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German Pages 284 [278] Year 2022
V. Z. Panfilov Wechselbeziehungen zwischen Sprache und Denken
V. Z. Panfilov
Wechselbeziehungen zwischen Sprache und Denken
AKADEMIE-VERLAG • B E R L I N 1974
Titel der russischen B. 3. IlaHjiHJiOB
Originalausgabe:
B3anMOOTHOiiieHiie H3tiKa H MtmuieHiia Übersetzung vonvon Barbara Herausgegeben ErhardMeier Albrecht und Georg Friedrich Meier
Erschienen im Akademie-Verlag • 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Copyright der deutschen Ausgabe 1974 by Akademie-Verlag, Berlin Lizenznummer: 202 • 100/13/74 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen/DDR • 4305 Umschlaggestaltung: Nina Striewski Bestellnummer 752 2746 (6086) LSV 0805 Printed in the GDR EVP 2 4 -
Inhalt
Vorwort der Herausgeber
7
Einführung
11
Erster Teil Sprache und Erkenntnis
23
Kapitel I Sprache als Mittel der Verwirklichung und der Existenz des abstrakten, verallgemeinernden Denkens
25
Kapitel II Das Denken und die Sprachtypen
75
Kapitel III Die Gesetze des Denkens und das Problem der Denktypen
93
Zweiter Teil Grammatik und Logik
127
Kapitel I Die Struktur des Satzes und die Struktur der durch ihn ausgedrückten Urteile, Fragen und Aufforderungen
129
Kapitel II Die logisch-grammatische Ebene des Satzes
154
Kapitel III Prädikativität und grammatisches Prädikat, Prädikativität und Modalität. Modalität und Modus
180
5
Kapitel IV Satzglieder u n d die Komponenten des Urteils, der Frage u n d der Aufforderung
213
Kapitel V Die grammatische Kategorie der Diathese u n d die Kategorien des Subjekts (Trägers) der Handlung, des Objekts der H a n d l u n g u n d der H a n d lung. Die Ergativ-Konstruktion des Satzes
222
Nachwort
231
Anmerkungen
244
Vorwort der Herausgeber
Der Verfasser des vorliegenden Buches, Prof. V. Z. Panfilov, ist bereits durch zahlreiche Arbeiten über das Verhältnis von Sprache und Denken, insbesondere auch von Logik und Grammatik, hervorgetreten. All seine Arbeiten zeichnen sich durch einen konsequenten dialektisch-materialistischen Standpunkt aus und zudem ist er ein bedeutender Spezialist auf dem Gebiete der sog. paläosibirischen Sprachen, insbesondere des Nivchischen (Giljakischen), mit dessen zweibändiger Grammatik er der internationalen Linguistik wertvolles Material über diese noch wenig erforschte und hinsichtlich ihrer ethnischen Herkunft einzigartigen Sprache geliefert hat. Panfilov hat sich zugleich mit Fragen der Sprachphilosophie, der Anthropogenese, Ethnographie und Kulturgeschichte zahlreicher Sprachgemeinschaften beschäftigt, so daß sein Buch über den rein hypothetischen Rahmen der Problemstellung eine Fülle von Argumenten und Beweismaterial aus vielen Sprachen unterschiedlicher Struktur vorlegt. In der Auseinandersetzung mit idealistischen Hypothesen, insbesondere mit der sog. Primitivsprachenhypothese, stützt sich der Verfasser auf die Erkenntnisse des historischen Materialismus und belegt seine Argumentation mit überzeugenden Beispielen aus Sprachen, die in der bürgerlichen Literatur oft als „primitiv" dargestellt werden. Dabei kommt dem Verfasser seine ausgezeichnete Kenntnis des Nivchischen zugute. Das Buch setzt sich eingangs mit allgemeinen und erkenntnistheoretischen Problemen der Fragestellung auseinander und zeigt die dialektische Einheit von Sprache und Denken, die nicht mit einer Identität oder Parallelität verwechselt werden darf. Viele Überlegungen dieses ersten Teiles sind dem Verhältnis von Wortbedeutung und Begriff sowie dem Anteil der Sprache am sinnlich-anschaulichen Erkenntnisprozeß und am abstrakten Denkprozeß gewidmet. Sehr eindrucksvoll werden einseitige Simplifikationen idealistischer und strukturalistischer Richtungen charakterisiert und widerlegt. Auch die Hypothese eines sog. „prälogischen" Denkens wird kritisch beleuchtet. Im zweiten und dritten Abschnitt des ersten Kapitels geht der 7
Verfasser etwas exkursionsartig auf Fragen der Typologie von Sprachen und auf einige Grundfragen der Aristotelischen Logik ein. Beide Abschnitte dienen hauptsächlich der Vorbereitung der im zweiten Teil zu behandelnden Fragen. Die Frage der Berechtigung einer morphologischen Typologie wird zwar auch von Fanfilm kritisch erörtert, doch nimmt er an, daß es nützlich sei, bestimmte morphologisch-syntaktische Charakteristika einzelner Sprachen zu klassifizieren, um damit möglicherweise bestimmte Typen der Zuordnung zu logischen Strukturen ersehen zu können. Die Frage bleibt jedoch umstritten. Ebenso problematisch ist der Versuch, Typen des Denkens aufzustellen, was Panfilov selbst zugibt. Trotzdem ist die Erörterung dieser Fragen verdienstvoll und wird manchen Leser zum weiteren Nachdenken anregen. Der zweite Hauptteil ist dem Verhältnis von Grammatik und Logik gewidmet. Unter Logik versteht der Verfasser hier nicht eine streng mathematische Logik, sondern mehr psychologisch-semantische Elemente und Verknüpfungen der Gedanken. Er setzt sich sehr ausführlich mit dem Verhältnis von Satz und Urteil (einschließlich der Frage und der Aufforderung) auseinander und kritisiert zahlreiche Autoren, die grammatische Kategorien, Satzglieder oder Wortarten psychologisch oder logisch interpretiert haben. Insbesondere wird sehr eingehend das Problem des sog. logischen Subjektes und Prädikates, des sog. logischen Akzentes und der Prädikativität behandelt. Der Verfasser beweist an vielen Beispielen, daß grammatische und logische Kategorien nicht übereinstimmen. So wird gezeigt, daß das logische Prädikat durch das grammatische Subjekt, aber auch durch alle anderen Satzglieder und einzelnen Wörter ausgedrückt werden kann. Andererseits wird auch gezeigt, daß in manchen Sprachen speziell für die Hervorhebung des logischen Prädikats bestimmte formale Mittel zur Verfügung stehen. Aruilog wird gezeigt, daß zwischen grammatischem Modus und der (psychologischkommunikativen) Modalität ebenfalls keine Übereinstimmung herrscht. Schließlich versucht der Verfasser eine Hypothese über das Zustandekommen der Ergativkonstruktion aufzustellen, indem er noch ein sog. Subjekt einer Handlung in die Betrachtung einbezieht. Im Ergebnis seiner Überlegungen kommt Panfilov zur hypothetischen Annahme einer dritten Ebene zwischen der rein gedanklich-logischen und der rein grammatischen Ebene. Er nennt sie die sog. logisch-grammatische Ebene. Diese Ebene behandelt die Zuordnung logisch-gedanklicher Glieder zu den Gliedern und Elementen des Satzes, geht dabei jedoch vom Satz aus. Panfilov betont, daß es sieh bei der Unterscheidung zwischen der syntaktischen und der logisch-grammatischen Ebene des Satzes nicht um zwei spezielle Einheiten, sondern um zwei Strukturebenen ein und derselben Einheit, nämlich des Satzes, handelt. 8
Der Versuch, solch eine zusätzliche Ebene herauszufinden, ist in diesem Buche noch nicht abgeschlossen. Wir finden vor allem die Postulate. Das Problem, das hiermit umrissen wird, führt zur Satzsemantik unter besonderer Einschränkung auf spezielle Struktureinheiten des Satzes. Zugleich zeigt Panfilov aber auch, daß keine einzige sprachliche Struktur solche Verallgemeinerungen gestattet. Selbst in Sprachen, die relativ streng das logische Prädikat mit einer Partikel oder einem Affix kennzeichnen, gibt es zahlreiche Ausnahmen, so z. B. beim Attribut usw. Trotzdem schärft der vorgetragene Gedankengang den Blick für die Kompliziertheit der Satzsemantik. Offen bleibt in der Betrachtung Panfilovs die eigentliche logische Struktur der Gedanken und ihre mögliche Bewältigung (z.B. durch prädikatenlogische Darstellung). Interessant, aber ebenfalls noch nicht endgültig beantwortet, ist die Frage, inwieweit die Zweigliederung des Urteils mit der Zweigliederung der sog. aktuellen Gliederung (bes. der Prager Schule) in Übereinstimmung gebracht werden kann. Die Herausgeber hoffen, daß gerade diese Probleme, die der Verfasser in dialektischer Sicht aufgeworfen hat, durch die Lektüre seiner Ausführungen deutlicher erkannt und zum Gegenstand weiterer Überlegungen und Lösungsversuche gemacht werden. Die vorliegende Übersetzung entspricht bis auf einige kleine Kürzungen, die in Übereinstimmung mit dem Verfasser vorgenommen wurden, dem Original. Bei der Übersetzung legten wir Wert darauf, die Gedankengänge des Verfassers unter weitgehender Anpassung an seinen Darstellungsstil so getreu wiederzugeben, als dies dem deutschsprachigen Leser gegenüber zu vertreten war. In der Terminologie mußten wir teilweise eigene Wege gehen, da der Verfasser oft Differenzierungen wählte, die nur im Russischen sinnvoll erschienen. So verwendet er den Terminus Subjekt nur für das logische Subjekt, während er für das grammatische Subjekt podlezaäöee benutzt, wofür wir lieber grammatisches Subjekt gewählt haben. Bei der Transliteration der nicht-lateinischen Schriften (beim Verfasser in kyrillischer Schrift wiedergegeben) mußten wir eigene Transliterationen unter Beachtung der originalen Aussprache wählen. Für die Beispiele aus dem Chinesischen und Japanischen verwendeten wir die jeweilige übliche Lateinumschrift. Einige notwendige Kommentare wurden von der Übersetzerin in speziellen Fußnoten vermerkt. Greifswald, Berlin, im Februar 1974
Erhard Albrecht Georg Meier
Dem Andenken meines Lehrers I. I. Mescaninov gewidmet
Einführung Sprache und Denken bilden eine Einheit dialektischer Widersprüche, in der die Sprache bei der bestimmenden Rolle des Denkens eine relativ selbständige Erscheinung darstellt, die ihrerseits eine bestimmte rückgekoppelte Wirkung auf das Denken zeigt. Die Erforschung der verschiedenen Ebenen der Sprache im Bereich ihrer Wechselbeziehung zum Denken deckt den unterschiedlichen Charakter der Beziehung der entsprechenden sprachlichen Einheiten zum Denken auf und gibt damit die Möglichkeit, die Dialektik der komplexen und widersprüchlichen Natur der Wechselbeziehung zwischen Denken und Sprache insgesamt zu illustrieren. Die Verabsolutierung einer der Seiten dieser Einheit ist eine Quelle der Theorien, die Sprache und Denken und insbesondere Grammatik (den grammatischen Bau der Sprache) und Logik (den logischen Bau des Denkens) für identisch erklären. Eine andere Verabsolutierung, nämlich die Überschätzung der Rolle, die das Denken bei der Formulierung, der Funktion und der Entwicklung der Sprache spielt, ist die Grundthese der logischen Richtung in der Sprachwissenschaft. I n ihrer Behandlung des Problems der Wechselbeziehung von Sprache und Denken schließt sich der logischen Richtung in der Sprachwissenschaft die naturalistische Richtung an, der das vulgär-materialistische Verständnis der Sprache als „aus lautlicher Materie des natürlichen Organismus gebildet" (Schleicher) zugrunde liegt, d. h. die falsche Auffassung von der ontologischen Natur der Sprache. Schließlich kommen zur Gleichsetzung von Sprache und Denken — aber schon im Ergebnis der Verabsolutierung der relativen Selbständigkeit der Sprache, der Rolle und Bedeutung ihrer umgekehrten Wirkung auf das Denken — auch noch die Vertreter verschiedener Richtungen des Neohumboldtianismus (Hypothese von Sapir und Whorf, die Schule Weisgerbers, G. Holz in Deutschland) und der Richtungen des Strukturalismus, die die Sprache als ein gewisses immanentes Wesen betrachten, 11
als System von Oppositionen, deren Charakter nicht von den realen Eigenschaften der Glieder dieser Oppositionen (Saussure , Hjelmslev u. a.) abhängt. Vom Standpunkt der Vertreter letzterer Theorien aus bestimmt die Sprache nicht nur den Charakter des Denkens, sondern auch den Charakter der Widerspiegelung der objektiven Realität selbst. Damit wird die Sprache im Rahmen der Theorien der Wechselbeziehung zwischen Sprache und Denken, die von den Neohumboldtianern und einigen Vertretern der Richtung des Strukturalismus entwickelt wurden, als etwas Bestimmendes nicht nur in bezug auf das Denken, sondern auch in bezug auf die objektive Realität betrachtet und demzufolge können diese Theorien in philosophischer Hinsicht als eine Art „linguistischer Idealismus" angesehen werden.1 Der komplizierte Charakter der Wechselwirkung von Sprache und Denken und insbesondere des grammatischen Baus der Sprache und des logischen Baus des Denkens wird von jenen Theorien nicht in Betracht gezogen, die so oder anders die Einheit von Sprache und Denken als Ganzes oder das Vorhandensein irgendeiner Wirkung des logischen Baus des Denkens auf den grammatischen Bau der Sprache verneinen. Der letzte Standpunkt wurde von den Vertretern der sog. psychologischen Richtung in der Sprachwissenschaft herausgearbeitet, die als Reaktion auf die eine lange Zeit hindurch vorherrschende logische Richtung entstanden war. Im Zuge der Kritik der logischen Richtung durch die Vertreter der psychologischen Konzeption in der Sprachwissenschaft wurde eine Reihe von Momenten hervorgehoben, die für die Charakteristik der Wechselbeziehung von Sprache und Denken und insbesondere für den grammatischen Bau der Sprache und den logischen Bau des Denkens überaus wesentlich sind. Im einzelnen wurde gesagt, daß 1. ein Satz nicht nur das Urteil in seinem aristotelischen Sinne ausdrückt, sondern auch eine Frage und eine Aufforderung; daß es 2. unklar bleibt, welche Form des Denkens sich durch unpersönliche und eingliedrige Sätze ausdrückt, da die sprachlichen Fakten die These der Subjekt-Prädikat-Struktur der durch sie ausgedrückten Formen des Gedankens zweifelhaft erscheinen lassen; daß 3. die Struktur des Urteils und die Satzgliederung sehr oft nicht zusammenfallen, da erstens in den Sätzen nicht nur Subjekt und Prädikat, sondern auch zweitrangige Satzglieder auftreten, während das Urteil nur aus zwei Gliedern — dem logischen Subjekt und Prädikat — besteht (wenn man die strittige Frage, ob die Kopula ein selbständiges Strukturelement des Urteils sei, ausklammert) und zweitens das logische Subjekt sich oft nicht durch das Subjekt ausdrückt, sondern durch andere Satzglieder oder Satzgliedgruppen, so wie auch das logische Prädikat 12
nicht nur durch das Prädikat, sondern auch durch andere Satzglieder oder Satzgliedgruppen, unter ihnen auch das Subjekt, ausgedrückt sein kann; daß 4. die logische und grammatische Modalität (Modus) unterschiedliche Erscheinungen sind; insofern als in den Sprachen Modusarten auftreten, die nicht ihre Entsprechungen in den durch die Logik gebildeten Formen der modalen Bedeutung finden; daß 5. der Begriff sich nicht nur durch ein Wort ausdrückt, sondern auch durch ein Syntagma und andererseits, daß einige Worttypen (Interjektionen, sog. Hilfswortarten) offensichtlich im allgemeinen keine Begriffe ausdrücken; daß 6. keine eineindeutige Entsprechung zwischen den Kategorien des Gegenstandes, der Handlung, der Qualität, der Quantität usw. und den Wortarten existiert, da Substantive nicht nur reale Gegenstände, sondern auch Eigenschaften, Handlungen, Mengen usw. und Verben nicht nur Handlungen, sondern auch Zustände, Eigenschaften usw. bezeichnen können. Daraus folgt, daß die Definitionen einer Reihe grammatischer Grundbegriffe, wie sie von den Vertretern der logischen Konzeption in der Sprachwissenschaft benutzt worden sind und besonders die Definition des Satzes („Ein durch Wörter ausgedrückter Inhalt ist ein Satz" — F. I. Buslaev), die Definition des Subjekts (Subjekt ist das, worüber im Satz gesprochen wird), des Prädikats (Prädikat ist das, was im Satz gesprochen wird) usw. falsch sind und daß bei den Definitionen dieser Begriffe auch speziell sprachliche Merkmale in Betracht gezogen werden müssen. Jedoch dienten diese an sich richtigen Beobachtungen der Vertreter der psychologischen Richtung auch als Basis für eine nicht weniger fehlerhafte Behandlung der Probleme der Wechselbeziehung zwischen der logischen Struktur des Denkens und der Grammatik, ja sogar des Denkens und der Sprache im ganzen, als dies bei den „Logizisten" geschehen war. In diesem Zusammenhang mag es genügen, beispielsweise auf den bekannten Ausspruch von H. Steinthal bezugzunehmen, wonach sprachliche und logische Kategorien nicht miteinander vereinbar sind, sondern sich zueinander wie die Begriffe des Kreises und der roten Farbe verhalten. 2 Darauf beruft sich auch A. A. Potebnja, der der Meinung ist, daß „die Sprachwissenschaft, insbesondere die Grammatik, der Logik durchaus nicht näher steht als irgendeine andere Wissenschaft" 3. Ungeachtet dessen, daß die eben angeführten Beobachtungen aus dem Bereich der Wechselbeziehung von Sprache und Denken keinerlei Anlaß zu ähnlichen Schlußfolgerungen geben, kann man mit den Auffassungen der Vertreter der psy13
chologischen Richtung auch deshalb nicht einverstanden sein, weil sich dadurch das Problem der Wechselbeziehung zwischen der Struktur des Denkens und der Grammatik, zwischen Denken und Sprache überhaupt, aufhebt. 4 Die Kritik an der logischen Richtung in der Sprachwissenschaft seitens der Vertreter der psychologischen Konzeption brachte nicht das Fehlen der Korrelationen und der Abhängigkeit zwischen der Struktur des Denkens und dem grammatischen Bau der Sprache zutage, sondern nur die Fehlerhaftigkeit, den Versuch zu unternehmen, eine direkte und eineindeutige Entsprechung zu allen sprachlichen Erscheinungen der verschiedenen Ebenen im Denken zu finden, wie dies die Vertreter der logischen Richtung taten, die bestrebt waren, eine gewisse Entsprechung zwischen Wortarten und Kategorien des Denkens, zwischen Satz und Urteil, zwischen Satzgliedern und strukturellen Komponenten des Urteils usw. aufzustellen. In dem Bestreben, alle grammatischen Erscheinungen auf logische zurückzuführen, zogen die „Logizisten" nicht die relative Selbständigkeit der Sprache in Betracht. Letztere besteht vor allem darin: Je niedriger die Ebenen einer Sprache in der hierarchischen Anordnung ihrer Ebenen anzusetzen ist, desto entfernter und mittelbarer erweist sich die Verbindung der entsprechenden sprachlichen Erscheinungen mit dem Denken und desto größer ist der Grad der Selbständigkeit des sprachlichen Subsystems. Wesentliche Unterschiede bestehen in dieser Hinsicht nicht nur zwischen der Phonemebene der Sprache, deren Einheit unilateral ist, einerseits und ihren übrigen Ebenen, deren Einheiten bilateral sind, andererseits, sondern auch zwischen diesen letzteren Ebenen der Sprache selbst. Es mag genügen, zu sagen, daß die Einheit der Morphemebene, d. h. das Morphem, keine Nennfunktion hat, also nicht fähig ist, in linearer Folge einen Begriff auszudrücken, d. h. sich nicht unmittelbar auf irgendeine Form des Denkens bezieht, obwohl es auch eine Bedeutung hat.* Wenn man einen anderen und überaus verbreiteten Gesichtspunkt annimmt, nach dem das Morphem auch einen Begriff ausdrückt, so muß man notwendigerweise auch den daraus abgeleiteten Schluß ziehen, daß in der syntagmatischen Anordnung ein morphologisch gegliedertes * Bemerkung des Übersetzers: Der Autor versteht unter „Morphem" nur Ableitungsmorpheme und nicht Stammorpheme bzw. Wörter. In der sowjetischen Linguistik werden die Wortarten im allgemeinen in zwei Klassen unterschieden: die Klasse der Wörter mit Nennfunktion — znamenatel'nyj — und die Klasse der Wörter mit Hilfsfunktion — sluzebnyj.
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Wort gleichzeitig einen Begriff ausdrückt. Die Fehlerhaftigkeit dieser Schlußfolgerung ist ganz offensichtlich, insbesondere, wenn man sie der allgemein verbreiteten Ansicht gegenüberstellt, daß in einem phraseologischen Syntagma das einzelne Wort nicht nur keinen Begriff ausdrückt, sondern nicht einmal mehr seine ursprüngliche lexische Bedeutung bewahrt hat. Dafür, daß in der syntagmatischen Anordnung das einzelne Morphem nicht imstande ist, einen Begriff auszudrücken, spricht auch jener Umstand, daß es nicht möglich ist, auf das Morphem als Wortteil einen logischen Akzent zu setzen, d. h., das Morphem kann nicht als logisches Prädikat auftreten, also nicht als einer der Begriffe, die neben dem logischen Subjekt eine Strukturkomponente des Urteils darstellen. Erst das Wort, genauer gesagt das Wort mit Nennfunktion, ist die kleinste sprachliche Einheit, die sich als Bedeutungsträger durch ihre Nennfunktion einerseits und durch die Fähigkeit, einen Begriff auszudrücken andererseits auszeichnet5; obwohl das Wort immer dann, wenn es seine Bedeutung in der linearen syntagmatischen Folge innerhalb der Grenzen der freien Wortgruppierung beibehält, als einzelnes möglicherweise auch keinen Begriff ausdrückt. Tatsächlich gibt es in der Struktur des Urteils, das durch den einfachen erweiterten Satz ausgedrückt wird, wenn wir die Kopula nicht als ein besonderes Strukturelement des Urteils betrachten, nur zwei Begriffe: das logische Subjekt, d. h. der Begriff des Gegenstandes des Gedankens, und das logische Prädikat, d. h. der Begriff des Merkmals oder der Merkmale, die ihm in einem gegebenen Denkakt zugeschrieben werden. Jeder dieser Begriffe kann durch zwei oder mehr Wörter ausgedrückt sein, z. B. durch die syntaktische Gruppe des Subjekts bzw. durch die syntaktische Gruppe des Prädikats, wie im folgenden Satz: Ispugannaja nami vorona vzletela na vysokoe derevo. ( = Die von uns aufgescheuchte Krähe flog auf einen hohen Baum). So drückt in der Struktur von Urteilen, die durch Sätze dieser Art ausgedrückt werden, kein einziges der Wörter, die in den entsprechenden syntaktischen Gruppen enthalten sind, für sich allein einen Begriff aus. Allerdings behält jedes einzelne Wort seine Bedeutung bei, wodurch — im Unterschied zum Morphem — jedes dieser Wörter sich potentiell auch die Fähigkeit erhält, einen Begriff auszudrücken, was geschieht, wenn auf einem beliebigen Wort der logische Akzent ruht. Es muß hier bemerkt werden, daß in den Augen einiger Logiker und Sprachwissenschaftler in Fällen, in denen das logische Subjekt oder Prädikat durch eine Gruppe von Wörtern mit Nennfunktion ausgedrückt wird, jeder dieser Begriffe einen zusammengesetzten Begriff darstellt, und „daß er, wenn er auch als Einheit zu betrachten ist, doch zugleich 15
auch eine Gruppierung ist, wobei sich jeder einzelne dieser Begriffe von der Begriffsgruppe als ganzer unterscheidet . . . " 6 Dadurch löst sich nach Meinung dieser Autoren eine der Antinomien des Problems der Einheit von Sprache und Denken, die darin besteht, daß der Satz im Unterschied zum Urteil eine kompliziertere Struktur haben kann; denn im einfachen erweiterten Satz gibt es nicht nur Subjekt und Prädikat, sondern auch andere Satzglieder, die keine direkten Entsprechungen in der Struktur des Urteils haben. Solch eine Lösung der Frage nach der Entsprechung von Satzstruktur und Urteilsstruktur erweist sich jedoch vom Standpunkt der Auffassung der logischen Form des Denkens im allgemeinen als unbefriedigend, da sie voraussetzt, daß dieselben Begriffe Komponenten eines Begriffs als einer Form des Denkens und gleichzeitig Komponenten des Urteils als einer anderen, qualitativ verschiedenen Form des Denkens seien. Analog könnte man z. B. behaupten, daß das Wort nicht aus Morphemen bestünde, sondern aus Wörtern und daß sich gleichzeitig aus den Wörtern Syntagmen bilden lassen, deren Modelle in bezug auf das Wort Einheiten eines höheren Ranges seien; die Fehlerhaftigkeit einer solchen Behauptung wird im Lichte der Theorie der sprachlichen Einheiten deutlich erkennbar. Die sprachliche Gliederung des Ausdrucks für das logische Subjekt und Prädikat kann unserer Ansicht nach in den Fällen, in denen sie durch Syntagmen bezeichnet werden, nicht als Beweis dafür dienen, daß die entsprechenden Merkmale, die im logischen Subjekt oder Prädikat enthalten sind und speziell ausgedrückt werden, in der Struktur eines gegebenen Urteils als gesonderte Begriffe auftreten, weil auch in diesen Fällen das logische Subjekt und ebenso das logische Prädikat ein einziges logisches Objekt widerspiegeln. Es leuchtet beispielsweise ein, daß unabhängig davon, ob das logische Subjekt durch ein einziges Wort „Quadrat" oder durch das Syntagma „rechtwinkliges gleichseitiges Viereck" bezeichnet wird, der gedankliche Gegenstand ein und derselbe ist und sowohl entsprechend seinem Inhalt als auch seiner Struktur nach ein Begriff dieses Gegenstandes des Gedankens bleibt. 7 Die sprachliche, genauer gesagt die Wortaufgliederung des Ausdrucks des logischen Subjekts oder Prädikats, charakterisiert die innere Form dieses Begriffs, das Mittel der Bildung und der sprachlichen Bezeichnung dieses Begriffs in vorhergehenden Denkakten, in gewissem Sinne etwa seine begriffliche Etymologie. Ähnlich wie das Vorhandensein einer inneren Form bei irgendeinem morphologisch gegliederten Wort (vom Typ des russischen „parochod", „podsneänik" usw.) nicht bedeutet, daß diese lexische Bedeutung zusammengesetzt ist und eine Gruppierung der 16
Bedeutungen der morphologischen Komponenten des Kompositums darstellt — als semantische Ganzheit gilt auch die Bedeutung eines morphologisch gegliederten Wortes, wozu wir auch das sog. komplexe Wort rechnen 8 —, so darf auch bei irgendeinem Begriff das Vorhandensein der inneren Form in diesem verbalen Ausdruck nicht als Beweis dafür dienen, das dieser Begriff eine Begriffsgruppe darstellt. Mit dem oben erwähnten Unterschied zwischen Morphem und Wort hinsichtlich ihrer Beziehungen zum Denken hängt folgender Unterschied ihrer Rollen im Mechanismus der Sprache zusammen: Während die Bedeutung des Wortes sowohl auf der syntagmatischen als auch auf der paradigmatischen Ebene aktualisiert wird, so wird die Bedeutung eines Morphems nur auf der paradigmatischen Ebene aktualisiert. In Wirklichkeit wird im Sprechakt die Bedeutung all der einzelnen Morpheme, die ein Wort zusammensetzen, gewöhnlich nicht bewußt, weil der Mensch dadurch, daß er die eine oder andere Sprache voll beherrscht, ein beliebiges Wort während des Sprechens als eine geschlossene Einheit benutzt, und es nicht aus den entsprechenden Morphemen beim Sprechen bewußt bildet. Andererseits ist es für die freie Wortgruppierung besonders charakteristisch, daß sie nach bestimmten Wortmodellen erfolgt und nicht als eine fertige Einheit im Sprechakt reproduziert wird. Dies schließt natürlich nicht aus, daß einige in einem bestimmten Sprachmilieu äußerst gängige konkrete Syntagmen in dem einen oder anderen Sprechakt so reproduziert werden, wie sie früher schon gebildet und in den vorhergehenden Sprechakten benutzt worden waren. Einige Wörter können aber auch neu gebildet werden, ohne in diesem oder jenem Sprechakt reproduziert zu werden, wie dies z. B. bei den Komposita der deutschen Sprache der Fall ist. Im letzten Fall entsteht zwar die Frage, ob man derartige Wörter als zur Sprache als einem Kommunikationsmittel für die ganze Sprachgemeinschaft zugehörig betrachten kann. So zeigt die Benutzung der Morpheme in der linearen syntagmatischen Anordnung gleichsam reflektorischen Charakter und gerade darin und nicht in einem Grad der Verallgemeinerung und Abstraktion besteht der Unterschied zwischen lexischer und grammatischer Bedeutung. 9 Die Bedeutung eines Morphems kommt explizit nur zum Bewußtsein, wenn es isoliert wird und irgendeinem anderen isoliert gesprochenen Morphem gegenübergestellt wird. Dies entspricht den sog. assoziativen paradigmatischen Anordnungen F. de Saussures, die zusammen mit den syntagmatischen linearen Verknüpfungen sprachlicher Einheiten den Mechanismus der Sprache ausmachen. 2 PunflloT, Sprache und Denken
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In der paradigmatischen Ebene wird auch die Bedeutung des Wortes aktualisiert. So erweist sich diese Eigenschaft sowohl für die Bedeutung des Wortes als auch für die Bedeutung des Morphems als gemeinsam. In diesem Zusammenhang sei bemerkt, daß das Wort, genauer gesagt das Wort mit Nennfunktion, im Gegensatz zum Morphem auf der paradigmatischen Ebene immer mit einem Begriff verbunden ist, wodurch ihm die Möglichkeit erhalten bleibt, den Begriff auch auf der syntagmatischen Ebene auszudrücken. 10 Als Gegenstand der Sprachwissenschaft werden hauptsächlich Sprachen erforscht, die als Mittel und Werkzeug der Verwirklichung des Denkens fungieren und Allgemeingut jedes Sprechenden in seinem Kollektiv sind, also die natürlichen Sprachen. Beim inneren Sprechen, d. h. im Falle der expressiven Funktion, werden — wie das auch durch spezielle experimentelle Untersuchungen gezeigt werden konnte 11 — außer der Sprache als Besitz des gesamten Kollektivs, das sie verwendet, auch noch Zeichen oder Zeichensysteme benutzt, die nicht dem ganzen Kollektiv zu eigen sind oder rein individuellen Charakter tragen können. Aus der Auffassung von der gesellschaftlichen Natur der Sprache und des Denkens folgt, daß solche Zeichen und Zeichensysteme in bezug auf die natürliche Sprache sekundär sind, weil sie nur auf der Basis einer natürlichen Sprache entstehen können. Genetisch betrachtet handelt es sich bei der Verselbständigung des inneren Sprechens gegenüber dem äußeren Sprechen (den Kommunikationsakten) sogar um eine spätere Erscheinung. Dabei muß man im Auge behalten, daß Zeichen und Zeichensysteme, die nicht Besitz der ganzen Sprachgemeinschaft sind, durchaus als Faktor der Entwicklung natürlicher Sprachen auftreten können, also die Quelle mancherlei Neuerung in einer Sprache sein können. Obwohl die natürlichen Sprachen nach wie vor das Hauptanliegen der sprachwissenschaftlichen Forschung sind, erscheint es doch notwendig, den Forschungsgegenstand in diesem oder jenem Ausmaß auch auf individuelle Zeichensysteme auszudehnen, um das Problem der Wechselbeziehung von Sprache und Denken in seinem ganzen Umfang zu lösen und um die Quellen und Faktoren der Entwicklung natürlicher Sprachen klären zu können. Insbesondere erweist es sich als zweckmäßig, folgende Aspekte des Problems der Wechselbeziehung von Sprache und Denken herauszuarbeiten: a) die natürliche Sprache und das Denken im Kommunikationsprozeß; b) die natürliche Sprache, individuelle Zeichensysteme und das Denken im Prozeß des inneren Sprechens. 18
Wir wollen hier jedoch bemerken, daß weder die Sprachwissenschaft noch die verschiedenen Wissenschaften, die sich mit dem Denken beschäftigen, irgendwie über die Ausgangsbasis für Forschungen des letztgenannten Aspekts der Wechselbeziehung von Sprache und Denken verfügen, so daß sich die Forscher dieses Fragengebietes bisher auf den erstgenannten Aspekt beschränken mußten. Die inhaltliche Seite des Denkens ist identisch mit der inhaltlichen Seite des Sprechens, sie kann aber nicht auf die Summe der Bedeutungen der sprachlichen Einheit reduziert werden, die im Prozeß des Sprechens verwendet werden. Einer der Aspekte des Problems der Wechselbeziehung von Sprache und Denken, das eine spezielle Untersuchung erfordert, wendet sich der Frage zu, wie mit Hilfe eines endlichen Vorrats an sprachlichen Mitteln ein in seinem Umfang prinzipiell unbegrenzter gedanklicher Inhalt ausgedrückt werden kann. Die inhaltliche Seite des Denkens (des Sprechens) ist durch eine bestimmte Struktur charakterisiert. Sie besteht a) aus den Formen des Denkens, die als Typ von Denkeinheiten bestimmt werden können; b) aus der entsprechenden Beziehung der zusammengesetzten Elemente der Denkform; c) aus den inhaltlichen Verbindungen der konkreten Denkeinheiten. Es entsteht die Frage, ob sich die Struktur der inhaltlichen Seite des Denkens innerhalb des Kommunikationsprozesses in gewissem Sinne von der Struktur der inhaltlichen Seite des Denkens im Prozeß des inneren Sprechens unterscheidet. Diese Frage kann jedoch mangels gegebener Fakten über den Charakter der Struktur der inhaltlichen Seite des Denkens beim inneren Sprechen erst durch weitere Forschungen beantwortet werden. Eines der wesentlichen Probleme, das von einer Theorie gelöst werden muß, die die Abhängigkeit der Sprache vom Denken und insbesondere von seiner logischen Struktur anerkennt, besteht darin, daß das Denken, das in jedem Falle allgemein menschlichen Charakter trägt, soweit es um seine logische Struktur und die grundlegenden psychischen Gesetzmäßigkeiten geht, sich durch Sprachen ganz unterschiedlichen Typs verwirklicht. Die Sprachen unterscheiden sich ja nicht nur in ihrem phonetischen Bestand, sondern in ihrer grammatischen Struktur, in der Art der sprachlichen Einheiten selbst und auch durch das System der lexischen Bedeutungen. Man kann das Problem auch anders formulieren: Wie läßt sich mit der These von der Einheit von Sprache und Denken jener Umstand vereinbaren, daß das Denken der Menschen allgemein menschlichen Charakter trägt, während die Sprachen die jeweiligen nationalen Unterschiede auf2*
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weisen? Bekanntlich behaupten die Gegner der Theorie der Abhängigkeit der Sprache vom Denken und insbesondere von seiner logischen Struktur, daß im Falle einer solchen Abhängigkeit und der Allgemeinheit logischer Denkstrukturen moderner Völker auch ihre Sprachen gleiche grammatische Strukturen haben müßten und keinerlei Unterschiede der Wortbedeutungen existieren dürften usw. Dieses Problem, das nicht nur für die allgemeine Sprachwissenschaft, sondern für die Erkenntnistheorie kardinale Bedeutung besitzt, kann nur durch ein differenziertes Herangehen an die verschiedenen sprachlichen Ebenen hinsichtlich ihrer Beziehung zum Denken gelöst werden. Es ist klar, daß die These der Abhängigkeit der Sprache vom Denken nicht eine geradlinige und eindeutige Abhängigkeit der sprachlichen Erscheinungen aller Ebenen vom Denken impliziert. Das erfährt seine Richtigkeit vor allem dann, wenn es zu zeigen gelingt, daß die Struktur unseres Gedankens die Struktur sprachlicher Erscheinungen derjenigen Ebene bedingt, die unmittelbar an der Ausübung der kommunikativen und expressiven Funktion der Sprache beteiligt ist. Bei einem streng differenzierten Herangehen an die verschiedenen sprachlichen Ebenen muß man auch das ganze Problem der Beziehung der extralinguistischen und linguistischen Faktoren bei der Bildung, beim Gebrauch und bei der Entwicklung der Sprache und insbesondere daneben auch die Frage nach der Beziehung von Sprache und Denken, die Frage nach dem gesellschaftlichen Wesen der Sprache als Kommunikationsmittel lösen. Dies ist eines der zentralen Probleme der modernen Sprachwissenschaft. J e nach der einen oder anderen Lösung ergibt sich die Abgrenzung einer Reihe linguistischer Hauptrichtungen. So muß man bei der strukturalistischen Richtung das Hauptcharakteristiktfm vor allem darin sehen, daß in den Augen ihrer Vertreter der Gegenstand der Sprachwissenschaft nur diejenigen Seiten der Sprache sind, die durch rein linguistische Faktoren (intrasystematische sprachliche Verbindungen, Oppositionen u. ä.) bedingt sind und daß die Sprache insgesamt nur auf diese Seiten zurückzuführen sei (d. h. die Auffassung der Sprache als ein immanentes Wesen). Wenn man diesen Standpunkt folgerichtig weiterführt, so erweist sich ganz offensichtlich sogar die Aufstellung des Problems der Einwirkung des Denkens und der Gesellschaft auf die Sprache als nicht berechtigt, da es sich um extralinguistische Faktoren handle. Nicht zufällig ist es deshalb, daß von einigen Vertreter des Strukturalismus als grundlegendes methodologisches Prinzip das sog. Homogenitätsprinzip gefordert wird. So behauptete z. B. S. K. Saumjan, daß dieses Prinzip das Prinzip des Aufbaus „jeder wissenschaftlichen 20
Theorie" sei und definierte das folgendermaßen: „Jede Theorie, die einen Fakt durch andere erklärt, darf nur mit solchen Fakten operieren, die vom Standpunkt des Gegenstandes aus homogenen Charakter tragen; innerhalb einer solchen Theorie darf eine wissenschaftliche Erklärung nicht auf Fakten aufbauen, die außerhalb ihres Gegenstandes liegen."12 Saumjan ist deshalb der Meinung, daß für die Analyse und Erklärung der Sprache als Gegenstand der Sprachwissenschaft nur innersprachliche Faktoren herangezogen werden dürfen. Saumjan betonte: „Man dürfe von der immanenten Erklärung nicht erwarten, daß sie die U r s a c h e n der sprachlichen V e r ä n d e r u n g e n a u f z e i g e n k ö n n e . Es ist zwar Tatsache, daß die Struktur der Sprache der Einwirkung äußerer, psychophysischer und sozialer Faktoren unterworfen ist, deren Einschätzung aufgrund der Zufälligkeit ihrer Beziehung zur Struktur der Sprache unmöglich ist."13 Mehr noch, nach Meinung Saumjans ist „die Frage nach den Ursachen der sprachlichen Veränderungen nicht wesentlich für die Wissenschaft von der Sprache."14 Man muß jedoch bemerken, daß Saumjan sich später offensichtlich von demHomogenitätsprinzip bei der Erforschung der Sprache distanziert hat, was man an dem folgenden Zitat erkennen kann: „Die strukturelle Linguistik liefert das formale Gerüst der Sprache für die weitere Auswertung durch Fakten der Geschichte, Archäologie und Anthropologie und garantiert so eine tiefe Kenntnis aller Seiten der Sprache."15 Noch bestimmter kehrt sich 1.1. Revzin, ein anderer Vertreter des Strukturalismus, von der Betrachtung der Sprache als einer gewissen immanenten Erscheinung ab.16 Als Quelle der oben gezeigten methodologischen Ansichten auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft dienten die folgenden Zitate Ferdinand de Saussures: 1. Nicht das Objekt bestimmt den Standpunkt des Forschers, sondern umgekehrt bildet der Standpunkt des Forschers das Objekt einer Wissenschaft."; 2. Das Objekt der Wissenschaft muß seinem Charakter nach homogen sein, eine Forderung, die die Sprechtätigkeit (langage)* im ganzen betrachtet, nicht erfüllt, so daß sie nicht Objekt der Sprachwissen* Bemerkung des Übers.: Wir geben hier PanfilovsTerminus „Sprechtätigkeit" (reöevaja dejatel'nost') für den Saussure'schen Terminus „langage" in dieser Weise wieder, da er an anderer Stelle den Terminus „Sprechtätigkeit" in ähnlichem Sinne gebraucht, obwohl dem Saussure'schen Terminus „langage" im Deutschen eher „Sprachfähigkeit" entspräche, wohingegen die Sprechtätigkeit dem Saussure'schen Terminus „parole" grob entspräche.
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sehaft"sein kann 18 ; 3. Ihrem Charakter nach ist die Sprache (langue) homogen, wenn man sie als ein Objekt betrachtet, in dem es „nichts als Unterschiede" gibt, wobei es sich um Unterschiede ohne positive Momente handelt, zwischen denen diese Unterschiede aufgestellt werden könnten; so ist der Gegenstand der Sprachwissenschaft nicht die Substanz, sondern die Form 19 ; 4. „Die Sprache ist im Unterschied zur Bede ein Gegenstand, den man nicht isoliert untersuchen kann . . . Die Sprachwissenschaft kann nicht nur ohne die anderen Elemente der Sprachfähigkeit auskommen, sondern sie ist gar nicht denkbar, wenn diese anderen Elemente nicht mit einbezogen werden."20 So sieht man, daß den subjektiv-idealistischen und antisubstanziellen relativistischen Ansichten die oben gezeigten methodologischen Prinzipien zugrunde liegen. Die relative Selbständigkeit der Sprache und besonders die Rolle des Faktors der Systemhaftigkeit erweisen sich hier als eine Verabsolutierung; die gesetzmäßige Forderung nach strenger Abgrenzung der extralinguistischen von den eigentlichen linguistischen Faktoren kehrt sich sogar in ihr Gegenteil, indem sie in die prinzipielle Verneinung jeglicher Rolle und jeglichen Einflusses extralinguistischer Faktoren (wie Denken und Gesellschaft) auf die Struktur der Sprache und ihre Entwicklung einmündet. Die Entwicklung der Sprachwissenschaft und damit ihrer strukturellen Richtung zeigte im Verlauf der letzten Jahrzehnte, daß ein solches Herangehen an die Erforschung der Sprache überaus begrenzte Erkenntnisse liefert. Außerdem gewährleistet es nicht eine genügend tiefe Erfassung des Wesens nicht nur derjenigen Seiten der Sprache, die am unmittelbarsten durch ihre funktionale Bestimmung bedingt sind (nämlich Mittel der Verwirklichung des abstrakten, verallgemeinernden Denkens zu sein), sondern auch derjenigen Seiten, die in stärkstem Maße die Wirkung der eigentlich linguistischen Faktoren erfahren. Die Geschichte der Wissenschaft bezeugt, daß Nahtprobleme die Haupttriebkräfte ihrer Entwicklung sind. Das Problem der Wechselbeziehung zwischen Sprache und Denken, die Frage nach der Rolle natürlicher Sprachen und anderer Zeichensysteme im Prozeß des Denkens und der menschlichen Erkenntnis, die Fragen nach der Widerspiegelungsfunktion der Sprache u. a. gehören zu denen, die — da sie Verbindungen zwischen einer Reihe von Wissenschaften (Philosophie, Psychologie, Physiologie, Sprachwissenschaft, Semiotik) sind — eine immer wesentlichere Bedeutung für all diese Wissenschaften bekommen. Die Wichtigkeit und Unumgänglichkeit der Erforschung dieser Fragen wird auch bereits von den Vertretern der ehemaligen „immanten" Sprachwissenschaft erkannt. 21 22
Kapitel I Sprache als Mittel der Verwirklichung und der Existenz des abstrakten, verallgemeinernden Denkens1
Die Frage nach dem Charakter der Wechselbeziehung zwischen Sprache und Denken hat nicht nur für die Sprachwissenschaft wesentliche, prinzipielle Bedeutung, sondern auch für die marxistisch-leninistische Erkenntnistheorie. Allgemein bekannt ist der Hinweis Lenins darauf, daß die Geschichte der Sprache eine der wichtigsten Quellen für die Geschichte der menschlichen Erkenntnis ist, einer der wichtigsten Bereiche des Wissens, aus denen sich die marxistische Erkenntnistheorie (und die Dialektik) bilden muß. Diese Frage ist einer der Aspekte der philosophischen Grundfrage, der Grundfrage der Gnoseologie nach dem Primat der Materie oder des Geistes. In Abhängigkeit vom Charakter der Lösung dieser Frage wird die Philosophie in zwei Grundrichtungen eingeteilt — die materialistische und die idealistische. Dementsprechend gilt als materiell nur solch eine Lösung dieser Frage, wenn durch sie anerkannt wird, daß das Primat der Materie über den Geist (Erkenntnis) sich nicht nur darin manifestiert, daß die gesamten vielgestaltigen Erscheinungen der Welt, zu denen auch der denkende Mensch gehört, die verschiedenen Formen der sich bewegenden Materie darstellen oder das Ergebnis ihrer Entwicklung sind und daß das Denken des Menschen das Produkt (die Funktion) einer der Formen der Materie, nämlich des Gehirns, ist und inhaltlich betrachtet das Ergebnis der Widerspiegelung der außerhalb und unabhängig von uns existierenden objektiven Realität ist, sondern sich auch darin manifestiert, daß das Ideelle keine selbständige Existenz außer in der materiellen Form besitzt. Der Gedanke, das Bewußtsein und das Denken existieren ebenso real wie auch die verschiedenen Formen der sich bewegenden Materie. Indessen existiert der Gedanke, da er in seiner Existenz an die Tätigkeit einer der Formen der Materie, des Gehirns als des höchsten Produkts der Materie, gebunden ist. „Der 'Geist' hat von vornherein den Fluch an sich, mit der Materie 'behaftet' zu sein, die hier in der Form von bewegten Luftschichten,
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Tönen, kurz der Sprache auftritt. Die Sprache ist so alt wie das Bewußtsein — die Sprache ist das praktische, auch f ü r andre Menschen existierende, also auch f ü r mich selbst erst existierende wirkliche Bewußtsein, und die Sprache entsteht, wie das Bewußstsein, erst aus dem Bedürfnis, der Notdurft des Verkehrs mit andern Menschen" schreibt Karl Marx 2 . Mit anderen Worten zeigt sich das Primat der Materie vor dem Bewußtsein bzw. dem Geist auch darin, daß das Denken, das in untrennbarer Verbindung, ja auf der Basis materieller psysiologischer Prozesse im Gehirn verläuft, demnach nur mittels einer natürlichen Sprache oder anderer Zeichensysteme existiert. Die Sprache ist das Mittel der Verwirklichung des menschlichen Denkens, letzteres kann sich nicht außerhalb bzw. neben der natürlichen Sprache oder anderer Zeichensysteme vollziehen, Sprache und Denken sind also seit ihrem Bestehen untrennbar miteinander verbunden. Das sind die grundlegenden prinzipiellen Momente, die als Ausgangsbasis f ü r die Klärung des Charakters der Wechselbeziehung zwischen Sprache und Denken oder einzelner ihrer Teilaspekte von der Position des dialektischen Materialismus aus dient. Von der Position des philosophischen Idealismus, der leugnet, daß das Denken durch bestimmte materielle Prozesse, die im Gehirn entstehen, bedingt ist und der auch die sekundäre Rolle des Inhalts unseres Bewußtseins gegenüber der objektiven Realität verneint, wird die Verbindung des Bewußtseins, des Denkens mit der Sprache keineswegs als notwendig betrachtet. Obwohl die Vertreter des Idealismus auch anerkennen, daß die Sprache im Denkprozeß benutzt wird, so ist doch die Verbindung zwischen Sprache und Denken ihrer Meinung nach nicht organisch 3 und das Denken verläuft gewissermaßen in einer reinen Form ohne Unterstützung durch die Sprache. Einige Anhänger dieser Richtung gehen sogar so weit, zu behaupten, daß die Sprache den Gedanken belaste und entstelle, der im Prozeß des reinen Denkens entsteht und ohne Benutzung der Sprache verläuft. 4 Sogar ein Vertreter des logischen Positivismus und der philosophischen Analyse der Sprache wie B. Russell erkennt an, daß „die Sprache nicht nur dem Ausdruck der Gedanken dient, sondern auch die Gedanken möglich macht, die ohne sie nicht existieren könnten" und postuliert damit die prinzipielle Möglichkeit der Existenz der Gedanken außerhalb der sprachlichen Form. E r schreibt: „Manchmal denkt man, daß die Gedanken nicht ohne Sprache existieren könnten, aber ich kann dem nicht zustimmen: ich bin der Ansicht, daß der Gedanke und sogar der wahre und der falsche Glaube auch ohne Sprache existieren kann. Aber trotz dieser Möglichkeit 26
kann man nicht bestreiten, daß alle gut durchdachten Gedanken Wörter erfordern."5 Wenn auch für jeden materialistischen Linguisten und materialistischen Philosophen die These der untrennbaren Verbindung von Sprache und Denken im allgemeinen gesehen unbestreitbar ist, so harrt eine ganze Reihe konkreter Fragen dieses Problembereiches noch bis zur Gegenwart ihrer Lösung bzw. befindet sich noch in der Diskussion. In dieser Hinsicht muß vor allem folgende Frage betrachtet werden. Der Begriff des Denkens beinhaltet zwei prinzipiell unterschiedliche Aspekte: Wenn man über das Denken spricht, so hat man im allgemeinen nicht nur den abstrakten Inhalt im Auge, also nicht nur die abstrakten Prozesse wie Begriffe, Urteile usw. sondern auch ihren sinnlich-bildlichen Inhalt in der Gestalt von Wahrnehmung und Vorstellung. Damit entsteht die Frage, ob der Charakter der Beziehungen dieser beiden prinzipiell unterschiedlichen Seiten des Denkens zur Sprache gleicher Art ist, d. h. mit anderen Worten, ob eine direkte und unmittelbare Verbindung zur Sprache nicht nur für den abstrakten Inhalt des Denkens, sondern auch für dessen sinnlich-bildlichen Inhalt besteht und ob die Sprache das notwendige Mittel zur Verwirklichung sowohl des einen als auch des anderen ist. In dieser Frage existieren zwei grundlegende Standpunkte: Der eine dieser beiden Standpunkte, der besonders in den 30er und 40er Jahren verbreitet war und von einigen Autoren bis in die jüngste Zeit beibehalten wurde6, besagte, daß sich die Sprache in der gleichen direkten und unmittelbaren Verbindung mit den Abbildern der Wahrnehmung und Vorstellung befinde wie mit den Begriffen und daß das Wort nicht nur den Begriff ausdrückt, sondern auch die Vorstellung. Somit existierte eine Etappe in der Entwicklung von Sprache und Denken, in der das Denken nur auf die Abbildung von Wahrnehmung und Vorstellung beschränkt war und die Sprache dementsprechend auch nur diese ausgedrückt hatte. Eine solche Auffassung vom Charakter der Wechselbeziehung von Sprache und abstraktem verallgemeinernden Denken einerseits und dem sinnlichbildlichen Denken andererseits bildete damals die Grundlage für die Lösung der Fragen nach der historischen Entwicklung von Sprache und Denken und zugleich auch einer Reihe anderer Probleme, z. B. die Frage nach der Natur der sprachlichen Bedeutung in ihrer Beziehung zur inhaltlichen Seite des Denkens usw. Der andere oben erwähnte Gesichtspunkt besagte, daß die Sprache ein direktes Mittel zur Verwirklichung des abstrakten begrifflichen Denkens und nicht des sinnlich-bildlichen Denkens sei. 27
Für die Analyse dieses Problems ist es zweckmäßig, folgende Fragen zu beachten: 1. Gab es überhaupt eine derartige Etappe in der Entwicklung des Denkens, in der es sich a u s s c h l i e ß l i c h in den Abbildern der Wahrnehmung und Vorstellung vollzog und nicht zur Begriffsbildung geeignet war? Bei Bejahung dieser Frage muß sich unweigerlich der Schluß ergeben, daß die Sprache in den ersten Anfängen als Mittel des Ausdrucks von Wahrnehmungen und Vorstellungen entstanden war und in einer unbestimmten Periode ihrer Existenz dies auch tatsächlich nur ausdrückte. 2. Ist die Sprache notwendiges Mittel der Existenz und Werkzeug der Verwirklichung nicht nur des abstrakten Inhalts des Denkens, sondern auch seines sinnlich-bildlichen Inhalts oder nicht? Diese Frage kann auch anders formuliert werden: Befindet sich der sinnlich-bildliche Inhalt des Denkens in derselben direkten und unmittelbaren Verbindung mit der Sprache (als seiner materiellen Hülle) wie auch sein abstrakter Inhalt? Die These über ein besonderes sinnlich-anschauliches Stadium in der Entwicklung des Denkens erhielt besonders breite Anwendung seit Veröffentlichung der Arbeiten Levy-Bruhls über die Ethnographie sog. Primitivvölker. In diesen Arbeiten wird der Standpunkt vertreten, daß im Denken der heutigen „primitiven" Völker das Sinnlich-Anschauliche vorherrsche, womit unmittelbar auch die Besonderheit der Sprachen dieser „primitiven" Völker postuliert wird, die sie von den Sprachen der zivilisierten Völker unterscheidet. „Die Sprachen der niederen Gesellschaften" schreibt Levy-Bruhl, „drücken immer die Vorstellung von den Gegenständen und Handlungen in genau der Art aus, in der sich die Gegenstände und Handlungen den Augen und den Ohren gegenüber darstellen." Und weiter: „Die allgemeine Tendenz dieser Sprachen besteht darin, daß nicht der Eindruck des wahrnehmenden Subjekts beschrieben wird, den es erhält, sondern die Form, der Umriß, die Lage, Bewegung und Art der Handlung der Objekte im Raum, mit einem Wort das, was wahrgenommen und gezeichnet werden kann." 7 N. J . Marr übertrug die von Levy-Bruhl gegebene Charakteristik des Denkens der heutigen Primitivvölker auf das Denken des vorhistorischen Menschen und kennzeichnete ein besonderes prälogisches Stadium in der Entwicklung des Denkens. „Die Menschheit", behauptete Marr, „besaß damals ein vorlogisches Denken ohne abstrakte Begriffe, mit Bildvorstellungen, die uns fremd sind." 8 Diesem Stadium in der Entwicklung des Denkens entsprach nach Meinung Marrs ein besonderes Stadium in der Entwicklung der Sprache - die sog. enumerative Redeweise.9 Marr stellte seine Hypothese eines besonderen primitiven Polysemantismus („Bündel", 28
„Nester" der Bedeutung usw.) in den Zusammenhang damit, daß sich das Denken des prähistorischen Menschen auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung völlig in den Abbildern der Vorstellung vollzieht. Ein anderer bedeutender Sprachwissenschaftler, D. V. Bubrich, ein Vertreter einer von Marr abweichenden Richtung in der sowjetischen Sprachwissenschaft dieser Periode, sah in der Geschichte des Denkens zwei Etappen, in deren Verlauf das Denken völlig in Form sinnlich-anschaulicher Bilder verlief und der eine entsprechende Etappe der Sprachentwicklung zuzuordnen sei. „Man kann drei aufeinanderfolgende Epochen in ihrer Entwicklung (des Denkens und des Sprechens — V. P.) unterscheiden: 1. Die 'Ära' des anschaulich-wirksamen Denkens und einer Signalsprache; 2. die 'Ära' des anschaulich-bildhaften Denkens und einer bildhaften Sprache und 3. die 'Ära' des eigentlichen Denkens und der eigentlichen Sprache." 10 Bubrich glaubte, daß das Denken in Begriffen erst in der dritten Entwicklungsetappe in der Epoche des oberen Paläolithikums auftaucht. Diesen Standpunkt vom Charakter der allerersten Entwicklungsetappen des Denkens und der Sprache des Menschen und vom Charakter der Sprache und des Denkens der heutigen sog. primitiven Völker vertraten in dieser oder jener Form viele Autoren, sowohl Linguisten als auch Philosophen.11 Der bekannte sowjetische Anthropologe V. V. Bunak vertrat in dieser Frage einen anderen Standpunkt. Er schrieb die Entstehung der Fähigkeit, Begriffe zu bilden, der ersten Entwicklungsetappe des menschlichen Denkens zu. Er verband diese Etappe noch mit der Zeit des Übergangs zur Herstellung der ältesten Steinwerkzeuge, die noch keine deutlich fixierten Formen besitzen. 12 Die Hypothese, daß in den ersten Stufen der Entwicklung des Denkens der Mensch überhaupt keine Fähigkeit besessen habe, auch nur die elementarsten Begriffe zu bilden und daß sein Denken in dieser Periode sich im Ganzen in Form sinnlich-anschaulicher Abbilder der Wahrnehmung und Vorstellung vollzogen habe, würde gewissermaßen bedeuten, daß in dieser Entwicklungsetappe des menschlichen Denkens faktisch keinerlei qualitativer Unterschied zwischen den Arten der Widerspiegelung der Realität beim Urmenschen und denen bei den Tieren bestanden habe. Damit ignoriert man direkt oder indirekt auch den Unterschied, der zwischen dem primitiven Menschen und den Tieren in ihrer Beziehung zur Natur besteht; denn der Charakter dieser Beziehung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Mittel zur Widerspiegelung der Realität. De facto wird damit auch der entscheidende Einfluß negiert, den die 29
gesellschaftlichen Faktoren auf die Entwicklung des Mittels zur Widerspiegelung der Realität beim primitiven Menschen und vor allem seine Arbeitstätigkeit hatten, die in der Evolution der Tiere noch nicht existieren. Stattdessen soll die These von der gesellschaftlichen Natur der Sprache und des Denkens dem Verständnis der Wege und Formen ihrer Entwicklung zugrunde gelegt werden. Obwohl das Denken des Menschen tatsächlich einen individuellen Akt darstellt und nach Karl Marx ein „natürlicher Prozeß" ist, konnte es als Eigenschaft der Vermittlung der Widerspiegelung der objektiven Realität nicht ebenso entstehen wie der Mensch selbst, dessen Entwicklung das Ergebnis einer einfachen biologischen Evolution ist, die durch qualitativ neue Faktoren, die es in der Tierwelt nicht gab, verursacht worden ist. Der Mensch und sein Denken sind das Ergebnis der gesellschaftlichen Verhältnisse, insbesondere derer, die durch den Arbeitsprozeß der Menschen zwischen ihnen und der sie umgebenden Realität entstanden war. Die Widerspiegelung der objektiven Realität gibt es auch in der Tierwelt. Diese Widerspiegelung vollzieht sich in Form von Empfindungen und Wahrnehmungen, die das Ergebnis der Einwirkung einzelner Eigenschaften von Gegenständen oder ganzer Gegenstände auf die Sinnesorgane der Tiere sind. Bei den bedingten Reaktionen der Tiere auf Reize der Umwelt werden auch die Verbindungen und Beziehungen der Gegenstände und Erscheinungen der Umwelt berücksichtigt. Wie durch zahlreiche Versuche auf dem Gebiet der höheren Nerventätigkeit der Tiere gezeigt wurde, werden diese Verbindungen und Beziehungen den Tieren jedoch nicht bewußt. Dies gilt nicht nur für niedere Tiere, sondern auch für Menschenaffen, die dem Menschen durch ihr Entwicklungsniveau näherstehen. Es ist bekannt, daß auch beim Menschen unterbewußte Prozesse einen breiten Raum der psychischen Tätigkeiten einnehmen, was insbesondere in den zahlreichen Experimenten zur Ausarbeitung bedingter Reflexe auf Lautsignale auftritt. Beispielsweise sei auf die Versuche M. A. Alekseevs zur Ausarbeitung von bedingten Bewegungsreflexen auf kurze Lautsignale (Metronomschläge) verwiesen, die anfangs durch Wortbekräftigung „beugen Sie (die Finger)", „drücken Sie" begleitet waren. Bei der Analyse der Daten schreibt der Autor: „Besonders charakteristisch sind jene verbalen Einschätzungen, die die Versuchspersonen ihren Bewegungsreaktionen gaben. Es zeigte sich, daß alle Versuchspersonen ihre Reaktionen ausschließlich mit den sprachlichen Bekräftigungen in Zusammenhang brachten, obwohl sie auch die Schläge des Metronoms 30
deutlich wahrgenommen hatten. Auf die Frage, weshalb sie in diesem Moment eine Bewegung machten, antworteten sie nie, daß sie sie aufgrund der Lautsignale gemacht hätten, sondern immer nur auf den Befehlt „drücken Sie", „beugen Sie (die Finger)". Obwohl sich die zeitweilige Verbindung zwischen Lautsignal und Bewegungsreaktion schon herausgebildet hatte, fand sie unter diesen Bedingungen keine Widerspiegelung im zweiten Signalsystem, sondern spiegelt sich nur in der Verbindung zwischen der Reaktion und dem bedingten Sprechsignal „drücken" wider. Deshalb war in den Versuchen, in denen absichtlich die Wortbekräftigung der Bewegungsreaktion weggelassen wurde und die Reaktion nur auf das Lautsignal hin entstanden war, diese Reaktion für die Versuchsperson immer eine „unerwartete" und löste eine Reaktion aus, die ihrem Charakter nach dem Orientierungsreflex nahekam." 13 So zeigte sich, daß sogar die bedingtreflektorische Tätigkeit des Menschen, die auf diesen oder jenen Beziehungen der Objekte der Realität beruht, uneingeschränkt vor sich gehen kann,- ohne daß ihm diese Beziehungen bewußt werden, sich doch im 2. Signalsystem des Menschen widerspiegeln. F . V. Bassin hatte solche Fälle im Auge, wenn er das Wesen ihrer psychologischen Mechanismen in folgender Weise charakterisiert: „Der Mensch nimmt den Lautreiz wahr und handelt im Sinne des Gehörten, ohne sich als Subjekt der Wirkung aus der Umwelt zu fühlen. In jenem Falle wird ihm das Signal nicht bewußt, das Signal wird nicht in das System der bewußten Widerspiegelung der objektiven Realität einbezogen. Eine systematische psychologische Analyse ähnlicher Fakten demonstriert deutlich, daß die Reize auf den Menschen als Signale wirken können, also eine komplizierte Reaktionstätigkeit hervorrufen, ohne daß a) der einwirkende Stimulus, b) das die Reaktion auslösende Motiv und c) die Realisierung der Reaktion selbst klar bewußt werden." 14 Was die Tiere betrifft, so sind in dieser Beziehung auch einige Versuche Pavlovs sehr interessant, die er an Hunden durchführte. In einem der Versuche arbeitete Pavlov bei den Hunden bedingte Reflexe auf einen mechanischen Hautreiz heraus, der auf verschiedene Hautstellen wirkte (z. B. auf ein Vorderbein und ein Hinterbein), indem er ihn mit einem unbedingten Reiz verband — dem Einfließen von Säure in die Schnauze. Nachdem der Reflex auf dieser oder einer anderen Hautstelle herausgearbeitet worden war, bekräftigte Pavlov einige Male den Reiz auf einer der Hautstellen (Vorderfuß) nicht mit dem unbedingten Reiz (Säureeinfluß), was zum Erlöschen des Reflexes führte. Wurde nun 31
sofort nach dem Reiz derjenigen Hautstelle, für die der bedingte Reflex bereits zum Erlöschen gebracht worden war, ein zusätzlicher mechanischer Reiz an einer anderen Stelle ausgeübt, so zeigte es sich, daß der Hund darauf mit beträchtlicher Speichelabsonderung reagierte. 15 Es ist offensichtlich, daß der Hund in diesem Falle nicht mit Speichelabsonderung reagiert hätte, wenn er die Beziehung zwischen mechanischem Reiz und dem Einfließen der Säure begriffen hätte. Interessant ist auch, daß der Hund, nachdem sich bei ihm durch mehrfache Bekräftigung (durch Nahrung) der biologisch bedeutungslosen Reize (Klingel, Licht usw.) ein bedingter Reflex herausgebildet hat, nach einiger Zeit auf diese Reize genau so reagiert wie in den Fällen, in denen sie nicht durch Nahrung bekräftigt werden. Und erst nach mehrfach wiederholter Nichtbekräftigung dieser Reize durch Nahrung hört der Hund auf, auf sie mit Speichelabsonderung zu reagieren. Nicht weniger überzeugende Fakten in bezug auf den wesentlichen Unterschied zwischen dem Denken des Menschen und der „Psyche" des Tieres gibt uns die Analyse des Verhaltens der Affen. So zeigen verschiedene Versuche mit Herbeischaffung von Lockspeisen, daß der Affe z. B. nicht darauf kommt, dafür einen Kasten zu benutzen, mit dem er früher schon etwas zu tun hatte, wenn auf diesem Kasten nun ein anderer Affe liegt oder wenn er in die Ecke des Käfigs geschoben wurde und er manchmal versuchte, die Kiste in die Nähe einer Wand zu rücken. Onhe Schwierigkeiten gelang es ihm, die Lockspeisen, die mit einem Faden oder einer Schnur angebunden war, vom Gitter wegzuholen. Er konnte die Aufgabe aber nicht lösen, wenn der Faden durch den Griff der Tasche ging, in der sich die Lockspeise befand: in diesem Fall zog er immer an einem Ende. Um die Frucht hinter dem Gitter zu erreichen, benutzte der Affe einen Faden, ein schmales Band usw., das er wie einen Stock zu handhaben versuchte. So zeigen alle diese Versuche, daß die Tätigkeit der Affen sich situationsgebunden vollzieht, ohne daß ihnen die Beziehungen der Gegenstände der objektiven Realität klar werden. Wenn der Affe nämlich beispielsweise erkennen würde, daß der Kasten zum Erreichen der Frucht benutzt werden kann, so käme er auch darauf, ihn in den Fällen zu benutzen, in denen auf ihm ein anderer Affe liegt oder er bis in die Ecke des Käfigs geschoben wurde. Auf die situationsbedingte Tätigkeit der Affen verweist Pavlov bei der Analyse des Prozesses zur Lösung einer Aufgabe, in der der Affe Raphael Feuer mit Wasser löschen soll: „Bei den Affen ist es offenbar so, daß sie beide Reize benötigen, um irgendetwas tun zu können, was von einem zum anderen geht. Wenn der Affe keinen zweiten Reiz 32
