das Recht hat, die Helle und die Möglichkeit, alles das zu sehen, zu bedenken und so in seine Wahrheit, sein Licht, seine Kostbarkeit hinein zu bergen. »Anima est nata convenire cum omni ente – die Seele ist geboren, mit allem Seienden in eins zu kommen«, dieser thomasische Satz war Bernhard Welte sehr wichtig, er nannte für ihn die Bestimmung des Menschen. Der Mensch muß sich die Wirklichkeit in ihrer Fülle zumuten, er muß sich den Fragen stellen; dies ist kein Zwang, sondern die Größe, die Freiheit, die Weite des Menschen. Das Recht der Wirklichkeit, vom Menschen gesehen zu werden, 316

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und die Pflicht des Menschen, Wirklichkeit in ihrer ganzen Fülle ernstzunehmen, mitzuvollziehen und aus sich aufgehen zu lassen, sind die zwei Grundentscheide, die schon im Anfang des Denkens und Wirkens von Bernhard Welte stecken. Sie werden auf seinem weiteren Weg durch einen dritten Grundentscheid ergänzt, der nicht ganz neu ist und doch einen anderen Akzent setzt: Alle Gedanken haben das Recht, von uns mitgedacht (b) zu werden. Das ist eine ganz andere Weise als »Ich muß alles wissen«. Nein, er brauchte nicht alles zu wissen; er war gelassen, daß er vieles nicht gewußt hat. Aber er konnte mit einem Gedanken nicht so umgehen, daß er ihn einfach ins Regal ablegte und mit einem Schild »idealistisch«, »existentialistisch«, »thomistisch« oder sonstwie abstempelte, sondern er betonte immer wieder, daß der Gedanke ihn einlädt: »Jetzt schau, was hinter mir steht. Glaubst Du, daß der, der mich gedacht hat, so banal war, daß er nur aus anderen Büchern etwas zusammengeschrieben hat? Merkst Du nicht, daß sich auch hier jener Duft der Frische und der Wirklichkeit findet, den Du an einem frischen Feldblumenstrauß riechst? Solltest Du mich nicht doch denken?« Das Recht der Gedanken, von ihnen selbst her mitgedacht zu werden, das ist der dritte Grundentscheid. Die drei Grundentscheide: Das Recht der Wirklichkeit, von uns gesehen zu werden; die Pflicht des Menschen, die Wirklichkeit anund ernstzunehmen; das Recht der Gedanken, in uns freundliche Mitdenker von ihnen selbst her zu finden, – sie sind die Elemente, in denen eine unabschließbare Weite sich birgt.

Beim welteschen Mitdenken geht es nicht nur und nicht in erster Linie um ein Nachdenken als vielmehr um ein wirkliches gemeinsames Denken, das seine philosophische Grundhaltung kennzeichnet. In diesem Fall will Hemmerle deshalb sagen, dass die Gedanken zusammen mit denen gedacht werden sollten, die sie formuliert haben, denn nicht nur wir haben Gedanken, sondern auch diejenigen um uns herum. Mit den Gedanken muss man sich Personen vorstellen, die von diesen Gedanken bewegt werden und diese zum Ausdruck bringen. Das Mitdenken ist nicht nur an lebende Personen gebunden, mit denen ich gemeinsam denken kann, sondern auch an bereits verstorbene, die mir ihre Gedanken durch ihre Schriften oder Audiobeiträge mitteilen: Auch jene muss man nicht nur anhören, sondern gemeinsam mit ihnen denken, das heißt, es tut not, dass ich sie zusammen mit jener Person neu denke, die sie bereits gedacht hat und sie mir anbietet.

(b)

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II.

Der dreifache methodische Grundentscheid in der Phänomenologie Bernhard Weltes

Gehen wir eine Stufe weiter: Sie ist keine biographische Stufe im äußeren Sinn, sondern sie bewährt sich in dem Augenblick, in dem Welte anfängt, seine eigenen Gedanken mitzuteilen, sie in schriftlicher Weise zu verfassen oder sie in Vorlesungen vermittelnd weiterzugeben. Hier findet sich ein dreifacher methodischer Grundentscheid, der meiner Überzeugung nach sein ganzes Denken prägte. Der erste Grundentscheid innerhalb dieser Methodik: Ich verpflichte mich nicht auf nur eine von außen beschreibbare Methode; ich ziehe nicht alles über einen Leisten; ich habe nicht eine in sich stimmige Begrifflichkeit oder eine in sich stimmige Weise, zur Wirklichkeit Zugang zu finden, sondern ich halte mich offen – im intellectus possibilis als meinem Mich-Offen-Halten für alles. Dann wird sich mir von der Sache selber her je neu die Methode zumessen lassen. Dies scheint unserer Aussage zu widersprechen, Bernhard Welte sei Phänomenologe. Es ist vielmehr die weiteste Weite der Phänomenologie – beinahe eine Metaphänomenologie (c) –, wenn er davon ausgeht, daß er nur in der Offenheit für die Vielzahl der Weisen des Sich-Erschließens von Wirklichkeit dieser selbst gerecht werden kann. Es braucht eine beständige Wahrheit, eine beständige sapientia, ein ständiges »Schmecken«: Welche Weise zu denken muß ich jetzt, hier, ernst- und wahrnehmen?

Hemmerle nimmt die Strukturontologie in ihrem Verständnis der Phänomenologie wahr, und hinter der Definition als Meta-Phänomenologie, die er wagt, steht aus meiner Sicht die »objektive Phänomenologie«, von der Rombach sagt: »Objektive Phänomenologie besagt, dass nicht von einem ›Bewusstsein überhaupt‹ ausgegangen wird, sondern dass die Prozesse beschrieben werden, die sich im sachadäquaten Einstrukturieren einer subjektiven Erlebnisfähigkeit in die sachlichen Bedingungen des Erlebens auf der betreffenden Wirklichkeitsstufe vollziehen«. Von daher wird die Phänomenologie verstanden als Beschreibung des Komplexes der Verbindungen der Realität in ihrem Vollzug und nicht mehr als Analyse der Bewusstseinsprozesse. Rombach selbst ist der Auffassung, Scheler und Heidegger hätten sich auf den Weg in diese Richtung gemacht, obwohl sie nicht zu den Konsequenzen kamen, die er zog. Von daher wird verständlich, dass Welte und in der Folge auch Hemmerle an dieser Wandlung der Phänomenologie interessiert waren (vgl. H. Rombach, Die Religionsphänomenologie. Ansatz und Wirkung von M. Scheler bis H. Kessler, in: »Theologie und Philosophie« [48] 1973, 481).

(c)

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Aus diesem Grund konnte Bernhard Welte auch – ich habe es gestern kurz einmal angedeutet 2 – »oszillierend« mit verschiedenen Methoden umgehen. Er konnte Metaphysiker sein und Nachmetaphysiker, er konnte Idealist sein und Phänomenologe, er konnte sich anfreunden mit dieser oder jener heutigen Methode des Denkens. Er hat über Sprachphilosophie und über den Kritischen Rationalismus nachgedacht; er hat immer wieder darauf geachtet, daß die Vielzahl der Methoden nicht in Gleichgültigkeit nebeneinander stehen, sondern in der Wachheit, Offenheit und Weite der Entscheidung enthalten sind. Aus der Entscheidung, die er je zu treffen hatte in dem, was er bedachte, wurde die Auswahl getroffen. Methodenoffenheit, Methodenweite, das findet sich noch auf der Seite des Wie. Wir haben dies auf der ersten Stufe bereits entdeckt: Alle Wirklichkeit darf sich mir antun. Bernhard Welte war tief von dem Aristotelischen Satz überzeugt, daß die Sache und die Methode dasselbe sind, daß die Methode die Sache selbst ist. Diese beiden Gesichtspunkte liegen sehr eng beieinander. Deshalb geriet Bernhard Welte nie in die Gefahr, sich auf ein System einengen zu lassen oder ein System aufzubauen. Wenn es Ansätze dazu gibt, dann sind dies Hilfskonstruktionen, aber Weltes innere Grundentscheidung war gegen jedes fixe System gerichtet. Allerdings nahm er sich die Freiheit, auch in Systemgedanken Großes zu finden. Er weigerte sich nicht, die Gedanken der Systematiker alter Prägung mitzudenken, weil er gegen Systemgedanken war. Diese methodische Vorentscheidung für die Offenheit gegenüber allen Methoden hat eine weitere Grundentscheidung zur unabweisbaren Kehrseite: Nichts zulassen, was nicht gesehen, nichts behaupten, was nicht wahrgenommen, ernstgenommen, vernommen, gehört, nichts, was nicht in gewisser Weise durchlitten ist. Die bloß gescheite Bemerkung, den bloß selbstgefälligen Bildungskokettismus – »ach, das hat doch der gesagt, und das steht schon da und das steht schon dort« – schob er auf die Seite, nicht, weil er es ablehnte, Parallelen zu ziehen, sondern weil er überzeugt war: »Wir sind sehr schnell darin, uns mit festen Versatzstücken aus allen möglichen Gedanken zu versehen und nur noch mit diesen umzugehen. Wir beschränken uns dann nur noch auf das von uns Gewußte und öffnen uns nicht für das, was es da zu wissen und sehen gibt.«

2

In einem Diskussionsbeitrag.

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Wenn irgendjemand einen ihm selbst faszinierend vorkommenden Gedanken hatte, dann fragte Welte unerbittlich und unbarmherzig: »Ja, und wie könnten Sie mir das an einem Erlebnis oder einem Phänomen zeigen? Was stellen Sie sich vor?« Diese Askese war für ihn charakteristisch. Eine solche Frage trieb uns dann oft die Schamröte ins Gesicht, weil wir doch so schöne Gedanken hatten und gar nicht daran gedacht hatten, sie an der Alltäglichkeit zu messen. Aber es war methodisch sehr hilfreich, wie Bernhard Welte unser Lehrer war. Er ließ nicht zu, daß Nichtausgewiesenes, Nichtvollzogenes, Nichtbeobachtetes, nicht in seine innere Plausibilität hinein Entdecktes ohne Prüfung angenommen oder abgelehnt wurde. Diese epochetische Grundhaltung, die zur Phänomenologie gehört, ist die zweite Seite eines Grundentscheids, der nicht nur methodologisch zu betrachten ist, sondern zum Denken überhaupt gehört. Welte blieb auch bei »frommen« Gedanken immer sehr skeptisch, ob sie nicht etwa nur der blühenden Phantasie einer Frömmigkeit entsprängen, die mehr sich selber als das Geheimnis Gottes genießt. Welte hat eine dritte Grundentscheidung getroffen: Er entdeckte überall – und zwar nicht nach Art einer frömmelnden Katechese, die allenthalben »das fromme Jesulein« finden möchte, sondern aus der inneren Beachtung der Wirklichkeit – einen Hinweis, einen Wink auf das Geheimnis; das Angeschautsein von einer Wirklichkeit, die wunderbar ist; das Entdecken des Menschen, der, wenn er seine eigenen Determinationen feststellt, dennoch im Gegenübersein bleibt; das Innewerden der Verantwortung, die auch dann nicht weggenommen wird, wenn die Bedingungen ihrer Möglichkeit im menschlichen Gehirn aufgedeckt sind. Das der bloßen Erklärung Entgehende, was uns in allem zuwinkt und was nicht aufgelöst werden kann, jene nicht nur formale Absolutheit und Unendlichkeit, die »im Winken«, wie er so oft sagte, »des Geheimnisses« in den Phänomenen da ist, markiert einen dritten Grundentscheid. Welte entzog sich nicht dem, was im Phänomen dieses übersteigt und es gerade so erst in seiner vollen Phänomenalität konstituiert. So entspringen aus diesen Grundmotiven entsprechende methodische Grundentscheidungen. Sie sind thematisiert im Zulassen aller Methoden in der Wachsamkeit des Prüfens dessen, was dieser Wirklichkeit angemessen ist, und im Ausscheiden dessen, was nicht am Phänomen abgelesen ist; in der Bereitschaft, sich das, was über alles Verfügbare hinausgeht, doch antun zu lassen und es uns winken zu lassen. 320

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III. Genetisches (d) Mitdenken In dieser Methodik – dies eine dritte Stufe – ruht ein unselbstverständlicher Ansatz, der so nicht allein bei Bernhard Welte zu finden ist, der aber bei Bernhard Welte auf eine besondere Weise ausgeprägt ist. Im Vergleich mit anderen Ansätzen zeigt sich, daß Welte das theologische und philosophische Denken auf eine neue Ebene hebt. Welte erschloß uns Kants »Ich denke« immer und immer wieder in seiner heuristischen Kraft. Die Kant-Seminarien und -Vorlesungen gehörten für mich zu den erhellendsten und ich bin froh, daß ich Kant und Descartes nicht nur als Karikaturen kennengelernt habe, zu denen sie mitunter in einer zu schlichten katholischen Überlieferung gemacht werden, mit dem Ziel, gegen die »Feinde« der Kirche vorzugehen. Aber Welte hat nie aus dem »Ich denke« allein die Welt konstruiert, sondern er hat immer mit jedem Gedanken mitgedacht. Er hat genetisch gedacht. Er nahm das »Ich denke« von Kant und die Phänomenologie von Heidegger, er nahm Bonaventura und Eckhart, er nahm vor allem und mit einer großen inneren Nähe »seinen« Thomas und dachte diese Gedanken mit. Eine Bemerkung zu »seinem« Thomas möchte ich anfügen: Bernhard Welte war kein Thomist im neoklassischen Sinn und trotzdem war Thomas der Denker, der ihn am meisten bewegte, und zwar gerade deswegen, weil der Aquinate sich nicht nur auf eine Denkebene beschränkte, sondern sich tangential an Wirklichkeit heranarbeitete; Thomas von Aquin hatte die Unbefangenheit, Aristoteliker zu sein und das zu scheiden, was in der Aristotelischen Überlieferung – Das genetische Denken nimmt Bezug auf Rombach, der in seiner Strukturontologie von genetischer Auslegung spricht, und zwar als Kritik verstanden, die weder innerer noch äußerer Art sein kann. Solche Kritik setzt nicht von oben an im Bezug auf das, was sie kritisieren will/soll, noch teilt sie die Maßstäbe dessen, was sie kritisiert (innere Kritik), denn sie entstammt einer anderen Wirklichkeit. Der genetische Zugang hingegen weist auf das Eingehen in die historische Dimension dessen, worauf gerade geschaut und worüber nachgedacht wird, wobei es sich dem und seinen Bedingungen ganz überlässt; es wird im Blick auf jenen Inhalt »immanent« und versucht auf diese Weise, dessen innere und meist unbewusste Intentionen ans Licht zu fördern. »Eine gute Interpretation ist ›Intentionanalyse‹. Sie erfasst den Punkt, aus dem heraus die Genesis des zu Interpretierenden, sein ›Warum‹, zu begreifen ist« (H. Rombach, Strukturontologie, a. a. O., 143). Genesis steht sodann auch im Zusammenhang mit der Struktur in dem Sinne, dass man nur dort, wo man die Genese erfasst, auch die Struktur versteht; von daher hat Genese tatsächlich auch die unmittelbar an den Ursprungsbegriff geknüpfte Bedeutung, »Anfang«.

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etwa im Spanien der Araber für ihn hilfreich war und was nicht. Daß Thomas zugleich den Mut hatte, in Fragen der Partizipationslehre beinahe Neuplatoniker zu sein, und auf diese Art und Weise viele Methoden zuließ, das hat Bernhard Welte bewegt und ihm gezeigt, daß jener, der das große System aufbaute, von innen her mehr war als bloßer »Systematiker«. Welte wollte alle Gedanken gerade nicht in einer ästhetisch-spielerischen Beliebigkeit – »ästhetisch« im negativen Sinn des Wortes – mitdenken. Er hat grundsätzlich so gedacht, daß darin Gedanken selbst gedacht, mitgedacht wurden und daß darin ein Dialog aufging. Der Ort, an dem die Wahrheit wohnt, der Ort, an dem der Gedanke sich konstituiert, der Ort, an dem das Phänomen in seiner ganzen Breite gesehen werden kann, ist jenes Selberdenken, das zugleich ein Mitdenken, ein Denken auf den Anderen zu und von ihm her ist. Nicht mehr in der abgeschlossenen Kapsel des Ego sitzt der innere Richter und der innere Zuspruch der Wahrheit, sondern in der verborgenen, sich entziehenden und doch gewährenden Mitte, die in den vielen inneren Ich-Punkten sich unterschiedlich äußert und sie ins Gespräch bringt. Anstelle des isolierten Subjekts ging es Welte um das Zwischen des Dialogs als Ort des Denkens. Das scheint mir ein neuer Ansatz zu sein. Dann aber kann ich nicht ungeschichtlich, nicht von der Situation abgehoben denken. Dann muß ich wissen, von wo aus Du denkst und welches die Bedingungen der Möglichkeit Deines Denkens, welches Deine Dir geschichtlich vorgegebenen Aprioris sind. Und ich muß meine eigenen geschichtlichen Aprioris entdecken. Es gibt durchaus ewige Wahrheit, aber es gibt sie nicht bloß gleichsam wie ein Gewürz, das unter die drei Maß Mehl unseres davon unabhängigen Denkens gemischt wird, sondern sie zeitigt sich von innen her im Jeweiligen des Augenblicks, in dem der Gedanke gedacht wird und in dem der Gedanke den Gedanken zündet. Dann aber kann die Geschichte nicht mehr in einer bloß äußeren Epocheneinteilung gesehen werden, sondern sie wird in einer neuen Weise von Epochalität verstanden. Der Gedanke der Seinsgeschichte von Martin Heidegger ist auf eine Weise, von der ich nicht zu entscheiden vermag, ob sie Heidegger entspricht, bei Bernhard Welte in dem Gedanken der Epochen (e) des Verstehens des Christentums, der Epochen des Denkens, Welte hat sich ausgiebig mit dem Konzept der Geschichte, im Besonderen mit Epochen und dem Epochenhaften befasst. Diesbezüglich siehe beispielsweise die Vor-

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fruchtbar geworden. Er versuchte, die Veränderungen in den Aprioris und in den Bedingungen des Denkens achtsam wahrzunehmen und die Vorentscheidungen einer Epoche sichtbar zu machen, indem er in dieser Epoche dachte. In der Epoche und eben nicht zeitlos denkend, diese Epoche in das Gespräch mit anderen Epochen führend, so hat er gedacht. Dies meint Geschichtlichkeit. Ich erinnere an das Denken Rosenzweigs, den Welte schätzte, und der teilweise von ihm uns erschlossen wurde, teilweise von Bernhard Casper ihm und uns, und an jenes große Wort, daß »das neue Denken« der Zeit und des Andern bedarf. Dies ist der neue Ansatz, der sich ganz anders bei Welte als bei Rosenzweig findet, aber die Aufsprengung der verfügbaren Zeitlosigkeit oder des bloßen Relativismus oder des bloßen Subjektivismus oder der bloßen Subjektivität ins Wir, ins Zwischen von Ich und Du, das sind die notwendigen Folgen der Methode, die ich beschrieb, und der Grundentscheidungen, die Welte traf. Denn wenn ich alle Wirklichkeit von ihr selbst her sich mir antun lassen will und nur das anerkennen will, was ich an ihr sehe, dann bedarf ich des Mutes, mich wirklich dialogisch und wirklich geschichtlich mit dieser Wirklichkeit auseinanderzusetzen – sonst entrinnt sie mir und ich bringe sie unter Kategorien, die sie verfremden und heimlich nur wieder mich mir selbst begegnen lassen und die wirkliche Begegnung ausschließen. Daß in einem solchen Denken anstelle der begrifflichen Konstruktion jene Sprache tritt, die im je neuen gegenseitigen Sich-Zusprechen und darin im Zuspruch des Entzogenen sich ereignet, leuchtet unmittelbar ein. Sprachdenken, epochengeschichtliches Denken von innen her und Dialog der Gedanken werden entscheidend. Es war bewegend, wenn Welte aus seinen Ferien heimkam und Skizzenbücher oder Kataloge mitbrachte. Er hat Phänomene der Epochalität an den Zeichen der Bauwerke und der Kunstepochen verdeutlicht. Für ihn war es immer wieder faszinierend, wie in der Spätantike und im frühen Mittelalter dieselben Motive verwendet wurden und wie diese jeweils in einem ganz anderen Kontext, in einem anderen Raumgefühl, etwa der Kirche, standen. Diese epochalen Verschiebungen haben ihn so stark bewegt, daß er sehr gern mit Johannes Kolllesungen im Wintersemester 1967–1968 (vgl. B. Welte, Geschichte und Offenbarung. Einstündige Vorlesung [Wintersemester 1967–68], in: Ders., Gesammelte Schriften. Mensch und Geschichte, a. a. O.). Dieser Bezug ist beeinflusst vom seinsgeschichtlichen Ereignis-Denken Heideggers hauptsächlich in Beiträge zur Philosophie. Verdankendes Denken

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witz 3 eine »monumentale« Kirchengeschichte, eine »monumentale« Dogmatik, eine »Monumental-Theologie« geschrieben hätte, welche die Monumenta als ebenso wichtige Quellen des Denkens sieht wie die Gedanken. Die Suche nach dem Epochenmachenden, dem Gemeinsamen der Sprache, und zwar nicht nur der Sprache des Wortes, sondern auch der Sprache der Zeichen und der Bilder, kennzeichnete seinen Ansatz.

