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German Pages 322 [324] Year 2023
Vorstellung, Denken, Sprache
Reinholdiana
Edited by Ernst-Otto Onnasch Editorial Board: Karl Ameriks (Notre Dame, USA), Daniel Breazeale (Kentucky, USA), Martin Bondeli (Bern, Switzerland), Claude Piché (Montreal, Canada), George di Giovanni (Montreal, Canada), Faustino Fabbianelli (Parma, Italy), Marion Heinz (Siegen, Germany), Alexander von Schönborn (Missouri, USA)
Volume 5
Vorstellung, Denken, Sprache Reinholds Philosophie zwischen rationalem Realismus und transzendentalem Idealismus Herausgegeben von Martin Bondeli und Dirk Westerkamp
ISBN 978-3-11-123948-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-123952-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-123996-5 ISSN 2194-9085 Library of Congress Control Number: 2023933363 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Inhalt Siglen und Abkürzungsverzeichnis
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Martin Bondeli und Dirk Westerkamp Einleitung 1
Vorstellung: Von der Elementarphilosophie zur Wissenschaftslehre John Walsh Karl Leonhard Reinhold’s Account of Free Will in Relation to Kant’s Religion 9 within the Boundaries of Mere Reason Marco Ivaldo Reinholds Begriff des Fundaments einer moralischen Religion im Ausgang von Kant 37 Philipp Schwab Identität oder Wechselwirkung? Fichte und Schelling über Reinholds Wechsel 51 zur Wissenschaftslehre Ives Radrizzani Die Auseinandersetzung zwischen Reinhold und Schelling Jean-François Goubet Reinholds Rezension zu Herbarts Metaphysik
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Denken: Von der Wissenschaftslehre zum Rationalen Realismus Pierluigi Valenza Reinholds Auffassung der Analyse in seiner realistischen Phase Faustino Fabbianelli „Identität“ und „Diversität“ in Reinholds rationalem Realismus (1801–1803) 121
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VI
Inhalt
Federico Ferraguto Fichte’s concept of “Repräsentant des Absoluten” as an answer to Rational 139 Realism Elise Frketich Concepts of Truth in Schelling, Reinhold, and Hegel
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Dirk Westerkamp Semantischer Holismus und Theorie der Reflexionsbegriffe: Topik, Logik 175 oder Synonymik?
Sprache: Vom Rationalen Realismus zum synonymischen Sprachdenken Silvan Imhof Kein Denken ohne Sprache? Die Diskussion über das Verhältnis von Philosophie und Sprache im Briefwechsel zwischen Reinhold und 199 Bardili Marion Heinz Vernunft und Sprache: Zu Herders und Reinholds Metakritik an Kant Martin Bondeli Unterwegs zur gereinigten Sprache. Reinholds Forderung einer eindeutig bestimmten philosophischen Grundterminologie 261
Philologica Michael Gerten Ergänzungen und Korrekturen zur Bibliographie der Schriften von Karl Leonhard Reinhold ab dem Jahre 1804 285 Beiträgerinnen und Beiträger Personenregister
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309
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Siglen und Abkürzungsverzeichnis Werke Karl Leonhard Reinholds RGS
Gesammelte Schriften. Kommentierte Ausgabe, hg. v. Martin Bondeli, Basel 2007 ff. KA Korrespondenzausgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, begründet von Reinhard Lauth, Kurt Hiller und Wolfgang H. Schrader, hg. von Faustino Fabbianelli und Ives Radrizzani, Stuttgart-Bad Cannstatt 1983 ff. Versuch Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, Prag u. Jena 1789. [RGS 1] Beiträge I Beyträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Erster Band das Fundament der Elementarphilosophie betreffend, Jena 1790. Fundament Ueber das Fundament des philosophischen Wissens nebst einigen Erläuterungen über die Theorie des Vorstellungsvermögens, Jena 1791. [RGS 4] Briefe I Briefe über die Kantische Philosophie. Erster Band, Leipzig 1790. [RGS 2/1] Briefe II Briefe über die Kantische Philosophie. Zweyter Band, Leipzig 1792. [RGS 2/2] Beiträge II Beyträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Zweyter Band die Fundamente des philosophischen Wissens, der Metaphysik, Moral, moralischen Religion und Geschmackslehre betreffend, Jena 1794. Vermischte Schriften II Auswahl vermischter Schriften. Zweyter Theil, Jena 1797 [RGS 5/2] Rez. Fichte [Rezension von Johann Gottlieb Fichte: Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, Weimar 1794; Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, Leipzig u. Jena 1794; Grundriß des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, Leipzig u. Jena 1795; Philosophisches Journal einer Gesellschaft Teutscher Gelehrten, hg. v. Johann Gottlieb Fichte u. Immanuel Niethammer, Bd. 5, Heft 1–6], in: ALZ 1798, 4. Januar, Nr. 5, 33–39; 5. Januar, Nr. 6, 41–47; 6. Januar, Nr. 7, 49– 56; 6. Januar, Nr. 8, 57–63; 8. Januar, Nr. 9, 65–69. Rez. Schelling [Rezension von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: System des transcendentalen Idealismus, Tübingen 1800], in: ALZ 1800, 13. August, Nr. 232, 369–376. Beiträge Übersicht H 1–6 Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts, hg. v. Karl Leonhard Reinhold, Hefte 1–6, Hamburg 1801–1803. [RGS 7/1–2] Bardilis und Reinholds C. G. Bardilis und C. L. Reinholds Briefwechsel über das Wesen der Briefwechsel Philosophie und das Unwesen der Spekulation, hg. v. Karl Leonhard Reinhold, München 1804. Analysis Versuch einer Auflösung der von der philosophischen Klasse der königl. Akademie der Wissenschaften in Berlin für 1805 aufgestellten Aufgabe: „Die Natur der Analysis und der analytischen Methode in der Philosophie genau anzugeben, und zu untersuchen: ob und was es für Mittel gebe, ihren Gebrauch sicherer, leichter und nützlicher zu machen“, München: Lindauer 1805. Critik der Logik Versuch einer Critik der Logik aus dem Gesichtspunkte der Sprache, Kiel 1806. Fibel Die Anfangsgründe der Erkenntniß der Wahrheit in einer Fibel für noch unbefriedigte Forscher nach dieser Erkenntniß, Kiel 1808. https://doi.org/10.1515/9783111239521-001
VIII
Siglen und Abkürzungsverzeichnis
Synonymik Erkenntnisvermögen
Wahrheit I Wahrheit II
Grundlegung einer Synonymik für den allgemeinen Sprachgebrauch in den philosophischen Wissenschaften, Kiel 1812. Das menschliche Erkenntnisvermögen aus dem Gesichtspuncte des durch die Wortsprache vermittelten Zusammenhangs zwischen der Sinnlichkeit und dem Denkvermögen, Kiel: Akademische Buchhandlung 1816. Ueber den Begriff und die Erkenntniss der Wahrheit, Kiel: Mohr 1817. Die alte Frage: Was ist Wahrheit? Bey den erneuerten Streitigkeiten über die göttliche Offenbarung und die menschliche Vernunft, Altona: Johann Friedrich Hammerich 1820. [RGS 10/2]
Andere Werke und Quellen Aenesidemus
Aenesidemus: Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Vertheidigung des Skepticismus gegen die Anmaaßungen der Vernunftkritik, [ohne Angabe des Druckorts] 1792. ALZ Allgemeine Literatur-Zeitung, hg. v. Christian Gottfried Schütz, Jena 1785–1803, Halle 1803–1849. Baggesen-Briefe Aus Jens Baggesen’s Briefwechsel mit Karl Leonhard Reinhold und Friedrich Heinrich Jacobi. In zwei Theilen, Leipzig 1831. Grundriß der Ersten Logik Bardili, Christoph Gottlieb: Grundriß der Ersten Logik, gereiniget von den Irrthümern bisheriger Logiken überhaupt, der Kantischen insbesondere; Keine Kritik sondern eine Medicina mentis, brauchbar hauptsächlich für Deutschlands Kritische Philosophie, Stuttgart 1800. Fichte-AA Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Erich Fuchs, Hans Gliwitzky, Reinhard Lauth u. Peter K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962–2012. Hegel-AA Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. v. der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste, Hamburg 1968 ff. Herbart-SW Herbart, Johann Friedrich: Sämtliche Werke, hg. v. Karl Kehrbach, Otto Flügel u. Theodor Fritzsch, Langensalza 1884–1964. Herder-FHA Herder, Johann Gottfried: Werke in zehn Bänden, hg. v. Günter Arnold, Frankfurt am Main 1985–2000. Herder-SW Herder, Johann Gottfried: Sämtliche Werke, hg. v. Bernhard Suphan u. Carl Redlich, Berlin 1877–1913, Nachdruck Hildesheim. Jacobi-W Jacobi, Friedrich Heinrich: Werke, hg. von Klaus Hammacher u. Walter Jaeschke, Hamburg 1998 ff. Kant-AA Kant, Immanuel: Kant’s gesammelte Schriften, hg. v. der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin u. Leipzig 1900 ff. KrV Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft A 1781 (Kant-AA 4); B 1787 (KantAA 3). TM Der teutsche Merkur, hg. v. Martin Wieland, Weimar 1773–1789. NTM Der neue Teutsche Merkur, hg. v. Martin Wieland, Weimar 1790–1810.
Siglen und Abkürzungsverzeichnis
RL
Schelling-SW
Schelling-AA
Schleiermacher-KGA
Wolff-GW
IX
Reinhold, Ernst: Karl Leonhard Reinhold’s Leben und litterarisches Wirken, nebst einer Auswahl von Briefen Kant’s, Fichte’s, Jacobi’s und anderer philosophirender Zeitgenossen an ihn, Jena 1825. Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Friedrich Wilhelm Joseph von Schellings sämmtliche Werke, hg. v. Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart u. Augsburg 1856–1861. Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Historisch-kritische Ausgabe. Im Auftrag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Stuttgart-Bad Cannstatt 1976 ff. Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, hg. v. Hermann Fischer, Gerhard Ebeling, Heinz Kimmerle, Günter Meckenstock und Kurt-Victor Selge, Berlin, New York, 1980 ff. Wolff, Christian: Gesammelte Werke, Materialien und Dokumente, hg. v. Jean École, Hans Werner Arndt, Charles A. Corr, Joseph Ehrenfried Hofmann u. Marcel Thomann, Hildesheim 1962 ff.
Martin Bondeli und Dirk Westerkamp
Einleitung
Die Begriffe „Vorstellung, Denken, Sprache“ umreißen die durchgehenden Themen der Philosophie Karl Leonhard Reinholds. Sie gewähren eine übergreifende Perspektive auf sein Gesamtwerk. Evidenterweise entsprechen sie damit den derzeitigen Haupttrends der Reinhold-Forschung, markieren zugleich aber noch bestehende Forschungsdesiderate. Dass diese in den vergangenen zehn Jahren erheblich abzunehmen begonnen haben, ist sowohl dem Fortgang der Edition der Gesammelten Schriften als auch dem Fortschritt der Spezialforschung sowie den Ergebnissen der Reinhold-Tagungen in Luzern, Rom, Montreal, Siegen, Kiel, Fribourg und zuletzt Parma und Jena zu danken. Mochte etwa das Vorstellungskonzept der Elementarphilosophie vergleichsweise gut untersucht sein, so fehlten lange Zeit Studien zum Schicksal der Vorstellungstheorie und der Lehre des Wissens im mittleren und späten Werk. Umgekehrt gab es Ansätze zu einer genaueren Analyse des späten Sprachdenkens Reinholds, kaum aber Untersuchungen zu den Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen spätem Sprachdenken und früher Vorstellungstheorie. Mit dem Reinholdiana Band 4, der die Vorträge der Fribourger Tagung von 2018 versammelt, ist einer der bislang blinden Forschungsflecken, Reinholds kurze Phase des Übertritts zu Fichtes Wissenschaftslehre, hinreichend ausgeleuchtet worden. Demgegenüber schließt der vorliegende Band der Kieler Reinhold-Tagung von 2017 an die Erforschung dieser Phase an und nimmt dabei vor allem Reinholds Ausarbeitung des Rationalen Realismus und den Übergang in die späte Sprachphilosophie und Synonymik in den Blick. Die Beiträge konzentrieren sich zum einen auf kardinale Zusammenhänge und paradigmatische Phasen dieser Denkentwicklung; sie situieren zum anderen Reinholds Denken in der systematischen Landschaft des „Deutschen Idealismus“ bzw. der „Klassischen Deutschen Philosophie“ im Ganzen. Deutlicher werden auch die Konturen einer zur philosophischen Frühromantik und zum Deutschen Idealismus komplementären Strömung des Deutschen Realismus (Zöllers „German Realism“). Mit diesem Profil tragen die Aufsätze des vorliegenden Bandes zur Einsicht bei, dass die Denkentwicklung Reinholds wie im Brennglas auch etwas von der rasanten Theoriendynamik und Denkkonstellation der Ersten Philosophie zwischen 1781 und 1830 sehen lässt. Da man in vielen bisherigen Darstellungen zu dieser Phase der Ersten Philosophie ohne die Betrachtung der Strömungen des Realismus bei Jacobi, Bardili und Reinhold auszukommen meint, führen die Aufsätze hier zu einer Korrektur und Präzisierung. Schließlich versteht sich, dass mit ihnen in gewissen Hinsichten und in einer mittelbaren Weise zu der seit über zehn Jahren neu entfachten Realismusdebatte Stellung genommen wird. https://doi.org/10.1515/9783111239521-002
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Martin Bondeli und Dirk Westerkamp
Seinem Themenspektrum entsprechend, wirft der vorliegende Band zunächst Licht auf die moral- und religionsphilosophischen Debatten, die im Zusammenhang der Ausbildung und Fortentwicklung von Reinholds Elementarphilosophie geführt wurden. In diesem Kontext prüft John Walsh die Argumente und Überlegungen, die Reinhold dazu geführt haben, einen von Kant fundamental abweichenden Begriff des freien Willens zu verteidigen und ihn zur Grundlage sowohl seiner Konzeption des Sittengesetzes als auch seines Begriffs von Religion zu machen. An diese Überlegungen knüpft Marco Ivaldo in seinem Beitrag an, der zeigt, wie der „moralische Erkenntnißgrund“ bei Reinhold zwischen 1790 und 1794 unterschiedliche fundamentalphilosophische Wandlungen erfährt, aber gleichermaßen zur Begründung der Moralreligion in der praktischen Vernunft beibehalten wird. Die Verschiebungen und Neubestimmungen der Grundansätze innerhalb der Theorieentwicklung der 1790er-Jahre sind auch das Thema von Philipp Schwabs Beitrag. Gegenstand seiner Untersuchung ist die Frage, inwiefern Reinholds Wechsel zur Wissenschaftslehre noch auf den Grundsätzen ihrer ursprünglichen Version von 1794 beruht, deren Systematik einer sorgfältigen Rekonstruktion unterworfen wird, während Fichte und Schelling wiederum aus der Perspektive erheblich späterer Fassungen der Wissenschaftslehre Reinholds nur „halbherzigen“ Wechsel kritisieren. Hinter welcher Polemik sich die systematischen Differenzen zunehmend verschanzen, zeigt Ives Radrizzanis Beitrag. Nachgezeichnet wird, wie sich in den Schriften und Rezensionen der frühen 1800er-Jahre der Ton zwischen Fichte und Schelling auf der einen und Reinhold und Bardili auf der anderen Seite verschärft. Während erstere den letzteren eine irrige Auffassung philosophischer Theorie vorwerfen, der es an ihrer praktisch-philosophischen Begründung fehle, werfen letztere den ersteren die systematische Amphibolie von Denken und Vorstellen vor, die in leere, subjektivistische Spekulation umschlage. In dieser Auseinandersetzung, so verdeutlicht der Aufsatz von Jean-François Goubet, hatte sich Reinhold eine kurze Zeit lang in der Unterstützung durch Johann Friedrich Herbart gewähnt. Die wechselseitigen Reaktionen auf ihre Werke (vor allem in der bislang unbeachtet gebliebenen Rezension der Herbartschen Hauptpuncte der Metaphysik von 1808 durch Reinhold) scheinen beide Denker für einen kurzen Moment in Sachen Rationaler Realismus und dem Prinzip des „denkenden Urwesens“ übereinzustimmen. Goubets Beitrag deckt den Schein dieser Nachbarschaft auf, hinter dem sich tiefe Differenzen zwischen dem Prinzip der Beziehungsanalyse Herbarts und dem Prinzip der synonymischen Sprachanalyse Reinholds verbergen. Der zweite Hauptteil des Bandes untersucht umfassend die Grundlagen und Konsequenzen des Systemwechsels zum Rationalen Realismus. Pierluigi Valenza rekonstruiert die Potenzenlehre und Formelsystematik des Rationalen Realismus anhand der Abhandlung Reinholds zur Analysis anlässlich der Berliner Akademiepreisfrage von 1805. Hier kommt insbesondere Reinholds Lehre des Nexus in
Einleitung
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den Blick, der die reine Analysis mit der Phänomenologie als Naturlehre verbindet. Sie liegt Reinholds zentraler Neukonzeption von Identität und Nichtidentität zugrunde. Faustino Fabbianellis Beitrag knüpft daran an und bezieht Reinholds Begriff einer immanenten Differenz auf den Unterschied zwischen der Identität des Denkens und der Nichtidentität der Materie. Gezeigt wird, dass diese Grundidee bereits aus der Fichte-Phase Reinholds stammt und einen der Beziehungsgründe zur neuen Lehre des Rationalen Realismus darstellt. Der daraus resultierende Immanentismus der Vernunft führt, so Fabbianellis These, zu der wichtigen Unterscheidung zwischen dem Urwahren und dem Wahren, die bestimmend für Reinholds Denken bis in seine abschließende Phase bleiben wird. Dass die systematische Entfaltung des Rationalen Realismus auch in der Theorieentwicklung der Wissenschaftslehre Spuren hinterlassen hat, vermittelt der Beitrag von Federico Ferraguto. Analysiert wird eine Art Doppelstrategie von harscher Kritik und sanfter Assimilation der Fichtesschen Wissenschaftslehre an den Standpunkt des Rationalen Realismus. Die deutlichste Spur dieser Rezeptionsstrategie findet sich in Fichtes Konzept der Repräsentanz des Absoluten. Sie führt Fichte, angestoßen durch die Kritik am Rationalen Realismus, zu einer Klärung des Verhältnisses von Ontologie und Epistemologie, die sich selber epistemologisch rechtfertigen lassen muss – und auch, so Ferragutos These, für heutige Diskussionen der Thematik fruchtbar bleibt. Den impliziten und expliziten Wahrheitsbegriff des Rationalen Realismus analysiert der Beitrag von Elise Frketich. Gezeigt wird, dass Reinhold eine Beziehung von wesentlicher Seinswahrheit und propositionaler Satzwahrheit denkt, die sich erheblich von Schellings Wahrheitsbegriff im System des transzendentalen Idealismus unterscheidet, aber überraschende Parallelen zum Wahrheitsverständnis Hegels aufweist. Um solche Parallelen, allerdings im Bereich der Logik, geht es auch in dem Beitrag von Dirk Westerkamp. Er schlägt insofern den Bogen zu den Beiträgen Valenzas und Fabbianellis zurück, als die Begriffe von Identität und Differenz im Zusammenhang der bei Kant, Hegel und Reinhold unterschiedlichen Ansätze einer Theorie der Reflexionsbestimmungen aufgesucht werden. Hier zeigen sich fundamental verschiedene Begründungsansätze: den einer transzendentalen Topik, einer inferentialistischen Logik und einer sprachanalytischen Synonymik. Die unterschiedlichen Begründungsansätze einer solchen Reflexionslogik, so die These, entscheiden über die jeweilige Bestimmung der Semantik der zentralen Reflexionsbegriffe. Mit der Diskussion des Wahrheitsproblems und der logischen Grundlagen ist der Übergang vorbereitet, den der dritte und letzte Hauptabschnitt dieses Bandes in die späte Sprachphilosophie Reinholds macht. Hier finden sich drei Beiträge, die diese immer noch zu wenig erforschte Phase des Denkens Reinholds nachdrücklich aufhellen. Der Beitrag von Silvan Imhof sucht die ersten Spuren des späten
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Martin Bondeli und Dirk Westerkamp
Sprachdenkens in dem noch der rational-realistischen Phase verpflichteten Briefwechsel zwischen Bardili und Reinhold auf. Zunächst scheinbar nur ein „Intermezzo“, wird die Frage nach dem Verhältnis der Sprache zum Denken als Denken zum Prüfstein eines Philosophierens, das zu begründen sucht, warum das Denken vom bloß vorstellenden Denken der Sprache zu entkoppeln ist. Das Denken als Denken bleibt sprachunabhängig. Imhof weist nach, dass dieser Gedanke Reinholds Jacobis Kritik der Wissenschaftslehre verpflichtet ist, dann aber damit zu ringen hat, dass das philosophische Denken und Raisonnement (dies ein Ergebnis der Diskussion mit Bardili) unhintergehbar sprachbedürftig und sprachabhängig bleibt. Dies scheint der systematische Ort, an dem Herders realistische Sprachphilosophie als eine der von Reinhold selbst genannten Einflussquellen für die späte Synonymik auf den Plan tritt. Marion Heinz zeigt, wie Herders sprachphilosophische Kritik am transzendentalphilosophischen Begriff der Noumena zum bestimmenden Motiv postkantischer Sprachkritik wird. Aufgewiesen werden kann, dass Reinholds Critik der Logik in wesentlichen Zügen mit dem Ergebnis der Herderschen Metakritik übereinstimmt. Die Erkenntnis der logischen Grundbedeutungen ist bedingt durch die Erkenntnis der Wortbedeutungen – nicht umgekehrt. Die entscheidende Differenz zwischen Herder und Reinhold ergibt sich aber, wie Marion Heinz nachweist, aus der abweichenden Konsequenz, dass Herder nur die Form der Sprache als historisch wandelbaren Ausdruck des Verstandes betrachtet, während Reinhold die Wortbedeutungen als durch ein unwandelbares Denken bestimmte auffasst. Eine Summa des Sprachdenkens Reinholds zieht abschließend der Beitrag von Martin Bondeli. Er zeigt, dass schon Reinholds frühe Bestimmung des Verhältnisses von Wort und Begriff ein sprachkritisches Seitenstück zum Satz des Bewusssteins darstellt. Die (auch in den vorherigen Beiträgen konstatierte) Idee der objektiven Wortbedeutung wird überdies als eine prinzipientheoretische Begründungsidee schon des Rationalen Realismus erkannt, die aber erst in der späten Sprachphilosophie, so die These, in eine kohärente, sowohl anti-instrumentalistische, antikonventionalistische als auch anti-psychologistische Bedeutungslehre überführt werden kann. Dabei verrät letztere deutliche Parallelen zu den Bedeutungstheorien, die hundert Jahre nach Reinhold entwickelt wurden. Der Beitrag von Michael Gerten, der aufgrund seiner substanziellen Neuerkenntnisse und Ergänzungen der Bibliographie Reinholds in einer eigenen Rubrik „Philologica“ erscheint, erbringt zahlreiche Korrekturen der verdienstvollen Reinhold-Bibliographie von Schönborns (1991) und zeigt, dass in Sachen Reinholdiana noch zahlreiche Publikationsdetails offen sind. Jede ernsthafte wissenschaftliche Beschäftigung mit Reinholds Schriften nach 1804 wird diese Befunde zur Kenntnis nehmen.
Einleitung
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Die Drucklegung des vorliegenden Tagungsbands verdankt sich der tätigen Mithilfe von Lukas Teckentrup, Svea Bettsteller und Nadia Cheranti. Gefördert wurde die Kieler Tagung durch die großzügige finanzielle Unterstützung der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, an der Reinhold dreißig Jahre gelehrt hat. Allen beteiligten Institutionen sei herzlich gedankt. Gleiches gilt für die ebenso großzügige wie dankenswerte Gewährung von Druckkostenzuschüssen durch die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften und das Collegium Philosophicum der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Frau Pirrotta von De Gruyter ist für die Betreuung durch den Verlag ebenso zu danken wie Ernst-Otto Onnasch für die Aufnahme des Bandes in die Reinholdiana-Reihe, wo er, pünktlich zum 200. Todesjahr Reinholds, seinen angemessenen Publikationsort findet. Martin Bondeli
Dirk Westerkamp
Vorstellung: Von der Elementarphilosophie zur Wissenschaftslehre
John Walsh
Karl Leonhard Reinhold’s Account of Free Will in Relation to Kant’s Religion within the Boundaries of Mere Reason Abstract: This paper investigates the relationship between Reinhold’s account of free will and Kant’s account in the Religion. This relationship is important because Reinhold considered Kant’s treatment of free will in the Religion to confirm his own view that freedom consists in the capacity to choose for or against the moral law. I argue that despite their shared commitment to freedom as a necessary condition for imputation, these two thinkers have disparate conceptions of the ground for the exercise of free will. This difference indicates difficulties in their respective accounts.
1792 marked a signal year for Immanuel Kant’s and Karl Leonhard Reinhold’s respective accounts of free will. Kant’s essay, “On the Radical Evil in Human Nature”, which was published in April of that year and would serve as Part One of his 1793 Religion within the Boundaries of Mere Reason (hereafter Religion),¹ is significant because it contains his first published introduction of the Wille/Willkür distinction he develops more fully in the Metaphysics of Morals and his first explicit treatment of free immoral action.² Reinhold’s Letters on the Kantian Philosophy Volume II (hereafter Letters II) appeared in short order and contains the first presentation of his account of free will as the capacity to choose for or against the moral law. Recent scholarship has explored several aspects of the relation between Kant’s and Reinhold’s theories of free will, including: Reinhold’s separation of the will from practical reason;³ the development of Reinhold’s theory in light of criticisms and interpretations of the Critical philosophy by figures such as A.W. Rehberg and C.C.E. Schmid;⁴ and the dispute between Kant and Reinhold on the proper determi-
For ease of reference, I will cite Kant’s Religion instead of the pagination of the Berlinische Monatsschrift where the essay first appeared. Jens Timmermann and Michael Walschots suggest that the distinction can already be found in the Powalski manuscript of Kant’s lectures on ethics, which is thought to stem from 1782/83 (Timmermann and Walschots (2021) 764). See Stolzenberg (2004); Zöller (2005); and Noller (2012). See Fabbianelli (2000); di Giovanni (2001); Gerten (2003). https://doi.org/10.1515/9783111239521-003
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John Walsh
nation of the concept of free will.⁵ However, the relationship between Reinhold’s account of free will and that of Kant (as presented in Religion) has received little attention.⁶ This relationship is important because Reinhold considered Kant’s treatment of free will in Religion to be a confirmation of his own contention that the concept of free will pertains equally to moral and immoral action,⁷ an issue which had been contested in the reception of Kant’s account of free will as presented in the Critique of Pure Reason, Groundwork of the Metaphysics of Morals, and Critique of Practical Reason. ⁸ It is precisely for this reason that Reinhold was apparently shocked by Kant’s remarks on free will in the Introduction to the Metaphysics of Morals, which appear to reject the notion of free immoral action and which many commentators have consequently interpreted as a reversal of Kant’s position in Religion. Thus, Reinhold claims that, in view of Kant’s accounts of free will and moral imputation in Religion, his remarks in the Metaphysics of Morals are either unintelligible or untenable.⁹ As such, the hitherto largely unexplored relation between Reinhold’s account of free will and that in Kant’s Religion is in need of investigation. The present paper aims to fill this lacuna. I show that examining Reinhold’s account of free will in light of Kant’s account in Religion indicates an overlooked systematic difference in these thinkers’ respective accounts: the subjective ground of the exercise of freedom. The paper proceeds as follows. In Part 1, I outline the historical background against which the significance of Kant’s and Reinhold’s accounts of free will as of 1792 can be thrown into sharp relief. In Part 2, I sketch Kant’s and Reinhold’s respective accounts of free will circa 1792 and show that both are committed to two claims: (1) freedom is a necessary condition for moral imputation; and (2) the concept of free will pertains to immoral action. Despite these shared commitments, the two thinkers have disparate conceptions of the ground for the exercise of free will. In Part 3, I show that Kant conceives of this ground as a supreme maxim that conditions the adoption of all particular maxims. In Part 4, I argue that Reinhold’s affirmation of Kant’s account of supreme maxim adoption in a review of Kant’s Religion within the Boundaries of Mere Reason is inconsistent with his own account of free will, which restricts the ground of the exercise of freedom
See Bondeli (2001); Baum (2012); Bondeli (2018); Guyer (2018). While some scholars have touched on this relationship (e. g. Bondeli (2001), Zöller (2005), Noller (2015), Bondeli (2018), and Guyer (2018)), there has yet to be a thoroughgoing treatment of it. Reinhold, Vermischte Schriften II, 392–393, RGS 5/2.150. For a translation of texts central to the immediate reception of Kant’s account of free will, see Noller and Walsh (2022). Vermischte Schriften II, 366, RGS 5/2.141. I reserve discussion of Reinhold’s critique of Kant’s remarks on free will in the Metaphysics of Morals for another occasion.
Reinhold’s Free Will in Relation to Kant’s Religion within the Boundaries of Mere Reason
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to an absolutely spontaneous choice of first-order maxim adoption. In Part 5, I examine the systematic issues with Kant’s and Reinhold’s respective accounts of the ground of the exercise of freedom. I argue that Kant’s account faces a serious threat of internal inconsistency. Reinhold’s account avoids this problem, but faces difficulties of its own. I conclude in Part 6 by discussing the broader implications and benefits of examining Reinhold’s account of free will in relation to Kant’s Religion.
1 The Controversy Over Free Immoral Action Prior to the publication of his essay on radical evil, the question of whether Kant’s conception of free will pertains to immoral action was widely debated. The discussions were often framed in terms of the possibility of the capacity to do otherwise – understood as libertas indifferentiae (liberty of indifference) – and the concomitant metaphysical concern that the extension of the concept of freedom to opposed courses of action implies that free volition is a matter of chance, which would apparently render the concept of freedom irrational. By outlining these debates, we can better understand Kant’s and Reinhold’s emphasis on the possibility of free immoral action and its relation to moral imputation, which will be treated in Part 2. In his Eleutheriology, J.A.H. Ulrich argues that necessity and chance – which are the defining concepts of determinism and indeterminism, respectively – are mutually exclusive and that Kant’s attempt to forge a path between these alternatives by recourse to the transcendental idealist distinction between appearances and things in themselves is unsuccessful.¹⁰ Accordingly, Kant’s conception of free will is supposed either to amount to chance or to be characterized by a kind of thoroughgoing necessity distinct from the temporally conditioned causal necessity that holds for appearances. Although Ulrich criticized Kant’s account of free will from the perspective of the Leibnizian-Wolffian school philosophy, he would be influential for C.C.E. Schmid’s apologetic interpretation of Kant’s account in terms of “intelligible fatalism”, or the doctrine that all occurrences are ultimately subject to the laws of causality of things in themselves. On Schmid’s view, freedom consists in the determinability of the faculty of desire by pure reason and only extends to moral action.¹¹ Such action is supposedly the result of the will’s determination
Ulrich (1788) 32–34. Schmid (1790) 189–190. In the 1792 edition of Attempt at a Moral Philosophy (Versuch einer Moralphilosophie), Schmid is even more explicit about the restriction of freedom to moral action:
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John Walsh
by the causality of pure reason, whereas immoral action must be conceived of as the result of intelligible obstacles that prevented pure reason from being efficacious.¹² Several other interpreters of Kant’s account of free will would restrict freedom to moral action in order to avoid the alleged irrationality of an indeterministic conception contrary to the principle of sufficient reason. Thus, J.H. Abicht rejects the liberty of indifference as absurd, and instead conceives of freedom as inner necessity.¹³ Likewise, C.W. Snell offers a compatibilist interpretation of Kant’s account of free will, heavily influenced by the Leibnizian-Wolffian philosophy. For Snell, the freedom presupposed by the concept of imputation and entailed by the concept of obligation does not consist in a metaphysical capacity to do otherwise, but in our consciousness of not being impelled by external constraints, a conception completely consistent with the necessity of all action.¹⁴ In contrast to the aforementioned figures, who flatly reject a concept of free will that entails the capacity to do otherwise, J.G.K.C. Kiesewetter’s position is ambivalent. On the one hand, he rejects a lawless and indeterministic conception of freedom and asserts that freedom is tantamount to determinism in accordance with eternal laws given by reason, thereby restricting the scope of freedom to moral action. On the other hand, he attempts to make room for moral culpability by claiming that whether reason lets itself be determined by sensibility in fact depends on reason and is thus free.¹⁵ Of course, if freedom is aptly characterized as determinism in accordance with reason’s own laws, then it is difficult to see how reason could freely let itself be determined by alien laws. Whereas Kiesewetter struggled to avoid the threats of irrational chance and of the impossibility of a robust conception of moral imputation, K.H. Heydenreich decidedly affirms a concept of free will as the capacity to observe or transgress the moral law.¹⁶ Kant’s and Reinhold’s respective accounts of free will in 1792 would likewise make room for the extension of its concept to immoral action. Before examining these accounts, a brief note on the historical relation between Kant’s and
“some include in moral freedom the capacity to act immorally. But this contradicts the concept of a moral capacity, and such a freedom would be a capacity to act in contradictorily opposed ways, which amounts to a contradiction” (Schmid (1792) 335). On this point, see also Bondeli (2008) 376, n226. Schmid (1790) 207; 215. Abicht (1788) 230–231 and Abicht (1789) 67. Snell (1789). Kiesewetter (1791) 236–237. Heydenreich (1791) 63 f.
Reinhold’s Free Will in Relation to Kant’s Religion within the Boundaries of Mere Reason
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Reinhold’s 1792 texts and their connection to the discussions on free will outlined above is in order. Given that Kant’s essay on radical evil was first published in April of 1792 and first sent to the Berlinische Monatsschrift by the end of that year, Kant could not have been influenced by Reinhold’s Letters II, which did not appear until October. It is also unlikely that Reinhold was influenced by Kant on the possibility of free immoral action. Most of the letters in Reinhold’s volume were previously published in the Neue Teutsche Merkur. Of the three that treat free will most explicitly, one was previously published in June of 1792 and the other two were not published prior to the Letters II. Although it is possible that Reinhold could have been influenced by Kant’s essay, his personal correspondence to Jens Baggesen suggests otherwise. A letter from March 1792 indicates that Reinhold had already developed the defining feature of his account of free will as self-determination independent of both the demands placed on the agent by his sensible inclinations and the demand of the moral law insofar as he conceives of the will as the “capacity of the person, equally independent of reason and sensibility, to determine himself.”¹⁷ For Reinhold, observance and transgression of the moral law are two possible exercises of one and the same capacity for self-determination. Accordingly, it is probable that Kant and Reinhold independently saw the need to focus on the possibility of free immoral action as a result of the philosophical discourse on free will prior to 1792. Indeed, this probability nears certainty with respect to the influence of this discourse on Reinhold’s treatment of free will. He frequently refers to the so-called “friends of the Kantian philosophy” – and specifically to C.C.E. Schmid – in the context of his discussion of the topic. Several scholars have observed the likely influence of this discourse on Kant’s 1792 treatment of free will.¹⁸ In contrast, Heiner Klemme claims that Kant’s doctrine of radical evil is not in any way intended to reconcile his account of autonomy with the possibility of free immoral action.¹⁹ According to Klemme, Kant is instead concerned with introducing the notion of an ethical community under God’s sovereignty and with explaining the indispensability of the transition from ethics to religion. Klemme is right to point out the context of Kant’s doctrine of radical evil concerning his general aim in Religion. However, the propositions that Kant’s doctrine of radical evil plays this role in his account of rational religion, that this doctrine serves to elucidate his position on free immoral action, and that it was informed by the debates on free will that preceded it, are
Baggesen-Briefe 1.168. See also Noller (2015) 208–209. See Kosch (2006) 46; Lichtenberger (1993); Prauss (2017) 91–92. Klemme (1999) 127.
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not mutually exclusive. To be sure, there is good reason to think that the latter propositions are correct. Prior to his 1792 essay on radical evil, Kant had treated the notion of free immoral action and its relation to imputation only in passing. Nevertheless, in his limited treatment of the issue he is explicit that freedom is a necessary condition for imputation,²⁰ and that immoral action is the consequence of freely adopted principles.²¹ Given the significance of moral culpability to ethics and the centrality of the question of the proper scope of freedom for the discourse on free will preceding Kant’s essay, it only makes sense that he would take occasion to disabuse some of his interpreters of their erroneous views. Indeed, Kant had already done this in the case of J.A.H. Ulrich. Kant sent C.J. Kraus notes on Ulrich’s Eleutheriology to use as the basis for a review.²² Kant, via his mouthpiece, Kraus, argues that Ulrich’s deterministic conception of freedom precludes the concepts of obligation and imputation. Furthermore, Kant was familiar with the work of several other figures prominent in the discussions of free will. He owned C.C.E. Schmid’s Critique of Pure Reason in Outline for Lectures along with a Lexicon for the Easier Use of the Kantian Writings (1786) as well as the first two editions of his Attempt at a Moral Philosophy (1790, 1792). Abicht’s Attempt at a Critical Investigation into the Activity of the Will (1788) and Kiesewetter’s On the First Principle of Moral Philosophy (1790) also featured in Kant’s personal library.²³ In light of this, it is implausible that Kant did not intend his claims about the free power of choice and its relation to immoral action and imputation to have the dual function of clarifying his position on the extension of the concept of free will and demonstrating the neces KrV A 555/B 583; KpV, Kant-AA 5.97. Ibid. 100. Given Kant’s hand in Kraus’s review, it is included in Volume VIII of the AA, and Kant’s notes are contained in Volume XXIII. See Warda (1922) 45; 51. Although the 1791 volume of Kiesewetter’s work is not included in Warda’s list of books which Kant is known to have owned at the time of his death, the possibility of Kant’s familiarity with the text should not be ruled out. In a letter to Kant from April 22nd 1791, Kiesewetter indicates that he has enclosed work which arose partially under Kant’s supervision. See Kant-AA 11.254. Although Kiesewetter does not specify which work he has sent, it is most likely the 1791 volume of his On the First Principle of Moral Philosophy. In a letter from May 1790, Kiesewetter writes that he has sent Kant a copy of the 1790 edition of that work and references his intended stay in Königsberg, hoping that Kant will offer suggestions for the prospective edition of that volume during his visit. See Kant-AA 11.164. Furthermore, he first sent Kant the other work he published in 1791, Outline of a Pure General Logic According to Kantian Principles, in June 1791. See Kant-AA 11.265. Moreover, Kant kept a particularly small library for a scholar but is known to have been a voracious reader who had unbound books sent to him from the bookstore, which he would read and subsequently return. See Warda (1922) 9–10. Similar considerations apply to the texts of Heydenreich and Snell.
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sity of the transition from ethics to religion. In what follows, I will be concerned with Kant’s claims in connection with the former function and bracket the role that his doctrine of radical evil plays in his conception of rational religion.
2 Imputability and Free Immoral Action In the Critique of Pure Reason, Kant appeals to the transcendental distinction between appearances and things in themselves in order to establish the logical possibility of transcendental freedom, conceived of as the “capacity to begin a state from itself.”²⁴ In the Groundwork, he introduces the concept of autonomy as “the property of the will by which it is a law unto itself ”,²⁵ which constitutes the so-called positive concept of freedom.²⁶ This identification of positive freedom with autonomy undoubtedly contributed to the discussions on the possibility of free immoral action outlined above insofar as it was taken to restrict freedom to moral action. In his essay on radical evil, Kant emphasizes the power of choice and its freedom to incorporate any incentive into its maxim: “freedom of the power of choice has the characteristic, entirely peculiar to it, that it cannot be determined to action by any incentive except insofar as the human being has incorporated it into his maxim.”²⁷ This claim entails that not only volition based on the moral incentive of respect, but also volition based on incentives of inclination, are free. With this conceptual feature in place in his account of free will, Kant demonstrates his commitment to the following two propositions: (1) Freedom is a necessary condition of moral imputation. (2) The concept of free will pertains to immoral action. Although (1) and (2) are logically distinct propositions, Kant generally treats them in conjunction and holds that (2) is parasitic on (1). According to Kant, the exercise of the free power of choice is a necessary condition of the imputation of both moral goodness and moral evil to the agent. Thus, he contends that the human being’s moral character “must be an effect of his free power of choice, for otherwise it could not be imputed to him, and consequently,
KrV A 533/B 561. GMS, Kant-AA 4.440. Ibid. 446–447; KpV, Kant-AA 5.33. Religion, Kant-AA 6.24. This passage serves as the basis for the so-called Incorporation Thesis (Allison (1990) 39–40).
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he could be neither morally good nor morally evil.”²⁸ In this passage, (1) is presupposed and Kant suggests that by virtue of this proposition the human being’s moral character must be conceived of as the result of the free power of choice. Similarly, Kant claims that the subjective ground of the exercise of freedom “must itself always be a deed of freedom (for otherwise the use or abuse of the human being’s power of choice with respect to the moral law could not be imputed to him, nor could the good or evil in him be called ‘moral’).”²⁹ In this second passage, Kant speaks not of the human being’s moral character but of the subjective ground of the exercise of freedom. In Part 3 it will be shown that Kant takes the first subjective ground of the exercise of freedom, which he conceives of as a supreme maxim, to constitute the human being’s moral character. For now, I would like to note that (1) is assumed in this passage as well, i. e. by virtue of the proposition that freedom is a necessary condition of moral imputation, the subjective ground of the exercise of freedom must itself be free (otherwise the agent’s actions could not be imputed to him). Kant also relies on (1) in the context of his discussion of radical evil to argue that the concept of free will specifically pertains to immoral action. One of Kant’s principal aims in Religion is to account for the possibility of moral evil. He maintains that moral evil is radical or endemic to human nature. This universal propensity to evil consists in a supreme maxim that prioritizes the incentive to self-love over that of morality and grounds the adoption of all particular maxims. The present paper is not concerned with Kant’s notoriously problematic justification for the claim that the propensity to evil is universal to human nature, a claim which he appears to base on experience. For our purposes, it should be noted that he appeals to (1) in order to claim that this disposition to moral evil is freely wrought: “this disposition too, however, must be adopted through the free power of choice, for otherwise it could not be imputed.”³⁰ Since the disposition to moral evil constituted by a supreme maxim grounds the adoption of particular maxims, the free adoption of the disposition entails that particular evil maxims are ultimately grounded in the free power of choice. Furthermore, Kant makes a more general claim about the relation between immoral action and the free power of choice. He contends that “nothing is morally (i. e. imputably) evil but that which is our own deed.”³¹ In the Metaphysics of Morals, Kant defines deed (Tat) as “an action insofar as it is subject to laws of obligation, and
Religion, Kant-AA 6.44. Ibid. 21. Ibid. 25. Ibid. 31.
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hence insofar as in the action the subject is considered in terms of the freedom of his power of choice.”³² This definition implies that an action may be interpreted as morally evil only if it is considered to be the result of the subject’s free power of choice, which is tantamount to the proposition that the concept of freedom pertains to the concept of immoral action. While it is highly plausible that the discussions on free will in the late 1780s and early 1790s influenced Kant’s 1792 essay on radical evil, it is certain that they influenced Reinhold’s account of free will in his Letters II. As mentioned above, Reinhold consistently refers in this work to the misinterpretations of the so-called “friends of the Kantian philosophy”, and specifically cites the second edition of C.C.E. Schmid’s Lexicon as evidence of an interpretation of Kant’s conception of free will that abolishes the possibility of free immoral action.³³ In contrast to the interpretation that free will consists solely in dependence on practical reason, Reinhold contends that the activity of the will must be independent of reason’s pure lawgiving. Thus, freedom is “more than the involuntary self-activity of practical reason […] it is the voluntary self-activity of the person that is essentially distinct from practical reason and through which the law is either observed or transgressed.”³⁴ In short, freedom of the will consists in the capacity to choose for or against the moral law. While this is an apt simplification of Reinhold’s conception of free will, his account of the structure of volition is more complex. Reinhold posits two fundamental drives in the human being: the selfish drive and the unselfish one. The former expresses the demand of desire, which is based on pleasure and displeasure. The latter expresses the demand of the moral law given by pure practical reason. He conceives of these drives as inextricably related: the demand of the unselfish drive, insofar as it is expressed, always relates to the demand of the selfish drive. That is, the moral law serves as the normative criterion of the permissibility of desires based on inclination. Reinhold contends that volition consists in a decision to satisfy or not satisfy the demand of the selfish drive in light of the moral demand expressed by the unselfish drive. He maintains that the person’s power of choice is equally free to prioritize desire despite its moral impermissibility or to privilege moral constraint on the satisfaction of inclination. The tripartite relation between the two drives and the free power of choice is essential to the structure of volition, i. e. every volition consists in a choice for or against the moral law.³⁵ In this way, Reinhold claims that free will consists in the
MdS, Kant-AA 6.223. Briefe II, 267–271, RGS 2/2.185–187. Ibid. 297, RGS 2/2.201. Ibid. 185, RGS 2/2.137; Ibid. 281, RGS 2/2.193.
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capacity to choose to act morally or immorally. Thus, proposition (2) introduced above is part and parcel of Reinhold’s conception of free will. Reinhold’s commitment to (1), i. e. the claim that freedom is a necessary condition of imputation, is perhaps not as explicit in his Letters II as one might expect, given its importance to his position. However, his commitment to the thesis is apparent in his 1794 Contributions to the Correction of Previous Misunderstandings of Philosophers Volume II (hereafter Contributions II), a work in which his account of free will remains fundamentally unchanged from that presented in his Letters II. There Reinhold claims that without freedom as he understands it, “no conscience is conceivable – no imputation, which with respect to both merit and blame presupposes the capacity of the person to be the absolute cause of action.”³⁶ Furthermore, Reinhold is committed to the proposition that the concepts of morality and imputability are reciprocal, which entails that an action has moral significance (i. e. is either morally good or morally evil) if, and only if, it is imputable. He suggests his commitment to this thesis in Letters II when he argues that if moral action is the inevitable consequence of moral judgment then “all imputation, and with it all difference between moral and immoral actions is abolished.”³⁷ Similarly, in Contributions II he asserts that the free character of an action entails its morality and imputability.³⁸ Reinhold’s commitment to this proposition is most explicit in his “Some Remarks” of 1797, where he suggests that “the morality of actions and their imputability as blameworthy and meritorious are one and the same.”³⁹ Reinhold’s commitment to the analytic relation between the concepts of morality and imputability implies (1). That is, given that he takes freedom to be a necessary condition of the morality of an action and maintains the reciprocity of the concepts of morality and imputability, it follows that he is committed to freedom as a necessary condition of imputation. In the following, I show that, in spite of these shared commitments, Kant and Reinhold have different conceptions of the subjective ground of the exercise of freedom. In Part 3, I explain this subjective ground as it relates to Kant’s account of a supreme maxim. I then argue in Part 4 that Reinhold’s affirmation of this account is incompatible with his own theory of free will.
Beiträge II, 226. Briefe II, 238, RGS 2/2.170. Beiträge II, 249. Vermischte Schriften II, 364, RGS 5/2.141.
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3 Kant’s Account of the Supreme Maxim As radical, the propensity to evil must be represented as fundamentally rooted in the agent’s character, or disposition. Thus, the judgment that the human being is evil entails the proposition that he contains within himself a universal ground of evil.⁴⁰ Yet, because moral evil must be imputable to human beings, the ground of evil must be represented as freely adopted. Whereas an objective ground can be expressed as a practically necessary proposition, a subjective ground pertains to the agent’s own power of choice, the use of which does not always conform to objective laws.⁴¹ Thus, as freely adopted, the ground of evil must consist “in a rule that the power of choice itself makes for the use of its freedom, i. e. in a maxim.”⁴² Fundamental to the agent’s character, this maxim is a supreme maxim insofar as it conditions the adoption of “all particular morally evil maxims.”⁴³ Although Kant does not explicitly use this terminology, the supreme maxim functions as a maxim of the highest order that conditions all lowerorder maxims. Kant characterizes a maxim as “the subjective principle of volition”⁴⁴ and as “the subjective principle of acting.”⁴⁵ As subjective, a maxim is an agent’s own action principle that serves as the basis of volition and is not necessarily objectively valid (though it may be if it is fit to be a universal law). A first-order maxim is a general rule that specifies action-types.⁴⁶ Second-order maxims would be those more general action principles which serve as a rule for the adoption of firstorder maxims.⁴⁷ I leave undecided whether Kant’s account admits of orders of
Religion, Kant-AA 6.20. On this point, see GMS, Kant-AA 4.413. Religion, Kant-AA 6.21. Ibid. 20. GMS, Kant-AA 4.402n. Ibid. For discussion of the difference between maxims as general action policies and specific practical rules that fall under them, see Allison (1990) 91 ff. and Allison (2011) 198 ff. This distinction is not to be confused with Harry Frankfurt’s account of second-order volition, whereby an agent wants a certain first-order desire to be his will, i. e. to effect action. Whereas Frankfurt’s account involves desires, which are necessarily conative (though a given desire might not be sufficiently conative to motivate action), the distinction drawn here between orders of maxims concerns merely the scope and degree of generality of subjective action principles, which, as mere principles, are not necessarily conative. A maxim is conative only if the power of choice has freely adopted it and incorporated an incentive into it. In this vein, whereas Frankfurt’s account of (second-order) volition is completely compatible with determinism, Kant’s account of maxim adoption presupposes the absolute spontaneity of the power of choice. Lastly, according
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maxims beyond the second order. Several scholars characterize Kant’s conception of the supreme maxim in Religion as a second-order maxim.⁴⁸ Other scholars suggest that Kant’s account of rational agency admits of various orders of maxims,⁴⁹ and indeed Kant himself suggests this on at least one occasion.⁵⁰ For the purposes of the present paper, I will refer to the supreme maxim as a maxim of the highest order in the sense that if Kant’s account does admit of orders of maxims beyond the second order, then the supreme maxim would be the highest of these.⁵¹ It is a maxim of the highest order in the sense that it serves as “the first subjective ground of the adoption of maxims, can only be a single one, and applies universally to the entire use of freedom.”⁵² This status of the supreme maxim as the ground of the adoption of all lower-order maxims becomes more clear in view of the nature of this maxim. As partly sensible, partly intelligible beings, the will of humans is subject to both sensible and intelligible incentives, namely those of self-love and of the moral law.⁵³ Kant holds that the supreme maxim consists in a hierarchical ranking of these incentives whereby one is subordinated to the other. According to Kant, the subordination of the moral incentive to the incentive of self-love in the supreme maxim constitutes the propensity to evil. In adopting this maxim, the human being “makes the incentives of self-love and their inclinations the condition of compliance with the moral law.”⁵⁴ This “corrupts the ground of all maxims”⁵⁵ such that the incentives incorporated into any lower-order maxim adopted by the agent reflect this hierarchical structure. Thus, the reign of the evil supreme maxim entails that all volition is based on incentives of self-love. Given Kant’s poto Frankfurt, second-order volitions do not “necessarily manifest a moral stance” (1971) 13. By contrast, for Kant maxims are necessarily morally evaluable and, according to the rigorism he affirms in Religion, either morally good or morally evil. I am grateful to Manfred Baum for pressing me to clarify the relation between my account and that of Frankfurt. See Muchnik (2009) 88 and Noller (2015) 197. Paton (1947) 136–137; Beck (1960), 118; Korsgaard (1989) 324; Allison (1990) 93; Kosch (2006) 57. It should be noted that here the hierarchical ordering of maxims is at issue. This does not preclude conceiving of imperatives as objective second-order principles that “specify the norms for maxim selection and action” (Allison (1990) 88). I am grateful to Martin Bondeli for raising this point. MdS, Kant-AA 6.411. For other characterizations of the supreme maxim as a maxim of the highest order, see Allison (1990) 151; Kosch (2006) 57; Allison (2020) 481. In his 1795 work, On the Grounds and Laws of Free Actions, F.C. Forberg interpreted the supreme maxim not as a higher-order maxim, but as the most general maxim. See Forberg (1795) 37–40. Religion, Kant-AA 6.25. GMS, Kant-AA 4.412–413. Religion, Kant-AA 6.36. Ibid. 37.
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sition that only action performed from duty, i. e. out of respect for the moral law, has moral worth,⁵⁶ it follows that the supreme maxim constituting the propensity to evil precludes the possibility of morally good action. To be sure, the agent may act in external conformity to the moral law; however, in this case the action has no moral worth since it is based on an incentive of self-love.⁵⁷ Thus, such action is legally but not morally good. According to Kant, a revolution in the agent’s disposition is a necessary condition for moral action. This revolution consists in a “single and unalterable decision”⁵⁸ to reverse the order of incentives in the supreme maxim. This ‘decision’, however, is inaccessible to the agent’s consciousness qua phenomenon. Thus, Kant asserts: “Assurance of this [revolution] cannot of course be attained by the human being naturally, neither via immediate consciousness nor via the evidence of the life he has hitherto led, for the depths of his own heart (the subjective first ground of his maxims) are to him inscrutable.”⁵⁹ To be sure, Kant maintains the inscrutability of the supreme maxim as such, i. e. in its iteration as the propensity to evil whereby the incentive to morality is subordinated to that of self-love and as the reversal of this evil disposition whereby morality is properly given precedence over the incentives stemming from our sensible nature. This inscrutability stems from Kant’s transcendental idealism. He argues in the Critique of Pure Reason that the causal law of natural necessity is valid for all occurrences under temporal conditions and that transcendental freedom qua absolute spontaneity must be independent of such conditions, and therefore intelligible. Accordingly, “to seek the temporal origin of free actions as free (as though they were natural effects) is thus a contradiction.”⁶⁰ As the subjective ground of the exercise of freedom, the supreme maxim is posited as “antecedent to every deed that falls within the senses”⁶¹ and “antecedent to every use of freedom given in experience.”⁶² While particular actions are empirical and “given in time”,⁶³ the adoption of the supreme maxim is an intelligible act of the power of choice “cognizable by mere reason apart from all temporal conditions.”⁶⁴ Hence, the disposition wrought by the adoption of the supreme maxim “has not been earned in time.”⁶⁵
GMS, Kant-AA 4.398; 400. Religion, Kant-AA 6.36–37. Ibid. 48. Ibid. 51. Ibid. 40. Ibid. 21. Ibid. 22. Religion, Kant-AA 6.31. Ibid.
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In summation, the supreme maxim is freely adopted by the power of choice and grounds the moral worth of all lower-order maxims that manifest themselves in empirically conditioned actions. Reinhold would affirm Kant’s doctrine of the supreme maxim in his review of Religion.
4 Reinhold’s Review of Kant’s Religion For Kant, it is a condition for the possibility of moral action that a revolution in the hierarchical order of incentives be incorporated into the supreme maxim. Reinhold’s theory of free will, however, has no such place for a maxim of the highest order that conditions the moral worth of volition by virtue of grounding all lowerorder maxims. For Reinhold, the subordination of the moral incentive to that of inclination, or vice versa, does not occur via the adoption of a supreme maxim but is integral to volition qua self-determination on the basis of a first-order maxim: There are then two distinct impulses, two equally involuntary demands opposed to one another present in him that can only be united through the person himself, only through his freedom, and only insofar as through the person, the one is subordinated to the other or vice versa, the demand of the selfish [drive] is fulfilled at the expense of the unselfish [drive] or vice versa.⁶⁶ The demands of the selfish as well as the unselfish drive can become an incentive of the will only through voluntary prescripts, only through maxims; they are only conceivable as determining grounds of the satisfaction or non-satisfaction of the selfish drive in volition insofar as the person incorporates them in his maxims. The will determines its incentive itself.⁶⁷
Although in the first passage Reinhold describes the demands of the selfish and unselfish drives as impulses, he is clear in the second and elsewhere that the demands are to be understood as precepts, or rules, the formation of which requires reason. The demand of the selfish drive is to be understood as a demand of desire modified by reason, i. e. as a precept for the attainment of an end based on pleasure or displeasure.⁶⁸ The demand of the unselfish drive is a precept given by pure reason and thereby attains the rank of law.⁶⁹ The subordination of one of the de-
Ibid. 25. Briefe II, 291, RGS 2/2.197–198. Ibid. 255, RGS 2/2.179. Ibid. 252, RGS 2/2.177. Ibid. 252, RGS 2/2.177.
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mands to the other is contained in a “maxim of the will”⁷⁰ grounded in the freedom of the power of choice. Every volition consists in the free subordination of one of the demands to the other, and is therefore either moral or immoral. The maxim that contains the subordination of one of these demands to the other is to be understood as a first-order maxim insofar as it indicates a particular course of action and is consciously represented by the agent. Indeed, Reinhold also takes consciousness of the demands themselves to be a necessary condition of the exercise of free will: The reality of freedom depends on consciousness of the demands of the selfish as well as the unselfish drive, and moreover on the consciousness of the capacity to determine oneself to the satisfactions and non-satisfactions of the selfish drive either through or contrary to the demand of the unselfish drive.⁷¹
Thus, it is by virtue of the agent’s consciousness of the respective demands of the selfish and unselfish drives that the agent can choose to make one of these demands the determining ground of volition by subordinating the other to it, and can thereby choose to act morally or immorally. Accordingly, the hierarchical ordering of the incentives expressed by these demands in a supreme maxim that is inaccessible to phenomenal consciousness and that conditions the moral worth of all lower-order maxims would undermine the utter freedom of self-determination on the basis of consciously representable principles that is the hallmark of Reinhold’s account of free will. It is therefore puzzling that Reinhold supports Kant’s doctrine of the supreme maxim in his 1794 review of the latter’s Religion. In his review, Reinhold advocates Kant’s account of the human propensity to evil as the “ground of the possibility of evil”,⁷² which must consist in an evil maxim “that functions as the ground of all other evil maxims, as a universal evil maxim under which particular evil maxims are contained.”⁷³ Furthermore, Reinhold affirms Kant’s claims that the propensity to evil consists in making pleasure and displeasure the condition of fulfillment of the moral law and that a revolution, viz. a reversal of the priority of incentives incorporated into the supreme maxim, is a necessary condition not merely to be legally good, but also to be morally good.⁷⁴ Yet Reinhold’s gloss of Kant’s conception of propensity in terms of his
Ibid. 253, RGS 2/2.177. Ibid. 276, RGS 2/2.190. Beiträge II, 306–308. Ibid. 311–313. Ibid. 322–324.
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own account of free will runs counter to Kant’s understanding of that concept. Reinhold claims: Freedom of the human will, to whose nature belongs the inseparable unification of the capacity of the person to determine himself through the law and the capacity to determine himself contrary to the law through pleasure or displeasure, takes on the property and designation of a propensity to the extent it exercises only one of these two capacities and lets the other rest.⁷⁵
In this passage, Reinhold appeals to his account of free will as the capacity to determine oneself through the moral law or on the basis of one’s sensible nature. As discussed above, Reinhold’s account of free will involves the conscious representation of the respective demands placed on the agent by the selfish and unselfish drives. Here, Reinhold claims that freedom takes on the designation of a propensity – a claim which in itself is difficult to parse – to the extent that it exercises either the capacity to determine oneself through the moral law or the capacity to determine oneself through pleasure or displeasure (the conjunction of which presumably constitutes a more general capacity to obey or transgress the moral law). Reinhold makes it clear from the outset of his review that he assumes his own conception of free will as the capacity “to determine oneself, either through the moral law or contrary to it through pleasure or displeasure, to the satisfaction or non-satisfaction of a desire, or what is the same: to act morally good or morally evil.”⁷⁶ He explains that “one will have to find everything in the following presentation either unintelligible or absurd”⁷⁷ if this conception of freedom is not presupposed. Ironically, it is precisely because of this presupposition that Reinhold’s advocacy of Kant’s doctrine of the supreme maxim is inconsistent. The propensity to evil, as Reinhold characterizes it, is brought about as a result of exercising the capacity for self-determination on the basis of a first-order maxim in which one of the precepts expressed by the selfish and unselfish drives is subordinated to the other. This is incompatible with Kant’s conception of propensity as consisting in a supreme maxim adopted through an intelligible act of the power of choice which is inaccessible to our phenomenal consciousness. Reinhold is seemingly unaware of the discrepancy. Lest it be thought that Reinhold’s apparent affirmation of Kant’s doctrine of supreme maxim adoption is merely an elucidation of Kant’s position for the purposes of the review, it must be noted that Reinhold fully endorses Kant’s position.
Ibid. 305–306. Ibid. 303–305. Ibid. 305–306.
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The review, with a few minor stylistic revisions, is reprinted in Reinhold’s 1794 Contributions II under the title “Foundation of Religion.” While it might seem prima facie implausible that Reinhold could overlook the incongruity between his account of free will and his affirmation of Kant’s doctrine of the supreme maxim as constituting the propensity to evil, Reinhold had a history of not understanding key components of the philosophical doctrines he endorsed.⁷⁸ It is not therefore surprising that as late as February 1793 he was writing to Jens Baggesen that he did not fully understand Kant’s doctrine of radical evil: Despite having now repeatedly thoroughly studied the work on radical evil, it nevertheless remains essentially incomprehensible to me, above all because I cannot conceive any other ground of a maxim than freedom itself, and I therefore fear Kant has gotten himself into an investigation – in order to elevate dogmatic Christianity to moral Christianity without sacrificing dogma – that is impossible according to his own principles: namely, [the investigation] of the ground of free acts, which can have no ground except freedom itself. However, I still hope to learn to understand him better even on this issue.⁷⁹
Even if Reinhold came to understand Kant’s doctrine of radical evil better, he was apparently still unable to recognize how Kant’s account of supreme maxim adoption relates to his own conception of free will. Reinhold’s claim in his letter to Baggesen that the ground of free action can have no ground but freedom itself indicates a fundamental systematic difference between Kant’s and Reinhold’s accounts of free will circa 1792: namely, the difference in their respective conceptions of the ground of the exercise of freedom.
5 The Ground of the Exercise of Free Will As discussed above, Kant holds that the agent’s supreme maxim serves as the ground of the exercise of freedom. He maintains that the supreme maxim must itself be adopted freely in order for the human being’s moral character to be imputed to him. We also saw that Kant claims that this maxim is inscrutable and that this claim can be understood to stem from the transcendental idealist distinction between cognizable appearances subject to temporal conditions and intelligible things in themselves independent of those conditions. However, several other
For Reinhold’s failure to adequately understand Fichte’s Wissenschaftslehre, see Breazeale (2020). Baggesen-Briefe 1.249.
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claims Kant makes with respect to the exercise of free will threaten to render his account of the supreme maxim incoherent. The first of these is the claim that the exercise of freedom presupposes a ground that is itself a maxim. Kant appeals to this claim in order to argue that the supreme maxim, as the first subjective ground of the adoption of all lowerorder maxims, is inscrutable: That the first subjective ground of the adoption of moral maxims is inscrutable can be seen provisionally from this: since the adoption is free, its ground (why, for example, I have adopted an evil maxim instead of a good one) must be sought not in any incentive of nature, but rather always again in a maxim; and, since this too must have its ground, yet apart from a maxim no determining ground of the free power of choice is to be or can be adduced, we are endlessly referred back in the series of subjective determining grounds, without ever being able to arrive at the first ground.⁸⁰
Kant clearly asserts that because the adoption of the supreme maxim is free, its ground must be sought in a maxim, which in turn must also have a ground that is a maxim. As he observes, this obviously leads to an infinite regress. Curiously, Kant infers from this that the supreme maxim is therefore inscrutable. In fact, the regress stemming from the premise that the exercise of freedom requires a ground precludes the possibility of a first ground, and with it that of a supreme maxim. Thus, there is a serious concern that Kant’s claim that the exercise of freedom requires a ground completely undermines his doctrine of the supreme maxim. To be fair, we might try to charitably interpret Kant as making the weaker conditional claim that if we were to try to explain why we have adopted an evil supreme maxim, then this enterprise would lead to an infinite regress of putative explanatory grounds. Indeed, another passage lends support to this reading: “Now the subjective ground, or the cause, of this adoption, however, cannot be cognized (although inquiring after it is inevitable),⁸¹ for otherwise yet another maxim would have to be adduced into which the disposition was incorporated and this maxim would likewise have to have its ground in turn.”⁸² Accordingly, we might understand Kant to be making a claim about our deficiency to fathom the supreme maxim as a first ground: were we to try to comprehend it, the regulative principle
Religion, Kant-AA 6.21. I have followed the now standard translation practice of moving the closing parenthesis here. Religion, Kant-AA 6.25.
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of reason to seek the condition for any conditioned would entangle us in an infinite regress. This seems to be Michelle Kosch’s reading.⁸³ It faces several problems. The aforementioned regulative principle results in a regress in its empirical application. Indeed, this is the source of the difficulty of the transcendental realist position manifested in the “Third Antinomy” in the Critique of Pure Reason. Kant’s reconciliation of the notion of an empirically conditioned infinite regress with the idea of transcendental freedom invokes the transcendental idealist distinction between appearances and things in themselves. That is, freedom can be conceived of as an intelligible causality that grounds the entire series of empirical conditions without itself being a member of the series. However, since the regress of maxims at issue with regard to the ground of the exercise of freedom is already conceived of as intelligible, it is not clear why such a regress should arise in the first place. As an instance of transcendental freedom, the exercise of the free power of choice in adopting a maxim is necessarily intelligible. Its intelligibility alone precludes its being cognized by us insofar as it transcends the bounds of possible experience. Thus, it seems Kant could have simply offered this reason for the inscrutability of the supreme maxim and ended the discussion there. Furthermore, the notion of explaining maxim adoption on the basis of other maxims seems prima facie otiose since “we cannot observe maxims…not even within ourselves.”⁸⁴ Why, then, does Kant claim that the exercise of freedom presupposes a ground that is a maxim? I think the answer to this question becomes clearer in light of the reception of Kant’s account of free will prior to his 1792 essay on radical evil. As mentioned above, J.A.H. Ulrich was concerned with the threat of indeterminism, which he conceived of as entailing “the capacity to will or not will under absolutely identical internal and external circumstances, in absolutely the same aggregate condition conceived of as entirely unaltered, or even to be able to will the opposite of what one actually decides to do.”⁸⁵ Here Ulrich identifies free will as the capacity to do otherwise with indeterminism. An indeterministic conception of free will is groundless in the sense that it posits an effect that is not necessarily connected with a preceding ground. As we saw earlier, Kant was sufficiently concerned with Ulrich’s criticisms to provide J.G. Kraus with a manuscript to serve as the basis of a review
“We can give neither an empirical nor a subjective explanation of how such a maxim is chosen. If we could give a causal explanation, the choice would not be free, as it must be if we are to hold an agent responsible…If we could give another subjective reason, we would have to posit a still higher-order maxim; the posited highest maxim would then not be the highest after all, and a regress would begin” (Kosch (2006) 61). Religion, Kant-AA 6.20. Ulrich (1788) 21.
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of Ulrich’s work. In light of this background, it seems Kant is caught in the dilemma between the proposition that free will entails the capacity to do otherwise in order to account for a robust conception of moral imputation and the proposition that any exercise of free will have a sufficient ground in order to avoid the charge of groundlessness. With respect to the former proposition, already in the Critique of Practical Reason Kant claims that “a rational being can now rightly say of every unlawful action he performed that he could have omitted it even though as appearance it is sufficiently determined in the past.”⁸⁶ Kant is committed to this claim in Religion as well, where he asserts that the human being’s action “can and must always be judged as an original exercise of his power of choice.”⁸⁷ As original, the exercise of the power of choice is not sufficiently determined by a higher ground. Kant goes on to remark that in the case of immoral action, the agent “should have refrained from it, whatever his temporal circumstances and entanglements.”⁸⁸ Given Kant’s commitment to the principle that ought implies can, the fact that the agent should have refrained from the immoral action entails that the agent could have done so. Yet Kant’s position appears to be ambiguous: Those who pretend that this inscrutable property is entirely comprehensible concoct an illusion through the word determinism (the proposition that the power of choice is determined by inner sufficient grounds), as though the difficulty consisted in reconciling this determinism with freedom, which of course no one has in mind. Rather, what we wish to have insight into but never shall is how predeterminism – according to which voluntary actions, as events, have their determining grounds in antecedent time (which, along with what it contains, is no longer within our control) – can co-exist with freedom, according to which the action as well as its opposite must be in the agent’s control at the moment of its occurring. ⁸⁹
On the one hand, Kant suggests that determination by a sufficient inner ground is by no means inconsistent with freedom. On the other hand, at the end of the passage he suggests that the concept of freedom entails the capacity to do otherwise. In another passage, Kant apparently endorses the proposition that the exercise of freedom does presuppose a sufficient ground: “freedom does not consist in the contingency of action (that it is not determined by any ground whatsoever), i. e. not in indeterminism.”⁹⁰ His espousal of the claims that the supreme maxim is a freely adopted first ground and that every exercise of the power of choice presupposes a ground can be seen as a reluctance to take on either horn of the dilem-
KpV, Kant-AA 5.98. Religion, Kant-AA 6.41. Ibid. Ibid. 49–50n. Ibid. 50n.
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ma. That Kant is in fact committed to the proposition that the exercise of freedom presupposes a sufficient ground is further evidenced by a passage relevant to the discussion of the second principal claim he makes that poses difficulties for his doctrine of the supreme maxim. As such, I will discuss it in what follows. The second of Kant’s claims about the exercise of free will that threatens to undermine his account of the supreme maxim is that causality – including the causality of freedom – must operate according to a law. In the Critique of Pure Reason, Kant notes that the concept of causality entails that every cause must have a law of its causality.⁹¹ Furthermore, he observes that “one can conceive of causality in only two ways: either according to nature or from freedom.”⁹² Accordingly, in the Groundwork of the Metaphysics of Morals, Kant claims: Since the concept of causality carries with it that of laws, according to which something that we call an effect must be posited by something else that we call a cause, freedom, although it is not a property of the will in accordance with natural laws, is not for that reason lawless but must instead be a causality in accordance with immutable laws, though of a special kind; for otherwise a free will would be an absurdity.⁹³
Given Kant’s subsequent identification of the positive concept of freedom with autonomy, it seems as though the moral law or the practical laws grounded in the moral law are the “immutable laws” to which he refers in the passage. Indeed, as intelligible causality, it seems that the only law commensurate to freedom could be the moral law, because it is purely formal. Herein lies the problem for Kant’s account of the supreme maxim. It is impossible that the moral law serve as the law of causality for the free adoption of the supreme evil maxim. There is thus no lawful rule in accordance with which the power of choice could adopt the supreme maxim constituting the propensity to evil. It seems Kant attempts to hide this problem behind the supposed inscrutability of the propensity to evil: The rational origin, however, of this discord in our power of choice with respect to the way it incorporates subordinate incentives into its maxims and makes them supreme, i. e. this propensity to evil, remains inscrutable to us since it must itself be imputed to us and hence this supreme ground of all maxims would in turn require the adoption of an evil maxim. Evil can have originated only from moral evil (not from the mere limitations of our nature); and yet the original predisposition (which none other than the human being himself could have corrupted, if this corruption is to be imputed to him) is a predisposition to the good. There is
KrV A539/B567. KrV A532/B560. GMS, Kant-AA 4.446.
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therefore no conceivable ground for us from which the moral evil in us could have first come.⁹⁴
Whereas Kant characterizes the first ground of evil as inscrutable, it is in fact impossible for two reasons. The first stems from Kant’s claim that evil can have originated only from moral evil. This proposition by itself leads to an infinite regress. Furthermore, if the original predisposition in us is a predisposition to the good, and if evil can originate only from evil, then the corruption of the predisposition to the good is impossible. Second, if the adoption of the supreme maxim is free and must therefore operate according to a law, and if the moral law is the only possible law of the causality of freedom, then not only is there no “conceivable ground” from which moral evil could have first arisen in us, there is no possible one.⁹⁵ The passage above also lends credence to the reading already discussed that Kant is committed to the claim that the exercise of freedom presupposes a ground. He claims that the supreme ground of all maxims “would in turn require the adoption of an evil maxim.” The supreme ground of all maxims is already a freely adopted maxim: namely, the purportedly supreme maxim in which the incentive to morality is subordinated to that of self-love. Kant claims that this supreme maxim would itself require the adoption of an evil maxim, presumably as its ground. That Kant is not simply being careless in his phrasing is evidenced by the next sentence, in which he claims that evil can have arisen only from evil. This claim only makes sense on the assumption that the exercise of freedom presupposes a ground. Of course, this threatens to render Kant’s account of the supreme maxim internally inconsistent. Nevertheless, the textual evidence indicates that this is in fact Kant’s view, however problematic it may be. As I have suggested, consideration of the discussion on free will preceding Kant’s account shows that Kant was likely torn between a conception of free will sufficient for a robust account of moral imputation and a conception that avoids the threat of indeterminism. For his part, Reinhold did not find himself torn between these two horns of the dilemma. He holds that the ground of the exercise of freedom is freedom itself, i. e. freedom is the self-contained ground (Selbstgrund) of its own activity.⁹⁶ Thus, Reinhold claims that free action is “anything but groundless. Its ground is freedom itself. But this [freedom] is also the ultimate conceivable ground of that action. It is Religion, Kant-AA 6.43. Similarly, with respect to Kant’s position on the inscrutability of the supreme maxim in Religion, Leonhard Creuzer asserts that “not merely inscrutability…but a real contradiction stands in our way here” (1793) 150. For Kant’s claim that the notion of a self-contained ground is absurd, see ND, Kant-AA 1.394.
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the absolute, first cause of its activity…”.⁹⁷ Of course, this claim is not uncontroversial. Leonhard Creuzer characterized Reinhold’s position as “transcendent indifferentism”, i. e. an appropriation of Christian August Crusius’s liberty of indifference within the framework of Kant’s Critical philosophy such that the indifferent, or indeterministic, faculty of volition is intelligible and therefore transcendent of sensible conditions.⁹⁸ Salomon Maimon accused Reinhold of reducing free will to a freedom of chance (Freiheit des Zufalls).⁹⁹ J.G. Fichte accused Reinhold of not taking natural necessity into his account of free will, i. e. of not adequately addressing how an absolutely free capacity to choose between different courses of action can be reconciled with the causal determinism that holds for the empirical world.¹⁰⁰ Reinhold’s position has also received criticism from contemporary commentators. Given the alleged groundlessness of Reinhold’s account of free will, Jörg Noller maintains that Reinhold’s account is “epistemically precarious and extremely unstable.”¹⁰¹ As a result of Reinhold’s contention that the will is completely independent and that it is the ground of its own activity, Faustino Fabbianelli claims that, on Reinhold’s account, the will is completely isolated from all other faculties and therefore stands in no real relation to the demands of sensibility and practical reason.¹⁰² Günter Zöller argues that Reinhold’s definition of free will amounts to groundless “decisionism” and entails an infinite regress of homunculi in the power of choice.¹⁰³ To be sure, these are serious concerns. However, a treatment of the cogency of Reinhold’s account of freedom as an absolute first ground of its own activity is beyond the scope of the present work, which is limited to an elucidation of Reinhold’s account of free will in relation to that of Kant’s as presented in Religion. An investigation into the coherence of the notion of freedom as a self-contained ground would require a thoroughgoing examination of Reinhold’s Elementarphilosophie and his appropriation of Crusius’s critical position on the principle of sufficient reason. For the purposes of this paper, it can be said that while Reinhold’s conception of freedom as a self-contained ground of its exercise allows for a robust con-
Briefe II, 282, RGS 2/2.193. Creuzer (1793) 124 ff. Creuzer also considers Kant’s position on free will in Religion to fall into this camp. See Bondeli (2008) 381, n251. For a discussion of this charge, see Breazeale (2012) 115. Noller (2015) 235. Fabbianelli (2012) 290. Zöller (2005) 82. For responses to Zöller’s charge, see Breazeale (2012) 108 ff. and Walsh (2020) 100 ff.
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ception of moral imputation in the sense that the concept of freedom – which is presupposed by that of imputation – is equally applicable to moral and immoral action, Reinhold is hardly out of the woods.
6 Conclusion Examination of Reinhold’s account of free will in relation to that of Kant as presented in Religion contributes to scholarship on the history of philosophy in three areas: (1) the debates on free will in Germany in the late eighteenth century; (2) Kant’s account of free will; and (3) Reinhold’s account of free will. As indicated in the sketch of the initial reception of Kant’s Critical conception of free will, his account of freedom was widely discussed in the late 1780s and early 1790s. The possibility of free immoral action and moral imputation was central to these discussions. Investigating Kant’s and Reinhold’s respective conceptions of free will reveals that their shared commitment to the possibility of free immoral action as a necessary condition of moral imputation is based on disparate respective accounts of the subjective ground of the exercise of freedom. Whereas Reinhold flatly rejects the charge of indeterminism by conceiving of freedom as the self-contained ground of its own activity, Kant seems to have struggled to find a satisfactory conception of free will that simultaneously grounded moral imputation and avoided indeterminism. These distinct responses to the threat of indeterminism indicate the development of the debates on free will with respect to their underlying philosophical contexts: the discussions on free will in Germany, which had been dominated by supporters and critics of the Leibnizian-Wolffian philosophy in the mid-eighteenth century, were now largely undergirded by the framework of transcendental philosophy. Furthermore, there is good reason to believe that Kant’s ambiguity on free will in Religion was influenced by the discussions that preceded his account. This shows that consideration of the reception of Kant’s theory of free will is not only necessary for an appreciation of its historical context, but also instrumental to understanding its development. Examining the relation between Kant’s and Reinhold’s accounts of free will shows the disparity in their respective conceptions of the subjective ground of the exercise of freedom. This has several implications for Kant’s account of free will and his account of rational agency in general. First, Kant’s claim that there is no conceivable ground for the free adoption of the supreme evil maxim, which, I argued, should be read as the stronger claim that there is no such possible ground, bears on the question of the relation between the concept of free will and that of the moral law. Kant famously claims that these concepts are reciprocal, and interpreters have argued that this entails that either being subject to the moral law
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is necessary and sufficient for freedom, or that the predicate of freedom is restricted to moral action. Kant’s claims in Religion that all causality (including that of freedom) must operate according to a law and that the absence of any such law for the free adoption of moral evil lends prima facie support to the latter interpretation. However, a thoroughgoing treatment of this issue would require detailed examination of the passages in the Groundwork and second Critique where Kant asserts the reciprocal relation between these concepts. Second, the problems with Kant’s account of the supreme maxim threaten to undermine the concept of moral evil as such.¹⁰⁴ That is, if the reality of moral evil is parasitic on its possibility qua propensity to evil, then the incoherence of the supreme evil maxim constituting that propensity would abolish the objective reality of the concept of moral evil. Third, Kant’s commitment to the claim that the exercise of freedom requires a sufficient ground runs the risk of undermining his account of rational agency. Since, as we saw, this claim results in an infinite regress of adopted maxims, there is a serious concern that action on any maxim would presuppose such a regress. Kant’s account of free will presented in Religion is significant for Reinhold’s account. As mentioned earlier, Kant’s work served as both a confirmation of Reinhold’s own position and a cause of controversy following the publication of the Metaphysics of Morals. The unique status of Kant’s account of free will as presented in Religion in relation to Reinhold’s account of the same requires further consideration, particularly concerning the proper definition of free will. The present investigation found that although both thinkers affirm freedom as a necessary condition of moral imputation, they hold distinct conceptions of the subjective ground of its exercise, a point which Reinhold seems to have not fully appreciated. To be sure, his conception of freedom as an absolute first ground of self-determination for or against the moral law extricates Kant’s account of supreme maxim adoption from the difficulties stemming from his claims that the exercise of freedom presupposes a sufficient ground and that the causality of freedom must operate according to a law. However, Reinhold’s conception faces its own difficulties. Whether his conception ultimately poses more problems than it promises to resolve must be taken up on another occasion.
Courtney Fugate argues that the incomprehensibility of moral evil as Kant conceives of it renders the concept of moral evil vacuous since we have neither a theoretical nor a practical ground on which to secure its objective reality (2012) 366 f. I have argued that the incomprehensibility at issue here runs deeper than the mere lack of a ratio cognoscendi. Acknowledgement: Special thanks go to Martin Bondeli, Daniel Breazeale, Paul Guyer, Michael Morris, Joshua Rayman, Sonja Schierbaum, Martin Schönfeld †, and Michael Walschots for comments on earlier drafts of his paper.
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Marco Ivaldo
Reinholds Begriff des Fundaments einer moralischen Religion im Ausgang von Kant¹ Abstract: This essay refers to the second volume-fifth treatise of Reinhold’s Contributions to the correction of past misunderstandings of the philosophers (Jena 1794). In this treatise Reinhold aims to work out a philosophical „foundation“ (Fundament) of religion. Initially, I consider a first version of the foundation of religion that Reinhold had devised shortly before. It concerns the concept of a „moral cognitive ground“ (moralischer Erkenntnisgrund) of religion, which Reinhold carries out in the first volume (1790) of the Letters on Kant’s Philosophy and which he finds already in the movement of the theoretical criticism of Kant. The Contributions of 1794 develop another (practical) approach to the question of the foundation of religion (or moral religion). The Contributions recognize the foundation of the moral religion in practical reason in its relation to will and moral conscience. The main argument of my contribution is precisely Reinhold’s account of the foundation of moral religion in practical reason.
1 Reinhold und Kant Vorliegender Beitrag bezieht sich auf die fünfte Abhandlung im zweiten Band der zu Jena im Jahre 1794 erschienenen Beiträge zur Berichtigung bisherigen Mißverständnisse der Philosophen. ² Sie trägt die Überschrift: „Über das Fundament der moralischen Religion“. Es ist zunächst zu bemerken, dass die gesamten Beiträge, sowohl im ersten als auch im zweiten Band, von dieser Suche nach dem „Fundament“ der Elementarphilosophie und der verschiedenen Gebiete bzw. Disziplinen der Philosophie selbst gekennzeichnet sind, eine Suche, die für die philosophische Haltung und den Gedankengang von Carl Leonhard Reinhold bestimmend bleibt. Die fünfte Abhandlung der Beiträge zielt insbesondere darauf ab, ein „Fundament“ der Religion aufzustellen. Ein solches Unternehmen hat seinen Grund – wie Fabbianelli deutlich gemacht hat – in Reinholds grundlegender Absicht, „eine Ele-
Für die Verbesserung der Sprache und des Stils bin ich Dr. Erich Fuchs sehr dankbar. Vgl. Reinhold, Beiträge zur Berichtigung bisherigen Mißverständnisse der Philosophen. Zweiter Band, das Fundament des philosophischen Wissens, der Metaphysik, Moral, moralischen Religion und Geschmackslehre betreffend (Jena 1794), mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegebenen von Faustino Fabbianelli, Hamburg 2004 (folgende Zitate aus dieser Auflage der Beiträge II). https://doi.org/10.1515/9783111239521-004
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mentarphilosophie zu begründen, die auch im Falle der Disziplin ‚Religion‘ als Wissenschaft gelten könnte.“³ Reinholds Ausführungen über das Fundament der moralischen Religion in den Beiträgen erschienen zum ersten Mal als Rezension der Kantischen Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793) in der „Allgemeinen Literatur Zeitung“ im März 1794. Der faktische Ausgangpunkt von Reinholds Religionslehre in dieser Abhandlung ist somit Kants Religionsphilosophie, wie sie im Werk von 1793 dargelegt wurde. Es wäre aber abwegig zu denken, dass Reinholds Rezension eine bloße Wiedergabe und eine (möglichst) texttreue Darstellung des Gedankenganges und der wesentlichen Inhalte der Religionsphilosophie Kants nach dem Werk von 1793 enthielte. Denn Reinholds systematisches Interesse in dieser Abhandlung scheint von Anfang an ein anderes als dasjenige Kants zu sein, und das hat Folgen für seine Durchführung der inhaltlichen Darstellung der moralischen Religion. Ich beschränke mich in der Analyse auf zwei Aspekte. 1) Kant macht es sich, wie sich aus der Vorrede zur ersten Auflage der Religion deutlich ergibt, zur Hauptaufgabe, das Verhältnis von Moral und Religion einerseits aufzuklären, andererseits aufzuwerten. Er will zeigen, dass die Moral durch die Notwendigkeit eines Zweckes der sittlichen Handlung „unumgänglich zur Religion [führt]“,⁴ ohne aber ihre Autonomie einzubüßen. Reinhold dagegen, das geht aus den einleitenden, systematisch bedeutenden Ausführungen zur Rezension klar her, zielt darauf ab, das Fundament jener moralischen Religion ans Licht zu bringen, deren Grundzüge in Kants Religion herausgestellt worden sind – ein Fundament übrigens, welches das von Kant angestrebte, positive Verhältnis von Moral und Religion selbst ermöglicht. Dank dieser Suche nach dem Fundament, welche (wie angedeutet) die Gesamteinstellung Reinholds, nicht nur Kant gegenüber, auszeichnet, ergibt sich m. E. eine bedeutende Verschiebung des philosophischen Gesichtspunktes: Man geht von der Fragestellung nach dem Verhältnis der Moral zur Religion, wie bei Kant, zur Frage nach Fundament dieses Verhältnisses über, wie Reinhold es tut. 2) In der Religion verfolgt Kant u. a. – wie sich aus der Vorrede der zweiten Auflage ergibt – eine philosophische Auslegung der Offenbarungsreligion, um nachzuprüfen, ob „zwischen Vernunft und Schrift nicht blos Verträglichkeit, sondern auch Einigkeit anzutreffen sei.“⁵ Reinhold setzt seinerseits die von Kant angenommene Übereinstimmung zwischen „Vernunftreligion“ und „Offenbarung“ (als „historischem System“) voraus, stellt sich aber die Aufgabe, den theoretischen und praktischen Inhalt der moralischen Religion zum Ausdruck zu bringen. Er nimmt ja die Glie-
Vgl. Faustino Fabbianelli, Einleitung, in: Beiträge II, XVIII. Religion, Kant-AA 6.6. Ebd. 13.
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derung von Kants Religion in vier „Stücke“ auf und unterteilt daher die Besprechung, nach den einleitenden Ausführungen, in vier Paragraphen. Während Kant jedoch die vier Stücke seiner Auslegung als Darstellung und Inszenierung eines „Kampfes“ des „guten Princips“ mit dem „bӧsen“ konzipiert, wobei der ‚geschichtlich-dramatische‘ Faktor in der Religion eine größere Bedeutung zu bekommen scheint, bietet Reinhold (der diese Aspekte keineswegs ignoriert) eher eine systematische Darlegung der Grundwahrheiten der moralischen Religion an, wie sie sich jeweils aus den vier Teilen der Kantischen Religion entwickeln lassen. Die vier Paragraphen der Rezension tragen dementsprechend folgende Titel: „Von dem Ursprung des sittlichen Bösen“, „Von dem seligmachenden Glauben“, „Von der Kirche“, „Vom echten und unechten Gottesdienst“, wobei das eher ‚systematisierende Interesse‘ hervortritt, das den Verfasser in seiner Besprechung des Kantischen Werkes leitet.
2 Der moralische Erkenntnisgrund Bevor ich auf die Abhandlung zur moralischen Religion in den Beiträgen eingehe, möchte ich zunächst eine andere Version des Fundaments bzw. der Grundlage der Religion (in der Form einer moralischen Religion) in Betracht ziehen, die Reinhold in jenen Jahren (wenn auch ein wenig früher) verfasst hat.⁶ Es handelt sich um den Begriff eines „moralischen Erkenntnisgrundes“ der Religion, den Reinhold im ersten Band (1790) der Briefe über die Kantische Philosophie ausführt und den er diesmal in der gedanklichen Bewegung selbst der Vernunftkritik Kants als ganzer betrachtet auffindet. Dieser moralische Grund wird bekanntlich von Kant unterschiedlich benannt: „Vernunftglaube“ in der Abhandlung Was heißt: Sich im Denken orientieren ⁷ und in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten;⁸ „moralischer Glaube“ in der Kritik der reinen Vernunft ⁹ und in der Kritik der Urtheilskraft;¹⁰ „reiner praktischer Vernunftglaube“ in der Kritik der praktischen Vernunft. ¹¹ Wir
Vgl. dazu die Einleitung von Herausgeber Martin Bondeli zum ersten Band der Briefe über die Kantische Philosophie: RGS 2/1.XLVII–LIV. Kant-AA 8.140 f. GMS, Kant-AA 4.462. KrV A 828/B 856. KU, Kant-AA 5.470. KpV, Kant-AA 5.146.
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lesen nun im fünften Brief Reinholds,¹² mit Bezug auf die Kantische Kritik der metaphysischen Theologie, folgende Behauptung: Die Religion gewinnt durch die Hinwegräumung dieser Beweise [vom Dasein Gottes] (so wie dieses Geschäft durch die Kantische Philosophie vorgenommen wird) nichts geringeres als einen einzigen unerschütterlichen und allgemeingültigen Erkenntnißgrund ihrer ersten Grundwahrheit, der auf dem Wege der Vernunft die Vereinigung der Religion und der Moral vollendet, welche durch das Christentum auf dem Wege des Herzens eingeleitet worden ist.¹³
Reinhold will damit zur Geltung bringen, dass Kants Vernunftkritik durch die Widerlegung der erkenntnistheoretischen Ansprüche der spekulativen Vernunft auf dem Gebiet der reinen Vernunftbegriffe (bzw. Vernunftideen), insbesondere mit Bezug auf die sog. Beweise des Daseins Gottes, das religiöse Gefühl überhaupt nicht vertilgt, wie zahlreiche Fehldeutungen ihrer Grundsätze gemeint haben. Sie öffnet vielmehr den Raum, um die Religion und ihre Grundwahrheiten – welche das Dasein Gottes und die künftige Welt grundsätzlich betreffen – legitim und erfolgreich zu behaupten. Die Selbstbeschränkung der theoretischen Vernunft geht in der Philosophie Kants mit einer Neubegründung der religiösen Grundwahrheiten auf der Basis der praktischen Vernunft einher. Die Vernunftkritik zeigt nämlich, dass aus der „Natur der theoretischen Vernunft“ die Unmöglichkeit aller objektiven Beweise für und wider das Dasein Gottes folgt; sie beweist aber zugleich, dass sich aus der „Natur der praktischen Vernunft“¹⁴ die moralische Notwendigkeit eines moralischen Glaubens an das Dasein Gottes und das künftige Leben ergibt. Der auf der praktischen Vernunft fundierte und von ihr abgeleitete Vernunftglaube bzw. moralische Glaube bietet somit das Fundament der Religion in der Form einer moralischen Religion an. Im sechsten Brief schließt sich Reinhold der Kantischen Kritik der Glaubensbegriffe Jacobis und Wizenmanns im Aufsatz Was heißt: Sich im Denken orientieren? an. In Sachen Religion habe nicht ein auf unmittelbarer Anschauung oder auf Erfahrung gegründeter Glaube zuerst mitzureden, sondern einzig der Vernunftglaube.¹⁵ Denn ein Gottesbegriff und selbst die Überzeugung seines Daseins kann nur in der Vernunft angetroffen werden und von ihr allein ausgehen. Der Vernunftglaube ist demnach – wie Kant selbst behauptet – das, was „jedem anderen Glauben, ja jeder Offenbarung zum Grunde gelegt werden muß.“¹⁶ Reinhold zufolge machen
Es handelt sich um eine revidierte Fassung einer 1787 im Teutschen Merkur erschienenen Abhandlung (TM, Januar 1787, 3–21). Briefe I, 147, RGS 2/1.98. Ebd. 164, RGS 2/1.108. Zum Thema des Glaubens der Vernunft vgl. auch Lazzari (2010). Kant-AA 8.142.
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nun die Grundsätze, welche die praktische Vernunft und der aus ihr abgeleitete Vernunftglaube über die zwei Grundwahrheiten der Religion festlegen – nämlich das Dasein Gottes und eine künftige Welt –, die „Theorie der reinen Religion“ aus, „die jeder positiven Religion, in so fern sie wahr und der Menschheit wohlthätig seyn soll, […] zum Grunde liegen muß.“¹⁷ Es ist Reinholds feste Überzeugung, dass diese reine bzw. moralische Religion als lebendige Einheit von Moral und Religion in die Menschheitsgeschichte durch das Christentum – insbesondere durch den „erhabenen Stifter desselben“ – eingeführt wurde, und zwar„auf dem Wege des Herzens.“¹⁸ Es geht jetzt darum, „auf dem Wege der Vernunft“ das zu „vollenden“, was durch das Herz empfangen wurde. Die Kritik der Vernunft – so lautet eine geistes- und philosophisch-geschichtliche Grundthese Reinholds in den Briefen– ermöglicht letzten Endes dank ihrer praktischen Vernunftauffassung und der Vorstellung eines moralischen Glaubens als „moralischen Erkenntnißgrundes“, diesen entscheidenden Schritt auf dem Wege der Vernunft zu vollziehen. In dem Sinne stimmt nach Reinhold das Interesse der Religion, namentlich des Christentums, mit dem Resultat der Kritik der Vernunft, nämlich der Idee eines moralischen Glaubens, bestens überein. Eine zentrale Deutung der moralischen Religion in den Briefen besteht darin, dass letztere als die dritte Stufe einer religiösen Entwicklung angesehen wird, die durch drei „Hauptepochen“ verlaufen ist bzw. noch heute verläuft: historische Religion, philosophische Religion und moralische Religion. Jede Etappe bzw. jedes Bild von Religion bringt eine bestimmte Zusammensetzung, eine besondere Verknüpfung von Gefühl und Vernunft zum Ausdruck. In der historischen Religion herrscht das Gefühl durch das Medium der sinnlichen Darstellung; in der philosophischen Religion (auch metaphysische und hyperphysische Religion benannt) herrscht eher „das leere Wissen“; in der moralischen Religion würde hingegen die Vereinigung von Gefühl und Vernunft, von Handeln und Denken, von Herz und Geist zustande kommen. Diese Einheit, die reine Religion, vom Christentum durch das Herz eingeführt, kann Reinhold zufolge jetzt auf Grund des von der Vernunftkritik ausgewerteten, moralischen Glaubens auf dem Weg der Vernunft zustande gebracht werden.
Briefe I, 167, RGS 2/1.110. Ebd. 164, RGS 2/1.108.
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3 Das Fundament im Praktischen Die Beiträge von Jahre 1794 lassen noch einen anderen Annäherungsprozess zum Thema des Fundaments der (moralischen) Religion erkennen. In den Briefen war es die Selbstbeschränkung der reinen theoretischen Vernunft mit Rücksicht auf ihre spekulativen Ansprüche, die den Raum des moralischen Glaubens und der reinen Religion aufschloss. Der berühmte Satz Kants aus der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft drückt den Sinn dieses Vorgangs sehr gut aus: „Ich mußte […] das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen.“¹⁹ In den Beiträgen wird hingegen als Fundament der moralischen Religion die praktische Vernunft in ihrer Beziehung zum Willen und Gewissen angesehen. Es heißt somit ganz am Anfang der Abhandlung: Die von aller Spekulation unabhängige, in der Gesetzgebung für die Freiheit (des Willens), und durch die Stimme des Gewissens sich ankündigende (praktische) Vernunft ist und war die einzige Quelle echter Religion, und hat eben darum in der moralisch-religiösen Gesinnung und Denkart gewisse Überzeugungen hervorbringen müssen, deren Inbegriff das Glaubensbekenntnis der reinen, moralischen Religion ausmachen.²⁰
Auf diese Erklärung des Ursprungs der moralischen Religion in der praktischen Vernunft werde ich ausführlicher eingehen. Zunächst möchte ich aber hervorheben, dass nach Reinhold dieses Glaubensbekenntnis der moralischen Religion dem „gesunden Verstand“ zugänglich ist und dessen Sinn – in Ermangelung einer genügenden, fundierenden Leistung der „philosophierenden Vernunft“ (die erst Kant möglich gemacht hat) – vom „sittlichen Gefühl“ verteidigt wurde bzw. wird. Reinholds Überzeugung zufolge bringt ein von Seiten der philosophischen Vernunft unrichtiges Verständnis des „Gesetzes des Willens“ notwendigerweise die Konzeption der Religion auf die beiden Irrwege des Naturalismus und Supernaturalimus. Ersterer will die Religion unabhängig von der Moralität „bald aufstellen, bald verwerfen“; der zweite beabsichtigt, die Moralität von Religion abzuleiten. In beiden Denkarten werden die moralisch-religiösen Überzeugungen des gesunden Verstandes, dessen Zeugnis Reinhold wahren und verteidigen will, insofern verkannt, als sie einerseits durch einen „theoretischen Unglaubens“ verdrängt (Naturalismus) oder andererseits durch einen „theoretischen Aberglauben“ (Supernaturalismus) verfälscht werden. Nur die kritische Philosophie Kants, insbesondere die Erörterung und Darlegung des Begriffs vom Sittengesetz in der Kritik der praktischen Vernunft, erlaube KrV B XXX. Beiträge II, 185.
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der philosophierenden Vernunft, die falsche Alternative zwischen Naturalismus und Supernaturalismus zu überwinden und „in den rein wahren Prinzipien der Moral das einzig probehältige Fundament echter Religion ausfindig zu machen.“²¹ Nun ist Reinhold bekanntermaßen der Auffassung, dass dieser Kantische Begriff „von allen Gegnern als auch von manchen Verteidigern“ der Kantischen Philosophie in entscheidenden Momenten desselben, die den Inhalt der Gesamtkonzeption selbst betreffen, „am meisten verkannt wurde.“²² Er stellt sich somit als seine eigene Aufgabe, eine „Erörterung dieser Momente“ vorzunehmen, um ein angemessenes (philosophisches) Verständnis des moralpraktischen Fundaments der reinen Religion zu befördern. Nun präsentiert sich in der Tat eine solche „Erörterung“ in den Beiträgen als eine bündige Darstellung von Grundmomenten der Reinhold eigenen Konzeption des Sittengesetzes, des Gesetzes des Begehrens und der Freiheit des Willens, nämlich jener Konzeption, deren Herausarbeitung Reinhold als seine eigentümliche Leistung auf dem Gebiet der praktischen Philosophie in Bezug auf Kant selbst angesehen hat. Kant habe, behauptet Reinhold im zweiten Band der Briefe über die Kantischen Philosophie an mehreren Stellen, den richtigen Begriff der Freiheit des Willens nur„angedeutet“ und „vorbereitet“, keineswegs aber„geliefert“ und „erklärt.“²³ Reinhold will genau diese Erklärung geben, genauer: von der Möglichkeit zu der Wirklichkeit der Erklärung selbst übergehen.²⁴ Das Resultat dieses Unternehmens wird von jener Auffassung der Freiheit in deren Bezug auf das Sittengesetz und auf das natürliche Begehren vertreten, die – um das Thema meines Beitrags wieder aufzugreifen – das moralpraktische Fundament der moralischen Religion zu geben imstande ist. Es lässt sich dementsprechend nachvollziehen, dass gerade eine solche Auffassung die Grundlage liefert für die Deutung der Inhalte der moralischen Religion, die Reinholds Rezension – von den Gedanken der Kantischen Religion ausgehend und ihnen autonom folgend – sich vorgenommen hat.
4 Die Auffassung der Willensfreiheit Es seien zunächst einige Aspekte dieser Freiheitsauffassung kurz in Erinnerung gerufen. Im Brief an Jens Baggesen vom 23. Juli 1792 gibt Reinhold ein konzentriertes
Beiträge II, 186. Ebd. 187–188. Briefe II, 263, 268, RGS 2/2.183, 186. Vgl. dazu: Ivaldo (2012). Über dieses Unternehmen Reinholds (insbesondere in Briefe II) und die sich daran anschließenden Fragestellungen, auch mit Rücksicht auf Kant, vgl: Olivier (1941), Fabbianelli (2000), Bondeli (2001) und (2012), Lazzari (2001, 2004), Schönborn (2006), Zöller (2006), Ameriks (2012), Breazeale (2012), Marx (2012).
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Bild dieser Momente, die in kompakter Form uns das Wesentliche der Sache vermitteln. Interessanterweise wird dieses Bild in Beziehung zu Reinholds Lektüre und Rezeption des Fichteschen Versuchs einer Kritik aller Offenbarung (1792) ausgearbeitet.²⁵ Reinhold vertritt die These, „der blosse reine praktische Glaube“ hatte in ihm aufgrund der Lektüre von Fichtes Versuch an „Lebhaftigkeit“ und „Anschaulichkeit“ durchaus gewonnen. Der Glaube hatte nämlich „aus der Sinnlichkeit eine Verstärkung erhalten“, welche „ihm durch Lebhaftigkeit belohnt, was sie [die Verstärkung durch die Sinnlichkeit] von ihm an Gründlichkeit erhalten hat.“²⁶ Im Rekurs auf das Fundament bzw. auf die „Urquelle“ dieses durch die Sinnlichkeit verstärkten praktischen Glaubens, kommt Reinhold zu folgender These: „Ich sehe nun ein wie der Glaube durch das Sittengesetz gebothen werden kann, wie er durch dasselbe vom Willen abhängt, und wie ich glauben kann, wenn ich will.“²⁷Aus diesem Passus geht hervor, dass für Reinhold Sittengesetz und Wille das Fundament des (praktisch- religiösen) Glaubens darstellen. Letzterer wird durch das Sittengesetz geboten und vom Willen zustande gebracht. Grundüberzeugung Reinholds, die dann auch der Besprechung der Kantischen Religion zugrunde liegt, ist es, dass der Glaube im praktisch-religiösen Sinne eine (moralische) Folge der Interaktion von dem Bewusstsein des Sittengesetzes und dem Willen darstellt. Diese Überzeugung setzt eine bestimmte Auffassung des Willens und dessen Gesetzes voraus, die Reinhold im Brief an Baggesen sogleich herausstellt. Reinhold hebt bekanntlich den Willen sowohl von (praktischer) Vernunft als auch vom natürlichen Begehren ab. Er versteht das Wollen als das „Vermögen der Person“, sich selbst zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung einer Forderung des Begehrens bzw. des eigennützigen Triebes (des „Triebs nach Vergnügen“) zu bestimmen. Er begreift demnach die Freiheit des Willens als das Vermögen der Person, sich zur Befriedigung bzw. Nichtbefriedigung des Begehrens entweder dem praktischen Gesetz (= der Forderung der praktischen Vernunft) gemäß oder gegen dasselbe durch Lust oder Unlust zu bestimmen. Es besteht somit ein grundlegender Unterschied zwischen der praktischen Vernunft und der Freiheit des Willens – ein Unterschied, über den sich nicht nur die „Kantianer“, sondern Kant selbst nicht immer im klaren war –,²⁸ sowie es einen prinzipiellen Unterschied zwischen Wollen und Begehren gibt.
Dazu vgl. auch den Brief an Baggesen vom 22. Juni 1792, KA 4.172 f. Ebd. 207. Ebd. Vgl. dazu den Brief an Baggesen vom 28./29. März 1792: „Gänzlich entferne ich mich von Kant und den Kantianern im Begriffe vom Willen, den ich weder Kausalität der Vernunft, noch Vermögen, nach vorgestellten Gesetzen, u. s. w. zu handeln, sondern als ein von Vernunft und Sinnlichkeit gleich
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Nun fällt die Selbstbestimmung der Willensfreiheit nicht in einen leeren Raum, sondern bestimmt sich durch „Vorschriften“, wobei für Reinhold die Vernunft – weder das Wollen noch das Begehren – das Vermögen ist, „das den übrigen Vermögen Vorschriften“ vorgibt. Vernunft ist grundsätzlich das Vermögen der Vorschriften. Nach einem entscheidenden Gedanken Reinholds, welcher seine eigene Position im Rahmen der zeitgenössischen Kant-Rezeption auszeichnet, besteht die Kausalität der Vernunft nicht im Akt des Wollens – der der Kausalität des Willens zu verdanken ist –, sondern im Akte, Gesetze zu geben. Demgemäß unterscheidet sich das Wollen nach drei Arten von Vorschriften: 1) das Naturgesetz des Begehrens, d. h. die Vorschrift, welche die unwillkürliche Forderung des eigennützlichen Triebs betrifft (sie ist die „Regel des Begehrens“) und der das Gefühl von Lust und Unlust die Sanktion eines Gesetzes (= die Bestätigung von dessen Gesetzeskraft) erteilt; 2) das praktische Gesetz, d. h. die Vorschrift, der die bloße Vernunft die Sanktion des Gesetzes erteilt, und die nicht das (unwillkürliche) Begehren, sondern das Wollen betrifft – es ist das „Gesetz des Wollens“, die Forderung des uneigennützigen Triebes an den Willen; 3) die Maxime, d. h. die Vorschrift, der die Freiheit selbst die Sanktion erteilt, und die sich selbst die wirkliche Befriedigung oder Nichtbefriedigung des Begehrens entweder nach dem praktischen Gesetz oder gegen dasselbe zum Objekt macht. Die Maxime ist also eine Vorschrift, welche die Erfüllung bzw. die Abweisung eines Begehrens im Lichte des praktischen Gesetzes betrifft. Die Maxime der Freiheit nimmt entweder das praktische Gesetz als bestimmenden Maßstab oder schließt es aus: im ersten Falle handelt die Freiheit moralisch, im zweiten unmoralisch. Nicht also die praktische Vernunft, deren Leistung eigentlich darin besteht, Gesetze zu geben, sondern allein die Freiheit als Vermögen der Person handelt sittlich (oder unsittlich). Für mein Anliegen ist die Bemerkung von Bedeutung, die Reinhold gleich danach aufstellt: „Meine Freiheit ist über alle Gesetze erhaben – aber sie ergreift das Praktische durch sich selbst; und mit ihm alles was durch das Praktische bestimmt ist, also auch die Überzeugungsgründe vom Daseyn Gottes.“²⁹ Nicht, dass die Willensfreiheit ohne Bezug auf Gesetze existieren könnte. Reinhold will vielmehr sagen, dass die Freiheit des Willens selbstständig über sich selbst verfügen kann (in dem Sinne ist sie absolut), selbst wenn diese Selbstverfügung nicht ohne Bezug auf Gesetze erfolgen kann (in dem Sinne ist sie relativ). Wir begegnen hier der paradoxen, dennoch philosophisch ertragreichen Vorstellung einer ‚relativen Absolutheit‘ bzw. einer ‚absoluten Relationalität‘, die das Wesen von der
verschiedenes Vermögen der Person halte, sich selbst zu Befriedigung oder Nichtbefriedigung eines Begehrens […] zu bestimmen“ (KA 4.85). Ebd. 208.