erhält, der mit dem ersten kombiniert ist, dann stellt er die Spur zwischen ihnen nicht her. Nehmen wir an, er soll Feuer mit Wasser übergießen. Wenn er das Feuer sieht und nicht gleichzeitig auch das Wasser in seinen Blickwinkel gerät, das an der Seite steht, dann holt er das Wasser nicht, sondern tut dies erst dann, wenn er bei einer Bewegung das Wasser erblickt. Es ist klar, daß beim Affen die Spuren sehr schwach sind.1'16 Experimentatoren, die mit Menschenaffen gearbeitet hatten, vermerkten nur einzelne Fälle, in denen sich der Affe so benahm, als ob er die Beziehungen und Verbindungen einiger Gegenstände erfaßt hätte. So gab G. Z. Roginskij folgende Beschreibung des Verhaltens eines der Affen während eines Versuchs: „Nach den Lösungen der ersten Aufgaben in Versuchen mit Stöcken zerbrach er (der Affe Paris — V. P.) alle Holzteile im Käfig. Er zerstörte die Tür zum Nachbarkäfig, zerbrach Balken, Trapeze, Stangen und machte aus all diesen Gegenständen einen Holzhaufen. Interessant ist, daß Paris bis zu unseren Versuchen bereits einige Jahre in diesem Käfig gelebt hatte und sich niemals mit „Holzmachen" beschäftigt hatte. Als Paris mich am zweiten Tag von weitem sah, begann er schnell, mit Stöcken auf dem Tisch zu rühren, noch bevor das Versuchsfutter auf den Tisch gelegt worden war." 17 Diese und einige ähnliche Fälle sind jedoch Ausnahmen und können nicht als typische Verhaltensweisen des Affen bezeichnet werden. Der Unterschied zwischen dem menschlichen Denken und dem „Denken" der Tiere besteht vor allem darin, daß nur der Mensch die objektiven Verbindungen und Beziehungen der Objekte der Realität erkennt und widerspiegelt und dadurch ihre Eigenschaften feststellt. Erst damit erhält der Mensch die Möglichkeit, einen gedanklichen Plan für seine Tätigkeit aufzustellen und deren Ergebnisse vorherzusehen. Allerdings entstand die Fähigkeit der Widerspiegelung von Verbindungen und Beziehungen der Gegenstände und Erscheinungen der objektiven Realität und dadurch auch ihrer Eigenschaften damit, daß die primitiven Vorfahren des Menschen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu arbeiten, d. h. die einen Gegenstände für die Wirkung auf andere Gegenstände der sie umgebenden Umwelt zu benutzen, begannen. Der Prozeß der Arbeit, der die Wirkung eines Gegenstandes auf einen anderen voraussetzt, ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß die Gegenstände in bestimmter Beziehung zu einander gebracht werden. Die Feststellung und Bewußtwerdung bestimmter Beziehungen der Arbeitsgegenstände zueinander ist aber eine unerläßliche Bedingung für die Erkenntnis der Eigenschaften dieser Gegenstände, weil alle diese Eigen3
Panfilov, Sprache und Denken
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Schäften nur in den Beziehungen auftreten, die zwischen ihnen hergestellt werden, obwohl die betreffenden Gegenstände auch die einen oder die anderen Eigenschaften an sich, d. h. unabhängig von diesen Beziehungen besitzen. Da der Prozeß der Arbeit auf die Erreichung bestimmter Ergebnisse hinzielt, die aber nur möglich ist, wenn die Beziehungen der Arbeitsgegenstände untereinander erkannt werden und ihre Eigenschaften mehr oder weniger richtig widergespiegelt werden, ist die Arbeit der entscheidende Faktor für die Entstehung des spezifisch menschlichen Denkens. „Aber die Menschen", schreibt Karl Marz, „beginnen keineswegs damit, in diesem theoretischen Verhältnis zu Dingen der Außenwelt zu stehen. „Sie fangen, wie jedes Tier, damit an, zu essen, zu trinken etc., also nicht in einem Verhältnis zu „stehen", sondern sich aktiv zu verhalten, sich gewisser Dinge der Außenwelt zu bemächtigen durch die Tat, und so ihr Bedürfnis zu befriedigen. (Sie beginnen also mit der Produktion.) Durch die Wiederholung dieses Prozesses prägt sich die Eigenschaft dieser Dinge, ihre „Bedürfnisse zu befriedigen", ihrem Hirn ein, die Menschen wie Tiere lernen auch „theoretisch" die äußern Dinge, die zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse dienen, vor allen andern unterscheiden."18 Aber sowohl die Arbeit als auch die Erkenntnis der Eigenschaften jener Gegenstände und Erscheinungen, mit denen die Urahnen des Menschen im Prozeß der Arbeit in Berührung kamen, trug von Anfang an gesellschaftlichen Charakter. Die Vorfahren des Menschen waren stärker an das Herdenleben gewöhnt als es die heute lebenden Menschenaffen sind. Gerade die Beobachtung der letzteren zeigt, daß das Herdenlebem bei ihren Mitgliedern komplizierte Verhaltensformen herausbildet, die gesellschaftlichen Charakter tragen und einen unmittelbaren Einfluß auf die höhere Nerventätigkeit zeigen. Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei die Tatsache der bedeutenden Entwicklung der nachahmenden Tätigkeiten bei den Menschenaffen. So baut sich manchmal schon auf der höchsten Entwicklungsstufe der Tierwelt das Verhalten der einzelnen Individuen auf der Basis der kollektiven Erfahrung auf, der Erfahrung der anderen Individuen. Solche gesellschaftlichen Formen des Verhaltens und solche kollektive Erfahrung nahmen offensichtlich im Herdenleben der tierischen Vorfahren des Menschen breiten Raum ein. Friedrich Engels schreibt in Verbindung damit: „Meiner Meinung nach war die gesellschaftliche Institution einer der wichtigsten Hebel der Entwicklung des Menschen aus dem Affen. Die ersten Menschen lebten wahrscheinlich in Herden und 34
weil unser Blick tief in die jahrhundertealte Vergangenheit eindringen kann, finden wir, daß dies auch so war."19 Wenn wir über den gesellschaftlichen Charakter der Arbeit im primitiven Stadium der menschlichen Ahnen sprechen, so darf man das nicht in dem Sinne verstehen, daß die Arbeitstätigkeit i m m e r von einigen Personen gleichzeitig verrichtet worden sei, wenn auch — wie dies archäologische Fakten bezeugen — solche Arbeitsakte tatächlich von Anfang an eine große Rolle im Leben der primitiven Ahnen des Menschen spielten, wie z. B. die gemeinsame Jagd auf Wild. In diesen letzten Fällen tragen die Arbeitsakte u n m i t t e l b a r kollektiven Charakter. Die These vom gesellschaftlichen Charakter der Arbeit ist in dem Sinne zu verstehen, daß die Arbeitstätigkeit der primitiven Vorfahren des Menschen, die zwar als individuelle, einzelne Akte auftraten oder zumindest so entstanden waren, ihrem Charakter nach dennoch keineswegs weniger gesellschaftlich waren; denn Arbeitsakte konnten nur innerhalb eines Herdenlebens, also eines kollektiven Lebens des Individuums entstehen und ausgeführt werden. Das kollektive Leben hatte nämlich unmittelbaren Einfluß auf die Form seines Verhaltens und sogar auf seine Nerventätigkeit und verlieh damit jeder beliebigen seiner Aktivitäten einen gesellschaftlichen Charakter. In diesem Zusammenhang ist es angebracht, eine Bemerkung von Karl Marx zu zitieren: „Das Individuum ist ein gesellschaftliches Wesen. Deshalb ist jede seiner Lebensäußerungen — auch wenn sie nicht als unmittelbar kollektive, zusammen mit anderen vollbrachte Äußerung auftritt — eine Äußerung und Bestätigung des gesellschaftlichen Lebens."20 Wie schon erwähnt, führte der Übergang der Menschenaffen zur Arbeit im Laufe einer langen historischen Entwicklung zur Entstehung des Menschen und der spezifisch menschlichen Art der Widerspiegelung und Erkenntnis der objektiven Realität. Sogar die höchsten menschenähnlichen Affen spiegeln die objektive Realität nur in Form von Empfindungen, Abbildern der Wahrnehmung und in Vorstellungen wider. Letztere tragen immer konkreten, sinnlich-anschaulichen Charakter und spiegeln nur einzelne, individuelle Gegenstände und deren Eigenschaften wider. Das Tier ist nicht imstande, mit ein und derselben Form der Wahrnehmung oder Vorstellung gleichzeitig mehrere ähnliche Gegenstände oder mit ein und derselben Empfindung relativ gleichartige Eigenschaften widerzuspiegeln. Sogar fast völlig gleiche Gegenstände oder fast völlig übereinstimmende Eigenschaften werden durch die Sinnesorgane des Tieres immer mit der gleichen Menge von Abbildern dieser Gegenstände und Empfindungen widerspiegelt. Es gibt beispielsweise keine Empfindung 3*
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der roten Farbe als solcher oder der sinnlich-anschaulichen Abbildung des Hauses an sich. Demgegenüber trägt die spezifisch menschliche Widerspiegelung der objektiven Realität abstrakten, verallgemeinernden Charakter und entsteht in Form von Begriffen und der auf ihnen aufbauenden Urteile, Schlußfolgerungen usw. Im Unterschied zur sinnlichen Erkenntnis, die in Form von Empfindungen, Abbildern der Wahrnehmung und Vorstellung vonstatten geht, die ihrerseits ein Ergebnis der unmittelbaren Wirkung der Gegenstände, Erscheinungen, Eigenschaften usw. auf die Sinnesorgane sind, trägt die spezifisch menschliche Erkenntnis abstrakten Charakter, weil die im Zuge dieser Erkenntnis gebildeten Begriffe nicht das Ergebnis der unmittelbaren Widerspiegelung der entsprechenden Gegenstände, Erscheinungen, Eigenschaften usw. sind. Sie entstehen dank der Abstraktion dieser oder jener Seiten der Realität im Prozeß der Analyse der Gegenstände und Erscheinungen der Realität der Einteilung in ihre vorhandenen und nicht vorhandenen Eigenschaften und der auf dieser Basis aufbauendenVerallgemeinerungen. „Die Erkenntnis ist die Widerspiegelung der Natur durch den Menschen. Aber das ist keine einfache, keine unmittelbare, keine totale Widerspiegelung, sondern der Prozeß einer Reihe von Abstraktionen, Formulierungen, der Bildung von Begriffen, Gesetzen e t c . . . . " 2 1 Es wurde oben schon gesagt, daß der „Psyche" der Tiere, also auch der der Menschenaffen, die Verbindungen und Beziehungen der Gegenstände der objektiven Realität nicht zugänglich sind, obwohl auch die Tätigkeit der Tiere auf der Basis dieser Beziehungen beruht, da sie ja in der Großhirnrinde bedingt-reflektorische Verbindungen bilden. Zwar treten die Eigenschaften der Gegenstände und Erscheinungen der Realität in den Beziehungen auf, die zwischen ihnen festgestellt werden, aber die Tiere spiegeln nur diejenigen Eigenschaften wider, die unmittelbar durch die Sinnesorgane wahrgenommen werden können, als Empfindungen und Abbilder der Wahrnehmung, wobei letztere aber nicht Fakten ihres Bewußtseins sind. Wenn es nur sinnlich-anschauliche Formen der Widerspiegelung der Realität gibt, dann ist keine bewußte Abstraktion dieser oder jener Seiten der Realität möglich, also auch nicht dieser oder jener Eigenschaften von Gegenständen und Erscheinungen und auch nicht von Verbindungen und Beziehungen, die zwischen ihnen bestehen. Dann ist es auch nicht möglich, weder das Allgemeine, das für eine Gruppe von Gegenständen und Erscheinungen gilt, noch die Merkmale, die sie im einzelnen voneinander unterscheiden, festzustellen. Dieser Auffassung scheint zunächst jener Umstand zu widersprechen, daß der Prozeß der Bildung bedingter Reflexe bei den Tieren so vor sich geht, als ob das Tier von einigen 36
Seiten der Realität abgelenkt weiden würde, sodann eine Elementaranalyse und -synthese ausführen und schließlich elementare Verallgemeinerungen treffen würde. Das trifft jedoch nicht zu. Wenn auch durch die Bildung der bedingten Reflexe die Beziehungen der Gegenstände und Erscheinungen der äußeren Realität vom Tier fixiert werden, so tragen diese Prozesse doch unbewußten Charakter, gehören also nicht der subjektiven Welt des Tieres an. Indessen ist die Arbeit als Prozeß der Einwirkung durch einen Gegenstand der Realität auf andere dem Menschen nur unter den folgenden Bedingungen möglich: 1. Jeder beliebige Arbeitsakt beruht einerseits auf den Beziehungen, die der Gegenstand und das Werkzeug der Arbeit miteinander eingehen können und andererseits auf den Beziehungen, in denen sich Gegenstand und Werkzeug der Arbeit vor Beginn des Arbeitaktes den anderen Gegenständen der Realität gegenüber befinden. 2. Die Benutzung irgendeines Werkzeugs bei der zielstrebigen Bearbeitung eines Gegenstandes setzt einerseits die Erkenntnis solcher Eigenschaften der Werkzeuge und Arbeitsgegenstände voraus, die weitgehend nicht mit Hilfe der Sinnesorgane widergespiegelt werden können, und andererseits schon vor Beginn des Arbeitaktes eine gedankliche Vorstellung von dem Gegenstand, so wie er dann letzten Endes geschaffen werden soll. So war beispielsweise schon bei der Herstellung primitiver Steinwerkzeuge des Menschen der Urgemeinschaft die Kenntnis des Härtegrades des Materials, aus dem das Werkzeug gemacht werden soll und die Vorstellung von den anzustrebenden Eigenschaften des Werkzeugs (Schneidefähigkeit usw.) erforderlich. Schon in dieser Etappe der Werkzeugherstellung muß demzufolge die Fähigkeit des primitiven Menschen vorhanden sein, aus der Zahl der möglichen Eigenschaften, die zur Herstellung des erwünschten Werkzeugs untauglichen Eigenschaften zu abstrahieren und das den Werkzeugen eines bestimmten Typs Gemeinsame zu verallgemeinern. 3. Die Herstellung eines beliebigen, selbst des primitivsten Werkzeugs (mit der primitivsten Werkzeugsherstellung muß man den Beginn der Arbeitstätigkeit der primitiven Menschen ansetzen) konnte also nur erfolgen, wenn der primitive Mensch schon imstande war, seine künftigen Arbeitstätigkeiten vorherzusehen. 22 Dazu gehörte auch die Vorstellung von den allgemeinen Zügen der verschiedenen Arbeitsakte, die mit Hilfe dieses Werkzeugs ausgeführt werden könnten. Die Werkzeugherstellung konnte somit nur gelingen, wenn es möglich war, von der unmittelbaren Anschauung der Realität abzukommen. Wenn man die Voraussetzungen der elementarsten Arbeitstätigkeit des Menschen analysiert, so ergibt sich, daß sie nur auf der Basis einer in37
direkten, abstrakten und verallgemeinernden Widerspiegelung der Realität möglich ist. Folglich mußte der Übergang zur Arbeitstätigkeit unvermeidlich zur Entstehung der spezifisch menschlichen Art der Widerspiegelung der Realität führen. 23 Zur Unterstützung ihrer Auffassung vom sinnlich-bildlichen Denken der primitiven Vorfahren des Menschen führen die Vertreter dieser Richtung gewöhnlich die These an, daß die Vorstellung als sinnliches Abbild24 verallgemeinernden Charakter tragen kann. Man bezieht sich indessen in dieser Hinsicht gewöhnlich nur auf die Tatsache, daß im Unterschied zu den Abbildern der Wahrnehmung bei den Abbildern der Vorstellung einige zweitrangige Züge oder Merkmale des Gegenstandes weggelassen werden können. Aber es ist klar, daß damit noch nicht die Verallgemeinerungsfähigkeit des Abbilds der Vorstellung entsteht, weil es, wie auch das Abbild der Wahrnehmung, trotzdem auch weiterhin nur diesen oder jenen einzigen Gegenstand widerspiegelt. Wir können uns in der Tat kein Haus oder einen Hund usw. im allgemeinen vorstellen. Dies ist verständlich, weil wir das nur könnten, wenn es verallgemeinerte Empfindungen als Elemente der Vorstellung gäbe, d. h., wenn man in Form einer Empfindung beispielweise die rote Farbe oder die Kälte als solche widerspiegeln könnte. Außerdem ist hier wesentlich, daß das Weglassen einiger Merkmale der Gegenstände in den Vorstellungen, wie das beim heutigen Menschen üblich ist, das Ergebnis der Wechselwirkung zwischen diesen Vorstellungen und den abstrakten Begriffen ist. Folglich wäre es falsch, diese Besonderheit auf den Vorstellungsprozeß des primitiven Menschen zu übertragen, sofern man sich darin einig ist, daß dessen Denken noch nicht die Fähigkeit zur Begriffsbildung besaß, wie dies die Anhänger jener Auffassung behaupten. Um ihre Auffassung über dieses besondere sinnlich-anschauliche Stadium und über die historische Entwicklung des menschlichen Denkens zu untermauern, ziehen die Vertreter dieses Standpunktes ethnographische Fakten über das Denken der heutigen „primitiven" Völker, ja sogar Materialien aus den Sprachen dieser Völker heran. In diesem Zusammenhang wurde in einer Reihe von Arbeiten das Zählen und sein Ausdruck in den Sprachen dieser Völker in Betracht gezogen. Levy-Bruhl, der in seiner Arbeit dieser Frage ein spezielles Kapitel widmet, präzisiert in folgenderWeise diese Problemstellung: „Die verschiedenen Methoden des Rechnens und des Zählens, der Bildung von Numeralien und deren Anwendung erlauben vielleicht, die Denkmethoden in niedrigsten Gesellschaftsformen zu erfassen, soweit es ihren spezifischen Unterschied vom logischen Denken betrifft." 25 38
Bei der Charakterisierung des Denkens dieser Völker unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Zählens schreibt Levy-Bruhl weiter: „Weil das primitive Denken nicht über synthetische Vorstellungen verfügt, arbeitet es bevorzugt mit Hilfe des Gedächtnisses. Statt der verallgemeinernden Abstraktion die uns die Begriffe, insbesondere die Zahlbegriffe, im eigentlichen Sinn des Wortes geben, macht es von einer Abstraktion Gebrauch, die der Spezifik, also dem bestimmten Charakter der gegebenen Menge entspricht. Kurz, dieses Denken zählt und berechnet auf eine Weise, die im Vergleich zu der unseren vielleicht als konkret bezeichnet werden könnte." 26 Ferner behauptet Levy-Bruhl, daß für die „primitiven" Völker die unmittelbare Wahrnehmung einer Menge dieser oder jener Gegenstände typisch sei, so daß diese Völker seiner Meinung nach keine Zahlwörter bräuchten. Er schreibt: „Schon bei einigen Tieren wurde in sehr einfachen Fällen eine derartige Fähigkeit beobachtet. . . Wenn wir daran denken, daß den Worten vieler Beobachter nach, das Gedächtnis der primitiven Menschen phänomenal ist (Ausspruch von Spencer und Gillon), ja an ein Wunder grenzt (nach Charlevoix), so kann man mit gutem Grund glauben, daß sie leicht ohne Numeralia auskommen können. Dank dieser Merkfähigkeit wird jede Menge von Gegenständen, die sie interessiert, in ihrem Gedächtnis mit einer jeweils so großen Genauigkeit gespeichert, die es ihnen erlaubt, fehlerlos die Spur dieses oder jenen Tieres, dieser oder jener Person zu erkennen. Es braucht in irgendeiner Menge nur etwas zu fehlen, so wird das von ihnen sofort bemerkt. Bei einer solchen äußerst genauen im Gedächtnis bewahrten Vorstellung ist die Zahl der Gegenstände oder Lebewesen noch nicht differenziert:... Es gelingt durch nichts, sie im einzelnen auszudrücken. Nichtsdestoweniger wird sie qualitativ wahrgenommen, oder genauer gesagt, empfunden. Wenn die primitiven Menschen sich auf die Jagd begeben und schon im Sattel sitzen, sehen sie sich um und wenn einer ihrer zahlreichen Hunde, die sie halten, fehlt, so rufen sie ihn sofort. . ." 2 7 Ernst Cassirer, dessen Arbeit einen speziellen Abschnitt enthält, der sich der Geschichte des Zählens widmet, vertritt zu diesem Thema einen analogen Standpunkt: „Hier sind es individuelle Vielheiten, die je an einem besonderen individuellen Merkmal erkannt und unterschieden werden: — die 'Zahl' der Menge tritt, sofern von ihr überhaupt gesprochen werden kann, nicht in der Form der bestimmten und gemessenen Zahlg r o ß e , sondern als eine Art konkreter 'Zahl g e s t a 11', als eine anschauliche Qualität hervor, die an dem zunächst noch völlig ungegliederten Gesamteindruck der Menge haftet." 28 39
Unter Bezugnahme auf diese Besonderheiten des primitiven Denkens behauptet Levy-Bruhl, daß in der Sprache (bei den Numeralia) dieser Völker nur die Wahrnehmungen konkreter Mengen der Gegenstände ausgedrückt werden. „Das, was das primitive Denken in der Sprache ausdrückt, sind nicht Zahlen im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern Mengen-Zahlen, aus denen vorläufig keine besonderen Einheiten hervorgehoben werden . . . Es (das Denken — V. P.) stellt die Menge der Wesen oder der Gegenstände dar, die ihm sowohl der Natur nach als auch der Zahl nach bekannt sind, wobei letzteres als Empfindung oder Wahrnehmung und nicht als abstraktes Denken geschieht."29 (Hervorhebungen von uns — V. P.) Bei dieser Behauptung stützen sich sowohl Levy-Bruhl als auch Cassirer darauf, daß 1. in einer Reihe von Sprachen (der indianischen, polynesischen und melanesischen Völker, die zu den „Primitivvölkern" gezählt werden) mehrere Arten von Zahlenfolgen vorhanden sind, von denen jede nur beim Zählen ganz bestimmter Gegenstände verwendet wird; daß 2. in einer Reihe von Sprachen selbständige Beziehungen für Bezeichnungen für Mengen bestimmter Gegenstände existieren, die nicht Zahlenfolgen bilden (sog. Zahlsubstantive 30 ). Levy-Bruhl und Cassirer bezogen sich dabei beispielsweise auf die in den indianischen Sprachen Nordamerikas (das Tsimshian z. B. hat sieben Zahlenfolgen, die für die Aufzählung von Gegenständen verschiedener Klassen verwendet werden, so z. B. für lange oder runde Gegenstände, für Menschen usw.; das Na-Deneu. a.) und auch auf Sprachen der Eingeborenen derFidji-Inselnund der Solomonen, wo es spezielle Bezeichnungen für 100 Kähne, 100 Kokosnüsse, 1000 Kokosnüsse usw. gibt. 31 Jedoch erweist sich die Theorie von Levy-Bruhl und Cassirer über die unmittelbare Wahrnehmung von Mengen bei den primitiven Völkern, derzufolge die Numeralia der Sprachen dieser Völker sinnliche Abbilder der Wahrnehmung dieser oder jener konkreten Menge von Gegenstände bezeichnen, bei näherer Betrachtung der betreffenden Fakten als unhaltbar. Denn erstens ist nach den Ergebnissen der Zoo-Psychologie (Untersuchungen von Ladygina-Kots, G. Z. Roginskij u. a.) und der Kinderpsychologie 32 die unmittelbare Wahrnehmung konkreter Mengen von Gegenständen — wenn der Unterschied in der Menge der Gegenstände durch die Wahrnehmung selbst und nicht durch irgendeine Abzahlung erfaßt wird — nur in sehr kleinen Grenzen (bis zu fünf) möglich. Zweitens bemerken die sog. Primitivvölker das Fehlen eines Pferdes aus einer großen Herde oder eines Hundes aus einer großen Meute nicht 40
deshalb, weil sie den Mengenunterschied unmittelbar empfänden, sondern weil sie jedes Pferd bzw. jeden Hund gut kennen, was schon F. Boas richtig bemerkte und was auch durch Beobachtungen bei den Völkern des äußersten Nordens der UdSSR bekräftigt wird. 33 Die Herstellung einer Verbindung zu den Numeralia der „primitiven" Völker bei Levy-Bruhl und anderen Vertretern dieser Theorie erweist sich ebenfalls als unhaltbar. Denn erstens wählen Levy-Bruhl u. a. einseitig Fakten aus den Sprachen dieser Völker aus und lassen völlig unerklärt, weshalb in den Sprachen von nicht weniger „primitiven" Völkern die Zählung behebiger Gegenstände mit einem einheitlichen Numeraliensystem ausgeführt wird (wie z. B. in der Sprache der Murray-Inseln, im Guarani, nach Angaben von Levy-Bruhl selbst, oder z. B. in Eskimosprachen, im Cuköischen und in einer ganzen Reihe anderer Sprachen der paläosibirischen Völker). Zweitens kann das konkrete Zählen in einigen dieser Sprachen, in denen beim Zählen verschiedener Gegenstände unterschiedliche Numeralia verwendet werden, keineswegs damit erklärt werden, daß die Numeralia dieser Sprachen Wahrnehmungen entsprechender konkreter Mengen bezeichnen, wie die Analyse dieser Numeralia zeigt. Zur Erhärtung dieser Auffassung beziehen wir uns auf die Ergebnisse der Analyse der Numeralia in der nivchischen (giljakischen) Sprache. Wie auch in den oben erwähnten Sprachen werden in der nivchischen Sprache für die Bezeichnung ein und derselben Menge verschiedener Gegenstände unterschiedliche Numeralia verwendet. Es werden 26 verschiedene Numeralsysteme gebildet, von denen jedes nur für das Zählen von Gegenständen einer bestimmten Art verwendet wird. Die linguistische Analyse 34 der Numeralia der verschiedenen Systeme zeigt allerdings, daß sie in ihrer morphologischen Struktur gemeinsame, die eigentliche Menge bezeichnende Elemente haben und bis auf Ausnahmefälle35 noch unterschiedliche, zusätzliche Morpheme (Kennzeichen der Systeme) besitzen, die der Bezeichnung der Gegenstände des Zählens dienen. Mit anderen Worten: In der Genesis stellten die Numeralia aller Systeme, die mit Hilfe von besonderen, zur Unterscheidung dienenden Morphemen gebildet werden (das sind bei weitem nicht alle), Kombinationen von eigentlichen Mengenbezeichnungen mit Wörtern dar, die die verschiedenen Gegenstände des Zählens bezeichneten (Boote, Schlitten, Bündel Dörrfische, Bündel Hundefutter, Viertelmaßangaben, Sagen, Menschen und Tiere usw.). 41
Deshalb gibt es allen Grund, anzunehmen, daß in der Vergangenheit der nivchischen Sprache das Zählen beliebiger Gegenstände mit einem einheitlichen Zahlsystem erfolgte, das das eigentliche Mittel zur Mengenbezeichnung war. Dagegen entstand das gegenwärtige konkrete Zählen, d. h. also, das Zählen mit Hilfe spezieller Numeralia, die sich je nach dem Charakter der zu zählenden Gegenstände unterscheiden, erst sekundär, d. h. es folgte auf die einheitliche Mengenzählung. Diese Folgerung bedeutet freilich nicht, daß die von uns erwähnten eigentlichen Mengenbezeichnungen, die historisch gesehen als selbständige Numeralia aufgetreten waren, von Anfang an abstrakte Zahlbegriffe 1, 2, 3 usw. wiedergegeben hätten; sie bedeutet demzufolge nicht die Ursprünglichkeit und Apriorität des Begriffes der abstrakten Menge. Die etymologische Untersuchung der erwähnten eigentlichen Mengenbezeichnungen zeigt, daß sie auf Wörter mit einer konkreten gegenständlichen oder anderen Bedeutung zurückgehen.36 Die Ergebnisse der Analyse der nivchischen Numeralia legen somit ein Zeugnis dafür ab, daß das konkrete Zählen in der nivchischen Sprache nicht entstand, weil die entsprechenden Numeralia Abbilder der Wahrnehmung und Vorstellung konkreter Mengen von Gegenständen bezeichneten. Diese Ergebnisse besagen auch, daß es fehlerhaft wäre, aus dem Vorhandensein des konkreten Zählens den Schluß zu ziehen, daß die Träger solcher Sprachen nicht imstande wären, die qualitativen Besonderheiten der zu zählenden Gegenstände zu abstrahieren. Wie schon bemerkt, gibt es für das konkrete Zählen des heutigen Nivchischen zahlreiche Parallelen in anderen Sprachen, z. B . in den indianischen Sprachen Nordamerikas (Tsimshian, Na-Dene u. a.). In letzteren schließen die sich voneinander unterscheidenden Numeralia, die ein und dieselbe Menge bezeichnen, offenbar auch eine allgemeine Mengenbezeichnung in ihr System ein.37 Das besagt, daß das konkrete Zählen in diesen Sprachen ebenso wie im Nivchischen keinen Beweis dafür liefert, daß die Numeralia in diesen Sprachen irgendwie sinnliche Abbilder der Wahrnehmung und Vorstellung konkreter Mengen von Gegenständen ausdrücken.38 Will man über die Ursachen der Entstehung der heutigen konkreten Numeralia im Nivchischen (wie offensichtlich auch in Sprachen mit analogen Sprachsystemen) sprechen, so muß man auf jeden Fall die inneren Entwicklungsgesetzmäßigkeiten der jeweiligen Sprache selbst in Betracht ziehen. Da die eigentlichen quantitativen Bezeichnungen als Determinanten der Mengen auftraten, bildeten sie mit den Benennungen der Gegenstände 42
des Zählens syntaktische Syntagmen aus dem Bestimmenden (Determinans) und dem Bestimmten (Determinatum). Diese Syntagmen entwickelten sich, wie auch die Syntagmen der heutigen, rein quantitativen Numeralia mit Substantiven, auf dem Wege des Zusammenwachsens benachbarter Wörter. Die Wörter, mit denen sich die eigentlichen Mengenbezeichnungen verbunden hatten, bezeichneten — wie dies die Etymologie der systembestimmenden Wörter zeigt — Gegenstände, die in der Regel große wirtschaftliche oder andere Bedeutung im Leben der Nivchen hatten, d. h. also solche, die am häufigsten benötigt wurden. Es ist ganz natürlich, daß diese eigentlichen Mengenbezeichnungen in der Folge mit den Gegenstandswörtern feste Verbindungen eingingen, die sich dann nach und nach lexikalisiert haben. Dieser Prozeß ist bis jetzt noch nicht abgeschlossen. Wenn beispielsweise die ersten fünf Numeralia für die Zählung von Kähnen heute schon selbständige Wörter sind, obwohl sie in ihrer Genesis syntaktische Wortgruppierungen der eigentlichen Mengenbezeichnungen mit dem Wort mu („Kahn") darstellten, so gruppiert sich beim Zählen von 6 bis 10 das Wort mu („Kahn") mit den eigentlichen Mengenbezeichnungen als determinierendes Nomen. Wir haben also: mu riim („ein Kahn"), wörtl.: „Kahn ein Kahn" (mu „Kahn"; öim < * ni „eins" + m < mu „Kahn"), aber nag mu, mu nax „sechs Kähne". Um die Numeralia einiger Systeme entsteht eine Gruppierung von Substantiven in Klassen. Wie die Etymologie der kennzeichnenden Formenelemente dieser Systeme zeigt, gehen diese auf Wörter zurück, die eine überaus allgemeine Bedeutung hatten und von denen infolgedessen eine ganze Reihe von Wörtern mit konkreterer Bedeutung gebildet wurde.39 So gaben die bereits entstandenen Numeralia dieser Systeme neben den Mengenvorstellungen eine hinreichend breite gegenständliche Bedeutung wieder. Diese Numeralia erhielten dadurch die Möglichkeit, syntagmatische Beziehungen mit Wörtern mit einer konkreteren Bedeutung einzugehen, die somit zur Konkretisierung der gegenständlichen Bedeutung beitrugen, die ihrerseits durch den zweiten Bestandteil dieser Numeralia ausgedrückt wurde. So begannen sich also um die Numeralia dieser Systeme Substantive zu gruppieren, die die eben beschriebene Funktion auszuüben imstande waren. Die unterschiedlichen Numeralia der verschiedenen Systeme entstanden nicht, weil in der nivchischen Sprache eine Einteilung in Substantivklassen existierte, sondern war umgekehrt dadurch bedingt, daß sich in der nivchischen Sprache nach den inneren Gesetzen ihrer Entwicklung 43
Numeralia herauszubilden begonnen hatten, die auch eine gegenständliche Bedeutung wiedergaben. Die Quelle des Fehlers, den Levy-Brühl, Cassirer u. a. mit der Erklärung des Vorhandenseins eines konkreten Zählens in einer Reihe von Sprachen sog. Primitivvölker begingen, ist darin zu suchen, daß sie im wesentlichen Sprache und Denken gleichsetzten, die Fakten der Sprache und des Denkens geradlinig miteinander verbanden und die wirkliche Geschichte der Herausbildung konkreter Numeralia in diesen Sprachen ignorierten. Indessen muß man bei der Heranziehung sprachlicher Fakten zur Ermittlung der historischen Entwicklung des Denkens ständig im Auge behalten, daß die Sprache doch eine relativ selbständige Erscheinung darstellt und ihre eigenen inneren Gesätzmäßigkeiten besitzt, die man nicht auf die Entwicklungsgesetze des Denkens zurückführen kann, wenn sie auch als Mittel zur Verwirklichung des Denkens existiert, ja die Basis des Denkens ist, und obwohl sie in Verbindung mit der Entstehung des Denkens selbst entstand. Es wäre demnach unrichtig, eine Erklärung aller sprachlichen Erscheinungen in den Fakten des Denkens suchen zu wollen.40 Auf der Grundlage sprachlicher Fakten und insbesondere der etymologischen Analyse der Numeralia, aber auch unter Heranziehung ethnographischer Ergebnisse und der Untersuchungen, die der Entwicklung des Mengen- und Zahlbegriffes bei Kindern gewidmet sind, kann man zu einigen wesentlichen Gesichtspunkten in der Entwicklung des Mengenund Zahlbegriffes im Verlaufe der Entwicklung des menschlichen Denkens kommen. 41 Die etymologische Analyse der eigentlichen Mengenbezeichnung * mi „zwei" in der nivchischen Sprache, die mit dem Kollektivsuffix -m und dem Wurzelelement des Personalpronomens der 1. Person Dual und Plural 4 2 auf eine gemeinsame Wurzel zurückgeht, läßt den Schluß zu, daß in der ersten Entwicklungsetappe des Zählens nur die Begriffe eins und viel vorhanden waren. Diese Schlußfolgerung wird auch durch Materialien der Kacin-Sprache unterstützt, in der neben dem Numerale?« „zwei" noch ein Mengensuffix ni existiert, und ebenso durch ethno-graphische Fakten über das Zählen bei den Botokuden, die nur das Numerale eins anwendeten und dann weiter von viel sprachen. 43 Wie ethnographische Fakten über das Zählen der „primitiven" Völker bestätigen 44 , ging der Entstehung der Mengenbegriffe, die größer als 1 sind, eine Etappe in der Entwicklung des Zählens voraus, in der nur die Gleichheit oder die Verschiedenheit konkreter Gegenstandsmengen festgestellt wurde, d. h.,daß sie in eine eineindeutige Relation gebracht wurden
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ohne Bestimmung der Menge, der Zahl der Gegenstände, die diese Mengen bilden. Die Aufstellung einer solchen eineindeutigen Relation irgendwelcher Mengen unterschiedlicher Gegenstände setzt bereits eine Abstraktion von den qualitativen Unterschieden dieser Gegenstände und die Erkennung ihrer gemeinsamen Eigenschaft, nämlich ihre zahlenmäßig gleiche Stärke, voraus. Diese Etappe in der Entwicklung des Zählens ist eine historisch und logisch notwendige Voraussetzung für die Bildung der Begriffe für bestimmte Mengen, da „die Zahl als allgemeine Eigenschaft aller gleichmächtigen Mengen bestimmt werden k a n n . " 4 5 Als Äquivalent oder Eichzahl, auf die man sich bei der Feststellung einer gleichen Zahlenstärke irgendeiner konkreten Menge bezog, konnten die verschiedensten Mengen von Gegenständen, wie z. B . die Finger, die Zehen und andere Körperteile, aber auch Steinchen 4 6 , Stöckchen usw. benutzt werden. I n der weiteren Entwicklung eines Begriffes dieser oder jener bestimmten Menge (2, 3, 4 usw.) wurden für deren Bezeichung entweder die Benennungen solcher äquivalenter Mengen 4 7 oder die Benennung eines entsprechenden Elementes solch einer Menge verwendet, wenn diese Menge nicht aus gleichartigen Gegenständen bestand und jeder von ihnen seine selbständige Bezeichnung hatte (z. B . die menschlichen Körperteile usw.) 48 . E s wurde auch ein Wort (oder eine Wortgruppe) verwendet, das auf das Verfahren oder die Bewegung beim Zählen hinwies, die zur Erreichung einer bestimmten Teilmenge benutzt wurde oder auch die Zählung beendete usw. 49 Die in vielen Sprachen 5 0 anzutreffende morphologische Verschiedenheit der Numeralia ist noch eine Folge des Fehlens einer einheitlichen Entstehung der Zahlbenennungen. Diese oder jene bestimmte Menge konnte auch mehr als nur eine Bezeichnung erhalten, da als Mengenäquivalente auch mehr als eine, wenn auch zahlenmäßig gleiche Gegenstandsmenge auftreten konnte. Damit erklärt sich auch die Tatsache, daß der Begriff fünf im Nivchischen mit * xon „viel" und * t'o „Hand", und der Begriff zwei mit * mi (das die eigentliche Bezeichnung der Vielheit ausdrückt) oder auch mit dem Wort tonrt' „Zwillinge" bezeichnet werden kann. Deshalb gibt z. B . das Fehlen eines für alle indoeuropäischen Sprachen einheitlichen Archetyps des Numerale 1 gegenüber dem Vorhandensein solcher Archetypen für 2 bis 10 und sogar für 100 nicht die Berechtigung zu der Annahme, „daß sich das Numerale 1 später als die Numeralia 2 bis 10 oder gar 100 gebildet h ä t t e , . . .daß der Begriff der Zahl 1 und seine Bezeichnung erst in der Periode (oder zumindest am Anfang dieser Periode) des 'Zerfalls' der indoeuropäischen Spracheinheit entstand." 5 1 Vielmehr
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konnte sieh der Begriff eins in der indoeuropäischen Ursprache mit mehreren Benennungen verbinden, die sich dann in der weiteren Entwicklung auf der Basis der verschiedenen Bezeichnungen in den indoeuropäischen Einzelsprachen gefestigt haben. In der öukcischen Sprache (die zur öukco-kamöadalischen Sprachfamilie gehört — d. Übers.) wird beispielsweise der Begriff eins mit dem Numerale dnnän ausgedrückt, er kann aber auch mit der ersten Komponente des Numerale qon- ? acgaankän „neun", wörtl.: „eines daneben (weggenommen)" und dem multiplikativen Numerale qun-äiä „einmal" 52 verbunden werden. Es ist auch ganz klar, daß die Heraussonderung des Einzelnen eine notwendige Bedingung nicht nur für die Bildung der Begriffe größerer Quantitäten, sondern auch die Bedingung für die Bestimmung und den Vergleich eines beliebigen Gegenstandes mit einem anderen in qualitativer Hinsicht ist.53 Man könnte die Hypothese aufstellen, daß bei der Festigung von Ausdrücken für Mengen gleicher Zahlenstärke zunächst mehrere Zahlenfolgen je nach der Eigenschaft der zu zählenden Gegenstände entstanden sein müßten, da als Mengenäquivalente verschiedene Gegenstandsmengen je nach den qualitativen Besonderheiten der zu zählenden Gegenstände benutzt wurden. Eine solche Hypothese kann u. E. jedoch aus folgender Überlegung heraus nicht akzeptiert werden. Die Wahl eines Mengenäquivalents unter Berücksichtigung der Spezifik der Gegenstandsmenge, für die die zahlenmäßige Stärke festzusetzen war, konnte nur dann zum Entstehen von Zahlenfolgebezeichnungen führen, wenn jedes der einzelnen Elemente des Mengenäquivalentes qualitativ und demzufolge auch hinsichtlich seiner Benennung streng individualisiert worden war. Aber erstens konnte dies praktisch nur bei den einzeln vorkommenden Mengenäquivalenten (menschliche Körperteile, aber nicht Steine und Stöckchen usw.) zutreffen. Zweitens würden dadurch die qualitativ identischen Elemente der Menge, für die eine gleiche zahlenmäßige Stärke festgelegt wurde, sich auf qualitativ verschiedene Elemente des Mengenäquivalents beziehen. Dies würde der Idee der Registrierung der qualitativen Spezifik von Elementen gleichmächtiger Mengen selbst widersprechen, da die Feststellung gleicher zahlenmäßiger Stärke nur durch die Abstraktion der qualitativen Besonderheiten der Elemente beider Mengen möglich ist. Nichtsdestoweniger werden hierzu von einer Reihe von Autoren 54 gewisse Tatsachen in Betracht gezogen, die besagen, daß l . i n vielen Sprachen mehrere Zahlsysteme existieren, wobei bestimmte Zahlenreihen nur zum Zählen eines bestimmten Bereiches von Gegenständen (so z. B. 46
im Nivchisehen, in einigen Indianersprachen), daß 2. in vielen Sprachen von Primitivvölkern und auch von höher zivilisierten Völkern, wie z. B. die indoeuropäischen, Wörter existieren, die eine bestimmte abgeschlossene Menge von Gegenständen bezeichnen, aber keine Zahlenfolgen darstellen (vgl. z. B. nivchisch ar „ein Bündel Dorrfische, das gewöhnlich aus 25 Paaren besteht", xuvi „ein Bündel Hundefutter, das gewöhnlich aus 50 Stück Dörrfisch besteht" u. a.; deutsch Mandel [ursprünglich für 15 Garben], Stiege [20 Stück], Wall [80 Stück verkaufte Fische; vom gotischen walus „Stab" für Fische, die auf eine lange dünne Stange aufgesteckt sind] usw.)55 Aber sowohl diese als auch andere sprachliche Tatsachen sind offenbar anderer Herkunft, als dies die Anhänger der genannten Auffassung behaupten. Wir haben oben schon darauf hingewiesen, daß es beispielsweise im Nivchischen entsprechende Numeralia verschiedener Systeme gibt, die jeweils für das Zählen besonderer Gegenstandsklassen verwendet werden und haben gezeigt, daß bei diesen Numeralia neben den eigentlich quantitativen Bestandteilen noch die spezifisch auf die Gegenstandsklassen hinweisenden Komponenten vorhanden sind. Man kann somit folgendes behaupten: Die Unterschiede der entsprechenden Numeralia der verschiedenen Systeme der nivchischen Sprache waren das Ergebnis des Hinüberwachsens syntaktischer Wortgruppierungen, die aus den bereits vorhandenen allgemeinen Zahlbezeichnungen und der Benennung des gezählten Gegenstandes gebildet wurden, in Wortkomposita nach den inneren Gesetzen dieser Sprache. Dabei spielte offensichtlich der Umstand eine erhebliche Rolle, daß die in dieser Zeit bereits herausgebildeten allgemeinen Zahlbezeichnungen noch nicht völlig abstrakt verwendet werden konnten, sondern immer noch von den entsprechenden Gegenstandsbezeichnungen begleitet sein mußten. S. N. Stebnickij bemerkte beispielsweise, daß „der Korjake nicht den Begriff der Drei oder irgendeiner anderen Zahl abstrakt bildet, sondern ihn jeweils auf einen bestimmten Gegenstand beziehen muß." 56 Was das Vorhandensein von individualisierten Benennungen bestimmter Gegenstandsmengen in vielen Sprachen betrifft, so erhalten sie eine voll ausgeprägte Mengenbedeutung nur in denjenigen Sprachen, in denen bereits Numeralia für die Bezeichnung entsprechender Mengen existieren. Es ist offensichtlich, daß eine bestimmte Zahlenbedeutung solcher Bezeichnungen nur auf der Grundlage bereits vorhandener Zahlbezeichnungen entstand, wenn im Handel, im Warenaustausch oder in der Produktion für bestimmte Gegenstände feste Mengengrößen benutzt wurden. Nachdem aus solchen voll ausgeprägten Mengenbedeutungen individualisierte 47
Bezeichnungen für Gegenstandsmengen entstanden waren, konnten sie in der Folge sogar die Grundzahlbezeichnung verdrängen. Auf diese Weise ist z. B das Numerale sorok („40") in der russischen Sprache entstanden.57 In den Sprachen, in denen noch keine entsprechenden Zahlbezeichnungen vorhanden sind, können solche individualisierten Bezeichnungen von Gegenstandsmengen auch keine bestimmte Zahlbedeutung haben. Im Handel, im Warenaustausch usw. bürgerte sich dann offenbar nur eine zahlenmäßige Gleichheit zwischen den bezeichneten Gegenstandsmengen und ihren Mengenäquivalenten ein. So konnte unserer Ansicht nach die Etappe der Fixierung der zahlenmäßigen Gleichheit nur zum Entstehen besonderer paralleler Zahlbezeichnungen auf der Basis der Benennungen für einige gleichmächtige Mengenäquivalente führen, aber nicht zum Entstehen mehrerer Zahlenfolgen. Wie die Etymologie spezieller quantitativer Bezeichnungen in der nivchischen Sprache zeigt, gehen nur die Benennungen einiger Mengenbegriffe auf die Bezeichnung der Hände und ihrer Teile (die Numeralia 5, 9 und evtl. 3) zurück, andere gehen auf Wörter mit der Bedeutung viel zurück (die Numeralia 2, 6, 7, 5, 10 in den Benennungen für je 10 Stück, 100), die früher zweifelsohne Bezeichnungen zu irgendwelchen konkreten Mengenäquivalenten darstellten. Diese etymologische Heterogenität der eigentlichen Mengenbezeichnungen in der nivchischen Sprache (wie auch der Numeralia in anderen Sprachen) und die Unregelmäßigkeit in der semantischen Entwicklung der Zahlbezeichnungen (5 — mit dem Begriff der Hand verbunden, 6 und 7 mit Gegenstandsmengen, 9 wieder mit dem Begriff der Hand verbunden), die die Hypothese über die Verwendung nicht nur der Hand und anderer Körperteile des Menschen als Mengenäquivalent unterbaut, besagt zugleich, daß auch nach der Entstehung dieser oder jener Zahlbegriffe die Hand weiterhin zum Zählen benutzt wurde. Nur deshalb konnten bei der weiteren Bildung von Begriffen für größere Mengen Wörter verwendet werden, die mit der Handzählweise zusammenhingen. Offensichtlich gilt als allgemeine Gesetzmäßigkeit, daß solche Numeralia, die größere Zahlen bezeichnen, gewöhnlich auf Wörter zurückgehen, die Sachen benannten, die ihrerseits in einer größeren Menge angetroffen werden oder die an sich eine sehr große Masse darstellen. So bezeichnet das slavische t'ma 10000; im Sanskrit bezeichnet man mit satudra „Ozean" 10 Millarden, mit salila „Meeresstrom" 100 Milliarden; im Altägyptischen wurde das Numerale 100000 mit einer Hieroglyphe bezeichnet, die Kaul48
quappe bedeutet, das Numerale 1000 mit der Hieroglyphe für Lotosblume 58 ; das nivchische nemqa „1000" hängt offensichtlich mit dem Wort nemX „Stechmücke" zusammen usw.59 Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der Begriff dieser oder jener abstrakten Menge (1, 2, 3, 4, 5 usw.) in der historischen Entwicklung des menschlichen Denkens bedeutend später entstand als beispielsweise die gegenständlichen Begriffe. Wie oben gezeigt wurde, geben die sprachlichen Fakten über das Zählen einzelner Völker keinen Grund zu der Behauptung, daß die Numeralia in diesen Sprachen sinnliche Abbilder der Wahrnehmung und Vorstellung dieser oder jener Mengen konkreter Gegenstände und keine Begriffe bestimmter Mengen (1, 2, 3, 4, 5 usw.) ausdrücken; es ist noch weniger wahrscheinlich, daß die Widerspiegelung eines hypothetischen Stadiums sinnlich-bildlichen Denkens in anderen Erscheinungen dieser „primitiven" Sprachen gefunden werden könnte, also etwa in Wörtern, die Gegenstände oder Erscheinungen der objektiven Realität bezeichnen usw. Die Vertreter der Theorie eines besonderen sinnlich-anschaulichen Stadiums in der historischen Entwicklung des menschlichen Denkens verweisen gewöhnlich auf die außerordentliche Armut an allgemeinen und Gattungsbegriffen und auf die besonders große Spezialisierung der Benennungen in den Sprachen primitiver Völker. 60 Ungeachtet der Tatsache, daß diese Fakten überhaupt noch nichts darüber besagen, daß in dieser oder jener speziellen Benennung ein sinnlich-anschauliches Abbild irgendeines konkreten Gegenstandes ausgedrückt wird, muß man bedenken, daß die Auswahl dieser Fakten überaus einseitig ist. Auf die Unvollständigkeit und Einseitigkeit dieser Auswahl hat seinerzeit — was die Fähigkeit dieser sog. Primitivvölker zur Bildung und zum Ausdruck von Begriffen verschiedener Abstraktions- und Verallgemeinerungsstufen mit Hilfe des Wortschatzes betrifft — schon W. v. Humboldt hingewiesen: „Wenn man aber bei dieser Ansicht einseitig stehen bleibt und die Unterschiede in den Vorzügen der Sprachen allein auf diesem Wege zu entdecken glaubt, so verfällt man in einen, der wahren Beurteilung der Sprache verderblichen Irrtum. Es ist schon an sich sehr mißlich, den Kreis der Begriffe eines Volkes in einer bestimmten Epoche aus seinem Wörterbuch beurteilen zu wollen. Ohne hier die offenbare Unzweckmäßigkeit zu rügen, dies nach den unvollständigen und zufälligen Wörtersammlungen zu versuchen, die wir von so vielen außer-europäischen Nationen besitzen, muß es schon von selbst in die Augen fallen, daß eine große Zahl, besonders unsinnlicher Begriffe, auf die sich jene Behauptungen vorzugsweise beziehen, durch uns ungewöhnliche und daher unbekannte 4 Panfllor, Sprache und Denken
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Metaphern oder auch durch Umschreibungen ausgedrückt sein können. Es liegt aber, und dies ist hier bei weitem entscheidender, auch sowohl in den Begriffen, als in der Sprache jedes, noch so ungebildeten Volkes eine, dem Umfange der unbeschränkten menschlichen Bildungsfähigkeit entsprechende Totalität, aus welcher sich alles Einzelne, was die Menschheit umfaßt, ohne fremde Beihilfe, schöpfen läßt; und man kann der Sprache nicht fremd nennen, was die auf diesen Punkt gerichtete Aufmerksamkeit unfehlbar in ihrem Schöße antrifft. Einen faktischen Beweis hiervon liefern solche Sprachen unkultivierter Nationen, welche, wie z. B. die philippinischen und amerikanischen, lange von Missionarien bearbeitet worden sind. Auch sehr abstrakte Begriffe findet man in ihnen, ohne die Hinzukunft fremder Ausdrücke, bezeichnet." 61 Wenn wir aus diesen Worten Humboldts diejenigen Gedanken ausklammern, die durch die Lehre I. Kants von den apriorischen Kategorien des menschlichen Verstandes beeinflußt wurden, so erweisen sie sich in vielem als richtig. Tatsächlich fehlt neben Fällen großer Detaillisierung gegenständlicher bzw. qualitativer Benennungen oft eine ihnen allen gemeinsame Benennung (vgl. z. B. in der nencischen Sprache, in der bei einer detaillierten Benennung der Farben und besonders der Fellfarben von Tieren kein Wort für Farbe oder Färbung existiert). Wir kennen aber nicht wenige Fälle, in denen neben den speziellen Benennungen auch eine allgemeine vorhanden ist. Wir führen einige Beispiele aus den Nordvölkern der UdSSR an. 62 1. In der nivchischen Sprache gibt es einige zehn Benennungen für verschiedene Baumarten: qoj „Lärche", fiariii „Edeltanne", hivs „Birke", kmyj „Eiche", q'oldo „Zeder", heuni „Erle", mezla „Eberesche" u. a. und daneben gibt es das Wort t'igr mit der allgemeinen Bedeutung „Baum", „Wald" (Beispiele aus dem Amur-Dialekt); 2. Das Nivchische hat eine ebenso große Menge von Bezeichnungen für verschiedene Fischarten: tuki „Stör", p'irnyr „Karpfen", qonod' „eine Art Hausen", lygu „Herbstlachs", bei „Sommerlachs" usw. und daneben gibt es das Wort öo mit der allgemeinen Bedeutung „Fisch" (Beispiele aus dem Amur-Dialekt); 3. Im Eskimo gibt es neben einer stark detaillierten Benennung für Walroß (argugaq „Walroß, das nach Westen schwimmt", qavryq „Walroß, das nach Norden schwimmt", aqyVugraq „Walroß, das mal in die eine und mal in die andere Richtung schwimmt", exh lyq „das sich ernährende Walroß", qavalyqraq „Walroß, das auf dem Wasser schläft" usw.) noch das Wort ajvyq mit der allgemeinen Bedeutung „Walroß". Andererseits wird das Wort ajvyq „Walroß (im allgemeinen)" von der noch allgemeineren Benennung tygiqudaq „Meerestier" überlagert wird, die neben „Wal50
roß" auch auf die allgemeine Robbe nyxsaq (neben einer Reihe detaillierter Bezeichnungen für die verschiedenen Robbenarten), auf Walfische agvypik (neben einer Reihe detaillierter Bezeichnungen) und auf andere Meereslebewesen ausgedehnt wird; 4. In der nencischen Sprache gibt es neben etwa 40 Benennungen verschiedener Schneearten (ideb'a „Pulverschnee", ingaem „verwehter Schnee", xaw' „tiefer brüchiger Schnee", syrad „verharschter Schnee, der sich an Ufern von Flüssen und Seen bildet" usw.) eine allgemeine Benennung für Schnee: syra. In dieser Sprache gibt es auch mehr als 20 Benennungen für verschiedene Arten von Hunde- und Rentierschlitten neben der allgemeinen Benennung xan. Zur Erklärung dieser oder ähnlicher Tatsachen der größeren Spezialisierung der Benennungen in den „primitiven" Sprachen darf man die praktischen Bedürfnisse und Tendenzen einer solchen Spezialisierung nicht aus den Augen verlieren: große wirtschaftliche Bedeutung der entsprechenden Gegenstände und Erscheinungen (Schlitten, Fische usw.), die Notwendigkeit einer schnellen und genauen Orientierung auf der Jagd (Spezialisierung der Benennung von Tieren je nach der Jagdsituation usw.). Zweifelsohne spielen diese Faktoren der praktischen Notwendigkeit eine große Rolle bei der Spezialisierung der Benennungen 63 , so z. B . die Tatsache einer größeren Spezalisierung bei den Nencen in der Bezeichnung verschiedener Arten von Moosen und Flechten (als Rentierfutter!) gegenüber dem Vorhandensein nur einer Benennung für alle Arten von Blumen, von denen es gewöhnlich im Sommer in der Tundra sehr viele gibt. Es ist auch nicht zu bezweifeln, daß es unrichtig wäre, all diese Tatsachen mit Besonderheiten des Denkens (Konkretheit, Gegenständlichkeit) der entsprechenden Völker zu erklären und sie als residuäre Erscheinungen eines besonderen sinnlich-anschaulichen Stadiums in der Entwicklung des menschlichen Denkens zu betrachten. So unterstützen weder die sprachlichen noch die ethnographischen Fakten die These von einem besonderen sinnlich-anschaulichen Stadium in der Entwicklung des Denkens, in dem das Denken irgendwie in den Abbildern der Wahrnehmung und Vorstellung verlaufen wäre und der Mensch keinerlei Fähigkeit zur Begriffsbildung, auch nicht der elementarsten, besessen hätte. Man muß somit anerkennen, daß sich mit der Entstehung der Arbeit als zielgerichtete Tätigkeit und durch die Arbeit als gesellschaftliche Erscheinung die spezifisch menschliche Art der Widerspiegelung der Realität in Form des verallgemeinernden abstrakten Denkens herausgebildet hat, weil — wie wir oben schon gezeigt haben — auf der Basis einer rein sinnlich-anschaulichen Widerspiegelung der 4»
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Realität eine zielgerichtete Arbeitstätigkeit unmöglich ist; denn durch Empfindung, Wahrnehmung und Vorstellung wird nur das Einzelne und Konkrete widergespiegelt. Die sinnlich-anschauliche Form der Widerspiegelung gibt von sich aus noch nicht die Möglichkeit zur Abstraktion und Verallgemeinerung, zur Erkenntnis der Verbindungen und Beziehungen der Gegenstände und Erscheinungen der objektiven Realität und damit der Eigenschaften derselben. Daraus folgt freilich nicht, daß die sinnliche, anschaulich-bildliche und unmittelbare Art der Widerspiegelung der Realität im weiteren keinen breiten Raum in der Erkenntnis der Realität durch den primitiven Menschen einnähme. Die sinnliche Erkenntnis bleibt eine der grundlegenden Erscheinungen des menschlichen Erkenntnisprozesses in allen Etappen der Menschheitsentwicklung, weil alle unsere Kenntnisse letzten Endes auf den Empfindungen und Wahrnehmungen aufbauen, die wir durch die unmittelbare Einwirkung der objektiven Realität auf unsere Sinnesorgane erhalten. In den ersten Etappen der Menschheitsentwicklung konnte es nur elementare Vorstufen einer abstrakten, verallgemeinernden Widerspiegelungsart geben. Diese sinnlich-bildliche Widerspiegelungsart war lange Zeit die grundlegende und sogar die vorherrschende. Es ist auch offensichtlich, daß die ersten Begriffe des primitiven Menschen besondere isolierte Inseln in der großen Masse des sinnlich-bildlichen Inhalts seines Denkens waren, zwischen denen es keinerlei strenge oder eindeutige Verbindungen gab. Insbesondere kann man annehmen, daß die Art-Gattungs-Beziehung der Begriffe, d. h. Begriffsbeziehungen unterschiedlicher Verallgemeinerungsstufen, erst auf einer relativ hohen Stufe der Entwicklung des menschlichen Denkens entstanden sind und daß es bei den primitiven Menschen lange Zeit noch keine Gattungsbegriffe gab . 64 Zudem ist es nicht weniger wesentlich, daß die spezifisch menschliche Widerspiegelungsart der Realität durch das abstrakte verallgemeinernde Denken entsteht und daß sich deshalb die Periodisierung der Geschichte des menschlichen Denkens nach dem Kriterium der verschiedenen Entwicklungsetappen des abstrakten verallgemeinernden Denkens orientieren muß.65 Die oben gezogene Schlußfolgerung hat wesentliche Bedeutung für die Lösung der Frage nach der Beziehung von Sprache und sinnlich-bildlichem Inhalt einerseits und Sprache und abstraktem Denkinhalt andererseits, weil die Anerkennung eines besonderen sinnlich-bildlichen Stadiums in der Entwicklung von Denken und Sprache Anlaß zu der Behauptung gibt, daß in dieser Entwicklungsetappe die Sprache ein Mittel zur Verwirklichung des sinnlich-bildlichen Inhalts des Denkens gewesen sei. 52
Allerdings hebt der Beweis der These, daß es kein besonderes sinnlichbildliches Stadium in der Entwicklung von Denken und Sprache gegeben hat, in dem das Denken gewissermaßen ganz und gar in einer sinnlichbildlichen Form verlaufen wäre und die Sprache demzufolge nur die Abbilder der Wahrnehmung und Vorstellung ausgedrückt hätte, noch nicht die folgenden Fragen auf: Ist die Sprache in jeder Etappe ihrer eigenen Entwicklung und in der des Denkens ein ebenso notwendiges Mittel des Ausdrucks und der Realisierung eines sinnlich-bildlichen Inhalts, wie sie dies für den abstrakten Inhalt ist? Befindet sich der sinnlichbildliche Inhalt des Denkens in der gleichen Beziehung zur Sprache wie sein abstrakter Inhalt? Diese Fragen werden nicht nur deshalb aufgeworfen, weil es eine Auffassung gibt, derzufolge die Sprache in den ersten Etappen ihrer Entwicklung nur den sinnlich-bildlichen Inhalt ausdrückte, sondern weil es auch Ansichten gibt, wonach die Sprache Mittel der Realisierung sowohl des abstrakten als auch des sinnlich-bildlichen Inhalts des Denkens in jeder Entwicklungsetappe sei. So vertritt E. V. Sorochova die Ansicht, daß „die Gedanken beim Menschen — infolge seiner gehobenen Bedürfnisse des Gedankenaustausches — sowohl in Form von konkreten Abbildungen der objektiven Realität als auch in Form von Begriffen ihre 'materielle Hülle' durch eine bestimmte sprachliche oder graphische Gestalt erhalten." 66 Es gibt auch die Ansicht, daß „das Wort die allgemeine Vorstellung und den Begriff als Einheit des Denkens formt und formuliert" 67 oder daß „die Vorstellungen als sinnliche Widerspiegelungen der Gegenstände zusammen mit ihren Eigenschaften und Beziehungen die Hauptkomponenten des Inhalts eines Wortes bilden: das Zeichen, den lexischen Begriff und das Denotat" 6®. Einige Autoren verteidigen kategorisch die These, daß die Sprache ein notwendiges Mittel zur Realisierung des sinnlichen Inhalts des Denkens sei. So schreibt V. I. Bezrukov: „Unseres Erachtens erhält das 1. Signalsystem seinen materiellen Ausdruck über das 2. Signalsystem — das Wort. Die materielle Hülle des Wortes ist das notwendige Mittel zum Ausdruck und zur Realisierung des sinnlich-bildlichen Inhalts des Denkens. Weiter nehmen wir an, daß dieser Prozeß der Benennung von Bildern nicht nur in der Periode der Sprachentstehung vor sich ging, sondern auch weiterhin in jeder Entwicklungsetappe von Sprache und Denken, wenn auch in unterschiedlichem Grad, stattfindet." 69 Eine solche Identifizierung in der Charakterisierung der Beziehungen des abstrakten und des sinnlich-anschaulichen Inhalts zur materiellen sprachlichen Hülle erscheint uns unberechtigt. Sie führt zu einer fehler53
haften Auffassung vom Wesen der Sprache und ihrer Entwicklungsgesetze und zu einer fehlerhaften Auffassung von der Spezifik der materiellen sprachlichen Hülle bei der Lösung der philosophischen Grundfrage nach dem Verhältnis des Materiellen und Ideellen, wozu als Teilaspekt — wie schon erwähnt — auch das Problem des Verhältnisses von Sprache und Denken gehört. Wie wir oben schon betonten, sind die Empfindungen und Wahrnehmungen das Ergebnis der unmittelbaren Einwirkung der Gegenstände und Erscheinungen und ihrer Eigenschaften auf unsere Sinnesorgane. So sind die Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen letzten Endes das Ergebnis der Wechselwirkung zweier Formen der Materie — der konkreten Gegenstände, Erscheinungen und deren Eigenschaften einerseits und der ebenfalls materiellen Sinnesorgane andererseits —, wobei jeweils eine unmittelbare Verbindung und Abhängigkeit der Empfindungen und Wahrnehmungen von diesen einzelnen Gegenständen, Erscheinungen und deren Eigenschaften, die sie widerspiegeln, bewahrt bleiben. „Für jeden Naturforscher, der durch die Professorenphilosophie nicht verwirrt worden ist, sowie für jeden Materialisten ist die Empfindung t a t s ä c h l i c h d i e u n m i t t e l b a r e Verbindung des Bewußtseins mit der Außenwelt, die Verwandlung der Energie des äußeren Reizes in eine Bewußtseinstatsache." 70 Obwohl das verallgemeinernde abstrakte Denken nur mit den Fakten der äußeren Realität operiert, die uns die Sinnesorgane liefern, so sind doch seine Ergebnisse in Form von Begriffen, Urteilen und Schlußfolgerungen hinsichtlich der objektiven Realität, die sie widerspiegeln, nur mittelbar. Beim abstrakten verallgemeinernden Denken gibt es Teilerscheinungen des Abweichens von der unmittelbaren Anschauung der Realität, von den sinnlichen Abbildern der einzelnen Gegenstände, Erscheinungen und Eigenschaften, die in ihrer ganzen Konkretheit und Anschaulichkeit durch die Sinnesorgane widerspiegelt werden. Jeder Begriff spiegelt eine ganze Gruppe von Gegenständen, Erscheinungen usw. in deren allgemeinen und wesentlichen Eigenschaften wider und birgt damit die Abstraktion von den individuellen Eigenschaften jedes einzelnen dieser Gegenstände und Erscheinungen einer solchen Gruppe in sich. Jeder Begriff spiegelt etwas Allgemeines wider, das natürlich nicht außerhalb der konkreten Gegenstände und Erscheinungen, also außerhalb der Gesamtheit aller, auch der individuellen Eigenschaften jedes dieser einzelnen Gegenstände und Erscheinungen existiert. Wie V. I. Lenin bemerkt, „existiert das Allgemeine nur im Einzelnen, durch das Einzelne. Jedes Einzelne ist (auf die eine oder andere Art) Allgemeines. Alles Allgemeine ist (ein Teilchen oder eine Seite oder das 54