IV. Pietas des Denkens Die vierte Stufe fängt mit einer kritischen Rückfrage an: Hätte sich Bernhard Welte richtig verstanden gefühlt, wenn man ihm gesagt hätte: »Sie sind nicht mehr der Denker des Subjekts, sondern des Wir. Sie sind nicht mehr der Denker der Zeitlosigkeit oder des Historismus, sondern jener der Geschichte und der Epochalität und des Gesprächs zwischen den Epochen. Sie sind nicht der Denker des Begriffs, sondern jener der Sprache, der Sprache in einem umgreifenden Sinn«? Ich glaube, er wäre nicht vorbehaltlos einverstanden gewesen. Er hätte erwidert: »Das kann man so sehen. Aber ich will auf die ›Sachen‹ schauen. Dann sehe ich auch diese Unterschiede. Aber macht doch bitte aus dieser neuen Sicht kein System, in das Ihr mich verstaut! Redet nicht so über mich, sondern denkt mit mir!« Alles, was wir entdeckt haben, bleibt richtig, aber wer mit Welte denken will, der muß eine vierte Stufe ersteigen, nämlich die der für ihn charakteristischen pietas des Denkens. Die Weite seines Gedankens ist die pietas des Denkens. Dies bedeutet zum einen – und ist im Bisherigen schon gesehen –: »Denke nichts, was Du nicht gesehen hast, denn sonst hast Du es nicht gedacht.« Die Ehrfurcht vor der Wirklichkeit, deren Phänomene meinen unverstellten und eigenen Blick verdienen, und die Unverstelltheit des Denkens in sich, das sich nicht selber unterbietet und das seinem Anspruch von innen her gerecht wird, die Dinge so, wie sie sind, in sich aufgehen zu lassen und zu wieder-holen, das ist dabei der erste Schritt. Dann aber kommt mit dieser pietas ein zweites Moment in den Blick, das wir bereits gesehen haben und das dennoch eines Filters bedarf, damit wir nicht fälschlich doch ein System aus der pietas machen: Es ist die Behutsamkeit, das Unbedingte vorsichtig 3

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Seinem damaligen Kollegen auf dem Lehrstuhl für Christliche Archäologie.

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im Bedingten und Endlichen zu ertasten. Welte hatte immer die pietas, das Größere als das, was das bloße Denken ist, im Denken zu entdecken. Das Denken ist in ungeheuerlicher Weise viel größer als es selbst. Das doppelsinnige Wort von Blaise Pascal: »L’homme passe infiniment l’homme«, heißt zugleich: »Der Mensch übersteigt unendlich den Menschen« und »Der Mensch entgeht unendlich dem Menschen«. Dies sind Grundaussagen der pietas des Denkens von Welte. Denken, das sich bloß behauptet und das sich nicht in Frage stellt vor dem Größeren, das es nicht erreicht, ist kein wahres Denken; und Denken, das sich verschließt vor dem, was über es hinausgeht, ist kein Denken. Die pietas führt dann zu der eigentümlichen Ehrlichkeit gegenüber dem, was das Denken nicht vermag. Diese Ehrlichkeit des Denkens hat zwei ganz unterschiedliche Dimensionen, die mir beide sehr wichtig erscheinen. Einmal: Das Denken, immer auf Sprache angewiesen und in die Sprache eingebunden, entdeckt, daß es vor dem Unendlichen sprachlos wird. Die pietas ist der Verzicht des Denkens auf sich um des Denkens willen. Es geht nicht mehr um denkende Begriffe, sondern nur noch um die Wüste Gottes, in die uns ein Meister Eckhart hineinführt. Wir treffen auf jenes Innerste, das Bernhard Welte immer wieder mit einem Satz aus dem Zen-Buddhismus belegte und der so tief in den Glauben des Christentums hineinführt wie wenig andere: »Denke dir, daß du über einem bodenlosen Abgrund dich an einer Wurzel mit beiden Händen festmachst. Du hast keinen andern Halt mehr. Und dann öffne die Hände und lasse dich fallen!« Dies war für Welte ein entscheidender Satz, der die pietas des Denkens zuinnerst kennzeichnet: Sich nicht mehr festmachen an sich oder an dem Etwas, das zu denken ist, sondern sich dorthinein fallen lassen, wo es einem die Sprache verschlägt und wo sie sich dann neu zu schenken vermag nach jenem gestern bereits von Bernhard Casper zitierten Wort Leos des Großen: Dort, wo der Ursprung der Schwierigkeit des Sprechens zuhause ist, entspringt auch die Unmöglichkeit zu schweigen 4. Welte geht es um die pietas, die sich letztlich vor dem Unendlichen überantVgl. Casper, Bernhard: Verhaltenheit – Zum Stil des Denkens Bernhard Weltes, in: Wenzler, Ludwig (Hg.): Mut zum Denken, Mut zum Glauben. Bernhard Welte und seine Bedeutung für eine künftige Theologie (Tagungsberichte der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg), Freiburg i. Br. 1994, 156.

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wortet und losläßt und die nicht nur irgendeinen Denkakt und eine Denkgestalt losläßt, sondern bei der sich jene Grundhaltung des Ausdenken-Könnens und des Gegenüber-Seins wandelt in das radikale Sich-dem-Geheimnis-Anvertrauen, das dann aber den Anschein und zugleich das Leuchten des Nichts hat. Dies das eine. Das andere: Das scheinbar Kontrastierende und diesem Gedankengang doch von innen her zutiefst Verwandte ist dies, daß Leben, alltägliches Leben und existentielles Leben, mehr ist als das, was Denken aus sich vermag. Denken kommt in die Grenzerfahrung von Tod und Schuld, vor Einsamkeit und Tragik. In dieser Grenzerfahrung kann ein bloß phänomenologisches Beschreiben nicht mehr die Form des Denkens sein. Sondern hier ist eine metabasis eis allo genos, ein Umstieg in eine andere Weise, gefordert, fort vom Denken, hin zu einem neuen Daseinsernst, zu dem freilich gehört, daß er vom Denken begleitet wird. Es waren die eindrucksvollsten Stunden bei Bernhard Welte, wenn er uns auf dem Weg der Phänomene bis dorthin führte, wo es nicht mehr weiterging, wo das Denken sich nicht mit einem Kunstgriff begnügen konnte, sondern wo es um ein letztes Ernstnehmen des sich Zeigenden und des Denkens des sich Zeigenden ging; wo alles Denken abbrach und wir in die Aporie stürzten, in der Bernhard Welte dann leise die Stimme der Hoffnung, die Stimme, die uns umblikken hieß, vernahm und vernehmbar machte. Welte vernahm sie nicht als Stimme eines deus ex machina; sie klang meist ganz anders als herkömmlich, aber sie erklang eben doch. Ich kann mich erinnern, daß ich als junger Mann erschrak, wie radikal er vom Tod sprach und wie dabei so gar nichts mehr übrig blieb von meinen Hoffnungen auf Unsterblichkeit – scheinbar. Und erst nachdem ich mit ihm in dieser Vorlesung »den Tod gestorben bin«, wirkte die Stimme nicht mehr als Vertröstung. Sie sagte mir vielmehr, daß ich eigentlich im Nichts auf das hin höre, was als Geheimnis bleibt und mich versiegelt. Und daß eigentlich der, der »Ich bin« sagt, dieses absolute Geheimnis des Nichts ist. Und wie darin nicht in einer dialektischen Vermittlung, sondern in einer unableitbaren Weise des Vertrauens – die Hoffnung wächst. Wo das Wort vor dem Geheimnis erstirbt, ehe es sich, wenn Gott will, neu schenkt und vom konstruierenden oder auch begleitenden Denken zum radikalen Ernst wird, in dem dann durch das Nichts hindurch neu sich schenkt, was sich da zeigen will – dort ist pietas des Denkens. Hier war auch der Ort, von dem her Bernhard Welte in unver326

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gleichlicher Weise, wenn auch manchmal exegetisch abkürzend, den Umblick auf die vielen Gestalten des Heils erschloß und auf den Einen blickte, nach dem wir ausschauen. Nur Einer ist es, der uns das Geleit gibt, nur Einer, in dem alle Erfahrungen mitgelitten und gesammelt sind, nur Einer, der alle Gottverlassenheit in seiner einen durchlitten hat; nur Einer, der uns sagt: »Hoffe!« und der antwortet mit seinem einen Wort und mit seinem einen Zeichen. Er gibt den vielen logoi spermatikoi und den anderen Botschaften eine Mitte, in der wir ehrfürchtig Hoffnung haben dürfen. Dies ist die pietas der Hoffnung auf das Wort hin, das sich uns zuspricht, dem wir nicht mehr mit philosophischer Erwägung, sondern nur noch mit unserer antwortenden, demütigen, zitternden Entscheidung selber gerecht werden können. Das ist die pietas des Denkens bei Bernhard Welte, der vierte Schritt, in dem die Weite des Glaubens sich einpflanzt in die Weite des Denkens, und, »da mir eng war« 5, Er selber mir Weite schenkt.

V.

Kritisches Denken

Auf der fünften Stufe folgt ein contrapassus: Ich möchte auf eine ganz andere, scheinbar gegenläufige Grundkategorie des Denkens Weltes aufmerksam machen. Sie ist viel leiser, aber doch sehr dringlich und gewichtig. Weltes Weite ist nicht nur die Weite der pietas, sondern auch die Weite der Kritik: der Religions-, der Theologie-, der Kirchenkritik. Die Religionskritik war ihm wichtig, weil er mit äußerster Unerbittlichkeit in einer tiefen phänomenalen Genauigkeit das Wesen des religiösen Aktes deutlich machte und weil er von hier aus die Perversionen und die Instrumentalisierungen deutlich machen und verurteilen konnte – freilich nicht im Sinn des äußeren Urteils, sondern der Klarstellung und der Herausstellung des Phänomens, wo Religion in Zerr- und Antiformen geschieht. Doch auch hier gehörte wieder die pietas zu seinem Denken, denn auch in solchen Zerrformen wies er das Winken der unausrottbaren Verbundenheit des Menschen mit dem heiligen Geheimnis auf. Ich war sehr erstaunt, als er einmal ein Plädoyer für die heilige Maria Alacoque hielt. Das hätte ich nicht vermutet. Er sagte: »Die Herz-Jesu-Verehrung kam in einer Zeit auf, zu der die Theologen sich Anspielung auf das Leitwort Bernhard Weltes, Ps 4, 2: »Da mir eng war, hast Du mir’s weit gemacht.«

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so sehr in reinen Abstraktionen ergingen, daß die Wirklichkeit Jesu, der ein Herz für uns hat, verdeckt wurde. Dann kam diese unbekannte Ordensfrau und hat Jesus mit dem Herzen entdecken dürfen. Dieses Herz war ein Therapeuticum gegen die verkopfte Theologie, die Gott in den Kasten ihrer Begriffe verstaute und so nicht mehr Ihm selber begegnete.« Welte ist deswegen kein »Alacoquianer« geworden, aber er hat die Fähigkeit gehabt, nicht nur solche Formen, die Wesentliches unterbieten, zu kritisieren, sondern auch den Grund und Hintergrund, der in solchen Formen lebt, und der manchmal geistlich und positiv ist, zu sehen. Er trat allem entgegen, was einer Freiheit des Selberdenkens und dem Mut zur eigenen und zur gemeinsamen Phänomenologie des Heiligen widerspricht – auch in der Kirche. Er litt darunter, daß es in der Kirche vielerlei Konstruktionen gab, die nicht sichtbar werden ließen, daß es um das heilige Geheimnis geht und nicht um Schutzund Angstbedürfnisse, die kirchliches Handeln und kirchliche Formeln nicht selten prägen. Ich habe bei Bernhard Welte nicht trotz, sondern in seiner Kirchenkritik gelernt, in der Kirche auszuhalten, weil er die Engen immer wieder auf die Weite hin durchbrach und zeigte, daß auch in den verengten Formen etwas lebt, was unsere Solidarität braucht. »Steig nicht aus, laß auch einmal einen Gedanken so stehen, wenn du ihn nicht ganz verstehen kannst. Vielleicht wirst du später darauf kommen, vielleicht ist jetzt nicht der kairos. Glaube daran, daß nicht allein in der kritisch-historischen oder reflexiven Kompetenz das Urteil über den Glauben liegt, sondern daß es auch das Gefüge von anderen Charismen und auch des Amtes gibt. Sei weit genug, das Verborgene auch dort zu entdecken. Aber habe den Mut zu widersprechen, wo das Wesen pervertiert wird und das Heilige als solches in Gefahr ist.« Bernhard Welte war ein behutsamer, aber vielleicht gerade dadurch sehr radikaler Kirchenkritiker, der die Kirche zugleich in einem von mir ganz selten sonst bei uns Theologen gefundenen Ausmaß geliebt hat.

VI. »Dankbärlichkeit« (f) des Denkens Wenn ich das theologische und das philosophische Denken in seiner Weite und in seiner gegenseitigen Weitung des einen durch das ande(f)

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Dieses originelle Konzept, das Hemmerle Eckhart entlehnt, ist ein Begriff, der in

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re bei Bernhard Welte suche, komme ich immer wieder zurück auf seine in einer Vorlesung über Meister Eckhart gegebene Erklärung der Predigt über »Intravit Jesus in quoddam castellum«, von der auch schon etwas angeklungen ist 6. Eckhart spricht dort von dem Weib, das Jesus Christus aufnimmt und ihn gebiert, in der »Dankbärlichkeit«. Was hat Bernhard Welte an diesem Wort so fasziniert? Wir empfangen; und die Jungfräulichkeit ist als die Haltung des Geistes, die leer ist von sich selbst, zu verstehen. Aber das Leersein ist nicht das letzte Ziel, sondern die Jungfräulichkeit des Denkens, das sich nicht mit kleinlichen Gedanken einläßt und das offen ist für das Ganze, darf nicht nur in ihrer Armut verbleiben, sondern sie muß das Wort in sich aufnehmen. Sie nimmt es nur dann in sich auf, wenn sie es verdankt; und sie verdankt es nur, wenn sie in dem, der dankt, neu zum Ursprung wird. Es gilt, zugedachte Gedanken in der Lauterkeit des Herzens aufzunehmen, sie so an uns heranzulassen, daß sie uns verändern und sie sich verändern in uns; diese Gedanken sollen wir so in uns tragen, daß sie im Selberdenken zugleich doch nichts anderes sind als demütige Antwort auf das Wort und diesem so gerade den neuen und unableitbaren Glanz verleihen. Diese eucharistische Haltung war im Grunde Weltes Lebenshaltung. Für mich sind die beiden Eindrücke aus seinem Sterbezimmer sehr signifikant: Jeden Tag wurde die neu gemalte Rose an Frau Rosa Suiter 7 mit einem geschriebenen »Danke« und einem »B. W.« überreicht. Er konnte nicht sprechen, nichts mehr tun, er wollte aber danken, und er hat den Dank durch das Schöne, durch das Zeichen des Schönen, die Rose, vermocht. Und als er schon im Koma lag, zeigte er immer wieder Gesten des Zelebrierens.

Im Vortrag von Vetter, Helmuth: Phänomen und Geschichte. Zur Entfaltung des Wahrheits-geschehens im Denken Bernhard Weltes, in: Wenzler, Ludwig (Hg.): Mut zum Denken, Mut zum Glauben, 169 und 173. 7 Die ihm seit 1966 den Haushalt führte. 6

der deutschen Sprache ungebräuchlich ist: Dankbärlichkeit. In ihm werden Dank und gebären miteinander kombiniert, sodass künstlich ein Substantiv generiert wird. Hierin konzentriert sich eine existenzielle Einstellung, die die ganze Person und ihr Denken in diese Relation einbezieht, in der die beiden Pole nur in einer Spannung zueinander stehen können, ohne die etwas verlorengehen würde: generativ sein im Denken und in der Sorge für andere – also aktiv und bewusst etwas schenken zu können – und zugleich jedoch dankbar, denn diese Generativität kommt vom anderen, der darum bittet, aufgenommen zu werden. Verdankendes Denken

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Dankbärlichkeit in einem umfassenden Sinn war für ihn entscheidend. Nur ein Denken, das nicht nur kritisch alles um der Wahrheit willen scheidet – das ist auch notwendig –, sondern immer auch neu sich vom Wort beschenken läßt, um es zu verdanken und so neu werden läßt, war der Denkstil von Bernhard Welte. Es kann weder in Theologie noch in Philosophie ein neues Denken geben, das nicht innerlichst von solcher Dankbarkeit geprägt wäre. Nur in ihr ist das, was über die bisherige Geschichte hinausgeht, möglich, nur, wenn es verdankt wird; nur so kann es auch bewahrt und weitergetragen werden und nicht zur bloßen geschichtslosen Jeweiligkeit verkommen.