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Freiheit auszeichnet. Nun hebt Reinhold hervor, dass diese Freiheit eine Ergreifung des Praktischen, und allen dessen, was durch das Praktische bestimmt wird, durch sich selbst ermöglicht, wie die Überzeugungsgründe des Daseins Gottes. Es lässt sich daraus schließen, dass die Freiheit, in Bezug auf die praktische Vernunft als Vermögen des Sittengesetzes, das epistemologische Fundament des praktisch-moralischen Glaubens und somit der Erschließung des Horizonts der moralischen Religion legt.
5 Das Fundament der moralischen Religion Gehen wir nochmals auf die einleitenden Ausführungen der Kant-Rezension zurück, welche die Erörterung der Grundmomente des Fundaments (im Praktischen) der moralischen Religion betreffen. Das Eine ist die Behauptung der Unabhängigkeit des Sittengesetzes vom natürlichen Begehren und von dem damit verbundenen Gefühl der Lust und Unlust. Diese Unabhängigkeit – die der Kantischen Morallehre zugrunde liegt und von Reinhold entscheidend aufgenommen und weiterentwickelt worden ist – wurde aber Reinhold zufolge „von den Gegnern“ der Kantischen Philosophie geleugnet, nämlich von denen, die der überlieferten Schulmetaphysik folgend als Prinzip der Moral das Glückseligkeitsprinzip bzw. das Vollkommenheitsprinzip ansahen. Das andere Moment ist der richtige Begriff der Freiheit des Willens, welche ihrerseits von dieser Unabhängigkeitsform des Sittengesetzes und folglich auch von der Tätigkeit der praktischen Vernunft (welche das Gesetz aufstellt) wesentlich verschieden ist. Nun, genau dieser Begriff vom Willen, von dem bereits einige Züge herausgestellt worden sind, wurde nach Reinhold „von manchem Freunde der Kantischen Philosophie“ in Frage gestellt, nämlich von denen, die – wie etwa der Kant-Interpret Carl Christian Erhard Schmidt – dazu tendieren, Willen und praktische Vernunft zu identifizieren. Kants Morallehre selbst, so Reinhold, sei von diesem Irrtum nicht völlig frei, vor allem dem Buchstaben seines Philosophierens nach. Reinhold argumentiert, dass beide Parteien, sowohl die Antikantianer als auch die Kantianer, bei ihren Auslegungen aus verschiedenen Anfangspunkten demselben Irrtum aufsitzen, sofern beide von einem „unbestimmten und unrichtigen Begriffe des Willens ausgehen,“³⁰ nämlich von dem Begriff, demgemäß sich das Wollen „höchstens“ vom instinktartigen und vernunftlosen Begehren, nicht aber vom Begehren als solchem, und zumal nicht von dem durch (theoretische) Denk-
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kraft modifizierten Begehren abhebe. Reinhold zufolge müssen sich Wollen und Begehren als solche jedoch vollkommen voneinander unterscheiden. Die Vernachlässigung der Differenz zwischen Begehren und Sittengesetz und die Verwechselung von praktischer Vernunft und Wollen führen zu misslichen Konsequenzen für die Moral und die moralische Religion. Ich versuche, den (komplexen) Argumentationsgang Reinholds zusammenzufassen, der die Form einer Auseinandersetzung mit den Thesen der Antikantianer und der Kantianer aufnimmt. 1) Da alles Begehren ein durch Lust und Unlust bestimmtes Streben ist, so lässt sich die von der Vernunft dem Begehren erteilte Vorschrift durchaus nicht ohne „die Sanktion durch Lust und Lust, als Gesetz“ denken. Dementsprechend beanspruchen die Antikantianer mit einigem Recht, es „widersinnig“ zu finden, dass das Sittengesetz ein von reiner Vernunft aufgestelltes Gesetz des Begehrens sein soll, das keiner Sanktion durch Lust und Unlust bedürfte bzw. eine solche zuließe. Das bedeutet aber für Reinhold: Wenn die Auffassung einer Unabhängigkeit des Sittengesetzes von allem Begehren übersehen wird – eine Unabhängigkeit, die indessen in den Mittelpunkt der Kantischen und Reinholdschen Morallehren rückt –, so hätten „die Gegner der Kritik der praktischen Vernunft“ recht, darauf zu bestehen, dass ein Sittengesetz als Gesetz des Begehrens, aber ohne Sanktion der Lust und Unlust versehen, durchaus undenkbar sei. Der Fehler liegt im Anfang, nämlich in der Vernachlässigung der Differenz zwischen Sittengesetz und Gesetz des Begehrens. 2) Wenn sich ein von Lust und Unlust unabhängiges Begehren ohne Widerspruch denken ließe, wäre das nur dann möglich, wenn dasselbe als von der bloßen reinen Vernunft abhängig angesehen werden könnte. In diesem Falle würde die bei einem solchen „rein vernünftigen Begehren“ einzig mögliche Freiheit a) in der Unabhängigkeit von Lust und Unlust, und b) in der Selbsttätigkeit der Vernunft selbst bestehen müssen. Wenn nun dieser (nach Reinhold schlechterdings falsche) Begriff von Freiheit dem Argumentationsvorgang zugrunde gelegt wird, dann hätten diesmal „die Freunde der kritischen Philosophie“ ein gewisses Recht, es als „widersinnig“ anzusehen, dass man eine Freiheit annehme, welche das durch die Selbsttätigkeit der Vernunft aufgestellte moralische Gesetz bei den sittlichen Handlungen ausübt, bei den unsittlichen übertritt. Das bedeutet für Reinhold: Die Tatsache, dass die Kantianer zwischen Freiheit und Selbsttätigkeit der Vernunft nicht deutlich unterscheiden, bringt sie konsequenterweise dazu, eben jenen Begriff der Freiheit als „widersinnig“ anzusehen, der Reinhold zufolge der einzig richtige ist, nämlich die Idee der Freiheit als potestas ad utrumque, als Selbstbestimmung für oder gegen das Sittengesetz in Bezug auf die Befriedigung oder Nichtbefriedigung der Forderung des natürlichen Begehrens. Das Fehlen der richtigen Freiheitskonzeption hat Folgen, die für Reinhold unhaltbar sind. Denn die „Freunde der kritischen Philosophie“
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sind genötigt anzunehmen, daß die sittlichgute Handlung nichts als eine unwillkürliche Äußerung der reinen Vernunft, die sittlichböse eine bloße Folge der durch äußere Hindernisse bewirkten Untätigkeit der reinen Vernunft, und folglich von der bloß nicht sittlichen, unschuldigen, Handlung durchaus nicht verschieden sei.³¹
Reinhold zufolge führt die durch manchen Kantianer verfolgte Identifizierung von Freiheit und praktischer Vernunft zu dem Ergebnis, dass der eigentliche Sinn der guten und der bösen Handlung – als Ausdruck der Freiheit der Person angesichts des Gesetzes der praktischen Vernunft (d. h. des Sittengesetzes) begriffen – so gut wie die Bedeutung moralischer Verantwortung verloren gehen. Er hebt in diesem Zusammenhang deutlich hervor, dass beide Theorien der Moralität – Gegner und Freunde der kritischen Philosophie – „mit der moralischen Religionslehre in jedem Punkt derselben im entschiedensten Widerspruch stehen“, und zwar genau deshalb, weil sie „das eigentliche Wollen mit dem bloßen Begehren“ verwechseln – und mit dieser Verwechslung den Sinn einer auf Willensfreiheit gebauten, moralischen Religion zugrunde richten. Setzt man indessen mit dem Unterschied von Wollen und Begehren an, und denkt man sich den Willen in engster Bedeutung als „das Vermögen der Person, sich durch sich selber zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung eines Begehrens zu bestimmen“³², dann kommt man zu folgenden Ergebnissen: 1) Nur die Vorschriften, die durch die Vernunft dem natürlichen Begehren gegeben werden, benötigen eine Sanktion durch Lust und Unlust und lassen sie zu; eine solche Sanktion für das Sittengesetz zu fordern, welches sich hingegen allein als Gesetz des Wollens denken lässt, würde bedeuten, Sittengesetz und Naturgesetz des Begehrens irrtümlicherweise zu vermengen. 2) Eben darum, weil seine Vorschrift nicht die unwillkürliche Forderung des Begehrens, sondern, wie gesagt, die Befriedigung oder Nichtbefriedigung dieser Forderung selbst durch die Willkür der Person betrifft, setzt das Sittengesetz eine Freiheit in der Person voraus, die sowohl von der Selbsttätigkeit der praktischen Vernunft als auch von der natürlichen Bestimmung durch Lust und Unlust verschieden gedacht werden muss, und die in dem Vermögen besteht, sich selbst entweder durch das Sittengesetz oder durch Lust und Unlust gegen dasselbe zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung eines Begehrens zu bestimmen. Anders formuliert: die Freiheit in der Person besteht in dem Vermögen – angesichts des Sittengesetzes und mit Rücksicht auf das natürliche Begehren –,³³ sittlich gut oder sittlich böse zu handeln.
Ebd. 189. Ebd. Das natürliche Streben soll in der sittlichen Erfahrung mitberücksichtigt werden, obwohl es dem sittlichen Trieb letztlich „untergeordnet“ werden soll. Es handelt sich um eine eigentümliche
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6 Schlussbemerkung Im Ganzen seiner Argumentation will Reinhold zeigen, dass sich ohne einen so verstandenen Freiheitsbegriff keine eigentliche Zurechnung (also keine moralische Verantwortung), und keine Kriterien denken lassen, durch die sich Moralität und Immoralität von Legalität und Illegalität abheben. Ohne denselben wird dann der Unterschied zwischen Sollen und Müssen, d. h. zwischen moralischer und theoretischer (natürlicher) Notwendigkeit getilgt, der nur unter der Voraussetzung eines Gesetzes denkbar ist, das – wie das Sittengesetz – einerseits absolut notwendig gebietet, andererseits aber durch die Freiheit übertreten werden kann, eben darum, weil es nur durch die Freiheit selbst, für die es allein gegeben ist, befolgt werden kann. Sittengesetz ist Freiheitsgesetz, nämlich ein Gesetz, das von demselben Vermögen übertreten werden kann, das es dennoch realisiert bzw. zu realisieren hat. Schließlich gibt es ohne Freiheit – als Vermögen des Guten und des Bösen verstanden, um ein berühmtes Wort von Schelling aufzugreifen – „kein von dem unvermeidlichen Naturgesetz verschiedenes […] Sittengesetz, folglich auch keine Moralität und eben darum auch keine wahre Religion, die sich nur durch Moralität denken lässt.“³⁴ Fassen wir das Ergebnis dieser Ausführungen kurz zusammen: Das Fundament der moralischen Religion liegt nach Reinhold – wie sich aus seiner Besprechung der Kantischen Religion ergibt – in der Beziehung und der Differenz zwischen Freiheit des Willens und praktischer Vernunft als dem Vermögen des Sittengesetzes. Diese Beziehung und Differenz sind mit einer weiteren Differenzierung am engsten verbunden, derjenigen zwischen Wollen (und Gesetz des Wollens) und natürlichem Begehren (und Gesetz des Begehrens). Ohne diese praktische Voraussetzungen wäre die „wahre Religion“ undenkbar. Dieses Fundament der Religion im Praktischen bzw. im Moralisch-Praktischen zieht sich wie ein roter Faden durch Reinholds Auslegung der vier Teile der Kantischen Religion, so wie seine Herausstellung des „gesamten Inhalts der moralisch-religiösen Überzeugung“, den er als eine Entfaltung des Prinzips „Gesinnung“ konzipiert. Entsprechend besteht der Inhalt des moralisch-religiösen Bewusstseins erstens in der Anerkennung der Quelle des moralischen Bösen in der Verkehrtheit der Gesinnung, zweitens in der „Denkart“, welche mit der Annahme der entgegengesetzten Gesinnung, nämlich des Ideals der Heiligkeit, unzertrennlich verbunden ist, und die Reinhold „seligmachenden Glauben“ nennt; drittens in der Idee der Kirche als gesellschaftlicher Vereinigung zur Verbreitung, Fortpflanzung und
Überzeugung Reinholds, der glaubt, sich bezüglich dieses Punkts von Kant selbst zu entfernen. An Baggesen schreibt er 1792: „Ich [entferne] mich sogar über den Begriff von Sittlichkeit von Kant […], indem ich mir ohne Sinnlichkeit keine Sittlichkeit denken kann“ (KA 4.85). Beiträge II, 190.
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Belebung der sittlich-religiösen Gesinnung und zur Bekämpfung der verkehrten Gesinnung; viertens in der Vorstellung des echten und den unechten Dienstes Gottes in der Kirche in praktischer und in theoretischer Hinsicht. Eine umfassende Darstellung und Diskussion dieser inhaltlichen Grundzüge der moralischen Religion würde aber den Rahmen des vorliegenden Beitrags bei weitem sprengen und dürfte demnach weiteren Untersuchungen vorbehalten werden.
Literatur Ameriks, Karl (2012): „Ambiguities in the Will: Reinhold and Kant, Briefe II“ in: Violetta Stolz, Marion Heinz und Martin Bondeli (Hgg.), Wille, Willkür, Freiheit. Reinholds Freiheitskonzeption im Kontext der Philosophie des 18. Jahrhunderts, Berlin/Boston, 71–89. Bondeli, Martin (2001): „Freiheit im Anschluß an Kant. Zur Kant-Reinhold-Kontroverse und ihren Folgen“, in: Volker Gerhard, Rolf-Peter Horstmann und Ralph Schumacher (Hgg.), Kant und die Berliner Aufklärung. Akten des IX. Internationalen Kant-Kongresses, Berlin-New York, Bd. 5, 243–251. Bondeli, Martin (2012): „Zu Reinhold Auffassung von Willensfreiheit in den Briefen II“, in: Violetta Stolz, Marion Heinz und Martin Bondeli (Hgg.), Wille, Willkür, Freiheit. Reinholds Freiheitskonzeption im Kontext der Philosophie des 18. Jahrhunderts, Berlin/Boston, 125–152. Breazeale, Daniel (2012): „The fate of Kantian freedom: One chere (more) for Reinhold“, in: Violetta Stolz, Marion Heinz und Martin Bondeli (Hgg.), Wille, Willkür, Freiheit. Reinholds Freiheitskonzeption im Kontext der Philosophie des 18. Jahrhunderts, Berlin/Boston, 125–152. Fabbianelli, Faustino (2000): „Die Theorie der Willensfreiheit in den ‚Briefen über die Kantische Philosophie’ (1790–1792) von Karl Leonhard Reinhold“, in: Philosophisches Jahrbuch 107:2, 428– 444. Ivaldo, Marco (2012): Freiheit und Sittlichkeit in Reinholds Briefen, mit Berücksichtigung der Ansichten Kants und Fichtes über dieses Thema, in: Violetta Stolz, Marion Heinz und Martin Bondeli (Hgg.), Wille, Willkür, Freiheit. Reinholds Freiheitskonzeption im Kontext der Philosophie des 18. Jahrhunderts, De Gruyter, Berlin/Boston, 329–347. Lazzari, Alessandro (2003): „Reinholds Behandlung der Freiheitsthematik zwischen 1789 und 1792“, in: Martin Bondeli und Wolfgang H. Schrader (Hgg.), Die Philosophie Karl Leonhard Reinholds („Fichte-Studien-Supplementa“), Amsterdam-New York, 191–215. Lazzari, Alessandro (2004): „Das Eine, was der Menschheit Noth ist“. Einheit und Freiheit in der Philosophie Karl Leonhard Reinholds (1789–1792), Stuttgart/Bad Cannstatt. Lazzari, Alessandro (2010): „K. L. Reinhold und der Glaube der Vernunft“, in: George di Giovanni (Hg.), Karl Leonhard Reinhold and the Enlightenment, Dordrecht-Heidelberg London-New York, 133–143. Marx, Karianne J. (2012): „Free will as a mediation between reason and sensibility. On interpreting the second volume of Reinhold’s Briefe über die Kantische Philosophie, in: Violetta Stolz, Marion Heinz, Martin Bondeli (Hgg.), Wille, Willkür, Freiheit. Reinholds Freiheitskonzeption im Kontext der Philosophie des 18. Jahrhunderts, Berlin/Boston, 251–268. Olivier, Paul (1941): Zum Willensproblem bei Kant und Reinhold („Philosophische Abhandlungen“), Berlin. Schönborn, Alexander von (2006): „’Intelligibler Fatalismus’: Reinhold mit und gegen Kant über die Freiheit“, in: Pierluigi Valenza (Hg.), K. L. Reinhold am Vorhof des Idealismus, Pisa-Roma, 223–232. Zöller, Günter (2006): „Von Reinhold zu Kant. Zu Grundlegung der Moralphilosophie zwischen Vernunft und Willkür“, in: Pierluigi Valenza (Hg.), K. L. Reinhold am Vorhof des Idealismus, Pisa-Roma, 73–91.
Philipp Schwab
Identität oder Wechselwirkung? Fichte und Schelling über Reinholds Wechsel zur Wissenschaftslehre Abstract: The paper addresses the debate on Reinhold’s 1797 ‘conversion’ to the Wissenschaftslehre, from both a historical and a systematical perspective. In historical terms, the paper intends to exemplarily spell out the ‘non-simultaneity’ in the rapid transformations of post-Kantian philosophy. More often than not, protagonists quickly alter the positions put forward in their published works (i. e., the ones known to the others) and thus, debates frequently involve talking at cross purposes. In the given instance, the paper tries to show that, while Reinhold’s ‘conversion’ to the Wissenschaftslehre is mainly based on the first three principles of Fichte’s Foundation, both Fichte’s and Schelling’s critiques of this conversion root in an evolved understanding. This non-simultaneity indeed has crucial systematical implications. At stake is the question as to whether the principle of philosophy is to be understood as pure identity, or rather, as an in itself complex structure of interaction.
Die Systementwicklungen der Klassischen deutschen Philosophie nach Kant sind von einer eigentümlichen Ungleichzeitigkeit geprägt. Keineswegs nämlich erscheinen die Systementwürfe, die in den Jahren um 1800 ans Licht der Öffentlichkeit treten, jeweils als fertige, in sich abgeschlossene und ausgereifte Konzeptionen. Vielmehr sind sie allesamt ‚Systeme in Bewegung‘, mehr noch ‚Systeme im Wandel‘. Dabei ist insbesondere die frühe Phase der Klassischen deutschen Philosophie wesentlich durch eine über sich selbst hinaustreibende Dynamik gekennzeichnet, durch sukzessive Fort- und Weiterentwicklungen der Darstellungsformen, aber auch des systematischen Ansatzes selbst – und dies nicht allein von einem Werk zum nächsten, sondern bisweilen sogar innerhalb einer einzigen Schrift. Exemplarisch lässt sich diese Dynamik bereits in Fichtes früher Ausarbeitung der Wissenschaftslehre anzeigen. Bekanntlich hat Fichte bei seiner Berufung auf die Nachfolge Reinholds in Jena Anfang 1794 zunächst darum gebeten, erst „Ostern 1795“ anzutreten, um zuvor sein Werk vollständig und in präsentabler Form auszuarbeiten – allerdings vergeblich.¹ Die dann gleichsam gezwungenermaßen wäh-
Fichte an Voigt, 15.01.1794, Fichte-AA III/2.43.Vgl. auch bereits Fichte an Böttiger, 08.01.1794, Fichtehttps://doi.org/10.1515/9783111239521-005
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rend der Vorlesungen 1794/95 sukzessive verfasste und bogenweise ausgegebene Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre bezeichnet Fichte selbst und mehrfach als „höchst unvollkommen“.² Von dem nie in Gänze veröffentlichten folgenden Ansatz, den er ab 1796 konzipiert, sagt Fichte dann, er habe die Wissenschaftslehre „ganz umgearbeitet; so als ob ich sie nie bearbeitet hätte, und von der alten nichts wüßte“³ – und 1801 schreibt er an Schelling, er habe „die W. L. einige male wieder, und von einigen Seiten her, neu erfunden“.⁴ Ähnliches ließe sich mutatis mutandis, und sogar verschärft, für die Systementwicklungen Schellings und auch Reinholds ausweisen. Diese Ungleichzeitigkeit der Systementwicklungen hat offenkundig erhebliche Auswirkungen gerade auf die Wechselwirkungen zwischen den Protagonisten. Oft genug nämlich beziehen diese sich auf ein ihnen gedruckt vorliegendes Werk des jeweiligen Gesprächspartners, der aber seinerseits schon den ‚nächsten Schritt‘ vollzogen und vor Augen hat, was notwendig zu Diskontinuitäten und Missverständnissen führt. Dies zeigt wiederum exemplarisch der briefliche Disput zwischen Fichte und Schelling um 1800, in dem fast durchweg von Positionen her argumentiert wird, die der jeweils andere noch gar nicht kennen kann.⁵ Kurzum: Die Gesprächspartner sind oft genug hinter dem aktuellen Standpunkt des jeweils anderen zurück – und umgekehrt selbst über die dem anderen bekannte eigene Position bereits hinaus. Die folgenden Ausführungen haben zum Ziel, diese ‚Ungleichzeitigkeit der idealistischen Systementwicklungen‘ in einer exemplarischen Fallstudie zu entwi-
AA III/2.33. Vgl. zu den Hintergründen das „Vorwort“ in Fichte-AA I/2.98 f., zum Folgenden auch das „Vorwort“ in Fichte-AA I/2.177–188. Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2.252, beinahe wortgleich auch noch 1797 anlässlich Reinholds ‚Wechsel‘ zur Wissenschaftslehre (Fichte an Reinhold, 21.03.1797, Fichte-AA III/3.57). Vgl. auch bereits die (offenkundig von Fichte stammende) Verlagsankündigung am 1. Oktober 1794, zitiert in Fichte-AA I/2.183. Fichte an Reinhold, 21.03.1797, Fichte-AA III/3.57 f. Fichte an Schelling, 07.08.1801, Schelling-AA III/2.371. Vgl. z. B. Fichtes mehrfachen Verweis auf seine um 1800 abermals neu entstehende Fassung der Wissenschaftslehre und das dort zu formulierende „System des Intelligiblen“ (Fichte an Schelling, 27.12.1800, Schelling-AA III/2.288) respektive die „Synthesis der GeisterWelt“ (Fichte an Schelling, 31.05.1801, Schelling-AA III/2.365), was nach Schelling aber gegenüber Fichtes früherer Position „die ganze Sache Ihrer Philosophie um ein Beträchtliches […] verändert“ (Schelling an Fichte, 03.10.1801, Schelling-AA III/2.375). Vgl. umgekehrt etwa Schellings ausdrückliche Abweichung von seinen zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Druckschriften, wenn er zum strittigen Verhältnis von Natur- und Transzendentalphilosophie äußert: „Jetzt aber, wie Sie wohl sehen, betrachte ich Natur- und Transscendentalphilosophie nicht mehr als entgegengesetzte Wissenschaften, sondern nur als entgegengesetzte Theile eines und desselben Ganzen, nämlich des Systems der Philosophie“ (Schelling an Fichte, 19.11.1800, Schelling-AA III/2.280 f.).
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ckeln, nämlich im Blick auf Reinholds ‚Wechsel zur Wissenschaftslehre‘ 1797⁶ und die an diesem Wechsel geäußerte Kritik Fichtes und Schellings. In historischer Hinsicht soll dabei gezeigt werden, dass Fichte wie auch Schelling Reinholds Verständnis der Wissenschaftslehre von einer fortentwickelten Position her kritisieren, die Reinhold noch gar nicht vor Augen stand. Was dabei in systematischer Hinsicht auf dem Spiel steht, ist die für die Wechselwirkungen der frühen Klassischen deutschen Philosophie entscheidende Frage, wie genau das grundlegende Prinzip aller Wissenschaft zu bestimmen ist – und näher, ob dieses Prinzip als reine Identität oder vielmehr als in sich differenzierte Duplizität und Wechselwirkung zu fassen sei. Diese anvisierte Entfaltung der Konstellation um 1797 im Dreieck zwischen Reinhold, Fichte und Schelling bedarf offenkundig eines horizontbildenden Vorlaufs. Demgemäß wird der erste Teil zunächst Grundlinien der frühen Bestimmung des ersten Prinzips aller Philosophie um 1794/95 nachzeichnen, soweit dies zum Verständnis des Folgenden notwendig ist (1). Von dort aus widmet sich der zweite Teil dann der komplexen Relation zwischen Reinhold, Fichte und Schelling um 1797 (2).
1 Der Grundsatz und die Identität – Reinhold, Fichte und Schelling 1794/95 Der zentrale Streitpunkt in den Debatten Mitte der 1790er Jahre liegt in der Frage, wie genau und von welchem Ausgangspunkt her ein umfassendes System der Vernunft respektive des Wissens zu konstituieren ist. Dabei kommt offenkundig alles auf den Status und die innere Struktur des systembegründenden Prinzips an – und eben diese Frage wird auch noch die Diskussion um Reinholds ‚Wechsel zur Wissenschaftslehre‘ 1797 bestimmen. Die Ausgangslage der Debatten lässt sich im Blick auf das systematische Kernproblem von Fichtes frühesten Schriften zur Wissenschaftslehre aus dem Jahr 1794 her skizzieren, also vor allem anhand der programmatischen Begriffsschrift und dem Grundsatz-Teil der Grundlage. Grob umrissen zeigt sich dabei die Streitsache im Sinne eines dreifachen Gefüges:⁷
Vgl. dazu insgesamt die Beiträge in Bondeli/Imhof (2020), an die die folgenden Überlegungen anschließen, vgl. auch bereits die ausführliche Darstellung der Hintergründe und Zusammenhänge in Bondeli (1995) 155–258. Vgl. zu den folgenden Ausführungen im Detail Schwab (2017) 266–274 und Schwab (2021) 94–107, zu den Hintergründen von Fichtes frühem Versuch einer ‚Überbietung‘ Reinholds in den Eignen Meditationen über ElementarPhilosophie auch Schwab (2020).
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1. Philosophie als Wissenschaft, als umfassendes System, ist nur aus einem einzigen ersten Prinzip oder obersten Grundsatz möglich, und aus diesem Grundsatz ist jeder weitere Satz der Philosophie bzw. Wissenschaftslehre abzuleiten. So formuliert dies Fichte recht eindeutig in der Begriffsschrift,⁸ und soweit stimmt Fichte auch noch mit Reinhold überein.⁹ 2. Dieser Grundsatz ist aber für Fichte noch nicht in Reinholds ‚Satz des Bewusstseins‘ gegeben.¹⁰ Reinhold erhob bekanntlich als erster die Forderung, die Kantische Philosophie bedürfe eines gesicherten Fundaments, um wahrhaft Wissenschaft zu werden. Sein Vorschlag für dieses Fundament, mithin für das oberste Prinzip aller Philosophie, ist eben der ‚Satz des Bewusstseins‘, der das ‚Grundgeschehen‘ in allem Wissen zum Ausdruck und auf den Punkt bringen soll. Dieser Satz besagt, gemäß einer seiner Fassungen in der Fundament-Schrift, „daß die Vorstellung im Bewußtseyn durch das Subjekt vom Objekt und Subjekt unterschieden und auf beyde bezogen werde.“¹¹ Offenkundig handelt es sich dabei um ein durchaus voraussetzungsreiches Gefüge aus mehreren, in sich ihrerseits erläuterungsbedürftigen Elementen – und eben daran hat sich die zeitgenössische Kritik auch entzündet, wirkmächtig insbesondere in G. E. Schulzes Aenesidemus. ¹² Fichte stimmt bekanntlich den Einwänden gegen diesen Satz mindestens zum Teil zu, wie die Anfang 1794 erschienene ‚Aenesidemus-Rezension‘ zeigt.¹³ Um nun aber dennoch das Projekt prinzipientheoretischer Erstbegründung zu retten, deutet Fichte schon in der Rezension auf die Notwendigkeit eines „aufzuforschenden höhern Grundsatz[es]“ hin – und zugleich benennt er hier bereits die zentrale Strukturbestimmung, die diesen nun allerhöchsten Grundsatz konstituieren soll, wird er doch anzeigend eingeführt im Sinne einer „reale[n] Gültigkeit des Satzes der Identität“.¹⁴ Gerade die Bestimmung der Identität, also der reinen Sichselbstgleichheit im höheren Grund-
Vgl. Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2.112–116. Vgl. Fichte an Reinhold, 01.03.1794, Fichte-AA III/2.78: „Ich stimme mit dem, was Sie daselbst [in der Fundamentschrift, PS] über das allgemeine Verfahren bei der philosophischen Reflexion, über die Erforderniße einer Philosophie überhaupt, und insbesondre ihres ersten Grundsatzes sagen, so sehr überein, daß ich nachweisen könnte, ohngefähr das gleiche, noch ehe ich Ihre Schrift gelesen hatte, niedergeschrieben zu haben.“ Vgl., im direkten Anschluss an das Zitat der vorigen Anmerkung, Fichte an Reinhold, 01.03.1794, Fichte-AA III/2.78: „Um desto unerklärbarer ist mir es bis jetzo, woran es liegen möge, daß ich dem Satze des Bewußtseyn’s – (dem Ihrigen –) die Merkmale eines ersten Grundsatzes, über die wir völlig einig sind, nicht zuerkennen kann. Nach mir ist er ein Lehrsaz, der durch höhere Sätze bewiesen, und bestimmt wird.“ Fundament, 78, RGS 4.50. Vgl. zu den verschiedenen Fassungen des Satzes Bondeli (1994) 56–58. Vgl. zu diesen Zusammenhängen Breazeale (2016). Vgl. bes. Rez. Aenesidemus, Fichte-AA I/2.44 und zur Diskussion Schwab (2020) 51 f. Rez. Aenesidemus, Fichte-AA I/2.44 (Herv. v. Verf.).
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satz, soll die Schwierigkeiten im ‚Satz des Bewusstseins‘ vermeiden, die Fichte aus der Kritik aufnimmt, namentlich die Unklarheit und Begründungsbedürftigkeit der Bestimmungen von ‚Unterscheiden‘ und ‚Beziehen‘ (zwischen Subjekt, Objekt und Vorstellung). Mit anderen Worten: Gerade die Identität im Prinzip soll die Eindeutigkeit, Einheit und Geschlossenheit des Prinzips und zugleich damit des Ableitungsgefüges und des Systems garantieren. 3. Diese Identität weist Fichte bekanntlich in seinem Prinzip des absoluten Ich aus – andeutungsweise bereits, wie zitiert, in der‚Aenesidemus-Rezension‘ und auch in §§ 2 und 6 der Begriffsschrift,¹⁵ nachdrücklich dann in § 1 der Grundlage. Auf Basis der zentralen Partien zur Formulierung des obersten Grundsatzes kann das absolute Ich im Ganzen vierfach als Identität gefasst werden:¹⁶ Das Ich ist zunächst 1) als Ich überhaupt Identität von Subjekt und Objekt, nämlich als reines, unmittelbares Fürsichsein, oder es ist ‚Subjekt-Objekt‘. Das Ich ist sodann 2) Identität von Form und Gehalt, denn der Gehalt ‚reines Selbstbewusstsein‘ ist eben als SubjektObjekt unmittelbar der Form nach Identität. Das Ich ist weiterhin 3) Identität von Sein und Denken, ist doch beides im Ich irreduzibel: Unmittelbar indem ich bin (als ich), denke ich mich, und unmittelbar indem ich mich denke, bin ich. Schließlich ist das Ich, in Fichtes prominenter Terminologie der Tathandlung, 4) Identität von Sein und Setzen – sein Sein ist sein sich-Setzen und umgekehrt. Selbstredend bezeichnet diese vierfache Identität dabei kein in sich komplexes Gebilde, vielmehr ist die eine und einzige Identität das wesentliche Strukturmerkmal des Ich – und nur durch nachfolgende Reflexion ist sie in verschiedenen Hinsichten zu entfalten. Ist das Systemprinzip aber einmal mit diesem Fokus auf der Identitätsbestimmung ergriffen, so zeigt sich ein zentrales sachliches Problem, das als prinzipientheoretische Aporie ausgewiesen werden kann:¹⁷ Einerseits soll die reine Identität des absoluten Ich als Subjekt-Objekt die Evidenz und Immanenz des Systemprinzips wie auch die Einheit und Geschlossenheit des Systems, also des Ableitungsgefüges sichern. Andererseits aber ist es gerade angesichts dieser reinen Identität höchst fraglich, wie aus dem konstituierenden Prinzip überhaupt irgendein anderer Satz, und das heißt strukturell: wie aus der reinen Identität überhaupt Differenz abzuleiten sein soll – ohne diese Identität einfach wieder aufzuheben. Damit ist das Problem von Identität und Differenz benannt, das die idealistischen Debatten weithin prägt, besonders auch ab 1801 die Auseinandersetzung zwischen Schelling und Hegel. Vgl. Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2.120 f. u. 139 f. Vgl. Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2.259–261. Vgl. zur Entfaltung dieser vierfachen Identität im Blick auf die entsprechenden Textstellen im Einzelnen Schwab (2021) 104 f. Vgl. Schwab (2017) 264 f.
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Fichte löst dieses Problem 1794 bekanntlich zunächst mit dem zweiten und dritten Grundsatz als sozusagen ‚teilweise‘ unbedingten Sätzen – der Entgegensetzung des Nicht-Ich und der damit gleichursprünglichen Teilbarsetzung von Ich und Nicht-Ich.¹⁸ Daraus ergeben sich aber mindestens zwei Grundfragen, die auch die folgenden Diskussionen bestimmen werden: Einerseits ist kaum erläutert, warum und wie überhaupt der zweite Akt der Entgegensetzung notwendig, und sogar wie er möglich ist. Unmittelbar in der geschlossenen Immanenz-Struktur des schlechthin fürsichseienden Ich ist für einen ‚Übergang‘ zunächst keine Notwendigkeit auszumachen, ja nicht einmal die Möglichkeit eines solchen Übergangs. Zugleich mit diesem ‚Übergangsproblem‘ zeigt sich andererseits ein ‚Vermittlungsproblem‘, und zwar als erhebliche Spannung im abschließend erreichten Grundgefüge der drei Grundsätze als Thesis, Antithesis und Synthesis. Es fragt sich nämlich, wie die sozusagen ‚untere‘ Ebene des Gefüges, das beschränkbare Ich und das beschränkbare Nicht-Ich in quantitativer Differenz, mit der ‚oberen‘ Ebene, der „absolute[n] Thesis“ des unbeschränkten Ich, überhaupt vereinbar sein soll – hebt doch Fichte noch im dritten Grundsatz hervor, das absolute Ich werde „keinem andern gleich und keinem andern entgegengesezt, sondern bloß schlechthin gesezt“.¹⁹ Diese Spannungen ergeben sich keineswegs bloß aus einem äußerlichen Blick. Bemerkenswerterweise ist es Fichte selbst, der das zentrale Übergangsproblem vom ersten zum zweiten Grundsatz in aller Klarheit fasst. In einem Brief eben an Reinhold vom 2. Juli 1795 bestimmt nämlich Fichte die „Hauptfrage“ der Wissenschaftslehre folgendermaßen: „Wenn das Ich ursprünglich nur sich selbst sezt, wie kommt es denn dazu, noch etwas anderes zu setzen, als ihm entgegengesezt? aus sich selbst herauszugehen?“²⁰ Nun ist aber diese ‚Hauptfrage‘ dem – wohlgemerkt 1794 zunächst separat gedruckten – Grundsatzteil der Grundlage kaum als solche
Vgl. bes. Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2.266 f. u. 270 f., zur detaillierten Entfaltung Schwab (2021) 105–107. Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2.276. Fichte an Reinhold, 02.07.1795, Fichte-AA III/2.345. Die Formulierung dieses Problems lehnt sich offenkundig an Schellings Schrift Vom Ich als Princip an, die Fichte im selben Brief auch zustimmend erwähnt (s.u.). Dort heißt es, und zwar gerade in einer kritischen Kommentierung Reinholds: „Auch der Verfasser der Kritik der reinen Vernunft wußte bey seiner Absicht, endlich den Streit der Philosophen nicht nur, sondern sogar der Philosophie selbst zu schlichten, nichts eher zu thun, als den eigentlichen Streitpunkt, der ihm zu Grunde lag, in einer allesbefassenden Frage zu bestimmen, die er so ausdrückte: wie sind synthetische Urteile a priori möglich? Es wird sich im Verlauf dieser Untersuchung zeigen, daß diese Frage in ihrer höchsten Abstraktion vorgestellt keine andere, als diese ist, wie kommt das absolute Ich dazu, aus sich selbst herauszugehen, und sich ein Nicht-Ich schlechthin entgegenzusezen?“ (Vom Ich als Princip, Schelling-AA I/2.99.) Es wird sich allerdings in der Folge zeigen, dass Fichte das hier gefasste Sachproblem schon vor Schelling klar adressiert, namentlich in § 5 der Grundlage.
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abzulesen. Fichte macht dort keineswegs explizit auf Spannungen zwischen den verschiedenen Ebenen des Grundsatzgefüges aufmerksam. Er konstatiert vielmehr abschließend, und offenkundig mit dem systematischen Ergebnis zufrieden, die Lösung seiner Aufgabe: „Und so sind denn alle Gegensätze vereinigt, unbeschadet der Einheit des Bewußtseyns; und dies ist gleichsam die Probe, daß der aufgestellte Begriff der richtige war“.²¹ Diese ausbleibende Problemanzeige ist es nun, die für die eingangs benannte ‚Ungleichzeitigkeit‘ der idealistischen Systementwicklungen von wesentlicher Bedeutung ist. Der frühe Schelling und auch Reinhold orientieren sich nämlich offenkundig vornehmlich an der genannten ‚Aenesidemus-Rezension‘ und dem Programm der Begriffsschrift mit ihrer Emphase auf dem einen, einzigen Grundsatz und dessen Bestimmung als Identität. Sie verstehen vor diesem Hintergrund offenbar die Aufstellung der drei Grundsätze in §§ 1–3 der Grundlage als abgeschlossenes und sozusagen ‚unantastbares‘ Fundament, gleichsam als konstitutive ‚Grundlage‘ der Grundlage. Das zeigt sich deutlich insbesondere in den frühsten beiden Schriften Schellings. Die 1794 noch im Tübinger Stift verfasste kleine Schrift Ueber die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt beginnt mit deutlichem Verweis auf Fichtes Begriffsschrift und die ‚Aenesidemus-Rezension‘, gerade im Blick auf die Erfordernis „tiefere[r] Fundamente“ gegenüber der Grundlegung in Reinholds Elementarphilosophie.²² Von dort aus entwickelt Schelling seinerseits ein Gefüge von drei Sätzen, die in der Orientierung an den Leitbegriffen von Ich und Nicht-Ich denen Fichtes wenigstens sehr nahe kommen.²³ Die folgende Schrift Vom Ich als Princip von 1795 nennt zwar Fichte nicht mehr, aber auch hier wird das titelgebende Prinzip des ‚absoluten Ich‘ gegen den noch unvollendeten Kritizismus Reinholds gestellt.²⁴ Fichte selbst hat jedenfalls – im bereits zitierten Brief an Reinhold von 1795 – Schellings Schrift Vom Ich als eine erfreuliche „Erscheinung“ begrüßt, und zwar mit dem Zusatz, sie sei „ganz Commentar der meinigen“, habe aber „die Sache treflich gefaßt“.²⁵ Auch Reinhold wird noch 1797 in seinem ‚Wechsel zur Wissenschaftslehre‘ sagen, der „einzig gelungene Versuch“ zur Aufstellung der wissenschaftlichen Form der reinen Philosophie sei derjenige, „den Herr Fichte, und entweder nach ihm oder zugleich mit ihm Herr Schelling, aufgestellt haben“²⁶ – und entsprechend bezeichnet
Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2.271. Ueber die Möglichkeit einer Form, Schelling-AA I/1.266 f. Vgl. ebd. 279–285. Schelling bezieht sich hierbei offenkundig allein auf die Anzeige der drei Sätze in § 8 der Begriffsschrift. Vgl. zu Reinhold Vom Ich als Princip, Schelling-AA I/2.98 f. Fichte an Reinhold, 02.07.1795, Fichte-AA III/2.347 f. Vermischte Schriften II, 338, 334 f., RGS 5/2.132, 130.
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er in seiner Rezension zur Wissenschaftslehre, die Januar 1798 erscheint, Schelling als „den andern Urheber […] des reinen Idealismus“.²⁷ Gewiss kommt Schelling von anderen Hintergründen her und verfolgt auch andere Ziele als Fichte – was dann auch kurz darauf in divergierenden Positionen sichtbar werden wird.²⁸ Gerade Schellings erste beiden Schriften zeigen aber in der Tat ein hohes Maß wenigstens an struktureller Übereinstimmung mit Fichtes Ansatz, wobei Schelling den Aspekt der Identität im ersten Prinzip sogar noch deutlicher akzentuiert als Fichte in der Grundlage. In Vom Ich widmet Schelling beispielsweise der Identität in § 7 einen eigenen Abschnitt und bestimmt hier die „Urform des Ichs“ als „reine Identität“: Ist das Ich sich nicht selbst gleich, ist seine Urform nicht die Form reiner Identität, so ist eben dadurch wieder alles aufgehoben, was wir bißher gewonnen zu haben schienen. Denn das Ich ist, nur weil es ist. Wäre es also nicht reine Identität, d. h. schlechthin nur das, was es ist, so könnte es auch nicht durch sich selbst gesezt seyn, d. h. es könnte seyn, auch, weil es das ist, was es nicht ist. Das Ich aber ist entweder gar nicht, oder nur durch sich selbst. Also muß die Urform des Ichs reine Identität seyn.²⁹
Dabei hält sich Schelling offenbar noch ganz in dem Umkreis, der durch die ‚Aenesidemus-Rezension‘, die Begriffsschrift sowie die Grundsätze und allenfalls den Anfang des theoretischen Teils der Grundlage eingefasst ist.³⁰ Dass Schelling in der Tat zunächst allein diese Texte im Blick hatte, wird in der Ziel-Konstellation dieser Untersuchung sichtbar – aus dem Hintergrund des ‚Streits um die Wissenschaftslehre‘ 1797.
Rez. Fichte, 69, Fuchs (1995) 322. Vgl. zur Diskussion bes. Lauth (1975) 9–55, Hühn (1994) 19–105, Schäfer (2012). Vom Ich als Princip, Schelling-AA I/2.101 f. So findet sich in der Ichschrift eine Formulierung zum Verhältnis von theoretischer und praktischer Philosophie, die Wendungen bei Fichte sehr nahekommt – allerdings noch aus den Erläuterungen zu Beginn des theoretischen Teils.Vgl. die Rede von einem Fortschreiten „von Synthesis zu Synthesis“ in der theoretischen Philosophie, auf die dann die „praktische eintritt, um den Knoten zwar nicht zu lösen, aber durch absolute Forderungen zu zerhauen“ (Vom Ich als Princip, SchellingAA I/2.100), was sich verwandt bereits bei Fichte findet, der im Vorblick auf das ‚Sollen‘ schreibt, dass durch dieses der „Knoten zwar nicht gelöʼst, aber zerschnitten würde“ (Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2.301, vgl. auch ebd. 275).
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2 Selbstbeschränkung und Wechselwirkung – Reinholds ‚Wechsel‘ 1797 und die Kritik Fichtes und Schellings Um im Horizont der eingangs benannten ‚Ungleichzeitigkeit der Systementwicklungen‘ den Zugang zur Konstellation um Reinholds ‚Wechsel zur Wissenschaftslehre‘ 1797 zu nehmen, bietet es sich an, zunächst Schellings Kenntnisnahme von Fichtes Wissenschaftslehre weiter zu verfolgen. Diese erhellt aus dem Briefwechsel der Jahre 1796/97. Schelling war 1796 von Niethammer gebeten worden, eine Rezension zu Fichtes Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre für das Philosophische Journal einer Gesellschaft Teutscher Gelehrter zu liefern.³¹ Zwar wird Schelling dieses Vorhaben nicht realisieren, er nimmt es aber zunächst an, und auch die dann stattdessen ausgeführte, weiter gefasste Durchsprache von Neuerscheinungen mit dem Titel Allgemeine Uebersicht der neuesten philosophischen Literatur bietet eine eingehende Auseinandersetzung mit Fichtes Ansatz, ja sie zentriert im Grunde in diesem. Dass dies auch Schellings eigener Auffassung entspricht, zeigt sich darin, dass er 1809 bei Wiederaufnahme des Textes in den ersten Band seiner Philosophischen Schriften – also noch lange nach dem harten Bruch mit Fichte – die Allgemeine Uebersicht umbenennt in: Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre. Wesentlich für das Folgende und die ‚Ungleichzeitigkeit‘ der Systementwicklungen ist es dabei, wie Schelling 1796 auf die Anfrage Niethammers hin seinen Kenntnisstand von Fichtes Grundlage angibt. Schelling führt nämlich aus, er nehme deren Rezension mit „desto größerem Vergnügen“ an, als er „selbst bisher nicht Zeit genug gehabt habe, diß Werk eigentlich zu studiren“, und den „praktischen Teil derselben“ habe er „bis jezt noch nicht einmal gelesen“ – und obschon er „den Geist derselben im Allgemeinen gefaßt zu haben“ glaube, sei er doch „mit dem Detail und dem Buchstaben der Wißenschaftslehre bis jezt sehr wenig bekannt“.³² Insbesondere den praktischen Teil der Grundlage kennt Schelling also bislang nicht – er wird ihn sich aber nun intensiv aneignen. Sachlich ist dies insofern entscheidend, als der im Winter 1794/95 vorgetragene und erst mit deutlicher Verzögerung erschienene praktische Teil der Grundlage, namentlich deren § 5, in systematisch signifikanter Weise von dem oben skizzierten Gefüge der drei Grundsätze abweicht – und zwar gerade im Blick auf die Identi-
Vgl. zu den im Folgenden aufgerufenen Hintergründen den „Editorischen Bericht“ in SchellingAA I/4.19–40. Schelling an Niethammer, 22.01.1796, Schelling-AA III/1.40.
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tätsbestimmung des absoluten Ich und das angezeigte Grundlegungs- bzw. Ableitungsproblem. Fichte erläutert hier nämlich nicht allein den praktischen Kernbegriff des Strebens, vielmehr setzt er im Grunde nochmals ganz neu an und meint, erst vom Standpunkt des Praktischen aus gleichsam rückblickend den „wahren Sinn“‘ des ersten und zweiten Grundsatzes erhellen zu können.³³ Dieser Einsatz ist allerdings schwerlich als Erfüllung des in den Grundsätzen unmittelbar schon Angelegten, sondern doch als systematisch weit reichende Modifikation von Fichtes Ansatz zu lesen – und zwar eben im Sinne einer Klärung der zitierten ‚Hauptfrage‘, wie denn überhaupt eine Entgegensetzung angesichts der reinen Selbstsetzung des Ich möglich sein soll. Die damit einhergehende Modifikation des Ich aus § 1 der Grundlage erscheint nicht nur als dort nicht antizipiert, sondern mit der initialen Figuration des Ich geradezu im Widerspruch zu stehen.³⁴ Dabei präsentiert der komplexe und verschachtelte Gedankengang von § 5 der Grundlage allerdings nicht einfach eine Absage an den ersten Grundsatz, sondern zeigt sich vielmehr als hochgradig ambivalent, sofern Fichte einerseits an der Identität des Ich aus § 1 festhalten will, diese aber andererseits doch auch aufzubrechen sucht, um sozusagen ‚Raum‘ für die Entgegensetzung des Nicht-Ich zu schaffen.³⁵ Diese Ambivalenz kulminiert dann in einer zentralen Passage aus dem Beginn des sogenannten ‚genetischen Beweises‘: Es ist völlig klar, daß das Ich, inwiefern es sich selbst schlechthin sezt, inwiefern es ist, wie es sich sezt, und sich sezt, wie es ist, schlechterdings sich selbst gleich seyn müsse, und daß insofern in ihm gar nichts Verschiednes vorkommen könne; und daraus folgt denn freilich sogleich, daß wenn etwas Verschiednes in ihm vorkommen solle, dasselbe durch ein Nicht-Ich gesezt seyn müsse. Soll aber das Nicht-Ich überhaupt etwas im Ich setzen können, so muß die Bedingung der Möglichkeit eines solchen fremden Einflusses im Ich selbst, im absoluten Ich, vor aller wirklichen fremden Einwirkung vorher gegründet seyn; das Ich muß ursprünglich, und schlechthin in sich die Möglichkeit setzen, daß etwas auf dasselbe einwirke; es muss sich, unbeschadet seines absoluten Setzens durch sich selbst, für ein anderes Setzen gleichsam offen erhalten. Demnach müßte schon ursprünglich im Ich selbst eine Verschiedenheit seyn, wenn jemals eine darein kommen sollte; und zwar müsste diese Verschiedenheit im absoluten Ich, als solchem, gegründet seyn.³⁶
Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2.390. Diese abgesetzte Erläuterung betrifft zunächst den zweiten Grundsatz; eine parallele Formulierung findet sich dann am Ende des Paragraphen bezüglich des ersten Grundsatzes, dessen „Sinn“ gleichfalls erst an dieser Stelle „völlig klar“ werde (ebd. 409). Vgl. hierzu und zum Folgenden Waibel (2000) 49–67, Schwab (2021), Spoo (2023). Für eine Interpretation, die auf die Kompatibilität des Ich-Begriffs in § 1 und § 5 zielt, vgl. den Kommentar in Class/Soller (2004) 399–401. Vgl. im Detail die Rekonstruktion in Schwab (2021). Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2.405.
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Das ist offenkundig hochgradig spannungsreich: Einerseits soll die Identität des Ich gewahrt bleiben, andererseits aber muss sich doch eine Differenz in der Identität des Ich aufzeigen lassen – was aber gemäß der Bestimmung von § 1 doch eigentlich ausgeschlossen ist. Fichtes Lösungsversuch besteht dann – verkürzend angezeigt – darin, im Ich eine Doppelbewegung auszuweisen, nämlich als eine nach innen, in sich zurückgehende „centripetale“ Bewegung und als eine nach außen gehende, „centrifugale“ Bewegung oder„Richtung“.³⁷ Damit ist aber die Identität des Ich eben nicht mehr reine unmittelbare Identität, sondern in sich reflektierte Doppelbewegung, ja Widerstreit beider Richtungen. Die reine Identität des ersten Grundsatzes ist preisgegeben – zugunsten einer ausdifferenzierten Struktur der Duplizität im Ich, die in der Tat den ‚Übergang‘ zum Nicht-Ich weniger hiatisch erscheinen lässt. Dabei steht das Ich nun nicht allein in einer irreduziblen Beziehung mit einem von außen auf es ergehenden „Anstoß“,³⁸ der die nach außen gehende Bewegung ermöglicht, so wie umgekehrt zugleich jener erst durch diese ermöglicht ist. Vielmehr steht das nun in sich reflektierte Ich, wie Fichte ausführt, „als Ich, ursprünglich in Wechselwirkung mit sich selbst; und dadurch erst wird ein Einfluß von aussen in dasselbe möglich.“³⁹ Dies ist also der Standpunkt, den Schelling sich um 1797 aneignet. Bestärkt kann er sich dabei durch Fichtes Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre sehen, der parallel zu Schellings Allgemeiner Uebersicht erscheint, teilweise direkt davor oder danach in denselben Heften des Philosophischen Journals. ⁴⁰ Dieser Versuch ist zwar in seinen zwei Einleitungen vornehmlich erläuternd-propädeutischen Charakters, nimmt dabei aber von Beginn an die benannten Strukturelemente aus § 5 in seinen systematischen Grundansatz auf. So betont etwa Fichte schon in der „Ersten Einleitung“ des Versuchs, das Ich sei seinem Wesen nach „synthetisch“, in ihm bestehe eine „doppelte Reihe, des Seyns, und des Zusehens, des Reellen, und des Idealen“⁴¹ – das Ich ist mithin nicht mehr, wie in § 1 der Grundlage doch ganz unzweideutig, eben thetisch. ⁴²
Ebd. 406 Ebd. 408. Ebd. 409. Dieses Motiv pointiert Fichte zum Abschluss des Paragraphen mehrfach. Vgl. bes. ebd. 411 f.: „Der lezte Grund aller Wirklichkeit für das Ich ist demnach nach der Wissenschaftslehre eine ursprüngliche Wechselwirkung zwischen dem Ich, und irgend einem Etwas ausser demselben, von welchem sich weiter nichts sagen läßt, als daß es dem Ich völlig entgegengesezt seyn muss“ – aber letztlich ist „jene Wechselwirkung zwischen dem Ich und Nicht-Ich […] zugleich eine Wechselwirkung des Ich mit sich selbst.“ Vgl. zur ursprünglichen Reihenfolge der beiden Texte in den sukzessive erscheinenden Heften das „Vorwort“ in Fichte-AA I/4.169 und den „Editorischen Bericht“ in Schelling-AA I/4.3. Versuch einer neuen Darstellung, Fichte-AA I/4.196 (Herv. v. Verf.).
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Von hier aus lässt sich nun konkret die eingangs benannte Ungleichzeitigkeit einholen: Fichte wie auch Schelling kommentieren nämlich ausgehend von dieser ausdifferenzierten Struktur des Ich, die 1797 gleich zu Beginn in den Systemansatz eingetragen wird, Reinholds Aneignung der Wissenschaftslehre – der aber seinerseits mit diesem Neueinsatz noch gar nicht intensiv vertraut sein konnte. Insbesondere Fichtes und Schellings ‚Parallelaktion‘ im Philosophischen Journal liegt im Wesentlichen nach Reinholds ‚Wechsel‘: Das erste entsprechende Heft des Journals erscheint etwa Ende Februar 1797,⁴³ Reinhold teilt aber bereits am 14. Februar 1797 Fichte brieflich seine ‚Konversion‘ zur Wissenschaftslehre mit,⁴⁴ und der sicher zuletzt geschriebene „Vorbericht“ der Vermischten Schriften II ist auf den „25. Merz, 1797“ datiert.⁴⁵ Zudem scheint Reinhold auch den praktischen Teil der Grundlage und den zentralen § 5 nicht eingehender studiert zu haben, jedenfalls finden sich in seinen entsprechenden Texten keine eindeutigen Spuren.⁴⁶ Vielmehr beschränkt sich Reinhold in seiner Darstellung des nun von ihm ergriffenen Standpunkts der Wissenschaftslehre 1797 darauf, recht knapp die drei Grundsätze und die basale Herleitung des theoretischen und des praktischen Teils anzuzeigen.⁴⁷ Dabei hat Reinhold offenkundig noch die Grundlegungsdebatten aus der Phase von 1794/95 vor Augen: Er fokussiert deutlich auf den ersten Grundsatz des Ich und ist insbesondere um den Nachweis bemüht, dass dieser gegenüber Kant, aber besonders
Vgl. die nachdrückliche Charakterisierung des absoluten Ich als „absolute Thesis“, gerade in Abgrenzung zur antithetisch-synthetischen Doppelbestimmung des zweiten und dritten Grundsatzes, in Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2.276. Dieses Datum bezieht sich allerdings auf einen fehlerhaften Erstdruck des hier relevanten Heftes, der zurückgezogen wird; am 21. März berichtet Fichte dann Reinhold, der „Umdruck“ sei „morgen“ abgeschlossen (Fichte an Reinhold, 21.03.1797, Fichte-AA III/3.58). Vgl. insgesamt das „Vorwort“ in Fichte-AA I/4.169 f. und den „Editorischen Bericht“ in Schelling-AA I/4.5 f. Vgl. Reinhold an Fichte, 14.02.1797, Fichte-AA III/3.48–51. Vgl. Vermischte Schriften II, XII, RGS 5/2.5.Vgl. zur Datierung auch die „Einleitung“ in RGS 5/2.VIII– XI. Das Fehlen einer eingehenden Auseinandersetzung mit dem praktischen Teil von Fichtes Grundlage bei Reinhold wird in der Forschung einhellig konstatiert, wohl erstmals bei Adam (1930) 73 f., vgl. bes. Radrizzani (2003) 248 f., Breazeale (2020) 43 f. und insgesamt Fabbianelli (2020). Dabei entspricht Reinholds sehr kurze Angabe zum Ansatzpunkt des Praktischen zum Teil wörtlich Fichtes „Hypothetischer Einteilung der Wissenschaftslehre“ in § 8 der Begriffsschrift, wo es heißt, der „als nothwendig zu erweisende Begriff des Strebens“ werde „dem zweiten Theile der Wissenschaftslehre zum Grunde gelegt, welcher der Praktische heißt“ (Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2.151). Vgl. die nur geringfügig modifizierte Formulierung in Vermischte Schriften II, 331, RGS 5/2.129.
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gegenüber seiner eigenen früheren Elementarphilosophie und der sogenannten ‚Standpunktlehre‘ Becks, eine überlegene Position bedeute.⁴⁸ Die Kritik Fichtes und Schellings richtet sich aber dann insbesondere auf Reinholds Auffassung des zweiten Grundsatzes – und sie betrifft damit genau die zitierte systematische ‚Hauptfrage‘, wie der Übergang zum Entgegensetzen des Nicht-Ich vom Ich aus denkbar sei. In diesem Sinne äußert Fichte nach der Lektüre der Vermischten Schriften II bereits brieflich im Juli 1797 gegenüber Reinhold die Vermutung, dass dieser„das Setzen des Nicht=Ich in der Wissenschaftslehre wohl zu absolut“ nehme.⁴⁹ Dies kann sich nur auf die Kennzeichnung der drei Grundsätze im 15. Abschnitt der erweiterten Preisschrift beziehen, in der Reinhold den ‚Anhänger der Wissenschaftslehre‘ sprechen lässt. Die Partien zum ersten und zweiten Grundsatz lauten hier, leicht gekürzt: Reine Vernunft ist absolute Thätigkeit. […] Sie setzt sich selbst. Sie ist in soferne zugleich Subjekt und Objekt ihrer Beschäftigung. Es ist dieses der Charakter des Ichs […]. Der Satz, der dieses absolute Setzen ausdrückt, stellt die ursprüngliche Thesis in der Form des Grundsatzes der Identität auf: Das Ich setzt das Ich, oder: das Ich setzt sich selber. […] Durch dieselbe absolute Thätigkeit, folglich schlechthin, wird das Nichtich als Nichtich gesetzt. Der Satz, der dieses ausdrückt, stellt die ursprüngliche Antithesis auf: Das Ich setzt sich selbst ein Nichtich entgegen; oder: durch das Ich wird das Nichtich schlechthin gesetzt. ⁵⁰
Vom Standpunkt der Grundsätze der Grundlage aus gesehen erscheint das als eine zwar mehr anzeigende denn wirklich ausführende, aber doch großteils unproblematische Wiedergabe. Auffällig ist allerdings, dass Reinhold die Darstellung des zweiten (und ebenso auch des dritten) Grundsatzes beginnt mit der Formulierung „Durch dieselbe absolute Thätigkeit“⁵¹ – so erscheint das in allen drei Grundsätzen Ausgesagte tendenziell als ein einziger absoluter Akt. Fichte hingegen hatte in § 2 der Grundlage ausdrücklich betont, das Entgegensetzen des zweiten Grundsatzes sei keineswegs aus der Selbstsetzung abzuleiten; es sei vielmehr eine zweite ursprüngliche und damit gesonderte, „durch keinen höhern Grund begründete
Gerade die Darstellung der Wissenschaftslehre selbst ist dabei bemerkenswert kurz, vgl. Vermischte Schriften II, 325–332, RGS 5/2.127–129. Fichte an Reinhold, 04.07.1797, Fichte-AA III/3.69. Fichte bezieht sich hier auch auf die Ausführungen eines nicht mehr erhaltenen Briefs von Reinhold. Vgl. zur Sachfrage eingehend Fabbianelli (2020), der diese Äußerung (ausgehend von der „Zweiten Einleitung“) ebenfalls auf die praktische Dimension der Wissenschaftslehre bezieht. Vermischte Schriften II, 326–328, RGS 5/2.127 f. Ebd. 328, RGS 5/2.128 (Herv. v. Verf.).
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Handlung“ des Ich.⁵² Insofern wäre Reinhold von der Perspektive der Grundsätze aus eher vorzuwerfen, dass er die Entgegensetzung des Nicht-Ich der Selbstsetzung des Ich allzu sehr annähere, also nicht absolut genug nehme. Fichtes Vorwurf lautet ja aber gerade umgekehrt, dass Reinhold das Entgegensetzen des Nicht-Ich zu absolut verstehe.⁵³ Der nähere Blick auf die Kritiken Fichtes und Schellings an Reinholds Präsentation der Wissenschaftslehre zeigt dann auch ganz deutlich, dass dort überhaupt nicht mehr auf Basis der drei Grundsätze von 1794 argumentiert wird, sondern eben ausgehend von den Modifikationen in § 5 und ihren Nachwirkungen. Zur Diskussion steht also die Frage, wie im Ich und von ihm her die Möglichkeit der Entgegensetzung des Nicht-Ich aufgewiesen werden kann – eine Frage, die aber, wie bemerkt, in den von Reinhold wiedergegebenen Grundsätzen der Grundlage noch gar nicht in den Blick kam. Fichtes ausgeführte Antwort an Reinhold findet sich in der kurz darauf erscheinenden „Zweiten Einleitung“ des Versuchs einer neuen Darstellung. Hier äußert er nun auch öffentlich die Vermutung, dass „Hr. Reinhold auf dasjenige, was das Setzen eines NichtIch bedingt, und wodurch allein es möglich wird, die Aufmerksamkeit nicht genug hinleitet“.⁵⁴ Werde dieser Zusammenhang aber nicht recht verstanden, so führe dies auf einen „bodenlosen transscendenten Idealismus, und eine unvollständige Philosophie“ – ein „Abweg“, auf dem „Reinhold die Wissen-
Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2.265. Dem entsprechen dann auch erläuternde Partien bei Reinhold, in denen er die ‚Ursprünglichkeit‘ aller drei Akte betont und abschließend ihre Ordnung – in enger Anlehnung an Fichtes Formulierungen – folgendermaßen präsentiert: „Jede derselben ist ursprünglich, nur mit dem Unterschied, daß von der Synthesis, die keine andere Synthesis voraussetzt, die ursprüngliche Antithesis, von dieser, die keine andere Antithesis voraussetzt, die ursprüngliche Thesis, die schlechterdings nichts anderes voraussetzt, vorausgesetzt wird“ (Vermischte Schriften II, 357, RGS 5/2.138. Vgl. zur Diskussion dieser ‚Ursprünglichkeit‘ auch Klemmt (1958) 538–541 und Fabbianelli (2020) 194. Betrachtet man den Vorwurf isoliert und allein im Blick auf die Grundsätze, so könnte dieser auch auf das Verhältnis des zweiten zum dritten Grundsatz bezogen werden. Fichte betont nämlich ausdrücklich, dass diese beiden gleichursprünglich sind, als Antithesis-Synthesis (und im Unterschied zur Thesis): Zugleich mit der Entgegensetzung muss die Teilbar-Setzung vollzogen werden – das ist gerade die Pointe der ‚Lösung‘ in § 3 (vgl. Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2.270 f.). Eine absolute Entgegensetzung nämlich würde die Einheit des Bewusstseins aufheben; der ‚Machtspruch der Vernunft‘ im dritten Grundsatz affiziert aber rückwirkend den zweiten Grundsatz und modifiziert ihn (nicht aber, wohlgemerkt, das absolute Ich): Es ‚gibt‘ also gar kein absolutes Nicht-Ich – das wäre gegenüber dem Ich „schlechthin Nichts“ (ebd. 271), wie Fichte schreibt) –, sondern eben nur ein teilbares Nicht-Ich. Versuch einer neuen Darstellung, Fichte-AA I/4.242. Fichte kündigt Reinhold diesen Text im eben zitierten Brief auch bereits als im Druck befindliche Antwort an, vgl. Fichte an Reinhold, 04.07.1797, Fichte-AA III/3.69.
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schaftsLehre […] zu vermuthen“ scheine.⁵⁵ Offenkundig lokalisiert Fichte hier also weiterhin die ‚Hauptfrage‘ seiner Philosophie. In der durchaus thetischen Erklärung operiert Fichte mit dem Begriff der Beschränkung, was im Wesentlichen der oben benannten reflexiven Doppelbewegung von zentripetaler und zentrifugaler Bewegung im Ich entspricht. Fichtes pointierte Sätze hierzu lauten: So gewiß ich mich setze, setze ich mich als ein Beschränktes; zufolge der Anschauung meines SelbstSetzens. Ich bin zufolge dieser Anschauung endlich. Diese meine Beschränktheit ist, da sie das Setzen meiner selbst durch mich selbst bedingt eine ursprüngliche Beschränktheit. […] Es ist, wie wir sehen, aus der Möglichkeit des Ich die Nothwendigkeit einer Beschränktheit desselben überhaupt abgeleitet worden.⁵⁶
Wie selbstverständlich wird hier offenkundig sogleich der Standpunkt von § 5 der Grundlage eingenommen. Im Rückgriff auf das oben Entwickelte lässt sich dies wie folgt auslegen: Das Ich ist unmittelbar reflektierte Doppelbewegung; seiner nach innen gehenden Bewegung der Selbstsetzung entspricht sogleich die nach außen gehende, reflexive Bewegung der Selbstbeschränkung – diese aber ist wiederum nicht möglich, ohne dass das Ich etwas außer sich setzt, oder eben sich entgegensetzt. Vor diesem Hintergrund wird Reinholds Darstellung der Wissenschaftslehre offenbar insofern kritisiert, als sie die Setzung eines Nicht-Ich nicht eng genug an das Selbstsetzen des Ich koppelt: Nur durch dessen in ihm selbst liegende Notwendigkeit einer Beschränkung öffne sich überhaupt der Raum für das Nicht-Ich als das Beschränkende und Bestimmende. Das aber war dem Grundgefüge der Grundsätze in ihrer Gestalt von 1794 gerade nicht zu entnehmen.⁵⁷ Es ist genau dieser Punkt Fichtes, an den auch Schelling in der etwa März 1798 erscheinenden IV. Abhandlung seiner Allgemeinen Uebersicht anknüpft.⁵⁸ Schelling zitiert Reinholds Formulierungen zum Setzen des Ich als ‚absolute Tätigkeit der Vernunft‘ und der ‚absoluten Antithesis‘ im Entgegensetzen des Nicht-Ich, bemerkt allerdings sodann in kritischer Absicht, dass daraus „für die Erklärung der Noth-
Versuch einer neuen Darstellung, Fichte-AA I/4.243. Ebd. 242. Tatsächlich findet sich eine Annäherung an diese Doppelbewegung in einer Partie von Reinholds Rezension der Schriften zur Wissenschaftslehre, die im Januar 1798 erscheint. Der entsprechende Passus zum absoluten Ich als „Selbstbestimmung“ und „absolute[s] Zurückgehen“ orientiert sich offenkundig am Versuch einer neuen Darstellung und nimmt so mindestens indirekt die Modifikationen von § 5 der Grundlage auf. Vgl. Rez. Fichte, 45–51, Fuchs (1995) 298–304. Darüber hinaus gibt Schelling hier auch eine kritische Diskussion von Reinholds Willensbegriff, vgl. dazu Stolzenberg (2004).
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wendigkeit unsrer objectiven Vorstellungen nichts gewonnen“ sei.⁵⁹ Die sich anschließende Erläuterung verlässt dann aber ganz offenkundig das Feld der bloßen Grundsätze und wechselt in den Horizont des Praktischen über: Denn jene Handlung des Entgegensetzens ist eine freie, mit Bewußtseyn begleitete, keine ursprüngliche, also auch keine nothwendige Handlung. Allerdings setzt das Ich das NichtIch sich entgegen, und indem es dies thut, wird es ebendamit praktisch, aber es kann dies nicht thun, also auch nicht praktisch werden, ohne das NichtIch, oder ohne sich selbst, als beschränkt durch das NichtIch vorauszusetzen. Das Gefühl dieses Beschränktseyns entsteht allerdings erst durch jene Handlung des Entgegensetzens, aber jenes Gefühl konnte nicht entstehen, wenn jene Beschränktheit nicht ursprünglich und real war.⁶⁰
Das entspricht offenbar abermals nicht mehr der Erläuterung des zweiten Grundsatzes in § 2 der Grundlage, wo ja die Entgegensetzung ausdrücklich als zweiter „ursprüngliche[r]“⁶¹ Akt des Ich bezeichnet worden war, der „nicht bewiesen, noch abgeleitet werden“ könne.⁶² Wie Fichte operiert Schelling demgegenüber nun mit der ursprünglichen und ‚realen‘ Beschränkung im Ich: Diese ist es, die überhaupt erst das Entgegensetzen möglich macht – sie wird aber ihrerseits wiederum nur gefühlt und fühlbar durch die Entgegensetzung. Dabei handelt es sich augenscheinlich um einen „unvermeidlichen Cirkel“, der aber nach Schelling gerade dazu angetan ist, „uns auf einmal die Natur unsers Geistes“ aufzuschließen und uns „unversehens zum höchsten Standpunkte des transscendentalen Idealismus“ zu erheben, den Schelling in der Art eines ‚Merksatzes‘ folgendermaßen fasst: „Wir können nicht ideal handeln, wir können uns die ursprüngliche Schranke nicht entgegensezen, ohne real beschränkt zu seyn: und umgekehrt, wir sind nicht real beschränkt, ohne diese Beschränktheit zu fühlen, d. h. ohne sie uns ideal entgegenzusetzen“. Also zeigt sich, daß jene Handlung, wodurch wir (passiv) beschränkt werden, und die andre, wodurch wir (activ) uns selbst beschränken, indem wir uns die Schranke entgegensetzen, Eine und dieselbe Handlung unsers Geistes ist, daß wir also in einer und derselben Handlung zugleich passiv und activ, zugleich bestimmt und bestimmend sind, kurz, daß Eine und dieselbe Handlung Realität (Nothwendigkeit) und Idealität (Freiheit) in sich vereinigt. Soviel ich weiß (und jeder darf sagen, was er zu wissen überzeugt ist), ist das der Kern des transscendentalen Idealismus. Denn nun ist offenbar, daß die ursprüngliche Natur des Geistes in jener absoluten Identität des Thuns und des Leidens besteht […], und daß jene ursprüngliche
Uebersicht, Schelling-AA I/4.137. Ebd. 137 f. Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2.266. Ebd. 264.
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WechselWirkung mit uns selbst eigentlich das innre Princip unserer Vorstellungen ist, das bisher alle wahren Philosophen, obgleich großentheils vergeblich, gesucht haben.⁶³
Das ist nun also die Schellingsche Variante der gegenstrebigen Doppelbewegung und Duplizität in dem, was hier als ‚Geist‘ benannt wird – und nicht allein die markante Bestimmung der ‚Wechselwirkung‘ macht deutlich, dass Schelling sich offenkundig an Fichtes Modifikationen des Ich seit § 5 der Grundlage orientiert.⁶⁴ Die Kritik an Reinholds Auffassung besteht also abermals darin, dass dieser die Entgegensetzung ‚zu absolut‘ nehme und mithin den Übergang zum Nicht-Ich nicht aus dem Ich selbst zu erklären vermöge, indem er dieses einseitig als Tätigkeit und Identität akzentuiere. Zugleich aber werden von dem her, was Schelling nun als ‚Kern‘ des Idealismus benennt, nochmals die gewaltigen Modifikationen sichtbar, die das Prinzip gegenüber seiner frühen Bestimmung von 1794/95 erfahren hat. Zwar spricht Schelling auch hier noch von ‚absoluter Identität‘, diese ist aber gerade eine in sich gegenstrebige und differenzierte – und nicht mehr die reine Identität, die er noch in der Ichschrift als wahres Prinzip und Kern des Idealismus ausgesprochen hatte. Überdies: Galt vormals das Prinzip des Ich als bloße Tätigkeit der Selbstsetzung – so ist es nun unhintergehbar Einheit von Tätigkeit und Leiden.
Uebersicht, Schelling-AA I/4.138 f. Verwandte Formulierungen zu Doppelbewegung und Selbstbeschränkung, die sich gleichfalls sichtbar an § 5 der Grundlage orientieren, finden sich schon an früherer Stelle. So heißt es bereits in der II. Abhandlung: „Der Geist ist also nur durch seine Richtung auf sich selbst, für sich da, dadurch daß er sich selbst in seiner Thätigkeit beschränkt, oder vielmehr, der Geist ist selbst nichts anders als diese Thätigkeit und diese Beschränkung, beide als gleichzeitig gedacht. / Indem der Geist sich selbst beschränkt, ist er zugleich thätig und leidend, und weil ohne jene Handlung auch kein Bewußtseyn unserer Natur wäre, so muß jene absolute Vereinigung von Thätigkeit und Leiden Charakter der individuellen Natur seyn“ (ebd. 87 f.). So ist etwa auch die Beschreibung des ‚Zirkels‘ mitsamt des Vokabulars von Idealem und Realem deutlich an § 5 der Grundlage angelehnt, wo es heißt: „Dies, daß der endliche Geist nothwendig etwas absolutes außer sich setzen muss (ein Ding an sich) und dennoch von der andern Seite anerkennen muß, daß dasselbe nur für ihn da sey (ein nothwendiges Noumen sey) ist derjenige Zirkel, den er in das Unendliche erweitern, aus welchem er aber nie herausgehen kann. Ein System, das auf diesen Zirkel gar nicht Rüksicht nimmt, ist ein dogmatischer Idealismus; denn eigentlich ist es nur der angezeigte Zirkel der uns begrenzt und zu endlichen Wesen macht: ein System, das aus demselben herausgegangen zu seyn wähnt, ist ein transscendenter realistischer Dogmatismus. / Die Wissenschaftslehre hält zwischen beiden Systemen bestimmt die Mitte, und ist ein kritischer Idealismus, den man auch einen Real-Idealismus, oder einen Ideal-Realismus nennen könnte“ (Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2.412).
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3 Ausblick Es sollte hinlänglich deutlich geworden sein, dass die von Fichte und Schelling 1797 geübte Kritik an Reinholds Auffassung der Wissenschaftslehre sich auf Positionen stützt, die denjenigen Texten und Textteilen, welche Reinhold selbst offenbar zu Grunde legt, gar nicht zu entnehmen waren – so insbesondere den Grundsätzen Fichtes nicht, und keiner bis dahin vorliegenden Schrift Schellings. Wie selbstverständlich aber Fichte und Schelling spätere Modifikationen auf das Grundgefüge der Grundsätze über- und in sie eintragen, beleuchtet nochmals exemplarisch die eingangs benannte ‚Ungleichzeitigkeit‘ der idealistischen Systementwicklungen. Es sei noch kurz darauf hingedeutet, dass Fichtes und Schellings Neubestimmung der Identität als Duplizität und Wechselwirkung gewaltige Folgen für die weitere Entwicklung der Systementwürfe in der Klassischen deutschen Philosophie zeitigt: Schelling wird auf dieser Duplizität seine gesamte Naturphilosophie gründen, so etwa in der Dopplung von ausbreitender und hemmender Kraft als „ursprüngliche[r] Dualität“ der Natur;⁶⁵ und vermittelt über die Prinzipiendiskussion in Schellings System des transscendentalen Idealismus von 1800⁶⁶ wird diese Duplizität dann auch Hegels erstes Auftreten mit der Differenzschrift instruieren, in der dieser noch einen Schritt weiter geht und 1801 den Gedanken eines ersten, konstituierenden Prinzips im Grunde bereits sprengt.⁶⁷ Ob dabei die Neu-Fichte-Schellingschen Konzeptionen der Doppelbewegung und Wechselwirkung im Prinzip der Philosophie systematisch erfolgreich sind, wäre vertiefend zu diskutieren, so einerseits im Rückblick auf Fichtes ‚erste Überbietung‘ von Reinholds Satz des Bewusstseins gerade durch reine Identität, andererseits auch im Vorblick auf die Auseinandersetzung zwischen Fichte, Schelling und Hegel um 1801. Das aber wäre ‚eine andere Geschichte‘ – oder vielmehr: ein weiterer Auszug der selben Geschichte.
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Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, Schelling-AA I/7.81. Vgl. System des transscendentalen Idealismus, Schelling-AA I/9.1.53–55. Vgl. Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie, Hegel-AA 4.23–27. Vgl. zu diesen Zusammenhängen Schwab (2017) 282–286.
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Ives Radrizzani
Die Auseinandersetzung zwischen Reinhold und Schelling Abstract: This paper examines the fierce debate between the proponents of Rational Realism and Transcendental Idealism highlightet in the „war“ between Reinhold and Schelling. The article sheds light on the systematic issues discussed in the two phases of this debate. To this aim, Schelling’s image of Reinhold and Reinhold’s image of Schelling are closely examined. Whereas Reinhold, after his conversion to Fichteanism in 1797, seemed to have adopted the method of „intellectual intuition“ then reformulated by Schelling in his System of 1800, he soon criticizes his own former standpoint as „Philodoxy“ as he turns to Bardilian Realism in 1799. With Reinhold’s review of Schellings System in 1800, the differences between Schelling’s Idealism and Reinhold’s Realism become practically irreconcilable as Reinhold comdamns the method of Speculation in toto.
Ich nehme mir in diesem Beitrag vor, die Beziehung zwischen Schelling und Reinhold zu untersuchen. Das Thema unserer Tagung lautet: „Vorstellen – Denken – Sprache. Reinholds Philosophie im Kontext des Deutschen Idealismus“. Es sei gleich klargestellt, der vorgenommene Stoff wird es mir nicht erlauben, dieses Thema in seiner vollen Breite anzugehen.Von den drei Schlüsseltermini im Titel fehlt der eine in den Beziehungen zwischen Reinhold und Schelling ganz. Wenn nämlich von der Artikulierung zwischen „Vorstellen“ und „Denken“ viel die Rede ist, so bleibt das Sprachproblem völlig ausgeklammert. Diese Nichtthematisierung des Sprachproblems in der Zeit, in welcher Schelling und Reinhold in Verbindung gestanden haben, also im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts, ist höchst bedeutsam und bedarf einer Erklärung. Reinhold ist oft vorgeworfen worden, sein Übertritt zu Bardili nach einem wechselbunten Weg sei im Grunde nichts anderes als die Rückkehr zu seinem Ausgangspunkt. Nach der übereinstimmenden Auffassung unter anderem von Fichte, Hegel und Schelling sei nämlich Bardilis rationaler Realismus nichts weiter als eine aufgewärmte Fassung von Reinholds eigener Elementarphilosophie,¹ wessen sich dieser mit einer beispiellosen Blindheit nicht einmal bewußt geworden wäre.
Vgl. dazu die erklärende Anmerkung in Schelling-AA I/11.504. https://doi.org/10.1515/9783111239521-006
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Mit dem Auftauchen einer Sprachphilosophie in der letzten Schaffensperiode Reinholds stellt sich erneut aber auf ganz andere Weise die Frage der Kontinuität und Stichhaltigkeit von Reinholds Denken. Findet sich beim späten Reinhold eine völlig originale Denkphase, die vorher keineswegs vorbereitet und eingeleitet worden wäre? Wodurch wird sie veranlasst? Ist der Grund, der Reinhold dazu bewegt, sich plötzlich der Sprachphilosophie zuzuwenden, die Überzeugung, dass der bis dahin vorgenommene Versuch, „Vorstellen“ und „Denken“ zu artikulieren, auf einem toten Punkt angelangt und dass ein sprachphilosophischer Schlüssel notwendig sei, um der Philosophie aus der Klemme zu helfen? Dies ist die Frage, die uns gleichsam negativ als roter Faden dienen wird. Das Einteilungsprinzip in diesem Beitrag wird ein chronologisches sein. In einem ersten Teil werden wir die Beziehung zwischen den zwei Philosophen vor Reinholds Beitritt zu Bardili untersuchen. Dieser erste Teil wird selbst weiter untergliedert. In einem ersten Schritt werden wir Schellings Bild von Reinhold, in einem zweiten Reinholds Bild von Schelling in dieser Frühphase festhalten. Der zweite Teil handelt von der Beziehung zwischen Reinhold und Schelling nach Reinholds „Verrat“ am Lager der Transzendentalphilosophie. Dieser Teil wird wiederum nach dem gleichen Prinzip wie in Teil I weiter untergliedert.
1 Vor dem Krieg a) Schellings Bild von Reinhold Schelling gehört zu einer Generation, die sich zur Philosophie gebildet hat, als Reinhold auf dem Gipfel des Ruhms stand und einer der renommiertesten Philosophen in Deutschland war. Während seiner Studienzeit im Tübinger Stift, im Sommersemester 1792, hatte er Gelegenheit, eine Veranstaltung von Prof. Jakob Friedrich Abel zu besuchen, der nach dem im Vorlesungsverzeichnis angekündigten, lateinischen Titel die „Prolegomena Metaphysices sec. theoriam Reinholdianam“ vortrug.² Dem Datum ist zu entnehmen, dass das Werk, auf das sich Abel stützte, um die reinholdsche Lehre vorzustellen, der 1789 erschienene Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens gewesen sein muss, welcher möglicherweise um den ersten Band der Beyträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen ergänzt wurde, der „das Fundament der Elementarphilosophie“ zum Inhalt hat und 1790 erschienen ist. Auch wenn sich Schelling für Abels Vortrag wahrscheinlich nicht begeistert hat, erkennt er sofort Angeführt in: Fuhrmans (1962) 20.
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die Bedeutung des Reinholdschen Programms. Er wählt Reinhold zum Prüfungsstoff und behandelt in einer der zwei Arbeiten („specimina“), die neben der „Dissertation“ zur Magisterprüfung gehörten, folgendes Thema: „Über die Möglichkeit einer Philosophie ohne Beinamen, nebst einigen Bemerkungen über die Reinholdische Elementarphilosophie“.³ Da dieses „Specimen“ leider nicht erhalten ist, können wir nur die Übernahme der typisch reinholdschen Formulierung: „Philosophie ohne Beinamen“ festhalten, was Schellings Interesse für den von Reinhold aufgeworfenen Systemgedanken bekundet. Die Untersuchung der Stichhaltigkeit des Reinholdschen Programms war höchstwahrscheinlich von kritischen Bedenken begleitet, die in den „Bemerkungen“ über die Elementarphilosophie geäussert wurden. Mangels des Specimens ist es natürlich unmöglich, den Abstand zu der ersten philosophischen Schrift zu ermessen, die Schelling 1795 unter einem eng verwandten Titel veröffentlichen wird: Ueber die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt. In diesem Titel ist „Philosophie ohne Beinamen“ durch den Ausdruck „Philosophie überhaupt“ ersetzt worden, und die Frage nach der Möglichkeit einer systematischen Philosophie wird nunmehr einzig unter dem formalen Aspekt gesehen. Trotz dieser Einschränkung schreibt sich dieses Werk eindeutig in die Fortsetzung des Specimens ein und es geht daraus hervor, dass Schellings Bildungsjahre von Reinholds Einfluß stark geprägt worden sind. Hegel äussert, als er in einem Brief vom 24. Dezember 1794 an Schelling schreibt, eine Meinung, die dieser vermutlich zumindest in mancher Hinsicht teilte: „ehe nicht eine Art von Reinhold – od[er] Fichte, dort [sc. in Tübingen] auf einem Katheder sizt – wird nichts reelles herauskommen; nirgends wird wohl so getreu[lich] als dort das alte System fortgepflanzt“.⁴ Als Rettungsmittel, um der tübingischen Orthodoxie zu entkommen, weist die Reinholdsche Philosophie auf den zu befolgenden Weg hin. Hat Schelling je annehmen können, die „Philosophie überhaupt“ sei von Reinhold vollendet worden? In der Schrift Ueber die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt äussert er ein ähnliches Urteil wie Fichte in der Begriffsschrift,⁵ die er gelesen, die ihn „angenehm überrascht“, ihn in seinen Ansichten „bestärkt“ und „zu einer vollständigern Entwicklung seiner Gedanken über jenes Problem bestimm[t]“ hat.⁶ Trotz aller Verdienste habe Reinhold die Philosophie noch nicht zum Rang einer strengen Wissenschaft erhoben. Zwar sei der angegangene Weg der richtige, aber es fehle ihm noch eine feste Grundlage, die ihn vor den skeptischen Angriffen schütze. Seit
Vgl. ebd. 21. Hegel an Schelling, 24.12.1794, Schelling-AA III/1.14. Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, Fichte-AA I/2. bes. 109. Ueber die Möglichkeit, Schelling-AA I/1.266–267.
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der Magisterprüfung ist Schulzes Aenesidemus erschienen, und das Reinholdsche System bietet nicht, meint Schelling, in Fichtes Folge, hinreichende Mittel, um den diagnostizierten Mängeln abzuhelfen. Wie auch Fichte nimmt sich Schelling vor, der Theorie des Vorstellungsvermögens „tiefere Fundamente“ zu verschaffen,⁷ die es vermögen, den skeptischen Argumenten endgültig standzuhalten. Reinholds Fehler bestehe darin, nur die eine der zwei Fragen beantwortet zu haben, „die aller Wissenschaft vorangehen müssen“, welche den Inhalt, beziehungsweise die Form der Philosophie betreffen.⁸ Reinhold habe sich darauf beschränkt, die Frage des Inhalts zu behandeln, und die der Form außer Acht gelassen, so dass seine Position in dieser Hinsicht keinen Fortschritt gegenüber Kant aufweise, bei dem die Ableitung eines höchsten Prinzips aller Form schon fehlte. Nun erlaube, so Schellings These, gerade die Ableitung einer solchen Form, den im Änesidemus geäußerten Einwänden entgegenzutreten.⁹ Die von Kant eingeleitete Revolution sei also von Reinhold nicht bis zu ihrem Ende fortgeführt worden; sie bilde nichtdestoweniger eine notwendige Etappe, die Schelling anscheinend bereit ist, als solche anzuerkennen. Wie er am 4. Februar 1795 an Hegel schreibt: „Bei Reinhold’s Versuchen, die Philos[ophie] auf ihre lezten Principien zurückzuführen, hat Dich Deine Vermutung, daß sie die Revolution selbst, die durch die Critik der reinen Vernunft hervorgebracht war, nicht weiterführe, gewiß nicht getäuscht. Indeßen war auch das eine Stuffe, über welche die Wißenschaft gehen mußte, und ich weiß nicht, ob man es nicht Reinholden zu verdanken hat, daß wir nun sobald, als es meinen sichersten Erwartungen nach geschehen muß, auf dem höchsten Punkte stehen werden.“¹⁰
Auf die Rolle eines notwendigen Moments auf dem Weg zur Vollendung der von Kant eingeleiteten Philosophie beschränkt, hat Reinhold bereits das hohe Ansehen, das er 1792 hatte, einbüssen müssen. Kaum hatte er Jena verlassen, war er von Fichte bei den Studenten verdrängt worden. Fichtes Erscheinen hat für Schelling etwas Meteorhaftes (er spricht von seinem „meteorischen Gang“) und in einem exaltiert schwärmerischen Stil preist er in einem Brief an Hegel vom 6. Januar 1795 die philosophischen Heldentaten, die er von ihm erwartet: „Fichte wird die Philosophie auf eine Höhe heben, vor der selbst [die] meisten der bisherigen Kantianer schwindeln werden. […] Glücklich genug, wenn ich einer der ersten bin, die den neuen Helden, Fichte, im Lande der Wahrheit begrüßen! Segen sei mit dem großen
Ebd. 266. Vgl. ebd. Vgl. ebd. 298. Schelling an Hegel, 4. 2.1795, Schelling-AA III/1.21.
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Mann! Er wird das Werk vollenden.“¹¹ Derjenige, von dem Schelling Anfang 1795 die Vollendung der Philosophie erwartet, ist Fichte, nicht Reinhold. Der Rahmen ist somit abgesteckt. In der Schrift Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen, die in der zweiten Aprilhälfte 1795 erschienen ist, bringt Schelling eine ähnliche Aussage über die dialektische Notwendigkeit der von Reinhold gespielten Rolle in der Geschichte der Philosophie: „Man würde sehr wenig Einsicht in den nothwendigen Gang aller Wissenschaften verrathen, wenn man dieses Versuchs [sc. Reinholds] auch dann, wann die Philosophie weiter vorgerükt ist, nicht mit der grösten Achtung erwähnen wollte. Er war nicht dazu bestimmt, das eigentliche Problem der Philosophie zu lösen, aber dazu, es auf die bestimmteste Art vorzustellen“¹²
– und Reinholds Verdienst bestehe darin, die Antwort vorbereitet zu haben, indem er die kantische Frage auf eine höhere Abstraktionsstufe gebracht habe. Er habe, nach Schelling, „die lezte Stuffe der Abstraktion erstiegen, auf der man stehen mußte, ehe man zu dem kommen konnte, das höher ist, denn alle Abstraktion“.¹³ Das in Reinholds Satz des Bewußtseins enthaltene Ich sei aber nach Schelling ein totes Prinzip, eine bloße Abstraktion, und die „vollendete Wissenschaft“ gründe sich nicht „auf todte Vermögen, die keine Realität haben, und nur in der künstlichen Abstraktion wirklich sind“, sondern auf „vollendete Einheit des Ichs, das in allen Aeusserungen seiner Thätigkeit dasselbe ist“.¹⁴ Mit der nachdrücklichen Betonung der praktischen Tragweite des Prinzips der Philosophie stimmt Schelling mit Fichte überein, dessen Neologismus „Tathandlung“ eben dazu dient, die Unzulänglichkeit des auf eine blosse Tatsache sich stützenden Reinholdschen Prinzips zu zeigen, und dessen Strategie darin bestanden hatte, diesem Prinzip nur eine theoretische Gültigkeit zuzumessen.Wenn also Fichte sich in einem Brief an Reinhold vom 2. Juli 1795 von Schelling scheinbar distanziert, indem er schreibt, Schelling sehe Reinholds System „unrichtig“ an, und indem er erklärt, darüber mit ihm „unzufrieden“ zu sein,¹⁵ so mag dies vor allem auf die Sorge zurückzuführen sein, Reinholds Empfindlichkeit möglichst zu schonen, denn sein eigener Vorwurf an ihn ist mit dem Schellings eng verwandt. Ende des Jahres läßt sich eine klare Verschärfung des Tons gegen Reinhold feststellen. Im fünften der „Philosophischen Briefe über Dogmatismus und Kriti-
Schelling an Hegel, 6.1.1795, Schelling-AA III/1.16 f. Vom Ich als Princip der Philosophie, Schelling-AA I/2.99. Ebd. Ebd. 171. Fichte an Reinhold, 2.7.1795, Fichte-AA III/2.348.
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cismus“ taucht das Hauptthema der Schrift Vom Ich wieder auf, aber Schelling verzichtet auf jede Höflichkeitsübung, es gilt nicht mehr Reinholds Verdienste hervorzuheben. Reinholds Philosophie wird jetzt als Gefahr entlarvt. Nichts sei für die Philosophie „verderblicher“, schreibt er unumwunden, als „der Versuch, sie in Schranken eines theoretisch-allgemeingültigen Systems zu zwängen“.¹⁶ Die Anspielung ist eindeutig, auch wenn Reinhold nicht namentlich erwähnt wird. Im Laufe des Jahres 1796 trübt sich das Verhältnis weiter ein. In der„Antikritik“, die Schelling gegen eine von Reinholds Freund Johann Benjamin Erhard verfasste Besprechung seines Buchs Vom Ich an die Redaktion des Philosophischen Journals sendet, äussert er sogar die Befürchtung, die Direktion könne „wegen der Anspielungen auf Reinhold“ Schwierigkeiten machen.¹⁷ Nachträglich bezeichnet er den in der Schrift Vom Ich verfolgten Zweck als Versuch, „die Philosophie von der Erlahmung zu befreyen, in welche sie durch die unglücklichen Untersuchungen über einen ersten Grundsatz der Philosophie unausbleiblich fallen mußte“; er habe beweisen wollen, dass „wahre Philosophie nur mit freyen Handlungen beginnen könne, und daß abstrakte Grundsätze an der Spitze dieser Wissenschaft der Tod alles Philosophierens seyen“.¹⁸ Auch wenn die Formulierung bissiger als in Vom Ich ist, ist diese Stelle nicht so bedenklich. Heikler wird es, wenn von „manche[m] weinerliche[n] Philosophen“ die Rede ist, „der von der Uneinigkeit seiner Kollegen die Greuel der französischen Revolution und alles Unglück der Menschheit ableitete, diesem Unglück aber durch einen leeren – nichtssagenden – Grundsatz abhelfen wollte, in dem er die gesammte Philosophie gleichsam eingeschachtelt dachte“.¹⁹ In dieser Stelle, die wahrscheinlich Schellings Reaktion auf die Lektüre von Reinholds Aufsatz „Ueber die teutschen Beurtheilungen der französischen Revoluzion“²⁰ bringt, wird Reinhold zu einer weinerlichen Figur degradiert, die sich auf Probleme der politischen Philosophie einlassen will, aber überfordert sei und sich lächerlich mache. Mit der „grösten Achtung“, mit welcher noch ein Jahr zuvor Reinholds Name zu erwähnen war, ist es endgültig vorbei. In der gleichen Linie schreibt Schelling am 8. November 1796 in einem weiteren Brief an Niethammer, das Publikum sei von Reinholds „Scherbenphilosophie“ müde.²¹ Ein Jahr später ergibt sich eine ganz neue Konstellation. Im Frühjahr 1797 ist Reinhold öffentlich zu Fichte übergetreten. Zwar drückt sich Schelling wieder etwas
Dogmatismus und Kriticismus, Schelling-AA I/3.75. Schelling an Niethammer, 26.10.1796, Schelling-AA III/1.102. Dogmaticismus und Kriticismus, Schelling-AA I/3.192. Ebd. 192 f. Reinhold, Ueber die Teutschen Beurtheilungen der französischen Revoluzion, NTM, April 1793, 387–424. Schelling an Niethammer, 8.11.1796, Schelling-AA III/1.103.
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vorsichtiger aus, aber er ist über Reinholds Beitritt keineswegs begeistert und traut ihm kein gründliches Verständnis der Wissenschaftslehre zu. Der „gute Mann“, wie er ihn in einem Brief an Niethammer vom 4. August 1797 herablassend nennt, sei „in Ansehung der WissenschaftsL[ehre]. noch nichts weniger als au fait“,²² und Schelling macht sich anheischig, in seiner „Allgemeinen Uebersicht der neuesten philosophischen Litteratur“ das Mangelhafte an Reinholds Auffassung der Philosophie hervorzuheben. Nach ihm habe Reinhold den „Kern des transscendentalen Idealismus“ nicht richtig erfasst und es lasse „sich aus seiner Darstellung dieses Systems kein vollständiger Begriff desselben abstrahiren“.²³ Der Kern des transzendentalen Idealismus bestehe nämlich in der Wechselwirkung von zwei Grundhandlungen, einer idealen und einer realen, die nur in ihrer „absolutesten Vereinigung“ das „eigentliche Triebwerk unsrer ganzen geistigen Thätigkeit sind“. Reinhold dagegen habe nur „die Eine jener Handlungen“, die ideale, so dass der transzendentale Idealismus bei ihm „unvollständig“, „einseitig“, und seine Erklärung des Ursprungs der Vorstellung „völlig unverständlich“ und theoretisch betrachtet „ganz falsch“ bleibe.²⁴ Bemerkenswerterweise greift Schelling in diesem Text ein Thema auf, welches er später zu seinem Hauptvorwurf gegen Reinhold machen wird. Er betont nämlich den Antidualismus der idealistischen Position: „Der Idealismus der theoretischen Philosophie ist völlig antidualistisch“,²⁵ erklärt er nachdrücklich, und gibt somit zu verstehen, dass er Reinhold des Dualismus bezichtigt. In diesem Text sieht sich Schelling als Hüter der fichteschen Orthodoxie und verweist Reinhold auf die Schulbank. Reinhold müsse in Schranken gehalten werden, weil seine dualistisch halbierte Position gefährlich sei, sie führe nämlich zu einem unsinnigen Idealismus, der „alle Nothwendigkeit unsrer objectiven Vorstellungen“ aufhebe.²⁶ Kurz, um an unser Hauptthema anzuknüpfen, Reinhold sei unfähig, Vorstellen und Denken richtig in Verbindung zu bringen, weil er einseitig auf eine verstümmelt und insofern falsch aufgefasste Theorie fokussiert sei. Er bleibe an der Schwelle hängen, vermöge sich nicht auf den wahren Standpunkt der Wissenschaftslehre zu erheben, der grundsätzlich antidualistisch sei, und bleibe in einer dualistischen Position verfangen. Die Rolle der Sprache, wie eingangs schon bemerkt, spielt in dem Zusammenhang keine Rolle. Zur gleichen Phase gehört noch Schellings System des transscendentalen Idealismus. Der förmliche „Krieg“ ist noch nicht ausgebrochen, aber gerade Reinholds Besprechung dieser Schrift wird zu einer Wende in den Beziehungen zwischen den
Schelling an Niethammer, 4. 8.1797, Schelling-AA III/1.133. Allgemeine Uebersicht, Schelling-AA I/4.139. Ebd. Ebd. Ebd. 140.
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zwei Philosophen führen. In der Zwischenzeit hat Reinhold seinen Standpunkt wieder zweimal gewechselt und nachdem er in dem Brief vom 27. März bis 6. April 1799 Fichte geschrieben hatte, er müsse eine Zwischenposition zwischen ihm und Jacobi einnehmen,²⁷ hat er sich Ende 1799 zum Anhänger Bardilis bekannt.²⁸ Reinhold gehört also nicht mehr zum Lager der Transzendentalphilosophen, aber dessenungeachtet bleibt Schelling bei seinem Urteil über dessen Leistung stehen. Reinholds Scheitern beim Aufstellen eines ersten Grundsatzes für die ganze Philosophie liege daran, dass er von einem blossen „Theorem“ ausgegangen sei, während er von einem „freien Handeln“ hätte ausgehen müssen.²⁹ Der Ausdruck Dualismus taucht zwar nicht auf, aber Reinholds Philosophie, die vom Bewußtsein ausgeht, liege in einem Bereich, wo die Trennung zwischen dem Objekt und seinem Begriff schon immer gegeben sei und es fehle ihr die „ursprüngliche Einheit“ jenseits des Bewußtseins, in welchem beide Eins und dasselbe seien.³⁰ Schelling hegt sogar gegen Reinholds Philosophie den Verdacht des Empirismus, denn „jede Wissenschaft, die nicht empirisch ist, muß durch ihr erstes Princip schon allen Empirismus ausschließen, d. h. ihr Object nicht als schon vorhanden voraussetzen, sondern es hervorbringen“, und gerade dieser produktive Freiheitsakt fehle bei ihr.³¹
b) Reinholds Bild von Schelling Im Gegensatz zu der klar durchgezogenen Angriffslinie von Schelling braucht Reinhold viel Zeit, um Schellings Philosophie einzuordnen, die er zuerst als Unteroder Nebenprodukt der Wissenschaftslehre betrachtet und deren Bewertung parallel zu derjenigen der Fichteschen Philosophie läuft. Kennzeichnend diesbezüglich ist, was Reinhold in einem Brief an Fichte vom Dezember 1795 über Schellings Vom Ich schreibt. In dieser Schrift findet Reinhold Äusserungen, die ihm sehr gefährlich vorkommen und vor denen sein Wahrheitssinn „zurückgebebt“ haben würde, wenn er sich nicht „beschieden“ hätte, er habe sie mißverstanden.³² Er warnt vor dem Primat des Praktischen, welches nach ihm schlimme Folgen für die Religion nach sich ziehen könnte: Nicht das reine Ich hätte nach ihm aus dem Sittengesetz abgeleitet werde sollen, sondern umgekehrt das Sittengesetz aus dem reinen Ich.³³
Reinhold an Fichte, 27.3.–6.4.1799, Fichte-AA III/3.308. Vgl. Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 1–7. System des transscendentalen Idealismus, Schelling-AA I/9.1.61. Ebd. 204. Ebd. 61. Reinhold an Fichte, Dezember 1795, Fichte-AA III/2.439. Vgl. ebd. 438.
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Diesen gegen Schelling gerichteten Kritikpunkt entschärft Reinhold aber, indem er schließt: „Allein ich bescheide mich gerne, daß ich bis itzt nur noch wie der Blinde von Farbe über Ihr System sprechen kann.“³⁴ Damit wird klar, dass Reinhold in dieser Diskussion eigentlich Fichtes System im Sinn hat. Er weiß sehr wohl, dass die Einwände, die er gegen Schelling vorbringt, Einwände gegen die Wissenschaftslehre sind, und wenn er sie an Schelling richtet, dann ist es nur eine höfliche Art, Fichte nicht direkt anzugreifen. Im Grunde macht er zunächst keinen Unterschied zwischen Fichtes und Schellings Position. In der überarbeiteten Fassung der „Preisschrift über die Frage: welche Forschritte hat die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht?“, die 1797 im zweiten Teil der Auswahl vermischter Schriften erschien und also zur Phase von Reinholds Anhängerschaft zu Fichte gehört, werden Fichtes und Schellings Positionen nochmals eng assoziiert. Reinhold spricht vom gelungenen Versuch, die „Wissenschaftliche Form“ der Philosophie zu finden, die „Herr Fichte, und entweder nach ihm oder zugleich mit ihm Herr Schelling, aufgestellt haben.“³⁵ Interessant ist, dass Schelling nicht mehr bloss als Nachfolger vorgestellt wird. Zwar vertritt er den gleichen Standpunkt wie Fichte, aber könnte ihn zur gleichen Zeit wie Fichte und also unabhängig von ihm entwickelt haben. Es ist immer von einem Übertritt Reinholds zu Fichte die Rede gewesen, aber aufgrund dieser Stelle könnte es, wie man sieht, berechtigterweise wohl heissen: zu Fichte und Schelling. In der Sammelrezension, die Reinhold 1798 in der ALZ veröffentlicht, wird auch Schellings Allgemeine Übersicht erwähnt, die Reinhold sich für eine künftige Besprechung vorbehält. Dieses Werk, urteilt er positiv, enthalte „eine durchaus originelle Ansicht des reinen Idealismus, an welcher Rec.“, und hier kommt die entscheidende Formulierung, auf die es mir ankommt, „den andern Urheber desselben zu erkennen glaubt“.³⁶ Klarer noch als an voriger Stelle wird hier Schellings Gleichwürdigkeit als Urheber des „reinen Idealismus“ behauptet. Im Sommer 1798 widmet sich Reinhold der Lektüre von Fichtes Sittenlehre und von Schellings Weltseele. Der schwedische Philosoph Benjamin Höijer, der ihn besuchen kommt, schreibt am 9. Juni in seinem Tagebuch: „Fand Reinhold lesend in der Laube, und was? – Fichtes neue Moralphilosophie … Er schien Fichte aufrichtig zu bewundern, ebenso Schelling; er konnte beide und besonders des letzteren neuestes Buch gar nicht genug loben“, woraus er sogar „genaue Exzerpte“ anfertige.³⁷ Am 21. Juli 1798 erklärt Reinhold Gottlieb Hufeland, einem der Herausgeber der
Ebd. 439. Reinhold, Vermischte Schriften II, RGS 5/2.130. Rez. Fichte, 33–39, 41–47, 49–63, 65–69; 69 Eintrag vom 9.6.1798, angeführt in: Tilliette (1997), 11.