Wesen) des Einzelnen. Jedes Allgemeine umfaßt nur annähernd alle einzelnen Gegenstände. Jedes Einzelne geht unvollständig in das Allgemeine ein usw. usw." 71 So sind zum Unterschied zu den sinnlichen Widerspiegelungsformen die abstrakten verallgemeinernden Formen der Widerspiegelung der Realität nicht u n m i t t e l b a r mit den Gegenständen, Erscheinungen usw. der objektiven Realität verbunden, so wie sie in ihrer vollen Konkretheit und Eigentümlichkeit bestehen. „Der Sinn gibt die Sache, der Verstand aber gibt den Namen dazu her. Es ist nichts im Verstände, was nicht im Sinne, aber was im Sinne der Tat nach, das ist im Verstände nur dem Namennach." 72 Diese Worte L. Feuerbachs versah Lenin mit der Randglosse NB. Dies bedeutet freilich nicht, daß das abstrakte verallgemeinernde Denken nicht von der objektiven Realität, von der Materie abhängt und bedeutet auch nicht, daß es eine selbständige und von der Realität unabhängige Existenz besitzt. Der Inhalt des abstrakten verallgemeinernden Denkens ist letztlich das Ergebnis der Widerspiegelung der Realität, der unterschiedlichen Formen der sich bewegenden Materie. Seine Verbindung mit der objektiven Realität wird mit Hilfe derselben Materie in Gestalt materieller sprachlicher Formen hergestellt. Mit anderen Worten, der Unterschied zwischen dem abstrakten verallgemeinernden Denken zur unmittelbaren Anschauung der Gegenstände und Erscheinungen der Realität ist nur deshalb möglich, weil es in einer festen Verbindung, ja auf der Basis der materiellen sprachlichen Formen vor sich geht. Diese sprachlichen Formen fungieren im Erkenntnisprozeß als eine Art Vermittler zwischen dem erkennenden Subjekt und dem erkannten Objekt. Die Notwendigkeit der sprachlichen Beteiligung ist nur dadurch gegeben, daß die Widerspiegelung der Realität durch das Denken nicht eine so unmittelbare wie bei der sinnlichen Erkenntnis ist. Die Notwendigkeit einer materiellen sprachlichen Hülle der Verwirklichung abstrakter Gedanken unterstreicht auch der große russische Physiologe I. M. Secenov: „Ohne das Sprechen wäre es unmöglich, die Elemente des nichtsinnlichen Denkens, die keine Anschaulichkeit und Form besitzen, im Bewußtsein zu fixieren; das Sprechen verleiht ihnen Objektivität, eine Art von Realität (wenn auch eine fiktive) und liefert somit die Grundbedingung für das Denken mit nichtsinnlichen Objekten." 73 Wenn auch in einer etwas nebelhaften Form, s6 wurde dieser Gedanke über die organische Verbindung der Sprache und des abstrakten Denkens bereits bei W. v. Humboldt ausgedrückt: „Die Sprache ist das bildende 55
Organ des Gedanken. Die intellektuelle Tätigkeit, durchaus geistig, durchaus innerlich und gewissermaßen spurlos vorübergehend, wird durch den Laut in der Rede äußerlich und wahrnehmbar für die Sinne. Sie und die Sprache sind daher eins und unzertrennlich voneinander. Sie ist aber auch in sich an die Notwendigkeit geknüpft, eine Verbindung mit dem Sprachlaute einzugehen, das Denken kann sonst nicht zur Deutlichkeit gelangen, die Vorstellung nicht z u m B e g r i f f w e r d e n . Die unzertrennliche Verbindung des Gedanken, der Stimmwerkzeuge und des Gehörs zur Sprache liegt unabänderlich in der ursprünglichen, nicht weiter zu erklärenden Einrichtung der menschlichen Natur." 74 (Hervorhebung von uns — V. P.) Weiter geht aus dem Gesagten hervor, daß das Auftreten der Sprache erst in Verbindung mit der Entstehung der abstrakten verallgemeinernden Art der Widerspiegelung der Realität notwendig wird, weil die sinnlich-anschauliche Widerspiegelung der Realität das Ergebnis der unmittelbaren Einwirkung auf die Sinnesorgane, in gewissem Sinne das Ergebnis der Wechselwirkung zweier materieller Seiten (Objektivität und Sinnesorgane) ist. Wenn die sinnliche Art der Widerspiegelung auch keine einfache Spiegeltätigkeit ist, so entspricht sie doch im wesentlichen der objektiven Realität und weicht nicht von ihr ab, wie dies bei der abstrakten Widerspiegelungsart in gewissem Sinne der Fall ist. Demnach ist eine besondere sinnlich-bildliche Etappe in der Sprachentwicklung schon deshalb ausgeschlossen, weil — wie oben gezeigt wurde — das spezifisch menschlich« Denken niemals ausschließlich in Form von Abbildern der Wahrnehmung und Vorstellung vonstatten ging und außerdem, weil die sinnlich-anschauliche Widerspiegelungsart an sich nicht zur Entstehung der Sprache hätte führen können. So konnte die Sprache (die Elemente der Sprache) nur in Verbindung mit dem Auftreten des abstrakten verallgemeinernden Denkens (seiner Elemente) als Mittel seiner Verwirklichung und als seine Existenzform entstehen. Die Entstehung der Sprache kennzeichnete so den Übergang zu einer qualitativ neuen Stufe der Bewußtseinsentwicklung, zu einer qualitativ neuen und höchsten Stufe im Erkennen der objektiven Realität. V. I. Lenin schrieb dazu: „Jedes Wort (Rede) verallgemeinert schon. Die Sinne zeigen die Realität; Denken und Wort das — Allgemeine." Und weiter: „In der Sprache gibt es nur Allgemeines."'5 Die These von der wechselseitigen Bedingtheit der Entstehung und Existenz der Sprache Einerseits und des abstrakten verallgemeinernden Denkens andererseits wird von naturwissenschaftlicher Seite in der Lehre des großen russischen Physiologen I. P. Pavlov über das 2. Signalsystem 56
bekräftigt. „Die Tiere verkehrten bis zum Erscheinen des homo sapiens mit der Umwelt nur durch die unmittelbaren Eindrücke der verschiedenen Agenzien, die auf die verschiedenen Rezeptoren der Tiere einwirken und in entsprechende Zellen des Zentralnervensystems geleitet werden. Diese Eindrücke sind für die Tiere die einzigen Signale der Objekte der Außenwelt. Bei der Entstehung des Mensehen entstanden, entwickelten und vervollkommneten sich außerordentlich Signale zweiter Ordnung, Signale dieser primären Signale, in Form von gesprochenen, gehörten und sichtbaren Worten." 7 6 Pavlov unterstreicht weiter, daß das 2. Signalsystem sich mit der Entstehung des Menschen herausbildet, also in Verbindung mit der Entstehung der Elemente des abstrakten verallgemeinernden Denkens. Pavlov schreibt dazu: „Bei der weiteren Entwicklung der Tierwelt entstand in der Phase der Menschwerdung ein außerordentlicher Zusatz zum Mechanismus der Nerventätigkeit. (Dieser Satz fehlt in der deutschen Ausgabe — d. Übers.) Dieser neue Zusatz betrifft die Sprachfunktion des Menschen, die ein neues Prinzip in die Tätigkeit der Großhirnhemisphäre hineingebracht hat. Wenn unsere Empfindungen und Vorstellungen, die sich auf die Außenwelt beziehen, für uns die ersten und dabei konkreten Signale der Wirklichkeit sind, so bildet die Sprache, und in erster Linie speziell die kinästhetischen Reize, die von den Sprachorganen der Hirnrinde übermittelt werden, eine zweite Ordnung von Signalen, die Signale der Signale. Sie stellen selbst eine Abstraktion von der Wirklichkeit dar und gestatten die Verallgemeinerung, die unser übriges, speziell menschliches, höheres Denken bildet, das zuerst die allgemeine menschliche Erfahrung und schließlich die Wissenschaft begründet hat, das Instrument der höchsten Orientierung des Menschen sowohl in bezug auf die Umwelt als auch in bezug auf sich selbst." 77 Diesen Gedanken hat Pavlov mehrfach ausgesprochen.78 Diejenigen, die auf der entgegengesetzten Meinung über den Charakter von Denken und Sprache in den ersten Etappen ihrer Entwicklung und über den Charakter ihrer allgemeinen Wechselbeziehungen beharren, können nicht erklären, weshalb die Sprache erst in jener Stufe der Evolution der Tierwelt, die zum Menschen (homo sapiens) führte, erscheint und weshalb beispielsweise nicht schon die Menschenaffen, die bereits über sinnlich-anschauliche Abbilder der Wahrnehmungen und der Vorstellung verfügen, Sprache besitzen. Erst der Übergang der primitiven Vorfahren des Menschen zur Arbeit führte zwangsläufig zur Entstehung der Elemente des abstrakten verallgemeinernden Denkens und damit zur Entstehung der Elemente der 57
Sprache, da ja das abstrakte verallgemeinernde Denken nur mit Hilfe der materiellen sprachlichen Formen verwirklicht werden kann. Doch die Rolle der Arbeit bei der Entstehung der Sprache beschränkt sich nicht nur darauf. Erstens bildete der Übergang zur Arbeitstätigkeit die Bedingungen für die Bildung des anatomisch-physiologischen Apparates des lautlichen Sprechens, da erst im Zusammenhang mit den entstehenden Differenzierungen der Funktionen von Händen und Füßen die primitiven Vorfahren des Menschen zum aufrechten Gang übergingen, wodurch schließlich der für die freie Artikulation notwendige Umbau der Sprechorgane erfolgte (eine stärkere Biegung der Schädelbasis, die Verringerung der Kiefermasse, die Senkung des Kehlkopfes, die Erhöhung der Rolle der Mundatmung, die Reduzierung der Sackfortsätze des Morgagnischen Raumes, die Verlagerung des Musculus thyreoarytenoideus).79 Zweitens war das Entstehen der Sprache als Mittel zur Realisierung des Gedankens und damit auch ihre Herausbildung als Kommunikationsmittel durch die Arbeit bedingt. Der Übergang zur Arbeit und besonders zu ihren kollektiven Formen führte zwangsläufig zur Entstehung des Mitteilungsbedürfnisses, um die gemeinsamen Arbeiten in Gang zu bringen. „Die Ausbildung der Arbeit trug notwendig dazu bei, die Gesellschaftsglieder näher aneinanderzuschließen, indem sie die Fälle gegenseitiger Unterstützung, gemeinsamen Zusammenwirkens vermehrte und das Bewußtsein von der Nützlichkeit dieses Zusammenwirkens für jeden einzelnen klärte. Kurz, die werdenden Menschen kamen dahin, daß sie einander etwas zu sagen hatten. Das Bedürfnis schuf sich sein Organ: Der unentwickelte Kehlopf des Affen bildete sich langsam aber sicher um, durch Modulation für stets gesteigerte Modulation, und die Organe des Mundes lernten allmählich, einen artikulierten Buchstaben nach dem andern aussprechen." 80 Das Problem der Beziehung der Sprache (der materiellen sprachlichen Hülle) zum abstrakten Inhalt des Denkens einerseits und zum sinnlichbildlichen andererseits, impliziert auch folgende Fragen: Ist ein unmittelbares Ausdrücken sinnlich-anschaulicher Abbilder der Vorstellung mit Hilfe der Sprache überhaupt möglich? Sind die sinnlich-anschaulichen Abbilder die gleichen organischen Komponenten des Inhalts eines Wortes wie auch seiner Bedeutungen, die einen abstrakten verallgemeinernden Charakter besitzen? Es ist klar, daß alle Autoren, die den oben erwähnten Standpunkt über den anschaulich-bildlichen Charakter des menschlichen Denkens in den Anfangsetappen seiner Entwicklung vertreten, diese Fragen zumindest in bezug auf die erwähnten Etappen der Entwicklung von Denken und Sprache positiv beantworten. 58
Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß einige Autoren, die Denken und Sprache beim heutigen Menschen behandelt haben, behaupten, daß die sinnlich-anschaulichen Abbilder ein organischer Bestandteil der inhaltlichen Seite des Wortes sind. Tatsächlich treten beim Aussprechen dieser oder jener Wörter nicht selten sinnlich-anschauliche Abbilder der entsprechenden Gegenstände auf. Es sind dies aber immer Abbilder konkreter, individueller Gegenstände und — was das Wichtigste dabei ist — diese ausgesprochenen Wörter lassen bei Hörern und Sprechern jeweils Abbilder unterschiedlicher Gegenstände, wenn auch der gleichen Gattung, entstehen. So kann das sinnlich-bildliche Abbild der Vorstellung im Gegensatz zum Begriff nicht mit Hilfe der Sprache (des Wortes) von einem Mitglied eines Kollektivs auf ein anderes übertragen werden. Mit anderen Worten, die sinnlich-anschaulichen Abbilder sind kein organischer Bestandteil der inhaltlichen Seite der Wörter. Überdies kann ein bedeutender Anteil der Wörter, die vollkommen abstrakte Bedeutungen haben, nicht von sinnlich-anschaulichen Abbildern begleitet sein, wie z. B . Worter wie Gesetz, Wert, Ursache, zweifelsohne und viele andere. Aus dem eben Gesagten folgt nicht, daß man mit den Mitteln der Sprache überhaupt keinen sinnlich-anschaulichen Inhalt ausdrücken könne. Die Aufgabe einer künstlerischen Beschreibung dieses oder jenes Gegenstandes, einer Naturerscheinung usw. besteht ja gerade darin, bei der Lektüre einer solchen Beschreibung im Leser ein plastisches sinnliches Abbild des Objekts der Beschreibung hervorzurufen.81 Dabei-ist es jedoch wesentlich, daß dieses sinnlich-anschauliche Abbild nur durch die Aneignung des abstrakten Inhalts, der in der entsprechenden Beschreibung durch Wörter und Sätze wiedergegeben wird, entsteht. Mit Hilfe der Sprache kann somit ein sinnlich-anschaulicher Inhalt nur mittelbar, also über den abstrakten gedanklichen Inhalt und keineswegs unmittelbar ausgedrückt werden. Eine besondere Stellung nehmen in dieser Hinsicht bildliche Wörter oder in anderer Weise nachbildende Wörter, Ideophone, die zahlreich in der Lexik der tunguzo-mandzurischen Sprache 82 , der Turksprachen 83 , der mongolischen Sprachen 84 , einiger paläoasiatischer Sprachen 85 , des Koreanischen 86 , aber auch in der Lexik einiger afrikanischer Sprachen 87 und in einer Reihe anderer Sprachen vorkommen. Bildliche Wörter (Onomatopoetika — d. Übers.) unterscheiden sich von den übrigen Wörtern der Lexik all dieser Sprachen außer durch ihre bedeutenden phonologischen und grammatischen Besonderheiten durch das Vorhandensein einer Lautsymbolik und der Konkretheit ihrer Bedeutung. Einige Autoren betrachten sie als Überreste eines Anfangszustandes in der sprachlichen
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Entwicklung. 8 8 Es wurde auch die Meinung vertreten, daß im Gegensatz zum übrigen Wortschatz „die bildlichen Wörter nicht mit dem Ausdruck von Begriffen, sondern mit sinnlichen Abbildern, Vorstellungen und E m p findungen verbunden sind, die imVergleichzu denBegriffen eine niedrigere Stufe der Erkenntnis der Realität darstellen", obwohl nicht geleugnet wird, daß „sie alle Abstraktionen von realen Gegenständen oder deren Merkmalen und Handlungen sind, wenn auch die Stufe ihrer Allgemeinheit niedriger ist als bei anderen Wörtern mit Nennfunktion." 8 9 Einige Autoren verneinen sogar völlig jegliche Fähigkeit zur Verallgemeinerung, zumindest der meisten nachbildenden Wörter. 9 0 Diese Auffassung kann man aber nicht als hinreichend begründet betrachten. Die Analyse der betreffenden Klasse von Wörtern in der nivchischen Sprache erlaubt folgende Behauptung: Die bildlichen Wörter werden im Gegensatz zu den übrigen Wörtern mit Nennfunktion, bei denen die Assoziationen mit sinnlichen Vorstellungen nur fakultativ auftreten, im Durchschnitt tatsächlich von sinnlich-anschaulichen Abbildern einzelner Eigenschaften oder Gegenstände und Erscheinungen begleitet. Trotzdem besitzen die bildlichen Wörter ebenso wie die anderen Wörter mit Nennfunktion die Eigenschaft der Abstraktion und Verallgemeinerung. Das bildliche Wort wird ja nicht f ü r die Bezeichnung nur eines einzigen Gegenstandes oder einer einzigen Eigenschaft verwendet, sondern zur Bezeichnung mehrerer sich in der sinnlichen Wahrnehmung unterscheidenden Gegenstände, Erscheinungen oder Eigenschaften ein und derselben Gattung. So wird z. B. das Wort hohl hohl „Hinkefuß" verallgemeinernd zum Hinweis auf jeden beliebigen Fall, wenn jemand hinkt, benutzt, obwohl natürlich jedem dieser einzelnen Fälle ein anderes sinnlich-anschauliches Abbild entspricht. Dasselbe gilt auch f ü r bildliche Wörter, die mit Vorstellungen einzelner sinnlich wahrnehmbarer Eigenschaften von Gegenständen und Erscheinungen verbunden sind: mit ein und demselben bildlichen Wort assoziieren sich Vorstellungen von Eigenschaften derselben Gattung, die auf unterschiedlichen Wahrnehmungen beruhen. Die Spezifik der bildlichen Wörter besteht also darin, daß sie zwar wie die übrigen Wörter mit Nennfunktion eine abstrahierende und verallgemeinernde Eigenschaft besitzen, aber im Gegensatz zu den letzteren noch eine zusätzliche Funktion ausüben, die mit sinnlich-anschaulichen Abbildern verknüpft ist. Dabei ist es klar, daß der Charakter des sinnlich-anschaulichen Abbildes, das mit diesem oder jenem Wort assoziiert wird, von der individuellen Erfahrung abhängt und deshalb unter den Sprachträgern variieren muß. Da sich die bildlichen Wörter 60
auf eine Gruppe ähnlicher, aber sich doch voneinander unterscheidender konkreter Erscheinungen beziehen, können sich die jeweils in einem Kommunikationsakt entstehenden sinnlich-anschaulichen Abbilder bei den Gesprächspartnern auch aus diesem Grunde voneinander unterscheiden. Unter den bildlichen Wörtern nehmen die lautmalenden Wörter eine besondere Stellung ein. Bei diesen Wörtern werden Laute unserer Umwelt mit phonetischen Mitteln der jeweiligen Sprache nachgebildet. Die lautmalenden Wörter spiegeln im Gegensatz zu den anderen Wörtern mit Nennfunktion, auch einschließlich der anderen bildlichen Wörter, mit ihrer materiellen lautlichen Seite unmittelbar den Charakter der durch sie bezeichneten Erscheinungen der Realität wider. Da jedoch die Möglichkeit der Nachbildung von Lauten der Realität durch den Charakter der phonetischen Mittel einer gegebenen Sprache beschränkt ist, sind die lautmalenden Wörter nur annähernde Kopien der Laute der Realität. Deshalb müssen sich die entsprechenden lautmalenden Wörter verschiedener Sprachen auch voneinander unterscheiden. Allerdings bezieht sich jedes lautmalende Wort auf unterschiedliche Laute der gleichen Gattung, d. h. es ist keine Nachbildung irgendeines individuellen Lautes und besitzt demzufolge wie alle bildlichen Wörter die Funktion der Abstraktion und Verallgemeinerung und ist ein Kommunikationsmittel. Die lautmalenden Wörter bilden infolge ihrer phonetischen Natur Laute der Realität nach und werden damit ebenso wie alle bildlichen Wörter von sinnlichen Vorstellungen der entsprechenden Erscheinungen der Realität begleitet und unterscheiden sich demnach in dieser Hinsicht nicht von den übrigen bildlichen Wörtern. Was den Grad der Lautsymbolik der anderen Klassen der bildlichen Wörter betrifft, so scheint er bedeutend schwächer als der der lautmalenden Wörter zu sein. In der nivchischen Sprache sind in der jeweiligen Abhängigkeit von den Formen der sinnlichen Vorstellungen oder der intellektuellen Zustände die bildlichen Wörter auch vom Charakter der lexischen Bedeutungen abhängig. Man kann sie in einige Gruppen gliedern: 1. Die bildlichen Wörter, die akustische Abbilder betreffen, spiegeln Laute verschiedener Art wider, die von diesen oder jenen Gegenständen stammen. Es sind also lautmalende oder onomatopoetische Wörter. Dazu gehören: gongon — Imitation eines tiefen und saftigen Echolautes; haha — Imitation eines Lautes, der entsteht, wenn ein Mensch kräftig ausatmet; 61
hevo hevo kavr kavr kaur kaur ke ke ked'r ked'r kear keh ken ken gene kegr kegr keX keX kid're kud're ksaX
kyn kyn k'ala k'ala k'af k'af k'edr k'edr k'of k'of k'udr k'udr k'ulx k'ulx/ k'urx k'urx k'un k'uii k'yf k'yf qalRalXqalRalX qaun qaun qäX qäX qo qo qo qod'laXqod'laX qor qor/qol qol q'adr q'adr/ q'atr q'atr 62
— Imitation des Keuchens, schweren Atmens bei Lauf; — Imitation eines Knacklautes, wie er beim Zerkauen harter Nahrung ertönt; — Imitation des Schneeknirschens bei Bewegung bei starkem Frost; — Imitation des Schreis einer kleinen weißen Möwe (keX); — Laut beim Zerreißen von Stoff; — Knarren des Schnees, der Ruderdolle, der Tür usw.; — Imitation des Summens der Mücken; — Imitation einer klingenden Frauenstimme; — Imitation des Türknarrens; — Imitation des Winseins von Tieren; — Imitation des Schlangenzischens; — Laut beim Abschießen eines Pfeils aus der gespannten Bogensehne oder wenn ein stark gespanntes Matauz ( = Fischernetzseil d. Übers.), eine Bogensehne usw. reißt; — Imitation eines Lautes, den ein stark gespanntes, vibrierendes Seil von sich gibt; — Eimerklappern; — Laut beim Klopfen an einen hölzernen Gegenstand; — Imitation des Rascheins von Kleidern; — Laut beim Abklopfen des Schnees von den Schuhen; — Schneeknirschen, wenn ein schwerer Schlitten über harten Harschschnee f ä h r t ; — Lärm bei herunterfallenden Gegenständen; — Laut beim Stockschlag auf trockene Holzstämme; — Laut beim Schlagen mit einem Beil; — — — —
Imitation des Gänseschreis; Ton des nivchischen Musikinstrumentes qanGa; Imitation des Hundeheulens; Imitation des Fröschequakens;
— Imitation des Schmatzlautes; — Imitation des Lautes beim Kochen des Wassers; — Geräusch bei lautem K r a t z e n ;
— Geräusch bei leisem Kratzen; q'arX q'arX q r aj q'aj/q'ejq'ej — Rascheln von trockenem Gras oder Pulverschnee; q'at'a q'at'a — Laut, wenn Eisengegenstände aneinander geschlagen werden; q'af — Imitation des Lärms beim Türschließen; q"o q'o — Imitation eines entfernten Geräusches; q'olx — Imitation des Lärms beim Türöffnen; q r va q'va/q'wa — Lärm von schnell fließendem Wasser, eines Wasserq'wa falls u. dgl.; n'eX — Imitation des Lautes eines Klaps an den Kopf usw.; riau nau — Imitation des Miauens; nadrr nadrr — Imitation des Schnarchens; nox nox — Imitation des Schweinegrunzens; nudr nudr — Imitation des Knurrens von Hunden; odr odr — Imitation eines starken Knisterns des Holzes; on on — Imitation des Pfeifen des Windes; on on/un un — Surren der Mücken, Piepsen von kleinen Hunden oder kleinen Katzen usw.; — Laut beim Schlagen mit einem hohlen Holzgegenstand; pàjox pajox peax peax — Imitation des Pfeifen des Windes, des Menschen; pen pen — Pfeiflaut eines fliegenden Pfeiles, einer Kugel usw.; psat'X — Laut, der entsteht, wenn ein Ei oder ein dünnes Glasgefäß an irgendetwas mit Gewalt zerschlagen wird; — Laut des stark sprudelnden, kochenden Wassers; pulx pulx — Imitation des Lautes bei einem Klaps; p'aX p'aX — Imitation von Schnaufen; p'ep'e — Imitation des Lautes, den ein Delphin von sich gibt, p'op'o wenn er eine Wasserfontäne oder Luft ausstößt; p'ryx — Imitation eines Lautes bei einem dumpfen Schuß, beim Schlag der Handfläche auf eine Lederschürze, Laut der Skier, die mit schneller Fahrt über den Schnee gleiten; pupu — Imitation des Lautes beim Feuerausblasen; p'ux p'ux — Imitation eines gedämpften Lautes; t'ar f a r — Imitation des Klatschens der Regentropfen; t'arf t'arf — Imitation eines schweren Getrampels; tulmrulmu — Imitation eines kaum hörbaren dumpfen Gemurmels; tulmrulmu t'un t'un — Imitation des Klopfens an eine Tür; 63
t'ax t'ax
— Imitation des Lautes, der beim Schlag mit einer Gerte entsteht; — Imitation des Lautes, der beim Aneinanderschlagen calf calve zweier Handflächen entsteht; Laut des Regenrauschens; cal cal — Imitation des Lautes fallender Tropfen; calan calan — Imitation des Klanges von metallischem Schmuck an einem Kleid; capaX capaX — Imitation des Lautes, den gefangene zappelnde Fische erzeugen; caí caf — Schlagen der Handflächen aneinander; cvalX cvalX — Imitation des Lautes von plätscherndem Wasser in einem Gefäß; ceñ — Imitation von Ohrensausen; ceX — Laut beim Aneinanderschlagen zweier metallischer Gegenstände oder auch des Feuerstahls an einen Stein beim Entfachen des Feuers; coplX éoplX — Imitation des Lautes, der entsteht, wenn zappelnde Fische um sich schlagen; fas fas — Imitation eines Lautes, der bei zackigem, scharfen Schritt entsteht, der von einer Luftbewegung begleitet wird; xurr xurr — Imitation des Prasseins von Feuer; xonx — Imitation des Gebrülls eines Bären, wenn er sich auf einen Menschen stürzt; und einige andere. 2. Die bildlichen Wörter, die optische Abbilder bezeichnen, die den Charakter von Bewegungen, Gegenständen oder einzelnen Komponenten, aber auch Eigenschaften einzelner Gegenstände widerspiegeln. Zu ihnen gehören: hava hava — abwechselnd den Mund auf- und zumachen; hokl hokl — hinkend; kin' kin' — vor Schwäche oder Erschöpfung von einer Seite auf die andere taumeln; kulkry — vor Verwunderung die Augen weit aufreißen; kulu kulu — die Augen aufreißen (wiederholt); kmy — wie in einem Ameisenhaufen wimmeln, geschäftiges Hinund Herrennen (von zahlreichen Insekten, Fischen u. ä.) k'odrr — Schnelles Dahinjagen vom Berg herab mit Schlitten oder Skier oder mit Schlittschuhen über das Eis; 64
qolo lip lip log log matX matX me
- mähend; — abwechselnd öffnen und schließen; — einen Weg bahnen, mit den Ellenbogen arbeiten usw.; — zottig sein; — abwechselnd herausschauen, sich verstecken und wieder zeigen; nya nya — im Halbschlaf mal die Augen schließen, mal öffnen; einnicken; poj voj - aufsteigend, wirbelnd (von Rauchschwaden; Schneewolken beim schnellen Dahinjagen auf Skiern); p'ara p'ara — zappeln, im Winde wehen (z. B. von Stoff, Kleidung u. a.); p'ir p'ir — im Kreis drehen; p'lavlav — glänzend, schillernd; p'lavlav p'lavlav — aufblitzend; p osqo — das Fell sträubend; p'unp'un — sich hebende Kappe (z. B. von kochender Milch); t'yk zyk — die Füßchen wickeln (von in der Wiege liegenden Babies) t'anGa t'anGa — schaukeln, herausragen, an einem Ende befestigt sein; t'murmur — zappeln, leicht bewegen, mit etwas zugedeckt werden; t'yt'y — Ausschau halten; — schimmernd (von Licht, weißen Gegenständen RalX RalX usw.); cole zole — stark schaukeln von einer Seite zur anderen; yndr — mit einem Mantel, einer Pelerine bekleidet sein, ohne die Arme durch die Ärmel zu stecken. 3. Bildliche Wörter, die optisch-akustische Abbilder bezeichnen, die den Charakter von Bewegungen einzelner Gegenstände bzw. die damit verbundenen Geräusche widerspiegeln. Zu ihnen gehören: hün — sich mit Gekreisch und Geheule werfen; hyrr — sich in Haufen, in Massen mit großem Lärm bewegen; qonisq'waj — mit einem Kahn fahren, wobei durch die Ruderbewegungen das Wasser aufspritzt und über Bord rieselt und die Ruder knarren 91 ; psar psar — Hinaussprühen zahlreicher Funken; p'laX — aus dem Wasser herausspringen und mit Lärm wieder zurückfallen (von Fischen). 4. Bildliche Wörter, die den taktilen Bereich betreffen, wie: homq homq — weich, unangenehm sein; S Panfllov, Sprache und Denken
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q'ma q'ma
— dieses Wort ist verbunden mit dem Gefühl, das entsteht, wenn einem ein Insekt über die Haut kriecht. 5. Bildliche Wörter, die den optischen und taktilen Bereich betreffen, wie: laq laqa — glatt und funkelnd sein; pulü pulü — dieses Wort ist verbunden mit dem Bild und der Empfindung, wenn von einem sehr schmutzigen Körper der Schmutz in kleinen Kügelchen herunterrollt. 6. Bildliche Wörter, die intellektuelle Zustände wiedergeben, wie: q'oq'o q'oq'o — halb bewußtlos seiend, mal das Bewußtsein verlieren, mal wiedererlangen; q'orX q'orX — dumm sein; kuku — sinnlos, nutzlos sein. In einigen Sprachen nehmen — wie schon erwähnt — die bildlichen Wörter einen beachtlichen Raum der Lexik ein. So zeigte N. B. Kile ca. 3000 bildliche Wörter in der nanajischen Sprache. In jüngster Zeit äußerte V. M. 2irmunskij die Ansicht, daß die bildlichen Wörter in den erwähnten Sprachen wie auch ihnen ähnliche Wörter in den indoeuropäischen Sprachen zu den Interjektionen gehören und keine besondere Wortart bilden.92 Diese Meinung hat seinerzeit auch A. A. Sachmatov vertreten. Ein solcher Standpunkt berücksichtigt jedoch nicht die folgenden wesentlichen Momente. 1. Wenn die Interjektionen Emotionen und Willensäußerungen ausdrücken, dann ist der semantische Charakter der bildlichen Wörter von anderer Art als der der Interjektionen, wie dies aus dem oben angeführten Durchschnitt der semantisch unterschiedlichen Klassen von bildlichen Wörtern in der nivchischen Sprache gezeigt wurde. Man kann allerdings nicht leugnen, daß sie häufiger als die übrigen Klassen der Wörter mit Nennfunktion mit diesen oder jenen emotionalen Bestandteilen versehen sind. 2. Die bildlichen Wörter haben eine vollständig andere grammatische Natur als die Interjektionen. Während die Interjektionen eine isolierte Stellung im Satz besitzen und keinerlei syntaktische Funktion übernehmen, haben die bildlichen Wörter innerhalb des Satzes attributive oder prädikative Funktion. 93 Dasselbe muß man mutatis mutandis auch von Wörtern des Typs russ. trach, back usw. in den indoeuropäischen Sprachen sagen. Deshalb kann man sie auch kaum als Interjektionen betrachten. Obwohl die bildlichen Wörter eine gewisse Spezifik im Vergleich zu den anderen Klassen der Wörter mit Nennfunktion besitzen, weil es ihre besondere funktionale Aufgabe ist, nicht nur Begriffe der entsprechenden 66
Erscheinungen auf verschiedenen Verallgemeinerungsstufen wiederzugeben, sondern auch beim Gesprächspartner ein konkretes sinnliches Abbild der einen oder anderen Erscheinung dieser Gattung hervorzurufen, haben sie mit den übrigen Klassen der Wörter mit Nennfunktion gemein, als Mittel der Verwirklichung des abstrakten verallgemeinernden Denkens zu fungieren. Die Frage, ob man die bildlichen Wörter als die ältesten uns noch zugänglichen Schichten der Lexik betrachten könne, kann offensichtlich mit gutem Grund positiv beantwortet werden. Dafür sprechen eine ganze Reihe von Besonderheiten der bildlichen Wörter: So der Charakter ihrer Semantik, das Vorhandensein einer Lautsymbolik verschiedenen Grades (die lautliche Hülle der bildlichen Wörter sagt mehr oder weniger deutlich etwas über den Charakter ihrer inhaltlichen Seite aus), einige besondere Züge ihrer phonologischen Struktur und andere Eigenheiten, die von den Forschern in den verschiedenen Sprachen der Erde ermittelt wurden. Daraus folgt jedoch nicht, daß die Lexik der Sprachen in den frühen Entwicklungsetappen ausschließlich auf Wörter beschränkt war, die ihrem Charakter nach den bildlichen Wörtern nahestanden. Es ist klar, daß schon in den frühesten Etappen der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft und des Denkens auch das Bedürfnis nach anderen Typen des Wortschatzes, z. B . nach einem Typ mit vorherrschender Nennfunktion (Erde, Wasser, Mutter, Vater), bestanden hat. Die Analyse verschiedener besonderer Züge der Sprache der sog. primitiven Völker, die gewöhnlich als Beweis für die These herangezogen wird, daß die Sprache als Mittel der Verwirklichung nur der sinnlichanschaulichen Abbilder entstand und daß zwischen der Sprache und dem sinnlich-anschaulichen Inhalt des menschlichen Denkens in seiner gegenwärtigen Entwicklungsetappe eine ebenso organische und unmittelbare Verbindung bestehe, wie zwischen der Sprache und dem abstrakten Inhalt des menschlichen Denkens, zeigt, daß diese These durch die erwähnten Fakten keine Unterstützung erfährt. Die Sprache ist das notwendige Mittel für die Verwirklichung und die Existenz nur des abstrakten verallgemeinernden Inhalt unseres Denkens. Der Charakter der Beziehung zwischen der Sprache und dem abstrakten Denkinhalt einerseits und zwischen der Sprache und dem sinnlich-anschaulichen Inhalt des menschlichen Denkens andererseits ist prinzipiell ein anderer: Wenn die abstrakte Verallgemeinerung des Inhalts nur in der Verbindung mit und auf der Grundlage einer natürlichen Sprache oder anderer Zeichensysteme existiert, wenn die Sprache das Mittel seiner Verwirklichung ist, dann können die Abbilder der Wahrnehmung und Vor5«
67
Stellung im Prinzip ohne unmittelbare Verbindung mit der Sprache existieren. Wenn der sinnlich-anschauliche und der abstrakte verallgemeinernde Inhalt auch verschiedene Etappen, verschiedene Stufen in der Erkenntnis der objektiven Realität darstellen, so befinden sie sich im Prozeß des menschlichen Denkens doch in der engsten Verbindung und in einer ständigen Wechselbeziehung, so daß das Denken mit sinnlich-anschaulichen Abbildern allein in dieser r e i n e n Form beim normalen Menschen offenbar nur ganz selten vorkommt.94 Es dürfte aber doch berechtigt sein, über eine prinzipielle Möglichkeit der Existenz des sinnlich-anschaulichen Inhalts ohne Benutzung der Sprache oder anderer Zeichensysteme zu sprechen, was durch die Fakten des pathologischen Sprachausfalls belegt werden kann. (s. auch weiter unten, S. 73) Daraus lassen sich auch bestimmte Schlußfolgerungen hinsichtlich der Erforschung der Entwicklungsgesetzmäßigkeiten der Sprache ziehen: Ein entscheidender, wenn auch nicht der einzige Faktor, der auf die Bildung und die Gesetze der Funktion und der Entwicklung der Sprache einwirkt, ist der abstrakte verallgemeinernde Inhalt des menschlichen Denkens. In dieser Hinsicht interessieren auch die Fälle der sog. telepathischen Gedankenübertragung. So schreibt L. L. Vasil'ev: „ . . . es besteht kein Zweifel, daß telepathisch insbesondere optische Abbilder wahrgenommen werden und nicht Begriffe, nicht Wörter und auch nicht Gedanken im strengen Sinne des Wortes . . . Das bedeutet, daß die oft verwendeten Ausdrücke 'Gedankenübertragung', 'gedankliche Suggestion' nicht genau sind. Telepathisch können nur optische, selten akustische Abbilder, Gefühle und Aufforderungen zum Handeln übertragen werden — also alles das, was Pavlov zum 1. Signalsystem zählt —, aber n i c h t Gedanken, die an Wörter gebunden sind, also dem 2. Signalsystem angehören. Dies erklärt, weshalb telepathische Versuche gewöhnlich auch in solchen Fällen gelingen, wenn der Induktor ein Franzose, der Perzipient aber ein Grieche ist, wobei der Franzose kein Wort griechisch kann und der Grieche nicht französisch." (Sperrungen vom Autor - V. P.) 9 5 Solche Fälle sind somit indirekt auch Hinweise darauf, daß die Sprache ein notwendiges Mittel zur Verwirklichung des abstrakten verallgemeinernden Denkens, nicht aber für sinnlich-anschauliche Abbilder ist. Bei der Betrachtung dieses Problems entsteht ferner die Frage, ob es richtig ist, daß die Lautsprache das einzig mögliche Mittel der Verwirklichung des abstrakten verallgemeinernden Denkens ist. Von I. V. Stalin wurde die These aufgestellt, daß „die Lautsprache oder Wortsprache stets 68
die einzige Sprache der menschlichen Gesellschaft war, die imstande war, als vollwertiges Mittel zur Verständigung der Menschen zu dienen." Stalin schreibt dazu dann weiter, daß die Taubstummen dadurch, daß sie über keine Lautsprache verfügen, überhaupt keine Sprache besitzen („ . . . Taubstumme, die keine Sprache haben und deren Gedanken natürlich nicht auf der Grundlage des Sprachmaterials entstehen können.") und daß ihre Gedanken, die ebenso einen verallgemeinernden abstrakten Charakter besitzen wie die Gedanken des normalen Menschen „nur auf der Grundlage jener Bilder, Wahrnehmungen, Vorstellungen, die sich bei ihnen im täglichen Leben dank der Gesichts-, Tast-, Geschmacks- und Geruchsempfindungen von den Dingen der Außenwelt und von ihren Beziehungen untereinander herausbilden, entstehen und existieren können."96 Damit wird von Stalin behauptet, daß 1. die Lautsprache die einzige materielle Stütze für das abstrakte verallgemeinernde Denken ist und 2. infolge des Fehlens der Lautsprache bei den Taubstummen sich ihr abstrakt-verallgemeinernder Gedanke auf die Abbilder von Wahrnehmung und Vorstellung stützt. Vor allem muß man bemerken, daß die Abbilder der Wahrnehmung und Vorstellung, die nach Stalins Meinung als einzige Stütze des abstrakten Denkens der Taubstummen in Erscheinung treten, nicht als Sprache betrachtet werden könne, weil sie keine Zeichen sind; denn sie sind Formen der Erkenntnistätigkeit der Realität und fungieren nur auf der Ebene des 1. Signalsystems. Was die Taubstummen betrifft, so haben sie eine Sprache — keine Lautsprache, keine Sprache mit Wörtern wie normale Menschen, sondern eine Gestensprache. Allerdings nimmt Stalin an, daß die Sprache der Gesten, die Taubstummensprache, „eigentlich keine Sprache und nicht einmal ein Sprachsurrogat ist, das auf die eine oder andere Weise die Lautsprache ersetzen könnte, sondern ein Behelfsmittel mit äußerst begrenzten Möglichkeiten, dessen sich der Mensch zuweilen bedient, um diese oder jene Momente in seiner Rede zu unt erstreichen. " 9 7 Selbstverständlich hat die Lautsprache als Kommunikationsmittel eine unbestrittene Dominanz gegenüber der Gestensprache. Aber andererseits darf man nicht in Abrede stellen, daß die Gestensprache bei den Taubstummen dieselben Funktionen erfüllt, wie es die Lautsprache bei den normalen Menschen tut, d. h. sie ist ein Mittel der Verwirklichung des abstrakten verallgemeinernden Denkens und auch ein Kommunikationsmittel. Dazu muß bemerkt werden, daß bei vielen „primitiven" Völkern unter besonderen Umständen anstelle der Lautsprache die Gestensprache verwendet wird. 69
Wenn wir diese Frage im Sinne der Lehre Pavlovs von der Sprache als Funktion des 2. Signalsystems betrachten, ist es wichtig, zu beachten, daß nach Pavlov die Signale der Signale beim normalen Menschen nicht nur die lautlichen Reize sind, die bei der Einwirkung der Wörter auf dis Gehörsorgane des Menschen entstehen, sondern auch die kinästhetischen Reize, die von den funktionierenden Sprechorganen des Sprechers selbst zu dessen Gehirnrinde geleitet werden und auch die optischen Reize, die beim Lesen der gedruckten und geschriebenen Wörter entstehen. Es ist klar, daß entsprechend dem Charakter des Mechanismus des 2. Signalsystems als Signal der Signale auch andersartige Reize fungieren können. Besonders haben wir es damit bei den Taubstummen zu tun, bei denen als Signale der Signale sowohl die kinästhetischen Reize der Muskulatur der Hände und vor allem der Finger auftreten (sie arbeiten bei der Kommunikation der Taubstummen zusammen), als auch die optischen Reize, die bei der Wahrnehmung der Gesten, aber auch beim Lesen — sofern dies erlernt wurde — entstanden. Es muß auch darauf hingewiesen werden, daß neben den natürlichen Zeichensystemen, wie es die Lautsprache oder die spontane Gestensprache der Taubstummen sind, auch andere Zeichensysteme für den Denkprozeß benutzt werden können. So spielen beispielsweise beim Prozeß des mathematischen Denkens offenbar mathematische Symbole98 aller Art eine große Rolle. Allerdings muß man dabei im Auge behalten, daß solche künstlichen Zeichensysteme nur dann als Mittel der Verwirklichung des Denkens auftreten, wenn sie sich auf die Sprache stützen und von einer natürlichen Sprache ableiten. Bei der Behandlung dieses Problems muß man auch darauf zu sprechen kommen, welche Rolle die Sprache im Prozeß des inneren Sprechens spielt und in welcher Form sie auftritt, wenn der Mensch gewissermaßen „vorsich-hindenkt". Es besteht die Ansicht, daß die Sprache nur ein Kommunikationsmittel ist, wodurch auch das Vorhandensein ihrer materiellen Seite bedingt sei. Was das innere Sprechen, das stille Vor-sich-Hindenken betrifft, so vollziehe sich dies in einer reinen Form, ohne Benutzung der Sprache. Damit wird aber die Unabhängigkeit des Denkprozesses von den sprachlichen Formen und der rein zufällige Charakter der Verbindung des Denkens mit den materiellen sprachlichen Formen seines Ausdrucks im Sprechakt postuliert. Die Notwendigkeit der materiellen Seite der Sprache zur Verwirklichung des Denkens wird auch geleugnet, wenn man die Auffassung von der Sprache als einer rein psychischen Erscheinung vertritt. Dieser letzt70
genannte Standpunkt tritt besonders in den Formulierungen F. de Saussures auf: „Während die Sprachfähigkeit (langage — d. Üb.) einen heterogenen Charakter besitzt, ist die Sprache (langue — d. Üb.), so wie wir sie bestimmt haben, homogener Natur: Sie ist ein Zeichensystem, in dem nur die Vereinigung des Inhalts und der akustischen Vorstellung wesentlich ist und in der die beiden Seiten des Zeichens in gleicher Weise psychisch sind."99 Derselbe Gedanke von der psychisch-ideellen Natur des sprachlichen Zeichens wird von Saussure noch präziser ausgedrückt: „Das sprachliche Zeichen verbindet nicht die Sache und den Namen, sondern den Begriff und die akustische Vorstellung. Letztere ist nicht der materielle Laut, also etwas rein Physikalisches, sondern der psychische Eindruck dieses Lautes, die Vorstellung, die wir durch unsere Sinnesorgane erhalten; sie ist ein sinnliches Abbild . . ." l0 ° A. I. Smirnickij kritisiert die o. a. Definition der Sprache von Saussure mit folgenden Worten: „ . . . Nicht 'ein äußeres', d. h. augenblicklich vorhandenes lautliches Sprechen ist die Form, in der sich 'die Lautvorstellung bestimmter Worte realisiert', sondern umgekehrt ist das 'innere Sprechen' die Form, in der die realen physikalischen Laute durch ihre Vorstellungen, ihre Abbildungen im Bewußtsein 'vertreten werden'." 101 Weiter sagt er: „Grundlegend, primär ist also die Verbindung zwischen Bedeutung und dem realen Lautkörper des Wortes, während die Verbindung der Bedeutung mit dem 'lautlichen Abbild des Wortes' nur eine Widerspiegelung der physikalischen Lauteigenschaft des Wortes im Bewußtsein ist."102 So ist nach Meinung von A. I. Smirnickij das innere Sprechen sekundär gegenüber dem äußeren Ausdruck im Sprechakt und die materielle sprachliche Form, der reale Lautkörper des Wortes wird im Prozeß des inneren Sprechens durch die psychische Vorstellung dieses realen Wortkörpers ersetzt. Wenn die erste dieser beiden Thesen Smirnickijs über den Charakter der Beziehung zwischen äußerem und innerem Sprechen und somit über die Natur der Sprache richtig ist, so macht er mit der zweiten These ein Zugeständnis an Saussure, weil er behauptet, daß im Prozeß des inneren Sprechens das Denken in Wirklichkeit nur mit den psychischen Vorstellungen des Lautkörpers des Wortes verbunden sei. Dem kann man nicht zustimmen, weil dies bedeuten würde, daß das Denken ohne Unterstützung durch die materielle sprachliche Form vonstatten gehen könne. Eine solche Behauptung entspricht nicht der realen Natur des inneren Sprechens. 103 Wie schon erwähnt, sind nach Pavlovs Lehre vom 2. Signalsystem die Signale der Signale nicht nur die physiologischen Reize, die bei Einwirkung der realen Sprechlaute auf die Gehörorgane von diesen weiter 71
zum Gehirn geleitet werden, sondern auch die kinästhetischen Reize, die von den Sprechorganen zum Gehirn führen. Jede dieser Arten der materiellen physiologischen Prozesse tritt auch als die materielle Stütze auf, ohne die der Prozeß des Denkens nicht erfolgen kann. Dabei ist es keineswegs erforderlich, daß der Prozeß des Denkens gleichzeitig auf der Basis all dieser Arten der Signale des 2. Signalsystems vonstatten geht. So gelangen natürlich beim Prozeß des inneren Sprechens, des Vor-sich-Hindenkens, keine Reize von den Gehörorganen zum Gehirn, wie dies geschieht, wenn wir den Gesprächspartner hören. Vielmehr hat der Prozeß des inneren Sprechens — wie dies Experimentalergebnisse zeigen — seine Stütze in den kinästhetischen Reizen, die von den Sprechorganen kommen. Die Artikulationen werden im Prozeß des inneren Sprechens von den Sprechorganen nur in einer unmerklichen Art ausgeführt, die sowohl für den Beobachter als auch für das sprechende Subjekt selbst nicht wahrgenommen, aber durch entsprechende Geräte linear während des Versuches aufgezeichnet wird. Zur Frage der Natur desVor-sich-Hindenkens gibt es interessante Beobachtungen bei I . M. Secenov. Er schrieb: „Wenn ein Kind denkt, so spricht es gleichzeitig unentwegt. Bei fünfjährigen Kindern drückt sich das durch Worte oder durch flüsterndes Sprechen oder zumindest durch Bewegungen der Zunge und der Lippen aus. Dies ist sehr häuf ig und manchmal auch immer — nur in verschiedenen Graden — beim Erwachsenen der Fall. Ich weiß von mir selbst, daß meine Gedanken sehr oft bei verschlossenem und unbeweglichem Munde von einem stillen Gespräch, d. h. von Muskelbewegungen der Zunge im Innern des Mundes begleit et sind. In all diesen Fällen, in denen ich irgendeinen Gedanken anderen gegenüber besonders festhalten möchte, flüstere ich ihn unentwegt vor mich hin. Es scheint mir sogar, daß ich nie direkt mit einem Wort denke, sondern immer durch Muskelempfindungen, die nieine Gedanken in Form eines Gesprächs begleiten." 104 Das Vorhandensein von Artikulationen der Sprechorgane verschiedenen Grades beim inneren Sprechen wurde durch zahlreiche Experimentalergebnisse der 30er und 40er Jahre bestätigt. Im gewissen Sinne bekräftigen die Experimentalergebnisse auch die These einiger Autoren (P. P. Blonskij 105 , L. A. Öistovic 106 u. a.), wonach das innere Sprechen, das von den Artikulationsbewegungen der Sprechorgane begleitet wird, auch die Bedingung für die Wahrnehmung und das Verstehen der Mitteilung eines Sprechers ist und wonach der Prozeß der Wahrnehmung und des Verstehens einer fremden Rede nicht nur auf die kinästhetischen Reize, die vom Gehör kommen, beschränkt ist und wonach Artikulationsstörungen 72
das Verstehen und Behalten einer gestörten Rede negativ beeinflussen. Dabei erweist sich der Grad des inneren Sprechens im Prozeß der Wahrnehmung einer fremden Rede und dessen Rolle beim Verstehen des Gedankens der fremden Rede als unterschiedlich. Das hängt sowohl vom Charakter des zu übertragenden Gedankens (Grad des Bekanntseins, der Schwierigkeit usw.) als auch vom Charakter der Gesprächseinstellung des Hörenden ab. A. N. Sokolov kommt bei der Analyse seiner Experimente zu folgendem Schluß: „Die hier erzielten Experimentalergebnisse zeigen zweifelsohne, daß die Rolle der sprachlichen Äußerungen auf den verschiedenen Stufen des Verstehens unterschiedlich bewertet werden muß. Bei einer summarischen Erfassung des Gedankens ist sie minimal. Die Hauptrolle der sprachlichen Äußerungen liegt in diesem Falle bei der Einprägung im Gedächtnis. Bei der Notwendigkeit einer inneren Verarbeitung des Materials, also bei einer Analyse oder ihrer Verallgemeinerung ist diese Rolle maximal. Jede Behinderung des verbalen Ausdrucks der Gedanken bedeutet zugleich eine Behinderung des Verstehens."107 Weiter betont er: „Was die sensomotorischen Prozesse des inneren Sprechens betrifft, so besteht kein Zweifel, daß sie stattfinden, auch wenn sie unerkennbar wären. Selbst wenn man innerlich die Worte geschrieben sehen könnte oder immer innerlich hören würde, so fände diese rudimentäre Artikulation doch statt, wenn auch als ein sog. idiomotorischer Akt." 108 Es ist bekannt, daß Pavlov bei der Betrachtung der physiologischen Grundlagen der Verbindung von Sprechen und Denken den kinästhetischen Reizen aus den Artikulationsorganen eine entscheidende Rolle zumaß.109 Diese These Pavlovs wird von den oben erwähnten Ergebnissen bestätigt. Die Bedeutung der kinästhetischen Reize aus den Sprechorganen als einer unerläßlichen Bedingung für die Verwirklichung und Existenz des abstrakten verallgemeinernden Denkens und damit die Unhaltbarkeit der Ansichten über die Sprache als einer rein psychischen Erscheinung kommt mit ganzer Deutlichkeit bei der pathologischen Auflösung des Sprechvermögens zutage. Es wurde insbesondere festgestellt, daß eine Störung der Artikulationsfähigkeit unvermeidlich eine Störung des abstrakten verallgemeinernden Denkens zur Folge hat. Das innere Sprechen tritt in verschiedenen Formen auf: Angefangen mit der fortlaufenden Form, die sich von dem äußerlichen Ausdruck des Sprechens nur darin unterscheidet, daß sie „für sich" ausgesprochen wird, bis schließlich zu jener Form, in der die Verbalisierung stark verkürzt erfolgt (das Operieren mit Wortandeutungen nach Sokolov). Wie Sokolov bemerkt, „führt die Verkürzung des verbalen Ausdrucks zu einer immer 73
größeren Verdichtung des Gedankens in einem einzigen Wort oder sogar nur in einer Andeutung eines Wortes; das innere Sprechen wird so zur höchsten Synthese der Bedeutungen einzelner Wörter; es wird damit in die Sprache semantischer Komplexe umgearbeitet." 110 Die Möglichkeit dieser verkürzten Formen des inneren Sprechens und die Verwendung solcher Zeichen beim inneren Sprechen, die nicht zur Sprache als Kommunikationsmittel gehören, gibt indessen keinen Grund zu der Annahme, daß das Denken in einer reinen Form für sich allein erfolgen könne, ohne mit den materiellen sprachlichen Formen belastet zu sein. Daraus ergibt sich die Aufgabe eines differenzierten Herangehens an die Betrachtung der Wechselbeziehung von Sprache und Denken, der Beziehung und der Rolle natürlicher Sprachen und anderer Zeichensysteme, speziell zum äußeren Ausdruck und den verschiedenen Formen des inneren Sprechens. 111
Kapitel
II
Das Denken und die Sprachtypen
I n der Sprachwissenschaft, insbesondere im R a h m e n typologischer Untersuchungen spielte und spielt noch die Frage eine bedeutende Rolle, ob die Existenz verschiedener Sprachtypen nicht durch die Unterschiede in der Denkweise der betreffenden Völker bedingt sei und ob die verschiedenen Sprachtypen nicht die aufeinanderfolgenden Stufen in der Sprachentwicklung seien, die sich im Zuge der sich ablösenden Denktypen herausgebildet haben. Weite Verbreitung f a n d in der letzten Zeit auch eine entgegengesetzte Auffassung, derzufolge die Sprache und auch andere Zeichensysteme ein Modell der Welt darstellen und der jeweilige Charakter (Typ) einer Sprache den Charakter des Denkens und der Widerspiegelung der Realität bestimmte (die Hypothese von Sapir und Whorf, einige Richtungen in der Semiotik, die Richtung der sog. linguistischen Philosophie). Zur Beurteilung dieser Frage ist es vor allem erforderlich, sich den Begriff des Sprachtyps und die verschiedenen Arten der typologischen Klassifikation der Sprachen näher anzusehen. Weiterhin muß m a n die Frage, in welchem Maße der Unterschied in den typologischen Eigenschaften der Sprachen mit den Unterschieden im Denken der betreffenden Sprachträger zusammenhängt und in welchem Maße sich dieser Unterschied auf den Charakter der Wechselbeziehung von Sprache u n d Denken auswirkt, näher betrachten. Obwohl alle natürlichen Sprachen eine Funktion gemeinsam haben — ein Mittel, ein Werkzeug zur Verwirklichung des abstrakten verallgemeinernden Denkens sowohl im Prozeß der Mitteilung als auch im Prozeß des inneren Sprechens zu sein —, findet man in der Struktur der Sprachen wesentliche Unterschiede nicht nur auf der Ebene des sprachlichen Ausdrucks, sondern auch auf der des sprachlichen Inhalts. Die Unterschiede in der Struktur der Sprachen können nicht ausschließlich aus der verschiedenen H e r k u n f t der Sprachen erklärt werden, weil die Unterschiede oder auch die Ähnlichkeit in der Struktur dieser oder jener 75
Sprachen im Prinzip nicht mit ihrer genetischen Gemeinsamkeit bzw. mit dem Fehlen einer solchen Gemeinsamkeit zusammenfallen können. Man findet einerseits ja gerade bedeutende Divergenzen in der Struktur nahverwandter Sprachen (z. B. zwischen dem Englischen und dem Deutschen)1 oder in der Struktur ein und derselben Sprache in verschiedenen Etappen ihrer historischen Entwicklung (z. B. im Englischen), und andererseits beobachtet man äußerst ähnliche Strukturen im Bau von Sprachen, die keine gemeinsame Herkunft haben. E s sei in diesem Zusammenhang auf die Kacin-Sprache verwiesen, in der sich in bedeutendem Maße Züge einer agglutinierenden Struktur herausgebildet haben, die sonst für Sprachen anderer Sprachfamilien, wie z. B. für die Turksprachen typisch ist. Dadurch unterscheidet sich das Kacinische von den übrigen sino-tibetischen Sprachen.2 Wie E. Benveniste bemerkt, . . . „verhindert die genetische Verwandtschaft nicht die Herausbildung neuer Gruppierungen nach typologischen Strukturen; die Bildung solcher Gruppierungen nach typologischen Ähnlichkeiten tritt aber nicht an die Stelle genetischer Verwandtschaft." 3 E. Benveniste weist noch darauf hin, daß „ . . . die genealogische Klassifikation nur im Zwischenstadium zwischen zwei bestimmten zeitlichen Momenten von Wert ist" und daß „ . . . wir den Grad der Verwandtschaft zwischen den Gliedern großer Sprachfamilien als eine veränderliche Größe betrachten müssen, die eine ganz unterschiedliche Bedeutung annehmen kann . . ." 4 Bei der Ermittlung der Verwandtschaft und des Verwandtschaftsgrades von Sprachen bezieht man sich praktisch auf zwei Kriterien: 1. auf die realen historischen Beziehungen der entsprechenden Sprachen im Hinblick auf ihre gemeinsame Herkunft, soweit die Beziehung aus historischen Quellen bekannt ist; 2. auf den Grad der materiellen und strukturellen Ähnlichkeit dieser Sprachen. Wenn man jedes dieser beiden Kriterien getrennt vom anderen heranzieht (und in vielen Fällen verfügen die Linguisten nur über Fakten zum 2. Kriterium), kann dies zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen bei der Ermittlung des Verwandtschaftsgrades der Sprachen führen. So könnte beispielsweise, wenn wir nicht über die Geschichte der Herkunft der französischen Sprache Bescheid wüßten, der Grad ihrer materiellen und strukturellen Ähnlichkeit mit der lateinischen Sprache zu dem Schluß führen, daß ihr Verwandtschaftsgrad mit dem Lateinischen viel geringer ist als der anderer romanischer Sprachen, wie z. B. der italienischen Sprache. Theoretisch ist es vollkommen berechtigt, anzunehmen, daß Sprachen, die von einer gemeinsamen Quelle abstammen, sich im Verlaufe ihrer Geschichte in materieller und struktureller Beziehung so sehr ausein76
anderentwickelt haben, daß keinerlei Fakten übrigbleiben, die ihre Verwandtschaft oder zumindest den Grad ihrer Verwandtschaft, den sie entsprechend ihrer geschichtlichen Herkunft aufweisen, bezeugen könnten. Aus dem Gesagten geht hervor, daß das Gemeinsame bzw. der Unterschied hinsichtlich der Herkunft der Sprachen nicht der entscheidende Faktor ist, der eindeutig die strukturelle Ähnlichkeit bzw. den strukturellen Unterschied natürlicher Sprachen und die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung ihrer Strukturen bestimmt. Man kann deshalb auch von der Begrenztheit der vergleichend-historischen Methode bei der Untersuchung der Entwicklungsgesetzmäßigkeiten der Strukturen natürlicher Sprachen, insbesondere hinsichtlich ihrer Ähnlichkeit und ihrer Unterschiede sprechen. Gerade damit wird die selbständige Bedeutung und Notwendigkeit der typologischen Forschungen zum Zwecke der Lösung der genannten Probleme begründet. Die Ursache dafür, daß der Faktor des Gemeinsamen bzw. Unterschiedlichen in der Herkunft der Sprachen nur einen begrenzten Einfluß auf die Gesetzmäßigkeiten der sprachlichen Strukturentwicklung hat, hat seine Wurzel offenbar in den fundamentalen Eigenschaften der Sprache und besonders in dem arbiträren Charakter der materiellen Seite der sprachlichen Einheiten, d. h. im Fehlen einer organischen Verbindung bzw. einer Ähnlichkeit zwischen den beiden Komponenten, dem Bezeichnenden und dem Bezeichneten. Dies hängt letzten Endes auch mit der funktionalen Bestimmung der Sprache zusammen; denn die Sprache kann ihre Grundfunktion als Mittel der Verwirklichung des abstrakten verallgemeinernden Denkens und der Übertragung abstrakter Gedanken ja nur dadurch erfüllen, daß das Bezeichnende als eine der Komponenten der sprachlichen Einheit nichts mit der 2. Komponenten, dem Bezeichneten, das einen abstrakten Charakter besitzt, gemeinsam hat. 5 Die Ziele und die Aufgaben typologischer Untersuchungen blieben seit ihrem Entstehen nicht immer dieselben. Sie unterscheiden sich auch je nach den verschiedenen typologischen Richtungen in der gegenwärtigen Etappe. Die typologischen Untersuchungen des 19. Jh. standen ähnlich wie die vergleichend-historischen Forschungen jener Periode in ihren Anfängen unter dem Einfluß der Ideen der Biologie (der Botanik, der Zoologie) ihrer Zeit und insbesondere der Tendenzen zur Systematik in diesen Wissenschaften. Die typologischen Forschungen dieser Periode wiesen einen einseitigen Charakter auf und beschränkten sich auf die Feststellung morphologischer Typen der Sprachen. Sie gliederten alle existierenden Sprachen 77
in diese Typen ein, ähnlich wie das auch in der Biologie bei der Einteilung der Pflanzen und Tiere in Arten, Gattungen, Klassen usw. geschehen war. Die morphologische Klassifikation der Sprachen, die in dieser Periode aufgestellt wurde, stellte sich nicht die Aufgabe, zu erklären, was die gemeinsame Eigenheit der verschiedenen morphologischen Typen sei. Als Antithese zu jener typologischen Richtung kann man die Auffassung, die sich im letzten Jahrzehnt herausgebildet hat, ansehen, derzufolge die Hauptaufgabe typologischer Untersuchungen vielmehr in der Ermittlung des allen Sprachen der Welt Gemeinsamen bestehen müsse. So hat es nach Ansicht R. Jakobsons „die genetische Methode mit der Verwandtschaft zu tun, die reale mit der Ähnlichkeit und die typologische mit dem Isomorphismus."6 Mit Jakobson stellt B. A. Uspenskij eine analoge These auf: „ . . . die Hauptaufgabe der Typologie ist die Aufstellung einer allgemeinen Theorie der Sprache, die Erklärung universaler (d. h. für jede beliebige Sprache reeller) Beziehungen oder Merkmale oder sprachlicher Universalien." 7 Die Ermittlung der allgemeinen Züge, die allen Sprachen der Welt eigen sind, ist zweifelsohne ein grundlegendes, aber nicht das einzige Ziel typologischer Untersuchungen. Solche allgemeinen Züge müssen schon deshalb in allen Sprachen vorhanden sein, weil alle natürlichen Sprachen dieselbe Funktion besitzen, nämlich Mittel zur Verwirklichung des abstrakten verallgemeinernden Denkens und der Übertragung abstrakter Gedanken zu sein. Das Vorhandensein dieser allgemeinen Züge erklärt jedoch nicht die wesentlichen Unterschiede, die zwischen den Sprachen bestehen und auch nicht die Züge, die nicht allen Sprachen, sondern nur bestimmten Gruppierungen von Sprachen gemeinsam sind. Ähnlich ergeht es auch dem Erforscher der menschlichen Gesellschaft. Er darf sich nicht auf die Ermittlung der bestimmenden Faktoren beschränken, die in jeder Entwicklungsetappe der Gesellschaft vorhanden sind, also beispielsweise die Produktionsweise einschließlich der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse. Vielmehr muß er auch die verschiedenen Formen der Gesellschaft entsprechend ihrer wesentlichen Merkmale, durch die sie sich gegenseitig abgrenzen, feststellen, also z. B. die gesellschaftsökonomischen Formationen in Abhängigkeit von den Unterschieden in der Produktionsweise. Analog steht vor den Linguisten die Aufgabe, nach der Ermittlung der allgemeinen Züge aller Sprachen diese in bestimmte Gruppen nach ihren wesentlichen Merkmalen einzuordnen. 1.1. Meäöaninov schreibt zu der oben angeführten Bemerkung von R. Jakobson richtig: „In ihrer geschichtlichen Entwicklung gingen die Sprachen eigene Wege und bildeten bestimmte Strukturen, die man nicht 78
nur in einzelnen Sprachgruppierungen nach Verwandtschaftspunkten vorfindet. Jede Sprache, die zu solch einem Gruppenbestand gehört, erweist sich als eine konsequente Typeneinheit. Jede solche Sprache vereinigt sich mit anderen je nach ihren Gemeinsamkeiten zu einer Gruppe. Aber dieses Allgemeine ist nicht das, was alle Sprachen der Welt vereinigt, sondern das, was nur für eine bestimmte Gruppierung allgemein bleibt"6 (Hervorhebung von uns — V . P.) So besteht die Aufgabe der typologischen Untersuchungen in der Feststellung nicht nur des Isomorphismus der Sprachen der Erde, sondern auch ihres Allomorphismus, wobei einer der Aspekte der Untersuchung des Allomorphismus auch das Ziel verfolgt, den Isomorphismus innerhalb einzelner Gruppen zu ermitteln. Bestimmte Schwächen typologischer Erforschungen der vergangenen Periode und besonders die Unsicherheit der Kriterien einer typologischen Klassifikation der Sprachen riefen noch eine andere Richtung der Typologie ins Leben, die sog. charakterologische Typologie, die sich die Aufgabe der Ermittlung spezifischer Züge, also der Eigenarten jeder einzelnen Sprache stellt. Man muß V . Skaliöka zustimmen, „daß die charakterologische Methode viel Wertvolles zutage bringen kann. Zum Beispiel kann man durch sie bestimmte Züge einer Sprache herausarbeiten, die sich dadurch streng von anderen Sprachen unterscheidet." 9 E s ist jedoch klar, daß die Feststellung spezifischer Züge dieser oder jener Sprache, also ihrer Eigenart, nur unter der Bedingung breiter typologischer Gegenüberstellungen der Sprachen möglich ist; denn es müssen die Merkmale als allen Sprachen gemeinsam oder wenigstens als einer besonderen Gruppierung von Sprachen eigen angesetzt werden. Überdies ist es offensichtlich, daß die Feststellung spezifischer Züge irgendeiner konkreten Sprache nicht die Anfangsetappe, sondern die Abschlußetappe der typologischen Untersuchungen sein muß und daß die Zugehörigkeit der einen oder anderen Sprache zu einem bestimmten T y p nicht anhand der Merkmale, die nur für eine gegebene konkrete Sprache spezifisch sind, bestimmt werden kann. Die verschiedenen Richtungen in den modernen typologischen Untersuchungen schließen sich allerdings nicht aus, sondern können sich eher gegenseitig ergänzen, wenn man von dem begrenzten Aufgabengebiet, das sich jede Richtung stellt, absieht. Der typologischen Klassifikation der Sprachen liegt dasselbe logische Prinzip, dasselbe logische Schema zugrunde, das auch bei der genealogischen Klassifikation der Sprachen Verwendung findet. Besonders gilt das Prinzip der Art-Gattungsbeziehungen der Begriffe, das Prinzip der Teilung des Umfanges des breiteren (Gattungs-)Begriffes in die zu diesem 79