VII. Die Anderen als Partner und Mitdenkende in der einen Welt Zum Abschluß die siebte Stufe: Ich erinnere mich sehr lebhaft, wie Bernhard Welte von seiner ersten Flugreise zurückkehrte. Er sagte: »Ich wollte nicht fliegen. Ich hatte den Eindruck, ich versündige mich gegen die Götter. Es widerstrebt mir, daß ich von der Erde an einem Punkt starte und ohne Übergang an einem anderen ankomme. Ich muß die Veränderung der Landschaft, der Kulturkreise, der ›Götter‹ mitmachen; ich kann nicht irgendwo ein- und an einem anderen Ort wieder aussteigen. Das ist doch ungeschichtlich, eine Versuchung zur Unendlichkeit, während ich doch endlich bin. Das ist ein Vergehen. Aber ich habe es dennoch gewagt, mich über meine Vorbehalte hinweggesetzt.« Warum hat er das getan? Es kamen Studenten aus Lateinamerika, später auch aus dem Vorderen Orient, dem Libanon und aus anderen Ländern dieser Welt, und er merkte, daß diese Menschen nicht nur Gedanken bei ihm lernen und hören wollten, sondern daß sie auch eine neue Chance suchten, ihre »Götter« mitzubringen und sprechend werden zu lassen für die Botschaft vom einen und gemeinsamen Gott, der nicht konstruiert ist, sondern der aus der Erfahrung des Anderen er-hört wird und der beschenkt mit der Erfahrung des Anderen. Bernhard Welte hat um des einen Gottes willen sich zu den anderen Göttern hinbegeben, damit im Gespräch der Götter, der logoi spermatikoi, die eine Sprache, die weltweite und neue Sprache, wachsen kann. Der für mich letzte Schritt von Bernhard Welte ist nicht jener, der in der Feinheit des Gedankens, der Frömmigkeit oder sogar des eigenen Sterbens steckenbleibt, sondern der hinführt zu dem 330

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Anderen, der Partner und Mitdenkender in dieser einen Welt ist. Das ist der entscheidende Schritt; und wir können Bernhard Welte nicht ehren, indem wir nur seine »Jagdtrophäen« sammeln, sondern wir müssen seine Gedanken sammeln als unser Reisegepäck in die unabsehbare Reise weg von uns und doch ganz mit uns selbst in eine neue und eine Welt.

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Handreichungen zur Lektüre

Die vorliegende Schrift, die wir in Betracht ziehen, ist einer von mehreren Beiträgen Hemmerles, in denen er über seinen Lehrer gesprochen hat. Klaus Kienzler 1 hat darin eine innere Linie des Denkens aufgespürt, die den Übergang zeigt vom Denken Weltes, auf das Hemmerle Bezug nimmt, zu seinem persönlichen Denken, das sich im Laufe der Jahre selbstständig herauskristallisiert hat. In besonderer Weise kann man drei Texte in Betracht ziehen, die dem uns vorliegenden vorausgehen, von denen einer auch zu dieser Sammlung gehört, Denken der Grenze – Grenze des Denkens aus dem Jahr 1981, einen weiteren, der dem vorausgeht, Die Wahrheit Jesu 2 aus dem Jahr 1976, auf den wir im Kommentar zu Wahrheit und Zeugnis kurz Bezug genommen haben, sowie schließlich einen späteren Text aus dem Jahr 1986, Eine Phänomenologie des Glaubens – Erbe und Auftrag Bernhard Weltes 3. In diesen Vorträgen, die nachher schriftlich aufbereitet wurden, referiert und deutet Hemmerle nicht nur das Denken Weltes, sondern er erläutert es bereits in dem Licht, das er selbst hinsichtlich der Phänomenologie entwickelt hat, bereichert vor allem durch den Einfluss der Strukturontologie Rombachs. Wir lesen daher die sieben Stufen neu, die Hemmerle vorschlägt, um daraus die phänomenologische Eigenart und das Proprium Weltes herauszuarbeiten, um anschließend zu versuchen, deutlich werden zu lassen, worin Hemmerle im Licht Rombachs Welte erweitert und neu deutet. Die erste Stufe erläutert drei Grundentscheide, die Welte in seinem theologischen und philosophischen Denken getroffen hat; der erste und der dritte, über die Hemmerle spricht, kann man eindeutig der phänomenologischen Methodik Weltes zuordnen: Dahinter verbergen sich zwei Maximen – »Zu den Sachen selbst« und »SelberDenken« –, wie man sie bei Husserl und Heidegger findet. SelberDenken – in unserem vorliegenden Text der dritte Grundentscheid – ist die erste grundlegende Charakteristik, die nach Weltes Auffassung den Auftrag der Philosophie und Phänomenologie definiert, die in K. Kienzler, Phänomenologie des Glaubens – von Bernhard Welte zu Klaus Hemmerle, in: G. Bausenhart/M. Böhnke/D. Lorenz (Hg.), Phänomenologie und Theologie im Gespräch, ebd., 227–247. 2 K. Hemmerle, Unterwegs mit dem dreieinen Gott. Schriften zur Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie 2, ebd., 176–198. 3 K. Hemmerle, Auf den göttlichen Gott zudenken. Schriften zur Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie, 1, ebd., 472–497. 1

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Handreichungen zur Lektüre

dem Moment entstehen, wenn der Mensch beginnt, selbstständig zu denken, auf Grundlage einer Fähigkeit, die ihm eigen ist und die ihn von den anderen Lebewesen unterscheidet. Diese Einstellung wächst ihm aus einer Neuinterpretation der Geschichte des westlichen Denkens zu, im Besonderen Meister Eckharts und des Idealismus bis hin zur Phänomenologie selbst, besonders in der Weise, wie sie Heidegger formuliert hat: »wir verstehen Denken als Phänomenologie, das heisst als ein Freilegen und Bergen des sich selber Zeigenden« 4. In besonderer Weise stützt sich Welte auf Heideggers Was heißt Denken?, in dem dieser verdeutlicht, dass das Denken nur durch die Aktivität des Denkens selbst verständlich wird 5. Auch der erste Grundentscheid »Zu den Sachen selbst« wird von Welte, obwohl das ursprünglich von Husserl so formuliert wurde, aufgegriffen in jener Neuinterpretation, wie sie Heidegger in § 7 von Sein und Zeit vornimmt, und sie kehrt bei Welte zurück und wird von ihm in seinen Freiburger Vorlesungen wie auch in einigen seiner Schriften ständig neu gedeutet. Phänomenologie im Sinne Heideggers ist »das was sich zeigt, so wie es sich von ihm selbst her zeigt, von ihm selbst her sehen lassen. Das ist der formale Sinn der Forschung, die sich den Namen Phänomenologie gibt. So kommt aber nichts anderes zum Ausdruck als die oben formulierte Maxime: ›Zu den Sachen selbst!‹« 6. Der zweite Grundentscheid betrifft den Phänomenologen; Hemmerle stellt also gleich eine Wechselbeziehung her zwischen der Sache, die sich von sich selbst her zeigt und das Recht hat, so vorurteilsfrei wahrgenommen zu werden, und der Person des Phänomenologen, der nicht nur über die Fähigkeit verfügt, auf diese Sache zu schauen, sondern dazu verpflichtet ist; denn ohne ihn in seiner Eigenschaft als Zeuge würde nichts passieren, denn die Sache sagt etwas von sich im Vollzug der Begegnung mit demjenigen/derjenigen, der/ die diesem Moment Gegenwart verleiht, indem er/sie Zeuge wird. Welte versteht sich also voll und ganz im Rahmen der phänomenologischen Strömung und mit ihm Hemmerle selbst, denn die drei Grundentscheide, von denen er mit Bezug auf seinen Lehrer spricht, sind in seinem gesamten intellektuellen Schaffen auffindbar, B. Welte, Meister Eckhart. Gedanken zu seinen Gedanken, in: Bernhard Welte Gesammelte Schriften, Bd. II/1: Denken in Begegnung mit den Denkern I: Meister Eckhart, Thomas von Aquin, Bonaventura, Herder, Freiburg i. Br. 2007, 21–215, 33. 5 Vgl. M. Heidegger, Was heißt denken?, P.-L. Coriando (Hg,), Martin Heidegger Gesamtausgabe 8, Klostermann, Frankfurt a. M. 2002. 6 M. Heidegger, Sein und Zeit, ebd., § 7. 4

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ebenso wie in seiner Lebenshaltung, was den vorausgehenden Texten, die wir in Betracht gezogen haben, deutlich zu entnehmen ist. Zu den Grundentscheiden gesellt sich eine Methodologie, und tatsächlich wird klar, dass Welte nicht bei der Phänomenologie allein stehen bleibt, sondern sich von ihr ausgehend öffnet, gerade wegen ihrer inhärenten Charakteristik im Blick auf das, was die Tradition bereits entwickelt hatte, in der Suche nach dem, was für das jeweilige Thema oder behandelte Argument am angemessensten wäre. In derselben Weise brachte er sich ein im Dialog mit zahlreichen Denkern und hörte ihnen zu, die ihrerseits zur Geschichte des Denkens beigetragen hatten; hier sei nur an einige erinnert, wie der bereits genannte Meister Eckhart – mit dem er sich stets eingehender beschäftigte und von dem er zutiefst fasziniert war –, Bonaventura, Thomas von Aquin, Nietzsche, Kant, Hegel, Schelling u. a. Diese Methodologie knüpft an einen Aspekt, den Hemmerle fast beiläufig erwähnt, der aber entscheidend ist, ja, der zum Stil Hemmerles selbst wird: das Wie 7. Welte ist wie Hemmerle nicht allein am Was interessiert – Gegenstand des gesamten philosophischen westlichen Denkens –, sondern ebenso am Wie, denn darin kommt die Verbindung zum Ausdruck, die Beziehung, die sich zwischen der Person und der betrachteten Sache ergibt; auch dieser Aspekt entspricht dem Denken Heideggers 8. Die dritte Stufe umfasst zwei weitere Aspekte, die miteinander verbunden sind; dabei geht es um die Dimension des Dialogs, der unter Personen zustande kommt und der das Zwischen Bubers wachruft, sowie um die historische Dimension, die im welteschen Denken eine enorme Tragweite hatte. Das notwendige Verständnis der Geschichtlichkeit hängt zusammen mit dem Zugang Weltes zur Realität, die als solche immer in der Zeit gelebt wird und von daher geschichtlich ist: Ich nehme nicht zu etwas Abstraktem Beziehung auf, sondern immer mit einem Du, und das gehört zu diesem Kontext. Das Denken der Epoche ist durch Rosenzweig beeinflusst worden, worauf Hemmerle selbst hinweist, und in besonderer Weise durch den notwendigen Zusammenhang, den dieser Denker herstellt zwischen der Zeit und dem Wenn man auf das Werk Hemmerles schaut, findet man eine beträchtliche Zahl an Texten, deren Überschrift oder Titel mit dem Fragewort »Wie« beginnt, das auf die Erforschung der Seinsweise gerichtet ist, auf den sich vollziehenden Prozess, wenn man eine gegebene Sache lebt oder überdenkt: »Wie entsteht Gemeinde?«, »Glauben – wie geht das?«, »Wie als Priester heute leben?«, »Umkehren – wie geht das?«, »Wie Glauben im Leben geht?«, um nur einige Beispiele zu nennen. 8 Vgl. § 7 in M. Heidegger, Sein und Zeit, ebd. 7

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anderen als Polen des »neuen Denkens«. Im umfangreichen Schaffen Weltes findet man zahlreiche Schriften 9 und Vorlesungen über die Zeit und darüber hinaus spezifischer über die Geschichte und die Entwicklung der Epochen, in denen natürlich das Denken Heideggers spürbar ist. Hemmerle macht sich diese Einstellung nicht so sehr in einer Suche zu eigen, die ausdrücklich auf diese Phänomene gerichtet ist, als vielmehr darin, dass er immer den »Rahmenbedingungen« seiner Gesprächspartner einen besonderen Platz einräumt, um zu vermeiden, sie in vorgefertigte pauschale Kategorien einzuordnen. Auf der vierten Stufe taucht etwas sehr Charakteristisches auf: die pietas des Denkens, die als solche mit den anderen Aspekten zusammenhängt, aber auch dazu führt, immer etwas Größeres zu finden, als man erwartet hätte, bis zu dem Punkt, dass man das Unendliche im Endlichen zu entdecken vermag sowie die unabdingbare Beziehung zwischen beiden. Die pietas bedeutet Demut und Aufrichtigkeit im Denken, das nicht alles zu fassen vermag und auch nicht alles verstehen kann, sondern seine »Waffen« strecken muss, das, was ihm vertraut und gewiss ist, wenn es sich ständig neu von der umgebenden Realität ins Staunen bringen lassen will und noch mehr, wenn es in gewisser Weise jenen Ursprung erreichen will, auf dem es gründet und der alles umgibt und so Beziehungen des Verständnisses ermöglicht. Hier mündet die existenzielle Ebene in starkem Maße in die rein theoretische der Beobachtung und Reflexion, wobei sie dem messianischen Denken Rosenzweigs begegnet 10. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet die Sprache das Medium derartiger Erfahrung ist, auch wenn sie sich in ein Schweigen aus Mangel an Worten wandelt 11. Das ist der Ort, an dem sich die Wahrheit öffnet, die, wie Hemmerle in Die Wahrheit Jesu schreibt, gerade in der Begegnung und im Dialog zwischen der Sache und dem Phänomenologen geschieht, und zwar als »Kundgebung oder Bewährung«, die er nicht von Welte, Vgl. B. Welte, Gesammelte Schriften. Mensch und Geschichte, ebd.; ders., Gesammelte Schriften. Person, ebd. 10 Im Stern der Erlösung »liest« Rosenzweig die Geschichte der Menschheit, indem er eine zeitliche Dreiteilung vorschlägt, aber er gründet die Philosophie und mit ihr das Denken als solches auf die Beziehung der Begegnung, die sich im Dialog und im Gespräch verwirklicht, also durch die Sprache, die vor dem Heiligen jedoch zum Gebet und zur Anbetung im Chor wird, weil die Worte des Dialogs nicht mehr genügen. Vgl. F. Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, ebd. 11 Wir erinnern hier an den ersten Text der vorliegenden Sammlung, Das Heilige und das Denken, in dem Hemmerle diese dialogische sprachliche Dynamik des Denkens ausführlich entfaltet hat bis zu dem Punkt, wo sie vor dem Heiligen sprachlos wird. 9

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sondern von Rombach her abwandelt, der bekräftigt, dass man »Wahrheit nicht [hat]; Wahrheit geschieht. Das Gespräch ist das Geschehen der Wahrheit. […] Wer Wahrheit nicht »erfahren« hat, weiß nichts von Wahrheit« 12. Doch zur Wahrheit gelangt man, indem man – und das ist die fünfte Stufe – eine kritische Einstellung in der Tiefe, aber auch eine dankbare Anerkennung bewahrt – sechste Stufe. Auch Hünermann betont den kritischen Geist als Grundhaltung Weltes, die so ausgeprägt war, dass sie fast die Habilitation aufs Spiel setzte wegen der Originalität, mit der Welte einige Aspekte der Fundamentaltheologie infrage stellte und ein neues Modell vorschlug, das noch nicht verstanden und akzeptiert war 13. Die Kritik Weltes trug die Züge einer sorgfältigen Beobachtung der Gesellschaft, in der er lebte und der nach seiner Auffassung die Frage nach dem Sinn abhanden gekommen war, und zwar nicht nur auf sozialer, sondern auch auf kirchlicher und theologischer Ebene. Dadurch motiviert, verstand er sein intellektuelles und pastorales Engagement als eine Suche und Neufokussierung dieses tiefen Sinns; er verurteilte einerseits Irrtümer und abwegige Verdrehungen und rückte die Dimension des Geheimnisses des Göttlichen und demzufolge auch der Kirche und Theologie neu ins Licht, ebenso wie auch der Religion ganz allgemein. Eine solche Einstellung finden wir auch bei Hemmerle, der Begegnungen nicht ausgewichen ist, nicht nur auf intellektueller Ebene, mit Menschen oder Gedanken, die nicht auf gleicher Linie mit seinem Denken waren und die er nicht bloßstellen wollte. Sicherlich aber scheint diese Haltung Hemmerles eher von einem damit einhergehenden Bedürfnis nach Versöhnung motiviert gewesen zu sein, nämlich den Punkt zu finden, wo man trotz allem zur Begegnung findet, jenseits oder sogar gerade mittels der Differenzen 14. H. Rombach, Strukturontologie, ebd., 95 Vgl. P. Hünermann, Bernhard Welte als Fundamentaltheologe. Die Bedeutung des philosophischen Werkes von Bernhard Welte für die Theologie, in: G. Bausenhart/ M. Böhnke/D. Lorenz (Hg.), Phänomenologie und Theologie im Gespräch, ebd., 516–535. 14 Ein Beispiel hierfür ist der Dialog, den Hemmerle mit Levinas führte. Dieser schien Hemmerle nicht zu verstehen – wahrscheinlich, weil er einfach vom Judentum her kam und seiner Tradition treu bleiben wollte. Deshalb bemühte sich Hemmerle mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, ihm zu begegnen, um zu einer Klärung im Gespräch zu finden. Wilfried Hagemann berichtet über diese Begebenheit in: W. Hagemann, Verliebt in Gottes Wort: Leben, Denken und Wirken von Klaus Hemmerle, Bischof von Aachen, ebd. 12 13

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Die »Dankbärlichkeit« markiert den der Kritik entgegengesetzten Pol, allerdings mit komplementärer Wirkung: Alles durch aufmerksames und kritisches Denken in Betracht zu ziehen, bereitet den Weg zu jener Leere, die notwendig ist, um das aufzunehmen, was größer ist und die alleinige Fähigkeit des Denkens übersteigt. Nur in einem verdankenden Denken kann Gott gegenwärtig werden, das heißt, wenn es, nachdem es den ganzen möglichen Weg mit den allein zur Verfügung stehenden Mitteln durchlaufen hat und den Pfad von intellektuellem Ballast gereinigt hat, in einer Dynamik des Dialogs erkennt, dass es nicht darüber hinaus kann, und feststellt, dass es den anderen braucht und sich an diesen mit Dankbärlichkeit wendet; so kann Gott zum Vorschein kommen. Diese scheinbar wenig wissenschaftliche Haltung hat an sich intellektuell beachtliche Konsequenzen, die sich tatsächlich als zeitgemäß erweisen oder sogar aktueller sind; es handelt sich um jene menschliche Fähigkeit, hohe Ziele zu verfolgen, indem man alle verfügbaren Gaben einsetzt, ohne jedoch ein einfaches, aber grundlegendes Faktum aus den Augen zu verlieren: dass wir uns die Existenz nicht selbst gegeben haben, sondern dass wir sie von jemand anderem empfangen haben und dass also, nur wenn wir das als Bezugshorizont anerkennen, in dem wir uns bewegen, wir auch unsere Werkzeuge dort niederlegen können, wo sie nicht mehr aussagefähig sind, wo sie nicht erfassen oder im Gegenteil, wo sie brechen und zerstören. Von daher bietet sich eine an die religiöse Dimension gebundene Haltung auch auf anderen Ebenen an, wie die erkennbare und heutzutage wie nie zuvor dringliche Ebene der Ethik. Die letzte Stufe schließlich erinnert an den Pol der Spannung des Denkens aus sich heraus, nämlich das »Denken-mit« anderen, eine ganz eigene Kategorie, die Welte eingebracht hat. Das Denken-mit, das zugleich ein Sehen-mit, ein Hören-mit, ein Gehen-mit usw. ist, ist Frucht des Wir und in der relationalen Dimension verwurzelt, die dem gesamten Denken Weltes eigen ist und auf der sein anthropologisches Grundverständnis basiert: Auch wenn ich in selbstständiger Weise und scheinbar als Einzelner denke, so bin ich doch immer von anderen umgeben, die ihrerseits denken und sich den Fragen der Wirklichkeit stellen, wobei sie eine andere Perspektive bezüglich jener einbringen. Auch dieser Aspekt hat einen stark heideggerschen Charakter, den Hemmerle jedoch mit Rombach entwickelt, wodurch er ihm einen weiteren Farbton gibt, den der Mehr-

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ursprünglichkeit 15, der nicht nur seine trinitarische Sichtweise kennzeichnet, sondern auch seine Haltung eines beständigen Dialogs mit allen. Die Struktur ist nämlich Beziehung und Prozess, in dem jeder Punkt (sei es eine Person oder ein Gegenstand) einen einzigartigen und unersetzbaren Moment vergegenwärtigt, der zum Ganzen beiträgt. Wenn wir uns Kienzlers 16 Vorschlag zu eigen machen, können wir all diese von Hemmerle dargelegten und von uns weiter vertieften Punkte zusammenfassen in drei Aussagen, die den anderen Texten am Beginn dieses Kommentars zu entnehmen sind, in denen Hemmerle von Welte spricht: 1.) dieses – »Sieh!«; 2.) nichts – »Lass es!«; 3.) und – ja. Das »und« rosenzweigscher Erinnerung – das versucht, Gott, die Welt und den Menschen zu einen und miteinander zu verbinden – wird dann von Hemmerle nach Rombachs ontologischer Kategorien umgesetzt: »und-Gespräch«, das in mancher Weise der welteschen Beziehung zwischen dem Wie und Was entspricht; »undWelt«, die bei Welte zum Ausdruck kommt durch die Tatsache, dass jede Sache, die sich zeigt, das Alles ins Spiel bringt; und die »undWahrheit« 17.