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ALZ, seine Bereitschaft, diese zwei Werke, Fichtes Sittenlehre und Schellings Weltseele, die er „mit Fleiß und Treue“ studiere, zu rezensieren.³⁸ Zu dieser Zeit scheint Reinhold die Hoffnung zu schöpfen, Schelling in seiner Nähe zu haben und spricht von ihm in einem Brief an Niethammer mit unverhohlener Begeisterung: „So muss ich also die Hoffnung aufgeben Schelling in der Nähe zu haben. […] Wohl Ihnen, dass dieser wunderbare Originalkopf Ihnen so nahe kommt – die Fülle der Menschheit ist in ihm, wie in wenigen geoffenbart. Seine Weltseele hat mir diesen Sommer viel Genuss und Beschäftigung gegeben, und ich habe aus diesem Buch über die physische Natur so viele und so neue Aufschlüsse erhalten, als durch kein anderes ausser den durch Fichtes Sittenlehre über die moralische Natur.“³⁹ Noch kurz vor seinem Übertritt zu Bardili stellt sich Reinhold auf die Seite Schellings und schreibt in einem verlorengegangenen Brief an Fichte, die zwei Rezensionen von Schellings Ideen in der ALZ seien ihm „nicht recht“ und er bedauere, dass „nun also in der L.Z. nur die Anhänger der strengen Observanz im Kantianismus eine Stimme haben werden“.⁴⁰ Solange Reinhold sich als Mitstreitender im Lager der Transzendentalphilosophen versteht, nimmt er also keinen besonderen Anstoß an Schellings Kritiken gegen ihn, die er nicht ignorieren konnte, die sich eigentlich mit Fichtes Kritiken weitgehend decken, und deren Wohlbegründetheit er mit seinem Beitritt zu Fichte öffentlich anerkannt hat.
2 Der Krieg Als klares strukturierendes Einteilungsprinzip in der Beziehung zwischen Reinhold und Schelling fungiert Reinholds Beitritt zu Bardili, welcher auf Reinholds Seite zu einer radikalen Wende in seiner Einschätzung des Beitrags der Transzendentalphilosophie, die in einen regelrechten „Krieg“, auf Seiten Fichtes und Schellings zu einem klaren Bruch führen wird.
a) Reinholds „Totschlagung“ Die Nachricht von Reinholds „Verrat“ am Lager der Transzendentalphilosophie nimmt Schelling nicht mit besonderer Gelassenheit auf. Reinholds Rezension von Bardilis Grundriß der Ersten Logik, in welcher dieser sich öffentlich zum Bardilis Reinhold an Hufeland, 21.7.1798, angeführt in: Schelling-AA I/6.13. Reinhold an Niethammer, 10.9.1798, angeführt in: Schelling-AA I/6.13. Reinholds Satz aus dem verlorengegangenen Brief an Fichte, angeführt im Brief von Fichte an Schelling, 19.11.1799, Fichte-AA III/1.245.
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mus bekennt, nennt Schelling in einem Brief an Fichte vom 14. Mai 1800 einen „neue[n] gegen uns geführte[n] Streich“.⁴¹ Mit entfesselter Kampflust kündigt er Repressalien an. Es sei nun „volle Zeit“, dieses „vom Wind umhergetriebene Rohr“, gemeint ist Reinhold, „vollends ganz zu zerbrechen, an welchem unsre Sache ohnehin eine schwache Stütze gehabt“ habe.⁴² Fichte reagiert zustimmend auf diese Kampfansage und gibt im voraus sein Placet: „Ich werde mit diesem erbärmlichen Wichte, ich meine Reinhold, ganz brechen, und gebe Ihnen denselben völlig Preis. Lassen Sie ergehen, was Rechtens ist, und seyn Sie meines ganzen Beifalls, und meiner vollkommensten Theilnahme im voraus versichert.“⁴³ Einen Monat später, Mitte Juli 1800, weiss Schleiermacher August Wilhelm Schlegel zu melden, Fichte habe ihm anvertraut, Schelling scheine „große Lust“ zu haben, „den Reinhold todtzuschlagen“.⁴⁴ Und als Schelling wegen der negativen Besprechung seines Systems des transzendentalen Idealismus, die Reinhold im August 1800 in die ALZ hatte einrücken lassen, eine Zeit lang zögert, selbst an die „Zerlegung“ Reinholds zu gehen, da er selbst angegriffen ist,⁴⁵ erklärt sich Fichte „nicht abgeneigt, Reinholden allenfals selbst zu Leibe zu gehen“.⁴⁶ August Wilhelm Schlegel versucht seinerseits Schleiermacher einzuspannen und bittet ihn, es mit dem „langweiligen Reinhold“, der sich „so breit“ mache, „gründlich […] zu Ende zu führen“.⁴⁷ Schleiermacher weigert sich allerdings, die ihm „zugeschanzte“ Aufgabe zu übernehmen, das Geschäft sei ihm zu langweilig.⁴⁸ Das Problem löst sich gleichsam von selbst: Das gemeinsame editorische Projekt, das Fichte, Schelling, die Brüder Schlegel und Schleiermacher hätte verbinden sollen, kommt nicht zu Stande, und Schelling, der sich inzwischen auch von Fichte distanziert hat, ist allein auf sich angewiesen. Seine „Todschlagung“ erfolgt in drei Etappen. Zuerst lässt er eine sehr polemische „Nachricht“, die übrigens von Goethe nicht gutgeheissen wird,⁴⁹ in seine Zeitschrift für spekulative Physik einrücken, in welcher er als Reaktion auf Reinholds Rezension des Systems des transzendentalen Idealismus in der ALZ schreibt, man werde dadurch „zweifelhaft […], wen man glücklicher preisen soll, den Philosophen [= Reinhold], daß es noch ein Blatt für ihn giebt, worinn seine Gedanken
Schelling an Fichte, 14. 5.1800, Schelling-AA III/2.199. Ebd. Fichte an Schelling, 9.6.1800, Schelling-AA III/2.205 f. Schleiermacher an Schlegel, 19.7.1800, angeführt in: Schelling-AA III/2.602. Schelling an Fichte, 18. 8.1800, Schelling-AA III/2.220, vgl. auch Schlegel an Schleiermacher, 20. 8. 1800, Schleiermacher-KGA V/4.212. Fichte an Schelling, 12.9.1800, Schelling-AA III/2.233. Schlegel an Schleiermacher, 20. 8.1800, Schleiermacher-KGA V/4.212. Schleiermacher an Schlegel, 29. 8.1800, angeführt in: Schelling-AA III/2.63 Vgl. Goethe an Schelling, 27.9.1800, Schelling-AA III/2.239.
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wenigstens gedruckt werden, oder die Zeitung, daß sie einen Philosophen gefunden, der die Tramontane hinlänglich verloren hat, um für sie passend zu werden“ und er äussert sein „wahres Vergnügen“ über „dieses abermalige glückliche Zusammentreffen eigner sich wechselseitig stützenden Nullität“.⁵⁰ Schon dieser erste Angriff wurde später in der ALZ als „inhumane Aeußerung“ bezeichnet.⁵¹ Im November 1800 erscheint in der Erlanger Litteratur-Zeitung Fichtes Rezension von Bardilis Grundriß der Ersten Logik, die Schelling mit Begeisterung begrüßt. Diese Rezension, die „wirklich tödtend“ sei, liesse „auch Jacobi und Reinhold das Nöthige angedeihen“.⁵² Neun Monate später spricht Schelling in einem Brief an Mehmel, den Herausgeber der Litteratur-Zeitung, noch von Fichtes „bewundernswürdiger Schrift“, die das „Bardilisch-Reinholdsche Unwesen“ so gelungen dargestellt habe, dass sie kaum ergänzungsfähig sei.⁵³ Der zweite totschlagende Schritt, den Schelling gegen Reinhold unternimmt, ist die lange Fußnote am Anfang der Darstellung meines Systems (1801), in welcher er sein „Urtheil über Hrn. Reinhold“ öffentlich abgibt, das er sich nicht scheue, auszusprechen, da er „innerlich niemals die geringste Achtung für ihn als spekulativen Kopf gehabt“ habe. In diesem Urteil prangert er Reinholds Schülerhaftigkeit an und spricht ihm jede systematische Fähigkeit ab, indem er ihm einen bloß „historischen Geist“ zuerkennt. Der schon früher gebrachte Vorwurf, Reinhold müsse sich immer auf Fakten stützen, wird wieder aufgenommen. Um das Bild seiner„philosophischen Imbecillität“ komplett zu machen, werden noch seine extreme Wankelmütigkeit, seine Verblendung über die eigenen Leistungen und seine Unwissenheit über den eigentlichen Kern der Spekulation angelastet, und ihm „Entstellungen“, „förmliche Denunciationen“ und „Angriffe von der moralischen und religiösen Seite“ angerechnet.⁵⁴ Diese regelrechte aber argumentationsarme Zerstörung kann jedoch nur als kleines Vorspiel auf die theatralisch inszenierte Hinrichtung gelten, die Schelling im ersten Heft des von ihm mitherausgegebenen Kritischen Journals Ende 1801 erscheinen lässt. Eigentlich wäre es sogar richtiger von einer doppelten Hinrichtung zu sprechen, denn nachdem er ihn über 90 Seiten in einem übermäßig langen Aufsatz („Ueber das absolute Identitäts-System und sein Verhältniß zu dem neuesten (Reinholdischen) Dualismus“) niedergemacht hat, dass sich die Herausgeber dafür entschuldigen müssen, hält er es für nötig, ihn in dem geistreichen „Brief von
Nachricht, Schelling-AA I/8.431. ALZ vom 10. August 1804, Nr. 231, 295. Schelling an Schlegel, 10.11.1800, Schelling-AA III/2.273; Schelling an Fichte, 19.11.1800, Schelling AA III/2.283. Schelling an Mehmel, 4.7.1801, Schelling-AA III/2.357. Darstellung meines Systems, Schelling-AA I/10.113 f.
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Zettel an Squenz“ im „Notizenblatt“ am Ende des Stücks noch ein zweites Mal zu expedieren.⁵⁵ Diese literarische Liquidierung im Doppelpack, die an Grausamkeit kaum zu übertreffen ist und zu den Prachtstücken der polemischen Kunst gehört, bringt vor allem Punkte, die bereits erwähnt wurden (wie etwa die Wankelmütigkeit, die Schülerhaftigkeit, den dualistischen Ansatz). Neu sind Schellings Ausführungen zum Identitätsbegriff. Es gilt für Schelling, die Identitätsphilosophie, die er nun auch gegen Fichte vertritt, vor einem Amalgamierungsversuch des immer kompromißbereiten Reinhold in ihrer Eigenartigkeit zu behaupten. Reinhold, so die These, sei von der „fröhlichen Voraussetzung einer völligen Einheit“ zwischen Bardili und ihm ausgegangen.⁵⁶ Dieser vielleicht sogar ehrlich gemeinten, aber auf eine „Dummheit […] der exemplarischen Art“ zurückzuführenden irenischen Vorstellung müsse mit aller Entschiedenheit entgegengetreten werden.⁵⁷ Schellings ganzer Argumentationsgang läuft darauf hinaus, die völlige Inkommensurabilität beider Positionen herauszustellen. Die vorgetäuschte Analogie beruhe auf der unbedachten Übernahme einer Terminologie, die der reinholdisch-bardilischen Philosophie völlig fremd bleibe. So haben diese den Ausdruck „absolute Identität“ zwar von ihm „gestohlen“, von „absoluter Identität“ könne aber grundsätzlich bei ihnen keine Rede sein.⁵⁸ Das schon im Titel des Aufsatzes angegebene Grundmerkmal des rationalen Realismus sei nämlich der schon früher aufgedeckte Dualismus. Der rationale Realismus nehme als erstes Prinzip das Denken als Denken an, aber dieses vermeintlich erste Prinzip setze neben sich und außer sich den Stoff voraus, und das System biete keine Möglichkeit, diese Dualität der Prinzipien zu überwinden. Die Identität, von der der rationale Realismus ausgehe, sei eine „gelähmte“ Identität,⁵⁹ der keine Nichtidentität schlechthin entgegenstehe; es fehle ihm gerade die absolute Identität als Einheit von Einheit und Differenz. Nach der an ihm spurlos vorbeigegangenen, unverdauten transzendentalphilosophischen Episode kehre Reinhold zu sich selber in den „Sumpf der faulen Philosophie“ zurück.⁶⁰
b) Reinholds Kreuzzug gegen die „Philodoxie“ Es wäre ungerecht, die Angriffbereitschaft einseitig den Transzendentalphilosophen zuzuschreiben. Nach seinem Übertritt zu Bardili ist Reinhold ebenfalls auf
Identitäts-System sowie Zettel an Squenz, Schelling-AA I/11.93–160 und 223–228. Identitäts-System, Schelling-AA I/11.115. Ebd. 110. Ebd. 117. Ebd. 138. Ebd. 133.
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Auseinandersetzung eingestellt und er braucht nicht erst die Feindseligkeiten seiner neuen Gegner abzuwarten, um seine Kampflust zu erklären. In einem Brief an Paulus vom 8. Mai 1800, also noch bevor Schelling sich über seinen Austritt empört, kündigt er die Linie an, die er nunmehr vertreten wird. Von Schelling war er als notwendiges Moment auf dem Weg zu einer wissenschaftlichen Philosophie angesehen worden. Er dreht nun den Spieß um und will umgekehrt die Transzendentalphilosophie zu einer blossen Etappe machen, der er zwar nicht jedes Verdienst abstreitet, die aber ihre geschichtliche Rolle bereits erfüllt habe und der er nur noch eine heuristische Funktion zuerteilt. „Noch immer halte ich viel von diesem [sc. Fichtes und Schellings] Verdienst; aber ich bin überzeugt, daß auch sie auf den sichern Gang der Wissenschaft nur bestimmter hingedeutet, denselben eben so wenig, als Kant, gefunden und selbst betreten haben, und daß das Ende des transcendentalen Idealismus nicht genug beschleunigt werden kann, wenn er nicht eine unheilbare Verwirrung in den Köpfen anrichten und auf das Sublimiren ein verderbliches Präcipitiren erfolgen soll.“⁶¹
Dieses Bild übernimmt er in abgewandelter Form in seiner Rezension von Schellings System, in welcher er von der „vollendete[n] Sublimation des Idealismus in der Philosophie“ spricht, „die unstreitig eine der Bedingungen der gründlichen Präcipitation desselben ist, vermittelst welcher es allein der wahren Philosophie als ein heuristisches Mittel gedeihlich werden kann und wird“.⁶² Schelling und Fichte werden immer noch als Vertreter des gleichen Standpunkts betrachtet, aber Reinhold weiß sie nun in seiner Rezension zu unterscheiden. Wenn vom subjektiven Pol die Rede ist, spricht er vom „schellingfichtesche[n] reine[n] Ich“; beim objektiven Pol aber spricht er nur von der „schellingschen Natur“.⁶³ Mit Feinsinn ahnt er vielleicht den Divergenzpunkt, an welchem sich beide ein Jahr später entzweien werden. Im zuvor angeführten Brief an Paulus wird Schelling auch als „consequenter als Fichte, und eben darum absolut gottlos“ gekennzeichnet.⁶⁴ Die größere Konsequenz Schellings zeigt sich nach Reinhold in seiner gesteigerten Abwegigkeit. Im System des transscendentalen Idealismus stelle sich ihm „der transcendentale Idealismus nur augenscheinlicher als eine methodische Verkehrung der Vernunft, als durchaus consequenter Unsinn, als durchaus streng durchgeführte Formalität der Unvernunft dar“.⁶⁵
Reinhold an Paulus, 8. 5.1800, angeführt in: Schelling-AA I/9,2.34. Rez. Schelling, 375. Ebd. 374. Reinhold an Paulus, 8. 5.1800, angeführt in: Schelling-AA I/9,2.34. Ebd.
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In Jacobis Brief an Fichte war Fichte als der„Messias der spekulativen Vernunft“ bezeichnet worden, weil er die Potentialitäten der kantischen Philosophie mit größter Folgerichtigkeit ins Äußerste getrieben habe.⁶⁶ Reinhold, der zur Zeit des Atheismusstreites Jacobi sehr nah gestanden hatte und gegen den Schelling und die Romantiker den Verdacht hegen, er habe diese Rezension des Systems des transscendentalen Idealismus unter Jacobis Einfluß geschrieben,⁶⁷ lässt Schelling eine ähnliche Rolle spielen, wie Fichte bei Jacobi: über Fichte hinaus habe Schelling es geschafft, die Unvernunft noch zu potenzieren. Für diese Abwegigkeit findet Reinhold auch einen Namen: in den Aufsätzen ab 1800 spricht er von der Transzendentalphilosophie nur noch als von einer„Philodoxie“. So schreibt er in dem 1801 im Neuen Teutschen Merkur erschienenen Aufsatz: „Der Geist des Zeitalters als Geist der Filosofie“: „Das Meisterwerk künstlicher Verblendung der Willkühr bis zur Stockblindheit ist durch die spekulirende Willkühr im letzten Jahrzehend des verflossenen Jahrhunderts unter dem Namen der reinen Transzendentalfilosofie in einer vollendeten Filodoxie, oder methodisirten Wahnsucht, aufgestellt worden.“⁶⁸ Bei allen Unterschieden werden Schelling und Fichte gemeinsam expediert, weil sie im Grunde dem gleichen Fehler unterliegen. Beide werden beschuldigt, die Hauptaufgabe der Philosophie mißverstanden zu haben.⁶⁹ Zu diesem Punkt verwendet Reinhold eine Denkstrategie, die wieder stark an Jacobi angelehnt zu sein scheint. Im Brief an Fichte hatte Jacobi die These vertreten, alle Philosophien, so entgegengesetzt sie auch sein mögen, hätten als gemeinsames Vorgehen, das eine Glied einer ursprünglichen Dualität Bewusstsein-Welt zu negieren, und die Aufgabe der Philosophie bestehe dann unabänderlich darin, das negierte Glied aus dem anderen Glied der Dualität zu rekonstruieren, also das Ich aus der Materie für die Materialisten und die Natur aus dem Ich für die Idealisten.⁷⁰ Genau dieses Modell überträgt Reinhold auf Schellings System, um den Fehler zu schildern, den Fichte und Schelling „gleich mit ihrem ersten Schritte“⁷¹ begehen. „Unbedingte Identität des Objectiven und Subjectiven“ sei das Thema und Prinzip der Schellingschen Philosophie.
Jacobi an Fichte, Jacobi-W 2.194. Im Brief an Fichte vom 18. 8.1800 spricht Schelling vom „offenbaren Einfluß, den er [= Jacobi] auf die heillose Recension meines Systems des Idealismus in der Lit. Zeitung gehabt hat“ (SchellingAA III/2.221). Vgl. ferner den Brief von Schlegel an Schleiermacher, 20. 8.1800: „in der Recension des transcendentalen Idealismus, die doch unstreitig von ihm [= Reinhold], nämlich von Jacobi ihm in die Feder dictirt ist“ (Schleiermacher-KGA V/4.214). Reinhold, Der Geist des Zeitalters als Geist der Filosofie, NTM, Februar 1801, 170. Rez. Schelling, 371. Vgl. Jacobi an Fichte, Jacobi-W 2.194 f. Rez. Schelling, 375.
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„Um jene Identität zu erklären, muß ich, da mir außer jenen beiden Factoren des Wissens als Erklärungsprinzip nichts gegeben ist, nothwendig den Einen dem Anderen vorsetzen; von dem Einen ausgehen, um von ihm auf den Andern zu kommen. Von welchem von beiden ich ausgehe, ist durch die Aufgabe nicht bestimmt. Die Identität der Natur und des Ichs kündigen sich hier schon durch den Umstand an, daß es völlig gleichgültig ist, welches von beiden man als das Erste annehmen, und in soferne hypothetisch dem Andern zum Grunde legen wolle. An der Stelle der zum Behuf der Erklärung aufgehobenen absoluten Einheit oder einen Absolutheit gewinnt Hr. S[chelling]. zwey absolute Relativitäten oder relative Absolutheiten; Ein absolut Subjectives[,] das reine Ich – und Ein absolut Objectives, die Natur. Jedes von Beiden schließt nur durch seine Relativität das Andere aus, begreift aber durch seine Absolutheit das Andere in sich; und führt daher, in wieferne es in der Wissenschaft als Erstes betrachtet wird, nothwendig auf das Andere zurück.“⁷²
Der von Fichte und Schelling gleich beim ersten Schritt begangene Fehler bestehe darin, einen abstrahierenden und ableitenden Weg gehen zu wollen, egal ob man vom Ich (Fichte) oder vom Ich und/oder von der Natur (Schelling) ausgehe, statt bei einer blossen Beschreibung zu bleiben, wie etwa Jacobi vorbildhaft mit seinem Programm einer Daseinsenthüllung vorgeschlagen hatte, oder statt sich an das Denken als Denken zu halten, wie es nun in der bardilischen Terminologie heissen soll. Das ganze Verfahren der nunmehr als Philodoxie disqualifizierten Spekulation, inwiefern sie sich eben nicht am Faden des Denkens als Denken hält, wird zu einem bloßen subjektivistisch geladenen „Dichten“ degradiert. Der Nihilismus- und Subjektivismus-Vorwurf im Brief an Fichte klingt nach. Die leere Spekulation äffe das Denken „durch ein methodisches Phantasieren“ nach, heisst es z. B. im Aufsatz „Was heißt philosophiren?“ im ersten Heft der Beyträge zur leichteren Uebersicht des Zustandes der Philosophie. ⁷³ Der Grundzug der Spekulation im Gegensatz zum philosophischen Denken, dies die Hauptthese, sei eine „Verwechslung von Denken und Vorstellen“,⁷⁴ und somit kehrt Reinhold einen zuvor an ihn gerichteten Einwand einmal mehr um, indem er ihn gegen diejenigen, die ihn geäussert hatten, zurückwendet. Gerade darin zeige sich die größere Konsequenz oder Verwegenheit der Schellingschen Philosophie. Schon in der Rezension des Systems des transscendentalen Idealismus heisst es, Schelling habe mit diesem Werk „das Non plus Ultra der Amalgamation des Denkens und Dichtens“ geliefert.⁷⁵ Reinhold hält an diesem Urteil fest, als in dem „Ueber den Vertilgunskrieg zwischen der spekulierenden [nämlich der fichtesch-schellingschen] und der denkenden [nämlich der bardilisch-reinholdschen] Philosophie“ betitelten „Vorbericht“ zum fünften Heft
Ebd. 365. Beiträge Übersicht H 1, 87, RGS 7/1.56. Beiträge Übersicht H 5, insbes. iii–v, viii, RGS 7/2.639–641. Rez. Schelling, 376.
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seiner Beyträge er das Schellingsche System zur„konsequenteste[n] Philodoxie oder Spekulation überhaupt“ erklärt.⁷⁶ Die nach Schellings doppelter Hinrichtung im Kritischen Journal erfolgte Eskalierung läßt sich übrigens am Titel des letztgenannten Vorberichts ermessen. Während Reinhold in der „Vorrede“ zum ersten Heft der Beyträge noch schrieb, er nehme sich vor, „den transcendentalen Idealismus nicht so viel zu widerlegen“, weil er nicht widerlegt werden könne, als vielmehr „zu erörtern“,⁷⁷ so ist nur noch von „Vertilgungskrieg“ die Rede.
3 Schlußbemerkung Fichte und Schelling haben in der Mitte der neunziger Jahre Reinhold vorgeworfen, die Beziehung zwischen Denken und Vorstellen nicht richtig gedacht zu haben, weil er einseitig von einer falsch verstandenen Auffassung der Theorie ausgegangen sei, der die praktische Verankerung gefehlt habe. Symmetrisch wirft Reinhold in Anlehnung an Jacobi dem Fichteschen und vor allem Schellingschen Idealismus vor, Denken und Vorstellen verwechselt zu haben, indem er sich nicht am Denken als Denken gehalten und sich in leere, subjektivistische Spekulation verloren habe. Es möchte wohl sein, dass sich Reinhold der Sprachphilosophie zugewendet hat, die in seiner Beziehung zur Schellingschen Philosophie überhaupt keine Rolle gespielt hatte, um eben diese Pattsituation aufzulösen.
Literatur Fuhrmans, Horst (1962): F. W. J. Schelling. Briefe und Dokumente, Bd. 1, Bonn. Tilliette, Xavier (1997): Schelling im Spiegel seiner Zeitgenossen, Bd. 4, Nr. 2 u. 3, Torino.
Beiträge Übersicht H 5, viii, RGS 7/2.641. Beiträge Übersicht H 1, xii, RGS 7/1.8
Jean-François Goubet
Reinholds Rezension zu Herbarts Metaphysik Abstract: This paper focusses on the as of yet not very well researched relation between Reinhold and Herbart. In his system of „Rationaler Realismus“, first presented in 1800, Reinhold advanced a view which coincides with several points found in the realism advocated by Johann Friedrich Herbart in his Hauptpuncte der Metaphysik of 1806. Thus, it is no coincidence that after the publication of this work a cooperation could have been established between the two authors. On the basis of Reinhold’s 1812 review of the Hauptpuncte (ed. 1808) however, it is apparent that a stable cooperation was doomed to fail, because, in Reinhold’s estimation, Herbart did not engage in linguistic-philosophical reflection in conceptualizing identity and difference. Herbart, for his part, had doubts that Reinhold’s paradigm of philosophy as linguistic criticism could bring about the improvements necessary to establishing a scientific metaphysics. As a result, Herbart favored instead an analytical method of removing contradictions.
1 Die Verortung Herbarts in Reinholds späterer Darstellung der nachkantischen Zeit Im neunten Stück der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung vom 11. Januar 1812 stößt man auf eine Sammelrezension Reinholds, in der auch Johann Friedrich Herbarts Schrift Hauptpuncte der Metaphysik besprochen wird. Der Name Herbarts taucht hier zum ersten Mal in einem publizierten Text Reinholds auf. Bereits um 1808 kam es vorübergehend zu einem Briefwechsel Reinholds mit Herbart. In den folgenden Werken und Aufsätzen Reinhold scheint dieser allerdings keine Spuren hinterlassen zu haben. In der betreffenden Sammelrezension wird Herbart im Anschluss an Fries, Schelling und Fichte¹ behandelt, also im Zusammenhang der-
Reinhold, Rezension zu Fichte’s und Schelling’s neueste Lehren von Gott und der Welt, beurtheilt von J. Fries, Darstellung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zu der verbesserten fichteschen Lehre, eine Erläuterungsschrift der Ersteren, von F. W. J. Schelling, Die Wissenschaftslehre in ihrem allgemeinen Umrisse, dargestellt von J. G. Fichte sowie Hauptpuncte der Metaphysik von J. F. Herbart, in: ALZ vom 9. 1.1812, Nr. 7, 49–56; ALZ vom 10. Januar 1812, Nr. 8, 57–64; ALZ vom 11. Januar 1812, Nr. 9, 65–70. https://doi.org/10.1515/9783111239521-007
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jenigen Philosophen, mit denen sich Reinhold seit längerer Zeit auseinandergesetzt hatte. Reinholds Rezension wirft die Frage auf, ob seine Beschäftigung mit Herbart insgesamt zu einer Veränderung seiner philosophischen Haltung oder seiner Position innerhalb des Gesamtspektrums nachkantischen Philosophierens geführt hat. In einer Zeit, in der Reinhold am vehementesten den Schelling’schen Idealismus und Indifferentismus bekämpfte, hat er im Realisten Herbart möglicherweise einen Verbündeten sehen können. Hat er dem jüngeren Denker vielleicht sogar Argumente entliehen, um die von Schelling vollendete Strömung eines neuen spekulativen Idealismus zu bekämpfen? Ich möchte im Folgenden auf diesen Fragekomplex eingehen und den Versuch unternehmen, die sich aufeinander beziehenden Stellungnahmen Reinholds und Herbarts herauspräparieren und vor dem Hintergrund der systematischen Diskussionslagen der nachkantischen Philosophie genauer zu bestimmen. Dabei ist zunächst interessant, wie Reinhold zur Zeit seines Briefwechsels mit Herbart die philosophische Landschaft seiner Zeit skizziert. Näher zu fragen ist, ob Herbart in dieser Skizze eine besondere Rolle zukommt. Reinhold ließ um 1808 die für seine damaligen sprach- und wahrheitsphilosophischen Ansichten repräsentative Schrift Die Anfangsgründe der Erkenntnis der Wahrheit in einer Fibel für noch unbefriedigte Forscher nach dieser Erkenntniß drucken. In ihr äußerte er sich, wie gewöhnlich in einschlägigen Werken, gleichzeitig zu den nachkantischen Streitlagen, zu den Ansichten seiner Gegner und Mitstreiter. In dieser Beziehung werden nun in der Vorrede der Fibel mehrere philosophische Schulen dafür getadelt, dass sie es versäumen, auf die Bedeutungsdifferenz der Ausdrücke ‚Verschiedenheit‘ und ‚Unterschied‘ sowie der Ausdrücke ‚Einheit‘ und ‚Zusammenhang‘ aufmerksam zu machen, und dass sie deshalb Gefahr liefen, unvermerkt fatale Widersprüche zu produzieren. Die gemeinten philosophischen Schulen werden namentlich aufgeführt. Die Rede ist von neueren Logikern, wobei vor allem Kiesewetter gemeint sein dürfte,² von Anhängern „einer alten oder neuern Critik der Vernunft“, somit von Kantianern und Friesianern, schließlich von Anhängern „einer Wissenschaftslehre u. s. w.“³, also von Fichte, Schelling und ihrer Schülerschaft. Zu einer damaligen Richtung, welcher man einen unsensiblen Umgang mit dem Herausarbeiten des Widerspruchs nicht ankreiden kann und unter die der Realismus Herbarts fallen könnte, ist nichts zu finden. Ebenfalls in den polemischen Teilen innerhalb der
Dieser Autor wurde im selben Jahr in der gleichen Zeitschrift erwähnt: „Von dem denkenden Unterscheiden. Beylage zur Recension der Kiesewetterschen Logik Jen. A. L. Z. 1808, No. 215“, in: ALZ vom 22.10.1808, Nr. 75, 621–624. Fibel, XI.
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Einleitung der Fibel sucht man vergeblich nach einer Einlassung, die an den Standpunkt Herbarts erinnern könnte. In Reinholds Diagnose besteht das größte Übel der gegenwärtigen Strömung innerhalb der nachkantischen Philosophie darin, dass ein zuvor „zu weit getriebenes Vertrauen auf die Begriffe“⁴ sich ins Gegenteil verkehrt hat. Man misstraut jetzt dem Begriff und setzt ganz auf das Vermögen der intellektuellen Anschauung. Klarerweise stehen damit Fichte und Schelling im Visier der Kritik. An dieser Stelle hätte zumindest ein Wort zu jener philosophischen Richtung fallen können, die dieser Tendenz ebenfalls widersteht, nämlich der Philosophie Herbarts. Denn wie der rationale Realist und Sprachphilosoph Reinhold verwirft auch der Autor der Hauptpuncte der Metaphysik die intellektuelle Anschauung und ergreift vehement Partei für einen Grundbegriff des Denkens, der erklärtermaßen im Gegensatz zum Indifferentismus der intellektuellen Anschauen stehen soll. Man könnte also sagen, dass Reinhold und Herbart unter dem Stichwort ‚Philosophie als Wissenschaft‘ eigentlich Seite an Seite gegen die Apologeten der intellektuellen Anschauung hatten vorgehen können. Dass dem nicht so war, hängt wohl damit zusammen, dass Reinhold sich vorerst noch darüber verständigen wollte, inwieweit in der Sache tatsächlich ein Konsens mit Herbart besteht. In einem Brief Reinholds an Herbart von 1808, also zu dem Zeitpunkt, da er zwar bereits Herbarts Schrift Über philosophisches Studium kannte, die Hauptpuncte der Metaphysik aber wohl noch kaum durchgesehen hatte,⁵ ergreift Reinhold die Initiative und unternimmt den Versuch, einen Bund mit dem jüngeren Kollegen zu schließen. Er spricht von einem „Symphilosophiren“,⁶ das möglich sei, sofern es nach einem Klärungsprozess zu einer gegenseitigen Verständigung komme. Reinhold befand sich bezüglich der eigenen Systementwicklung in einer frühen Phase des sprachphilosophisch ausbuchstabierten Rationalen Realismus. Entsprechend großen Wert legt er auf die eindeutige, der Sprachverwirrung entgegenwirkende Bestimmung der Grundausdrücke im Bereich der Logik und Metaphysik, wobei es ihm vornehmlich um eine Sprachreinigung in den Bedeutungsfeldern von Einheit und Differenz zu tun ist. Herbart seinerseits ist der Ansicht, die gegenwärtige, logisch und begrifflich ungenügend bearbeitete Metaphysik lasse sich verbessern, wenn vorgängig auf einem analytischen Weg Licht in die Relation von Begriffen gebracht und insbesondere aufgewiesen werde, was genau unter der Verbindung von Begriffen sowie unter dem Widerspruch zwischen Begriffen zu verstehen sei. Ebd. 1. In einem Brief an F. A. Carus von August 1806 teilt Herbart mit, er werde Reinhold über seine metaphysische Schrift informieren (Herbart an Carus, August 1806, Herbart-SW 16.298). Es gibt bis dato keine Hinweise darauf, dass Reinhold die Schrift erhalten oder gelesen hat. Reinhold an Herbart, 1. November 1808, Herbart-SW 17.18.
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Reinhold nahm deshalb umgehend die Stichworte ‚Verbinden‘ ‚Vereinigen‘ auf und eröffnet an diesem Punkt die Diskussion mit seinem Briefpartner. Unter dem Herbartschen Motto „zwischen den Begriffen die gehörigen Übergänge zu bahnen“⁷ sollte es einer ersten Einschätzung zufolge möglich sein, Konsens bezüglich einer Neukonzeption der Metaphysik zu finden und den Kampf gegen die Philosophie der intellektuellen Anschauung fortan gemeinsam zu führen. Mit diesem Zugang und dieser Absicht war es nicht eigentlich der Realismus Herbarts, der bei Reinhold Anklang fand, sondern das Unternehmen einer neuen begriffs- und sprachanalytischen Grundlegung der Metaphysik. Philosophie als strenge Wissenschaft⁸ war, wie angedeutet, ein Ideal, welches von beiden akzeptiert wurde. Wie zuvor in seinen Briefwechseln mit Kant, Fichte, Jacobi und Bardili war Reinhold jetzt auch im Gedankenaustausch mit Herbart guter Hoffnung, einen neuen Lernschritt in der Ausgestaltung seiner philosophischen Systemideen zurücklegen zu können und zählte deshalb vorübergehend ebenso Herbart zu seinen „Lehrern“⁹. Anders als in den früheren Fällen veranlassten die Resultate des neuesten Lehrers Reinhold aber nicht zu einem Systemwechsel. Offenbar eigneten sich diese Resultate nur beschränkt zur Anregungsquelle in Reinholds Fortentwicklung zu einem sprachphilosophisch modifizierten Rationalen Realismus, wie er in der Zeit von 1808 vorliegt. Hinter der darauffolgenden Entwicklung zum System der Synonymik standen wesentlich andere, vor allem Jacobi‘sche Einsichten. Gleichwohl bleibt interessant, dass Reinhold ungefähr zum Zeitpunkt der Publikation seiner Synonymik,¹⁰ um 1812, erstmals auf Herbart eingeht und dessen Metaphysik in die Galerie der nachkantischen Systementwürfe aufnimmt. In einem Atemzug werden die Hauptpuncte der Metaphysik zusammen mit den eigenen Systembeiträgen aus der Periode der Elementarphilosophie, mit Fichtes Wissenschaftslehre, mit Fries‘ neuer Kritik der Vernunft, mit Hegels System der Wissenschaft und schließlich mit Schellings Identitätssystem erwähnt. Und nicht nur dies. In der Zusammenstellung fällt auch das Urteil zu Herbarts Metaphysik ähnlich aus wie bei anderen Systemen. Es wird erklärt, in den genannten Systemen werde nicht zwischen Einheit und Einerleiheit, d. h. Unität und Identität unterschieden. Aus ihnen lasse sich deshalb nichts Positives zur Entdeckung des echten Fundaments des philosophischen Wissens gewinnen.¹¹ Herbart, der gegen Ende des Jahres 1808
Ebd. Dieses Motto wird bei Reinhold in vielen Schriften, so auch in der Rüge vertreten. Herbart verteidigt das wissenschaftliche Ideal der Philosophie in seiner Schrift Über philosophisches Studium. Zur dortigen Polemik Herbarts gegen Schelling vgl. Beiser (2014) 124. Ebd. 20. Reinholds Sohn zufolge ist die Synonymik ein 1810 und 1811 geschriebenes Werk; Siehe RL, 110. Vgl. Synonymik, 33–35.
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zunächst als Verbündeter erscheinen konnte, ist es offensichtlich nicht. Denn ihn trifft, wie die anderen, der Vorwurf metaphysikbegrifflicher Unschärfe, analytischer Ungenauigkeit und synonymischer Widersprüchlichkeit. Aus Reinholds Sicht ist Herbart nur ein weiterer Nachkantianer in der Linie Fichtes und Schellings, ein Nachkantianer, der zur Sprachverwirrung durch Vermehrung künstlicher Termini beigetragen und so das Ziel eines sprachkritischen Philosophierens verfehlt hat.
2 Gründe für Herbarts repulsives Verhältnis zu Reinhold Es war bei der intellektuellen Begegnung der beider Denker nicht so, dass nur Reinhold Bedingungen stellte und das Zusammengehen von einem Verständigungsprozess abhängig machte. Auch Herbart drängte auf Klärung. Dies umso mehr, als es bei ihm, teils seit längerem bestehende Vorbehalte und Widerstände gab. Konzentrieren wir uns auf seinen Standpunkt und auf die Gründe, die seine Annäherung an Reinhold erschwerten. Da sind zum einen persönliche Gründe, die mit der philosophischen Laufbahn Herbarts zu tun haben. Herbart war Student der Philosophie in Jena zu einer Zeit, in der dort die gegen Reinholds Elementarphilosophie gerichtete Grundsatzskepsis an Bedeutung gewann und in der Reinholds System mit dem Auftreten Fichtes, in dessen Schülerkreis Herbart eine Zeitlang verkehrte, in die Defensive geriet. Der Name Reinholds verband sich für Herbart mit dem Autor der gescheiterten oder aber durch Fichtes Wissenschaftslehre überwundenen Elementarphilosophie. Aus einem Brief Fichtes, der von dem Ende 1796 erfolgten Anschluss Reinholds an die Wissenschaftslehre handelt, hatte Herbart mitbekommen, dass der Kieler Philosoph die Lehren seiner Mitstreiter häufig falsch oder missverständlich aufnehme.¹² Gegen Ende der 1790er Jahre, nachdem Reinhold auch mit Jacobi zu sympathisieren begann, verfolgt Herbart, dass zunehmend Zweifel an der Eigenständigkeit des einstigen Elementarphilosophen geäußert werden. Gegen eine Annäherung sprachen aber auch Gründe, die weniger mit Reinhold als mit Herbart selbst, mit seinem zurückhaltenden Charakter zu tun haben. Herbart war nicht sonderlich auf öffentliche Anerkennung bedacht. Er buhlte nicht um Zustimmung, rang nicht darum, von Schülern oder von einem alten Meister gelobt zu werden.¹³ Herbart schien gegen 1808 auch nicht an einer breiten Vermittlung
Vgl. Fichte an Herbart, 01.1.1798, Herbart-SW 16.76. Vgl. Herbart an Reinhold, November 1808, Herbart-SW 17.23. („Mich trösten nicht die jungen Leute, die meine Lehre annehmen, weil sie nichts anderes kennen“), und Herbart an Steiger, 21.11.
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seiner Lehre interessiert zu sein. Sein Ziel war die Erhärtung und weitere systematische Durchdringung bisher erreichter Einsichten. Er wollte unbedingt ein Werk zur Psychologie ausarbeiten. Dabei war Herbart selbstbewusst genug, sich als Spitze einer philosophischen Entwicklung zu sehen, so dass er vorangehende nachkantische Systemleistungen seiner Mitstreiter als Leiter zu seinem System betrachtete. Seit 1798 fühlte er sich im Besitz eines wohldurchdachten eigenen Systems.¹⁴ Dies war wohl ein weiterer Grund, sich gegenüber Reinhold reserviert zu verhalten. Aus der Sicht Herbarts war Reinhold passé. Bezeichnenderweise erwähnt Herbart in der Einleitung in die Philosophie und in der Allgemeinen Metaphysik Reinhold als eine philosophische Figur, die mit ihrer an Kant anschließenden Elementarphilosophie epochemachend war,¹⁵ danach aber kaum mehr für einen Fortschritt der philosophierenden Vernunft stand. Eine Rezeption von Reinholds System des Rationalen Realismus und Reinholds Sprachphilosophie ist bei Herbart deshalb nicht zu sehen. Die Rezension Herbarts von Ernst Reinholds intellektueller Biographie seines Vaters bestätigen diese Tendenz zu einem selektiven, auf die Jenaer Zeit fokussierten Reinhold-Bild. Karl Leonhard Reinholds Ära der großen Wirkung war zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts vorbei. Es war für damalige Verhältnisse unmöglich zu glauben, dass die Grundlegung einer Synonymik oder die Spätschrift Die alte Frage: Was ist die Wahrheit? den Gipfelpunkt seiner intellektuellen Entwicklung bilden konnte.¹⁶ Zum anderen sind es die Lehre betreffende Unterschiede, die eine Konvergenz zwischen Reinhold und Herbart nur schwer möglich machten. Bezüglich der Art und Weise, wie eine grundlegende Philosophie ausgestaltet sein soll, gab es Differenzen, die bei genauerem Hinsehen nur schwer überbrückbar waren.Wie erwähnt war für Herbarts intellektuellen Werdegang die Jenaer Grundsatzskepsis, die sich gegen Reinholds Elementarphilosophie wie sodann auch gegen Fichtes frühe Wissenschaftslehre richtete, von einiger Bedeutung. Herbart zweifelte am Sinne und Nutzen eines streng einheitlichen Lehrgebäudes der Philosophie. Seines Erachtens sollten theoretische und praktische Untersuchungen getrennt geführt werden. Die Hauptpuncte der Metaphysik und die Allgemeinen praktische Philosophie waren für ihn zwei Unternehmen, die zwar nach einer „Einheit der Besinnung“ strebten, die
1808, Herbart-SW 17.27.: „so ist es dies […], dass Reinhold in Kiel mich zu philosoph[ischen] Briefwechsel wiederholt und sehr freundschaftlich aufgefordert hat u. dgl. m. Alle diese Dinge machen immer weniger Eindruck auf mich.“ Vgl. Böhlendorff an Rist, 10.11.1798, Herbart-SW 16.97. Vgl. Herbart, Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie, wo die Theorie des Vorstellungsvermögens als „ein jetzt beinahe vergessenes Buch“ erwähnt wird, und Herbart-SW 7.138, wo sie als die Vorläuferin des Idealismus gilt. Vgl. die Rezension zu RL, Herbart-SW 13.53–55.
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aber kein „vorausgesetztes Eins“¹⁷ annehmen durften. Hingegen wollte Reinhold, wie sein zweiter Brief an Herbart dokumentiert,¹⁸ zur betreffenden Zeit die praktische Philosophie der theoretischen unterstellen und beide aus einer letzten Einheit, dem „denkenden Urwesen“¹⁹, hervorgehen lassen. Reinholds Sein oder Prius kat exochen ist der sich an der Natur manifestierende Gott, während das Herbartsche Sein zu der mannigfaltigen Realität in ihrer letzten Begründung zurückführt: die Herbartsche Metaphysik setzt tatsächlich ihr Ziel „in der Natur und in dem Bewusstsein“.²⁰ Die Hauptpuncte der Metaphysik rechnen die Frage einer letzten Einheit im Weltall zu den Grenzfragen.²¹ Es wird von einem problematischen focus imaginarius ausgegangen, einem Zielpunkt, der diverse philosophische Recherchen am Ende zusammenlaufen lässt. Die philosophischen Vorhaben Reinholds und Herbarts waren, kann man sagen, ihrer jeweiligen Struktur nach zu verschieden, um leicht konvergieren zu können. Hinzu kommt, dass die jeweiligen philosophischen Methoden hinsichtlich der Behandlung der Widersprüche nicht zu vereinen waren. Dem methodischen Vorgehen Herbarts aus dessen Programmschrift Über philosophisches Studium hat Reinhold zwar Anerkennung gezollt, insofern hier eine Methode des Entdeckens, Herausarbeitens und Aufhebens von Widersprüchen in Angriff genommen wird, die in der Grundtendenz jenem Methodenaspekt zu entsprechen schien, für den Reinhold seit der Phase des Rationalen Realismus Interesse zeigte;²² und gerade hier schien es Reinhold also möglich, eine Zusammenarbeit mit dem jüngeren Philosophen anzustreben. Was Reinhold jedoch nicht sehen konnte, war die fundamentale Differenz zwischen seiner eigenen sprachkritischen Begriffsanalyse und der von Herbart so genannten Methode der Beziehungen. In Reinholds sprachkritischem Ansatz geht es sowohl um eine Verdeutlichung von Begriffen als auch – je länger, desto entschiedener – um die Forderung, die Haupttermini im Bereich von Logik und Metaphysik eindeutig zu bestimmen. Die betreffenden Termini müssen dabei innerhalb eines Ensembles sinnverwandter Termini eindeutig geklärt werden, was den Blick auf eine differenzbewusste kohärentistische Genese der jeweiligen Bedeutungen einschließt. Im System der Synonymik wird Reinhold in dieser Hinsicht von Wortfamilien der Einheit und
Über philosophisches Studium, Herbart-SW 2.274–275. Zwei Briefe, vermutlich der zweite und dritte, sind erhalten. Aus einem Brief Herbarts an Smidt von Dezember 1808 wissen wir, dass Reinhold „drey Briefe schrieb, ohne [s]eine Antworten abzuwarten“ (Herbart-SW 17.29). Reinhold an Herbart, 1.11.1808, Herbart-SW 17.20. Herbart an Reinhold, November 1808, Herbart-SW 17.23. Vgl. Über philosophisches Studium, § 14, Herbart-SW 2.215–216. Vgl. Reinhold an Herbart, 1.11.1808, Herbart-SW 17.19–20.
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Differenz sprechen und argumentiert, dass es einer vollständigen Unterscheidung und Klärung der Bedeutungen von Wörtern wie „Eines“ „Einheit“, „Einerleiheit“, „Identität“, „Verbindung“, „Zusammenhang“ usw. bedarf. Andersfalls wird mit synonymen und homonymen Ausdrücken unvermerkt oder gezielt Verwirrung gestiftet. Reinhold strebt, kurz gesagt, nach einer eindeutigen semantischen Festlegung der zentralen logischen und metaphysischen Ausdrücke. Für Herbart indessen ist eine solche Zielsetzung im Grunde illusionär. Aus seiner Sicht bleibt es verfehlt, zu glauben, ein verbesserter Sprachgebrauch trage zur Entdeckung und Aufhebung von Widersprüchen bei, und führe uns, anders gesagt, als Denker von Widersprüchen zu Einheit und Einigkeit. Herbart geht deshalb in Bezug auf die Frage des Widerspruchs und seiner Aufhebung von einer anderen Grundidee aus. Seines Erachtens ist der Widerspruch auf der Ebene von Sätzen zu lokalisieren und zeigt sich dem Wesen nach darin, dass verschiedene Sätze, welche zwei Glieder A und B enthalten, nicht miteinander vereinbar sind. Den Widerspruch entdecken, ist zudem eine Aufgabe, die den Anfang des Denkens in einem Denkprozess ausmacht. Und Widerspruch bedeutet in diesem Fall, dass jemand sagt: „das Ich ist sich selbst“ und „das Ich ist mit wechselnden Bewusstseinsinhalten verbunden“²³. Nur eine der höheren Mathematik entliehene Methode der Beziehung von Sätzen kann so letztlich der Aufgabe des Entdeckens und Aufhebens von Widersprüchen gerecht werden. Vorbild ist die Differenzialrechnung, bei der eine Kurve verschiedener und gleicher Ausdrücke durchlaufen wird. In diesem Sinn soll der Widerspruch als eine Relation, als eine Beziehung des Einen zum ‚Heteron‘,²⁴ gleichsam methodisch verarbeitet werden. Herbart denkt, insofern es dabei um die Frage einer Methode analytischer Art geht, an eine Anlehnung an die mathematische Analysis. Diese Richtung lässt sich in gewisser Weise zwar mit Reinholds Verfahren der „Analysis“ zusammenbringen, das im Zusammenhang des Rationalen Realismus als Weg des Zurückführens eines ersten Wahren auf das Urwahre beschrieben worden war, allerdings nicht mit Reinholds sprachkritischer Grundidee. Offenbar ist es dieser Unterschied, der Herbart jede weitere Annäherung an Reinhold erschwert hat.²⁵ Hinzu kommt, dass Herbart die Metaphysik in erster Linie als eine Sache der theoretischen Überzeugung verstand und deshalb Reinholds Appelle an eine in den praktischen Bereich vorstoßende Evidenz des
Vgl. z. B. Hauptpuncte der Metaphysik, § 11, Herbart-SW 2.206–207. Herbart an Reinhold, November 1808, Herbart-SW 17.22. Vgl. die Rezension Herbarts zu RL, Herbart-SW 13.60–61.
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Gewissens nicht gutheißen konnte. Herbart konnte die Kraftsprache eines Reinhold²⁶ zwar loben, aber sie konnte ihn offenbar nicht überzeugen.
3 Reinholds Bewertung der Herbartschen Hauptpuncte der Metaphysik Auf der Grundlage der Schriften und des Briefwechsels der beiden Denker in der Zeit um 1808 lässt sich vorausahnen, dass Reinholds Rezension zu Herbarts Hauptpuncten der Metaphysik für diesen wenig günstig ausfällt. Beide Philosophen wollten offenbar voneinander lernen, blieben aber von ihren Voraussetzungen her einander fern. Dabei hat Herbart Reinhold klar genug signalisiert, wo er mit ihm uneinig war.²⁷ Reinhold hat seine Sprachphilosophie zwischen 1808 und 1812 dann hauptsächlich unter Einflüssen Jacobis fortentwickelt. Mit dem System der Synonymik wird zwar ein Formalismus in der vorherigen eigenen Sprachanalyse abgelehnt,²⁸ doch bleibt es beim Ziel eines auf Eindeutigkeit der Ausdrücke beruhenden Verfahrens des Entdeckens und Auflösens von Widersprüchen. Von dieser Prämisse her war voraussehbar, dass Reinhold Herbart nicht anderes beurteilen und in Schranken weisen konnte als zuvor schon Fichte, Schelling und Fries. In der Rezension der Hauptpuncte der Metaphysik setzt sich Reinhold denn auch mit den Details der Herbartschen Lehre kaum noch gründlich auseinander, was etwa im Kontrast zu einer 1809 erschienenen anonymen Rezension aus der Halleschen Allgemeinen Literatur-Zeitung auffällt.²⁹ Für Reinhold ist die Sache sehr bald und sehr klar ausgemacht: Herbarts Metaphysik ist zum Scheitern verurteilt, da sie der Aufgabe, den philosophischen und gemeinen Sprachgebrauch zu analysieren, keine Aufmerksamkeit schenkt. Gleich zu Beginn der Rezension bemängelt Reinhold Herbarts unsorgfältigen und dadurch zu störenden Mehrdeutigkeiten führenden Gebrauch der Ausdrücke ‚Grund‘ und ‚Folge‘. Bezug genommen wird auf einleitende Erklärungen Herbarts zu einem Verhältnis von Grund und Folge, bei dem die Folge durch den Grund zwar vorbestimmt, jedoch im Grund nicht schon enthalten sei, sowie auf Ausführungen Herbarts zu Problemen der physikalischen Kausalität, des chemischen Stoffwech Vgl. Herbart an Reinhold, November 1808, Herbart-SW 17.23, wo Herbart die „erweckende Kraft“ der Reinholdschen Sprache erwähnt. Zum Misstrauen Herbarts gegenüber der Kraftsprache der Idealisten siehe auch Goubet (2020). Vgl Herbart an Reinhold, November 1808, Herbart-SW 17.23. Vgl. Synonymik, XXVIII–XIX. Zu den Aspekten der Reinholdschen Sprachphilosophie siehe Valenza (2003) und Gerten (2005). ALZ vom 4. April 1809, Nr. 10, 25–30, und ALZ vom 5. Mai 1809, Nr. 126, 33–37.
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sels, der mathematischen Konstruktion des Raums sowie der psychischen Wandelbarkeit. Herbart behandelt alle diese Gegenstände oder Prozesse sowohl als etwas Gegebenes,Vorgefundenes als auch als etwas, was einer Relation, subsumiert ist und demnach mithilfe dieser Relation erkannt werden muss. Für Reinhold liegt hier die Hauptschwierigkeit: „Dabey wird ignorirt, dass der Grund in seiner ursprünglichen und eigenthümlichen Bedeutung ein unwandelbarer Charakter des Unwandelbaren ist, und dass die Folge, als das durch den Grund und unter demselben Bestehende, eben so wenig eine Veränderung und ein Werden seyn kann, als der Grund selber.“³⁰
Reinhold bemängelt an dieser Stelle eine Verwechslung der Ebenen in der Verwendung der Beziehung von Grund und Folge. Seines Erachtens hat Herbart die Wörter „Grund“ und „Folge“, die dem Bereich einer intellektuellen Erkenntnis entstammen, von vorneherein auf eine gegebene Realität, auf den Bereich der Erfahrung, übertragen. Mit diesem Ergebnis aber lassen sie sich nicht mehr in ihren verschiedenen Zusammenhängen und Bedeutungen verstehen. Es wird nicht mehr zwischen dem Grund als Bedingung, Grund als Unwandelbarem am Wandelbaren sowie Grund als Urgrund, dem „das an sich Unwandelbaren“³¹ unterschieden. Aus dieser Sicht disqualifiziert sich Herbarts Metaphysik schon deshalb, weil sie den Zugang zu einem absoluten Wesen verunmöglicht. Mit der Methode der Beziehungen, wie Herbart sie versteht, befindet man sich in der Tat im Bereich eines stets nur relativen Zusammenbestehens von Relaten. Aus der Sicht Reinholds wird mit einem solchen Verständnis bestenfalls ein Urgrund im Sinne eines Urverhältnisses gedacht, somit ein Urgrund nicht auf der Höhe des eigentlichen, sondern nur des vorstellenden Denkens. Das Fazit lautet dementsprechend: „Unter der Benennung: Gedanke des Grundes, wird die Vorstellung des Grundes, welcher allein ein Werden zukömmt, mit der Idee des Grundes, die wie der Grund selbst über das Werden erhaben ist, vermengt.“³²
Was die Sichtweise Herbarts angeht, muss eine Vermengung verschiedener Bedeutungen eines Ausdrucks nicht einfach als Fehler angesehen werden. Sie lässt sich auch als notwendiges Moment innerhalb eines Prozesses des Bestimmens und Begründens von Ausdrücken begreifen. Materie, Form, Verbindung, Trennung, Hemmung usw. stehen in einem Entwicklungszusammenhang, werden dadurch
ALZ vom 11. November 1812, Nr. 9, 68. Ebd. Dieser Ausdruck tauchte bereits im Teil der Rez. Fichte auf, z. B. 65–66. Ebd. 69.
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nicht als rein gefasst und behalten somit stets eine schwankende Bedeutung. Mit Herbart wäre zudem zu entgegnen, dass bei Reinhold die Idee einer Hemmung, die für den Gedanken der Aufhebung des Widerspruchs unentbehrlich sei, nicht ernst genommen werde. Schauen wir diesen Punkt näher an. Herbart zufolge ist der Widerspruch nicht eine Verwirrung in der Bedeutung eines einzelnen Ausdrucks, so im vorliegenden Falle des Ausdrucks ‚Grund‘. Der Widerspruch ist ein Dilemma. Er ergibt sich mit dem Befund, dass die Folge mit dem Grund insofern eine Einheit bildet, als sie durch den Grund begründet wird, zugleich aber auch vom Grund verschieden ist, da sie nicht im Grund bereits vorhanden ist. Es erhebt sich damit umgehend die Frage, ob und wie Einheit und Differenz in diesem Falle zugleich möglich sind. Die Antwort lautet: Sie sind möglich, weil ein Mittelglied A und B, Grund und Folge, trennt und verbindet. Die Folge ist bereits im Grund vorhanden, aber nicht als solche, sondern als gehemmt. Der Grund erweist sich also als hemmend. Nur zwei Elemente, zwei getrennte Einheiten, können eine Form haben, eine Gestalt annehmen. Das Folgern beinhaltet also eine Trennung von zwei Relaten A und B, die miteinander interagieren, sich miteinander in einem bestimmen Grad verbinden.³³ Reinhold vermisst in solchen Ausführungen Herbarts die Reflexion auf die Bedeutung der Ausdrücke „Grund“ und „Begründen“. Seines Erachtens wird Herbart durch die Unbestimmtheit der „Wörter Grund und Begründen“³⁴ dazu verleitet, Grund und Begründung gleichzeitig als in den Bedeutungen eines Zusammenführens oder Vereinigens zu verstehen. Auf den Kernpunkt von Herbarts Widerspruchskonzeption geht Reinhold allerdings nicht ein. Ebenso wenig zeigt er Interesse, sich mit Herbarts Ergebnissen zu Statik und Mechanik der Natur sowie des Geistes auseinanderzusetzen. Im Ganzen steht Reinholds Kritik an Herbarts Metaphysik im Zeichen der Sprachkritik. Reinholds Meinung nach fehlt Herbarts Metaphysik nicht nur das Sensorium für eine sprachkritische Untersuchung im Geiste des eigenen Projekts der Synonymik. Sie operiert seines Erachtens auch in hohem Maße mit unbestimmten und vieldeutigen Grundausdrücken. Insofern ist für Reinhold die Metaphysik Herbarts derart gescheitert, dass auch eine künftige Hinzufügung einer „neuen Psychologie“ und „ästhetischen Moralphilosophie“³⁵ nichts mehr verbessern könnte. Herbarts System leidet nicht an Einseitigkeit, sondern an fehlender Einsicht in das Funktionieren der gemeinen und philosophischen Sprache. Trotz seiner Originalität und Scharfsinnigkeit, trotz seiner Fähigkeit, die Arbeit des Begriffs mit
Vgl. Hauptpuncte der Metaphysik, Herbart-SW 2.179–184. ALZ vom 11. Januar 1812, Nr. 9, 67–68. Ebd., 70.
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„Ernst und Mühe“ auf sich zu nehmen,³⁶ hat Herbart der Philosophie nicht das nötige Fundament verliehen.
4 Der späte Reinhold als Sprachphilosoph und als Anthropologe Es ist auffällig, dass Reinhold sich in der Rezension kaum auf Äußerungen eingelassen hat, die Herbarts künftige Psychologie betreffen. Die Hauptpuncte der Metaphysik sind zwar noch anders ausgerichtet als dieses kommende Projekt, nehmen aber beispielsweise in § 11 Fragen der Psychologie vorweg. Unter anderem erörtert Herbart dort in Anknüpfung an Fichte die für die Explikation der Prozessualität des psychischen Gegenstandes erforderlichen Widersprüche in der Konzeption des Ichs.³⁷ Das Ich ist sich selbst gleich, was der Identität der Person entspricht, und es ist auch zu jedem Zeitpunkt verschieden, kennt zugleich einen steten Wechsel seiner Gemütszustände. Herbart bringt an dieser Stelle sein Theorem der Hemmung zur Geltung. Zu vergegenwärtigen sei, dass bestehende Vorstellungen durch neue Vorstellungen bald verdrängt, bald verstärkt hervorgerufen werden. Das vorstellende Ich wird so in Bezug zu Vorstellungen verändert, negiert, erhalten, und in stets neue Zustände eines Gleichgewichts gebracht. Diese Sachzusammenhänge übergeht Reinhold. Es bringt lediglich zum Ausdruck, dass die sich bei Herbart andeutende mathematisch-metaphysische Richtung der Psychologie wenig geeignet sei, der in der Metaphysik herrschenden Sprachverwirrung entgegenzuwirken.³⁸ Hinsichtlich dieses Fragekomplexes darf schließlich nicht übergangen werden, dass es in der Diskussion zwischen den beiden Denkern einen blinden Fleckt gibt. Es wird nicht über möglich Zusammenhänge und Unterschiede hinsichtlich der von beiden verfolgten Projekte einer Psychologie bzw. Anthropologie diskutiert. Hierbei gilt es zu beachten, dass Reinhold zwar seit seinem Übergang zum System des Rationalen Realismus, das ein Prinzip des reinen Denkens, des Denkens als Denkens an die Spitze stellt, eine entschieden anti-psychologische Richtung einschlägt, sich damit aber von der Psychologie nicht einfach verabschiedet. Denn neben der Freilegung eines logisch-ontologischen Verständnisses von Denken als Denken kennt Reinhold auf einer Anwendungsstufe seiner damaligen Lehre gleichfalls ein vorstellendes und insofern psychologisches Denken. In diesen Bereich gehört unter anderem die Skizzierung einer Entstehungsgeschichte der Er-
Ebd. Herbart-SW 2.206–207. Vgl. ALZ vom 11. Januar 1812, Nr. 9, 70.
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kenntnis. Und in dieser Hinsicht fasst Reinhold das Denken als Denken im Sinne einer finalen Stufe, einer Stufe, auf der die Irrtümer, die sich durch den Bezug auf Sinnlichkeit und Vorstellungen ergeben haben, überwunden sind. Reinhold bringt so eine Erkenntnistheorie in Vorschlag, in welcher das reine Denken zugleich vor dem Hintergrund einer Reinigung vorangehender Stufen betrachtet wird. Ein angemessenes Verständnis des menschlichen Wesens und seiner Verwandtschaft mit Gott, der im Vollbesitz des reinen Denkens ist, lässt sich Reinhold zufolge nur erreichen, wenn ein Vergleich mit den Charakteren der anderen, niedrigeren Geschöpfe vorgenommen wird. Es bedarf insofern einer Anthropologie, in welcher die Vermittlung von Sinnlichkeit und Vernunft, des Physischen und des Psychischen³⁹ untersucht wird. Von daher ist meines Erachtens nicht zuletzt Ernst Reinholds Ansicht zuzustimmen, die Philosophie seines Vaters beinhalte stets das Bemühen, sich bei allen Darstellungen zu einer reinen Philosophie zugleich über die Entstehung von Erkenntnis und Denken zu verständigen.⁴⁰ Im Vergleich hierzu geht es Herbart, was wir als seine eigentliche Innovation betrachten müssen, darum, einen Übergang von der alten empirischen Psychologie bzw. der modernen psychischen Anthropologie zu einer neuen, wissenschaftlichen Form der Psychologie zu machen.⁴¹ Und dies mit äußerster Konsequenz. Während Reinhold in Kiel regelmäßig über Anthropologie gelesen hat,⁴² hat Herbart dies in Göttingen und in Königsberg entschieden verweigert. Er wollte nicht eine alte Psychologie weiter ausbreiten, sondern zuerst eine neue Psychologie begründen, eine Psychologie, die auf den neuesten Erkenntnissen der Metaphysik, Mathematik und Erfahrungswissenschaften beruht, kurz: eine Psychologie, die den Namen einer strengen Wissenschaft verdient. In dieser Hinsicht konnte Herbart ein abschließendes Mal an die Verdienste des Elementarphilosophen Reinhold erinnern.⁴³ Zu unserer eingangs gestellten Frage, ob die Auseinandersetzung mit Herbart bei Reinhold einen philosophischen Wandel bewirkt hat, lässt sich resümierend sagen, dass dem kaum so ist. Die beiden Denker standen der Sache nach zwar teilweise in Berührung, haben aber in ihren Diskussionen wenig voneinander gelernt. Erschwerend war, abgesehen von den dargelegten Gründen, die mangelhafte
Vgl. Das menschliche Erkenntnißvermögen, 6 f.: das Erlernen der Sprache in der ersten Kindheit wird als Faktum erwähnt wie auch als Zeichen der Verwandlung einer bloßen Sinnlichkeit in eine „menschliche“ Sinnlichkeit. RL, 116: „Es hätte eine Beschreibung der Genesis des menschlichen Bewußtseyns vorangehn sollen“ […], um das väterliche Vorhaben vollständiger und klarer darzustellen. Vgl. Goubet (2018). Vgl. Index scholarum in Academia regia Christiana-Albertina, SS 1803, und alle WS von 1814/15 bis zu 1822/23 (die Liste ist nicht vollständig). Über Reinhold als Psychologe vgl. Fabbianelli (2016).
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Kenntnis, die beide von den Schriften und Plänen ihres Gesprächspartners hatten. Hätte Herbart die Hauptpuncte Reinhold früher geschickt, nämlich schon 1806, wie er es vorhatte, wäre sicherlich der Briefwechsel von 1808 anders ausgefallen. Herbart kannte 1808 Reinholds Die Anfangsgründe der Erkenntnis der Wahrheit, war aber noch kaum in Reinholds Pläne zu einem Projekt der Synonymik eingeweiht. Reinhold hatte dazu bereits eine Schrift im Pult,⁴⁴ von der Herbart nichts wissen konnte. Reinhold seinerseits kannte um 1808 sicherlich Herbarts Programmschrift Über das Studium der Philosophie. Dass Herbart um diese Zeit bereits an seiner Psychologie arbeitete,⁴⁵ blieb ihm aber verborgen. Auch hier hätten vollständigere Kenntnisse die Diskussion in andere, bessere Bahnen gelenkt. Die Auffassung von Philosophie als wissenschaftliches System und die Frage der Methodik ist von beiden Denkern in ihren Diskussionen tangiert worden, nicht jedoch die Auffassung von Psychologie. Die Aussagen beider Denker übereinander lassen, wie die Rezeptionslage zeigt, sehr zu wünschen übrig.
Literatur Beiser, Frederick C. (2014): The Genesis of Neo-Kantianism, 1796–1880, Oxford. Fabbianelli, Faustino (2016): Karl Leonhard Reinhold’s Transcendental Psychology, Berlin/New York. Goubet, Jean-François (2018): „Versuch einer Nachbildung der Lehrtätigkeit Herbarts an den Universitäten Göttingen und Königsberg – mit Anhang: Vorlesungsverzeichnisse, Archivalien- und Zeitungsangaben über die akademische Lehrtätigkeit Herbarts“, in: ders. und Rainer Bolle (Hgg.), Herbart als Universitätslehrer, Jena, 9–75. Goubet, Jean-François (2020): „Jena und kein Ende. Die lebenslange Auseinandersetzung Herbarts mit seinem alten Lehrer Fichte“, in: Rainer Bolle und Katja Grundig de Vazquez (Hgg.), Herbart und der Herbartianismus in Jena, Gera, 101–111. Gerten, Michael (2005): „Sprache und System. Zu Reinholds viertem, sprachphilosophischem Systemwechsel“, in: Pierluigi Valenza (Hg.), K. L. Reinhold. Alle soglie dell‘ idealismo / Am Vorhof des Idealismus. Archivio di filosofia 73:1–3, 167–191. Herbart, Johann Friedrich (1993): Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie, hg. v. Wolfhart Henckmann, Hamburg. Valenza, Pierluigi (2003): „Das Verhältnis zwischen Denken und Sprache in der Spätphilosophie Reinholds“, in: Martin Bondeli und Wolfgang H. Schrader (Hgg.), Die Philosophie Karl Leonhard Reinholds, Amsterdam u. a., 283–301. Index scholarum in Academia regia Christiana-Albertina.
Es handelt sich um Das menschliche Erkenntnißvermögen. Vgl. Reinhold an Herbart, 1.09.1808, Herbart-SW 17.15. Vgl. z. B. den Anfang des Briefs von Herbart an C. von Steiger, 22.11.1807, Herbart-SW 16.305. Erschienen ist Herbarts Psychologie dann 1825/25, vgl. Herbart-SW 5 und 6.
Denken: Von der Wissenschaftslehre zum Rationalen Realismus
Pierluigi Valenza
Reinholds Auffassung der Analyse in seiner realistischen Phase
Abstract: The essay deals with Reinhold’s idea of analysis in the early years of 19th century, namely in the review Beyträge zur leichtern Übersicht des Zustandes der Philosophie and in the Versuch of 1805 dedicated to this topic proposed by the Academy of Berlin. Reinhold conceives of analysis in his first accounts of rational realism as the application of thinking to stuff through which reality and possibility are originated. In the development of his view the life in its different degrees becomes increasingly important. Therefore, the difference between logic as pure analysis and phenomenology as exposition of thinking in life is questioned. In the last issue of the Beyträge and in the Versuch the idea of a „nexus“ opens to a further development of analysis that works with the basic ideas of identity and non-identity and includes explicitly the difference in sensible certainty conceived of as analogy.
1 Die Methode der Analysis und der rationale Realismus Reinhold betitelt seine erste organische Darstellung des rationalen Realismus in der Abhandlung Nr. V des zweiten Heftes der Beyträge zur leichtern Übersicht des Zustandes der Philosophie „Die Elemente des rationalen Realismus oder der philosophischen Analysis“. Damit wird die philosophische Analysis dem rationalen Realismus selbst gleichgestellt. Dies hat auch zur Folge, dass die Analysis mit der Philosophie zusammenfällt. In der Abhandlung Nr. III des ersten Heftes, „Vorläufige Zurückführung der Philosophie auf eigentliche Vernunftlehre“, behauptet Reinhold dementsprechend noch ganz einführend, dass „das Philosophiren nichts anders, als die Analysis der Anwendung des Denkens, als Denkens, sey“.¹ Der Analysis kommt es zu, die erste Aufgabe der Philosophie zu lösen, nämlich die Beziehung zwischen dem Urwahren und dem Wahren ans Licht zu bringen.² Im philosophischen Wortschatz dieser Phase der Reinholdschen Philosophie besteht diese Beziehung im
Beiträge Übersicht H 1, 90–91, RGS 7/1.58. „Ist also die Analysis der Anwendung des Denkens als Denkens die wahre Philosophie: so muß durch dieselbe das Urwahre mit dem Wahren und das Wahre durch das Urwahre entdeckt, und aufgestellt werden“ (Beiträge Übersicht H I, 91, RGS 7/1.58). https://doi.org/10.1515/9783111239521-008
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Verhältnis von Gott zur Welt, oder, wie Reinhold im Anschluss an Platon und Descartes formuliert, von der „Gottheit“ zu den „denkenden und materiellen Wesen unter Gott“³. Der Begriff der Analysis spielt also eine zentrale Rolle in der realistischen Phase der Reinholdschen Philosophie. Allerdings könnte er zu vage und allgemein scheinen. Martin Bondeli hat gezeigt, dass Reinhold seinen Analysis-Begriff Bardili verdankt und betont, dass Reinholds Verwendung dieses Begriffs im Laufe der Reihe der Hefte der Beyträge Wandlungen unterworfen ist.⁴ Ich möchte deshalb im Folgenden einige dieser Wandlungen untersuchen, deren Verbindung mit den Kernstücken Reinholdscher Auffassung von Philosophie in den Beyträgen aufzeigen und schließlich einen Blick auf die nachfolgenden Schriften Reinholds werfen, hier insbesondere auf die Schrift von 1805, die Reinhold der von der Berliner Akademie gestellten Aufgabe über die Natur der Analysis und der analytischen Methode gewidmet hat. Zu prüfen ist, ob die einleitende Behauptung Reinholds, derzufolge die Analysis, außer in der Logik, in der Philosophie „nichts erfunden und erweckt“ habe,⁵ auch selbstkritisch gegen den logischen Realismus und eben gegen seine eigene Auffassung der Analysis verstanden werden kann. Anhand Reinholds wechselnder Auffassung zum Begriff der Analysis, so die These, lässt sich die Entwicklung seines rationalen Realismus und schließlich seine Kritik am Bardilischen Realismus angemessen nachvollziehen.
2 Die Analysis in den Beyträgen von 1801 bis 1803: zwischen Logik und Phänomenologie Da die Philosophie Analysis der Anwendung des Denkens auf die Materie ist, beginnt die Analysis mit der ersten Disjunktion, die Reinhold in der Darstellung des rationalen Realismus in der Abhandlung Nr. V des zweiten Heftes der Beyträge als unmittelbare Folge der Anwendung des Denkens zeigt. So heißt es am Abschnitt 9 dieser Darstellung: 9) Das Denken, als Denken = A, und die Materie, als Materie = C, oder die Conjunktion des D. a. D. mit der M. a. M. = A + C ist als Anwendung des D. a. D. und in dieser Anwendung Disjunktion = B – B.⁶
Beiträge Übersicht H I, 13, RGS 7/1.17. Vgl. Bondeli (1995) 365–369. Analysis, 1. Beiträge Übersicht H 2, 183, RGS 7/1.216.
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Die betroffene Disjunktion ist mithilfe der Bardilischen mathematischen Kennzeichnung ausgedrückt und besteht in der Beziehung zwischen B (= Wirklichkeit) und –B (= Möglichkeit). Die Bardilische Formel A + C = B – B schließt sozusagen eine senkrechte Struktur, d. h. den Vorrang des Denkens vor der zu ihm hinzugekommenen Materie, und eine waagrechte Struktur ein, d. h. das Produkt der Anwendung als B – B. Diese Struktur wird durch ein Quadrinom ausgedrückt, bei welchem die Unterordnung von C unter A und die Parallelität von B – B folgendermaßen zusammenzufassen ist: So wie das Denken, als Denken, das A, die absolute Thesis – und wie die Materie seiner Anwendung, das C, die Hypothesis unter jener Thesis ist: so ist die Anwendung des Denkens, als solche, in jener Disjunktion das B – B, – Synthesis, und Antithesis in absoluter Vereinigung, durch A + C, folglich Analysis. ⁷
Dieses Quadrinom (Thesis, Hypothesis, Synthesis, Antithesis) sowie Konjunktion und Disjunktion als Hauptelemente werden in allen Beyträgen ziemlich stabil bleiben, wie ein Blick auf die Definition der Analysis im sechsten und letzten Heft der Beyträge zeigen wird, doch die Inhalte variieren in bemerkenswerter Weise. Änderungen lassen sich auch zwischen der oben erwähnten Abhandlung des zweiten Heftes und der Nr. III im dritten Heft, „Neue Darstellung der Elemente des rationalen Realismus“, beobachten. Es ist zwar wahr, dass Reinhold hier dieselbe Struktur von Thesis, Hypothesis, Antithesis und Synthesis beschreibt und das Hauptelement der Disjunktion hervorhebt,⁸ aber die Zusammenfassung der Analysis in ihren vierfachen Funktionen kennzeichnet meines Erachtens begriffliche Verschiebungen, die sich auf keine einfache Erweiterung des Bereichs der Analysis zurückführen lassen, wie man von einer Fortführung der vorherigen Abhandlung erwarten könnte. Obwohl Reinhold diese Abhandlung für den Beschluss der Nr.V im zweiten Heft erklärt, geht es, so wie der Titel ankündigt, um eine neue Darstellung, was letztendlich auch auf die Auffassung der Analysis einwirkt. In der Abhandlung im zweiten Heft der Beyträge fasst Reinhold die Resultate der Analysis als Funktionen des Denkens in seiner Anwendung in drei Punkte zusammen: 1) die Disjunktion, die wir schon in Betracht nahmen; 2) „Die Erhebung der Form der Materie, oder der Wirklichkeit […] zu der durch Möglichkeit bestimmten Wirklichkeit“⁹; 3) die Hinzufügung des schon am vorherigen Punkt eingeführten
Beiträge Übersicht H 2, 184, RGS 7/1.216. Vgl. Beiträge Übersicht H 3, 133, RGS 7/1.315: „Durch diese Disjunktion, und in derselben, konstituirt sich das Denken, als Denken in der Anwendung – als solches – durch Vereinigung der Thesis und der Hypothesis als Antithesis und Synthesis zugleich, das heißt, als die Analysis.“ Beiträge Übersicht H 2, 194, RGS 7/1.221.
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Produkts der Erhebung, mit b ausgedrückt, unter Wirklichkeit und Möglichkeit.¹⁰ Die Punkte 2) und 3) dieser Zusammenfassung beziehen sich grundlegend auf dasselbe Resultat, nämlich das zweite wichtige Ergebnis der Anwendung des Denkens auf die Materie: Ausgehend vom anfänglichen Quadrinom und von der Beziehung von Synthesis und Antithesis, d. h. Wirklichkeit und Möglichkeit, entsteht noch eine Materie (C), die von der Verbindung der beiden Elemente bedingt ist und darum schon etwas besonders, ein Objekt, ist. Mathematisch ausgedrückt: A + C = B – B + b.¹¹ Im Beschluss des dritten Hefts wiederholt Reinhold diese drei Punkte in den ersten zwei Funktionen der Analysis, betont aber diesmal die Unterschiede zwischen den beiden. Die erste Konjunktion bringt ein Produkt (das Paar Wirklichkeit und Möglichkeit) hervor, das „B – B war, und bleibt“¹²; statt dessen stellt die zweite Konjunktion das Denken und die Materie in Wirklichkeit und Möglichkeit dar, damit die Materie aufgehoben und hervorgebracht wird, sodass ein Drittes, das schon genannte +b, produziert wird. Reinhold scheint dadurch eine Art von Dynamik in der zweiten Funktion im Unterschied zu der nur strukturellen Kennzeichnung der ersten hervorzuheben. Im letzten Teil der Abhandlung fasst Reinhold die vier Funktionen zusammen, durch welche die Analysis vollendet wird: Er wiederholt die ersten zwei Funktionen, zu welchen noch zwei hinzukommen. Die dritte Funktion bringt die Analysis zum Objekt als einfaches organisches Leben, womit sich der Kern der Darstellung in diesem Beschluss beschäftigt, zu dem vorstellenden, mit b² bezeichnete Wesen.¹³ Die vierte Funktion füllt die Aufgabe der ganzen Analysis aus, indem sie das mehr als vorstellende, mit b³ bezeichnete Wesen beschreibt, und zwar den Menschen als vernünftiges Wesen: „– B3 + b3 ist […] das Vernünftige Wesen“¹⁴. In dieser letzten Tafel der Funktionen der Analysis betont Reinhold weniger das Paar Disjunktion-Konjunktion als vielmehr drei Bewegungen, die alle Funktionen charakterisieren: Bei jeder Funktion wird die Materie aufgehoben (erste Bewegung), eine neue Form herausgehoben (zweite Bewegung), und zwar als Resultat der Aufhebung (B – B in der ersten, +b in der zweiten, b² in der dritten, b³ in der vierten), und schließlich wird die Materie in jeder neuen Form herbeigeführt (dritte Bewegung), bis zur Stufe, auf der die Materie als C endgültig aufgehoben wird, was
Ebd. 194–195, RGS 7/1.221–222. Ebd. 195, RGS 7/1.222. Beiträge Übersicht H 3, 138, RGS 7/1.317. Vgl. ebd. 153, RGS 7/1.325. Ebd. 154, RGS 7/1.325.
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die Vollendung der Analysis kennzeichnet.¹⁵ Diese Vollendung rechtfertigt sich eigentlich von dem logischen Standpunkt her, dass die zwei letzten Funktionen und besonders die letzte, die das vernünftige Wesen erreicht, zu den ersten zwei hinzukommen. Warum sollen wir eine solche Darstellung nicht nur als eine Erweiterung der Analysis betrachten, sondern darin eine begriffliche Verschiebung erahnen? Die wichtigste Neuheit des Beschlusses im dritten Heft, die ihn zu einer neuen Darstellung statt zu einer Fortführung der vorherigen macht, besteht darin, dass Reinhold das Leben in den Fokus stellt und deswegen das Produkt +b unter dem Denken –B als Wesen des Objektes kennzeichnet.¹⁶ Was im zweiten Heft am Ende dargestellt und schon als sehr wichtig betrachtet wurde, indem es die Bedingung der Offenbarung des Urwahren in den weltlichen Wesen ausmachte, wird im dritten Heft in das Zentrum der Überlegung gestellt, allerdings mit einer veränderten Ordnung der Reihe der dargestellten Hauptbegriffe. Obwohl Reinhold die Vernunft in der Materie, die er schon in der Abhandlung im zweiten Heft das „Prius κατ’ ἐξοχήν“ genannt hatte, etwas später als die Bestimmung des Wesens des Objekts einführt,¹⁷ ist sie bei der Auffassung des Wesens des Objekts schon wirkend. Die Einführung des Prius κατ’ ἐξοχήν macht eine Wende in der Darstellung aus, weil seine Einführung das Verhältnis von Wirklichkeit und Möglichkeit umkehrt: die Möglichkeit als Denken kommt als Erstes vor, und dadurch beginnt die Möglichkeit der Offenbarung des Denkens in der Materie, was schon im zweiten Heft am Ende der Abhandlung Nr. V dargestellt worden war, ohne dann alles nochmal zur Analyse zurückzuführen.¹⁸ Der Unterordnung der Materie unter dem Denken mit der Einführung des Begriffs des Grundes als materiellem Substrat im Wesen des Objekts entspricht die Betonung eines neuen Laufs der Analysis: „Darum beginnt“, schreibt Reinhold, „auch die Analysis der Analysis, oder die erste Aufgabe der Philosophie
Vgl. ebd. 149, RGS 7/1.323: „Die Analysis des A + C führt durch jede ihrer Funktionen (in welchen sie die Materie als solche aufhebt, und die Form derselben heraushebt) mit der Form der Materie die Materie selber wieder (nur jedesmal unter einer neuen Bestimmung ihrer Form) so lange herbey, bis diejenige Form herausgehoben ist, durch welche, weil in ihr das C als C schlechthin aufgehoben, und das A als A im und durch A herausgehoben wird, die Analysis der Analysis vollendet, und das Denken, als Denken in seiner Anwendung, als solcher, gedacht ist.“ Vgl. ebd. 3, 144, RGS 7/1.320. Vgl. ebd. 147, RGS 7/1.321–322. Die Umkehrung von Wirklichkeit und Möglichkeit wird schon aus Zusatz 2 zum § 23 klar, bei dem Reinhold den Vorrang des Prius κατ’ ἐξοχήν als Principium Principiorum, der„in der Erkenntniß […] wie im Seyn, dem Grunde und der Ursache vorhergehen“ (Ebd. 148, RGS 7/1.322) muss, erklärt. Im folgenden § 24 kommt Reinhold zu der oben erwähnten Synthese der Funktionen der Analysis zurück (vgl. RGS 7/1.322–325). Zur entsprechenden Darstellung am zweiten Heft vgl. Beiträge Übersicht H 2, 199–205, RGS 7/1.223–227.
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ihr ergründendes Geschäft mit dem Herausheben des B, als B im Denken, als Denken in der Anwendung“¹⁹. Formell liegt dieses ergründende Geschäft nicht außer der Analysis der Analysis, was Reinhold auch „die reine Analysis“²⁰ nennt, aber bei der Unterordnung der Materie unter das Denken scheint auch eine Wende in der Analysis ans Licht zu kommen: was ergründet wäre, könnte gerade die positive Anerkennung der Vernunft in den materiellen Wesen sein, die Reinhold dann mit dem Prius κατ’ ἐξοχήν noch stärker betont: mit diesem Begriff wird es eindeutig klar, zu welcher Stufe die Analysis kommen muss, denn Reinhold beginnt, die Erschöpfung der Analysis zu erwähnen.²¹ Welche Folgerungen kann man aus diesen schwachen Spuren ziehen? Wenn die hier vorgeschlagene Deutung plausibel ist, endet die Analysis in den zwei letzten Funktionen mit der Erkenntnis der Manifestation des Denkens in der Materie durch die Vorstellung und das Denken bzw. im tierischen und vernünftigen Wesen. Bekanntlich hat Reinhold dieses Niveau der Erscheinung der Phänomenologie vorbehalten, unter deren Perspektive er den logischen Realismus in der Abhandlung Nr. II, also im vierten Heft: „Elemente der Phänomenologie oder Erläuterung des rationalen Realismus durch seine Anwendung auf die Erscheinungen“ darstellt. Reinhold selbst verbindet in dem Vorbericht des dritten Heftes die zwei Abhandlungen. Die neue Darstellung des rationalen Realismus im dritten Heft erklärt die Lösung der ersten Aufgabe der Philosophie und macht „das vollständige System der reinen Philosophie nach der Ansicht jener Auflösung“²² aus. Die sich mit der Erklärung der Erfahrung befassenden Phänomenologie des rationalen Realismus soll auf die „reine Logik und Ontologie desselben“²³ folgen. Inwieweit können die zwei Bereiche im Hinblick auf die zwei letzten Funktionen der Analysis getrennt werden? Kann die Analysis ihre Aufgabe zu Ende führen, ohne die Mittel der Aufhebung und der Hervorbringung der Materie in der Vorstellung und in der denkenden Erkenntnis in Betracht zu nehmen? Und kann dieser Teil der Analysis ohne Konsequenzen für die erste Anwendung des Denkens bleiben? Kehrt vielleicht die Frage zurück, die Reinhold in seiner ersten Auseinandersetzung mit Bardili gestellt hatte,
Vgl. Beiträge Übersicht H 3, 146, RGS 7/1.321. Ebd. 134, RGS 7/1.315. Vgl. Ebd. 148, RGS 7/1.322: „Wenn sich dasselbe also in diesem letzteren Charakter, in der Erkenntniß und dem Erkennbaren, behaupten soll, so müßte dieses durch die erschöpfende, und erschöpfte, Analysis geschehen.“ Ebd. iv, RGS 7/1.237. Ebd. v, RGS 7/1.237–238.
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nämlich ob das Denken als Denken nicht letzten Endes im menschlichen Denken bestehe, also in seiner Anwendung im Menschen durch Begriffe und Wörter?²⁴ Diese Fragen scheinen einerseits eindeutig durch die Trennung von reiner Analysis und Phänomenologie und durch die ergänzende Rolle der letzten in den einleitenden Seiten der phänomenologischen Darstellung des rationalen Realismus im vierten Heft der Beyträge gelöst zu sein: die reine Analysis hat „das Wesen, als Wesen, entdeckt und vollends herausgehoben“²⁵, aber sie in ihrer Vollendung das Denken in seiner Bedingung, die Materie, entdeckt.Von da aus beginnt was Reinhold „die zweite Aufgabe der Philosophie“ oder „die Elementarlehre der Phänomenologie“²⁶ nennt, und zwar die Erkenntnis „von dem Nachbilde des Wesens […] oder von der Erscheinung als solcher, durch die Zurückführung derselben auf das Urbild“²⁷. Darum ist die Phänomenologie auch eine Analysis der Natur.²⁸ Andererseits scheinen die gestellten Fragen ganz offen zu bleiben, indem z. B. durch diese Analysis der Natur die Aufhebung der Materie im vorstellenden Wesen bewiesen und nicht nur angekündigt wird. Die letzte Fassung der Analysis in der eröffnenden Abhandlung des sechsten Heftes der Beyträge gibt eine gute Probe davon.
3 Die neue Fassung der Analysis im sechsten Heft der Beyträge Wie schon erwähnt, bleiben das bekannte Quadrinom und die Hauptelemente der Disjunktion und Konjunktion in der Definition der Analysis am Anfang des sechsten Heftes der Beyträge gleich. Doch es haben sich die implizierte Begriffe prima facie geändert und sind identisch mit denjenigen der Definition der Analysis in der Antwort Akademieaufgabe von 1805. Es dürfte deshalb nützlich sein, die drei Definitionen im zweiten und sechsten Heft der Beyträge und im Versuch von 1805 zu vergleichen:
So Reinhold in einem Brief an Bardili vom 17. Mai 1800: „Worauf, liebster Bardili, ist ihr Lehrgebäude gebaut, als auf die von Ihnen zuerst entdeckte und festgesetzte wahre Bedeutung des Wortes Denken?“ (Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 176). Dadurch wendet Reinhold ein, dass das Denken als Denken unvermeidlich ein gedachtes Denken und das menschliche Verstehen des Denkens eigentliche Offenbarung des Absoluten wären, das aber das Urwahre außer dieser Offenbarung ganz unverständlich lässt. Obwohl Reinhold dann von den Erklärungen Bardilis völlig überzeugt scheint (vgl. ebd. 247–251), könnten diese Zweifel in Reinholds Deutung des Realismus noch weiter wirken. Beiträge Übersicht H 4, 104, RGS 7/2.570. Ebd. 109, RGS 7/2.572. Ebd. 108–109, RGS 7/2.572. Ebd. 111, RGS 7/2.573.
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So wie das Denken, als Denken, das A, die absolute Thesis – und wie die Materie seiner Anwendung, das C, die Hypothesis unter jener Thesis ist: so ist die Anwendung des Denkens, als solche, in jener Disjunktion das B – B, – Synthesis, und Antithesis in absoluter Vereinigung, durch A + C, folglich Analysis. ²⁹ Die Conjunktion der Identität, als der Thesis, mit der Nichtidentität, als der Hypothesis, ist und heißt die Synthesis, als solche; die Disjunktion der Identität, als der Thesis, mit der Nichtidentität, als der Hypothesis, ist und heißt die Antithesis als solche; Beydes zusammen, in seiner Unvermischtheit und Ungetrenntheit, ist die Analysis, als solche.³⁰ Die Anwendung der Identität, als solcher, ist als die Antithesis der Identität, als der Thesis in ihrer Antithesis und Synthesis mit der Nichtidentität als der Hypothesis, – die Analysis, als solche, das Wesen der Analysis. Das Wesen der Analysis besteht also in der Unterscheidung (entmischender Wahrnehmung) des Unmischbaren und Untrennbaren in seiner Unmischbarkeit und Untrennbarkeit mit dem Mischbaren und Trennbaren – in der Unterscheidung des Identischen, in seinem Unterschied und Zusammenhang mit dem unter demselben stehenden Nichtidentischen.³¹
Lassen wir für den Moment außer Acht, dass Reinhold in der letzten Definition im Versuch von 1805 nicht mehr von Disjunktion und Konjunktion spricht, was vielleicht inhaltlich nicht zentral ist.Was aber in der zweiten und dritten Definition der Analysis auffällig auftritt, ist die Ersetzung von Denken und Materie durch Identität und Nichtidentität. Auch das erste Ergebnis der Anwendung des Denkens, d. h. die Synthesis und Antithesis von Wirklichkeit und Möglichkeit, ist weggefallen und das ganze Quadrinom von Thesis, Hypothesis, Synthesis und Antithesis verweist nur noch auf das Paar Identität-Nichtidentität. Man könnte einwenden, dass Reinhold mit Synonymen arbeitet, denn die Identität ist explizit dem Denken gleichgestellt: „Die Identität“, schreibt Reinhold am § 7 der Abhandlung Nr. I des sechsten Heftes der Beyträge, „als solche, in ihrer Anwendung ist das Denken, als Denken in seiner Anwendung“³². Aber wenn Identität = Denken, warum ändert Reinhold seinen Sprachgebrauch gerade in Bezug auf das wichtigste Wort des rationalen Realismus? Methodisch liegt die Antwort in dem einführenden Paragraphen dieser Abhandlung: Damit die erste Aufgabe der Philosophie gelöst werden könne, muss man sich vom Bekannten zum Unbekannten bewegen. Darum wird die Formulierung der ersten Aufgabe der Philosophie, die Reinhold am § 1 seiner Darstellung gibt, und in welcher einige Wörter der ersten Auffassung der Analysis vorkommen, wie Mög-
Beiträge Übersicht H 2, 184, RGS 7/1.216. Beiträge Übersicht H 6, 22–23, RGS 7/2.763. Analysis, 47. Beiträge Übersicht H 6, 37, RGS 7/2.770.
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lichkeit und Wirklichkeit,³³ dann offenkundig als eine Mischung von Bekanntem und Unbekanntem beklagt.³⁴ Ebenso verlangen Identität und Nichtidentität eine Erklärung, denn es ist klar, dass sie als bekannt nur gelten, wenn sie leer und abstrakt gemeint werden.³⁵ Dass Identität und Nichtidentiät der Ausgangspunkt der Darstellung sind, rechtfertigt Reinhold damit, dass beide Begriffe zu Beginn gerade nur in ihrer abstrakten Bedeutung verstanden werden. Denken und Materie wären als Voraussetzungen der Analysis zu unbekannt und könnten nur durch die Darstellung selbst ihre Synonyme eventuell ersetzen. Inhaltlich aber scheint die ehemalige erste Funktion der Analysis noch grundlegender in Frage gestellt zu sein, weil ihre Voraussetzungen, das Denken als Denken und das Nichtdenken, d. h. die Materie, im Lauf der Darstellung gerade wegen der Unentbehrlichkeit des Zusammenhangs zwischen Thesis, Hypothesis, Synthesis und Antithesis, als Widerspruch an sich bewiesen werden.³⁶ In den vorherigen Fassungen brauchte das Denken als Denken die Materie für die Anwendung und ohne beide Voraussetzungen war die Anwendung unmöglich, aber außer unserem Zugang durch die Anwendung des Denkens auf die Materie behielt das Denken einen klaren ontologischen Status, welcher jetzt verneint wird.³⁷ Dass durch das Begriffspaar Identität-Nichtidentität der erkennende Zugang zur Lösung der ersten Aufgabe der Philosophie und darum die vierte Funktion der Analysis bevorzugt wird, wird durch die Einführung einer neuen Familie von Wörtern bestätigt, die in den vorigen Beiträgen teilweise und nur in der phänomenologischen Darstellung vorkamen: Koexistenz, Gegensatz, Affinität, Nexus, Coalitio, Compositio. Bondeli macht auf überzeugende Weise die Vermutung plausibel, dass der Bardilische Sprachgebrauch auf Reinholds Text einwirkt, dessen Quelle
Vgl. Beiträge Übersicht H 6, 1–2, RGS 7/2.752: „§. 1. Das Zurückführen der Möglichkeit und Wirklichkeit des Erkennens und des Seyns auf das absolute Eine, worin und wodurch alles Mögliche und Wirkliche besteht, ist die Philosophie, als Aufgabe.“ Vgl. Beiträge Übersicht H 6, 10, RGS 7/2.56: „§. 3. Das Zurückführen der Möglichkeit und Wirklichkeit des Erkennens und des Seyns auf das absolute Eine, worin und wodurch alles Mögliche und Wirkliche bestellt, dreht sich in einem fehlerhaften Cirkel herum: wenn dabey irgend etwas anderes, als die Identität, als solche, und die Nichtidentität, als solche, als an sich bekannt vorausgesetzt wird“ (Ebd. 10). Einige Zeilen danach in demselben dritten Abschnitt der Darstellung behauptet Reinhold, dass die Fassung am § 1. noch eine Mischung von Bekannten und Unbekannten enthalte (vgl. Beiträge Übersicht H 6, 12, RGS 7/2.757). Vgl. Beiträge Übersicht H 6, 16, RGS 7/2.760. Vgl.Vgl. Beiträge Übersicht H 6, 45, RGS 7/2.775: „Das Nichtdenken, als bloßes Nichtdenken, folglich als Nichtdenken außer der Conjunktion und Disjunktion mit dem Denken, als solchem, ist der Widerspruch an sich … und das bloße Denken ist nicht weniger der Widerspruch an sich.“ Vgl. z. B. die Beschreibung des Denkens als Denkens in der schon benutzten Abhandlung V in Beiträge Übersicht H 2, 179–180, RGS 7/1.214.
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nicht nur der Grundriss der ersten Logik, sondern auch die Philosophische Elementarlehre von 1802 und der Briefwechsel mit Reinhold wären.³⁸ Von diesen Begriffen gewinnt der Nexus dergestalt eine sonderbare zentrale Rolle, dass die Analysis als Nexus verstanden werden kann. Bondeli fasst zusammen: „Die Analysis ist der werdende und gewordene nexus“³⁹, wobei der Unterschied darin liegt, dass der Nexus eine weitere Auffassung von Disjunktion und Konjunktion erlaubt.⁴⁰ Bemerkenswert ist, wie Bondeli betont,⁴¹ dass dieser Wortschatz sich auf die phänomenologische Ebene und damit auf das organische Leben bezieht. Umso wichtiger ist daher Reinholds Entscheidung, in seiner Darstellung Analysis und Nexus als Synonyme zu gebrauchen, obwohl dieses Begriffspaar nicht endgültig erklärt wird.⁴² Im vierten Abschnitt seiner Darstellung („Die Identität, als solche, in ihrem Verhältnisse zur Nichtidentität, als das heuristische Princip unserer Aufgabe“) gibt Reinhold Gründe für den Parallelismus und den Unterschied beider Begriffe. Reinhold bestimmt zunächst den Nexus wie folgt:
Vgl. Bondeli (1995) 367–369. Ebd. 369. Ebd.: „Zwischen nexus und Analysis besteht ein ursprünglicher Bezug und eine ursprüngliche Differenz. Coalitio und compositio sind die zwei Darstellungsvermögen der Analysis. Die Disjunktion kann als coalitio reinterpretiert werden. Analog dem Kantischen disjunktiver Urteil beschreibt sie das Verhältnis einander wechselseitig ausschließender und einander ergänzender Teile oder Urteilsglieder. Die Konjunktion läßt sich als compositio reinterpretieren. Sie beschreibt das Zusammenfügen von Teilen oder Urteilsgliedern dergestalt, daß diese untereinander einen Sinnzusammenhang stiften.“ Vgl. ebd. 367. Hier eine Liste von Zitaten, in welchen das Paar Analysis-Nexus vorkommt: „Der Widerspruch an sich, oder die bloße Nichtidentität als solche, verläugnet die Anwendung der Identität, als solcher, den Nexus, die Analysis, das Urverhältniß“ (Beiträge Übersicht H 6, 27, RGS 7/2.765); „so lange wird der Nexus, und die Analysis, wie bisher ein tiefes Geheimniß, und das Räthsel aller Räthsel bleiben“ (Ebd. 35, RGS 7/2.769); „wird durch bloße Ahnung des Nexus geleitet, ist zur Analysis, d. h. zur Philosophie noch nicht gereift“ (RGS 7/2.769–770); „der Nexus, als solcher, die Analysis, als solche, das Verhältniß alles Verhaltens, als solches“ (RGS 7/2.774); „die Anwendung des Denkens ist das Denken als Thesis in seiner Conjunktion und Disjunktion mit dem Nichtdenken, als Hypothesis – folglich der Nexus und die Analysis“ (RGS 7/2.775); „der Nexus, der an sich selbst schlechthin theillos, die Analysis, die an sich die schlechthin unzertrennliche Vereinigung der Thesis, Hypothesis, Synthesis und Antithesis ist in der Vorstellung und Darstellung, anfangs und auf so lange, in Theile, bis sich diese Anwendung des Denkens, dieser Nexus, diese Analysis, vermittelst einer durch dieselbe vorgenommene Aufhebung jener Theile, als Theile, auch in unsrer Vorstellung und Darstellung eben so einfach, theillos, unzertrennlich geoffenbart hat, wie sie an sich selbst ist“ (RGS 7/2.776); „die Einfachheit und die Theillosigkeit des Nexus und der Analysis sich in jeder ihrer in der Vorstellung, oder Darstellung, unvermeidlichen Erscheinungen in ihrer Einfachheit und Theillosigkeit, als der Nexus und die Analysis geoffenbart hat“ (RGS 7/2.777).
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Die Identität, als solche, in ihrer Anwendung, folglich als die Thesis in ihrer Disjunktion und Conjunktion, mit der Nichtidentität ist der einfache, theillose, Zusammenhang, der Nexus, als solcher. Dieser besteht keineswegs aus einer Zusammensetzung, Composition, aus der Identität und der Nichtidentität als Theilen, eben so wenig aus einer Mischung, Coalition, als der Ingredienzien in und durch einander – sondern in der Unzertrennlichkeit der Identität als der Thesis von der Nichtidentität als der Hypothesis in der Conjunktion und Disjunktion mit derselben.⁴³
Diese Bestimmung verweist auf eine Struktur und bedient sich Wörtern, die augenfällig an die Hauptelemente der Analysis erinnern. Eine erste Bestimmung der Analysis, die wir schon in den Definitionen am Anfang dieses Paragraphen hatten, schließt sich der kaum erwähnten Bezeichnung des Nexus an: Die Conjunktion der Identität, als der Thesis, mit der Nichtidentität, als der Hypothesis, ist und heißt die Synthesis, als solche; die Disjunktion der Identität, als der Thesis, mit der Nichtidentität, als der Hypothesis, ist und heißt die Antithesis als solche; Beydes zusammen, in seiner Unvermischtheit und Ungetrenntheit, ist die Analysis, als solche.⁴⁴
Beide Bestimmungen scheinen letzten Endes zusammenzufallen: In beiden Fällen findet man Identität und Nichtidentität so wie Konjunktion und Disjunktion und in beiden Fällen kommen einige Wörter des bekannten Quadrinoms vor, und zwar Thesis und Antithesis. Jedoch bewahrt Reinhold die übrigen zwei Hauptwörter des Quadrinoms, Synthesis und Antithesis, für die Analysis auf, und bevorzugt für den Nexus weitere Bezeichnungen: teilloser Zusammenhang, Unzertrennlichkeit. Es ergeben also aus dem logischen Standpunkt Unterschiede zwischen beiden Begriffen, die aber viele Ähnlichkeiten zeigen und einander ergänzen, wie Reinhold gleich nach unserem letzten Zitat erklärt: „Der Nexus ist also nicht ohne die Analysis und diese nicht ohne den Nexus.“⁴⁵ Weitere Bestimmungen des Nexus in dieser Abhandlung fallen in einem ganz anderen Bereich, und zwar im letzten Abschnitt, „Organismus und Leben, organische und belebte, anorgische und leblose Erscheinung, Organisation, Composition, Coalition, Körper“. Reinhold befasst sich hier mit dem Leben und der Manifestation des Lebens, mit den Verbindungen, in denen das Leben sich offenbart: das Leben offenbart sich als eine zweckmäßige Einheit, die sich der anorgischen Verbindungen, des Mechanismus und des Chemismus bedient. Der Nexus wird als das Prinzip
Vgl. Beiträge Übersicht H 6, 22, RGS 7/2.762–763. Ebd. 22–23, RGS 7/2.763. Ebd. 23, RGS 7/2.763.
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des Lebens selbst bezeichnet.⁴⁶ Insofern der Nexus jede Trennung, Mannigfaltigkeit, Übergang aus sich selbst ausschließt und als „das absolute Ganze“⁴⁷, „das Ganze aller Ganzen“⁴⁸ hinter der Manifestation des Lebens genannt wird, ist er als das Prinzip des Lebens zu verstehen. Darum hatte Reinhold einleitend gegen die Kantianer erklärt, dass der Nexus höher als die einfache Synthesis ist, und Synthesis und Antithesis einschließt.⁴⁹ Wie soll man aufgrund dieser verschiedenen Bestimmungen des Nexus dessen Verhältnis zur Analysis verstehen? Wenn der Nexus das Prinzip des Lebens selbst ist, liegt die Analysis im Nexus, denn auch das denkende Leben hängt vom Prinzip des Lebens ab. In diesem Fall wäre die Analysis die verstehende Trennung von der absoluten Einheit des Lebens. Aber warum ist der Nexus, wie gelesen, „nicht ohne die Analysis“? Ich würde diese reziproke Ergänzung als den Hinweis auf das Denken im Leben verstehen: Der Nexus als Prinzip wäre dann das, was Reinhold „Prius κατ’ ἐξοχήν“ genannt hatte, nämlich die Vernunft, die den Nexus zum Nexus macht; die Analysis wäre demnach als entwickelte Vernunft, als analysiertes Ganzes zu verstehen, die sich darin als Vernunft offenbart.
4 Analysis und Nexus im Versuch von 1805 Abschließend möchte ich einen Blick auf den Versuch von 1805 werfen, in welchem Reinhold die Gelegenheit nutzt, sich direkt auf den Begriff der Analysis zu konzentrieren. Ich werde nicht die schon am Anfang des zweiten Paragraphen erwähnte Definition aus dieser Schrift ausführlich kommentieren, vielmehr werde ich mich darauf beschränken, den Aufbau der Schrift zu betrachten und einige Bezeichnungen herzustellen. Dadurch wird vielleicht das weitere Spektrum der Begriffsbestimmung der Analysis geklärt werden und hoffentlich eine kohärente Entwicklung in der Neufassung der Analysis sichtbar. Reinhold bespricht die Aufgabe der Akademie vor allem durch den Vergleich der Analysis in den Wissenschaften: Reinhold bemerkt, dass die Analysis bei der Chemie oder der Mathematik schon eine feste Methode ist, in der Philosophie dagegen noch bestritten, außer in der Logik. Methodisch rechtfertigt diese Sachlage, dass die Logik für die Behandlung der analytischen Methode in der Philosophie den
Vgl. ebd. 113, RGS 7/2.810: „Das Leben, und der Organismus, ist als Manifestation des Wesens, Manifestation des Nexus als solchen.“ Ebd. 115, RGS 7/2.811. Ebd. 116, RGS 7/2.812. Ebd. 23, RGS 7/2.763.