Begriffsumfang gehörenden engeren (Art-)Begriffe. Aber während bei der genealogischen Klassifikation der Sprachen als Grundlage für die Einteilung des Begriffs „natürliche Sprachen" in Begriffe wie indoeuropäische, semitische, finno-ugrische und andere Sprachfamilien das Merkmal der gemeinsamen Herkunft dient und als Grundlage für die nachfolgende Teilung der Sprachfamilien in noch engere Gruppierungen das Merkmal des Verwandtschaftsgrades herangezogen wird, so werden bei der typologischen Klassifikation strukturelle Bezüge der Sprachen unabhängig vom Merkmal der Gemeinsamkeit bzw. Nichtgemeinsamkeit in Betracht gezogen. Im Idealfalle müßte die typologische Klassifikation der Sprachen in Form eines logischen Schemas dargestellt werden, wobei als Grundlage der Begriff „natürliche Sprachen" in Gegenüberstellung zum Begriff „künstliche Sprachen" innerhalb eines breiteren Begriffes „Zeichensysteme" benutzt werden müßte. Der Begriff „natürliche Sprachen" als Gattungsbegriff müßte seinerseits in die Artbegriffe verschiedener Sprachtypen aufgeteilt werden, die sich gegeneinander in nur je einem ihrer Merkmale abgrenzen. Die letzte Etappe einer solchen typologischen Klassifikation besteht dann in der Unterteilung des Begriffes Sprachtyp in die einzelnen Begriffe konkreter Sprachen mit den jeweilig bestimmenden Merkmalen, die nur für diese Sprachen zutreffen. Indessen ist der Zustand der typologischen Untersuchungen gegenwärtig so, daß man selbst die Möglichkeit einer typologischen Klassifikation der Sprachen auch in absehbarer Zeit in Zweifel setzen kann und daß von einigen Autoren die Möglichkeit der Zuordnung der einen oder anderen konkreten Sprache als Ganzes zu einem bestimmten Strukturtyp negiert wird. So hat nach Meinung des bedeutendsten Typologen unserer Zeit, V. Skaliöka, „das klassifikatorische Prinzip, die Sprachen als Ganzes zu einem bestimmten Typ zuzurechnen, sich selbst aufgehoben." 10 Skalicka führt diese Auffasung weiter aus und schreibt: „ . . . einzelne Erscheinungen der Sprache (morphologische, syntaktische, phonetischkombinatorische und die Wortbildung betreffende) befinden sich in einer wechselseitigen Beziehung, wobei sich ihre Nachbarschaft sowohl positiv als auch negativ auswirken kann. Die Summe der frei nebeneinander koexistierenden Erscheinungen wird Typ genannt. Nach unserer Ansicht gibt es fünf solcher Typen: denflektiven, den introflektiven, den agglutinativen, den isolierenden und den polysynthetischen." 11 Skaliöka charakterisiert jeden dieser Sprachtypen nach der Gesamtheit der bestimmenden Züge, sieht „in jeder konkreten Sprache die gleichzeitige Bealisierung verschiedener Tpyen" 12 und begründet dies zweifach: 1. „wenn man zugibt, daß die Erscheinungen einer Sprache quantitativen 80
Charakter haben, so muß auch der Typ in einer Sprache nur in einem bestimmten Grade verwirklicht sein . . . ; 2. sind die Wechselbeziehungen sprachlicher Erscheinungen in den meisten Fällen nur dem Wahrscheinlichkeitsgesetz und nicht der Notwendigkeit unterworfen." 13 Soweit sich die kritischen Bemerkungen Skalickas an die Adresse der traditionellen morphologischen Klassifikation des 19. Jh. richten, die nach Worten von E. Benveniste „weder erschöpfend, noch konsequent, noch streng ist" 14 , sind sie vollständig berechtigt. Überaus fruchtbar ist die von Skaliöka entwickelte Richtung der typologischen Forschungen, die sich die Aufgabe der Ermittlung verschiedener Komplexe sich wechselseitig bedingender Züge der sprachlichen Strukturen stellt. Jedoch berechtigen die bekannten Fehler, ja sogar die vollkommene Mangelhaftigkeit der traditionellen morphologischen Klassifikation als solcher noch nicht zur Verneinung der prinzipiellen Möglichkeit der Bildung einer typologischen Sprachklassifikation wie die abschließende Etappe der typologischen Untersuchungen, die nach einem bestimmten principium divisionis jede Sprache als Ganzes einem definierten Typ zuzuordnen hätte. Es zeigt sich, daß die Verneinung der Möglichkeit solch einer Sprachklassifikation letztlich sogar das Prinzip einer Systemgebundenheit sprachlicher Erscheinungen, das Prinzip des Vorhandenseins notwendiger gesetzmäßiger Verbindungen sprachlicher Elemente untergräbt. Insbesondere müssen solche Verbindungen (aber nicht die wahrscheinlichen oder zufälligen Verbindungen) bei einer typologischen Sprachklassifikation berücksichtigt werden. Es ist klar, daß das Prinzip einer Systemanalyse sprachlicher Strukturen mit dem Ziel, ihre Zugehörigkeit zu diesem oder jenem Sprachtyp zu bestimmen, voraussetzt, daß nicht nur die Wechselbeziehung koexistierender Züge berücksichtigt werden, sondern daß auch diejenigen Züge sprachlicher Strukturen, die die bestimmenden, führenden sind, festgestellt werden 1 5 Bei einem solchen Herangehen an die typologische Klassifikation der Sprachen ist es keineswegs ausgeschlossen, daß meiner konkreten Sprache, die zu einem bestimmten Typ aufgrund der in ihr dominierenden Strukturzüge gehört, auch in einem gewissen Grade Züge eines anderen Sprachtyps vorhanden sein können, die jedoch nicht die bestimmende Bolle in der Struktur dieser Sprache spielen. Es ist klar, daß das Prinzip eines „reinen" Typs bei der Klassifikation auch auf anderen Gebieten keine Lösung bringen kann. 16 In dieser Hinsicht ist das Unterfangen einer typologischen Klassifikation der Sprachen kein ausschließliches. Als allgemeinste Aufgabe der typologischen Untersuchungen natürlicher Sprachen kann man die Aufstellung von Gesetzmäßigkeiten ansehen, die 6 Panfllov, Sprache und Denken
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bei der Realisierung der Funktion der Verwirklichung des abstrakten verallgemeinernden Denkens im Prozeß des inneren und äußeren Ausdrucks des Sprechens wirksam sind. Das endgültige Ziel typologischer Untersuchungen, nämlich die Bildung einer typologischen Klassifikation der Sprachen der Erde, kann nur erreicht werden, wenn Kriterien für die typologische Gegenüberstellung in den verschiedenen Etappen dieser Forschungen aufgestellt werden. Vom logischen Standpunkt aus könnte die erste Etappe 17 der typologischen Gegenüberstellungen die Etappe der Ermittlung des den natürlichen Sprachen und anderen Zeichensystemen, die in der menschlichen Gesellschaft verwendet werden, Gemeinsamen betrachtet werden. Wenn man jedoch berücksichtigt, daß die natürlichen Sprachen Zeichensysteme sui generis sind und daß das, was sie mit den künstlichen Zeichensystemen vereinigt, schon allein deshalb kaum als wesentliche Charakteristik natürlicher Sprachen gelten kann, weil andere Zeichensysteme der menschlichen Gesellschaft im Verhältnis zu den natürlichen Sprachen sekundär und damit nicht imstande sind, ihre Funktion voll zu erfüllen, so kann man diese Etappe der typologischen Gegenüberstellungen ohne wesentlichen Verlust für den weiteren Gang der typologischen Forschungen ausschließen. Die zweite Etappe der typologischen Forschungen besteht in der Ermittlung des Allgemeinen, das für alle Sprachen zutrifft, d. h. in der Ermittlung des „Substrates, das allen Sprachen gemeinsam ist" 18 , wie es 1.1. Mesöaninov ausdrückte, oder, wenn wir es mit einer modernen Terminologie bezeichnen wollen, in der Feststellung des Isomorphismus der Sprachen. Ganz abstrakt gesehen handelt es sich um die allgemeinen Züge aller Sprachen der Erde, um die Elemente sprachlicher Struktur, ohne die die Sprache nicht ihre Funktion als Mittel der Verwirklichung des abstrakten verallgemeinernden Denkens ausführen kann. Durch diese Funktion ist die Existenz sprachlicher Einheiten wie das Wort, die Wortgruppe und der Satz in allen Sprachen gewährleistet. Auch die logisch-grammatische Ebene des Satzes, in der die Struktur des im Satz ausgedrückten Gedankens durch besondere sprachliche Mittel markiert wird, ist auf diese Funktion zurückzuführen.19 Die Sätze in den verschiedenen Sprachen müssen — wie sehr sie sich auch voneinander in typologischer Hinsicht unterscheiden — auf der logisch-grammatischen Ebene ein und dieselbe Struktur besitzen, wenn sie ein und denselben Gedanken ausdrücken. Bei der Allgemeinheit der Struktur all dieser Sätze auf der logisch-grammatischen Ebene sind die sprachlichen Mittel ihres Ausdrucks trotzdem verschieden, so wie auch ihre Gliederung (Struktur) auf der syntaktischen Ebene verschieden sein kann. 20 82
Die Untersuchungen zur Ermittlung sprachlicher Universalien, die in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren in der Sprachwissenschaft außerhalb der Sowjetunion durchgeführt wurden, werden in vielem die Konkretisierung der oben formulierten Ansicht ermöglichen, besonders, wenn sie unter Berücksichtigung der Möglichkeiten der Realisierung grundlegender sprachlicher Funktionen durchgeführt werden. Es ist indessen offensichtlich, daß keineswegs alle Arten der Universalien allen Sprachen der Erde gemeinsam sind. Insbesondere passen hierzu nicht die implikativen Universalien des Typs „wenn A, dann B", sofern nicht das Vorhandensein von A in allen Sprachen der Erde bestätigt wird. In dieses allen Sprachen Gemeinsame dürfen auch nicht die sog. statistischen Universalien einbezogen werden. Es sei hier vermerkt, daß die Untersuchungen zur Feststellung sprachlicher Universalien in vielem schon in den typologischen Untersuchungen von 1.1. Mesöaninov vorweggenommen worden sind, insbesondere, was seine Lehre von den begrifflichen Kategorien betrifft. Wie Mesöaninov bemerkt, sind die in der Sprache ausgedrückten Begriffe wie Subjekt, Prädikat, Attribut, Objekt und die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen (es geht dabei um die prädikativen, objektiven und attributiven Beziehungen — V. P.) der menschlichen Rede allgemein eigen. Sie treten ohne Ausnahme in allen Sprachen auf und bedürfen deshalb keiner „statistischen Berechnungen." 21 Weniger überzeugend ist die Ansicht Mesöaninovs, daß das „grammatische Subjekt, Prädikat, Objekt und Attribut allgemeinsprachliche Kategorien" sind 22 . (Es wurde hier der Terminus „grammatisch" hinzugefügt, um den Unterschied zum Vorhergehenden deutlich zu machen, was der Autor einmal durch den Gebrauch der Internationalismen „Subjekt" usw. und zum anderen durch die russ. Termini „podlezaScee" usw. unterscheidet, ohne hier eine nähere Erläuterung zu geben. — d. Übers.) Insbesondere entsteht hier die Frage, inwieweit diese Behauptung im Hinblick auf Sprachen berechtigt ist, in denen eine Morphologisierung der Satzglieder fehlt oder nur schwach ausgedrückt ist. Da die Existenz eines „allgemein sprachlichen Substrates" nicht die Unterschiede der Wege zur Realisierung sprachlicher Funktionen ausschließt, ergibt sich für die dritte Etappe der typologischen Untersuchungen als grundlegende Aufgabe die Ermittlung und Klassifikation dieser Wege oder mit anderen Worten, der verschiedenen Typen der sprachlichen Strukturen. Das Vorhandensein einer bestimmten Anzahl von sprachlichen Strukturtypen und auch die historisch belegten Fakten einer gewissen spiralförmigen Entwicklung mancher Sprachen, die in gewissem Sinne zu einem früher schon einmal erlebten Zustand ihrer Struktur zu6*
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rückkehren, sind Hinweise darauf, daß der Zahl der Realisierungswege der sprachlichen Funktionen bestimmte Grenzen gesetzt werden, die durch die Natur der zu erfüllenden Funktionen bedingt sind. Es gibt bestimmte logische Forderungen, die bei einer beliebigen Klassifikation dieser oder jener Gegenstände geltend gemacht werden müssen, und es gibt bestimmte Regeln für die logische Operation der Begriffsteilung, die einer beliebigen Klassifikation zugrundeliegt. Die wissenschaftliche Klassifikation stellt sich die Aufgabe, Gegenstände nach ihren wesentlichen Merkmalen in Klassen einzuteilen. Dabei besteht eine der Grundregeln für die logische Operation der Begriffsteilung darin, daß diese Teilung auf einer Grundlage ausgeführt werden muß, d. h. daß bei der Einteilung der Gegenstände in bestimmte Klassen ein und dasselbe Merkmal und bei der Bestimmung aller Klassen von Gegenständen die Gesamtheit ein und derselben Merkmale als Kriterium verwendet werden muß. Die zweite Grundregel der logischen Operation der Begriffsteilung lautet, daß die Elemente der Teilung einander ausschließen müssen und daß die Teilung vollständig ist. Das bedeutet, daß 1. als Resultat der Klassifikation der Gegenstände nach diesem oder jenem Merkmal dieselben alle in Klassen aufgeteilt werden müssen und sich kein einziger außerhalb der aufgestellten Klassen befinden darf, und 2. daß jeder der klassifizierten Gegenstände nur in einer der Klassen enthalten sein kann, also nicht gleichzeitig zu zwei oder mehr Klassen gehören darf. Bekanntlich wurde in der Typologie des 19. Jh. und in der ihr folgenden traditionellen Typologie als Merkmal, nach dem alle Sprachen der Erde in bestimmte Gruppierungen (Sprachtypen) eingeteilt wurden, der Charakter der morphologischen Struktur des Wortes benutzt. Genauer gesagt, beruhte diese typologische Klassifikation auf den Unterschieden in der Komposition von Wortwurzel und Affixen. Praktisch findet dabei auch der Charakter der Bedeutungen der affigierten Elemente innerhalb des Wortkörpers Berücksichtigung, wie z. B. Eindeutigkeit und Konkretheit der Bedeutungen der agglutinierenden sowie Mehrdeutigkeit und Abstraktheit der Bedeutungen der flektierenden Affixelemente des Wortes. Die traditionelle morphologische Klassifikation der Sprachen litt an einer Reihe wesentlicher Mängel, weshalb der wissenschaftliche Wert der typologischen Klassifikation der Sprachen überhaupt sowie ihre prinzipielle Realisierbarkeit in Zweifel gesetzt wurden. Insbesondere zeigte es sich, daß nicht alle Sprachen der Erde in solche Klassifikationstypen eingeteilt werden können und daß einige Sprachen gleichzeitig mehreren morphologischen Typen zugeordnet werden können, da sie verschiedene Arten der wortbildenden Elemente benutzen. Dies würde 84
bedeuten, daß die Grundprinzipien der Klassifikation von Objekten verletzt werden würden.23 Die Ursachen derartiger Mängel der alten morphologischen Klassifikation lagen offensichtlich in den Ausgangsprinzipien der alten Klassifikation, d. h. in der Wahl des principium divisionis. Wesentlicher ist jedoch die Kritik an der traditionellen morphologischen Klassifikation, die auf die Einseitigkeit und das Fehlen eines systematischen Herangehens bei den typologischen Gegenüberstellungen sowie auf die Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit der Begriffe, auf denen diese Klassifikation basierte, hinwies.24 Die Mängel der traditionellen morphologischen Klassifikation der Sprachen führten zur Bildung anderer typologischer Klassifikationen bei denen als Kriterien die Unterschiede in der syntaktischen Struktur des Satzes (z. B. bei 1.1. Mesöaninov, T. Milevski und S. E. Bazell) und sogar die Unterschiede in den phonematischen Systemen der Sprachen benutzt wurden. Es gibt jedoch kaum einen ernsthaften Grund dafür, auf das Wort als Basis der typologischen Klassifikation der Sprachen zu verzichten. In Anbetracht des Systemcharakters der Sprache müssen für die typologische Klassifikation der Sprachen solche Komponenten der sprachlichen Struktur herangezogen werden, denen eine leitende Funktion zukommt und deren Charakter die Eigenschaften der übrigen Einheiten der sprachlichen Struktur bestimmt. Dieser Forderung entspricht weder das Phonem noch das Morphem, sondern nur das Wort. Das Wort ist die kleinste sprachliche Einheit, die Bedeutung besitzt, und sowohl in syntagmatischer Ebene als auch in paradigmatischer Ebene aktualisiert wird. Ferner ist das Wort die kleinste sprachliche Einheit, die imstande ist, einen Begriff in der linearen syntagmatischen Ebene auszudrücken. Schließlich ist das Wort auch die kleinste sprachliche Einheit, die Träger der Prädikativität (Einwortsätze) sein kann. 25 Diese Eigenschaften des Wortes als sprachlicher Einheit erlauben die Annahme, daß das Wort die Eigenschaften des sprachlichen Zeichens in größerem Maße als andere sprachliche Einheiten besitzt. Somit erweist sich das Wort als grundlegende sprachliche Einheit, mit der unmittelbar die Existenz und die Funktionsfähigkeit der anderen sprachlichen Einheiten (Phoneme, Morpheme, Modelle des Syntagmas und des Satzes) verbunden sind. Wenn man davon ausgeht, daß die Aufgabe der Typologie in der Feststellung der Verfahrensweisen und der Gesetzmäßigkeiten der Realisierung der Funktion der Sprache als Mittel der Verwirklichung des abstrakten verallgemeinernden Denkens besteht, so kann man sagen, 85
daß die Unterschiede im Charakter des Wortes auch die wesentlichsten Unterschiede sind, die die deutlichsten Hinweise zur Aufstellung der Unterschiede in den Verfahrensweisen und Gesetzmäßigkeiten geben. Man könnte glauben, daß im Sinne der o. g. Realisierungsfunktion dem Satz eine wichtigere Rolle im System der Sprache zukäme als dem Wort. Der Satz ist aber die kleinste sprachliche Einheit, mit der ein relativ abgeschlossener gedanklicher Akt ausgedrückt wird. Jedoch ist der Satz als sprachliche Einheit nicht mit dem konkreten Inhalt, den er ausdrückt, gleichzusetzen. Wenn man den Satz als sprachliches Zeichen betrachtet, so ist das Bezeichnende dieses Zeichens nicht der konkrete Inhalt des Satzes, sondern die Bedeutung seines Modells. Demnach kann der Inhalt des Satzes nicht Gegenstand der typologischen Gegenüberstellungen werden.26 Was die Satzstruktur betrifft, so hängt sie zweifelsohne vom Charakter des Wortes ab, je nachdem, wie in dem Wort der entsprechenden Sprache die Träger der lexischen und grammatischen Bedeutungen vertreten sind. Mit anderen Worten: Es besteht zwischen der Struktur des Wortes und der des Satzes eine bestimmte Korrelation. Nicht zufällig werden deshalb in der syntaktischen Typologie von Mesüaninov die Ausdrucksweisen für allgemein sprachliche Beziehungen wie prädikative, objektive und attributive berücksichtigt und auf dieser Grundlage Satzstrukturen wie z. B. amorphe, syntaktisch-morphologische, flektiv-analytische, analytische usw. hervorgehoben.27 Deshalb muß man, wenn man die Satzstruktur bei der typologischen Gegenüberstellung von Sprachen nicht unberücksichtigt lassen will, beachten, daß die Satzstruktur nicht als unabhängiges typologisches Merkmal betrachtet werden kann, weil die Unterschiede in der Satzstruktur durch die Natur des Wortes bedingt sind und zugleich durch die Unterschiede der Natur des Wortes wie man sie in den Sprachen verschiedener Typen vorfindet, charakterisiert werden können. Folglich muß es nicht darum gehen, auf das Wort als Grundlage der typologischen Klassifikation zu verzichten, sondern darum, welche Kennzeichen des Wortes bei einer solchen Klassifikation berücksichtigt werden müssen. J . Greenberg bemerkte dazu: „Wie unvollkommen jetzt auch die Überlegungen der Gelehrten des 19. Jh. zu diesem Thema scheinen mögen, so kann man doch nicht das Hauptverdienst der vorgebrachten Schemata leugnen. Als Grundlage für die Klassifikation wurde instinktiv etwas gefunden, was eine kardinale Bedeutung für die allseitige allgemeine Charakteristik der Sprache hat, nämlich die morphologische Struktur des Wortes . . ."28 86
Einen wesentlichen Schritt vorwärts bei der Überwindung der Mängel und der Einseitigkeit der traditionellen morphologischen Klassifikation ging E. Sapir. Während er das Mittel zur Vereinigung der Wortbildungskomponenten als eines der typologischen Merkmale beibehielt, führt Sapir noch zwei andere Merkmale ein, die ebenfalls das Wort charakterisieren. Nach dem Merkmal des Unterschieds in der Technik, in der Art und Weise der Vereinigung von Wurzel und affigierenden Komponenten teilt Sapir die Sprachen in isolierende, agglutinierende, fusionierende und symbolische ein, wobei er unter symbolisch die Erscheinung der inneren Flexion versteht. Das zweite Merkmal des Wortes, das nach Sapirs Ansicht ebenfalls bei der typologischen Klassifikation der Sprachen berücksichtigt werden muß, ist der Grad der Synthese, der Grad der Kompliziertheit eines Wortes als Ganzes, besonders nach Maßgabe der zur Wortbildung verwendeten Nichtwurzelelemente. Nach diesem Merkmal legt Sapir drei Sprachtypen fest: den analytischen, den synthetischen und den polysynthetischen Typ. Als wesentlichstes Merkmal zur typologischen Klassifikation der Sprachen betrachtet Sapir ein drittes Merkmal, das die Inhaltsebene des Wortes und die entsprechenden Komponenten betrifft. Er bestimmt vier Begriffstypen, die innerhalb eines Wortes in den verschiedenen Sprachen ausgedrückt werden: 1. Die konkreten Begriffe, die durch Wurzeln wiedergegeben werden; 2. abgeleitete Begriffe, die durch Wortbildungsaffixe ausgedrückt werden; 3. konkret-relativierende Begriffe vom Typ der Bedeutung der Zahl oder des Geschlechts; 4. rein relativierende Begriffe, die zur Wiedergabe von Beziehungen zwischen Wörtern innerhalb eines Satzes dienen. Sapir schlägt vor, bei der Einteilung der Sprachen nach Klassen davon auszugehen, welche dieser Begriffe bei einem Wort eine besondere Widerspiegelung finden. Dementsprechend kommt er zu vier Sprachtypen: Klasse A (1. und 4. Begriffstyp), Klasse B (1., 2. und 4. Begriffstyp), Klasse C (1., 3. und 4. Begriffstyp), Klasse D (1., 2., 3. und 4. Begriffstyp). Sapirs typologische Konzeption hat auch einige Mängel. Vor allem entsteht die Frage, in welchen Beziehungen sich die von ihm angegebenen drei Merkmale des Wortes befinden. Nach Ansicht von Benveniste befinden sich diese Merkmale in einer hierarchischen Beziehung, 29 während J . Greenberg annimmt, daß sie unabhängig voneinander seien.30 Beide Ansichten sind nur teilweise richtig. Sofern man von der Beziehung der Technik, also der Art der Vereinigung der Wortkomponenten und des Grades der Wortsynthese spricht, so sind diese Merkmale offenbar voneinander unabhängig, befinden sich also nicht in einer hierarchischen 87
Beziehung. Wenn man dagegen das Merkmal des Grades der Wortsynthese und das Merkmal der besonderen Berücksichtigung des jeweiligen Begriffsausdruckes ins Auge faßt, so können diese Merkmale nicht als voneinander unabhängig angesehen werden: Es ist klar, daß proportional zur Größe des Grades der Wortsynthese auch die Größe des Anteils der Widerspiegelung konkret-relativierender und rein relativierender Begriffe anwächst. Wenn man den Charakter der Beziehungen der zwei letzten Merkmale berücksichtigt und auch, daß „Sapir bei seiner Einteilung der Sprachen in die 4 Grundtypen scheinbar von Begriffen spricht, in Wirklichkeit aber von formalen und nicht von semantischen Kategorien ausgeht.. . " 3 1 (da in den verschiedenen Sprachen ein und derselbe Begriff, wie z. B . der der Mehrheit, zu ganz verschiedenen formalen Klassen gehören kann), so gibt es offenbar keinen Grund dafür, das dritte Merkmal des Wortes in der Sapirschen Klassifikation als ein unabhängiges typologisches analog zu den beiden anderen Merkmalen anzusehen. Man muß Greenberg darin zustimmen, daß die Bestimmung der isolierenden Sprachen nach der Technik ihres Wortaufbaus nicht zu rechtfertigen ist: „Die Isolierung ist — wie auch die anderen Methoden — ein Verbindungsverfahren, aber sie wird fast ausschließlich auf das Wort angewendet, da die relative Folge in der Anordnung der Elemente innerhalb eines Wortes nur in den seltensten Fällen eine Bedeutung besitzt." 32 Bei der Einschätzung der Sapirschen typologischen Konzeption im ganzen verweist Benveniste auf ihre begrenzte Anwendungsmöglichkeit: „Wenn man untereinander zwar nicht verwandte, aber typologisch ähnliche Sprachen vergleicht, so wird klar, daß die Analogie im Verfahren des formellen Aufbaus nur ein äußerer Zug ist und deshalb die innere Struktur überhaupt nicht erklärt." 33 Von einer prinzipiell anderen Position geht V. Skaliöka bei der Betrachtung der typologischen Forschungen aus. Seiner Ansicht nach „hat die Typologie in erster Linie zu den Bereichen der Morphologie und Phonetik eine engere Beziehung (daher ist es auch verständlich, weshalb man sehr oft dem Terminus 'morphologische Klassifikation' begegnet.); Syntax und Lexik sind nur sekundäre Bereiche der Anwendung der Typologie." 34 Die oben angeführten These von E. Benveniste ist in gewissem Sinne begründet, weil sie sich auf die Tatsache der Asymmetrie des sprachlichen Zeichens, also auf das Fehlen eines Isomorphismus zwischen der Ausdrucks* und der Inhaltsebene der Sprache stützt. Man muß dabei aber auch folgende zwei Momente beachten: Erstens bedeutet das Prinzip der Asymmetrie eines sprachlichen Zeichens nicht, daß zwischen der Inhalts- und der Ausdrucksebene jegliche Entsprechung fehlt; zweitens 88
wird die Asymmetrie eines sprachlichen Zeichens, wie es das Wort ist, in der syntagmatisehen Anordnung beseitigt, sobald es zum Bestandteil eines Satzes wird. Ohne diesen Umstand ist eine Verwirklichung der Funktion der Mitteilung unmöglich. Was die Kriterien der typologischen Klassifikation Sapirs betrifft — der Grad der Synthese und die Technik der Wortbildung —, so unterscheiden sich die nach diesen gewissermaßen rein formalen Kennzeichen bestimmten Sprachtypen voneinander in wesentlichen Momenten, die eine unmittelbare Beziehung zu ihren Struktureigenschaften und besonders zu den Eigenschaften auf der Inhaltsebene haben. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß beispielsweise der synthetischagglutinierende Typ der nivchischen Sprache und insbesondere der Sprachen des analytisch-agglutinierenden Typs, wie etwa das Chinesische, sich wesentlich von den flektierend-synthetischen Sprachen im Charakter ihrer grammatischen Kategorien unterscheiden, angefangen schon bei den Wortarten und endend bei der Struktur der grammatischen Kategorien wie Numerus, Aspekt usw.35 Man kann sicherlich annehmen, daß sich die aufgrund der genannten Wortmerkmale bestimmten Sprachtypen im Grad des Isomorphismus zwischen der Inhalts- und der Ausdrucksebende unterscheiden dürften. So ist beispielsweise der Grad des Isomorphismus zwischen diesen Ebenen in dem synthetisch-agglutinierenden Typ (1.) oder in dem polysynthetischagglutinierenden Typ (2.) höher als in dem synthetisch-fusionierenden Typ (3.) oder dem synthetisch-symbolischen Typ (4.). Tatsächlich besitzen die Sprachen vom Typ (1-) und (2.) gegenüber den Sprachen vom Typ (3.) und (4.) im großen und ganzen die Tendenz, daß jedes Morphem in der linearen Folge nur eine Bedeutung ausdrückt und umgekehrt jede Bedeutung nur durch ein Morphem ausgedrückt wird. Es wird also in bezug auf die Inhaltsebene die Eigenschaft der Linearität in den Sprachen des Typs (1.) und (2.) konsequenter eingehalten als in den Sprachen der beiden anderen Typen. Dabei kann nicht bestritten werden, daß die Eigenschaft „ein Morphem — eine Bedeutung", die in den Sprachen vom Typ (1.) und (2.) beobachtet wird, bedingt und auch ermöglicht ist durch die agglutinierende Technik der Vereinigung von Wurzel und affigierenden Komponenten innerhalb eines Wortes. 36 Die erwähnte typologische Klassifikation wie auch jede andere wissenschaftliche Klassifikation ist nicht Selbstzweck und nur in dem Maße berechtigt, in dem sie objektive Gesetzmäßigkeiten fixiert und die wesentlichen Eigenschaften der zu klassifizierenden Objekte berücksichtigt. F. Engels bemerkte, daß wissenschaftliche Klassifikationen relativen, 89
annähernden Charakter besitzen, weil es in der Natur Übergangsformen gibt, die mit ihren Eigenschaften eine Zwischenstellung zwischen den verschiedenen Gruppen der zu klassifizierenden Gegenstände einnehmen 37 und verwies darauf, daß „hard and fast lines mit der Entwicklungstheorie unvereinbar sind" 38 . Die typologische Klassifikation der Sprachen macht in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Es gibt Sprachen, die mehr oder weniger auch Züge eines anderen Sprachtyps neben den Zügen ihres Haupttyps besitzen, der durch die bestimmenden Eigenschaften ihrer Struktur gegeben ist, und es gibt sogar Sprachen, die eine ausgesprochene Zwischenstellung in der Typenklassifikation einnehmen. Da dies aber durch die Natur der zu klassifizierenden Objekte selbst bedingt ist, und nicht auf die Verletzung der logischen Operationsregeln bei der Begriffseinteilung und schon gar nicht auf eine fehlerhafte Auswahl des principium divisionis zurückzuführen ist, darf das Vorhandensein von Sprachen mit einer Zwischenstellung nicht dazu führen, den wissenschaftlichen Wert einer typologischen Klassifikation von Sprachen in Zweifel zu setzen. Wie schon erwähnt, hat man in der Geschichte der Sprachwissenschaft des öfteren Versuche unternommen, die Unterschiede in der typologischen Charakteristik der Sprachen durch einen Unterschied des Denkcharakters (des Denktyps), den dieser Sprachtyp zu verwirklichen habe, zu erklären. In überaus eigenartiger Weise wird dieses Problem schon bei W. v. Humboldt aufgeworfen. Nach Humboldt ist die Sprache „nicht bloß ein äußerliches Bedürfnis der Menschheit zur Unterhaltung gemeinschaftlichen Verkehrs, sondern ein in ihrer Natur selbst liegendes, zur Entwicklung ihrer geistigen Kräfte und zur Gewinnung einer Weltanschauung . . . unentbehrliches." Humboldt betrachtet die Sprachen und Sprachfamilien, „die keinen geschichtlichen Zusammenhang verraten" und „ein stufenweis verschiednes Vorrücken des Prinzips ihrer Bildung auffinden lassen", als Resultat einer Erscheinung einer allgemeinen inneren Ursache, „welche nur die Entwicklung der wirkenden Kraft sein kann." 39 In konsequentester Weise fand das Prinzip, wonach verschiedene Sprachtypen, die verschiedene Stufen (Stadien) der sprachlichen Entwicklung darstellen, durch verschiedene Stufen (Stadien) in der Entwicklung des Denkens bedingt sind, in der Theorie N. Ja. Marrs von der stadialen Entwicklung der Sprachen und in der typologischen Klassifikation 1.1. Mesöaninovs seinen Niederschlag. 40 An sich ist die Fragestellung, ob elementare Veränderungen im Typ des Denkens von ebenso wesentlichen Veränderungen im Typ der Sprache begleitet sein müssen, durchaus berechtigt, wenn man davon ausgeht, 90
daß die Sprache ein Mittel zur Verwirklichung des Denkens ist. Allerdings gibt es keinen hinreichenden Grund zu der Annahme, daß die in den existierenden Sprachen dargestellten Sprachtypen durch q u a l i t a t i v e Unterschiede bedingt sind, also durch Unterschiede im Denktyp der entsprechenden Völker. Das Denken der heutigen Völker ist qualitativ ein und dasselbe. Man kann so nur von Unterschieden im Entwicklungsgrad dieser oder jener Seite sprechen. Wir haben ja oben (vgl. S. 50—52 schon versucht, darauf hinzuweisen, daß das Denken der heutigen „primitiven" Völker keinen besonderen Typ im Vergleich zum Denken der zivilisierten Völker darstellt, insbesondere, wenn man an die Fähigkeit zur Abstraktion und Verallgemeinerung denkt. Weiter unten (S. 93f.) wird noch gezeigt werden, daß das Denken der modernen „primitiven" Völker nach eben den formal-logischen Gesetzen verläuft wie das Denken der modernen zivilisierten Völker und daß die Theorie eines prälogischen Denkens der „Primitivvölker", wie sie Levy-Bruhl entwickelt hatte und später von einer Reihe von Ethnographen, Linguisten und Philosophen beibehalten wurde, nicht hinreichend emsthaft durch Fakten untermauert ist. Was nun die in den verschiedenen Klassifikationen herausgearbeiteten Sprachtypen betrifft, so bestätigt die Geschichte der Entwicklung der Sprachen keineswegs die These, daß diese Typen aufeinanderfolgende Stufen (Stadien) sind, die alle Sprachen der Erde im Verlaufe ihrer Entwicklung in Verbindung mit dem jeweiligen Wechsel des Denktyps durchlaufen. In den 40er Jahren führte das zu einer Krise der Stadialtheorie und zur Aufgabe früher aufgestellter konkreter Schemata der stadialen Entwicklung der Sprachen (obwohl das Prinzip der stadialen Entwicklung aufrechterhalten wurde.)41 Die Aufgabe besteht darin, Kriterien aufzustellen, die die Grundlage für ein Urteil über den Übergang einer Sprache von einem qualitativen Zustand in einen anderen geben könnten. Die für moderne Sprachen aufgestellten Sprachtypen muß man als besondere Arten der Realisierung der Funktion des Mittels der Verallgemeinerung des abstrakten verallgemeinernden Denkens betrachten, das in diesem oder jenem Grade allen Völkern, also auch den „primitiven", eigen ist. Die Tatsache, daß mit der Aufdeckung der typologischen Konstanten die Unterschiede der Ausdrucksebene in den Vordergrund gerückt werden, kann als einer der Beweise für diese These gelten. Dies schließt freilich nicht aus, daß einige typologische Unterschiede durch eine ungleichmäßige Entwicklung einzelner Seiten des abstrakten verallgemeinernden Denkens bedingt sind. Es besteht vor allem kein Zweifel über eine Verbindung zwischen der Entwicklungsstufe des komplexen 91
Satzes in einzelnen Sprachen und der Entwicklungsstufe bestimmter Denkformen wie Urteil und Schlußfolgerung. Wir weisen darauf hin, daß es in einzelnen Sprachen keine Mittel gibt, um den Unterschied zwischen dem negativen und dem sog. unendlichen (im Sinne K a n t s und Hegels — d. Übers.) Urteil auszudrücken. Man kann ferner mit Sicherheit behaupten, daß der Charakter der Wechselbeziehung von Sprache und Denken in einem bestimmten Grade entsprechend dem Unterschied der Sprachtypen variiert. Die Wechselbeziehung von Denken und Sprache trägt in den Fällen, in denen sie durch synthetische und vor allem durch synthetisch-fusionierende und synthetisch-symbolische Sprachen verwirklicht wird, einen komplizierteren und unmittelbareren Charakter als in den Fällen, in denen sie durch eine Sprache des analytischen Typs verwirklicht wird. So dürfte bei analytisch-agglutinierenden Sprachen (5. Typ) die Satzstruktur im großen und ganzen mehr der Struktur des durch den Satz ausgedrückten Gedankens entsprechen, als dies bei Sprachen des synthetisch-fusionierenden und des synthetisch-symbolischen Typs der Fall ist. I m ganzen erscheinen die Sprachen vom 3. und 4. Typ relativ selbständiger als die Sprachen vom 5. Typ in der Einheit, die sie mit dem Denken bilden. Die nach den angegebenen Merkmalen aufgestellten Sprachtypen unterscheiden sich auch nach dem Charakter der Beziehung der Ebenen der sprachlichen Struktur. So dürfte der Grad des Abweichens zwischen syntaktischer und logisch-grammatischer Ebene in Sprachen des analytisch-agglutinierenden Typs zweifelsohne geringer sein als in Sprachen des synthetisch-agglutinierenden oder des synthetisch-flektierenden Typs. 4 2
Kapitel III
Die Gesetze des Denkens und das Problem der Denktypen
Die Frage nach dem Wesen der Denkgesetze ist vor allem eine Frage der Beziehungen der Denkgesetze zu den Gesetzen des Seins. Von idealistischer Seite werden die Gesetze und die Formen des Denkens, der Inhalt des menschlichen Bewußtseins überhaupt, als rein subjektiv angesehen. Der Inhalt des menschlichen Bewußtseins ist in idealistischer Sicht das Produkt des Geistes, der sowohl mit den absoluten Ideen als auch mit dem menschlichen Bewußtsein identifiziert wird, während die Formen 1 und Gesetze des Denkens als apriorische Formen angesehen werden, mit deren Hilfe der menschliche Verstand den jeweiligen Inhalt konstruiert. Von einer solchen Position aus betrachtet, ist folgerichtig die Frage nach der historischen Entwicklung der Formen und Gesetze des Denkens ungeachtet ihrer Abhängigkeit vom Inhalt des menschlichen Bewußtseins nicht angebracht. Demgegenüber stellt die marxistisch-leninistische Widerspiegelungstheorie fest, daß der Inhalt des menschlichen Bewußtseins eine Widerspiegelung der objektiven Welt darstellt. Nicht das Sein wird durch das Bewußtsein bestimmt oder konstruiert, sondern umgekehrt wird der Inhalt des menschlichen Bewußtseins durch das Sein bestimmt. Beim Herangehen an dieses Problem von der Position der marxistisch-leninistischen Erkenntnistheorie aus werden Formen und Gesetze des Denkens nicht als apriorische Formen des menschlichen Verstandes oder als ein Produkt der Entwicklung absoluter Ideen definiert, in denen und mit deren Hilfe der Inhalt des menschlichen Bewußtseins konstruiert wird, sondern als das Ergebnis einer mehr oder weniger adäquaten Widerspiegelung der grundlegenden Eigenschaften und Beziehungen des Seins selbst, das außerhalb des menschlichen Bewußtseins und vor ihm existiert. „Fragt man aber weiter, was denn Denken und Bewußtsein sind und woher sie stammen, so findet man, daß es Produkte des menschlichen Hirns und daß der Mensch selbst ein Naturprodukt, das sich in und mit seiner
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Umgebung entwickelt hat; wobei es sich dann von selbst versteht, daß die Erzeugnisse des menschlichen Hims, die in letzter Instanz ja auch Naturprodukte sind, dem übrigen Naturzusammenhang nicht widersprechen, sondern entsprechen." 2 Somit unterstreicht Engels hier, daß Denken und Bewußtsein und folglich die Gesetze und Formen des Denkens schon deshalb nichts anderes als eine Widerspiegelung der objektiven Realität sein können, weil sie letzten Endes das Produkt dieser objektiven Realität sind. Bei der Behandlung des Charakters der Gesetze und Formen des Denkens im Hinblick auf ihre Beziehungen zur objektiven Realität muß man aber auch noch den Umstand beachten, daß das menschliche Bewußtsein relativen Charakter hat und sich ununterbrochen entwickelt. „ . . . die Souveränität des Denkens verwirklicht sich in einer Reihe höchst unsouverän denkender Menschen; die Erkenntnis, welche unbedingten Anspruch auf Wahrheit hat, in einer Reihe von relativen Irrtümern; weder die eine noch die andre kann anders als durch eine unendliche Lebensdauer der Menschheit vollständig verwirklicht werden." 3 Aber die Unvollständigkeit der menschlichen Erkenntnis beruht nicht nur darauf, daß sie zum Gegenstand nicht sofort einen vollständigen und adäquaten Zugang hat, sondern auch darauf, daß die menschliche Erkenntnis nicht all die zahllosen Objekte erfassen kann. So verändert sich die Erkenntnis sowohl durch eine ständige Vervollständigung als auch durch das Eintreten neuer Objekte in die Sphäre des Erkennens. Diese Seiten der menschlichen Erkenntnis sind nicht voneinander isoliert, sondern bedingen sich gegenseitig: eine große Angemessenheit der Widerspiegelung irgendwelcher Objekte ermöglicht die Erweiterung der Erkenntnissphäre beim erkennenden Subjekt und umgekehrt erhöht die Erweiterung der Erkenntnissphäre die Angemessenheit der Widerspiegelung der objektiven Welt. „Erkenntnis ist die Widerspiegelung der Natur durch den Menschen. Aber das ist keine einfache, keine unmittelbare, keine totale Widerspiegelung, sondern der Prozeß einer Reihe von Abstraktionen, der Formulierungen, der Bildung von Begriffen, Gesetzen etc., welche Begriffe, Gesetze etc. (Denken, Wissenschaft = „logische Idee") bedingt, annähernd die universelle Gesetzmäßigkeit der sich ewig bewegenden und entwickelnden Natur umfassen. Hier gibt es wirklich, objektiv drei Glieder: 1. die Natur; 2. die menschliche Erkenntnis, = das Gehirn des Menschen (als höchstes Produkt eben jener Natur) und 3. die Form der Widerspiegelung der Natur in der menschlichen Erkenntnis, und diese Form sind eben die Begriffe, Gesetze, Kategorien etc. Der Mensch kann die Natur nicht als 94
ganze, nicht vollständig, kann nicht ihre „unmittelbare Totalität" erfassen = widerspiegeln = abbilden, er kann dem nur ewig näher kommen, indem er Abstraktionen, Begriffe, Gesetze, ein wissenschaftliches Weltbild usw. usw. schafft." 4 Aber da die Erkenntnis der Menschheit sich im Laufe ihrer Geschichte vervollständigt und in die Sphäre des Erkannten neue Objekte und neue Beziehungen einbezogen werden, müssen sich auch zugleich die Formen und Gesetze des Denkens verändern und weiterentwickeln. Tatsächlich sind einerseits die Formen und Gesetze des Denkens die Widerspiegelung der grundlegenden Eigenschaften des Seins selbst; da sich nun die Angemessenheit der Widerspiegelung dieser grundlegenden Eigenschaften erhöht und neue Eigenschaften widergespiegelt werden, so muß dies auch in den Veränderungen und Entwicklungen der Formen und Gesetze des Denkens seinen Ausdruck finden. Andererseits stehen die Formen und Gesetze des Denkens nicht irgendwie außerhalb des Inhalts, der in ihnen realisiert wird. Deshalb müssen sich mit der Veränderung des Inhalts auch die Formen und Gesetze des Denkens verändern. Diese doppelte Bedingtheit der Gesetze und Formen des Denkens, nämlich ihre Bedingtheit durch das Sein und durch den Grad des Erkennens des Seins, aber auch die Notwendigkeit, die Gesetze und Formen des Denkens nicht als irgendwie immer gegeben zu betrachten, sondern als einmal entstanden und sich weiterentwickelnd, drückte V . I. Lenin kurz so aus: „Die Logik ist die Lehre nicht von den äußeren Formen des Denkens, sondern von den Entwicklungsgesetzen 'aller materiellen, natürlichen und geistigen Dinge', d. h. der Entwicklung des gesamten konkreten Inhalts der Welt und ihrer Erkenntnis, d. h. das Fazit, die Summe, die Schlußfolgerung aus der Geschichte der Erkenntnis der W e l t . " 5 Wie schon erwähnt, sind die Gesetze und Formen des Denkens das Ergebnis der Widerspiegelung irgendwelcher grundlegender allgemeinster Eigenschaften des Seins selbst. Am allgemeinsten müssen die Eigenschaften des Seins deshalb sein, weil die Gesetze des Denkens den allgemeinsten Charakter tragen und in allen Sphären des abstrakten verallgemeinernden Inhalts des menschlichen Bewußtseins wirksam sind und somit mit diesem Inhalt übereinstimmen müssen und eine allgemeine Eigenschaft eines beliebigen Inhalts sind. Da aber das menschliche Bewußtsein das Ergebnis der Widerspiegelung des Seins ist, muß man die Gesetze des Denkens ebenfalls als Widerspiegelung jener Eigenschaften des Seins betrachten, die bei jeder beliebigen Erscheinungsform des Seins auftreten. Was die Formen des Denkens betrifft, so tragen sie nicht denselben hohen Verallgemeinerungsgrad wie die Gesetze des Denkens, da jede 95
dieser Formen für einen Inhalt ganz bestimmter Art verwendet wird. Aber zugleich besitzen sie eine überaus große Funktionsbreite und müssen demzufolge auch jegliche grundlegenden und allgemeinen Eigenschaften (oder Beziehungen) des Seins selbst widerspiegeln. Wir beschränken uns hier auf die Betrachtung der Frage, welche besonderen Eigenschaften des Seins durch die sog. Gesetze der formalen Logik wiedergegeben werden, d. h. durch die Gesetze der Identität, des Widerspruchs, des ausgeschlossenen Dritten und des hinreichenden Grundes. Dies erweist sich als notwendig, um im weiteren zu untersuchen, wie die Widerspiegelung dieser grundlegenden Eigenschaften des Seins in der Phylogenese vor sich gehen konnte und wie sich die Gesetze des Denkens herausgebildet haben. I. Eines der grundlegenden Prinzipien des dialektischen Materialismus besteht darin, daß die Dinge und Erscheinungen sich im Prozeß einer unentwegten Veränderung, des Entstehens und der Entwicklung befinden, wobei nicht nur quantitative Veränderungen der Dinge und Erscheinungen auftreten, sondern diese quantitativen Veränderungen zu qualitativen Veränderungen führen. Dadurch sind alle Grenzen zwischen den Gegenständen und Erscheinungen relativ, nicht absolut. Ungeachtet der ununterbrochenen Veränderungen in den Dingen und Erscheinungen gibt es aber auch das Moment der Stabilität und Bestimmtheit : Es verändert sich eine Sache, wenn irgendein Zustand dieser Sache sich hinsichtlich der Menge seiner Eigenschaften von einem anderen Zustand dieser Sache unterscheidet, d. h., wenn jeder ihrer Zustände hinreichend bestimmt ist. Dieses Moment der Stabilität der Dinge und Erscheinungen wird in der Kategorie des Maßes ausgedrückt: Die quantitativen Veränderungen führen nicht sofort zu qualitativen Veränderungen und werden auch nicht ununterbrochen von qualitativen Veränderungen begleitet. Die qualitativen Veränderungen erfolgen nur in bestimmten Knotenpunkten. In der Physik wird dies durch die sog. Konstanten ausgedrückt. „Wir können die Bewegung nicht vorstellen, ausdrücken, ausmessen, abbilden, ohne das Kontinuierliche zu unterbrechen, ohne zu versimpeln, zu vergröbern, ohne das Lebendige zu zerstückeln, abzutöten. Die Abbildung der Bewegung durch das Denken ist immer eine Vergröberung, ein Abtöten — und nicht nur die Abbildung durch das Denken, sondern auch durch die Empfindung, und nicht nur die Abbildung der Bewegung, sondern auch die jedes Begriffes." 6 So ist die erste grundlegende Eigenschaft jeglichen Seins die Bestimmtheit. 96
I I . Aber ein Gegenstand ist nur dadurch bestimmt, daß er sowohl die Momente der Ähnlichkeit als auch des Unterschieds von anderen Gegenständen hat. Die Bestimmung des Gegenstandes als etwas Bestimmtes ist nur im Zusammenhang mit den Beziehungen möglich, die der Gegenstand zu anderen hat, also die Beziehungen, unter denen sich auch die Momente der Ähnlichkeit und des Unterschieds eines gegebenen Gegenstand gegenüber anderen Gegenständen und Erscheinungen in bezug auf irgendwelche Eigenschaften befinden. So ist beispielsweise die psychologische Tatsache gut bekannt, daß die Feststellung irgendeines Gegenstandes, also seine Wahrnehmung, um so leichter vonstatten geht, je mehr er sich von anderen Gegenständen in seiner Umgebung unterscheidet. Über die Veränderungen, über den Übergang von Erscheinungen und Gegenständen zu jeweils anderen kann man erst sprechen, wenn man zwischen den verschiedenen Entwicklungsstufen des Gegenstandes oder der Erscheinung irgendeinen Unterschied ermitteln und irgend etwas Ähnliches finden kann, wobei der Gegenstand hinsichtlich einer bestimmten Eigenschaft einem anderen Gegenstand, gegenüber nicht zugleich ähnlich und verschieden sein kann. Andernfalls würde jede Bestimmtheit des Gegenstandes verlorengehen, weil der Gegenstand dann mit jedem beliebigen anderen Gegenstand als identisch betrachtet werden kann. I I I . Ein Gegenstand unterscheidet sich entweder hinsichtlich irgendeiner Eigenschaft von einem anderen Gegenstand, oder er hat mit einem anderen Gegenstand irgendeine Eigenschaft gemeinsam. Eine dritte Beziehung hinsichtlich einer beliebigen Eigenschaft kann es zwischen zwei Gegenständen nicht geben. IV. Gegenstände und Erscheinungen sind in ihrer Existenz gegenseitig bedingt. Für jeden Gegenstand und jede Erscheinung gibt es eine e i g e n e Gesamtheit der Bedingungen für ihre Existenz — durch diese Gesamtheit der Bedingungen ist jedes Ding und jede Erscheinung eindeutig definiert. Diese Eindeutigkeit der Beziehung ist nur dadurch möglich, daß die Bedingungen, die einem gegebenen Ding oder einer Erscheinung zur Existenz verholfen haben, ihrerseits völlig bestimmt sind und sich als solche von einer anderen Gesamtheit von Bedingungen, die anderen Dingen oder Erscheinungen die Existenz garantieren, unterscheiden. Die Notwendigkeit und Eindeutigkeit der Beziehung von Ursache und Wirkung gehören ebenfalls zu den Grundeigenschaften des Seins. Da sich ein beliebiger Gegenstand oder eine Erscheinung, die ausreichend bestimmt sind, als solche von allen anderen unterscheiden, 7 Panfllov, Sprache und Denken
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findet diese grundlegende Eigenschaft des Seins im richtigen Denken dadurch ihre Widerspiegelung, daß bei der Beurteilung unterschiedliche Gegenstände und Erscheinungen nicht identisch gesetzt werden und ein und derselbe Gegenstand in Gedanken nicht als zwei verschiedene Gegenstände erscheint. Dies stellt den Inhalt des Identitätsgesetzes dar. Eine der Ursachen, die eine Verletzung dieses Gesetzes in der heutigen Etappe der Entwicklung des Gesetzes ermöglichen, ist die Sprache. Die Gegenstände und Erscheinungen werden beim abstrakten verallgemeinernden Denken nicht unmittelbar widergespiegelt, wie dies z. B. bei der Wahrnehmung der Fall ist, sondern nur mittelbar. Das Ideelle ist, wie Marx sagt, das in den Kopf übertragene und verarbeitete Materielle. Eine spezifische Form dieser Verarbeitung, dieser vermittelten Widerspiegelung ist der Begriff. Aber jeder beliebige Begriff erwächst aus der Betrachtung einer ganzen Reihe von Gegenständen und Erscheinungen, aus der Bestimmung der Elemente ihres Gemeinsamen und ihres Unterschiedes. Der Prozeß der Begriffsbildung umfaßt Momente der Analyse, der Synthese, der Abstraktion, des Abweichens von der unmittelbaren Anschauung und Verallgemeinerung. Das Ergebnis dieses Prozesse ist der Inhalt des Begriffs, der in der Sprache durch das Wort gefestigt wird. Im Zuge der Bedeutungsentwicklung eines Wortes kann es zur Bedeutungsspaltung (Polysemie) und zu einer derartigen Differenzierung seiner einzelnen Bedeutungen kommen, daß in der Folge keinerlei Verbindung zwischen ihnen erkannt wird, wodurch Homonyme entstehen. Ein anderer Weg der Entstehung von Homonymen ist die phonetische Veränderung von Wörtern, die verschiedene Bedeutung haben, wenn sie in ihrer Lautgestalt dabei völlig zusammenfallen. Andererseits gibt es in der Sprache Synonyme, d. h. Wörter mit ähnlicher oder gleicher Bedeutung, aber mit verschiedenem Lautkörper. Diese sprachlichen Erscheinungen machen es möglich, daß unterschiedliche Begriffe als identisch betrachtet werden, weil der Unterschied zwischen diesen Begriffen infolge der Gemeinsamkeit des Lautkörpers der Wörter nicht erkannt werden kann, und daß ein und dasselbe Ding als zwei verschiedene Dinge betrachtet wird, weil die Identität der Bedeutung infolge des Unterschieds der Lautkörper der Wörter nicht in Erscheinung treten kann. Ähnliche Verletzungen des Identitätsgesetzes finden bewußt oder unbewußt bei der Herstellung eines Syllogismus statt. Die Schlußfolgerung aus zwei Prämissen beim Syllogismus ist bekanntlich möglich, wenn die Termini des Schlusses in diesen Prämissen in Beziehung zu ein und demselben sog. Mittelbegriff stehen. Wenn der 98
Mittelbegriff in beiden Prämissen durch Homonyme oder durch ein mehrdeutiges Wort ausgedrückt wird und dabei nicht in der gleichen Bedeutung verwendet wird, so darf der Schluß nicht ausgeführt werden. Die Gemeinsamkeit eines Lautkörpers entsprechender Wörter kann den Unterschied der Begriffe verbergen, die in diesen Wörtern ausgedrückt werden. Die Identität des Inhalts des Mittelbegriffes in beiden Prämissen muß durch eine Analyse des Inhalts beider Prämissen festgestellt werden, wofür allerdings oft einfach die Ähnlichkeit der lautlichen Gestalt der Wörter, die diesen Mittelbegriff ausdrücken, dienen kann. Auf diese Weise kann es möglich werden, daß unterschiedliche Begriffe aus einer rein sprachlichen Ursache heraus (wegen der Polysemie und Homonymie) als identisch betrachtet werden. Wenn aber der Mittelbegriff in einer Prämisse durch ein Synonym ausgedrückt wird und in der zweiten Prämisse durch ein anderes Synonym, so wird es durch die Annahme, daß die Unterschiede der Lautkörper einem Unterschied der durch sie ausgedrückten Begriffe entsprächen, möglich, daß man auf den Schluß verzichtet und demzufolge ebenfalls das Identitätsgesetz verletzt, da man ja ein und denselben Begriff für zwei unterschiedliche hält. Das Identitätsgesetz verbietet es nicht, daß man in einem Falle an die einen Merkmale denkt und in einem anderen Falle an die anderen. Das Identitätsgesetz fordert, daß man an ein und dieselben Merkmale eines Gegenstandes nur dann zu denken hat, wenn diese Merkmale Ausgangsbasis für die Schlußfolgerung sind. Eine solche Auffassung vom Identitätsgesetz durch die formale Logik widerspricht nicht der Dialektik. Die kritischen Bemerkungen der Klassiker des Marxismus-Leninismus zur formalen Logik und insbesondere zum Identitätsgesetz waren gegen eine andere Auffassung vom Identitätsgesetz gerichtet. Die formale Logik verneint nicht die qualitativen Veränderungen in der objektiven Umwelt, den Übergang der Gegenstände von einem Zustand in einen anderen, der sich qualitativ vom ersten unterscheidet und ihm entgegengesetzt ist. Sie verneint auch nicht die allgemeine Verbindung der wechselseitigen Bedingtheit der Gegenstände und Erscheinungen und auch nicht, daß alle Grenzen zwischen den Gegenständen und Erscheinungen nicht absolut sind, da ja alles gegenseitig bedingt ist und von einem Zustand in den anderen übergeht. Aus diesem Grunde verneint die formale Logik auch nicht die wechselseitige Abhängigkeit ausnahmslos aller Begriffe, den Übergang aller Begriffe in jeweils andere und die Relativität der Gegensätze untereinander. 7'
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Aber da in der objektiven Umwelt ein Unterschied zwischen dem Ausgangs- und dem Endpunkt eines Überganges besteht und da die wechselseitige Abhängigkeit in der objektiven Welt nicht die Unterschiede zwischen den einzelnen Gegenständen und Erscheinungen beseitigt, müssen im gedanklichen Bereich die Begriffe auseinandergehalten werden, weil sie sich j a gegenseitig bedingen, voneinander abhängen und ineinander übergehen. Der Übergang einer bestimmten Sache in eine andere, die qualitative Veränderung der Dinge drückt sich in der Sphäre des Denkens darin aus, daß den verschiedenen Momenten dieser Veränderung, dieses Übergangs unterschiedliche Begriffe entsprechen und daß der Widerspiegelung des Veränderungsprozesses gedanklich der Übergang von einem Begriff in einen anderen entspricht. Das bedeutet, daß der realen Veränderung eines Objekts im Bereich des Denkens nur die Veränderung des Objekts des Gedankens entspricht, aber keineswegs die Gleichsetzung beider Begriffe, die mit den wechselseitigen Übergängen verbunden sind und die verschiedenen Momente der Veränderung irgendeines Objekts widerspiegeln. Andernfalls würde die Dialektik zur Sophistik werden und die logische Verbindung des Gedankens, die logische Notwendigkeit irgendeiner Schlußfolgerung verletzt werden, da in einem solchen Falle die Bestimmung von Ursache und Wirkung verlorenginge und die Verbindung zwischen Ursache und Wirkung nicht mehr eindeutig wäre. Lenin betont in seinen Ausführungen über den Unterschied der Dialektik zur Sophistik, daß es notwendig sei, diesen Momenten eine gewisse Aufmerksamkeit zu zollen. „Allseitige, universelle Elastizität der Begriffe, Elastizität, die bis zur Identität der Gegensätze geht, — das ist das Wesentliche. Diese Elastizität, subjektiv angewendet, = Eklektizismus und Sophistik. Elastizität, objektiv angewendet, d. h. so sie die Allseitigkeit des materiellen Prozesses und seine Einheit widerspiegelt, ist Dialektik, ist die richtige Widerspiegelung der ewigen Entwicklung der Welt." 7 Und an anderer Stelle schreibt er dazu: „N. B . Der Unterschied zwischen Subjektivismus (Skeptizismus und Sophistik etc.) und Dialektik besteht u. a. darin, daß in der (objektiven) Dialektik auch der Unterschied zwischen Relativem und Absolutem relativ ist. Für die objektive Dialektik ist auch im Relativen Absolutes enthalten. Für den Subjektivismus und die Sophistik ist das Relative nur relativ und schließt das Absolute aus." 8 Mit anderen Worten: 1. Für die Dialektik liegt im Relativen das Moment des Absoluten. Auf die gegenständliche Welt angewendet bedeutet das, daß ungeachtet der Relativität der Grenzen zwischen den Dingen und ihrer 100
ständigen Veränderung, ungeachtet der Relativität der Stabilität der Dinge und der Absolutheit ihrer Bewegung und Veränderung, der Unterschied zwischen ihnen nicht aufgehoben wird und die Dinge nicht aufhören, bestimmt zu sein, weil in ihnen auch das Moment des Absoluten liegt. 2. Im Gegensatz zur Sophistik verwendet die Dialektik die Elastizität der Begriffe objektiv, d. h., daß wir beim dialektischen Denken von einem Begriff zum anderen übergehen, weil dies für die Abbildung, die Widerspiegelung des realen Überganges von einem Ding zum anderen erforderlich ist. Außerdem weisen die Klassiker des Marxismus-Leninismus in ihrer Kritik der Junghegelianer, die die Dialektik in die Sophistik verkehrt haben, und bei der Entlarvung ihrer sophistischen Methoden auf den rationellen Inhalt des Identitätsgesetzes und die wichtigsten Fälle seiner Verletzung hin. So analysieren K. Marx und F. Engels die sophistischen Methoden Stirners und schreiben: „Um eine Vorstellung in eine andere zu verwandeln, oder die Identität zweier ganz disparater Dinge nachzuweisen, werden einige Mittelglieder gesucht, die teils dem Sinn, teils der Etymologie, teils dem bloßen Klange nach zur Herstellung eines scheinbaren Zusammenhanges zwischen den beiden Grundvorstellungen brauchbar sind. Diese werden dann in der Form der Apposition der ersten Vorstellung angehängt, und zwar so, daß man immer weiter von dem abkommt, wovon man ausging, und immer näher zu dem kommt, wohin man will. Ist die Appositionskette so weit präpariert, daß man ohne Gefahr schließen kann, so wird vermittelst eines Gedankenstriches die Schlußvorstellung ebenfalls als Apposition angehangen und das Kunststück ist fertig." „ . . . und am Ende kommt das Resultat heraus, daß das letzte Glied in der historischen Reihe um kein Haarbreit weiter ist als das erste . . ."9, d. h., daß zwischen den einzelnen Ketten jeder Unterschied verschwindet. Im weiteren vermerken Marx und Engels noch eine sophistische Methode Stirners: „Wir können hier gleich einen [logischen] Kniff erwähnen, . . . Dieser Kniff besteht darin, aus einer Vorstellung, aus einem Begriff, der mehrere bestimmt ausgemachte Seiten hat, eine Seite als die bisher alleinige und einzige herauszunehmen, sie dem Begriff als seine alleinige Bestimmtheit unterzuschieben und dieser gegenüber jede andre Seite unter einem neuen Namen als etwas Originelles geltend zu machen."10 Es wird hier also gezeigt, daß es 1. keine Identität von Ding und Begriff gibt, weil sie ineinander übergehen, weil zwischen ihnen Zwischenglieder existieren; und daß es 2. nicht möglich ist, ein und dieselbe Sache oder ein und denselben Begriff gedanklich als zwei verschiedene Sachen bzw. zwei verschiedene Begriffe zu betrachten, d. h., daß damit die Fälle der 101
Verletzung des Identitätsgesetzes angedeutet werden, über die oben gesprochen wurde, und daß eine ontologische Begründung des Prinzips gegeben wird, das die Gleichsetzung der Begriffe verbietet, die verschiedene Momente der Veränderung der Dinge widerspiegeln. Bei der Entlarvung einer der Sophismen Stirners bemerken Marx und Engels, daß er unterschiedliche Bedeutungen, Begriffe gleichsetzt, indem er die Erscheinung der Polysemie oder Homonymie ausnutzt. 11 Somit betrifft die Kritik der Klassiker des Marxismus-Leninismus nicht die formale Logik in dem erwähnten Sinne, sondern ist ganz gegen die metaphysische Auslegung der Formen und Gesetze des Denkens gerichtet. Die metaphysische formale Logik verneint die qualitativen Veränderungen in der objektiven Umwelt, den Übergang von einem Zustand in einen anderen, die Widersprüchlichkeit des Seins und betrachtet die Natur als zufällig, als ein durch nichts verbundenes Konglomerat von Dingen. Dementsprechend betrachtet sie im Bereich des Denkens auch die Begriffe als unveränderlich, als ein für allemal gegeben und sieht nicht die zwischen ihnen bestehenden wechselseitigen Verbindungen und Übergänge; sie deutet das Identitätsgesetz als ein Prinzip, das es verbietet, ein Ding als veränderlich anzusehen und das Gesetz des Widerspruchs als ein Prinzip, das es verbietet, an Widersprüche im Sein selbst zu denken usw. Die Klassiker des Marxismus-Leninismus bemerkten bei ihrer Kritik an der Einseitigkeit und Beschränktheit einer solchen Auffassung von der objektiven Welt sowie von den Formen und Gesetzen des Denkens zu Recht, daß eine solche Logik nur im engen Hausgebrauch angenommen werden könne, für wissenschaftlichen Kleinhandel, da die Dinge und Erscheinungen einseitig und ohne Berücksichtigung ihrer Beziehungen zu anderen Dingen und Erscheinungen betrachtet werden und daß damit nur kleine Maßstäbe und kurze Zeitspannen usw. erfaßt werden können. 12 Ein Gegenstand hat für seine Bestimmung irgendwelche Eigenschaften, die ihn von anderen Gegenständen unterscheiden und Eigenschaften, die er mit anderen Gegenständen gemeinsam hat. Ein Gegenstand kann nicht gleichzeitig bestimmte Eigenschaften besitzen und nicht besitzen, weil sich in einem solchen Falle der Gegenstand von anderen Gegenständen unterscheiden und nicht unterscheiden würde. Er kann auch nicht mit anderen Gegenständen gemeinsame Eigenschaften haben und nicht haben: denn sonst würde er aufhören, bestimmt zu sein und würde sich mit jedem beliebigen Gegenstand als identisch erweisen. Da aber ein Gegenstand nicht gleichzeitig bestimmte Eigenschaften haben und nicht 102