In Heidegger findet man eine Gleichursprünglichkeit der drei Elemente, die das Dasein/den Menschen ausmachen: Befindlichkeit, Verstehen und Rede. Diese drei Elemente sind nicht aufeinander reduzierbar oder zurückzuführen. Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, ebd., § 28–38. 16 Vgl. K. Kienzler, Phänomenologie des Glaubens – von Bernhard Welte zu Klaus Hemmerle, ebd., 243. 17 Vgl. K. Hemmerle, Eine Phänomenologie des Glaubens – Erbe und Auftrag von Bernhard Welte, in: Ders., Auf den göttlichen Gott zudenken. Schriften zur Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie 1, ebd., 483–485. 15

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IX. Der Einheit entgegen

A. Zur Einführung Im Jahr 1994, in dem Hemmerle starb, wurde eine Schrift von ihm über die Einheit veröffentlicht; es handelt sich um einen schriftlich verfassten Beitrag zum 65. Geburtstag seines Kollegen Peter Hünermann, und er gehört zu der Festschrift Kirche und Theologie im kulturellen Dialog. Für Peter Hünermann 1. Dieser Beitrag unter dem Titel Das unterscheidend Eine. Bemerkungen zum christlichen Verständnis von Einheit wurde nachher in die Ausgewählten Schriften 2 aufgenommen. Auch in dieser Schrift geht es um die Beziehung zwischen Theologie und Philosophie, um ein Motiv, das vom Heiligen und Ursprünglichen ausgeht und dahin zurückkehrt, wenn auch mit weiteren Konnotationen, nämlich zur Frage des Einen. Darüber hinaus kann man aus meiner Sicht einen Werdegang im Leben und Denken ablesen, der sich von einem eher streng theologisch-philosophischen, an die Religion gebundenen Interesse hin bewegt, beseelt und bereichert durch Begegnungen und Lebenserfahrungen bis zur langjährigen Tätigkeit in der Pastoral als Bischof, in die Richtung von Interessen, die immer mehr ans konkrete Leben gebunden sind sowie an die soziokulturelle Realisierung dessen, was der Glaube uns erfahren und kennenlernen lässt. Nicht zuletzt ist der Grund für die Auswahl dieses Textes das Sprechen über die Einheit, die Klaus Hemmerle zeitlebens fasziniert hat, in besonderer Weise wegen seiner tiefen Verbindung mit Chiara Lubich und dem mit ihrer Person verbundenen Charisma der Einheit.

B. Fraling (Hg.), Kirche und Theologie im kulturellen Dialog. Für Peter Hünermann. Herder, Freiburg – Basel – Wien 1994. 2 K. Hemmerle, Ausgewählte Schriften, II, ebd., 333–353. 1

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Der Einheit entgegen

In einer Reihe von Vorlesungen, die Hemmerle selbst in St. Georgen gehalten hat, legt er dar, warum dieses Thema für ihn eine solch eminente Bedeutung hat: Leben aus der Einheit: Dieses Thema geht mir nahe, hat mit meinem Leben zu tun und geht weit über ein intellektuelles Gedankenspiel hinaus. Wenn ich es ernst nehme, ist es die Grundlage meiner und unserer christlichen Existenz, die Grundlage unseres Glaubens und Lebens. Ich bin überzeugt, es ist das Thema heutiger Zeit und so bedeutsam wie wenige andere 3.

Ganz bezeichnend in dieser Schrift ist der Übergang vom Sprechen über das Wort und über die Sprache Gottes, insoweit diese sich in menschlichen Worten ausdrückt – teilweise sind wir dem in den vorausgehenden Texten begegnet, jedenfalls ist das im Denken Hemmerles präsent –, auf die Ebene des Gebrauchs dieser Sprache selbst, um zu argumentieren und die Idee der Einheit zu bekräftigen. Der Text ist überreich an Zitaten aus der Heiligen Schrift, die von Hemmerle nicht nur eingefügt wurden, um Beispiele anzuführen, sondern – so wage ich zu sagen – als dieselbe und einzige Sprache, auf die man sich hier allein berufen kann, um von der Einheit Gottes zu sprechen.

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K. Hemmerle, Leben aus der Einheit, 22019, 19.

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Das unterscheidend Eine Bemerkungen zum christlichen Verständnis von Einheit

»Die Offenbarung des Heiligen als Ereignis der Geschichte wird sich deshalb nicht in der Verkündigung eines Gefüges von Mensch und Menschheit, Welt und Welten bezeugen. Die verschiedenen Zeugnisse werden vielmehr verschiedenes Gepräge aufweisen, gerade so aber erweisen, dass die Gemeinde sich in allen Welten und Zeiten zu allen Menschentümern gesandt weiß, nicht um diese Welten und Menschen zu ändern – sie sind ja, sollen und dürfen sein, sie sind die vom Heiligen gemeinten Zeiten und Menschen –, sondern um die Menschen in ihren Welten mit dem neuen Namen zu rufen.« So lesen wir im Schlussteil der Habilitationsschrift von Peter Hünermann aus dem Jahr 1967 1. Die theologische und philosophische Arbeit von Peter Hünermann, die seither geschah, aber auch sein Einsatz für die Begegnung zwischen Kultur und Theologie in Lateinamerika und in Deutschland, schließlich seine Hinweise zum theologischen Gebrauch des »Denzinger« 2, den er neu herausgab, rechtfertigen es und legen mir nahe, ihm zum 65. Geburtstag Gedanken zu widmen, die ein christliches Verständnis von Einheit anderen Verständnissen dieses heute ebenso aktuellen wie verdächtigen Wortes gegenüberstellen. Zunächst schulde ich den Lesern zwei Vorbemerkungen. Zum einen: Ein Gebirge sieht sich von nahe und von ferne je anders an. Wichtige Details entgehen aus der Distanz, doch tritt eine Gesamtgestalt zutage, die so aus den Details allein nicht zu gewinnen wäre. Eines kann nicht gegen das andere als die »wahre« Sicht ausgespielt Hünermann, Peter: Der Durchbruch geschichtlichen Denkens im 19. Jahrhundert. Johann Gustav Droysen, Wilhelm Dilthey, Graf York von Wartenburg. Ihr Weg und ihre Weisung für die Theologie, Freiburg, Basel, Wien 1967, 407. 2 Vgl. Hünermann, Peter (Hg.): H. Denzinger. Enchiridion Symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum. Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Verbessert, erweitert und unter Mitarbeit v. H. Hoping, 37. Aufl., Freiburg, Basel, Wien 1991, 9–13. 1

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werden. In einer Phänomenologie des Sehens wird deutlich, dass beide Bewegungen grundsätzlich jeden Blick konstituieren: Ausgang vom Einzelnen zum Gesamten, Ausgang vom Gesamten zum Einzelnen. Ich nehme hier den Verlust an Detail und Differenzierung in Kauf, um einen zusammenfassenden Blick aufs Ganze zu ermöglichen. Zum zweiten: Es wäre reizvoll, das Thema Einheit von der Geschichte des Denkens und der hermeneutischen Situation der Gegenwart her anzugehen, doch wähle ich den Ansatz unmittelbar bei der christlichen Botschaft, um von ihr her das anfanghaft in den Blick zu bringen, was sie zum drängenden Kirchen- und Weltproblem Einheit zu sagen hat.

I.

Die Botschaft der Einheit

Die Worte »einer« und »eins«, »erster« und »zuerst«, »einzig« und »allein« (a) und andere entsprechende Ausdrücke nehmen einen breiten Raum im Gesamt des Neuen Testamentes ein. An nicht wenigen Stellen in unterschiedlichen Schichten des biblischen Textes eignet dem Sprechen vom Einen und der Einheit hohe theologische Qualität für die Erschließung und Akzentuierung der Botschaft als solcher. Die Durchsicht vieler einschlägiger Fundstellen aus unterschiedlichen zeitlichen und hermeneutischen Kontexten lässt den Umriss einer Botschaft von der Einheit im Neuen Testament gewinnen.

1.

Das Eine Notwendige

Dass nur Eines und nur Einer wichtig sind, ist in der Perspektive Jesu und seiner Botschaft als das erste zu sagen. Er bringt uns die Botschaft von der nahegerückten Herrschaft Gottes (Mk 1, 15). Diese aber bedeutet: Gott ist nicht nur ein höchster Zielpunkt, ein tiefster Grund oder ein weitester Horizont unseres Lebens. Gott wird vielmehr unmittelbar zu uns, er lässt sich ein in unser Leben. Alles, wir selbst sind dadurch bestimmt, sind dadurch anders. Kurskorrektur, ja Umkehrung des Weges tun not. Zwei markante Worte, die aus unterschiedÜber die Bedeutung dieses Ausdrucks vgl. oben, Anmerkung v), S. 78, in: Das Heilige und das Denken.

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lichem Kontext in diese Richtung stoßen: »Aber nur eines ist notwendig« (Lk 10, 42), und: »Euch aber muss es zuerst um sein Reich und seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben« (Mt 6, 33). Ist dies indessen so »neu«? Gewiss gibt es eine allgemein menschliche Orientierung auf das Eine zu, das dem Ganzen Sinn gibt. Und zumal im Alten Testament verbindet sich mit der Einheit und Einzigkeit Gottes die Umorientierung von der Vielfalt menschlicher Interessen und Sorgen auf den hin, von dem allein alle Geschichte abhängt und in dem sie ihre Erfüllung findet. Jesus zitiert, gefragt nach dem Gebot, welches »das erste von allen« ist, das Wort aus Dtn 6, 4 f., nach dem Jahwe der einzige Herr ist, so daß ihm allein die Liebe mit allen Kräften unserer Existenz gebührt (Mk 12, 29–30). Weisheit im alttestamentlichen Verständnis ist gerade die Einsicht und Kraft, alles auf diese Einheit und Alleinigkeit Gottes hin zu orientieren, in ihrem Licht alles zu sehen. Das Weilen im Haus des Herrn drückt das Eine und Einzige aus, um was es dem Frommen in Israel geht (vgl. Ps 27, 4). Diese grundsätzlichen und immer geltenden Verhältnisse, die gewiss ihren Grund im Bund haben, den Jahwe mit seinem Volk schließt, werden im Kommen Jesu zugespitzt, sie werden geschichtshaft aktuell; denn »die Zeit ist erfüllt« (Mk 1, 15). Was prinzipiell gilt, ist nun Geschichte und macht nun Geschichte in einem endgültigen, nie mehr zurückrufbaren Sinn. Die Zeiten laufen in ihre Zusammenfassung und Einung, in das eine Ereignis hinein, in dem Gott sich ihnen zueignet und sie in seiner eigenen Nähe, in seinem eigenen Dasein erfüllt. Einheit hat ihren ersten und elementaren Sinn im Neuen Testament gerade darin, daß jetzt die Stunde der Herrschaft Gottes ist, dass jetzt nur noch Eines (Einer) zählt und somit das Ganze »auf den Kopf« gestellt wird. Die eine und einzige absolute Priorität wirft den ganzen Kosmos der menschlichen Prioritätensetzungen über den Haufen. Nur die Kleinen kommen in die Gottesherrschaft hinein (Mt 18, 1–3). Wer der Erste sein will, soll der Sklave aller sein (Mk 10, 44; 9, 35). Viele Letzte werden Erste sein und umgekehrt (Mk 10, 31). Was ist der Grund solcher Umordnung des Ganzen? Wenn der Eine und Einzige, wenn das Einzig Notwendige mit ganzer Wucht und Endgültigkeit einbricht in die Geschichte, dann sind nicht mehr die menschlichen Leistungen und Qualitäten das strukturierende Prinzip, sondern das liebende Handeln Gottes, das sich gerade dort Verdankendes Denken

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erweist, wo der Mensch von sich aus nichts vermag und »ist«. Die letzte und äußerste Einheit, die erreicht sein wird, wenn Gott alles in allem ist (1 Kor 15, 28), eignet sich in der Ordnung des in Jesus nahekommenden Gottesreiches uns zu im Vorrang der Letzten vor den Ersten; die Null wird zur Schale der Eins.

2.

Der Erste und Einzige

Das Eine und Einzige ist Ereignis des Einen und Einzigen, ja ist der Eine und Einzige. Diese Ausschließlichkeit Gottes als des Einenden und Einen schließt freilich gerade den mit ein, in dem sich Gott als der Eine und Einzige erweist, in dem Gott seine Herrschaft heraufführt. Dies wird indirekt, aber eindrücklich präsent in der Perikope vom reichen Mann in der Fassung bei Markus (Mk 10, 17–22). Nirgendwo scheint Jesus das Interesse so radikal von sich weg auf den Vater allein hinzulenken wie hier. Der Mann spricht Jesus an mit dem Titel »guter Meister«, Jesus aber scheint ihn zurückzuweisen, indem er antwortet: »Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer Gott, dem Einen« (Mk 10, 10–18). Doch indem Jesus den Partner auf die Fährte Gottes und seines Gebotes allein führt, alles und gerade auch seinen großen Besitz am einzig Guten, an Gott selbst relativiert, spitzt sich das Gespräch zu auf den Ruf Jesu: »und folge mir nach!« (Mk 10, 22). Die in Mk 1, 15–20 vollzogene Verbindung zwischen Ankündigung der Gottesherrschaft und Ruf zur Nachfolge weist in dasselbe: Gottes Herrschaft, ihr und sein Kommen geschehen konkret, lassen sich nicht ablösen von dem bestimmten geschichtlichen Ereignis, von Jesus, seiner Botschaft, seinem Schicksal, seiner Person. Dies rückt keineswegs zur Seite, dass Gottes Heilswille allumspannend ist, die Einheit der Menschheit also über den Kreis derer hinaus erfasst, die unmittelbar mit Jesus in Beziehung treten. Aber dieser universale Heilswille, diese Präsenz Gottes in der Geschichte ist nichtsdestoweniger da in Jesus, und in der Begegnung mit ihm ist sie alles entscheidende krisis und charis zugleich. Der Eine und Einzige, Jahwe, Gott allein, stellt sich dar, wirkt, ist gegenwärtig in dem einen und einzigen Jesus als Künder und Bringer der Gottesherrschaft. Jesus als der Eine und Einzige ist die Zueignung, das Ereignis des Einen und Einzigen: Gott. 344

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Der Ausdruck, die innere Geschichte, das Sich-Eröffnen und Sich-Zusprechen dieser Wirklichkeit geschieht in vielfältigen Schritten und Schichten, auf die nur knapp hingewiesen werden kann. Das ist zunächst der immanente Offenbarungsanspruch der Botschaft Jesu, wie er etwa in den Antithesen der Bergpredigt, im »Ich aber sage Euch« Jesu aufscheint (Mt 5, 21–48). In Jesus erweist sich so Gott selbst als der Sprechende und Handelnde (vgl. auch die Vollmacht der Sündenvergebung in Mk 2, 1–12 und die Lokalisierung seines Wirkens und Sprechens in dem einzigartigen Bezug zum Vater in Mt 11, 27). Eine nicht weniger wichtige, zweite Linie liegt auf der Ebene des Ereignisses, des Geschehens: Jener, der die Herrschaft Gottes ansagt, ist mit seiner eigenen Existenz der Künder und Anfang der neuen Einheit der Menschheit in Gott und seiner Herrschaft: durch seine Auferweckung von den Toten. Im Kontext jenes Urzeugnisses der Auferweckung, das uns in 1 Kor 15 vorliegt, wird materialiter auch die Auferweckung Jesu mit dem Beginn der Gottesherrschaft und mit der Auferweckung aller in Verbindung gebracht. In unterschiedlichen Kontexten des Neuen Testamentes tritt der Auferweckte so als der Erstgeborene von den Toten, als der Erstauferstandene in den Blick (Röm 8, 29; Kol 1, 18; Apg 26, 23). Als dieser Erste unter den Auferweckten ist Jesus der Stammvater der neuen Menschheit, der neue Adam (1 Kor 15, 22.45; Röm 5, 12–21). Von der Auferweckung her tritt die Ursprünglichkeit und Anfänglichkeit Jesu selber ins Licht, die ihn im innersten Geheimnis Gottes verankert. Im Erstgeborenen von den Toten leuchtet jener auf, »der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als der Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten« (Röm 1, 4). Er wird gar als »der Erstgeborene der ganzen Schöpfung« bezeichnet (Kol 1, 15), und schließlich geht der Erstgeborene von den Toten auf als der »Einziggeborene vom Vater« (vgl. Joh 1, 14 und 18, 3.16.18; 1 Joh 4, 9). Bei aller Verschiedenheit der Bilder und Traditionen, die sich in den Aussagen über die Erstheit und Einzigkeit Jesu und über die in ihm neu gegründete Einheit der Geschichte und der Menschheit finden, ergibt sich hier doch ein Zusammenhang, der das Spezifische der Einheit in der neutestamentlichen Botschaft erhellt. Die Einzigkeit Gottes und die Einheit des Ganzen allein in ihm brechen elementar auf in der Gottesherrschaft, die Jesus ansagt und heraufführt. Dieses Ansagen und Heraufführen sind aber nicht nur ein äußeres, werkVerdankendes Denken