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Ausgangspunkt ausmache.⁵⁰ Reinhold stellt sogleich die Frage, ob die Logik für eine allgemeingeltende Wissenschaft gehalten werden könne. Die ersten Abschnitte der Schrift haben die Absicht, durch eine Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Logik, derjenigen Kants und des deutschen Idealismus insbesondere, solche Vorbehalte zu unterstützen, um dann einen Wortschatz der logischen Irrtümer darzubieten.⁵¹ Polemisches Ziel dieser Auseinandersetzung ist die Synthese der Identität und der Nichtidentität sowie der Übergang von der ersten zu der zweiten. Bevor Reinhold noch in kritischer Hinsicht den Widerspruch darstellt, kündigt er die richtige Lösung an, die wir bereits behandelt haben, nämlich die Unterordnung der Nichtidentität unter die Identität.⁵² Diese Unterordnung wird dann durch die ersten zwei Wörter des Quadrinoms, Thesis (Identität) und Hypothesis (Nichtidentität), bezeichnet.⁵³ Die zwei weiteren Wörter, Synthesis und Antithesis, kommen ab dem fünften Abschnitt vor, in dem Reinhold nach dem kritischen Teil seiner Schrift mit der Darstellung der eigenen Auffassung beginnt: Identität und Nichtidentität in ihrer Antithesis und Synthesis sind der positive und der negative Nichtwiderspruch.⁵⁴ Die schon zitierte Definition der Analysis entstammt diesem letzten Schritt der Argumentation. Nachdem Reinhold das Wesen der Analysis festgestellt hat, kehrt die Verbindung zum Nexus zurück, die schon in der Abhandlung im sechsten Heft der Beyträge zentral stand: § 8. Die Anwendung der Identität, als solcher, ist als die Synthesis der Identität, als der Thesis in ihrer Antithesis und Synthesis mit der Nichtidentität, als der Hypothesis – der Nexus, als solcher, das Wesen des Nexus. Das Wesen des Nexus besteht also in der Vereinigung, (vereinigenden, oder nicht identificirenden, Wahrnehmung) des Unmischbaren, und Untrennbaren, in seiner Unmischbarkeit und Untrennbarkeit mit dem Mischbaren und Trennbaren – in der Vereinigung des Identischen, in seinem Unterschied und Zusammenhang mit dem unter demselben stehenden Nichtidentischen.⁵⁵
An dieser Bezeichnung ist die Quelle auffällig, der einige Wörter der Bestimmung des Wesens der Analysis entspringen: „Unterscheidung“, „Unmischbarkeit“, „Un-
Vgl. Analysis, 12. Vgl. ebd. 23–25. Vgl. ebd. 28: „Die wahrhaft logische Analysis, durch welche allein die scheinbare Unterscheidung und Vereinigung … im Bewußtseyn, aufgehoben werden kann und muß, ist diejenige Unterscheidung und Vereinigung, wodurch das Nichtidentische, als solches, mit dem Identischen, als solchen weder getrennt, noch zusammengesetzt, – sondern das Nichtidentische dem Identischen untergeordnet, (unterworfen, subordinirt) wird.“ Vgl. ebd. 39. Vgl. ebd. 44–45. Vgl. ebd. 47–48.
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trennbarkeit“. Der Nexus wirkt auf die Bezeichnung der Analysis ein, da Analysis und Nexus, so argumentiert Reinhold, bei der Anwendung der Identität eng verbunden sind.⁵⁶ Im Unterschied zur Abhandlung im sechsten Heft der Beyträge wird die logische Struktur des Nexus nun eindeutig als Schlüssel der vorstellenden Erkenntnis verstanden, denn der nachfolgende Abschnitt wird „der logischen, oder intellektuellen, und der analogischen, oder sinnlichen Gewißheit“ gewidmet.⁵⁷ Anfänglich stellt Reinhold durch die Unmischbarkeit und Untrennbarkeit von Identität und Nichtidentität die Deutlichkeit und Klarheit in der Erkenntnis fest.⁵⁸ Solche Hauptwörter zeigen eine offenkundige cartesianische Prägung, obwohl Reinhold keiner deduktiven Methode folgt, denn Deutlichkeit und Klarheit weisen auf eine enge und eine weite Auffassung der Identität hin. Die weite Bedeutung der Identität schließt die Klarheit in sich selbst ein, d. h. sie öffnet zur Nichtidentität, was der Nexus erlaubt, den Reinhold „das Wesen der Klarheit“⁵⁹ nennt. Dank dem Nexus, heißt es weiter, ist die logische Analysis „Unterscheidung und Vereinigung im Vorstellen“, wodurch der Nexus zum Bewusstsein gebracht wird. An dieser Stelle bietet Reinhold keine weitere Erklärung der Beziehung zwischen Analysis und Nexus, aber nachdem er in § 4 das tierische Bewusstsein eingeführt hat, stellt er eine parallele Struktur von Unmischbarkeit und Untrennbarkeit, die die sinnliche Gewissheit kennzeichne. In diesem Fall sind die verbundenen Elemente die Nichtidentität und die Verschiedenheit, die ähnlich und daher ungetrennt und ungemischt sind; das Ergebnis ist die sinnliche Gewissheit als Analogon der Gewissheit an sich.⁶⁰ Im Vergleich zur Beschreibung dieser Struktur in der Abhandlung im sechsten Heft der Beyträge wird der alternative Zugang zum Nexus in einem Schlüsselwort synthetisiert, das bisher nur am Rande Reinholdschen Sprachgebrauchs aufgetaucht war: Analogie. Die Struktur der sinnlichen Gewissheit als analogisch erlaubt eine Öffnung zur Verschiedenheit, die als ähnlich vereint und dadurch zur Deutlichkeit gebracht wird. Demnach kann die Verbindung zwischen
Vgl. ebd. 48: „Die Analysis und der Nexus sind unmischbar und untrennbar, miteinander; und machen in dieser ihrer Unmischbarkeit und Untrennbarkeit das Wesen der Anwendung der Identität, als solcher.“ Vgl. ebd. 54–56. Vgl. ebd. 54. Ebd. 55. Vgl. ebd. 57: „Die Aehnlichkeit des Nichtidentischen, als ungetrennt, von der mit ihr ungemischten Verschiedenheit – ist die sinnliche Klarheit das Analogon der Klarheit an sich, – die Aehnlichkeit des Nichtidentischen als ungemischt mit der von ihr ungetrennten Verschiedenheit – ist die sinnliche Deutlichkeit, das Analogon der Deutlichkeit an sich; die Aehnlichkeit des Nichtidentischen, als ungetrennt und ungemischt mit der Verschiedenheit, des Nichtidentischen – ist die sinnliche Gewißheit – das Analogon der Gewißheit an sich.“
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Analysis und Nexus als Verhältnis von Logik und Analogie verstanden werden:⁶¹ Die Nichtidentität als letztes Ergebnis des Nexus ist der Bezug der Identität, unter welche sie gestellt wird. Solches Verhältnis bildet nichts anders als die menschliche Erkenntnis selbst, da die sinnliche Gewissheit das tierische Bewusstsein ausmacht, das die Tiere mit den Menschen gemein haben.⁶² Ohne die Analyse dieser Schrift hier ausführlicher weiterzuführen, kann man aus dem Aufbau und den Bestimmungen ihrer Hauptbegriffe einige Schlüsse ziehen. War die Analysis in der Abhandlung im sechsten Heft der Beyträge durch die methodische Annahme, derzufolge man von Bekannten zum Unbekannten übergehen musste, schon auf die Erkenntnistheorie zurückgeführt, obwohl die Darstellung dann teilweise ontologische und phänomenologische Begriffe bis zum Nexus als Prinzip des Lebens entwickelte, wird nunmehr alles in einer Erkenntnistheorie einbegriffen. Das Quadrinom und die Hauptelemente der Disjunktion und Konjunktion machen jetzt die logische Struktur aus, die hinter der vorstellenden und denkenden Erkenntnis und derer Beziehung liegt.Wenn die Logik in diesem Aufbau noch der Phänomenologie vorangeht, so erkennt Reinhold ihre enge Verbindung, denn die Logik sowie die Analogie bestimmen die Erscheinungen.⁶³ Reinhold trennt noch ganz entschieden die logische Ebene von den Verbindungen der sinnlichen Gewissheit.⁶⁴ Darum bleibt noch die Verbindung zwischen Analysis und Nexus teilweise ungeklärt, auch wenn die klarsten Hinweise im Versuch von 1805 und in den zeitgenössischen Schriften immer noch die Analogie in der sinnlichen Wahrnehmung und in der Einbildungskraft betreffen. Die Verwendung des Analogiekonzepts in der logischen Analysis im Versuch einer Critik der Logik aus dem Gesichtspunkte der Sprache von 1806 geht dann noch einen Schritt weiter zu seiner folgerichtigen Lösung.⁶⁵ In dieser Schrift, die wegen des expliziten Abschieds von Bardili und der Aufnahme der Sprache als Schlüssel zu einer Reform der Logik eine Wende in dieser Phase des Reinholdschen Denkens ausmacht, spielt die Analysis eine zentrale Rolle. Das muss ich im vorliegenden Aufsatz beiseite lassen. Durch die Prüfung der Reinholdschen Auffassung der Analysis von den ersten Darstellungen des rationalen Realismus bis hin zur expliziten Kritik gegen ihn wollte ich den mühsamen und jedoch vielleicht folgerichtigen Weg zu einer neuen Erkenntnis-
Vgl. dazu Valenza (2016). Vgl. Analysis, 61–62. Vgl. ebd. 55, 57. Vgl. ebd. 58. Vgl. Critik der Logik, 45: „§ 20. Die durchgeführte (ausführliche und vollständige) Unterscheidung des logischen Verhältnisses in seinem Unterschiede und Zusammenhang mit dem Analogischem – ist die Analysis des logischen Grundverhältnisses, das Wesen der logischen Analysis.“ Dadurch wird die Analogie direkt in der Definition und Entwicklung der logischen Analysis eingeschlossen.
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theorie nachzeichnen, die Reinholds letzte Sprach- und Erkenntnistheorie vorbereiten wird.
Literaturverzeichnis Bondeli, Martin (1995): Das Anfangsproblem bei Karl Leonhard Reinhold. Eine systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zur Philosophie Reinholds in der Zeit von 1789 bis 1803, Frankfurt am Main. Valenza, Pierluigi (2016): „Logica e analogia nella teoria del linguaggio di K. L. Reinhold“, in Archivio di filosofia 84, 197–208.
Faustino Fabbianelli
„Identität“ und „Diversität“ in Reinholds rationalem Realismus (1801–1803) Abstract: This article discusses Reinhold’s lore of „immanent difference“, meaning the difference between the non-identity of matter in contrast to the identity of thinking. This idea, it is argued, shapes Reinhold’s rational-realist approach with regard to a new conception of the thing-in-itself which he developed already during his „Fichte-phase“. Reinhold’s idea of an absolute immanentism of reason is related to another idea, namely Reinhold’s concept of an emanent relation to the otherness or difference between a primal truth (Urwahres) in relation to that which is true (Wahres). Only rational Realism, Reinhold claims, is the philosophical tool to discern this fundamental difference ignored by commen metaphysics and empiricism. Philosophy, then, is defined as the task to apply this difference by thinking onto thinking itself. One of the consequences of this immanentism of reason, the article argues, is Reinhold’s plea for cleary subordinating the Self under the Absolute interpreted as the „living God“.
1 Einleitung Blickt man auf Reinholds System des rationalen Realismus, so kann man sich schwerlich des Eindrucks erwahren, dass seine Auseinandersetzung mit Fichtes Wissenschaftslehre Spuren hinterlassen hat. Um vorab meine erste These allgemein aufzustellen: Abgesehen von allen theoretischen Änderungen, die er anfangs des 19. Jahrhunderts noch einmal an seinem neuen System der Philosophie vornimmt, fasst Reinhold das, was man im Allgemeinen Andersheit nennen kann, so auf, dass das deutlich verstandene Andere des Einen nur ein immanentes Moment des Denkens darstellt. Es handelt sich um einen Kernpunkt von Reinholds Philosophieren, der bereits in der Fichte-Phase vorhanden ist und trotz aller Transformationen im rationalen Realismus bestehen bleibt. In beiden Fällen handelt es sich offensichtlich um eine Auffassung, nach der die Welt deshalb rational ist, weil sie philosophisch weder einen theoretisch noch einen praktisch zu rechtfertigenden Status außerhalb der Vernunft hat. Es ist bekannt, dass Fichte einen solchen Ansatz gerade gegen Reinhold als einen bodenlosen transzendenten Idealismus definiert hat.¹ Für den Verfasser der Fichte-AA I/4.243. Zu Reinholds Auffassung der Wissenschaftslehre vgl. Fabbianelli (2020). https://doi.org/10.1515/9783111239521-009
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Wissenschaftslehre handelt es sich um eine Lehre, nach der das Ding an sich nicht aufgrund des praktischen Moments des Anstoßes transzendental gerechtfertigt wird und für welche alles aus dem bloßen Subjekt des Bewusstseins abgeleitet werden soll.Wir werden später sehen, in welchem Ausmaß dies auch für das System des rationalen Realismus zutrifft.Vorläufig möchte ich einen derartigen Denkansatz als absoluten Immanentismus der Vernunft bezeichnen, um auf ein bestimmtes Verständnis der Andersheit hinzuweisen, die wohl auf dem neuen Standpunkt des rationalen Realismus nicht mehr transzendental gerechtfertigt werden kann, aber von Reinhold schon vor dem Übergang zu Bardili² auf eine bestimmte Weise vertreten wird. Man könnte auch behaupten, dass es sich um einen Immanentismus der Vernunft handelt, den Reinhold bei Fichte zu finden glaubte und bei Bardili endlich gefunden hat: Das Alogische hat keinen Platz innerhalb der Philosophie, es gehört entweder zum unphilosophischen Verstand oder aber zum noch verworrenen Verständnis der Realität. Die Andersheit darf philosophisch, d. h. rational und deutlich, nur als eine vernünftige Nicht-Identität verstanden werden. Man könnte sagen, dass Reinhold trotz aller angeführten Gründe über diesen Punkt letztendlich wie Hegel denkt, insofern er die Meinung vertritt, dass das, was wirklich ist, auch vernünftig ist, und umgekehrt.³ Neben der eben geschilderten Okkurenz der Diversität – das Anderssein als Nicht-Identität des gedachten Materiellen gegenüber dem Einssein als Identität des Denkens – findet sich nun in Reinholds rationalem Realismus eine andere Bedeutung der Andersheit, die mit der ersten nicht vermengt werden darf: Es wird nämlich zwischen dem Urwahren, d. h. Gott, und dem Wahren, d. h. der Wesenhaftigkeit bzw. der Objektivität der Welt,⁴ in der das Urwahre sich manifestiert, unterschieden. Somit wird eine absolute und unaufhebbare Differenz zwischen dem Absoluten und dessen Offenbarung eingeleitet, die nicht anhand eines vom theoretischen Verstand verschiedenen Erkenntnisorgans gerechtfertigt wird – sei dies der moralische Glaube des Transzendentalismus Kants oder der natürliche Glaube Jacobis. Diese Differenz beruht im rationalen Realismus hingegen auf dem Zu Bardili vgl. Paimann (2009). Schrader hat zu Recht hervorgehoben, dass Reinhold Anfang des 19. Jahrhunderts dem Theoretischen eine Priorität gegenüber dem Praktischen zuspricht (Schrader (1993) 86). Er verweist auf einen Brief Reinholds an Bardili vom 1. September 1800, in dem es heißt: „Ich weiß nun, daß alle Philosophie als solche, Erkenntniß, und als Erkenntniß, theoretisch sey, und als theoretisch wahre Erkenntnis zu allen sogenannten Praktischen schon vorausgesetzt werde: so daß die Praxis zur Wahrheit der Philosophie als Erkenntniß, nichts beytragen kann, sondern ihre Wahrheit selber nur durch die Philosophie, als Erkenntniß, erhalte.“ (Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 250). Zur Beziehung zwischen Reinhold und Hegel vgl. unter anderem Valenza (1994), Bondeli (1995b), Bondeli (1998), Ahlers (2004), Ahlers (2012). Beiträge Übersicht H 5, 41, RGS 7/2.668.
„Identität“ und „Diversität“ in Reinholds rationalem Realismus (1801 – 1803)
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Denken als Denken in seiner Anwendung. Reinhold muss mit Bezug auf diesen Punkt zuerkannt werden, das Thema des Absoluten (Gott) auf eine Weise in die philosophische Diskussion eingeführt zu haben, die später Schule machen wird. Trotz aller theoretischen Distanz ist Reinholds Unterscheidung zwischen dem Urwahren und dem Wahren z. B. für den späteren Fichte von Bedeutung. Reinhold negiert nämlich, dass das von der Jenaer Wissenschaftslehre genannte Absolute das wahre Absolute darstellt, und nimmt im Gegensatz zum frühen Fichte die Unterscheidung zwischen Gott und seiner Manifestation vorweg, die selbst in den späteren Darstellungen der Wissenschaftslehre vorkommt. Reinhold erkennt somit, dass die Philosophie keinen spinozistischen Pantheismus darstellt. Im Gegensatz zu Schellings Identitätsphilosophie, für die das Absolute ein und dasselbe mit der erscheinenden Natur ist, betont Reinhold, dass das Urwahre sich nur in der Natur offenbart, ohne sich jedoch in ihr zu erschöpfen. Aufgrund des bisher Gesagten treten in Reinholds rationalem Realismus offensichtlich zwei Arten der Andersheit zum Vorschein – einmal die Nicht-Identität des Materiellen gegenüber der Identität des Geistlichen im Denken, das andere Mal die Nicht-Identität des Urwahren gegenüber seiner Manifestation im Wahren. Diese zwei unterschiedlichen Arten der Andersheit sind Gegenstand meiner Untersuchung. Um sie voneinander zu unterscheiden, kann man sie als die immanente bzw. emanente Form der Diversität bezeichnen: Im ersten Fall handelt es sich um die Differenz innerhalb des Denkens, im zweiten um diejenige zwischen dem Wahren in der Anwendung des Denkens und dem Urwahren, das sich im Wahren manifestiert. In Anbetracht dieses doppelten Sinnes der Andersheit lassen sich zwei Thesen aufstellen: Es soll erstens die Lehre der immanenten Differenz – d. h. der NichtIdentität der Materie gegenüber der Identität des Denkens – dargelegt werden, die, wie bereits erwähnt, Reinholds Ansatz zum Ding an sich in seiner Fichte-Phase übernimmt und fortführt. Aufgrund des sich hier abzeichnenden und bereits erwähnten absoluten Immanentismus der Vernunft soll zweitens verifiziert werden, in welchem Ausmaß bzw. aufgrund welcher Relation ein derartiger Immanentismus das Verständnis der emanenten Relation der Andersheit – zwischen dem Urwahren und dem Wahren – beeinflusst. Mit Bezug auf diesen letzten Punkt soll die These vertreten werden, dass der absolute Immanentismus der Vernunft gerade die Emanenz Gottes verlangt und dass der eigentliche Grund des Immanentismus der Vernunft in der Anerkennung des emanenten Charakters des Absoluten gegenüber dem Relativen besteht. Ich betrachte nun beide genannten Bedeutungen der Andersheit als voneinander abhängig und finde die Rechtfertigung für mein Vorgehen in Reinhold selbst, der davon ausgeht, dass die falsche Auffassung des ersten Sinnes der Differenz – die Nicht-Identität der Materie gegenüber der Identität des Denkens – zwangsläufig ein
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falsches Verständnis der anderen Differenz – die Nicht-Identität des Urwahren mit seiner Offenbarung in der Natur – mit sich bringt. Als Voraussetzung der vorliegenden Untersuchung müssen wir nun diesem ersten Punkt unsere Aufmerksamkeit schenken.
2 Die Voraussetzung In einem Aufsatz des 5. Hefts der Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts – betitelt „Ueber die Verwechselung und die Vereinigung der Natur mit Gott“ – setzt sich Reinhold mit der seiner Meinung nach falschen Definition des Absoluten als der absoluten Identität des Endlichen und des Unendlichen bzw. des Subjektiven und des Objektiven auseinander, die besonders Schelling in seiner Identitätsphilosophie zu ihrer vollendeten Form geführt hat.⁵ Unter den verschiedenen Einwänden, die Reinhold dagegen erhebt, gibt es einen, der für meine Überlegungen von besonderer Bedeutung ist. Ich fasse ihn kurz zusammen: Schellings absolute Identität kann nur deshalb als absolut angesehen werden, weil sie „von dem Gegensatze befreyet“⁶ wird; und sie wird vom Gegensatz nur insofern befreit, als sie ihn in sich selbst aufnimmt. Jeder Stoff, jede Materie des Denkens kann demzufolge nur als eine Nicht-Identität betrachtet werden, die im Absoluten gleichzeitig aufgehoben und erhalten bleibt. Reinhold nennt dieses Vorgehen in einem Brief an Jacobi ein „Versteckenspielen“ mit der Differenz:⁷ Man wendet nämlich die Augen vom Gegensatz ab, um das Absolute als den Indifferenzpunkt anzuschauen. Der Gegensatz wird demzufolge als NichtIdentität in der absoluten Identität aufgehoben, gleichzeitig wird er jedoch in ihr als Nicht-Identität aufrechterhalten, um das Absolute als den Indifferenzpunkt zu betrachten, von dem sowohl die Identität als auch die Nicht-Identität abgeleitet werden sollen.⁸ Interessant für uns ist nun, dass Reinhold diesen falschen Begriff des Absoluten zusammen mit der falschen Auffassung der Relation zwischen der Identität des Denkens und der Nicht-Identität des Gedachten diskutiert und beanstandet. Er ist nämlich der Meinung, dass beide Irrwege auf demselben Missverständnis beruhen. Indem man dasjenige Verhältnis missversteht, das wir die immanente Beziehung genannt haben, versteht man zwangsläufig auch die emanente Relation falsch, die das Absolute mit seiner Erscheinung verbindet. Es handelt sich letztendlich um zwei
Zu Reinholds Auseinandersetzung mit Schelling vgl. Ahlers (2005). Beiträge Übersicht H 5, 56, RGS 7/2.675. Ebd. 5, 98, RGS 7/2.698. Ebd. 94, RGS 7/2.696.
„Identität“ und „Diversität“ in Reinholds rationalem Realismus (1801 – 1803)
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Seiten derselben Medaille: Ist das Denken von etwas das Verhältnis zwischen einem Subjekt und einem Objekt, in welchem die Objektivität insofern verschwindet, als sie zu einer bloß subjektiven Objektivität wird; ist, anders formuliert, die Identität des Gegenstandes für das Subjekt eine Identität des Objekts, muss sie als eine Relation der subjektiven Subjekt-Objektivität angesehen werden, die als solche nur eine Erscheinung des wahren Absoluten darstellt. Es handelt sich um diejenige Erscheinung Gottes, von der die Transzendentalphilosophie Schellings spricht, zu der sich dann die objektive Subjekt-Objektivität gesellt, wie sie hingegen in der Naturphilosophie dargestellt wird. Indem man nun aber die immanente Relation von Subjekt-Objekt im subjektiven Bewusstsein und in der objektiven Natur nur als ein unterschiedliches quantitatives Verhältnis derselben Einheit versteht, ist man dazu gezwungen zu behaupten, dass Gott das Absolute als die Indifferenz des Subjektiven und des Objektiven ist, welches mit der Natur dem Wesen nach identisch ist.⁹ Die Errichtung des Identitätssystems kann somit nur in einen spinozistischen Pantheismus einmünden.¹⁰ Wir werden gleich sehen, wie Reinhold beide Relationen – die immanente zwischen dem Denken und dem Gedachten sowie die emanente zwischen dem Urwahren und dem Wahren – hinsichtlich des von uns untersuchten Begriffspaares der Identität-Differenz versteht. An dieser Stelle ist es angebracht, auf zwei Momente hinzuweisen, die für Reinholds Auffassung beider Relationen von zentraler Bedeutung sind bzw. die sie prägen. Es handelt sich erstens um die Widerlegung jeder Form von Vorstellungsphilosophie und die damit einhergehende Überwindung der bedingten Identität, zweitens um die von Malebranche übernommene Lehre des Schauens der Dinge in Gott. Das erste Moment betrifft die Opposition zwischen falschem und wahrem Denken. Bleibt das Denken bloßes Vorstellen, dann kann es nur als ein bedingtes Identifizieren verstanden werden, anhand dessen das Gedachte nur das Objekt einer subjektiven Tätigkeit darstellt. Man hat hier nur mit einer partialen Identität zu tun, weil das Objekt des Denkens nur ein Objekt für ein Subjekt ist, nur eine Erscheinung, die nicht an sich gilt. In Reinholds Auffassung scheint diesbezüglich ein mit Kants Auffassung der Amphibolie der Reflexionsbegriffe einhergehender kryptischer Platonismus eine Rolle zu spielen, aufgrund dessen der Abscheidung des Denkens vom Vorstellen die Trennung des Intellektuellen vom Empirischen korrespondiert. Man solle jede Art von Konkreszenz, d. h. von Mischung vermeiden, die das wahre Denken mit dem willkürlichen Phantasieren vermengt,¹¹ man dürfe
Ebd. 67–68, RGS 7/2.681–682. Ebd. 73, RGS 7/2.685. Beiträge Übersicht H 2, 74, RGS 7/1.147.
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weder das Intellektuelle sensifizieren noch das Empirische intellektuieren.¹² Nur indem man dies tut, erkennt man das wahre Sein und die echte Objektivität der Welt. Die von Kant begonnene und von Fichte vollendete Transzendentalphilosophie ist für Reinhold ein Beispiel von Vorstellungsphilosophie, die wohl als Immanentismus angesehen werden kann, insofern sie die Relation des Denkens und des Gedachten auf das Verhältnis innerhalb des menschlichen Bewusstseins reduziert; sie ist aber gerade deshalb falsch, weil sie das Denken als einen Akt der unter den Begriff des Vorstellens subsumierbaren endlichen Tätigkeit versteht. Dieselbe Reduktion auf eine Philosophie des bedingten Identifizierens könnte man nun auch mit Bezug auf Jacobi und Schelling aufgrund anderer Stellen der Beyträge aufzeigen. Davon kann man hier absehen. Es scheint wichtiger zu betonen, dass die Unzulänglichkeit all dieser Philosophien der Vorstellung in ihrem Subjektivismus besteht. Reinhold stellt sich prinzipiell gegen den Primat des Subjekts und argumentiert für den Primat des Objekts.¹³ Er ist der Meinung, dass die Tätigkeit des Denkens zu keinem Subjekt gehört, das dank seiner Akte die Welt mit ihren Objekten zu konstruieren vermögen soll. Die Welt bzw. die Natur kann hingegen nur aufgrund der deutlichen Analysis der Philosophie so gedacht werden, wie sie an sich ist. Der philosophische Konstruktivismus des Denkens soll durch einen ebenso philosophischen Rekonstruktivismus ersetzt werden. Dies bedeutet letztendlich, dass der Philosoph sich auf die Höhe des Denkens als Denken erheben soll, er muss es anwenden, um die Gegenständlichkeit als die wahre Manifestation Gottes zu verstehen. Das Denken als Denken in seiner Anwendung stellt somit einen anderen Ausdruck für die allgemeine und reine Vernunft dar, die insofern anonym ist, als sie weder individuell noch menschlich ist. Sie ist die Vernunft, durch welche Gott selbst sich in der Welt offenbart und wodurch auch die wahre Objektivität der Natur, deren Gesetze und Normen, festgelegt wird.¹⁴ „Das in diesem Denken, und durch dasselbe, an der Natur, sich wirksam bezeigende, an sich selbst Absolute ist die Unendliche Intelligenz und als solche Gott, das Urwesen, das Wesen der Wesen, geoffenbaret am Wesen der Dinge, das Urwahre in seiner Manifestation am Wahren.“¹⁵
Auch der Mensch kann als Philosoph im Sinne der platonischen Methexis der absoluten Vernunft teilhaftig werden; er muss nur über das bloße Vorstellen und das
Beiträge Übersicht H 5, 16, RGS 7/2.655. Vgl. dazu Bondeli (1995a) 329. Beiträge Übersicht H 5, 88, RGS 7/2, 692–693. Ebd. 10, RGS 7/2.652.
„Identität“ und „Diversität“ in Reinholds rationalem Realismus (1801 – 1803)
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damit verbundene bedingte Identifizieren hinausgehen und das Denken als Denken selbst anwenden. Dies führt uns direkt auf den zweiten der oben genannten Punkte: Reinholds positive Übernahme von Malebranches Denkansatz. Im Zweiten Brief an Jacobi gesteht Reinhold seinem Briefpartner zu, dass er den Unterschied zwischen falschem Denken als bedingtem Identifizieren und wahrem Denken als Denken als Denken in seiner Anwendung geahnt hat. Jacobi habe eingesehen, dass Gott eine unendliche Intelligenz ist, deren Denken insofern „kein Anhängsel der menschlichen Subjektivität, kein Subjektives Thun ist“, als es kein bedingtes Identifizieren im Sinne des bloßen Vorstellens darstellt. Von Bedeutung ist nun, dass Reinhold das wahre Denken Gottes dem Menschen nicht abspricht. Der Mensch ist nämlich „Gottes Ebenbild“, als solchem ist ihm die Fähigkeit zuzusprechen, die wahre, d. h. die unbedingte Identität des Denkens als Denken anzuwenden. Worin besteht nun aber das wahre Denken? Laut Reinhold in dem Denken, „wie es bey Gott ist“.¹⁶ Die somit angekündigte Übereinstimmung des Denkens als Denken – man könnte auch von Vernunft sprechen – in Gott und in seinem vom Menschen dargestellten Ebenbild bringt nun mit sich, dass die endliche Vernunft, sofern sie sich vom bedingten Identifizieren befreit, das im Vorstellen enthalten ist, wohl eine deutliche Erkenntnis des Wahren erreichen und dasselbe Denken anwenden kann, das auch bei Gott ist. Reinhold ist der Meinung, dass Malebranche dies eingesehen hat: Die endlichen Geister können nämlich für den französischen Philosophen „alles in Gott wahrnehmen“ und diejenige „Theilnehmungsfähigkeit der endlichen Dinge an Gott“ verstehen, die ihre vernünftige Form darstellt.¹⁷ Malebranche hatte Reinhold zufolge klar vor Augen, dass die wahre Erkenntnis in der Wahrnehmung der Wesenhaftigkeit der Welt besteht; und diese Wahrnehmung gründet in der Fähigkeit des Menschen, die wahre, d. h. vernünftige Natur der Welt in Gott einzusehen: „Die endlichen Geister nehmen alles in Gott wahr, inwieferne ihnen die Urbilder der Dinge in Gott mitgetheilt werden; inwieferne ihre Natur in dem Vermögen besteht, dasjenige‚ was in Gott die erschaffenen Dinge repräsentirt, wahrzunehmen.“¹⁸
3 Immanenz und Vernunft Reinhold ist der Meinung, dass man aufgrund der Anwendung des Denkens als Denken die Welt in ihrer absoluten Objektivität einzusehen vermag. Im Gegensatz
Ebd. 87, RGS 7/2.692. Ebd. 173–174, RGS 7/2.736–737. Ebd. 173, RGS 7/2.736.
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zu jeder Form des bedingten Identifizierens, die jeder Art von Vorstellungsphilosophie eigentümlich ist und nach der die Natur ausschließlich in der Relation erfasst werden kann, die sie mit dem Akt eines Subjekts verbindet, stellt die unbedingte Identität des Denkens in seiner Anwendung nicht mehr die Objektivierung eines Subjektiven dar, sondern das Medium, wodurch sich Gott in der Natur offenbart; sie ist anders formuliert „der lautere Widerschein von dem jedem Sterblichen an sich selbst unzugänglichen Urlichte“.¹⁹ Indem man das Denken als solches anwendet, denkt man gleichzeitig das Absolute, ohne es jedoch anschauen zu können. Die allgemeine Vernunft, die überall herrscht, muss wohl im menschlichen Denken ohnehin durch ein Vorstellen bedingt sein, sie kann nichtsdestoweniger, sofern sie nicht durch das Empirische verunreinigt wird, eine wahre, d. h. vernünftige Erkenntnis des Realen ermöglichen. Reinhold plädiert offensichtlich für einen neuen Begriff des Dinges an sich, der erst dann sinnvoll wird, wenn er nicht mehr als das Oppositum der Erscheinung verstanden wird. Er spricht demgemäß von der Objektivität an sich, die die Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit sein soll und als solche ein Etwas ist, das „unzertrennlich“ in der Anwendung des Denkens als Denken gedacht wird.²⁰ Die Objektivität an sich ist demzufolge nicht das Ding an sich, von dem noch bei Kant die Rede ist; sie ist vielmehr diejenige Beschaffenheit des Gedachten, die das wahre Denken in seiner Anwendung zu denken vermag. Reinhold ist der Meinung, dass der Widerspruch eines formlosen Stoffes bzw. einer Materie an sich, die außerhalb des Denkens zu bestehen hat, nur im rationalen Realismus vermieden werden kann. Zu diesem Zweck erteilt er dem Begriff der Materie den Status einer Hypothesis, die als Bedingung der Anwendung des Denkens angenommen werden muss.²¹ In der Tat handelt es sich um eine NichtIdentität²² bzw. ein Nichtdenken,²³ das als Gegenteil des identischen Denkens dessen Anwendung ermöglicht. Von der Materie kann man demzufolge als von demjenigen gegensätzlichen Moment sprechen, das nur innerhalb des absoluten Verhältnisses – Reinhold spricht vom Nexus oder einfachen Zusammenhang²⁴ – eine sinnvolle Bedeutung bekommt, das die Identität als Thesis und die Nicht-Identität als Hypothesis verbindet und worin die Anwendung des Denkens als Denken eigentlich besteht.²⁵
Ebd. 88, RGS 7/2.692. Beiträge Übersicht H 6, 68, RGS 7/2.787. Beiträge Übersicht H 2, 184, RGS 7/1.216. Beiträge Übersicht H 6, 61, RGS 7/2.783. Ebd. 45, RGS 7/2.775. Ebd. 22, RGS 7/2.762. Ebd. 24, RGS 7/2.764.
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Hier können die Einwände, die Reinhold mit Bezug auf das Thema des NichtIdentischen gegen die Vorstellungsphilosophien Fichtes und Schellings erhebt, nicht im Einzelnen berücksichtigt werden. Ich möchte vielmehr darlegen, in welchem Sinn die Aufhebung des Kantischen Dinges an sich zugunsten der Objektivität an sich innerhalb des rationalen Realismus letztendlich der Auffassung entspricht, die Reinhold bereits während seiner Fichte-Phase vertrat. Auch wenn man eingesteht, dass das Denken als Denken in seiner Anwendung den Anspruch erhebt, von der Ich-Tätigkeit wesentlich verschieden zu sein, kann nicht übersehen werden, dass man es in beiden Fällen – im rationalen Realismus sowie in Reinholds Fassung der Wissenschaftslehre – nach wie vor mit einem absoluten Immanentismus der Vernunft zu tun hat. War Reinhold 1798 der Meinung, dass das reine Wissen der Wissenschaftslehre insofern als das wahre Wissen angesehen werden kann, als es den Begriff des Dinges an sich endgültig verdrängt hat, vertritt er anfangs des 19. Jahrhunderts die These, dass die Nicht-Identität der Materie bzw. des formlosen Stoffes außerhalb der Anwendung der Identität des Denkens „der Widerspruch an sich ist“²⁶. In seiner ALZ-Rezension von Fichtes Schriften hatte Reinhold betont, dass vor Fichte keine wissenschaftliche Form der Philosophie möglich war, weil man etwas vom Ich Verschiedenes annahm, das als Grund der objektiven Realität der Vorstellungen außerhalb des Ich gesucht wurde. Positiv hieß dies, dass nur Fichte entdeckt hatte, dass dasselbe Ding an sich „als Nichtich für das Ich auch nur durch das Ich selbst, durch absolute Entgegensetzung begründet seyn könne, und daß man zur Begründung der Transcendentalphilosophie nicht nöthig habe, aus der reinen Vernunft selbst herauszugehen“²⁷. Das Nicht-Ich sei kein Ding an sich, weil es nur in der ursprünglichen Antithesis, d. h. „in der absoluten Negation des sich selbst setzenden“²⁸ anzutreffen sei. Man lese nun aber, was Reinhold in der„Neuen Auflösung der alten Aufgabe der Philosophie“ schreibt: Da die Nicht-Identität nur im absoluten Nexus mit dem Denken sinnvoll und außerhalb der Anwendung der Identität widersprüchlich ist, „so ist alles außer, über, vor und neben jener Anwendung Gesetzte sich selbst widersprechend, und das schlechthin Nichtgesetzte und nicht Setzbare“²⁹. Ich verstehe diese Stelle im Sinne des absoluten Immanentismus der Vernunft, demzufolge alles durch das Denken in seiner Anwendung gesetzt werden soll. Hier findet sich dasjenige Verhältnis zum Ausdruck gebracht, das bereits in Reinholds Fassung der Wissenschaftslehre am Werk war. Im Gegensatz zu Fichte, nach dem das Ding an sich einen widersprüchlichen Begriff im positiven Sinne darstellt, weil es vom
Ebd. 32, RGS 7/2.768. Vermischte Schriften II, 342, RGS 5/2.133. Ebd. 359, RGS 5/2.139. Beiträge Übersicht H 6, 32, RGS 7/2.768.
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endlichen Geist als etwas Absolutes außer ihm und gleichzeitig für ihn gesetzt werden muss – man könnte auch sagen, dass das Ding an sich theoretisch nicht annehmbar ist, dass es aber praktisch gesetzt werden muss –, reduzierte Reinhold bereits 1798 das Ding an sich auf das Nicht-Ich und missverstand somit die Opposition des Nicht-Ich als ein bloßes Entgegensetzen durch das Ich, statt das Moment des Entgegensetzens als durch das praktische Moment des Anstoßes bedingt anzusehen. Auch wenn nicht übersehen werden darf, dass die Hauptmomente des rationalen Realismus weit von der Wissenschaftslehre Fichtes wegführen, bleibt ein Moment bestehen: die These, dass das Alogische einen Widerspruch an sich darstellt und nur durch das Setzen des absoluten Denkens gerechtfertigt und demzufolge zum Logischen werden kann. Hatte Reinhold die Rolle sowie die Bedeutung des Dinges an sich bei Fichte insofern missverstanden, als er das Setzen des NichtIch als „zu absolut“³⁰, d. h. letztendlich als eine bloße Selbstbeziehung des Ich betrachtete, vertritt er in den frühen 1800er Jahren weiterhin die These, dass die einzig philosophisch vertretbare Andersheit als eine auf die Vernunft zurückgeführte Nicht-Identität verstanden werden soll. Man könnte sich nun fragen, ob Reinholds Ersetzung des „leidigen bloßen Stoff[es]“³¹, dem innerhalb der Elementarphilosophie noch die Rolle des Grundes zugeteilt war, durch die Nicht-Identität der Materie als Hypothesis gerade den absoluten Immanentismus der Vernunft vermeiden kann. Wird anhand des hypothetischen Charakters der Materie als Nicht-Identität vielleicht nicht ein Begriff eingeführt, aufgrund dessen doch etwas gesetzt wird, das sich außerhalb des Denkens befindet und als solches nicht auf ein Gedachtes an sich reduziert werden kann? Kann man, anders formuliert, von einem Setzen der Diversität unabhängig von und außerhalb des Setzens bzw. des Anwendens des Denkens sprechen? Wohl als Hypothesis, die aber an sich, d. h. außerhalb der Anwendung des Denkens eine „Hypothesis impossibilis“ bzw. einen Widerspruch darstellt.³² Es scheint, dass gerade aufgrund der Substitution des antithetischen Charakters der Nicht-Identität durch deren bloß hypothetischen Charakter die absolute Diversität, die noch Fichte in seiner ersten Wissenschaftslehre dem Ding an sich zusprach und anhand des Begriffs des Anstoßes transzendental rechtfertigte, zunichtegemacht wird. Um sich die Worte zu eigen zu machen, die Fichte gegen Reinholds Auffassung seiner Wissenschaftslehre benutzt: Reinhold fasst im rationalen Realismus das Setzen der Nicht-Identität der Materie als zu absolut auf; und die der Materie zugesprochene Funktion von Hypothesis scheint gerade diese Absolutheit zu veranschaulichen.
Fichte-AA III/3.69. Beiträge Übersicht H 6, 33, RGS 7/2.769. Beiträge Übersicht H 1, 26, RGS 7/1.23–24.
„Identität“ und „Diversität“ in Reinholds rationalem Realismus (1801 – 1803)
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Dieser wichtige Punkt lässt sich nun anhand zweier Grundpfeiler des neuen Systems der Philosophie Reinholds festhalten. 1) Der rationale Realismus soll keinen Dualismus beinhalten. Er hat nämlich nur ein einziges Prinzip, das von der Manifestation des Urwahren im Wahren dargestellt ist. Die Unterscheidung zwischen Gott und der Natur ist allerdings nur in der deutlichen Erkenntnis der Offenbarung Gottes enthalten, sie stellt, anders gesagt, nicht den „Grund“, sondern nur die „Folge“ des Prinzips selber dar.³³ 2) Man behalte in Erinnerung, dass die Anwendung der Identität des Denkens an sich für Reinhold „ohne Anfang und Ende“³⁴ ist und dass sie nur in der Darstellung, d. h. in der Analysis derselben Anwendung des Denkens, die in der Philosophie stattfindet, einen Anfang erhält. Ich werde in der Konklusion auf diesen Punkt zurückkommen; was bereits an dieser Stelle behauptet werden kann, ist, dass die Hypothesis der Nicht-Identität die Absolutheit der Vernunft nicht in Frage stellt. Dies kann man sowohl mit Bezug auf Gott als auch hinsichtlich des Menschen feststellen. Ersterer hat nämlich seit der Ewigkeit die Materie durch sich selbst geschaffen und mit seinem Denken – Reinhold spricht vom Wort Gottes³⁵ – außerhalb der Zeit als ein von ihm Gedachtes gesetzt. Der zweite erkennt, sofern er Philosoph ist, d. h. richtig denkt, die Nicht-Identität eigentlich nur innerhalb des ursprünglichen Nexus deutlich und demzufolge ausschließlich als „das absolute Etwas“ der Objektivität an sich³⁶ bzw. die vernünftige Form der Materie.³⁷ Die Nicht-Identität der Materie ist anders gesagt nur ein Postuliertes, die „Conditio sine qua non“ der Anwendung des Denkens, die „Hypothesis sub Thesi absoluta“,³⁸ die außerhalb der Anwendung des Denkens eine bloße und unbestimmte Nicht-Identität ist.³⁹ Gegen die Diversität der Materie als Hypothesis könnte man denselben Einwand des „Versteckenspielens“ erheben, den Reinhold selbst mit Bezug auf die Differenz anbringt, von der in der Indifferenzphilosophie Schellings die Rede ist:⁴⁰ Sie ist da, um aufgrund der Anwendung des Denkens als aufgehobenes und doch erhaltenes Moment vernichtet zu werden. Reinhold spricht nicht zufällig von derselben Nicht-Identität, die vor und nach der Anwendung des Denkens gesetzt werden muss. Man lese:
Beiträge Übersicht H 4, 219, RGS 7/2.631. Beiträge Übersicht H 6, 34, RGS 7/2.769. Beiträge Übersicht H 5, 175, RGS 7/2.737. Ebd. 9, RGS 7/2.652. Beiträge Übersicht H 2, 183, RGS 7/1, 216. Ebd. 183, RGS 7/1.215–216. Beiträge Übersicht H 5, 58, RGS 7/2, 676. Ebd. 98, RGS 7/2.698; Beiträge Übersicht H 6, 36, RGS 7/2.770.
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„Die erste Bestimmung, welche die, als bloße, als unbestimmte, Nichtidentität aufgehobene Nichtidentität in der Anwendung der abs. Identität, und durch dieselbe erhält, ist eben die Unvertilgbarkeit, als Nichtidentität in dieser Anwendung und durch dieselbe.“⁴¹
Wie man sieht, handelt es sich um dieselbe Nicht-Identität, die in der Anwendung des Denkens einerseits aufgehoben, andererseits jedoch erhalten bleibt. Es wäre deshalb nicht abwegig, Reinholds Lehre der Materie als Hypothesis bzw. Postulat anhand von Hegels leicht verändertem Bild des leeren Geldbeutels zu beschreiben. Der leere Geldbeutel ist an sich wohl ein Beutel, „in Beziehung auf welchen das Geld allerdings schon, aber mit dem Zeichen minus gesetzt ist, und das Geld aus demselben unmittelbar deducirt werden kann, weil es in seinem Mangel unmittelbar gesetzt ist.“⁴² Auf dieselbe Weise ist die unvertilgbare Nicht-Identität nach der Anwendung des Denkens der volle Gelbdbeutel, d. h. dieselbe Nicht-Identität mit dem Zeichen plus, aus der die Nicht-Identität postuliert werden muss, die als solche die Funktion des Geldes in Hegels Beispiel übernimmt, diesmal aber mit dem Zeichen Minus.
4 Emanenz und Vernunft Im bereits erwähnten Aufsatz „Ueber die Verwechselung und die Vereinigung der Natur mit Gott“ gibt Reinhold zwei Okkurenzen des Begriffs des Urwahren an – einerseits Gott als das schlechthin Unergründliche und Unbegreifliche, das in seinem „unzugänglichen Lichte“ wohnt, andererseits Gott in seinem Dasein, in seiner Manifestation, d. h. als das Urwahre am Wahren der Natur.⁴³ Für die vorliegenden Überlegungen ist die emanente Form des Absoluten von Interesse, d. h. diejenige Form, von der außerhalb der Anwendung des Denkens die Rede sein kann. Es fragt sich nun, in welcher Relation der oben diskutierte Immanentismus der Vernunft mit dieser zweiten Form der Verschiedenheit des Urwahren vom Wahren steht. Wir haben gesehen, dass die wahre Erkenntnis kein Ansich außerhalb der Vernunft dulden kann. Die Wahrheit der Welt und der Natur zu erkennen, bedeutet für Reinhold, deren Wesenhaftigkeit und vernünftige Normativität wahrzunehmen. Es handelt sich offensichtlich um eine Gesetzlichkeit des Seins und nicht des Sollens. Dieser Immanentismus der Vernunft verlangt nun aber gerade die Emanenz, die die Beziehung von Gott zu seiner Erscheinung kennzeichnet. An dieser Stelle soll nicht die Frage gestellt werden, ob der Immanentismus im Sinne von Reinholds
Beiträge Übersicht H 5, 58, RGS 7/2.676. Hegel-AA 4.392. Beiträge Übersicht H 5, 52, RGS 7/2.673.
„Identität“ und „Diversität“ in Reinholds rationalem Realismus (1801 – 1803)
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rationalem Realismus tatsächlich imstande ist, die Emanenz Gottes gegenüber seiner Erscheinung auf eine stichhaltige Weise zu rechtfertigen. Stattdessen ist darauf hinzuweisen, dass die späte Wissenschaftslehre Fichtes vor demselben Problem steht, sodass man behaupten könnte, die Systeme der Philosophie von Reinhold und von Fichte stellten zwei miteinander nicht zu vermengende Alternativen dar, um eine Philosophie des Absoluten – d. h. durch das Absolute und von dessen Standpunkt aus – zu vermeiden. Hier soll der Hinweis darauf genügen, dass im Gegensatz zur Philosophie der Indifferenz Schellings (aber dasselbe könnte man aus anderen Gründen auch mit Bezug auf Hegels Philosophie des Absoluten behaupten), nach der Gott und seine Manifestation in der Natur dem Wesen nach ein und dasselbe sind, der rationale Realismus die wesentliche Differenz zwischen dem Urwahren und dem Wahren hervorhebt. Das Urwahre manifestiert sich im Wahren, es erschöpft sich aber nicht in ihm. Die Natur kann insofern als das Wahre angesehen werden, als Gott sich in ihr offenbart: „Sie hat ihr ganzes, wahres, Seyn nur in dieser Manifestation, und durch dieselbe.“⁴⁴ Diese innere Verschränkung hebt nun aber die Differenz zwischen Gott als dem Urwahren und der Natur als dem Wahren nicht auf. Der rationale Realismus „stellt weder die Natur, noch die Manifestation als besondere Principien neben Gott, sondern beydes nur unter Gott, und in der absoluten Abhängigkeit von demselben, auf.“⁴⁵ In dieser Hinsicht ist auch in Erinnerung zu rufen, was Reinhold nochmals mit Bezug auf Malebranche behauptet: Der Mensch nimmt nicht das Wesen der Gottheit an sich wahr, er kennt nur deren wesenhafte Manifestation im Denken und durch das Denken. Reinhold beanstandet hier die Lehre von Schelling, die Gott „anzuschauen sich rühmt“, sofern sie das Absolute mit der Natur identifiziert.⁴⁶ Somit führt man aber eine „Okkultation Gottes“ aus:⁴⁷ Wenn nämlich Gott und die Natur dem Wesen nach identisch sind und der Unterschied zwischen ihnen nur eine Erscheinung darstellt, die für das angeblich wahre Wissen des Philosophen wegfällt, „so giebt es in der Wahrheit weder Gott noch Natur, und es ist ganz gleichgültig: ob das namenlose Eine in Allem und Alles in Einem, das an die Stelle von Beyden tritt, Gott oder die Natur genannt werde“.⁴⁸ Der rationale Realismus lebt offensichtlich von der doppelten These des Deus absconditus, dessen Wesen uns Menschen in einem unbegreiflichen Licht verborgen bleibt und deshalb nicht angeschaut werden kann, und des Deus revelatus, den man nur aufgrund seiner Manifestation in der Natur durch das Denken und im
Beiträge Übersicht H 4, 220, RGS 7/2.631. Ebd. 219, RGS 7/2.631. Beiträge Übersicht H 5, 173, RGS 7/2.736. Beiträge Übersicht H 4, 43, RGS 7/2.537. Beiträge Übersicht H 5, 49–50, RGS 7/2.672.
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Denken erkennen kann. Reinhold ist der Meinung, dass diese Emanenz Gottes gegenüber seiner Manifestation in der Natur den einzigen Damm gegen den Atheismus darstellt. Nur der rationale Realismus unterscheide zwischen dem Urwahren und dem Wahren und erhebe demgemäß den Anspruch, den wahren und lebendigen Gott zu erkennen.⁴⁹ Für die vorliegende Überlegung ist es nun von besonderem Interesse, sich eine These des rationalen Realismus vor Augen zu halten, anhand derer sich gut einsehen lässt, warum der Immanentismus der Vernunft nur mit der Emanenztheorie einhergehen kann. Reinhold versucht dabei, den Begriff des Irrtums zu erklären. Der Irrtum besteht für ihn generell in der Verwechslung des Wahren mit dem Falschen; das Wahre ist nun die Manifestation Gottes in der Natur; indem man aber unter Wahrheit die relative Identität des Subjektiven und des Objektiven versteht, begeht man einen Irrtum.⁵⁰ Diese irrtümliche Verwechslung des Wahren mit dem Falschen sucht Reinhold auf doppelte Weise zu beheben. Er hält erstens an der Unfehlbarkeit der menschlichen Vernunft als solcher fest. Das Denken als Denken ist in seiner Anwendung irrtumsfrei; der Irrtum hängt, anders gesagt, nicht vom Gebrauch der Vernunft, sondern nur von deren Nichtgebrauch ab. Und man braucht die wahre Vernunft nicht, wenn man an ihrer Stelle „Einbildungskraft und Phantasie“ anwendet, die eigentlich dem bedingten Identifizieren jeder Vorstellungsphilosophie zugrunde liegen.⁵¹ Diesem Grund, der letztendlich das richtige Organon der wahren Erkenntnis betrifft, setzt Reinhold einen zweiten hinzu: „[D]er eigentliche Urgrund alles Irrthums im Menschen“ ist die „Selbstliebe“, die „immer mehr und mehr in Selbstsucht“ ausartet und ihn „immer tiefer in den Abgrund des sich von Gott losreißenden Selbst“ hinunterzieht.⁵² Hier haben wir endlich die authentische Erklärung der innigen und wesenhaften Relation zwischen dem Immanentismus der Vernunft und der Emanenz Gottes. Beide Momente implizieren sich. Man kann nämlich behaupten, dass die Objektivität an sich der Welt nur durch die Anwendung des Denkens als Denken erkannt werden kann, weil das Denken in seinem vernünftigen Charakter keine Selbstliebe ist. Im Gegensatz zur Autonomie der Vernunft, die der Transzendentalphilosophie zugrunde liegt, plädiert Reinhold für die „Selbstverläugnung“ als eigentliche Voraussetzung der Anwendung des Denkens als Denken.⁵³ Gewisse Passagen der Beyträge erwecken sogar den Eindruck, dass Reinhold eine These wieder in die zeitgenössische Diskussion einführt, die während der Auseinandersetzung über den Begriff der Theodizee vorherrschend war: Nur
Beiträge Übersicht H 1, 76–77, RGS 7/1.50–51. Vgl. Beiträge Übersicht H 5, 8, RGS 7/2.651. Beiträge Übersicht H 6, 44, RGS 7/2.774. Beiträge Übersicht H 2, 139, RGS 7/1.190. Beiträge Übersicht H 5, 89, RGS 7/2.693.
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der Gottesleugner begeht Irrtümer. Reinhold behauptet nämlich, dass die Verwechslung des Wahren mit dem Nichtwahren, worin der Irrtum besteht, wohl einen „Mißbrauch der Vernunft“ darstellt, der nur dadurch möglich ist, „daß das Urwahre am Wahren, und das Wahre durchs Urwahre nicht erkannt wird.“⁵⁴ Man hat aber gesehen, dass der Missbrauch der Vernunft, der in der Nichtanwendung des Denkens und in dessen Ersetzung durch die subjektive Phantasie besteht, letztendlich in der Selbstliebe gründet. Auf die Frage nach der Relation von Immanenz und Emanenz kann man also antworten, dass die Emanenz und die damit einhergehende Verschiedenheit von Urwahrem und Wahrem die eigentliche Erklärung der Immanenz und des damit verbundenen Sinnes der Diversität als Nicht-Identität im Denken anbietet. Dies heißt mit anderen Worten, dass der rationale Realismus den Immanentismus der Vernunft vertritt, weil er das eigene Selbst gegenüber dem lebendigen Gott in den Hintergrund zu stellen vermag. Es handelt sich letztendlich um zwei miteinander innerlich verschränkte Momente: Indem man imstande ist, das auf der Selbstliebe beruhende und deshalb falsche, phantasierende Denken zugunsten des wahren Denkens zu opfern, erkennt man auch, dass das Wahre nicht mit dem Urwahren übereinstimmt und die Andersheit bloß als eine Nicht-Identität im Denken aufgefasst werden muss.
5 Schluss In der Tat kann der rationale Realismus als eine Philosophie angesehen werden, die vom Standpunkt der absoluten Vernunft, die sowohl Gott als auch dem Menschen eigentümlich ist, die Manifestation des Urwahren am Wahren denkt. Reinhold unterscheidet ganz deutlich das philosophische Denken nicht nur vom sogenannten gemeinen Verstand, sondern auch von einer falschen Spekulation, die sich im Vorstellen erschöpft und deren Bestimmung das Einmünden in den Atheismus ist.⁵⁵ Ebenso deutlich definiert er den eigentlichen Gegenstand der Philosophie. Letztere befasst sich nicht mit dem historischen Faktum der Offenbarung, sie fragt demzufolge nicht, wie die Materie von Gott geschaffen wurde.⁵⁶ Als solche geht sie nicht vom unbegreiflichen Urwahren, sondern hingegen „von einem begreiflichen Wahren“ aus, das sie „einerseits unmittelbar auf das Urwahre über ihm, andererseits Ebd. 2, RGS 7/2.648. Vgl. dazu besonders den Beitrag Ueber das Verhältniß des gesunden Verstandes und der philosophirenden Vernunft zum gemeinen Verstande und zur spekulirenden Vernunft, Beiträge Übersicht H 5, 223–250. Beiträge Übersicht H 4, 157, RGS 7/2.598.
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aber auf alles andere begreifliche Wahre unter ihm“ zurückführt.⁵⁷ Reinhold positioniert somit die Philosophie auf die Ebene des angewendeten Denkens. Die wichtige Frage ist nun, worauf sich die philosophische Anwendung des Denkens als Denken anwendet. Und gerade die Antwort darauf zeigt das Hauptmerkmal von Reinholds rationalem Realismus. Mit Bezug auf diesen Punkt muss man festhalten, dass die Anwendung des Denkens bzw. der Gebrauch der Vernunft „die Offenbarung Gottes an der Natur, oder die Manifestation des Urwahren am Wahren und des Wahren durchs Urwahre“⁵⁸ ist. Die Philosophie übernimmt nun die Aufgabe, das Bewusstsein, d. h. die deutliche Erkenntnis davon zu gewinnen. Dies bedeutet, dass die Philosophie eine Anwendung des Denkens auf die Anwendung des Denkens selbst darstellt. Reinhold benutzt diesbezüglich klare Ausdrücke, die uns ermöglichen, vom philosophischen Denken als einer Reflexion zu sprechen, die selbstverständlich nicht mit der Reflexion als Akt eines Subjekts vermengt werden darf. Man liest z. B. in einem Brief an Jacobi, dass, während das Denken als Denken in der Anwendung ein „Gedachtseyn“ ergibt, das philosophische Erkennen ein „Gedachtwerden“ „jenes Gedachtseyn[s]“ darstellt.⁵⁹ Es handelt sich offensichtlich um eine analytische Darstellung der Wesenhaftigkeit bzw. Objektivität der Welt, in der sich Gott bereits manifestiert hat. Der Philosoph erklärt und verdeutlicht in seiner Analysis das, was Gott selbst durch sein Wort schon gedacht hat. Besser: Er denkt und wendet somit sein Denken auf die von der Manifestation Gottes dargestellte Anwendung des Denkens an; das Philosophieren wird somit zu einer vom Menschen ausgeführten Anwendung des Denkens als Denken auf die göttliche Anwendung des Denkens als Denken. Reinhold spricht auch von der„Analysis der Analysis“, als der ersten Aufgabe der Philosophie, die in einem „ergründende[n] Geschäft“ besteht.⁶⁰ Unter Berücksichtigung dieses reflexiven Charakters des Denkens sind der Begriff vom „Selbstdenken“⁶¹ sowie die Rede von der absoluten Identität des Denkens zu bewerten, die im Bewusstsein des Denkenden (des Philosophen) „in sich selber zurückkehrt“.⁶² Reinhold unterscheidet demgemäß zwischen einer Anwendung des Denkens, die als solche und an sich „weder anfangen, noch endigen kann“, und deren philosophischer Darstellung, die wohl einen Anfang und ein Ende in der Zeit hat.⁶³ Die Aufgabe ist erfüllt, wenn das philosophische Denken deutlich zu erkennen vermag, was Gott seit der Ewigkeit
Beiträge Übersicht H 1, 73, RGS 7/1.49. Beiträge Übersicht H 5, 12, RGS 7/2.653. Beiträge Übersicht H 5, 100, RGS 7/2.699. Beiträge Übersicht H 3, 146, RGS 7/1.321. Beiträge Übersicht H 6, 43, RGS 7/2.773–774. Vgl. auch ebd. 50, RGS 7/2.777. Beiträge Übersicht H 5, 96, RGS 7/2.696–697. Beiträge Übersicht H 6, 32, RGS 7/2.768.
„Identität“ und „Diversität“ in Reinholds rationalem Realismus (1801 – 1803)
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gemacht hat: die Nicht-Identität außerhalb des Denkens auf das Denken selbst zurückführen. Die Philosophie nimmt sich anders gesagt vor, die reine Erkenntnis davon zu erreichen, dass die Materie an sich ein Widerspruch ist; sie denkt in ihrer philosophischen Darstellung denjenigen Prozess, durch den Gott aufgrund seines Denkens die Natur schon gedacht hat. Fichte hat nun in seinem Antwortschreiben an Reinhold den Einwand erhoben, dass die unendliche Wiederholbarkeit, worin das Denken als Denken bestehen soll,⁶⁴ nicht bloß eine Wiederholbarkeit „in allen“, sondern auch „für alle“ sein soll. Reinhold hätte nun dieses „Für“ in seinem rationalen Realismus „völlig übergangen“. Man habe vielmehr mit einer Kontemplation des Rhythmus der Natur zu tun, der wohl im Bewusstsein des Menschen – nach Reinhold die höchste Potenz der Manifestation Gottes – durchbrochen wird, ohne dass dieses Durchbrochensein jedoch für das Bewusstsein selbst da sein könne. „Wir wären das Bewußtseyn der Natur von sich selbst, als Natur, und nichts weiter“.⁶⁵ Was ist von Fichtes Einwand zu halten? Wir haben gesehen, dass die philosophische Tätigkeit nach Reinhold in einem Selbstdenken besteht. Dieser akt- und subjektlose Reflexivitätscharakter rechtfertigt die Ablehnung der Auffassung, dass die deutliche Darstellung der Anwendung des Denkens sich in einem bloß passiven Anschauen der Manifestation Gottes in der Natur erschöpft. Das Philosophieren fängt schließlich an und soll auch zu Ende gehen; es muss als solches einer Entscheidung folgen, die den Rhythmus der Natur zu brechen vermag. Da aber die reine Erkenntnis des Philosophen die deutliche Erklärung der Manifestation Gottes darstellt, scheint der rationale Realismus eher ein bloßes Denken als ein Denken vom Denken des kosmologischen Prozesses zu sein. In ihm bleibt, anders formuliert, die Frage unbeantwortet: Angenommen, das Denken im Bewusstsein des Philosophen kehrt in sich selbst zurück, ist sich das Bewusstsein dessen bewusst? Und für welches Bewusstsein gilt die bewusste Darstellung der Philosophie?
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Vgl. dazu Beiträge Übersicht H 1, 106, RGS 7/1.66. Fichte-AA I/7.303. Vgl. dazu Schrader (1993) 102.
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Faustino Fabbianelli
Ahlers, Rolf (2012): „Reinhold on Being, Appearance and Ursein and some Consequences“, in: Violetta Stolz, Marion Heinz und Martin Bondeli (Hgg.), Wille, Willkür, Freiheit. Reinholds Freiheitskonzeption im Kontext der Philosophie des 18. Jahrhunderts, Berlin/Boston, 471–512. Bondeli, Martin (1995a): Das Anfangsproblem bei Karl Leonhard Reinhold. Eine systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zur Philosophie Reinholds in der Zeit von 1789 bis 1803, Frankfurt am Main. Bondeli, Martin (1995b): „Hegel und Reinhold“, in: Hegel-Studien 30, 45–87. Bondeli, Martin (1998): „Hegels Identitätsphilosophie in Auseinandersetzung mit Reinholds Rationalem Realismus“, in: Klaus Vieweg (Hg.), Hegels Jenaer Philosophie, München, 163–174. Fabbianelli, Faustino (2020): „Die Freiheit des reinen Wissens. Karl Leonhard Reinholds Auffassung der Wissenschaftslehre Fichtes“, in: Martin Bondeli und Silvan Imhof (Hg.), Reinhold and Fichte in Confrontation. A Tale of Mutual Appreciation and Criticism, Berlin/Boston, 179–201. Paimann, Rebecca (2009): Das Denken als Denken. Die Philosophie des Christoph Gottfried Bardili, Stuttgart-Bad Cannstatt. Schrader, Wolfgang H. (1993): „C. L. Reinholds ‘Systemwechsel’ von der Wissenschaftslehre zum rationalen Realismus Bardilis in der Auseinandersetzung mit J. G. Fichte“, in: Walter Jaeschke (Hg.), Transzendentalphilosophie und Spekulation. Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie (1799–1807), Hamburg, 85–104. Valenza, Pierluigi (1994): Reinhold e Hegel. Ragione storica e inizio assoluto della filosofia, Padova.
Federico Ferraguto
Fichte’s concept of “Repräsentant des Absoluten” as an answer to Rational Realism Abstract: This article explores Fichte’s double strategy of critique and assimilation of Reinhold’s and Bardili’s Rational Realism. Rational Realism’s twofold argument: thinking is not mixed with sense data and thinking expresses the mere identity of what is affirmed in every affirmation and is repeated within that, implies the thesis that even the affirmation of the independence of ontology from epistemology must be able to be justified and be justifiable on the epistemological level. This setting of Rational Realism drives Fichte to review the perspective of the WL and to rethink it as an extra-subjective theory of reason. It is argued that through the introduction of the concept of representant, Fichte deepens a reflection on the relationship between philosophy, as an artificial science far removed from life, with that of life itself, that is, with the reality from which philosophizing arises. Whereas Fichte purports that abstraction and reflection are not elements of thinking, but instruments through which it is possible to show this within a relative and discursive structure, this position of the Wissenschaftslehre is abandoned by Reinhold who, in turn, tries to maintain an intermediate position between Fichte’s Wissenschaftslehre and Bardili’s realism. Finally, this article discusses the question as to whether the understanding of this discussion may lend to the contemporary debate on realism.
1 Realism and representation Whether old or new, realism negates the possibility that representation constitutes an inevitable mediation for the subject’s access to the world. Even in its most radical version, realism is not limited to affirming the existence of objects independent of us. It also adds that such objects are independent of our way of representing them.¹ The contemporary discussion on this topic focuses very much on the objective side of the problem. From the point of view of realism, representationalism presupposes the identification of perception and representation. Perception and representation are based on sensorial stimulations. However, the grain of percep-
Boghossian (2006) 62. https://doi.org/10.1515/9783111239521-010
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tion is subtler than that of representation. Perception is a more immediate and effective response to sensory stimulation; while representation could also remain vague, or lead to arbitrary conclusions. The identification between perception and representation is possible only on the basis of a confusion between ontology and epistemology. To say that there are objects that are independent of us, is different from to maintaining that this independence is given according to the patterns that we ourselves construct to understand them. This “transcendental fallacy” is what some exponents of the “new realism” rebuke Kantian philosophy for.² A similar result, but from a different angle, is achieved by rational realism that, on the threshold of the 19th century was built by Reinhold and Bardili, in the wake of Jacobi.³ For the two philosophers, whose perspective is elaborated in Bardili’s Grundriss, summarized in the Reinholdian Beyträge and discussed in the Briefwechsel über das Wesen der Philosophie, the task of philosophy is to exhibit and justify the real foundation of knowledge.⁴ By “real” we do not mean, however, the perceptive data that “affects” the subject, but rather the repetition in each of our conceptual and practical performance of a unity always identical to itself, which gives them meaning and that, both Reinhold and Bardili, call thinking. In Reinhold and Bardili, thinking cannot be traced back to the realization of an individual faculty, nor can it be taken as a general structure of knowledge. Rather, it expresses two characteristics: 1. It is not mixed with sensitivity, i. e. it is not the result of a synthesis between an external datum and a subjective elaboration; 2. In its purity, it expresses the mere identity of what is affirmed in every affirmation and is repeated within that. In this case too, the presumed Kantian “transcendental fallacy” is criticized in the name of the primacy of ontology on epistemology. In the contemporary version, the real, which is given to us, is characterized by lines of resistance or stimulations (affordances) that our understanding can only formalize in a derivative way. In the Reinholdian and Bardilian version, the real is disclosed
For an interpretation of “transcendental fallacy”, see Ferraris (2004) and Ferraris (2015). This position criticizes the possibility of supporting a pure realism or, to use the expression of Ferraris (2015) a positive realism (Ferraris (2015) 225). With this expression, Ferraris signifies the possibility of assuming the ontological constitution of the real as being independent from knowledge, as a condition of possibility of knowledge. This positive realism, based on a conception of reality as resistance to knowledge (Ibid. 221), does not seem to define the way in which we form the system of references, which allows us to give meaning to reality itself. It is interesting, however, to note that Ferraris’s conception of realism starts from the Fichtian idea according to which: reality is characterized by an Aufforderungscharakter (Ibid. 227; see also Ferraris (2012) 127). For a general account on realism in classical German philosophy see also Pluder (2013); Förster (2012); Beiser (2008). Beiträge Übersicht H 5, 45, RGS 7/2.670.
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in an immediate awareness, which is expressed in the typical faith of the common sense.⁵ The theses of realism, however, both in their contemporary meaning and in that of the Renholdian and Bardili, seem to be criticized from their point of view, according to which: realism can never be pure. The affirmation of the existence of something makes sense only in the framework of a network of references that we can build. This does not imply a new confusion of epistemology and ontology. Instead, it implies the thesis that even the affirmation of the independence of ontology from epistemology must be able to be justified and be justifiable on the epistemological level.⁶ But by who and how is this justification built? The answer to this question was perhaps set aside too quickly in contemporary discussion. Instead, it fosters the developments in the post-Kantian debate since the final decade of the 18th century. In particular, he begins the attempt to systematically ground philosophical knowledge on a single principle released by Fichte in his Wissenschaftslehre (henceforth WL).⁷ I would say that in general it is precisely on this point that Fichte’s confrontation with rational realism is achieved. This comparison has a positive side. The setting of rational realism drives Fichte to review the perspective of the WL and to rethink it as an extra-subjective theory of reason, and not just as an investigation of the general laws of action of the human spirit. In particular, on the same line as the Begriffsschrift and the Aenesidemus review, Fichte tends to show that it is true that representation is not the most original activity of the human spirit.⁸ But philosophy cannot renounce it, since only representation allows us to construct the horizon upon which philosophical discourse can justify itself and become effective theory of knowledge, or WL. Even in the perspective of a philosophy as a theory of reality implicit in every concrete thought, in other words, it is not possible to do without a representant of this fundamental reality. By grasping this, philosophy justifies itself as a mere theory and constructs that network of references that only allow one to speak, though somewhat limited and partial, in legitimate terms of the fundamental reality from whence it comes to life. In this paper, I specifically attempt to show the elaboration of this Fichtian theory exercised mainly in the WL of 1805, after a brief synthesis of the Reinholdian critique of the WL in the Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie (1801–1803). Finally, I will try to make some considerations on the gain
See Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 41–21. See Stella and Ianulardo (2018) 2: “However we can ask the following question to those who maintain that the object is independent from its relation to the subject: if the object exists before being detected, how can I be certain that the detected object be the same as the object in itself?”. Fichte is clear on this problem in the first transcendental Logic, Fichte-AA II/13.41. See Fichte-AA IV/3.41.
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that the understanding of this discussion can lend to the contemporary debate on realism.
2 Thinking, conceiving, representing 2.1 Fichte’s (empiricist) Discovery According to Reinhold, Fichte conceived the WL as a synthesis of previous attempts to think of the absolute subjectivism on which Kantian philosophy is based. From the Elementary Philosophy, Fichte would have received the stimulus to build philosophy on a principle. However, from Schulze, he would have received the stimulus to overcome the Reinholdian principle of consciousness. Finally, from Maimon, he would have taken the idea of a philosophy as an immanent science, which rejects any synthesis between heterogeneous elements. “Fichte’s discovery”, therefore, would be that “philosophy generally consists of the deduction of the reality of knowledge and the knowable from the absolute subjectivity of knowledge.”⁹ For Reinhold, however, Fichte’s reflection is still a victim of the Kantian “transcendental fallacy”. Fichte, in fact, deduces “the reality of knowledge and knowable from the absolute subjectivity of knowledge”.¹⁰ According to Reinhold, this deduction is rooted precisely in a rethinking of elementary philosophy. This had claimed to find, within the conscience, the place that unified moral conscience and theoretical reason and, in that representation, the concept capable of unifying them. In fact, “both the moral conscience and the experience are indeed consciousness. And this, among all the facts which can be the object of self-thought consisting of reflection and abstraction, is the one that is closest to reflection and therefore in respect of others is first”.¹¹ The WL, based on the assumptions of the Elementarphilosophie, would have a similar problem. While resizing the role of representation does not reduce the role of the activity of consciousness; representation and consciousness, however, are characterized by an intimately paradoxical dynamic. To assume the spontaneity of reason as the foundation of knowledge, means to release it from any sensitive content. In this way, this activity, or the “I am”, would be a source of absolute certainty that has no other content than itself. When freed, however, from any sensible assumption, the I also becomes a source of absolute certainty that has no other
Beiträge Übersicht H 2, 48, RGS 7/1.134. Ibid. 48, RGS 7/1.134. Ibid. 37, RGS 7/1.128.
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content than itself. The feeling of certainty, nevertheless, cannot exist on its own. Feeling, in fact, is always disturbed by arbitrary interpretations generated by fantasy. This disturbance can be eliminated through thinking, which takes away the immediacy of feeling and transforms certainty into truth. Fichte’s identification of I am and thinking, or between Denken and Handeln, however, implies the identification of what gives rise to the feeling of certainty and what protects it from any fantastic illusion.¹² Fichte’s psychologism would have two fundamental consequences: 1. The identification of thinking and the object of thinking. In this way Fichte mixes the sphere of a pure rationality with that in which rationality is concretized in a concrete knowledge. 2. He does not recognize thinking as something that goes beyond thinking subjectivity. As a consequence, Fiche did not adequately distinguish thinking from fantasizing.¹³ The WL thus remains the victim of a paradox: the attribution to the I of the ability to think implies that the I is an individual. To experience oneself as an individual it is necessary, according to the WL postulate, to disregard the object being thought of and to look at oneself. But in order to look away from the object, one must have previously presupposed its existence. But it is not possible to presuppose the existence of objects if it is stated that they can only exist when they are only part of the I, that is, they are understood as starting from the feeling of necessity, generated by their representations. The WL therefore implies a hidden empiricism. In fact, it is necessary to admit the existence of an object outside of us, before being able to affirm that such an object makes sense only in the light of our gaze. Furthermore, if thinking is characterized by a disregarding of empirical determinations and a turning to oneself as a subject of disregard, “to turn to myself I must necessarily admit something in myself to which I turn my gaze”¹⁴ and from which I cannot disregard if I want to avoid the regress into infinity. If I cannot think of it, I can only feel it. But feeling is non-thinking; and a non-thinking is an imagining.¹⁵ Fichte’s I would therefore be the shadow of itself: characterized by the claim to be absolute, but concretely defined by its irreducible individual character.
See ibid. 52, RGS 7/1.136. See ibid. 53, RGS 7/1.136. Ibid. 55, RGS 7/1.137. See ibid. 57, RGS 7/1.138.
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2.2 Fichte’s formalism Fichte’s empiricism would have as its correlation the pure logicism of his WL. This is an already known critique, formulated by Kant since 1797. Reinhold deepens it discussing, inter alia, the Versuch of Mehmel, published in 1803.¹⁶ In fact, if thinking is characteristic of an individual I, every thought is a “representative concept” and the science of mere thought is “Denklehre, logic”. This conception is based upon the assumption, according to which thinking is an action and every action, presupposes an awareness of such action, and therefore an activity which centers upon itself. By abstracting from all material content, Mehmel, citing the first principle of WL, writes: We can conceive thinking as a pure formal identity. Assuming that this interpretation is correct, then for Reinhold we can replace the term thinking with the definition that Mehmel gives of thinking itself: to represent concepts. It follows that the pure form of thinking consists in the pure form of representing concepts; with the consequent conclusion that the identity of which Fichte speaks is a mere conceptual identity, which presupposes the subjective activity of representation. Thus, the formal identity that is only in the concept, and through the concept, is also possible only in the concipient and through the concipient. In this perspective, the being of identity “consists only of the absolute identity of the concipient and the conceived; of the subjective and of the objective”.¹⁷ The consequence is the identification of philosophy with a formal and universal logic, to which, according to Reinhold, Kantian criticism, WL and further Schelling’s philosophy of identity, can be reduced.¹⁸ The problem, however, for Reinhold is not so much this reduction, but the fact that this reduction, derived from the separation of logic and metaphysics, is a preliminary exercise to philosophy itself, a metaphilosophy, but certainly not the realization of the fundamental task of philosophy. Indeed, although critical philosophy and WL have taken a step forward towards the realization of this task, their results are only partial. The identification of subjective thinking and spontaneity, in its twofold empiricist and formalist implications, would have an unacceptable outcome from the point of view of rational realism. The concept of thinking, conceived in the perspective of Kant and Fichte, presupposes the synthesis of subjective experience and spontaneity, which cannot be accepted as valid. In fact, the conception of thinking as a synthesis implies the contact of thinking itself with an element that is external to it, that is, with some Mehmel, Versuch einer vollständigen, analytischen, Denklehre, als Vorphilosophie, und im Geiste der Philosophie (1803); for Reinhold’s critic analysis of this work see Beiträge Übersicht H 6, 202– 206, RGS 7/2.856–859. Ibid. 205, RGS 7/2.858. See ibid. 207, RGS 7/2.859.
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thing that is “non-thinking”.¹⁹ The activity of thinking would, therefore, be contradictory and would annul itself.²⁰ The fallacy of the transcendental approach would therefore be complete. On the one hand, it would confuse the necessary patterns to comprehend the real with the real itself. On the other hand, while grasping in thinking the fundamental instrument for accessing reality, they would reduce it to the mere action of understanding, which would lack its structuring character. For Reinhold, this characteristic does not reduce philosophy to a procedure that deduces everything from thinking as an activity of the subject. On the contrary, thinking is a fundamental and extra-subjective reality from which material concreteness derives as an analytic implication: given the thinking, the latter is structured in such a way as to include its contact with a material, not in the light of a synthesis as such, but rather from an analysis that Reinhold conceives in terms of phenomenology. From the practical point of view, the confusion made by transcendental philosophy expresses a dependence on an unpredictable and arbitrary datum with the consequent impossibility of grasping the world as a system animated by a general “rhythm”.²¹ The “rhythm” of the world would in fact be reduced to the positing of the I. The unpredictability of the datum on which the synthesis depends would be transformed into the interpretation of a single individual subject. Such a subject would not be free, but a slave to their own pleasure of feeling free, which would lead them, paradoxically, to lose every relationship with a reality independent of themself.²² What transcendental philosophy calls freedom is but an individual response to a sensitive presupposed stimulus. Only afterwards does the imagination purify this sensitive stimulus and lead the subject to fantasize about a freedom that overcomes it; only to find itself in a purely fantastic and fantasized world. For Reinhold, being authentically autonomous does not signify being capable of bringing everything back to oneself, but rather to elevate one’s thinking to allow us to recognize a structural dependence on a truth that is revealed though action, but is not given in the action itself. The action itself can be true. Nevertheless, its truth presupposes an original irreducible truth that does not depend on itself.²³ Unidentifiable by the intuition or by the representation, Reinhold’s Denken
Bardili, Grundriß der Ersten Logik, 13–14; That implies (accordingly Barone (1999) 202) “a subordination of transcendental logic to a metaphysical logic”, with the consequent “remoting from kantianism, of that arises from the intention of developing the implication of it”. See Bardili, Grundriß der Ersten Logik, 26; 342. Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 105–106; see Ferraguto (2020). See ibid. 122; see Beiträge Übersicht H 2, 114, RGS 7/1.168–169. Ibid. 139–140, RGS 7/1.190–191.
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cannot be assimilated to the thought of an object, nor to the actions of inference, conceiving or judging, which fall into the habit of its application. Reinhold speaks of Denken, als solche, identical to itself, that is substance of itself, which is through (durch), itself, that is to say by reason of itself. In this sense, thought does not return to itself to understand itself. But it is expressed by applying itself to a matter, which for Reinhold, is not given, but postulated: required by the articulation of thought in its application.²⁴ In this way, Reinhold intends to transfigure the already Kantian question of the subject’s access to the world, from the plane of the correct use of the subject’s faculties²⁵ to that of an extra-subjective articulation of thinking itself. Against Fichte, in other words, Reinhold stresses the fact that the truth of thinking does not depend on the effort of a subject who establishes a legitimate reference to an object, but from the objective articulation of thinking itself. Such a position is apparently far from the global idea of WL as a self-reflecting practice that presupposes the exercise of a factual freedom on the part of a concrete subject, or a “we” that builds the WL.²⁶
3 The representant of the absolute Challenged with criticism and the setting of rational realism, Fichte implements a double strategy. On the one hand, he publicly criticizes both its results and method. In the review of Grundriss, published in October 1800, as in the Antwortschreiben of Reinhold (1801) Fichte clarifies that it is not possible to combine the WL with rational realism, that the latter does not remain a prisoner of the patterns of common consciousness, which it should instead explain.²⁷ Affirming thinking as the constituent principle of reality is not enough. Admitting that this may be possible, Bardili and Reinhold do not justify the way in which they arrive at this statement. And this means: they do not offer an epistemological legitimation of the conclusions reached on the ontological level. In this sense, rational realism is nothing but a disguised elementary philosophy à la Reinhold.²⁸ In this sense, Fichte seems to reject two assumptions of rational realism:
For a deeper account of Reinhold conception of thinking see Bondeli (2018b). For a discussion and historical contextualization of Reinhold’s concept of thinking see also Bondeli (2018). KrV B 25. See Fichte-AA I/2.119, Fichte-A II/8.83 and Fichte-AA II/9.47. On Fichte’s criticism of Reinhold in these works, see Zö ller (2003); Ivaldo (1987) 103–123; Zahn (1965). See Fichte-AA I/6.435.
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The fact that, as happens in elementary philosophy with consciousness, the affirmation of thinking is assumed, without any further justification, to proceed to an analytical description of the elements that constitute such fact.²⁹ But as Fichte already objected to in the Aenesidemus Review, this fact is not traced back to the original synthesis that constitutes it .³⁰ With regard to the position of matter with respect to thought, the affirmation of the precedence of thinking about matter, in fact, poses two problems. If it is stated, as Reinhold does, that matter is postulated, realism would expose itself to the same criticisms of elementary philosophy made in the Aenesidemus review, according to which: admitting matter, as an internal condition of representation and as a “representant” of the represented object, there would be no criterion to account for the heterogeneity between representation and what is represented within it.³¹ In fact, in Elementary Philosophy the matter of representation is not given but is rather defined as the representant of the object being represented. If instead, as Bardili does, we consider matter as a Plus with respect to thought, then realism would not be capable of explaining the delivery of matter, otherwise it should theorize, not one absolute (thinking), but two (thinking and matter), thus dropping all the claims about realism.
Fichte, however, is not limited to “rejecting” realism.³² In the exposition built between 1801 and 1807 he tries, rather, to assimilate it into the WL.³³ On the one hand, in fact, he shows how his perspective can be fully integrated as a partial moment in the development of the doctrine of science. On the other, he uses the setting of rational realism to show, precisely to counter Reinhold’s critique, how WL is not a philosophy of the I, but a philosophizing “beyond the I”.³⁴ A similar strategy also emerges with respect to the problem of representation. In the WL 1805, Fichte deepens the general critiques we have seen and further reconfigures the concept of representation, precisely in function of the criticisms formulated by Reinhold.
See ibid. 438. See Fichte-AA I/2.45. See ibid. 59. See Fichte-AA I/6.252; Fichte-AA II/5.287. On this strategy of assimilation see Zöller (2013). Fichte-AA II/8.189.
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3.1 The Nicht-Folge The general structure of the WL 1805 is constructed starting from a reconfiguration of the relationship between thought and application, or between the absolute and knowledge, as a relationship between being and existence. To the extent that knowledge is manifestation and that this makes itself understandable; knowledge is the existence of being. This means: being can only be understood insofar as it is translated into a discourse that highlights it, yet does not produce it.³⁵ Between existence and being there is no relationship of consequentiality. The knowledge that must be obtained from the answer to the question on the essence of knowledge in itself derives from the thematization of the relationship between knowledge as the subject of our investigation and such knowledge derived from the position of the problem of its very essence. Such knowledge, however, is not obtained, according to Fichte, from a mere subtraction of subjective knowledge from the objective one, nor as a subjective knowledge simply made object by a comprehending insight. For Fichte, nevertheless, to exist, does not signify being the object of a predicative determination, but rather to analogically exhibit a structure that initially can only be hypothesized as a characteristic of being that is made the object of knowledge. ³⁶ Thus, if the being is accepted as absolute, the projection that represents it should also be understood, in a sense very close to that of rational realism, as being absolute, which means, unrelated to any foundational, analytical or synthetic relationship, which is not of itself.³⁷ As a purely qualitative unit and of free projection, capable of constructing itself and self-conscious, existence is the expression of an absolutely conscious unity of itself and, in particular, of its being an active projection of something that does not draw its life from the very knowledge of itself.³⁸ Existence is the inevitable factual assumption for every understanding of being. This means: understanding does not produce and does not reduce being to itself but is simply an expression of the concrete act of placing the problem of knowledge’s essence. In this sense, it would be right, for Fichte, to express the WL as a mere system of reflection. And yet it is important to consider that the WL, as Reinhold noted in part also in Beyträge Heft VI, is only a partial moment of the understanding of the principle of knowledge and of reality, which must come to fruition and cancel itself.³⁹ For Fichte, this fulfillment is achieved through two interconnected passages. On the one hand, in fact, it is necessary to understand how
See See See See See
ibid. 18. For this formulation see Ivaldo (2003). Fichte-AA II/9.244. ibid. 193. ibid. 211. Fichte-AA II/8.255–256. On this problem see Rametta (2000); Rametta (2002).
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the internal development of existence takes place up to its Vernichtung, that is to say, until the extenuation of its reflective structure.⁴⁰ On the other, it is necessary to understand to what regard existence is annulled. In fact, the very affirmation that existence does not follow from being implies the existence of a hiatus between these two elements, which is the task of the WL, not to cancel, but rather to understand and justify. In this sense, the development of the WL consists of a self-examination that leads to the annulment of subjective knowledge which reaches its climax and sees itself as a mere performance (or mere image) of what it has represented and of which it is mere existence.⁴¹
3.2 The Vernichtung of existence. Als and Durch In an analogous sense to the one developed in WL/1804, Fichte traces the self-understanding of existence to the work of two fundamental argumentative operators, als and durch. Through the als, Fichte indicates the capacity of existence to construct itself.⁴² The thought of being, in fact, immediately excludes existence. But when it is stated that the purpose of knowledge is to understand existence as such, the very being is transfigured and incorporated into the sphere of intelligence, or of its thought. In the contradiction between being and existence, the als makes the genesis of existence itself possible, that is, its reconstruction as a mere image of being itself.⁴³ In this reconstruction of existence as thought and projection of being, a rebuilt being is not the real one. In existence, being appears only in its formal structure. The purpose of the reconstruction is precisely the differentiation between formal being and qualitative being. ⁴⁴ The genesis of existence has as its objective the understanding of its identity with itself. However, this identity does not express a mere identification. As with the first principle of Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, the self-identity of existence is self-consciousness. And, therefore, it can be identified with the I. ⁴⁵ Obviously, it is not an I as an empirically determined individual, but one of pure structure that indicates the necessary self-reflexivity of knowledge.⁴⁶
See See See See See See See
Fichte-AA II/9.226. ibid. 182. On Fichte’s theorem of Nicht-Folge see Asmuth (2009). ibid. 195. ibid. 221. ibid. 200. Fichte-AA II/9.200 and ibid. 205–206. ibid. 205.
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Thus, unlike Bardili and Reinhold, who had identified thought, absolute and prius kat’exokhen, Fichte argues that kat’exokhen can only be the self-understanding of the comprehending gaze, through the Als: “every blind projection, every forgetting about oneself, every empirical concrescence is […] a projection”⁴⁷ that makes sense only within the framework defined by knowledge. To the extent that it is a process (or as Fichte expresses it, life), this identity develops as a becoming, which Fichte identifies with the preposition which indicates mediation: Durch. In using this term, Fichte indicates that the self-construction of existence takes place in the form of an argumentative sequence. This sequence transfigures being into a justified discourse that gives it meaning. He founds it and, in doing so, conceives it, no longer as an object or as a being contained within itself, but as the law that governs the very progress of knowledge itself.⁴⁸ The process of self-foundation and self-understanding of existence as “the form, the absolutely necessary modus existendi of the divine existence”⁴⁹ allows us to see being from two points of view. One is formal, linked to existence itself. The other expresses the awareness that the being that is given in existence is not the pure qualitative being exhibited by existence. Faced with this positive self, existence reaches its limit. It is annulled and simply leaves what remains as something independent of its activity of understanding. Fichte speaks in this regard of faith and understands it, not in contradiction with knowledge, but as a possibility that it has to lean beyond itself. Faith does not nullify the potential of knowledge.⁵⁰ Rather, it restricts freedom by directing it towards an element that transcends it. The arbitrariness and the factuality that characterize the initial projection with which knowledge is placed as existence of being becomes a free response to a rule: knowledge should fully understand itself and grasp its limits in order to affirm its relationship with what is not created within its network of references. Thus, knowledge should fully grasp its character of image, in order to allow a reality outside of itself to be valid.
See ibid. 213. This is why the WL would place itself “lower” than Reinhold interprets it. Its purpose would be precisely the definition of such mediation that allows us to grasp the principle in its difference to its application viz. discursive exposition, and say how our insight to catch such a difference should be featured (see Fichte-AA I/7.302). Fichte-AA II/9.229. For the role of faith in WL 1805 see Zö ller (2007).
Fichte’s concept of “Repräsentant des Absoluten” as an answer to Rational Realism
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3.3 The representant of absolute Through Vernichtung, knowledge involves a synthesis of intellect and reason.⁵¹ Intellect, insofar as existence is reflexive and self-reflective capacity, by virtue of the Als; and Reason, insofar as it expresses a fundamental process of existence itself, through the Durch. Despite having obtained this fundamental synthesis, the WL is not yet complete. The “in itself ” (An sich) that emerges from the positive exhaustion of knowledge, in fact, implies the need to go back from existence to being, which signifies, the need to know the absolute. ⁵² Even this need, however, can only be satisfied within the proper terms of existence. If we consider the An sich, it appears to us as the absolutely inexplicable.⁵³ But this impenetrability is not attributable only to the An sich; it also characterizes the impenetrable origin of existence itself, as an absolutely free and factual projection: absolute projection of itself per hiatum impenetrabilem. ⁵⁴ However, there is a fundamental difference between the mere understanding of the An sich as something other than knowledge and that of the impenetrable background of existence. In this last case, we recognize that the impenetrability of the An sich and that of existence in its origin are two sides of the same dynamic, according to which the impenetrability of the genesis of existence and the projection of being in the form of knowledge coincide. Thus, the interruption of transparency, which drives the admission of the An sich, can be understood as the immediate action according to which being appears in the form of knowledge. ⁵⁵ To put this another way: the fact that there is a projection of being is inexplicable; but, thus, it can be conceived or explained in hypothetical terms by affirming that if there is the projection of being, then this cannot fail to take place in the form of knowledge. Thus, the fact that being is given in the form of knowledge necessarily implies the giving of being in the form of the I, that is, in the development of knowledge through intellect and reason.⁵⁶ It is at this level that Fichte introduces the concept of representation (Repräsentation), to justify the relationship between the appearance of being and its assumption in the form of the I. ⁵⁷ To represent means to bring about something that is not immediately present. This means that, within the
See See See See See See See
Fichte-AA II/9.226. ibid. 220–221. ibid. 226. ibid. ibid. Fichte-AA II/9.244. ibid.
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framework of the WL, it is not possible to “represent” something as an external object. Rather, it is about impersonating a dynamic or a system of relationships that partially re-produces that which gives meaning to the representation itself. “In general terms: where in the object of our thought it is possible to see some product of the immanent laws of thinking, the absolute is not pure; only as its representant”.⁵⁸ In this first and fundamental definition, Fichte synthesizes the original meaning of the term Repräsentieren, rather than the psychological and anthropological sense of the term Vorstellung. This sense, in fact, contains two meanings. The first is subrogatory: the representant is “an image that recalls or draws our attention to an object and presents it to us as it is in itself ”. The second is relational: to represent means “to take the place of someone and to exercise his power”. In this sense, the representant not only replaces whoever is represented, but becomes them, insofar as they not only looks like them, but, so to speak, behaves like them.⁵⁹ In the same way, for Fichte, the activity of representing consists in the transfiguration of being through the laws of thinking which, as we have seen, partly represent them within the framework of knowledge, and in part become them, to the extent to which they reproduce the absolute. Thus, the I, which means, the structure of knowledge, is not a mere intellectual function, but, indeed, can be understood as being a “pure practical principle” of the projection that characterizes knowledge and, in this sense, it is a “representative of reality and the original reality”.⁶⁰ Therefore, in the I, “being” is not reduced to a concept, it is rather “alive”, in other words, it is operative, within it. The “I”, representant of the absolute, is therefore also an absolute fact; but, as Fichte writes, not “in the sense in which we have had the facts up to now, as a factum factum et consummatum, but as a factum fiens, absolute fiens, Tathandlung, without an agent”.⁶¹ As a representant of being, the I cannot be objectified; rather, it is but pure identity of subject and object or, better still, it is objectivity insofar as it is pure relationship. For this reason, according to Fichte, both the interpretation of the WL provided by Mehmel, and that given by Reinhold in relation to Mehmel in Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie are unacceptable.⁶² In fact, in the case of the WL version provided by Mehmel, it is not possible to identify the I of the WL with the mere subject of the laws of formal logic. In its function as a representant, the I is a structure that has a certainly formal dimension, insofar as it exhibits the self-relation of knowledge. But it also has a material dimension, since it is the same
Fichte-AA I/9.229. On this topic, see the important paper of Rametta (2009). For the general meaning of Repräsentieren, see Chartier (2014) 2–4. Fichte-AA I/9.244. Fichte-AA II/9.253. See Beiträge Übersicht H 6, 205–206, RGS 7/2.858. See Fichte-AA II/9.253.
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activity that establishes self-relation. Similarly, the Reinholdian interpretation of the WL as a philosophy that absolutizes representation is unacceptable. First of all, because Fichte uses a different concept of representation from that of Vorstellen, which does not consist of connecting subject and object in consciousness, but rather invests the self-conscious exhibition of the very origin of knowledge. Moreover, the identification of existence – or of knowledge – with a representation indicates that, evidently for Fichte, the center of philosophizing does not rest on the “I”. The I is only an instrument, temporary and so to speak heuristic, which allows us, through the act of philosophizing, to bring to light that which is beyond the I and, thus, give it meaning.
4 Conclusion. Realism and meta-metaphysical nihilism Certainly, through the introduction of the concept of representant, Fichte deepens a reflection on the relationship between philosophy, as an artificial science far removed from life, with that of life itself, that is, with the reality from which philosophizing arises. It is well known that this element characterizes the complex story of the departure of Reinhold from the WL, of approaching the Bardilian realism and of reconfiguring the perspective of the WL with a philosophy of the absolute in the aftermath of the Atheismusstreit. ⁶³ In fact, this controversy begins right from the relationship between the real immediately admitted by common sense and the operations that philosophizing can conceive in offering a scientific construct. In his approach to rational realism, and in particular in the first letters to Bardili, Reinhold maintains an intermediate position between the WL and realism. He agrees with Bardili regarding the admission of a “fundamental law of being” that would allow him to grasp the being of an object beyond any subjective interpretation to satisfy a claim to reality that does not in itself concern the intellect, but rather reflects some need of the heart.⁶⁴ At the same time, Reinhold seems to want to avoid any confusion between the unjustified assumption of this being and the external form through which it is exposed. In fact, confusing one aspect with another would be a “fatal mistake, which philosophy has already committed so far”.⁶⁵ In fact, for Reinhold, it is one thing to understand the unity that gives meaning to our access to reality. It is
See the description presented by Schrader (1999) and Valenza (2004). See Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 41–42; 18. Ibid. 78.
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quite another thing to realize this awareness through abstraction and reflection, firms of position and specific judgments. In the same sense as illustrated by Fichte in the writing on the concept of WL, reflection and abstraction are seen as two inseparable activities of consciousness⁶⁶ and through which the identity of thought is brought into consciousness.⁶⁷ Abstraction and reflection are therefore not elements of thinking, but instruments through which it is possible to show this within a relative and discursive structure. This position, which is also one of the themes of the letters between Reinhold and Fichte, is then abandoned by Reinhold. In fact, the perspective of the WL seems to him to be too psychologist, his initial judgment still too tainted by his initial transcendental approach. Fichte, on the other hand, seems to be very close to this Reinholdian intuition and further from the successive developments of rational realism. Through the introduction of reflection on the relationship between absolute and phenomenon, or between being and existence, Fichte finds a way to overcome the gap between the original reality affirmed by philosophy and philosophy itself. In the same way, he succeeds in taking up the basic structure of rational realism, according to which: thinking, as thinking, is in itself, by itself, through itself, and offers a transcendental foundation that is by no means subjective. This Fichtean approach also allows us to re-propose the problem of realism. His theory of the relationship between being and existence, and the response to the Reinholdian critique, allows Fichte to question two fundamental assumptions of the current debate on realism: 1. That the affirmation of realism must depend on the problem of the external world. We have seen that the WL does not touch on the definition of the ontological constitution of the world, except in minimal terms. Fichte certainly considered reality as an affordance, but he seems to be more interested in defining the process of translating this affordance into a rational discourse. 2. That where no realist domain of truth rules, an anti-realist rule presides. Fichte seems to overcome this assumption, since, from the point of view of the WL, it is not the world, nor the absolute being, since the latter cannot be understood, except within knowledge itself. Real, in its proper sense, is merely the fact of the very projection of being within knowledge. Thus real is merely the act of representation. In this sense, Fichte frees himself from the metaphysical commitment of naive realism and approaches a similar perspective to that of current meta-metaphysical nihilism. This expression does not mean, in fact, the reduction of the real to the scheme of the intellect,
See ibid.; see Fichte-AA I/2.43. See Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 78.
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but the legitimation, through the development of a rational discourse of an ontological plurality.⁶⁸ Fichte, thus, does not discriminate between idealism and realism, but tends, as he repeatedly states, to incorporate them into a sole position,⁶⁹ in which the ontological reflection does not overcome the epistemological justification. Even from this point of view alone, the understanding of the Fichtean concept of representation seems to me relevant to contemporary discussion.
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See, for this position and for the definition of meta-metaphysical realism and ontological pluralism Gabriel (2015) 189. Is the same Fichte to give an account of ontological plurality already in the WL/1801 (see Fichte-AA II/6.148), where he speeks on a compenetration of being and freedom that generates a “new being”, i. e. the Wissen, as an absolut quale. See Fichte-AA/10.165.
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Elise Frketich
Concepts of Truth in Schelling, Reinhold, and Hegel Abstract: In this paper, I take up a topic central to Reinhold’s system of rational realism, namely, truth. I show that Reinhold introduces a new concept of truth into the philosophical dialogue, one that cannot yet be found in Schelling’s System of Transcendental Idealism, but one that we see appear again, albeit in modified form, in Hegel’s mature philosophical system. To do so, I argue that Schelling’s theory of truth is best understood as one according to which we say that propositions are true. By contrast, I contend that Reinhold’s and Hegel’s theories are best understood as ones according to which we say that things are true.
1 Introduction Karl Leonhard Reinhold (1757–1823) has long been recognised as a pivotal figure for the move from Kant’s critical philosophy to German Idealism.¹ However, his contributions to the early nineteenth-century German philosophical dialogue were, until recently, overshadowed by those of Fichte, Schelling, and Hegel. While Reinhold is finally getting the attention he deserves, many topics treated in his system of rational realism (1801–1803) remain underexplored.² In this paper, I take up one such topic, one that is central to this system, namely, truth. I argue that Reinhold introduces a new concept of truth into the philosophical dialogue, one that cannot
See, for example, Beiser (1987) 226; Marx (2011) 1. Reinhold provides four main presentations of rational realism in the journal he founded called Contributions to an Easier Overview of the State of Philosophy at the Beginning of the Nineteenth Century, of which six volumes appeared from 1801 to 1803. These four presentations are (i) The Elements of Rational Realism or Philosophical Analysis (Beiträge Übersicht H 2, 179–205, RGS 7/1.214– 227), (ii) The New Presentation of the Elements of Rational Realism (Beiträge Übersicht H 3, 128– 162, RGS 7/1.312–329), (iii) The Popular Presentation of Rational Realism (Beiträge Übersicht H 5, 1– 22, RGS 7/2.648–658), and (iv) The New Resolution of the Old Task of Philosophy (Beiträge Übersicht H 6, 1–117, RGS 7/2.752–812). I focus on the presentation in the third volume because it is the most detailed and complete. The presentation in the sixth volume is quite detailed, but incomplete. I do not think that the other presentations stray significantly from the presentation in the third volume. For the most extensive discussion of Reinhold’s system of rational realism to date see Bondeli (1995). Furthermore, articles treating Reinhold’s rational realism are Girndt (1974), Lauth (1974), Ahlers (2004; 2005a; 2005b), Valenza (2004), di Giovanni (2005), and Bondeli (2018). https://doi.org/10.1515/9783111239521-011
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yet be found in Schelling’s System of Transcendental Idealism, but one that we see appear again, albeit in modified form, in Hegel’s mature philosophical system. To do so, I draw on contemporary theories of truth. After outlining these theories (section 2), I argue that Schelling’s theory of truth is best understood as one according to which we say that propositions are true (section 3). By contrast, I contend that Reinhold’s and Hegel’s theories are ones according to which we say that things are true (sections 4 and 5). Before I proceed, it is important to note that Reinhold’s system of rational realism was heavily influenced by the system that Bardili puts forth in his Grundriß der Ersten Logik (1800). Furthermore, Reinhold’s theory of truth is already implicit in Bardili’s work. However, ‘truth’ is central to Reinhold’s system of rational realism. By contrast, Bardili only mentions it a handful of times over the course of his entire 360-page opus. For this reason, I focus on Reinhold’s system of rational realism and only refer to Bardili’s Grundriß der Ersten Logik in footnotes.³ For the same reason, although we know that Hegel had read Bardili’s Grundriß der Ersten Logik, I hold that Reinhold was the likelier influence for Hegel’s theory of truth. The texts on which I focus are Schelling’s System of Transcendental Idealism ⁴ (henceforth: Schelling-SW), Reinhold’s Contributions to an Easier Overview of the State of Philosophy at the beginning of the Nineteenth Century ⁵, vol. 1–6 (henceforth: Beiträge Übersicht H 1–6), and Hegel’s Science of Logic ⁶ and Encyclopedia of the Philosophical Sciences in Basic Outline ⁷.
2 Propositional versus Material Theories of Truth In order to better understand Hegel’s theory of truth, Robert Stern adopts a distinction, first drawn by Heidegger, between propositional and material truth.⁸ He explains propositional truth as follows:
Rebecca Paimann has written the most extensive text on Bardili’s Grundriß der Ersten Logik. See Paimann (2009). Schelling, System des transzendentalen Idealismus (1800). Reinhold, Beiträge Übersicht H 1–6 (1801–1803). Hegel, Wissenschaft der Logik (1812; 1816). Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). See Heidegger (1977) 118–122. In my view, scholars who do not distinguish theories of truth from Kant to Hegel according to propositional versus material theories of truth do not adequately draw a clear line between them. Manfred Baum, for example, labels both Kant’s and Hegel’s respective theories of truth as correspondence theories of truth. He specifies that while Kant conceives of truth as a correspondence between a cognition and its object (Baum (1983) 231), Hegel conceives of it as a correspondence between an object and its concept (Ibid. 245). While I agree with these
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Truth is propositional when it is attributed to statements, judgements or propositions on the basis of their accordance with the way things are.⁹
A theory of truth is first and foremost distinguishable by the so-called truth-bearer, that is, that which can be true or false. According to Stern’s account of propositional truth, the truth-bearer is a judgement or a proposition. There are several types of propositional truth. They differ from one another by their so-called truth-makers, that is, that which justifies the content of the judgement or proposition and, in this sense, makes it true. The first type of propositional truth that is relevant for my purposes is the well-known correspondence theory of truth. According to this theory, a proposition is true if and only if its content corresponds to an entity in the world that the proposition is about. I leave open the kind of entity that acts as the truth-maker, that is, whether it is a primary substance, an attribute, or a state of affairs. We often simply speak of a ‘state of the world’, setting aside the ontological status of the world. The second type of propositional truth that I must mention here is the coherence theory of truth. According to this theory, entities in the world are not the truth-makers, but rather other judgements or propositions are. The mutual relation of truth-makers, which consists of different propositions, makes up a coherent system of propositions. In the section dedicated to Schelling, we will see yet another type of propositional truth, one that is neither a classical correspondence nor a classical coherence theory of truth. In contrast to any theory of propositional truth, material truth involves both a different truth-bearer and a different truth-maker. Stern characterises it as follows: Truth is material when it is attributed to something on the basis of the accordance of the thing with its essence.¹⁰
Unlike we saw with propositional truth, the truth-bearer in a theory of material truth is a thing, not a proposition or a judgement, and the truth-maker is the essence of the thing, not a state of the world or another proposition. Furthermore, in a theory of material truth, a thing is true if and only if it agrees with its essence. This concept of truth is commonly used when we speak of, for example, a true friend. A friend is true if he or she fulfills a certain standard of friendship.
descriptions, on my view, classifying such divergent theories under the same heading can lead to confusion. Stern (1993) 645. Ibid.