haben kann, können wir entweder die Behauptung des Vorhandenseins irgendeines Merkmals oder die Negation dieses Merkmals für den Begriffsinhalt als wahr ansehen. Wenn wir behaupten würden, daß zu irgendeinem Begriff ein beliebiges Merkmal gehört und nicht gehört, so würden wir uns jeglicher Unterscheidung und Abgrenzung der Begriffe berauben und damit behaupten, daß alle Begriffe identisch seien. Weil im Bereich des Gedankens die Behauptung oder Verneinung des Vorhandenseins irgendeines Merkmals für irgendeinen Begriff entsprechend in einem affirmativen oder negativen Urteil ihren Ausdruck findet, wird dieses Verbot als ein Gesetz aufgestellt, nach dem nicht gleichzeitig zwei Urteile wahr sein können, von denen das eine behauptet, daß zu einem gegebenen Begriff ein bestimmtes Merkmal gehört und das andere dieses verneint. Das ist der Inhalt des Gesetzes vom Widerspruch. So verbietet es das Gesetz vom Widerspruch keineswegs, an Widerspräche im Sein selbst zu denken, also an das Vorhandensein von Eigenschaften, die einander widersprechen, sondern es verbietet nur zu denken, daß bei einem Gegenstand irgendwelche Eigenschaften gleichzeitig vorhanden und nicht vorhanden sind (dazu gehören auch widersprüchliche Eigenschaften). In dieser Hinsicht erscheint das Gesetz des Widerspruchs als Bedingung für die Folgerichtigkeit des Gedankens, für seine Kohärenz und Beweiskraft, als Bedingung dafür, überhaupt an einen Gegenstand irgendwie zu denken und dementsprechend als Bedingung dafür, daß man den Gegenstand in seiner Widersprüchlichkeit sieht. So gesehen widerspricht das Gesetz des Widerspruchs der Dialektik nicht und insbesondere auch nicht dem Vorhandensein von irgendwelchen Widersprüchen im Sein. Das Gesetz des Widerspruchs ist nur im Falle seiner metaphysischen Interpretation mit der Dialektik unvereinbar, d. h. , wenn es im Sinne der Negation der Widersprüche im Sein selbst aufgefaßt wird. Aber das Gesetz des Widerspruchs ist im oben genannten Sinne keine Widerspiegelung des Fehlens von Widersprüchen im Sein und beruht auch nicht auf diesem Fehlen, sondern auf der Eigenschaft der objektiven Umwelt, daß ein Merkmal nicht gleichzeitig zu einem Gegenstand gehören und nicht gehören kann. Man kann sogar sagen, daß diese Eigenschaft der objektiven Welt die Bedingung für das Vorhandensein von Widersprüchen im Sein selbst ist; denn wenn der Gegenstand gleichzeitig irgendwelche Merkmale hätte und nicht hätte, so hätte er und hätte zugleich auch nicht sich einander widersprechende Merkmale. Dann wäre es allerdings auch unmöglich, zu behaupten, daß im Sein selbst Widersprüche vorhanden seien, weil in einem solchen 103
Falle im Sein selbst der Widerspruch vorhanden und nicht vorhanden wäre. In der Logik sind Affirmation und Negation gewöhnlich mit dem Vorhandensein oder dem Fehlen der Negationspartikel „nicht" verbunden. Es gibt aber auch Ansichten, daß eine solche Einschränkung nicht völlig berechtigt sei, weil in vielen Fällen die Negation auch ohne die Partikel „nicht" vor der Kopula ausgedrückt wird und daß die Gegenüberstellung von Wahrheit und Unwahrheit nicht nur in den binären Oppositionen eines affirmativen und negativen Urteils im o. g. Sinne ausgedrückt wird. Tatsächlich kann die Negation auch durch die Behauptung des Vorhandenseins eines unverträglichen Merkmals ausgedrückt sein. So wird beispielsweise das Urteil: „Dieses Dreieck ist spitzwinklig" durch das Urteil: „Dieses Dreieck ist stumpfwinklig" negiert oder aber das Urteil: „Dieser Mensch ist gut" durch das Urteil: „Dieser Mensch ist schlecht" oder „Dieser Mensch ist böse" usw. E s entsteht dabei die Frage, ob wir auf derartige Urteile das Gesetz des Widerspruchs anwenden können. Offenbar hängt die Beantwortung dieser Frage von der Beurteilung des konkreten Falles ab, d. h. man muß in jedem Fall feststellen, ob solche Urteile sich gegenseitig ausschließen. Bei positiver Beantwortung dieser Frage gilt das Gesetz des Widerspruchs für die genannten Fälle ebenso wie für Fälle mit affirmativen oder negativen Urteilen. Daraus ergibt sich, daß der notwendige Schluß aus zwei Prämissen nicht nur in den Fällen möglich ist, wenn für den Mittelbegriff die Beziehung der Behauptung und Verneinung festgestellt wird, sondern auch die Beziehung der Behauptung unverträglicher Merkmale, wenn diese Beziehung der Unvereinbarkeit vorher schon festgestellt wurde. Zum Beispiel: Alle Gutherzigen sind gut Ivanov ist schlecht Ivanov ist nicht gutherzig. Ein Gegenstand besitzt für seine Bestimmung eine bestimmte Eigenschaft oder er besitzt sie nicht. Eine dritte Beziehung zwischen den Gegenständen und Erscheinungen kann es nicht geben. Dementsprechend kann im Bereich des Denkens nur entweder die Behauptung oder die Verneinung eines Merkmals für einen Begriffsinhalt wahr sein. Weil diese Beziehungen zwischen dem Merkmal und dem Inhalt in den entsprechenden Formen des affirmativen oder negativen Urteils ausgedrückt werden, ergeben 104
sie das Gesetz, nach dem sich zwei Aussagen gleichzeitig nicht als falsch erweisen können, von denen die eine irgend etwas für den Begriffsinhalt bejaht und die andere das gleiche für denselben Begriff verneint. Dies ist das Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten. Aber die Begriffe können sowohl einzelne Gegenstände als auch eine ganze Reihe von Gegenständen, die bestimmte gemeinsame Eigenschaften haben, widerspiegeln. Im letzteren Falle haben die durch den Begriffsumfang erfaßten Gegenstände außer den gemeinsamen Eigenschaften, die mit dem Begriffsinhalt wiedergegeben werden, auch eine ganze Reihe von Eigenschaften, die nur für jeden einzelnen Gegenstand spezifisch sind. Wenn wir bei der Bejahung oder Verneinung irgendeines Merkmals für den Inhalt eines Begriffes nicht vom Begriffsinhalt selbst ausgehen, sondern von seinem Umfang, d. h. von den Eigenschaften der einzelnen Gegenstände, die im Begriffsumfang enthalten sind, kann der Fall eintreten, daß für alle Begriffe ein Merkmal bejaht oder verneint wird, das nur bei einem Teil des Begriffsumfanges vorhanden bzw. nicht vorhanden ist. Ein Urteil, das dem ersten Urteil entgegengesetzt ist, würde ebendasselbe Merkmal sowohl für den Begriffsinhalt als auch für alle Gegenstände, die zum Begriffsumfang gehören, verneinen oder bejahen, d. h. ein solches Urteil enthält dann ein 2. Urteil und drückt gleichzeitig zwei Gedanken aus. Durch eine solche Unangemessenheit der Bejahung oder Verneinung in einem zum ersten Urteil entgegengesetzten Urteil fällt ein solches Urteilspaar nicht immer in den Geltungsbereich des Gesetzes vom ausgeschlossenen Dritten. Nehmen wir beispielsweise das Urteil: Alle Planeten sind belebt. Ein solches Urteil behauptet, daß das Merkmal belebt sein in den Begriffsinhalt Planet einbezogen ist. Um dieses Urteil zu verneinen, genügt ein partikulär verneinendes Urteil, das das Vorhandensein dieses Merkmals beim ganzen Begriffsumfang verneint, also: Einige Planeten sind nicht belebt. Indessen verneint das konträre Urteil Kein Planet ist belebt nicht nur, daß das Merkmal belebt sein zum Begriffsinhalt des Planeten gehört, sondern verneint zugleich auch, daß dieses Merkmal bei irgendwelchen Planeten als Teil des Begriffsumfanges Planet vorhanden ist. In den übrigen Fällen, wenn also ein Merkmal für einen Begriffsinhalt bejaht oder verneint wird, das beim gesamten Begriffsumfang vorhanden bzw. nicht vorhanden ist oder wenn der Begriffsumfang nur aus einem einzigen Gegenstand besteht, dann fallen die konträren Urteile in den Geltungsbereich des Gesetzes vom ausgeschlossenen Dritten. So sind die Grenzen dieses Gesetzes nicht dadurch bedingt, daß die entsprechende Eigenschaft der gegenständlichen Welt keine Allgemein10S
gültigkeit besitzt wie die übrigen Eigenschaften, die in den Gesetzen der Identität, des Widerspruchs und des zureichenden Grundes ihre Widerspiegelung finden, sondern durch die Spezifik der Widerspiegelungsformen des Seins, besonders durch den zweiseitigen Charakter des Begriffs, der nur den realen Widerspruch des Allgemeinen und des Einzelnen ausdrückt. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkung kann das Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten folgendermaßen formuliert werden: Zwei sich einander widersprechende Urteile können nicht gleichzeitig falsch sein, eines von ihnen muß wahr sein. In der objektiven Welt ist alles irgendwie begründet. Jede Erscheinung tritt auch als Glied in der Kette von Ursache und Wirkung auf und ist in seiner Existenz immer durch eine andere Erscheinung bedingt. Diese Eigenschaft des Seins findet im Bereich des Denkens durch das sog. Gesetz vom zureichenden Grunde seine Widerspiegelung. Nach diesem Gesetz muß man sich über die gegenständliche Bedingtheit eines Gedankens klar sein, um ihn als wahr zu erkennen: mit anderen Worten darf sich unser Gedanke nicht auf seine Existenz und Definition beschränken, sondern muß begründet sein. Die unmittelbare Beziehung zur Wirklichkeit mit dem Ziel, ihre gegenständliche Bestimmtheit festzustellen, wird nur durch die unmittelbare Wahrnehmung verwirklicht. In den meisten Fällen realisiert sich diese Beziehung in bezug auf dieses oder jenes für wahr gehaltene gedankliche Material. Auch hier tritt das Gesetz des zureichenden Grundes als Beweisgrundsatz in Erscheinung und ist ein formales Kriterium der Wahrheit. E s ist natürlich klar, daß man das Gesetz des zureichenden Grundes nicht nur auf die Beweisführung beziehen darf. Wenn man konsequent die Frage nach dem Grund eines gegebenen Gedankens stellt, über den Grund des Grundes selbst usw., so kommen wir unausweichlich zu dem Fall, in dem die gegenständliche Bedingtheit durch die unmittelbare Beziehung zur Wirklichkeit verifiziert wird. So tritt die Wirkung des Gesetzes vom zureichenden Grunde darin zutage, daß wir uns über die gegenständliche Bedingtheit des Gedankens Rechenschaft ablegen. Dabei nimmt unser Gedanke verschiedene Formen an: Die Frage, das Urteil usw. Zugleich wird im Gedanken der Grad der Zuverlässigkeit unseres Wissens fixiert. 13 Wie oben schon gezeigt, werden die Denkgesetze einerseits durch die Eigenschaften des Seins selbst und andererseits durch den Grad des Seins selbst bestimmt. Es ist theoretisch völlig berechtigt, anzunehmen, daß einige Gegenstände und Erscheinungen nicht in ihrer objektiven 106
Bestimmtheit und im Unterschied zu anderen Gegenständen widergespiegelt werden. Daraus ergibt sieh, daß beispielsweise folgende Fälle möglich sind: 1. Gegenstände, die sich durch irgendwelche Eigenschaften voneinander unterscheiden, werden im Denken nicht als voneinander verschieden widergespiegelt und werden somit im Denken identischgesetzt; 2. Gegenstände, die gemeinsame Eigenschaften haben, werden nicht in der Gemeinsamkeit der Eigenschaften widergespiegelt und unterscheiden sich deshalb im Denken voneinander, d. h. sie werden nicht durch einen Begriff erfaßt. Somit entspricht in diesen Fällen die Einteilung der Begriffe im Denken nicht der Einteilung der realen Objekte; 3. Die Gegenstände werden nicht in den Unterschieden widergespiegelt, die bei ihnen wirklich vorhanden sind, sondern in irgendwelchen anderen Eigenschaften, die in der Sache selbst nicht vorhanden sind; 4. Die Gegenstände werden nicht in der Gemeinsamkeit der Eigenschaften, die objektiv existiert, widergespiegelt, sondern in irgendwelchen anderen, die bei ihnen nicht gemeinsam vorhanden sind. Beim Vergleich von Individuen, die auf ein und derselben Entwicklungsstufe des Denkens stehen, aber über einen unterschiedlichen Grad der Erkenntnis der Welt verfügen, sowie bei der Betrachtung und beim Vergleich der Völker, die auf verschiedenen Stufen der Erkenntnis der Welt stehen, kann man erkennen, daß solche Fälle nicht nur theoretisch möglich, sondern auch tatsächlich vorhanden sind. In der Logik wird das Gesetz der Identität oft als Bedingung für die Klarheit und Bestimmtheit des Denkens, für die Klarheit und Bestimmtheit der Begriffe betrachtet und darauf hingewiesen, daß es zur Vermeidung der Verletzung des Identitätsgesetzes unumgänglich ist, den Inhalt der Begriffe zu präzisieren und die Begriffe klar voneinander abzugrenzen. Damit wird anerkannt, daß die Unklarheit der Begriffe oft zu Verletzungen des Identitätsgesetzes führt. Allerdings kann man dies nur dann begründet als eine Verletzung des Identitätsgesetzes ansetzen, wenn man als Kriterium für eine solche Verletzung die Beziehung zum Sein annimmt und nicht zum Begriffssystem des Menschen, der das Identitätsgesetz verletzt hat. Tatächlich wird diesem Menschen in den meisten Fällen nicht bewußt, daß er eine Verletzung des Identitätsgesetzes zugelassen hat, weil er in seinem Denken die Begriffe, die er gleichgesetzt hat, nicht unterschieden hat. Von einer Verletzung kann nur in diesem Falle die Rede sein, weil im Sein selbst die entsprechenden Gegenstände voneinander getrennt sind und sich gegenseitig unterscheiden. 107
Somit kann man in der formalen Logik zwei Standpunkte hinsichtlich der Kriterien der Verletzung des Identitätsgesetzes begegnen: a) Die Verletzung des Identitätsgesetzes erfolgt nur dann, wenn im Denkprozeß, in dem zwei gegebene Begriffe unterschieden werden und ein und derselbe Begriff nicht als zwei verschiedene betrachtet wird, trotzdem ihre Gleichsetzung bzw. Unterscheidung (absichtlich oder unbewußt) insbesondere aufgrund sprachlicher Erscheinungen wie Polysemie und Homonymie einerseits und Synonymie andererseits vonstatten geht (s. oben), b) Als Verletzung des Identitätsgesetzes muß man jeden beliebigen Fall ansehen, in dem im Denkprozeß eine Gleichsetzung oder Unterscheidung von Objekten zugelassen wird, die in der Realität nicht identisch bzw. nicht verschieden sind; denn dadurch werden diese Objekte in ihren Eigenschaften nicht richtig widergespiegelt. Die Geschichte der Wissenschaft gibt uns viele Beispiele, die die oben ausgesprochene Ansicht unterstützen. Als Beispiel betrachten wir die Beziehung zwischen Welle und Körper. Bis vor kurzem wurde angenommen, daß der Begriff der Welle und der Begriff des Körpers hinsichtlich einer Reihe von Merkmalen nicht übereinstimmen. Insbesondere wies man darauf hin, daß die Eigenschaft der Interferenzbildung einer Welle nicht zu den Eigenschaften eines Körpers gehört. Dementsprechend wurden die Objekte durch die Physik in Körper und Wellen eingeteilt. Später wurde aber gezeigt, daß keineswegs alle Objekte der Natur entweder der einen oder der anderen Objektklasse angehören können. 1. wurde entdeckt, daß man einige Erscheinungen des Lichtes nicht erklären kann, wenn man von der These über die Wellennatur des Lichtes ausgeht, ja daß sie sogar der Wellennatur des Lichtes widersprechen. So müßte beispielsweise bei der Beleuchtung einer metallischen Oberfläche mit homogenem Licht die Geschwindigkeit der Elektronen, die vom Licht getroffen werden, nach der Wellentheorie des Lichtes mit zunehmender Lichtintensität anwachsen. Indessen zeigten die Experimente, daß die Geschwindigkeit der Elektronen bei beliebiger Lichtintensität konstant bleibt. Dieser Widerspruch ließ sich nur lösen, indem man zuließ, daß das Licht ebenfalls eine Korpuskulareigenschaft besitzt. Dies konnte jedoch nicht im Rahmen der klassischen Physik und des von ihr erarbeiteten Begriffssystems, insbesondere im Rahmen der Begriffe von Welle und Körper, geschehen. „Die Lage in der Physik", schrieben Einstein und Infeld, „kann man folgendermaßen zusammenfassen: Es gibt Erscheinungen, die man nur mit der Quantentheorie erklären kann und nicht mit der Wellentheorie. 108
Als Beispiel für eine solche Erscheinung dient der Photoeffekt. Es gibt aber auch Erscheinungen, die man nur mit der Wellentheorie erklären kann und nicht mit der Quantentheorie. Ein typisches Beispiel dafür ist die Beugung des Lichtes. Schließlich gibt es Erscheinungen, die man sowohl mit der Quantentheorie als auch mit der Wellentheorie des Lichtes erklären kann, wie z. B. die geradlinige Ausbreitung des Lichtes." 14 2. wurde entdeckt, daß Körper sich in einigen Fällen wie Wellen verhalten können. So erhielt man z. B. beim Durchlassen von Elektronenbündel durch ein Beugungsgitter ein Interferenzbild, das dem Bild einer Welle gleicht. Damit wurde die früher von de Broglie entwickelte Hypothese unterstützt, wonach auch die Körper Welleneigenschaften besitzen. 15 Mit anderen Worten: es wurde gezeigt, daß man physikalische Objekte nicht nur in zwei Klassen zerlegen kann — in die Klasse der Wellen und in die Klasse der Gegenstände —, weil physikalische Objekte existieren, die sowohl die einen als auch die anderen Eigenschaften besitzen. I. Tamm schreibt dazu: „Es gibt kein klassisches Objekt, das gleichzeitig die Eigenschaften sowohl eines Teilchens als auch einer Welle besitzen würde, aber das elementare Teilchen besitzt diese beiden Eigenschaften gleichzeitig. Es ist auch natürlich, daß unsere gewöhnlichen Vorstellungen auf das Teilchen nicht angewendet werden können . . ." l6 So führte das Vorhandensein derartiger physikalischer Objekte wie das Licht und die Elementarteilchen zu einer notwendigen Überprüfung der alten Begriffe von Welle und Körper und zur Bildung des Begriffs der Elementarteilchen, in denen Merkmale synthetisiert wurden, die zum Inhalt sowohl des Wellen- als auch des Körperbegriffes gehörten. 17 Einstein und Infeld schreiben: „Die Wissenschaft zwingt uns, neue Begriffe und Theorien zu bilden. Es ist ihre Aufgabe, die Mauer der Widersprüche einzureißen, die oft dem wissenschaftlichen Fortschritt den Weg versperrt. Alle wesentlichen Ideen in der Wissenschaft werden in dem dramatischen Konflikt zwischen der Realität und unseren Versuchen, sie zu erfassen, geboren." 18 Betrachten wir diese Frage im Zusammenhnag mit dem Problem der Kriterien der Verletzung formaler Gesetze der Logik. Vom Standpunkt des Begriffssystems, das in der Physik des 19. Jh. aufgestellt wurde, müßte man die Behauptung, daß das Licht sowohl Welle als auch Körper ist, als eine Verletzung des Identitätsgesetzes ansehen. Dagegen verletzt vom Standpunkt des Begriffssystems, das in der Physik des 20. Jh. aufgestellt wurde und adäquater die Natur der entsprechenden physikalischen Objekte widerspiegelt, die These über die Wellen- und Korpuskularnatur des Lichtes (und auch der Elementarteilchen) nicht die Gesetze der 109
formalen Logik und insbesondere nicht das Identitätsgesetz. Wenn also vom Standpunkt eines subjektiven Kriteriums (das auf einem Begriffssystem beruht, das inadäquat die Natur der entsprechenden physikalischen Objekte widerspiegelt) die Behauptung von der Wellen- und Korpuskularnatur des Lichtes das Identitätsgesetz verletzt 19 , so wird doch vom Standpunkt eines objektiven Kriteriums dieses Gesetz nicht verletzt. Außerdem kann man vom Standpunkt des objektiven Kriteriums annehmen, daß die Verletzung des Identitätsgesetzes stattfand, als in der klassischen Physik des 19. J h . die These aufgestellt wurde, daß alle physikalischen Objekte sich in die zwei Klassen (Körper und Welle) einteilen lassen und daß insbesondere das Licht Korpuskularnatur (nach der einen Theorie) und Wellennatur (nach der anderen These) habe, weil dieser Begriffsabgrenzung in der Denksphäre nicht die objektive Abgrenzung der physikalischen Objekte, also ihre objektive Bestimmung, entsprach. Damit soll gesagt sein, daß der subjektiven Bestimmung der durch das Denken subjektiv empfundenen Ähnlichkeit oder dem subjektiv empfundenen Unterschied nicht die objektive Bestimmung, d. h. die objektive Ähnlichkeit oder der objektive Unterschied, entsprechen muß. Allerdings ist die Tatsache der Verletzung von Denkgesetzen vom Standpunkt ontologischer Kriterien aus gesehen kein Beweis dafür, daß in den entsprechenden Fällen sich das Denken den Gesetzen der formalen Logik entziehe, weil ja das Denken in solchen Fällen auf der Basis eines festen Begriffssystems vonstatten geht. Andererseits wäre es falsch, daraus den Schluß zu ziehen, daß die subjektive Bestimmung, die subjektiv emfundenen Ähnlichkeiten und Unterschiede ihrerseits nicht bestimmt wären und nicht von den Eigenschaften des Seins abhingen und daß demzufolge die Denkgesetze nicht als durch die Widerspiegelung des Seins entstanden betrachtet werden könnten. Es wäre auch falsch, anzunehmen, daß das Denken selbst das gedankliche Material konstruierte und ihm solche Eigenschaften wie die Bestimmtheit zuteilen würde. Wie schon erwähnt, sind die Eigenschaften des Seins, die in den Denkgesetzen widergespiegelt werden, in jedem Gegenstand und in jeder Erscheinung zugegen. Aber wenn dem so ist, so genügte für die Entwicklung der Denkgesetze, daß ein bestimmter Teil der Objekte adäquat widergespiegelt wird (d. h., daß die subjektive Bestimmung, die subjektiv empfundenen Ähnlichkeiten und Unterschiede mit der objektiven Bestimmung, mit den objektiven Ähnlichkeiten und Unterschieden zusammenfallen). Die entstandene Axiomatik der Denkgesetze dehnt sich dabei auf das gesamte gedankliche Material aus und damit auch auf jenes, das die Gegenstände hinsichtlich der Gemeinsamkeit und der Unterschiede 110
ihrer Eigenschaften inadäquat widergespiegelt hat. Vor allem erklärt sich dadurch die gelegentliche Divergenz und das Nichtzusaramenfallen des ontologischen und des subjektiven Kriteriums der Verletzung der Denkgesetze. Die Anzahl der Verletzungen der Denkgesetze sagt, vom Standpunkt des ontologischen Kriteriums aus gesehen, an sich noch nichts darüber aus, daß die Axiomatik der Denkgesetze etwa negiert werde oder daß das Denken nach anderen Gesetzen verlaufe. Wenn erstens festgestellt wurde, daß es im Sinne des subjektiven Kriteriums keine Verletzung der Denkgesetze gibt und daß zweitens in einer bestimmten Menge von Fällen subjektives und objektives Kriterium einander entsprechen, so muß anerkannt werden, daß die Axiomatik der Denkgesetze insbesondere diesen Gesetzen entsprechend entstand und daß das Denken ihnen entsprechend verläuft und nicht irgendwelchen anderen Gesetzen zufolge. Die Fälle der Verletzung der Denkgesetze im Sinne des ontologischen Kriteriums besagen dabei nichts über besondere Denkgesetze, sondern über Grade der Erkenntnis der Natur; je weniger solche Verletzungen vorhanden sind, umso höher ist der Grad der Erkenntnis dieses oder jenen Individuums oder Volkes. Die Fehler der Erforscher des Denkes der „primitiven" Völker wurden durch die Nichtberücksichtigung dieser Momente verursacht. Bei den Untersuchungen des Denkens der „primitiven" Völker, aber auch der Kinder wurde schon lange darauf hingewiesen, daß die einen wie die anderen bei ihren Denkvorgängen sehr oft Gedankengänge nicht unterscheiden, die wir unterscheiden und umgekehrt bestimmten Gegenständen Eigenschaften zuschreiben, die im Blickwinkel des Inhalts unserer Begriffe ungerechtfertigt erscheinen. Daraus zog man den Schluß, daß „primitive" Völker und Kinder nach anderen Gesetzen denken oder jedenfalls unsere Denkgesetze so oft verletzen, daß man kaum noch davon sprechen kann, daß ihr Denken unseren Denkgesetzen unterworfen sei. So stützte sich Levy-Bruhl darauf, daß beim Denken der „primitiven" Völker Fälle beobachtet wurden, in denen 1. Gegenstände gleichgesetzt und nicht unterschieden werden, die wir unterscheiden; 2. Gegenständen Eigenschaften zugeschrieben werden, die wir als mit ihnen unvereinbar betrachten; 3. aus Fakten Schlußfolgerungen gezogen werden, die wir nicht als für einen Schluß ausreichend anerkennen können. E r kommt damit zu dem Schluß, daß das Denken der „primitiven" Völker in erster Linie einem besonderen Gesetz, nämlich dem der Partizipation, unter111
geordnet sei und daß die Gesetze der formalen Logik für ihr Denken keinen axiomatischen und für alle Fälle zwingenden Charakter haben und auch nicht so angewendet werden. „Mit anderen Worten", schreibt Levy-Bruhl, „erfordert die Widersprüchlichkeit zwischen dem Einzelnen und der Mehrheit, zwischen dem Identischen und dem anderen usw. beim primitiven Denken nicht unbedingt die Negierung eines der erwähnten Oppositionsglieder, wenn das andere bejaht wird und umgekehrt. Manchmal stellt das primitive Bewußtsein diese Widersprüchlichkeit fest, aber sehr oft entgeht sie ihm. Oft wird die Widersprüchlichkeit in Anbetracht einer mystischen Untrennbarkeit der Existenz von Wesen, die man nicht genau identifizieren kann, verschleiert." 20 In der Weiterführung dieses Gedankens schreibt Levy-Bruhl: „Wenn ich es als prälogisch bezeichne, so will ich damit nur sagen, daß es kaum bestrebt ist, einen Widerspruch zu vermeiden, wie das etwa in unserem Denken der Fall ist. Es ist vor allem dem 'Gesetz der Partizipation' unterworfen. In dieser Orientierung zeigt es keinerlei Tendenz, grundlos in Widersprüche zu verfallen, dies würde es für uns völlig sinnlos machen, aber es denkt auch nicht daran, Widersprüche zu vermeiden. Am häufigsten bezieht es sich auf sie ohne Unterschied." 21 Levy-Bruhl kann nicht leugnen, daß in der praktischen Arbeitstätigkeit die „primitiven" Völker sich denselben Denkgesetzen unterwerfen müssen, die auch für uns gelten, und dies auch tatsächlich tun. Durch die Einführung eines neuen Gesetzes, des Gesetzes der Partizipation, versucht er, eine Erklärung dafür zu geben bzw. auf die Ursachen seiner Entstehung hinzuweisen. Zudem ist er gezwungen, anzuerkennen, daß sich dieses Gesetz in direktem Widerspruch zur praktischen Tätigkeit befindet und keinerlei zielgerichteten, nützlichen Charakter in der Praxis des Denkens und des Lebens der „primitiven" Völker hat. Dieses Gesetz trägt bei ihm nichtempirischen apriorischen Charakter. Levy-Bruhl kommt nicht umhin, auch zu erklären, wie das Denken nach diesen zwei sich widersprechenden Systemen von Gesetzen entstehen kann. Einerseits erkennt er so oder so an, daß die Gesetze der formalen Logik von den Eigenschaften des Seins selbst bedingt sind. Andererseits führt er das nichtempirische, den Gesetzen der objektiven Realität widersprechende sog. Gesetz der Partizipation ein, obwohl er konsequenterweise entweder zeigen müßte, daß dieses Gesetz auf der Grundlage bestimmter Eigenschaften des Seins beruhe oder jegliche Gebundenheit der Gesetze der formalen Logik an das Sein ablehnen müßte. Indessen werden alle diese Schwierigkeiten und Widersprüche auf folgende Weise gelöst. 112
1. Über eine Verletzung der Gesetze der formalen Logik beim Denken der „primitiven" Völker kann man nur sprechen, wenn man ein ontologisch.es Kriterium ansetzt. Subjektiv denken sie vollkommen folgerichtig; a) wenn sie verschiedene Gegenstände gleichsetzen, setzen sie nicht die verschiedenen Begriffe gleich; denn der Unterschied identischer Dinge wird in ihrem Denken nicht in verschiedenen Begriffen widergespiegelt; b) wenn sie den Gegenständen widersprüchliche, miteinander unvereinbare Eigenschaften zumessen, denken sie nicht widersprüchlich; denn die Unvereinbarkeit dieser Eigenschaften wird in ihrem Denken nicht durch die Unvereinbarkeit der Begriffe widergespiegelt usw. Daß die „primitiven" Völker auch subjektiv denken und vollständig konsequent auftreten, kann man anhand des folgenden Beispiels illustrieren. „Primitive" Menschen schreiben den Zauberern die Fähigkeit zu, gleichzeitig an mehreren Orten anwesend zu sein. Sie nehmen beispielsweise an, daß, wenn ein wildes Tier einen Menschen zerreißt, dies eigentlich der Zauberer tut, der die Gestalt des Tieres angenommen hat. Die „primitiven" Menschen beschuldigen in einem solchen Falle immer den Zauberer, auch wenn er sich mehrere Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt aufhält. 2. Die Verletzung der Gesetze der formalen Logik, die bei Ansetzen eines ontologischen Kriteriums vorliegt, legt nur ein Zeugnis über die niedrige Stufe der Naturerkenntnis ab, aber nicht über die Aktivität irgenwelcher anderer Denkgesetze. Tatsächlich handeln sie 1. im praktischen Alltagsleben nach den Gesetzen der formalen Logik auch im Sinne der ontologischen Kriterien. D. h., daß die Axiomatik dieser Gesetze schon erarbeitet wurde und ihre Wirksamkeit auf das gesamte gedankliche Material ausdehnen konnte (das zeigt sich auch darin, daß die „Primitiven" subjektiv handeln und folgerichtig denken). 2. liegt der Gleichsetzung verschiedener Gegenstände usw. ein weltanschauliches Moment zugrunde und nicht die Wirkung eines Partizipationsgesetzes. Oben wurde schon der Ausspruch Levy-Bruhls erwähnt, der die Tatsachen der Gleichsetzung verschiedener Dinge usw. damit erklärt, daß die „Primitiven" annehmen, diese Dinge besäßen eine mystische Kraft. Levy-Bruhl führt auch noch andere derartige Fakten an. So schreibt er an anderer Stelle: „Infolge der mystischen Verbindung zwischen dem Original und dem Abbild, einer Verbindung, die dem 'Partizipationsgesetz' unterliegt, ist die Abbildung gleichzeitig auch das Original, ähnlich wie Bororo zugleich die Arara ( = Bezeichnung der Bororo — V. P.) sind. "22 8 Panfllov, Sprache und Denken
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In ähnlicher Weise setzen die Australier roten Ocker und Blut gleich, weil roter Ocker in ihrer Sicht das Blut ihrer mythischen Ahnen aus der Zeit des Alöering ist. So unterstützen die Tatsachen, die Lévy-Bruhl zur Bestätigung der von ihm vorgelegten Hypothese anführt, nach der das Denken der „primitiven" Völker angeblich nicht nach den Gesetzen der formalen Logik, sondern nach einem besonderen Partizipationsgesetz vonstatten geht, diese Hypothese nicht; sie dürfen auch nicht als Begründung für den Schluß betrachtet werden, daß das Denken der „primitiven" Völker einen qualitativ anderen Typ darstellt als das Denken der zivilisierten Völker. Es wurde oben schon gezeigt, daß die Denkgesetze die Widerspiegelung der grundlegenden Eigenschaften der objektiven Realität sind. Aber als Bedingung für das Vorhandensein solcher Eigenschaften gilt, daß das Sein diskret und in einzelne Gegenstände und Erscheinungen gegliedert ist, die so oder so gegeneinander abgegrenzt sind. Damit die Widerspiegelung dieser grundlegenden Eigenschaften der gegenständlichen Welt entstehen kann, ist es notwendig, daß zunächst die Gegliedertheit des Seins in einzelne Gegenstände und Erscheinungen widergespiegelt wird. Wenn wir bei der Vereinigung dieser oder jener Eigenschaften zu Komplexen die Zwangsläufigkeit und Notwendigkeit einer solchen Vereinigung nicht sähen und wenn sie rein zufälligen Charakter besäße, so gäbe es auch keine Notwendigkeit, diese Eigenschaftskomplexe zu unterscheiden, bzw. sie gleichzusetzen. Derartige Vereinigungen besäßen keinen stabilen Charakter. Die Widerspiegelung nicht nur der allgemeinsten Eigenschaften des Seins, sondern auch der Diskretheit der objektiven Realität, ihre Gegliedertheit in einzelne Gegenstände und Erscheinungen, die durch relativ stabile Merkmalskomplexe charakterisiert werden, ist deshalb die Voraussetzung für die Bildung von Denkgesetzen. Sehen wir uns die grundlegenden Etappen der Bildung einer solchen gegenständlichen Widerspiegelung in der Tierwelt an. Im ersten, dem sog. elementaren Stadium der psychischen Entwicklung werden einzelne Eigenschaften der Gegenstände und Erscheinungen, aber nicht die Gegenstände und Erscheinungen selbst, widergespiegelt. In diesem Stadium gibt es bei den Tieren nur einzelne Empfindungen, aber keine stabile Vereinigung von Empfindungen, mit anderen Worten: keine Vergegenständlichung der Empfindungen. Das psychische Leben des Tiere beschränkt sich ganz auf die Widerspiegelung einzelner Eigenschaften, da nur sie in einem gegebenen Moment auf das Tier einwirken. Infolgedessen 114
trägt die Reaktion des Organismus auf einen Reiz unmittelbaren Charakter; zwischen Reaktion und Reiz gibt es keinerlei Zwischenglieder. Deshalb ist das Verhalten des Tieres nur dann zielgerichtet, wenn eine entsprechende Eigenschaft in einem gegebenen Moment auf das Tier einwirkt. Zu den Besonderheiten dieses Stadiums in der psychischen Entwicklung gehört auch, daß bei der Tätigkeit des Tieres die Verbindung der Eigenschaften eine Rolle spielt, obwohl diese Verbindung nicht widergespiegelt wird. Die Tiere reagieren auf diesen oder jenen für sie sinnlosen Reiz insofern, als mit diesem Reiz biologisch wichtige Eigenschaften verbunden sind. So reagiert die Spinne auf die Vibration des Spinnetzes, weil unter normalen Umständen diese Vibration durch eine in das Netz geratene Fliege ausgelöst wird. Indessen ist diese Eigenschaftsverbindung dem Tier nicht bewußt. Wenn das Spinnetz z. B. durch einen Kammerton zur Vibration gebracht wird, so reagiert die Spinne darauf ebenso, als ob sie durch eine in das Netz geratene Fliege hervorgerufen worden wäre. So wird bei der Tätigkeit des Tieres die Verbindung von Eigenschaften innerhalb eines Gegenstandes oder die Beziehung zwischen verschiedenen Gegenständen hergestellt. Aber da sich die Gegenstände verändern, können sie diese Eigenschaften verlieren, die für das Tier als ein Hinweis auf das Vorhandensein biologisch wichtiger Eigenschaften in diesem Gegenstand dienten, während diese letztgenannten wichtigen Eigenschaften selbst erhalten bleiben. Dies führt dazu, daß nicht einzelne Eigenschaften, sondern die Gegenstände als Ganzes widergespiegelt werden müssen. Auf den untersten Stufen der gegenständlichen Widerspiegelung wird der Gegenstand dadurch ermittelt, daß er sich bewegt und damit wird er objektiv in der Umgebung anderer Gegenstände ermittelt. Mit anderen Worten: die Vereinigung der Eigenschaften zu einem einheitlichen gegenständlichen Ganzen kommt nur dadurch zustande, daß diese Eigenschaften dank ihrer gemeinsamen Bewegung ermittelt werden. Deshalb reagiert z. B. das Kaninchen nur auf sich bewegende Gegenstände. Die weitere Evolution der Widerspiegelung hängt mit der Vervollständigung der anatomisch-physiologischen Anlage der Rezeptoren zusammen, d. h. mit einer genaueren Widerspiegelung der einzelnen Eigenschaften und mit der Vervollkommnung der Wahrnehmung selbst. Kurz, wir kommen zum Mechanismus der Wahrnehmung. In der Psychologie gab es die Auffassung, daß die gegenständliche Widerspiegelung in den Rezeptoren nicht unmittelbar erfolge, sondern das Ergebnis eines Kurzschlusses sei: Da aus der vorhergehenden Erfahrung bekannt ist, daß bestimmte Eigenschaften zu einem bestimmten Gegen8*
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stand gehören, wird bei der Einwirkung dieser Eigenschaften auf die Sinnesorgane der Schluß gezogen, daß man diesen Gegenstand selbst wahrnehme. Später wurde dann gezeigt, daß die Vergegenständlichung der Daten der sinnlichen Widerspiegelung in der genannten Weise nur in pathologischen, aber nicht in normalen Fällen stattfindet. So hat der Patient bei einer Verletzung seintr sekundären Integrationszone des optischen Zentrums (des Gehirns — d. Üb.) nur isolierte Empfindungen. Um diese Empfindungen zu vergegenständlichen, muß er frühere Erfahrungen heranziehen, muß sich erinnern, daß er manchmal derartige Empfindungen von einem ihm früher bekannten Gegenstand bekommen hat. Daraus schließt der Patient, daß er in einem solchen Falle denselben Gegenstand selbst sieht. Ungeachtet dessen gibt es bei ihm keine unmittelbare Vereinigung dieser Empfindungen zu einem festen Komplex, wie dies bei Gesunden normalerweise der Fall ist. Demnach vollzieht sich in den normalen Fällen die Vergegenständlichung der Empfindungen nicht erst auf dem gedanklichen Wege. Sie erfolgt als ein automatischer, unmittelbarer Prozeß. Die weitere Evolution der Wahrnehmung geht über die Ausschaltung der objektiven und subjektiven Bedingungen der Wahrnehmung, die dazu führen, daß das Abbild ein und denselben Gegenstand in den Rezeptoren je nach der Veränderung dieser Bedingungen verschieden ist. Dazu muß z. B. in bezug auf die optische Wahrnehmung folgendes gesagt werden : a) auf das Auge wirkt nicht das Licht eines bestimmten Körpers, sondern das von diesem Körper reflektierte Licht ein. Aber der Zustand des reflektierten Lichtes hängt von den Oberflächeneigenschaften des Körpers sowie von der Eigenschaft des auf treffenden Lichtes ab. Deshalb verändert sich bei einer Veränderung der Zusammensetzung des einfachen Lichtes auch die Beschaffenheit des Lichtes, das auf das Auge einwirkt. Dadurch kann sich bei gleichbleibenden Eigenschaften der Körperoberfläche die wahrgenommene Farbe dieses Körpers verändern, b) Form und Größe der Reflexion auf der Netzhaut hängt vom Gesichtswinkel und von der Entfernung ab. Dadurch verändert sich bei gleichbleibender Größe und Form des Körpers die Größe und die Form seines Abbildes in der Netzhaut je nach der Veränderung der Entfernung und des Gesichtswinkels. Wenn der Charakter der Widerspiegelung des Gegenstandes eindeutig nur durch seine Widerspiegelung auf der Netzhaut bestimmt wäre, so entstünden bei gleichbleibenden Eigenschaften der Gegenstände — also der Größe, der Form, der Farben — sich jeweils ändernde Abbilder ein und desselben Gegenstandes, die sich voneinander unterscheiden würden. Aber wenn es keine stabilen Abbilder von Gegenständen gäbe, 116
wäre es unmöglich, diese Gegenstände in ihrer Bestimmtheit und im Unterschied zu anderen Gegenständen widerzuspiegeln. Der Charakter der Abbilder der Wahrnehmung eines Gegenstandes wird bei höheren Säugetieren nicht mehr allein durch den Charakter der Abbilder eines Gegenstandes auf der Netzhaut bestimmt. Im Zuge der Evolution entsteht die Konstanz der Wahrnehmung: Die Konstanz der Farbe, der Form und der Größe. 0 Die Entwicklung einer konstanten Wahrnehmung der Gegenstände stellt in der Evolution der Tierwelt die zweite notwendige Bedingung der Herausbildung von Denkgesetzen dar. Nach Ansicht von Ladygina-Kots ist bei den Affen die optische Wahrnehmung im Grunde schon der der menschlichen ähnlich. Die zweite gewichtige Etappe in der psychischen Entwicklung besteht in der Einschaltung eines Zwischengliedes zwischen Reiz und Reaktion des Organismus. 1. Zahlreiche Versuche zeigten, daß die Affen ziemlich deutliche Abbilder der Dinge haben, die sie irgendwann einmal wahrgenommen hatten und daß sie diese sogar längere Zeit speichern können. Bei der Wahrnehmung und Abbildung wird der Unterschied nicht nur der Eigenschaften der Gegenstände, sondern auch ihrer Menge fixiert. Wenn vor den Augen eines Affen zwei Bananen versteckt werden und dann eine davon unbemerkt entfernt wird, so sucht der Affe unablässig die zweite Banane, wenn er die erste gefunden hat. 2. Wie I. S. Beritov schreibt, „wird der psychonervöse Komplex der Vorstellung eines bestimmten äußeren Milieus erstens durch die Einwirkung irgendeiner Komponente des äußeren oder inneren Milieus reproduziert, das eine Beziehung zur Entstehung des gegebenen psychonervösen Komplexes hat, zweitens durch die Einwirkung irgendeines äußeren Reizes, der eine Ähnlichkeit der Rezeption mit irgendeiner Komponente des gegebenen Milieus aufweist, 3. durch eine spontane Erregung irgendeines psychonervösen Elementes, das an der Entstehung des gegebenen psychischen Komplexes beteiligt ist. Daraus zieht Beritov folgenden Schluß, „Wenn man sagen kann, daß die Umwelt, die äußere Situation den Charakter des Verhaltens des Tieres bedingt, kann man ebenso sagen, daß der psychonervöse Komplex der Situation, die beim Tier spontan oder durch die Einwirkung irgendeines Elementes nachgebildet wird, auch den Charakter seines Verhaltens bedingt." 25 Zugleich ist bei den Tieren auch der reflektorische Typ des Verhaltens geblieben, für den das Fehlen von Zwischengliedern zwischen Reiz und Reaktion des Organismus charakteristisch ist. Aber bei den Säugetieren 117
ordnet sich die psychonervöse Tätigkeit „die automatisierten Akte des Verhaltens und die reflektorische Tätigkeit unter und beseitigt sie jedesmal, wenn die reflektorische Tätigkeit aufhört, den Bedürfnissen des Organismus zu dienen, je nach dem, was sich die Bedingungen in der Umwelt verändern."26 Der psychonervöse Komplex der Vorstellung bietet die Möglichkeit zu komplizierten Verhaltensformen, die so beweglich an die äußere Situation angepaßt sind, daß dadurch die mit höher entwickelten Affen beschäftigten Forscher zu der These von einem verständigen Verhalten dieser Tiere kamen. Aber das kann man nicht als begründet anerkennen. Es war schon lange aufgefallen, daß sich ein Affe offensichtlich nur in jener Situation verständig verhält, die ihn sehr eng an seine natürliche Situation erinnert. Ein Affe erlangt z. B. ohne jede Schwierigkeiten eine Lockspeise, indem er sie an dem daran befestigten Faden heranzieht, aber wenn man denselben Faden durch den Henkel der Tasse hindurchgehen läßt, in der sich die Lockspeise befindet und beide Enden des Fadens zum Gitter des Käfigs heranführt, so zieht der Affe nur an einem Ende und löst damit die Aufgabe nicht. Im ersten Falle entsprach die Situation Faden — Frucht völlig der Situation Zweig — Frucht. Die Ähnlichkeit der Situation im Experiment erzeugte den psychonervösen Komplex der Vorstellung der Situation Zweig — Frucht und der Affe bekam eine dementsprechende Vorstellung. Im zweiten Falle konnte ein solcher psychonervöser Komplex die richtige Lösung nicht gewährleisten. Dies bedeutet, daß die Affen auf der Grundlage einer Übertragung handeln, die durch den Mechanismus des psychonervösen Komplexes der Vorstellung realisiert wird und nicht auf der Grundlage der objektiven Verbindung zwischen Frucht und Faden. Oben wurden schon die Ergebnisse anderer Versuche aufgeführt, die bezeugen, daß die objektiven Verbindungen und Beziehungen den Menschenaffen nicht bewußt werden (s. S.32f.), und daß ihr Verhalten im wesentlichen durch den Rahmen der gegebenen Situation bestimmt wird. Man muß noch bemerken, daß sogar im menschlichen Bewußtsein die Entstehung eines Gedanken, wie das Bewußtwerden der Verbindungen und Beziehungen der Gegenstände und Erscheinungen der objektiven Realität erleichtert wird, wenn die in einem gegebenen Moment vorhandenen Beziehungen zusätzlich auftreten. „Es genügt nicht, daß der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muß sich selbst zum Gedanken drängen." 27 Nur ausnahmsweise werden Fälle vermerkt, in denen Menschenaffen so etwas wie primitive Werkzeuge herstellten und Gegenstände zur Er118
reichung eines bestimmten Zieles verwendeten, obwohl sich diese Gegenstände in einer anderen Situation, in einem anderen Verhältnis befanden, als dies für die Lösung der Aufgabe notwendig war. Indessen bestätigen diese Ausnahmen nur die Regel, daß die objektiven Verbindungen und Beziehungen der Gegenstände der objektiven Realität den Affen nicht gegenwärtig sind. Wie oben schon bemerkt wurde, ist die Widerspiegelung des objektiven Bedeutungsgehaltes eines Gegenstandes unmöglich, wenn der Gegenstand unmittelbar als einzelner, ohne Widerspiegelung seiner Verbindungen und Beziehungen mit anderen Gegenständen widergespiegelt wird. Für das Tier ist der Gegenstand nur Mittel zur Befriedigung bestimmter Bedürfnisse. Der Gegenstand hat für das Tier nur biologische Bedeutung. Das Tier „erkennt" in den Gegenständen nur sein biologisches Bedürfnis. Das Tier steht in keinerlei theoretischer Beziehung zur Welt. Das menschliche Bewußtsein entsteht erst dann, wenn sich die objektiven Verbindungen und Beziehungen der gegenständlichen Welt widerzuspiegeln beginnen. Von diesem Moment an wird die Widerspiegelung mittelbar und verallgemeinert. Der Mensch tritt in eine theoretische Beziehung zur gegenständlichen Welt und erkennt in den Gegenständen nicht nur die Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse, sondern auch den objektiven Bedeutungsgehalt des Gegenstandes. Es wurde oben schon darauf hingewiesen, daß die höher entwickelten Affen nicht befähigt sind, die Verbindungen und Beziehungen der gegenständlichen Welt zu erkennen und deshalb in ihrer praktischen Tätigkeit nur diejenigen Verbindungen und Beziehungen der Gegenstände und Erscheinungen benutzen können, die in der gegebenen Situation vorhanden sind und nicht von den Beziehungen abstrahieren können, in denen sie sich in einem gegebenen Moment befinden. Deshalb ändert für sie der Gegenstand gewissermaßen seinen „Bedeutungsgehalt" jeweils mit der Veränderung seiner Beziehungen zu anderen Gegenständen. Damit der Mensch den Gegenstand in seinen Eigenschaften, Verbindungen und Beziehungen widerspiegeln kann und damit der dadurch gewonnene Begriff mit dem Gegenstand fest verbunden werden kann, ist es erforderlich, daß sich beim Menschen die Fähigkeit entwickelt, von den vorhandenen Verbindungen, Beziehungen und Eigenschaften zu abstrahieren und daß die vorhandenen Verbindungen, Beziehungen und Eigenschaften den Menschen nicht über diejenigen Verbindungen und Beziehungen hinwegtäuschen, die im Begriff widergespiegelt werden. Die Bildung der Denkgesetze kommt insofern zustande, als sich beim Menschen die Fähigkeit entwickelt, von den vorhandenen Verbindungen, Bezie119
hungen und Eigenschaften zu abstrahieren und im Bewußtsein die Verbindungen, Beziehungen und Eigenschaften zu speichern, die er sich schon früher eingeprägt hat, d. h. insofern, als sich beim Menschen die Fähigkeit entwickelt hat, von einigen Eigenschaften und Beziehungen der Gegenstände zu abstrahieren. Der Terminus Abstraktion wird in zweifacher Bedeutung verwendet: Einmal wird unter Abstraktion der Prozeß des Abstrahierens einiger Eigenschaften und Beziehungen der Gegenstände mit dem Zweck der Bestimmung und Betrachtung der dann verbleibenden Seiten verstanden; zum anderen wird unter dem Terminus Abstraktion ein beliebiger Begriff verstanden, der durch das Abstrahieren von einigen Seiten und Beziehungen und durch die Definition der übrigen Eigenschaften und Beziehungen als für die Klasse der Gegenstände wesentliche und allgemeine gebildet wurde. In dieser Bedeutung setzt der Terminus Abstraktion sowohl den Prozeß des Abstrahierens als auch die Analyse und Verallgemeinerung voraus. Marx, Engels und Lenin verwenden diesen Terminus besonders in dem letztgenannten Sinne, wenn sie über die Abstraktion von Wert, Arbeit usw., über wissenschaftliche, sinnvolle Abstraktionen sprechen (Lenin), die das Allgemeine und Wesentliche widerspiegeln, das durch das Denken für diese oder jene Klasse von Gegenständen festgestellt wird. Es ist klar, daß die Abstraktion als die Fähigkeit, von diesen oder jenen Eigenschaften der Gegenstände und ihrer Beziehungen zu abstrahieren mit dem Ziel, diejenigen Züge zu ermitteln, die sie mit anderen Gegenständen gemeinsam haben oder in denen sie sich voneinander unterscheiden, eine unerläßliche Bedingung für die Bildung der Abstraktion und der allgemeinen Begriffe ist. Da das Vorhandensein der Abstraktion in der erstgenannten Bedeutung dieses Terminus die Bedingung für die Bildung, die Entstehung der formallogischen Gesetze des Denkens ist, muß man vor allem klären, unter dem Einfluß welcher Faktoren beim Menschen die Fähigkeit zur Abstraktion entstand und sich entwickelt hat. Die Bedingung jeder Verallgemeinerung ist die Betrachtung der Züge der Ähnlichkeit bzw. des Unterschieds der zu verallgemeinernden Gegenstände. Deshalb betrachten wir vor allem jenen Widerspiegelungstyp, den der Mensch beim Übergang aus dem Tierreich erworben hat, insbesondere hinsichtlich seines Einflusses auf die Fähigkeit zur Abstraktion, zur Ermittlung bestimmter Züge der Ähnlichkeit und Verschiedenheit der Gegenstände und hinsichtlich des Einflusses auf die Fähigkeit zur Ver120
allgemeinerung und damit letzten Endes auf die Bildung der Denkgesetze. Die Ermittlung der einen oder anderen sinnlich wahrgenommenen Eigenschaft und die Feststellung des Unterschiedes von Gegenständen aufgrund irgendeiner sinnlich wahrgenommenen Eigenschaft kann im allgemeinen auf der Grundlage der Abbilder der Wahrnehmung vonstatten gehen und wird durch die nachfolgenden Gesetzmäßigkeiten bestimmt: 1. Wenn sich alle Eigenschaften bis auf eine unterscheiden, so ist letztere gemeinsame Eigenschaft leicht zu bestimmen und damit wird die Möglichkeit zur Verallgemeinerung aufgrund dieser Eigenschaft geschaffen. 2. Der Unterschied der Gegenstände in einer einzigen Eigenschaft täuscht über die Ähnlichkeit dieser Gegenstände in allen anderen Eigenschaften hinweg. So ist die Ermittlung dieser oder jener Eigenschaft und die Abstraktion von den übrigen von derselben Situation bestimmt, die durch die Kombination der Gegenstände gegeben ist, die im Gesichtsfeld oder ganz allgemein im Wahrnehmungsfeld auftreten. Andererseits hindert die Verschiedenheit der Gegenstände in nur einer Eigenschaft gegenüber der Ähnlichkeit in allen anderen das Erkennen dieser Ähnlichkeit und erlaubt nicht, daß die Gegenstände entsprechend ihrer Ähnlichkeit in den übrigen Merkmalen verallgemeinert werden. So hängt von der jeweiligen Kombination der Gegenstände ab, ob die Ähnlichkeit, die Gemeinsamkeit der Eigenschaften festgestellt wird oder nicht. Demnach verläßt der Mensch bei diesem Abstraktions- und Verallgemeinerungstyp nicht den Rahmen einer gegebenen Situation. Es ist auch klar, daß die Verallgemeinerung in Abhängigkeit von der Veränderung der Kombination der Gegenstände, die in das Wahrnehmungsfeld geraten, nach den verschiedenen Merkmalen erfolgt. Dadurch kann ein und derselbe Gegenstand in unterschiedlicher Weise verallgemeinert werden, wenn er je nach dem Merkmal, das nach den Gesetzen der Wahrnehmung hervortritt, unterschiedliche Kombination eingeht. So werden beispielsweise Gegenstände, die sich in der Farbe ähnlich, in allem übrigen aber unähnlich sind, möglicherweise nach dem Merkmal der Farbe verallgemeinert. Wenn nun einer dieser Gegenstände eine Kombination mit anderen Gegenständen eingeht, die mit ihm beispielsweise im Merkmal der Form übereinstimmen, so könnte dieser Gegenstand bereits nach dem Formmerkmal verallgemeinert werden. Der Übergang von der einen Verallgemeinerung zur anderen ist in solchen Fällen durch die Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung bestimmt; denn zwischen derartigen Verallgemeinerungen gibt es keinerlei innere organische Verbindung, hier kann nur eine Verbindung rein äußeren Charakters bestehen. 121
Aufgrund dieser Gesetzmäßigkeiten können Gegenstände, die sich in einem Merkmal unterscheiden, aber in allen übrigen gleich sind, verschieden verallgemeinert werden. Es geht daraus auch hervor, daß dieselbe Verallgemeinerung infolge dieser Gesetzmäßigkeiten nur beim Vorhandensein dieser entsprechenden Gegenstandskombinationen reproduziert werden könnte. Andernfalls könnte das Merkmal, auf dessen Grundlage die Verallgemeinerung ausgeführt wurde, nicht mehr ermittelt werden. Dasselbe gilt für Verallgemeinerungen, die auf sinnlich wahrgenommenen Beziehungen der Gegenstände beruhen. So verhindern die oben erwähnten Gesetzmäßigkeiten eine stabile Ermittlung einzelner Seiten und Beziehungen der Gegenstände und Erscheinungen der objektiven Realität, die einer Verallgemeinerung als Grundlage dienen könnten. Sie garantieren auch nicht die Stabilität der Beziehung einer einmal getroffenen Verallgemeinerung zu den entsprechenden Gegenständen und können auch nicht die Bildung eines relativ stabilen Begriffes von diesen Gegenständen gewährleisten. Sie verhindern die Widerspiegelung der Gegenstände und Erscheinungen in ihren wesentlichen Merkmalen und verhindern damit gerade die Widerspiegelung der Eigenschaften des Seins, von deren Basis aus die Bildung der formallogischen Gesetze des Denkens erfolgt. Da nämlich die Bestimmung eines Gegenstandes und sein Unterschied von anderen Gegenständen sich bei dieser Art von Widerspiegelung von Situation zu Situation verändert, bleibt hier das Gesetz der Identität, des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten außer Kraft. Diese Art der Widerspiegelung setzt auch nicht die Beachtung des Gesetzes vom hinreichenden Grunde voraus, weil hier der Anlaß für die Verallgemeinerung durch die äußere Situation gegeben ist und sich in Abhängigkeit von der Veränderung der Situation selbst auch entsprechend verändert. Die weitere Entwicklung dieses Widerspiegelungstyps könnte von sich aus nicht zum Erscheinen der rein menschlichen Art der Widerspiegelung der Realität und zur Herausbildung der Denkgesetze führen. Wie oben schon bemerkt wurde, war der entscheidende Faktor für die Entstehung der rein menschlichen Art der Widerspiegelung der Realität die Arbeitstätigkeit (Vgl. S. 37-38). Wenn wir die Arbeit in Hinblick auf die Voraussetzungen betrachten, die sie für die Bildung der formal-logischen Gesetze des Denkens liefert, so kommen wir zu folgenden Feststellungen: 1. Die Arbeit ist eine m i t t e l b a r e Einwirkung des Menschen auf ein Objekt mit Hilfe eines anderen Objektes. 122
2. Um eine solche mittelbare Einwirkung zu ermöglichen, ist es erforderlich, daß die objektiven Eigenschaften sowohl des Gegenstandes der Arbeit als auch des Werkzeuges der Arbeit einerseits und die objektiven Beziehungen, die zwischen ihnen hergestellt werden können, widergespiegelt werden. 3. Die Ermittlung des Gegenstandes der Arbeit muß unabhängig von der Zusammensetzung der Gegenstände und Beziehungen, in denen sie sich in einer gegebenen Situation befinden, vonstatten gehen. 4. Die Benutzung eines Werkzeuges zur Einwirkung auf einen Gegenstand der Arbeit muß unabhängig von dem Bestand der Gegenstände, in denen sich dieses Werkzeug in einem gegebenen Moment befindet, erfolgen. 5. Dafür ist es seinerseits erforderlich, daß die Eigenschaften und Beziehungen der Gegenstände und Werkzeuge der Arbeit im Bewußtsein durch ein relativ stabiles Abbild widergespiegelt werden und daß der Mensch von gegenwärtigen Verbindungen und Beziehungen abstrahieren, die Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung überwinden und in den Gegenständen der Arbeit und in den Werkzeugen diejenigen Eigenschaften und Beziehungen finden kann, die als Grundlage f ü r die Verallgemeinerung dienen, ohne daß ihn die umgebenden Gegenstände dabei beeinträchtigen; d. h., es ist notwendig, daß sich beim Menschen die Fähigkeit zur Abstraktion und zur Widerspiegelung der Gegenstände nach ihren Ähnlichkeiten, Unterschieden usw. entwickelt. 6. Die Herstellung von Werkzeugen verlangt, daß der Mensch eine stabile Widerspiegelung der Eigenschaften der Werkzeuge der Arbeit und ihrer Beziehungen zu den Gegenständen der Arbeit haben k a n n ; d. h., daß in seinem Bewußtsein die Werkzeuge und Gegenstände der Arbeit nach den Merkmalen ihrer Ähnlichkeit oder Verschiedenheit gegenüber anderen Gegenständen usw. bestimmt sind. Die Geschichte der Entwicklung der Werkzeuge beim primitiven Vorfahren des Menschen ermöglicht es uns, einige E t a p p e n in der Entwicklung der Fähigkeit zur Abstraktion und Verallgemeinerung der Realität und der Überwindung der Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung zu erkennen. Es ist bekannt, daß die ersten Werkzeuge keine bestimmte Form h a t t e n : sie hatten nur die Schneidefläche gemeinsam. Später traten d a n n zwei Werkzeugtypen auf: Spaltkeile mit einer Schneidefläche und die Beile. Letztere hatten zwar anfangs noch dieselbe vielgestaltige Form, besaßen aber schon zwei allgemeine Merkmale: Eine Schneidefläche auf der einen Seite und eine Abrundung auf der anderen. So bedeutete das Auftreten dieses Werkzeugtyps, daß der Einfluß der Wahrnehmung, nach deren Gesetzmäßigkeiten nur eine Eigenschaft h ä t t e bestimmt werden 123
können, in dieser Entwicklungsetappe des menschlichen Denkens bereits überwunden war. Die Arbeit ist somit der Faktor, der von Anfang an die Notwendigkeit der Widerspiegelung der Gegenstände und Werkzeuge der Arbeit in ihren objektiven Eigenschaften und Beziehungen, in ihren ähnlichen oder verschiedenen Merkmalen schuf; d. h. die Arbeit zwingt von Anfang an zur Bildung formaler Denkgesetze im Bereich der Widerspiegelung dieser Objekte und zur Überwindung des Einflusses der Gesetzmäßigkeiten der sinnlich-anschaulichen Wahrnehmung auf den Prozeß der Verallgemeinerung und den Übergang von einer Verallgemeinerung zur anderen. Aber die Fähigkeit, den Einfluß der Gesetzmäßigkeiten der sinnlichanschaulichen Wahrnehmung zu überwinden, die Fähigkeit, die Gegenstände und Erscheinungen in ihrer Bestimmtheit widerzuspiegeln, d. h. in ihrer Ähnlichkeit und Verschiedenheit, das Wirken der formal-logischen Denkgesetze, die anfangs im Bereich der Erkenntnis der Arbeitstätigkeit der primitiven Vorfahren des Menschen entstanden waren, mußte sich im weiteren auch auf den ganzen Bereich der Widerspiegelung der objektiven Realität ausdehnen. Es ist klar, daß dieser Prozeß nicht ohne Kampf gegen die Wirkung der Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung vonstatten ging. In dieser Hinsicht mögen die Angaben zur Semantik des australisc hen Stammes Aranta von S. D. Kacnel'son interessieren.28 Eine Analyse der Lexik dieser Sprache zeigt, daß es Fälle gibt, in denen die Verallgemeinerung nur nach einem einzigen bestimmten Merkmal durchgeführt wird und ein und dasselbe Wort einigen Gegenständen zugeordnet wird, die nur ein einziges gemeinsames Merkmal besitzen. Zum Beispiel: 1. mbara „Knie"; „krummer Knochen"; „Windungen eines Flusses"; „Fleischmaden" (Verallgemeinerung nach der Form); 2. ilba „Ohr"; „Sandhügel" (Verallgemeinerung nach der Form); 3. ingua „Nacht"; „schlafender Mensch" (Verallgemeinerung nach der Kontiguität), aber auch „Wasserlilien und ihre unter dem Wasser verborgenen Wurzeln, die sich auf Nahrungssuche befinden". Daneben gibt es auch solche Fälle, in denen ein und dasselbe Wort zu Gegenständen gehört, die keine gemeinsamen Merkmale besitzen, z. B.: 1. kanta „rundes Blatt einer Pflanze"; „Kopfschmuck für kultische Handlungen" ; „sich nahe an einem von Zeit zu Zeit zugefrorenen See befinden"; „Kälte". 2. kula „Kopfhaare"; „Wasserbehälter auf einem Berg"; „apfelähnliche Früchte eines bestimmten Baumes"; „Muskelwulst an Armen und Beinen". So ist kanta sowohl einem runden Blatt als auch der Kälte zugeordnet und kula sowohl den Haaren als auch dem Wasserbehälter, d. h. Gegen124
ständen, die keinerlei gemeinsame Merkmale haben, was dem ganzen Wesen der Verallgemeinerungsoperation widerspricht und nicht erklärt werden kann, wenn man es nicht der Wirkung der Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung zuschiebt. Wie oben schon bemerkt wurde, kann nach den Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung irgendein gemeinsames Material ermittelt werden. Wenn aufgrund dieses Merkmals eine Verallgemeinerung durchgeführt wird, die durch das Wort verstärkt wird, so kann diese Benennung — falls sich irgendwelche von diesen Gegenständen in einer anderen Umgebung zeigen und sich in dieser gegenständlichen Umgebung ein anderes Merkmal als gemeinsam erweist — auf all diese Gegenstände übertragen werden. Im Grunde wird das entsprechende Wort zwei Gruppen von Gegenständen zugeordnet, die keine gemeinsamen Merkmale haben. Damit haben wir es auch in den angeführten Beispielen zu tun. Das runde Blatt einer Pflanze, der Kopfschmuck für kultische Handlungen, das sich in der Nähe eines Sees befinden, haben eine gemeinsame Form. Aber der See, der zeitweise zugefroren ist und die Kälte haben ihrerseits nur eine assoziative Verbindung. Im 2. Beispiel sind die Zwischenglieder offensichtlich ausgefallen, weshalb man nicht erklären kann, wie sich der Übergang von einer Verallgemeinerung zu der anderen vollzogen hat und warum ein und dasselbe Wort auch solche Gegenstände bezeichnet wie Haare und Wasserbehälter. Die angeführten Beispiele aus der Aranta-Sprache bestätigen die Existenz einer solchen Periode in der Entwicklung von Sprache und Denken, in der die Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung noch einen gewissen Einfluß auf die Prozesse der Abstraktion und Verallgemeinerung ausübten und mit den bestimmenden Faktoren bei der Herausbildung des menschlichen Denkens und seiner formal-logischen Gesetze in Widerspruch gerät. Daraus kann man freilich nicht den Schluß ziehen, daß die Denkgesetze der Völker, die auf dieser oder jener Entwicklungsstufe stehen, wie auch die Aranta, sich noch nicht herausgebildet hätten. Die Analyse der Bedeutung einiger Wörter der Lexik der Aranta-Sprache deckt eine weitere Etappe in der Entwicklung des Denkens dieser Völker auf. Wenn man indessen über die Allgemeingültigkeit der formal-logischen Gesetze aller gegenwärtigen Völker spricht, zu denen auch die „primitiven" gehören, so ist es offenbar berechtigt, die Frage nach der spezifischen Wirkung dieser Gesetze auf die verschiedenen Entwicklungsstufen des menschlichen Denkens in Verbindung mit der Veränderung ihrer jeweiligen Funktionsebenen zu stellen.