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zeugliches Tun, sondern die Gottesherrschaft eignet sich uns zu in der geschichtlichen Einzigkeit und Einmaligkeit des Kommens Jesu, seiner Botschaft, seiner Auferweckung. Die ausschließliche Einzigkeit Gottes schließt die Einzigkeit Jesu mit ein, vermittelt sich in ihr und konstituiert sie zugleich. Wir können sagen: die Einzigkeit Jesu ist die Einzigkeit Gottes, die Einzigkeit Gottes ist die Einzigkeit Jesu. Dies führt zur Erkenntnis, dass Gott in Jesus sich ganz uns zugeeignet hat, dass es also kein Geheimnis Gottes gibt, das unbezogen und uneröffnet »hinter« dem Ereignis des Kommens Jesu läge. Gott ist dies: uns seinen Sohn zu senden und zu schenken. Nicht dass die Freiheit und Unselbstverständlichkeit dieser Tat in solcher Aussage aufgehoben wäre, sie gehört vielmehr entscheidend zum Verständnis des Geheimnisses Jesu hinzu. Doch in solcher freien und unselbstverständlichen Zuwendung Gottes zu uns in Jesus ist er selber drinnen. Der, den er sendet, gehört nicht erst in der Folge dieser Sendung zu ihm, sondern diese Sendung hat ihr Geheimnis darin, dass Gott den uns sendet, der so zu ihm gehört, daß in ihm er selber da ist. Dies wird uns vermittelt in der »frühen« Aussage Röm 8, 32: »Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?« Alles ist überboten und somit eingefasst in der Hingabe des Sohnes, in der Selbsthingabe Gottes (Röm 8, 38). Eine dementsprechende »späte« Stelle (Joh 10, 28–30) wird uns in anderem Zusammenhang noch zu denken geben. So versteht es sich denn, dass wir – wiederum in unterschiedlichen Kontexten – auf bekenntnishafte Aussagen im Neuen Testament stoßen, die als Fundament kirchlicher und geschichtlicher Einheit die Einzigkeit Gottes und jene Jesu in einem Atemzug nennen und innerlich miteinander verbinden. (1 Kor 8, 6: »So haben doch wir nur einen Gott, den Vater. Von ihm stammt alles, und wir leben auf ihn hin. Und einer ist der Herr: Jesus Christus. Durch ihn ist alles, und wir sind durch ihn«; weiter Eph 4, 5–6: »ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist«; schließlich 1 Tim 2, 5: »Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus.«). Indem sich in Jesus die Einheit Gottes vollbringt, indem sie in ihm »da« ist, ist auch die Einheit von allem da. Jesus ist die anakephalaiosis des Ganzen: Gott »hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen, in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist« (Eph 1, 10). 346

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Dieser Einschließlichkeit, dieser Einheit des Ganzen in Jesus entspricht freilich seine Ausschließlichkeit: »Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen« (Apg 4, 12).

3.

Das Einheit Stiftende

Gott kommt, er richtet seine Herrschaft auf, er bringt sich ein als der Eine und Einzige, der alles eint. Er tut es in Jesus Christus, und gerade so tut er selbst es. In Jesus Christus wächst die neue Einheit des Menschengeschlechtes, in Jesus Christus ist alles zusammengefasst und verbunden. Aber wie geschieht das? Wie tut Jesus das? Wie handelt Gott in Jesus? Welches ist das Einheit stiftende Handeln, Wirken, Dasein? Wir versuchen zunächst eine indirekte Annäherung. Herrschaft, Reich erfordern ungeteiltes, konsistentes Dasein, Sich-Durchsetzen eines einenden Willens. Ein in sich gespaltenes Reich kann keinen Bestand haben (Mk 3, 24). Wenn Gott sein Reich, seine Herrschaft heraufführen will, dann gibt es keinen anderen Weg als das, was sich ihm widersetzt, zu überwinden (Mt 12, 27–29). Und doch stoßen wir gerade an diesem Punkt in die Andersartigkeit und Neuheit der Botschaft Jesu, der inneren Logik und Dynamik der Gottesherrschaft. Diese setzt sich durch, indem der Bringer der Gottesherrschaft sich überwältigen und überwinden läßt. Nach dem Petrusbekenntnis und der Selbstoffenbarung Jesu erfolgt seine dreifache Leidensankündigung, die auf das Unverständnis, ja den Widerspruch der Jünger stößt (Mk 8, 31–33; 9, 30–32; 10, 32–34). Der Selbstoffenbarung seiner Messiaswürde folgt die Selbstoffenbarung seiner Kenose, seiner Selbsthingabe und Selbstaufgabe: »Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele« (Mk 10, 45). Selbsthingabe (Gal 2, 20), Hingegebensein vom Vater, somit Selbsthingabe Gottes (Röm 8, 32; Joh 3, 16) sind der Weg, wie Gott nicht nur seine Herrschaft, sondern in ihr und als sie neue Einheit schafft. Die großen Texte über die Versöhnung durch Jesu Kreuzestod falten dies aus (beispielsweise Röm 5, 6–11; 2 Kor 5, 14–21). Im Hebräerbrief ist am breitesten der Schluss des endgültigen Bundes zwischen Gott und den Menschen im Kreuzestod Jesu entfaltet (vgl. Hebr 2, 14–18, sowie die Kapitel 8 und 9 und 10, 1–18). Das Motiv des Einens tritt ausdrücklich hervor im Epheserbrief: Jesus tötet das EntVerdankendes Denken

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zweiende, die Feindschaft, in seinem eigenen Fleisch und verbindet die beiden Getrennten (Juden und Griechen) zu dem »einen neuen Menschen«, er fügt sie zu dem »einen Leib« (Eph 2, 11–22, besonders 14–16). Der einende Gestus Gottes in Jesus ist jener der Hingabe, der sich bei Johannes als agape, als sich entäußernde Liebe erhellt (vgl. Joh 13 und 15 insgesamt). Gott gibt sich hinein ins Entzweiende und nimmt es in sich hinein, es durch solche Liebe ins Einende verwandelnd. So aber entspricht der Hingabe die Annahme: Menschheit wird in der Herrschaft Gottes eins, indem alle von ihm angenommen sind (vgl. hierzu besonders Röm 15, 7 mit dem Kontext 15, 5–13; Hebr 2, 14–18). Was im Blick von Gott und von Jesus her auf die Menschen zu Hingabe und Annahme bedeuten, das hat im Verhältnis Jesu zu Gott den Charakter der kenosis, der radikalen Entäußerung, in der Gott alles in allem ist und die so zugleich die Verherrlichung Jesu durch den Vater zur Folge hat (Phil 2, 6–11). Die anfänglich bereits beobachtete »Umordnung« des Ganzen im Einbruch der Gottesherrschaft setzt sich also auch und zumal in der Einheit stiftenden Botschaft des Kreuzestodes Jesu durch.

4.

Eins mit Ihm, eins in Ihm

Die Hingabe Jesu für uns am Kreuz und unser Angenommensein in Jesu Kreuz, der um unseretwillen zum »Fluch« (Gal 3, 13) und zur »Sünde« (2 Kor 5, 21) geworden ist, stiften nicht nur unsere neue Einheit mit Gott, sondern auch unsere Einheit mit Jesus und in ihm miteinander. Das neue Verhältnis zu Jesus ist sozusagen der Ort und die Weise, wo und wie sich unsere Orientierung auf Gott allein, aufs einzig Notwendige vollzieht. So entdecken wir es bei Paulus: Was er noch zu leben hat im Fleisch, will er leben im Glauben an den Sohn Gottes, der ihn persönlich geliebt und sich für ihn hingegeben hat (Gal 2, 20). In die Lebensgestalt Jesu eingetreten, mit ihr durch Glaube und Taufe verbunden, ist es nicht eine bloß bewußtseinshafte Mystik, sondern seinshafte Gegebenheit, dass sein Leben nicht mehr nur und zuerst seines, sondern das Leben Jesu in ihm ist (ebd.). Wie dies das Leben prägt, neu macht, eint, wird besonders eindrücklich sichtbar im Philipperbrief (Phil 3, 7–11). Verhaltener, aber nicht weniger intensiv legt sich dieses selbe aus in den johanneischen Abschiedsreden: Wer den 348

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Sohn liebt, dem wird er sich offenbaren; wer an seinem Wort festhält, zu dem wird der Sohn gemeinsam mit dem Vater kommen, um Wohnung bei ihm zu nehmen (Joh 14, 21.23). Diese neue Einheit mit Jesus und durch ihn mit dem Vater bedeutet zugleich Einheit in Jesus, also neue gegenseitige Einheit. Indem Jesus in seinem Sterben uns mit Gott versöhnt, fällt die Scheidewand zwischen Juden und Griechen, das neue Ereignis einer menschlich nicht möglichen Einheit gewinnt Gestalt: Alle sind von der einen Liebe Gottes geliebt, in seine eine Hingabe und Annahme einbegriffen, sie gehören in jenem Dritten, das ihr Innerstes, ihr Gottverhältnis enthält und entscheidet, in Jesu Kreuzestod, auch miteinander zusammen (Eph 2, 11–20). Einswerdend mit Gott, einswerdend miteinander, werden wir zum einen Haus und zum einen Leib, in dem Jesus und durch Jesus Vater und Geist wohnen. Der Text Röm 15, 5–13 begründet seine Ermahnung zum einmütigen Lobe Gottes damit, dass wir, Juden und Heiden, von Gott in Jesus angenommen sind und so nicht umhinkönnen, in dieser Annahme auch unsere gegenseitige Annahme zu vollziehen. Dass Gott in Jesus sich uns schenkt, dass er uns in Jesus annimmt, sind nicht nur akzidentelle Bestimmungen, sondern sie treffen uns im Innersten dessen, was wir sind. Und so ist die Versöhnung mit Gott, die Einung mit Gott ganz und gar persönlich und einmalig, zugleich aber überschreiten wir in ihr das Ich zum Du und Wir. Die Einheit als neues Miteinander in Jesus findet unterschiedliche Ausdrucksweisen, die sich nicht ausschließen, die aber auch nicht nur zur Auswahl je nach kulturellem Kontext oder spiritueller Neigung angeboten sind. Sie entfalten den inneren Reichtum jenes Einungsgeschehens, das uns in Jesus an ihn und aneinander bindet. Da ist zum einen jene Gemeinschaft miteinander, als deren lebendige Mitte Jesus selbst begegnet (Mt 18, 19–20). Das symphonein, das Zusammenklingen miteinander aus der Einheit in Jesus lässt ihn selber unter uns sein und macht unser gemeinsames Beten zum Vater zu seiner Sache, so dass unser Verhältnis zu Gott hineingenommen ist in Jesu Verhältnis zum Vater; daraus wächst die innere Gewissheit der Erfüllung. Im selben matthäischen Kontext erfahren wir jene Gleichheit miteinander, die Rangunterschiede in Einheit hinein auflöst, weil der gemeinsame Blick sich auf den einen Vater, den einen Herrn und den einen Meister richtet (Mt 23, 8–12). Eine andere Grundform präsentiert die Apostelgeschichte: die Gemeinde, die ein Herz und eine Seele ist, in der das Zeugnis der AufVerdankendes Denken

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erstehung kraftvoll gegeben wird, in der alle alles gemeinsam haben und es den Unterschied zwischen Menschen in Not und solchen im Überfluss nicht mehr gibt (Apg 4, 32–34; 2, 42–47). Einen weiteren Weg zeigt uns die Übertragung des Verhältnisses zwischen Jahwe als Bräutigam und Volk Israel als Braut auf das Verhältnis zwischen Jesus und der Kirche. Dies klingt an in der Reflexion des Epheserbriefs (Eph 5, 21–33) über die christliche Ehe (vgl. auch 2 Kor 11, 2 und Offb 21, 2. 9; 22, 17). Schließlich erfolgt eine Identifizierung zwischen glaubender Gemeinde und Jesus Christus selbst, die sich ihrerseits wiederum in unterschiedlichen Denk- und Bildtraditionen darstellt. Die Frage des Erhöhten an Saulus: »Warum verfolgst du mich?« zeigt auf einer recht elementaren Stufe die »Schicksalsgemeinschaft«, ja »Schicksalseinheit« zwischen Jesus und denen, die an ihn glauben (Apg 9, 4). Der Galaterbrief (Gal 3, 28) sieht alle Unterschiede, die die Gesellschaft spalten – Juden und Griechen, Sklaven und Freie, Mann und Frau –, als so radikal überwunden an, dass wir in unserem Miteinander bezeichnet werden nicht nur als eines, sondern als Einer: eine neue, kollektive Personalität, die sich von Jesus Christus her gründet. Hier aber schließen sich Bild und Erfahrung der Einheit als »Leibsein« an. Dabei ist zu achten auf den Unterschied zwischen der Konzeption Christus – Haupt, Gläubige – Glieder (Eph 4, 16 im Kontext von Eph 4, 1–16 insgesamt und Kol 1, 18; auch Eph 5, 23) und der anderen Konzeption, in der Christus als ganzer sich in den Gläubigen als seinem Leib manifestiert (Röm 12, 3–8; 1 Kor 12 im ganzen, besonders 12, 12–31). In solcher Zugehörigkeit zu Jesus tritt in besonderer Weise der Geist in den Vordergrund, der uns durch die eine Liebe und die vielen Gaben miteinander und mit Jesus verbindet (1 Kor 12, 4–11). Im Vielen das Eine zu leben und zu vollbringen, den Einen und das Eine in die Vielfalt der Lebensbezüge auszufalten: darum geht es zumal. Das Verhältnis zu Jesus und in Jesus zueinander lässt uns auf jene Ebene gelangen, auf der im gängigen theologischen Sprachgebrauch das Wort »Einheit« uns vertraut ist. Als Vokabel kommt Einheit (henotes) im Neuen Testament nur zweimal vor, und zwar im Epheserbrief (Eph 4, 3. 13). Wenn wir aber die neutestamentliche Botschaft insgesamt unter dem Gesichtswinkel der Einheit entfalten, dann entdecken wir, dass in der Tat das Moment »Einheit« für die innere Identität dieser Botschaft entscheidend ist. So ist nicht mehr zu verwundern, dass zu den intensivsten, beschwörendsten, »feier350

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lichsten« paränetischen Passagen des Neuen Testamentes jene gehören, die auf dem Einssein insistieren. Die drei einleitenden Kapitel des 1. Korintherbriefs sind davon bewegt, dass Spaltungen und Parteiungen das eine Evangelium und seinen Kern, das Wort vom Kreuz, zuinnerst verkehren. Im ganzen Brief dringt dieses Grundthema immer wieder durch (zum Beispiel 1 Kor 10, 17; 11, 17–22; 12–14 insgesamt). Die Einleitung des 4. Kapitels im Epheserbrief (Eph 4, 1–6) weist in positiver Grundstimmung nicht weniger eindringlich auf die elementare Notwendigkeit der Einheit hin. Phil 2, 1–11 verknüpft die innigste und persönlichste Bitte des Apostels um Einheit der Gemeinde mit dem Christushymnus; die Einheit der Gemeindeglieder miteinander wird zurückgebunden an die Einheit Jesu mit dem Vater in seiner Erniedrigung und Erhöhung. Schließlich ist die Zusammenfassung und der Inbegriff des biblischen Sprechens von Einheit das 17. Kapitel des Johannesevangeliums, das die Gesamtbotschaft in der johanneischen Perspektive zusammenfasst und in Jesu Testament, das Gebet zum Vater um die Seinen, münden lässt. In allen diesen Texten geht es nicht primär um das Aufrechterhalten einer äußeren Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit, die ohne Einheit nicht garantiert wären, sondern darum, doch den »einen Punkt« nicht zu verraten, in dem das Neue und Eigene der Botschaft zum Strahlen kommt: Gottes Sich-Einsmachen mit uns in Jesus, das uns teilhaben lässt an Gottes ganzem, einem Leben und das nur dann in uns lebt, wenn es zwischen uns lebt. Das Glaubenkönnen der Welt ist im Neuen Testament einzig diesem Einssein aller, wie Vater und Sohn eins sind, verheißen.

II.

Unitas quaerens intellectum

In der Botschaft von der Einheit, deren Elemente wir in einem summarischen Überblick zu nennen und in ihr Zusammengehören zu stellen suchten, dürfen wir kein »System« ermitteln wollen. Dies würde der Eigenart der Einheit gerade nicht gerecht, die hier aufscheint. Nichtsdestoweniger drängt diese Einheit danach, von innen her jenes Licht zu gewinnen und zu gewähren, in dem sie eben Einheit ist und auslegt, wie sie Einheit ist. Wie der Glaube von sich selbst her seinen »intellectus« sucht und zeitigt, so die Einheit ihr Licht. Der Verdankendes Denken

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»intellectus unitatis«, um den es uns geht, kann im Rahmen dieses Beitrags freilich nicht hinreichend entfaltet werden. Es muss genügen, einige Richtungen anzuzeigen, in die die Bemühung des Gedankens sich weitertasten muss. Wir orientieren uns anfänglich an Grundzügen johanneischen Denkens der Einheit; wir suchen sodann, einige Grundzüge des »intellectus unitatis« namhaft zu machen; daran schließt sich eine Bemerkung zum Thema Einheit und Vielheit an, die vom intellectus der Einheit auf den actus der Einheit hin zurücklenkt. Dieser »actus unitatis« ist freilich allein imstande, den »intellectus unitatis«, das Licht der Einheit zu empfangen und weiterzugeben.

1.