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However, an account of material truth is incomplete if we only consider the relation between the truth-bearer and truth-maker. With respect to historical versions of it, we must also consider the role that God plays. To this effect, Stern cites the following passage of Heidegger’s: [The theory of material truth] implies the Christian theological belief that, with respect to what it is and whether it is, a matter, as created (ens creatum), is only insofar as it corresponds to the idea preconceived in the intellectus divinus, i. e., in the mind of God, and thus measures up to the idea (is correct) and in this sense is ‘true’.¹¹
A theory of material truth can, thus, be located in the tradition of, for example, Thomas Aquinas, with respect to its dependency on a traditional Judeo-Christian God. Reinhold and Hegel, as we will see, follow in this tradition as, for them, God, or the absolute thinking subject, is responsible for determining a thing’s essence (i. e., its truth-maker), and, therefore, is the ultimate justification of the truth of things.
3 Schelling’s Identity Theory of Truth In this section, I classify the theory of truth that Schelling puts forth in the System of Transcendental Idealism as a kind of propositional truth. I claim that there are two stages to this theory of truth. The first, I show, is a kind of coherence theory of truth, in which Schelling argues that a knowledge claim is ultimately verified by another knowledge claim in the intellect. This stage comprises all propositions of Schelling’s system except the first principle. The second stage offers an absolute foundation to the first one and comprises the first principle only. This principle, in Schelling’s view, expresses a perfect identity between subject and object. The crux of my argument is that every truth-bearer that Schelling employs, even his first principle, is a proposition or a judgement. Therefore, his theory must be classified as a kind of propositional truth. In the first paragraph of the System of Transcendental Idealism, Schelling explains his general account of truth. This explanation gives us insight into what I call the “first stage” of his theory of truth:
Heidegger (1977) 120. Stern cites Heidegger at (1993) 646.
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All knowledge is based on the correspondence between something objective and something subjective, for one knows only what is true. Truth, however, is universally posited in the correspondence between the representation and its objects.¹²
According to Schelling, truth is a relation between two elements, namely, a representation and its object. While ‘representation’ is a general concept that was commonly used to refer to any mental event, Schelling uses it here to refer to a specific type of representation. Since he here restricts its use to a representation that corresponds to its object in a knowledge claim, and since he restricts all knowledge claims to analytic or synthetic judgements, ‘representation’ must here refer to a judgement.¹³ Therefore, we can conclude that the truth-bearer in the first stage of Schelling’s theory of truth is a judgement. Given the above-cited passage, it may seem as though the kind of propositional truth that Schelling adheres to is a correspondence theory of truth. However, he complicates the story when he asserts that a representation and its object do not actually correspond to one another in the following passage: We can call the essential concept (Inbegriff ) of everything that is merely objective in our knowledge ‘nature’, and the essential concept (Inbegriff ) of everything subjective, by contrast, ‘I’, or ‘intelligence’. These concepts are opposed to one another. Intelligence is originally thought as the mere representing subject, nature as the mere representable object, the former as the conscious one, the latter as the unconscious one. However, now in knowledge, a mutual coinciding of both (of the conscious and the unconscious in itself ) is necessary. The task is to explain this coincidence.¹⁴
Instead, according to Schelling, a representation and its object are rather “opposed to one another”. For this reason, we must view the correspondence theory of truth as a mere starting point for his philosophical investigation. The task of this investigation is then to explain how such a correspondence is possible. To do so, Schelling must bridge what seems to be an unbridgeable gulf between a representation and its object. If he succeeds, then he establishes a perfect identity between the “objective” or “nature”, which includes everything that one represents to oneself (even representations of the thinking subject), and everything “subjective”, which he also calls “I” or “intelligence”, namely, that which posits all representations. Schelling begins to explain this correspondence in the following passage:
Schelling-SW I/.339 (all translations of Schelling and Reinhold are mine). Ibid. 362. Ibid. 339.
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If all knowledge has two poles at the same time that mutually presuppose and postulate one another, then they must seek each other in all sciences. There must, therefore, be two fundamental sciences, and it must be impossible to proceed from one pole without being driven to the other. The necessary tendency of all natural sciences is, therefore, to proceed from nature to intelligence. This tendency and nothing else underlies the striving to bring theory into the appearances of nature. The highest perfection of natural science would be the complete spiritualisation of all laws of nature into laws of intuition and thinking. The phenomena (the material) must disappear completely and only the laws (the formal) can remain.¹⁵
Acording to him, although the subject and the object are opposed to one another, they are at the same time interdependent. Everything objective is understood through the way that we think. In the philosophy of nature, one begins to investigate by reducing phenomena to the laws of nature, and the laws of nature to the laws of intuition and thinking. Thus, he asserts in the philosophy of nature that propositions about nature can be reduced to propositions about intelligence. Conversely, in transcendental philosophy, he asserts that propositions about intelligence can be reduced to propositions about nature. Accordingly, regardless as to the pole with which we begin, we are automatically driven to the other, for Schelling, and either way we verify the truth of propositions about the subject or the object by further propositions. For this reason, I classify the first stage of his theory as a coherence theory of truth. In what I call the “second stage”, Schelling puts forth the core of his theory of truth, namely, the ultimate explanation for the seemingly unbridgeable gulf between the subject and the object. This core is a perfect identity between the subject and the object, which, for him, can only occur in self-consciousness: That this task is identical with the task of finding a principle of all knowledge can be even more briefly explained. The way that the representation and the object can correspond is not explainable at all if there is not a point in knowledge where both are originally one, or where there is the most complete identity of being and representation. [. . .] This identity of the represented object with the representing subject is only in self-consciousness. Thus, the sought point is found in self-consciousness.¹⁶
The identity of self-consciousness is expressed in the proposition “I is I” or “I = I”. In this proposition, the subject, that is, the first “I”, denotes an act of the intellect which produces an intellectual intuition of itself.¹⁷ The predicate is a conscious
Ibid. 340. Schelling-SW I/3.364–365. Ibid. 369.
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representation of this act.¹⁸ While the former, qua intuition, is non-discursive, the latter, qua conscious representation, is discursive. The two, taken together, form Schelling’s first principle, which, for him, expresses self-consciousness. He calls this principle the “absolute truth”, from which all true propositions are deduced.¹⁹ Schelling goes to great lengths to provide a nuanced account of the absolute identity of subject and object in his first principle. However, for my purposes, it suffices to say that this identity is grasped in the proposition “I is I”, which expresses self-consciousness. Accordingly, I call the second stage of his theory of truth an “identity theory of truth”, and I classify it as a kind of theory of propositional truth.
4 Reinhold’s Material Concept of Truth In contrast to Schelling, Reinhold rejects the theory of propositional truth in his system of rational realism. He takes issue with this theory after the turn of the century because it emerges within a system of philosophy that is developed from the perspective of the human knower.²⁰ According to Reinhold, thinkers like Kant, Fichte, and Schelling uncritically presuppose this perspective. By contrast, he argues that such an important starting point cannot merely be presupposed and instead must be the result of an investigation. The result of his investigation is that we must develop our system of philosophy from the perspective of an absolute knower. As we will see, with this new perspective, Reinhold introduces a new theory of truth into the philosophical dialogue. It is made up of two different levels. He establishes the first level in his system of rational realism, and it consists in a relation between the absolute thinking subject and the essence of nature as the former determines the latter. He puts forth the second level in the text called Elements of Phenomenology or Clarification of Rational Realism through its Application to Appearances (henceforth: Phenomenology).²¹ It consists in a relation between nature and its essence, and must be classified, I argue, as a theory of material truth. Instead of assuming that we must philosophise from the perspective of the human knower, Reinhold argues that the first task of philosophy is to investigate
Ibid. 365–366. Ibid.346. Reinhold likewise established his earlier system of philosophy, namely, the Elementarphilosophie (1789–1794), from the perspective of the human knower. See especially Beiträge II, 142–254. Elemente der Phänomenologie oder Erläuterung des rationalen Realismus durch seine Anwendung auf die Erscheinungen (1802), Beiträge Übersicht H 4, 104–185, RGS 7/2.570–612.
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what he calls the “reality of cognition”.²² The reality of cognition is, for him, the ontological ground of cognition, and when we investigate it, we aim to unconver what he calls the self-subsisting ground of cognition. Reinhold explains how to carry out this investigation in terms of his concept of truth. He claims that we must establish what he calls a thoroughly “self-determining concept of truth” that can justify all other concepts of the same.²³ How does Reinhold begin his investigation? He states that we must presuppose an account of absolute reason.²⁴ We must then test whether this account is correct. We prove that it is correct by showing that it can establish a self-determining concept of truth, as we will see shortly, and we disprove it by finding that it cannot.²⁵ The account of absolute reason that Reinhold presupposes is expressed in the following principle: “thinking as thinking is the absolute identity as such, or what means the same, the one and the same as one and the same, in one and the same, and through one and the same”²⁶ or simply put “A is A in A and through A”²⁷. How are we to understand this principle? While the first part, ‘A is A’, denotes the selfidentity of reason, the second part, ‘A in A’, expresses inherence.²⁸ At the level of the first principle, pure reason inheres in itself. By contrast, as we will see shortly, when reason applies itself to matter, it inheres in matter. Finally, the third part of the principle, that is, ‘A through A’, refers to the product that is posited through the synthesis of pure reason with the object in which it inheres.²⁹ This principle becomes more concrete when pure reason becomes “applied reason”. In order to determine itself as “applied reason”, pure reason presupposes an object to which it can apply itself. Reinhold calls this object “matter”: [T]hinking as thinking in application presupposes something that is in itself indeterminate and is only determinable through thinking in its application, which shall be called matter or stuff.³⁰
Beiträge Übersicht H 1, 2, RGS 7/1.11. Ibid. 71–72, RGS 7/1.47–48. Ibid. 74, RGS 7/1.49. Ibid. Beiträge Übersicht H 3, 128–129, RGS 7/1.312. Beiträge Übersicht H 2, 187, RGS 7/1.218. Bardili, whom Reinhold here follows, explains that the relation of inherence expressed in the first principle is established in a categorical judgement, Grundriß der Ersten Logik, 14–15. As I see it, the product of reason’s inhering in its object is brought forth by a syllogism of reason. Beiträge Übersicht H 3, 129, RGS 7/1.312. While Bardili initially connects matter to a theory of human cognition which lends itself to being interpreted as being given in human receptivity (Grundriß der Ersten Logik, 4), he later presents it within a system of absolute cognition, as Reinhold does, completely abstracted from human cognition (Ibid. 269).
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By presupposing matter, pure reason posits matter.³¹ Thus pure matter is not something that exists prior to being posited by pure reason. Rather it is ontologically dependent on the latter.³² By applying itself to pure matter, pure reason begins what Reinhold calls the “process of analysis”.³³ This process establishes whether Reinhold’s presupposed account of absolute reason is correct. It tests whether his system of rational realism establishes a self-determining concept of truth that can justify all other concepts of truth. Throughout this process, reason unfolds itself into its various guises, each of which determines the essence of nature in a different respect. The process of analysis begins when reason applies itself to pure matter and, in so doing, conjoins itself with matter.³⁴ This step of conjunction corresponds to the part of the principle of reason “A in A”, with the exception that pure reason, denoted by “A”, no longer inheres in itself. Instead, it now inheres in matter, which Reinhold denotes by “C”. However, Reinhold considers the result of this act of conjunction to be impossible. It is expressed in the judgement ‘pure reason is pure matter’, which is a contradiction. In order to overcome this contradiction, both terms must be altered.³⁵ Reason alters both terms by “sublating” or canceling what is incompatible with it in matter, namely, “pure disparity”, and “extracting”
Di Giovanni characterises matter in rational realism as follows: “[Rational realism] is based on a distinction, which is at first only assumed, between essential thought, or thought as such, and this same thought as applied to the content of experience”, di Giovanni (2005) 271. While this description might find some textual support in Bardili’s initial descriptions of rational realism, in which he often refers to faculties of human cognition, it correctly characterises neither his nor Reinhold’s respective system of absolute cognition. See: “something that is in itself indeterminate and indeterminable through itself stops being thinkable if it should be thought of as outside of all relation to thinking in its application. But in this relation [to thinking in application], it is the primordial condition of the application of thinking as application, the hypothesis without various hypotheses, hypothesis under the absolute thesis” (Beiträge Übersicht H 3, 129, RGS 7/1.312). Accordingly, Reinhold is not like Aristotle, who seems to conceive of prime matter as a substance that exists independently of any form that determines it (Aristotle (1985) 1071b30). Neither Bardili nor Reinhold provide a clear account of the method of analysis. I reconstruct this method from the incomplete descriptions they give of it as well as from the way it is used in their respective systems. Bardili provides the best description of this method at Grundriß der Ersten Logik, 319–320. Reinhold offers the best description at Beiträge Übersicht H 3, 132–133, RGS 7/ 1.314–315. Reinhold refers to matter as “C” (Beiträge Übersicht H 3, 129, RGS 7/1.312), and he expresses the conjunction of pure thinking and matter with “A+C” (Beiträge Übersicht H 3, 130, RGS 7/1.313). See Reinhold, Beiträge Übersicht H 3, 132, RGS 7/1.314, and Bardili, Grundriß der Ersten Logik, 319.
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what is compatible with it, namely, the “form” of matter.³⁶ In determining its object, reason also determines itself; it assumes the form of reason in application.³⁷ The resulting form of reason in application is “possibility”, according to Reinhold, which determines matter as “actuality”. ³⁸ According to the principle of reason, something must be posited through the synthesis of these two forms (expressed by “A through A”, with the exception that pure reason is no longer posited through itself, but through its inherence in matter). The synthesis of possibility and actuality produces what Reinhold views as the real object of cognition.³⁹ Before I proceed with my discussion of the process of analysis, let us consider the fact that Reinhold calls the real object of rational cognition both the “thing in itself ”⁴⁰ and “a third thing” (ein Drittes).⁴¹ Whereas Reinhold equates these two concepts, Kant sharply distinguishes them. For Kant, the thing in itself cannot be represented in space.⁴² Accordingly, the relations proper to the forms of intuition, that is, the form of space, which determines what appears in it according to relations of being next to one another, and the form of time, which determines what appears in it according to relations of being one after the other, cannot accrue to things in themselves. For Kant, a third thing (ein Drittes) or schema, by contrast, is the a priori time-determination of a category⁴³ – something that is determined according to the relations of being one after the other in time. The role of a schema is to mediate between the categories, on the one hand, and the sensations that it de-
Reinhold, Beiträge Übersicht H 3, 131, RGS 7/1.313. ‘Sublation’ does not have the twofold meaning that it does for Hegel, that is, “to preserve” and “to cancel”, whereby something immediate becomes mediated (Cobben, Cruysberghs, De Vos & Jonkers (2006) 142). Beiträge Übersicht H 3, 131, RGS 7/1.313. See ibid. 134, RGS 7/1.315, and Bardili, Grundriß der Ersten Logik, 305. In Bardili’s and Reinhold’s shared view, ‘possibility or actuality’ cannot remain a disjunction. Reinhold explains that reason can only determine its form as possibility in relation to actuality, and vice-versa, see Beiträge Übersicht H 3, 135, RGS 7/1.315. Although, for both, possibility and actuality must be viewed as distinct, they are nonetheless mutually dependent. Since a disjunction expresses an option between the first or the second disjunct, but not both, this disjunction only represents their view that these forms are distinct. It does not properly represent their view that these forms are also inextricably linked. Accordingly, disjunction implies synthesis. Ibid. Ibid. 139, RGS 7/1.317–318. By translating “ein Drittes” as “a third thing”, I follow the standard English translation of the same term in Kant’s Critique of Pure Reason (see KrV A 138/B 177). One might take issue with this translation on grounds that “thing” does not figure in the original German. However, on my view, it is important to remain consistent with the standard Englishspeaking terminology in of Kant’s critical philosophy at this early stage of Reinhold interpretation such that the connections between the two systems of philosophy are more easily recognised. KrV A 26/B 42. KrV A 138/B 177.
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termines in a posteriori intuition, on the other.⁴⁴ By collapsing these two determinations together, Reinhold radically changes the way objectivity is to be understood in his system of rational realism as compared to Kant’s critical philosophy. I will briefly discuss the significance of this change in the conclusion of this paper. Returning now to Reinhold’s investigation, reason carries out the process of analysis, which is his investigation of the reality of cognition, until reason has purified itself of all traces of matter.⁴⁵ This process is comprised of four main stages. I have just described the first stage, in which reason applies itself to matter, extracts the form of matter, determines itself as the form of reason in application, and posits a new object through the synthesis of these two forms. The second stage begins with reason applying itself to a new object. In the second stage, the object to which reason applies itself is the product of the first stage, namely, the thing in itself. By applying itself to this object, reason again extracts the form of its object, determines itself as the form of this object, and posits a new object through the synthesis of these two new forms. By comparing the first stage with the second one, we begin to see a pattern emerge. Since reason extracts the form of its object in each new stage, it incrementally purifies its object of characteristics proper to matter. In so doing, the object that reason determines begins to look more and more like reason. For example, in the second stage of the process of analysis, reason finds hints of itself in its determinations of the organic essence because this essence is “selfdetermining”.⁴⁶ In the third stage, it finds an even higher degree of itself in its determination of the representing essence because this essence is “self-reproducing”.⁴⁷ Finally, in the last stage, it finds itself in its pure form in the rational essence because this essence is “self-determining”, “self-reproducing”, and “selfidentical in its reproductions”.⁴⁸ Thus, in this last stage, reason has purified its object of all matter and has found itself again in its object. Although Reinhold presents this process of analysis in his system of rational realism as if the account of reason that he presupposes from the outset were cor-
Ibid. I view the process of analysis that I have attributed to Reinhold as a proto-Hegelian dialectic because it integrates the main steps of the method that Fichte employs in the 1794 Wissenschaftslehre, namely, thesis, antithesis, synthesis, into a system of absolute reason. However, unlike Fichte and Bardili, Reinhold does not connect his deduction to human cognition. In this sense, it has a lot in common with Hegel’s Science of Logic. Beiträge Übersicht H 3, 147, RGS 7/1.87. On my view, Reinhold’s derivation of the essences of things in nature was influenced by Schelling’s theory of potencies and C. G. Bardili’s restructuring of the same. For more about Schelling’s theory of potencies see Hartkopf (1972) 76–85. See further Grundriß der Ersten Logik, 295. Beiträge Übersicht H 3, 149, RGS 7/1.88. Ibid. 154, RGS 7/1.90.
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rect, he does not assume that this is the case. Instead, in his view, the successful completion of his investigation proves whether he has begun with the correct account of reason or not. Reinhold explains what the successful completion of his philosophical investigation of the reality of cognition looks like in terms of his theory of truth: In so far as the reality of cognition in knowledge [. . .] should be sought, it cannot, therefore, consist in a true one (Wahre) without an arch-true (Urwahre), nor in the arch-true (Urwahre) with the true one (Wahre),⁴⁹ but rather it must consist in both at the same time, and in the relation of the two to one another.⁵⁰
From this we see that the first level of his theory of truth provides a criterion according to which he can measure the success of his investigation into the reality of cognition. Cognition, according to Reinhold, is always a relation between a truthmaker and a truth-bearer, which Reinhold calls an “Urwahre” and a “Wahre”, respectively. The Urwahre must be self-subsistent (“true in itself ”) and self-determining (“true through itself ”), and the Wahre receives its determination and existence from the Urwahre. ⁵¹ How can we understand the first level of Reinhold’s theory of truth in terms of my discussion of his system of rational realism? As I understand it, the various determinations of the essence of nature, that is, the object as the thing in itself, the organic essence, the representing essence, and the rational essence make up the Wahre, for Reinhold. By contrast, the pure form of reason (expressed in the first principle), which, for him, expresses God, is the Urwahre. The two together must form a stable relation, as we saw in the previous paragraph, meaning that the Urwahre must be self-subsistent and self-determining and must be able to act as the truth-maker for the Wahre. Reinhold holds that he has shown this in his presentation of his system of rational realism. However, in my view, the correctness of a system of philosophy cannot merely depend on the relation between the absolute thinking subject (the Urwahre) and the essence of nature (the Wahre) that it makes true. Another criterion must be added. As I see it, the essence of nature must accurately explain nature as we experience it. For, we, the ones carrying out this investigation, can only verify this entire system by anchoring it to nature as we experience it. Although Reinhold does not explicitly discuss this step, I think that it fits with the logic of his system. For, his system of rational realism does not end
In order to signal that, for Reinhold, “Urwahre” and “Wahre” are technical terms, I will use the original German terms throughout this article. Beiträge Übersicht H 1, 72, RGS 7/1.48. Ibid. 71, RGS 7/1.47–48.
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with the way in which the absolute thinker determines the essence of nature, rather it continues in his Phenomenology with the way in which the essence of nature determines nature. Until now, I have only discussed what I am calling the “first level” of truth in Reinhold’s system, that is, the relation between the Urwahre and the Wahre (i. e., God and the essence of nature). However, Reinhold also introduces a second relation of truth in the Phenomenology. This is what I call the “second level” of truth, which consists in a relation between the Wahre, that is, the essence of nature, and nature as we experience it. It is on this level of truth that we see the emergence of what I classify as Reinhold’s theory of material truth. Before I present this second level of truth, I must sketch the second task of philosophy with which Reinhold is occupied in the Phenomenology: The analysis of the condition of the manifestation of the essence, or the distinct cognition of the image of the essence, the type of being, or of appearances as such, that is determined through the essence, through the reduction of the same to the arch-image (Urbild), the archetype, or the essence as such, is the resolution of the second task of philosophy, or the Doctrine of Elements of the Phenomenology.⁵²
According to Reinhold, the second task of philosophy is to reduce the so-called “image of the essence” to its essence, where, as I understand it, the image of the essence just is nature as we experience it. Thus, this task consists in establishing a relation between nature as we experience it and its essence. As we saw with the completion of Reinhold’s first task of philosophy, the completion of his second task also requires us to establish an adequate theory of truth. However, in the latter case, establishing an adequate theory of truth requires us to distinguish between “true” and “illusory (scheinbare) experience”: The Phenomenology has to reduce experience to its ground in the essence, and therewith, to establish the criteria to distinguish the true from the mere illusory (scheinbaren) (imagined, alleged) experience. It is not empirical philosophy, which is not anything (ist ein Unding) because all philosophy as such proceeds from thinking as thinking and leads back to the same, but it is the philosophy of the empirical as such.⁵³
For Reinhold, distinguishing between true and illusory experience only has to do with human knowledge. This is the case because, for him, a thing in itself, which is independent of human knowledge but dependent on absolute cognition, cannot be false. Experience is illusory, for Reinhold, when we do empirical philos-
Ibid. 108–109, RGS 7/2.571–572. Ibid. 110, RGS 7/2.573.
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ophy according to the wrong presuppositions, like when we assume that the world out there verifies our truth claims instead of the essence of nature as it is determined by absolute reason. For, Reinhold explains ‘illusion’ (Schein) as the confusion of appearances with “essential being” in experience.⁵⁴ Therefore, in the Phenomenology, we must identify the true in things by reducing images in nature to their essences. It is only on the level of his Phenomenology that Reinhold discusses the concept of material truth in the way that Stern presents it. Material truth is not, therefore, in Reinhold’s view, the most important kind of truth, but it is a kind of subordinate truth. Thus, I hold, for Reinhold, there are two levels of truth: one that is verified in a relation between the Urwahre and the Wahre (i. e., the essence of nature) and one that is verified in a relation between the Wahre and nature as we experience it. The Urwahre grounds and verifies the truth of the Wahre, and the Wahre grounds and verifies the truth of nature. Accordingly, things in nature are true if and only if they correspond to their essences, and these essences are true if and only if they are verified by the Urwahre. As we will now see, we can best classify Hegel’s theory of truth in the same way as we do Reinhold’s.
5 Hegel’s Material Concept of Truth I will now turn to Hegel’s account of truth. Stern characterises it as a theory of material truth, a characterisation with which I agree. Stern garners support for his characterisation from the following passage of the Encyclopedia: Truth is at first taken to mean that I know how something is. This is truth, however, only in reference to consciousness; it is formal truth, bare correctness. Truth in the deeper sense consists in the identity between objectivity and the notion [Begriff ]. It is in this deeper sense of truth that we speak of a true state, or of a true work of art. The objects are true, if they are as they ought to be, i. e. if their reality conforms to their notion. [. . .] Nothing however can subsist, if it be wholly devoid of identity between the notion and reality. [. . .] It is by the notion alone that the things in the world have their subsistence; or, as it is expressed in the language of religious conception, things are what they are, only in virtue of the divine and thereby creative thought which dwells within them.⁵⁵
As Stern explains it, what Hegel calls “correctness” in this passage is essentially what we today call “propositional truth”. He further indicates that Hegel distinguishes this truth from truth “in the deeper sense of the word”. Stern clarifies Ibid. 108, RGS 7/2.572. Hegel-AA 19.166.
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that, for Hegel, the latter must be understood as a kind of material truth because Hegel describes truth as a correspondence between the reality of things with their concepts. I agree with Stern on the level of the relation between things and their concepts. However, Stern neglects to discuss a further level of truth in the context of his discussion of Hegel, namely, the relation between the concepts of things and God. Stern mentions that God determines the concepts of things. However, he only discusses a traditional, religious idea of the relation between God and these concepts. I go beyond this account by developing its philosophical core. As we saw in the previous section, for Reinhold, God is the Urwahre, and this means that God determines the Wahre (i. e., the essence of things). As we see with Reinhold, Hegel’s God likewise determines the essences of things. In the following passage, taken from the Objective Logic of the Science of Logic, Hegel explains that the concept or the “thinking subject”⁵⁶ is the truth both of being and essence, where the former can roughly be mapped onto objects and the latter can roughly be mapped onto the essence of objects in the above passage: From this aspect the concept is at first to be regarded simply as the third to being and essence, to the immediate and to reflection. Being and essence are therefore the moments of its becoming; but the concept is their foundation and truth as the identity into which they have sunk and in which they are contained.⁵⁷
The concept, which Hegel also calls “God”⁵⁸, is the foundation and truth of the first and the second parts of the objective logic, namely, being and essence. These latter two parts are resolved in the concept because they are contained in it. The concept itself, however, is the ground of both in the sense that they are determined through it. From this, we can see that Hegel’s theory of truth is made up of two levels that strongly resemble the two levels of Reinhold’s theory. While the first level determines the truth of the second, the second is best described as a theory of material truth. Against my characterisation, one might argue that Hegel explains truth in more ways than just the two that I have discussed so far. For Hegel, truth is also (i) the whole⁵⁹ as well as (ii) the agreement of thought with itself ⁶⁰. While Reinhold does not explicitly make these claims, I view them as consistent with his system of
Hegel-AA 12.14. Ibid. 11. Ibid. 129. Hegel-AA 9.19. Ibid. 61–62.
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philosophy. As I see it, (i) Reinhold holds that the truth is the whole for the following two reasons. First, according to him, the first task of his system of philosophy is only complete if he shows that the presupposed account of pure reason, that is, the Urwahre, is both self-subsisting and able to determine the essence of nature. Second, as we saw above, it can only be shown that the essence of nature really is the essence of nature by showing that it can explain nature as we experience it in the second task of his system. The adequacy of these two investigations can only be verified once they are completed, that is, once the whole system of philosophy has been established. Furthermore, (ii) the object proper to philosophy, according to Reinhold, is cognition.⁶¹ It is a system in which reason thinks itself. Thus, all truth relations must be internal to reason. Accordingly, as I have shown, Reinhold’s and Hegel’s theories of truth share some essential features and these features cannot yet be found in Schelling’s theory of truth.
6 Conclusion I have shown that while Schelling’s theory of truth can best be classified as a theory of propositional truth, those of Reinhold and Hegel can best be classified as theories of material truth. I conclude that this constitutes a shift in the understanding of truth in post-Kantian German philosophy. What is the significance of this shift? In my view, it is the result of completing the move from a system of philosophy that is in some sense trapped within the perspective of the human knower, as Reinhold thinks that we see in Kant, Fichte, and Schelling, to one that is properly-speaking developed from the perspective of the absolute knower. The most important implication of this shift is that absolute reason determines objectivity in itself, not simply as it is for the human knower (recall Reinhold’s appropriation and manipulation of Kant’s concepts of the ‘thing in itself ’ and ‘a third thing’). Although we already see aspects of a philosophical system developed from the perspective of an absolute knower in Fichte and Schelling, this revolution in post-Kantian philosophy is not fully completed, in Reinhold’s view, until his system of rational realism. It is then perfected by Hegel. This shift in perspective is evidenced, I have argued, by Reinhold’s and Hegel’s adherence to versions of the theory of material truth.⁶² Beiträge Übersicht H 1, 2, RGS 7/1.11. I thank the participants of the International Reinhold Conference that took place in Kiel, 2017, for the fruitful exchanges and for their helpful comments on the first draft of this paper. I also thank Martin Bondeli and Dirk Westerkamp for editing this collected volume. This paper was made possible by the generous support of the Flemish Research Council.
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Dirk Westerkamp
Semantischer Holismus und Theorie der Reflexionsbegriffe: Topik, Logik oder Synonymik? Abstract: This paper gives a brief comparative analysis of the theories of determinations of reflection developed by Kant, Hegel and Reinhold. It is argued that their accounts are antithetical conceptions. Whereas Kant’s transcendental topic of „Reflexionsbegriffe“ is designed to prevent conceptual amphibolies, Hegel’s semantic analysis of the „essentialities“ („Reflexionsbestimmungen“) is an antinomical, yet holistic enterprise. And whereas this Hegelian dialectic is driven by an inferentialistic holism, Reinhold instead opts for an explicitly non-inferentialist approach which is nonetheless holistic, too. All three theories stand for fundamentally different approaches towards conceptual analysis, the first being transcendental and analytical, the second genealogical and dialectical, and the third ontological and linguistic. All of them, however, seem to aim at a critical semantics of the metaphysical logical notions of identity, difference, contradiction, and ground.
1 Logisch-semantischer Holismus? Hegels Wissenschaft der Logik rekonstruiert ein letztes Mal die gesamte logische Syntax und inferentialistische Semantik der klassischen Metaphysik. Das erklärt sowohl ihre heftige Ablehnung als auch ihre interessierte Relektüre in der Gegenwart.¹ Für aktuelle philosophische Fragestellungen scheint Hegels Logik insbesondere dort interessant zu werden, wo sie als prä-nachmetaphysische Synthese von pragmatischer Bedeutungstheorie und inferentialistischem Holismus gelesen wird.² Ihr Faszinosum ist zugleich ein Tremendum, ihre Relektüre bleibt evidenterweise eine kritische. Brandom etwa behauptet, die Wissenschaft der Logik gehe von einer grundfalschen Voraussetzung aus. Hegel unterwerfe den Inferentialismus der empirischen Begriffe einer unabschließbaren Dialektik, während er die logischen Begriffe nicht nur in eine trügerisch geschlossene Totalität einfasse, sondern ihrer inferentiellen Semantik zuletzt auch noch die Lasten der Bedeutungsgenese aufbürde. Die semantische Genealogie aber, so Brandoms Einwand, sei für logische
Vgl. Arndt/Iber (2000); Koch (2014); Brandom (2015); Quante/Mooren (2018); Pippin (2019). Vgl. Brandom (2005). https://doi.org/10.1515/9783111239521-012
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Begriffe gerade irrelevant und unexpikabel, während sie für empirische Begriffe nicht nur überaus relevant, sondern auch abschließend explizierbar sei. Man darf metakritisch fragen, ob das so zutrifft; und es gibt allemal gute Gründe, der Frage nachzugehen, ob eine sprachpragmatische Bedeutungstheorie es vielleicht eher wieder mit der Wissenschaft der Logik als mit einer von Brandom vom Kopf auf ihre vermeintlichen Füße gestellten Hegelschen Logik halten sollte. In jedem Fall bleibt die Frage des Verhältnisses von logischem Apriorismus und sprachempirischem Inferentialismus brisant und fast will es scheinen, als ziele Brandom mit seiner Kritik auf Hegels Logik, treffe in Wahrheit aber Reinholds Gegenentwurf einer Synonymik für den allgemeinen Sprachgebrauch in den philosophischen Wissenschaften (1812). Reinholds sprachanalytische Methode, so ließe sich argumentieren, entspricht in weiten Teilen Brandoms Einwand gegen eine genetische Semantik logischer Begriffe, nimmt aber in Bezug auf empirische Begriffe eine zwischen den Behauptungen vermittelnde Stellung ein. Reinhold hält die wesenslogischen Begriffe – geradeso wie Brandom es Hegel nachzuweisen sucht – für unabhängig von ihrer bedeutungskonstitutiven Genese. Damit gibt Reinholds Bedeutungsnalyse mit dem materialen Inferentialismus allerdings auch den formalen preis. Wenn Brandom die Wissenschaft der Logik als das Werk eines empirischen Fallibilisten und semantischen Pessimisten, nicht aber auch eines „epistemologischen Skeptizisten“³ interpretieren will, dann müsste man Reinholds Synonymik umgekehrt das Werk eines empirischen Dogmatisten und semantischen Optimisten, aber epistemologischen Pessimisten nennen. Entlang der Linien dieser komplexen Gegenstellung, so die These der folgenden Überlegungen, verläuft zwischen 1812 und 1816 die Demarkationslinie von Deutschen Idealismus und Deutschem Realismus. Hegels Wissenschaft der Logik und Reinhold Synonymik markieren die Extreme einer fundamentalphilosophischen Opposition zwischen genetisch-inferentialistischer und idealsprachlich-analytischer Begriffskritik. Was folgt, ist der Schattenriss einer Untersuchung zur Logik der Reflexionsbestimmungen zwischen 1781 (Kants Kritik der reinen Vernunft), 1812 (Reinholds Synonymik) und 1817 (Hegels Enzyklopädie und Reinholds Erkenntnisvermögen).⁴ Das philologische Mittel ist eine komparative Analyse der Theorie der Reflexionsbestimmungen, wie sie Hegels Wesenslogik (1813) und Reinholds Synonymik (1812)⁵
Brandom (2005) 148. Vgl. zur geschichtlichen und systematischen Eingrenzung: Scheier (1993). Eine gegenüber der „großen“ Synonymik von 1812 revidierte, konzise Darstellung der Reflexionsbestimmungen gibt Reinhold vier Jahre später in Das menschliche Erkenntnisvermögen (1816), in Analogie zur Wissenschaft der Logik im Folgenden als Kleine Synonymik angeführt. Dies erklärt die jeweils unterschiedlichen termini ad quem der Betrachtung: 1812/13 (Große Logik/Synonymik) und 1816/17 (Kleine Logik/Synonymik).
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ausgearbeitet haben. Beide Theorien stehen für zwei von Grund auf verschiedene Möglichkeiten philosophischer Begriffsklärung – einer genetisch-dialektischen und einer ontologisch-sprachanalytischen. Sie stehen zugleich für unterschiedliche Konzepte von Reflexion. Beide jedoch vollenden auf ihre Weise jene rettende Kritik der metaphysischen Logik, die sich in der„Logotektonik“⁶ und Theoriendynamik des Denkens zwischen 1781 und 1817 ein letztes Mal entfaltet. Dies zu zeigen, ist die philosophiegeschichtliche Absicht der komparativen Analyse, das Argumentationspotential eines derartigen, kritisch-metaphysischen Verständnisses von Logik diskutierbar zu machen, ihr philosophischer Zweck. Plausibilisiert werden soll die These, dass Wissenschaft der Logik und Synonymik in ihrer je anders gearteten Verklammerung von Denkformen und Sprachformen ein letztes Mal den Riss zwischen der grammatischen und logischen Syntax der Sprache zu kitten versuchen, den die moderne Logik seit Frege immer schon voraussetzt.⁷ Zugleich erörtern sie in gegensätzlichen Antworten die Frage nach dem Zusammenhang von materialem und formalem Inferentialismus.
2 Transzendentallogische Topik: Kant Die transzendentalidealistische Verwandlung des Denkens zwischen 1781 und 1817 bildet einen systematischen Zusammenhang; das hat auch mit ihrem reflexionsphilosophischen Ausgangspunkt zu tun. Transzendentale Reflexionsphilosophie klärt nicht die Bezüge des Subjekts zum erscheinenden Objekt (darauf trifft eher der Begriff der Intentionalität zu), sondern die des Subjekts zu den subjektiven Voraussetzungen der Konstitution möglicher Objektivität (das erst meint ein philosophisch anspruchsvoller Begriff von Reflexivität). Entsprechend bestimmt Kant innerhalb seines Anhangs zur Transzendentalen Analytik die „transzendentale Reflexion“ als das „Bewußtsein des Verhältnisses gegebener Vorstellungen zu unseren verschiedenen Erkenntnißquellen“⁸. Wo die Verstandesbegriffe vereinheitlichende „Functionen zu urtheilen“⁹ sind und ihrerseits „nichts weiter als die Einheit der Reflexion über die Erscheinungen“¹⁰, dort stellt sich notwendig die Frage nach dem Verhältnis, „in welchem die Begriffe in einem Gemüthszustande zu einander gehören können“¹¹. Ihr Verhältnis ist bestimmt durch Regeln und Begriffe, wobei
Vgl. Boeder (1992). Zum Begriff vgl. Brainard (2004). Vgl. Scheier (2000b); Westerkamp (2014) 39–61. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 316; AA 3.215. Kritik der reinen Vernunft, B 143; AA 3.115. Kritik der reinen Vernunft, B 367; AA 3.244. Kritik der reinen Vernunft, B 317; AA 3.215.
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nur letztere, die Reflexionsbegriffe, nicht aber die Regeln selbst, von Kant näher erläutert werden, zumal er Begriffe im Wesentlichen als Regeln versteht. Bekanntlich gehört der Anhang über die „Amphibolie der Reflexionsbegriffe“, der argumentationsarchitektonisch betrachtet sowohl der Transzendentalen Ästhetik als auch der Transzendentalen Logik vorausgeht, zu den schwierigsten und voraussetzungsreichsten der Kritik der reinen Vernunft. ¹² Man könnte ihn als Grundriss einer Transzendentalen Topik deuten, die Kant zwischen Analytik und Dialektik schiebt – allerdings mehr als Problemindex denn als ausgeführte Problemerörterung. Nach Kant kommt einer solchen Topik die wichtige Aufgabe zu, drei epistemisch zentrale Vergleichsmomente aufzuhellen, die auf unterschiedlichen Untersuchungsebenen liegen. Vergleicht man verschiedene, im Urteil auf Gegenstände bezogene Vorstellungen mithilfe von Reflexionsbegriffen untereinander, so lässt sich a) die Form dieser Vorstellungen vergleichen (sind es Anschauungen, Vorstellungen im engeren Sinne oder Begriffe, die da verglichen werden?) oder b) deren Inhalt (sind es Wassertropfen, Schmerzempfindungen oder Verhältnisbeziehungen von Substanzen im Raum?). Erstere Überlegung nennt Kant „logische Reflexion“, letztere „objektive Komparation“.¹³ Beide Vergleichs-„Handlungen“ operieren mit Reflexionsbegriffspaaren „der Einerleiheit und Verschiedenheit, der Einstimmung und des Widerstreits, des Inneren und des Äußeren, endlich des Bestimmbaren und der Bestimmung (Materie und Form)“¹⁴, von denen schon die frühen solidarischen Kritiker der Transzendentalphilosophie, Salomon Maimon und Karl Leonhard Reinhold, argwöhnen mussten, Kant habe sie eher aufgerafft denn systematisch hergeleitet.¹⁵ In der Tat muss verwundern, dass jene Handlung, die Kant „transzendentale Reflexion“ nennt, die Reflexionsbegriffspaare weder selbst verwendet noch bereitstellt.¹⁶ Transzendentale Reflexion ist vielmehr die „Überlegung“, die klärt, ob es sich bei den verschiedenen (mithilfe solcher Reflexionsbegriffe formal und inhaltlich abgeglichenen) Vorstellungen nun um solche des Verstandes oder (ein seltsames, mindestens aber inklusives „oder“, weil Kant von der unhintergehbaren Konjunktion, also dem „und“ von Verstand und Anschauung für jede Objekterkenntnis, d. h. Erfahrung ausgeht) um solche der Sinnlichkeit handelt. Die transzendentale Reflexion und ihre Reflexionsbegriffe bestimmen die Form der „Ver-
Vgl. Malter (1982); Reuter (1989). Vgl. Willaschek (1998). Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 316; AA 3.215. Vgl. Salomon Maimon,Versuch über die Transzendentalphilosophie (1790), GS II.110–119; Reinhold, Grundlegung einer Synonymik, 31. Insofern sind erst die Theorien der Reflexionsbestimmung, die Maimon, Hegel und Reinhold ausarbeiten, auch transzendentale Logiken der Reflexion.
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gleichung (comparatio)“, indem sie eine „Unterscheidung der Erkenntnißart“¹⁷ vornehmen, zu der die jeweiligen Vorstellungen/Begriffe gehören. Indem sie Vorstellungen entweder untereinander (= logische Reflexion) oder mit dem Erkenntnisvermögen vergleicht (= transzendentale Reflexion), pendelt die transzendentale Reflexion zwischen der Relations- und der Modalitätsebene möglicher Erkenntnis. Während sowohl die logische Reflexion als auch die objektive Komparation davon absehen kann, aus welchen Erkenntnisvermögen sich die Vorstellungen speisen, klärt die transzendentale Reflexion allererst die Voraussetzungen solcher Vergleiche selbst. Beide jedoch, die Vergleichsvoraussetzungen nicht weniger als die Vergleichshandlungen, haben es mit Problemen der Vorstellungskomparation zu tun, die nach Kant auf vier Ebenen rangieren, in denen sich – im Einzelnen allerdings unausgeführt – auch die beiden Quadrigen der Urteils- und der Kategorienunterscheidung spiegeln. Während Einerleiheit und Verschiedenheit der Differenzierung von Vorstellungen intensional bedeutungsgleicher Begriffe dienen (z. B. „ein Tropfen Wasser“), die bestimmungsverschiedene Gegenstände einzig aufgrund ihrer unterschiedlichen Lage im Raum sein können, dient das Begriffspaar von Einstimmung und Widerstreit der Differenzierung extensional ungleicher Realgegenstände, die nicht im verstandenen Begriff, wohl aber in der Wirklichkeit im Widerstreit liegen können: etwa Vergnügen und Schmerz, die sich die Waage halten.¹⁸ Demgegenüber haben es das Begriffspaar Inneres und Äußeres mit der Vorstellung der Relation von Substanz- und Kausalitätsverhältnissen zu tun, während das Begriffspaar Materie und Form, binnentheoretisch konsequent, auf die Ebene der Modalitätskategorien wechselt und die Beziehung der Vorstellungskomparation zum Erkenntnisvermögen selbst thematisiert (was ist für den Verstand, was ist für die Sinnlichkeit das Erste bzw. Zweite: Materie oder Form?):
Übersicht 1: Die topische Struktur der „Reflexion“ bei Kant.
Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 318; AA 3.216. Kritik der reinen Vernunft, B 321; AA 3.217.
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Gemäß Kants Systematik, wie sie für die Transzendentale Analytik in dem (als Form nicht eigens deduzierten) Geviert der jeweiligen Tafel: Urteilstafel, Kategorientafel und Grundsatztafel niedergelegt ist, ordnen sich auch die Reflexionsbegriffe zu einem Geviert nun allerdings nicht von vier mal drei, sondern von vier mal zwei Termini (Tafel 1):
Übersicht 2: Die topische Struktur der „Reflexionsbegriffe“ bei Kant.
Kant setzt bekanntlich eine systematische Zäsur zwischen dem ersten und dem zweiten Paar der Kategorien (diagonal-durchgezogene Linie), unterscheidet das zweite Paar aber noch einmal in sich (horizontal-gestrichelte Linie), insofern die eine Kategorienart noch auf Objekte, die andere einzig auf Binnenverhältnisse des Verstandes beziehbar ist. Transzendentale Reflexion erweist sich im Ganzen als Methode, die die Bedingungen klärt, unter denen Begriffe und Urteile, „die unseren Umgang mit Gegenständen a priori bestimmen, ‘Sinn und Bedeutung′ haben“¹⁹. Interessant ist ferner, dass sich, anders als in Urteils- und Kategorientafel, nur zwei Termini auf der impliziten Tafel der Reflexionsbegriffe befinden. Das dürfte damit zu tun haben, dass die Reflexionsbegriffe als Begriffspaare zu verstehen sind, die sich nicht in einen dritten Terminus aufheben. Aus Hegels Wissenschaft der Logik könnte man extrapolieren, dass die beiden Termini weder seinslogisch in den je anderen, noch in einen dritten Terminus übergehen, noch sich begriffslogisch auseinander entwickeln, sondern dass sie reflexionslogisch ineinander scheinen. Von einer transzendentalen Topik, die (würde man sie ausgearbeitet haben) eine Ortsbestimmung enthielte, welche jeweils die Stelle angäbe, „welche wir einem
Schnädelbach (1977) 132. Ob die transzendentale Reflexion bei Kant auch die weitere Funktion habe, erkenntnistheoretische Begriff wie „Ich“ und „Gegenstand“ in einem analytisch-regressiven Verfahren der „Rückführung des Unverständlichen aufs Verständliche“ (ebd., 132) zu klären, wie Schnädelbach behauptet, lässt sich an Kants Argumentation im Amphibolien-Anhang allerdings nicht nachvollziehen.
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Begriffe entweder in der Sinnlichkeit, oder im reinen Verstande erteilen“, erhofft sich Kant nun näher eine der Vermeidung der Paralogismen und Antinomien der Transzendentalen Dialektik vergleichbare Vermeidung der Verwechslungen oder (so der neu eingeführte terminus technicus) „Amphibolien“ von reinen Verstandesobjekten und Erscheinungen. Auch dieser Aufklärungsimpuls Kants steht zuletzt unter dem Primat nicht der theoretischen, sondern der praktischen Vernunft. Denn durch solche Amphibolien könnten „vermeinte synthetische Grundsätze“ entstehen, „welche die kritische Vernunft nicht anerkennen kann“²⁰ – was in letzter Konsequenz wohl heißt, dass ohne eine Reflexion auf solche Verwechslungen nicht ausgeschlossen werden könnte, dass synthetisch-apriorische Prinzipien wie das der Freiheit bzw. des Sittengesetzes mit empirischen Gegenständen verwechselt würden. Die transzendentale Topik dient zuletzt der analytischen Unterscheidung zwischen Erfahrungsgegenständen und Postulaten, aus deren Kontamination in Kants Diagnose der Metaphysik des 18. Jahrhunderts das Gros philosophischer Irrtümer resultiert.
3 Wesenslogische Dialektik: Hegel Die Vermeidung von Amphibolien und Paralogismen ist (dreißig Jahre, eine Revolution, mehrere Restaurationsbewegungen und Befreiungskriege später), nicht mehr das Problem der Hegelschen Wissenschaft der Logik. ²¹ Ihr Zweck scheint kein praktisch-vernünftiger mehr, sondern ein geschichtlich-poietischer.²² Hegel nimmt das präzendenzlose Unternehmen einer rettenden Kritik der gesamten Syntax und Semantik der metaphysischen Logik in Angriff, die deren Kategorien und Bestimmungen lückenlos (und das heißt: gemäß einer selber sich in ihnen und durch sie realisierenden Methode) genetisch auseinander ableitet.²³ Geschichte versenkt sich in die operative Methode, die Erzählformen der Phänomenologie des Geistes ver-
Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 325–326; AA 3.220. Damit soll keineswegs bestritten werden, dass – wie Wolff gezeigt hat (vgl. Wolff (1981)) – Hegel insbesondere im Gegensatz- und im Widerspruchskapitel „Kants Oppositionslehre in allen ihren drei Teilstücken“ (Wolff (1981) 81) kritisiert (nämlich als analytische Opposition oder Widerspruch, als dialektische Opposition oder Antinomie und als topische Realrepugnanz oder reale Entgegensetzung). Schubert zeigt überzeugend, dass der point de départ zwischen Kant und Hegel zuletzt der „Gedanke der selbstbezüglichen absoluten Negativität“ ist, der als ihr Strukturgedanke die Wissenschaft der Logik toto coelo von der Transzendentalen Logik Kants unterscheidet (vgl. Schubert (1985) 93–105). Zum Begriff der Wissenschaft Hegels als der einer„produktiven Idee“ vgl. Boeder (1980) 627–660; zum Begriff des poietischen Ich vgl. Scheier (1993) 8–12. Vgl. Scheier (2000a).
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schwinden in der inferentialistischen Semantik, die Logotektonik der Wissenschaft der Logik abstrahiert von aller Diegetik. Die Logik zeigt dem „reinen Zusehen“²⁴ eine inferentialistische Selbstentfaltung der metaphysischen Terminologie im logischen Raum, dessen Anstoßpunkt der„logische Urknall“ des reinen Der-Fall-Seins ist.²⁵ Die nur noch verdeckte narrative Performanz dieses Vorgehens, nach welcher die Bestimmungen in ihrer Analyse zugleich entstehen, ist – gemäß Maimons und Reinholds Vorwurf des Aufraffens der Kategorien und Reflexionsbestimmungen – fraglos Fichtes genetischer Deduktionsmethode verpflichtet. Die Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794 hatte die von Kant dargestellten Kategorien aus der Selbstbewegung eines sich teilbar-entgegen-setzenden absoluten Ichs neu entwickelt, in welcher – bezeichnenderweise beginnend nicht mit der Quantität, sondern der Qualität – der jeweils dritte Terminus einer Kategorientrias die nächstfolgende Kategorie setzt. Für die Reflexionsbestimmungen leistet dies Fichte indes nur implizit, insofern die grundlegenden Reflexionsformen des Setzens, Entgegensetzens und Teilbarsetzens bzw. der „Identität, des Gegensetzens und […] des Grundes“²⁶ als absolute Tathandlungen selber nicht mehr reduzierbar sein konnten. Das Verhältnis von Setzen, Voraussetzen und Realisieren der Kategorien wird ebenso zum Grundverhältnis der Wissenschaft der Logik Hegels, wie sie freilich erst in der Lehre vom Wesen auch ein Metabewusstsein dieser ihrer Reflexionsbewegungen gewinnt.²⁷ Dieses Metabewusstsein ist, so die These, daran erkennbar, dass die Sprachlichkeit der Reflexionsformen selbst thematisch wird. In der Wesenslogik muss Hegel, anders noch als in der des Seins, das Verhältnis von absoluter Reflexion und Sprache klären.²⁸ Gemäß Hegels Prämisse, dass die „Denkbestimmungen […] uns in jedem Satze, den wir sprechen, zum Munde herausgehen“²⁹, bestimmt sich dieses Verhältnis zunächst als Beziehung der absoluten Reflexion zu ihrer Satzförmigkeit. Dass die Reflexionsbegriffe nicht mehr ineinander übergehen, wie die Seinsbegriffe (und deren möglichen Objekte), sondern ineinanderscheinen, verlangt nach der Metareflexionsebene der Sprache. Nur sie leistet die Aufhellung dieses Ineinanderscheinens der Begriffe, wenn anders sie nicht dem transzendentalen Schein verfallen sollen. Formal sind die beiden Reflexionsschritte, in deren Kontext die Reflexionsbestimmungen sich je in einem Hexagon von Begriffsverhältnissen entfalten, in der
Hegel, Phänomenologie des Geistes, GW 9, 59. Koch (2018) 138. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, GA 1/2.283. Vgl. Schubert (1985) 91. Vgl. Marx (1967). Hegel, Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein, GW 21.12.
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Scharnierstelle zwischen Schein und Erscheinung angesiedelt. Die elf Reflexionsganzheiten der Seinslogik hatten das Sein (von der Qualität über die Quantität, schließlich das Maß und das Maßlose) zum Wesen fortbestimmt. In dem zwölften Hexagon, dem ersten der Wesenslogik, droht die Bewegungsdynamik der Kategoriendeduktion durch die anfängliche Unbestimmtheit des Wesens zu erlahmen. Indem nämlich alle Bestimmungen des Seins „in ihm aufgehoben“³⁰ sind, trifft das Wesen zunächst der Mangel, kein Dasein zu haben und genau darin dem eigenen Anspruch auf Selbständigkeit zu widersprechen. Das Wesen muss im Laufe der Wesenslogik das ihm adäquate Dasein allererst gewinnen – was erst in der „Erscheinung“ (3. Kapitel) erfolgt. Für Hegel stellt sich das Ausgangsproblem in dem anfänglichen Widerspruch des Wesens, das als aufgehobenes Sein vermittelt ist (= Wesentliches), aber als bestimmungsloses Wesen den Schein der Unmittelbarkeit (= Unwesentliches) erzeugt. Hegel muss deshalb den Schein als einen wesentlichen erweisen, wobei allerdings die insgesamt „negative Natur des Wesens“³¹ auch fortan bestehen bleibt. Indem der Schein zur ersten „Bestimmtheit“ des Wesens wird, bestimmt sich seine Negativität von der vermeintlich statischen Unmittelbarkeit des Scheins zum dynamischen „Scheinen seiner in sich selbst“³² fort,³³ das Hegel fortan in dreifacher Unterscheidung „Reflexion“ nennt. Es kann hier nicht darum gehen, den Gang der Reflexionsunterscheidungen in ihrem materialen Gehalt und argumentativen Verlauf nachzuzeichnen. Die Darstellung konzentriert sich stattdessen auf die logotektonische Matrix der Bewegung des „Scheinens seiner in sich selbst“ innerhalb der Wesenslogik. Ihre Selbstbewegung unterscheidet sich fundamental von der Dynamik des „Uebergehen[s] in Anderes“³⁴ der Seinslogik. Wesenslogik und Reflexionsbestimmung bilden keine „Ontologie des Selbstbewusstseins“³⁵, sondern eine „objektive logische Struktur“³⁶ der „Momente des objektiven Denkens“³⁷. Deren Rekonstruktion lässt sehen, dass geläufige Auffassungen wie etwa die, das Kapitel über den Schein enthalte entbehrliche Übergangsbestimmungen³⁸ oder die entgegengesetzte Position, dass setzende, äußere und bestimmende Reflexion die Reflexionsformen auch aller der ihr fol-
Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Wesen, GW 11.4. Ebd., GW 11.11. Ebd., GW 11.13. Vgl. Iber (1992) 106. Hegel, Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Wesen, GW 11.380. So die These von Quante (2018) 275–324; 283. Iber (2016) 21–34; 23. Jaeschke (1978) 86. Wölfle (1994) 17–18; 118–132.
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genden Strukturen abgäben,³⁹ gleichermaßen überspitzt sind. Gemäß des von Hegel so genannten „einfachen Rhythmus“⁴⁰ seiner Methode überlagern sich in der Logotektonik seiner genetischen Kategorienexplikation der Rhythmus der Viererstruktur absoluter Negativität (Position, Negation, Negation der Negation, in sich reflektierte Position)⁴¹ mit der komplexeren hexagonalen Struktur der Begriffsverhältnisse einer Reflexionsganzheit.⁴² Dabei blickt die Logik der Reflexion auf jene genannten Reflexionstotalitäten der Seinslogik zurück, deren vorläufiges Resultat sie ist. Das Begriffsgerüst der Logik des Scheins legt sich im Fortgang vom ansichseienden zum an-und-fürsich-seienden Begriff so aus:
Übersicht 3: Die semantisch-inferentielle Struktur der „Reflexion“ bei Hegel.
Die Linien deuten die Bewegung der Begriffsentwicklung und der darauffolgenden Rückkehr-in-sich an. Diese entfaltet sich als eine Bewegung doppelter Negativität, die sich zur in sich reflektierten Position (die im Ganzen zwölfte: P12) zusammenschließt. Diese Selbstbewegung des Begriffs wird von Hegel zwar inferentialistisch verstanden, aber eben auch dialektisch in dem Sinn, dass die Bewegung stets von einer an sich immer schon zerfallenden Identität über die Kontrareität zur Kontradiktizität voranschreitet, in welcher sie kollabiert, aber zugleich den neuen Grund der weiteren Begriffsdifferenzierung erreicht. Präzisieren lässt sich an
Theunissen (unpubl. Vortrag); Theunissen (1978). Hegel, Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Wesen, GW 11.25; vgl. Scheier (2000a) 202–205. Vgl. Henrich (1975). In seinem Aufsatz „Hegels Logik der Reflexion“ spricht sich Henrich sowohl dagegen aus, die „negierte Negation“ zum „Schlüssel“ der Rekonstruktion der ganzen Logik zu machen, als auch dagegen, „mit Hilfe eines Schlüssels eine Mechanik zu erschließen, sie dem Text der Logik zu unterstellen und so zu einleuchtenden Interpretationen zu kommen“ (Henrich (2010) 149). Die hier vorgelegte Interpretation folgt dagegen der Linie Scheiers, Ibers und Schuberts, dass es sowohl einen solchen Schlüssel als auch eine solche Mechanik oder besser: Logotektonik gebe. Vgl. Scheier (2000a) 203; vgl. auch Scheier (1980). Eine etwas andere Logik der Reflexionsganzheiten, die zwar ebenfalls von einer sechsschrittigen Struktur ausgeht, die aber in zwei Phasen sich entfalte, rekonstruiert Iber (1992) 498–501.
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dieser inferentialistischen Entfaltung der wesenslogischen Termini auch das Verfahren des Einholens derjenigen begrifflichen Kategorien, die Hegel extradiegetisch voraussetzen muss, aber erst nachholend intradiegetisch ableiten kann. Denn setzende und äußere Reflexion sind insofern schon gegensätzlich, als die eine weder voraussetzt noch Anderes/Unmittelbares gesetzt vorfindet, während die andere sehr wohl beides tut. Das Zusammengehen von Gesetztsein und Reflexion-in-sich macht fortan die Struktur nicht mehr nur der bestimmenden Reflexion, sondern der Reflexionsbestimmung aus. Da die beiden Seiten der Reflexion aber nicht mehr jeweils sich selbst gleich, sondern vielmehr ungleich geworden oder „außer sich geraten“ sind, vollendet die bestimmende Reflexion beide vorhergehenden Reflexionsarten auch nur in Form einer „außer sich gekommenen Reflexion“⁴³. Selbstentzweiung ist und bleibt die eigentliche Identität des Wesens. Diese Struktur schreibt sich fort. Alle konkreten Reflexionsbestimmungen sind reflektiert (= selbstständig, autonom), aber setzen sich zum Moment oder Gesetztsein (= bestimmt, heteronom) herab. Diese „Natur der Reflexion“⁴⁴ ist mit seinslogischen Mitteln endgültig nicht mehr beschreibbar. Oberflächlich lässt sich rasch angeben, was Hegel vor dem Hintergrund dieser Reflexionsformen mit seiner Theorie der diese bereits beanspruchenden, aber aus ihnen erst ableitbaren Reflexionsbestimmungen bezweckt. Auch hier werden die klassischen Denkgesetze und logischen Prinzipien der Metaphysik von Hegel als bloß abstrakt, aufgerafft und dialektisch unbewältigt kritisiert und dann systematisch kleinschrittig neu konstruiert. Aus einer „zerfallenden“⁴⁵ Identität von Sein und Wesen gewinnt Hegel den absoluten, mit sich ebenso identischen wie von sich verschiedenen Unterschied, der als Verschiedenheit zwei nur positiv sich auf sich beziehende Gleiche unterscheidet, die erst im vergleichenden Entgegensetzen ungleich werden, um schließlich als das Negative und das Positive in den Widerspruch zu treiben, in welchem sie sich „zugrunde richten“⁴⁶. Mit ihrer Aufhebung im Grund ist die Entfaltung der Reflexionsbestimmungen zwar vorläufig abgeschlossen, reflektiert sich aber in den Unterscheidungen des Grundes noch einmal selbst. Larviert werden in dieser dreizehnten Reflexionsbewegung die Prinzipien der traditionellen Logik entwickelt: principium identitatis, pricipium differentiae, principium identitatis indiscernibilium, principium exclusi tertii, principium contradictionis und principium rationis sufficientis. Hegel beansprucht, sie erstmals in einer Reflexionstotalität zusammengedacht und auseinander entfaltet zu haben:
Hegel, Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Wesen, GW 11.23. Ebd., GW 11, 34. Ebd., GW 11, 267. Ebd., GW 11, 281.
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Übersicht 4: Die semantisch-inferentielle Struktur der „Reflexionsbestimmungen“ bei Hegel.
Der Anspruch, mit der Wissenschaft der Logik eine Kritik des Scheins als eines notwendigen und mit dessen Kritik auch eine „kritische Darstellung der Metaphysik“⁴⁷ gegeben zu haben, wird an der Theorie der Reflexionsbestimmungen besonders plastisch. Von ihr sagt Hegel: „Dieser (der schwerste) Teil der Logik enthält vornehmlich die Kategorien der Metaphysik und der Wissenschaften überhaupt […]“⁴⁸ – wohl auch deshalb, weil sich erst in der Wesenslogik die babylonische Abhängigkeit von der klassischen, allgemeinen Logik zugunsten ihrer dialektischinferentialistischen Umarbeitung lockert.⁴⁹
4 Sprachontologische Synonymik: Reinhold Der reflexionslogische Gegensatz zwischen der Wissenschaft der Logik und Reinholds Grundlegung einer philosophischen Synonymik könnte größer kaum sein. Zwar teilen beide mit ihrem geschichtlichen Ort (1812 bis 1816)⁵⁰ auch eine gemeinsame systematische Absicht: Beide erarbeiten eine sinnkritische Analyse der traditionellen (onto‐)logischen Begriffe. Doch stehen sich spätestens in der Analytik der Reflexionsbestimmungen eine dynamisch-inferentialistische Logik und eine statisch-idealsprachliche Synonymik unversöhnlich gegenüber. In Reinholds Sicht verstrickt sich die Terminologie der traditionellen Metaphysik in den Schein „sinnverwandter Wörter und gleichnamiger Begriffe“⁵¹. Und gegen Hegel argumentiert er implizit, dass eine inferentialistisch-dialektische Semantik der logi Vgl. Theunissen (1979); vgl. auch Fulda, Horstmann, Theunissen (1980). Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, § 114, GW 20.145. Vgl. Theunissen (1979) 272. Der Terminus ad quem 1816 ergibt sich durch die Parallelisierung von Reinholds zweiter Darstellung der Reflexionsbestimmungen in der ‘Kleinen Synonymik′ seines Buchs über Das menschliche Erkenntnisvermögen. Reinhold, Grundlegung einer Synonymik, 41.
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schen Begriffe das Unglück nur noch vergrößere. Dies gilt insbesondere für das Wortfeld der Reflexionsbegriffe. Entsprechend schließt Reinholds Analytik nicht mit den Reflexionsbestimmungen (wie Kant), er fasst sie auch nicht als reflektierte Mitte zwischen Seins- und Begriffskategorien (wie Hegel), sondern stellt sie als Grundbegriffe jeder möglichen Reflexion an den unmittelbaren Anfang seiner Synonymik. Schwierig ist schon hier, dass Reinhold die entscheidende Reflexionsbestimmung des Unterschieds voraussetzen muss, um die Vermengung des Reflexionsbegriffs der Einerleiheit mit der Kategorie der Einheit auflösen und deren von Kant, aus Reinholds Sicht, versäumte Klärung leisten zu können. Das Verhältnis von Bestimmen, Setzen und Voraussetzen ist auch hier schon abgründig. Für Reinhold hat eine auf die Wortsprache reflektierende Philosophie zunächst die „unveränderlichen“⁵² Signifikate von ihren wechselnden Signifikanten zu unterscheiden. Reinhold argumentiert, dass auch eine synonymische Analysis den idealiter „unveränderliche[n] Sprachgebrauch“ nur als regulative Idee setzen, nicht aber realiter erreichen kann. Während die wortsprachliche Praxis, und zwar in allen natürlichen Sprachen, aus einer Mischung von Gewohnheit und Willkür besteht, kann der Sprachgebrauch der Philosophie nur die Aufgabe haben, streng der Vernunft zu folgen. Entsprechend muss die Philosophie den Anspruch erheben, das „Unveränderliche des Veränderlichen“ (der Verstandeskategorien) und das „Ansich-Unveränderliche“ (der Vernunftideen) in einen selbst „unveränderlichen Sprachgebrauch“ zu überführen. Reinholds metaphysikkritische Diagnose ließe sich dahingehend zusammenfassen, dass alle nachkantischen Systeme und „Sprachgebäude“ ihre eigenen ‘Sprachspieleʼ oder „Kunstsprachen“ entwickelt haben, dessen Stimmengewirr sich in den Schein einer gewaltigen Logomachie verstrickt. Im Streit um Worte geht unterwegs die Klärung der philosophischen Sache verloren.⁵³ Insofern die terminologischen Verwirrungen bereits in den ersten, einfachsten und höchsten Begriffen stecken, wird die synonymische Klärungsarbeit zur Ersten Philosophie. An Kants Kategorie der quantitativen, numerischen Einheit ergeht der Vorwurf der Verwechslung mit der „absoluten, quantitätslosen Einheit“. Beide wiederum seien vor ihrer Vermengung mit der„Einzelheit“ zu bewahren. Man habe vergessen, argumentiert Reinhold, „daß es eine Einheit über der Vielheit und eine Einheit in der Vielheit selbst und eine Einheit in der Einzelheit gebe, und daß diese gleichnamigen Einheiten nicht einerley Einheit, – so wenig als sie die bloße Einerleyheit selber seyn können.“⁵⁴ Zweck der Aufdeckung terminologischer Scheinprobleme und tatsächlicher Sinnverwandtschaftsbeziehungen ist in der
Reinhold, Das menschliche Erkenntnisvermögen, 113. Grundlegung einer Synonymik, 33–34. Ebd., 32.
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Synonymik die notwendige Trennung der täuschenden von den wahren Familienähnlichkeiten zwischen Begriffen und Wörtern. In dem komplizierten Spiegelkabinett der sich ineinander reflektierenden Reflexionsbegriffe zeichnet sich eine dreireihige Ordnung ab. Zu unterscheiden ist eine differenzlose ewige „Einheit an sich“ (zugleich „Urgrund“, „Urwesen“, „absolute Übereinstimmung des Seyns mit sich selbst“ und damit das „Urwahre“), welche in Form des setzenden Unterschieds von der Einerleiheit (Identität) und der Einheit (sei es im quantitativen Sinne oder im qualitativen Sinne, als Einzelheit) unterschieden werden muss. Reinholds Synonymik leitet die Reflexionsbestimmungen nicht auseinander ab. Vereinigt werden vielmehr das hierarchische Nacheinander der Bestimmungen aus der Entwirrung ihres wortsprachlich gestifteten Ineinanders. Reinholds Begriffsklärung zielt nicht auf die Transparenz inferentieller Bedeutungsgeflechte, sondern auf deren analytische Entflechtung. Ihr Maßstab ist die Ontologie der Seinsordnung, die sich, wie Reinhold voraussetzt, in den Abstammungsunterschieden sinnverwandter Wörter abgelagert hat. Anders als die Wissenschaft der Logik, die sich bottom up vom reinen Sein zur absoluten Idee unablässig semantisch anreichert, verfährt die Synonymik top down, indem sie, von den höchsten Denkbestimmungen (Einheit an sich) ausgehend, doch auf der Ebene der Wesenslehre bleibend (also nicht in die Schlusslogik aufsteigend), bis hin zu den seinslogischen „Charakteren der organischen Einzelwesen“⁵⁵ hinabschreitet. Charakteristisch für das Vorgehen ist bereits, dass Reinhold nicht von „Identität“, sondern von „Einheit“ spricht. Dass nach Kant Einheit unter die Kategorien, Einerleiheit aber unter die Reflexionsbegriffe fallen soll, hält Reinhold für eine missliche Unterscheidung. Indem Einheit zum quantitativen Begriff wird, droht der qualitative Begriff der Einheit unter den Tisch zu fallen: Es ist gänzlich vergessen, daß es eine Einheit über der Vielheit, und eine Einheit in der Vielheit selbst, und eine Einheit in der Einzelheit gebe, und daß diese gleichnamigen Einheiten nicht einerley Einheit, – sowenig als sie die bloße Einerleyheit selber seyn können.⁵⁶
Insofern wir nach dem Grundsatz der Synonymik die Begriffe „zum deutlichen, das heißt, zum unterscheidenden Bewusstsein gelangen […] lassen“⁵⁷ müssen, kann für Reinhold nur jene „Rangordnung gelten, welche den Wörtern durch ihre Bedeutungen angewiesen wird“⁵⁸. Reinhold sucht demgemäß zu unterscheiden nicht nur zwischen quantitativer (Einsheit) und qualitativer (Vereinigung) Einheit, sondern
Reinhold, Grundlegung einer Synonymik, 173. Grundlegung einer Synonymik, 32. Ebd., 58. Ebd., 38.
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zwischen der Einerleiheit (als der Einheit in ihrem Unterschied von der Verschiedenheit) und der Einheit an sich (als der Einheit in ihrem Unterschied von der Einerleiheit). Ihre Abkünftigkeit wird von dem Grad an Differenzlosigkeit bezeichnet: „Wechsellos steht die Einheit an sich über der unter ihr stehenden Einerleyheit und diese über der unter ihr stehenden Verschiedenheit, und nur in dieser unterordnenden Ordnung sind die besagten drei Charaktere was sie sind.“⁵⁹ In Überbietung des rationalen Realismus seiner mittleren Phase postuliert der späte Reinhold eine „Ordnung des Seyns“⁶⁰, deren Differenzprinzip in dem unterschiedlichen Verhältnis von Vorstellung und Denken liegt und das man schematisch so zusammenfassen könnte:⁶¹ I. Das Ansich-Unveränderliche II. Das Unveränderliche am Veränderlichen III. a) Das Unveränderte des Veränderlichen b) Das Verändertwerden des Veränderlichen Nur ein denkendes Vorstellen kann, so Reinholds Überzeugung, diese Seinsordnung selbst unterscheiden und aufeinander beziehen. Diese binnendiegetische Unterscheidung immerhin muss Reinhold konzedieren. Das wirklich denkende Vorstellen vergegenwärtigt diese Ordnung kraft einer „unterscheidenden Vereinigung“, einer „unterordnenden Ordnung“, einer Hypotaxe des Seins. Das scheinbar denkende Vorstellen hingegen vermengt II mit IIIa und/oder II mit I, insofern es dem Schein ihrer „wandelbaren Unordnung“ verfalle. Im Ganzen vermag das scheinbar denkende Vorstellen keine Stufe der Ordnung „als das, was es ist“⁶², vorzustellen. Ebd., 46. Ueber den Begriff und die Erkenntniss der Wahrheit, § 5, 28: Die Ordnung des Seins wird auch als „positive Wahrheit“ gefasst und ausgelegt in die Stufen: 1) Urwesen 2) Wesen der Dinge 3) Erscheinungen der Dinge Keiner der drei Charaktere, so Reinhold, sei ohne das Andere, wodurch aber die Ordnung stets nur zur Uebereinstimmung, niemals aber zur Identität gelangen kann. Ursache dieser möglichen Verwirrung ist die Vorstellung, die die Ordnung stets durcheinander zu werfen drohe (vgl. ebd., 28). Dies ist die sachlich angemessene top down-Reihung der Seinsordnungssphären. Reinhold selbst gibt sie, unter anderem in seinem letzten Werk, der zweiten Wahrheitsschrift, stattdessen in der bottom up-Reihenfolge, und ohne die Binnenunterscheidung der dort an erster Stelle auftretenden, niederen Sphäre der Endlichkeit, wie folgt an: „1) Das veränderliche Seyn, die Erscheinungen der Dinge, 2) Das unveränderliche Seyn am Veränderlichen, das Wesen der Dinge, 3) Das an sich unveränderliche Seyn, das Urwesen.“ (Wahrheit II, RGS 10/2.41). Das menschliche Erkenntnisvermögen, 57.
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Entsprechend dieser Unterscheidungen erhält das empirisch-denkende Vorstellen in Reinholds Ordnung als seinen Denkort die Sphären II und III. Es vergegenwärtigt und versteht – als Verstand –, dass IIIa und IIIb der Sphäre II untergeordnet ist. Das Unveränderliche am Veränderlichen sind die Geschlechter, Gattungen und Arten, die sich in den Prädikabilien widerspiegeln; aber auch mit den Prädikamenten, Transzendentalien und Reflexionsbegriffen verstandesmäßig bestimmt werden. Entsprechend rangiert die Einheit an sich (Seinsstufe I) über der Einerleiheit (Seinsstufe II) und diese Wiederum über den unterschiedlichen Arten der Einheit als Einzelheit (Seinsstufe IIIa) und als Einssein bzw. Einswerden (Stufe IIIb). Reinhold argumentiert, dass ohne die Klärung und Entwirrung der Begriffe der „blinde Glaube an das Identitätsgesetz“⁶³ in eine formallogische Sackgasse führe. In Hegels Reflexionslogik zerfiel die Identität zu Nichtidentität. In Reinholds Synonymik stehen Unterschied, Verschiedenheit und Gegensatz strukturparallel unter Einheit an sich, Einerleiheit und Einheit. Ähnlich Hegel möchte auch Reinhold den Einheitsbezug des Unterschiedenen herausstellen, so dass „es zwar Unterschied in der Einheit geben müsse, aber durchaus keine Verschiedenheit der Einheit geben könne.“⁶⁴ Entsprechend steht die Verschiedenheit „unter dem über ihr stehenden Unterschied“. Ähnlich der Wissenschaft der Logik ist die Logik der Verschiedenheit die Gleichgültigkeit: „Nur zwischen einem Verschiedenen und einem anderen Verschiedenen findet ein gegenseitiges Verneinen und Verneintwerden ohne Widerspruch statt. Der Unterschied des Verschiedenen in der Verschiedenheit ist darum der entgegensetzende Unterschied, der eigentliche Gegensatz.“⁶⁵ Und wie Hegel muss auch Reinhold Negativität als operationale Negation einsetzen, aber offen lassen, ob ihre Operation selbst eine Reflexionsbestimmung oder das ureigene Operieren der Reflexionsbestimmungen selbst ist. Auch für Reinhold besteht die Quintessenz der Negativität in einer dreifachen – nämlich setzenden, voraussetzenden und verneinenden – Reflexion. Dies kann nun rückwirkend auf die Logik der Einheit zu deren Analysis verwendet werden: Der Unterschied endlich der Einheit von der Einerleyheit, in welchem die Einheit an sich besteht, hat das Eigenthümliche, daß durch ihn und unter ihm sowohl die Einerleyheit als auch die Verschiedenheit unter der Einerleyheit gesetzt, keineswegs aber vorausgesetzt sind, und daß Er durch Beydes vorausgesetzt, keineswegs aber gesetzt ist. Es ist also der nur setzende, und darum weder verneinende noch voraussetzende Unterschied.⁶⁶
Ebd., 52. Ebd., 54. Ebd., 59. Ebd. 61.
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Aus dieser Differenzierung der Verneinung lassen sich drei Operationsfomen gewinnen: 1) Verschiedenes verneint Verschiedenes; 2) Verneinung hebt den Widerspruch auf (als Folge eines setzenden Unterschieds der Einheit; 3) in der Verneinung werden Operation 1) und Operation 2) vermengt – eine Vermengung, die Reinhold, wie jede Begriffsvermengung, als „dialektisches Blendwerk“ brandmarkt. Reinhold zieht den Schluss: „1) daß die Einheit in ihrem Unterschiede von der Einerleyheit, folglich die Einheit an sich, – die ursprüngliche nur setzende[,] nicht aber gesetztwerdende Setzung, die Setzung ohne die Unterlegung, die nichtvoraussetzende Setzung […] sein und heißen müsse.“⁶⁷; „2) daß die Einheit in ihrem Unterschiede von der Verschiedenheit, folglich die Einerleyheit, – die Setzung unter der ursprünglichen Setzung, die Setzung mit der Unterlage […], der Grund unter dem Urgrund, aber über der Bedingung, seyn und heißen müsse“; „3) daß die Verschiedenheit in ihrem Unterschiede unter der über ihr stehenden Einheit, die Unterlage als solche unter der über ihr stehenden Setzung […], die Bedingung unter dem Grunde seyn und heißen müsse.“⁶⁸ Mit dieser conceptual analysis beansprucht Reinhold, die sinnkritische Bedeutungsanalyse seiner Synonymik unabhängig sowohl von der Ungenauigkeit der Alltagssprache als auch von der Scheingenauigkeit der Formallogik gemacht zu haben. Rückwirkungen hat diese Analysis auf das Verhältnis von Sprechen und Denken. Wir machen in der (prädikativen) Sprache Gegensätze, die im Gedanken zwar unterschieden, nicht aber getrennt sind: In der bewusstlosen Verwirrung des Denkens und des Sprechens, welche dem formalen Denken eigenthümlich ist, geht nun, ungewarnt und unbemerkt, der entgegensetzende Unterschied in den nichtentgegensetzenden Unterschied der Gedanken über; aus dem Gegensatze der Zeichen, wird ein Gegensatz des Bezeichneten, welches keinen Gegensatz zulässt, die Entgegensetzung im Ausdruck spricht sich als die Unterscheidung im Denken aus. […] und der trennende Unterschied des Buchstabens wird dem Geiste aufgezwungen.⁶⁹
Die Wesenslehre der Synonymik muss nicht erst, wie Hegels Logik, in der absoluten Reflexion die Metareflexionsebene der Wortsprache erreichen. Indem sie von dieser immer schon ausgeht, um zu idealsprachlichen Begriffsklärungen zu kommen, sind auch für Reinhold die Denkformen des „vorstellenden Denkens“ bereits in den Sprachformen niedergelegt. Anders aber als Hegel ist für den metaphysischen Realisten Reinhold das Reale oder Absolute als das Denken selbst nicht in jenen Sprachformen niedergelegt, die diesem Realen angemessen und unange-
Ebd., 65. Ebd., 63. Ebd., 69.
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messen zugleich wären. Das Reale, als das Wahre an sich, ist jeder symbolischen Ordnung der Sprache oder Schrift überhoben. In der Synonymik unterscheidet nun der von der Einheit unterschiedene Unterschied in sich selbst eine setzende, voraussetzende und verneinende Funktion. Der verneinende Unterschied ist als Verschiedenheit entweder entgegensetzendunterscheidende Verschiedenheit und damit Gegensatz. Oder er verursacht als trennender Unterschied das gleichgültige Auseinander des Verschiedenen. Das mannigfaltig Verschiedene besteht dagegen in widerspruchsloser Verneinung über-, aus- und nebeneinander. Schon hier wird deutlich, dass Reinhold, anders als Hegel, die realen Verhältnisse der Verschiedenheit und des Gegensatzes nicht zu solchen des Widerspruchs, also der Kontradiktizität verschärfen will. Das Begriffsgerüst seiner synonymischen Analyse der Reflexionsbestimmungen gleicht deshalb auch nicht der übersichtlichen Struktur inferentieller Entfaltung und Einfaltung, sondern der rhizomatischen Verzweigung von Familienabhängigkeiten allerdings streng innerhalb der gegebenen Seinsordnung: Stufen
Seinsordnung/charaktere (vgl. auch RGS /, )
Reflexionsbestimmungen
Einheitsbegriff
Wahrheitssemantik
I
Das An-sichUnveränderliche
Urwesen Ursprüngliche Uebereinstimmung
Einheit an sich (Unität)
Das Urwahre (positiver Begriff) Uebereinstimmung des Seyns mit sich selbst
II
Das Unveränderliche am Veränderlichen
Wesenheiten Einerleyheit Unterschied (Identität) (voraussetzender, verneinender, setzender, entgegensetzender, trennender)
III
a. Das Unveränderte Erscheinungen des Veränderlichen Verschiedenheit b. Das Verändertwer- (Mannigfaltigkeit) den des Veränderlichen
Einzelheit (Singularität) Verschiedenheit (Diversität) Einswerden
Übersicht 5: Die synonymische Ordnung der „Reflexionsbegriffe“ bei Reinhold.
Wahrheit (negativer Begriff) Uebereinstimmung von Erkenntnis, Vorstellung und Gegenstand im Urteil Wahrscheinlichkeit (empirische Gewißheit)
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Reinholds Logik der Reflexion sucht jedes „gemeinschaftliche Einander von Einheit und Verschiedenheit“⁷⁰ zu vermeiden, will den Widerspruch zwischen dem widerspruchlos vereinbaren Verschiedenem und dem widersprüchlich vereinten Verschiedenen ausschließen. Im Ganzen legen sich für Reinhold die Reflexionsbestimmungen und die ihnen analogen Begriffe von Wahrheit und Wahrscheinlichkeit gemäß der übergreifenden Seinsordnung, die sie hierarchisch unterscheidet. Dass Reinhold vor der Auflösung des Gegensatzes in den Widerspruch zögert, bestätigt die synonymische Widerspruchstheorie. Sie hat, wie Reinholds Seinsordnung im Ganzen, eine neuplatonische wirkende Signatur. Offenbar soll der Widerspruch nicht aus der Selbstbewegung des Unterschieds, sondern aus einem Abfall von der Übereinstimmung der Einheit mit sich resultieren und sich zuletzt als der bloße Schein eines mit Sinnlichkeit oder Vorstellung vermengten reinen Denkens erweisen. Die Identität, als Einerleiheit, zerfällt nicht in Nichtidentität. Denn die „ursprüngliche Übereinstimmung“ (Ort übrigens des „Wahrheitsgefühls“ und damit Hommage an Jacobi) von „Einheit an sich“ und „Einerleiheit“ ist ihrerseits zu unterscheiden von einer nur derivierten Übereinstimmung, die sich entweder als bloßer Schein von Übereinstimmung (oder Verkennen eines Widerspruchs) und damit als „negativer Nichtwiderspruch“ oder aber als Aufhebung eines Widerspruchs und damit als „positiver Nichtwiderspruch“ auslegt. „Den“ Widerspruch selbst kennt die synonymische Theorie der Reflexionsbestimmungen bezeichnenderweise nicht. Wohl aber den „ursprünglichen Widerspruch“ als Vereinigung des Unterschieds der Einheit und des Unterschieds der Verschiedenheit. Überdies gibt es konkrete Widersprüche, die allein im reinen Denken der Logik (nicht etwa der Seinsordnung I) statthaben können, etwa in Bedeutungskompositionen wie „viereckiger Zirkel“, die eine widerspruchsvolle Vereinigung von Verschiedenem eingehen. Diese aber sind als reine entia rationis ihrerseits getrennt von der widerspruchslosen Vereinigung des verschiedenen Mannigfaltigen. Anders als Hegel insistiert Reinhold auf der Unmöglichkeit von Realrepugnanz. Der Widerspruch ist sprachlichen Wesens; und infolgedessen nur logisch denkbar, nicht vorstellbar, geschweige denn erfahrbar. Hegel hat demgegenüber aus der letzten Stufe der von ihm beschriebenen Reflexionsdynamik aufgrund des Ausschließens des Enthaltenseins des jeweils Anderen auch das Ausschließen seines eigenen Selbstständigseins gefolgert, was ihn zuletzt zu der ebenso skandalisierenden wie skandalisierten realphilosophischen Konsequenz geführt hat, dass die „endlichen Dinge […] widersprechend an sich selbst, in sich gebrochen“⁷¹ seien. Widerspruch ist weder Schein des reinen Denkens noch Grille selbstbezüglicher
Ebd., 70. Hegel, Die Lehre vom Wesen, GW 11.289.
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Sprachformen, sondern das Bewegungsprinzip der Natur, des Lebens und des objektiven Geistes selbst. Diese Hegelsche Konsequenz ist für Reinhold ein Ding der Unmöglichkeit, das endlich Mannigfaltige schlicht eine Vereinigung von Nichtwidersprüchlichem: Die Uebereinstimmung setzt in ihrem Grund und Wesen keineswegs den Widerspruch voraus, und sie ist mehr als eine bloße Verneinung desselben. […] Die ursprüngliche Uebereinstimmung ist und herrscht in der ganzen Natur, so weit diese nicht durch die Kurzsichtigkeit der Menschen verkannt, und durch die Thorheiten und Laster der Menschen verunstaltet wird. Die Natur, als die wahre, besteht nur unter der ursprünglichen und ewigen Uebereinstimmung und durch dieselbe.⁷²
Unmissverständlich rückt die Passage die ursprüngliche Differenz zwischen den Reflexions- und Wesenslehren Hegels und Reinholds ins Licht.⁷³ Wo die Synonymik eine unveränderliche Seinsordnung hierarchisch situierter Unterschiede entwirft, die sich als Sphäre des Veränderlichen in das Auseinander unendlich vieler Verschiedenheiten disseminiert, denkt die Wissenschaft der Logik Reflexion und reflektierte Sache als eine Bewegung, die aus einer zerfallenden Identität durch den Unterschied in einen zugrunde gehenden Widerspruch getrieben wird. Der alethische Idealismus Hegels speist sich, anders als der metaphysische Realismus Reinholds, aus der Produktivität des Widerspruchs.⁷⁴
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Reinhold, Grundlegung einer Synonymik, 80–81. Es bleibt freilich auch eine – allerdings formallogische – Übereinstimmung der Theorien Hegels und Reinholds: Beide fassen den Widerspruch als selbstständige Reflexionsbestimmung, nicht etwa als Subform des Unterschieds. Zu diesem Motiv vgl. Kuhlenkampff (1970); Kesselring (1984).
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Sprache: Vom Rationalen Realismus zum synonymischen Sprachdenken
Silvan Imhof
Kein Denken ohne Sprache? Die Diskussion über das Verhältnis von Philosophie und Sprache im Briefwechsel zwischen Reinhold und Bardili Abstract: In his correspondence with C. G. Bardili, beginning in 1799, Reinhold raises the question about the relation between language and philosophical thinking, and maintains that the latter is essentially dependent on the former. Bardili replies to this by presenting his theory of structural correspondence between the objective world, human thinking, and language. On his account, thinking is not dependent on language. In my contribution I reconstruct the discussion regarding the status of language between Reinhold and Bardili. I also show that the initial question stems from Jacobi’s criticism of Fichte’s Wissenschaftslehre, and that Reinhold seemingly admits to have been convinced by Bardili’s solution, but actually does not dismiss his original thesis that philosophical thinking is dependent on language. The roots of Reinhold’s critique of philosophical language in his later career can thus be found in his discussion with Bardili.
1 Ein sprachtheoretisches Intermezzo In Karl Leonhard Reinholds und Christoph Gottlieb Bardilis offiziellen Arbeiten zum Logischen oder Rationalen Realismus – d. h. in Bardilis Grundriß der Ersten Logik (1799) und in den Texten aus Reinholds Beyträgen zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts (1801–1803) – wird das Thema ‚Sprache‘ höchstens beiläufig angesprochen. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema oder sprachtheoretische Überlegungen im engeren Sinn findet man in diesen Werken nicht. Anders verhält es sich in Bardilis und Reinholds Briefwechsel über das Wesen der Philosophie und das Unwesen der Spekulation, den Reinhold 1804 herausgab. Die Korrespondenz umfasst insgesamt siebzehn Briefe aus dem Zeitraum zwischen Dezember 1799 und dem 17. Mai 1801 sowie einen Auszug aus einem weiteren Brief vom 7. August desselben Jahres. In erster Linie dokumentiert der Briefwechsel Reinholds Annäherung und Anschluss an Bardilis Position des Rationalen Realismus, die dieser im Grundriß der
https://doi.org/10.1515/9783111239521-013
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Silvan Imhof
Ersten Logik erstmals systematisch dargestellt hat.¹ In diesem Sinn berichtet Reinhold in seinem ersten Brief vom Dezember 1799, er habe den Grundriß seit neun Wochen mit größtem Interesse studiert, ihn mit wachsender Bewunderung insgesamt fünfmal gelesen, und er sei nun bereit, an Bardilis Seite „auf dem neuen Pfade“, den dieser ihm geöffnet habe, weiter fortzuschreiten.² Die gedruckte Korrespondenz endet mit Bardilis Brief vom 17. Mai 1801 und zu Beginn desselben Jahres erscheint das erste von sechs Heften der Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts, die Reinhold primär dazu dienen, gemeinsam mit Bardili den neu gewonnenen Standpunkt des Rationalen Realismus stark zu machen. Im publizierten Briefwechsel werden denn auch hauptsächlich Fragen zum Rationalen Realismus diskutiert. Bardili erwartet von seinem neu gewonnenen Anhänger Einwände und Vorschläge zur Verbesserung des Systems. Reinhold seinerseits will mit Bardilis Hilfe sein Verständnis der neuen Lehre vertiefen und ihm problematisch erscheinende Punkte klären. Rhetorisch nimmt dabei also Bardili die Rolle des Lehrers ein, Reinhold die des wissbegierigen Schülers. Dabei ist allerdings zu beachten, dass Reinhold – wie immer, wenn er sich einen neuen philosophischen Standpunkt aneignet – kein bloß ‚nachbetender‘, sondern ein ‚selbstdenkender‘ Schüler ist. Das soll heißen, dass der ehemalige Kantianer, Elementarphilosoph und nun auch ehemalige Fichteaner stets eigene Ziele verfolgt, wenn er sich einer neuen Position annähert, und dementsprechend eigene Problemstellungen einbringt und Schwerpunkte setzt, die nicht unbedingt den Absichten des Begründers des fraglichen Standpunkts, in diesem Fall Bardilis, entsprechen müssen. Zu diesen von Reinhold selbst ins Spiel gebrachten Problemen gehört auch das der Sprache, das von Reinhold im 10. Brief (17. Mai 1800) des Briefwechsels aufgeworfen wird. Bardili antwortet darauf ausführlich im folgenden 11. Brief (Ende Juli 1800), und im 12. Brief (1. September 1800) schließt Reinhold das Thema mit der Feststellung ab, er sei von Bardilis Antwort vollkommen überzeugt worden.³ Dabei bleibt es dann. Die Behandlung des Sprachproblems wird von Bardili und Reinhold weder in der restlichen Korrespondenz wieder aufgenommen noch in den offiziellen Schriften zum Rationalen Realismus vertieft. Die Diskussion im Briefwechsel erscheint für sich betrachtet bloß als ein Intermezzo ohne unmittelbar relevante systematische Folgen.
In seinen Publikationen aus dem Jahr 1799 vertrat Reinhold noch einen Standpunkt, von dem aus er Fichtes Wissenschaftslehre mit Jacobis Glaubenslehre in Einklang bringen zu können glaubte. Zu Reinholds Anschluss an den Rationalen Realismus vgl. Ahlers (2004), Bondeli (1995) Teil 3, Klemmt (1961), Schrader (1999), Valenza (2004b) und (2013). Vgl. Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 1. Vgl. ebd. 247.
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Dieses Intermezzo ist aber aus mindestens zwei Gründen interessant: Erstens legen Reinhold und Bardili bemerkenswerte Thesen und Überlegungen zu einem Thema vor, das um 1800 in der deutschen Philosophie an Bedeutung gewinnt.⁴ Angesichts der Tatsache, dass sich Bardili der Sprache zuvor nicht eingehender gewidmet hatte, bringt er in seinen Ausführungen im Briefwechsel überraschend durchdachte und sich nahtlos in den Rationalen Realismus einfügende sprachtheoretische Überlegungen zum Ausdruck. Bei Reinhold hingegen scheint das Thema vor allem erst als Problem präsent zu sein, das es noch zu bewältigen gilt.⁵ Gerade deshalb ist die Diskussion über die Sprache in der Korrespondenz mit Bardili zweitens auch im Hinblick auf Reinholds spätere Entwicklung von Interesse. Denn bekanntlich wird Reinhold in der Phase, die an seine größte Annäherung an Bardili anschließt, der Sprache insofern eine zentrale Rolle einräumen, als die Kritik der logischen und philosophischen Terminologie zu einem zentralen Aspekt seiner Philosophie wird.⁶ Man kann deshalb davon ausgehen, dass in den von Reinhold und Bardili im Briefwechsel vorgelegten Thesen zur Sprache die ersten konkreten Ansätze von Reinholds späterem sprachkritischem Projekt liegen. Ich werde im Folgenden die Diskussion des Sprachproblems im Briefwechsel genauer rekonstruieren. Dazu werde ich zuerst nachzeichnen, in welchem systematischen Zusammenhang sich für Reinhold und Bardili die Frage nach der Sprache überhaupt stellt (Abschnitt 2). Darauf werde ich untersuchen, wie Reinhold im 10. Brief die Problemstellung sowie eine entsprechende sprachtheoretische These formuliert (Abschnitt 3) und mit welchem sprachtheoretischen Ansatz Bardili dann im 11. Brief auf Reinholds These reagiert (Abschnitt 4). Zuletzt werde ich den von Reinhold im 12. Brief erreichten sprachtheoretischen Standpunkt im Ausblick auf sein späteres sprachkritisches Programm rekapitulieren (Abschnitt 5).
1799, im selben Jahr, in dem die Diskussion zwischen Reinhold und Bardili einsetzt, erscheint etwa auch Herders Verstand und Erfahrung. Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft. Vgl. dazu die Einleitung zu Surber (2001) und Valenza (2005). Gelegentliche Äußerungen zur Sprache finden sich zwar schon in Reinholds früheren Schriften zur Elementarphilosophie, etwa in Fundament, 88–91, RGS 4.54–56 oder Beiträge II, 30–33. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Sprache oder ein besonderes Interesse Reinholds an der Sprachfrage ist aber nicht auszumachen. Bezeugt wird dies nur schon durch Werktitel wie Versuch einer Critik der Logik aus dem Gesichtspunkte der Sprache (1806), Rüge einer merkwürdigen Sprachverwirrung unter den Weltweisen (1809) und nicht zuletzt Grundlegung einer Synonymik für den allgemeinen Sprachgebrauch in den philosophischen Wissenschaften (1812). In dieser Phase wird es Reinhold darum gehen, die philosophische und logische Terminologie einer kritischen Klärung zu unterziehen, da er dies für eine unabdingbare Voraussetzung einer widerspruchsfreien, eindeutig formulierten und wahren Philosophie hält. Vgl. dazu Cloeren (1972) und (1988) Kap. 8, Gerten (2005), Imhof (2015), Klemmt (1961), Valenza (2003) sowie Martin Bondelis Beitrag in diesem Band.
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2 Die Ausgangsfrage: Ist das philosophische Denken von der Sprache abhängig? Die eigentliche Diskussion über die Sprache setzt zwar erst im 10. Brief ein, ihr Anlass liegt jedoch in einem Problem, das Reinhold gleich im 1. Brief an Bardili (Dezember 1799) anspricht. Es geht dabei um Reinholds Verständnis des Verhältnisses von philosophierender Vernunft und gesundem Menschenverstand, das sich Reinhold seit 1792 im Zusammenhang seiner Elementarphilosophie in systematischer und methodologischer Hinsicht erarbeitet hat und das auch in seiner bis zum Anschluss an Bardilis Rationalen Realismus dauernden Fichte-Phase bzw. der Phase, in der er einen zwischen Fichte und Jacobi vermittelnden Standpunkt vertrat, ein wesentliches Element seines Denkens blieb.⁷ Reinhold war bis zum jetzigen Zeitpunkt überzeugt, dass sich aus demselben [Fichtes Prinzip des spekulativen Wissens] ein wesentlicher Unterschied zwischen dem spekulativen Wissen, oder der philosophischen Erkenntniß, und der ursprünglichen Ueberzeugung der Erfahrung und des Gewissens, oder der natürlichen Erkenntniß, ergab, wobey sich der Idealismus der Spekulation zu dem Realismus der wirklichen Natur, wie das Erklärende zu dem Zuerklärenden verhält, keine dieser beiden Ansichten also absolute Wahrheit haben kann.⁸
Demzufolge war Reinhold davon ausgegangen, dass ein gegenseitiges Abhängigkeitsund Bedingungsverhältnis zwischen der philosophischen Erkenntnis und der ursprünglichen oder natürlichen Erkenntnis besteht: Während einerseits die aus Erfahrung und Gewissen stammenden natürlichen Überzeugungen des gesunden Menschenverstandes einer Zurückführung und somit einer Begründung durch transzendentale philosophische Prinzipien bedürfen, muss sich andererseits die philosophierende Vernunft auf die natürlichen Überzeugungen als ihre Materialien beziehen, damit ihre Aussagen einen reellen Gehalt erhalten und ihre Prinzipien sich auf eine objektive Realität beziehen. Reinhold ordnet nun die philosophierende Vernunft und den gesunden Menschenverstand nicht nur der philosophischen bzw. der natürlichen Erkenntnis sowie dem philosophischen Wissen bzw. der natürlichen Überzeugung und später im
Zu Reinholds genauer Bestimmung dieses Verhältnisses im Aufsatz „Ueber den Unterschied zwischen dem gesunden Verstande und der philosophierenden Vernunft in Rücksicht auf die Fundamente des durch beide möglichen Wissens“ aus Beiträge II vgl. Imhof (2018).Vgl. auch Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 120. Ebd. 3.
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Briefwechsel dem logischen bzw. reellen Denken zu,⁹ sondern assoziiert die erstere auch mit dem spekulativem Idealismus und die letztere mit einem Common-SenseRealismus und demnach offensichtlich mit Fichtes Wissenschaftslehre und Jacobis Glaubensphilosophie. Fichte und Jacobi vertreten aus Reinholds Sicht jeweils eine einseitige Position – die der philosophierenden Vernunft bzw. des gesunden Menschenverstandes – und berücksichtigen die komplementäre Position nicht in angemessener Weise. Dies führt zu einem scheinbaren Antagonismus zwischen Philosophie und Leben, Wissen und Glauben, der jedoch unter für beide Seiten akzeptablen Bedingungen vermittelt werden kann, indem dem wahren Verhältnis von philosophierender Vernunft und gesundem Menschenverstand Rechnung getragen wird. Reinholds Konzeption eines komplementären Verhältnisses zwischen philosophischer und natürlicher Erkenntnis impliziert, dass die eine nicht auf die andere reduziert werden kann und folglich, wie das vorangehende Zitat belegt, ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden besteht. Diese Konzeption stimmt aber nicht mit jener Bardilis überein, der davon ausgeht, dass keine wesentliche Differenz zwischen dem philosophischen und dem natürlichen Denken besteht, sondern nur ein Unterschied dem Grad oder der Potenz nach. Für Bardili gilt nämlich, wie er später im 7. Brief schreibt: Ebendasselbe Denken, welches allenthalben im Weltalle, nicht nur in dem kleinen Menschenkinde, webt und herrscht, und schaft, ebendasselbe Denken, welches als etwas nur Subjektives, wie bey Kant und Fichte vorgestellt, um seine Allgemeinheit betrogen, mithin zum Nichtdenken gemacht wird; ebendasselbe sich überall im Weltall gleiche, und daher unendlichmal auch ausser dem Menschen als Ebendasselbe wiederholbare Denken, bricht sich im Menschen, durch den Stoff hindurch, eine Bahn zum möglichen Bewußtwerden seiner selbst, als eines Denkens für den Menschen.¹⁰
Das Denken ist also für Bardili überall ein und dasselbe, sei es in der Natur, im menschlichen Bewusstsein oder in der Philosophie. In diesem Problemzusammenhang, der von Reinhold im 1. Brief an Bardili etabliert wird, spielt die Sprache zunächst keine unmittelbar erkennbare Rolle. Im 6. Brief (21. Februar 1800) nimmt Reinhold jedoch das Thema noch einmal auf, nachdem Bardilis Ausführungen in den vorangehenden Briefen seine Irritation in Bezug auf die Auffassung des Verhältnisses von natürlicher und philosophischer Erkenntnis offenbar nicht beseitigen konnten, und es wird nun deutlich, dass für Reinhold die Frage nach ebendiesem Verhältnis unmittelbar mit der Frage nach der
Vgl. Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 89 ff. Ebd. 126.
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Rolle der Sprache für das philosophische Denken verknüpft ist. Reinhold unterrichtet Bardili in diesem 6. Brief über den gegenwärtigen Stand seiner Einsichten. Er ist bis zum folgenden Punkt gekommen: „Das Philosophiren ist mir nicht bloßes Denken, als Denken, sondern das Anwenden des Denkens auf das Denken, als Denken in der Anwendung.“¹¹ Reinhold gibt anschließend wiederum seinem Erstaunen darüber Ausdruck, dass es Bardili zufolge keinen wesentlichen Unterschied gebe zwischen dem ursprünglichen oder natürlichen Denken – dem Denken als Denken in der Anwendung – und dem philosophischen Denken – der Anwendung des Denkens auf ebendieses natürliche Denken, also der Anwendung des Denkens auf das Denken als Denken in der Anwendung –, da für Bardili das Denken ja überall ein und dasselbe sei.¹² Reinhold hält Bardili entgegen, dass doch ein Unterschied zwischen natürlichem und philosophischem Denken bestehen muss, weil letzteres sich nur mittels eines Begriffs, also einer Vorstellung auf ersteres beziehen kann. Sofern das philosophische Denken der begrifflichen Vermittlung bedarf, könne es auch „keineswegs der sinnlichen Bezeichnung“ entbehren, denn: „Nur unter dieser Vermittlung tritt das Denken in die Philosophie ein, manifestirt es sich dem Philosophen.“¹³ Im Hintergrund von Reinholds Irritation über Bardilis Verständnis des Verhältnisses von natürlichem und philosophischem Denken steht somit die Annahme, dass das philosophische Denken nicht ohne die Verwendung sprachlicher Zeichen auskommt. Reinholds Einwurf liegt folgende Argumentation zugrunde: Erstens ist Philosophieren gemäß Bardilis Lehre, wie sie Reinhold versteht, eine spezifische Form des Denkens in der Anwendung, was konkret heißt, dass das philosophische Denken das Denken selbst zum Untersuchungsgegenstand hat.¹⁴ Als angewandtes Denken ist das philosophische Denken zweitens Denken durch Begriffe, das heißt, vorstellendes Denken, und vorstellendes Denken kann sich auf seinen Gegenstand – im vorliegenden Fall das Denken selbst – nur mittelbar beziehen. Aus der Mittelbarkeit des begrifflichen Denkens folgt nun für Reinhold drittens, dass dieses Denken eines vermittelnden Mediums bedarf, und dieses Medium sind sprachliche Zeichen. Das philosophische Denken ist demzufolge auf Sprache angewiesen. Mit dieser Argumentation wird kein eigentlicher Einwand gegen Bardili formuliert, sondern eher ein begründeter Hinweis darauf, dass das philosophische Denken nicht ohne Sprache auskommt und dass deshalb der Philosoph sich der Sprachabhängigkeit seiner Theorie bewusst sein sowie über seine Verwendung Ebd. 117. Vgl. ebd. 118. Ebd. 122. Dies entspricht Bardilis Bestimmung des Philosophierens als eines Gedachtwerdens des Denkens selbst, vgl. Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 186; 188.
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theoretischer Ausdrücke Rechenschaft ablegen muss. Dass es sich dabei nicht bloß um eine Nebensächlichkeit handelt, geht daraus hervor, dass Reinhold die Frage nach der Notwendigkeit einer sprachlichen Vermittlung philosophischer Begriffe unmittelbar im Zusammenhang mit dem Grundbegriff des Rationalen Realismus, dem Begriff des Denkens, und dessen sprachlicher Einkleidung in der Grundformel „A als A in und durch A“ stellt:¹⁵ Was unter Denken zu verstehen ist, hängt Reinholds Einwurf zufolge wesentlich von dem sprachlichen Ausdruck ab, durch den der Begriff des Denkens vermittelt wird. Eine adäquate Fassung des Begriffs ist nur mittels eines adäquaten sprachlichen Ausdrucks möglich. Reinholds Hinweis auf eine mutmaßliche Abhängigkeit des philosophischen Denkens von der Sprache gibt somit dem Philosophen, nicht zuletzt dem Rationalen Realisten, einen guten Grund, sich über die Verwendung seiner Theoriesprache sowie das Verhältnis von philosophischem Denken und philosophischer Sprache Klarheit zu verschaffen. In seiner Antwort im 9. Brief (19. April 1800) versucht Bardili seinem Schüler zu erklären, dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem philosophischen Denken und seinem Gegenstand, dem natürlichen angewandten Denken gebe. Beides seien Manifestationen ein und desselben Denkens – des Denkens als Denkens –, bloß in verschiedenen Potenzen. So gesehen könne es auch kein spezifisches Problem der sprachlichen Darstellung des philosophischen Denkens geben. Generell gilt für Bardili: „Dem Menschen ist es, als Menschen, (als nicht mehr bloßen Thier) natürlich, es mit den Dingen zur Sprache zu bringen, und sie ins Rechnen zu ziehen.“¹⁶ Bardilis Antwort auf Reinholds Einwurf lautet also: Wenn es dem Menschen natürlich ist, alle Gegenstände zur Sprache zu bringen, so ist es ihm ebenso natürlich, den Gegenstand des philosophischen Denkens, das natürliche angewandte Denken, zur Sprache zu bringen. Es handelt sich ja um die Anwendung ein und desselben Denkens, bloß auf unterschiedliche Gegenstände und auf unterschiedlichen Stufen des Denkens. Aus Bardilis Antwort geht hervor, dass er in Reinholds Einwurf nicht primär das Problem der Sprachabhängigkeit des philosophischen Denkens bzw. des Verhältnisses zwischen demselben und der philosophischen Sprache formuliert sieht, sondern das Problem der Differenz zwischen natürlichem und philosophischem Denken. Das Sprachproblem entsteht dabei bloß als Nebeneffekt eines falschen Verständnisses dieser Differenz. Tatsächlich muss Reinholds am Beginn seiner Argumentation stehende These, das philosophische Denken müsse sich nicht nur graduell, sondern spezifisch von seinem Gegenstand, dem natürlichen Denken, Ebd. 122; dort heißt es weiter: „Vergisst der Philosoph diese Vermittlung, hält er seine Vorstellung vom Denken für das Denken, an sich, so kehrt er in der Hauptsache zu demselben Idealismus zurück, von dem er sich durch das Denken des Denkens zu entfernen glaubte.“ Ebd. 160; 150.