Kapitel I
Die Struktur des Satzes und die Struktur der durch ihn ausgedrückte» Urteile, Fragen und Aufforderungen
Bei der Bestimmung des Satzes wird als eines seiner Merkmale gewöhnlich erwähnt, daß der Satz einen relativ abgeschlossenen Gedanken ausdrückt. Demnach wird bei dieser Auffassung der Satz als eine sprachliche Einheit betrachtet, die unmittelbar in die Akte des Denkens und der Kommunikation eingeschlossen wird. Nichtsdestoweniger gibt es — wie oben (s. S. 12—13) schon bemerkt wurde — einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Satz und solchenFormen des Denkens wie dem Urteil (im aristotelischen Sinne). Deshalb erhält für die Theorie von der Abhängigkeit der Sprache vom Denken die Frage nach dem Wesen des Satzes und seiner Struktur hinsichtlich ihrer Beziehung zum logischen Aufbau des Denkens eine große Bedeutung. Deshalb muß man vor allem eine Erklärung für die oben angeführten Fakten der Nichtübereinstimmung zwischen Satz und Urteil erhalten. Was das Problem der Beziehung zwischen Urteil und Satz angeht, so kann man aus der Tatsache der Asymmetrie zwischen Satz und Urteil im aristotelischen Sinne (nicht alle Satzarten drücken Urteile aus) offenbar nur schließen, daß Urteil, Frage und Aufforderung als besondere Typen der Gedanken bei allen Unterschieden, die sie untereinander aufweisen, auch irgendwelche gemeinsamen und damit wesentlichen Merkmale besitzen. Dadurch werden sie durch'die verschiedenen Formen ein und derselben sprachlichen Einheit, nämlich des Satzes, ausgedrückt, und zwar durch den Aussage- und Aufforderungssatz. Als allgemeine Merkmale von Urteil, Frage und Aufforderung sind ihre Subjekt-Prädikat-Struktur und die Bezogenheit entsprechender Gedanken auf die Realität, d. h. die Prädikativität, anzusehen. Dies erlaubt sie als Varianten ein und derselben Denkform zu betrachten. Rein terminologische Bedeutung hat dabei die Frage, ob wir bei der Betrachtung des Urteils, der Frage und der Aufforderung als Varianten ein und derselben Denkform sie durch irgendeinen vierten Terminus benennen, z. B. mit dem Terminus logische Phrase oder Logem1 oder ob wir alle mit Urteilen bezeichnen und dabei von Mit9 Panfilov, Sprache und Denken
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teilungsurteil, Frageurteil und Aufforderungsteil (P. V. Kopnin)2 sprechen sollen und den Begriff des Urteils der traditionellen (aristotelischen) formalen Logik erweitern. Einige Logiker3 sind der Meinung, daß Urteil, Frage und Aufforderung verschiedene Formen des Denkens seien, weil ihrer Meinung nach Frage und Aufforderung im Gegensatz zum Urteil nicht irgendetwas über irgendetwas verneinen oder bejahen und damit auch nicht als wahr oder falsch charakterisiert werden können. Die Eigenschaft, wahr oder falsch zu sein, kann man aber kaum als kontinuierliches Merkmal der Denkform betrachten, weil die Denkform durch den Charakter und den Typ der Verbindung der Elemente des Gedankens oder der Gedanken, aus denen sich ein Gedanke zusammensetzt, bestimmt wird. Außerdem müssen bei der Beantwortung dieser Frage auch folgende zwei Umstände berücksichtigt werden: 1. kann man die These bezweifeln, daß Frage und Aufforderung als Formen des Denkens überhaupt nicht vom Standpunkt der Wahrheit oder Falschheit aus betrachtet werden können; 2. wurde schon von Aristoteles festgestellt, daß die Eigenschaft, wahr oder falsch zu sein, nicht für alle Formen der Urteile charakteristisch ist, sondern daß es auch noch den Typ des Möglichkeitsurteils gibt: „Es ist möglich, daß A gleich B ist", was einschließt, „daß es gleichzeitig möglich ist, daß A nicht gleich B ist"4. Wie bekannt ist, wurde diese These von Aristoteles, nachdem sie weiterentwickelt worden war, die Grundlage für die Bildung eines Systems der dreiwertigen modalen Logik bei J. Lukasiewicz5, in der im Gegensatz zur klassischen zweistelligen Logik die Möglichkeit besteht, auszusagen, daß etwas entweder falsch oder richtig oder keines von beiden ist. Bedeutend komplizierter ist die Frage nach der Struktur des Urteils, der Frage und Aufforderung und der grammatischen Struktur des Satzes. Wir lassen zunächst die Frage nach der Struktur des Gedankens, der durch impersonale, eingliedrige und unvollständige Sätze ausgedrückt wird, beiseite, da sie einer speziellen Betrachtung bedarf (s. unten S. 171-175). Wir versuchen zu zeigen, daß aus der Tatsache, daß das logische Subjekt und das logische Prädikat des Urteils bzw. der Frage und der Aufforderung häufig nicht mit dem entsprechenden grammatischen Subjekt (Subjektsgruppe) und dem grammatischen Prädikat (Prädikatsgruppe) eines zweistelligen Satzes zusammenfallen, nicht folgt, daß sie keinerlei Widerspiegelung in der grammatischen Struktur des Satzes haben. Man kann schon a priori behaupten, daß die strukturellen Komponenten des Urteils bzw. der Frage und der Aufforderung alsFormen desDenkens ihrenformalen Ausdruck in der Sprache, in der formalen Struktur des Satzes bekommen müssen, weil es für die Erfüllung der kommunikativen Aufgabe eine not130
wendige Bedingung ist, daß durch spezielle sprachliche Mittel jene Gegenüberstellungfixiert wird, die in der Struktur des Urteils, der Frage und der Aufforderung zwischen dem logischen Subjekt als Begriff vom Gegenstand des Gedankens und dem logischen Prädikat als dem Neuen, das über den Gegenstand des Gedankens mitgeteilt wird, besteht. Wie A. S. Achmanov vollkommen richtig bemerkt, „werden im Sprechakt alle Erscheinungsformen des Gedankens, also auch seine Struktur, mit sprachlichen Mitteln ausgedrückt. . . . Offensichtlich kann der Mensch auf dem Wege der Wahi-nehmung der Rede auch erkennen, welche Form die in der Rede mitgeteilten Gedanken haben. Demnach muß es s p r a c h l i c h e M i t t e l zum Ausdruck der logischen F o r m e n der G e d a n k e n geben." 6 (Sperrung vom Autor. — V. P.) Von Logikern und Sprachwissenschaftlern wurde schon lange bemerkt, daß das logische (nach Meinung anderer Autoren psychologische) Prädikat in den Fällen, in denen es nicht durch das grammatische Prädikat ausgedrückt wird, im Satz durch einen sog. logischen Akzent hervorgehoben wird, d. h. durch eine der Intonationsarten oder auch durch die Wortfolge. Von den ältesten Arbeiten, in denen diese Frage hinreichend genau behandelt wurde, muß man die Arbeit des englischen Logikers Whately erwähnen. Er schrieb: „ . . . Wir können oft einem Satz (proposition) begegnen, dessen Sinn und Bedeutung (drift and force) sehr verschieden sein kann, je nachdem, was wir als sein Prädikat betrachten. Tatsächlich können sie als irgendwie verschiedene Urteile (judgements) betrachtet werden, von denen jedes die Wahrheit aller übrigen voraussetzt, aber jedes hat sein eigenes Prädikat. Die Gliederung eines Satzes wird in jedem Falle verändert und diese Veränderungen werden entweder durch die Wortfolge oder die Intonation oder die Wortemphase (insbesondere des Prädikats) . . . oder durch Kursivsetzung gekennzeichnet (marked)." 7 Bei der Analyse des Satzes The Organon of Bacon was not designed to supersede the Organon of Aristotel zeigt Whately, daß je nach dem, welches der Wörter mit Nennfunktion das logische Prädikat ausdrückt, sechs verschiedene Urteile in ihm enthalten sein können.8 Ph. Wegener schreibt richtig, daß „das Glied des Satzes, auf dem der Akzent liegt, das logische Prädikat ist." 9 Der bekannte russische Logiker A. I. Vvedenskij stellte fest, daß es wesentliche Unterschiede zwischen Satz und Urteil gibt. (Der Satz drückt nur ein Urteil aus; die Nichtübereinstimmung zwischen der Struktur des Urteils und des Satzes und insbesondere das häufige Nichtzusammenfallen von grammatischem und logischem Subjekt, grammati9«
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schem und logischem Prädikat). Er verwies auf drei Ursachen, die eine solche „Abweichung des Auf baus unserer Rede vom Aufbau des Gedankens"' bewirken. Zu diesen Ursachen zählt er die Tatsache, daß „die Sprache jedes Volkes im gewissen Sinne einen eigenständigen Organismus darstellt, der sein eigenes Leben lebt und im Vergleich zu den Sprachen anderer Völker seine eigenen Gesetze hat", während die Logik „bei allen Völkern wie immer sich auch deren Sprachen voneinander unterscheiden mögen, immer nur ein und dieselbe sein kann." Er weist weiter darauf hin, daß „all diese Ursachen, die für das jeweilige Abweichen des Auf baus unserer Rede vom Bau unserer Gedanken verantwortlich sind, uns zwingen, noch zu anderen Hilfsmitteln für den Ausdruck unserer Gedanken Zuflucht zu nehmen, außer zu Wörtern und deren Gruppierung in Form von Sätzen." Seiner Meinung nach „dienen als solche Mittel einerseits der sog. logische Akzent und die Verbindung der Rede, d. h. die Verbindung des Sinnes eines bestimmten Satzes mit dem allgemeinen Sinn der übrigen und hauptsächlich der benachbarten Sätze. Diese Verbindung läßt uns leicht erkennen, was in einem Satz entweder vollkommen unausgesprochen oder auch nicht deutlich ausgesprochen bleibt." 1 0 So mißt A. I. Vvedenskij außer dem logischen Akzent bei der Erläuterung des logischen Prädikats auch dem Kontext eine bestimmte Rolle zu: Der Kontext erlaubt es uns, festzustellen, was in einem gegebenen Urteil neu ist. Eine noch detailliertere und tiefere Begründung weist die Auffassung auf, daß ein seinem lexischen Bestand nach daß gleicher Satz mehrere Urteile ausdrücken kann und daß das logische Prädikat nicht nur durch das grammatische Prädikat ausgedrückt werden kann, sondern auch durch die übrigen Satzglieder, die in solchen Fällen durch den logischen Akzent hervorgehoben werden, oder auch durch die Wortfolge. Diese Auffassung begegnet uns in den Arbeiten des bekannten sowjetischen Logikers P. S. Popov. 11 Im Gegensatz zu einigen Logikern verteidigt Popov „die Interpretation des Subjekts und Prädikats als lebende bewegliche Zentren des Gedankens und der Rede" 1 2 und bestimmt das Prädikat als „Träger des Neuen im Erkenntnisakt". 13 Dadurch, daß Popov sein Hauptaugenmerk auf die Rolle des logischen Akzentes bei der Bestimmung des logischen Prädikats richtet, trägt er zu einer wesentlichen Präzisierung des Begriffes des logischen Akzents selbst bei. Popov unterscheidet drei Arten des logischen Akzents: 1. Der logische Akzent, „der zur Aufdeckung des unmittelbaren Sinngehaltes verwendet wird", durch den „die Aussage in einer bestimmten Einheit der Rede zusammengezogen wird." Offensichtlich hat diese Art des 132
logischen Akzents, der von Popov auch als Phrasenakzent bezeichnet wird, keine Beziehung zur Bestimmung des logischen Prädikats, sondern charakterisiert den Satz als Ganzes, als eine sprachliche Einheit, die einen relativ abgeschlossenen gedanklichen Akt ausdrückt. Mit anderen Worten geht es hier um diesen oder jenen Intonationsverlauf, der jeden Kommunikationsakt (Mitteilung, Frage, Aufforderung) zum Unterschied von anderen Kommunikationsakten charakterisiert und durch den ein bestimmter Abschnitt der Rede zum Ausdruck eines relativ abgeschlossenen gedanklichen Aktes wird. 2. Der logische Akzent, „der in der K o n t r a p o s i t i o n besteht oder auf der Unterstreichung von Schattierungen beruht". 14 J e nachdem, wem dieses oder jenes Element des Satzes gegenübergestellt wird, unterscheidet Popov drei Arten der Kontraposition: a) Die Intraphase, wenn „die kontrastierenden Elemente im Bestand des Redeabschnitts selbst enthalten sind", wie z. B . in dem Satz: Tale ved' jaätone tol'ko videl, no vysledil (-)- „Ich habe dies nicht nur so gesehen, sondern habe es auch befolgt."); b) Die kontextuelle, Extraphase „wenn das Element zur Hervorhebung sich nicht innerhalb der Grenzen des Redeabschnittes befindet", wie z. B. in dem Fall: Tah ved' ja-to äto videl ( + „Ich habe das ja nur so gesehen"); c) Der Intraverbale, „wenn Kompositionsteile des Wortes selbst miteinander einen Kontrast bilden", wie z. B . in dem Fall antifaschistisch, profaschistisch, wo sich nur die Präfixe pro- und anti- gegenübertreten.15 Es besteht kein Zweifel, daß mit den ersten beiden Kontrapositionsarten, durch die ein logischer Akzent geschaffen wird, in den entsprechenden Sätzen das logische Prädikat bestimmt wird. In diesen beiden Fällen, in denen durch den logischen Akzent das logische Prädikat bestimmt wird, tritt es den übrigen Teilen des Satzes syntagmatisch gegenüber. Außerdem kann das logische Prädikat, das durch einen logischen Akzent bestimmt wird, segmentiert und irgendeinem Inhalt gegenübergestellt werden, der in vorhergehenden gedanklichen Akten ausgedrückt worden war; es kann sozusagen das paradigmatische Verhältnis hergestellt werden. Was den dritten Fall der Kontraposition (der interverbalen) anbetrifft, so kann man schwerlich P. S. Popov zustimmen, daß es sich hier um einen logischen Akzent desselben Typs handelt, wie in den ersten beiden Fällen. Ohne daß wir hier die Möglichkeit einer prosodischen Hervorhebung dieses oder jenen Teiles eines Wortes leugnen, müssen wir doch unterstreichen, daß in solchen Fällen der Wortbestandteil nicht den übrigen Teilen des Wortes gegenübergestellt wird und auch nicht dem übrigen Teil des Satzes. Das heißt, daß in diesem Fall keine Gegenüberstellung in der gegebenen syntagmatischen Folge vorliegt, wie sie in den 133
beiden anderen Fällen vorgestellt wurde. Die Hervorhebung dieses oder jenes Wortteiles kann nur paradigmatischen Charakter tragen. Es ist also so: wenn wir das Präfix anti- im Wort antifaschistisch betonen, stellen wir es nicht dem übrigen Teil des Wortes oder gar des Satzes gegenüber, sondern dem implizite gedachten Präfix pro-, d. h. es vollzieht sich die Gegenüberstellung hier nur auf der paradigmatischen Ebene. Deshalb hielten wir es auch für falsch, daß man sich dem Vorschlag einiger Autoren anschließt, die das Auftreten nicht nur der Wörter mit Nennfunktion, sondern auch der Morpheme als logisches Prädikat für möglich erachten. 16 3. Der logische Akzent den man auch als „schöpferischen" bezeichnen kann und „der einen n e u e n Sinn, n e u e Eigenschaften feststellt, eine n e u e Auffassung einführt." (Hervorhebungen vom Autor — V. P.) Hierbei muß man auch die sehr seltenen Fälle in Betracht ziehen, in denen bei der logischen Hervorhebung eines Wortes dieses einen anderen Sinn erhält, als wenn es ohne logischen Akzent verwendet worden wäre. So bekommt in dem Satz Einige einfache Körper sind Metalle das Wort einige bei der Hervorhebung durch den logischen Akzent die Bedeutung nur einige.*1 Es ist klar, daß der logische Akzent in solchen Fällen eine andere funktionale Aufgabe hat als nur die Bestimmung des logischen Prädikats. Unsere Analyse der von Popov vorgenommenen Einteilung des logichen Akzents in drei Typen erlaubt bereits die Schlußfolgerung, daß ihre funktionale Aufgabe und offensichtlich auch ihre sprachliche Natur nicht gleich sind und daß es nützlich wäre, sie alle als verschiedene Arten des logischen Akzents anzusehen. In Anbetracht all dieser Fälle muß man von verschiedenen Intonationsarten sprechen, aber nicht von verschiedenen Arten des logischen Akzents (vgl. Phrasenintonation einerseits und Intonation, mit der das logische Prädikat bestimmt wird, andererseits). Deshalb werden wir bei unserer weiteren Ausführung unter logischem Akzent nur die ersten beiden Arten der Kontraposition eines logischen Akzents im Auge haben. Obwohl die Tatsache der Bestimmung des logischen Prädikats mit Hilfe des logischen Akzents von vielen Linguisten und Logikern konstatiert wurde, fand sie bei der Betrachtung der Beziehung zwischen der logischen Struktur des Gedankens und der Struktur des Satzes noch nicht die ihr gebührende Beachtung. Als Ursache dafür ist offensichtlich der Umstand anzusehen, daß dabei im wesentlichen Materialien aus den indoeuropäischen flektierenden Sprachen herangezogen wurden, in deren System formaler sprachlicher Mittel der logische Akzent einen besonderen Platz einnimmt. Eine besondere Bedeutung erhält dabei der 134
Umstand, daß der logische Akzent nur eines der möglichen formalen Mittel für den Ausdruck der Gliederung des Urteils in Subjekt und Prädikat ist und daß insbesondere in vielen Sprachen neben dem logischen Akzent, der in allen Sprachen zu finden ist, dafür noch spezielle Morpheme, Hilfswortarten und andere morphologische Mittel verwendet werden; auch syntaktische Mittel wie die Wortfolge u. a. können dazu dienen. Die Analyse sprachlicher Mittel, die zur Markierung der Elemente der logischen Struktur eines Logems benutzt werden, zeigt, daß sich ihr Charakter in einer bestimmten Abhängigkeit von den typologischen Eigenschaften einer Sprache befindet. Es erweist sich als nützlich, in dieser Hinsicht vor allem die Sprachen des synthetisch-agglutinierenden und des polysynthetisch-agglutinierenden Typs anzusehen.18 In der nivchischen Sprache wird in den Fällen, in denen das logische Prädikat des Urteils, das seinerseits durch die Modalität der einfachen Zuverlässigkeit charakterisiert ist, nicht durch das grammatische Prädikat, sondern durch irgendein anderes Satzglied ausgedrückt wird, dieses letztere durch ein spezielles Prädikativ-Suffix -ta, -ra, -da angezeigt.19 Zum Beispiel: 1. Xevgun vid'lal Xevgun vid'ra. ( = Xevgun geht? Xevgun geht). 2. Xevgunla vid'? Xevgunda vid' ( = Geht Xevgun? Es geht Xevgun). 3. Xevgun tyftogla vid'? Xevgun tyftoxta vid'. ( = Xevgun geht nach Hause? Nach Hause geht Xevgun). 4. Xevgun nymrla vid'? Xevgun nymrla, vid' ( = Xevgun ging gestern? Gestern ging Xevgun). 5. Xevgun tukila igd'l Xevgun tukira igd' ( = Xevgun fing einen Stör ? Einen Stör fing Xevgun). 20 In jedem der angeführten Beispiele sind die beiden Sätze ein Fragesatz und der darauf als Antwort dienende Aussagesatz. Das Glied des Fragesatzes, das jenes Element des Gedankens ausdrückt, das hier in Zweifel gesetzt ist, wird durch die Fragepartikel -la gebildet, die etwa dem russischen Ii entspricht. In der Antwort erhält das entsprechende bejahende Element, das zugleich auch Träger der neuen Information im Antwortsatz ist, das Prädikativ-Suffix -ta, -ra oder -da. Im ersten Beispiel trifft dies für die verbale Aussage vid'la/vid'ra zu; im zweiten Beispiel für das Subjekt, das durch das Substantiv XevgunlaIXevgunda ausgedrückt ist; im dritten Beispiel für den Umstand des Ortes, der durch ein Substantiv im Dativ-Direktiv tyftogla ¡tyftoxta ausgedrückt wird; im vierten Beispiel für den Umstand der Zeit nymrla/nymrta; im fünften Beispiel für das direkte Objekt, das durch ein Substantiv im Kasus absolutus ausgedrückt ist: tukila/tukira. Wie schon erwähnt, kann das Prädikativ-Suffix -ta, -ra, -da in der nivchischen Sprache mit diesem oder jenem Satzglied 135
nicht nur im affirmativen, sondern auch im negativen Satz, der als Antwortsatz erscheint, verknüpft werden. Z. B.: Ad'mula lyrkt' ? Mu hadoxq'aukra t'lrta lyrkt' ( = Schwimmt da ein Kahn11. Nicht ein Kahn[wörtl.: beileibe kein Kahn], ein Baum schwimmt da.) In der Antwort wird das PrädikativSuffix im ersten Satz an das negierende Verbum q'aulc ( = es ist nicht) angefügt, das als Prädikatsteil auftritt, während im zweiten Satz das Suffix an das Subjekt t'ir (== Baum) tritt. Eine Prädikativbildung kann auch ein Satzglied erhalten, das ein gedankliches Element ausdrückt, das nach einer Frage eines anderen Typs auftritt, nämlich wenn die Frage nach der Charakterisierung des Gegenstandes des Gedankens überhaupt gestellt wird. Z. TS.: Anna ömorqaud'? Ty n'ivgda n'morqaud'. ( = Wer hat Dir das Leben gerettet ? Dieser Mensch hat mir das Leben gerettet.). Die Bildung irgendeines Satzgliedes mit dem Prädikativ-Suffix kann auch stattfinden, wenn eine direkt ausgedrückte Frage fehlt. Z. B.: 1. hena, ykyd', öyn ykyd', p'ryguja — hy, n'ira ykyd' ( = Nun, der Älteste von Euch soll kommen. — Ja, ich bin der Älteste). Das PrädikatsSuffix ist hier dem Subjekt n'i ( = ich) angefügt. 2. hoRonan vazaX itt': — „JaRo kinzna % nyt'x nykrra nyki kylkyrra nyvrski helora — ho Rod'ra. hoRonan vazaX itt': — hyd' hins hadox q'aud'ra hyd k'eqra Imuräki qalhira." ( = Dann sagte der Reiher: „Was ist ein Teufel? Vier Füße, ein sehr langer Schwanz und fuchsrote Haare". — „So." Dann sagte der Reiher: "Das ist kein Teufel (wörtlich: beileibe kein Teufel). Das ist ein Fuchs'1. Sein Horn ist aus Schilfrohr (wörtl.: Schilf). In der Prädikativbildung treten die Wörter ho Rod' ( = so), das negierende Verbum q'aud', die Substantive k'eq ( = Fuchs), q'alni (Schilf), auf; die Wörter nykrra ( = vier), kylkyrra ( = sehr lang), helora ( = fuchsrot) werden durch ein homonymes Iterativsuffix -ra gebildet. Es können auch zwei Glieder ein und desselben Satzes diese Prädikativbildung erfahren, wenn jedes für sich etwas Neues über den Gegenstand des Gedankens feststellt. Z. B.: K'enhaty n'ivgguda ruf t'aqrsta ( = doch die Sonnen sind Menschen, das sind die drei Brüder) (Bemerkung des Autors: In der Vorstellung des nivchischen Märchens gibt es mehrere Sonnen, weshalb „Sonne" hier im Plural steht.). 2. Syk n'avruin imn nafqxu syk mut kurkurut humd'gu. P'nafqp'nafqxu k'est itt'gu: „Mangla ginsta tuin humd'ra". ( = alle an einem Ort ihrer Kameraden sie alle waren zu Tode erstarrt. Die Herankommenden sagen zueinander: „Ein mächtiger Teufel befindet sich hier").3. hoRat ykyd'xe lafinge men ugryt vid'ra hiv mugirta ( = dann fuhren der älteste Bruder und der Bewohner des Amur beide zusammen in den Birkenkähnen weg). Im ersten Satz 136
wird das Wort n'ivgguda (Menschen) und die Wortgruppe ruf t'aqrMa (drei Menschen) mit dem Prädikativ-Suffix -ta, -ra, -da gebildet, da sie an die Stelle des Prädikats treten; beide drücken demnach ein logisches Prädikat aus. Im letzten Satz der phraseologischen Einheit, die unter 2. steht, ist mit demselben Prädikativsuffix das Syntagma mangla ginsta (mächtiger Teufel) und das Syntagma tuin humä'ra (hier befindet sich) gebildet, von denen jedes folglich in der Funktion des logischen Prädikats auftritt. Im 3. Satz hat das Prädikatsverb vid'ra (sie fahren) die Prädikativbildung sowie auch das indirekte Objekt mugirta (mit Kähnen), das unter Verletzung der gewöhnlichen Wortfolge in Postposition zum Prädikatsverb gesetzt ist. Es sei noch erwähnt, daß in der nivchischen Sprache, wie auch in anderen Sprachen 21 , in denen es spezielle morphologische Träger für das Prädikat gibt, letzteres zugleich auch durch den logischen Akzent hervorgehoben wird. Hiermit gibt es in diesen Sprachen auch Fälle, in denen der logische Akzent als einziger Träger des logischen Prädikats auftritt und in denen die Prädikativmorpheme ihre Funktion als Prädikatsträger verlieren. So wird im Nivchischen, wenn das logische Prädikat durch ein Attribut ausgedrückt wird, dieses nur durch den logischen Akzent hervorgehoben und nie mit dem prädikativen Suffix -ta versehen, das in solchen Fällen dem grammatischen Prädikat zugeordnet wird, aber nicht das logische Prädikat ausdrückt. Z. B.: 1. „Aiz nirgir in'nyd'la? Tyuz nirgir in'nyd'la? Ormi nirgir in'nyd'la?" - „Ormi nirgir in'nyd'ra" - mer umgu itt' ( = „Aus einem goldenen Gefäß wirst du essen? Aus einem kupfernen Gefäß wirst du essen? Aus einem tönernen Gefäß wirst du essen?" — „Aus einem tönernen Gefäß werde ich essen" antwortet unsere Frau). In den Fragen und in der Antwort wird durch den logischen Akzent das entsprechende Attribut hervorgehoben (aiz „golden" (wörtl. „Gold"), tyuz „kupfern" (wörtl. „Kupfer"), ormi „tönern" (wörtl. „Ton")) und die Fragepartikel la sowie das Prädikativ-Suffix bilden den Prädikatsausdruck beim Verbum in'd' „essen" im Futur. 2. hy dyf n'ymykxu n'ytykxu dyfra ( = dieses Haus (ist) meiner Mütter und meiner Väter Haus). Durch den logischen Akzent wird das Attribut „meiner Mütter" (wörtl.: meine Mütter) und „meiner Väter" (wörtl. meine Väter) hervorgehoben, während das Prädikativ-Suffix ta an das Substantiv t y f , r y f , dyf ( = Haus) tritt. Solche Besonderheiten, die wir beobachten, wenn das logische Prädikat durch ein Attribut ausgedrückt wird, sind offenbar dadurch bedingt, daß ein beliebiges Attribut in der nivchischen Sprache als grammatisches Prädikat oder an Stelle des grammatischen Prädikats auftreten kann. Was den 137
Ausdruck des logischen Prädikats durch andere Satzglieder betrifft (durch Objekte oder Adverbialausdrücke), so sind neben diesen Fällen, in denen sie außer durch Verwendung des Prädikativ-Suffixes -ta, -ra, -da auch noch durch den logischen Akzent hervorgehoben werden, auch andere Fälle möglich, in denen sie in ihrer Funktion des logischen Prädikats nur durch den logischen Akzent markiert werden. So sind also z. B. folgende parallele Verwendungen möglich: 1. N'ivaqara evd' und N'ivaqa vod'ra ( = den Kasten habe ich genommen); 2. Xevgun Q'almuinra). humd' und Xevgun Q'almuin humd'ra ( = In Kal'ma wohnt Xevgun). Im ersten Satzpaar wird das logische Prädikat durch das direkte Objekt ausgedrückt, dementsprechend vaqara und vaqa ( = Kasten), aber das Prädikativ-Suffix -ta, -ra, -da bildet nur im 1. Satz dieses Paares das direkte Objekt, während es im 2. Satz nur durch den logischen Akzent hervorgehoben wird. Auch die Form des Prädikatsverbs ist in diesen Sätzen verschieden: Im 1. Satz schließt es den pronominalen Objektträger e- ein, während es im 2. keinen solchen Träger hat und durch das Suffix -ta, -ra, -da erweitert wird, welches hier seine Bedeutung als Prädikatsträger verliert. Im 2. Satzpaar wird das logische Prädikat durch das lokale Adverbiale ausgedrückt und dementsprechend Q'almuinra und Q'almuin ( = in Kal'ma), wobei das Prädikativ-Suffix nur beim ersten der beiden Wörter auftritt, während das zweite wiederum nur durch den logischen Akzent hervorgehoben wird. Im 2. Satz tritt an das Prädikatsverb das Suffix -ta, -ra, -da, das hier jedoch auch keine prädikative Funktion mehr hat. Einen noch ausgeprägteren morphologischen Ausdruck in der Satzstruktur als im Nivchischen erhält die Struktur des Urteils in der japanischen Sprache. Hier gibt es zum Unterschied vom Nivchischen nicht nur einen speziellen Träger des logischen Prädikats (das Suffix -ga), sondern auch einen speziellen Träger für das logische Subjekt (das Suffix -wa), aber auch die bedeutend seltener verwendeten Suffixe -mo und -demo22. Wie N. I. Fel'dman bemerkt, wird das Suffix -wa an das eine oder andere Satzglied angefügt, also auch an das Subjekt, wenn es das logische Subjekt ausdrückt, während das Suffix -ga an Satzglieder angefügt wird (darunter auch das Subjekt), wenn es das logisches Prädikat ausdrückt.23 Z. B . : Tanakasan wa kimashita ( = Tanaka kam) — der logische Akzent liegt auf dem grammatischen Prädikat. Tanakasan ga kimashita ( = Es kam Tanaka) — der logische Akzent liegt auf dem grammatischen Subjekt. 24 Dabei kann in der japanischen Sprache „-wa nach jedem oder fast jedem Glied der Gruppe des logischen Subjekts folgen, z. B. nach dem Adverbiale des Ortes oder der Zeit, wenn 138
sie einen Satz beginnen, oder nach dem grammatischen Subjekt usw. Damit ist die Grenze zwischen den Gruppen des logischen Subjekts und des logischen Prädikats besonders deutlich angezeigt." 25 Das Suffix -wa im Japanischen wird auch an ein Wort im absoluten Nominativ angefügt, das „. . . mit den folgenden Wörtern in keiner grammatischen Beziehung steht" 26 und bezeichnet nur das Thema einer Aussage, d. h. mit anderen Worten das logische Subjekt als einen Begriff vom Gegenstand des Gedankens. Bekanntlich kann man in der russischen Sprache eine solche Hervorhebung des Themas der Aussage in Sätzen mit der Wendung „ito kasaetsja ..., to . . . beobachten, z. B. ¿to kasaetsja Ivanova, to emu nuino ser'ezno leöit'sja ( = Was Ivanov betrifft, so muß er gründlich ausgeheilt werden). 27 In der jukagirischen Sprache 28 gibt es die speziellen Prädikativ-Suffixe -le, -k, die an Substantive angehängt werden, wenn sie in der Funktion des Subjekts und des Objekts auftreten, sofern damit das logische Prädikat ausgedrückt ist. Z.B.: Ile mekaldet (= Das Ren lief davon)-, Ilele, kaldejl ( = Das Ren lief davon); Ama ilele pun'mele ( = Der Vater tötete das Ren). Wie aus den beiden ersten Beispielen hervorgeht, hat das verbale Prädikat in der jukagirischen Sprache eine unterschiedliche Form, je nachdem, ob es das logische Prädikat ausdrückt oder nicht. In den Fällen, in denen das logische Prädikat durch das Subjekt ausgedrückt wird, weist nicht nur das Suffix -le auf das logische Prädikat hin, sondern auch eine besondere Form des Prädikatsverbs. Besonders anschaulich erscheint dies indenFällen, in denen die Personalpronomenin der Funktion des Subjektes und des Objekts auftreten, z. B.: Met ai ( = Ich habe geschossen) Met meraii} (Ich habe geschossen)-, Tet memekaimei} ( = Du hast auf mich geschossen); Tet metul meraimek ( = Du hast auf mich geschossen). Ein besonderer Träger des logischen Prädikats muß in der jukagirischen Sprache in den Fällen verwendet werden, in denen das Subjekt, das durch ein Nomen actionis ausgedrückt wird, als logisches Prädikat auftritt. In einem solchen Falle tritt an das Nomen actionis das Demonstrativpronomen tanut („dieser"), z. B.: KeluldaRut monul ( = der Angekommene sagte). Wenn aber das logische Prädikat nicht durch ein Nomen actionis ausgedrückt wird, das als Subjekt fungiert, so wird ihm das Demonstrativpronomen taRi („dieser") angefügt, z . B . : KeleldaRi moni ( = der Angekommene sagteJ.29 Somit übt die Erfordernis des Ausdrucks des logischen Prädikats einen wesentlichen Einfluß auf den gesamten morphologischen Bau der jukagirischen Sprache aus. Einen konsequenten morphologischen Ausdruck erhält die Struktur des Gedankens in der Hausa-Sprache, in der 139
jedoch im Gegensatz zu den bisher betrachteten Sprachen hierfür nicht Morpheme verwendet werden, sondern Partikel. In dieser Sprache wird das logische Prädikat des Urteils durch die postpositiven Partikel ne bzw. ce ausgedrückt, die in dieser Funktion bei jedem beliebigen Satzglied auftreten können und sich dadurch von einigen anderen prädikativen Partikeln (dai, kuwa u. a.), die einen begrenzteren Anwendungsbereich haben, unterscheiden. Beispiele für die Anwendung der prädikativen Partikeln ne/ce: 1. Sarauniya ce ta ke bayarwa, bayan ta shawarci masu ba ta shawara ( = Die Königin erteilt es, nachdem sie sich mit ihren Ratgebern beraten hatte); 2. Kila dai Gabriel ne ya sace su ( = Es ist möglich, daß Gabriel sie gestohlen hat); 3. Duk maganar da zai yi, rai yi wa shugaba ne ( = Eine beliebige Rede, die er halten wird, wird er halten, indem er sich zum Vorsitzenden wendet). Neben den speziellen prädikativen Partikeln wird zur Hervorhebung des logischen Prädikats im Hausa auch die Inversion angewendet. Damit werden einige Glieder der Prädikatsgruppe als logisches Prädikat markiert, die andernfalls die letzte Stelle in der Prädikatsgruppe einnehmen würden, aber im Falle des logischen Prädikats an erster Stelle in der Prädikatsgruppe stehen. 30 Ein spezielles Prädikativ-Suffix in der Satzfrage gibt es in der ba§kirischen Sprache. Z.B. 1. hin byl kitapty aldynmy ? (= Hast du ein Buch genommen?); 2. hin byl hitaptymy aldyn? ( = Hast du ein Buch genommen?); 3. hinme byl kitapty aldyn? ( = Hast du ein Buch genommen?) Im ersten dieser Sätze wird das Prädikativ-Suffix my/me an das Prädikatsverb aldynmy „nahm" angefügt, im zweiten Satz an das direkte Objekt hitaptymy „Buch" und im 3. Satz schließlich an das Subjekt hinme „du".31* In besonderer Weise wird die Struktur des Urteils in der abchazischen Sprache ausgedrückt. Hier kann in Sätzen mit einem Prädikatsverb, die Urteile mit der modalen Bedeutung der einfachen Gewißheit ausdrücken, das logische Prädikat außer durch das grammatische Prädikat durch jedes beliebige Satzglied ausgedrückt werden. Als Funktionsträger wirkt hier ein Hilfswort mit der Bedeutung „es ist", das im Satz je nachdem, mit welchem Satzglied das logische Prädikat ausgedrückt wird, seine Stelle wechselt und dem jeweiligen Satzglied nachgestellt wird. Z. B.: 1. Nina iax'a aäkol ax' dyccakny dcoit aup ( = Nina heute in die Schule (sie) geht eilig); 2. Nina loup iax'a askol ax' iccakny ico ( = Nina (sie) ist heute in die Schule (sie) eilig geht); wörtl.: die gehend ist); 3. Nina iax'a aup aäkol ax' dyccakny dax'co ( = Nina heute in die Schule (es) ist (sie) eilig (sie) geht; wörtl.: wenn sie gehend ist); 4. Nina iax'a askolax' 140
aup dyccakny danco ( = Nina heute in die Schule (es) ist (sie) eilig g e h t ; wörtl.: wenn sie gehend ist); 5. Nina iax'a aäkol ax' dyccalcny aup dysco ( = Nina heute in die Schule (sie) eilig (es) ist (sie) geht; wörtl.: sie gehend). I m ersten Satz wird das logische Prädikat durch das Prädikatsverb dcoit „geht" ausgedrückt, hinter dem auch die Kopula aup steht. Das Prädikatsverb wird in der finiten Form verwendet, bei der durch das Klassenmonem für die Klasse der Menschen d- das Subjekt Nina wiedergegeben wird. I m zweiten Satz wird das logische Prädikat durch das grammatische Subjekt Nina ausgedrückt, nach dem die Kopula loup steht. I n diesem Satz tritt das Subjekt Nina in der Funktion des logischen Prädikats auf und wird einerseits durch das Klassenmonem f ü r Frauen l- in der Kopula l-o-up wiedergegeben und andererseits durch das Relativpronominal-Affix i- beim Verbum ico, das seinerseits eine Infinitivform aufweist. I m 3. Satz wird das logische Prädikat durch das Temporaladverb iax'a „heute" ausgedrückt, nach dem die Kopula aup steht, die durch ihr Klassenmonem a- dieses Zeitverhältnis wiedergibt. Das Subjekt Nina wird durch das Monem der Klasse für Menschen d- im Prädikatsverb d-anco wiedergegeben, das auch Infinitivform hat. I n diesem Prädikatsverb wird auch das logische Prädikat iax'a „heute" wiedergegeben. I m 4. und 5. Satz wird das logische Prädikat durch den lokalen Adverbialausdruck askol ax' „in der Schule" bzw. durch den adverbialen Ausdruck der Art und Weise und der Handlung dyccalcny „eilig" ausgedrückt. Nach dem jeweiligen logischen Prädikat steht dann die Kopula aup. Außerdem wird in jedem dieser Sätze das logische Prädikat auch im Prädikatsverb wiedergegeben, das jeweils Infinitivform hat. Die Subjekte beider Sätze spiegeln sich in Form dieser Prädikatsverben wider. So erfolgt im Abchazischen bei ein u n d demselben syntaktischen Satzbau und seiner konkreten Besetzung mit lexischen Mitteln eine wesentliche Veränderung in der Struktur des Satzes und der grammatischen Form seiner Glieder je nachdem, welches Satzglied das logische Prädikat ausdrückt. Insbesondere ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß sich dabei die syntaktischen Beziehungen im Satzbau verändern, was anschaulich durch das jeweilige Klassenmonem, das sich innerhalb der Form des verbalen Prädikats und der Kopula befindet, demonstriert werden kann. 3 2 Bedeutend komplizierter verhält es sich mit dem Ausdruck des logischen Prädikats eines Urteils innerhalb eines Satzes in der Cukcischen Sprache. Wenn in dieser Sprache das logische Prädikat des Urteils nicht durch das grammatische Prädikat ausgedrückt wird, sondern durch irgendein beliebiges Satzglied, so wird zu diesem Zweck der logische Akzent b e n u t z t . Wenn 141
dies außerdem ein Attribut eines Nomens oder ein Objekt und eine adverbiale Bestimmung des Prädikatsverbs betrifft, so werden zwei verschiedene syntaktische Verfahren angewendet: die sog. Inkorporation, wenn die abhängigen Glieder dieser Syntagmen mit dem führenden Glied durch einen präfixal-suffixalen Rahmen zu einem geschlossenen Komplex vereinigt werden (zugleich auch Vokalharmonie); das zweite Verfahren wird verwendet, wenn die Abhängigkeit einen speziell morphologischen Ausdruck erhält und nicht der Vokalharmonie unterworfen ist. Dieses zweite syntaktische Verfahren wird nur dann angewendet, wenn diese Glieder des Syntagmas logisch hervorgehoben werden. Beispiele: 1. Ytlygyn etg-i ( = Der Vater kam); 2. Ytlygyn etg-i ( = Es kam der Vater; 3. Ytlygä jyqykyn-unin majnyqorany ( = Der Vater fing schnell einen großen Renhirsch); 4. Ytlygyn nyjyq-äv majnyqorakyn-og-ä ( = Der Vater fing schnell einen großen Renhirsch); 5. Ytlygä kyn-unin nymäjynqin qorany ( = Der Vater fing einen großen Renhirsch); 6. Ytlygä kyn-unin majnyqorany ( = Der Vater fing einen großen Renhirsch). I m 1. und 2. Satz liegt der logische Akzent auf dem Prädikat bzw. dem Subjekt. I m 4. Satz wird im Gegensatz zum 3. der Umstand der Art und Weise der Handlung nyjyq-äv „schnell" logisch hervorgehoben, der infolgedessen eine selbständige Bildung erhält, während er im 3. Satz mit dem Prädikatsverb durch Inkorporation verschmolzen wird. Im 5. und 6. Satz wird nymäjynqin und majny „groß" logisch hervorgehoben, wobei es im 5. Satz eine selbständige Bildung bekommt u n d im 6. mit dem determinierten Glied durch Inkorporation verschmolzen wird und nur durch den logischen Akzent hervorgehoben ist. 33 Im Mansischen (syvinischer Dialekt) wird das Satzglied, das das logische Prädikat des Urteils ausdrückt, durch den logischen Akzent hervorgehoben und ändert je nach dieser Hervorhebung den Konjugationst y p des Verbs. Z. B. 1. Ä t ' a m xäp wärdste (= Der Vater baute ein Boot); 2. Ät'am xäp wäres ( = Ein Boot baute der Vater); 3. X ä p ät'amn wärwes ( = Ein Boot baute der Vater). Iva. ersten Satz liegt der logische Akzent auf dem Prädikatsverb wäraste, das in der Subjekt-Objekt-Form der Konjugation steht. Es stimmt mit dem Subjekt im Grundkasus ät'am („Vater") in Person und Kasus überein, stimmt aber mit dem Objekt, das im selben Kasus steht, xäp „Boot", nur im Numerus überein. I m 2. Satz liegt der logische Akzent auf dem Objekt, das im Grundkasus steht {xäp), während das Prädikatsverb die Subjekt-Form der Konjugationshat. Schließlich wird im 3. Satz das logische Prädikat durch das Nomen des Handlungssubjekts at'amn „Vater" ausgedrückt, das im Direktiv steht, was durch das Suffix -w(e) beim Prädikatsverb zum Ausdruck 142
kommt, während das Nomen des Objekts der Handlung, xäp, im Grundkasus steht und mit dem Verbuni im Numerus übereinstimmt. 34 Im Unterschied zum ersten und zweiten Satz, die eine nominative Konstruktion aufweisen, muß man den dritten Satz offenbar als einen Satz mit Ergativkonstruktion ansehen. Etwas Ähnliches findet man auch bei der Erforschung des Nencischen, wo bei Vorhandensein eines logischen Akzentes auf dem direkten Objekt das transitive Verbum nach der intransitiven Nicht-Objekt-Form der Konjugation gebeugt wird, während es nach dem transitiven T y p konjugiert wird, wenn der logische Akzent auf dem Prädikatsverb liegt. 35 In dieser Hinsicht muß bemerkt werden, daß die Veränderung der Rolle, die das direkte Objekt in der logischen Struktur des im Satz ausgedrückten Gedankens spielt, zur Umstellung der syntaktischen Verbindungen im Satz führt: Das direkte Objekt, das das logische Prädikat des Urteils ausdrückt, wird zum unabhängigen Glied des Satzes, was seinen Ausdruck darin findet, daß es in einem solchen Falle nicht in der Form des transitiven Verbums wiedergegeben wird. Wir haben oben die Methoden des sprachlichen Ausdrucks für die logische Urteilsstruktur in Sprachen des synthetisch-agglutinierenden oder polysynthetisch-agglutinierenden Typs betrachtet, die verschiedenen verwandschaftlichen Gruppierungen angehören. Bei ihnen spielen in dieser Hinsicht die morphologischen Mittel eine bedeutende Rolle, wozu die speziell diesen Zwecken dienenden Morpheme, die als Wortkomponenten auftreten, gehören. Eine charakteristische Besonderheit vieler dieser Sprachen ist, daß die zur Hervorhebung des logischen Prädikats verwendeten Morpheme und Hilfswortarten gewissermaßen einen sehr allgemeinen Charakter haben, denn sie treten in dieser Funktion bei jedem beliebigen Satzglied und unabhängig von der jeweiligen morphologischen Form des Satzgliedes auf. Mit anderen Worten besitzen die Mittel für den sprachlichen Ausdruck der logischen Urteilsstruktur in solchen Sprachen dieselben typologischen Züge, die sich bei der gesamten Wortstruktur sowie auch im Charakter der Ausdrucksmittel für grammatische Kategorien in diesen Sprachen abzeichnen. Eine ähnliche Situation finden wir mutatis mutandis auch bei Sprachen anderer Typen vor. In den Sprachen des analytisch-agglutinierenden Typs werden als Mittel des sprachlichen Ausdrucks für das logische Prädikat die Intonation, spezielle Morpheme und Hilfswortarten, aber auch die Wortfolge genutzt. 143
In bezug auf die Sprachen des analytisch-agglutinierenden T y p s wurde die Frage der Mittel des sprachlichen Ausdrucks für das logische Prädikat in den Fällen, in denen es nicht mit dem grammatischen Prädikat (der Prädikatsgruppe) zusammenfällt, am eingehendsten von A. A. Dragunov am Beispiel der chinesischen Sprache untersucht. Wie Dragunov bemerkt, wird das Wort, das die Handlung bezeichnet, in den Fällen, in denen im Chinesischen im Prädikat der Mitteilung kein Wort steht, das eine Handlung bezeichnet, sondern irgendwelche anderen Wörter, die entweder das Subjekt oder das Objekt der Handlung oder verschiedene Umstände, unter denen sich die Handlung vollzieht, oder die die Art und Weise der Handlung charakterisieren, gewöhnlich mit dem determinierenden Suffix -de versehen, durch das das Verbum zu einem Nomen wird. 36 So weist eine solche Suffixkonstruktion bei einem Wort, das die Handlung bezeichnet, darauf hin, daß es nicht in seiner hauptsächlichen Funktion auftritt, sondern in der Funktion des logischen Prädikats und daß demzufolge in solchen Fällen irgendwelche anderen Wörter des Satzes jene Funktion übernehmen. Dragunov weist auch darauf hin, daß in solchen Fällen Wörter, die das logische Prädikat der Mitteilung ausdrücken, nicht nur negativ, sondern auch positiv durch die Verwendung der Kopula shi „ist" hervorgehoben werden. Offensichtlich werden aber in all diesen Fällen die Wörter, die das logische Prädikat ausdrücken, auch positiv durch den logischen Akzent ausgedrückt, wie dies von anderen Sinologen betont wird. Wir führen einige Beispiele an: 1. Das Wort (Syntagma), das das Subjekt der Handlung ausdrückt, steht in der Funktion des logischen Prädikats: — Name, wo xian qu mai piao qu ba! (D (Gut, dann werde ich vorher Eintrittskarten kaufen gehen!) — Bu yong mai, wo zher you liangzhang piao. (2) (Nicht nötig, ich habe hier zwei). — Weishenme shi ni mai piao ni? (3) (Warum kaufst du wieder die Karten?) — B u shi wo maide. (4) (Ich habe sie ja gar nicht gekauft). — shui maide? (5) (Wer denn?) — Shi women xuexiaoli song gei wode. (6) (Sie wurden mir aus unserer Schule geschickt.) Im dritten Satz wird das Pronomen ni („du"), das das Subjekt der Handlung bezeichnet, als logisches Prädikat durch Verwendung der 144
Kopula shi hervorgehoben. Im vierten Satz wird das Personalpronomen wo („ich") als logisches Prädikat durch die Kopula shi und negativ über die Anfügung des Suffixes -de an das Wort mai („kaufen") hervorgehoben. Im sechsten Satz tritt als logisches Prädikat das Syntagma women xuexiaoli („aus unserer Schule") auf, das auf den Umstand der Erfüllung der Handlung hinweist und wird durch die Kopula shi positiv und durch Hinzufügen des Suffixes -de an das Verbum wo („kaufen") negativ unterstrichen.37 — Qiangshang guade shi zhongguo ditu. (Das, was an der Wand hängt, ist eine Karte von China.) Das logische Prädikat, das durch das Syntagma zhongguo ditu ausgedrückt wird, ist hier durch die Kopula shi markiert, während das Wort gua („hängen") durch das nominale Suffix -de ausgedrückt wird. Vgl.: Qiangshang guazhe zhongguo ditu. ( = An der Wand hängt eine Karte von China.), wo eine einfache Feststellung der Tatsache stattfindet und die Kopula shi fehlt. 38 2. Das Wort (Syntagma), das das Objekt der Handlung ausdrückt, steht in der Funktion des logischen Prädikats: — Ta kande shi zhongguo bao. (Das von ihm Gelesene sind chinesische Zeitungen.) Das logische Prädikat, das durch das Syntagma zhongguo bao („chinesische Zeitungen") ausgedrückt wird, weist auf das Subjekt der Handlung hin, das positiv durch die Kopula shi hervorgehoben wird und negativ durch die Anfügung des Suffix -de an kan („lesen"). Vgl.: Ta kan zhongguo bao (Er liest chinesische Zeitungen), wo die einfache Feststellung der Tatsache ohne besondere Hervorhebung des Handlungsobjektes als logisches Prädikat durch das Fehlen des Suffixes -de und der Kopula shi ausgedrückt wird.39 3. Das Wort (Syntagma) weist auf den Umstand der Handlungsausführung hin und steht in der Funktion des logischen Prädikats: a) - Baofu diaode heli ( = Das Bündel fiel in den Fluß) Hier wird das logische Prädikat durch das Substantiv he („Fluß") mit der Postposition -Ii („in") ausgedrückt, und das Wort diao („fallen") wird mit dem Nominalsuffix -de gebildet. Vgl. Baofu diao zai heli (Das Bündel fiel in den Fluß), wo die einfache Feststellung der Tatsache stattfindet und an das Verbum diao kein Suffix -de tritt. 4 0 b) — Ma paode leuai (Das Pferd läuft schnell). Das logische Prädikat wird hier durch das Wort kuai („schnell") ausgedrückt und das Wort pao („laufen") wird mit dem Nominalsuffix -de gebildet.4» 10 Panfllov, Sprache uad Denken
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Die Intonation, Hilfswortarten und die Wortstellung werden zum Zwecke der Hervorhebung des logischen Prädikats in den Fällen, in denen es nicht durch das Verbum ausgedrückt ist, auch in einer anderen Sprache des analytisch-agglutinierenden Typs, im Burmesischen, benutzt. Als Beispiele führen wir an: 1. Äphe lä p'i. (der Vater kam); 2. La p'i äphe. (Es kam der Vater); 3. Äphe bä 1® p'i (Es kam der Vater). Im 2. Satz wird das Verbum lä p'i (kam) bei besonderer logischer Hervorhebung an erster Stelle gesetzt und im 3. Satz, in dem logisch äphe (Vater) hervorgehoben wird, wird diesem Substantiv die Partikel bä nachgestellt. Wie die oben angestellte Analyse zeigt, unterscheidet sich der Vorrat der formalen sprachlichen Mittel, die in den Sprachen des analytischagglutinierenden Typs für die Hervorhebung des logischen Prädikats verwendet werden, kaum von dem der Sprachen des polysynthetischen oder synthetisch-agglutinierenden Typs. Jedoch besteht ein Unterschied darin, daß in den Sprachen des letztgenannten Typs spezielle Morpheme, die als Wortkomponenten in Erscheinung treten, überwiegen, während in den Sprachen des erstgenannten Typs die Hilfswortarten mehr oder weniger die Hauptrolle spielen. Der zweite wesentliche Unterschied zwischen den Sprachen dieser beiden Typen besteht darin, daß der funktionale Akzent (der Ausdruck des logischen Prädikats oder Subjekts), der auf dem einen oder anderen Wort liegt, in den Sprachen des zweiten Typs auch nicht zur Veränderung der grammatischen Natur dieses Wortes führt, wenn ihm spezielle Morpheme zugefügt werden. In den Sprachen des zweiten Typs ist in diesen Fällen die Veränderung der grammatischen Natur möglich, was z. B. im Chinesischen der Fall ist, wenn durch die Anfügung des Suffixes -de an das Wort, das die Handlung ausdrückt, ein Verbum zum Nomen transponiert wird (s. oben S. 143—144). Im Gegensatz zu den Sprachen des synthetisch-agglutinierenden, des polysynthetisch-agglutinierenden und teilweise des analytisch-agglutinierenden Typs, in denen beim Ausdruck der logischen Struktur des Urteils die verschiedenartigen morphologischen Mittel (spezielle Morpheme, Partikel usw.) eine große Rolle spielen, wird in den Sprachen des synthetisch-flektierenden Typs dafür vor allem der logische Akzent und als zusätzliches Mittel die Wortstellung benutzt. Ein typischer Vertreter solcher Sprachen ist das Bussische. Wie spezielle Experimentaluntersuchungen zeigten, gibt es im Russischen unter den verschiedenen Arten der Intonation besonders drei Typen der logischen Intonation: Die der Aussage, der Frage und der Aufforderung.42 Dabei wurde folgendes festgestellt: 146
1. Die einfache Intonation der Frage und Antwort (d. h. die Intonation der Aussage) bestimmen wir auditiv nicht nach dem Tonverlauf am Ende des ganzen Satzes, sondern nach dem Tonverlauf unter Berücksichtigung des Sprechrhythmus und der Intensität in dem Wort, durch das das logische Prädikat ausgedrückt wird, unabhängig von seiner Stellung innerhalb des Satzes, seinem Phonembestand und seiner lexischen Bedeutung. 2. Die Melodie des Wortes, das das logische Prädikat der mit einfacher Intonation ausgesprochenen Frage ausdrückt, zeichnet sich durch einen steil aufsteigenden Ton der betonten Silbe im Vergleich zu einem Ton der Vortonsilbe oder dem eingangs verwendeten Niveau der Tonhöhe aus, wenn sich das Wort, das das Prädikat ausdrückt, am Anfang des Satzes befindet. 3. Die Melodie des Wortes, das das logische Prädikat der mit einfacher Intonation ausgesprochenen Antwort ausdrückt, zeichnet sich folgerichtig durch einen fallenden (in der Bewegung gehemmten) Ton des betonten Vokals im Vergleich zur Tonhöhe der Vortonsilbe oder dem eingangs verwendeten Niveau der Tonhöhe aus, wenn sich das Wort, das das Prädikat ausdrückt, am Anfang des Satzes befindet." 43 Diese Thesen werden durch folgende Beispiele illustriert, in denen mit den Pfeilen die Tonhöhenbewegung bezeichnet wird — aufsteigende und fallende — und mit den Bogen das Wort: 1. Er wohnt in Moskau ? Er wohnt in Moskau. 2. Er ivohnt in Moskau? Er ivohnt in Moskau. 3. Er wohnt in Moskau? Er wohnt in Moskau. 4. Er wohnt in
Moskau?
In Moskau wohnt er? 5. Er wohnt, in
Moskau.