Grundzüge johanneischen Denkens der Einheit

Eine detaillierte Bemühung um die Grundzüge der johanneischen Botschaft überhaupt kann dazu führen, diese insgesamt auf Einheit, Einssein hin zu lesen. In stenographischer Verkürzung: Es gibt eine Linie der Verbindung zwischen drei Knotenpunkten, die ihrerseits je mannigfache Linien in sich verknüpfen. Diese drei Punkte sind die Aussage: »Ich und der Vater sind eins« (Joh 10, 30), sodann: »An jenem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir und ich bin in euch« (Joh 14, 20), schließlich: »Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir« (Joh 17, 21–23). Einheit des Vaters mit dem Sohn: Immer wieder betont das Johannesevangelium die Untrennbarkeit von Vater und Sohn, das Innesein des Sohnes im Vater und des Vaters im Sohn. Es geht dabei nicht an erster Stelle um eine vom Heilsgeschehen abgehobene Gleichwesentlichkeit und somit Einheit zwischen Vater und Sohn, so sehr diese Einheit im Innersten und Anfänglichsten Gottes selbst verankert und ihm zugehörig ist. Der Ort, an dem dieses Einssein zwischen Vater und Sohn zur Helle drängt, ist vielmehr gerade das Heilshandeln Gottes selbst. Sich ganz auf Jesus verlassen heißt ganz sich auf den Vater verlassen. Es ist wirklich das Handeln und Wirken, das Dasein des Vaters, was jener erfährt, der ganz auf Jesus setzt. Es gibt kein anderes Heil und kein anderes Licht Gottes als jene, die uns in 352

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Jesus als dem Sohn offenbar sind. Dies gipfelt im Hirtenbild (Joh 10 insgesamt), darin also, dass Jesus die unverwechselbare und allein Gott vorbehaltene Würde des Menschenhirten wahrnimmt. In seiner innersten Einheit mit dem Vater und Beziehung zum Vater sind ihm die Menschen übergeben, damit er ihnen die ganze Liebe Gottes schenkt, ihnen Leben in Fülle vermittelt und sie aus der Zerstreuung eint. Die göttliche Würde seines Auftrags, aber auch die unveräußerliche Würde derer, die sich im Glauben auf Jesus einlassen, wurzelt in der Einheit zwischen Jesus und dem Vater. Was im Vater lebt, das lebt in Jesus, und was Jesus tut, das tut in ihm der Vater. Schon in diesem Hirtenbild und dann in jenem vom Weinstock (Joh 15, 1–8) und in Jesu Rede vom Lebensbrot, das die Seinen aus Ihm leben lässt, wie und weil er aus dem Vater lebt (Joh 6, besonders 6, 57), ist die Linie vom ersten zum zweiten Punkt ausgezogen: Jesu Innesein im Vater und des Vaters Innesein in Jesus spiegeln sich nicht nur, sondern zielen auf das Innesein Jesus in uns und unser Innesein in Jesus. Wir sind und leben als wir selbst, wenn Jesus in uns lebt und wir in ihm leben. So eben, wie Jesus er selbst in seiner Hoheit und Einmaligkeit ist, indem er »nichts anderes« ist, als dass der Vater in ihm lebt und er im Vater lebt. Diese Einheit Jesu mit denen, die aus ihm leben, wird gleichzeitig individuell und kollektiv ausgedrückt (individuelle Form etwa in Joh 14, 21. 23, kollektive Form etwa in Joh 14, 20). Dieses Einssein der Einzelnen und der Glaubenden in Gemeinschaft mit Jesus gewinnt indessen seine Fülle und Vollendung in jenem Einssein der Glaubenden miteinander, auf welches das 17. Kapitel im ganzen zielt. Dieses Einssein ist gewiss ein Innesein in Jesus und durch ihn im Vater; in Jesus zu sein »imprägniert« gewissermaßen die Vielen, die an ihn glauben, mit der Teilhabe an jener Einheit, die zwischen Vater und Sohn lebt und die das Leben des Sohnes selber ist. Doch dieses Einssein als Innesein in Jesus ist zugleich gegenseitiges Verhältnis der Glaubenden, wie das Neue Gebot der gegenseitigen Liebe (Joh 13, 34 f.), das zugleich »sein« Gebot ist (Joh 15, 12. 17), erweist. Das isolierte, auf sich selbst gestellte, Gott und den anderen gegenüber verschlossene Dasein ist die Unheilssituation der »Welt« und der ihr verfallenen Menschen in der johanneischen Sicht. Gott lässt den Menschen nicht in diesem Abgeschnittensein, er bricht zu ihm auf, um sich in Jesus mit ihm einszumachen und ihn teilhaben zu lassen an dem Leben, das eben Einheit ist, gegenseitiges Innesein, gegenseitiges Sich-Schenken von Vater und Sohn im Geist. Nur dieses Verdankendes Denken

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Einssein von Vater und Sohn ist wahres Leben, und dieses wahre Leben kann nur durch Leben weitergegeben werden, indem eben Jesus im Menschen lebt und so ihn hineinnimmt in Gottes Leben, will sagen in Gottes innere Einheit. Weltgestalt, Präsenz als Leben, als Heilszeichen gewinnt dieses Leben des Menschen in Jesus und durch ihn im Vater auch gerade darin, dass die Liebe, die zwischen Vater und Sohn waltet und die der Sohn uns schenkt, uns eint, ins gegenseitige Einssein hineinführt. Wir haben das entscheidende Moment dieses Einsseins entdeckt, die Liebe: Liebe, die sich loslässt und weggibt, als Hingabe bis zum Letzten, als Hingabe des Lebens (Joh 6, 51; 13, 1; 15, 13). Wir geraten in jenes Paradox, das die christliche Botschaft insgesamt kennzeichnet: Gottes Herrschaft als das eine Notwendige und alles Einende bricht an von seiten Gottes und wird angenommen von seiten des Menschen nur in der kenosis, in der Entäußerung, im »Zunichtewerden«. Dieses Zunichtewerden aber ist nichts anderes als Liebe, die mit sich identisch ist, indem sie sich hingibt und »aufgibt«. Das uns – mit Gott und miteinander – Einende ist die Todeshingabe Jesu als das Äußerste seiner Liebe (Joh 10, 11. 16; 11, 51–52; 13, 1). In dieser Zusammenschau johanneischer Aussagen kehren substantiell die im »Querlesen« der gesamten neutestamentlichen Botschaft aufgefundenen Momente wieder, die das Anderssein, das Unterscheidende christlich verstandener Einheit charakterisieren.

2.

Grundzüge des intellectus unitatis

Aus dem soeben dargestellten Befund ergeben sich vier Grundzüge des »unterscheidend Einen«, die für den »intellectus unitatis« belangvoll sind. Der erste Grundzug ist jener der Relationalität. Einheit gründet zwar darin, dass Gott einer ist und alles auf diesen einen ankommt: jede Einheit, die außer durch ihn und in ihm gewonnen würde, hielte sich selbst nicht durch. Dennoch wird Einheit gerade nicht von Gott als dem Einen und Ersten deduziert. Sonst wäre ja der Prozess des Deduzierens oder das Prinzip des Deduzierens der wahre »Gott«, das die Einheit Bestimmende – und nicht Gott selbst. Ebensowenig ist Einheit ein Verschlingen der Unterscheidung, ihre Auflösung in einem einenden Prinzip. Endstation solcher Einheit wäre das Nicht und Null der Geeinten. Untergehen der Pole von Einheit in ihrer Ein354

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heit wäre Nivellierung der Einheit selbst. Ebensowenig ist Einheit im Sinne der Botschaft eine bloß nachträgliche Vereinbarung oder Übereinkunft, etwas an ihren Polen, das aber nicht sie selber ganz einbegriffe. Diese Modi von Einheit, deren aporetischen Charakter wir in praktischen und zum Teil auch theoretischen Modellen von Gesellschaft beobachten können, sind in der biblischen Botschaft von der Einheit ausgeschlossen: Gott ist der sich Schenkende und uns Annehmende, er ist in sich selber Sich-Schenken und Sich-Annehmen, gegenseitige Verherrlichung von Vater und Sohn in jener doxa, jener Herrlichkeit, die von den Vätern nicht ohne Grund mit dem Heiligen Geist ineins gesetzt wird. Einheit ist von Grund auf relational, in einer Beziehung, die, das Eine und Selbe mitteilend und an ihm teilhabend, ihre Pole nicht nur zu diesem, sondern unmittelbar zueinander ins Verhältnis setzt: das Gemeinsame geht auf gerade in der gegenseitigen Beziehung, die gegenseitige Beziehung ereignet sich als Innesein im Gemeinsamen. Welche Bedeutung dieser relationale Charakter der Einheit für unsere Welt und unsere Kirche hat, lässt sich am Scheitern anderer Einheitsmodelle und an den Engführungen, die sie zeitigen, drastisch ermessen. Mit der Relationalität christlich verstandener Einheit verbindet sich als zweiter Grundzug ihr perichoretischer (b) Charakter, will sagen das gegenseitige Innesein und Enthaltensein ihrer Pole ineinander. Jeder Pol »ist« das Ganze und trägt die anderen Pole in sich. Die johanneischen (und im Ansatz auch paulinischen) Formeln gegenseitigen Inneseins (du in mir, ich in dir, ihr in mir, ich in euch, wir ineinander) sind nicht Gedankenspielerei, sondern achtsame Beschreibung des im Glauben verstandenen und gelebten Einheitsvollzugs. Einheit, die dieses gegenseitigen Inneseins und Inneseins des Ganzen im einzelnen und des einzelnen im Ganzen ermangelte, ermangelte des sie Einenden und Bindenden, wäre bloß äußere Komposition. Annahme und Hingabe als der trinitarische, inkarnatorische und das Paschageschehen prägende Grundrhythmus haben auch in unserem gegenseitigen Verhältnis, in der vollzogenen Gestalt von Kirche Perichorese zur Folge. Gemeinsames Priestertum der Gläubigen und Priestertum des Amtes, die Verschiedenheit der Charismen und die Einheit der Zum Konzept der Perichorese vgl. oben, Anmerkung a), S. 182, in: Wahrheit und Liebe – ein perichoretisches Verhältnis.

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Sendung, das Verhältnis von Teilkirche und Gesamtkirche, um nur einige Punkte zu nennen, wollen neu durchbuchstabiert und ausgelegt werden aus diesem perichoretischen Charakter von Einheit. Dies wiederum nicht im Sinne einer Ableitung, sondern im konkreten Eingehen auf das jeweils sich zueinander Verhaltende. Der »Preis« für die Fülle und den Reichtum der Perichorese ist die kenosis. Der dritte Grundzug: Einheit hat im christlichen Verständnis einen kenotischen Charakter. Sein im anderen als Selbstsein, das geht nur im Herausgehen aus sich selbst, im Sich-Verlassen und -Entäußern, im Sein vom anderen her. Ein bloß von der Substanz her ausgehendes Seinsdenken tut sich mit diesem Grundzug schwer. Der relationale Charakter der Einheit ist relationaler Charakter des Seins, und Relationalität bedeutet Selbstüberstieg. Es gibt eine falsche, es gibt aber auch eine wahre und erhellende Weise, ins Denken von Einheit das Nicht und das Mehr einzufügen. Dies heißt den kenotischen Charakter also im Sein selbst tiefer verankert zu sehen als bloß in der Endlichkeit des Endlichen. Beide Sichtweisen, jene der Unverlierbarkeit der Identität und jene des Sich-Verlierens als Identität, aufeinander zu beziehen und in ihrem relativen (relationalen) Recht zu sehen, kann nur gelingen, wenn, im strengen Sinn, eine Ontologie der Liebe gelingt. Hier liegt ein biblischer Impuls, den theologisches und im Lichte der Offenbarung geschehendes philosophisches Denken noch nicht bis in seine Konsequenzen und Prinzipien hinein aufgegriffen hat. Damit aber ist als vierter Grundzug christlichen Verständnisses der Einheit deren fundamental geschichtlicher Charakter angerissen. Wenn Einheit in der Relationalität geschieht, wenn Relationalität als Sich-Geben und Sich-Lassen, als eine fundamental verstandene kenosis sich ereignet, dann ist Einheit zwar schon immer gegründet, aber nie schon »gelaufen«. Ich stehe, geschichtlich existierend, schon immer in jener Gründung von Einheit, ohne die ich nicht sein und mich nicht nach dieser Einheit ausstrecken könnte. Aber sie ist in ihrem ganzen Geschenktsein das zu Erwartende, Künftige, und diese Zukunft ist mehr als bloßes Resultat des bereits Vorliegenden. Die absolute Geborgenheit im ein für allemal geschehenen Heilswirken dessen, der die Liebe ist, die Unwiderruflichkeit dieser Liebe ist etwas ganz anderes als die Degradierung der Geschichte zum bloßen nachholenden Exempel des schon statuierten Prinzips. Liebe ist das Abenteuer des Unverlierbaren, Einheit das je neue Ereignis, die je neue Überraschung, in der sich zugleich doch die erste und gründende 356

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Sehnsucht, der erste und gründende Ausgang erfüllen. Auch hier sind ekklesiologische und gesellschaftliche Konsequenzen in den Blick zu nehmen, die noch keineswegs von bisherigen Modellen des Denkens und Handelns eingeholt sind.

3.

Einheit und Vielheit

Es ist eine Botschaft, die im Neuen Testament und entsprechend im Glauben der Kirche enthalten ist, aber diese eine Botschaft liegt je nur in Vielgestalt vor. Und dies ist kein Defizit, sondern ein Wesenscharakter dieser Botschaft und der Einheit, die sie ansagt. Die Vielfalt der Theologien, in denen die eine Botschaft des Neuen Testamentes vorkommt und sich verfasst, offenbart in sich das Eine, um was es in der definitiven und umfassenden Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus geht. Diese läßt nicht einfach die Vielfalt von Denkweisen unberührt und unverbunden stehen, sie schlüpft nicht unbesehen in bereitliegende Kleider hinein, sondern ist Provokation, die Götzenbilder – auch Götzenbilder aus Begriffen (vgl. Gregor von Nyssa) zertrümmert, Denkweisen umkehrt, Vorstellungen und Ideen unterscheidet und entscheidet; aber sie ist in dieser krisis, die sie heraufführt, zugleich Wort an die Worte und Wort in den Worten. Das Wort Gottes hätte ohne die Menschenworte nichts, wohin es sein Haupt hinlegen könnte auf dieser Erde, um mit uns zu wohnen und unter uns zu sein. Gottes Wort macht sich bedürftig des Menschenwortes, weil es sich unter Menschen für Menschen ausdrücken will. Und mehr noch: es will, die Worte zur inneren Entscheidung führend, sie zugleich erlösen und einlösen, ihren inneren Advent aufdecken und erfüllen. So aber produziert es nicht eine Einheitssprache, sondern eine Einheit zwischen den Sprachen, eine Einheit des Gesprächs, in dem die vielen Sprachen herausgefordert werden, im Hören auf die Botschaft selber neu und anders zu werden, darin aber ihren »neuen Namen« zu vernehmen. Aus dem Gespräch der Sprachen, der Unterscheidung der Gedanken, dem in Annahme und Weitergabe des Wortes sich ereignenden Geschehen von gegenseitiger Annahme und Hingabe der Sprachen erwächst dann freilich die Konkretion (c) des gemeinsamen Bekennens in der gemeinsamen Aussage. Diese gemeinsame Aussage ist aber nicht vollendete Endgestalt, die das Wort aus(c)

Vgl. oben, Anmerkung f), S. 182, in: Wahrheit und Liebe.

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schöpfte und auf seinen einen Nenner brächte, so daß weiteres Gespräch, weiteres Fragen und Gestalten überflüssig würden. Symbola, Dogmata, Lehrentscheide drücken verbindlich das Bleibende und Endgültige des Wortes aus; sie tun es aber in der Weise, daß Übersetzung und Aussetzung an neue Fragen und neue Weisen des Denkens und Sich-Ausdrückens aktuell bleiben. Ein eindrucksvolles Zeugnis dafür bietet gerade jene Neuausgabe des Denzinger, die Peter Hünermann als eine theologische Arbeit hohen Ranges geleistet hat. Das Problem der Einheit in der Vielheit war seit den Anfangszeiten christlicher Geschichte kaum mehr je so aktuell wie heute: Wir leben in der einen Welt, die zerfiele, wenn ihre Vielfalt in Ideologien oder technologischen Pragmatiken oder bloßen »Marktgerechtigkeiten« nivelliert würde. Sie kann nur als eine Welt gelingen, wenn die Vielfalt der Sprachen und Kulturen weder in einer von innen oder außen verordneten Einheitskultur untergeht noch in museale Ghettos zurückgedrängt wird, zwischen denen dann eben doch eine technische, funktionale oder marktmäßige Gleichschaltung geschähe statt eines zugleich verändernden und bewahrenden Gesprächs. Diese Weltsituation ist zugleich und in besonderem Ausmaße »Kirchensituation«. Auflösung der gesamtkirchlichen Einheit in sich tolerierende Sonderwelten, in den Archipel unter sich beziehungsloser Inkulturationsinseln wäre genauso verfehlt wie das Rückschneiden der sprachlichen und kulturellen Vielfalt im Ausdruck des Glaubens auf diverse, in verschiedenen Sprachen etikettierte Verpakkungen. Das eine Wort erhellt kritisch die vielen Worte, nimmt sie zugleich liebend auf, vertraut sich ihnen mutig an und wahrt so die Kostbarkeit der vielen Worte gleichermaßen wie das Bewußtsein, daß sie nur im Einen ihre Wahrheit haben und dieses Eine je größer ist als sein Ausdruck. Nur so kann die Aufgabe glücken, die uns heute um der Botschaft und um der Welt willen zugleich gestellt ist. Dabei ist der Dienst der Einheit durch das kirchliche Amt bis hin zum Petrusamt tragend und wichtig, nicht als Ablösung des Prozesses von Dialog und Inter-Inkulturation (d) (um ein Wort von Chiara Lubich aufzugreifen), sondern als Gewähr des »Zusammenhörens«

Im Blick auf dieses Thema der Inter-Inkulturation gibt es Anknüpfungspunkte bei Chiara Lubich, die, nachdem sie 1992 einige Gemeinschaften der Fokolar-Bewegung in Afrika besucht hatte, regelrechte Schulen der Inkulturation gründete, damit sich das Charisma der Einheit und generell das Christentum durch Sprachen und eigene »Färbungen« der Ursprungskulturen ausbreiten könnte.

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und des Zusammengehörens aller: mit dem Ursprung, miteinander, mit dem – diachron und synchron – Ganzen. Wie aber kann solch fälliger Dialog, solch fällige gegenseitige Krisis, Annahme und Hingabe geschehen? Wo »ist« jene Einheit, die größer ist als alle ihre Gestalten und deswegen Vielheit einschließt, gleichwohl in aller Vielheit aber eine einende Gestalt vermag? Es heißt gerade nicht: die Orthodoxie auf Orthopraxie zurückdämmen, wenn hingewiesen wird auf den einen und selben Vollzug der gegenseitigen Liebe, wie der Herr uns geliebt hat, des gegenseitigen Sich-Annehmens, wie er uns angenommen hat, des gegenseitigen »Allen-alles- Werdens« im Sinne des Paulus. Sich freimachen von seiner nur eigenen Kultur, unverstellt auf das Evangelium hören und so gerade auch unverstellt auf das hören, was der andere zu sagen und zu geben hat: dies ist Vollzug des Paschageheimnisses von Todeshingabe und Auferweckung, der Menschwerdung, ja des Einsseins nach Maß und Sinn der trinitarischen Einheit. Diese Grundmysterien sind da, indem wir sie leben. Sie erschöpfen sich nicht darin, daß wir sie leben; sie können nicht durch unser Leben »ersetzt« werden. Sie können aber nur in unserem Leben – in communio – ein Zeichen finden, so daß sie in die Vielfalt heutiger Lebens- und Verstehenskontexte hinein sprechend werden. Es braucht etwas wie eine »soziale Ikone« des Evangeliums, Kirche als »aus der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes geeintes Volk« (LG 4), damit in der Vielfalt der Sprachen die Einheit gelinge und sich vollbringe, damit in der notwendigen und verbindlichen einenden Gestalt die Vielfalt leben und sich als Fülle der Einheit erweisen kann. Es wäre nützlich, am Ende dieser Überlegung einfach nochmals den Text aus der Habilitationsschrift von Peter Hünermann zu lesen, der diesem Beitrag vorangestellt ist.