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unterscheiden, für Bardili mehr ins Gewicht fallen, als die von Reinhold damit in Zusammenhang gebrachte These der wesentlichen Sprachabhängigkeit des philosophischen Denkens. Dies deshalb, weil mit der Differenz zwischen natürlichem und philosophischem Denken die für den Rationalen Realismus grundlegende Annahme in Frage gestellt wird, dass die einheitliche Struktur des Denkens als Denkens alle Wirklichkeitsbereiche, von der natürlichen Welt über die Erkenntnis bis zur Sprache, konstituiert. Wenn aber ein und dieselbe basale Struktur des Denkens als Denkens die gesamte Wirklichkeit durchdringt, indem sie sich in deren unterschiedlichen Bereichen in unterschiedlichen Ausprägungen konkretisiert, muss auch das philosophische Denken eine Manifestation ebendieses Denkens als Denkens sein. Diesen Voraussetzungen entsprechend versucht Bardili Reinholds Vorbehalt zu entkräften, indem er zeigt, dass das philosophische Denken sich nur graduell von anderen Manifestationen des Denkens unterscheidet, da es nämlich nichts anderes als die höchste Potenz des sich manifestierenden Denkens ist: Das Denken, das selbst gedacht wird.¹⁷ Die verschiedenen Stufen der Potenzierung des Denkens werden der Lehre des Rationalen Realismus zufolge durch eine sukzessive ‚Zernichtung‘ des Stofflichen, an dem sich das Denken als Denken in der Anwendung manifestiert, d. h. durch eine schrittweise Abstraktion vom konkreten Gehalt des angewandten Denkens erreicht.¹⁸ Auf der höchsten Abstraktionsstufe wird die Form in größter Allgemeinheit und frei von allem konkret Stofflichen, somit als reine Möglichkeit, die in der das Denken als Denken charakterisierenden unendlichen Wiederholbarkeit besteht, gedacht. Und dies ist das Denken in seiner höchsten Potenz, das philosophische Denken. Bardilis Ausführungen im 9. Brief sind also in erster Linie darauf gerichtet, gegen Reinholds Vermutung, es müsse eine wesentliche, qualitative Differenz zwischen natürlichem und philosophischem Denken geben, die für den Rationalen Realismus zentrale Behauptung zu bekräftigen, die Struktur des Denkens als Denkens manifestiere sich gleichermaßen, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen, auf allen Wirklichkeitsebenen. Gegen Reinholds These der Abhängigkeit des philosophischen Denkens von der Sprache wird nur in der Nebensache argumentiert: Wenn tatsächlich keine spezifische Differenz zwischen dem natürlichen und dem philosophischen Denken besteht, wie Bardili meint, dann gibt es auch kein spezifisches Problem in Bezug auf die Darstellbarkeit des philosophischen Denkens Vgl. ebd. 186; 188. „Der Stoff wird also überall und immer durchs Denken geschieden, oder, wie ich mich im Grundrisse ausdrücke, insoweit und darum zernichtet, damit das Denken, die Form desselben herauskehren, und sich daran manifestiren kann. Ueberall ist Abstraktion in der Welt; […].“ (Ebd. 101, vgl. auch 262; 295).
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im Medium der Sprache. Anders gesagt: wenn von vornherein davon ausgegangen werden kann, dass sich im natürlichen ebenso wie im philosophischen Denken und in beiden ebenso wie in der Sprache gleichermaßen das Denken als Denken manifestiert, dann kann das philosophische Denken auf ebenso natürliche Weise zur Sprache gebracht werden wie das natürliche. Es gibt in diesem Fall kein spezifisches Problem der sprachlichen Vermittlung des philosophischen Denkens, denn der „Mensch kann Alles zur Sprache bringen; und kann Alles ins Rechnen ziehen“.¹⁹
3 Reinholds These: kein Denken ohne Sprache Aus der Rekonstruktion der Diskussion bis zu diesem Punkt ist deutlich geworden, dass sich die Frage nach der Sprache für Reinhold im Zusammenhang mit metatheoretischen Überlegungen zum Verhältnis von natürlichem und philosophischem Denken ergibt. Er vermutet, dass eine wesentliche Differenz zwischen beiden besteht, wobei sich das philosophische Denken nicht zuletzt dadurch auszeichne, dass es notwendigerweise im Medium der Sprache dargestellt werden muss. Vor diesem Hintergrund rückt zwangsläufig die Frage nach dem Verhältnis von philosophischem Denken und Sprache in den Fokus. Aus dieser Reinhold’schen Sichtweise entsteht das Bedürfnis nach einer genaueren Klärung dieses Verhältnisses, die wiederum eine Klärung der Funktion von Sprache voraussetzt. Metatheoretische Überlegungen zum Verhältnis von natürlichem und philosophischem Denken verlangen also nach einer Theorie der Sprache, die somit selbst zu den metatheoretischen Voraussetzungen des Philosophierens gezählt werden muss. Überlegungen zu einer Theorie der Sprache bilden denn auch den Kern der Diskussion über die Sprache im 10. und 11. Brief. Reinhold initiiert die explizit sprachtheoretische Diskussion im 10. Brief (17. Mai 1800), indem er Bardilis Äußerung aus dem 9. Brief, die er für einen wichtigen Wink hält, aufnimmt: „Daß der Gebrauch der Form, zum Formgeben für allen und jeden beygehenden Stoff, sich daran äußere, daß der Mensch Alles zur Sprache bringen, und ins Rechnen ziehen kann.“²⁰ Daran schließt er die Frage an: „Sollte nicht eben in diesem ‚zur Sprache bringen‘ die eigenthümliche Funktion des Denkens bestehen, welche die im engsten Sinne, im Sinne der Logik als Verstandeslehre, logische
Ebd. 150. Ebd. 173. Reinhold bezieht sich auf die oben bereits zitierten Stellen ebd. 150 bzw. 160. Zu Reinholds sprachtheoretischen Ausführungen im 10. Brief bzw. zur Auseinandersetzung über die Sprache zwischen Reinhold und Bardili vgl. auch Bondeli (1995) 268–272 und Valenza (2003) 287 f., (2004a) 220–223, (2005) 201 ff. und (2013) 137–142.
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heißt?“²¹ Die mit dieser Frage zur Diskussion gestellte These ist radikaler als die im 6. Brief aufgestellte. Dort formulierte Reinhold die Annahme, dass das philosophische Denken der Vermittlung durch die Sprache bedarf, dass es also im Medium der Sprache ausgedrückt werden muss. Hier jedoch legt er darüber hinaus nahe, dass das philosophische Denken selbst nur im Medium der Sprache erfolgen könne, dass also dieses Denken selbst in einem bestimmten Sinn sprachlich sei. Das Zur-Sprache-Bringen würde demzufolge wesentlich das philosophische Denken ausmachen. Um Bardili zu erklären, worauf er mit seiner Frage nach dem Verhältnis von natürlichem und philosophischem Denken und seiner damit zusammenhängenden These der Abhängigkeit des letzteren von der Sprache eigentlich gezielt hat, zitiert Reinhold aus einem Entwurf mit dem Titel „Prolegomenen über die Wissenschaftskunde, (allgem. Enzyklopädie)“,²² den er im Jahr zuvor, 1799, verfasst habe. Diese Schrift ist offenbar nicht über das Entwurfsstadium hinausgekommen und es ist auch weiter nichts darüber bekannt.²³ Es bleibt deshalb auch im Dunkeln, in welchem Kontext die im Briefwechsel daraus zitierten Überlegungen zur Rolle der Sprache ursprünglich gestanden haben. Deutlich wird aber, dass sich Reinhold schon vor seiner Auseinandersetzung mit Bardilis Rationalem Realismus mit der im 6. Brief vorgelegten These, das philosophische Denken sei auf die Darstellung im Medium der Sprache angewiesen, befasst hatte. Den unmittelbaren Anlass dazu dürfte ihm Jacobis Sendschreiben an Fichte gegeben haben, das 1799 erschienen war. Auf dieses spielt Reinhold jedenfalls gleich im Anschluss an das Selbstzitat aus dem „Prolegomenen“-Entwurf an: „Jacobis Behauptung, ‚daß die Wissenschaft, als Wissenschaft, als bloßes Wissen, keinen andern Geist habe, als den Geist des Buchstabens,‘ scheint mir durch die oben angeführte Stelle Ihres Schreibens vielmehr bestättiget als widerlegt.“²⁴ Reinhold bezieht sich offensichtlich auf eine Äußerung Jacobis in der zweiten Beilage von Jacobi an Fichte, wo es heißt: Wir vertilgen nothwendig den Geist, indem wir ihn in Buchstaben zu verwandeln streben, und der sich für den Geist ausgebende Buchstabe lügt. Er lügt, denn es ist nie der Buchstabe des Geistes was sich diesen Nahmen beylegt; es ist, von dieser Seite angesehen, lauter Betrug damit,
Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 173 f. Ebd. 174. Aufgrund des Titels kann man vermuten, dass es sich dabei um eine programmatische Schrift im Kontext von Reinholds Auseinandersetzung mit Fichtes Wissenschaftslehre bzw. mit dem Versuch, zwischen dieser und Jacobis Glaubenslehre zu vermitteln, handelte. Das Projekt könnte obsolet geworden sein, nachdem Reinhold gegen Ende 1799 mit Bardilis Rationalem Realismus bekannt geworden war. Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 175 f. Zum Bezug auf Jacobi vgl. Valenza (2004b) 192–195, (2005) 201 ff. und (2013) 140.
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denn der Wahrhafte Geist hat keinen Buchstaben. Wohl aber hat auch der Buchstabe einen Geist, und dieser Geist heißet Wißenschaft. ²⁵
Im Zusammenhang von Jacobis Sendschreiben ist diese Stelle als Kritik an Fichtes Wissenschaftslehre zu lesen. Sie steht in Verbindung mit dem Vorwurf, dass die Wissenschaftslehre wie jedes verstandesmäßige System letztlich nichts anderes sei, als ein formales Operieren mit Zeichen. Ihre Sätze mögen zwar logisch gültig sein, als Aussagen über etwas Reales können sie jedoch nicht gelten, denn der Realitätsbezug der Zeichen und Sätze kann nicht mittels der innerhalb des Systems möglichen verstandesmäßigen Operationen nachgewiesen werden. Die Wissenschaftslehre erfasst nicht einen reellen Gehalt oder Geist, sondern drückt bloß den Geist ihres Buchstabens aus, weil sie sich auf formale Operationen mit ihrem eigenen terminologischen Bestand beschränken muss. Der Vergleich der Wissenschaftslehre mit einem Strickstrumpf soll deutlich machen, dass der Faden von Fichtes Reflexionsreihe „nichts als ein leeres Weben seines Webens war, und das einzige Reale nur er selbst mit seinem Handeln, aus, in und auf sich selbst“.²⁶ Es sei dies ein Handeln „aus Nichts, zu Nichts, für Nichts, in Nichts“,²⁷ das alles Reale in Begriffe verwandelt und dabei vernichtet. Der Gedanke drängt sich auf, dass dieser Nihilismusvorwurf ²⁸ ebenfalls gegen Bardilis System gerichtet werden kann, besonders wenn man in Jacobis Sendschreiben liest, „daß wir im rein wißenschaftlichen Wesen nur ein Spiel treiben mit leeren Zahlen – mit Zahl-Zahlen; neue Sätze ausrechnen, immer nur zum weiter Rechnen, und es für abgeschmackt, lächerlich – erbärmlich halten müßen, nach einer Zahlen-Bedeutung, einem Zahlen-Inhalt nur zu fragen“.²⁹ Bei diesem rechnenden Philosophieren, aus dem nur „ein Gespenst an sich: ein reales Nichts“ hervorgehen kann,³⁰ liegt der Gedanke an Bardilis Rationalen Realismus nahe, für den das Rechnen geradezu das Paradigma des Denkens ist. Ausgeprägter noch als Fichte operiert Bardili im Grundriß mit einer ad hoc entwickelten Formelsprache, um die Grundbegriffe und Sätze seines Systems darzustellen und zu entwickeln.³¹ Der Jacobi an Fichte (1799), 67, Jacobi-W 2/1.233. Ebd. 20, Jacobi-W 2/1.204. Ebd. 16, Jacobi-W 2/1.202. „Wahrlich, mein lieber Fichte, es soll mich nicht verdrießen, wenn Sie, oder wer es sey, Chimärismus nennen wollen, was ich dem Idealismus, den ich Nihilismus schelte, entgegensetze“ (Ebd. 39, Jacobi-W 2/1.215). Ebd. 25, Jacobi-W 2/1.207. Ebd. 26, Jacobi-W 2/1.207. Bardili macht in einem Brief an Reinhold (31. August 1805) klar, dass diese Formelsprache ein wesentlicher Bestandteil des Rationalen Realismus ist: „Unsre Formeln wegwerfen heißt den rationalen Realismus ums Leben bringen.“ (RL, 337)
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Verdacht kann sich einstellen, dass es sich bei dieser Formelsprache um eine bloße Formelsprache handelt, die keinen reellen, substantiellen Gehalt hat. Die Sätze in Bardilis System würden somit ausschließlich den stipulierten Bedeutungen der verwendeten Termini entspringen und hätten keinen nachweisbaren Sachbezug. Vor dem Hintergrund des Jacobi’schen Nihilismusvorwurfs kann man deshalb die Frage stellen, ob der Rationale Realismus tatsächlich mit allgemeinen Formen des Denkens operiert oder nicht vielmehr mit bloßen Formeln. Im letzteren Fall drückte er, mit Jacobi gesprochen, bloß den Geist der von ihm verwendeten Buchstaben aus. Es liegt also nahe, dass der Anlass dafür, dass Reinhold in der Korrespondenz mit Bardili das Sprachproblem aufwirft, Jacobis Nihilismusvorwurf aus dem Sendschreiben an Fichte ist. Reinhold hat offenbar Grund zur Vermutung, dass sich dieser Vorwurf auch gegen den Rationalen Realismus richten lässt, und konfrontiert Bardili im Briefwechsel mit dieser Vermutung, um von ihm eine Stellungnahme dazu zu erhalten. Wie sich bereits in der ersten Formulierung des Problems im 6. Brief angedeutet hatte, ist der Einwand nicht nebensächlich: Trifft er zu, muss zugestanden werden, dass die Ausdrücke der Theoriesprache des Rationalen Realismus keine reelle Bedeutung haben und dass dessen Theoreme zwar formale Gültigkeit haben mögen, jedoch nichts Sachhaltiges ausdrücken. Der Rationale Realismus wäre nichts weiter als ein Operieren mit leeren Zeichen und Formeln. Aus der Perspektive des 10. Briefs kann man also sagen, dass für Reinhold nicht die Differenz von natürlichem und philosophischem Denken den eigentlichen Kern des Problems darstellt, wie er im 6. Brief nahegelegt und wie Bardili in seiner Replik im 9. Brief angenommen hatte, sondern die aus dieser vermuteten Differenz entspringende Frage nach der Möglichkeit, das philosophische Denken angemessen darstellen und überhaupt gehaltvolle philosophische Aussagen machen zu können. Dementsprechend kann Reinhold mit Bardilis Behandlung der Frage im 9. Brief nicht zufrieden sein, sodass er einen Grund hat, sie im 10. Brief erneut zu stellen, und zwar mit Fokus auf die Rolle der Sprache im Verhältnis zum philosophischen Denken. Zu diesem Zweck zitiert Reinhold nun aus den erwähnten „Prolegomenen über die Wissenschaftskunde“, obwohl ihm das dort Entworfene mittlerweile verdächtig geworden sei. Er führe es auch nur an, damit Bardili leichter beurteilen könne, wo das Missverständnis in seinem – Reinholds – Kopf sitze.³² Das Zitierte hat in der Hauptsache definitorischen Charakter. Zuerst unterscheidet Reinhold zwischen Begriff und Wort, wobei Begriffe Vorstellungen sind, durch die im Bewusstsein durch das Denken Gegenstände bestimmt werden. Die begriffliche Bestimmung der Gegenstände erfolgt durch Merkmale, welche zugleich Merkmale der Gegenstände
Vgl. Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 175.
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sind. Mittels dieser Merkmale, die Reinhold „Sachzeichen“ nennt, bezeichnen Begriffe unmittelbar Gegenstände.³³ Wörter dagegen werden „Sprachzeichen“ genannt.³⁴ Anders als Begriffe enthalten sie keine Merkmale der Gegenstände und beziehen sich deshalb nicht unmittelbar auf diese. Wörter dienen dazu Begriffe festzuhalten, das heißt, sie beziehen sich unmittelbar auf Begriffe, und nur vermittels der bezeichneten Begriffe auf Gegenstände. Die hier von Reinhold präsentierte Konzeption von Sprache ist soweit alles andere als originell. Die Auffassung, dass Wörter bloß Begriffe oder Gedanken bezeichnen und nur Begriffe oder Gedanken sich direkt auf Gegenstände beziehen, geht bis in die Antike zurück und ist unter Reinholds Zeitgenossen weit verbreitet.³⁵ In dieser traditionellen Konzeption wird der Gegenstandsbezug dem mentalen Bereich des Vorstellens und Denkens zugeordnet, während der Sprache die Funktion des Abbildens und Ausdrückens des Vorgestellten oder Gedachten zugeteilt wird. Demzufolge ist die Sprache im Hinblick auf den Gegenstandsbezug gegenüber dem Vorstellen und Denken sekundär. Die traditionelle Konzeption wird aber von Reinhold sogleich auf signifikante Weise modifiziert, wenn er schreibt: „Gleichwie man sich keines Gegenstandes, als solchen, bewußt wird, ausser durch den Begriff, so wird man sich keines Begriffes, als eines Begriffes, bewußt ausser durch das Wort. Ohne Worte also ist die Kenntniß überhaupt eben so unmöglich, als ohne Begriffe, und Anschauungen.“³⁶ Das bedeutet, dass ein Gegenstand nicht vorgestellt oder gedacht werden kann, wenn der Begriff, durch den er vorgestellt oder gedacht wird, nicht durch ein sprachliches Zeichen festgehalten wird. Ohne Sprache ist die Kenntnis und das Bewusstsein eines Gegenstandes nicht möglich. Mit dieser These wird eine wesentliche Abhängigkeit des Denkens von der Sprache behauptet. Sprache ist nicht eine bloß sekundäre Funktion im Verhältnis zum Denken, der bloße Ausdruck des Denkens, sondern sie ist konstitutiv für das Denken. Auf der Grundlage seiner Definitionen von Sach- und Wortzeichen unterscheidet Reinhold weiter zwischen zwei Funktionen des Denkens: Die erste ist die Bestimmung der sogenannten „Sachbedeutung“, bei der der Gegenstand festgelegt wird, auf den sich ein Begriff unmittelbar bezieht.³⁷ Die zweite ist die Bestimmung der „Wortbedeutung“, bei der unmittelbar ein Begriff durch einen sprachlichen Ausdruck festgelegt und nur mittelbar, durch den Begriff, der die Wortbedeutung
Ebd. 174. Vgl. ebd. 174. Vgl. auch Fundament, 88–91, RGS 4.54–56, wo Reinhold selbst diese traditionelle Konzeption von Sprache vertritt. Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 174 f. Ebd. 175.
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des Ausdrucks ist, ein Gegenstand.³⁸ Zwar wird hier die traditionelle Unterscheidung von unmittelbarem Gegenstandsbezug durch Begriffe (Sachbedeutung) und mittelbarem sprachlichem Gegenstandsbezug (Wortbedeutung) konserviert, jedoch mit einer entscheidenden Neuinterpretation des Verhältnisses von Sach- und Wortbedeutung: Beide sind als gleichwertige und gleich notwendige Funktionen des Denkens anzusehen, wie Reinhold festhält: Dieses Letztere [die Festsetzung der Wortbedeutung] ist das benennende, sprechende, diskurirende, im engern Sinne, logische – das Erstere [die Festsetzung der Sachbedeutung] das erkennende, berechnende, sogenannte, reelle, Denken. Beyde sind bey der ursprünglichen Erkenntniß unzertrennlich vereinigt; machen aber nur durch ihren Unterschied und Zusammenhang diese Erkenntniß aus.³⁹
Damit wird die traditionelle Auffassung, wonach der mentale Bereich des Denkens und Vorstellens primär und die Sprache bloß dessen sekundärer Ausdruck ist, aufgehoben: Das Sprachliche wird zu einer Funktion des Denkens erhoben, die der Funktion des reellen Denkens als gleichwertig zur Seite gestellt wird. Gegenstandsbezogenes reelles Denken und begriffsbezogenes logisches Denken oder Sprache sind zwei für das Gegenstandsbewusstsein gleichermaßen notwendige, sich gegenseitig ergänzende Funktionen des Denkens. Wie erwähnt, zitiert Reinhold aus seinem „Prolegomenen“-Entwurf deshalb, weil er eine Antwort auf Jacobis Zweifel an der Möglichkeit gehaltvoller philosophischer Aussagen sucht. In dieser Hinsicht folgt aus der im Entwurf entwickelten Auffassung des Verhältnisses von Denken und Sprache, dass der begriffliche Gehalt des Denkens sprachlich nur dann adäquat erfasst wird, wenn der Begriff oder das Sachzeichen eindeutig durch ein Sprachzeichen bestimmt wird, wenn also die Wortbedeutung eindeutig festgesetzt wird. Das muss auch und ganz besonders für den Grundbegriff des Rationalen Realismus gelten, wie Reinholds rhetorische Frage suggeriert: „Worauf, liebster Bardili! ist ihr Lehrgebäude gebaut, als auf die von Ihnen zuerst entdeckte und festgesetzte wahre Bedeutung des Wortes Denken?“⁴⁰ Reinhold stellt gleich klar, dass er keinesfalls verlange, dass das Denken als Denken durch Wörter fixiert werde. Dies sei klarerweise nicht möglich, da das Denken als Denken weder Begriff noch Vorstellung sei und sich daher auch nicht durch eine Wortbedeutung bestimmen lasse. Das philosophische Denken ist aber nicht das Denken als Denken, sondern ein Denken, dessen Gegenstand das Denken selbst ist, also eine spezifische Form des angewandten und somit begrifflichen, vorstellenden
Ebd. Ebd. 175. Ebd. 176.
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Denkens. Daraus folgt, dass der Philosoph seinen Gegenstand, das Denken, nicht bloß durch ein Sachzeichen oder einen Begriff bestimmen, sondern zwingend dem Begriff des Denkens auch ein Sprachzeichen oder Wort zuordnen muss. Für Bardilis System ist es deshalb unabdingbar, dass dem Ausdruck ‚Denken‘ eindeutig eine Wortbedeutung zugeteilt wird, und zwar der Begriff des Denkens. Was Reinhold demzufolge bei Bardili vermisst, ist die Berücksichtigung der zweiten für die Erkenntnis eines Gegenstands notwendigen Funktion des Denkens, die Festsetzung der Wortbedeutung. Das gilt ganz besonders in Bezug auf den unverzichtbaren Ausdruck ‚Denken‘. Wenn nämlich dessen Wortbedeutung nicht eindeutig bestimmt ist, ist nicht klar, welcher Begriff gemeint ist, und wenn das nicht klar ist, ist auch der Gegenstand, über den etwas gesagt werden soll, nicht bestimmt. Anders gesagt: der Leser des Grundrisses kann nicht mit Sicherheit wissen, wovon die Rede ist, wenn Bardili den Ausdruck ‚Denken‘ verwendet, weil dieser Ausdruck semantisch unbestimmt bleibt.⁴¹ Darüber hinaus verstärkt diese semantische Unbestimmtheit den Verdacht, Bardili operiere bloß mit leeren Zeichen und Formeln, sodass sich tatsächlich die Situation ergibt, dass man nicht über den Buchstaben hinaus zum Geist gelangt. Es ist ein bemerkenswerter Aspekt von Reinholds Sprachkonzeption, dass von einer „wahren“ oder „ächten“ Bedeutung der Wörter und, in Anlehnung an Jacobi, von einem „Geist des wahren Buchstabens“ ausgegangen wird.⁴² Offenbar ist Reinhold der Meinung, dass die Festsetzung der Bedeutung eines Ausdrucks wie ‚Denken‘ keine Sache der Willkür oder Konvention ist, sondern dass es genau eine als echt oder wahr einzustufende Bedeutung eines Ausdrucks gibt. Das heißt, die echte oder wahre Bedeutung eines Sprachzeichens ist genau jener Begriff, der Sachzeichen des gemeinten Gegenstands ist. Dieser Auffassung zufolge gibt es eine objektiv vorgegebene Zuordnung von Sprachzeichen, Sachzeichen (Begriff ) und Gegenstand, durch die eine objektive Wortbedeutung konstituiert wird. Dieser objektivistischen Auffassung von Bezug und Bedeutung zufolge ist es garantiert, dass einem Sprachzeichen genau eine Wortbedeutung zugeordnet ist, die als dessen echte oder wahre Bedeutung zu gelten hat. Diese ist grundsätzlich für jedes Subjekt rekonstruierbar, und zwar mittels der Anwendung des Denkens auf das Denken,
Vgl. dazu auch den 3. Brief (ebd. 68–84), in dem sich Reinhold bereits ausführlich mit Bardilis Begriff des Denkens beschäftigt und dabei dessen Dunkelheit beklagt, wo er doch der „Schlüssel zu Allem“ sein soll: „Aber Ihren Lesern kann im ganzen Buche nichts befremdender, dunkler, und undeutlicher seyn, als eben dieser Begriff, und dessen Exposition, wie ich zum Theil aus meiner eigenen Erfahrung bezeugen kann.“ (Ebd. 72) In diesem Brief präsentiert Reinhold dann eine eigene „Exposition des Denkens, als Denkens“ (ebd. 73), bei der aber nicht ausdrücklich die Wortbedeutung des Ausdrucks ‚Denken‘ festgelegt wird. Vgl. ebd. 176 f.
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also durch das philosophische Denken. Ein Bedeutungsobjektivismus derselben Art wird auch Reinholds späterem Projekt einer Kritik der philosophischen Sprache bzw. einer Synonymik zugrunde liegen.⁴³ Er entspricht Reinholds altem Traum von einer sich von selbst verstehenden, daher unmissverständlichen und von jeder und jedem für wahr befundenen Philosophie.⁴⁴ Der bemerkenswerteste Punkt ist aber zweifellos der, dass Reinhold Sprache und Denken in einen engeren Zusammenhang bringt, als es in der Tradition und bei den Zeitgenossen üblich ist: Sprache ist für Reinhold bereits zum Zeitpunkt der Diskussion mit Bardili erstens eine Funktion des Denkens und zweitens für alles begriffliche Denken notwendig. Damit ist die Richtung hin zur späteren, noch einen Schritt weitergehenden These eingeschlagen, dass das angewandte Denken überhaupt nichts anderes sei als ein Sprechen.⁴⁵
4 Bardilis Replik: die essentielle Konformität von Gegenstand, Denken und Sprache Reinholds Bedenken gegen Bardilis Darstellung des Logischen Realismus, insbesondere dessen Exposition des Begriffs des Denkens, liegt die These zugrunde, dass „die Begriffe durch die Worte, und die Worte durch die Begriffe“ bedingt seien.⁴⁶ Daraus zieht er den Schluss, dass der Inhalt von Bardilis Lehre von der Bedeutung der verwendeten Ausdrücke, in erster Linie des Ausdrucks ‚Denken‘ abhängt, die jedoch nicht eindeutig bestimmt sei. In seiner Antwort im 11. Brief des Briefwechsels verteidigt sich Bardili, indem er Reinholds These von der wechselseitigen Bedingtheit von Wort und Begriff bzw. Sprache und Denken bestreitet. Dazu hält Bardili Reinhold erst einmal vor, dass zwischen einem sprachlichen Zeichen und demjenigen, was es bezeichnet, seinem „Sinn und Geist“, keinerlei „Verwandtschaft“ bestehe, dass die Zeichen vielmehr „bloß beliebiges […] Merkmal
Vgl. Imhof (2015) 70 ff. So hat Reinhold bereits in der elementarphilosophischen Phase von einem allgemeingeltenden philosophischen Prinzip, insbesondere von seinem Satz des Bewusstseins, behauptet, dass ihn nicht nur alle, die ihn verstehen, für wahr befinden müssten, sondern dass er tatsächlich auch von allen verstanden werde, dass er also nicht nur selbstevident, sondern auch selbstverständlich sei (vgl. Versuch, 71, RGS 1.43; Beiträge I, 144). Vgl. etwa Synonymik, 1, wo Reinhold schreibt, „daß also das Denken im menschlichen Bewußtseyn ein Vorstellen durch eigenthümliche Gedankenzeichen, ein Benennen, Sprechen, Reden seyn müsse“. Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 177.
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für etwas ganz anderes, als sie selbst sind,“ seien.⁴⁷ Sprachliche Zeichen, Wörter, ebenso aber auch Vorstellungen seien daher nichts weiter als der für die Darstellung des Denkens zwar erforderliche, für sich genommen aber zufällige und beliebige Stoff. Das Denken müsse sich zwar notwendigerweise an einem solchen Stoff darstellen, wenn es überhaupt dargestellt werden soll, das heiße aber nicht, dass das Denken selbst durch den Stoff seiner Darstellung bedingt sei, wie Reinhold annimmt.⁴⁸ Aus Bardilis Sicht resultiert Reinholds Problem mit der sprachlichen Darstellung des philosophischen Denkens daraus, dass er den Gaul vom Schwanz her aufzäumt: Angeregt von Jacobis Frage nach dem Geist des Buchstabens fragt er danach, wie man ausgehend vom sprachlichen Ausdruck zum gemeinten philosophischen Begriff und von diesem zum gemeinten Gegenstand – vom Ausdruck ‚Denken‘ zum Begriff des Denkens und zum Denken als Gegenstand der Philosophie – kommt. Diese Weise, die Frage nach der sprachlichen Bedeutung zu stellen, ist aus Bardilis Sicht deshalb verkehrt, weil damit versucht wird, zum Sinn und Geist vorzustoßen, indem man den Buchstaben, der ja bloß der unwesentliche Stoff ist, betrachtet. Es führt aber kein Weg vom zufälligen Stoff der Darstellung des Denkens zum Denken selbst. Ans Ziel kommt man nur, wenn man den Weg von der anderen Richtung her, vom Denken zur Sprache, beschreitet: „Hat mich denn aber nun bey dem allem, mein A als dieser niedergeschriebene Buchstabe oder dieser gehörte Schall in meinem Gedachtwerden des Denkens selbst irgend bedingt? Oder hat nicht vielmehr mein Denken den Buchstaben A, als das gemäßeste Mittel, seine Einfachheit zu einem Gedachtwerden zu befördern, bloß ergriffen […]?“⁴⁹ Die Sprache bedingt also nicht das Denken, sondern das Denken die Sprache. Sprachzeichen sind das bloße Mittel der Darstellung des Denkens, und es ist das Denken, das bestimmt, in welchem Medium es zweckmäßig konkretisiert wird. Demzufolge ist Sprache gegenüber dem Denken sekundär. Damit korrigiert Bardili Reinholds Konzeption der Bedingungs- und Bestimmungsverhältnisse zwischen Gegenstand, Begriff und Wort im Sinn des Rationalen
Ebd. 189. „Das zum Gedachtwerden beförderte Denken stellt sich zwar allerdings vermittelst des Stoffes und Buchstabens dem denkenden Menschen dar, aber stellt sich ihm ebendeßwegen in Wahrheit als ein Denken, d. i., ganz so dar, wie es als ein Denken ist, weil es, ungeachtet seiner unabwendbaren Darstellung vermittelst eines Stoffes, vermittelst des Buchstabens, vemittelst einer Complexion, (und Verengung) der sinnlichen Merkmale an der Aussenwelt, dennoch für ihn eben so wenig mehr ein Stoff, ein Buchstabe, eine Complexion sinnlicher Merkmale, oder für ihn eben so wenig auch nur bedingt durch einen Stoff, bedingt durch den Buchstaben, bedingt durch eine Complexion sinnlicher Merkmale ist, als die Zahl Eins.“ (Ebd. 190) Ebd. 191.
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Realismus und verteidigt damit die traditionelle Auffassung, der zufolge die Sprache nur das sekundäre Mittel der Darstellung des Denkens ist. Aus Bardilis Sicht bestimmt nicht die Wortbedeutung den Begriff und dieser den Gegenstand, sondern umgekehrt: Der Gegenstand bestimmt den Begriff und dieser wiederum den sprachlichen Ausdruck. Dabei ist zu beachten, dass auf allen drei Ebenen, der gegenständlichen, der begrifflichen sowie der sprachlichen, ein und dasselbe Denken, das Denken als Denken, realisiert ist. Gegenstand, angewandtes Denken und Sprache sind also Manifestationen derselben allgemeinen Struktur des Denkens, bloß in unterschiedlichen stofflichen Medien. Somit besteht einerseits eine strukturelle Korrespondenz – Bardili spricht von „Conformität“⁵⁰ – auf allen drei Ebenen, die dadurch entsteht, dass das Allgemeine oder die Form des Denkens als Denkens vom Gegenstand auf das angewandte Denken und von diesem auf die Sprache übertragen wird. Andererseits ist eine eindeutige Bestimmungsrichtung – vom Gegenstand über den Begriff zum Wort – vorgegeben, sodass die Übergänge und Bezüge zwischen den Ebenen zum vornherein festgelegt sind. Sowohl die strukturelle Konformität auf allen Ebenen wie auch die eindeutige Bestimmungsrichtung sind somit letztlich durch die metaphysische Grundannahme des Rationalen Realismus begründet, der zufolge sich in allen Wirklichkeitsbereichen das Denken als Denken strukturell manifestiert. Mit dieser Konzeption der Bestimmungsverhältnisse zwischen Gegenstand, Begriff und Wort wird eine einseitige Abhängigkeit der Sprache vom Denken behauptet. Die nähere Erläuterung seiner „Grundsätze von der Sprache“⁵¹ beginnt Bardili mit der Feststellung, dass sich sprachliche Zeichen nicht wie Begriffe durch Gegenstandsmerkmale auf Gegenstände beziehen. Während die Merkmale, die in Begriffen enthalten sind, zugleich Merkmale der Gegenstände der Begriffe sind, gibt es keine vergleichbare Übereinstimmung oder Verwandtschaft zwischen sprachlichen Zeichen und Begriffen bzw. Gegenständen. Sprachliche Zeichen beziehen sich also nicht aufgrund ihrer intrinsischen Eigenschaften auf das Bezeichnete und müssen daher das, was Bardili ihren „Sinn und Geist“ nennt, durch etwas erhalten, das nicht in der Sprache selbst liegt.⁵² Nur ein „Etwas, das die Worte verbindet,“⁵³ kommt für Bardili letztlich als dasjenige in Frage, was Wörtern Sinn und Geist verleihen kann. Dieses Etwas ist selbst nicht von spezifisch sprachlicher Natur, ist aber allgemeine und notwendige Bedingung von Sprache und ist daher in allen
Ebd. 202. Ebd. 194. Vgl. ebd. 196. Ebd. 197.
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Sprachen realisiert. Das fragliche Etwas benennt Bardili wie folgt: „Es ist ein Subjekt, ist ein Prädikat, ist eine Kopula, und ist eine Allheit (ein Genus)“.⁵⁴ Es ist unschwer zu erkennen, dass hier die funktionalen Bestandteile aufgezählt werden, die im Verständnis der herkömmlichen Logik die Form des allgemeinen Urteils konstituieren (‚Alle S sind P‘). Diese logische Form liegt laut Bardili nicht nur allen Sätzen, sondern auch allen Schlüssen, Urteilen und Gedanken zugrunde und überhaupt allen, sprachlichen wie nicht-sprachlichen, Anwendungen des Denkens. Die allgemeine logische Struktur ist demzufolge nichts spezifisch Sprachliches, stellt aber jenen Zusammenhang zwischen den sprachlichen Ausdrücken her, durch den diese Sinn und Geist erhalten. Sprachliche Zeichen werden zu solchen dadurch, dass die allgemeinen logischen Funktionen von Subjekt, Prädikat, Kopula und Allheit auf sie übertragen werden. Dasjenige, was als Zeichen dient, ist dabei bloß ein Mittel oder Medium, in dem sich die grundlegenden logischen Funktionen konkretisieren können, bloße „Materiatur“, wie Bardili sagt.⁵⁵ Man kann demnach davon ausgehen, dass Sinn und Geist sprachlicher Ausdrücke durch eine Übertragung der allgemeinen logischen Struktur des Denkens zustande kommen, weil zum vornherein eine transitive formale Übereinstimmung zwischen angewandtem Denken und Gegenstand sowie zwischen diesem und seinem sprachlichen Ausdruck vorliegen muss: Auf allen drei Ebenen manifestiert sich ein und dieselbe allgemeine logische Struktur des Denkens überhaupt. Bardili zufolge besteht also eine „Conformität in essentia“ zwischen Gegenstand, angewandtem Denken und dessen sprachlichem Ausdruck.⁵⁶ Die allgemeine logische Struktur des Denkens als Denkens manifestiert sich also sowohl auf der gegenständlichen wie auch auf der begrifflichen und der sprachlichen Ebene. Die Identität dieser Struktur sichert die Möglichkeit des Bezugs von der sprachlichen zur begrifflichen und von dieser zur gegenständlichen Ebene, wobei jedoch zu beachten ist, dass die gemeinsame Struktur gerade von der anderen Richtung her, von der gegenständlichen auf die begriffliche und von dieser auf die sprachliche Ebene übertragen wird, sodass eine eindeutige, objektive Zuordnung von Gegenständen, Begriffen und Wörtern vorliegt. In Bardilis Anordnung der Bedingungsverhältnisse zwischen Gegenstand, angewandtem Denken und Sprache
Ebd. 198. Unter Allgemeinheit oder Genus versteht Bardili die Möglichkeit, eine konkrete Vielheit in eine Einheit zu fassen. Ebd. 192. „Ist denn nicht auch schon induktionsmäßig jeder an ein Sprachzeichen abgegebene, Sinn eines Gegenstandes, eben darum Sinn und kein Unsinn, weil er Conformität mit dem Gegenstande selbst besitzt; und wenn er Conformität mit dem Gegenstande selbst besitzen soll, muß denn nicht der Gegenstand mit demjenigen, der ihm etwas ansinnt, insoferne ihm dieser soll etwas ansinnen können, unter einerley Form (und Wesen) stehen?“ (Ebd. 202).
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ist klar, dass das Denken nicht durch Sprache bedingt sein kann: Sprache ist nur eine mögliche Form der Realisierung der allgemeinen logischen Struktur des Denkens, und sie wird dazu nur dadurch, dass eine Übertragung ebendieser Struktur vom angewandten Denken auf sprachliche Ausdrücke stattfindet. Sprache ist also abhängig vom angewandten Denken, und nicht umgekehrt. Was für das Denken und die Sprache im Allgemeinen gilt, gilt im Besonderen auch für das philosophische Denken und die philosophische Sprache. Deshalb kann Bardili nun Reinhold auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen beiden eine klare Antwort geben: Ist also etwa dieß, – um beyläufig daran zu erinnern, – das Geschäft des analytischen Denkers, ‚daß er die Begriffe durch die Worte und die Worte durch die Begriffe bey sich bestimmt werden läßt?‘ Nein doch, gewiß nicht, liebster Reinhold! sondern das Geschäft des analytischen Denkers ist, an jedes Wort und an jeden Begriff den mit dem Gegenstande conformen, und sonach im Wesen der Dinge selbst gegründeten, folglich durch dieß Wesen der Dinge, nicht aber durch Wort und Schall und begriffemäßiges Zusammenziehen, sinnlicher Merkmale, nothwendig bestimmten, eben darum aber auch wahren Sinn abzugeben.⁵⁷
Für Bardili hat also die Bedeutungsbestimmung, anders als Reinhold es sich denkt, nicht auf dem Weg einer Analyse des Verhältnisses von Wort (Sprachzeichen) und Begriff (Sachzeichen) zu erfolgen, bei der ausgehend vom sprachlichen Ausdruck der Begriff (Wortbedeutung) und auf dessen Grundlage der zugehörige Gegenstand (Sachbedeutung) ermittelt wird. Vielmehr muss der analytische Denker von der essentiellen Konformität von Gegenstand, Begriff und Wort in Bezug auf die allgemeine logische Struktur des Denkens ausgehen. Dies erlaubt es ihm, durch die Analyse des Denkens die objektiv bestehenden logischen Formen des Denkens zu finden, und auf deren Grundlage den philosophischen Ausdrücken die entsprechenden Bedeutungen zuzuordnen. Der Weg führt also von der Analyse des Denkens zur Sprache. Die metaphysische Annahme des Rationalen Realismus, dass eine essentielle Konformität aller Wirklichkeitsebenen besteht, die durch die auf allen Ebenen realisierte allgemeine Struktur des Denkens als Denkens konstituiert wird, gibt demzufolge den Weg der Bestimmung der Bedeutung der philosophischen Termini vor. Der von Bardili gegen Reinhold verteidigte Primat des Denkens vor der Sprache gilt demnach nicht zuletzt auch in methodischer Hinsicht. Folgt man Bardili, so nimmt der analytische Denker keine Analyse der Wortbedeutung vor, sondern ordnet einem bestimmten Wort eine Bedeutung zu, die sich aus der Analyse des Denkens ergibt. Das philosophische Denken wird zur Sprache gebracht, indem die logischen Funktionen des Denkens auf sprachliche Ausdrücke
Ebd. 203.
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abgebildet werden. Da die Verwendung bestimmter sprachlicher Zeichen faktisch durch „Herkommen und lange Gewohnheit“ zustande kommt,⁵⁸ ist die Konformität der Sprache mit dem Denken nicht zum vornherein garantiert, Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit sind möglich. Dies macht es aus philosophischer Sicht nötig, die Wortbedeutungen erst von der Analyse des Denkens her zu bestimmen, um den Wörtern ihren einzig wahren Sinn und Geist zuzuordnen. Es besteht also aus Bardilis Blickpunkt durchaus ein Bedarf nach einer kritischen Klärung der philosophischen Sprache, und es ist das Geschäft des analytischen Denkers, für jeden philosophischen Ausdruck den mit dem entsprechenden Begriff und Gegenstand konformen Sinn festzusetzen. Somit sind es letztlich die Resultate der Analyse des Denkens im System des Rationalen Realismus, die zu den einzig korrekten Bedeutungen der herkömmlichen philosophischen Ausdrücke führen.
5 Das Resultat: Reinholds sprachkritischer Standpunkt Im 12. Brief (1. September 1800) bekundet Reinhold, dass ihm Bardilis Ausführungen zur Sprache im Großen und Ganzen einleuchten würden.⁵⁹ Näher besehen erscheint die Einverständniserklärung allerdings zwiespältig: Sie haben mich nämlich vollkommen überzeugt, daß das Denken, als Denken überhaupt, folglich auch als Philosophiren, eben so wenig durch Worte, als durch Gefühle und Vorstellungen bedingt seyn, und heißen könne, sondern daß vielmehr die Worte, so wie die Vorstellungen und Gefühle, welche freylich conditiones sine quibus non der Anwendung des Denkens als dieser Anwendung im menschlichen Bewußtseyn sind, gleichwohl als Sinn und Geist enthaltend, als eigentliche Zeichen der Gedanken, durchs Denken als Denken in seiner Anwendung bestimmt, festgesetzt, begründet seyn müßen.⁶⁰
Zwiespältig ist Reinholds Aussage deshalb, weil er Bardili zwar zugesteht, dass Sinn und Geist der sprachlichen Zeichen durch das angewandte Denken bestimmt werden. Wenn Reinhold aber im gleichen Satz sagt, dass unter anderem Wörter „conditiones sine quibus non“ der Anwendung des Denkens im menschlichen Be-
Vgl. ebd. 189; 199. „Es versteht sich also von selbst, liebster Bardili, daß mir auch Ihre Ansicht der Sprache, und des Verhältnisses derselben zu dem, was sie auszusprechen hat, im Wesentlichen, und einige Stellen abgerechnet, welche aber mehr Digressionen sind, als zur Exposition der Sprache gehören, völlig einleuchtet.“ (Ebd. 248). Ebd. 247.
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wusstsein seien, heißt das explizit, dass dieses Denken, als angewandtes Denken, doch durch Sprache bedingt ist: ohne Sprache kein Denken. Reinhold hält also ausdrücklich an der von Bardili abgelehnten These, Sprache sei eine notwendige Bedingung des Denkens, fest. Er schränkt die These dem Wortlaut nach zwar auf das Denken in der Anwendung ein und schließt das Denken als Denken überhaupt einschließlich des philosophischen Denkens aus. Es ist aber zu beachten, dass Reinhold damit in Bezug auf das philosophische Denken, um das es ja zentral geht, nicht konsequent ist. Denn im 10. Brief hatte Reinhold das Sprachproblem in Bezug auf das philosophische Denken bzw. dessen sprachliche Darstellung formuliert, und dabei wurde das philosophische Denken ganz in Bardilis Sinn als eine Anwendung des Denkens auf das Denken selbst verstanden, als eine Form des angewandten Denkens also.⁶¹ Das heißt, wenn Reinhold konsequent wäre, müsste er das philosophische Denken auch jetzt zum angewandten Denken rechnen, und in diesem Fall müsste das philosophische Denken, wie alles angewandte Denken, durch die Sprache bedingt sein. Von der Sprachbedingtheit ausgenommen werden könnte einzig das Denken als Denken überhaupt. Man kommt also zum Fazit, dass sich Reinhold durch Bardili nicht von der These hat abbringen lassen, dass das angewandte Denken im Allgemeinen durch Sprache bedingt ist. Das Zugeständnis an Bardili, das philosophische Denken im Besonderen sei davon angenommen, steht im Widerspruch zu dieser These. Trotz Bardilis Gegenargumentation ist also Reinhold von seiner These der Sprachbedingtheit des angewandten Denkens in Wahrheit nicht abgerückt. Dennoch hat ihm sein Lehrmeister ein entscheidendes Theorieelement präsentiert, das in Kombination mit ebendieser These Reinholds in Zukunft maßgebliche Position in Sachen Sprache bestimmt. Bardili liefert nämlich mit dem Rationalen Realismus, insbesondere mit der Annahme einer essentiellen Konformität von Gegenstand, Denken und Sprache, ein theoretisches Modell, das dazu geeignet ist, Reinholds Bedeutungsobjektivismus zu stützen, von dem er ja unabhängig von Bardilis Lehre bereits ausgegangen war, wie die Zitate aus dem „Prolegomenen“-Entwurf gezeigt haben. Die Konformitätsthese besagt, dass sich in allen Wirklichkeitsbereichen dieselben allgemeinen Strukturen des Denkens als Denkens manifestieren, bloß in unterschiedlichen stofflichen Medien. Das bedeutet, dass ein objektives Abbildungsverhältnis zwischen den verschiedenen Wirklichkeitsbereichen besteht. Ausgehend von dieser Annahme lässt sich im Prinzip jedem konkreten sprachlichen Ausdruck eine objektive Bedeutung zuweisen, indem aufgrund der Analyse des Denkens jedem Gegenstand ein konformer Begriff und jedem Begriff ein konformer sprachlicher Ausdruck zugeordnet werden kann. Der Rationale Realismus bietet
Vgl. ebd. 176.
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also die Mittel einer Rekonstruktion der objektiven Abbildungsverhältnisse und damit der Begründung und Festsetzung der Bedeutung sprachlicher Zeichen. Dies gilt allgemein, besonders aber für die philosophische Sprache. Es stellt sich hier die Frage, ob Reinholds These von der Sprachbedingtheit des Denkens mit Bardilis Konformitätsthese überhaupt vereinbar ist. Denn Bardili knüpft ja an diese These die Annahme einer eindeutigen Bestimmungsrichtung, der zufolge insbesondere das Denken der Sprache vorgeordnet und dementsprechend von dieser unabhängig ist. Tatsächlich ist aber die Verknüpfung dieser Annahme mit der Konformitätsthese nicht zwingend. Die Konformitätsthese lässt sich auch dann vertreten, wenn man wie Reinhold annimmt, dass das angewandte Denken notwendig im Medium der Sprache abgebildet werden muss, wenn also die Sprache conditio sine qua non des angewandten Denkens ist.Wenn Reinhold die Bestimmung von Wortbedeutung und Sachbedeutung als zwei notwendige, komplementäre Funktionen der Erkenntnis betrachtet,⁶² hebt er zwar die von Bardili postulierte Unabhängigkeit des Denkens von der Sprache auf, nicht aber die durchgehende Konformität aller Wirklichkeitsbereiche, im Gegenteil: Nur wenn das begriffliche Denken als Wortbedeutung sprachlicher Ausdrücke festgehalten und bestimmt wird, ist eine Bestimmung eines Gegenstands durch Begriffe (Sachbedeutung), eine konforme Abbildung der gegenständlichen Wirklichkeit oder bewusste Gegenstandserkenntnis möglich. Dabei ist es weder widersprüchlich noch abwegig davon auszugehen, dass das von Reinhold behauptete wechselseitige Bedingungsverhältnis von Denken und Sprache auf der Konformität beider beruht, dass also sprachliche Ausdrücke eine Wortbedeutung, d. h. einen Begriff, gerade aufgrund ihrer strukturellen Konformität mit ebendiesem Begriff bestimmen. Die Konformität von angewandtem Denken und Sprache wird damit zur Voraussetzung einer konformen Abbildung der gegenständlichen Wirklichkeit im Bewusstsein. Es besteht also kein Widerspruch zwischen der These der Sprachabhängigkeit des Denkens und der Bardili’schen Konformitätsthese. Die Diskussion über die Sprache zwischen Reinhold und Bardili ist mit Reinholds ambivalenter Einverständniserklärung im 12. Brief vom 1. September 1800 abgeschlossen. Was Reinhold betrifft, so hat er an diesem Punkt in Sachen sprachtheoretische Grundlagen im Wesentlichen bereits den sprachkritischen Standpunkt erreicht, den er einige Jahre später programmatisch umsetzen wird. Den Kern dieses Standpunkts bilden erstens die – später noch radikaler formulierte – These von der wesentlichen Sprachabhängigkeit des angewandten Denkens, zweitens die daraus folgende Forderung einer Kritik der philosophischen Sprache, sowie drittens die von Bardili bereitgestellte These einer essentiellen Konformität
Vgl. die oben bereits zitierte Stelle aus Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 175.
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der logischen Struktur der verschiedenen Wirklichkeitsbereiche, die zugleich den methodischen Weg der Bestimmung der Bedeutungen philosophischer Ausdrücke vorgibt, und zwar von der Analyse der allgemeinen Struktur des Denkens her. Aus diesem theoretischen Rahmen fällt bloß die erwähnte Inkonsequenz Reinholds im 12. Brief, dass er das philosophische Denken von der These der Sprachbedingtheit des angewandten Denkens ausnimmt.Wenn Reinhold sich an die Ausführung seines sprachkritischen Projekts macht, ist diese Inkonsequenz jedoch beseitigt. Im Zentrum steht die Terminologie der Philosophie und der Logik, die deshalb einer Kritik unterzogen werden muss, weil das philosophische und logische Denken wie jedes angewandte Denken wesentlich durch die Sprache bedingt ist. In diesem Sinn liest sich die folgende Stelle aus dem „Vorbericht“ zum Versuch einer Critik der Logik aus dem Gesichtspunkte der Sprache von 1806 wie ein Fazit der Diskussion über die Sprache mit Bardili: Bekanntlich hat noch Niemand geläugnet, oder auch nur bezweifelt, daß das Denken in unsrem Bewußtseyn durch das Sprechen bedingt ist, daß unser denkendes Vorstellen, als solches, ein Benennendes ist, daß alle unsre Gedanken insoferne Bedeutungen von Worten seyn müssen, und daß Alles, was von uns nicht etwa nur angeschaut, oder empfunden, oder gefühlt, oder geahnet, oder phantasirt, – sondern wirklich und eigentlich gedacht werden soll, insoferne zum Behuf – nicht nur der Mittheilung für andere Menschen – sondern auch unsres selbsteigenen Bewußtseyns, und in demselben, ausgesprochen werden muß.⁶³
Bardili übrigens hat gegen Reinholds sprachkritisches Projekt nichts einzuwenden, im Gegenteil: „Daß Sie jetzt hauptsächlich die Sprache in das Interesse unserer Untersuchungen ziehen, verspricht mir einen glücklichen Erfolg für eine erleichterte Einverständigung unserer Philosophie mit der Fassungskraft und den theils gemeinen, theils entstellten Ansichten des Zeitalters.“⁶⁴
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Vernunft und Sprache: Zu Herders und Reinholds Metakritik an Kant Abstract: This article examines Herder’s and Reinhold’s metacritique of pure reason. Its context is Kant’s concept of the difference between phenomena and noumena. It is argued that Herder and Reinhold likewise seek to defend understanding (Verstand) and reason (Vernunft) as the faculty of apprehending the thing in itself. To this end, they both critizise Kant’s distinction of thinking and intuition from different angles. Herder and Reinhold likewise argue that the categories are necessary means to make thought sensible through natural language(s). It can be shown, however, that whereas Herder views language as a form and expression of understanding (Verstand), Reinholds attempts at establishing a pure philosophical language of thinking according to his systematical approach in the Synonymic (1812). It is argued that Herder, following his conception of natural language, could not have subscribed to that view.
Der Mahnung Jacobis, es fehle „nur noch an einer Kritik der Sprache, die eine Metakritik der Vernunft seyn würde, um uns alle über Metaphysik eines Sinnes werden zu lassen“¹, entsprechen sowohl Herder als auch Reinhold, indem sie sprachphilosophisch basierte Beiträge zu einer Metakritik an Kants Kritik der reinen Vernunft vorlegen.² Die natürliche Vernunft soll von den Vorwürfen freigesprochen werden, die Kant erhoben hatte, dass sie sich nämlich als Vermögen, das „Metaphysik als Naturanlage“³ betreibt, unweigerlich in Antinomien und Fehlschlüsse verstricke.⁴ Um die Mängel der Vernunftwissenschaft zu beseitigen, die
Zugabe. An Erhard O, Jacobi-W 6/1.241. Die Bedeutung Jacobis in dieser Debatte beleuchtet Valenza (2004). Reinholds späte sprachphilosophische Schriften sind inzwischen vermehrt zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht worden, vgl. Gerten (2005), Valenza (2005), (2003) und (2013), Westerkamp (2008), Westerkamp (2012), Imhof (2015), Bondeli (2018). Zur spannungsreichen Beziehung zwischen Herder und Reinhold vgl. Bondeli (1997). KrV B 22. So heißt es bei Herder: „Die kritische Philosophie, wenn sie von keinem echten Vernunftgebrauch, aber von Dialektik der Vernunft, d.i. von Paralogismen, Antinomien und einem vernünftelnden Ideal desto mehr weiß, hat das Wesen der Vernunft […] verkannt, indem sie ihr eine falsche Tendenz als Natur zurechnete.“ (Herder-FHA 8.513; vgl. auch ebd. 313). Zu Herders Auseinandersetzung mit Kants Dialektik vgl. Arndt (2013). https://doi.org/10.1515/9783111239521-014
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auch sie feststellen, bedürfe es keiner Kritik der Vernunft selbst, vielmehr komme es auf die Kritik ihres Werkzeugs, der Sprache, an. Von der Sprachphilosophie erwarten diese Denker die entscheidenden Einsichten, die zur Kritik und Korrektur der Metaphysik zu verwenden sind. Während die in Reinholds Versuch einer Critik der Logik aus dem Gesichtspunkte der Sprache von 1806⁵ vorgetragene Metakritik auf die angeblich durch Kant verfestigten Fehlformen der Logik gerichtet ist,⁶ bezieht sich Herder in seiner Metakritik ⁷ von 1799 auf die in der Kritik der reinen Vernunft vorgetragene Propädeutik zu einer künftigen Metaphysik. Beide aber erheben den Einwand, die kritische Philosophie hebe die Einheit von Denken und Sein auf, und dies habe Subjektivismus, Nihilismus und Zerstörung der Religion zur Folge. Dagegen bringen sie das Axiom dogmatischer Metaphysik erneut zur Geltung, das menschliche Denken sei zur Erkenntnis von Gegenständen qua Dingen an sich befähigt, wenn es sich denn selbst als begründet in einem Ur-Wahren (Reinhold)⁸ oder in einer Urkraft (Herder)⁹ begreife.
1 Kants Semantik Die Fundamente von Herders Metakritik treten in seiner Auseinandersetzung mit dem die transzendentale Analytik der Kritik der reinen Vernunft abschließenden Kapitel über Phaenomena und Noumena besonders klar hervor, weil hier seine Auffassungen von Begriff, Bedeutung und Sprache in direkter Konfrontation mit Kant entwickelt werden, der seinerseits Überlegungen zur Semantik des Begriffs zum Fokus seines „summarischen Überschlag[s]“¹⁰ über die Ergebnisse der vor Rink hat nicht zu Unrecht von einer metakritischen „Invasion“ gesprochen (vgl. Rink ( 1800)); in dieser Perspektive zeigt sich, dass es nicht nur um die kritische Philosophie, sondern weitergehend um einen Kampf um das richtige Verständnis von Aufklärung geht: Bei Herder ist nicht selten eine unsachliche Feindseligkeit gegenüber Kants kritischer Philosophie festzustellen; sie geht soweit, Kant indirekt als einen der ärgsten Feinde der „wahre[n] Vernunft“ zu bezeichnen, weil er ihr „den Mißbrauch ihres eigenen Werkzeugs, d.i. dialektische Spitzfindigkeiten, als einen ihr unableglichen Naturfehler und als ihr wesentliches Geschäft“ (Herder-FHA 8.512) unterstelle. In Erstaunen setzt auch die erbitterte Radikalität Reinholds, des einstigen Anhängers der Kantischen Philosophie, der seine sprachanalytisch unterbaute neue Metaphysik als Gegenmittel gegen „den Wahn des angeblichen Selbstdenkens“ und gegen eine dadurch bedingte, an Ideen orientierte moralische und politische Praxis – mit indirekten Bezugnahmen auf die Französische Revolution – in Stellung bringt. (Critik der Logik, XV) Vgl. ebd. III. Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft, Herder-FHA 8.303–622. Vgl. Critik der Logik, § 87. Gott. Einige Gespräche, Herder-FHA 4.710. KrV 236/B 295.
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hergehenden Untersuchungen und seiner Reflexion auf ihren „Vorteil“¹¹ macht. Um diesen von Herder inszenierten Streit über diese Gegenstände zwischen metakritischer und kritischer Philosophie in seinen Grundlinien nachzeichnen zu können, soll zunächst Kant zur Sprache kommen. In extremer Verknappung fasst er seine Analytik in das Resultat zusammen, „[d]aß also der Verstand von allen seinen Grundsätzen a priori, ja von allen seinen Begriffen keinen anderen als empirischen Gebrauch machen könne“¹². Damit ist zugleich die kritische Frage nach den Grenzen der Vernunfterkenntnis entschieden, die sich aufgrund der rein gedanklichen Möglichkeit eines doppelten Gebrauchs der Kategorien stellt. „Der transzendentale Gebrauch eines Begriffs in irgendeinem Grundsatz ist dieser: daß er auf Dinge überhaupt und an sich selbst, der empirische aber, wenn er bloß auf Erscheinungen, d.i. Gegenstände einer möglichen Erfahrung, bezogen wird.“¹³ Diese Antwort ergibt sich in einer apagogischen Argumentation aus dem Bedenken der Folgen für den Begriff des Begriffs: Daß aber überall nur der letztere [empirische Gebrauch] stattfinden könne, ersieht man daraus. Zu jedem Begriff wird erstlich die logische Form eines Begriffs (des Denkens) überhaupt und dann zweitens auch die Möglichkeit, ihm einen Gegenstand zu geben, darauf er sich beziehe, erfordert. Ohne diesen letztern hat er keinen Sinn, und ist völlig leer an Inhalt, ob er gleich noch immer die logische Funktion enthalten mag, aus etwanigen datis einen Begriff zu machen.¹⁴
Kant rekurriert hier der Sache nach auf die in § 16 der transzendentalen Deduktion im Ausgang von der transzendentalen Einheit der Apperzeption entwickelte Lehre vom Begriff, wonach es „die analytische Einheit des Bewußtseins“ ist, welche eine Vorstellung zum „conceptus communis macht“¹⁵. Ursprünglich kommt die analytische Einheit dem „ich denke“ als dem einen und selben in allem von ihm verschiedenen Gedachten zu; werden Vorstellungen von diesem Ich gedacht, werden sie zu Begriffen gemacht und erhalten dieselbe Art von Einheit wie dieses. „Die analytische Einheit des Bewußtseins hängt allen gemeinsamen Begriffen, als solchen, an.“¹⁶ Darin besteht der Begriff seiner Form nach, dass die eine und selbe Partialvorstellung des Gegenstandes (Merkmal) als Erkenntnisgrund der ganzen
Ebd. A 238/B 297. KrV A 239/B 298. Ebd. A 238/B 298. Ebd. A 239/B 298. Ebd. B 134. Ebd. B 134.
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Vorstellung dieses und unbestimmt vieler anderer Gegenstände gebraucht wird.¹⁷ Bei einem Begriff handelt es sich also um ein identisches Bewusstsein, das als diejenige Teilvorstellung in unbestimmt vielen möglichen Vorstellungen und Gegenständen gedacht wird, die ansonsten unbestimmt bleiben, aber doch außer dieser begrifflichen Vorstellung noch mannigfach bestimmbar sind.¹⁸ Merkmale machen den Inhalt des Begriffs aus,¹⁹ und die Gegenstände, die durch ihn gedacht werden, bilden seinen Umfang. Jeder Begriff bezieht sich qua Begriff auf denjenigen Gegenstand, von dem er der Begriff ist. Kant nennt diesen intentionalen Gegenstand – im Sinne der materia circa quam – die Materie des Begriffs.²⁰ Nach diesen Erläuterungen zur Form des Begriffs ist zu klären, warum Kant an der Stelle A 239/B 298, wo zuerst von der „logische[n] Form eines Begriffs (des Denkens) überhaupt“, die Rede ist, als das zweite Requisit des Begriffs nicht schlicht den Begriff des Inhalts eines Begriffs anführt, sondern geltend macht, ohne die „Möglichkeit, ihm einen Gegenstand zu geben, darauf er sich beziehe“²¹, sei „der Begriff (wie man sagt) ohne Sinn, d.i. ohne Bedeutung“²². Was kann es heißen, dass ein Begriff „keinen Sinn“ hat, oder „völlig leer an Inhalt“²³ ist? Argumentationslogisch soll damit etwas in irgendeinem Sinne Unmögliches gesagt sein, aus dem – indirekt – folgt: „Also beziehen sich alle Begriffe und mit ihnen alle Grundsätze, so sehr sie auch a priori möglich sein mögen, […] auf empirische Anschauungen, d.i. auf data zur möglichen Erfahrung. Ohne dieses haben sie gar keine objektive Gültigkeit, sondern sind ein bloßes Spiel, es sei der Einbildungskraft oder des Verstandes, respektive mit ihren Vorstellungen.“²⁴ Es ist klar, wie dieses – zunächst auf die Kategorien referierende – Argument, die Bedeutung oder der Inhalt des Begriffs hänge von der Möglichkeit, ihm einen Gegenstand in der empirischen Anschauung
Zum Begriff Merkmal heißt es: „Ein Merkmal ist dasjenige an einem Dinge, was einen Theil der Erkenntniß desselben ausmacht, oder – welches dasselbe ist – eine Partialvorstellung, sofern sie als Erkenntnißgrund der ganzen Vorstellung betrachtet wird. Alle unsre Begriffe sind demnach Merkmale und alles Denken ist nichts anderes als ein Vorstellen durch Merkmale.“ (Logik, Kant-AA 9.58). Vgl. KrV B 134. Mit Blick auf den Unterschied zwischen intuitiven und diskursiven Merkmalen spreche ich von letzteren im Folgenden gelegentlich als vom logischen Inhalt des Begriffs.Vgl. dazu „Merkmal ist eine theilvorstellung (die) als solche (ein Erkenntnisgrund ist). Es ist entweder intuitiv (synthetischer theil) ein theil der Anschauung, oder diskursiv: ein theil des Begriffs, der ein Analytischer Erkenntnisgrund ist.“ (Nachlass, Kant-AA 16.299–300, R 2286) Vgl. Logik, Kant-AA 9.91. KrV A 239/B 298. Ebd. A 240/B 299. Ebd. A 239/B 298. Ebd. A 240/B 298.
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zu geben, nicht zu verstehen ist: Es kann nicht bedeuten, dass der Begriff ohne diese Möglichkeit keinen Inhalt, d. h. keine Merkmale, besitzen würde. Denn damit wäre bestritten, dass apriorische Begriffe wie die nicht schematisierten Kategorien Begriffe im logischen Sinne sind, die eben dadurch definiert sind, dass sie Inhalt und Umfang haben. Mit „Sinn“ des Begriffs ist hier – im Zusammenhang mit der transzendentalen Frage nach dem Gebrauch von Begriffen zur Erkenntnis – vielmehr auf den Zweck des Begriffs abgehoben und auf diejenigen Erfordernisse, die zur Erfüllung dieses Zwecks unabdingbar sind. Die These lautet also: Ohne Bezug auf empirische Gegenstände kann der Begriff seinen Zweck nicht erfüllen, und diejenigen Bedingungen, die dazu erforderlich sind, bilden die Inhalte seiner Semantik. Bedeutung und Sinn sind Begriffe, die Kant einführt, um eine spezifische, erst aus dem Gesichtspunkt der Funktion des Begriffs als Mittel der Erkenntnis resultierende – über den logischen Inhalt hinausgehende – Semantik anzuzeigen. Schon im Leitfadenkapitel findet sich eine Andeutung dieser Konzeption von Bedeutung des Begriffs. Dort hieß es, der Verstand könne überhaupt als ein Vermögen zu urteilen vorgestellt werden, denn alle Handlungen des Verstandes könnten auf Urteile zurückgeführt werden.²⁵ Daraus ergibt sich für den Begriff des Begriffs: Begriffe […] beziehen sich, als Prädikate möglicher Urtheile, auf irgend eine Vorstellung von einem noch unbestimmten Gegenstande. So bedeutet [kursiv MH] der Begriff des Körpers Etwas, z. B. Metall, was durch jenen Begriff erkannt werden kann. Er ist also nur dadurch Begriff, daß unter ihm andere Vorstellungen enthalten sind, vermittelst deren er sich auf Gegenstände beziehen kann.²⁶
Im Urteil wird ein Begriff (Prädikat) mittelbar zur Erkenntnis eines Gegenstandes gebraucht. Hier ist derjenige Begriff (Metall), vermittelst dessen der Gegenstandsbezug des als Prädikat verwendeten Begriffs Körper möglich wird, als diejenige Bedeutung des Begriffs geltend gemacht, die ihm nur zukommt, sofern er in dieser seiner Funktion als Prädikat eines Urteils bedacht wird. Damit ist schon in der Logik eine Art der Bedeutung von Begriffen geltend gemacht, die nicht mit dem Inhalt eines Begriffs wie z. B. Körper identisch sein kann. Denn sie ergibt sich erst aus seinem genuinen Gebrauch als Prädikat und seinem dadurch (qua Teil der Urteilsrelation) gesetzten Gegenstandsbezug. Diese Bedeutung betrifft, soviel lässt sich hier schon entnehmen, die Bedingung, durch die der Begriff die Funktion, ein Objekt zu bestimmen oder zu erkennen, ausüben kann; und das ist hier der Begriff des Subjekts. Wenn der Begriff synthetisch mit den Bedingungen, durch die sein Ob-
Vgl. KrV A 69/B 94. Ebd.
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jektbezug möglich wird, verbunden werden können muss, damit er als Begriff zur Erkenntnis eines Gegenstandes gebraucht werden kann, gehören diese möglichen Bedingungen offenbar in irgendeiner Weise zur Semantik des Begriffs. Das allerdings geht die von allem Inhalt abstrahierende Logik nichts an. Sie stellt nur klar, dass der Begriff als solcher defizitär in dem Sinne ist, dass durch ihn allein keine objektiv gültige Verbindung von Vorstellungen, sondern bloß eine subjektive Einheit des Bewusstseins von Vorstellungen zu erreichen ist. In den die transzendentale Analytik abschließenden Überlegungen des Kapitels über Phaenomena und Noumena verfährt Kant formal analog zu dem vorgestellten Fall der Bedeutung des Begriffs Körper, die sich im Zusammenhang mit der Verbindung von Begriffen im Urteil ergab. Nun geht es um die transzendentalphilosophische Bestimmung der Funktion des Begriffs zur Erkenntnis von Gegenständen.²⁷ Kant formuliert die allgemeine These: Der Begriff kann diese Funktion nicht ausüben, er hat in diesem Sinne keine Bedeutung, wenn er nicht von Gegenständen der Erfahrung gebraucht wird, und die dazu erforderlichen Bedingungen machen seine über den logischen Inhalt hinausgehende Bedeutung aus. Wenn Bedingungen festzustellen sind, die erst ermöglichen, dass der Begriff seine Funktion, Gegenstände zu erkennen, und d. h. unter anderem zu unterscheiden, wahrnehmen kann, dann bestimmen diese Bedingungen, und nicht beliebige subjektive Einheiten des Bewusstseins, die seinen Inhalt als „bloßer Begriff“ – etwa in einer Nominalerklärung²⁸ – bilden, seine Semantik. Ausgehend vom Zweck wird auf dessen Erfüllungsbedingungen reflektiert, vermittelst derer die Bedeutung des Begriffs erkannt wird. Dieser Zusammenhang erhellt aus folgenden Formulierungen: Diese Bedingungen stiften erst die Möglichkeit des bestimmten Bezugs auf Gegenstände, indem sie „faßlich machen […], was unter dergleichen Begriffe denn eigentlich für ein Ding gemeint sei“²⁹. Oder negativ formuliert: Ohne diese Bedingungen „würde der Begriff gar keine Bestimmung [kursiv MH] haben, wie er auf irgend ein Object passe“³⁰. Für den nichtproduktiven menschlichen Verstand sind es diejenigen Bedingungen, die die Voraussetzung dafür sind, dass ihm Gegenstände gegeben werden können, die seinen Begriffen in dem oben erläuterten doppelten Sinne Bedeutung geben. Dass diese über den rein logischen Begriffsinhalt hinausgehende Bedeutung apriorischer Begriffe für die durch unsere Art von Sinnlichkeit bestimmten Wesen nur vermittelst der Einheiten von Raum und Zeit als den Bedingungen des Gege-
Kant hebt auf den Begriff in seiner logischen Funktion oder Form ab, und d. h. als Einheit der Handlung, „aus etwaigen datis einen Begriff zu machen“ (ebd. B 298), und nicht auf ihn als Produkt dieser Handlung. Damit ist der Begriff des logischen Inhalts ausgeklammert worden. Vgl. ebd. A 242. KrV A 241/B 300. Ebd. A 243/B 301.
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benseins von Gegenständen gesichert werden kann, heißt aus anderer Perspektive, dass deren Bedeutung nur durch Versinnlichung dargetan werden kann: für mathematische Begriffe durch Konstruktion, für die reinen Verstandesbegriffe durch Schematisierung.³¹ Für uns hat der Begriff Sinn, wenn er sinnlich gemacht wird – sagt Kant auf die Sprache hörend.³² Nur wenn die diskursiven Merkmale, die den Begriffsinhalt als solchen bilden, benutzt werden, um im Rekurs auf die allgemeinen Bedingungen des möglichen Gegebenseins von Gegenständen, die Einheit von Raum und Zeit, den Begriff in der Anschauung darzustellen, haben sie eine bestimmte Bedeutung. Weil aber „eine reine Anschauung, die noch vor dem Gegenstande apriori möglich ist, […] selbst ihren Gegenstand, mithin die objective Gültigkeit nur durch die empirische Anschauung bekommen [kann], wovon sie die bloße Form ist“³³, beziehen sich alle Begriffe, die direkt oder indirekt auf reine Anschauungen referieren, und damit alle apriorischen „Begriffe und mit ihnen alle Grundsätze, so sehr sie auch a priori möglich sein mögen, dennoch auf empirische Anschauungen, d.i. auf data zur möglichen Erfahrung.“³⁴ Daher dependiert die „objektive Realität“³⁵ aller Begriffe, die in der Angabe der Bedingungen ihrer Verwendung zur Erkenntnis liegt, die ihnen Bedeutung verschafft, letztlich von dem Gegebensein der Gegenstände in der Erfahrung – was zu beweisen war. Ein Begriff, dem diese Bedeutung, und d. h. die Möglichkeit eines solchen Gegenstandsbezugs abgesprochen werden muss, ist für Kant ein Nichts, genauer: ein ens rationis.³⁶ Dazu sind bekanntlich die Noumena „im negativen Verstand“³⁷ zu zählen, worunter „ein Ding [zu] verstehen [ist], so fern es nicht Objekt unserer sinnlichen Anschauung ist, indem wir von unserer Anschauungsart desselben abstrahiren […]. Verstehen wir aber darunter ein Object einer nichtsinnlichen Anschauung, so nehmen wir eine besondere Anschauungsart an, nämlich die intellectuelle, die aber nicht die unsrige ist, […] und das wäre das Noumenon in positiver Bedeutung.“³⁸
Vgl. ebd. A 239/B 299 ff. Darauf wies mich Manfred Baum hin. Kant, KrV, A 239/B 298, Ebd. Ebd. A 242 Anm. Vgl. KrV A 292/B 348. Ebd. B 307. Ebd.
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2 Herders Metakritik der Differenz von Phänomenon und Noumenon Das muss zur Erklärung der Bedeutung von Begriffen und zur Konzeption des Noumenon genügen, um im Folgenden Herders Kritik daran zu interpretieren. Herder sieht richtig, dass Kant mit dem Begriff Noumenon eine besondere Art von Dingen außer den Sinnendingen meint bzw. meinen kann³⁹ und damit die Lehre Wolffs und Baumgartens ablehnt, wonach es sich bei Phänomenon und Noumenon um den einen und selben Gegenstand in unterschiedlicher Weise vorgestellt handelt: durch die Sinne verworren und durch den Verstand deutlich repräsentiert.⁴⁰ Wie die ironisierende Formulierung, Kant suche „das Ding an sich außer und hinter Gegenständen“⁴¹, signalisiert, hält Herder die Konzeption eines von Sinnendingen separierten Dinges für falsch und beruft sich zunächst auf die „Alten und Neuern“, denen er attestiert, die Bedeutung dieser Begriffe richtig aufgefasst zu haben:⁴² „Phänomenon heißt, was erscheinet; Noumenon, was sich der Verstand (νοῦς) denket. Dies denkt er sich nicht hinter und außer, sondern an dem Phänomenon; und damit ist die ganze Verwirrung aufgehoben.“⁴³ Offensichtlich wird hier die Position der Skeptiker⁴⁴ mit den Lehren von Leibniz so kombiniert, dass ihnen
Kant verwendet die Begriffe Phänomen und Noumenon auch im Sinne der Aspekte-Interpretation, d. h. so, dass es dasselbe Ding ist, das als Sinnending und als Verstandesding nur in verschiedener Hinsicht gedacht ist. Dass dieses Verständnis vor allem in Hinsicht auf die praktische Philosophie eine untragbare Verkürzung bedeutet, die von Dingen (Gott z. B.) und Kausalitätsbegriffen (transzendentale Freiheit) handelt, die nicht zugleich als Sinnending begriffen werden können, zeigt Baum. Vgl. Baum (2019) 42. Belege für die Interpretation von zwei Arten von Dingen finden sich B 306, wo es heißt: „Gleichwohl liegt es doch schon in unserem Begriffe, wenn wir gewisse Gegenstände, als Erscheinungen, Sinnenwesen (Phänomena) nennen, indem wir die Art , wie wir sie anschauen, von der Beschaffenheit an sich selbst unterscheiden, daß wir entweder eben dieselbe[n], wenn wir sie gleich nicht anschauen, oder auch andere mögliche Dinge, die gar nicht Objekte unserer Sinne sind, als Gegenstände bloß durch den Verstand gedacht, jenen gleichsam gegenüberstellen [kursiv MH] und sie Verstandeswesen (Noumena) nennen.“ (Vgl. noch KrV B 308 f.) Vgl. etwa Baumgarten, Metaphysica (1963) § 307. Herder-FHA 8.471. Die Sprache ist für Herders Metakritik ein „Zeuge“, der „abgehört“ werden muss. Vgl. ebd. 320. Ebd. 469. Aus der Baumgartens Philosophia generalis als Einleitung beigegegebenen Dissertation von Johann Christian Förster De Dubitatione et Certitudine, datiert auf den 25. Sept. 1769 (ohne Seitenangabe), konnte Herder etwas über die skeptischen Lehren von Phaenomena und Noumena (vgl. vor allem § 3) kennenlernen, allerdings in einer merkwürdigen Vermischung mit platonischen Lehrstücken. Vgl. Baumgarten, Philosophia generalis (1968). Es gibt aber auch Belege dafür, dass Herder Sextus Empiricus unabhängig davon kannte.Vgl. dazu Herder, Briefe (1996) 536; mit Verweis auf Vom
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unterstellt wird, sie lehrten ein vom Verstand zu erfassendes Ding an sich – das ektos hypokeimenon der Skeptiker⁴⁵ oder die Monade bei Leibniz⁴⁶ – das sich relativ auf das Subjekt darstellt, also in Wahrnehmungen erscheint und nur im Ausgang von diesen erkannt werden kann. Diese Interpretation kann indessen weder den Alten noch den Neueren zugerechnet werden. Es handelt sich vielmehr um eine Projektion von Herders eigener Auffassung, die er auch unabhängig von sprachlichen Befunden zur Geltung bringt, indem er die sinnlich erfahrbaren Gegenstände mit den Worten des „großen Buches“ der Natur vergleicht, in denen „wir den Sinn des unbekannten Urhebers lesen“⁴⁷. Das ist eine – an Bacon angelehnte⁴⁸ – Einkleidung seiner spinozistischen Ontotheologie, in der Gott als die „Urkraft“ begriffen ist, die sich in endlichen organischen Kräften ausdrückt, die als immaterielle Kräfte sich ihrerseits in ihren Verkörperungen sinnlich zur Erscheinung bringen. „[…] Er, der Selbständige, er ist im höchsten, einzigen Verstande des Worts, Kraft, d. i. die Urkraft aller Kräfte, Organ aller Organe.“ ⁴⁹ Herders neovitalistische Ontologie der Kraft, die die Alleinheit von Gott und Natur ebenso wie die Verfasstheit der endlichen Dinge durch den Begriff des Lebens zu interpretieren sucht, enthält als solche eine Lehre über das Verhältnis von Noumenon und Phänomenon. So denkt er ein individuelles Ding als diejenige Einheit einer Kraft mit ihren Wirkungen, in der sich die als Noumenon interpretierte Kraft vermittelst dieser Wirkungen zugleich individuiert und sinnlich darstellt. Damit wird – dem kritischen Ansatz widersprechend – postuliert, Bedeutung, Sinn oder Intelligibilität liege in den Dingen selbst, und zwar nicht nur insofern sie von Gott geschaffen sind, sondern insofern sie Lebendige sind: konstituiert durch eine geistige Kraft, von Herder als wirkender Gedanke des göttlichen Verstandes
Unterschiede zwischen Religion und Lehrmeinungen überhaupt (Herder-SW 20.141), wo Herder auf die Schrift Pyrroneion Hypotyposeon, Libros Tres Continens des Sextus Empiricus mit den Anmerkungen des J.A. Fabricius (1718) verweist. Vgl. Hossenfelder (1989) 461–463, hier 463: Das ektos hypokeimenon liegt dem in der Phantasia Erscheinenden, dem Phänomen, zugrunde.Von ihm ist die Phantasia die bloß subjektive Vorstellung. Unvereinbar mit der skeptischen Sicht ist es, dass das Noumenon an den Phänomenen erscheinen soll; es erscheint gerade nicht. Vgl. zu diesem Verständnis von Leibniz‘ Monadenlehre die Schrift Gott, Herder-FHA 4.703, 709 f., 716 u. 733. Herder-FHA 8.472. Vgl. dazu Kalligone, Herder-FHA 8.755, wo Herder aus Bacons Novum Organon den Aphorismus 124 zitiert; entscheidend ist für ihn der Satz: „Des menschlichen Verstandes Idole sind nichts als beliebige Abstraktionen; die Ideen des göttlichen Verstandes sind wahre Bezeichnungen des Schöpfers auf den Geschöpfen, wiefern sie der Materie durch wahre, ausgesuchte Lineamente eingedrückt und in ihr beschränkt werden.“ Gott, Herder-FHA 4.710.
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und daher auch als Noumenon begriffen, das sich selbst körperlich-sinnlich zur Erscheinung bringt. Wird dieses wirkende Prinzip in Anlehnung an Aristoteles als eidos oder morphe verstanden, gilt: „Jedes Ding bedeutet, d.i. es trägt die Gestalt dessen, was es ist.“⁵⁰ Den Verstand bringt Herder entsprechend als Organ, das die den Dingen an sich zukommende Bedeutung erfassen kann, in Ansatz: Er „ergreift der […] Dinge Bedeutung“⁵¹ vermittelst des Sinnlichen⁵² und gehört daher ins Reich der Dinge an sich, d.i. der Wahrheit. […] Sein νοοὐμενον also, d.i. der Sinn, den er an Gegenständen erfaßt, ist ihm das Ding an sich, d.i.Wahrheit. Diesen ersieht und erspähet er am Sein und Dasein, an Eigenschaften und Kräften der Gegenstände in ihren Wirkungen; ein Verständliches, das zu ihm, dem Verstande, ein Geistiges, das zu ihm, dem Geiste spricht: denn das Ganze, das sich ein Geist denkt, die Kräfte und Eigenschaften, die er in Wirkungen oder in einer lebendigen Organisation wahrnimmt, sind seiner Art, νοοὐμενα ἐν φαινομένοις.⁵³
Herder führt unter dem Titel Geist ein Subjekt ein, das das Lebendige als „das Ganze“ von Kraft und Eigenschaften, die in den Wirkungen zur Erscheinung kommen, denken können soll. Die von ihm beabsichtigte Revision der kritischen Philosophie verlangt, auch die dieser zugrundeliegende Erkenntnislehre, vor allem das Theorem von der spezifischen Differenz zwischen Sinnlichkeit und Verstand, außer Kraft zu setzen. Sie hat positiv zu begründen, durch welche Art von Begriff der Verstand das lebendige, durch eine „in tausend Eigenschaften [sich] äußern[de]“, Kraft konstituierte Ding erfassen kann.⁵⁴ Dazu heißt es unter Berufung auf die Homologie von Gegenstand und Begriff:⁵⁵ Diese Kraft „könne und solle nicht gespalten oder geteilt, sondern in ihren Wirkungen erkannt werden. Das Ganze sei „in seinen Teilen als ein […] Verstandesbegriff (νοοὐμενον) zusammen[zu]fassen; den Begriff selbst außer dem Phänomen als ein Noumenon zu suchen, [sei hingegen] kein νoῄμα, kein Werk des Verstandes.“⁵⁶ Wenn unter Verstandesbegriff hier der vom Verstand gebildete Begriff und nicht die Kategorie zu verstehen ist, ist damit ganz allgemein ein Begriff des Begriffs gefordert, der der Struktur des lebendigen Gegenstandes entspricht.
Herder-FHA 8.956 Herder-FHA 8.392; vgl. ebd. 397. Vgl. ebd. 324. Ebd. 8.473. Ebd. 472. In dem auch von Herder vertretenen System der harmonia praestabilata intellectualis (Kant) ist die Homologie von Begriff und Gegenstand durch einen – als Allleben gedachten – Gott garantiert. Vgl. Briefe, Kant-AA 10.130. Herder-FHA 8.472.
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Wie Herder diese – dogmatisch – in der Ontologie begründete Erkenntnislehre gegen Kants Konzeption des Noumenon in Stellung bringt, ist im Ausgang von seinem Räsonnement über das Motiv für Kants angebliche Verirrung, das Noumenon als Ding außer den Phänomenen anzusetzen, zu klären. Das als Ding an sich interpretierte Noumenon als Gegenstand der „kritisch-intelligible[n] Welt“ – die Herder außerdem durch die Kategorien und die reinen Formen der Sinnlichkeit konstituiert sieht – diene dazu, „unsre Sinnenwelt vor aller und ohne alle Erfahrung intelligibel [zu] machen“⁵⁷. Für Herder gehört die Konzeption des Dinges an sich bei Kant also zu den unverzichtbaren Bestandstücken kritischer Metaphysik, der er jedoch das Erkenntnisinteresse der dogmatischen unterschiebt, die apriorische Intelligibilität der Sinnenwelt philosophisch zu sichern. Dies sei der Grund dafür, dass diese neue Metaphysik Formen der Anschauung und des Denkens sowie die von Sinnendingen abgesonderte Gegenstandsart der Dinge an sich erdenke. In Wahrheit jedoch entsprängen sie nicht „der Natur unsres Verstandes“, sondern dem Bedürfnis der Phantasie, außer oder hinter dem sinnlich erfahrbaren Gegenstand noch ein wahres Ding als „den Kern, den Keim, die Substanz […] zu finden“⁵⁸. Diese die schulphilosophische Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinung erneut ins Recht setzende Erklärung wendet sich gegen die kantische, nach der der Verstand selbst der Ursprung des Noumenon ist: „der Verstand, wenn er einen Gegenstand in einer Beziehung bloß Phänomen nennt, [macht] sich zugleich außer dieser Beziehung eine Vorstellung von einem Gegenstande an sich selbst“⁵⁹. Zugleich soll der von Kant für die dogmatische Metaphysik nachgewiesene „Mißverstand“, aus der bloßen Denkbarkeit von Gegenständen an sich durch die Kategorien darauf Ebd. 470; vgl. auch ebd. 487. Ebd. 471. Diese Deutungen zeigen, dass Herder den bloß problematischen Gebrauch des Begriffs Noumenon bei Kant ebenso verkennt wie dessen Einsicht in die Unmöglichkeit, durch die Kategorien oder auf andere Weise das Realwesen der Dinge zu erkennen. Zu Kants Revision dieses traditionellen Konzepts der Ontologie vgl. seinen Brief an Reinhold vom 12. Mai 1789 (Briefe, Kant-AA 11.33–40, hier bes. 35–37). Herder verteidigt zugleich Leibniz‘ „Intellektualwelt“ (Herder-FHA 8.470) gegen die von Kant vorgetragene Kritik daran (vgl. KrV B 337–342). Wenn er aber von der „kritischintelligible[n] Welt“ (Herder-FHA 8.470) spricht, meint er – wie gesehen – nicht Kants Konzeption des mundus intelligibilis, sondern die kritische Ontologie der Natur. Indessen kannte er als Schüler Kants bereits dessen vorkritisches Konzept dieses mundus als einer Geisterwelt aus den Träumen eines Geistersehers. (Vgl. dazu Kant-AA 2.329) Dieses Lehrstück lehnt er schon in seiner Rezension von 1766 ab. Ob er Kants Dissertation De mundi sensibilis atque intelligibilis…, wo in § 7 von den beiden mundi gehandelt wird, zur Kenntnis genommen hat, ist unklar. Man kann aber schließen, dass Herder schon aufgrund seines Begriffs von Metaphysik als „Nachphysik“ auch die späteren Formen eines mundus intelligibilis bei Kant zurückweisen muss. Vgl. Herder-FHA 4.717; vgl. Scholtz (1993) zu Herders Verständnis von Metaphysik. Zu seiner Rezension der Träume vgl. Heinz (1995) 27– 42. KrV A 253/B 307.
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zu schließen, wir hätten statt eines „ganz unbestimmten Begriff[s] von einem Verstandeswesen als einem Etwas überhaupt außer unserer Sinnlichkeit […] einen bestimmten Begriff von einem Wesen, welches wir durch den Verstand auf einige Art erkennen könnten“⁶⁰, als „selbst gemacht[…]“⁶¹ abgetan werden. Nicht der dogmatischen Metaphysik ist demnach die Verwechslung von Begriff und Erkenntnis eines Gegenstandes vorzuwerfen; in dieser Sicht macht sich vielmehr die kritische Philosophie selbst eines „Mißverstands“ schuldig, indem sie das durch den Verstand Gedachte hypostasiert. Verleitet durch die Sprache realisiere sie die Kategorien zu Dingen besonderer Art und produziere so mit ihrem Konzept des Noumenon nichts anderes als ein „Blendwerk“⁶² oder „Gespenst“⁶³. Das ist die These des Metakritikers, die er belegen will, indem er dem Ursprung dieses Figments nachgeht: Woher nun entstand das abenteuerliche Mißverständnis, sich an Noumenen‚ ‘Vorstellungen ohne Gegenstand, Dinge an sich selbst‘ zu denken? Der Ursprung liegt klar am Tage. Da unser Verstand nämlich nicht anders als durch Merkmale, die er in Worten festhält, den Begriff fassen kann: so hat er die Macht, im erfaßten Begriff wieder ein Merkmal, Eins in Vielem, sich besonders anerkennbar zu machen, und durch ein Wort festzuhalten. Da dies in der Sprache nun als Begriff, mithin als Sache des Verstandes ausgedrückt werden muß: so nimmt es einen Namen oder gar das Bild einer Personifikation an⁶⁴
und kann nicht anders als durch einen Artikel bezeichnet werden. Um zunächst die zentralen sprachphilosophischen und logischen Aussagen dieser Diagnose zu klären, ist zu fragen: Was heißt es, dass der Verstand nur durch in Worten festgehaltene Merkmale als den Teilen von Begriffen den Begriff als ganzen fassen kann? Und wie ist es zu verstehen, dass die durch Teilung des Begriffs gefundenen Merkmale als Begriffe von Dingen auftreten, was sie aber nach Herder nicht sind? Zum Verhältnis von Merkmal, Wort und Begriff ist zunächst an die Sprachursprungsschrift zu erinnern, wo Herder das Merkmal – Blöken etwa – als Kennzeichen einer komplexen Vorstellung – Schaf – und zugleich als inneres Wort der Seele verstanden hatte.⁶⁵ Diese Lehre kehrt in der Metakritik wieder, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass hier – anders als in der frühen Schrift – die Sprache nicht als
Ebd. Herder-FHA 8.469. Ebd. 473. Ebd. 470. Ebd. Vgl. Herder-FHA 1.715–725.
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Produkt der Besonnenheit, der Reflexion oder des inneren Sinnes, sondern als „Verstandesausdruck“⁶⁶ konzipiert ist.⁶⁷ In der späteren genetischen Darstellung menschlicher Erkenntniskräfte tritt Sprache daher erst auf der Stufe des Verstandes auf: „Denken […heißt:] Innerlich sprechen, d.i. die [im inneren Sinn] innegewordnen Merkmale sich selbst aussprechen; sprechen heißt laut denken.“⁶⁸ Das rezeptiv angeeignete Merkmal wird erst als durch den Verstand gedachtes für den Verstand und steht für seine höherstufigen Operationen wie urteilen und schließen zur Verfügung. Das heißt für Herder indessen – anders als für Kant – nicht, dass es selbst die Form des Begriffs im Sinne eines analytischen Erkenntnisgrundes annimmt, sondern wie in der früheren Schrift, dass es zum Kennzeichen eines Begriffs gemacht wird und dazu dient, diesen „festzuhalten“⁶⁹. Das Verhältnis zwischen Merkmal und Begriff ist also – in kantischer Terminologie formuliert – so gedacht, dass der Teil des Ganzen als intuitiver Erkenntnisgrund der komplexen Gegenstandsvorstellung fungiert.⁷⁰
3 Sprache als Verstandesausdruck Auf diese Lehrstücke rekurriert Herders Versuch, die Genese des kantischen Konzepts von Noumenon ebenso wie auf das Charakteristikum der neuen metakritischen Lehre von der Sprache als Verstandesausdruck. Der Verstand ist wie alle Dinge der Natur Kraft, die sich selbst in Sinnlichem zum Ausdruck bringt: Die Kategorien, verstanden als „Handlungen des wirkenden Verstandes“ liegen nicht nur der Bildung von Begriffen zugrunde, „die gesamte Sprache [ist] ein Ausdruck des anerkennenden Verstandes“⁷¹. Das erweist die allgemeine philosophische Sprachlehre anhand der Isomorphie von Kategorien und Wortarten. Damit sind unbeschadet ihrer Differenzen Sprachen universal als Abdrücke (Typen) von Verstandesbegriffen (Kategorien) bestimmt.⁷² Der Verstand drückt „sich selbst ab in jedem Satz, in jedem Worte“⁷³. Dieses neue Verständnis von Sprache wendet Herder me Herder-FHA 8.404. Vgl. Heinz (2010). Herder-FHA 8.389. Vgl. ebd. 320. Vgl. FN 10; zu dieser Differenzierung vgl. Nachlass, Kant-AA 16.299 f., R 2286. Herder-FHA 8.427; Auf Herders Lehre von der Ektyposis der Verstandesbegriffe in unterschiedlichen Stufen und Bereichen von Erkenntnis wäre noch gesondert einzugehen. Vgl. ebd. 425– 427. Herder folgt hier offensichtlich Harris′ Lehre von der Universalgrammatik (Harris (1765)). Vgl. Herder-FHA 8.428. Ebd. 429.
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takritisch gegen Kant: Wenn jede vom Verstand gefasste Vorstellung in Worten so ausgedrückt wird, dass darin der Verstand sich zum Ausdruck bringt,⁷⁴ wird auch die von ihm anerkannte Vorstellung des Teils von einem Begriff als Produkt seiner Tätigkeit sprachlich als Begriff der Sache dargestellt, und d. h. sie tritt als Name, als ein Dinge bezeichnendes Substantiv, auf.⁷⁵ Diese Bezeichnungen suggerieren ihrerseits dann den „abgezogenen“ Begriffen entsprechende Gegenstände. Aus bloßen „Verstandeswesen“, den aus der Abstraktion hervorgehenden Teilen des Begriffs, entsteht aufgrund ihrer Benennung mit einem Nomen die Fiktion einer spezifischen Klasse ihnen konformer Gegenstände, die als neben oder unabhängig von Gegenständen der Erfahrung vorkommend vorgestellt werden:⁷⁶ Alle abgezogenen Begriffe also, d.i. die in Begriffen bemerkte und für sich als Begriffe vorgestellten Merkmale, haben die Gestalt von Gedanken- oder Verstandeswesen, die sie im rechten Sinne des Wortes auch sind, ob sie gleich damit nichts weniger als Vorstellungen ohne Gegenstand, Dinge an sich selbst werden. Nicht als Gegenstände, aber an Gegenständen sind und bleiben sie anerkennbar; je höherer Art und Ordnung sie sind, an desto mehreren erscheinen sie.⁷⁷
Einzuschärfen, dass solche abstrahierten Merkmale nur „an Gegenständen anerkennbar sind“, heißt zu fordern, dass ihre objektive Realität sichergestellt werden muss, indem sie als Bestimmungsgründe nicht nur der unter ihnen stehenden Begriffe, sondern auch der durch diese gedachten Gegenstände erwiesen werden. Diese Problemstellung teilt Herder mit Kant; worin seine den kritischen Lehren wiedersprechende Lösung besteht, ist noch zu zeigen. Verfolgen wir zunächst die Kritik am Konzept der Noumena weiter: Wenn Herder Kants vermeintlichen Versuch, durch Kategorien die Intelligibilität von Gegenständen zu sichern, und die damit einhergehende Hypostasierung dieser Begriffe aus den beschriebenen Irreführungen durch die Sprache erklären will, setzt er voraus, dass die Kategorien abstrahierte Teilvorstellungen eines – an Ge-
Vgl. ebd. 469, wo es heißt, Begriff und Verstandesvorstellung sei eins und dasselbe; wohingegen in dem Kontext der Noumenon-Kritik zwischen Merkmalen und Begriffen unterschieden wird. Vgl. zu Herders Begriff des Namens ebd. 403 u. 408. Auch in Bezug auf die von „Personen oder Sachen“ abgezogenen Begriffe moralischer Eigenschaften sei diese Irreführung zu bemerken: Sie würden „in [ihren] Merkmalen, mit dem Wort Tugend, Schönheit, Anständigkeit als ein Verstandeswesen gleichsam konstituier[t]“. (Herder-FHA 8.471) Das heiße jedoch nicht, dass sie damit als „Ding an sich, als ein […] Gegenstand neben dem Gegenstand realisiert“ (ebd.) werden dürften. „In Gegenständen, an Personen sollen sie mir erscheinen.“ (Ebd.) Ebd; Das ist eine Beirrung der Vernunft durch die Sprache, die Herder aus Bacons Lehre von den idola fori kennt; er zitiert eine Passage über die Marktidole aus dem Organon (vgl. ebd. 344, vgl. auch den Kommentar von Irmscher, Herder-FHA 8.1164).
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genständen erkannten – Begriffs sind. Dieser Auffassung, dass die „Begriffe des Verstandes“ wie alle „wahre[n] Gedanken“, […] nur an Gegenständen durch Anerkennung des Verstandes„⁷⁸ entspringen und an ihnen „erscheinen“, ist nämlich Herders Auffassung. Das Auszeichnende der Kategorien bestehe darin, als die höchsten Begriffe „allgeltend“ zu sein oder „allenthalben [zu] erscheinen“⁷⁹. Der Terminus erscheinen wird in Herders Ontologie verwendet, um die Darstellung der Kraft in ihren Wirkungen zu bezeichnen.⁸⁰ Seine Übernahme in der Lehre vom Begriff indiziert, dass der Begriff selbst als eine Kraft gedacht werden soll, die sich in konkreteren Begriffen und den durch sie erfassten Gegenständen darstellt. Das logische Verhältnis von Begriffen und Gegenständen, das besteht, sofern jene einen Umfang haben, wird also in Analogie zur Ontologie interpretiert. Und entsprechend wird das Verhältnis dieser Begriffe zueinander hinsichtlich ihres Inhalts so verstanden, dass der höhere Begriff der Potenz nach den niederen als den inhaltsreicheren in sich befasst. An dem niedrigeren – und an dem durch ihn bestimmten Gegenstand – kommt so gesehen zur Darstellung, was virtuell in jenem schon enthalten ist. Der Kardinalfehler der kritischen Philosophie besteht also Herder zufolge in der Kombination einer falschen Theorie des Begriffs mit einer sprachlichen Irreführung: Die Kategorien werden als apriorische Produkte des Verstandes, und d. h. für ihn als Abstrakta, isoliert von ihren möglichen Konkretisierungen – und von den durch diese niederen Begriffe bestimmten Gegenständen – in Anschlag gebracht. Es ist aber erst die Versprachlichung abstrakter Merkmale, durch die diese „Verstandeswesen“ hypostasiert werden. Diese Metaphysikkritik richtet Herder erstaunlicherweise gegen Kants kritische und die scholastische Metaphysik in Gestalt ihrer Universalien-Lehre gleichermaßen.⁸¹ Daraus ist zu entnehmen, dass es sich nicht um eine spezifisch auf Kants neue Lehre vom Begriff zielende Metakritik handelt, sondern um eine Kritik an Abstrakta als solchen. Dieser Diagnose liegt mithin eine auf die Verbindung von Abstraktion und Sprache abhebende allgemeinere Form von Sprachkritik zugrunde. Ihre zentrale These lautet: „in der menschlichen Sprache [tritt] das Allgemeine dem Besondern
Herder-FHA 8.469. Ebd. 471. Zum Gebrauch von „Erscheinung“ als Begriff für die Darstellung oder den Ausdruck der lebendigen Kraft in ihren Wirkungen, mit denen verbunden sie ein lebendiges Ganze bildet, vgl. vor allem Herders Gott. Im zweiten Gespräch werden diese Philosopheme aufgeboten, um Spinozas theologisch brisante Lehre vom Attribut der Ausdehnung – in Herders Sicht – zu verbessern.Vgl. z. B. Herder-FHA 4.714 f. Vgl. Herder-FHA 8.510–512.
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vor, obgleich jenes nur an diesem erkannt wurde“.⁸² Hier wird das an dem – als Besonderes figurierenden – Ding aufgefundene, in einem Wort festgehaltene Merkmal qua Teil der Gesamtvorstellung ausnahmsweise Kant vergleichbar als das Allgemeine bezeichnet, wohingegen Herder ansonsten die Begriffspaare Teil/Ganzes und Besonderes/Allgemeines in umgekehrter Weise wie Kant, also nicht invers, sondern parallelisierend so verbindet, dass Teil dem Besonderen und Ganzes dem Allgemeinen zugeordnet wird. In Bezug auf die Vorstellung des Universums und die in ihr unterschiedenen Merkmale etwa heißt es: „In allen unseren Erkenntnissen geht also ein Allgemeines [Universum] dem Besonderen [Merkmal] voraus.“⁸³ Sofern die Bestimmungen von etwas als Teil oder Ganzes relativ sind, kann eine Vorstellung je nachdem, ob sie als Ganzes in Hinsicht darauf betrachtet wird, dass sie selbst Teil eines größeren Ganzen ist oder ihrerseits als Einheit von Teilen in Anschlag gebracht ist, zugleich als Besonderes und als Allgemeines begriffen werden. Das muss hier als Vorbemerkung genügen, um den behaupteten Vorrang des Allgemeinen qua Teil in der Sprache weiter zu erhellen. „Nicht nur der Kürze und Erinnerung halben; der Sache und dem Begriff des Verstandes selbst nach sah man das Eine im Vielen und bauete damit auf eine große Grundlage, man rechnete, indem man benannte, den Teil dem Ganzen zu; nur so bildete sich die menschliche Sprache.“⁸⁴ Gemeint ist hier: Der Verstand erkennt das Eine, das Merkmal, in vielen verschiedenen Gegenständen und bezieht den gemeinsamen Teil, das Eine, schon mit der Namengebung auf das Viele, d. h. auf die Dinge als Ganze, zurück. Wie der kontrastierend zu „Vorstellen“ gebrauchte Ausdruck „Vortreten“ anzeigt, wird mit dieser durch den Verstand geprägten Sprachentstehung zugleich eine spezifisch sprachliche Form von Verdeckung hervorgebracht: „in ihrem Werkzeug, der Sprache, kommen ihr [der Vernunft] Allgemeinheiten vor, die, als ob sie schon geformte richtige Begriffe wären, von der Einbildungskraft in Worte gefasst, und vom Gebrauch mit einem falschen Ansehen beurkundet sind; trauet sie ihnen, so ist sie betrogen.“⁸⁵ Damit wird ein Unterschied zwischen sprachlich gegebener „Allgemeinheit“ und „richtige[m] Begriff“ geltend gemacht, der durch die Sprache verdeckt wird, insofern beide als Bedeutungen von Sprachzeichen auftreten.⁸⁶
Ebd. 509; vgl. dazu ebd. 508: Herder leitet aus den Existenzbedingungen des Menschen als eines ins Universum „geworfenen“ Wesens Charakteristika seiner Erkenntnisweise ab. In dieser anthropologischen Perspektive sucht er auch in ontogenetischer Perspektive die Vorgängigkeit des Allgemeinen zu erklären. (Vgl. ebd. 508) Vgl. Herder-FHA 8.508; vgl. ebd. 550. Ebd. 509. Ebd. 512. Die meisten Belege sprechen dafür, dass Herder die Trias Sache, Begriff, Wort traditionell so versteht, dass der Begriff eine „Kunde“ der Sache ist und das Wort dazu dient, den Begriff „fest-
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Wie aber ist diese Differenz genauer zu fassen, wenn hier ein formales Defizit der bloß sprachlich gegebenen Allgemeinheit gemeint ist?⁸⁷ Aufgrund ihrer Eigenschaften, Vieles bezeichnen und als Prädikat von vielem gebraucht werden zu können, ist durch Worte prätendiert, sie bedeuteten Allgemeines. Das von Bacon angesprochene Problem, dass Abstrakta möglicherweise überhaupt keine einheitliche Bedeutung haben, d. h. nicht auf eine identische Vorstellung referieren und daher nicht von allen benannten oder beurteilten Gegenständen dasselbe sagen, thematisiert Herder nicht.⁸⁸ Entscheidend für ihn ist der Gedanke, dass es sich auch im Falle, dass diese Bedingung erfüllt ist, nicht um ein Allgemeines qua Begriff handelt. Das hier zur Anwendung kommende Kriterium besteht darin, dass der Begriff traditionell als „Kunde“ oder Erfassung eines Gegenstandes definiert ist, woraus für Herder folgt, dass Begriffe Dinge als Ganze in ihrer Einheit von Kraft und Wirkungen darzustellen haben.⁸⁹ Wie später zu zeigen ist, ist es für Herder die Leistung des Vernunftschlusses, den Begriff als eine solche „Gedankengestalt“⁹⁰ vor Augen zu bringen. Diese Begriffstheorie schließt es aus, dass das an Vielem gefundene „Eine“, der ihnen gemeinsame Teil, Begriff sein kann. Die nur als Bedeutung von Sprachzeichen präsente „Allgemeinheit“ ist nach Herder ein unbestimmt Allgemeines⁹¹ im Sinne mangelnder Determination einerseits und der Ungewissheit ihres Gegenstandsbezugs oder ihrer objektiven Realität andererseits. Dieses Allgemeine steht zwischen wahrgenommenem Merkmal und Begriff: die Bedeutung eines Sprachzeichens besitzt bereits eine durch den Verstand zustande gebrachte Allgemeinheit, durch die sie sich von dem bloß rezeptiv aufgenommenen Merkmal des inneren Sinnes unterscheidet. Liest man ihre Kennzeichnung als „unbestimmt Allgemeines“ so, dass es sich um ein der Bestimmbarkeit Zugrundeliegendes, also um ein mögliches Bestimmtes handelt, wird klar, dass diese Semantik Bedeutungen von Worten als Keim oder Ansatzpunkt zur Bildung von Begriffen versteht. Ihre Allgemeinheit ist modallogisch gesehen sowohl potentielle Allge-
halten und reproduzieren“ zu können. (Ebd. 424) Wenn das Wort „Andeutung“, aber nicht „Abdruck“ des Begriffs ist, (ebd.) wird damit auch die übliche Auffassung der Arbitrarität der Sprachzeichen bestätigt. Vgl z. B. Herder-FHA 8.513. Herder sieht es als unproblematisch an, dass die Bezeichnung von Dingen in der Regel nach subjektiv auffälligen Merkmalen, und nicht nach „wesentlichen“ erfolgt, solange sie irgendein Merkmal der Sache erfassen. (Vgl. ebd. 404) Vgl. Bacon, Novum Organon, 1. Buch, Aphorismus 60: Das einheitliche Sprachzeichen suggeriert, dass ihm etwas Allgemeines entspricht, d.i. eine allen durch es bezeichneten Gegenständen gemeinsame Vorstellung; diese aber gibt es z. B. im Falle von „feucht“, einem aus „unverständiger Abstraktion“ hervorgegangenen Merkmal, nicht. Vgl. Herder-FHA 8.470 u. 472 f. Ebd. 593, Vgl. ebd. 510.