In Moskau wohnt er. Auf die Rolle der Intonation als Mittel der Hervorhebung des logischen Prädikats des Urteils weist auch A. A. Artemov hin. 44 E r schreibt: 10»
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„Die Intonation dient als Mittel der Darlegung des Prädikats des Gedankens im Satz, als Mittel des Ausdrucks verschiedener Schattierungen des Gedankens bei ein und demselben syntaktischen Zustand des Satzes." 45 Zugleich gibt es die Auffassung, daß die Hauptrolle im Ausdruck des logischen Prädikats der Wortfolge zugeschrieben werden müsse. So wird in der Akademie-Grammatik der russischen Sprache hierzu gesagt: „Die umgekehrte Wortfolge, begleitet von einer besonderen Betonung, wird für die gedankliche Hervorhebung des einen oder des anderen Satzgliedes verwendet." 46 Und ferner: „So befindet sich z. B. das Prädikat gewöhnlich hinter dem Subjekt (der Junge liest, der Tag ist schön) . . . Die umgekehrte Wortfolge bildet die Inversion, die zur Unterstreichung des vorangestellten Satzgliedes führt (vgl. schön ist der Tag, es liest der Junge) . . ." 47 Die Wortfolge (Inversion) in der russischen Sprache dient zweifelsohne zur Hervorhebung des logischen Prädikats. Jedoch wird in allen Fällen der Inversion das entsprechende Satzglied zugleich durch den logischen Akzent hervorgehoben 48 (vgl. das bekannte Puschkin-Wort: J a car' eSöe); andererseits kann das logische Prädikat in der russischen Sprache aber auch unter Beibehaltung der normalen Wortfolge allein mit Hilfe des logischen Akzents hervorgehoben werden. Dies besagt, daß insbesondere der logische Akzent und nicht die Wortfolge das Hauptmittel zur Hervorhebung des logischen Prädikats des in einem Satz ausgedrückten Gedankens ist. Die oben angeführten Beispiele 4 und 5 legen darüber ein anschauliches Zeugnis ab. Mehr noch, wie einige Autoren festgestellt haben, „kann die inverse Wortfolge die gedanklichen Schattierungen verstärken, der Phrasenakzent aber ist imstande, den durch die Wortfolge erzeugten Eindruck zu beseitigen." 49 Eine solche Rolle spielt der logische Akzent gemeinsam mit der Wortfolge in der Umgangssprache. Anders ist es in der Schriftsprache. B. V. Tomasevskij bemerkte dazu in seiner sehr interessanten Untersuchung zu dem Gedicht „Gore ot uma" von Griboedov folgendes: „Im Vergleich mit der klangvollen Umgangssprache ist die Literatursprache in ihrer Intonation bedeutend dürftiger. Die Interpunktionszeichen genügen nicht, um die ganze Vielfalt an möglichen Hervorhebungen des logischen Akzents, die willkürlichen Unterbrechungen des Satzes nachzubilden, von denen wir im alltäglichen Leben sowiel Gebrauch machen. Daraus entsteht das Bestreben des schriftlichen Ausdrucks nach einer gewissen durchschnittlichen syntaktischen Form, die uns gewohnt ist und gesetzmäßig erscheint. 148
Der Vers bereichert die Rede mit neuen Interpunktionszeichen, d. h. er gliedert sie rhythmisch und dies gibt die Möglichkeit, Intonationsformen zu beleben, die der Prosa nur schwer zugänglich sind." 50 Bei dieser Gedichtsanalyse kennzeichnet Tomasevskij einige Mittel der logischen Hervorhebung. 1.Die Übertragung, die — wie Tomasevskij schreibt — „die Rolle des Mittels zur Isolierung im Satz spielt, durch die das Wort besonderes Gewicht und besondere Ausdruckskraft erhält." So z. B . : . . . S kakimi ja tebja svedu ljud'mi!! Uz ob tvoem Ii ne radeli ob vospitaniil 2. Die Unterteilung in Halbverse, so daß die Phrase sich in Teile, wie beispielsweise die folgenden aufteilt: I zaviral'nye — idei äti bros' I poxvaly — mne vaäi dosazdali Im ersten Falle wird durch die Absonderung des Epitheton vom Substantiv der logische Akzent auf das Epitheton übertragen; im zweiten Falle wird das Wort poxvaly logisch hervorgehoben, so daß die Phrase den Sinn bekommt: Mnedosa&daet ne tol'ko vasa bran', no i vaäi poxvaly. Außer dem logischen Akzent und der Wortfolge werden zur Hervorhebung des logischen Prädikats im Russischen auch verschiedene Partikeln verwendet. Diese Funktion solcher Partikeln wurde jedoch in der russischen Sprache in viel geringerem Maße untersucht, als die entsprechende Funktion des logischen Akzents und der Wortfolge. Wir weisen vor allem darauf hin, daß in Sätzen mit der Modalität der einfachen Präzision als Mittel zur Hervorhebung des logischen Prädikats auch die sog. verstärkte Partikel &e (&) oder die determinierende Partikel imenno verwendet wird. Die erste dieser Partikeln steht nach dem Satzglied, das als logisches Prädikat fungiert. So z . B . : 1. Otec vöera prisel ze domoj ( = Der Vater ham gestern gerade nach Hause); 2. Otec Ze vöera prisel domoj ( = Der Vater kam . . . ) ; 3. Otec vöera &e priSel domoj ( = Der Vater kam gestern gerade . . . ) ; 4. Otec domoj Ze vöera priäel ( = . . . gerade nach Hause). Bei Hervorhebung des logischen Prädikats nimmt die verstärkende Partikel &e (&) auch eine bestimmte expressive Bedeutung an. In dieser Funktion tritt die verstärkende Partikel &e (2) in Fragesätzen auf. So können beispielsweise die oben angeführten Aussagesätze durch die Veränderung der Intonation in Fragesätze umgewandelt werden. 149
Es gibt auch Fälle, in denen diese Partikel in der analogen Funktion in Aufforderungssätzen verwendet wird. Z. B . : Pojdemsejöas ze ( = Gehen wir jetzt doch) (K. Fedin, Die ersten Freunden, S. 22). Die determinierende Partikel imenno steht im Unterschied zu der verstärkenden Partikel Ze vor dem jeweiligen Satzglied, das das logische Prädikat ausdrückt. So z. B . : 1. Otec vöera imenno prisel domoj ( = Der Vater kam gestern eben nach Hause); 2. Imenno otec vcera prisel domoj (= Der Vater kam gestern eben nach Hause); 3. Otec imenno vöera prisel domoj (Der Vater kam gestern eben nach Hause); 4. Otec vöera imenno domoj prisel ( = Der Vater kam gestern eben nach Hause). Fachleute der russischen Sprache betonen, daß bei der Bildung des Konjunktivs des Verbsdurch die Verbindungder Präteritalform mit der Partikel by diese nicht nur mit dem Verbum, sondern auch mit jedem anderen Wort im Satz verbunden werden kann. 51 So finden wir beispielsweise: 1. Otec vöera prisel by domoj ( = Der Vater wäre gestern nach Hause gekommen); 2. Otec by vöera priäel domoj (Der Vater wäre gestern nach Hause gekommen); 3. Otec vöera prisel by domoj ( = Der Vater wäre gestern nach Hause gekommen); 4. Otec domoj by vöera prisel ( = Der Vater wäre gestern nach Hause gekommen). Es ist klar, daß die Umstellung der Partikel by in den angeführten Beispielen auch mit einer Veränderung der logischen Struktur des Gedankens verbunden ist: Wenn diese Partikel hinter diesem oder jenem Wort auftritt, dient sie jeweils zur Hervorhebung des logischen Prädikats. Somit wird in jedem der angeführten Beispiele das logische Prädikat durch veschiedene Satzglieder a u s g e d r ü c k t . 5 2 In Sätzen mit einer anderen Modalität als der einfachen Präzision wird das logische Prädikat außer durch den logischen Akzent auch durch Modalwörter des Typs koneöno, verojatno, mozet byt' u. a. ( = natürlich, wahrscheinlich, vielleicht u. a.) hervorgehoben. Diese Wörter stehen jeweils vor dem Satzglied, das das logische Prädikat ausdrückt. So haben wir beispielsweise folgende Sätze mit der Modalität der kategorischen Präzision: 1. Otec vöera, konei.no, prisel domoj ( = Der Vater kam gestern natürlich nach Hause); 2. Koneöno, otec vöera prisel domoj ( = Natürlich, der Vater kam gestern nach Hause); 3. Otec, koneöno, vöera, prisel domoj (= Natürlich kam der Vater gestern nach Hause); 4. Otec, koneöno, domoj vöera prisel. ( = Der Vater kam natürlich gestern nach Hause). Wenn man in diesen Sätzen das Modalwort koneöno durch das Modalwort molet byt' oder verojatno ersetzt, erhalten wir analoge Urteile, aber mit der modalen Bedeutung der Unsicherheit. In Fragesätzen wird im Russischen zur Hervorhebung des logischen Prädikats die Fragepartikel Ii (l') verwendet, „die nach dem Wort steht, 150
auf das der logische Akzent und der Schwerpunkt der Frage fällt." 53 Z. B.: 1. Prisel Ii otec vcera domoj ? ( K a m der Vater gestern nach Hause ?); 2. Otec Ii vöera priäel domoj? ( = Der Vater kam gestern nach Hause?); 3. Vöera Ii otec priäel domoj? ( = Gestern kam der Vater nach Hause?); 4. Domoj Ii otec vöera prisel? ( = Nach Hause kam der Vater gestern?). In den angeführten Fällen können die Satzglieder, die das logische Prädikat ausdrücken und durch den logischen Akzent und die Partikel Ii hervorgehoben werden, auch eine andere Stelle im Satz einnehmen, da die Reihenfolge der Wörter beim Ausdruck des logischen Prädikats hierbei keine Rolle spielt. In anderen indoeuropäischen Sprachen des synthetisch-flektierenden oder analytisch-flektierenden Typs werden zum Zwecke des Ausdrucks der logischen Struktur des Gedankens (der sprachlichen Hervorhebung des logischen Prädikats) Artikel verwendet. Es ist klar, daß die Gegenüberstellung der Bedeutungen der Bestimmtheit und Unbestimmtheit, die durch den bestimmten bzw. unbestimmten Artikel oder durch das Fehlen des Artikels ausgedrückt werden, kein Korrelat zur Gegenüberstellung von Subjekt des Urteils als Begriff vom Gegenstand des Gedankens, der dem Sprecher bekannt ist, und Prädikat des Urteils als Begriff von dem Merkmal, das ein Gegenstand des Gedankens besitzt oder nicht besitzt und somit in einem gegebenen Erkenntnisakt als etwas Neues auftritt, sein kann.5'* Man muß jedoch bemerken, daß keine eineindeutige Entsprechung zwischen der Anwendung der unbestimmten Artikel (bzw. deren Fehlen) und der bestimmten Artikel einerseits und der Hervorhebung und Nichthervorhebung des logischen Prädikats andererseits besteht. So spielt der unbestimmte Artikel (der im Plural fehlt) bei der Bestimmung des logischen Prädikats zweifelsohne in folgenden Fällen eine Rolle: I. Wenn ein Substantiv als Prädikatsnomen verwendet wird, das einen Gattungsbegriff bezeichnet, in dem als Artbegriff das bezeichnende Subjekt enthalten ist. Z. B. : 1. Der Hund ist ein Tier. 2. Die Rose ist eine Blume. II. In der englischen Sprache in Wendungen mit there is (are), wenn das Subjekt außer durch den unbestimmten Artikel (bzw. dessen Fehlen im Plural) noch durch die Wortfolge und durch den logischen Akzent hervorgehoben wird. Z. B.: 1. There is a dog barhing. ( = Es bellt ein Hund); 2. There are dogs barking. (— Hunde bellen da); 3. There is a picture on the wall. ( = An der Wand hängt ein Bild); 4. There are pictures on the wall. ( = An der Wand hängen Bilder). Andererseits gibt es Fälle, in denen das logische Prädikat durch den bestimmten Artikel hervorgehoben wird. So wird im Englischen der 151
Artikel gewöhnlich nicht verwendet, wenn vor dem Substantiv ein Zahlwort steht. Wenn jedoch auf dem Substantiv der logischen Akzent liegt, so steht vor ihm der bestimmte Artikel. Z. B . : l.Oive me three English books. ( = Gib mir drei englische Bücher); 2. Give me the three English books you have. ( = Gib mir die drei englischen Bücher, die du hast.). Wenn es auch keine Zweifel gibt, daß eine Verbindung zwischen der Funktion des Artikels als Mittel zum Ausdruck der Kategorie der Bestimmtheit — Unbestimmtheit und der Benutzung der Artikel zum Ausdruck des logischen Prädikats besteht, so handelt es sich bei dieser Verbindung doch nicht um eine einfache Verbindung. Diese Frage erfordert noch weitere Untersuchungen, die insbesondere auch andere Mittel des sprachlichen Ausdrucks f ü r das logische Prädikat berücksichtigen sollten. Die Analyse der Methoden des Ausdruck der logischen Struktur des Gedanken in Sprachen des synthetisch-flektierenden und analytischflektierenden Typs bezeugt, daß der logische Akzent in dieser Beziehung eine entscheidende Rolle spielt, aber auch Hilfswortarten (Partikeln, Artikel) und in gewissem Maße die Wortfolge. Zum Unterschied der Sprachen der ersten beiden Typen werden in den betrachteten Spachen hierfür Morpheme überhaupt nicht verwendet, die als Komponenten eines Wortes auftreten könnten, das das logische Prädikat oder Subjekt ausdrückt. Als universales Mittel zum Ausdruck des logischen Prädikats kann in allen Sprachen der logische Akzent betrachtet werden. E s ist nicht unwesentlich, zu betonen, daß bei der ganzen Unterschiedlichkeit der formalen sprachlichen Mittel, die in den Sprachen der verschiedenen Typen Verwendung finden, die Struktur des Gedankens, der durch den Satz ausgedrückt wird, in allen Sprachen diesen oder jenen formalen Ausdruck in den Fällen findet, in denen das logische Prädikat u n d Subjekt nicht durch das grammatische Prädikat (Prädikatsgruppe) bzw grammatisches Subjekt (Subjektsgruppe), sondern durch beliebige andere Satzgliederausgedrückt wird. Mitanderen Worten wird in den Sprachen all dieser Typen die Nichtübereinstimmung zwischen der syntaktischen Funktion der Komponenten des Satzes und ihrer funktionalen (logischen) Rolle jedes Mittel irgendwie reduziert durch die Benutzung zusätzlicher formaler sprachlicher Mittel, die ihrem Wesen nach über den Rahmen der syntaktischen Gliederung des Satzes hinausgehen. Die Vertreter verschiedener Richtungen des Neohumboldtianismus, die die Existenz von verschiedenen „sprachlichen Typen des Denkens", die sich durch ihre logische Struktur unterscheiden, annehmen, entwickeln 152
insbesondere die These, daß die Subjekt-Prädikat-Struktur dem Gedanken fremd sei oder f ü r einige „sprachliche Typen des Denkens" n u r eine sekundäre Rolle spiele. So zeigen nach Ansicht von B. Whorf „die Indianersprachen, d a ß mit einem entsprechend grammatischen Bau völlig sinnvolle Sätze gebildet werden können, ohne in Subjekte und Prädikate zerlegt zu werden". E r weist darauf hin, daß in der Nootka-Sprache „der einzig mögliche Typ des Satzes der Satz ohne Subjekt und Prädikat ist". 5 5 H . Holz behauptet, daß in der chinesischen Logik die Kategorien des Subjekts, Prädikats und Objekts fehlen. 56 Wir haben oben Sprachen betrachtet, die die unterschiedlichsten „sprachlichen Typen des Denkens" darstellen und in all diesen Sprachen zeigte sich die Subjekt-Prädikat-Struktur des Gedankens. Insbesondere haben wir Beispiele aus der chinesischen Sprache angeführt, die bezeugen, daß die Subjekt-Prädikat-Struktur dem chinesischen Denken keineswegs fremd ist und daß sie durch spezielle sprachliche Mittel fixiert wird. So wurde auch gezeigt, daß in der öuköisehen Sprache, die den Indianersprachen ähnlich ist, auf deren Material Whorf seine Hauptthese aufbaute, der im Satz ausgedrückte Gedanke die Subjekt-Prädikat-Struktur habe, die auch ihren grammatischen Ausdruck findet. Die allen „sprachlichen T y p e n des Denkens" eigene Gemeinsamkeit des Urteils als einer Form des Denkens kommt auch in der Gemeinsamkeit der Kategorien zum Ausdruck, die jene Satzebene charakterisieren, in der die Subjekt-Prädikat-Struktur des durch sie ausgedrückten Gedankens wiedergegeben wird (s. a. weiter unten).
Kapitel II
Die logisch-grammatische Ebene des Satzes1
Die Frage nach einer anderen (nicht syntaktischen) Form der Satzgliederung zog die Aufmerksamkeit vieler Sprachwissenschaftler und Logiker auf sich. Sie wurde jedoch sehr unterschiedlich betrachtet: sowohl hinsichtlich der Beziehungen dieser Erscheinung zum Denken, also auch ihres grammatischen Wesens, und insbesondere hinsichtlich ihrer Beziehung zur syntaktischen Satzgliederung. Die Vertreter der psychologischen Konzeption in der Sprachwissenschaft und teilweise auch in der Logik wählen als Komponenten des Gedankens (Urteils), der durch den Satz ausgedrückt wird, nicht das logische Prädikat und Subjekt, sondern das psychologische Prädikat und Subjekt (G. v. d. Gabelentz, H . Paul, F . F. Fortunatov u. a.). Ihrer Ansicht nach findet neben der syntaktischen Satzgliederung noch eine andere statt, die das Ergebnis der Gliederung des im Satz ausgedrückten Gedankens (psychologischen Urteils) in ein psychologisches Subjekt und Prädikat ist. I n der Sprachwissenschaft des ausgehenden 19. J h . und beginnenden 2U. J h . wurde dieser Gesichtspunkt am eingehendsten in der bekannten Arbeit von H . Paul ausgearbeitet. 2 „Jedes Satzglied, in welcher grammatischen Form es auch erscheinen mag, kann psychologisch betrachtet Subjekt oder Prädikat oder Bindeglied sein, respektive ein Teil davon." 3 H . Paul bemerkte ferner, daß das psychologische Subjekt und Prädikat im Satz durch sprachliche Mittel hervorgehoben wird und demzufolge diese Art der Gliederung nicht eine rein gedankliche ist. „Subjekt und Prädik a t können dabei außer durch die Betonung durch die Stellung markiert werden." 4 (Wobei Paul das psychologische Subjekt und Prädikat im Auge hat. - V . P . ) Nach Paul, der darin G. v. d. Gabelentz folgt5, ist „das psychologische Subjekt die zuerst in dem Bewußtsein des Sprechenden, Denkenden vorhandene Vorstellungsmasse, an die sich eine zweite, das psychologische Prädikat anschließt." 6 Nach dieser Bestimmung unterscheiden sich die angegebenen Komponenten des Gedankens (psychologischen Urteils) voneinander nicht in ihrer Rolle bei der Strukturierung des 154
Gedankens des Erkenntnisaktes, sondern nur in der Zeit, in der sie im Bewußtsein des Sprechenden in Erscheinung treten. Daß eine solche Bestimmung der strukturellen Komponenten des Gedankens unbefriedigend ist, ist offensichtlich und selbst Paul hat sich im wesentlichen von ihr distanziert. „Neben dem psychologischen Prädikate kann sich aus den übrigen Satzgliedern eins als eigentliches psychologisches Subjekt besonders herausheben, welches dann dem Prädikate an Wichtigkeit und demgemäß auch an Tonstärke am nächsten s t e h t . " 7 Weiter demonstriert Paul diese These mit der bekannten Analyse des Satzes „Karl fährt morgen nach Berlin", in dem durch den logischen Akzent jedes der Satzglieder hervorgerufen werden kann, wenn es das psychologische Prädikat ausdrückt. An anderer Stelle drückt sich Paul noch bestimmter aus, wenn er sagt, daß „im isolierten Satze das psychologische Prädikat als das bedeutsamere, das neu hinzutretende stets das stärker betonte Element ist." 8 So stellt Paul faktisch einen Unterschied zwischen dem psychologischen Subjekt und dem psychologischen Prädikat anhand derselben Merkmale auf, die auch f ü r den Unterschied zwischen logischem Subjekt und Prädikat zutreffen und dabei insbesondere anhand ihrer Rolle in der Struktur des Gedankens des Erkenntnisaktes. So war Paul gezwungen, anzuerkennen, daß in einem Satz, der irgendeinen Gedanken ausdrückt 9 , das psychologische Subjekt auf das psychologische Prädikat folgen kann, d. h. in einem bestimmten gedanklichen Akt nicht an die zeitlich erste Stelle im Bewußtsein des Sprechenden tritt, sondern an die zweite 10 und bestreitet damit die entgegengesetzte Behauptung G. v. d. Gabelentz's. 11 F. F. Fortunatov, der wie Paul zwei Arten der Satzgliederung anerkennt, nahm an, daß die zweite (nichtsyntaktische) Art der Satzgliederung durch die Gliederung des im Satz ausgedrückten psychologischen Urteils bedingt sei. Fortunatov wies auch auf die Möglichkeit der Nichtübereinstimmung zwischen der syntaktischen und der nichtsyntaktischen Satzgliederung hin und insbesondere darauf, daß das psychologische Subjekt nicht mit dem grammatischen Subjekt bzw. das psychologische Prädikat nicht mit dem grammatischen Prädikat zusammenfällt. E r schrieb: „ . . . Die Syntagmen 1 2 priechal NN ( = E s kam N . N . an), letit ptica ( = es flog ein Vogel) können in der Rede auch als Ausdruck für psychologische Urteile verwendet werden, in denen als Subjekte die Vorstellungen der Wörter priechal, letit und als Prädikat die Vorstellungen der Wörter NN, ptica auftreten. Dabei bilden die Vorstellungen der Wörter priechal, letit komplexe Bestandteile derartiger psychologischer Urteile, daß die Wörter priechal, letit in diesen Fällen in Gedanken auch die Träger der ge155
gebenen Merkmale bzw. Handlungen erfassen. Demnach haben in den psychologischen Urteilen die Syntagmen priechal NN, letit ptica in solchen Fällen die Bedeutung 'Die angekommene Person, derjenige, der ankam, das ist NN, ein fliegender Gegenstand, das, was fliegt, das ist ein Vogel'..." 1 3 Dabei nahm Fortunatov im Unterschied zu Paul an, daß bei der Veränderung der Gliederung des psychologischen Urteils, das durch diesen oder jenen Satz ausgedrückt wird, der Satz ein und derselbe bleibt, d. h., daß die Gliederung des psychologischen Urteils keinerlei sprachlichen Ausdruck erhält. So schrieb er angesichts der oben angeführten Beispiele, daß „sich in der Rede die Syntagmen priechal NN, lelit ptica als Ausdrücke solcher psychologischen Urteile durch nichts von denjenigen Syntagmen priechal NN, letit ptica unterscheiden, bei denen mit den Wörtern priechal und letit die psychologischen Prädikate und mit den Wörtern NN und ptica die psychologischen Subjekte entsprechend ihrer grammatischen Verteilung ausgedrückt werden." 14 Darin zeigt sich deutlich das rein morphologische Herangehen Fortunatovs an die grammatischen Erscheinungen der russischen Sprache, wobei er nicht die Rolle des logischen Akzents und der Wortfolge bei der Hervorhebung des logischen Prädikats im Satzverband berücksichtigte. Bei seiner Bestimmung des im Satz ausgedrückten Gedankens als psychologisches (und nicht logisches) Urteil und seiner Komponenten als psychologisches (und nicht logisches) Subjekt und Prädikat ging Fortunatov von der nachfolgenden Ansicht über die Logik und ihre Beziehung zur Grammatik aus: „Die Logik betrachtet die Urteile, die in Wörtern ausgedrückt werden und von dem Gefühl der Zuversicht für die mittels gedanklicher Arbeit aufgedeckte Beziehung begleitet werden, die zwischen d.en Tatsachen des Gegenstandes des Gedankens besteht, wohingegen jedoch die Untersuchung der Natur der Urteile gar nicht zur Aufgabe der Logik gehört. Die Logik betrachtet die Urteile in ihrer Beziehung zueinander im Zuge von Schlußfolgerungen und bestimmt vor allem die Bedingungen der Richtigkeit dieser Prozesse undihrer Bestandteile. Es versteht sich deshalb, daß sich die Grammatik ihrem Gegenstand nach in keiner Abhängigkeit von der Logik befinden kann, weil der Unterschied zwischen dem richtigen und falschen Denken nicht zum Bereich der Untersuchungen der Grammatik gehört." i5 Die Untersuchung des richtigen Denkens im Unterschied zum falschen Denken gehört tatsächlich nicht zum Gegenstand der Grammatik bzw. der Sprachwissenschaft überhaupt. Darin kann man Fortunatov zustimmen. Doch die Logik untersucht die Formen und Gesetze des richtigen Denkens, dessen Realisierungsmittel natürliche Sprachen sind. Insbesondere gilt als Gegenstand der Untersuchung der Logik die Natur solcher 156
Formen des Denkens wie das Urteil 16 , dessen sprachliche Realisierungsund Ausdrucksmittel der Satz als sprachliche Einheit ist. Dabei bestehen enge Beziehungen zwischen Logik und Grammatik; denn man kann die Natur des Satzes als sprachliche Einheit nicht verstehen, wenn man nicht die Natur des Urteils als Form des Denkens berücksichtigt. Was die Beziehungen des psychologischen und logischen Herangehens an das Urteil betrifft, so muß man darauf achten, daß zwar eine rein psychologische Betrachtung des Urteils und besonders des Urteils als p s y c h o l o g i s c h e r Prozeß prinzipiell sowohl möglich als auch nötig ist, aber ein psychologisches Urteil als irgendein besonderer Gedanke neben dem logischen Urteil nicht existiert und parallele Termini wie psychologisches Subjekt und psychologisches Prädikat Begriffe derselben Komponenten des Gedankens wiedergeben, aber nur unter verschiedenen Aspekten gesehen. Dies erkannten in gewissem Maße offensichtlich auch jene „Psychologisten" wie H. Paul, der in einer Reihe von Fällen über das psychologische (logische) Subjekt und Prädikat schreibt und G. v. d. Gabelentz. Letzterer gibt in der zweiten Ausgabe seines Buches eine Bestimmung des psychologischen Subjekts und Prädikats, die sich durch nichts von der Bestimmung des logischen Subjekts und Prädikats unterscheidet.!8 Dabei muß man im Auge behalten, daß die Vertreter der psychologischen Konzeption in der Sprachwissenschaft, wenn sie über das psychologische Subjekt und Prädikat sprechen und wenn sie auch dieselben Vorstellungen nennen, darunter nicht sinnliche Abbilder, sondern eben Begriffe verstehen. Dazu sei bemerkt, daß viele Logiker, wie z. B . Ch. Sigwart, Lotze, Wundt u. a. den Terminus Vorstellung auf das logische Subjekt und Prädikat anwenden. Die Vertreter einiger Richtungen der modernen Logik und ihnen folgend auch einige Sprachwissenschaftler, sind der Ansicht, daß die Gliederung des Urteils in Subjekt und Prädikat für die Struktur des Urteils nicht wesentlich sei. In schärfster Form vertrat Charles Serrus diesen Standpunkt, der behauptete, daß „die Beziehung von Prädikat und Subjekt . . . nicht die Grundstruktur des Urteils darstellt" 19 . Einige Autoren betrachten die Subjekt-Prädikat-Struktur des Urteils als eine der Möglichkeiten ihrer Darstellungsarten. So schreibt beispielsweise G. Klaus dazu folgendes: „ . . . einige Logiker halten bis in unsere Tage noch an der unhaltbaren Aufteilung der Aussage in Subjekt und Prädikat fest." 20 In der modernen mathematischen Logik wird die logische Struktur der Aussagen, d. h. ihre Subjekt-Prädikat-Struktur jedoch tatsächlich nicht nur in dem Abschnitt betrachtet, in dem die Operationen mit einfa157
chen Aussagen, ihre logische Verbindung mit anderen Aussagen hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes untersucht werden. Was nun einen anderen Abschnitt der mathematischen Logik — die Prädikatenlogik — betrifft, so werden in diesem Bereich Operationen mit Aussagen untersucht, die in Subjekt und Prädikat gegliedert sind. „In der Prädikatenlogik", schreibt S. K . Kleene, „geht man schon einen Schritt in der Analyse weiter und kann so auch die Subjekt-Prädikat-Struktur einfacher Sätze betrachten und Kompositionsoperationen benutzen, die von dieser Struktur abhängig sind." 21 Darüber hinaus weisen einige Vertreter der mathematischen Logik direkt darauf hin, daß die Prädikatenlogik „eine Weiterentwicklung und Präzisierung der klassischen Urteilstheorie des Aristoteles ist." 2 2 Wenn bei einzelnen Richtungen der modernen mathematischen Logik die traditionellen Begriffe von Prädikat und Subjekt durch entsprechende mathematische Begriffe der Funktion und ihrer Argumente reduziert werden, da diese für eine weitere Formalisierung der Aussagen irgendeiner Wissenschaftstheorie notwendig ist, so bedeutet dies doch nicht, daß die traditionellen Begriffe Subjekt und Prädikat schon ihren wissenschaftlichen Wert verloren hätten. Insbesondere betrachtet Kleene bei der Bestimmung des Prädikats als proportionale Funktion von n Variablen das Prädikat im traditionellen Sinne als einen besonderen Fall und zwar als die Proportionalfunktion einer einzigen Variablen. 23 A. Church distanziert sich von der Anwendung des Terminus „Prädikat", wie er in der Arbeit von D. Hilbert und W. Ackermann, „Grundlagen der theoretischen Logik", verwendet wird und gibt dafür nur das Motiv an, daß in der Mehrzahl der indoeuropäischen Sprachen dieser Terminus nicht nur zur Bezeichnung des logischen Begriffes, sondern auch zur Bezeichnung des grammatischen Prädikats angewendet wird. 24 Andererseits behalten viele Vertreter der modernen Logik die Termini Subjekt und Prädikat zur Bezeichnung der Strukturkomponenten des Urteils bei und geben die traditionellen oder ihnen ähnliche Definitionen der entsprechenden Begriffe. So schreibt z. B. A. A. Zinov'ev: „Jede Aussage kann man in zwei Teile gliedern . . . Zu dem einen gehören die Zeichen (Termini), die die Gegenstände bezeichnen (d. h. das, worüber die Aussage gemacht wird). Zum anderen Teil gehören die Zeichen, die die Eigenschaften der Gegenstände bezeichnen (d. h. das, was über die Gegenstände gesagt wird, was ihnen zugeschrieben wird). Die erstgenannten Zeichen werden Subjekte, die zweiten Prädikate genannt." 2 5 Zinov'ev sagt, daß eine solche Methode der Darstellung der Aussagenstruktur für Aussagen mit einstelligen Prädikaten adäquat ist, d. h. 158
für Urteile, in denen sich Subjekt und Prädikat in einer attributiven Beziehung befinden. Er vertritt weiter die Ansicht, daß zu derselben Strukturart auch Aussagen mit mehr als einem einstelligen Prädikat zugeordnet werden können. So kann z. B. die Form Die Zahlen a und b sind dadurch bestimmt, daß die erste (in der Reihenfolge der Beschreibung) größer ist als die zweite auf das Urteil Die Zahl a ist größer als die Zahl b reduziert werdenJ36 Auf die Möglichkeit der Bestimmung von Urteilen mit mehrstelligen Prädikaten, d. h. Urteilen über eine Beziehung zwischen Gegenstandsklassen als attributive Urteile mit einigen Subjekten und einem einzigen Prädikat verweist auch E. K . Vojsvillo.27 Es ist klar, daß bei der Beantwortung der Frage, in welchem Maße die Subjekt-Prädikat-Struktur für die Auffassung vom Satz als sprachlicher Einheit und der durch ihn ausgedrückten Formen des Gedankens wesentlich sei, nicht übersehen werden darf, daß einerseits die Begriffe des logischen Prädikats und Subjekts selbst ja bei der Satzanalyse natürlicher Sprachen entstanden sind und andererseits, daß die in der modernen mathematischen Logik erarbeiteten entsprechenden Begriffe der Funktion und ihrer Argumente auf ganz anderem Wege entstanden sind, nämlich zum Zweck einer breiten Formalisierung der Aussagen einer bestimmten wissenschaftlichen Theorie ohne Rücksicht auf natürliche Sprachen und die Prozesse des „gewöhnlichen" Denkens, deren Realisationsmittel die Sprachen sind. Und wie unten noch gezeigt werden wird, erweist es sich als möglich, viele wesentliche Eigenschaften sowohl des Gedankens selbst als auch des ihn ausdrückenden Satzes zu erklären, wenn man von der Annahme ausgeht, daß die Subjekt-Prädikat-Struktur für die durch den Satz ausgedrückte Form des Gedankens relevant ist (das Vorhandensein von zwei Ebenen der Satzgliederung, das Fungieren der Kategorien der Prädikativität und Modalität auf diesen Ebenen usw.). Bekanntlich wurde die Frage nach einer anderen Form der Satzgliederung als die syntaktische speziell in der Prager Schule der strukturellen Linguistik behandelt, von der auch der Terminus der aktuellen Gliederung stammt, der in der Gegenwart weite Verbreitung in der Sprachwissenschaft gefunden hat. Dieses Problem wurde speziell in einer rein sprachlichen Betrachtungsweise erstmalig von einem der Gründer des Prager Linguistischen Zirkels, V. Mathesius, gestellt. Nach Mathesius sind „die Grundelemente der aktuellen Satzgliederung der Ausgangspunkt der Aussage, d. h. das, was in einer gegebenen Situation bekannt ist oder zumindest leicht verstanden wird und wovon der Sprecher ausgeht einerseits und der Kern der Aussage, d. h. das, was der
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Sprecher über den Ausgangspunkt seiner Aussage mitteilt andererseits . . ."28 V. Mathesius weist darauf hin, daß im Unterschied zur syntaktischen Satzgliederung, die die Zusammensetzung eines Satzes aus seinen grammatischen Elementen betrifft, die aktuelle Gliederung auf r e a l e n V e r b i n d u n g e n aufbaut (Sperrung von uns — V. P.), und daß seiner Meinung nach die Elemente dieser Gliederung zweckmäßig psychologisches Subjekt und Prädikat zu nennen sind (wie dies auch schon seine Vorgänger G. v. d. Gabelentz, H. Paul u. a. getan haben), weil dies nicht zur Abgrenzung gegenüber grammatischem Subjekt und Prädikat befähigt, und auch, weil der Ausgangspunkt der Aussage seiner Meinung nach nicht immer ein psychologisches Subjekt ist.29 Allerdings wurde die letztere Überlegung von Mathesius nie begründet. Was die Möglichkeit einer terminologischen Vermengung betrifft, die entstünde, wenn man die Komponenten dieser Gliederung in Subjekt und Prädikat nennt, so kann dies nicht als Argument dafür dienen, sie nicht mehr entsprechend ihrer wirklichen Rolle in der Struktur des Gedankens, der durch die aktuelle Satzgliederung fixiert wird, zu bestimmen. Es ist auch klar, daß gerade das Prinzip eines funktionalen Herangehens bei der Untersuchung sprachlicher Erscheinungen, was für die Prager Linguistische Schule das Grundprinzip ist, nicht nur nicht in Widersprüche verwickelt wird, sondern überhaupt nur unter der Bedingung der Bestimmung der Rolle verwirklicht werden kann, die die Komponenten der aktuellen Gliederung in der Struktur des durch den Satz ausgedrückten Gedankens spielen. Obwohl die Mehrzahl der tschechischen Wissenschaftler, die die Ausarbeitung der von Mathesius vorgegebenen Richtungen auf dem Gebiet der aktuellen Satzgliederung weitergeführt oder auch neue Aspekte dieses Problems entwickelt haben 30 , diese Erscheinungen auf der rein sprachlichen Ebene behandeln, so gibt es doch einige unter ihnen, wie z. B. P. Adamec 3 1 , die anerkennen, daß der Ausgangspunkt der Aussage und der Kern der Aussage mit dem logischen Subjekt bzw. Prädikat gleichgesetzt werden können. Einige Autoren geben zwar zu, daß die aktuelle Satzgliederung durch die bestimmten Eigenheiten des ausgedrückten Gedankens bedingt sind, behaupten aber, daß die aktuelle Gliederung des Satzes, der ein Urteil ausdrückt, nicht die Struktur dieses Urteils widerspiegelt. So nimmt A. W. de Groot an, daß bei der Verlagerung des logischen Akzents innerhalb eines bestimmten Satzes wie z. B. in den Sätzen „Columbus discovered America" und „Columbus discovered America" das Urteil ein und dasselbe bleibt, daß sich seiner Meinung nach diese 160
Sätze inhaltlich oder hinsichtlich des Objekts der ausgedrückten Annahme nicht unterscheiden, weil Beziehung und Beziehungsglieder dabei unveränderlich bleiben. 32 Nach Ansicht de Groots ist ein solcher Unterschied von Sätzen eine rein sprachliche Tatsache 33 , da er durch die Verlagerung der Emphase bedingt ist, die lediglich über die spezielle Aufmerksamkeit des Sprechenden gegenüber dieser oder jener Komponente des Gedankens Auskunft erteilt, aber keinerlei Beziehung zur Struktur des Urteils hat. Bei der Aufstellung dieser These geht de Groot von einer Anschauung über die Struktur des Urteils aus, die von einer der modernen Richtungen der Logik, von der Relationslogik, entwickelt wurde. In der attributiven Logik wird das Urteil als Gedanke betrachtet, in dem die Zugehörigkeit eines Merkmals zu einem Gegenstand des Gedankens behauptet oder negiert wird, was durch die Formel S ist P ausgedrückt wird. Diesem Standpunkt nach spielt der Begriff des Gegenstandes eines Gedankens, also das logische Subjekt (S) und der Begriff des Merkmals, das dem Gegenstand des Gedankens zugeschrieben wird, also das logische Prädikat (P), eine unterschiedliche Rolle in der Struktur des Urteils. Demgegenüber wird nach Auffassung der Relationslogik im Urteil eine Relation zwischen zwei Begriffen aufgestellt, die als Glieder dieser Relation sich prinzipiell nicht voneinander unterscheiden (Formel aRb) 3 4 und nur durch diese Relation definiert sind. Erinnern wir uns, daß eine solche Auffassung von der Struktur des Urteils bzw. der Frage und der Aufforderung in der Relationslogik ihre Widerspiegelung auch in jenen Grammatiktheorien finden, in denen die Begriffe Subjekt und Prädikat für die Analyse der Satzstruktur sogar bei flektierenden und agglutinierenden Sprachen als unnötig erachtet werden (Kalepki, Svedelius u. a.). Ohne daß man verneinen muß, daß die im Urteil wiedergegebenen attributiven Beziehungen, d. h. die Beziehungen der Einbeziehung einer Klasse von Gegenständen in eine andere Klasse von Gegenständen oder der Zugehörigkeit eines Merkmals zu einem Gegenstand nur eine der Arten realer Beziehungen sind, muß man doch anerkennen, daß das Moment der Attributivität in allen Arten des Urteils vorhanden ist; was auch die Möglichkeit bietet, Relationsurteile in attributive Urteile umzuformen, (s. o. S. 158-159) Das Urteil ist ja ein Erkenntnisakt, der auf einen bestimmten Gegenstand des Gedankens gerichtet ist, und deshalb kann für seine Struktur jener Unterschied nicht unwesentlich sein, der zwischen dem Begriff des Gegenstandes des Gedankens (das logische Subjekt) und dem Begriff der Merkmale [des Merkmals] (das logische Prädikat) besteht, die bei dem Gei l Panfilov, Sprache und Denken
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genstand des Gedankens als vorhanden oder nicht vorhanden befunden werden. Dies findet u. E. auch in gewissem Sinne seinen Niederschlag in der aktuellen Gliederung des Satzes in das Gegebene oder den Ausgangspunkt der Aussage (der Begriff des Gegenstandes des Gedankens) und den Kern der Aussage oder das Neue, das über den Gegenstand des Gedankens mitgeteilt wird, d. h. den Begriff des Merkmals (der Merkmale), das bei diesem Gegenstand des Gedankens vorhanden ist oder nicht. 35 Die sprachlichen Fakten bestätigen die attributive Natur der Urteile, die durch Sätze in natürlichen Sprachen ausgedrückt werden; denn diejenigen sprachlichen Mittel, die zur Hervorhebung des logischen Prädikats in der Satzstruktur dienen, werden nie zur Hervorhebung des logischen Subjekts benutzt und umgekehrt. Dies spricht dafür, daß die entsprechenden Begriffe für den Träger einer bestimmten Sprache in der Urteilsstruktur nicht gleichwertig sind. Dabei muß noch berücksichtigt werden, daß in einigen Sprachen, wie z. B . im Japanischen, jedes Urteilsglied, d. h. sowohl das logische Subjekt als auch das logische Prädikat, durch spezielle sprachliche Mittel fixiert werden; dies könnte bei einer Gleichwertigkeit in der Urteilsstruktur nicht stattfinden. Aber selbst wenn man den Standpunkt akzeptieren würde, daß im Urteil nur die Beziehung von zwei gleichwertigen Begriffen hergestellt wird, so muß auch in diesem Falle im Satz die Tatsache ihre Widerspiegelung finden, daß das entsprechende Urteil aus zwei Objektsbegriffen und aus dem Begriff einer bestimmten Beziehung, die zwischen den entsprechenden Objekten aufgestellt wird, besteht. Es wäre auch unrichtig, anzunehmen, daß bei einer Verlagerung des logischen Akzents sich die Elemente des Urteils nicht ändern würden, wie dies de Groot (s. o.) behauptet, oder das Urteil ein und dasselbe bleiben würde, wenn S und P ihre Plätze vertauschen, wie dies einige Logiker behaupten. 1. wird in der Logik festgestellt, daß wir in dem Fall, wenn in einem Urteil das logische Subjekt logisches Prädikat wird und das logische Prädikat das logische Subjekt, im Ergebnis dieser Operation, der sog. Konversion (eine der Arten des unmittelbaren Schlusses), ein neues Urteil erhalten. 2. verändern sich bei der Verlagerung des logischen Akzents nicht nur die Elemente eines Urteils, das durch einen einfachen erweiterten Satz ausgedrückt ist, vgl. Xevgun prisel (Xevgun kam) und Prisel Xevgun (Es kam Xevgun). Gleichzeitig können in den erweiterten Sätzen bei der Verlagerung des logischen Akzents nicht nur die logischen S und P ihre Plätze vertauschen, sondern diese Elemente können sich auch inhaltlich infolge der Veränderung gerade der gedanklichen Gliederung verändern. Dies finden wir in Fällen wie: Otkryl Ameriku 162
Kólumb (Es entdeckte Amerika Kolumbus) und Ameriku otkryl Kolumb (Amerika entdeckte Kolumbus), wo als Subjekt des 1. Urteils „entdeckte Amerika" erscheint und als Prädikat „Kolumbus", während im 2. Urteil als Subjekt „entdeckte Kolumbus" und als Prädikat „Amerika" erscheint. Die genannte Ansicht, daß das Urteil unveränderlich bleibt, ungeachtet des logischen Akzents innerhalb eines entsprechenden Satzes, wird auch von einigen Sprachwissenschaftlern, wie beispielsweise A. A. Sachmatov, geteilt, die aber die attributive Natur des Urteils nicht ablehnen. Sachmatov schrieb dazu folgendes: „Subjekt und Prädikat liegen nicht nur im psychologischen Urteil vor, sondern auch in anderen psychologischen Kommunikationen. Ich bestimme das p s y c h o l o g i s c h e S u b j e k t (dieses und die folgenden Hervorhebungen vom Autor selbst — V. P.) als Vorstellung, die über eine andere Vorstellung dominiert, mit der sie sich vereinigt; die letztgenannte ist als p s y c h o l o g i s c h e s P r ä d i k a t zu verstehen. Der Terminus d o m i n i e r e n d e V o r s t e l l u n g weist darauf hin, daß die zweite Vorstellung zu ihr in einem Abhängigkeits- oder Kausalverhältnis steht. Es handelt sich bei ihnen um eine wirkliche Dominanz, die durch die Natur der ersten Vorstellung bedingt ist, und um eine wirkliche Abhängigkeit, die durch die Natur der zweiten Vorstellung bedingtist. . . 'Den Grundstock dieser Welt bilden die Vorstellungen einzelner Dinge, welche durch die concreten Substantiva sprachlich bezeichnet werden. Diese Dinge stellen wir vor als Eigenschaften an sich tragend, welche in Adjectiven ihren Ausdruck finden, und im Verfluss der Zeit Tätigkeiten aus sich entwickelnd und in Zustände geratend, welche sich in Verben aussprechen.' (Sigwart, Logik, Bd. I, Tübingen 1911, § 6, 2, S'. 35). Daraus folgt, daß bei der Verknüpfung der Vorstellung von einem Ding mit einer Vorstellung von einem Merkmal das erstere von beiden als das hinsichtlich des Merkmals seiner eigenen Natur nach dominierende immer das Subjekt sein wird und das zweite das Prädikat." 3 6 Sachmatov behauptet ferner, daß das Substantiv einen Gegenstand bezeichnet, weil es im Nominativ steht und in der Funktion des Subjekts auftritt, d. h. die ihrer Natur nach dominierende Vorstellung, also das psychologische Subjekt, wird immer mit dem grammatischen Subjekt zusammenfallen und das psychologische Prädikat desgleichen mit dem grammatischen Prädikat, wenn wir es mit einem zweigliedrigen Satz vom Typ „Der Vogel fliegt" und „Die Mutter ist krank" zu tun haben, „Wenn auf den Wörtern 'fliegt' und 'krank' auch der stärkere Akzent liegt und wenn dieser stärkere Akzent auch noch von einer Umstellung begleitet sein kann . . ." 3 7 li»
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Wie wir sehen, geht Sachmatov bei der Behauptung, daß zwischen grammatischem Subjekt und Prädikat und psychologischem Subjekt und Prädikat kein Unterschied bestehen kann, davon aus, daß auch in der Kommunikation (im Urteil, in der Frage usw.) ein psychologisches Subjekt nur ein Begriff irgendeines Gegenstandes, nicht aber einer Eigenschaft, Handlung usw. sein kann, weil in der objektiven Realität die Träger von Eigenschaften und Handlungen immer nur Gegenstände sind. Eine solche Auffassung von der attributiven Natur des Urteils ist jedoch falsch. Gegenstand des Gedankens im Urteil, dessen Begriff das logische Subjekt ist, kann nicht nur ein realer Gegenstand als solcher sein, sondern auch eine reale Eigenschaft, Handlung usw.38 Allein schon die Tatsache, daß ein solcher Gegenstand des Gedankens durch ein Substantiv im Nominativ wie der Lauf, das Weiße, die Schönheit usw. auftritt, widerspricht der Sachmatovschen Auffassung von der attributiven Natur des Urteils. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das logische Subjekt nicht vom logischen Prädikat, d. h. die Begriffe des Merkmals (der Merkmale) sind bei einem Gegenstand des Gedankens vorhanden oder nicht vorhanden. Das Prädikat kann ja auch nicht nur durch ein Wort ausgedrückt werden, das irgendein Merkmal bezeichnet, wozu auch eine Handlung gehört, d. h. durch ein Adjektiv oder Verbum, sondern auch durch ein Substantiv, das einen realen Gegenstand bezeichnet (Dieser Mensch ist ein Schriftsteller). Die These Sachmatovs ist nur in der genetischen Betrachtung des Urteils als eine der Denkformen richtig und zwar in dem Sinne, daß offenbar in den ersten Anfängen als Subjekt eines Urteils nur Begriffe realer Gegenstände der objektiven Realität auftreten konnten. Man kann mit einer gewissen Berechtigung auch annehmen, daß es eine bestimmte innere Beziehung zwischen der weiteren Entwicklung der Urteilsformen (soweit es den Charakter ihrer Strukturelemente betrifft) und der Entstehung einer Wortart wie das Substantiv gibt. So steht außer Zweifel, daß in den ersten Anfängen die Substantive nur real existierende Gegenstände bezeichneten und die Entstehung von Substantiven, die Eigenschaften, Handlungen usw. bezeichnen, d. h. also abstrakte Substantive wie die o. g. z. B., dadurch bedingt war, daß als Subjekt des Urteils in einer bestimmten Etappe der Entwicklung des menschlichen Denkens Begriffe von Merkmalen, Handlungen usw. aufzutreten begannen. Mit anderen Worten: die grammatische Bedeutung der Gegenständlichkeit bei Substantiven in den modernen Sprachen ist dadurch gekennzeichnet, daß in diesen Sprachen durch spezielle sprachliche Mittel als Gegenstände nicht nur reale Gegenstände, sondern auch Eigenschaften, Handlungen usw. dargestellt werden. Diese grammatische Bedeutung 164
fällt demnach nicht mit dem Begriff des Gegenstandes zusammen. Sie ist auf den ersten Blick irgendwie von dem logischen Aufbau des Gedankens unabhängig, erweist sich aber letzten Endes doch als durch ihn bedingt. 39 Die Tendenz, eine Entsprechung zwischen der logischen Funktion — in unserem Fall der Funktion des logischen Subjektes — und der sprachlichen Form aufzustellen, offenbart sich in einer ganzen Reihe anderer dabei der verschiedenartigsten sprachlichen Fakten: In der Substantivierung und Konversion in den Fällen, in denen das Verbum, das im Bestand des logischen Subjekts auftritt, ein spezielles nominales Merkmal erhält oder in denen ein deverbatives Nomen gebildet wird, wie z. B . in der chinesischen Sprache, 40 (z. B. 1. ta kande shi zkongguo bao „das von ihm Gelesene sind chinesische Zeitungen"; 2. ta han zhongguo bao „er liest chinesische Zeitungen", wo de als nominales Suffix und she als Kopula auftritt 41 , in der Existenz besonderer syntaktischer Konstruktionen vom Typ des französischen c'est l'oiseau qui vole „es fliegt ein Vogel ( = es ist der Vogel, der fliegt), vgl.: l'oiseau vole (— der Vogel fliegt) usw. Es wäre allerdings falsch, anzunehmen, daß infolge des Vorhandenseins solcher Tendenzen in allen modernen Sprachen die logische Funktion jedesmal einen eindeutigen Ausdruck in der Sprache erhalten würde, d. h., daß in dem speziellen Falle das logische Subjekt jedesmal durch ein Substantiv oder ein anderes Nomen im Nominativ ausgedrückt werden würde. Die oben angeführten Beispiele zeigen, daß das logische Subjekt durch ganz verschiedene sprachliche Mittel selbst in ein und derselben Sprache signalisiert werden kann. Von diesen Mitteln kann — wenn man von Sprachen mit der Ergativkonstruktion absieht — das Nomen im Nominativ (Subjekt) nur als eine grundlegende, nicht aber als die einzige Form seines Ausdrucks angesehen werden. Insbesondere kann das logische Subjekt nicht selten in der Satzstruktur rein negativ hervorgehoben werden und zwar dadurch, daß durch spezielle sprachliche Mittel das logische Prädikat herausgehoben wird. So entspricht der Standpunkt Sachmatovsüber den Charakter der Wechselbeziehung zwischen kommunikativer Gliederung und Satzgliederung weder der wirklichen Natur, den verschiedenen Kommunikationsformen (Urteil, Frage, Aufforderung) noch den eigentlich sprachlichen Fakten. K . G. Krusel'nickaja widmete der Frage der aktuellen Satzgliederung zwei überaus inhaltsreiche Artikel und teilt den Standpunkt Sachmatovs über die Natur des Urteils. Sie hält es ebenfalls nicht für möglich, die Glieder der aktuellen Gliederung mit dem logischen oder psychologischen 165
Subjekt bzw. Prädikat gleichzusetzen, weil die ersteren ihrer Meinung nach Kategorien sind, die „objektiv abstrahiert" wurden und die letzteren „zutiefst subjektive Kategorien" sind, während das „Gegebene" und das „Neue" „in sich die Einheit zweier Momente bergen: Das Objektive, weil sie durch eine reale, konkrete Situation und durch den Grad des Informiertsein des Hörers über den Inhalt der Mitteilung bestimmt werden und das Subjektive, weil sie davon abhängen, wie (Sperrung vom Autor — V. P.) diese objektiven Faktoren durch den Sprecher wahrgenommen werden." 42 Es wurde oben schon darauf hingewiesen, daß die Objektivität der Urteilsstruktur nicht in dem Sinne verstanden werden darf, daß das Subjekt des Urteils nur ein Begriff des realen Gegenstandes sein kann und das Prädikat des Urteils nur ein Begriff von Merkmalen (Qualitäten, Eigenschaften, Handlungen usw.) dieses Gegenstandes. Urteil bzw. Frage oder Aufforderung sind als Erkenntnisakte natürlich auch nicht frei von subjektiven Bestandteilen, da in ihnen die Gerichtetheit des Erkenntnisaktes unvermeidlich widergespiegelt wird, d. h. insbesondere die Art, wie die objektive Realität wahrgenommen wird. So besteht zwischen dem logischen Subjekt und Prädikat einerseits und den Gliedern der aktuellen Gliederung andererseits in dieser Beziehung kein prinzipieller Unterschied. Nach Ansicht von K . G. Krusel'nickaja 43 und anderen Linguisten 44 kann die These, daß in der aktuellen Gliederung des Satzes in „Gegebenes" und „Neues" die Subjekt-Prädikat-Struktur des Urteils widergespiegelt wird, auch deshalb nicht akzeptiert werden, weil Subjekt und Prädikat des Urteils rein logische Kategorien sind und die Hervorhebung des „Gegebenen" und des „Neuen" innerhalb eines Satzes grammatischen Charakter trägt, so daß es sich um grammatische Kategorien handelt. Aber es entsteht die berechtigte Frage, weshalb die Strukturkomponenten des Gedankens, in diesem Falle also des Urteils, der Frage oder der Aufforderung, nicht durch spezielle sprachliche Mittel hervorgehoben werden dürfen und doch Komponenten dieses Gedankens bleiben. Eine solche Argumentation hätte nur Beweiskraft, wenn die logischen Formen des Denkens außerhalb der sprachlichen Formen ihres Ausdruckes existieren würden. Interessant ist in vielem auch die eigenwillige Konzeption der Beziehung der Satzstruktur und der Struktur der logischen Phrase oder des Logems (worunter P. V. Öesnokov die Begriffe Urteil, Frage und Aufforderung zusammenfaßt), die in dem schon erwähnten Buch öesnokovs „Logiöeskaja fraza i predlozenie" vorgetragen wird. In dieser Arbeit unternimmt der Autor den Versuch, eine vollständige Übereinstimmung 166
zwischen dem Satzglied auf allen seinen Ebenen und der Gliederung der logischen Phrase herzustellen. Nach Meinung Öesnokovs „kann sich die Aufgliederung der logischen Phrase in ihre Bestandteile auf drei Ebenen vollziehen: von Seiten der Struktur, von Seiten des Gedankenganges und von seiten der Beziehung des Gedankens zur Realität." 45 Bei der ersten dieser Gliederungsarten geht es um eine Einteilung der logischen Phrase „in minimale strukturell selbständige gedankliche Abschnitte, die den Satzgliedern äquivalent sind." 46 Vom Standpunkt der Bezogenheit des Gedankens zur Realität wird die logische Phrase in zwei Teile geteilt, von denen der eine der Begriff des Gegenstandes des Gedankens und der zweite der Begriff des Merkmals (der Charakteristik) des Gegenstandes des Gedankens47 ist. Dabei behält Öesnokov für den ersten Teil den Terminus des logischen Subjekts des Urteils bei und für den zweiten logisches Prädikat. 48 Vom Gesichtspunkt des Gedankenganges aus, d. h. von der Bewegung des Gedankens, vom bekannten Wissen zum neuen, wird dieselbe logische Phrase in Gegebenes und Neues eingeteilt, die der Autor mit K . Boost auch Thema und Rhema nennt. 49 Jede der beiden Gliederungsarten der logischen Phrase wird nach Meinung Öesnokovs auch in der grammatischen Struktur des Satzes, in seiner Aufgliederung in zwei Teile, eindeutig wiedergegeben. Von den drei Gliederungen der logischen Phrase und dementsprechend den drei Arten der Satzgliederung ist die erste nicht variabel, wenn die beiden anderen in dem Sinne variabel sind, daß ein und derselbe Gedanke und ein und derselbe Satz in zwei Teile auf unterschiedliche Weise aufgegliedert werden können.50 Dabei darf die Gliederung ein und derselben logischen Phrase unter dem Gesichtspunkt des Realitätsbezuges des Gedankens im Prinzip nicht mit ihrer Gliederung entsprechend dem Gedankengang zusammenfallen.51 Dies kommt daher, daß die Variabilität der Gliederung der logischen Phrase unter dem Gesichtspunkt des Realitätsbezuges des Gedankens begrenzt ist, weil nach Meinung Öesnokovs das logische Prädikat der logischen Phrase immer durch ein grammatisches Prädikat oder durch ein Prädikat und den mit ihm verbundenen Satzgliedern ausgedrückt wird.52 Dagegen ist die Gliederung der logischen Phrase unter dem Gesichtspunkt des Gedankenganges absolut frei, da sowohl Rhema als auch Thema durch jedes beliebige Satzglied ausgedrückt werden können. Demnach darf nicht nur die Richtung des Prozesses der Beziehung des Gedankens zur Realität und des Prozesses desselben Gedankenganges nicht zusammenfallen, sondern auch die Grenzen der Gliederung der logischen Phrase in diesen beiden Fällen. Wenn z. B . in dem Satz Zu uns kamen Künstler Turkmeniens 167
der logische Akzent auf dem Wort Turkmenien liegt, so drückt es das Rhema aus, während das logische Prädikat durch die Prädikatsgruppe Zu uns kamen ausgedrückt wird 53 . Deshalb wird dieses Logem sowohl unter dem Gesichtspunkt des Realitätsbezuges des Gedankens als auch unter dem Gesichtspunkt des Gedankenganges in folgender Weise gegliedert : Gegebenes
*• Neues
Zu uns kamen Künstler Turkmeniens Logisches Prädikat«
Logisches Subjekt
Die hier dargelegte Theorie einer eindeutigen Entsprechung der Satzstruktur mit der Struktur des von ihm ausgedrückten Logems erweist sich in gewisser Hinsicht jedoch als anfechtbar. Vor allem erhebt sich die Frage, ob man annehmen darf, daß diejenigen gedanklichen Abschnitte, von denen jeder durch ein bestimmtes Satzglied ausgedrückt wird, tatsächlich die kleinsten strukturell selbständigen Elemente des Logems als Form des Denkens sind, wie dies Cesnokov annimmt. 54 Wie oben schon bemerkt wurde (s. S. 159), sind in der Struktur des Urteils und anderer Logemarten die kleinsten strukturell selbständigen Elemente das logische Subjekt und Prädikat, und nur ihre gegenseitige Beziehung bestimmt den Charakter des Logems als Form des Denkens. 55 Zugleich sind die Satzglieder tatsächlich die kleinsten Strukturelemente des Satzes als grammatischsprachliche Einheiten. Man kann somit kaum damit einverstanden sein, daß die Satzglieder und die durch sie ausgedrückten gedanklichen Abschnitte die syntaktischen und logischen Glieder der entsprechenden Einteilungsebenen des Satzes bzw. Logems sind, wie dies Cesnokov postuliert. 5 « Es erheben sich auch Zweifel an der Richtigkeit der Aufstellung zweier selbständiger Strukturebenen des Logems, von denen die eine mit der inhaltlichen Bezogenheit des Logems zur Realität (was von Cesnokov richtig als Artmerkmal zur Abgrenzung von den anderen Gedankentypen, z. B . vom Begriff betrachtet wird57,) die andere mit dem Gedankengang verknüpft ist. Vor allem kann man kaum annehmen, daß der Prozeß der gedanklichen Realitätsbezogenheit des Gedankens gegenüber dem Gedankengang etwas Selbständiges darstellt: Es ist klar, daß die Gericlitetheit beider Prozesse zusammenfallen muß, weil die Beziehung des Gedankens eine der Seiten des Prozesses seiner Bewegung, seiner Entwicklung ist. Es ist deshalb kein Zufall, daß sich die Kriterien für 168
die Beurteilung des Charakters der Logemgliederung unter dem Gesichtspunkt der Realitätsbezogenheit des Gedankens und unter dem Gesichtspunkt des Gedankenganges als ein und dieselben erweisen (logischer Akzent, Wortfolge usw.) 58 , so daß sich die Abgrenzung dieser zwei Gliederungsarten dem Wesen nach als unmöglich erweist. Das von Öesnokov angeführte Abgrenzungsmerkmal (das logische Prädikat des Logems wird immer durch das grammatische Prädikat oder durch ein Prädikat und seine mit ihm verbundenen Satzglieder ausgedrückt), durch das ein und dasselbe Logem je nach dem Gesichtspunkt der Realitätsbezogenheit des Gedankens oder nach dem Gesichtspunkt des Gedankenganges gegliedert wird, ist ein rein grammatisches und kann f ü r die eigentlich logische Struktur, als welche die Struktur des Logems unter dem Gesichtspunkt der Realitätsbezogenheit des Gedankens angesehen wird, nicht als relevant betrachtet werden. Denn ein und dasselbe Logem kann beispielsweise durch zwei verschiedene Sätze ausgedrückt werden, wobei in dem einen irgendeiner seiner Abschnitte durch das grammatische Prädikat ausgedrückt werden k a n n und in dem anderen durch ein anderes Satzglied. Vgl. z. B.: 1. Letit — ptica (— Es fliegt ein Vogel) und 2. (Neöto) letja§öee est' ptica (— (Etwas) Fliegendes ist ein Vogel). Wenn man zugibt, daß das logische Prädikat des Logems, das in diesem Logem durch seine gedankliche Bezogenheit bestimmt wird, immer durch das grammatische Prädikat ausgedrückt wird, so ist im 1. Fall das logische Prädikat „ E s fliegt" und im 2. Fall „ist ein Vogel", obwohl in beiden Fällen zweifelsohne ein und dasselbe Logem mit einer identischen Struktur einschließlich derselben Gliederung ausgedrückt wird. Schließlich liefert die Analyse logischer prädikativ-modaler Beziehungen im Logem und der Mittel ihres Ausdrucks im Satz auch nicht hinreichend Gründe f ü r die Aufstellung der zwei Gliederungsarten des Logems, nämlich unter dem Gesichtspunkt des Realitätsbezuges und u n t e r dem Gesichtspunkt des Gedankenganges. Cesnokov nimmt an, daß derartige Beziehungen nur der Struktur des Logems zu eigen sind, die sich auf der Ebene des Realitätsbezuges des Gedankens abbildet u n d nicht der Struktur, die sich auf der Ebene des Fortganges desselben Gedankens abbildet. 5 9 E s ist jedoch klar, daß der Gedankengang, d. h. der Übergang vom bestehenden Wissen zum neuen in sich die entsprechenden prädikativ-modalen Charakteristiken einschließen muß. 6 0 Es wird unten noch gezeigt werden, daß die logischen prädikativ-modalen Beziehungen tatsächlich ein untrennbarer Bestandteil der Struktur des Logems sind, das als Ergebnis seiner Aufgliederung in Gegebenes und Neues gebildet wird und daß sie ihren 169
Ausdruck in der Struktur des Satzes erhalten. Außer diesen Beziehungen werden im Satz auch noch die eigentlich grammatischen prädikativ-modalen Beziehungen hervorgehoben, die immer mit dem grammatischen Prädikat verbunden sind. Die modal-prädikativen Beziehungen, die von Öesnokov der Struktur des Logems zugeschrieben werden, das seiner Meinung nach als Ergebnis der Beziehung des Gedankens zur Realität gebildet wird, sind entweder logische modal-prädikative Beziehungen, die durch die Struktur des Logems charakterisiert sind, das als Ergebnis der Gliederung in Gegebenes und Neues entstanden ist, oder die eigentlich grammatischen prädikativ-modalen Beziehungen, weil Öesnokov annimirit, daß das logische Prädikat immer durch das grammatische Prädikat oder durch ein Prädikat und die mit ihm verbundenen Satzglieder ausgedrückt wird. Die Berechtigung der hier vorgeschlagenen aktuellen Gliederung eines Satzes unter Berücksichtigung seiner Beziehung zur logischen Struktur des Gedankens kann auch deshalb in Zweifel gesetzt werden, weil zweiteilige Sätze* bei weitem nicht immer in „Gegebenes" und „Neues" aufgeteilt werden können. Man muß hier an Fälle denken, in denen der ganze Satz insgesamt eine Antwort auf die Frage „Was hat sich ereignet?" ist und demnach der durch ihn ausgedrückte Gedanke nichts schon früher Bekanntes, f ü r den Sprecher Gegebenes enthält, d. h., daß der ganze Satz f ü r den Fragenden etwas Neues enthält. L. V. Söerba bestimmte solche Sätze wie Posli parachody ( = Es kamen Dampfer an); Graöi * Bemerkung des Übersetzers: Der Verfasser verwendet nach eigener brieflicher Mitteilung die in den verschiedenen Schulen unterschiedlich interpretierten oder überhaupt nicht unterschiedenen Begriffe -sostavnyj für die rein grammatische Gliederung des Satzes gegenüber -clenyj im Sinne der von ihm eingeführten grammatisch-logischen Gliederung des Satzes. Da es in der deutschsprachigen Literatur keine ähnliche Gliederungsweise gibt, wurde für -sostavnyj -teilig übersetzt und für -clenyj -gliedrig. Da der Verfasser die Termini hier jedoch nicht näher definiert, gebe ich seinen brieflichen Hinweis nachfolgend wieder: „Ein Satz ist einteilig, wenn nur eines seiner Hauptglieder vorhanden ist, d. h., wenn entweder nur ein grammatisches Subjekt oder nur ein grammatisches Prädikat in ihm enthalten ist. Dementsprechend ist ein Satz eingliedrig, wenn er nicht die Subjekt-Prädikatstruktur auf der logisch-grammatischen Ebene der Satzgliederung besitzt. Ein zweiteiliger Satz kann eingliedrig sein (Posli parochody), obwohl er meistens zweigliedrig ist; ein einteiliger Satz kann zweigliedrig sein (Roz' pobilo — gradom), aber meistens ist er eingliedrig (Gradom pobilo roz')."