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Diese Schrift über die christliche Bedeutung der Einheit gehört ins Spektrum theologischer Reflexionen über die Einheit Gottes, die seit Jahrhunderten christliche Denker umtreibt auf der Suche nach einem nicht einfachen Gleichgewicht, denn ein und demselben Gott Einheit und Dreifaltigkeit zuzuschreiben, das liegt keineswegs klar auf der Hand und ist nicht ohne weiteres verständlich. Es geht um das konstante Bemühen, den Monotheismus des Christentums zu verstehen, und zwar auch in seinem tiefen Unterschied zu anderen Monotheismen. Die Schrift Hemmerles reiht sich in dieses Suchen ein, und zwar in einer recht originellen Weise; seine Absicht besteht nämlich darin, eine Definition der Einheit als einer Kategorie des Evangeliums zu geben und nicht die Frage nach einem Gott zu stellen, der eins und dennoch dreifaltig ist. Das Thema wird gleichwohl angegangen und dargestellt von den Polen der Einheit und Verschiedenheit her – oder besser: von der Einheit und Mehrursprünglichkeit –, innerhalb derer sich der christliche Gott bewegt. Die Sichtweise, von der Hemmerle ausgeht, ist jedoch die trinitarische, und das zeigt er auf anhand einer großen Menge von Schriftstellen aus dem Neuen Testament, die zitiert werden, wobei das Alte Testament völlig ausgeblendet ist, abgesehen von einer Erwähnung am Beginn der Reflexion, und zwar in Worten von Jesus selbst. Dennoch ist die Frage nach der Einheit Gottes umfassender und hat eine lange Historie, zumal sie nicht nur die theologische Dimension des Alten Testaments betrifft, sondern auch die philosophische. Vor der Offenbarung Jesu war eine stark einheitliche Sicht des Göttlichen vorherrschend, wenn man von den Polytheismen absieht; sie war angetrieben vor allem durch die philosophische Reflexion, die angesichts des Vielfältigen im Leben ein tief menschliches Bedürfnis nach Vereinheitlichung und Harmonie zum Ausdruck brachte. Hemmerle ist jedoch durch ein anderes Bedürfnis motiviert und bevorzugt, obwohl er die Faszination spürt, die Thematik von einem geschichtlich-hermeneutischen Blickwinkel her anzugehen, den Weg der Auslegung der christlichen Botschaft, um auf die Aktualität seiner Zeit zu antworten. Wenn wir einen Blick auf das theologische Panorama der letzten Jahrzehnte im Blick auf die Frage nach dem einen und dreifaltigen Gott werfen, so lassen sich drei Zugänge aufspüren, mit denen versucht wurde, die Einheit im Innern der Dreifaltigkeit neu zu den360

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ken 1. 1.) Ein erster Zugang besteht darin, die Einheit mit dem Vater als ungeschaffenem Prinzip, als Ursache, Quelle und Gewähr des gezeugten Sohnes und des daraus hervorgehenden Geistes zu verbinden. Mit ihm bilden der Sohn und der Geist eine vollkommene Gemeinschaft. Dieses Modell ist der östlichen Tradition sehr nahe; Karl Rahner und Walter Kasper machten es sich zu eigen – um zwei namhafte Vertreter zu nennen –, wobei eine Erklärung der Einheit Gottes gegeben wird, die die tiefe Beziehung in Kontinuität mit dem Judentum wiederherstellt. 2.) Der zweite Zugang basiert auf der Kategorie der communio oder agape, dessen Triebfeder die johanneische Aussage ist, dass Gott Liebe ist; darin zeigt sich, wie inhärent das Geschenk-Sein und das Bejahen des anderen ist, indem es ihm Raum schafft. Diese Hingabe der Liebe Gottes in sich gipfelt im Kreuzestod des Sohnes, der sich dem Vater vollständig hingibt: In der communio, die in jenem Moment zwischen den drei göttlichen Personen gezeugt wird, lebt der christliche Gott und mit ihm sein Kerygma für die Menschen. Dieses Modell erweist sich als eine geneigte Ebene, um alle Ebenen des menschlichen Zusammenlebens nach dem Paradigma der Einheit als mit einbezogen und als Gabe zu deuten. Exponenten dieses Zugangs sind Piero Coda, Gisbert Greshake und John Zizioulas. 3.) Der dritte Zugang schlägt die thomistische Lösung neu vor, die auf das Bedürfnis antwortet, Einheit und Vielfalt zusammenzuhalten, das heißt die bestehenden Beziehungen, die, da sie real sind, in der einzigen göttlichen Realität übereinstimmen, aber als Korrelationen unterschieden sind. Unter ihnen wird der Vater als Prinzip dieser Dynamiken gedacht. Es handelt sich um eine Sichtweise, die dem Osten nahe ist und die der göttlichen Dynamik großen Wert beimisst, indem sie gestattet, Einheit und Vielfalt zusammen zu denken, doch sie bleibt den Kategorien der aktuellen Reflexion fern. Im Bezug auf diese Zugänge können wir uns fragen, wo sich Hemmerle positioniert. Um darauf zu antworten, ist sicherlich zunächst anzumerken, dass, obwohl diese Schrift zu den allerletzten gehört, die Hemmerle verfasst hat, in ihr noch stark der Interpreta-

Vgl. G. M. Salvati, Il De Deo Uno e il De Deo Trino oggi, in: »PATH« 11, 2012, 2, 397–416. Zum Thema vgl. auch: G. Greshake: »Auf dem Weg zu einer communialen Trinitätstheologie«, in: Der dreieine Gott. Eine trinitarische Theologie, Herder, Freiburg 2007, Sonderausgabe, 47–216; W. Kasper, »Einheit in der Dreiheit« und »Dreiheit in der Einheit«, in: Der Gott Jesu Christi, Mainz 1982, 354–382.

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tionsweg des einen Gottes in der Mehrdimensionalität spürbar ist, wie er bereits in dem Text Das Heilige und das Denken begangen worden ist und explizit in den Thesen zu einer trinitarischen Ontologie, und dass er diesen hier in weniger theoretischer Weise abhandelt, eben im Gefolge der neutestamentlichen Erzählungen. Wir finden im Besonderen das in den Thesen entworfene Modell der Einheit in einer Mehrdimensionalität, in dem sich die Einheit – eines der drei Momente, die die neue Ontologie nach Steigerung, Einheit und Verwandlung definieren – durch die Beziehung, die Perichorese, die kenosis und die Geschichte charakterisiert. Die Relationalität der Einheit birgt in sich einen Doppelaspekt, da sie in Gott als Dreifaltigkeit immanent ist, von daher ist Gott der Einzige und eins in sich gerade und allein deswegen, weil er nicht monolithisch ist, sondern in Beziehung der Liebe der drei göttlichen Personen; aber die Relationalität ist durch Jesus unmittelbare Verbindung zwischen Gott und der Menschheit. Darüber hinaus stiftet die Relationalität die Einheit, denn sie gibt sich nicht ausgehend vom Denken oder vom menschlichen Handeln, sondern nur in einer lebendigen Beziehung; sie lässt sich wahrnehmen in dem einheitlichen Prozess, im Innern dessen die untereinander in Spannung stehenden Pole nicht einer im andern gelöst oder aufgelöst werden. Nur die Beziehung zwischen den untereinander in Spannung stehenden Polen, und zwar in solch starkem Maße, dass im Nachlassen des einen auch der andere weniger wird und demzufolge die Beziehung selbst, bringt die Einheit Gottes zum Ausdruck. Hemmerles Verständnis von Einheit versteht man nicht, ohne das Johannesevangelium 2 zu lesen und die relationale existenzielle Dynamik wahrzunehmen, zu der Gott den Menschen einlädt. Der so verstandene relationale Charakter hat nicht nur eine theologische Dimension, sondern auch einen enormen anthropologischen Stellenwert 3, weil er in der Einheit nicht etwas Monolithisches oder einen Das große Interesse daran wird von Franz Sedlmeier unterstrichen. Vgl. F. Sedlmeier, L’incidenza della Sacra Scrittura sul pensiero filosofico e teologico di Klaus Hemmerle. Alcuni spunti di riflessione, in: V. Gaudiano/A. Clemenzia, Sulla soglia tra filosofia e teologia, a. a. O., 35–42. 3 Davon kann man eine Ahnung bekommen, wenn man einige Texte Hemmerles liest, die einen anthropologischen Charakter haben, wie beispielsweise: Das Verständnis vom Menschen aus dem Anspruch des Evangeliums (1976) veröffentlicht auf der Homepage www.klaus-hemmerle.de; Der Mensch als Existenz (o. D.), nicht veröffentlichtes Manuskript einer Vorlesung; Ehe und Familie in einer trinitarischen Anthro2

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unantastbaren Block der Identität sieht; von daher antwortet er auf die Vielfalt des Realen, in dem wir leben – das ebenfalls aus Gegensätzen besteht; es ist nicht zur Nivellierung gerufen, um die Einheit zu erreichen, sondern im angemessenen Gleichgewicht der Beziehung zu stehen, wo alles seinen Wert hat und seinen eigenen Platz findet. Diese Relationalität der Einheit ist sodann nicht etwas, das hinzukommt – wie eine Eigenschaft, die sich irgendwann beimischt –, sondern als wechselseitige Immanenz: Die Perichorese besagt nämlich, dass jeder relationale Pol das Ganze ist und den anderen Pol in sich birgt. Das Denken, das hinter diesem Charakter der Einheit liegt, ist das der rombachschen Struktur: Es besteht nämlich keine Dialektik zwischen den Polen, wodurch man ein Ja und ein Nein hätte, entweder den einen oder den anderen. Es handelt sich hingegen um eine Tiefenstruktur, in der ein Ja das Nein und ein Nein das Ja umgibt 4; es geht um das Geschehen der Offenbarung, in der das Sich-Geben Gottes in Jesus nicht ein einfaches Nebeneinander göttlicher und menschlicher Natur ist, sondern ein Der-eine-im-anderen-Sein. Deshalb ist der vierte Wesenszug der Einheit die göttliche kenosis, die keine Auflösung aller Gegensätze und Unterschiede ist, sondern ihre Offenheit in einem Sich-Verlieren und gerade im Sich-Verlieren zur Identität wird. Böhnke fasst dies treffend zusammen: »Kenosis heisst: Sich-geben. Sich-Geben ist das Geschehen der Identität mit sich in der Weggabe von sich« 5. Der Schlüssel zum Verständnis der kenosis ist das Scheitern: Darin manifestiert sich voll und ganz die Logik der Liebe des trinitarischen Gottes im geschichtlichen Akt der Inkarnation Jesu und seines Liebens bis hin zur Entblößung und bis zu seinem völligen Scheitern. Das trinitarische Modell, das Hemmerle in den 90er-Jahren vorschlägt, antwortet auf viele kritische Strömungen im Denken über die Einheit/Einzigartigkeit Gottes und den Monotheismus: In den letzten Jahrzehnten ist der Argwohn in der Hinsicht gewachsen, da man in pologie (1983), veröffentlicht auf der Homepage www.klaus-hemmerle.de; Ethos des Lebens – Ethos der Wissenschaft (1986), nicht veröffentlichtes Manuskript; Person und Gemeinschaft (1993), hier wiederabgedruckt. Markus Enders referiert über zwei der unveröffentlichten Texte in: M. Enders, L’apertura verso l’altro/a: esistenza come trascendenza. Tratti fondamentali dell’antropologia di Klaus Hemmerle, in: V. Gaudiano (Hg.), Sul maschile e sul femminile, Città Nuova/IUS, Roma 2020. 4 Vgl. M. Böhnke, Einheit in Mehrursprünglichkeit, ebd., 143–149. 5 Ebd., 147. Verdankendes Denken

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diesem Konzept eine Gefahr sieht für die Andersartigkeit auf allen Ebenen – von jener religiösen mit intoleranten Auswüchsen bis zu jener intersubjektiven des politischen Absolutismus oder der Infragestellung der Freiheit. Die Einheit in der Mehrdimensionalität bricht jene gefürchtete Unerschütterlichkeit der Einzigartigkeit Gottes auf kraft der relationalen internen und externen Dynamik hin zum dreifaltigen Gott. Der eine Gott ist nämlich nicht statusgemäß eins, sondern das ist er nur in der Dynamik und in der Bewegung der drei Personen, die den Menschen in sich hineinnimmt, und sie tut das nicht unter der Bedingung, eines oder mehrere Elemente der Beziehung im Namen der Einheit zu unterschlagen, sondern gerade indem sie die Unterscheidung aufrechterhält und in dieser Weise die Polarität der Komponenten. Wenn der Vater aufhören würde, Vater zu sein, dann wäre der Sohn nicht mehr solcher, denn er hätte keinen Bezugspunkt, der ihn zum Sohn macht; Gleiches gilt, wenn der Sohn aufhören würde, Sohn zu sein durch die Einheit mit dem Vater: er würde den Vater annullieren, der keinen Sohn mehr hätte, der ihn zum Vater macht, und der Heilige Geist würde schwinden, wenn einer der beiden anderen schwinden würde, denn nur in ihrem gegenseitigen Sich-Schenken aus Liebe wird der Geist gezeugt. In anderen Worten und in eindeutig »struktureller« Weise finden wir diese Dynamiken in einer anderen Schrift desselben Jahres, in dem auch die Thesen entstanden sind, und zwar in Vorspiel zur Theologie, in der Hemmerle das Bild des Spiels aufgreift, um sich der gleichzeitigen Einheit und Dreifaltigkeit Gottes zu nähern: Das Spiel beinhaltet an sich bereits Bewegung, Beziehung der Spieler untereinander, wodurch jeder Spieler beziehungsweise jedes Spiel an sich gekennzeichnet ist. Jeder Spieler hat ein Profil, aber so, dass er nur im Spiel mit dem anderen vollständig er selbst sein kann. »Kein Spiel ist ohne das andere Spiel« 6, und die Einheit, die die Vielfalt der Spiele und jede Bewegung in Einklang bringt, ist der »Bruch«, den das Sich-Geben mit sich bringt; ohne diese Bewegung der Hingabe und des Herausgehens aus sich selbst ist die Einheit nicht möglich. Dieser Prozess wird in der Formel vom unterscheidend Einen zusammengefasst, die in einem einzigen Beschluss das aussagt, was nicht eins ist, wenn nicht in der Vielfalt der Einheit und Unterscheidung. Wir können also sagen, wenn wir auf die drei Zugänge Salvatis bezüglich der Einheit in der Trinität zurückkommen, dass 6

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Hemmerle sich vorzugsweise in den Spuren der trinitarischen Gemeinschaft bewegt, die sich in Einheit ausdrückt als Prozess des Einswerdens, des Sich-Einsmachens. Lesen wir diesbezüglich einen längeren Passus, der das verdeutlicht, in Das Neue ist älter: Wenn Gottes Dreifaltigkeit nicht späterkommt als sein Sein, wenn dieses Sein selber Liebe ist, Liebe selber aber nichts anderes ist als ihr dreifaltiges Geschehen: dann ist der Vorgang von Sein eben Mitteilung, die nicht Teilung ist, sondern Einung, dann ist, was ist, nur in solchem Vorgang von Einung. Seiend heißt einend bzw. geeint. Alles, was ist, ist geeint mit dem Einenden und darin mit sich selbst. (…) Sein selber – so können wir es anders ausdrücken – ist communio, communio freilich, die ihre Pole nicht auslöscht, sondern konstituiert. Einheit nach außen ist Einheit nach innen – so ist Einheit Sein. Sein und Einheit sind nicht nur konvertibel; der Gesichtspunkt, unter dem Sein als Sein aufgeht, ist jener der Einheit, Einheit eben verstanden als communio, als Einung, in welcher nur das, was eint undgeeint wird, selber ist und also eins ist 7.

Das hat unmittelbare Auswirkungen im menschlichen Leben, das Berufung zur innertrinitarischen Gemeinschaft selbst ist, und darüber spricht Hemmerle nicht nur in dem Text, den wir hier kommentieren, sondern auch in der Sammlung Leben aus der Einheit 8, in der schon im Titel die Grundintention dieser Vorträge klar zum Ausdruck kommt. Hier geht es Hemmerle, ausgehend von dem und auf der Grundlage dessen, was er vorher entwickelt hat, um die Aktualisierung des trinitarischen Lebens auf der Erde, unter den Menschen; so findet beispielsweise die Frage der Identität des Ichs eine eigene Neudefinition von den Zeiten Gottes her und aus der Umkehr, zu der es ihm gegenüber gerufen ist. Das bedeutet Leben im gegenwärtigen Augenblick – also keine Fragmentierung des Selbst in viele Gestern und Morgen –, Leben des Wortes, denn in ihm und durch das Wort teilt Gott sich uns mit, Leben als Geschöpf. Auch hier ist die Einheit des Ichs mit sich selbst nicht an eine eigene Autonomie und Selbstgenügsamkeit gebunden, sondern vielmehr an ein Sich-Geben und Sich-in-jedem-Moment-ganz-dem-Vater-überlassen, im Leben seines Wortes, das an mich gerichtet ist, und im Einswerden mit den

K. Hemmerle, Unterwegs mit dem dreieinen Gott. Schriften zur Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie 2, ebd., 210. 8 K. Hemmerle, Leben aus der Einheit. Reflexionen über die Grundlage christlicher Existenz, 22019, ebd., insbesondere der erste und der zweite Teil, 15–131. 7

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anderen durch den Geist, das heißt, indem ich mich für die Gegenseitigkeit mit dem anderen öffne, in der Gott unter uns wohnen kann. Hinsichtlich der gemeinschaftlichen Dimension lesen wir in Leben aus der Einheit: »Nur indem wir miteinander und füreinander sind, was wir sind, ›kommen‹ wir zu uns selbst und über uns hinaus« 9. Wie gelangt man dahin? Durch die Liebe gemäß dem Evangelium, das heißt in der Weise, in der auch die drei göttlichen Personen in Einheit verbunden sind; das wirkt sich auch auf die Beziehung zur Schöpfung aus und die Einheit mit ihr durch die Eucharistie, die uns verwandelt, indem wir Eucharistie für die Erde werden können 10.

Ebd., 78. Vgl. ebd., 109–117. Dieses Thema »Eucharistie für die Erde« hat seine Wurzeln im Denken Chiara Lubichs, die in einem ihrer Vorträge vom Menschen als Eucharistie für die Erde gesprochen hatte. Vgl. Chiara Lubich, In Brot und Wein, Neue Stadt, München – Zürich – Wien, 51989, 55.