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meinheit im Sinne der möglichen ganzen Gegenstandsvorstellung als auch abstrakte Allgemeinheit qua Teil. Die mit der Sprache einhergehende Verdeckungstendenz besteht darin, dass sich das bloß abstrakte Allgemeine qua Teilvorstellung durch den Gebrauch der Sprache zur Benennung von Gegenständen und zur Prädikation über sie als veritables Allgemeines im Sinne des Begriffs ausgeben kann.⁹² Für den Vergleich mit Kants Begriffslehre ergibt sich daraus, dass Herder den Begriff im kantischen Sinne in die Semantik der Sprache schiebt, indem er das Allgemeine qua An Berkeleys und Humes Position in dem von Locke ausgelösten Streit um abstrakte Ideen ist die Auffassung angelehnt, dass den Sprachzeichen keine abstrakten Ideen entsprechen. Zu Locke vgl. Essay, Book IV, Ch. 7, § 9. Zu Berkeleys Kritik an Locke vgl. Treatise, Introduction §§ 12–16. Zur Vorbereitung seiner Metakritik hatte sich Herder verstärkt mit Berkeley befasst; vgl. die lobenden Erwähnungen Berkeleys in Herder-FHA 8.449, 463, 470, vor allem 602; vgl. Haym (1987) 722 u. 727. Ein direkter Beleg für Herders Zustimmung zur Position Humes findet sich in seiner Kritik an Kants Lehre vom Schematismus. Er zitiert aus den Philosophical Essays Concerning Human Understanding (1748) Humes Einwände gegen abstrakte Ideen, etwa von einem allgemeinen Dreieck, und seinen Spott über die Absurditäten der scholastischen Konzepte von „abstraction and general ideas“ (Herder-FHA 8.415). Eine wichtige Referenz ist auch Bacons Kritik an den Abstraktionen des menschlichen Verstandes und seine Lehre von den idola fori, nach der die Namen nichtexistierende Dinge vorgaukeln können und das Denken zu falschen Schlüssen verleiten. Vgl. Bacon, Novum Organon, 1. Buch, Aphorismen 59 f.; vgl. auch Herders Lob Bacons für seine Untersuchungen zu den Schwierigkeiten, die Metaphysik als Wissenschaft zu begründen (Herder-FHA 8.341). Am nächsten aber liegt Herders Sprachkritik die Vernunftlehre des Reimarus, die in der Metakritik zusammen mit anderen seiner Schriften als Heilmittel gegen die kritische Philosophie empfohlen wird. Vgl. ebd. 537, A. 10. Nach Reimarus entstehen „abgesonderte“ Begriffe aus der Reflexion auf die Ähnlichkeit der Dinge. (Vgl. Reimarus, Vernunftlehre (1779) § 40) Die Vorstellung der Ähnlichkeit ist das vielen ansonsten verschiedenen Dingen Gemeinsame, das, was „allen gemein ist“; daher sind abgesonderte Begriffe „allgemeine Begriffe“. (Ebd. § 54). Der allgemeine Begriff ist „nur mit einem Theile der besonderen Begriffe einerley“. Daraus erhellt, dass das, was der abgesonderte Begriff vorstellt, zwar als in den einzelnen Dingen „wirklich“ gedacht werden kann, aber als Resultat der Absonderung ist er eine „Erdichtung“, d. h. das in ihm Vorgestellte kann selbst nichts Wirkliches sein, wenn denn alles Wirkliche durchgängig bestimmt ist. (Vgl. ebd. § 58) Für Herder ist Reimarus′ Lehre vom allgemeinen Begriff in mehrfacher Weise wichtig: Zum einen hat Reimarus bereits die metaphysikkritischen Konsequenzen dieser Begriffstheorie aufgezeigt, die in der angeblich von Aristoteles und anderen „Schulweisen“ vorgenommenen Hypostasierungen allgemeiner Begriffe bestehen (ebd. § 97, vgl. auch ebd. § 95). Zum anderen hat Reimarus diese Begriffslehre mit einer Sprachtheorie verbunden: Es ist notwendig, das in der menschlichen Anschauung liegende „immer geschäfftig[e]“ Streben, alles auf einmal vorzustellen, also eine gegebene Teilvorstellung zu einer kompletten Dingvorstellung zu ergänzen, einzuschränken, damit die abgesonderte Vorstellung als solche, ohne Beimischung des ihr Fremden, festgehalten werden kann. „Damit nun alles Verschiedene gänzlich von der Vorstellung ausgeschlossen würde, haben die Menschen Wörter erfunden“. (ebd. § 41) Schließlich kritisiert Reimarus, der die Vorteile der abgesonderten Begriffe wie Herder zu schätzen lehrt (vgl. ebd. § 59), die übertriebenen Abstraktionen; sie können zur Unkenntlichkeit, also Verdunklung der Dinge führen, oder aber ins Extrem getrieben zur Aufhebung jeder Bestimmung, sodass nichts als das „leere Wort“ übrigbleibt. (ebd. § 97).
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Teilvorstellung als inneres Wort bestimmt, sodass seine Vielgültigkeit nicht mehr der Form des Begriffs als solchen zugeschrieben werden kann, sondern allein auf seinem Gebrauch in der Sprache beruht und die daher als bloße Prätention beurteilt wird.
4 Die positive Allgemeinheit der Sprache In Herders genetischer Untersuchung kommt es aber nicht nur darauf an, die negative, sondern auch die positive Funktion der unvollkommenen „Allgemeinheiten“ der Sprache für die Erkenntnis zu bestimmen: Sie ermöglichen den Übergang von der Wahrnehmung eines Merkmals am Gegenstand und seiner Aneignung im inneren Sinn zu dem durch die Vernunft zu erbringenden Nachweis, dass es zusammen mit anderen rational gegliederte, logisch konsistente Gegenstandsvorstellungen bildet. In dieser Perspektive analysiert Herder auch die Fehlformen menschlicher Vernunftentwicklung: Bleibt sie dabei stehen, vermittelst der „Phantasie […] sich das Allgemeine durch ein Bild oder ein anderes Symbol zur Einheit“ zu bringen⁹³ handelt die Vernunft mit „Puppenworte[n]“⁹⁴ und verfängt sie sich in ihrem Kindheitsstadium. Indessen bringe der Fortschritt menschlicher Vernunft, der in der Verdeutlichung durch fortschreitendes Teilen von Begriffen besteht, neue Gefahren der Irreführung mit sich. „Indem man weiter und weiter Merkmale teilte und ihnen die Allgemeinheit lieh, ohne die man nicht prädizieren kann, so entstanden Schatten nach Schatten; man schritt rückwärts, indem man vorwärts zu kommen glaubte.“⁹⁵ Die Bildung immer abstrakterer Teilvorstellungen und deren Versprachlichung verleite die Philosophie zu verfehlten Versuchen, ihren Mangel als einer Vorstellung ohne gesicherten Gegenstandsbezug zu kompensieren: Entweder werde verleitet durch seine Bezeichnung mit einem Nomen der Teil verselbständigt, d. h. selbst zu einem Ding hypostasiert, wie es bei den Noumena und Universalien der Fall sei; oder man unterlege die abstrakte Teilvorstellung mit einer anschaulichen Vorstellung des Gegenstandes, die sich bei Licht betrachtet allein aus den Bildern und Nebenbedeutungen ihrer sprachlichen Bezeichnung speisen würden. Diesen Vorwurf erhebt Herder gegen Kants Lehre vom transzendentalen Schematismus der Kategorien: Vermittelst der allein an Worten haftenden Bildvorstellungen Versinnlichungen der Kategorien ersonnen zu haben.⁹⁶ Dem setzt er seine eigene Konzeption von einem Metaschematismus der Gedanken entgegen,
Herder-FHA 8.514. Ebd. 512. Ebd. 510. Vgl. ebd. 422–426.
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dem sich die Sprache als die angemessene Form der Versinnlichung von Kategorien in Raum und Zeit in Gestalt der Wortarten als ihren Abdrücken⁹⁷ und allgemeiner noch die Sprache als System von Zeichen mit allgemeiner Bedeutung im oben erläuterten Sinne verdanken sollen. Nun ist aber – wie gezeigt – diese Art der Versinnlichung zugleich eine Quelle von Irrtum und Schein für den menschlichen Verstand als solchen, insbesondere aber für die Philosophie. Diesem Ergebnis des ersten Teils der Metakritik trägt der zweite, „Vernunft und Sprache“⁹⁸ überschriebene, durch eine originelle Vernunftlehre Rechnung, indem die Vernunft zur Richterin über „alle Abstraktionen“ als die in der Sprache aufbewahrten Ergebnisse menschlicher Erkenntnisbemühungen erhoben wird.⁹⁹ Ihre Aufgabe ist es, die in der Sprache auftretenden „Allgemeinheiten“ daraufhin zu prüfen, ob sie sich in einen „richtige[n] Begriff“ von der Sache überführen lassen. Hier erst kommt die angedeutete Konzeption des Begriffs, die dem traditionellen Prinzip der Homologie zwischen Subjekt und Objekt folgt, zur Entfaltung.Wie bereits angesprochen, soll die Struktur des Begriffs der des Dinges als einer in ihren Wirkungen lebenden, durch sie sich individuierenden Kraft entsprechen.¹⁰⁰ Es kommt daher erstens darauf an, die als Bedeutungen von Sprachzeichen gegebenen isolierten Merkmale mit dem Ganzen, dessen Teil sie sind, zusammenzuführen, um damit dem Begriff des Begriffs zu entsprechen. Der Vernunftschluss leistet aber nach Herder auch insofern eine adäquate Darstellung des aus Kraft und Wirkungen bestehenden Gegenstandes, als er diese Struktur in einer analogen „Gedankengestalt“¹⁰¹ von Prinzip und Folgen zum Ausdruck bringt. Wird der Begriff in Analogie zu den Dingen der Natur als lebendige Kraft verstanden, wird – wie gesehen – sein „Erscheinen“ an vielen verschiedenen Dingen bzw. Vorstellungen der klassischen Logik entgegen so gedacht, dass er selbst das Eine ist, in dem die vielen verschiedenen Dingvorstellungen virtuell enthalten sind und daher selbst ein potentielles Allgemeines oder Ganzes ist¹⁰² Der höhere Begriff ist so als Kraft oder als Prinzip der Gliederung seiner selbst in eine Mannigfaltigkeit von Teilen angesetzt. Dieje-
Vgl. vor allem Herder-FHA 8.419. Zu Herders Lehre vom Metaschematismus im Anschluss an Hamann vgl. auch Über Bild Dichtung und Fabel, insbes. Herder-FHA 4.635 f.; dazu Clairmont (2016). Das in der Metakritik dargestellte der Sprache zugrundeliegende mehrstufige Verfahren von Typisierung und Schematisierung kann hier nicht genauer entfaltet werden. Vgl. dazu die in FN 24 genannte Arbeit. Vgl. Herder-FHA 8.491. Ebd. 594. Vgl. ebd. 471. Ebd. 593. Vgl. Herder-FHA 8.337, 422, 502, 509.
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nigen Inhalte, die zu dem Ausgangsbegriff hinzukommen müssen, um zu einer individuellen Dingvorstellung zu gelangen, sind nach Herder nicht durch Analyse einer dem Verstand apriori gegebenen notio completa, sondern nur aus der Erfahrung zu gewinnen.¹⁰³ Der Vernunft obliegt es, diese empirischen Merkmale in die rationale Erkenntnis eines Dinges zu überführen, indem diese im Schluss zugleich logisch geordnet und zur Bestimmung des Dinges verwendet werden. Dieses Verfahren bezeichnet Herder auch als Analysis,¹⁰⁴ insofern nämlich eine in der Erfahrung gegebene Vorstellung des Dinges auf ihre logischen Bedingungen zurückgeführt wird. In anderer Sicht heißt das, dass im Schluss durch den höheren Begriff das Prädikat dem Subjekt „zu[ge]führt“ wird.¹⁰⁵ Nach Herders Interpretation macht der Schluss die Teile des höheren Begriffs, gestützt auf Erfahrung und Sprache, deutlich und resultiert in einem „richtigen“ Begriff. Damit aber wird klar, dass für ihn – Wolff folgend – allein der im Schlussverfahren geleistete Aufweis der inneren logischen Ordnung des Begriffs die Bestimmbarkeit des Subjekt- durch den Prädikatbegriff und damit die objektive Gültigkeit des resultierenden Begriffs verbürgt.¹⁰⁶ Diese Restitution der Logik als Garant objektiver Realität von Begriffen stellt Herder Kants Lehre von der Bedeutung und objektiven Realität des Begriffs durch Versinnlichung bzw. durch das Gegebensein von ihm entsprechenden Gegenständen in der empirischen Anschauung entgegen. Der spekulative Ertrag dieser Lehren von Begriff und Schluss für Herders spinozistische Lebensphilosophie besteht in der Idee einer der lebendigen All-Einheit von Gott und Natur konformen logischen Totalität, die sich wie jene „organisch“ in Ganze gliedert. Die Totalität des Universums ist dasjenige Allgemeine qua Ganzes, das sich in Begriffe als den ihm gegenüber Besonderen in das „niedere“ Allgemeine von Dingvorstellungen gliedert. Herder denkt diese Totalität nicht wie später Hegel als absolute Idee, die sich selbst in ihren Bestimmungen dialektisch zur Entfaltung bringt; vielmehr sind es die menschlichen Vermögen Verstand und Vernunft, die die dem Menschen mitgegebene Vorstellung der Totalität des Universums aufgrund von Erfahrungen partikularisieren und dieses Partikulare wiederum auf tieferer Stufe totalisieren.¹⁰⁷ Es kommt darauf an, dass die Vernunft „im Allgemeinen [Ganzen] das Besondere [Teil] finde“¹⁰⁸; diese Teile, die in der Sprache festgehaltenen Merkmale, hat sie wiederum als virtuelle Totalität zu begreifen, indem sie sie
Vgl. ebd. 425 f. Vgl. ebd. 336. Ebd. Vgl. Wolff, Philosophia Rationalis Sive Logica, § 513, Wolff-GW II/1.2.392 f. Zu den Begriffen partikularisieren und totalisieren vgl. etwa Herder-FHA 8.550–554. Ebd. 594.
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hinsichtlich ihrer möglichen Besonderungen entwickelt.¹⁰⁹ „Das menschliche Erkenntnisvermögen hat nur Eine, diese Kraft, im Allgemeinen [Ganzen] ein Besonderes [Teil] zu erfassen, dies Besondere im Allgemeinen [Ganzen qua Ding] anzuerkennen. Jenes in Diesem. Dieses in Jenem zu sehn, und Eins auf das Andre zurückzuführen.“¹¹⁰ Nachzutragen ist, dass die Vernunft ihr Werk notwendigerweise durch die und in der Sprache „vollendet“¹¹¹. Die Resultate ihrer Prüfung werden erneut sinnlich zur Darstellung gebracht, indem sie – wie es in Anlehnung an Kants Lehre von der Mathematik heißt – auch vermittelst der Ektyposis des Verstandes in der Sprache konstruiert werden.¹¹² Die natürliche Sprache enthält demnach sowohl ungeprüfte Allgemeinvorstellungen als auch „richtige Begriffe“, ohne sich aber jemals durch Analysis zu einer charakteristischen Vernunftsprache erheben zu können.¹¹³ In Herders Denken ist die Vernunft also in doppelter Weise an die Versinnlichung von Gedanken in der Sprache gebunden: Sie kann sich nur an den in ihrem „Fundbuch“¹¹⁴ aufbewahrten Ergebnissen der Erfahrung betätigen und wird daher selbst durch diese Vorgaben bestimmt und begrenzt. Indem die aus ihrer Prüfung hervorgehenden Erkenntnisse wiederum nur in der natürlichen Sprache zum Ausdruck kommen, bleibt sie deren Unvollkommenheiten unaufhebbar ausgesetzt. Die Souveränität der Vernunft über ihr Organon ist daher prinzipiell eingeschränkt: „Keine menschliche Charakteristik bezeichnet wesentlich und vollständig.“¹¹⁵ Entscheidend für Herders Metakritik ist indessen der positive Ertrag dieser Verflochtenheit von Vernunft und Sprache, den er darin erkennt, dass vermittelst der sprachlichen, und d. h. sinnlichen Präsenz menschlicher Gedanken in Raum und Zeit die Menschheit als kollektives Vernunft-Subjekt konstituiert wird. Von daher interpretiert er den Titel Vernunft als „Kollektivname dessen, was in mehreren Menschen die Vernunft als Erkenntnisvermögen hervorgebracht und zusammengetragen hat“¹¹⁶. Damit geht die Skepsis gegenüber jener Art von Philosophie einher, in der einzelne Denker mit der „Anmaßung“¹¹⁷ auftreten, mit ihren Systemen die kanonische Fassung der „allgemeine[n] Menschenvernunft“ erbracht
Vgl. ebd. 551. Ebd. 550. Vgl. ebd. 320. Vgl. ebd. 520 u. 425 f. Vgl. ebd. 404. Ebd. 320. Herder-FHA 8.404. Vgl. ebd. 595. Ebd. 313.
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zu haben. Nach Herders Verständnis von Metaphysik als Nachphysik¹¹⁸ können sich die Fortschritte dieser Wissenschaft nur im Zuge fortgehender Aufklärung der Menschheit einstellen:¹¹⁹ Zunehmende Erfahrung zusammen mit deren rationaler Durchdringung sollen eine „reicher und heller“ werdende „Verstandessprache“ und eine die erkannten logischen Verhältnisse von Grund und Folge „genaueste[ns]“ zum Ausdruck bringende „Vernunftsprache“¹²⁰ ermöglichen.
5 Reinholds Metakritik einer sprachvergessenen Logik Der Untersuchung von Reinholds Metakritik liegt sein Versuch einer Critik der Logik aus dem Gesichtspunkt der Sprache (1806) zugrunde. Dieser mit einem Zitat aus Herders Fragmenten überschriebene und mit einer Hommage an Herder endende Traktat¹²¹ stimmt mit dessen metakritischem Anliegen in wesentlichen Punkten überein: Auch Reinhold beabsichtigt eine Revision der Resultate von Kants Kritik der reinen Vernunft, die die Vernunft als Vermögen von Schein und Irrtum freispricht, um diese Anklage gegenüber der von Kant und nach Kant ausgeprägten Gestalt der Vernunftwissenschaft zu erheben. Der Gegenwärtige Versuch critisiert nicht die Vernunft, sondern nur die Lehre von derselben. Es wird aus ihm von selbst hervorgehen, daß und warum zwar die Vernunft über alle Critik
Vgl. ebd. 340 f. Vgl. ebd. 340–342. Ebd. 425 f. Vgl. Über die neuere deutsche Literatur. Erste Sammlung von Fragmenten, Herder-FHA 1.423–431, zu Herders im Anschluss an Kants Preisschrift Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral entwickelter Idee einer anhand der Sprache durchzuführenden analytischen Methode in der Philosophie vgl. in der ersten Auflage der Fragmente, 3. Sammlung; vgl. auch die weitergehenden Ausführungen dazu in der völlig umgearbeiteten 2. Auflage der 1. Sammlung, ebd. 548–649, vor allem 631 ff. zur „wahren Sprache der Philosophie“ (ebd. 631).Vgl. in der 1. Aufl. noch die 1. Sammlung, Fragmente 4–7, ebd. 177–199. Zu Herders Sprachphilosophie vgl. die Darstellung von Simon (2016) mit weiteren Literaturhinweisen. Das Zitat findet sich in HerderFHA 1.736. Zu Reinhold und Herder vgl. Bondeli (1997). Dass Reinhold sich auf die Fragmente statt auf die Metakritik bezieht, ist ein Hinweis auf seine Vorbehalte gegenüber dieser Schrift. Dafür spricht sowohl Reinholds Brief an Fichte vom September 1799 (Fichte-AA III/4.82–84), als auch seine Bardili gegenüber geäußerte Verwunderung über die Widmung seines Grundrisses der Logik auch an Herder.Vgl. dazu den 1. Brief an Bardili in Beiträge Übersicht H 4 und nicht zuletzt seine Zustimmung zu Jacobis Diagnose, es fehle noch immer an einer Kritik der Sprache, die eine Metakritik der Vernunft sein würde. Vgl. Synonymik, VII; Allwills Briefsammlung, Jacobi-W 6/1.241.
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erhaben, aber die Lehre von derselben aus Allem, was der Critik fähig und bedürftig ist, das Fähigste und Bedürftigste ist.¹²²
Reinholds Kritik der Metaphysik nimmt den Weg über eine „Kritik der Logik aus dem Gesichtspunkt der Sprache“, die schließlich eine von allem Streit befreite ontologische Logik zum Ergebnis haben soll: Eine Vernunftwissenschaft, die er von der Methode her als Analysis charakterisiert und deren Überlegenheit gegenüber Kants kritischer Philosophie selbstgewiss behauptet wird. Sie sei „die ergründete und ergründende, von Widersprüchen, Doppelsinnigkeiten, fehlerhaften Cirkeln, und Tautologien gesäuberte, und in soferne allein reine, Vernunftlehre, der Canon der Logik, und das Organon der vernünftigen Erkenntniß, welche zugleich die Erkenntniß des Vernünftigen ist.“¹²³ Reinhold entwickelt die Programmatik seines Versuchs einer Critik der Logik im Ausgang von Befunden zum kritischen Zustand der Philosophie seiner Zeit: Die Logik stehe im Ansehen einer unstreitigen, allgemeingeltenden und allgemeingültigen Wissenschaft, die sich auch in den Augen Kants seit Aristoteles gleich geblieben sei und wegen ihrer schon seit der Antike erreichten Perfektion als keiner Veränderung bedürftig beurteilt werde.¹²⁴ Aller Streit in der Philosophie finde auf dem Feld der Metaphysik als Gegenstandserkenntnis im Unterschied zur Logik als Erkenntnis der reinen Formen des Denkens statt. Der Status der Einstimmigkeit in der Logik wird nicht als Indiz für Konformität mit dem Vernünftigen, sondern als trügerisch gewertet. Einhelligkeit der Logik und Zwietracht der Metaphysik sind nach Reinhold die zusammengehörenden Seiten jenes Missstandes in der Vernunftwissenschaft, der in der verfehlten Trennung von Formalität und Materialität des Denkens begründet liegen soll. Entsprechend zielt die Kritik der Logik auf eine Neubegründung der Philosophie als solcher.¹²⁵
Vgl. Critik der Logik,Vorbericht, III. Offensichtlich spielt Reinhold auf Herders Metakritik an, die gegen Kants Kritik der reinen Vernunft geltend gemacht hatte: „Ein Vermögen der menschlichen Natur kritisiert man nicht […]. Künste, Wissenschaften, als Werke der Menschen betrachtet, kritisiert man“. (Vgl. Herder-FHA 8.318). Vgl. Critik der Logik, 47. Vgl. KrV B VIII, vgl. Critik der Logik, 1. Natürlich ist Bardilis Grundriß der ersten Logik aus dem Jahr 1800 das Vorbild für diese Einschätzungen.Vgl. Critik der Logik, 23 f. zur Lage der Philosophie seit Kant und zur Positionierung des Versuchs der Critik der Logik darin. In diesem Szenario erscheint die beabsichtigte Neuausrichtung der Philosophie auch als unbeabsichtigte Wirkung von Kants kritischer Philosophie und der in ihr liegenden Kräfte der Zerstörung. Kant, indem er die Logik als unstreitig und unveränderlich dargestellt habe, verfestigte damit nur die Verdeckung ihrer Mangelhaftigkeit und forcierte so indirekt den Streit in der Metaphysik. So provozierte sein Denken eine Zuspitzung des Strittigen, die schließlich die Aufmerksamkeit auf die Logik und ihre Defizite zu lenken erforderlich machte. Das
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Wie aber ist es zu verstehen, dass diese weitreichende Kritik der Logik aus dem Gesichtspunkt der Sprache zu erfolgen hat? Dazu erklärt Reinhold, sich von dem vermögenspsychologischen Fundament der kantischen Philosophie und seiner eigenen Elementarphilosophie ebenso wie von Hegels spekulativer Logik abgrenzend: Die Critik der Logik hat die allgemeingeltenden Denkgesetze, oder Denkformen, zu untersuchen, denen sowohl der empirische Psycholog seine empirischen, als auch der spekulative Philosoph seine nicht empirischen Ansichten unterwirft, und schon unterworfen hat, wenn er dieselben zum denkenden, deutlichen, sprechenden Bewußtseyn bringt. Sie […] beschränkt sich lediglich darauf, dieselben [logischen Gesetze] vermittelst der Worte und Formeln, durch welche ihr Bewußtseyn vermittelt wird, zu prüfen. Sie hat zu erforschen: Ob, und in wieferne, die Worte und Formeln, durch welche die logischen Gesetze, oder Formen, ausgesprochen und bekannt sind, von Sprachverwirrung, Tautologie und Vieldeutigkeit, frey sind oder nicht? und ob, und inwieferne, nicht etwa die immer allgemeiner geltende Leerheit, Gehaltlosigkeit, blosse Formalität jener Gesetze und Formen zum Theil wenigstens eine Folge der Tautologie und Vieldeutigkeit des Ausdrucks derselben sey?¹²⁶
Diese Ausführungen enthalten nicht nur eine Behauptung über die Bedingtheit der Spekulation und Psychologie durch die logischen Grundgesetze und ihre daraus folgende Nachordnung unter diejenige Wissenschaft, die diese zum Gegenstand hat, sondern auch die These, die „blosse Formalität“ der Logik, die allgemein als das Spezifikum dieser Wissenschaft gilt, sei eine Folge ihres fehlerhaften Ausdrucks in der Sprache. Das Ziel dieses Versuchs einer Critik der Logik besteht also darin, durch Sprachkritik die Verkehrtheit der herrschenden Logik-Auffassung nachzuweisen und diese aufzuheben. Den Dreh- und Angelpunkt dieses Projekts bilden die zunächst nur impliziten Thesen über die Abhängigkeiten zwischen Sprache und Bewusstsein einerseits, und der in der Logik verhandelten Sache andererseits, die vorläufig als „vernünftige Erkenntnis des Vernünftigen“ bezeichnet wurde. Dass die in der Logik zu leistende Erkenntnis der logischen Gesetze nur „vermittelst der Worte und Formeln“¹²⁷ möglich ist, „durch welche ihr Bewußtseyn vermittelt wird“, erklärt Reinhold zunächst mit dem Hinweis auf die angebliche communis opinio: Noch niemand habe geleugnet, dass das
hat zur Folge, dass nun das Schema einer in Logik und Metaphysik gespaltenen Vernunftwissenschaft als solches verlassen wird, womit sich das darauf beruhende kritische Denken in letzter Konsequenz selbst vernichtet. Critik der Logik, 7. Zum Begriff ‚Formel‘ vgl. Herders Metakritik, Herder-FHA 8.423: „Gewohnte Wortformen nennet man Formeln; hüte man sich vor ihnen, sobald sie unübersehlich-lang sind oder unverständliche Worte enthalten.“
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Denken in unserm Bewußtseyn durch das Sprechen bedingt ist, daß unser denkendes Vorstellen als solches ein Benennendes ist, daß alle unsre Gedanken insoferne Bedeutungen von Worten seyn müssen, und daß Alles, was von uns nicht etwa nur angeschaut oder empfunden […], sondern wirklich und eigentlich gedacht werden soll, insofern zum Behuf – nicht nur der Mittheilung für andere Menschen – sondern auch unsres selbsteignen Bewußtseyns, und in demselben, ausgesprochen werden muß.¹²⁸
Dass Gedanken, die bewusst sind, Begriffe also, Bedeutungen von Worten sind, ist tatsächlich eine traditionelle, auch von Wolff¹²⁹ und Kant geteilte Ansicht. Wenn es aber – zugeschnitten auf das Thema dieser Schrift – heißt: „Wir kennen diese [die logischen] Gesetze nur in dem Verhältnisse deutlich, in welchem wir sie durch Sprache nicht blos obenhin anzudeuten, sondern genau und richtig zu bezeichnen, wirklich zu benennen vermögen, und der gesammte Inbegrif von Erkenntnissen, welcher den Inhalt der Logik selber ausmacht, kann nur in den bestimten Bedeutungen der Worte und Formeln bestehen, durch welche jene Gesetze oder Formen für unser Bewußtseyn ausgedruckt werden“¹³⁰, wird klar, dass Reinhold, sich gegen die übliche Auffassung von der Arbitrarität der Sprachzeichen wendend, die Norm postuliert, dass Sprachzeichen mit der Sache übereinstimmen müssen. Daraus ergibt sich die Aufgabe einer sprachkritischen Untersuchung der Logik, die die Termini daraufhin prüft, ob sie mit „Unbestimtheiten und Widersprüchen behaftet“ zum „Verhüllen“ und „Verkennen“ ihrer Gesetze gedient haben.¹³¹ Diese Erläuterungen zum Zusammenhang von Denken und Sprache haben einen proleptischen Status, der jedoch hinreichend ist, um das kritische Projekt in Angriff nehmen zu können. Erst aufgrund seiner Resultate wird es möglich zu begründen, wie eine solche Adäquatheit der Sprache zustande zu bringen ist, und warum sie notwendig ist. Das leistet erst der die Analysis des logischen Grundverhältnisses präsentierende letzte Abschnitt.¹³²
Critik der Logik, VIf. Wolff widmet in seinen Vernünftige Gedanken, „dem Gebrauche der Wörter“ ein eigenes Kapitel. Siehe Wolff-GW I/1.151: „Durch die Wörter pflegen wir andern unsere Gedancken zu erkennen zu geben. Und also sind sie nichts anders, als Zeichen unserer Gedancken“. Dass ein Wort eine Bedeutung hat, erklärt Wolff so: dass „mit einem jeden Worte ein gewisser Begrif verknüpft werden, und folglich allezeit etwas seyn [muss], welches durch das Wort angedeutet wird.“ Auch für Kant sind Begriffe Bedeutungen von Worten. (Vgl. KrV B 140; ebd. A 728/B 756) Critik der Logik, VII. Ebd. IX. Ebd. 45 ff.
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6 Reinholds Argumentation in der Critik der Logik Eine Skizze von den entscheidenden Schritten der Argumentation muss hier genügen: 1. Im ersten Hauptpunkt Critik der logischen Grundlehre stellt Reinhold die logischen Gesetze in der Absicht vor, das entscheidende Defizit dieser Wissenschaft freizulegen. Das Ergebnis lautet: Es fehlt die Einsicht in den tragenden Grund der Logik, stattdessen herrscht eine „tiefeingewurzelte allgemeinverbreitete Verworrenheit der Vorstellung und Darstellung von dem Grundgesetz des Denkens, oder dem logischen Grundverhältniß“.¹³³ Entscheidend für alles Weitere ist die Herausstellung der sog. „logischen Uebereinstimmung“ als das „Grundgesetz oder die Grundform des Denkens“¹³⁴: „Der eigenthümlichste und allgemeinste Charakter des Denkens ist diejenige Uebereinstimmung, deren Aufhebung oder Verneinung der Widerspruch heißt.“¹³⁵ Das gilt auch vice versa: Übereinstimmung ist dasjenige Verhältnis, das einen Widerspruch aufhebt. Indessen ist für Reinhold die durch Negation des Widerspruchs gewonnene logische Form qua Übereinstimmung als das „Grundgesetz, oder die Grundform des Denkens“ noch unterbestimmt.¹³⁶ Durch Abgrenzung des Begriffs Widerspruch von anderen Arten der Nichtübereinstimmung gewinnt Reinhold negative Kennzeichnungen, um daraus zu schließen, worin die als Aufhebung des Widerspruchs gedachte Übereinstimmung nicht bestehen kann, indem er die nicht für den Widerspruch negierten Arten Widerstreit und Verschiedenheit, Ungleichheit und Nichtidentität in diese Operation des Aufhebens einbezieht, obwohl sie eben den Widerspruch nicht bestimmen.
Ebd. 24. Ebd. 10. Ebd. 9. Tatsächlich wird der Begriff Übereinstimmung in der Logik der Zeit als definiens von logischer Wahrheit gebraucht. So heißt es etwa in Meiers, Logik, § 15: „Es besteht demnach die logische Wahrheit der Erkenntniss (veritas cognitionis logica), in der Übereinstimmung derselben mit ihrem Gegenstande, und die logische Unrichtigkeit derselben (falsitas cognitionis logica) darin, wenn sie mit ihrem Gegenstande nicht übereinstimmt“ (Ebd. §. 95. 96. 97) In Reimarus′ Vernunftlehre sind – anders als bei Wolff – die Regeln der Einstimmung und des Widerspruchs die Grundprinzipien der Vernunft, aus denen alle anderen hergeleitet werden können. (Vgl. Reimarus, Vernunftlehre (1979) § 14; Engfer (1980) 41 f.; zu Reinholds Kritik an Reimarus siehe Westerkamp (2008) 217. In Kants Logik heißt es zur Bestimmung von Übereinstimmung und bloß logischer Wahrheit (Logik, Kant-AA 9.51): „[…] die formale Wahrheit besteht lediglich in der Zusammenstimmung der Erkenntniß mit sich selbst bei gänzlicher Abstraction von allen Objecten insgesammt und von allem Unterschiede derselben. Und die allgemeinen formalen Kriterien der Wahrheit sind demnach nichts anders als allgemeine logische Merkmale der Übereinstimmung der Erkenntniß mit sich selbst oder – welches einerlei ist – mit den allgemeinen Gesetzen des Verstandes und der Vernunft.“
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Wenn die nicht geltenden Arten von Nichtübereinstimmung aufgehoben werden, ergeben sich natürlich keine positiven Bestimmungen der Übereinstimmung, sondern wiederum negative. Indem Reinhold diese erneut reflektiert, resultiert eine komplexere Bestimmung von Übereinstimmung als einer mit Differenz verbundenen Identität. Die logische Übereinstimmung, weil sie nur den Widerspruch aufhebt oder verneint, kann weder in derjenigen Einstimmung, welche dem Widerstreite, noch in der Ähnlichkeit, welche der Verschiedenheit, noch in der Gleichheit, welche der Ungleichheit, noch in der blossen Identität, welche der blossen Nichtidentität gegenübersteht, bestehen.¹³⁷
Wenn aber sowohl „blosse[…] Identität“ als auch „blosse […] Nichtidentität“ den Begriff der Übereinstimmung selbst aufheben, dann – so schließt Reinhold – muss aus ihrer Negation eine weitere Bestimmung dieses Begriffs folgen: „Als logische Übereinstimmung kann sie weder in einem Zusammenhang ohne Unterschied noch in einem Unterschiede ohne Zusammenhang […] bestehen“.¹³⁸ „Unterschied“ und „Zusammenhang“ sind hier nicht – wie es der Logik der Argumentation entsprechen würde – als Merkmale des Begriffs Übereinstimmung gebraucht, sondern wie das Wort „bestehen“ andeutet, als Elemente oder Glieder der Relation, um Übereinstimmung damit als Verhältnis von Verhältnissen zu konstituieren. 2. In dem zur „Vorbereitung und Einleitung zur Analysis“¹³⁹ dienenden Kapitel Exposition des logischen Grundverhältnisses wird dieses Ergebnis fortbestimmt in Hinsicht darauf, was an aller logischen Übereinstimmung das Unwandelbare oder Wesentliche ist: Die unwandelbare Übereinstimmung, welche in den unwandelbaren Unterschiede und Zusammenhang besteht, und das Wesen des logischen Verhältnisses oder das logische Grundverhältniß ausmacht, ist das Verhältniß der Identität, als der Identität zu der Nichtidentität, als der Nichtidentität. ¹⁴⁰
Zwar ist erst dann, wenn die Relation der hier geltend gemachten Relata Identität und Nichtidentität in der Analysis als solche genauer erkannt wird, die Grundlage dafür geschaffen, um die Fehlform der gegenwärtigen Logik aufheben zu können. Aber schon diese immer noch unterbestimmte Fassung der „Grundform des Denkens“ ist für die negative Absicht dieser Kritik hinreichend. Mit der Angabe der
Critik der Logik, 10 f. Critik der Logik, 11. Ebd. 46. Ebd. 26.
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Relata zeigt sich das Defizit der formalen Logik: Sie kann als formale die Relata nicht angeben. Entsprechend hat sie auf die Frage, worin das logische Grundverhältniß besteht, „bis auf den heutigen Tag durchaus nichts Bestimmtes, Ausgemachtes, Ausdrückliches, zu antworten.“¹⁴¹ Wenn aber der Begriff der logischen Übereinstimmung als der Gattungsbegriff aller logischen Verhältnisse und Formen in der Logik unbestimmt ist, sind es auch die Arten. In Wahrheit handelt es sich bei ihren Begriffen und Gesetzen um nichts als tautologische Leerformeln, die ihre an Synonymen unvergleichlich reiche Kunstsprache verdeckt.¹⁴² Daraus erklärt Reinhold weitergehend die Missgestalt der Logik als Wissenschaft: In den Lehrbüchern der allgemeingeltenden Logik ist jene Vieldeutigkeit und Räthselhaftigkeit hinter den herkömmlichen und gemeinüblichen, und nur in so ferne feststehenden, Worten und Formeln versteckt, deren Tautologien und Vieldeutigkeiten auf die Gesetze, oder Formen, des Denkens übertragen, die von unsren Logikern selber anerkannte Gehaltlosigkeit oder Leerheit derselben ausmachen, und denen unsre Logik ihre Verträglichkeit mit jedem gemeinen und spekulativen Vorurtheile – ihr eigentliches Allgemeingelten – zu danken hat.¹⁴³
Die Irreführung des Denkens durch die Sprache besteht demnach darin, dass aus der Not, der Leerheit der Worte, die Tugend der Formalität ihres Gegenstandes gemacht wird, um auf diese Weise den genuinen Charakter der Logik auszuzeichnen. Damit wird die von den Defiziten der Sprache ausgehende Spirale von Übeln sichtbar: Diejenige Sprache, die nicht durch die Sache bestimmt ist, verleitet dazu, die Sache selbst zu entstellen, um das durch sie angezeigte Defizit hinter einem falschen Begriff von der Sache zu „verstecken“, womit eine sich wechselseitig stabilisierende Kongruenz von Wort, Bedeutung und Sache im Falschen entsteht. 3. Erst mit der positiven Bestimmung des Grundverhältnisses als dasjenige Verhältnis der Identität und Nichtidentität, das die Identität als die Thesis und die Nichtidentität als die Hypothesis statuiert, ist diejenige Klärung erreicht, durch die „jene Grundfehler“ der formalen Logik, Widerspruch, Doppelsinnigkeit, fehlerhafter Zirkel und Tautologie, erkannt und im Bewußtseyn aufgehoben“ werden.¹⁴⁴ Während die „Genesis“ dieser Grundfehler den indirekten Beweis dieses Grundverhältnisses ausmacht, ist deren Aufhebung als direkter Beweis beansprucht.¹⁴⁵ Mit diesen Lehren führt Reinhold seinen schon in den seit 1803 in den Beiträgen zur leichteren Übersicht unternommenen Umbau des Bardilischen Systems des ratio
Vgl. ebd. 13. Vgl. ebd. 20. Ebd. 21. Ebd. 24. Vgl. ebd.
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nalen Realismus in der Critik der Logik weiter. Die Hauptmerkmale dieser Transformation bestehen in einer „Wende zum angewandten Denken“¹⁴⁶, d. h. in der Abkehr von den Versuchen, eine reine Identität des Denkens als Denken von der Anwendung zu unterscheiden, einerseits, und andererseits in der Konzeption des dem angewandten Denken eigentümlichen Einheitsprinzips im Sinne eines Verhältnisses von Verhältnissen – statt der Bardilischen Zweiheit einer reinen oder absoluten Identität des Denkens im Unterschied zur Materie.¹⁴⁷ Entsprechend exponiert Reinhold das Prinzip des angewandten Denkens in der Critik der Logik: Die Identität als die Thesis in ihrem Unterschiede und Zusammenhang mit der N. [Nichtidentität] als der Hypothesis ist die Anwendung der I. [Identität] als der I. der positive Nichtwiderspruch, die positive Aufhebung der Doppelsinnigkeit, des fehlerhaften Cirkels, und der Tautologie, und das ist das thetische, und als solches das logische Verhältniß.¹⁴⁸
Die Vollzugsweise des angewandten Denkens ist die Analysis. Sie ist die Durchführung des in der Exposition „vorläufig“ enthüllten logischen Grundverhältnisses „vermittelst der Ableitung aller Denkgesetze oder Denkformen aus demselben“, wodurch dieses „als das Grundgesetz oder die Grundform des Denkens bewährt und vergewissert“ wird.¹⁴⁹ Die Lehre von der Analysis ist der systematische Ort, an dem der positive Zusammenhang von Denken und Sprache erkannt wird: Diese Analysis besteht durchgängig in logischen Erklärungen oder eigentlichen Definitionen des logischen Grundverhältnisses in seiner Anwendung. Sie besteht in den eigentlich denkenden Bestimmungen der Bedeutung derjenigen Worte und Formeln, durch welche das klare und deutliche Bewußtseyn, oder die Erkenntniß der Anwendung jenes Grundverhältnisses vermittelt ist. Sie erklärt diese Anwendung durch eine Sprache, welche durch diese Anwendung im Bewußtseyn bestimmt wird, und durch welche also dieselbe sich selbst ausspricht.¹⁵⁰
Hier wird eine Hierarchie von Bedingungsverhältnissen statuiert: Indem das logische Grundverhältnis in der Anwendung in Gestalt von „logischen Erklärungen und
Vgl. Bondeli (1995) 363. Vgl. ebd. 363–373. Critik der Logik, 42 f. Ebd. 46; Ableiten bedeutet in diesem Falle nicht, durch einen Vernunftschluss herleiten, sondern durch das der Analysis eigentümliche „unterordnende Unterscheiden“ (ebd. 45.) das Verworrene entwirren. (Ebd.) Ob Herders Verfahren der Erzeugung der Verstandesbegriffe in einer Tetraktys genannten Struktur der Disjunktion eines Ausgangsbegriffs in Glieder, die in einem höheren oder komplexeren zusammengeführt werden, für Reinholds Konzept der Analysis eine Rolle gespielt hat, wäre zu untersuchen. Strukturelle Übereinstimmungen lassen sich jedenfalls feststellen. (Vgl. Herder-FHA 8.412; siehe auch ebd. 480) Critik der Logik, 47.
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eigentlichen Definitionen“ erkannt wird, findet eine „eigentlich denkende Bestimmung“ der Bedeutung der Worte statt, insofern diejenigen Begriffe, in denen ihre Bedeutung besteht, nun aus der Erkenntnis des logischen Grundverhältnisses in seiner Anwendung resultieren. So gesehen ist das logische Grundverhältnis das Erkannte, durch dessen Erkenntnis die denkende Bestimmung der Bedeutungen erfolgt. Aber die Erkenntnis des logischen Grundverhältnisses in seiner Anwendung, dessen klares und deutliches Bewusstsein, ist bereits ihrerseits durch Worte „vermittelt“. Die Erkenntnis des logischen Grundverhältnisses in seiner Anwendung ist demnach zugleich gedacht als Begriffe bzw. Bedeutungen bedingend und als bedingt durch die Bedeutungen von Worten. Dieses hysteron-proteron deutet Reinhold hier so, dass sich in der Sprache, die für die Erkenntnis der Anwendung verwendet wird, bereits die Anwendung selbst ausgesprochen haben muss, damit das Erkennen seinerseits denkend die Bedeutung der Worte bestimmen kann. Die vermittelst des Grundverhältnisses mögliche denkende Bestimmung von Bedeutungen beruht darauf, dass dieses Grundverhältnis in der Anwendung sich durch Worte dem Bewusstsein dargestellt hat, und d. h. darauf, dass es sich selbst zum Ausdruck bringt. Es erhebt sich damit die Frage, wie diese beiden Sprachen, die aus der Erkenntnis resultierende und die für sie vorausgesetzte, sich zueinander verhalten bzw. ob es angebracht ist, hier von zwei Sprachen zu reden. Erhellend sind Reinholds Lehren zur Anwendung des logischen Grundverhältnisses in der Natur: Diese drey Unterscheidungen, mit den unter ihnen enthaltenen, und in den besonderen Abschnitten der drey Hauptstücke darzustellenden Unterscheidungen, machen eben so viele eigenthümliche Enthüllungen (Aeusserungen, Offenbarungen) des logischen Grundverhältnisses in seiner Anwendung aus, wodurch diese Anwendung – in welcher die Wahrheit als solche (Das, was ist, in wieferne es mehr als Schein ist) besteht, – sich im menschlichen Bewußtseyn, durch Worte vermittelt; – dasjenige, was am Wandel des Wandelbaren als das Unwandelbare hervortritt (das Seyn der Natur, unter welchem alles Werden in derselben bestehen muß) sich, wie es an sich selbst ist, auch vermittelst der Sprache im Menschen ausspricht; – die Ordnung der Natur, die sich sonst durch Unordnung in unsrem Vorstellen und Darstellen, durch Scheindenken, Widerspruch u.s.w. unsrem Bewußtsein entzieht; nunmehr aber auch in unsrem Bewußtseyn über jene Unordnung emporsteigend, sich unsrem Wissen mittheilt.¹⁵¹
Ich kann diese Stelle nicht mehr ausführlich kommentieren, möchte aber vermuten, dass hier das metaphysische Fundament für das Vertrauen in die natürliche, gewachsene Sprache, merkwürdigerweise nur des Deutschen, gelegt werden soll.
Ebd. 49.
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Dieses Theorem von der natürlichen Sprache als Ausdruck des „Sein[s] der Natur“ bildet die notwendige Grundlage für die Kritik der durch ihre Kunstsprache verdorbenen Logik: Wie, wenn in dem, durch Spekulation unentweihten, und durch List und Gewalt unerreichbaren Genius unserer Sprache ein Gegenmittel bereit läge, welches bisher, unbekannt und unbenutzt, einem Zeitpunkte aufbehalten wäre, in welchem jenes Uebel der Menschheit seinen höchsten Grad erreicht hat und jedes andere Mittel durch das Uebel selbst unbrauchbar geworden wäre.¹⁵²
Und weiter: „Diesem Genius huldiget der gegenwärtige Versuch“, denn ihm allein verdankt er, dass es gelungen ist, in der gegenwärtigen Logik Sprachverwirrungen zu entdecken und zu berichtigen.¹⁵³ Ohne die Voraussetzung einer noch „unentweihten“ natürlichen Sprache, die erst in der Analysis als in der „Wahrheit als solche[r]“ begründete dargelegt werden kann, wäre der Versuch einer Critik der Logik unter der geltend gemachten Bedingung, dass alle Gedanken an die Bedeutungen der Worte geknüpft sind, ein aussichtsloses Unterfangen. Wäre die Sprache in jeder Hinsicht ebenso verdorben wie die Logik, wäre es unmöglich, eine Korrektur der durch „Cultur“¹⁵⁴ fehlgeleiteten Vernunftwissenschaft vorzunehmen. Bietet die natürliche Sprache, in der sich die „Wahrheit als solche“ dem menschlichen Bewusstsein vermittelt, den Leitfaden für die denk- und sprachkritischen Untersuchungen der gegenwärtigen Logik und für das deutliche Bewusstsein des logischen Grundverhältnisses in seiner Anwendung, so ist dessen Erkenntnis in der Logik zugleich die denkende, Fehler ihrer gegenwärtigen Kunstsprache korrigierende, Bestimmung von Bedeutungen der logischen Sprache. Ohne die als Ausdruck der„Wahrheit als solche[r]“ verstandene natürliche Sprache ist in Reinholds System der Vernunftwissenschaft keine adäquate, durch ihren Gegenstand bestimmte, wissenschaftliche Sprache der Logik möglich. Versucht man abschließend wenigstens einige markante Punkte der Übereinstimmung zwischen Herders und Reinholds Metakritik herauszuheben, so ist das ihnen gemeinsame Resultat die Rettung von Verstand und Vernunft als Vermögen der Erkenntnis von Dingen an sich. Sie revidieren damit Kants Theorie von der spezifischen Differenz zwischen Denken und Anschauen bzw. Verstand und Sinnlichkeit und in der Folge seine Theorie der Bedeutung von Begriffen, die an die Versinnlichung von apriorischen Begriffen vermittelst der reinen Formen unserer Sinnlichkeit und zuletzt an das Gegebensein von Dingen in der Erfahrung gebunden
Ebd. XV. Ebd. Ebd. XIV.
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ist. Sie lehren stattdessen die notwendige Versinnlichung des Denkens in der natürlichen Sprache, die sie als Verstandesausdruck bzw. als Ausdruck des angewandten Denkens begreifen. Während Herder nur die Form der Sprache als Ausdruck des Verstandes ansieht, zielt Reinhold darauf, eine auch in ihren Wortbedeutungen durch das Denken bestimmte Sprache zu erarbeiten, wofür er in der Synonymik ¹⁵⁵ Ansätze geliefert hat. Zwar konzipiert Herder eine Lehre von den die Verstandesbegriffe ausdrückenden philosophischen Sprachen, er könnte aber der Idee eines Systems von durch den Verstand bestimmten Wortbedeutungen nicht folgen. Dem steht seine Auffassung entgegen, dass die Leistungen der Vernunft an die sich wandelnde, von zufälligen geschichtlichen und kulturellen Bedingungen der Subjekte bestimmte natürliche Sprache gebunden bleiben.
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Unterwegs zur gereinigten Sprache. Reinholds Forderung einer eindeutig bestimmten philosophischen Grundterminologie Abstract: In all periods of his philosophical thinking, Reinhold calls for an improvement of philosophical language with the intention of arriving at an unambiguous use and allocation of words and concepts. In his last period, Reinhold initiates for this purpose the philosophical project of a „Synonymik“ and defends an understanding of language which – in comparison to Locke’s reflections on language – can be designated as non-psychological an non-conventional. The author of the following paper maintains that Reinhold’s aim of an unambiguous use of philosophical keywords can be advocated only in a weak sense. Reinhold’s suggestion is plausible only on the supposition that we have to reduce but not eliminate linguistic arbitrariness.
Reinhold hat sich mit der philosophischen Sprache, namentlich mit dem Desiderat einer Verständigung über das Verhältnis von Wort und Begriff, wiederholt im Spektrum seiner Ausarbeitungen zu den Systemen der Elementarphilosophie und des Rationalen Realismus befasst, ehe er in seiner darauffolgenden längsten Denkperiode dazu übergangen ist, eine sprachkritische Programmatik in den Mittelpunkt seines intellektuellen Schaffens zu stellen. Im Anschluss an Expositionen zum System des Rationalen Realismus hat er den Plan verfolgt, ein Ensemble semantisch gereinigter philosophischer Grundwörter zu unterbreiten, welche den Kernbereich eines künftigen wissenschaftlichen Systems der Philosophie ausmachen. In den Hauptwerken der Spätphase – so in der 1812 erschienenen Grundlegung einer Synonymik für den allgemeinen Sprachgebrauch in den philosophischen Wissenschaften und in der 1816 publizierten Schrift Das menschliche Erkenntnißvermögen, aus dem Gesichtspunkte des durch die Wortsprache vermittelten Zusammenhangs zwischen der Sinnlichkeit und dem Denkvermögen – wird vor diesem Hintergrund ein sprachkritisch geläutertes System des Rationalen Realismus vorgetragen. Schließlich werden die Erträge aus diesen Werken in einer finalen Etappe der Spätphase im Rahmen einer wahrheitstheoretischen Fragestellung fruchtbar gemacht. 1820, drei Jahre vor seinem Tode, veröffentlicht Reinhold die Schrift Die alte Frage: Was ist die Wahrheit?, in welcher sein sprachkritischer Ansatz als Behttps://doi.org/10.1515/9783111239521-015
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standteil der realdefinitorischen Konkretisierung einer neuen Namensdefinition von Wahrheit überhaupt fungiert. Ich möchte angesichts dieser kontinuierlichen Präsenz der Sprachthematik in Reinholds Denkweg einige übergreifende Betrachtungen zur Diskussion stellen.¹ Ich werde auf Reinholds Reflexionen über Sprache, die er beiläufig bei der Ausarbeitung der Systeme der Elementarphilosophie und des Rationalen Realismus zu Papier gebracht hat, sowie schließlich auf seine Grundideen aus der Spätphase eingehen und aufzeigen, mit welchen hauptsächlichen Motiven, Zielen und Entwicklungsschritten sie verbunden sind. Abschließend werde ich verdeutlichen, welche Aspekte von Reinholds Denken über Sprache ich für gewinnbringend und welche ich für problematisch oder abwegig halte.
1 Das eindeutige Verhältnis von Wort und Begriff. Ein sprachkritisches Seitenstück von Reinholds Explikationen zum Satz des Bewusstseins Reinholds gegen Ende der 1780er-Jahre errichtetes System der Elementarphilosophie beinhaltet eine revidierte Darstellung von Resultaten des kritischen Kant und besticht, was Neuerungen anbelangt, durch eine Reaktion auf die diagnostische Feststellung, dem bisherigen Gesamtsystem der theoretischen und praktischen Vernunftkritik fehle es an einem expliziten und festen Fundament. Gegen dieses Defizit ankämpfend, stellt Reinhold die als „Satz des Bewußtseyns“ auf den Begriff gebrachte „Thatsache“, „daß die Vorstellung im Bewußtseyn durch das Subjekt vom Objekt und Subjekt unterschieden und auf beyde bezogen werde“,² an die Spitze seines Systems der Elementarphilosophie und definiert unter dieser Vorgabe die gesamte System-Terminologie neu. Mit dem Satz des Bewusstseins, so wird hiermit geltend gemacht, verfüge man über eine Wesensdefinition des intentionalen Begriffs des Vorstellens, den Kant als Gattungsbegriff des Denkens, Anschauens, Erkennens, Begehrens und weiterer Vermögensleistungen des menschlichen Gemüts zwar vorausgesetzt, jedoch nicht eigens definiert habe. Darüber hinaus dürfe dieser Satz, wie Reinhold im Blick auf Ansprüche des Ableitens von dem Grundsatz subsumierten Folgesätzen unterstellt, als geeignet für ein sicheres und fortsetzungsfähiges Axiom des Philosophierens betrachtet werden. Reinhold hält ihn sowohl für einen in sich gewissen (analytisch wahren) als auch evidenten (allgemein ver-
Zu meinen bisherigen auf Reinholds Sprachkritik eingehenden Einlassungen, die ich an dieser Stelle aufgreife und vertiefe, siehe Bondeli (1995) 268–272; sowie Bondeli (2018) 117–141. Zu diesem Fundierungsbemühen vgl. insbesondere Fundament, 78, RGS 4.50.
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ständlichen und einleuchtenden) Satz. Es werden dem Satz somit Geltungsattribute zuerkannt, die man ansonsten vor allem im Zusammenhang des logischen Satzes des Widerspruchs oder von Sätzen des Typs „A ist A“ antrifft. An diesem Punkt muss Reinhold einräumen, dass es für das Gelingen seines Vorhabens ein Problem der Sprache zu bewältigen gilt. Unabhängig von einer klärenden Verständigung über den Sprachgebrauch werde man, wie Reinhold sich gleichsam in vorauseilender Absicherung gegen einen skeptizistischen Einwand, wie ihn Gottlob Ernst Schulze um 1792 erheben wird,³ überlegt, nicht mit der nötigen Überzeugung behaupten können, der Satz des Bewusstseins sei allgemein verständlich und einleuchtend. Allgemein verständlich und einleuchtend sei der Satz des Bewusstseins nur dann, wenn unter den ihn denkenden und aussprechenden philosophischen Köpfen Einigkeit über die Bedeutung der verwendeten hauptsächlichen Termini (Subjekt, Objekt, Vorstellung, beziehen, unterscheiden) bestehe. Dieses erläuternde Räsonnement zum Satz des Bewusstseins ist symptomatisch für Reinholds damalige Auffassung,⁴ unter den selbstdenkenden Köpfen lasse sich über die Bedeutung philosophischer Ausdrücke dann und nur dann Konsens erzielen, wenn diese zuvor geklärt und dabei eindeutig bestimmt würden, wobei der Erfolg einer eindeutigen Bestimmung seinerseits, abgesehen von der erforderlichen Orientierung an der klassisch-rationalistischen Idee des Erzeugens klarer und deutlicher Begriffe, von einer in semantischer Hinsicht gereinigten Sprache abhänge. Wie Reinhold zu dieser Forderung einer gereinigten Sprache näher expliziert, gilt es der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sich philosophische Begriffe in keiner anderen Art und Weise als durch gesprochene oder geschriebene „Worte festhalten, hervorrufen, und anderen mittheilen“ lassen.⁵ Und vor diesem Hintergrund sieht man sich sogleich mit dem Befund konfrontiert, dass nicht nur unzureichend analysierte Begriffe, sondern auch sprachliche Ausdrücke mit einem Unsicherheitsfaktor behaftet sind. Wörter sind aufgrund des Existierens unterschiedlicher Sprachgemeinschaften, aber auch aufgrund eines unaufmerksamen Sprachgebrauchs oder einer beabsichtigen Sprachverwirrung, oftmals bald mehrdeutig, bald leer, da tautologisch. Es werden verschiedene Bedeutungen in ein und demselben Wort vermengt, und manche Worte wiederholen nur eine bestehende, durch einen anderen Ausdruck bereits fixierte Bedeutung, sind somit Worthülsen. Um diesen unliebsamen Tendenzen entgegentreten zu können, hält Reinhold das Programm
Siehe dessen Aenesidemus, 64–69. Man beachte insbesondere Beiträge I, 6–9; Beiträge II, 30–48. Beiträge I, 8.
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einer entsprechenden Kritik und Vereinheitlichung des philosophischen Sprachgebrauchs für angebracht. Und dieses Programm muss folgerichtig unter dem Leitsatz stehen: „Jedes Wort kann in der Philosophie nur einen einzigen bestimmten Begriff bezeichnen“.⁶ Im Falle des Wortes „Vorstellung“, das Reinhold damals als Paradebeispiel heranzieht, heißt dies: dessen Bedeutung muss eindeutig sein und sich mit dem auf der Basis des Satzes des Bewusstseins definierten Begriff der Vorstellung decken, und sie darf nicht zusätzlich durch ein anderes Wort, das nur ein unnötiges Synonym von „Vorstellung“ wäre, bezeichnet werden.⁷ Es ist meines Erachtens einsichtig, dass an dieser Stelle das in Reinholds spätem Denken favorisierte Projekt einer eindeutigen Bestimmung der basalen philosophischen Systemausdrücke in einer Marginalie und in der Gestalt einer ersten Gedankenskizze zum Vorschein kommt. Davon abgesehen stößt man an verstreuten Stellen von Reinholds Texten aus der Ausarbeitungsperiode des Systems der Elementarphilosophie noch auf andere Überlegungen sprachphilosophischer Art, die sich bei einem Vergleich mit den Grundideen der Spätphase als nachhaltig erweisen. In einem der besagten Texte ist zu lesen: „Je mehr sich ein abstrakter Gedanke dem konkreten der äußeren Erfahrung nähert, oder auch je unmittelbarer sich derselbe auf eine bestimmte äußere Anschauung bezieht, desto mehr ist die Phantasie bei der Bezeichnung desselben gebunden“.⁸ Reinhold gibt somit, wenn er einen von Willkür befreiten philosophischen Sprachgebrauch befürwortet, der Überzeugung Ausdruck, dass unser Spielraum – und damit unsere Willkürmöglichkeit – bei der Bezeichnung empirischer und mathematischer Objekte beschränkter ist als bei der Bezeichnung logischer und metaphysischer Vorstellungen. Im Falle der Bezeichnung empirischer und mathematischer Objekte besteht eine Unterstützung des Vokabulars durch sinnenfällige Zeichen wie „Bilder, Figuren und Zahlzeichen“. In den Bereichen der Logik und Metaphysik ist, da deren eigentliche Gegenstände die durch die „bildlosen Worte“ festgehaltenen, hervorgerufenen und anderen mitgeteilten Begriffe sind,⁹ ein Sukkurs durch sinnenfällige Zeichen nur sehr restriktiv möglich. Die Forderung der Sprachreinigung betrifft deshalb primär diese letztgenannten Bereiche. Schließlich erwähnt Reinhold beiläufig das in den Hauptwerken der Spätphase markant verfochtene Verständnis bezüglich der Art und Weise, wie Wort und Objekt
Ebd. 9. Es versteht sich, dass Reinhold damit ein Ideal aufstellt, dem er damals selbst nur beschränkt Genüge zu leisten vermag. So gelingt es ihm in manchen Zusammenhängen kaum zu vermeiden, die Ausdrücke Vorstellung und Bewusstsein synonym zu verwenden. Beiträge II, 38. Vgl. Synonymik, 7.
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idealiter einander zuzuordnen sind. Reinhold tritt für eine natürliche, das heißt anti-konventionalistische Zuordnung ein. Dabei gilt es klarzustellen, dass Reinhold für diese Sichtweise durchweg in Anbetracht der Tatsache argumentiert, dass unser Sprachsystem, soweit es nicht dem Denkvermögen, sondern einer Naturgrundlage entspringt, sich von ebendieser Grundlage emanzipiert hat. Die meisten der aktuell verwendeten geschriebenen und gesprochenen Wörter, sei dies in der Philosophie oder in der Alltagssprache, sind nicht Abbildungen oder Nachahmungen von Objekten, sondern einesteils Produkte der „Abstraktion“ derart, dass eine sinnliche oder „konkrete Vorstellung“ durch Akte des Absehens und Hinsehens verallgemeinert, zur Metapher eines Allgemeinbegriffs erhoben worden ist, andernteils Zeichen bloßer „Gedanken“, Zeichen, die genuin mit Operationen des Denkvermögens einhergehen.¹⁰ Diese genetische Fragerichtung vertiefend, lässt Reinhold in der Spätphase nicht unerwähnt, dass eine Ähnlichkeit zwischen Wörtern und Objekten, auf die sie Bezug nehmen, nur rudimentär besteht. Sie zeigt sich dabei etwa beim „Gehörsinne“,¹¹ wo der Wortlaut die sinnliche Wahrnehmung nachahmt. Dies alles will besagen, dass Reinhold sich sehr wohl bewusst ist, dass man angesichts dieser sprachgenetischen Befunde Wörter im Großen und Ganzen nicht als „natürliche“, sondern als „willkürliche“, d. h. künstliche Zeichen aufzufassen hat.¹² Ein Konventionalismus soll in dieser Hinsicht denn auch keineswegs in Abrede gestellt werden. Hingegen wendet Reinhold sich gegen einen Konventionalismus, der im Einklang mit Locke behauptet, dass grundsätzlich zwischen Wort oder Zeichen und dem Bezeichneten keine natürliche, sondern nur eine willkürliche Zuordnung („voluntary Imposition“) existiert und existieren kann, eine Zuordnung, bei der ein Wort willkürlich oder beliebig das Zeichen einer Vorstellung ist („whereby such a Word is made arbitrarily the Mark of such an Idea“);¹³ und dass dasjenige, was in diesem Rahmen eine natürliche Zuordnung zu sein scheint, demnach nichts als eine durch Gewohnheit bewirkte Konsolidierung einer willkürlichen Zuordnung darstellt. Reinhold ist demgegenüber der Meinung, dass durchaus eine natürliche Zuordnung von Wort und Begriffe existiert. In der Schrift Ueber das Fundament des philosophischen Wissens gibt er in dieser Sache zu bedenken, dass jedenfalls unsere vernunftgeleitete Verständigungspraxis der Annahme eines beliebigen Sprachgebrauchs widerstreite. Denn jedermann wisse, „daß er weder sich selbst, noch andere ohne eine von aller Willkühr unabhängige Bedeutung der Worte verstehen würde“.¹⁴ Reinhold sieht sich hier offenkundig mit Leibniz, dem Antipoden Lockes,
Vgl. Beiträge II, 32–33. Vgl. Das menschliche Erkenntnißvermögen, 85–86. Vgl. Beiträge II, 32–33. Vgl. Locke (1975) 405. Fundament, 88, RGS 4.54–55.
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darin einig, dass es ein Verhältnis von Wort und Ding gibt, das, sosehr die Ebene der Zeichen sich von jener der Dinge abgelöst hat oder je schon abgelöst davon existiert, nicht willkürlich besteht („non est arbitrarium“). Dieses Verhältnis von Wort und Ding besteht in einer natürlichen Weise und ist in diesem Sinne als Norm, als Grundlage der Wahrheit („fundamentum veritatis“), zu betrachten.¹⁵ Zu erwähnen ist in dieser Hinsicht ebenfalls Friedrich Heinrich Jacobi, für dessen Motiv einer ursprünglichen, göttlichen Sprache und eines damit einhergehenden Wahrheitsgefühls Reinhold schon in früheren Jahren Sympathien hegt. Was das Ziel betrifft, das Reinhold mit der Einbeziehung sprachlicher Aspekte in seine Arbeiten zur Elementarphilosophie verfolgt, muss man die aufklärungspragmatische Dimension seines damaligen Philosophierens in Erinnerung rufen. Reinhold geht es um eine optimale Verständigung, um einen Konsens unter den Kant-Interpreten, um die Beseitigung von Misshelligkeiten und Missverständnissen. Doch muss man selbstverständlich ebenso den mit dem Systemdenken implizierten Evidenzanspruch berücksichtigen. Es besteht die Auffassung, dass der als evident behauptete Satz des Bewusstseins, indem er an der Spitze eines Systems der theoretischen und praktischen Vernunft steht, den Ausgangspunkt einer geordneten Reihe von Folgesätzen bildet, die dadurch ebenfalls in unmittelbarer oder mittelbarer Weise als gültig ausgewiesen werden können. Die Reflexion über den Sprachgebrauch gehört von daher zu den Bedingungen, unter denen dieser Ordnungs- und Evidenzanspruch eingelöst werden kann. Um einzusehen und zu beurteilen, was der Elementarphilosoph Reinhold in dieser sprachreflexiven Richtung in der Folge konkret geleistet hat, ist man gut beraten, davon abzusehen, dass er in seinen Metadiskursen unterschiedliche und zum Teil wenig erfolgversprechende Gedankenskizzen bezüglich der Ableitung von dem Satz des Bewusstseins subsumierten Folgesätzen entworfen hat. Zu beachten gilt es vielmehr die im Hinblick auf eine Komplettierung von Kants Verfahren der Erkenntnisbegründung unternommenen Sequenzen in der elementarphilosophischen Systemdurchführung. In dieser Beziehung darf man festhalten, dass Reinhold jenes Erkenntnismodell Kants gesondert herausgestellt und gefestigt hat, welches den Vorbau der transzendentalen Deduktion der Kategorien und der transzendentalen Beweise der Grundsätze des Verstandes bildet. Er hat, mit anderen Worten, die für Kants Erkenntnismodell maßgebenden Verhältnisse von Subjekt und Objekt, Form und Stoff, Einheit und Mannigfaltigkeit, Spontaneität und Rezeptivität sowie jene Lehrstücke, die bei Kant die metaphysische Deduktion der Kategorien und Vernunftideen betreffen, stringent dargestellt und, aufgrund der Einführung
Vgl. Leibniz (1765) 511. – Zu Reinholds Kenntnis der Leibniz-Ausgabe Raspes vgl. Beiträge Übersicht H 1, 12, Anm., RGS 7/1.17.
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des Satzes des Bewusstseins, aus einem ersten Prinzip entfaltet, das dem Anspruch der Evidenz genügt. Damit hat er gleichzeitig kenntlich gemacht, dass der betreffende Evidenzanspruch das Postulat eines zu klärenden Wortgebrauchs aufnötigt und dass dieses Postulat, obschon es nur als flankierend zu sehen ist, sehr wohl zum Aufgabenkatalog eines kantischen Konzepts der Erkenntnisbegründung gehört. Alles in allem bilden Reinholds Reflexionen über den Sprachgebrauch das nötige Korrektiv zu dem bei Kant zwar aufgrund der Kritik an einem erfahrungsarmen rationalistischen Philosophieren nachvollziehbaren, gesamthaft jedoch übertriebenen Zweifel an der Nützlichkeit des – insbesondere vorgängigen – Definierens philosophischer Ausdrücke. Wenn Kant anmerkt, dass man sich in der wissenschaftlichen Philosophie besser um den „Begriff der Sache“ denn um die „Wortbestimmung“ kümmern sollte,¹⁶ lässt sich mit Reinhold entgegnen, dass die Wortbestimmung nicht unwesentlich den Begriff der Sache ausmacht und dass deshalb die Klärung der Wortbestimmung nicht weniger relevant ist als der gezielte Rekurs auf die Sache, die es zu begreifen gilt.
2 Die Gewinnung einer objektiven Wortbedeutung. Eine Folgerung aus der Prinzipien- und Begründungsidee des Rationalen Realismus Werfen wir einen Blick auf das System des Rationalen Realismus, für das Reinhold seit 1800 im Anschluss an die Rezeption des aus der Feder des Stuttgarter Professors Christoph Gottfried Bardili stammenden Grundrißes der Ersten Logik Partei ergriffen hat. Bei diesem System, das erklärtermaßen eine Logik oder Vernunftlehre neuen Typs ist und mit dem eine an Leibniz erinnernde und nach 1800 ebenfalls von Hegel aufgenommene Auffassung der Einheit von Logik und Metaphysik zum Durchbruch gelangt, wird nicht mehr das Prinzip des Vorstellens und damit nicht mehr ein Verhältnis von Subjekt und Objekt an die Spitze gestellt. Das System des Rationalen Realismus beruht auf einem Begriff des Denkens (des „Denkens als Denkens“, d. h. des Denkens im eigentlichen Sinne des Wortes),¹⁷ mit dem ein Einheitsprinzip namhaft gemacht wird. Dieses soll als eine unveränderliche, wiederholbare, in sich und durch sich bestimmte Entität begriffen werden. Es soll als Erstheit innerhalb des Systemgefüges, aber auch als Grundlage eines Anwen Siehe KrV A 728/B 756. Siehe Beiträge Übersicht H 1, 100–112, RGS 7/1.63–69, sowie RGS 7/1.XLIV–LII.
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dungszusammenhangs, der Anwendung auf Materie und Herausbildung von Objekterkenntnis, angesehen werden. In einer fortgeschrittenen Ausarbeitungsphase erhebt Reinhold daraufhin ein Prinzip des angewandten Denkens zum Dreh- und Angelpunkt der Systemexposition.¹⁸ An die Spitze gestellt wird ein Grundverhältnis von Denken und Materie, das als System der Natur und des Geistes zur Entfaltung gelangt und seiner theologischen Pointe nach eine Manifestation Gottes an der Natur darstellt. Im Blick auf die logisch-ontologische Hauptbegrifflichkeit bildet ein Verhältnis von Denken als Einheit und Unveränderlichkeit einerseits und Stoff als Verschiedenheit oder Veränderlichkeit andererseits den Leitfaden. Dieses Verhältnis, das Reinhold in kritischer Auseinandersetzung mit Schelling und Hegel auch als „Nexus“ oder „Urverhältniß“ von Identischem und Nichtidentischem exemplifiziert,¹⁹ wird schließlich maßgebend für die Geltendmachung einer triadischen Ordnung von Einheit an sich (ἓν κατ ̓ ἐξοχήν), Einheit in der Verschiedenheit sowie Verschiedenheit als solche, einer Ordnung, in welcher es die angeführte Reihenfolge und damit die Prädominanz der Einheit an sich zu respektieren gilt. Im Weiteren rückt mit der Axiomatik des angewandten Denkens ein als „Analysis“ betiteltes Verfahren der Begründung von Erkenntnis in den Brennpunkt. Das im Falle und nur im Falle des angewandten Denkens bestehende Erkennen eines Gegenstandes wird als ein viergliedriges, aus „Thesis“, „Hypothesis“, „Antithesis“ und „Synthesis“ bestehendes Verfahren der Bewährung und Bewahrheitung einer Annahme oder vorläufigen Behauptung ausbuchstabiert,²⁰ dabei auch als Methode der Zurückführung eines ersten oder „begreiflichen Wahren“ auf das letzte oder „Urwahre“ kenntlich gemacht.²¹ In der Frage, welche Bedeutung der Sprache innerhalb dieses neuen Systems zukommt, ist Reinhold ungebrochen der Ansicht, dass man im Hinblick auf den systemischen Wahrheitsanspruch sowie zum Zwecke einer konsensuellen Verständigung über die basale philosophische Terminologie das Verhältnis von Wort und Begriff in jedwedes Nachdenken über das Anwenden von Begriffen auf Gegenstände zu integrieren habe. Dabei wird das als Grundraster aufzufassende Verhältnis von Wort und Begriff nun aber differenzierter beschrieben. Der Begriff soll als „Sachzeichen“ für den Gegenstand, das Wort als „Wortzeichen“ für den Begriff verstanden, der Begriff seinerseits so als in einem Spannungsfeld von „Sachbedeutung“ und „Wortbedeutung“ stehend angesehen werden.²² Zudem folgt eine
Siehe ebd. LII–LXI. Siehe Beiträge Übersicht H 6, 22–24, RGS 7/2.763 f. Siehe Beiträge Übersicht H 3, 133–134, RGS 7/1.314 f. Siehe Beiträge Übersicht H 1, 73–74, RGS 7/1.48 f. Siehe Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 173–175. – Zu diesem Ansatz siehe auch den Beitrag von Silvan Imhof im vorliegenden Band.
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generelle Aufwertung der Reflexion auf Sprache. Diese soll nicht mehr nur ein philosophisches Nebengeschäft sein, sondern zu den essenziellen Aufgaben des denkenden Philosophierens zählen. Das Denken als Denken insgesamt soll einerseits im Gegenstandszusammenhang als das rechnende und berechnende, andererseits im Wortzusammenhang als das „benennende, sprechende, diskurirende, in engerem Sinne, logische“ Denken begriffen werden.²³ Bei der Ausarbeitung des Systems des Rationalen Realismus bleibt sodann der zweite Ast in der Untersuchung des Denkens als Denkens zwar vorläufig im Hintergrund. Was sich aber unverkennbar aufgrund der Prinzipien- und Systemidee des Rationalen Realismus von vorneherein an Neuem ergibt, ist, dass es zum einen zu einer Modifikation in der bisherigen Ansicht über die Möglichkeit einer sinnenfällen Zeichenverwendung kommt, zum anderen zu einer markanten anti-subjektivistischen Auslegung des Verhältnisses von Wort und Begriff. Zu dem ersten Punkt ist zu beachten, dass der von pythagoreischen Ursprungsideen sowie von Leibniz‘ System der Monadologie und Leibniz‘ Idee einer mathematischen Universalsprache beeinflusste Bardili die Hauptbegrifflichkeit seines Konzepts einer neuen Logik, aus dem Reinhold das System des Rationalen Realismus gleichsam extrahiert, unter Zuhilfenahme algebrarischer – nach Reinhold einer Spielart sinnenfälliger – Zeichen entfaltet hat.²⁴ Das Prinzip des Denkens wird als Wiederholbarkeit, Immanenz und Selbstgrund von „A“ wiedergegeben, was bei Reinhold zu der Einheitsformel „A als A in A und durch A“ zusammengefasst wird.²⁵ Die aus der Anwendung des Prinzips „A“ auf Gegenstände resultierenden Folgebegriffe, so die Materie, die Möglichkeit und Wirklichkeit des Denkens sowie das gedachte Objekt, werden mittels „ – B“, „B“ , „C“ und „+ b“ bezeichnet, die jeweiligen Begriffsverhältnisse durch aus diesen Buchstaben zusammengesetzte Additions- und Divisionsformeln erschlossen. Im Bereich der Systemabschnitte, welche die Welt der Natur und des Geistes sowie Gott als Urwesen betreffen, werden die Begriffe schließlich mithilfe der Multiplikation und Potenzierung der betreffenden
Siehe Bardilis und Reinholds Briefwechsel, 175. Allgemein zu Bardilis System des Logischen oder Rationalen Realismus siehe Paimann (2009) 131–245. Zur Rezeption und Fortentwicklung dieses Systems durch Reinhold siehe Bondeli (1995) 261– 414. Siehe Bardili, Grundriß der Ersten Logik, 4 u. 14–15, sowie Beiträge Übersicht H 1, 108, RGS 7/1.67. – Zur Interpretation sowie zu der sowohl mit Fichtes „A=A“ aus der Herleitung zum ersten Grundsatz der Wissenschaftslehre als auch mit substanzontologischen Denkmustern in Verbindung zu bringenden Herkunft der Formel „A als A in A und durch A“ siehe Bondeli (1995) 290–294 u. 278, Anm. Man beachte, was den naheliegenden Rekurs auf die Substanzontologie betrifft, insbesondere auch das bei Aristoteles erörterte Theorem über die unveränderliche Struktur, die bei allem Veränderlichen besteht. Bei jeder Veränderung verändert sich etwas durch etwas und in etwas: πâν γàρ μεταβάλλει τὶ καὶ ὑπό τινος καὶ εÌς τι (Metaphysik. XII. 1069b–1070a).
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Buchstaben markiert. Die Tatsache, dass Reinhold dieses auf Bardili und dessen Tübinger Lehrer Gottfried Ploucquet zurückgehende Zeichensystem begrüßt, lässt darauf schließen, dass er inzwischen mit einer differenzierteren Ansicht über die Zeichenverwendung im Falle der verschiedenen Objektbereiche operiert. Reinhold hält es nun offenbar für sinnvoll, nicht nur bei mathematischen, sondern auch bei logischen und metaphysischen Begriffen von einer unterstützenden Darstellung durch sinnenfällige Zeichen Gebrauch zu machen. Der Gewinn einer algebrarischen Darstellung im Falle der logischen und metaphysischen Begriffe besteht dabei seines Erachtens darin, dass diese Begriffe sich eingängiger verwenden, leichter unterscheiden und klassifizieren lassen. Die so dargestellten Begriffe haben demnach primär die Funktion von der Darstellung dienlichen Abkürzungen oder Etiketten. Der bisherigen Ansicht, dass die logischen und metaphysischen Begriffe ihrem Wesen nach nicht durch sinnenfällige Zeichen, sondern durch Wortzeichen hervorgerufen, festgehalten und mitgeteilt werden, wird damit nicht widersprochen. Es ändert sich deshalb auch nichts an Reinholds Forderung, bei diesen Begriffen in erster Linie die Aufgabe einer diskursiven Verständigung über die Wortverwendung und damit einer Sprachreinigung, die bei der normalen Sprache ansetzt, in Angriff zu nehmen. Es sei vorweggenommen, dass Reinhold bis in die spätesten Jahre an dieser Auffassung festgehalten hat. Eine Substitution der bisherigen, normalen Terminologie im Bereich der Logik und Metaphysik durch eine neue, auf mathematischen Symbolen beruhende Terminologie kann seines Erachtens nicht das Ziel sein. Es muss vielmehr darum gehen, im Bereich von Logik und Metaphysik eine gereinigte, allgemeingeltende normale Terminologie zu entwickeln. Im Blick auf bloße Darstellungszwecke hält Reinhold es hingegen für sinnvoll, in sämtlichen Bereichen und damit auch in den Bereichen der Logik und Metaphysik mit mathematischen Zeichen zu operieren. Was den zweiten Punkt angeht, gilt es zu berücksichtigen, dass Reinhold mit dem Ausgang von einem Prinzip des Denkens ausdrücklich mit seinen vorausgehenden, von Kant und Fichte beeinflussten Systemarbeiten bricht. Reinhold weist einen seines Erachtens bei Kant einsetzenden Subjektivismus des Vorstellens zurück und plädiert für eine neuartige Objektivität des Denkens. Dem entspricht sowohl eine feststellbare Aufwertung substanzontologischer gegenüber subjektontologischen Prinzipienbegriffen als auch eine Begründungsmethode der Analysis, bei der mit der Überprüfung einer zunächst hypothetisch gültigen Erkenntnis die Abscheidung einer scheinbaren oder subjektiven Erkenntnis von aller wahren oder objektiven Erkenntnis zustande kommen soll. Dieser neu eingeschlagene ontologische und begründungsmethodische Kurs spiegelt sich in Reinholds fortgesetzten Reflexionen zum Verhältnis von Wort und Begriff. Im Soge der anti-subjektivistischen Tendenz wird die Frage nach dem Zustandekommen, Wesen und Träger von Gedanken oder Begriffen („Wortbedeutungen“) in den Fokus gerückt und neu be-
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antwortet. In der Periode der Ausarbeitung des Systems der Elementarphilosophie war Reinhold davon ausgegangen, dass Gedanken Produkte eines Zusammenhangs von einerseits Form des Vorstellens und andererseits äußerem oder innerem Stoff des Vorstellens sind und dass wir über einen Grundbestand solcher Produkte je schon in unserem Gemüt als aktualisierbarem Vermögen des Vorstellens verfügen. Es ist begreiflich, dass bei einer solchen Sichtweise der Trägerschaft und der Tätigkeit des Gemüts eine basale Rolle zugeschrieben wird. Bezeichnenderweise war Reinhold bei seinen Definitionen zum Vorstellungsvermögen zu der Ansicht gelangt, der „Gedanke“ sei die Wirkung eines Denkens, ipso facto primär als Denkvermögen und „Handlung des Gemüths“ auszulegen.²⁶ Dieses Räsonnement zur Genese eines Gedankens erinnert an einen semantischen Psychologismus, der, wie der besprochene Konventionalismus, ebenfalls hauptsächlich Locke zuzuschreiben ist. Dem semantischen Psychologismus zufolge sind die durch bestimmte Wörter hervorgerufenen Bedeutungen oder Gedanken dasselbe wie die beim Gebrauch ebendieser Wörter bestehenden Vorstellungen und Operationen eines Subjekts. Bei Locke liest man dazu, dass Wörter die Vertreter von Ideen im Geiste dessen, der sie benutzt, sind („Words in their primary or immediate Signification, stand for nothing, but the Ideas in the Mind of him that uses them“).²⁷ Es steht außer Zweifel, dass Reinhold mit dem Übergang zum System des Rationalen Realismus die Frage nach dem ontologischen Status von Gedanken grundlegend anders beantworten muss. Die anti-subjektivistische Haltung schlägt sich darin nieder, dass das Verständnis von Wortbedeutung oder Gedanke in einem bestimmten Punkt als anti-psychologisch aufzufassen ist. Ein Gedanke, so die neue Einsicht, muss zwar vorgestellt werden oder zu Bewusstsein kommen, ist als solcher aber nichts Subjektives, im Gemüt Vorhandenes, sondern etwas Objektives, in einer gegenständlichen Sphäre Vorhandenes. Diese Neuausrichtung, mit der das Verhältnis von Wort und Begriff zu einem Verhältnis von Wort, Begriff und Gegenstand erweitert wird, gehört in der Folge zu den Bausteinen von Reinholds auf das Verhältnis von Denken und Sprechen ausgerichtetem Systemdenken. In der Grundlegung einer Synonymik lässt Reinhold in dieser Sache verlauten, der „Gedanke“ sei ursprünglich kein Ergebnis des Vorstellens, sondern des reinen Denkens, genauer: der „Anwendung des reinen Denkens“. Soweit er als Bewusstsein umschrieben werden könne, sei der Gedanke ein allgemeines „reinvernünftiges Bewußtseyn“, das nicht mit dem „besondern Bewußtseyn des besondern menschlichen Einzelwesens“ zu verwechseln sei.²⁸
Vgl. Versuch, 314, RGS 1.206. Locke (1975) 405. Vgl. Synonymik, 233.
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Es ist meines Erachtens nicht abwegig, Reinholds Position an dieser Stelle als eine Vorwegnahme von Gottlob Freges Statuierung einer eigenständigen Welt der Gedanken zu sehen. Frege zufolge sind „Gedanken“ weder „Dinge der Außenwelt“ noch „Vorstellungen“.²⁹ Sie sind nicht Dinge der Außenwelt, da sie sich allenfalls in ihrem Gehalt auf solche Dinge beziehen. Sie sind nicht Vorstellungen, da Vorstellungen jeder Art, im Unterschied zu Gedanken, ihrem Wesen nach mit einem Subjekt als Träger und einem rezeptiven oder aktiven Vermögen zu tun haben. Gedanken bilden von daher ein autonomes, ein „drittes Reich“. Reinholds Nähe zu Frege ergibt sich hier genauer besehen nicht nur aufgrund der Abkehr vom Paradigma des Vorstellens. Sie wird auch augenfällig durch den Versuch, einen naiven Objektivismus zurückzuweisen. Wie Frege ist auch Reinhold von der Auffassung entfernt, dass Gedanken dann, wenn sie nicht mentale Vorstellungen oder Operationen sind, als Repräsentanten von Dingen einer äußeren Welt verstanden werden müssen. Nach Reinhold darf die „Objektivität“ der Gedanken oder – wie er es auch nennt – das „Objektive an sich“ nicht mit dem „Dinge an sich“, wie es Kant in kritischer Absicht oder ein metaphysischer Realist in positiver Bedeutung versteht, verwechselt werden.³⁰ Denn es geht nicht um ein Objekt als an sich betrachtet, sondern um ein die Bedeutungsebene der Sprache betreffendes Verständnis von Objektivität an sich oder überhaupt. Nicht unbeachtet bleiben darf in diesem Kontext von Reinholds Bemühen um einen objektiven Bedeutungsbegriff, dass sich in der Sache eine Neuakzentuierung im Verständnis von Wortbedeutung abzeichnet, die eigens von dem Begründungsverfahren der Analysis herrührt. Die Einführung der Analysis hat zur Folge, dass neben dem Ideal eines eindeutigen Wortgebrauchs eine Überprüfung und allfällige Korrektur des Wortgebrauchs verlangt wird. Reinhold nimmt an, dass eine wechselseitige Vergleichung von Wortbedeutung und Gegenstand in Gang gesetzt werden muss und dass bei dieser Vergleichung die Destruktion von Scheinerkenntnis eine Schlüsselrolle zu spielen hat. Hierbei verteidigt er die Ansicht, dass sich Scheinerkenntnis nicht nur dann einstellt, wenn wir bei der Anwendung von Begriffen, mit Kant gesprochen, den Bereich der Erfahrung überfliegen, sondern auch dann, wenn wir Begriffe nicht vorgängig verdeutlichen, nicht dem Verfahren der Analysis unterwerfen.Von daher ist für Reinhold die Analysis eine unentbehrliche Komponente in der Vergleichung von Wortbedeutung und Gegenstand. Von nicht geringer Relevanz ist mit diesem Ergebnis darüber hinaus ein systematischer Punkt, den Reinhold zuvor kaum angesprochen hat, nämlich die Frage, in welcher Weise das Ideal eines eindeutigen Wortgebrauchs mit der aufgrund der Analysis angenommenen
Vgl. Frege (1986) 43. Vgl. Beiträge Übersicht H 6, 68, RGS 7/2.787.
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Modifizierbarkeit und möglichen Berichtigung des Wortgebrauchs kompatibel zu machen ist. Man darf davon ausgehen, dass Reinhold eine Verträglichkeit dahingehend unterstellt, dass der mit der Analysis verbundene Prozess der Bedeutungsbestimmung als methodischer Entdeckungsweg zur eigentlichen Bedeutung eines Wortes begriffen werden soll. Es bleibt zu konstatieren, dass Reinhold gleichfalls bei den im Rahmen des Rationalen Realismus geäußerten Überlegungen zur philosophischen Sprache zur Hauptsache sowohl aufklärungspragmatische als auch die Frage der Gewissheit und Wahrheit betreffende Ziele verfolgt. Weit stärker als zuvor macht sich inzwischen aber eine theorieideologische Intention bemerkbar. Reinhold ist darauf aus, seinen mit der Abkehr von der Vorstellungstheorie verbundenen Nachweis von Irrtümern der von Fichte und Schelling angeführten spekulativen Philosophie primär in einer die Sprache angehenden Richtung zu erbringen. Die spekulative Philosophie Fichtes und Schelling wird als neue Epoche der sophistischen Sprachverwirrung porträtiert. Noch ist Reinhold fern davon, das System des Rationalen Realismus im Gewande seiner bisherigen Einsichten zur philosophischen Sprache neu darstellen. Dies geschieht in der Spätphase, der wir uns nun zuwenden wollen.
3 Das Projekt einer die Kritik der Sprache betreffenden Philosophia prima Was man in der Literatur zu Reinhold als dessen sprachphilosophische Spätphase bezeichnet, beginnt im Anschluss an die von 1804 und 1805 stammenden Einzeluntersuchungen Reinholds zu den rational-realistischen Begriffen der Analysis und des Widerspruchs. Den Texten ab 1806 ist zu entnehmen, dass Reinhold das System des Rationalen Realismus nun auch grundlegend mit der Frage der philosophischen Sprache verklammert und sich dadurch vermehrt auf den Sprachaspekt innerhalb seiner Doppelprogrammatik eines Denkens als Denkens konzentriert. Es dauert aber bis zum Erscheinen der Grundlegung einer Synonymik, bis Reinhold der Überzeugung Ausdruck verleiht, das Unterfangen einer systematischen Kritik und Klärung der philosophischen Sprache solle den Stellenwert einer Philosophia prima haben.³¹ Dieser Einschnitt bedeutet, dass die verschiedenen zuvor marginal bleibenden Reflexionen über die philosophische Sprache nun ganz ins Zentrum rücken und den Kern des kommenden Systems ausmachen. Was das gesamtwissenschaftliche Profil der so verstandenen ersten Philosophie betrifft, will Reinhold diese gleichfalls, wie zuvor das System des Rationalen Realismus, als eine neue Logik, als Siehe Synonymik, 232.
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„Wissenschaft des reinen und eigentlichen Denkens“, verstanden wissen.³² Was dies genauer heißen und für eine künftige Lehre der Logik zur Konsequenz haben soll, dokumentiert eine unveröffentlichte Nachschrift der Logik-Vorlesung Reinholds vom Frühjahr 1814.³³ Die Kritik und Klärung der philosophischen Sprache, so wird damals der studentischen Hörerschaft nahegebracht, obliegt der Logik überhaupt, der Logik als Vernunftlehre. Unter diese fallen die allgemeine oder formale Logik, die Logik als Verstandeslehre, sowie die besondere oder empirische Logik, die Logik als Wesenslehre. Die beiden subsumierten Logiken sind Reinhold zufolge aus der Sicht der Vernunftlehre zu läutern. Und dies bedeutet seines Erachtens, dass deren Grund- und Lehrsätze frei von doppelsinnigen Ausdrücken wiederzugeben sind. Doch was enthalten, abgesehen von diesen Neuerungen auf der Makroebene, Reinholds spätere Beiträge zur Sprachthematik an substanziellen neuen Ergebnissen? Es ist auffällig, dass der späte Reinhold neben seiner anti-konventionalistischen Haltung zum Verhältnis von Wort und Begriff und seinem anti-psychologischen Verständnis von Wortbedeutung nun in markanter Weise ebenso einer anti-instrumentalistischen Sprachauffassung das Wort redet. Diese anti-instrumentalistische Auffassung, die Reinhold vor allem durch Herder geläufig ist,³⁴ besteht in der These, dass Sprechen und Denken originär miteinander verwoben sind, dass Sprache insofern nicht nur Ausdruck, Werkzeug oder Organ, sondern auch Bedingung des Denkens ist. Am dezidiertesten in dieser Sache äußert Reinhold sich in der Schrift Das menschliche Erkenntnißvermögen. Er polemisiert dort gegen jene philosophischen Mitstreiter, die Sprache lediglich als „Mittel“ des Ausdrucks von auch „ohne sie“ bestehenden Gedanken, alles in allem nur als Beiwerk ihrer Systemkompositionen betrachten. Er geißelt philosophische Autoren, die verkennen, dass die Sprache „unentbehrlich zur ursprünglichen Erzeugung, und Entwicklung aller Begriffe“ ist, dass man, mit anderen Worten, nicht umhinkann, die Sprache als „grundwesentliche Bedingung alles denkenden Vorstellens, und als innerlicher Bestandteil des menschlichen Erkenntnißvermögens selber“ anzusehen.³⁵
Siehe ebd. 236–237. Eine Kopie und eine Transkription dieser Nachschrift zu der ab Ostern 1814 gehaltenen LogikVorlesung Reinholds ist im Besitze des Autors des vorliegenden Aufsatzes. Seine Übereinstimmung mit Herder, der die anti-instrumentalistische Sichtweise einer ursprünglichen Verbundenheit von Vernunft und Sprache („ratio et oratio!“) unter anderem in der Abhandlung über den Ursprung der Sprache kenntlich gemacht hat (siehe Herder-SW 5.40), bekundet Reinhold in Critik der Logik, 89–92. Man beachte auch das Herder-Zitat, das Reinhold als Motto seiner Schrift verwendet hat. Vgl. Das menschliche Erkenntnißvermögen, 3.
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Der sprachphilosophische Hauptbeitrag von Reinholds Spätphilosophie besteht nun aber in dem in der Grundlegung einer Synonymik manifest gewordenen Bestreben, die angemahnte Forderung eines eindeutigen und Worthülsen eliminierenden Sprachgebrauchs methodisch-systematisch zu untermauern. Reinhold geht dazu über, sich vorbereitend über das Phänomen synonymer und homonymer Ausdrücke zu verständigen. Danach wird die eigentliche Systemaufgabe angepackt und das den formulierten Standards einer gereinigten Sprache adäquate philosophische System vorgetragen. Wie Reinhold in kritischer Anknüpfung an Ausführungen zu den Begriffen der Synonymie und Homonymie aus der Kategorienschrift von Aristoteles sowie aus Johann August Eberhards Versuch einer allgemeinen deutschen Synonymik expliziert,³⁶ ist die Synonymie als eine „Sinnverwandtschaft“ verschiedener Wörter aufzufassen, die Homonymie als eine einheitliche Wortverwendung bei sinnverwandten Bedeutungen.³⁷ In beiden Fällen kann es, wenn die sprechende Person unachtsam ist oder absichtlich Verwirrung stiftet, im Sprachdiskurs zu einer Vermengung von Bedeutungen kommen. Im ersten Falle wird eine Bedeutung nicht ausreichend von einer anderen ähnlichen Bedeutung separiert, im zweiten eine Bedeutung mit einer anderen ähnlichen Bedeutung unmerklich oder gezielt amalgamiert. Dem entsprechend lautet das diagnostische Fazit Reinholds, dass die bisherige Grundterminologie in den Bereichen der Logik und Metaphysik primär deshalb an Verwirrungen krankt, weil die Hüter und Pfleger dieser Wissenszweige in unmerklicher oder absichtlicher Weise mit synonymen und homonymen Ausdrücken operieren.³⁸ Mit dem aufgestellten eigenen System soll dem ein Ende gesetzt werden. Es soll, mit anderen Worten, ein System geliefert werden, das frei ist von Synonymien und Homonymien der genannten Art.
Vgl. Synonymik, 17–24. Vgl. Synonymik, 19. – Reinhold behauptet dazu ausdrücklich, dass Synonyme „nach unserem heutigen Sprachgebrauch“ sinnverwandte und somit bedeutungsähnliche und nicht bedeutungsgleiche Ausdrücke sind. Zu diesem Grundverständnis von Synonymie bei Reinhold und dessen Abgrenzung von anderen Formen und Bedeutungen von Synonymie siehe Gerten (2006) 178–179. Was mögliche Anregungen zu dieser Überzeugung betrifft, ist vor allem an Leibniz’ Projekt der Grammatica rationis zu denken, zu dessen Aufgaben es gehört, synonyme Ausdrücke innerhalb der natürlichen Sprache zu tilgen (zu diesem Projekt siehe Poser (2016) 125–127). Mit Leibniz stimmt Reinhold auch insofern überein, als er das Programm einer Synonymik gleichermaßen in der Logik wie in der Metaphysik für nötig und durchführbar hält. Es geht Reinhold dementsprechend nicht, wie später im Neupositivismus der Prägung Rudolf Carnaps, um eine bei der Logik der Sprache anhebende Überwindung einer als sinnlos einzustufenden Metaphysik. Dies heißt nicht, dass Reinhold im Rahmen seiner seit 1800 manifest werdenden Kritik an der damals aktuellen Subjektmetaphysik nicht gelegentlich zu verstehen gibt, dass seines Erachtens bestimmte Ausdrücke dieser Strömung sinnlos, Indizien eines bloßen Gefühlsegoismus und deshalb zu vermeiden sind.
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Dieses von Reinhold sodann präsentierte System besteht in der Wiedergabe der mit dem System des Rationalen Realismus vorbereiteten Begrifflichkeit unter dem Vorzeichen eindeutig bestimmter philosophischer Grundwörter. Während Reinhold in der Phase der Elementarphilosophie mit dem Satz des Bewusstseins eine grundsatzphilosophische, in der Periode des Rationalen Realismus mit der Relation von erstem Wahren und Urwahrem eine regressive Systemstruktur zur Bestimmung philosophischer Systemausdrücke favorisiert hat, kommt nun ein weiteres Systemmuster ins Spiel. Die Idee einer netzartigen Systemstruktur, einer mehr oder weniger engen inneren und äußeren Verknüpfung von Wortgruppen, wird bedeutsam. Reinhold spricht von „Verwandtschaftstafeln“ und „Familien“ sinnverwandter Wörter.³⁹ Der Hauptgliederung nach werden zunächst Wortfamilien zu Vorstellungen des Einheitlichen und des Differenten zusammengestellt. Dabei wird, mit einem unverkennbaren Seitenhieb gegen die Schelling-Hegel’sche Identitätsphilosophie, eingeschärft, dass es im Blick auf die Wortfamilie des Einheitlichen die Bedeutungen der Wörter Einheit an sich, Einerleiheit, Übereinstimmung, Einstimmung, Identität, Setzung, Zusammensetzung, Vereinigung, Mischung, Zusammenhang und Position, im Blick auf die Wortfamilie des Differenten die Bedeutungen der Wörter Verschiedenheit, Mannigfaltigkeit, Widerspruch, Widerstreit, Entgegensetzung, Trennung, Scheidung, Unterschied und Negation voneinander abzuheben und in ihrer Spezifik festzuhalten gilt. Darauf aufbauend folgen Wortfamilien zu Vorstellungen, die im Großen und Ganzen mit der aristotelischen Wesensbegrifflichkeit (Wesen, Grund, Unveränderlichkeit) sowie mit den kantischen Verstandeskategorien und Vernunftideen in Verbindung zu bringen sind. In weiteren Sequenzen werden Wortfamilien zu jenen Vorstellungen präsentiert, die das System des Rationalen Realismus in den Bereichen der Körper- und Geisteswelt wie schließlich in der theologischen Abschlussgestalt, in Gott als dem sich an der Natur manifestierenden Urwesen, betreffen. Die hauptsächlichen Systembegriffe des Rationalen Realismus werden auf diese Weise mit der Prätention sowohl eindeutig bestimmter als auch in ihrer eigentlichen Bedeutung freigelegter Ausdrücke vorgetragen. Die Darlegung der Ausdrücke in Form von Wortfamilien bringt es mit sich, dass Reinhold auf eine weitere prozessuale Komponente in der Bedeutungsbestimmung Rücksicht nimmt. Neben dem mit dem Verfahren der Analysis existierenden prüfenden und bewahrheitenden Umgang mit Bedeutungen wird eine Art holistischer Bedeutungsbestimmung von Belang. Die Bedeutung eines Wortes soll nicht isoliert, sondern im Kontext anderer Wörter der betreffenden Wortfamilie sowie im Verbund mit anderen Wortfamilien bestimmt werden. Auf dieser Basis ist es nicht
Siehe Synonymik, 41.
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abwegig zu behaupten, dass Reinhold den Weg zu einem Sprachparadigma einschlägt, welches man im Anschluss an De Saussure als semantischen Differentialismus oder semantischen Inferentialismus kennzeichnen wird. Auch an den späteren Wittgenstein ist zu denken, der darüber meditiert, dass wir der Bedeutung eines Ausdrucks über ein „kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten“, sogenannten „‘Familienähnlichkeiten‘“, innewerden.⁴⁰ Nicht unbeachtet bleiben darf bei dieser Qualifizierung allerdings, dass Reinhold die netzartige Verknüpfung innerhalb und zwischen den Wortfamilien zugleich in eine subordinierende Grundordnung eingegliedert sieht. In Kontinuität zum Urverhältnis von Einheit und Verschiedenheit aus dem System des Rationalen Realismus soll an der Spitze ein triadisches Urmodell stehen, das die Bedeutungen von „Einheit an sich“, Einheit in oder an dem Verschiedenen, d. h. „Einerleyheit“, und von beiden zu unterscheidender „Verschiedenheit“ umfasst.⁴¹ Zwischen diesen drei Bedeutungen soll ein ursprünglicher Zusammenhang und eine feste Rangfolge bestehen. Näher besehen vertritt Reinhold deshalb einen semantischen Inferentialismus hierarchischen Typs. Die assoziativ gebundenen Prozesse wechselseitigen Bestimmens kennen eine organisierend-subordinierende Rahmenstruktur. Auf dieser Grundlage sind einer Autonomie der miteinander interagierenden Bedeutungselemente Grenzen gesetzt. Und es wird, um auf den Vergleich mit Wittgenstein zurückzukommen, ebenso die Annahme in die Schranke gewiesen, bei der Vorstellung des Allgemeinen, die mit der Bedeutung eines Prädikatausdrucks besteht, handle es sich lediglich um eine Konfiguration von Ähnlichkeiten. Im Blick auf die Zielsetzungen von Reinholds Reflexion über Sprache gilt es schließlich hervorzuheben, das ungleich markanter als zuvor der Wahrheitsanspruch systematischen Philosophierens Beachtung findet und sich eine bisher nicht dagewesene Verknüpfung von Sprache und Wahrheit einstellt. Mit dem Übergang zum Projekt der Synonymik wird gleichzeitig intensiviert der Frage nachgegangen, was unter dem Begriff der Wahrheit zu verstehen sei, genauer: wie man Wahrheit an sich, Wahrheit überhaupt, zu definieren, konkretisieren und in Bezug auf Kriterien zu fassen habe. In der letzten Phase von Reinholds Schaffen kommt es vor diesem Hintergrund zu einem beachtlichen weiteren Denkentwurf. In Abgrenzung von der vorstellungstheoretisch imprägnierten klassischen Wahrheitsdefinition der Übereinstimmung von Vorstellung und Gegenstand⁴² wird Wahrheit nominal neu definiert als „Uebereinstimmung des Seyns mit sich selbst“.⁴³ Gleichzeitig wird das Siehe Wittgenstein (2003) 57. Vgl. Synonymik, 43. Zu Reinholds expliziter Kritik an der klassischen Wahrheitsdefinition der adaequatio siehe Westerkamp (2008) 205–213; Bondeli (2023). Wahrheit II, 22.
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hierarchische Modell der drei Instanzen von Einheit, Einerleiheit und Verschiedenheit herangezogen und dafür argumentiert, ein System gereinigter sprachlicher Ausdrücke, bei dem erstens das „an sich unveränderliche Seyn“, zweitens das „unveränderliche Seyn am Veränderlichen“ und drittens das „veränderliche Seyn“⁴⁴ zur basalen Ordnungsfolge gehöre, sei unumgänglich für eine Sacherklärung ebendieser Wahrheit, mit anderen Worten: ein notwendiges Wahrheitskriterium. In diesem Sinne hat Reinhold zuvor den Wahrheitsbegriff in kriteriologischer Hinsicht als „unterordnende Ordnung“ kenntlich gemacht.⁴⁵
4 Schlussfolgerungen Mit seinen Betrachtungen zum Sprachgebrauch und mit seiner Forderung der Sprachreinigung hat Reinhold sich nicht nur einer Aufgabe, die Bestandteil der erkenntnistheoretischen Untersuchungen bei Locke und Leibniz war, bei Kant dagegen in den Hintergrund trat, wiederum eindringlich gewidmet. Reinhold hat, und dies insbesondere aufgrund seiner um 1800 anhebenden anti-psychologischen Haltung, dazu beigetragen, dass die Sprache als relativ eigenständiger Vermögensund Systemaspekt innerhalb des Gesamtspektrums menschlicher Vermögensleistungen zur Kenntnis gebracht wird. Die Klärung des Verhältnisses von Wort, Begriff und Gegenstand wird als eine richtungweisende philosophische Aufgabe betrachtet. In diesem Kontext wird insbesondere die dem Wort zukommende Bedeutung, der Gedanke, als eine kognitive Ebene aufgefasst, die – im Sinne Freges – weder als subjektiv (zu den Formen, Zuständen oder Akten des Subjekts gehörend) noch als in einem naiven Sinne objektiv (zu den Dingen der Außenwelt gehörend) anzusehen ist. Alles in allem darf man Reinholds Wiederaufnahme und Neugewichtung des Sprachthemas als Gewinn betrachten. Im Vergleich mit dem bedeutungstheoretischen Paradigma, das mit dem Namen Freges verbunden ist, ist Reinholds Ergebnis allerdings von begrenzter Reichweite. Frege geht von komplexen Wort- oder Zeichengebilden aus. Ist von „Gedanke“ die Rede, steht primär der „Sinn eines Satzes“ zur Diskussion und wird der wahre Gedanke oder die „Tatsache“ betrachtet.⁴⁶ Die Bedeutung eines Wortes erschließt sich bei Frege aus dem Satzzusammenhang. Dagegen hat Reinhold, wenn er von Gedanken spricht, einzelne philosophische Terme oder Wortfamilien, die es eindeutig zu bestimmen gilt, im Auge.⁴⁷ Dies gilt Siehe ebd. 49. Siehe Das menschliche Erkenntnißvermögen, 145. Vgl. Frege (1986) 33 u. 50. Reinhold interessiert sich auch dort, wo er in einer allgemeineren, nicht direkt sein Systemvorhaben betreffenden Weise über Sprache diskutiert, so gut wie ausschließlich für einzelne oder
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auch dort, wo Reinhold über Urteile und Schlüsse spricht und die üblichen Urteilsund Schlussformen durchdekliniert. Reinhold ist in diesem Fall darauf aus, die Bedeutung jener Wörter zu klären, welche die Materie der Begriffe oder Form der Verknüpfung von Begriffen bezeichnen.⁴⁸ Hinzu kommt, dass Reinholds Anti-Psychologismus mit einer allzu radikalen Ausblendung sprachlicher Subjektleistungen einhergeht. Reinhold kennt zwar neben der denkenden, vorstellenden, erkennenden, Gedanken aufbewahrenden und der Erinnerung von Vorstellungen förderlichen durchaus zugleich die sprechende, mitteilende, verständigende Funktion der Sprache, thematisiert jedoch nicht, dass die letztgenannten drei Funktionen es nahelegen, über die Konstitution von Bedeutungen gleichfalls im Zusammenhang von Sprechakten und Prozessen der Intersubjektivität nachzudenken.⁴⁹ Es ist nicht in Abrede zu stellen, dass Reinhold sowohl aus aufklärungspragmatischen als auch aus wissenschaftlichen Gründen stets wieder die Forderung eines allgemeingültigen, wahren philosophischen Wissens, das gleichzeitig allgemein geltend oder allgemein akzeptiert ist, erhoben hat. Und es ist auch nicht zu übersehen, dass Reinhold das Wort „Sprache“ primär auf (äußeres und inneres) „Sprechen“, auf das Artikulieren von Lauten, mithin auf einen von Grund auf sozialen Zusammenhang zurückgeführt hat.⁵⁰ Deshalb ist es aber gerade auch erstaunlich, wie wenig er sich Theoremen der intersubjektiven Verständigung angenommen hat. Die Tatsache, dass Reinhold, Herder folgend, als Advokat eines anti-instrumentalistischen Sprachverständnisses auftritt und die begriffserzeugende Komponente der Sprache akzentuiert, ist im Weiteren ebenso zu würdigen wie der Versuch, der sprachlichen Willkür im philosophischen Diskurs mit der Forderung einer eindeutigen Verwendung der philosophischen Ausdrücke Einhalt zu gebieten. Doch auch in diesem Bereich lässt Reinhold Fragen offen und bleibt Erklärungen schuldig. Vor allem müsste gezeigt werden, in welcher Weise die verlangte eindeutige Verwendung eines Ausdrucks nicht nur mit der Idee einer überprüfbaren, berichtigenden, sondern auch mit der sich mit den Wortfamilien ergebenden holistischen
für einen als mehrgliedrigen Nexus aufgefassten Komplex von Wörtern und nicht für Aussagen oder Urteile. Zu den hauptsächlichen Unterscheidungen, die er zum Verständnis von Wort oder Zeichen anführt (allgemeine Namen, Eigennamen, verschiedene Wortarten, bildliche Ausdrücke wie Schemata oder Gemeinbilder, unsinnliche Ausdrücke wie Begriffe oder Denkbilder, metaphorische Ausdrücke), vgl. Das menschliche Erkenntnißvermögen, 75–79; Wahrheit II, 82–89. Diese Intention spiegelt sich in der Definition zum Wesen des logischen Urteils, die Reinhold in der Logik-Vorlesung von 1814 (siehe Anm. 33) vorgetragen hat. Ein Urteil – wie sodann auch ein Schluss – ist für Reinhold grundsätzlich das Vorstellen eines Begriffs auf der Basis der Verbindung mehrerer Begriffe. Zu Reinholds problematischem, zumal von intersubjektiven und intentionalen Subjektleistungen absehendem Bedeutungsobjektivismus, siehe Imhof (2015) 71–72. Siehe Wahrheit II, 79.
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Bedeutungsbestimmung in Einklang zu bringen ist. Nicht zu überzeugen vermag zudem die Unterstellung Reinholds, auf der Grundlage der Befolgung seines die Sprachreinigung betreffenden Forderungskatalogs könne kein anderes als sein eigenes System der Philosophie, das heißt sein rekonstruiertes System des Rationalen Realismus, vertreten werden. Reinhold zweifelt nicht daran, mit den eindeutig bestimmten Ausdrücken sogleich auch deren eigentliche, grundlegendste Bedeutung freigelegt sowie die einzigrichtige Ordnung in der systematischen Abfolge und Gegenüberstellung der jeweiligen Bedeutungen entdeckt zu haben. Dem ist entgegenzuhalten, dass es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen dem, was Reinhold als Aufgabe der Sprachreinigung und Bedeutungsbestimmung von Ausdrücken vorsieht, und dem Begriffsgebäude, das er mit seinem System entfaltet, gibt. Mit anderen Worten: Auch ein anderes als sein eigenes System könnte seinem vorgeschlagenen Programm der Sprachreinigung genügen. Davon abgesehen ist auch dieses Programm selbst, so vor allem das Postulat einer eindeutigen Wortverwendung, natürlich nicht unbestritten. Aufgrund der zu respektierenden Vielheit von Sprachen und Sprachspielen, aufgrund des für Kritik und Fortschritt nötigen Experimentierens mit Sprache sind Zweifel an der Realisierbarkeit und am Sinn dieses Postulats angebracht. Reinholds Forderung der eindeutigen Wortverwendung, so muss man präzisieren, ist deshalb auf jeden Fall als ein Regulativ zu verstehen und überdies nur innerhalb eines begrenzten Rahmens und unter einer bestimmten Zielsetzung sinnvoll. Sie ist dort angebracht, wo nicht das Vorherrschen eines allzu starren Systems von Wortbedeutungen, sondern umgekehrt die Vieldeutigkeit von Wörtern und der Mangel an Bereitschaft, die verwendeten Wörter in ihrer Bedeutung zu bestimmen, Kritik und Fortschritt in der Erkenntnis hemmen. Unter Umständen genügt es dabei auch, dass Ausdrücke in einem intersubjektiven Zusammenhang geklärt und definiert werden, ohne zugleich eine Eindeutigkeit in dem von Reinhold unterstellten strikten Sinne (für einen Ausdruck nur eine Bedeutung, für eine Bedeutung nur einen Ausdruck) zu verlangen. Schließlich hinterlassen gleichfalls manche Überlegungen, die für Reinholds anti-konventionalistische Haltung typisch sind, einen ambivalenten Eindruck. Der Behauptung, dass die Annahme einer Beliebigkeit der Sprachverwendung sich ad absurdum führt, kann man zustimmen. Billigung und Unterstützung verdient ebenso die Überzeugung, dass es auch – und gerade – unter der Voraussetzung einer arbiträren Sprachverwendung gegen eine Form der Willkür anzukämpfen gilt. Fragen muss man sich aber, ob Reinhold, wenn er sich im Gegenzug zum Konventionalismus an einen von Leibniz beeinflussten Objektivismus hält, diesen als eine mit sprachtheoretischen Mitteln vertretbare Position durchzufechten vermag. In der Schrift Das menschliche Erkenntnißvermögen äußert sich Reinhold dahingehend, dass nur das „denkende Vorstellen“ durch Sprache erzeugt werde,
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nicht aber auch das „Denken als solches“,⁵¹ zumal letzteres der vorausgehende Maßstab des Objektiven sei, nach dem sich die Sprache zu richten habe. Diese Äußerung, die dafür spricht, dass Reinhold den Primat des Sprechens vor dem Denken nicht der Sphäre des reinen, sondern eines mit dem Vorstellen behafteten Denkens vorbehält und demnach nicht durchgängig geltend macht,⁵² lässt verschiedene Lesarten zu. Zum einen kann dies so verstanden werden, dass Reinhold nachträglich einem Instrumentalismus Einlass gewährt und den nicht zur Willkür degenerierten Sprachgebrauch als menschliches Werkzeug des göttlichen Denkens an sich verstanden wissen möchte. Zum anderen kann man Reinholds Aussage aber auch so interpretieren, dass das Denken als solches ein menschliches Grundvermögen darstellt, das sich dem Ideal einer objektiven, wahrheitsfundierten Sprache anzunähern vermag, und dass der Mensch dabei mittels der Ankündigung der Gottesidee in seinem Gewissen zur Tat aufgefordert, zur Annäherung an dieses Ideal verpflichtet wird. Während die erste Lesart auf eine bald dogmatisch, bald skeptisch anmutende Vorstellung eines göttlichen Sprachfundamentes hinauszulaufen scheint, wird mit der zweiten ein sprachpragmatischer Gedanke assoziiert. Es wird auf eine Sprechsituation Bezug genommen. Es wir an jene Sprechsituation appelliert, in welcher Personen sich in pflichtbewusster Weise wahrheitsinteressiert verhalten und dadurch um einen durch die denkende Vernunft geleiteten allgemeinen Sprachgebrauch bemühen. Leider hat Reinhold zu diesem Punkt keine weiterführenden Untersuchungen in Angriff genommen. Wie erwähnt, hat er sich in der Folge mit der Wahrheitsfrage befasst und so seine sprachphilosophischen Reflexionen mit einer Untersuchung zur Verwendung der Wörter „wahr“ und „gewiß“, „Wahrheit“ und „Gewißheit“ fortgeführt.
Literatur Bondeli, Martin (1995): Das Anfangsproblem bei Karl Leonhard Reinhold. Eine systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zur Philosophie Reinholds in der Zeit von 1789 bis 1803, Frankfurt a. M. Bondeli, Martin (2018): „Reinhold über das Verhältnis von Denken und Sprechen“, in: Christian Danz, Jürgen Stolzenberg u. Violetta L. Waibel (Hgg.), Systemkonzeptionen im Horizont des Theismusstreites (1811–1821), Hamburg, 117–141. Bondeli, Martin (2023): „Wesen und System der Wahrheit. Zu Reinholds Wahrheitsschrift von 1820“, in: Christian Danz u. Violetta L. Waibel (Hgg.), Späte Systemkonzeptionen, Hamburg (erscheint Ende 2023).
Vgl. Das menschliche Erkenntnißvermögen, 72. Man beachte in dieser Sache auch Gerten (2006) 181.
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Frege, Gottlob (1986): „Der Gedanke. Eine logische Untersuchung“ in: ders., Logische Untersuchungen, hg. v. Günther Patzig, Göttingen. Gerten, Michael (2005): „Sprache und System. Zu Reinholds viertem, sprachphilosophischem Systemwechsel“, in: Pierluigi Valenza (Hg.), K. L. Reinhold. Alle soglie dell‘ idealismo / Am Vorhof des Idealismus. Archivio di filosofia 73:1–3, 167–191. Imhof, Silvan (2015): „Karl Leonhard Reinholds Kritik der philosophischen Sprache“, in: Sandra Markewitz (Hg.), Philosophie der Sprache im Vormärz, Bielefeld, 47–73. Leibniz, Gottfried Wilhelm (1765): Dialogus de connexione inter res et verba, et veritas realitate, in: Œuvres philosophiques latines et françoises de feu Mr. de Leibnitz, Amsterdam und Leipzig. Locke, John (1975): An Essay Concerning Human Understanding, ed. by Peter H. Nidditch, Oxford. Paimann, Rebecca (2009): Das Denken als Denken. Die Philosophie des Christoph Gottfried Bardili, Stuttgart/Bad Cannstatt. Poser, Hans (2016): Leibniz’ Philosophie. Über den Zusammenhang von Metaphysik und Wissenschaft, hg. von Wenchao Li, Hamburg. Wittgenstein, Ludwig (2003): Philosophische Untersuchungen, hg. von Joachim Schulte, Frankfurt a. M.
Philologica
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Ergänzungen und Korrekturen zur Bibliographie der Schriften von Karl Leonhard Reinhold ab dem Jahre 1804 1 Einleitung Alexander von Schönborn hat mit seinem vor über 30 Jahren publizierten Werk Karl Leonhard Reinhold. Eine annotierte Bibliographie ¹ nicht nur eine immense, detaillierte und bewunderswerte Arbeit geleistet, sondern sicherlich zu der stark anwachsenden Reinhold-Forschung der letzten zwei bis drei Jahrzehnte erheblich beigetragen, ja sie wohl in der gegenwärtigen Breite überhaupt erst möglich gemacht. Was die Reinhold-Forschung selbst angeht, so kann man allerdings von einem Wiederaufleben derselben eigentlich nicht reden. Denn das anwachsende gegenwärtige Interesse stellt die erste größere Rezeptionswelle überhaupt von Reinholds Schriften seit den 1790er Jahren dar. Den Wechsel Reinholds zu Bardilis „Logischem“ oder „Rationalem Realismus“ nahmen die Zeitgenossen noch zur Kenntnis, allerdings fast durchgehend kopfschüttelnd. Dagegen fanden die Publikationen Reinholds nach den sechs Heften seiner Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts (erschienen Hamburg 1801–03 bei Friedrich Perthes) damals zwar noch – wenn auch ständig abnehmendes – Interesse, wurden aber kaum inhaltlich rezipiert. Auch die gegenwärtige Reinhold-Forschung wendet sich erst allmählich den späteren Schriften zu.² Es kann nicht ausbleiben, dass mit dem Schub der Reinhold-Forschung in den letzten drei Jahrzehnten, mit der (zeitlich ziemlich parallel verlaufenden) Revolution der Möglichkeiten der Datensammlung und –recherche im Internet und schließlich auch im Zuge der laufenden Arbeiten an der unter der Leitung von Martin Bondeli herausgegebenen Reihe Karl Leonhard Reinhold: Gesammelte Schriften. Kommentierte Ausgabe (Schwabe Verlag Basel, ab 2007) und der von Faustino Fabbianelli, Ives Radrizzani u. a. herausgegebenen Reinhold-Korrespondenzausgabe (Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt, sechs Bände seit 1983) auch neue bibliographische Erkenntnisse und Ergänzungen zum Schrifttum Rein-
im Folgenden: Schönborn Reinhold Bibliographie. Vgl. die fortlaufende Bibliographierung der Forschungsliteratur auf der Webseite zu Reinhold: www.klreinhold.ch. https://doi.org/10.1515/9783111239521-016
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holds auftreten. Gerade von aus der Zeit nach 1800 stammenden, bisher weitgehend unpublizierten Briefen werden weitere Aufschlüsse über seine Publikationen, aber auch über ungedruckte Texte und Textfragmente zu erwarten sein.³ Schon v. Schönborn selbst hatte weitere Entdeckungen keineswegs ausgeschlossen und für seine Bibliographie keinen Vollständigkeitsanspruch erhoben.⁴ Ebensowenig tun das die Ergänzungen, Korrekturen und Anmerkungen, die ich hier für Reinholds Schriften für die Zeit ab 1804 vorlegen will. Sie sind motiviert durch meine Entdeckung zweier für die Reinhold-Forschung gänzlich neuer Texte (s.u. Nr. V und Nr. VIII), die Auffindung weiterer Abdrucke/Variationen schon bekannter Texte, aber auch durch grundsätzliche Erwägungen über das veränderte Publikationsverhalten Reinholds nach 1803. Denn Reinholds Publikationen bis einschließlich 1803 sind wegen der größeren zeitgenössischen Rezeption bekannter und verbreiteter gewesen. Auch für diese Zeit sind durch die neuere Forschung mittlerweile zahlreiche Ergänzungen und Korrekturen zur Reinhold Bibliographie v. Schönborns angefallen.⁵ Ich beschränke mich in meinen folgenden Ausführungen jedoch auf die Zeit ab dem Jahre 1804. Hier ist die Publikationslage bei Reinhold in zweierlei Hinsicht komplexer geworden: 1. Reinhold ließ jetzt viel häufiger anonyme Schriften, z.T. sogar ohne Angaben von Ort, Verlag und Jahr drucken. 2. Einige der von ihm in Druck gegebenen Schriften waren gar nicht zur Auslieferung für den Buchhandel gedacht; sie hatten vielmehr den Charakter von privaten, allenfalls ‚halböffentlichen‘ Drucken oder „Flugschriften“,⁶ die er bei Verlagen bzw. Druckereien in Auftrag gab und an ausgewählte Leser, zum Teil auch an Zeitschriften verschickte bzw. verschicken ließ. Entsprechend selten fanden solche Drucke dann den Weg in Bibliotheken oder wurden Gegenstand von Rezensionen. Mögliche nähere Umstände und Gründe für
So haben die Herausgeber der Reinhold-Korrespondenzausgabe, Faustino Fabbianelli und Ives Radrizzani, im Zusammenhange mit Reinholds Briefwechsel mit Jakob Friedrich Fries ab 1806 u. a. ein bislang unbekanntes handschriftliches „Sendschreiben an Fries“ entdeckt. Vgl. die entsprechenden Bemerkungen v. Schönborns in der Einleitung zu seiner Reinhold Bibliographie, 63. Vgl. auch die ständig aktualisierte Bibliographie auf der o. a. Webseite zu Reinhold. So bezeichnete ein anonymer Rezensent die Druckschrift Etwas über den Widerspruch; siehe unten Nr. III b). Das Verfahren war damals keine Seltenheit. Reinhold hat schon früher in Zeitschriften Anzeigen oder Paraphrasierungen nachfolgender Schriften publizieren lassen; so etwa zum Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens (vgl. Schönborn Reinhold Bibliographie Nr. 37), zum ersten und zum zweiten Band der Beyträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen und zur Schrift Ueber das Fundamemt des philosophischen Wissens (vgl. Schönborn Reinhold Bibliographie, 125 ff.).
…zur Bibliographie der Schriften von Karl Leonhard Reinhold ab dem Jahre 1804
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dieses Verfahren Reinholds lassen sich aus biographischen Details und auch aus bisher publizierten Briefen erschließen: Nach seinem erneuten Systemwechsel zu Bardili hatte Reinhold heftige Kritik erfahren, wurde z.T. als Philosoph nicht mehr ernstgenommen. Auch war die Übereinstimmung im Detail mit Bardili nicht so groß, wie Reinhold anfangs selbst noch gedacht hatte. In sachlicher Hinsicht wiederum glaubte Reinhold einigen logischen, auch sprachlich bedingten Missverständnissen der Philosophie auf die Spur gekommen zu sein, die aus seiner Sicht von so fundamentaler Reichweite waren, dass er seine diesbezüglichen Klarstellungen nicht unter seinem Namen, also anonym veröffentlichen wollte, um ihnen so eine leichtere, weil vorurteilsfreiere Rezeption zu ermöglichen.⁷ Hinzu kommt, dass er wohl für einige dieser Thesen und Schriften vor einer Publikation durch den Buchhandel zuerst die Meinungen und Reaktionen ausgewählter Personen einholen wollte. Die Vorsicht Reinholds ging sogar bis zur Fingierung falscher Druckorte.⁸ Belege für meine Vermutungen sehe ich u. a. in brieflichen Äußerungen Reinholds. So schreibt er am 4. Juli 1801 an Bardili: „ich habe kein Ansehen mehr im philosophischen Publikum. Ich habe dasselbe durch das aufeinander folgende Aufgeben zuerst des buchstäblichen Kantianismus, dann meiner eignen Elementarphilosophie, dann der Fichte‘schen Transscendentalphilosophie verwirkt“.⁹ Lorenz Leopold Haschka, ein Freund Reinholds aus den gemeinsamen Wiener Jahren, schreibt in einem Antwortbrief an Reinhold am 20. Februar 1803: „Ich begreife dass Sie Sich auf keine Fortsetzung Ihrer ehemahls angefangenen Schriften mehr einlassen können. Auch fühle ich innig, dass jede Frage, jeder Zweifel in Beziehung auf vorige, von Ihnen verlassene Systeme nur unbescheidne Unterbrechung, nur importune Störung Ihrer jetzigen, Ihnen höchst wichtige Betrachtungen wäre. […] Sagt nicht selbst Fichte, selbst Schelling, Hegel, die doch Bardilis u. Ihre erklärte Gegner sind, dass sie in Ihren Schriften nur blättern? […] Sie haben mit diesen Menschen nichts gemein, weder Zweck, noch Mittel, noch Ton. Darum werden Sie auch von ihnen, wie in den letzten kritischen Fetzen Schelling’s, auf eine so niederträchtige Weise herumgehudelt.“¹⁰ Noch deutlicher wird Haschka in einem Brief vom 8. April
Von wenigen, meist durch konkrete Ereignisse veranlassten Ausnahmen abgesehen, kreisen fast alle Texte Reinholds ab den ersten Heften der Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts 1801 thematisch um seine (ab ca. 1805 sprachkritisch reflektierte) Idee einer Logik als Grundlage allen weiteren Philosophierens mit dem (v. a. ab 1816 im Mittelpunkt stehenden) Ziel, zur Fundierung einer allgemeinen Erkenntnis- und Wahrheitslehre beizutragen. Insofern bilden die wesentlichen Schriften Reinholds ab 1801 einen inhaltlichen Zusammenhang. Siehe unten Nr. I. Zitiert nach: Keil (1885) 59. Zitiert nach Keil (1883) 76 ff.
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1803: „Ganz kann ich mich in das Unangenehme Ihrer Lage hinein denken, Ihnen lebendig den Missmuth, den Ekel, die erstarrende Kälte nachempfinden, die Sie befallen muss, da Sie jetzt, beynahe am Ziele Ihrer schweren, männlichsten u. gelungendsten Anstrengungen für das Eine, was der Menschheit Noth thut, nichts als Gleichgültigkeit, Vernachlässigung, Unehren u. zwar von den Coryphäen der Menschheit selbst, den Weltweisen, Kritikern u. Gelehrten, einernten.“¹¹ Noch einmal über fünf Jahre später hat sich an der Einschätzung dieser Situation auch durch Reinhold selbst nichts geändert, wie man zwei nachgelassenen Briefen Reinholds an Johann Friedrich Herbart vom 1. September und vom 1. November 1808 entnehmen kann.¹² In letzterem schreibt er: „Seitdem ich mich mit meinen Briefen über die Kantische Philosophie in meinem 28sten Jahre ins Publikum wagte, habe ich immer sehr viel der Korrespondenz mit meinen Lehrern zu verdanken gehabt, zuerst mit Kant, dann mit Fichte, dann mit Bardili, und nun so
Ebd. 79. Über das Verhältnis zwischen Haschka (1749–1827) und Reinhold vgl. die einleitenden Ausführungen Keils, ebd. S. 6 und S. 28–32. Wie aus einem weiteren Brief von Haschka an Reinhold vom 24. Juli 1804 hervorgeht, besorgte Haschka Korrektur und Druck von Reinholds Anleitung zur Kenntniß und Beurtheilung der Philosophie in ihren sämmtlichen Lehrgebäuden von 1805 (ebd. 83). In einem Brief vom 27. Januar 1807 (ebd. 93 f.) erwähnt er „einen dicken Band Mscrpt. u. zwar die Collegien von Hrn. Prof. Reinhold in Kiel über Aesthetik u. sch. Künste von einem Zuhörer getreu nachgeschrieben! […] Ew. Liebden erinnern Sich doch, dass ich dieselben schon lange, u. mehr als Ein Mahl, flehentlich angegangen, mir dero Collegia aesthetica für mein Geld copiiren zu lassen u. zu schicken? Dieselben haben aber diesem meinen de- und wehmütigen Bitten nicht gefüget […] ich habe diesen ziemlich dicken Quart-Band Mscrpt. mit der größten Begierde, u. hohem Vergnügen in Einer Nacht blätternd durchlesen u. lesend durchblättert. Ihre Collegien sind es gewiss, aber sehr fehlerhaft, sehr nachlässig, oft ganz sinnlos nachgeschrieben, voll Mängel u. Lücken! Auch Sie haben einige Lücken gelassen, auch Sie haben hier u. da noch etwas daran nachzubessern: im Ganzen aber ist Kants Kritik der Urth. ganz meisterhaft entwickelt u. dargestellt […]. Ich beschwöre Sie, diese Collegien noch einmahl durchzugehen, u. sie drucken zu lassen.“ Dazu ist es nicht gekommen. Weitere Ausführungen aus demselben Brief Haschkas (ebd. 94) lassen vermuten, dass der Manuskriptband Nachschriften von Reinholds Vorlesungen über Ästhetik (vielleicht auch dezidiert zu Kants Kritik der Urteilskraft) aus den 1790er Jahren enthalten haben könnte: „Nehmen Sie Anstand, dieses Werk herauszugeben, weil Sie jetzt ein ganz anderes Philosophisches System angenommen? so brauchen Sie das ja nur in der Vorrede zu sagen, u. nennen Sie es: Erklärung der Kantischen Kritik der Urtheilskraft.“ Mit dem ‚anderen System‘ kann Haschka nur das des ‚rationalen Realismus‘ in Reinholds Anschluss an Bardili meinen. Über den Verbleib dieses Manuskriptbandes ist mir nichts bekannt. Es ist nicht auszuschließen, dass er mit den (oder einer der) Nachschriften über Ästhetik identisch ist, die sich im Nachlass Johann Smidt im Staatsarchiv Bremen befinden (vgl. die „Einleitung“ von Ernst-Otto Onnasch in der von ihm hg. Ausgabe von Reinholds Versuch einer neuen Theorie des Vorstellungsvermögens, Teilband 1, Hamburg 2010, CXXXVIf.; sowie die ebd. erwähnte Publikation von Monika M. Schulte und Nicola Wurthmann: Johann Smidt (1773–1857), Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen (Staatsarchiv Bremen, Bestand 7,20), Bremen 2004). Abgedruckt in Zimmermann (1877) 120–130.
…zur Bibliographie der Schriften von Karl Leonhard Reinhold ab dem Jahre 1804
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Gott will! auch mit Herbart. – Die letztere ist mir umso mehr Bedürfniss – da ich durch mein Systemwechseln, und durch die Unverständlichkeit meiner späteren Lukubrationen – endlich um alle Leser und Theilnehmer an meinem Forschen gekommen bin – ganz vereinzelt bin – und Niemanden habe ausser ein paar jungen Leuten zu denen mein ältester Sohn¹³ gehört an dem ich die Verständlichkeit meiner Darstellung prüfen könnte. Die Fibel¹⁴ – sowie der Versuch einer Critik der Logik¹⁵, den ich weil ihn die Wenigen denen ich ihn mitteilte, nicht verständlich fanden – in der ganzen Auflage auf meinem Boden ¹⁶ hingelegt habe – ist auf meine Kosten gedruckt, und da ich von meiner Besoldung mit meiner Familie leben muss, so darf ich diesen Weg zu versuchen ob ich nicht nicht endlich im Publikum jemand finde, der sich mit mir einlässt – nicht weiter einschlagen.“¹⁷ Auch schon in dem vorangehende Brief an Herbart vom 1. September 1808 erklärt Reinhold, er sei „zu mittellos“, um nach vorherigen (an dieser Stelle nicht spezifizierten) Schriften eine weitere „auf meine Kosten drucken lassen zu können.“¹⁸ Diese Briefstellen und das Publikationsverhalten Reinholds erklären sich m. E. also wechselseitig. Zu beachten ist auch die Selbstkritik Reinholds in seiner Grundlegung einer Synonymik für den allgemeinen Sprachgebrauch in den philosophischen Wissenschaften, Kiel, bei August Schmidt, 1812. Die Schriften nach seinem Wechsel zu Bardili Ende 1799, vor allem aber ab 1804, sollten über – letztlich auch sprachlich mitbedingte – logische Fehler aufklären, die bis auf ihn selbst, so Reinhold, bisher niemand wirklich durchschaut hätte. In der Grundlegung der Synonymik nun bezichtigt sich Reinhold selbst eines solchen grundlegenden, logisch bedeutsamen Irrtums, von dem auch seine vorhergehenden Schriften infiziert gewesen seien. Demnach hätte Reinhold nach seiner eigenen Auffassung 1812 noch einmal eine entscheidende Selbstkorrektur vorgenommen, die auch eine öffentliche Distanzierung von Bardilis rationalem Realismus bedeutete.¹⁹ Dies wäre ein wei-
Zimmermann (1877) irrt, wenn er in einer Fußnote angibt: „Ernst Reinhold (1793–1855)“. Reinholds ältester Sohn war Karl Heinrich Reinhold (geb. 1788), der 1806–09 (also zu der Zeit, als Reinhold den Brief an Herbart schrieb) in Kiel studierte und 1816 verstarb. Gemeint ist: Die Anfangsgründe der Erkenntniß der Wahrheit in einer Fibel für noch unbefriedigte Forscher nach dieser Erkenntniß, Kiel: in der akademischen Buchhandlung 1808. Die „Vorrede“ (hier: S. XVI) ist unterzeichnet mit „Kiel den 23. Julii 1808“. Gemeint ist: Versuch einer Critik der Logik aus dem Gesichtspunkte der Sprache. Es handelt sich um eine 1806 ohne Angabe von Verfasser, Ort und Jahr gedruckte Schrift Reinholds (s.u. Nr. VI). Gemeint ist wohl der Dachboden seines Hauses in Kiel. Über den weiteren Verbleib dieser Drucke ist mir nichts bekannt. Zimmermann (1877) 130. Zimmermann (1877) 123. Vgl. die Selbstkritik Reinholds in der Grundlegung einer Synonymik für den allgemeinen Sprachgebrauch in den philosophischen Wissenschaften, Kiel: bei August Schmidt 1812, und zwar
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terer Grund, auf die vorausgegangenen Schriften nicht mehr weiter hinzuweisen oder einzugehen, sie gar, wie im Falle der unten unter Nr. V aufgeführten Monographie Noch zwey Worte über das logische Grundverhältniß. Erstes Wort von 1806, in keiner nachfolgenden Schrift auch nur zu erwähnen. Unter den folgenden römischen Ziffern I bis IX sind nur die Schriften Reinholds bzw. Abdrucke derselben ab 1804 behandelt, die entweder in v. Schönborns Reinhold-Bibliographie fehlen, oder bei denen ich Korrekturen bzw. weitere Anmerkungen für nötig und relevant erachtet habe. Kleinere, unbedeutende Fehler bei v. Schönborn bleiben unerwähnt. Zunächst werden jeweils die bibliographischen Details der Schrift angegeben, um die es sich handelt. Dabei folge ich in der Regel v. Schönborns Reinhold-Bibliographie, sofern die Schrift dort aufgeführt ist. Publikationen, die bei v. Schönborn fehlen, werden als Ergänzung gekennzeichnet. Nach den bibliographischen Angaben folgen meine Korrekturen bzw. Anmerkungen. Wird derselbe Text von Reinhold mehrfach publiziert, werden die verschiedenen Publikationsorte in chronologischer Reihenfolge unter a), b), c) usw. aufgeführt. Einen Sonderfall stellt die unter der Nummer X aufgeführte Schrift dar. Sie ist nicht von Reinhold selbst, sondern seinem langjährigen Freund und Briefpartner Christian Detlev Graf von Reventlow verfasst und publiziert, beinhaltet aber, von Reinhold autorisiert, den Abdruck eines Kommentars, den Reinhold in Form von fünf Anmerkungen auf Anfrage von Reventlow verfasste. Da die Schrift kurz nach Reinholds Tod erschien, handelt es sich (nach jetzigem Kenntnisstand) dabei wohl um die letzten schriftlichen philosophischen Äußerungen Reinholds. Im Gegensatz zu dieser letztgenannten, sind fast alle der in diesem Beitrag erwähnten Schriften mittlerweise als Digitalisate online einsehbar bzw. herunterzuladen.²⁰
XXVIIIf.: dort der Hinweis, dass er mit der jetzigen Schrift den rationalen Realismus Bardilis verlassen habe, außerdem eine Distanzierung von folgenden seiner vorhergehenden Schriften: Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts, 6 Hefte, Hamburg: bei Perthes 1801–1803; Die Anfangsgründe der Erkenntniß der Wahrheit in einer Fibel für noch unbefriedigte Forscher nach dieser Erkenntniß, Kiel: in der akademischen Buchhandlung 1808 (vgl. auch die Selbstkritik an dieser Schrift ebd. 34); Rüge einer merkwürdigen Sprachverwirrung unter den Weltweisen, Weimar: in Commission bei dem Landes-IndustrieComptoir 1809; außerdem 184 f. die Distanzierung von einer weiteren seiner vorangegangenen Schriften: Versuch einer Auflösung der von der philosophischen Classe der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin für 1805 aufgestellten Aufgabe: „Die Natur der Analysis und der analytischen Methode in der Philosophie genau anzugeben, und zu untersuchen: ob und was es für Mittel gebe, ihren Gebrauch sicherer, leichter und nützlicher zu machen“, München: bei Joseph Lindauer 1805. Am besten versuche man es über folgende Webseiten: archive.org (Webseite einer non-profit Internet-Bibliothek, Sitz in San Francisco), digitale-sammlungen.de (= Webseite Münchener Digita-
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2 Zur Bibliographie Nr. I (Zu Schönborn Reinhold Bibliographie Nr. 80) Prolegomenen zur Analysis in der Philosophie. Anstatt eines Programms zu der philosophischen Preisaufgabe der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin auf das Jahr 1805. Den Kampfrichtern, Wettkämpfern und Zuschauern gewidmet von einem Mitkämpfenden. Berlin 1804. Anmerkung: Die Schrift hat XVI und 76 Seiten. Korrektur: Nach Emil Weller: Die falschen und fingierten Druckorte, Leipzig 1864, S. 201, ist der Druckort dieser Schrift nicht Berlin, vielmehr erfolgte der Druck durch „Perthes in Gotha“. Tatsächlich scheint auch schon Johann Erich Biester im Erscheinungsjahr 1804 bekannt gewesen zu sein, dass der Druckort Berlin fingiert war (siehe unten zu Nr. III d)).
Nr. II (Zu Schönborn Reinhold Bibliographie Nr. 81) Etwas über den Widerspruch. [Von Carl Leonhard Reinhold. Hamburg: bey Friedrich Perthes in Commission 1804.]²¹ Anmerkungen: Die Schrift hat 22 Seiten. Wie aus der Anzeige dieser Schrift im Intelligenzblatt der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung hervorgeht, ist sie vor dem 14. März 1804 gedruckt worden (siehe unten Nr. III. a)). Sie trägt ebenfalls den Charakter einer ‚Flugschrift‘, die Reinhold wohl hat drucken lassen, um sie an ausgewählte Leser und/oder Zeitschriften zu verteilen bzw. verteilen zu lassen. Verleger, Druckort und Jahr sowie der Hinweis auf die Möglichkeit, sie für den Buchhandel in Kommission zu beziehen, finden sich im Abdruck eines ‚Vorberichtes‘ zu dieser Schrift als „Anhang“ zu Reinholds Anleitung zur Kenntniß und Beurtheilung der Philosophie in ihren sämmtlichen Lehrgebäuden von 1805 (siehe unten Nr. III e) und Nr. IV).
lisierungszentrum. Digitale Bibliothek); zeitgenössische Zeitschriftenbände und einzelne Zeitschriftenartikel findet man unter: zs.thulb.uni-jena.de (Portal für digitalisierte Zeitschriften und Zeitungen der Thüringer Landes- und Universitätsbibliothek Jena), ds.ub.uni-bielefeld.de (Digitale Sammlungen der Universitätsbibliothek Bielefeld; v. a. Zeitschriften der Aufklärung). Die Bayerische Staatsbibliothek hat durch das ihr zugehörige Münchener Digitalisierungszentrum von ihrem Exemplar der Schrift Etwas über den Widerspruch ein Digitalisat anfertigen lassen, gibt aber fälschlich und abweichend von anderen Katalogen als Publikationsjahr „ca. 1820“ an. Ich werde mich diesbezüglich um eine Korrektur bemühen.
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Nr. III [Mehrere handschriftliche Anzeigen: „Etwas über den Widerspruch“] Von der oben unter Nr. II abgehandelten eigenständigen Druckschrift finden sich, ebenfalls unter dem Titel „Etwas über den Widerspruch“, textlich abweichende Anzeigen der Schrift in verschiedenen Zeitschriften, die alle von Reinhold stammen und von ihm veranlasst wurden. Wahrscheinlich hat Reinhold an mehrere Zeitschriften handschriftliche, an wenigen Stellen voneinander leicht abweichende Textversionen abgeschickt mit der Bitte um Abdruck. In den folgenden Anzeigen wird dieser Text auch als „Vorbericht“ sowie als „ungedruckt“ oder direkt als „handschriftlich“‘ bezeichnet. Mir ist nicht bekannt, ob noch eines der handschriftlichen Originale existiert.
a) (Zu Schönborn Reinhold Bibliographie S. 130) [Anzeige.] „I. Etwas über den Widerspruch“. In: „Literarische Anzeigen“, Intelligenzblatt der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung, Nr. 63, 14. März 1804, Sp. 513– 517. Anmerkung: Die Anzeige ist nicht unterzeichnet. Ein Hinweis auf Reinhold als Verfasser fehlt. Am Ende der Anzeige wird, ebenfalls ohne Angabe von Verfasser, Verlag und Ort, aber mit impliziter Angabe des Druckjahres 1804, auf die Druckschrift Etwas über den Widerspruch verwiesen. Dort (Sp. 516) fordert Reinhold eine „im strengsten Sinne neue Prüfung der allgemeingeltenden Ansicht des Widerspruchs“ und fährt dann fort: „Sie kann auch in der That nur allein durch Versuche einer ganz andern, einer wirklich neuen Ansicht des Widerspruches erst möglich werden; und ein Versuch dieser Art hat in einer kleinen Schrift von nicht vollen drey Bogen unter dem Titel Etwas über den Widerspruch die Presse verlassen.“²²
Nicht im Intelligenzblatt, sondern in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung selbst ist über anderthalb Jahre später (ALZ vom 10.10.1805, Nr. 242, 71 f.) eine Rezension der gleichnamigen Druckschrift Etwas über den Widerspruch erschienen, in der nun Reinhold von dem Rezensenten indirekt als Verfasser genannt wird, indem er mit dem Autor der von Reinhold unter seinem Namen herausgegebenen Anleitung zur Kenntniß und Beurtheilung der Philosophie in ihren sämmtlichen Lehrgebäuden von 1805 identifiziert wird. Laut Karl Bulling: Die Rezensenten der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens 1804–1813, Weimar 1962, 95, steht das Kürzel des Rezensenten „T. u. B-z.“ für Johann Michael Sailer, der schon die genannte Anleitung… von 1805 rezensiert hatte (in der ALZ vom 7. und 8. Juni 1805, Nr. 135 und 136, 465–476).
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b) (Ergänzung. Fehlt in Schönborn Reinhold Bibliographie) [Anzeige: Etwas über den Widerspruch.] In: Neue Leipziger Literaturzeitung, 93. Stück, 20. Juli 1804, Sp. 1486–1488. Anmerkungen: Die Anzeige bezieht sich auf die oben unter Nr. II aufgeführte Schrift, die der (anonyme, nicht mit Reinhold identische) Anzeigende als „Flugschrift“ bezeichnet (ebd., Sp. 1486). Die Anzeige enthält nicht den kompletten ‚Vorbericht‘ Reinholds, sondern besteht im Wesentlichen aus Paraphrasen und wörtlichen Zitaten aus demselben, unterbrochen von kommentierenden Bemerkungen des Rezensenten. Ein Hinweis auf Reinhold als Verfasser fehlt. Der Rezensent selbst hat zunächst im selben 93. Stück der Neuen Leipziger Literaturzeitung (Sp. 1480– 1486) Reinholds 1804 anonym veröffentlichte Schrift Prolegomenen zur Analysis in der Philosophie […] (s.o. Nr. I) rezensiert. Er ordnet auch diese Schrift nicht Reinhold zu, erkennt aber immerhin in ihr denselben Autor wie bei der direkt nachfolgend angezeigten Schrift: „Hiermit verbinden wir die Anzeige folgender ohne Zweifel vom demselben Verf. über denselben Gegenstand geschriebenen Flugschrift: Etwas über den Widerspruch. 22 S. in 4. (Ohne Jahrzahl und Anzeige des Verlegers.) (9 gr.) Diesem Aufsatze hat der Vf. noch einen handschriftlichen Vorbericht, welcher aus Versehen unabgedruckt geblieben war, beygelegt“ (Sp. 1486). Ob der Vorbericht tatsächlich aus Versehen nicht innerhalb der Druckschrift Etwas über den Widerspruch mitabgedruckt wurde, oder aber von Reinhold nachgeschoben wurde, muss hier offen bleiben.²³
c) (Ergänzung. Fehlt in Schönborn Reinhold Bibliographie) „Anzeige einer Schrift: Etwas über den Widerspruch. Kiel 1804.“ In: Oberdeutsche Allgemeine Litteraturzeitung, Siebenzehenter Jahrgang, Nr. LXXXVI, den 21. July 1804, Sp. 141–144. Anmerkung: Die Anzeige ist nicht unterzeichnet, nennt auch nicht Reinhold als Autor. Sie erfolgt unter der Rubrik „Kurzgefaßte litterarische Notizen.“ Auch hier erfolgt am Ende (Sp. 144) die Nachricht, die Druckschrift Etwas über den Widerspruch habe „so eben die Presse verlassen“. Wie der oder die Herausgeber der Oberdeutsche Allgemeine Litteraturzeitung auf Kiel als Publikationsort der ohne Druckort publizierten Schrift kommen, ist unklar. Es ist aber zu vermuten, dass
Vgl. auch Nr. III d), wo ebenfalls davon die Rede ist, dass die Anzeige als „Vorbericht“ für die Druckschrift Etwas über den Widerspruch (siehe oben Nr. II) vorgesehen gewesen wäre, aber „durch ein Versehn“ nicht mit abgedruckt worden sei.
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ihnen die Anzeige handschriftlich von Reinhold aus Kiel zugesendet wurde, der oder die Herausgeber deshalb auch bei der Druckschrift Kiel als Druckort vermuteten.
d) (Zu Schönborn Reinhold Bibliographie S. 130 f.) [Anzeige.] „Etwas über den Widerspruch“. In: Neue Berlinische Monatsschrift. Herausgegeben von Biester. Berlin und Stettin: bei Friedrich Nicolai, Zwölfter Band, (August) 1804, S. 129–138. Anmerkungen: Die Anzeige ist unterzeichnet: „Geschrieben am 17 May 1804.“ Auf S. 129–130 findet sich eine Vorbemerkung des Herausgebers Johann Erich Biester, der zwei Schriften eines „Ungenannten“ (Biester schreibt nicht: „Unbekannten“!) als Beitrag zuordnet zur Preisfrage der Philosophischen Klasse der Berlinischen Akademie der Wissenschaften für das Jahr 1805 mit dem Thema: „Die Natur der Analysis und der analytischen Methode in der Philosophie genau anzugeben“. Das sind erstens die (auch von Reinhold selbst dieser Preisfrage zugeordneten) Prolegomenen zur Analysis in der Philosophie (siehe oben Nr. I). Interessanterweise scheint Biester gewusst zu haben, dass der Druckort dieser Schrift fingiert war, denn als Druckort gibt er an „Berlin [vorgeblich]“ (eckige Klammern im Original). Die zweite Schrift, die Biester (und soweit mir bekannt ist, nur er, auch nicht Reinhold selbst) der Preisfrage zuordnet, ist eben die oben unter Nr. II angegebene Druckschrift Etwas über den Widerspruch. Zu dieser Schrift, so Biester (S. 130), „sendet mir der Hr Verfasser, zum Einrücken in die Monatsschrift die nachstehenden Blätter zu, ‚welche eigentlich zum Vorbericht der zweiten Schrift bestimmt gewesen, und nur durch ein Versehn ungedruckt geblieben wären‘.²⁴ Schon wegen der angegebenen Umstände, nehme ich willig diesen Vorbericht auf, und theile ihn hier mit.“ Auch hier erfolgt am Ende der Anzeige (S. 138) ein Verweis auf die Schrift Etwas über den Widerspruch.
e) (Zu Schönborn Reinhold Bibliographie Nr. 82) „Etwas über den Widerspruch“. Als „Anhang“ S. 233–242 zu der Schrift C. L. Reinhold‘s Anleitung zur Kenntniß und Beurtheilung der Philosophie in ihren sämmtli-
Der als Zitat von Biester gekennzeichnete Satz dürfte aus einem Begleitschreiben Reinholds an den Zeitschriftenherausgeber, hier: Biester, stammen. Ähnlich dürfte es sich auch bei der Anzeige oben Nr. III b) verhalten.
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chen Lehrgebäuden. Ein Lehrbuch für Vorlesungen und Handbuch für eigenes Studium. Wien: bey J. V. Degen, Buchdrucker und Buchhändler 1805. 2. Aufl. 1824. Anmerkung: Die „Vorrede“ zu der 1805 erschienenen Anleitung zur Kenntniß […] ist unterschrieben: „Den 5. Junius, 1804.“ (S. XVI). Das erklärt, warum Reinhold trotz des ein Jahr späteren Erscheinungsdatums der Schrift auch am Ende des „Anhangs“ (S. 242) schreiben kann, die Schrift „Etwas über den Widerspruch“ habe „so eben die Presse verlassen, und ist bey Perthes in Hamburg in Commission zu finden.“
Nr. IV (Zu Schönborn Reinhold Bibliographie S. 131) „An den Verfasser der im 29. St. der Leipz. Liter. Zeitung enthaltenen Recension von Reinholds Anleitung etc.“ In: „Neues Allgemeines Intelligenzblatt für Literatur und Kunst“, 30. Stück vom 29.6.1805. Neue Leipziger Literaturzeitung, 2. Band, Sp. 489– 496. Anmerkungen: Es handelt sich um die mit „Kiel den 7. April 1805. Reinhold“ unterzeichnete Antwort Reinholds auf die anonyme Rezension seiner Anleitung zur Kenntniß und Beurteilung der Philosophie in ihren sämtlichen Lehrgebäuden in der Leipziger Literaturzeitung, 29. Stück vom 1. März 1805, Sp. 455–463. Folgender Hinweis fehlt in Schönborn Reinhold Bibliographie: Reinholds Antwort enthält von Sp. 493 bis Sp. 496 mit neu beginnender Paragraphennummerierung den Text „Demonstration des Widerspruchs“. Dieser Text ist weder identisch mit der Schrift Etwas über den Widerspruch (siehe oben Nr. II), noch mit den Anzeigen derselben Schrift (siehe oben Nr. III a) bis e)). Inhaltlich und sprachlich erscheint er vielmehr als eine erste Vorwegnahme der beiden im Jahre 1806 anonym publizierten Schriften von Reinhold: Noch zwey Worte über das logische Grundverhältniß (s.u. Nr. V) und Versuch einer Critik der Logik aus dem Gesichtspunkte der Sprache (s.u. Nr. VI). Gleich im Anschluss an Reinholds Entgegnung folgt übrigens Sp. 496–498 die „Antwort des Rezensenten“.²⁵
Ich vermute als Autor der Rezension „Aenesidemus“ = Gottlob Ernst Schulze, und zwar wegen der stilistischen und inhaltlichen Verwandtschaft zu seinen anonym veröffentlichten „Aphorismen über das Nichts“, in: Neues Museum der Philosophie und Litteratur. Herausgegeben von Friedrich Bouterwek. Ersten Bandes zweytes Heft, Leipzig 1803, 107–148.
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Nr. V (Ergänzung. Fehlt in Schönborn Reinhold Bibliographie) Noch zwey Worte über das logische Grundverhältniß. Herrn geheimen Rathe Jakobi gewidmet von dem Herausgeber. Erstes Wort. München: bey Joseph Lentner 1806. Anmerkungen: Die Schrift hat VI und 70 Seiten. Es handelt sich offensichtlich um den ersten Teil einer zunächst auf zwei Teile geplanten Schrift; ein „Zweites Wort“ ist jedoch nie als solches erschienen. In der von Franz Wolfgang Garbeis zusammengestellten Bibliographie zu Christoph Gottfried Bardili wird diese anonym publizierte Schrift Bardili zugeordnet.²⁶ Garbeis bleibt dort allerdings einen Nachweis schuldig, so dass nicht zu entnehmen ist, worauf sich seine Zuordnung stützen soll, d. h. ob er diese Zuordnung selbst vorgenommen oder aber aus anderen Quellen oder Bibliothekskatalogen übernommen hat. Tatsächlich haben mittlerweile alle großen Online-Kataloge für diese Schrift Bardili als Autor übernommen.²⁷ Entgegen den Angaben Garbeis wie bei allen, die ihm darin gefolgt sind, kommt allerdings für diese Monographie Christoph Gottlieb Bardili als Autor nicht in Frage. Schon Inhalt und Stil lassen kaum einen Zweifel daran, dass die Schrift von Reinhold stammen muss. Mir ist zwar keine Stelle bekannt, an der Reinhold selbst sich zur Autorschaft bekannt oder die Schrift auch nur erwähnt hat; vielleicht bringen bisher unveröffentlichte Briefe diesbezüglich Neues. Allerdings habe ich vier anderweitige Hinweise auf die Schrift gefunden, von denen der zweite eindeutig für Reinholds und gegen Bardilis Autorschaft spricht, der dritte und vierte dafür weitere starke Indizien darstellen: 1. Die Schrift wird anonym angezeigt in: Neue Leipziger Literaturzeitung, 68. Stück vom 26. Mai 1806, Spalte 1087. Diese Anzeige beginnt nach Nennung der Schrift so: „Eine kleine Schrift, die abermals die Reinholdischen-Bardilischen Principien dem Hrn. Jacobi und dem Publicum zur Prüfung vorlegt […].“ Die Schrift, die dem anonymen Autor der Anzeige vorgelegt haben muss, wird von ihm also weder direkt Reinhold noch Bardili zugeschrieben. Es ist aber auch hier wieder anzunehmen, dass Reinhold die Schrift hat drucken lassen, um sie neben Jacobi sicherlich auch anderen ausgewählten Zeitgenossen zukommen zu lassen, und vermutlich wusste der Autor der Anzeige um die Autorschaft Reinholds. 2. Die Schrift wird erwähnt in Ernst Reinhold (Hrsg.): Karl Leonhard Reinhold‘s Leben und litterarisches Wirken, nebst einer Auswahl von Briefen Kant’s, Fichte’s,
Garbeis (1979), hier 47. Ich werde mich um entsprechende Änderungen bemühen. – Den Angaben bei Garbeis folgend hat auch Paimann (2009) das Werk Bardili zugeordnet und interpretiert (ebd.371–399), ihm dann auch mit derselben Autorenzuordnung zu einem erneuten Abdruck verholfen in: Christoph Gottfried Bardili. Kleine Schriften zur Logik. Mit Einleitung und ausführlichem textkritischem Kommentar herausgegeben von Rebecca Paimann. Stuttgart-Bad Cannstatt 2012.
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Jacobi’s und andrer philosophirender Zeitgenossen an ihn, Jena 1825, S. 338²⁸: In einem Brief vom 14. Juni 1806 schreibt Bardili (!) an Reinhold: „Außer der anonymen Beantwortung der Berliner Preisfrage²⁹, konnte ich überhaupt keine Ihrer neueren Arbeiten erhalten; Ihre Revision der Logik³⁰, von der Sie mir einst schrieben und Ihre zwey Worte über das logische Grundverhältnis, derer Ihr letzter Brief ³¹ gedenkt, sind mir daher gänzlich unbekannt.“ Bardili kommt also für die Autorschaft der Schrift Noch zwey Worte über das logische Grundverhältnis nicht in Frage. Da die Schrift, wie oben dargestellt, schon am 26. Mai 1806 in der Neuen Leipziger Literaturzeitung angezeigt wurde und dem Verfasser dieser Anzeige vorlag, scheidet Bardili, der zum 14. Juni 1806 die Schrift noch nicht in Händen hielt, auch für die ebenfalls anonyme Herausgeberschaft aus. Die im Folgenden darzustellenden Umstände dürften eine bloß von Reinhold fingierte Herausgeberschaft der Schrift durch eine andere Person ausschließen. Allerdings ist zu vermuten, dass Reinhold mindestens für die Idee verantwortlich ist, sie, wohl in Übereinstimmung mit dem Herausgeber, Friedrich Heinrich Jacobi zu widmen. Dass die Widmung „Herrn geheimen Rathe Jakobi“ und ebenfalls die Anrede durch das Vorwort des Herausgebers Jacobi mit „k“ statt mit „c“ schreibt, könnte auf des Herausgebers Unkenntnis der richtigen Schreibweise von Jacobis Nachnamen zurückgehen, würde auch darauf schließen lassen, dass Reinhold keine Endkorrektur der Titelei und des Herausgebervorwortes vorgenommen hat. Die im Folgenden aufzuführenden Indizien sprechen meines Erachtens für den einzigen überzeugten Mitstreiter Bardilis und Reinholds, nämlich Friedrich Christoph Jensen
Garbeis (1979) führt diese Schrift von Reinholds Sohn in seiner Bardili-Bibliographie immerhin ausdrücklich an: unter„II. Literatur. A. Biographisches Schrifttum […] L/10“ (ebd. 51); allerdings ohne Angabe, dass sie auch Briefe Bardilis enthält. Womöglich hat er (wie alle, die ihm bezüglich Bardilis Autorschaft für Noch zwey Worte über das logische Grundverhältniß folgten) sie nicht oder jedenfalls nicht gründlich genug gelesen, um Reinhold als den wahren Autor zu identifizieren. Gemeint ist Reinholds anonym erschienener Versuch einer Auflösung der von der philosophischen Classe der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin für 1805 aufgestellten Aufgabe: „Die Natur der Analysis und der analytischen Methode in der Philosophie genau anzugeben, und zu untersuchen: ob und was es für Mittel gebe, ihren Gebrauch sicherer, leichter und nützlicher zu machen“, München: bei Joseph Lindauer 1805. Bardili dürfte sich hier beziehen auf eine Ankündigung Reinholds bezüglich dessen dann 1806 anonym gedruckter Schrift Versuch einer Critik der Logik aus dem Gesichtspunkte der Sprache (s.u. Nr. VI). Bardili beginnt seinen Brief vom 14. Juni 1806 mit dem Satz: „Recht erwünscht kam mir Ihr Schreiben vom 25. des vorigen Monats“; es handelt sich also wohl um einen Brief Reinholds vom 25. Mai 1806.
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(1754–1827) als Herausgeber. Dieser war in der gemeinsamen Kieler Zeit mit Reinhold eng befreundet.³² Jensens anonym publizierte, auf Bardilis Logischen Realismus aufbauende Briefe über Wahrheit, Gott, Organismus und Unsterblichkeit (Kopenhagen: Arntzen und Hartier 1803) wurden zuweilen fälschlicherweise Reinhold zugeschrieben; so noch in Wilhelm Gottlieb Tennemann‘s Grundriss der Geschichte der Philosophie für den akademischen Unterricht.Vierte vermehrte und verbesserte Auflage oder zweite Bearbeitung von Amadeus Wendt, Leipzig 1823 (hier: S. 488). Diese Vermutung Wendts wird von Reinholds Sohn und Biograph Ernst Reinhold mit Verweis auf Jensens Autorschaft zurückgewiesen in seinem Fußnotenkommentar zu dem von ihm abgedruckten Brief Jacobis an Reinhold vom 03. März 1801, in ders.: Karl Leonhard Reinhold‘s Leben und litterarisches Wirken, a.a.O., S. 262 f. Dort erklärt Ernst Reinhold, dass „Jensens Briefe“, die Jacobi somit schon zwei Jahre vor ihrer Publikation (zur Ostermesse 1803) in seinem Brief an Reinhold erwähnt, „in der Handschrift vor dem Drucke an Reinhold und Jacobi zur Prüfung und Beurtheilung mitgeteilt wurden“.³³ Auch diese Verbindung zwischen Jacobi und Jensen legt die Herausgeberschaft des Letzteren für Reinholds Noch zwey Worte über das logische Grundverhältnis nahe.³⁴ In seiner Reinhold-Bibliographie weist v. Schönborn mit Angabe des Fundortes darauf hin, dass Jensen einer der zwei Kieler Freunde Reinholds war, die von diesem wahrscheinlich 1795 ein Manuskript Entwurf zu einem moralischen Bunde zur Kommentierung bzw. Überarbeitung erhalten hatten (vgl. Schönborn Reinhold Bibliograpie, Nr. 66). Jacobi selbst schreibt in seinem Brief an Bouterwek vom 2. November 1800, dass (Johann Friedrich) Kleuker ihn besucht habe und ihm „eine philosophische Ausarbeitung von Professor Jensen brachte: Briefe über die Bardili‘sche Philosophie, ausdrücklich geschrieben, um mich zu dieser Philosophie überzuholen, obgleich nicht ausdrücklich an mich gerichtet. Die neun ersten Briefe, die mir vorläufig gesandt wurden, machen aber noch nicht die Hälfte des Werks aus“ (in: Mejer (1868) 2). Wahrscheinlich stammt Der Bardilischen Elementarlehre zweytes Heft bearbeitet und herausgegeben von einem Freunde des rationalen Realismus. Was ist und leistet die philosophische Analysis? Landshut: in der Weberschen Buchhandlung 1806, ebenfalls von Jensen (die Schrift ist von der Columbia University digitalisiert und in einer gemeinsamen Datei mit dem ersten Heft auf archive.org zu finden). Anlass zu meiner Vermutung von Jensens Autorschaft geben nicht nur Inhalt und Stil dieses Werkes, das auch laut „Vorbericht an den Leser“ (S. IV, unterzeichnet mit „Den 26. Jun. 1805.“) keineswegs von Bardili selbst stammt (vgl. auch dessen entsprechende Äußerungen in seinem oben erwähnten Brief vom 14. Juni 1806 an Reinhold, in Karl Leonhard Reinhold’s Leben und litterarisches Wirken, a.a.O., 338 f.). Vielmehr stützt auch eine Fußnote auf Seite 235 die Vermutung, Jensen sei der Autor: Denn dort wird für die anonym publizierten Briefe über Wahrheit, Gott, Organismus und Unsterblichkeit als Autor „Staatsrath Jensen in Kopenhagen“ genannt, eine Information, über die zu diesem Zeitpunkt außer Jensen selbst wohl nur wenige verfügten. Die als Der Bardilischen Elementarlehre zweytes Heft 1806 anonym erschienene Schrift über die Analysis war, wie auch aus ihrem zweiten, eigentlich aber ursprünglichen (!) Titelblatt auf Seite III. hervorgeht,
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Auf Jensen passen auch die Ausführungen des Herausgebers zu Beginn der Schrift (S. III f., VI): „An Jacobi, den Philosophen – Sie kennen den Verfasser dieser zwey Worte; er harmoniert mit Ihrem Herzen, und dem Geiste Ihrer Philosophie, wenn gleich nicht mit der Form derselben.³⁵ Der Verfasser ist aber nicht der Herausgeber, und dieser darf es für kein Wagestück ansehen, Sie zur Beurtheilung dieses Aufsatzes öffentlich aufzurufen. […] Daß der Herausgeber, den Sie kennen, ohne ihn zu kennen³⁶, bey der Herausgabe dieser Bogen kein anderes Interesse hat,
konzipiert als Beitrag zu der schon genannten, auch von Reinhold 1805 anonym beantworteten Preisaufgabe der Berliner Akademie der Wissenschaften „Die Natur der Analysis und der analytischen Methode in der Philosophie genau anzugeben“; der Autor hatte aber die Abgabefrist versäumt: „Da die vorgehabte Einsendung dieser Abhandlung an die Königliche Akademie der Wissenschaften in Berlin, aus Unkunde des dazu bestimmten Zeitpunkts verspäthet wurde: so entschloss sich ihr Verfasser, dieselbe, als Zweytes Heft der Bardilischen Elementarlehre, herauszugeben. Sie entwickelt denselben Gegenstand, nach den Grundsätzen des rationalen Realismus, welchen Bardili, laut der Vorrede zum ersten Hefte, in den nachfolgenden entwickelt haben würde, wenn er sich zur eigenen Fortsetzung seines Werks hätte bewegen lassen […]“ (vgl. a.a.O., IV). Bardili selbst hatte ein ‚zweites Heft‘ seiner Elementarphilosophie im ersten Heft 1802 zwar angekündigt (auf dem Titelblatt und in der dortigen Vorrede Seite VI), aber nie geschrieben. Es handelt sich eben nicht um das zweites Heft Bardilis (als seines Autors), sondern um das zweite Heft der Elementarphilosophie, von der Bardili Urheber war. – Rebecca Paimanns Vermutung (Paimann (2009) 331), bei diesem Zweyten Heft der Bardilischen Elementarphilosophie von 1806 handele es sich „um eine Abhandlung, die Bardili an die Königliche Akademie der Wissenschaften zu Berlin als Beantwortung einer Preisfrage einsenden wollte, was er dann aber offensichtlich doch nicht getan hat, und die dem Herausgeber inhaltlich als der zweite Teil der 1802 in Buchform veröffentlichten Elementarlehre I erscheinen mußte,“ wird durch das Vorwort ebenso widerlegt wie ihre Unterscheidung eines (unbekannten) Herausgebers dieses Zweyten Heftes von seinem angeblichen Verfasser Bardili. Aus den genannten Gründen kann ich mich denn auch der diese Unterscheidung voraussetzenden Einschätzung Paimanns nicht anschließen, es sei „mit einiger Sicherheit davon auszugehen, daß das dem damaligen Bearbeiter und Herausgeber vorliegende Material [Bardilis, wie Paimann meint, M.G.] nicht nur umfänglich, sondern zudem in seiner verschriftlichten, ausformulierten Gestalt relativ weit fortgeschritten war.“ Es ist wohl doch eher so, wie Bardili in einem von Paimann (ebd. 331) zitierten Brief an Niethammer vom 4. Oktober 1807 schreibt, daß „das […] zu Landshut gedruckte, zweyte Heft meiner Elementarlehre, […] nach einigen von mir schriftlich verfaßten, Aphorismen, von einem anderen ausgearbeitet wurde.“ Dieser von Paimann nicht weiter nachgewiesene Brief findet sich im NiethammerNachlass der Universitätsbibliothek Erlangen. Schon dieser Satz verweist implizit auf Reinhold, der zwar mit der geistigen Tendenz von Jacobis Philosophie, was die Inhalte angeht, weitgehend einig war, zugleich aber immer wieder gegenüber Jacobis Form des Bewusstseins dieser Inhalte als eines unmittelbaren Glaubens seine eigene Auffassung von der Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Form der Philosophie betonte. Jacobi hat Jensen bis dahin wahrscheinlich nie persönlich getroffen, kennt ihn sicherlich über Reinholds Äußerungen, zudem, wie oben (FN 33) dargestellt, durch Jensens Vorabexemplar seiner Briefe über Wahrheit, Gott, Organsimus und Unsterblichkeit, und sicherlich auch schon durch Jensens Verteidigungsschrift für Fichte: Kann man Herrn Professor Fichte mit Recht beschuldigen, daß er
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als das der Wahrheit, die er liebt, und der Freundschaft, der er keinen Dienst versagen kann³⁷, wird Ihnen die Zukunft, die in wenigen Tagen Gegenwart werden wird, sagen.“³⁸ 3. In einem Artikel „An das philosophische Publicum“, in: Neues Allgemeines Intelligenzblatt für Literatur und Kunst zur N. Leipz. Lit. Zeitung gehörend, 35. Stück, 31.7. 1806, Sp. 550 f., schreibt der anonyme Autor, der sich selbst „Einsender“ (wohl des Artikels) nennt: „Es ist neulich eine kleine Schrift: Versuch einer Critik der Logik aus dem Gesichtspunct der Sprache […], aber ohne Angabe des Verf., des Druckorts, des Verlegers und der Jahreszahl erschienen. […] man findet nur im Grunde die Paragraphen, der im LXVIII. Stück dieser Literaturzeitung angezeigten kleinen Schrift: Noch zwey Worte über das logische Grundverhältnis von neuem umgearbeitet […]. Da es indes dem Verf. um freundschaftlich belehrende Urtheile über diesen Versuch sehr zu thun ist, ehe er zu einer vollständigen Analysis des logischen Grundverhältnisses schreitet, und das Interesse der Philosophie allerdings erheischt, dass die Logik hinreichend gesichert werde, so hat der Einsender nicht umhin gekonnt, die Philosophen von Profession auf diese kleine Schrift aufmerksam zu machen, zumal da sich dieselbe, vornemlich wenn sie, wie es scheint, gar nicht in den ordentlichen Buchhandel gekommen ist, leicht unbemerkt in der steigenden Bücherfluth verlieren könnte, welches Loos sie […] wegen der Sorgfalt, die der Verf. augenscheinlich darauf gewandt hat, und wegen seines lebendigen Wunsches nach Wahrheit, worin man, wie in mehrerem, den bekannten Philosophen, der sich aus Liebe zu seiner veränderten Ueberzeugung nicht scheute mehrmals sein vorheriges System öffentlich zu abandondieren, und so bey manchem in der Gelehrtenwelt seinen grossen philosophischen Ruf, statt ihn zu bewähren, vernichtete, als den wahrscheinlichen Verf. erkennt, doch in Wahrheit nicht verdienet.“ Der „Einsender“ ordnet augenscheinlich beide in seinem Artikel genannten Werke dem gleichen Verfasser zu, und dass mit seiner Identitätsvermutung und – beschreibung nur der ‚wahrheitsliebende Systemwechsler‘ Reinhold gemeint sein konnte, musste auch damals schon jedem einigermaßen informierten Leser klar
den Gott der Christen läugne? Kiel, Braunschweig, Helmstädt 1799 (die Schrift weist in der Titelei keinen Autornamen auf, ist aber am Ende unterzeichnet mit „F. C. Jensen.“). Auch das spricht dafür, dass Reinhold als Verfasser seinen Freund Jensen darum gebeten haben könnte, als Herausgeber zu fungieren. Womöglich ist der letzte Satz eine Andeutung auf ein Vorhaben Jensens, sich Jacobi gegenüber kurz nach Druck und Versendung der Schrift als Herausgeber zu erkennen zu geben. Zu bedenken wäre dabei auch die folgende Möglichkeit: Er wollte Jacobi seine Schrift Zweytes Heft der Bardilischen Elementarlehre aus dem Jahre 1806 mit einer entsprechenden Information über seine Herausgeberschaft von Reinholds Noch zwey Worte über das logische Grundverhältnis zukommen lassen.
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sein. Der Artikel scheint diesbezüglich aber schon bei den Zeitgenossen zu keiner entsprechenden Rezeption geführt zu haben. 4. Jakob Salat schreibt in seinem Werk Vernunft und Verstand. Zweyter Theil: Eine Kritische Uebersicht des Interessantern, was zeither im Gebiete der Philosophie erschienen ist, Tübingen, in der J. G. Cottaschen Buchhandlung 1808, ab S. 204 über die Neue Literaturzeitung von Leipzig. Ab S. 259 nennt Salat wörtlich die oben unter 1. erwähnte, im dortigen Jahrgang 1806 abgedruckte Anzeige „Anzeige von Reinholds Noch zwey Worte über das logische Grundverhältnis“ (Hervorhebung im Original). Es gibt keinen Hinweis, wie Salat auf Reinhold kommt; in der Anzeige selbst ist, wie oben dargestellt, nur von den „Reinholdischen-Bardilischen Principien“ der Schrift die Rede. Salat muss seine Information also aus anderer Quelle haben. Sicherlich hat Reinhold auch diese Schrift an auserwählte Personen verschicken lassen, womöglich auch an Salat direkt. Jedenfalls gehörte dieser zu den Personen, die die philosophische Entwicklung Reinholds auch nach 1800 genau verfolgt hatten und denen Reinhold Frei-Exemplare seine Werke zukommen ließ.³⁹
Nr. VI (= Schönborn Reinhold Bibliographie Nr. 95) Versuch einer Critik der Logik aus dem Gesichtspunkte der Sprache. [Kiel: Akademische Buchhandlung 1806]. Anmerkungen: Die Schrift hat XVI und 92 Seiten. Der „Vorbericht“ zur Schrift ist unterschrieben „Den 3ten May 1806.“ (S. XVI). Wie aus dem oben zitierten Brief an Herbart vom 1. November 1808 hervorgeht, hat Reinhold den Text ebenfalls als eine Art ‚Flugschrift‘ gedacht. Entsprechend fehlt eine Titelei-Gestaltung, wie sie auch ein anonymes, aber doch zur Publikation und zum Vertrieb durch den Buchhandel bestimmtes Druckwerk normalerweise aufweist. Reinholds Autorschaft und das Publikationsjahr 1806 sind gesicherte Daten. Für die oben in eckigen Klammern angegebenen Daten über Druckort und Verlag bzw. Druckerei liefert v. Schönborn jedoch keinen Nachweis, sondern verweist lediglich auf die entsprechenden Angaben in Zeitgenossen. Biographien und Charakteristiken. Neue Reihe. Fünfter Band, Heft XIX, Leipzig 1826, S. 76. Weder dort noch irgendwo anders habe ich einen Nachweis für diese Angaben gefunden.
Vgl. beispielsweise Jacobis Brief an Reinhold vom 8. Oktober 1817: Jacobi hatte Exemplare von Reinholds „neuster Schrift“ erhalten, von denen er eines an Salat weitergeben sollte. Es kann sich dabei nur um Reinholds Ueber den Begrif und die Erkenntnis derWahrheit. Lehrern der Logik und Metaphysik mit der Bitte um belehrene Prüfung, und Zuhörern als Grundlage für mündliche Erörterungen mitgetheilt, Kiel 1817 handeln (vgl. Roth (1827) 480).
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Nr. VII a) (Ergänzung. Fehlt in Schönborn Reinhold Bibliographie) Von dem denkenden Unterscheiden. [Anonym, ohne Ort und Jahr.] Anmerkungen: Der Text hat 8 durchnummerierte Seiten und ist unterzeichnet mit: „Kiel den 25ten August 1808“. Wie die Seitennummerierung zeigt, ist er zunächst als eigene Druckschrift erstellt worden. Ich habe ihn als solche gesonderte Druckschrift bei meinen Online-Recherchen bisher in keiner Bibliothek verzeichnet gefunden. Mir sind aber zwei existierende Exemplare bekannt: 1. Der Druck ist (später, nicht vom Verlag) am Buchende beigebunden dem (auch als Digitalisat verfügbaren) Exemplar von Die Anfangsgründe der Erkenntniß der Wahrheit in einer Fibel für noch unbefriedigte Forscher nach dieser Erkenntniß (Kiel 1808) der Columbia University Libraries (New York).⁴⁰ 2. Am 12. September 1808 schickt Reinhold an Fichte nach fast fünf Jahren Kontaktabbruch die achtseitige Druckschrift Von dem denkenden Unterscheiden mit dem handschriftlichen Kommentar: „Zu Schellings Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zu der verbesserten Fichteschen Lehre. Tübingen 1806. S. 50 bis S. 64.“ (vgl. Fichte GA III/6, S. 265 f.; laut Quellen-Verzeichnis ebd., S. 356, befindet sich das Original unter der Nummer VII,15 in der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz). In anderen Archivbeständen könnten sich weitere Exemplare finden. So erwähnt Reinhold in seinem o.g. Brief an Herbart vom 1.9.1808 einen beigelegten „kleinen Aufsatz“, bei dem es sich nach den Zeitumständen (kurz vor dem o.g. Brief an Fichte) und den inhaltlichen Erläuterungen im Brief an Herbart nur um dieselbe Druckschrift Von dem denkenden Unterscheiden handeln kann. Reinhold bittet Herbart zum Schluss des Briefes ein zweites beigelegtes Exemplar an (Friedrich) Bouterwek zu geben.⁴¹ Außer an Fichte, Herbart und Bouterwek schickte Reinhold den Aufsatz auch an mehrere Zeitschriften oder ihm bekannte Rezensenten, von denen nach meiner derzeitigen Kenntnis die unter b) bis e) folgenden ihn auch abgedruckt haben. Auffallend ist, dass die Angaben über Funktion und Einordnung dieses Aufsatzes, die wohl ebenfalls von Reinhold stammen, variieren.
Zu finden über archive.org. Zimmermann (1877) 120 f., 123.
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b) (Ergänzung. Fehlt in Schönborn Reinhold Bibliographie) „Von dem denkenden Unterscheiden. Zum Theil veranlasst durch die Recension im 56. St der Leipz. L. Z. 1807.“ In: Neues Allgemeines Intelligenzblatt für Literatur und Kunst zur N. Leipz. Lit. Zeitung gehörend. 37. Stück, 3. September 1808. Sp. 583–587. Anmerkungen: Gemeint ist die anonyme Rezension zu Reinholds Schrift Versuch einer Auflösung der von der philosophischen Classe der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin für 1805 aufgestellten Aufgabe: „Die Natur der Analysis und der analytischen Methode in der Philosophie genau anzugeben, und zu untersuchen: ob und was es für Mittel gebe, ihren Gebrauch sicherer, leichter und nützlicher zu machen“, München: bei Joseph Lindauer 1805. In: Neue Leipziger Literaturzeitung, 56. Stück, 1. Mai 1807, Sp. 881–896. Da der Rezensent keinen Zweifel an Reinhold als dem Verfasser dieser anonym erschienenen Schrift lässt, konnten die Leser der Leipziger Literaturzeitung auch auf Reinhold als dem Autor des nunmehr im Intelligenzblatt derselben Zeitung abgedruckten Aufsatzes Von dem denkenden Unterscheiden schließen.
c) (= Schönborn Reinhold Bibliographie Nr. 86 und S. 132) „Von dem denkenden Unterscheiden. Beylage zur Recension der Kiesewetterschen Logik Jen. A. L. Z. 1808, No. 215“. In: Jenaische Allgemeine Literaturzeitung. Intelligenzblatt Nr. 75 vom 22. Oktober 1808. „Vermischte Anzeigen“, Sp. 621–624. Anmerkung: Unterzeichnet: „Kiel den 25. August 1808. Dr.“. Reinholds ebenfalls mit seinem Kürzel „Dr.“ unterzeichnete Rezension von Kiesewetters zweiteiligem Grundriß einer allgemeinen Logik nach Kantischen Grundsätzen […], Erster Teil 1802, Zweiter Teil 1806, erschien in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung 1808, Nr. 215, vom 13. September, und Nr. 216, vom 14. September, Sp. 489–499. Reinhold nutzt auch die Rezension selbst auf weiten Strecken zur Darstellung seiner eigenen Ansichten über Logik, zu denen dann der Aufsatz Von dem denkenden Unterscheiden passend als „Beylage“ bezeichnet werden kann.
d) (= Schönborn Reinhold Bibliographie Nr. 86, Nr. 87 und S. 132) „Ueber das denkende Unterscheiden“. [Als Anhang S. 203–212 zum Aufsatz:] „Ueber eine neue Antwort auf die alte Frage: was ist die Wahrheit!“, in: Der neue Teutsche Merkur, Bd. III, 11. Stück, November 1808. S. 192 [!]–212. Anmerkungen: Den eigentlichen, im Titel genannten Aufsatz „Ueber eine neue Antwort […]“ beschließt Reinhold (S. 202) mit dem Satz: „Der noch unversuchte
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Versuch, diesen Unterschied⁴² aufzuklären und zu verdeutlichen, ist zugleich der Versuch, die noch unentwickelte Idee der Wahrheit ohne Beinamen zu entwickeln. Er […] kann […] nicht mehr und nicht weniger als eine Fibel für Anfänger im Bestreben nach der Erkenntnis der Wahrheit ohne Beinamens seyn.“ Damit verweist Reinhold auf seine Schrift Die Anfangsgründe der Erkenntniß der Wahrheit in einer Fibel für noch unbefriedigte Forscher nach dieser Erkenntniß. Diese kam in Kiel 1808 heraus; da ihre Vorrede mit „Kiel den 23 Julii 1808.“ unterzeichnet ist, erschien sie wahrscheinlich vor dem Aufsatz im Neuen Teutschen Merkur vom 11. November. Reinhold lässt sich an dieser Stelle wieder einen anderen ‚Aufhänger‘ für eine weitere Publikation seines Aufsatzes Von dem denkenden Unterscheiden einfallen. Denn auf S. 203 fährt er fort: „Die vorläufige Aufweisung jener Verwirrung, und der dieselbe aufhebenden Unterscheidung, ist in dem folgenden, als Ankündigung der Fibel auch besonders abgedruckten Aufsatze enthalten:⁴³ Ueber das denkende Unterscheiden.“
e) (Ergänzung. Fehlt in Schönborn Reinhold Bibliographie) „Von dem denkenden Unterscheiden.“ In: Intelligenz-Blatt zur Neuen oberdeutschen allgemeinen Literatur-Zeitung. Nro. I., 31sten Januar 1809 [Druckfehler: Im Original steht fälschlich „1808“, M.G.], Sp. 9–13. Anmerkung: Unterzeichnet: „Kiel, den 25sten August 1808.“ Der ansonsten anonyme Abdruck verweist am Ende auf die Schrift: „Die Anfangsgründe der Erkenntniß der Wahrheit in einer Fibel für noch unbefriedigte Forscher nach dieser Erkenntniß von Karl Leonhard Reinhold – Kiel in der Akademischen Buchhandlung 1808“.
Gemeint ist der für Reinholds gesamte logische Aufklärung nach 1800 im Zentrum stehende Unterschied „der Einheit mit dem Zusammenhang, und der Verschiedenheit mit dem Unterschiede“, ebd. 200. Hier fügt Reinhold als Fußnote hinzu: „Der Einfluß der besagten Verwirrung auf die Logik ist in der Recension des Kiesewetterschen Lehrbuchs in der dießjährigen jenaischen L. Z. in dem Stücke vom 13. Sept. dargestellt. R.“
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Nr. VIII a) (Ergänzung. Fehlt in Schönborn Reinhold Bibliographie) [‚Anzeige‘ zu der folgenden Schrift: Grundlegung einer Synonymik für den allgemeinen Sprachgebrauch in den philosophischen Wissenschaften. Von Carl Leonhard Reinhold. Kiel, bei August Schmidt, 1812.] Anmerkung: Wie aus den folgenden Publikationen b) und c) hervorgeht, hat Reinhold wohl 1812 eine Anzeige zu seiner Grundlegung einer Synonymik in Form eines selbständigen ‚Flugblattes‘ erstellt. Wegen des Umfangs und der wortgenauen Übereinstimmung der beiden unter b) und c) aufgeführten Abdrucke ist eher davon auszugehen, dass Reinhold diese Anzeige nicht handschriftlich, sondern als Druck an verschiedene Personen, vielleicht auch Zeitschriften versendet hat bzw. hat versenden lassen. Allerdings ist mir derzeit kein erhaltenes originales Exemplar der Druckschrift selbst bekannt. Es kann nur von folgenden beiden mir bekannt gewordenen Abdrucken b) und c) auf sie zurückgeschlossen werden. Nicht auszuschließen, aber eher unwahrscheinlich ist auch die Möglichkeit, dass es sich um eine oder auch zwei Handschriften handelt, die den Abdrucken zugrunde lagen. Die Schrift besteht den Abdrucken zufolge aus einem einleitenden Satz, gefolgt von 22 durchnummerierten Absätzen. Sie war, wie aus dem unter b) aufgeführten Abdruck hervorgeht, wahrscheinlich unterzeichnet mit „Kiel den 16ten Junius 1812. R[einhold].“ Da die Grundlegung einer Synonymik selbst schon zur Ostermesse erschienen ist⁴⁴, handelt es sich bei der Anzeige wohl um ein nachgeschobenes Schriftstück Reinholds.
b) (Ergänzung. Fehlt in Schönborn Reinhold Bibliographie) Abdruck des oben unter VIII a) verzeichneten Textes unter der Überschrift „XI. Literaturbericht.“ und nach den bibliographischen Angaben zu Reinholds Grundlegung einer Synonymik in: Neue Schleswig-Holsteinische Provinzialberichte, 2. Jg. 1812 (Juli, August), S. 503–512. Anmerkungen: Die Unterzeichnung des Textes mit: „Kiel den 16ten Junius 1812. R.“ dürfte aus dem oben unter VIII a) verzeichneten Original übernommen worden sein. Der Herausgeber und Verleger der Neuen Schleswig-Holsteinischen Provinzi Vgl. „Ankündigungen. In der akademischen Buchhandlung in Kiel ist zur Ostermesse 1812 erschienen: […] Reinhold, Prof. C. L., Grundlegung einer Synonymik für den allgemeinen Sprachgebrauch in den philosophischen Wissenschaften.“ In: Intelligenzblatt der Leipziger Literatur-Zeitung, Nr. 145 vom 13. Juni 1812, 1159 f.
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alberichte, Georg Peter Petersen, schreibt in einer Fußnote zu den bibliographischen Angaben zur Grundlegung einer Synonymik (S. 503 f.): „Dieses Werk eines der ersten Denker des Zeitalters, welches nach seiner eigenen Aeußerung nicht nur für Gelehrte überhaupt, sondern insonderheit für Gelehrte, die das spekulative Denken zum Hauptgeschäft sich machen, geschrieben ist, und wovon ein anderer akademischer Lehrer⁴⁵ urtheilte: ‚dass es das zweite Buch nach der Bibel sei,‘ haben wir für zu schwer gehalten, um es dem kritischen foro unserer P. B. zu unterwerfen; wir begnügen uns daher mit einer einleitenden Anzeige, welche freundschaftlich von dem Verf. selbst mitgetheilt ward. P.“⁴⁶ Über das Verhältnis Reinholds zu Georg Peter Petersen ist mir derzeit nichts bekannt. Aber ein Vorgängerblatt, die Schleswig-Holsteinischen Provinzialberichte, publizierte schon 1794 eine Rede Reinholds.⁴⁷
c) (Ergänzung. Fehlt in Schönborn Reinhold Bibliographie) Abdruck des oben unter Nr.VIII a) verzeichneten Textes in: Johann August Eberhard, Johann Gebhard Ehrenreich Maaß: Versuch einer allgemeinen teutschen Synonymik in einem kritisch-philosophischen Wörterbuche der sinnverwandten Wörter der hochteutschen Mundart. Dritte Ausgabe, fortgesetzt und herausgegeben von J[ohann]. G[ottfried]. Gruber. Sechster Band: V-Z. Nebst Registern. Halle: in der Ruffschen Verlags-Buchhandlung 1830, S. 308–314. Anmerkung: Dieser Abdruck erfolgt erst 1830 in der genannten dritten, von Johann Gottfried Gruber fortgesetzten und herausgegebenen Ausgabe des ursprünglich von Eberhard 1795–1802 in sechs Bänden herausgegebenen Werkes. Am Schluss des Abdrucks wird als Sign. wiedergegeben: „R.“. Vermutlich hatte Gruber aus dem Original die Unterzeichnung „Kiel den 16ten Junius 1812.“ wegen der 18 Jahre, die seit dem Verfassen des Textes 1812 vergangen waren, weggelassen. Gruber schickt (ebd., S. 308) dem Abdruck u. a. folgende Erklärung voraus: „Reinhold selbst hat eine Uebersicht seines Werkes⁴⁸ in einem Flugblatte gegeben, worin manches Beherzi-
Die gemeinte Person konnte ich nicht identifizieren. „P.B.“ steht für „Provinzialberichte“, die Sign. „P.“ für den Herausgeber derselben, Georg Peter Petersen. „Rede bey der Wiederherstellung des akademischen Ehrengerichts in Kiel. Nach dem Auftrag und im Namen des akademischen Konsistoriums gehalten von Professor Reinhold den 1sten Nov. 1794“, in: Schleswig-Holsteinische Provinzialberichte. Altona und Kiel 1794. 8. Jg., H. 6, 279–291. Gemeint ist die Grundlegung einer Syonymik.
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genswerthe über die Theorie der Synonymik enthalten ist. Da diese vielleicht den Wenigsten zu Gesicht gekommen ist⁴⁹; so theile ich sie hier zum Schlusse noch mit.“ Gegenüber dem oben unter b) verzeichneten Abdruck in den Schleswig-Holsteinischen Provinzialberichten muss der Abdruck durch Gruber als der originalgetreuere eingestuft werden. Es ist davon auszugehen, dass ihm das Original selbst zugrunde lag.⁵⁰ Darauf weisen die zahlreichen, für Reinhold typischen, vom Herausgeber der Schleswig-Holsteinischen Provinzialberichte wohl getilgten, wiederum von Gruber kaum eigenmächtig gesetzten Hervorhebungen im Text hin.
Nr. IX (= Schönborn Reinhold Bibliographie Nr. 95) Das menschliche Erkenntnißvermögen, aus dem Gesichtspunkte des durch die Wortsprache vermittelten Zusammenhangs zwischen der Sinnlichkeit und dem Denkvermögen, untersucht und beschrieben durch Carl Leonhard Reinhold, königl. dänischen Etatsrath, ordentlichen Professor der Philosophie zu Kiel und des Dannebrogordens Ritter. Kiel: im Verlage der academischen Buchhandlung 1816. Anmerkung: Die Schrift hat 272 Seiten. Sie ist zwar erst 1816 gedruckt worden, doch womöglich waren zumindest die Konzeption und womöglich auch größere Teile schon Jahre zuvor von Reinhold verfasst worden, denn in dem oben schon erwähnten Briefe vom 1. September 1808 an Herbart schreibt er: „Insbesondere muss erst das Verhältniss des Denken zum Sprechen – des Gedankens zum Worte – enthüllt werden. Dieses ist in der Hauptsache, in einem neuen Versuch über das menschliche Erkenntnissvermögen geschehen, der in meinem Pulte liegt. Aber ich bin zu mittellos, um auch diesen auf meine Kosten drucken lassen zu können.“⁵¹
Nr. X (Ergänzung. Fehlt in Schönborn Reinhold Bibliographie) Anmerkung No 1 bis 5. In: Einige Ansichten in Anleitung der Schrift des Herrn Etatsrath C. L. Reinhold über die Frage: Was ist Wahrheit? Zur Prüfung des würdigen, die Selbstigkeit meidenden Verfassers niedergeschrieben von C. D. F. Grafen von
Der letzte Halbsatz lässt es eher als unwahrscheinlich erscheinen, dass Gruber ein handschriftlicher Text vorlag. Wie Gruber in den Besitz des Reinholdschen Textes gekommen war, ist mir nicht bekannt. Zimmermann (1877) 123.
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Reventlow, Königl. Dän. Staatsminister. Hamburg 1823. Zu haben bei Perthes und Besser. S. 25–36.⁵² Anmerkungen: Auf der letzten Seite des Werkes ist zu lesen: „Gedruckt bey Johann Georg Langhoff‘s Wittwe.“ Sein Autor ist Christian Detlev (auch Ditlev) Friedrich (auch Friederich, Frederik) Graf von Reventlow. Wie die vorangestellte Widmung (S. 3) erklärt, wurde dieser bei der Herausgabe der Schrift von Reinholds Tod überrascht. Ihr Inhalt geht, wie er auf S. 5 f erläutert, auf Fragen zurück, die Reventlow anläßlich seiner Lektüre von Reinholds letzter Schrift Was ist die Wahrheit? bey den erneuerten Streitigkeiten über die gottliche Offenbarung und die menschliche Vernunft, in nähere Erwagung gezogen (Altona 1820) kamen. In dieser fand er„einige Stellen, über die ich wünschte, von dem würdigen Verfasser selbst belehrt zu werden […] Der Staatsrath R e i n h o l d hat die Güte gehabt, diese meine Bitte zu erfüllen, und mir in seiner Antwort erklärt, nicht nur nichts dawider zu haben, daß ich meine ihm mitgetheilten Ansichten drucken lasse, sondern mich auch dazu aufgemuntert und mir erlaubt, seine durch diese veranlaßten Bemerkungen ihnen beizufügen.“ Nach seinem eigenen fortlaufenden Text (S. 7–24) druckt Reventlow Reinholds Antworten als „A n m e r k u n g No 1“ bis „ A n m e r k u n g No 5“ ab.
Literatur Schönborn, Alexander von (1991): Karl Leonhard Reinhold: eine annotierte Bibliographie, Stuttgart Bad Cannstatt. Keil, Robert (Hg.) (1885): Wieland und Reinhold. Original-Mittheilungen, als Beiträge zur Geschichte des deutschen Geisteslebens, Leipzig, Berlin. Keil, Robert (1883): Wiener Freunde 1784–1808. Beitraege zur Jugendgeschichte der deutsch-oesterreichischen Literatur, Wien. Zimmermann, Robert (Hg.) (1877): Ungedruckte Briefe von und an Herbart. Aus dessen Nachlass, Wien. Garbeis, Franz Wolfgang (1979): Bibliographie zu Christoph Gottfried Bardili: Aus den Quellen ermittelt u. historisch-kritisch erläutert, Stuttgart-Bad Cannstatt. Paimann, Rebecca (2009): Das Denken als Denken. Die Philosophie des Christoph Gottfried Bardili, Stuttgart-Bad Cannstatt. Mejer, [ Johann] W[ilhelm] (Hg.) (1868): Friedr. Heinr. Jacobis Briefe an Friedr. Bouterwek aus den Jahren 1800 bis 1819, Göttingen. Roth, Friedrich (Hg.) (1827): Friedrich Heinrich Jacobi’s auserlesener Briefwechsel. In zwei Bänden, Bd. 2, Leipzig.
Die Schrift ist über den Karlsruher Virtuellen Katalog nicht nachweisbar (Stand Ende 2022). Das einzige mir bekannte Exemplar ist im Besitz des Reinhold-Forschers und –Herausgebers Martin Bondeli, der mir dankenswerter Weise eine Scan-Kopie zur Verfügung gestellt hat.
Beiträgerinnen und Beiträger Martin Bondeli war bis 2019 Privatdozent für Philosophie an den Universitäten Bern und Freiburg (Schweiz) und ist seit 2010 Dozent für Wirtschaftsphilosophie an der Privaten Hochschule für Wirtschaft in Bern. Faustino Fabbianelli ist Professor für Geschichte der Philosophie an der Universität Parma (Italien). Federico Ferraguto ist Professor für Philosophie an der Pontifícia Universidade Católica do Paraná in Curitiba (Brasilien). Elise Frketich ist Visiting Instructor Professor an der Purdue University for the Cornerstone Integrated Liberal Arts program in West Lafayette, Indiana (USA). Michael Gerten ist Dozent und Lehrkraft für besondere Aufgaben in den Fachbereichen BWL, Philosophie und am Lehrstuhl für Politische Theorie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg (Deutschland). Jean-François Goubet ist Professor für Philosophie an der Universite´ de Lille Nord de France in Lille (Frankreich). Marion Heinz ist Professorin emerita für Theoretische Philosophie an der Universität Siegen (Deutschland). Silvan Imhof ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Pädagogischen Hochschule Bern (Schweiz). Marco Ivaldo ist Professor für Geschichte der Moralphilosophie an der Universität Università degli Studi di Napoli Federico II in Neapel (Italien). Ives Radrizzani ist Professor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (Deutschland). Philipp Schwab ist Juniorprofessor für Philosophie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (Deutschland). Pierluigi Valenza ist Professor für Philosophie und Geschichte an der an der Universität La Sapienza in Rom (Italien). John Walsh ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Geschichte der Philosophie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Deutschland). Dirk Westerkamp ist Professor für Theoretische Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
https://doi.org/10.1515/9783111239521-017
Personenregister Abel, Jakob Friedrich 72 Abicht, Johann Heinrich 12, 14 Adam, Herbert 62 Ahlers, Rolf 122, 124, 157, 200 Allison, Henry 15, 19 f. Ameriks, Karl 43 Aristoteles 234, 242, 248, 269, 275 f. Arndt, Andreas 175, 225 Asmuth, Christoph 149
De Saussure, Ferdinand 277 De Vos, Lu 166 Descartes, René 106 Detlev, Christian 290, 308 Di Giovanni, George 9, 157, 165
Bacon, Francis 233, 238, 241 f. Baggesen, Jens 13, 25, 43 f., 49 Bardili, Christoph Gottfried 1 f., 4, 71 f., 78, 80, 82 f., 86, 92, 106 f., 110 f., 113, 119, 122, 139– 141, 145–147, 150, 153 f., 158, 164–167, 199– 222, 247 f., 253 f., 267–270, 285, 287–290, 296–299 Barone, Francesco 145 Baum, Manfred 10, 20, 158, 231 f. Baumgarten, Alexander Gottlieb 232 Beck, Lewis White 20, 63 Beiser, Frederick Charles 92, 140, 157 Berkeley, George 242 Biester, Johann Erich 291, 294 Boghossian, Paul 139 Böhlendorff, Casimir Ulrich 94 Bondeli, Martin 1, 4, 10, 12, 20, 31, 33, 39, 43, 53 f., 106, 113 f., 122, 126, 146, 157, 172, 200 f., 207, 225, 247, 254, 261 f., 269, 277, 285, 308 Bouterwek, Friedrich 295, 298, 302 Breazeale, Daniel 25, 31, 33, 43, 54, 62 Bulling, Karl 292
Fabbianelli, Faustino 3, 9, 31, 37 f., 43, 62–64, 101, 121, 285 f. Fabricius, Johann Albert 233 Ferraguto, Federico 3, 139, 145 Ferraris, Maurizio 140 Fichte, Johann Gottlieb 1–3, 25, 31, 44, 51–68, 71, 73–87, 89–94, 97 f., 100, 121–123, 126, 129 f., 133, 137, 139, 141–144, 146–155, 157, 163, 167, 172, 182, 199 f., 202 f., 208–210, 247, 269 f., 273, 287 f., 296, 299, 302 Forberg, Friedrich Karl 20 Förster, Eckart 140 Förster, Johann Christian 232 Frankfurt, Harry 19 f. Frege, Gottlob 177, 272, 278 Fries, Jakob Friedrich 89 f., 92, 97, 286 Frketich, Elise 3, 157 Fuchs, Erich 37, 58, 65 Fugate, Courtney 33 Fuhrmans, Horst 72
Carnap, Rudolf 275 Carus, Friedrich August 91 Chartier, Roger 152 Clairmont, Heinrich 244 Class, Wolfgang 60 Cloeren, Hermann Josef 201 Cobben, Paul 166 Creuzer, Leonhard 30 f. Crusius, Christian August 31 Cruysberghs, Paul 166 https://doi.org/10.1515/9783111239521-018
Eberhard, Johann August 275, 306 Engfer, Hans-Jürgen 251 Erhard, Johann Benjamin 76
Gabriel, Markus 155 Garbeis, Franz Wolfgang 296 f. Gerten, Michael 4, 9, 97, 201, 225, 275, 281, 285 Girndt, Helmut 157 Goethe, Johann Wolfgang 81 Goubet, Jean-François 2, 89, 97, 101 Gruber, Johann Gottfried 306 f. Guyer, Paul 10, 33 Hamann, Johann Georg Harris, James 237 Hartkopf, Werner 167
244
312
Personenregister
Haschka, Lorenz Leopold 287 f. Haym, Rudolf 242 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 3, 55, 68, 71, 73–75, 92, 122, 132 f., 157 f., 160, 166 f., 170– 172, 175 f., 178, 180–187, 190–194, 245, 249, 267 f., 276, 287 Heidegger, Martin 158, 160 Heinz, Marion 4, 225, 235, 237 Herbart, Johann Friedrich 2, 89–102, 288 f., 301 f., 307 Herder, Johann Gottfried 4, 201, 225–227, 232– 249, 254, 256 f., 274, 279 Heydenreich, Karl Heinrich 12, 14 Höijer, Benjamin 79 Hossenfelder, Malte 233 Hufeland, Gottlieb 79 f. Hühn, Lore 58 Hume, David 242 Ianulardo, Giancarlo 141 Imhof, Silvan 3 f., 53, 199, 201 f., 214, 225, 268, 279 Irmscher, Hans Dietrich 238 Ivaldo, Marco 2, 37, 43, 146, 148 Jacobi, Friedrich Heinrich 1, 4, 40, 78, 82, 85– 87, 92 f., 97, 122, 124, 126 f., 136, 140, 193, 199 f., 202 f., 208–210, 212 f., 215, 225, 247, 266, 296–301 Jensen, Friedrich Christoph 297–300 Jonkers, Peter 166 Kant, Immanuel 2–4, 9–33, 37–40, 42–49, 51, 54, 62, 74 f., 80, 84 f., 89–94, 114, 116, 117, 122, 125 f., 128 f., 140–142, 144–146, 157 f., 163, 166 f., 172, 175–182, 187 f., 200, 203, 225–232, 234 f., 237–240, 242 f., 245–251, 256, 262, 266 f., 270, 272, 276, 278, 287 f., 296 Keil, Robert 287 f. Kiesewetter, Johann Gottfried Karl Christian 12, 14, 90, 303 f. Klemme, Heiner 13, 72 Klemmt, Alfred 64, 200 f. Kleuker, Johann Friedrich 298 Korsgaard, Christine 20
Kosch, Michelle 13, 20, 27 Kraus, Christian Jakob 14, 27 Langhoff, Johann Georg 308 Lauth, Reinhard 58, 157 Lazzari, Alessandro 40, 43 Leibniz, Gottfried Wilhelm 11 f., 32, 79, 232 f., 235, 265–267, 269, 275, 278, 280 Lichtenberger, Henri P. 13 Locke, John 242, 261, 265, 271, 278 Maaß, Johann Gebhard Ehrenreich 306 Maimon, Salomon 31, 142, 178, 182 Malebranche, Nicolas 125, 127, 133 Marx, Karianne J. 43, 157, 182 Mehmel, Gottlieb Ernst August 82, 144, 152 Meier, Georg Friedrich 251 Mejer, Johann Wilhelm 298 Morris, Michael 33 Muchnik, Pablo 20 Niethammer, Friedrich Immanuel 299 Noller, Jörg 9 f., 13, 20, 31 Olivier, Paul
59, 76 f., 80,
43
Paimann, Rebecca 122, 158, 269, 296, 299 Paton, Herbert James 20 Paulus 84 Petersen, Georg Peter 306 Platon 106, 125 f., 232 Ploucquet, Gottfried 270 Pluder, Valentin 140 Poser, Hans 275 Prauss, Gerold 13 Radrizzani, Ives 2, 62, 71, 285 f. Rametta, Gaetano 148, 152 Rayman, Joshua 33 Rehberg, August Wilhelm 9 Reimarus, Hermann Samuel 242, 251 Reinhold, Ernst 94, 101, 289, 296, 298 Reinhold, Karl Heinrich 289 Reinhold, Karl Leonhard 1–5, 9–13, 17 f., 22–25, 30–33, 37–49, 51–54, 56 f., 59, 62–65, 67 f., 71–87, 89–102, 105–137, 139–142, 144–148,
Personenregister
150, 152–154, 157 f., 160 f., 163–172, 175 f., 178, 182, 186–194, 199–215, 218–222, 225 f., 235, 247–257, 261–281, 285–308 Rink, Friedrich Theodor 226 Rist, Johann Georg 94 Roth, Friedrich 301
Stolzenberg, Jürgen 9, 65 Surber, Jere Paul 201
Salat, Jakob 301 Schäfer, Rainer 58 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 2 f., 49, 51– 53, 55–59, 61–68, 71–87, 89–93, 97, 123–126, 129, 131, 133, 144, 157–163, 167, 172, 268, 273, 276, 287, 302 Schierbaum, Sonja 33 Schlegel, August Wilhelm 81 f., 85 Schleiermacher, Friedrich 81, 85 Schmid, Carl Christian Erhard 9, 11–14, 17, 46 Schmidt, August 289, 305 Scholtz, Günther 235 Schönfeld, Martin 33 Schrader, Wolfgang H. 122, 137, 153, 200 Schulte, Monika M. 288 Schulze, Gottlob Ernst 54, 74, 142, 263, 295 Schwab, Philipp 2, 51, 53–56, 60, 68 Sextus Empiricus 232 f. Simon, Ralf 247 Smidt, Johann 95, 288 Snell, Christian Wilhelm 12, 14 Soller, Alois K. 60 Spoo, Georg 60 Stella, Aldo 141 Stern, Robert 158–160, 170 f.
Ulrich, Johann August Heinrich
Tennemann, Wilhelm Gottlieb Tilliette, Xavier 79 Timmermann, Jens 9
313
298
11, 14, 27 f.
Valenza, Pierluigi 2 f., 97, 105, 119, 122, 153, 157, 200 f., 207 f., 225 von Aquin, Thomas 160 von Schönborn, Alexander 4, 43, 285 f., 290– 296, 298, 301–307 von Steiger, Carl 93, 102 Waibel, Violetta L. 60 Walschots, Michael 9, 33 Walsh, John 2, 9 f., 31 Warda, Arthur 14 Weller, Emil 291 Westerkamp, Dirk 1, 3, 172, 175, 177, 225, 251, 277 Wittgenstein, Ludwig 277 Wizenmann, Thomas 40 Wolff, Christian 79, 232, 245, 250 f. Wolff, Michael 181 Wurthmann, Nicola 288 Zahn, Manfred 146 Zimmermann, Robert 288 f., 302, 307 Zöller, Günter 1, 9 f., 31, 43, 147