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Sachregister

Andenken 70, 100, 102, 104–105, 107, 109–115, 133, 218 Andere, das 70, 74, 75, 97, 111, 186, 210, 211, 215, 222, 232, 233, 272, 287, 326, 341, 364 Anrede 78–80, 82, 116, 120–124, 128 Anwesen 70, 103, 109 Bewahren/Gewahren 44, 85, 137, 169, 186, 358/73, 83, 105, 113, 129, 221 Beziehung 8, 13, 15, 21, 22, 23, 26, 28, 32, 33, 34–37, 39–40, 44–45, 47, 49, 51, 55, 58–59, 64–65, 69, 70–71, 73, 82–83, 92–93, 98, 102, 107–108, 118, 132–134, 137, 139, 141–142, 164–165, 169–170, 172–174, 178, 187, 195, 197–199, 202–203, 208, 212, 223–224, 230, 239, 241, 243, 244, 250, 252–253, 255–258, 260, 264, 266, 280–287, 290, 293–294, 297, 300–301, 304, 306–307, 309–310, 334–335, 338–339, 344, 353, 355, 361–364, 366 Denken 7–9, 11–13, 18–20, 25, 27– 32, 34–44, 46–47, 49–56, 58–124, 126–149, 158–163, 167–168, 170–171, 173–180, 182–189, 191, 195–196, 198–202, 204–207, 211–212, 214–216, 218–223, 225–226, 228, 231–233, 238, 240,

243, 252–255, 260–262, 265–269, 272–273, 275, 277, 280–282, 284–285, 288–290, 292, 295–296, 299, 303, 307–309, 312–315, 317– 330, 332–337, 339–340, 342, 346, 352, 356–358, 361–363 Denk-mal 70, 72, 91, 94, 105, 127, 133, 137 Dieses 211–212, 216, 219–220, 222–225 Differenz 32, 92, 116–118, 120, 124–126, 129, 150, 246, 336 Einheit 31, 38, 42–43, 49–50, 59, 68, 118–119, 121, 126, 132, 137, 162, 201, 212, 220, 235, 251, 258, 262, 264, 272, 273, 291, 294, 297, 301, 302, 305, 306, 339–366 Existenz 20–21, 27–29, 36, 39, 52– 53, 74, 91, 103, 135, 148, 176, 228, 235, 238, 243, 253–254, 293, 297, 304, 313, 337, 340, 343, 345, 362, 365 Fassendes Denken 80, 89–91, 94– 95, 98, 142 Gegewart 35, 37–38, 40, 45, 48–49, 80–83, 91–93, 102–106, 108–109, 113–115, 117, 126, 137, 140–141, 151–153, 170, 240, 242–245, 248– 250, 253–257, 333, 342 Geheimnis 16, 39, 41, 43, 52, 89, 91, 96, 98, 100, 102, 109–111,

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Sachregister

114–115, 122–124, 126–127, 129, 135, 147, 163–164, 170, 181, 201, 206–207, 211–212, 218–219, 221, 227, 231–232, 244, 263, 283, 315, 320, 326–328, 336, 345–346 Gemeinschaft 15, 32, 51, 58, 114– 115, 170, 245, 247–249, 255, 259, 280, 282, 288–297, 299–300, 302–311, 315, 349, 352, 358, 361, 363, 365 Genese 206–208, 210, 217, 219, 301, 321 Gewähr 91–97, 100–102, 104–106, 108, 110, 112, 114–116, 120, 123, 127, 130, 217, 244, 272, 358, 361 Gott 13, 23–24, 29–32, 34–46, 49– 51, 54, 56, 61–62, 64, 68, 71, 75, 86, 91–93, 109, 129–130, 132– 133, 136, 138–145, 147, 162–164, 166, 168, 170, 172–192, 194, 196, 198–200, 202, 204, 213–214, 224–225, 228, 233–234, 238–239, 243–250, 254–263, 266–268, 270, 275–279, 283–284, 289, 292–295, 303–305, 310–312, 315, 320, 325–326, 328, 330, 332, 337–338, 340, 342–349, 351–355, 357, 360–366 Grenze 21, 28–29, 34, 48, 58, 72, 81, 84–85, 87–88, 97, 107, 158, 162, 171, 180–181, 187, 193, 204, 206–233, 243, 285, 313, 332 Heilige, das 27, 30–31, 35, 37, 39, 41, 55–56, 58–59, 61–64, 67–70, 72–78, 81–82, 85–89, 92–98, 100–106, 108–110, 112–116, 118, 120–138, 140–143, 163, 168, 177, 200, 219, 224, 232, 245, 250–251, 256, 259, 266, 294, 313, 328, 335, 339–342, 355–359, 362, 364 Hell 64–65, 67–68, 73, 75–78, 81– 82, 84–85, 94, 97–98, 103, 111– 112, 115, 148, 156, 162, 301, 316, 352

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SCIENTIA

Konkretion 271, 357 Kreuz 43, 48, 173, 181–184, 194, 213, 223, 235, 248, 278–279, 347– 349, 351, 361 Innesein 81, 87, 107, 258, 266, 278, 352–353, 355 Lassendes Denken 78, 80–81, 87, 121 Liebe 19–20, 37, 42–43, 47, 50, 58, 64, 138–140, 145, 157, 160, 162, 170, 181–184, 190–191, 194, 202, 213, 247, 249–250, 257, 258, 260– 264, 268–287, 308–310, 343, 348–350, 353–359, 361–366 Mitdenken 12, 53–54, 115, 184, 207, 221, 244, 268, 317, 321–322, 330–331 Miteinander 15–16, 29, 46, 62, 85, 112, 116, 118–119, 150, 154–155, 163, 167, 183, 198, 200–201, 207, 213, 215–216, 228, 232, 234, 240– 241, 245, 247, 266–267, 272, 278, 285, 287, 291, 293–294, 301–302, 304, 307–311, 329–334, 338, 346, 348–351, 353–354, 359, 366 Nichts 28, 32, 36, 44, 46–47, 65–67, 71–72, 75–76, 79, 81, 83–86, 96, 98–99, 101, 107, 116, 129–130, 134–135, 143, 149, 155, 173, 181, 190, 210–211, 217, 219–221, 223–224, 232, 237, 239, 242, 244, 250, 262, 265, 274, 277, 282, 289, 315, 319, 324, 326, 329, 333, 336, 338, 344, 353–354, 357, 365 Perichorese 263–264, 266, 268– 274, 276–279, 284–287, 355–356, 362–363 Person 13, 39, 51, 53, 58, 71, 81, 115, 130, 138, 181, 236, 247, 255, 258–259, 263, 273, 285, 287–310,

RELIGIO

Klaus Hemmerle https://doi.org/10.5771/9783495825181 .

Sachregister

317, 329, 333–335, 338–339, 344, 361–364, 366 Phänomenologie 11, 18–22, 24–26, 29–32, 39, 47, 54, 61, 64–65, 67– 69, 73–75, 78, 101, 129, 131–132, 134, 136–139, 169, 174–175, 198, 200, 204, 206, 210–212, 215–221, 224, 231, 235, 264, 270, 275, 280, 284–286, 318, 320–321, 328, 332–334, 336, 338, 342 Philosophie 12–13, 15, 18–22, 24, 26, 28–29, 31, 36–40, 43–58, 61– 62, 64, 75, 78, 80, 93, 113, 118, 121, 124, 134–135, 142–148, 158–159, 163, 172–176, 179–180, 182, 184–202, 204, 206–207, 221–222, 225–226, 228, 232, 234–235, 237, 239–240, 243, 252–255, 260, 274, 280–281, 284–285, 287, 292–293, 296, 305, 308, 313–315, 318–319, 323, 330, 332, 335, 338–339, 365 Ruf 55, 101, 107, 116, 120–123, 127–128, 130, 135, 137–138, 140, 170–171, 180, 218–219, 221–222, 304, 307, 344 Schranke 85–88, 100, 104, 207, 220, 227 Sein 20, 26, 28–29, 31, 34, 38–39, 42, 46–47, 70–75, 77, 82–83, 88, 95–97, 99, 104–108, 111–112, 115–130, 132–143, 156, 167–168, 190, 196, 201, 230, 237–238, 264– 268, 270–272, 274, 282, 285, 297– 304, 333, 353–356, 365 Strukturontologie 20, 29–32, 64, 71, 73, 169, 189–190, 212, 271, 318, 321, 332, 336 Theologie 12, 15, 18–20, 25–26, 29, 31, 38–39, 42, 44–54, 56–58, 61– 62, 68, 71, 113, 139, 144–148, 163, 169, 172–176, 179–180, 182,

184–204, 206–207, 221, 224–226, 234, 253, 257, 260, 262–263, 274– 275, 277, 279, 287–288, 293–294, 303, 305, 315, 318, 324–325, 327– 328, 330, 332, 336, 338–339, 341, 357, 361, 364–365 Trinität 32, 38, 43, 58, 66, 71, 182, 234–236, 250, 255–259, 290, 294, 296, 305, 310, 364 Verdankendes Denken 13, 86, 88– 89, 91–93, 95, 97–98, 109, 143 Vergangenheit 37, 43, 93, 102, 140, 151, 198, 243, 245, 253–255 Verhältnis 13, 26–27, 30–31, 44, 48, 51, 54, 56–58, 67, 69, 90, 96, 102, 109–110, 124–125, 133, 145, 147, 153, 172–174, 176–177, 187–189, 194–195, 197, 199, 202, 223, 237, 241, 246, 249–250, 260, 262–273, 276, 278, 286–287, 291, 293, 300, 307, 309, 348–350, 253, 255–256 Verlassenheit/Gottverlassenheit 43, 50, 170, 181, 278, 327 Vollzug 27–28, 43, 67, 70, 73–76, 80, 88, 112, 115–116, 119–124, 126, 128–130, 149–150, 156, 193, 216, 270, 273–274, 298–300, 302, 307, 318, 333, 359 Wahrheit 16–17, 29, 41, 48, 58, 83, 96, 109–110, 112, 126, 128–129, 144–146, 148, 152–163, 165–171, 173, 186, 188, 194, 198, 202, 260, 262–268, 272–280, 284–287, 298–300, 316, 318, 322, 329–330, 332, 335–336, 338, 355, 357–358 Warum 65, 79, 82–84, 90, 94–95, 97, 99, 112, 135, 137, 181, 183, 209, 314–315, 321, 330, 340, 344, 350 Was 25, 46, 81–83, 90–96, 99, 126, 214, 220, 254, 286, 338

Verdankendes Denken

A https://doi.org/10.5771/9783495825181 .

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Sachregister

Weg 12–13, 16, 18, 22–23, 25, 27, 29, 37, 39–40, 43–44, 48–49, 51, 53, 56, 60, 62–63, 69, 78, 83, 98, 100–102, 105, 113–114, 116, 119, 123, 130, 134, 142, 145, 153, 160, 164, 170, 182, 184, 198, 213–215, 221, 223, 246–247, 251, 257–258, 264, 277–278, 289–290, 299, 304–305, 313–315, 317–318, 326, 337, 341–342, 347, 350, 360–361 Zeit 12–13, 15, 25, 28–29, 32, 36– 38, 40, 46–47, 56, 58, 60, 62, 64, 66–67, 74, 88, 91, 93–94, 106, 109–110, 112, 136, 141, 145, 149– 153, 155, 158–159, 164–165, 169– 170, 176–181, 183, 195, 221, 232, 234–238–241, 243–244–248–

380

SCIENTIA

259, 296, 314–315, 323–324, 327, 333–334, 338, 340–341, 343, 346, 360, 365 Zeitigung 66, 93–95, 97–98, 100, 105, 109–113, 118–120, 122, 124, 129, 145, 153, 157, 159 Zeugnis 31, 52, 93, 95–97, 138, 141, 144–166, 169–171, 191, 202, 213, 215, 278, 285, 332, 341, 349, 358 Zudenken 29, 31, 38, 61, 104–105, 109–112, 114, 142, 144, 163, 172, 174, 204, 268, 332, 338 Zukunft 16, 19, 37–38, 93, 105, 109, 140, 151, 177–178, 183, 213, 239, 242–245, 248–249, 251, 253–255, 257, 261, 356

RELIGIO

Klaus Hemmerle https://doi.org/10.5771/9783495825181 .

Personenregister

Albus, M. 44 Aristoteles 46, 157, 227, 252 Augustinus 86, 252, 266, 283–284 Baader, F. von 38–39, 51, 62, 131– 132, 141–142 Balthasar, H.-U. von 41–34, 62, 87, 250, 258, Bausenhart, G. 20, 25, 31, 68, 169, 200, 332, 336 Beethoven L. von 163 Berning V. 292 Blättler, P. 235, 306 Boethius 295–298, 302–304 Böhnke, M. 20, 25, 31, 43, 68, 169, 200–201, 234, 257, 332, 336, 363 Bonaventura 43–44, 134, 257, 271, 294, 296–297, 303, 310, 321, 333– 334 Bonhoeffer, D. 258 Brechtken, J. 172–173, 201 Breuning, W. 234 Buber, M. 12, 32–33, 36, 110, 240, 255, 306–308 Bultmann, R. 18 Cacciari, M. 46–47, 201, 203 Cano, M. 178 Casper, B. 12, 19–20, 35, 39, 61, 88, 92, 102, 118, 134, 139, 144, 204, 261, 290, 323, 325 Cichon-Brandmaier, S. 250 Clemenzia, A. 50, 58, 131, 200, 287, 362

Coda, P. 50, 57–58, 181, 202, 258, 261, 294, 361 Conrad-Martius, H. 22 Curi, M. B. 139 Deissler, A. 40–41 Deller, U. 182 Descartes, R. 90, 321 Duns Scotus 294 Ebner, F. 32 Eckhart, M. 62, 89, 134, 321, 325, 328–329, 333–334 Enders, M. 287, 363 Elberskirch, J. 247, 307 Feiter R. 43, 53, 61 Feldes, J. 22 Fink, E. 18–19, 71, 163, 237, 252 Fraling, B. 339 Frick, A. 57 Ganoczy, A. 43 Gaudiano, V. 11–13, 50, 131, 200, 285, 287, 262–263 Gendolla, P. 252 Gloy, K. 237 Goethe, J. W. 282 Gollwitzer, H. 147–148 Göllner, R. 44 Göry, H. J. 44 Goodman, P. 231 Gregor von Nyssa 87, 357 Greshake, G. 361

Verdankendes Denken

A https://doi.org/10.5771/9783495825181 .

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Personenregister

Grimm, J. u. W. 236 Guardini, R. 121, 213 Hagemann, W. 13, 19, 40–41, 49, 51, 131, 213, 235, 260, 289, 336 Hartmann, N. 18, 147 Haungs, P. 144 Hefferline, R. F. 231 Hegel, G. W. F. 36–38, 46–47, 132, 141, 195, 216, 227, 334 Heidegger, M. 12, 18–20, 24–26, 28, 32, 36, 46–47, 65–67, 74, 78, 88, 103, 117, 132–136, 138, 147, 163, 167, 173, 175, 190, 232, 235, 238, 243, 253–254, 308, 318, 321– 323, 332–335, 337–338 Heinz, H. 43–44, 234, 310 Held, K. 24 Henrix, H.-H. 19, 52 Hermann, F.-W. von 190 Hildebrand, D. von 11–12, 22, 25, 274, 280–285, 308–310 Hooff, A. von 44 Hünermann, P. 12, 19, 39, 61–62, 88, 92, 102, 139, 144, 336, 339, 241, 358–359 Husserl, E. 11–12, 18, 20–26, 28– 29, 61, 65, 74, 134, 163, 207–208, 231, 235, 331–333 Ierna, C. 24 Ivánka, E. von 87

Kant, I. 36, 77, 80, 86, 112, 130, 207, 227, 229–230, 237, 243–244, 321, 334 Kasper, W. 40, 43, 250, 258, 294, 361 Kienzler, K. 31, 44, 134, 169, 253, 332, 338 SCIENTIA

Lacoste, J. Y. 263 Lambert, C. 25, 200 Landgrebe, L. 18 Leger, P.-E. 152 Lehmann, K. 43 Lembeck, K.-H. 22 Leo der Grosse 266 Levinas, E. 51, 253–254, 336 Loos, S. 20, 24, 26–27, 30, 54, 131 Lorenz, D. 20, 25, 31, 68, 169, 200, 332, 336 Lorenz, R. 44, 68, 312, Lubich, C. 13, 43, 49–51, 290, 310, 339, 358, 366 Luft, S. 22 Maier, E. 44 Marion, J.-L. 88, 136, 139, 174, 280 Moltmann, J. 182 Müller, J. 290 Müller, M. 19 Natorp, P. 18 Nietzsche, F. 46, 117, 334 Nossol, A. 260, 262–263 Obst, T. 78, 131–132, 134, 136 Otto, R. 27, 61, 67, 89, 131 Overgaard, S. 22

Jakobs, H. 24 Jaskoly, P. 260 Johannes vom Kreuz 213, 223 Jüngel, E. 258

382

Körner, B. 178 Krämer, S. 167 Krüger, M. D. 40

Paradiso, M. 373 Pascal, B. 94, 160, 283, 325 Perls, F. 231 Plato 87, 227 Pöggeler, O. 117 Pröpper, T. 373 Rahner, K. 250, 258, 261 Rauscher, A. 288, 290 Ravera, M. 230 Reinach, A. 22

RELIGIO

Klaus Hemmerle https://doi.org/10.5771/9783495825181 .

Personenregister

Richard von St. Viktor 42, 271 Rickert, H. 18 Ricoeur, P. 252, 256 Ritter, J. 373 Rohls, J. 45 Rombach, H. 19–20, 29–31, 43, 64, 71, 73, 132, 169, 190, 207, 212, 258, 271, 318, 321, 332, 336–338 Rossi, P. 46, 201 Rosenzweig, F. 12, 19, 32, 35–38, 53, 64, 66–67, 75, 91–93, 110, 129, 132, 139–141, 145, 160–161, 198, 212, 232–233, 240, 243, 254– 255, 306, 323, 334–335, 338 Rynkiewicz, K. 22 Salvati, G. M. 361, 364 Schaeffler, R. 199 Scheler, M. 27, 31, 67, 74, 131, 274, 280, 282, 285, 308, 318 Schelling, F. 12, 19, 38–40, 62, 67, 80, 92, 109, 112, 131–132, 141– 144, 195, 334 Schmaus, M. 263 Schmidt, S. 167 Schneider, R. 213 Schneider T. 250, 293 Schneider W. 44 Schreier, J. 52–53, 58 Schulte, D. 252 Schülein, J.-G. 167 Sieroka, N. 237 Speyr, A. von 42–43 Stein, E. 12, 22, 25, 308–310

Tapken, A. 58 Tedeschini, M. 22 Tillich, P. 147 Timmermann, J. 207 Trocholepczy, B. 44, 312 Thomas von Aquin 19, 46, 124– 125, 134, 173, 264, 284, 294–298, 303, 321, 333–334 Tremblay, J. 58 Walther, G. 308 Weinrich, H. 252 Weischedel, W. 147–148 Welte, B. 12, 18–20, 24–29, 31, 35, 38, 56, 61–62, 66, 71–72, 85–86, 88, 115, 131–139, 164–167, 169, 195–200, 204, 206–207, 210, 213–219, 221, 227–228, 230–231, 235, 247, 261, 285–286, 306–308, 310–338, 341 Wenzler, L. 312, 325, 329 Werbick, J. 250 Wittgenstein, L. 86 Wolff, C. 74 Verweyen, H. 45 Vetter, H. 65, 74, 207, 329 Vienken, E. 44 Vitiello, V. 202 Vögtle, A. 40–41 Vogel, B. 144 Zak, L. 57

Verdankendes Denken

A https://doi.org/10.5771/9783495825181 .

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