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prileteli ( = Die Saatkrähen flogen herbei) als eingliedrige Phrasen gegenüber den zweigliedrigen Phrasen wie Pa/rachody — posli ( = Dampfer kamen an); Grad —prileteli(— die Saatkrähen flogen herbei). Söerba sieht dabei den Unterschied zwischen diesen beiden Satztypen darin, daß im zweiten Typ „der Teil, der nach dem Gedankenstrich steht, immer eine bestimmte Aussage über das ist, was in dem Teil, der vor dem Gedankenstrich steht, ausgedrückt wird und diesem gegenübergestellt ist", während in den eingliedrigen Phrasen „eine solche Gegenüberstellung nirgends vorliegt: sie stellen alle eine einfache Feststellung der Realität dar, bisweilen vielleicht auch eine sehr komplizierte." 61 Solche Sätze haben eine ziemlich breite Funktionssphäre, am meisten werden sie am Anfang einer Erzählung verwendet (vgl. die gewöhnlichen Satzanfänge im Märchen: Es lebten einmal ein alter Mann und seine Frau . ..). Aber wenn die Gliederung einer zweigliedrigen Phrase in „Gegebenes,, und „Neues" nach Scerba 62 die Subjekt-Prädikat-Struktur des ausgedrückten Gedankens widerspiegelt, so erhebt sich die Frage, ob der Gedanke, der durch eine eingliedrige Phrase ausgedrückt wird, die keine aktuelle Gliederung besitzt, eine Subjekt-Prädikat-Struktur hat. Eine ähnliche Frage entsteht hinsichtlich des Charakters der Struktur des Gedankens, der durch jene Typen von einteiligen Sätzen ausgedrückt wird, die nicht als zweigliedrige Phrasen auftreten können 63 (impersonale Einwortsätze und nominative Einwortsätze in der russischen Sprache wie Veiereet, Zima usw., impersonale Sätze mit einem formalen Subjekt wie Es regnet, Man sagt, II pleut, It is cold usw.). In Anbetracht der beiden Fälle muß diese Frage, wie uns scheint, eine eindeutige Antwort erhalten, da ganz offensichtlich die Struktur der Gedanken, die durch eingliedrige zweiteilige Phrasen ausgedrückt werden, mit der Struktur der Gedanken, die durch die oben erwähnter! Typen einteiliger Sätze gleichgesetzt werden.64 Was den Charakter der Struktur der Gedanken betrifft, die durch die letztgenannten Satztypen ausgedrückt werden, so gibt es dazu zwei grundlegende Auffassungen. Nach der ersten werden in diesen Sätzen Urteile ausgedrückt, in denen das Subjekt des Urteils zwar keinen besonderen verbalen Ausdruck findet, gedanklich aber doch vorhanden ist und durch Situation, Kontext usw. bestimmt wird. So charakterisierte z. B. F. F. Fortunatov bei der Behandlung der vollständigen und unvollständigen Sätze — wobei er unter den letzteren die einteiligen Sätze des Typs pozar\ (= Feuer!) usw. versteht — jenen Typ von Gedanken, die durch die letztgenannte Satzart ausgedrückt werden, folgendermaßen: „Der unvollständige Satz ist in einer vollständigen Rede somit der Ausdruck jenes psychologischen Urteils, 171
in dem nur einer seiner beiden Bestandteile die Vorstellung eines Wortes oder die Vorstellung von Wörtern enthält, während der zweite Bestandteil keine verbale Vorstellung besitzt und aus der unmittelbaren Vorstellung des Gegenstandes des Gedankens oder seines Teiles besteht." 65 H. Paul, der die unvollständigen und die einteiligen Sätze grammatisch nicht auseinanderhält, behauptete auch, daß in solchen Fällen „das eine Glied, in der Regel das psychologische Subjekt, als selbstverständlich keinen sprachlichen Ausdruck gefunden hat. Es kann aus dem vorher Besprochenen ergänzt werden." 66 Über das Vorhandensein eines Subjekts in einem Gedanken, der durch einen eingliedrigen Satz ausgedrückt wird, spricht auch P. V. Kopnin. „Man darf nicht glauben, daß in den Fällen, in denen in einem Satz das Subjekt des Urteils keinen Ausdruck durch ein spezielles Wort erfährt, als Folge davon auch im Gedanken, im Urteil selbst kein Subjekt existiert. Dieses Subjekt kann aus der Situation heraus verstanden werden und dies bedeutet, daß es im Gedanken notwendigerweise existiert (anders kann ein Urteil gar nicht bestehen) und durch bestimmte, allgemein verständliche Mittel ausgedrückt wird." 67 An anderer Stelle schreibt Kopnin, daß „das Subjekt des Urteils möglicherweise nicht durch ein spezielles Wort ausgedrückt wird, sondern aus der Situation, aus dem Kontext heraus verstanden werden kann . . ," 6 8 Bei der zweiten Auffassung haben wir es mit den subjektlosen Urteilen zu tun (M. Vladislavlev, N. N. Lange, M. I. Karinskij, P. S. Popov u. a.). So schrieb z. B. P. S. Popov dazu: „Ein Urteil kann subjektlos sein, ohne dabei seine Struktur als Urteil zu verlieren, ein prädikatsloses Urteil kann es aber seinem Wesen nach nie geben." 6 9 P. S. Popov weist dabei auf das obligatorische Vorhandensein eines Gegenstandes des Urteils hin. 70 Sowohl die eine als auch die andere Seite haben ihre schwachen Seiten. Wenn nämlich das Subjekt des Urteils, das keinen verbalen Ausdruck innerhalb des entsprechenden Satzes findet, nur durch das Vorhandensein einer bestimmten Situation oder eines Kontextes bestimmt wird, so dürfte man kaum annehmen, daß es in dem konkreten gedanklichen Akt selbst, der durch diesen entsprechenden Satz ausgedrückt wird, vorhanden ist. Diese Ansicht setzt weiter voraus, daß eine der Komponenten des Urteils in einer bestimmten Kategorie von Fällen nie sprachlich ausgedrückt werden muß. Die Vertreter dieser Auffassung gehen davon aus, daß das begriffliche Denken ohne Sprache in der einen oder der anderen Form (Lautsprache, Gestensprache oder irgendein anderes Zeichensystem) vonstatten gehen kann. Dem kann man schwerlich zustimmen.71 Außer172
dem kann bei einem solchen Herangehen an die Lösung der Frage nach der Natur des Gedankens, der durch eingliedrige Phrasen ausgedrückt wird, auch die Frage nach der Natur des Gedankens, der durch unvollständige Sätze ausgedrückt wird, kaum zufriedenstellend beantwortet werden. Es ist klar, daß die Frage nach der Rolle des Kontextes, der Situation in bezug auf eingliedrige Phrasen bzw. unvollständige Sätze, unterschiedlich beantwortet werden muß — schon deshalb, weil eingliedrige Phrasen beim Sprechen immer als grammatisch abgeschlossene Sätze auftreten, die relativ abgeschlossene Denkakte ausdrücken, worin sie sich offensichtlich wesentlich von den unvollständigen Sätzen unterscheiden. Bei ihrem Versuch, die erwähnten Schwierigkeiten aus der Welt zu schaffen, nehmen einige Vertreter der erstgenannten Auffassung an, daß der Gegenstand des Urteils in den fraglichen Fällen in der unmittelbaren Wahrnehmung gegeben ist und das Subjekt des Urteils nicht der Begriff des Gegenstandes des Gedankens ist, sondern ein Abbild der Wahrnehmung (oder Vorstellung) des Gegenstandes des Gedankens. Sie behaupten, daß Urteile eines besonderen Typs durch eingliedrige Phrasen ausgedrückt werden und zwar die logisch-psychologischen Urteile.™ Diese Behauptung steht jedoch im Widerspruch zu der allgemein angenommenen Auffassung von der Natur des Urteils, derzufolge das Urteil eine Form des abstrakten logischen Denkens darstellt; denn es wird vorausgesetzt, daß eine der Struktur-Komponenten des Urteils in einer bestimmten Kategorie von Fällen ein sinnliches Abbild ist und somit der sinnlichen Stufe der Erkenntnis, d. h. mit anderen Worten dem 1. und nicht dem 2. Signalsystem angehört. Es ist klar, daß diesen Gesichtspunkt auch die im Prinzip berechtigten Hinweise nicht bekräftigen können, daß zwischen der sinnlichen und der logischen Stufe der Erkenntnis keine unüberschreitbaren Grenzen bestehen und daß im Erkenntnisprozeß sich die Elemente beider Stufen der Erkenntnis in ständiger Wechselbeziehung, Wechselwirkung usw. befinden. Außerdem muß man feststellen: Der erwähnte Standpunkt ist auch von Seiten der Fakten her nicht richtig. Wenn auch kein Zweifel besteht, daß in der Mehrzahl der Fälle impersonale und andere einteilige Einwortsätze von uns in einer konkreten Situation ausgesprochen werden und von sinnlichen Abbildern der entsprechenden Gegenstände des Gedankens begleitet werden, so ist das Vorhandensein einer konkreten Situation und der entsprechenden sinnlichen Abbilder des Gegenstandes des Gedankens doch keineswegs für das Aussprechen solcher Sätze er173
forderlich. So ist es durchaus möglich, daß ich beim Aussprechen des Wortes Svetalo ( = Es wurde hell) überhaupt kein sinnliches Abbild der entsprechenden Naturerscheinung habe. 73 Wenn man andererseits die Ansicht, daß in einem entsprechenden Gedanken kein Subjekt vorhanden sei, akzeptiert, dann entsteht die Frage, ob man ihn als Urteil betrachten kann. Wenn man nämlich die Form des Denkens als „einen bestimmten Typ oder ein bestimmtes Verfahren zur Verbindung der Elemente des Gedankens untereinander oder der Gedanken untereinander" 7 4 definiert, so haben wir es in diesem Falle nicht mit einem Urteil zu tun, sondern mit irgendeiner anderen Form des Denkens, die bis jetzt von der Logik noch nicht beleuchtet wurde und auch noch keine Benennung erfuhr. Zu einer solchen Lösung des Problems des Charakters der Struktur des Gedankens, der durch einteilige Sätze ausgedrückt wird, kommen beispielsweise die Autoren der Akademie-Grammatik der russischen Sprache. Bei der Behandlung einteiliger Sätze schreiben sie folgendes: „So kann ein konkreter Satz als Grundlage seines Aufbaus auch einen einzigen Begriff oder eine einzige Vorstellung haben, die grammatisch auf die Wirklichkeit bezogen ist." 75 Die Tatsache, daß der syllogistische deduktive Schluß nur auf der Grundlage einer SubjektPrädikat-Struktur aufbaut, bezeugt ebenfalls, daß der Gedanke, der als realitätsbezogen charakterisiert wird, aber kein verbal ausgedrücktes Subjekt in sich birgt, kein Urteil, sondern irgendeine andere Form des Denkens ist. So muß man zu der Schlußfolgerung gelangen, daß die oben angeführten Typen der einteiligen Sätze sowie auch die zweiteiligen Sätze keine aktuelle Gliederung besitzen, sondern irgendeine andere Form des Denkens ausdrücken, die man möglicherweise „eingliedrig" bezeichnen könnte, aber nicht als ein Urteil. Somit spiegelt die aktuelle Satzgliederung die Subjekt-PrädikatStruktur des ausgedrückten Gedankens wider. Weil die aktuelle Gliederung des Satzes keine rein gedankliche oder logische ist, sondern formalgrammatischen Charakter trägt, entsteht dabei unvermeidlich die Frage, in welcher Beziehung zur syntaktischen Gliederung des Satzes sie sich befindet und insbesondere, ob man von der sprachlichen Ebene aus die aktuelle Satzgliederung als eine Erscheinung derselben Ordnung betrachten muß wie auch die syntaktische oder nicht. V. Mathesius, K . Boost und einige andere Linguisten wiesen auf diese Nichtübereinstimmung hin und waren geneigt, diese zwei Arten der Satzgliederung gegenüberzustellen. Unter Berufung auf die englische und die öechische Sprache bemerkte Mathesius auch, daß in den verschiedenen Sprachen der Grad 174
des Abweichens der aktuellen und der syntaktischen Gliederung des Satzes unterschiedlich sei und daß insbesondere „die englische Sprache sich viel konsequenter darum bemüht, die grammatische Gliederung des Satzes in Übereinstimmung mit der Gliederung des Inhalts des Satzes in Thema und Aussage durchzuführen", als dies bei der öechischen Sprache der Fall ist. 77 Beiläufig wollen wir bemerken, daß in den synthetischen und besonders in den synthetisch-flektierenden Sprachen eine Divergenz zwischen den beiden Arten der Satzgliederung in weit stärkerem Maße stattfindet als in den Sprachen des analytischen Typs, in denen die Morphologisierung der Satzglieder schwächer ausgedrückt ist. 78 Entsprechend der anderen Auffassung, die besonders detailliert von K. G. Krusel'nickaja enwickelt wurde, überschreitet die aktuelle Satzgliederung nicht den Rahmen der syntaktischen Satzgliederung und stellt eine Erscheinung der syntaktischen Ebene dar. Krusel'nickaja schreibt dazu folgendes: „Die Bedeutung des Gegebenen und des Neuen, die die Satzglieder im Prozeß des Sprechens je nach der kommunikativen Aufgabenstellung erhalten, behindern nicht die Grundbedeutungen der Satzglieder, die durch die entsprechenden grammatischen Formen ausgedrückt werden. Die Bedeutungen des Gegebenen und des Neuen finden in den grammatischen Bedeutungen der Satzglieder ihren Niederschlag, sind die obligatorische Funktion der letzteren in jedem konkreten Kommunikationsakt." 79 Weiter sagt sie: „So ist die kommunikative Funktion der Satzglieder ein untrennbares Element ihrer Bedeutung und wird mit Hilfe besonderer sprachlicher Mittel ausgedrückt. Deshalb erweist es sich als sinnvoll, sie als eine besondere syntaktische Kategorie zu betrachten." 80 Nach Meinung Krusel'nickajas muß die kommunikative Funktion der Satzglieder zur syntaktischen Kategorie der Prädikativität gehören. 81 Die Relation Thema (Gegebenes) und Satzaussage (Neues) wird auch bei einigen anderen Autoren als eine der grundlegenden syntaktischen Beziehungen angesehen. 82 Jedoch schon die eine Tatsache, daß die kommunikative Funktion, die in der aktuellen Satzgliederung in Gegebenes und Neues in Erscheinung tritt, auf jedes beliebige Satzglied bezogen werden kann und spezifische Mittel seines sprachlichen Ausdrucks hat, die über die sprachlichen Mittel hinausgehen, die die syntaktische Satzgliederung bedingen, spricht dafür, daß die aktuelle Satzgliederung eine qualitativ prinzipiell andere Ebene der Satzgliederung darstellt als die syntaktische. Es ist klar, daß wir es hier nicht mit der syntaktischen Satzebene zu tun haben, sondern mit einer höheren Satzebene, die sich gewissermaßen über der syntaktischen 175
Ebene aufbaut. Dadurch können die grammatischen Erscheinungen, die mit der aktuellen Gliederung verbunden sind, nicht im Rahmen der traditionellen Analyse nach Satzgliedern geklärt werden. Dies betrifft nicht nur die Inhaltsanalyse einer Erscheinung der aktuellen Satzgliederung, sondern auch ihren eigentlich formal-grammatischen Aspekt, weil die syntaktische Analyse nach Satzgliedern nicht die Bestimmung irgendeines Teils der formalen sprachlichen Mittel erklären kann (der speziellen Morpheme in einigen Sprachen, Intonation, Wortfolge u. a.; s. o. S. 135 f.), d. h., daß man sie nicht zum Verständnis der Struktur des Satzes als Ganzen ausreichend zählen kann. Wie in der Akademie-Grammatik der russischen Sprache richtig gezeigt wird, „wird die sprachliche Form des Satzes nicht ausschließlich durch den grammatischen Bestand, durch die Beziehung des Subjekts und Prädikats gebildet. Faktisch besteht der Satz als eine bestimmte Einheit seiner Zusammensetzungen, Intonation und Wortfolge." 83 So hat der Satz neben seiner syntaktischen Ebene noch eine besondere Ebene, die durch die aktuelle Gliederung bestimmt ist. Da auf dieser Ebene des Satzes die Subjekt-Prädikat-Struktur des entsprechenden Gedankens mit besonderen grammatischen Mitteln ausgedrückt wird, muß man zur Unterscheidung von der syntaktischen Ebene diese Ebene als die logisch-grammatische Ebene bestimmen und das logische Subjekt und Prädikat des ausgedrückten Gedankens als logisch-grammatisches Subjekt und Prädikat. 8 4 Folglich haben wir es auf jeder dieser Ebenen mit unterschiedlichen Strukturen zu t u n : Wenn wir bei der Analyse der syntaktischen Ebene mit Begriffen der Satzglieder operieren 85 , also auch mit den Begriffen des grammatischen Subjekts und Prädikats, so treten auf der logisch-grammatischen Ebene als Strukturkomponenten das logisch-grammatische Subjekt bzw. Prädikat auf. Die Bedeutungen der Satzglieder, die auf der logisch-grammatischen Ebene in dem logisch-grammatischen Subjekt bzw. Prädikat enthalten sind, befinden sich auf der logisch-grammatischen Ebene des Satzes schon gewissermaßen in einer „aufgehobenen" Form (im Sinne Hegels — d. Übers.), weshalb sowohl das logische Subjekt als auch das logische P r ä d i k a t durch ein beliebiges Satzglied oder eine Gruppe von Satzgliedern ausgedrückt sein kann. Dabei müssen die Relationen der Satzglieder der aktuellen Gliederung nicht nur dem Typ der syntaktischen Relationen der Satzglieder entsprechen, sondern können auch mit ihnen in einem deutlichen Widerspruch stehen. So befinden sich beispielsweise in den zweigliedrigen Phrasen On priechal — bystro (= Er kam schnell an) und On priechal — poezdom ( = Er kam, mit dem Zug an) 176
die Wörter bystro und poezdom, die auf der Ebene der syntaktischen Satzgliederung als Adverbialbestimmung der Handlungsweise auftreten, in einer syntaktisch abhängigen Beziehung vom Prädikatsverb priechal. Dagegen befinden sich auf der Ebene der aktuellen Satzgliederung dieselben Wörter, die das logisch-grammatische Prädikat ausdrücken, in einer prädikativen Beziehung zu den übrigen Wörtern des Satzes (on priechal), die das logische Subjekt desselben Gedankens ausdrücken und sich auf der Ebene der syntaktischen Satzgliederung ihrerseits als grammatisches Subjekt und Prädikat gegenüberstehen. Somit ist, ebenso wie das Wort, das in bezug auf das Morphem eine Einheit einer höheren Ebene ist, nicht als einfache Summe der Morpheme, aus denen es gebildet ist, betrachtet werden kann, auch das Glied der aktuellen Gliederung nicht eine einfache Summe der syntaktischen Glieder des Satzes. Da die aktuelle Satzgliederung im Vergleich zur syntaktischen Gliederung desselben Satzes eine höhere Ebene darstellt, so ergibt sich, daß der Satz erst als Ganzes ebenfalls der logisch-grammatischen Ebene angehört und nicht auf der syntaktischen Ebene definiert werden kann. Es ist deshalb gesetzmäßig, daß die Mehrzahl der Satzdefinitionen, die von Linguisten gegeben werden, so oder so darauf hinweisen, daß ein notwendiges Merkmal der Definition darin besteht, daß der Satz einen relativ abgeschlossenen Gedanken ausdrückt 86 und durch die Bezogenheit auf die Realität des durch den Satz ausgedrückten Inhalts (durch die Prädikativität) 87 charakterisiert ist. Es wird also auf ein Merkmal hingewiesen, daß auf der syntaktischen Ebene des Satzes nicht erklärt werden kann. Es ist deshalb auch nicht zufällig, daß einige Linguisten, wie z. B. de Groot, bei der Satzanalyse zwei Termini benutzen, clause und sentence, wobei clause offensichtlich nur denjenigen Aspekt des Satzes (sentence) bezeichnet, den man mit den Autoren der Akademie-Grammatik den grammatischen Bestand des Satzes nennen könnte und der in sich nicht die Momente einschließt, die mit der aktuellen Satzgliederung verbunden sind.88 Einige Autoren sehen das Problem der Beziehung der syntaktischen und der supersyntaktischen Ebene als eine Beziehung der Ebene des Sprachsystems zur Ebene des Sprechaktes und glauben, daß die supersyntaktische Ebene in den Bereich des Sprechens und nicht in den der Sprache gehört. B. Trnka hebt neben der phonologischen, der morphologischen und der syntaktischen Ebene der Sprache noch die supersyntaktische oder stilistische Ebene hervor. Nach Trnkas Ansicht ist — im Unterschied zur 12 Fanfllov, Sprache und Denken
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syntaktischen Ebene, deren Einheit der Satz mit seinen Grundkomponenten in Gestalt der Beziehung Subjekt/Prädikat ist, — die Einheit der supersyntaktischen Ebene die Aussage, die auf der Beziehung Thema/ Kern liegt, z. B. wird die Aussage my father is ill durch den Satz my father is ill realisiert, aber im Unterschied zum letzteren, der für die Bezeichnung vieler Realitäten benutzt werden kann, schließt sie in sich den konkreten Sprecher und Hörer und die konkrete extralinguistische Situation ein, womit nach Meinung Trnkas die dichotome Konzeption Saussures von der Sprache als parole und langue überflüssig wird.89 Damit erweisen sich die Ansichten Trnkas als eine Weiterentwicklung der Lehre Mathesius' von der aktuellen Satzgliederung. E. Benveniste erkennt nicht die zwei Ebenen des Satzes an, sondern zählt den Satz als Ganzes zur kategorematischen Ebene und betrachtet ihn nicht als Einheit der Sprache, sondern als Einheit des Sprechens. Benveniste geht dabei davon aus, daß die Prädikativität, die eine Grundeigenschaft des Satzes ist, keinen Grund für die Unterscheidung zweier Satzarten liefert, die eine formale Klasse bilden würden, ähnlich, wie das bei den Phonemen, Morphemen oder Lexemen der Fall ist, weil „es nicht verschiedene Arten der Prädikation gibt" und „alle Satztypen, die man unterscheiden könnte, auf einen einzigen Satz mit Prädikativität zurückgeführt werden könnten. 90 " Der Satz als Ganzes in seiner konkreten Gestalt gesehen, in seinem konkreten lexischen Bestand und Inhalt, in seiner Situationsbedingtheit, ist tatsächlich eine Einheit des Sprechaktes, d. h., er gehört dem Sprechen und nicht der Sprache an. Wenn man jedoch den Satz von seiner strukturellen Seite aus nimmt, in der Abstraktion von seinem konkreten lexischen Bestand und Inhalt, d. h. den Satz als ein Modell betrachtet, so stellt er zweifelsohne eine Einheit der Sprache dar. In der Sprache gibt es einen beschränkten Vorrat an Satzmodellen und jedes von ihnen tritt als ein Element einer formalen Klasse auf, die durch ihre Gesamtsumme gebildet wird. Die verschiedenen Satzarten werden nicht nur aufgrund des Unterschiedes in ihren Strukturelementen, sondern auch aufgrund der verschiedenen Arten der Prädikativität unterschieden. Unten wird noch gezeigt werden, daß die Prädikativität als Relation des Inhalts eines Satzes zur Realität nach den verschiedenen Arten differenziert wird, die sich aus den verschiedenen Einstellungsgraden des Sprechers zum Inhalt des Satzes und aus dem Charakter der objektiven Beziehungen, die in dem Satz wiedergegeben werden, ergeben, d. h. aus der modalen Charakteristik des Satzinhalts (s. S. 197f). 91 178
Dabei werden, wie oben gezeigt wurde, prinzipiell zwei Ebenen der Satzstruktur angesetzt, von denen jede durch besondere sprachliche Mittel — die syntaktische und die logisch-grammatische — fixiert wird. Da die Sätze, die auf der logisch-grammatischen Ebene betrachtet werden, ebenfalls in Abhängigkeit vom Unterschied ihrer Strukturen und ihrer prädikativ-modalen Charakteristik auseinandergehalten werden, so gehört diese Satzebene zur Sprache und nicht zum Sprechen. Die Abgrenzung der syntaktischen und der logisch-grammatischen Ebene des Satzes ist dabei die Bedingung für eine adäquate Bestimmung des Wesens dieser beiden Ebenen, eine Bedingung für die endgültige Überwindung des logischen Herangehens an gewisse Erscheinungen der syntaktischen Satzebene. Eine scharfe Abgrenzung dieser beiden Satzebenen ist die notwendige Voraussetzung für eine richtige Lösung von Problemen wie das vom Wesen der Kategorie der Prädikativität, der Modalität und des Modus; oder auch zur Lösung des Problems, ob in einem bestimmten Maße das Prinzip der syntaktischen Satzgliederung auch auf Sprachen mit einem schwachen Grad von Synthetismus angewendet werden könne, d. h. auf Sprachen des analytisch-agglutinierenden Typs; oder auch zur Lösung des Problems der Kriterien für die Bestimmung der Hauptglieder in Sätzen der verschiedenen Typen synthetischer Sprachen und zur Lösung einer ganzen Reihe anderer Fragen.
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Kapitel III
Prädikativität und grammatisches Prädikat, Prädikativität und Modalität, Modalität und Modus*
I n d e n modernen Syntaxtheorien gilt als allgemeine Eigenschaft des Satzes, der sich damit von anderen sprachlichen Einheiten abgrenzt, die Prädik a t i v i t ä t u n d als Grundelement seiner S t r u k t u r die prädikative Beziehung. Indessen bleibt die Frage nach dem Wesen dieser Erscheinungen bis zur Gegenwart nicht wenig u m s t r i t t e n . E s gibt zu dieser Frage stark entgegengesetzte Theorien. E s bestehen zwei grundlegende Methoden der Bestimmung des Begriffs P r ä d i k a t i v i t ä t u n d zwei Grundauffassungen vom Wesen dieser Erscheinung. Die Vertreter der ersten Richtung, die am ausführlichsten in d e r Akademie-Grammatik der russischen Sprache dargelegt wird, gehen d a v o n aus, d a ß „die Bedeutung u n d die Bezeichnung der allgemein e n Kategorie der Prädikativität, die den Satz formiert, in der Beziehung des Satzinhalts zur Realität besteht" 1 , u n d d a ß „die P r ä d i k a t i v i t ä t zum Satz als Ganzes gehören k a n n u n d nicht seine Gliederung hervorrufen darf. 2 " Zugleich betrachtet m a n die P r ä d i k a t i v i t ä t hier als eine syntaktische Kategorie 3 u n d behauptet, d a ß „die diesbezüglichen Satzglieder, die durch die prädikativen Beziehungen verbunden werden, d a s grammatische Subjekt, das durch die F o r m des Nominativs des Substantivs oder eines Pronomens (und auch durch ein substantiviertes Wort) ausgedrückt wird, u n d d a s grammatische P r ä d i k a t sind, das durch die personale F o r m des Verbums, die Kurzform eines Partizips, eines Adjektivs oder durch andere morphologische Mittel ausgedrückt wird. 4 " Die Vertreter der zweiten Richtung, die am konsequentesten in den Arbeiten von A. M. Peäkovskij u n d M. I . Steblin-Kamenskij vertreten * Bemerkung des Übersetzers: Im Deutschen wird rein terminologisch nicht zwischen predikativnost' und skazuemost' unterschieden. Außer hier in der Überschrift wurde deshalb im weiteren Kontext für skazuemost' grammatische Prädikativität verwendet, um sie von der nichtgrammatischen Prädikativität (predikativnost') zu unterscheiden. 180
wird, zählen die Prädikativität, für die sie bevorzugt grammatische Prädikativität sagen, zur syntaktischen Satzgliederung und sehen sie als eine Eigenschaft des grammatischen Prädikats als Satzglied oder als das, was das grammatische Prädikat zum grammatischen Prädikat macht, an. 5 Außerdem weisen dieselben Autoren darauf hin, daß es zwei Arten der grammatischen Prädikativität gibt, eine formale und eine prosodische, die häufig nicht miteinander zusammenfallen und sich auch nicht decken ; 6 daß die grammatische Prädikativität eine „Schattierung im Wort sei, die den Hinweis gibt, daß das Wort nicht der Vorstellung allein, sondern dem ganzen Gedanken entspricht;" 7 daß „die Prädikativität oder prädikative Beziehung ihrem Inhalt nach zweifelsohne dasselbe ist, was in der Logik die Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat des Urteils genannt wird;" 8 daß Satztypen existieren (die Schönste war die jüngste Tochter), bei denen „statt des grammatischen Subjekts und Prädikats nur zwei Hauptglieder existieren, von denen das eine weder grammatisches Subjekt noch grammatisches Prädikat ist, obwohl zwischen diesen beiden Gliedern eine prädikative Beziehung vorliegt" 9 . Es ist ersichtlich, daß sich beide Auffassungen von der Natur der Prädikativität widersprechen und daß die genannten Eigenschaften der Prädikativität in vielen konkreten Sätzen nicht miteinander vereinbar sind. Wenn nämlich die Prädikativität die Bezogenheit des Inhalts des Satzes zur Realität ist, so muß sie auch in denjenigen Sätzen vorhanden sein, in denen entweder das grammatische Subjekt oder das Prädikat fehlt (einteilige Sätze) oder keines dieser beiden Satzglieder vorhanden ist. So gibt es mindestens einige Typen einteiliger Sätze, aber auch zweiteilige Sätze, in denen die grammatische Gegenüberstellung von Subjekt und Prädikat als Hauptglieder des Satzes, die in anderen Satztypen vorhanden sind, fehlt, d. h., daß eine gewisse Neutralisation der Gegenüberstellung dieser Satzglieder vorliegt.10 Wenn zudem die Prädikativität in der Beziehung des logischen Subjekts und des logischen Prädikats auftritt, so kann es in den Fällen, in denen das logische Subjekt und das logische Prädikat nicht durch das grammatische Subjekt bzw. Prädikat ausgedrückt wird, sondern durch irgendwelche anderen Satzglieder, keine prädikative Beziehung zwischen dem grammatischen Subjekt und dem grammatischen Prädikat geben. Die genannten Widersprüche in der Auffassung von der Prädikativität besagen lediglich, daß für die Definition des Begriffs der Prädikativität prinzipiell verschiedene sprachliche Erscheinungen herangezogen werden, und zwar: Die Prädikativität als Eigenschaft des grammatischen Prädikats und die Prädikativität als Eigenschaft des Satzes als Ganzen und 181
daß auch die prädikative Beziehung als Beziehung zwischen grammatischem Subjekt und Prädikat nicht von der prädikativen Beziehung als Beziehung zwischen logischem Subjekt und Prädikat abgegrenzt wird. V. G. Admoni stand der Idee der Notwendigkeit der Abgrenzung ihrer Erscheinungen von zwei prinzipiell unterschiedlichen Ebenen am nächsten. Seine Auffassung hierzu stützt sich im wesentlichen jedoch auf eine entsprechende These von Peskovskij und bleibt dadurch in vielem widersprüchlich und inkonsequent. So bestimmt Admoni einerseits die grammatische prädikative Verbindung (die Beziehung des grammatischen Subjekts und Prädikats) und die kommunikativ-individuelle oder kommunikativ-psychologische prädikative Verbindung (die Beziehung der Komponenten einer zweigliedrigen Phrase im Sinne Scerbas), wobei er darauf hinweist, daß „der individuelle Akt der Verknüpfung zwar auch den grammatisch prädikativen Akt der Verknüpfung nachbilden kann, aber ihn auch erneut unterstreichen und sogar von diesem Akt abweichen kann, d. h., daß er eine Verknüpfung der anderen Komponenten des erweiterten Satzes herzustellen vermag. Andererseits behauptet Admoni jedoch, daß die Verbindung des erstgenannten Typs „im Prinzip dieselbe Verknüpfung von zwei Komponenten im Sprechakt ist, die wir in der zweigliedrigen Phrase vorfinden", daß die Verbindungen der einen und der anderen Art „hinsichtlich ihrer Entstehung und ihrer allgemeinen Entwicklung (Hervorhebung von uns — V. P.) die gleichen Erscheinungen darstellen" und daß „die prädikative Verknüpfung von zwei Komponenten im zweiteiligen Satz wie sie im konkreten Sprechakt auftritt, sich zweifach wiederholt"11. Indessen ist eine scharfe Abgrenzung dieser Erscheinungen der zwei prinzipiell verschiedenen Ebenen erforderlich, nicht nur wegen der Existenz der zwei verschiedenen Satzebenen, der syntaktischen und der logisch-grammatischen, die untrennbare Elemente der Struktur jeder dieser Ebenen sind, sondern auch deshalb, weil jede der beiden Verbindungen, wie noch gezeigt werden wird, ihren eigenen besonderen Ausdruck im Satz erhält. Unter Berücksichtigung des oben Gesagten erweist es sich vor allem als nützlich, zunächst die Prädikativität als eine Kategorie zu bestimmen, die die Bezogenheit des Inhalts des Satzes charakterisiert und z. B. in einem Satzurteil tatsächlich als Beziehung des logischen (genauer logischgrammatischen) Subjekts zum Prädikat in Erscheinung tritt. Sodann muß man die grammatische Prädikativität als eine syntaktische Kategorie bestimmen, die sich als Eigenschaft des grammatischen Prädikats als eines syntaktischen Satzgliedes erweist und im zweiteiligen Satz als Beziehung des grammatischen Subjekts zum grammatischen Prädikat in 182
Erscheinung tritt. Die grammatische Prädikativität und die nichtgrammatische Prädikativität stellen Erscheinungen zweier verschiedener Satzebenen dar, der syntaktischen bzw. der logisch-grammatischen. Die grammatische Prädikativität als Erscheinung der syntaktischen Satzebene ist keine Eigenschaft des Satzes als einer sprachlichen Einheit 1 2 und kommt nur in solchen Sätzen vor, in denen das grammatische Prädikat als Satzglied auftritt. I m Gegensatz zur grammatischen Prädikativität charakterisiert die nichtgrammatische Prädikativität die Bezogenheit des Inhalts des Satzes auf die Realität, d. h. sie ist diejenige Kategorie, durch die die eine oder die andere Aussage als Mitteilung über die Realität aufgefaßt wird. 1 3 Unter Realität wird hier alles verstanden, was als Objekt des Gedankens, der Reflexion des Menschen auftritt. Deshalb ist die Prädikativität eine Eigenschaft des ganzen Satzes und nicht irgendeines Satzgliedes, also etwa des grammatischen Prädikats. 1 4 Der Unterschied zwischen der grammatischen Prädikativität und der nichtgrammatischen Prädikativität hat denselben prinzipiellen Charakter wie der Unterschied zwischen dem grammatischen Subjekt und dem logischen Subjekt oder zwischen dem grammatischen Prädikat und dem logischen Prädikat. Die grammatische Prädikativität u n d die nichtgrammatische Prädikativität fallen nur in solchen Fällen zusammen, in denen das grammatische Subjekt oder die Gruppe des grammatischen Subjekts das logische Subjekt ausdrückt und das grammatische Prädikat oder die Gruppe des grammatischen Prädikats das logische Prädikat ausdrückt. Aber obwohl sie in der Mehrzahl der Fälle tatsächlich zusammenfallen, darf man durchaus nicht den Schluß ziehen, daß die Prädikativität und die grammatische Prädikativität Erscheinungen ein und derselben Ordnung sind oder daß die grammatische Prädikativität ein besonderer Fall der nichtgrammatischen Prädikativität ist, ebenso wie die Tatsache, daß das logische Subjekt am häufigsten durch das grammatische Subjekt oder die Gruppe des grammatischen Subjekts ausgedrückt wird und das logische Prädikat durch das grammatische Prädikat oder die Gruppe des grammatischen Prädikats, keinen Grund zu der Schlußfolgerung gibt, daß das grammatische Subjekt und das grammatische Prädikat dem verbalen Ausdruck des logischen Subjekts und Prädikats entsprechen. Es besteht kein Zweifel, daß das grammatische Prädikat in seiner E n t stehung durch die Prädikativität bedingt war, weil sich grammatisches Prädikat und Subjekt als Satzglieder in einer Sprache als spezifische morphologische Formen zum Ausdruck des logischen Prädikats bzw. 183
Subjekts herausgebildet haben, was nicht ausschließt, daß in der Folge zwischen diesen beiden Erscheinungen eine unterschiedliche Entwicklung stattfand. Die grammatische Prädikativität wie auch das grammatische Prädikat selbst sind keine konstituierenden Merkmale des Satzes, weil erstens nicht wenige Satztypen existieren, in denen kein grammatisches Prädikat vorhanden ist und zweitens, weil das Vorhandensein eines grammatischen Prädikats oder auch eines Prädikats innerhalb eines Syntagmas noch nicht die Bezogenheit des durch diese Prädikate ausgedrückten Gedankens zur Wirklichkeit garantiert. Eine entsprechende Konstruktion muß kein Satz sein, weil sie keinen relativ abgeschlossenen Gedanken ausdrückt., oder genauer gesagt, keinen relativ abgeschlossenen gedanklichen Prozeß. 15 Dagegen ist die Prädikativität eine notwendige Eigenschaft jedes Satzes und ist sein konstituierendes Merkmal, das ihn zu einer sprachlichen Einheit macht. 16 Insbesondere unterscheidet sich der Einwortsatz durch das Vorhandensein der Prädikativität, d. h. durch die Bezogenheit seines Inhalts auf die Wirklichkeit, vom Wort als einer besonderen sprachlichen Einheit, die als solche beispielsweise in diesem oder jenem erweiterten Satz verwendet wird. Man kann einwenden, daß durch die Eigenschaft der Bezogenheit nicht nur der Satz als sprachliche Einheit und das Nomen als Form des Denkens charakterisiert ist, sondern auch das Wort bzw. der Begriff, wenn man dabei im Auge hat, daß in den letztgenannten die objektive Realität widergespiegelt wird. Jedoch wird nur in der Form des Satzes und der durch ihn ausgedrückten Arten des Gedankens diese Bezogenheit aktualisiert, und nur in dieser Form wird eine Aussage über die Wirklichkeit realisiert.17 Mit anderen Worten ist die Prädikativität eine Eigenschaft derjenigen Denkformen und der sie ausdrückenden sprachlichen Einheit, in denen der Akt der direkten und unmittelbaren Gerichtetheit unseres Gedankens auf die Realität eine Verwirklichung findet. Deshalb werden die Prädikativität und jene Formen des Gedankens und die sprachliche Einheit dafür nur im Prozeß des inneren Sprechens und des Ausdrucks im Redeakt verwirklicht. Dagegen existieren Einheiten des Denkens wie der Begriff und auch sprachliche Einheiten wie das Wort, obwohl sie auch die Wirklichkeit widerspiegeln, auch außerhalb der Akte des inneren Sprechens und des Ausdrucks im Redeakt als Komponenten eines Begriffssystems oder eines sprachlichen Systems, das im Gehirn des Menschen fixiert ist. Dabei existieren solche sprachlichen Einheiten wie Wörter und Einheiten des Denkens wie Begriffe im Gehirn des Menschen außerhalb der Sprechakte vor allem als konkrete sprachliche Einheiten und Einheiten des 184
Denkens, während der Satz und die ihm entsprechenden Formen des Denkens zwar auch im Gehirn des Menschen außerhalb der Sprechakte existieren, aber nicht als konkrete Sätze und konkrete Gedanken, die eine entsprechende Form haben, sondern nur als Satzmodelle bzw. nur als Denkformen. Der Begriff der Prädikativität als Merkmal des Satzes wird auch in anderer Beziehung angezweifelt. So schreibt Steblin-Kamenskij: „Ist es immer noch berechtigt, das Wort 'Prädikativität' in der Bedeutung 'das, was den Satz zum Satz macht' anzuwenden oder braucht man überhaupt ein Wort mit einer solchen Bedeutung? Ein solches Wort wäre doch offensichtlich nur dann notwendig, wenn das, was den Satz zum Satz macht, auch außerhalb des Satzes anzutreffen wäre, d. h. nur wenn das, was den Satz zum Satz macht, nicht vollständig durch den Begriff des Satzes gedeckt wäre . . . Es ist aber doch ganz klar, daß dann, wenn die 'Prädikativität' als 'allgemeine Kategorie, die den Satz bildet' definiert wird und zugleich als seine Bestimmung 'die Bezogenheit des Satzinhalts auf die Realität' zugeschrieben bekommt, hier nur einfach das festgestellt wird, was wir längst über den Satz, . . . in bezug auf das, was ihn bildet, d. h. in der Bestimmung der 'Prädikativität' oder der 'Satzhaftigkeit', wissen." 18 So kann man nach Ansicht Steblin-Kamenskijs den Begriff der Prädikativität bei der Definition des Satzes nicht als Artmerkmal verwenden, weil die Prädikativität nur als Eigenschaft des Satzes auftritt und außerhalb des Satzes nicht existiert, so daß bei der Definition des Satzes durch die Prädikativität ein circulus vitiosus auftreten würde. In Wirklichkeit gibt es hier jedoch keinen Definitionszirkel. Für den Begriff Satz ist der Begriff sprachliche Einheit der Gattungsbegriff, der seinem Umfang nach zweifelsohne weiter ist als der Begriff Satz. Ferner müssen wir nach den Regeln zur Definition von Begriffen das Merkmal nennen, das es erlaubt, den Begriff Satz von den anderen sprachlichen Einheiten abzugrenzen. Als solches kann aber nur das Merkmal auftreten, das n u r d e m S a t z u n d k e i n e r a n d e r e n E i n h e i t z u e i g e n i s t . Dieser Anforderung entspricht zweifellos der Begriff Prädikativität, und deshalb begehen wir mit der Einbeziehung der Prädikativität in die Artmerkmale des Satzes (neben dem Merkmal, daß der Satz einen relativ abgeschlossenen Denkakt ausdrückt und durch eine bestimmte Art der kommunikativen antonation, z. B . der Mitteilung, der Frage oder der Aufforderung charakterisiert wird) überhaupt keinen logischen Fehler, der gegen die Regeln der Begriffsdefinition verstößt. Überdies würde ein Fehler erst dann vorliegen, wenn die Prädikativität über den Bereich des Satzes hinausginge und bei-
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spielsweise nicht nur eine Eigenschaft des Satzes, sondern auch anderer sprachlicher Einheiten wäre. Oben wurde schon gezeigt, daß die Frage nach der Struktur des Gedankens, der durch einen Einwortsatz ausgedrückt ist, bisher noch umstritten ist. Wie wir zu zeigen versucht haben, gibt es kaum einen Grund, anzunehmen, daß Gedanken, die durch solche Satztypen ausgedrückt werden, eine Subjekt-Prädikat-Struktur besitzen. Dasselbe gilt auch f ü r die grammatisch zweiteiligen Sätze, die als Ganzes etwas Neues ausdrücken und in denen keine Gegenüberstellung von Gegebenem und Neuem vorhanden ist (eingliedrige Phrasen nach der Terminologie Söerbas), d. h. f ü r Sätze vom Typ nastujrila, vesna („Der Frühling t r a t ein"); poSli parochody („Dampfer kamen an") usw. I n diesem Zusammenhang erweist es sich als zweckmäßig, den Begriff der Prädikativität als Eigenschaft eines jeden Satzes vom Begriff der nichtprädikativen Beziehung als Beziehung zwischen dem logisch-grammatischen Subjekt und Prädikat abzugrenzen. So kann in Anbetracht des zweigliedrigen zweiteiligen Satzes die prädikative Beziehung als besonderer Fall des Auftretens der Prädikativität definiert werden, in dem die Gedanken, die durch die entsprechenden Sätze ausgedrückt werden, eine Subjekt-Prädikat-Struktur besitzen. 19 Analog dazu könnte man die grammatische prädikative Beziehung als besonderen Fall des Auftretens der grammatischen Prädikativität definieren, die nur in zweiteiligen Sätzen vorkommt und die Beziehung zwischen dem grammatischen Subjekt und Prädikat darstellt. Wenn die Prädikativität und die grammatische Prädikativität nicht zusammenfallen, so fallen auch die prädikative und die grammatische prädikative Beziehung nicht nur nicht zusammen, sondern nehmen eine entgegengesetzte Gerichtetheit an. So drückt beispielsweise in dem Satz fiivgda, p'ryd' („Es kam ein Mensch") das Subjekt nivgda (Mensch), das durch das Prädikatssuffix -ta, -ra, -da gebildet wird, das logisch-grammatische Prädikat aus und das grammatische Prädikat p'ryd' (kam) das logisch-grammatische Subjekt. Wir haben damit das folgende Schema einer prädikativen und grammatisch prädikativen Beziehung: prädikative Beziehung
r
ftivgda
i
T
p'ryd'
t
grammatisch präd. Beziehung
Die Nichtübereinstimmung zwischen prädikativer und grammatisch prädikativer Beziehung erhält besonderes Gewicht in den Fällen, in denen 186
die Grenzen derLogemgliederung nicht mit den Grenzen der Satzgliederung in die syntaktischen Gruppen des grammatischen Subjekts und Prädikats zusammenfallen. So z. B. in dem Satz Nivch p'ryd' tyftochta ( = Der Mensch kam zum Haus), in dem das logisch-grammatische Prädikat durch das Adverbiale tyftochta (zum Hause) mit demselben Prädikatssuffix gebildet wird, während das logisch-grammatische Subjekt durch das grammatische Subjekt und Prädikat •Aivch p'ryd' (der Mensch kam) ausgedrückt wird. Das Schema der prädikativen und grammatisch prädikativen Beziehung nimmt dann das folgende Bild an: prädikative Beziehung ! Nivch
1 p'ryd'
tyftochta
grammatisch präd. Beziehung Der prinzipielle Unterschied zwischen der Prädikativität und der grammatischen Prädikativität kommt besonders deutlich in den Fällen zum Ausdruck, in denen das Nichtzusammenfallen von logischem Prädikat mit dem grammatischen Prädikat durch seinen Ausdruck durch ein anderes Satzglied zu einem qualitativen Umbau der Satzstruktur selbst, zu einer Veränderung der grammatischen Form des grammatischen Prädikats, das nicht das logische Prädikat ausdrückt, und zur Veränderung der syntaktischen Verbindungen innerhalb des Satzes führt. Wir beginnen mit den einfachsten Fällen. In der nivchischen Sprache tritt das Prädikatsverb, das das logische Prädikat im Satz mit einer modalen Kategorie des Sicherheitsgefühls ausdrückt, in einer der Formen des kategorischen Modus auf, indem es entweder mit dem Suffix -gitlef-kitle oder mit dem Suffix -par(a) -bar(a) oder mitdem Suffix -Rar/-qar versehen wird; z. B. Ytyk p'rygitle ( = Der Vater, natürlich, kam). Wenn das logische Prädikat in diesem Satz durch das grammatische Subjekt ausgedrückt wird, so erhält das Prädikatsverb die Form des erklärenden Modus auf -d' und dem grammatischen Subjekt wird das Hilfsverb had' ( = ist) in Form des kategorischen Modus nachgestellt, d. h. wir finden: Ytyk hagitle p'ryd' (Es kam, natürlich, der Vater). Wir haben oben schon Beispiele aus der abchazischen Sprache angeführt (S. 140—141), in der in analogen Fällen das Prädikatsverb eine infinite Form erhält und ein Wechsel der syntaktischen Beziehungen innerhalb des Satzes auftritt, der sich am Gebrauch der Klassenaffixe abzeichnet. Neben der Prädikativität hat man in den letzten Jahrzehnten begonnen, auch die Modalität als ein Merkmal des Satzes zu betrachten. Es 187
existieren jedoch in der Frage nach dem Wesen dieser Kategorie und ihrer Beziehung zur logischen Modalität wie auch zur Prädikativität noch die unterschiedlichsten und widersprüchlichsten Ansichten. 1.1. MeSöaninov wies bei der Bestimmung der besonderen Kategorie der Modalwörter darauf hin, daß „diese Wörter, die zu einem bestimmten Prozentsatz in eingeschalteten Satzgliedern auftreten und deshalb mit einzelnen Wörtern des Satzes keine syntaktische Beziehung eingehen, aber zur Aussage als Ganzes gehören"20. MeSöaninov nimmt gegen die Tendenz Stellung, in diese Wortgruppe „alles einzubeziehen, was in dieser oder jener Weise in einem Satz mit der Schattierung einer individuellen Charakteristik der Aussage oder eines emotionalen Ausdrucks vorkommt" 21 und hält es nur für möglich, „hierin solche Wörter einzubeziehen, die die spezielle Bestimmung erhielten, in einem Schaltglied subjektiver Bewertung aufzutreten und mit diesem Satzglied eine feste Verbindung einzugehen" 22 . Unter Bezugnahme auf ihre funktionale Rolle innerhalb des Satzes bestimmt Mesöaninov sie zumindest nicht sehr scharf. Er schreibt: „Zugleich bekommen sie einen recht unterschiedlichen Inhalt, der die Einheiten einer subjektiven Äußerung in allen ihren möglichen gedanklichen Varianten eines vielschichtigen sprachlichen Ausdrucks wiedergibt."23 Sehr ausführlich geht V. V. Vinogradov auf die Kategorie der Modalität ein. „Jeder Satz schließt in sich als ein wesentliches Konstruktionsmerkmal die modale Bedeutung ein, d. h. er enthält einen Hinweis auf die Beziehung zur Realität. Ein beliebiger geschlossener Ausdruck eines Gedankens, eines Gefühls, einer Aufforderung, der die Wirklichkeit in dieser oder jener Form der Aussage widerspiegelt, nimmt die Gestalt einer der in einem gegebenen Sprachsystem vorhandenen Intonationsfiguren des Satzes an und drückt eine der syntaktischen Bedeutungen aus, die in ihrer Gesamtheit die Kategorie der Modalität bilden."24 Vinogradov betrachtet die Modalität als eine semantische Kategorie, die einen „gemischten lexiko-grammatischen Charakter besitzt" und bezieht in diese Kategorie folgendes ein: 1. Alle Bedeutungen, die durch syntaktische und analytische Formen der Modi des Verbums ausgedrückt werden 23 ; 2. die Bedeutungen, die durch die Intonation in „einteiligen prädikatlosen Subjektsätzen" (nach der Terminologie Sachmatovs) 26 ausgedrückt werden (in Ausrufesätzen, beschreibenden Sätzen sowie in Sätzen, die einen Wunsch und eine Forderung, aber auch eine Frage ausdrücken) 27 ; 3. Bedeutungen, die durch typisierte Syntagmen ausgedrückt werden, „die aus der Form des Verbums mit einer lexischen Bedeutung besteht, die der modalen Bedeutung nahekommt und aus der Form des Infinitivs eines anderen 188
Verbums"28; 4. Bedeutungen, die durch die Konstruktion des Infinitivs mit denominalen Wörtern ausgedrückt werden, wozu die emotionale Charakteristik einer Handlung, die emotionale Beziehung zur Handlung oder zum Objekt", „die emotional-voluntative Bewertung der Handlung gehört" 29 ; 5. Bedeutungen, die durch Modalwörter und Partikeln ausgedrückt werden (verstärkend-einschränkende, quantitativ-bestimmende u. a.) 30 . Damit bezieht Vinogradov in die Kategorie der Modalität der russischen Sprache Erscheinungen mit ein, die sich grundlegend durch ihr sprachliches Wesen, durch die Funktion, die sie innehalb eines Satzes ausüben (von der Beteiligung als Komponenten des Satzinhalts bis zum Ausdruck seiner formalen Charakteristik) und durch den Charakter der ihnen innewohnenden Bedeutungen unterscheiden. In der Akademie-Grammatik der russischen Sprache, in der die Prädikativität als Beziehung des Inhalts eines Satzes zur Realität betrachtet wird, betont man zugleich, daß „die allgemeine grammatische Bedeutung der Bezogenheit des grundlegenden Inhalts eines Satzes auf die Wirklichkeit in den syntaktischen Kategorien der Modalität sowie auch der Zeit und der Person ausgedrückt wird"31. Damit werden Modalität und Prädikativität hier als Erscheinungen einer im Prinzip gleichen Ordnung angesehen (in beiden Fällen ist dies die Bezogenheit des Satzinhalts auf die Realität), obwohl sie keineswegs völlig miteinander identisch sind, da die Prädikativität, nach Ansicht der Autoren der Grammatik, nicht nur durch die Kategorie der Modalität ausgedrückt wird, sondern auch durch die Kategorien der Zeit und der Person, d. h., daß der Begriff der Prädikativität sich als ein weiterer Begriff als die Modalität erweist. Der Terminus Modalität wird hier in einem anderen Sinne verwendet. So wird die Modalität einige Zeilen tiefer schon als Beziehung der in einem Satz enthaltenen Mitteilung zur Realität definiert und ferner erklärt, daß man unter Beziehung einer Mitteilung zur Realität folgendes verstehe: „Das, was mitgeteilt wird, kann vom Sprecher als etwas Reales, in der Vergangenheit oder Gegenwart Vorhandenes oder sich in der Zukunft Realisierendes oder Wünschenswertes, von irgend jemandem Gefordertes oder etwas Unwirkliches usw. gedacht werden." 32 Dabei erhebt sich die Frage, was man unter Realität und Unwirklichkeit des Inhalts einer Mitteilung zu verstehen habe: Ist der Akt einer Aussage real, wirklich (oder wird als solches gedacht), wenn in ihr eine Mitteilung über das Vorhandensein irgendeiner Beziehung zur Wirklichkeit (affirmativer Satz) erfolgt? Und ist der Inhalt einer Aussage unwirklich, wenn in ihr eine Mitteilung über das Fehlen einer solchen Verbindung zur Wirklichkeit (negativer Satz) erfolgt? Oder 189
ist der Inhalt einer solchen Aussage real, wirklich, wenn in ihr die objektive Realität adäquat wiedergegeben wird (eine derartige Aussage kann sowohl der affirmative wie auch der negative Satz sein), aber nicht real, nicht wirklich in einer solchen Aussage, in der die objektive Realität unrichtig, inadäquat wiedergegeben wird (eine solche Aussage kann ebenfalls ein negativer oder ein affirmativer Satz sein) ? Die Auffassung von der Modalität oder genauer gesagt, von den Arten modaler Bedeutungen im erstgenannten Sinne ist unter vielen Sprachwissenschaftlern verbreitet, wird aber von den Autoren der Grammatik offenbar nicht geteilt. Darauf kommen wir weiter unten noch zu sprechen. Was die zweite Auffasung von der Modalität betrifft, so kann sie einer der beiden grundlegenden Anschauungen über die Natur der logischen Modalität gegenübergestellt werden, die besagt, daß in der Modalität des Urteils der Grad der Sicherheit des Wissens um die Wirklichkeit ausgedrückt wird, der in diesem Urteil wiedergegeben wird (s. unten S. 195f). Der anderen Anschauung zufolge „weisen die modalen Kategorien auf die Zielsetzung der Rede hin: Behauptung, Verneinung, Aufforderung, Wunsch, Annahme usw.", während die Prädikation oder die prädikative Beziehung nur auf die Kategorien der Zeit und des Modus bezogen wird, da — dem muß man unbedingt zustimmen — die Kategorie der Person „zur Prädikation gehören kann, aber nicht muß (z. B. ohne Ausdruck der Person ist: Zdes' — choroso [Hier ist es gut]; Zit' stalo luise [Man begann besser zu leben] usw.)" 33 . Die oben angeführte Definition der Modalität als Ausdruck der zielgerichteten Rede 34 ist u. E. aus folgenden Erwägungen heraus unbefriedigend. Wenn auch z. B. alle Typen von Aussagesätzen durch ein und dieselbe Zielsetzung der Rede charakterisiert wären und sie demnach alle — falls man die genannte Definition anerkennt — hinsichtlich ihrer Modalität gleichartig sein müßten, so besteht doch kein Zweifel, daß sie eigentlich eine verschiedene Modalität besitzen. So unterscheiden sich z. B. im Nivchischen hinsichtlich der Zielsetzung der Rede die Aussagesätze mit Prädikatsverb im indikativen, kategorischen, hypothetischen Modus voneinander nicht und im Russischen die Aussagesätze mit Prädikatsverb im Indikativ und im Konjunktiv. Wenn man die genannte Definition der Modalität akzeptiert, so muß man auch anerkennen, daß die Bedeutungen, die durch die angegebenen Verbformen ausgedrückt werden, entweder nicht modal sind (was eindeutig unannehmbar ist) oder daß man sie nicht auf der Grundlage der Zielsetzung der Rede bestimmen kann. Es besteht kein Zweifel, daß sich hinsichtlich ihrer Modalität z. B. auch die nachfolgenden Fragesätze unterscheiden: On pojdet? On, moiet 190
byt', pojdet? On, koneöno, pojdet? ( = Er geht? Geht er vielleicht? Geht er endlich?). Der erste dieser Sätze wird durch die einfache Sicherheit charakterisiert, der zweite durch die Modalität der Hypothese und der dritte durch die kategorische Modalität. Es ist klar, daß sie bei der Annahme der Meinung, daß Fragesätze und Aussagesätze sich in ihrer Modalität unterscheiden, der Unterschied in einem ganz anderen Bereich liegt als der Unterschied zwischen den oben genannten Typen von Aussagesätzen bzw. Fragesätzen. Was aber die Aufforderungssätze mit Prädikatsverb im Imperativ betrifft, so kann man sie nicht nach dem Grad der Sicherheit des von ihnen wiedergegebenen Inhalts differenzieren.35 Der Imperativ des Verbums wird zwar gewöhnlich in das Paradigma der Konjugation einbezogen, aber die Berechtigung dafür kann bezweifelt werden, selbst unter rein strukturellen Überlegungen. Bekanntlich nehmen die Formen des Imperativs des Verbums gegenüber anderen Formen der Konjugation eine besondere Stellung ein, so daß es fraglich ist, ob sie tatsächlich Elemente des Konjugationsparadigmas sind.36 So gibt es z. B . in der nivchischen Sprache beim Verbum im Imperativ eine Flexion nach der Person, während in den übrigen Modi keine persönliche Konjugation existiert. Es sei auch auf die Verbindung einer der Formen des Imperativs (2. Person Singular) mit der Form des Vokativs der Substantive verwiesen.37 Aus dem Gesagten geht hervor, daß die Zielsetzung der Rede nicht als Basis für die Bestimmung der einzelnen Arten der Modalität dienen kann 38 und daß durch den Charakter der Zielsetzung der Rede vielmehr verschiedenen Kommunikationsarten (Aussage-, Frage-, Aufforderungssatz) bestimmt werden. Jedenfalls muß man bei der Beantwortung der Frage, ob die Zielsetzung der Rede die Basis für die Bestimmung der einzelnen Modalitätsarten sei, berücksichtigen, daß Aussage- und Fragesätze nach dem Grad der Sicherheit des Inhalts im Falle gleicher Struktur auseinandergehalten werden müssen. Vgl. beispielsweise: 1. On pojdet; On, koneöno, pojdet; On, moiet byt', pojdet (Er geht; Er geht endlich; Er geht vielleicht); und 2. On pojdet? On, koneöno, pojdet? On, moiet byt', pojdet? (Er geht? Er geht endlich? Er geht vielleicht?). Die Zielsetzung der Rede und der Grad der Sicherheit des Inhalts eines Satzes sind also sich kreuzende Grundlagen der Satzeinteilung. Folglich würden wir bei der Beachtung beider Grundlagen der Satzeinteilung hinsichtlich der Modalität das Grundprinzip der logischen Operation der Begriffseinteilung verletzen.39 Ebenso kann man kaum der These zustimmen, daß entsprechend der Zielsetzung der Rede affirmative und negative Sätze unterschieden wer191
den (s. die o. a. Bemerkung von Reformatskij). Positiv und negativ können alle Satzarten sein. Das heißt, daß Aussage-, Frage- und Aufforderungssätze mit einer zweifachen Modalität, also als affirmative Aussagesätze, negative Aussagesätze, affirmative Fragesätze usw. angesehen werden müssen. 0. Jespersen betrachtet den Modus als eine der Ausdrucksmöglichkeiten für modale Bedeutungen (also mit Hilfe einer Verbform) und nimmt an, daß der Modus „eine bestimmte Einstellung des Sprechenden zum Inhalt des Satzes" charakterisiert.40 Es ist klar, daß diese Definition des Modus als eine der Arten der modalen Bedeutungen zu weit ist, weil die Beziehung des Sprechers zum Satzinhalt selbst von sehr unterschiedlichem Charakter sein kann. Insbesondere kann der Sprecher beispielsweise seine emotionale Beziehung zum Inhalt der Aussage ausdrücken.41 Eine solche Beziehung wird in einigen Sprachen auch durch besondere Verbalformen ausgedrückt42, die bei Befolgung dieser Definition als Formen der Konjugation betrachtet werden müßten. Einige Autoren gehen von der oben angeführten Definition der Modalität aus und führen in die Definition ein Abgrenzungsmerkmal ein, das den Charakter der Beziehung des Sprechers zum Satzinhalt konkretisiert. So schreibt Admoni dazu folgendes: „Der Satz gibt jedoch, wie auch jeder Akt des Gedankens, dessen Ausdruck der Satz ist, nicht nur die objektive Realität wieder, sondern enthält auch eine bestimmte Beziehung zu diesen im Satz wiedergegebenen objektiven Verbindungen. (Hervorhebung von uns — V. P.) In allen Satztypen, in allen Erscheinungsformen der Prädikativität wird die Verbindung zwischen zwei Gegenständen oder Erscheinungen und Merkmalen der objektiven Realität und eine bestimmte Einschätzung der Realität dieser Verbindung ausgedrückt. (Hervorhebung von uns — V. P.) Nur so kann der Satz auch seine aktive Rolle erfüllen, eine Mitteilung zu realisieren; denn jede Mitteilung besteht darin, etwas vier etwas mitzuteilen (Hervorhebung von uns — V. P.), wobei die Feststellung der Realität oder Nichtrealität der Verbindung dieser Mitteilungskomponenten ein unabdingbares Moment darstellt." 43 Aber bei einer solchen Auffassung von der Modalität ist es schon schwierig zu sagen, was die Beziehung des Sprechers zum Inhalt des Satzes oder zu den im Satz wiedergegebenen Verbindungen ihrem Wesen nach ist. Nach Ansicht Admonis genügt es zu sagen, daß „die Einschätzung dieses Inhalts vom Standpunkt seiner Realität" eine unterschiedliche Tendenz hat, aber „in erster Linie eine positive (d. h. affirmative im engeren Sinne des Wortes) und eine negative" und daß sich affirmative (positive) und negative Sätze „nicht nach dem Inhalt der im Satz aus192
gedrückten Beziehungen der objektiven Realität als solcher unterscheiden, sondern in ihrem modalen Charakter, in der Bewertung der Realität dieser Inhalte." 4 4 Aber dem Charakter der Beziehung des Sprechers zum ausgedrückten Inhalt nach unterscheiden sich affirimative und negative Sätze untereinander nicht. Überdies k a n n man schwerlich zustimmen, daß zwischen ihnen ein Unterschied im Bereiche der Bewertung der Realität des durch sie ausgedrückten Inhalts vorhanden sei: Wenn die Prädikatsverben in diesen Sätzen im Indikativ auftreten, so werden in jedem von ihnen gleichermaßen reale Fakten mitgeteilt. I m affirmativen Satz wird der F a k t des Vorhandenseins irgendeiner Beziehung zwischen zwei Erscheinungen wiedergegeben und im negativen Satz der F a k t des Nichtvorhandenseins einer solchen Verbindung. 45 Diese Sätze unterscheiden sich auch nicht in ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit des durch sie ausgedrückten Inhalts. Auch die rein sprachlichen F a k t e n sprechen dafür, daß Affirmation und Negation in einem anderen Bereich anzusiedeln sind als z. B. unbestreitbar modale Bedeutungen wie Hypothese, Zweifel usw. Insbesondere spricht dafür, daß im affirmativen und im negativen Satz in gleicher Weise sowohl Hypothese als auch Zweifel, als auch kategorische Forderung usw. ausgedrückt werden können und daß das Verbum nach der entsprechenden Konjugation gebeugt wird. Es ist auch bekannt, daß in der Logik als Grundlage f ü r die Einteilung von Urteilen in negative und affirmative nicht der Unterschied in der Modalität gilt, sondern der Unterschied in der Qualität dieser Urteile. Dieser Umstand muß bei der Aufstellung von Kriterien f ü r die Unterscheidung der Sätze nach ihrer Modalität berücksichtigt werden. Als modal werden oft auch Bedeutungen betrachtet, die durch die sog. Modalverben ausgedrückt werden, die ihrerseits auf Wünschenswertes, Unerwünschtes, Möglichkeit, Unmöglichkeit oder Notwendigkeit der Ausführung einer Handlung vom Standpunkt bestehender gesellschaftlicher Normen oder aufgrund realer Bedingungen der N a t u r hinweisen. Dazu gehören psychische und physische Zustände des Subjekts einer Handlung (vgl. z. B. die deutschen Verben sollen und dürfen, von denen das erstere eine Verpflichtung und das zweite eine Möglichkeit unter dem Gesichtspunkt der bestehenden Normen bezeichnet, und die Verben müssen und können, die entsprechend auch Verpflichtung und Möglichkeit bezeichnen, aber bereits durch reale psychische oder physische Bedingungen des Subjekts der Handlung bestimmt sind.). Da jedoch diese Verben, die eine Handlung unter dem Gesichtspunkt bestehender Normen oder realer Bedingungen der Natur als wünschenswert, nicht wünschenswert, 13 Panfllov, Sprache und Denken
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möglich, notwendig oder unmöglich konstatieren, durch ihre lexischen Bedeutungen in den Inhalt eines Satzes als dessen Komponenten eingehen, kann man sie nicht als Mittel zur formalen Differenzierung von Sätzen ansehen. Die Tatsache, daß diese Verben in Form verschiedener Moduskonjugationen auftreten können (vgl. z. B. im Russischen Ja mogu prodest' ätu lekciju und Ja mog by proöest' ätu lekciju [ = Ich kann diese Lektion durchlesen und Ich könnte diese Lektion durchlesen]) spricht dafür, daß die sog. Modalverben bei ihrer Verwendung als Wörter mit Nennfunktion 46 nicht die modale Charakteristik des Satzes ausdrücken und daß die Unterscheidung der Sätze je nach den in ihnen auftretenden Modalverben nur zu einer Unterscheidung nach ihrem Inhalt und nicht nach ihrer Form führt. In einigen Sprachen werden die Bedeutungen der Modalverben vom oben genannten Typ stattdessen durch spezielle Formen nichtmodaler Verben ausgedrückt. Im Nivchischen z. B. drückt man die Bedeutung „sich anschicken, etwas tun wollen" durch das Suffix -iny aus, das an sich keine verbale Konjugationsform bildet. Z. B.: N'i palroch viinyd' ( = Ich schicke mich an, in den Wald zu gehen). Das Verb viinyd' (ich schicke mich an, zu gehen) enthält das Suffix -iny und fügt daran die Indikativform -d' an. Ein Verbum mit dem Suffix -iny kann auch die Formen der anderen Modi des Verbums annehmen. Solche Bedeutungen gehören unserer Ansicht nach auch nicht zu den eigentlich modalen obwohl sie durch grammatische Formen ausgedrückt werden. Schließlich muß man noch betonen, daß in der Geschichte der Sprachwissenschaft auch Versuche unternommen wurden, den verschiedenen Arten der Modalität des Urteils, wie sie in der formalen Logik bestimmt werden, nicht nur die verschiedenen Arten der Modalität des Satzes als Ganzes, sondern auch die Modi des Verbums zuzuordnen. So nannte A. I. Davydov drei Modi, die er direkt den assertorischen, apodiktischen und problematischen Urteilen gegenüberstellte und diese folgendermaßen definierte: „Der indikative (judicium assertoricum) für den Hinweis auf eine unabhängige und tatsächlich ausgeführte Handlung . . . der imperative (judicium apodictium) für den Ausdruck des unabhängigen und unmittelbar direkten Willens . . . der konjunktive (judicium problematicum) für den Ausdruck einer angenommenen oder nur möglichen Handlung . . ." 47 Man muß hier gleich sagen, daß man nur durch ein offensichtliches Mißverständnis den Versuch erklären kann, den Imperativ dem apodiktischen Urteil gegenüberzustellen; denn das apodiktische Urteil wird in der Logik als Urteil über notwendige Beziehungen in der objektiven 194
Realität selbst betrachtet und wird nicht in einem Aufforderungs-, sondern in einem Aussagesatz ausgedrückt, Der Versuch, die Modalität des Satzes der Modalität des Urteils zuzuordnen, die dabei rein ontologisch aufgefaßt wird, wurde in der letzten Zeit auch von G. V. Kolsanskij unternommen. Danach „ist der modale Inhalt des Satzes seiner Natur nach der Gedanke als Widerspiegelung der Wirklichkeit, von Seiten des 'Modus' der Existenz einer wirklichen Erscheinung aus gesehen (Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit). Dieser Inhalt wird im ganzen Satz realisiert und schlägt sich nicht durch irgendwelche besonderen Merkmale in der Struktur des Satzes nieder. In diesem Sinne bleibt die Modalität eine allgemein semantische Kategorie." 4 8 Allerdings wird diese These von KolSanskij nicht durch die Analyse konkreten sprachlichen Materials bestätigt und insbesondere bleibt unklar, wie man den oben erwähnten drei Arten der Modalität des Gedankens, die den Charakter der Verbindungen in der objektiven Realität selbst wiedergeben, die zahlreichen Modusarten des Verbums, die in den verschiedenen Sprachen herausgebildet worden sind und offensichtlich nicht in den Rahmen dieser drei Arten der Modalität des Gedankens, genauer gesagt des Urteils, hineinpassen, zuordnen kann. Die Analyse des konkreten sprachlichen Materials zeigt aber, daß neben dem tatsächlich vorhandenen Ausdruck objektiver modaler Bedeutungen wie die Möglichkeit durch verschiedene sprachliche Mittel (darunter auch die Modusformen des Verbs) in der sprachlichen Struktur (darunter auch in den Modusformen des Verbs) die sog. subjektive Modalität eine bedeutend größere Berücksichtigung' erfährt, die den Grad der Sicherheit des Inhalts einer Aussage aus der Sicht des Sprechers charakterisiert. Aus der oben angeführten, keineswegs vollständigen Übersicht über verschiedene Ansichten zur Natur der Modalität des Satzes 49 ist ersichtlich, daß es in der Sprachwissenschaft selbst über die Grundfragen, die das Wesen dieser Kategorie, ihre Beziehung zur Modalität des Gedankens, die Typen der Satzmodalität und ihre Beziehung zur Prädikativität usw. betreffen, noch keine einheitliche Meinung gibt. Offensichtlich rühren die Meinungsverschiedenheiten nur von der Auffassung her, daß die Modalität und Prädikativität eng miteinander verbunden seien und daß die Modalität den Satz als Ganzes 50 und zwar von seiner inhaltlichen Seite aus charakterisiere und daß schließlich der Modus ein besonderer Fall des Ausdrucks für die Modalität durch die Konjugation des Verbums sei. Die Lösung der Frage der Modalität des Satzes wird in besonderem Maße dadurch erschwert, daß bis jetzt das Problem der logischen Modais«
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lität, der Modalität des Urteils weiterhin in vielem unklar und umstritten bleibt, Von Aristoteles 51 stammt die Ansicht, daß die Urteile eine unterschiedliche Modalität haben, je nachdem, wie der Charakter ihrer objektiven Verbindungen, die in ihnen wiedergegeben werden, geartet ist; genauer gesagt, je nach dem Charakter der Beziehung zwischen dem Gegenstand und seinem Merkmal. 52 Darauf aufbauend werden drei Urteile unterschieden: das Urteil der Möglichkeit oder das problematische Urteil, das Urteil der Wirklichkeit oder das assertorische Urteil, das Urteil der Notwendigkeit oder das apodiktische Urteil, deren Modalität folgendermaßen definiert wird: „Das Urteil der Möglichkeit ist das Urteil, in dem ein mögliches Merkmal des Gegenstandes abgebildet wird. Das Urteil der Wirklichkeit ist das Urteil, in dem ein wirkliches Merkmal des Gegenstandes abgebildet wird. Das Urteil der Notwendigkeit ist das Urteil, in dem ein notwendiges Merkmal des Gegenstandes abgebildet wird." 5 3 So ist dieser Ansicht zufolge ein Urteil der Möglichkeit z . B . Das Leben auf dem Mars ist möglich-, ein Urteil der Wirklichkeit: Es regnet; ein Urteil der Notwendigkeit: Die Summe der Innenwinkel eines Dreiecks ist gleich zweier rechter Winkel. Nach der zweiten grundlegenden Behandlung des Begriffs der logischen Modalität wird unter Modalität nicht der Charakter der objektiven Beziehungen, sondern der Grad der Gewißheit des Gedankens, der im Satz ausgesprochen wird, in den Augen des Sprechers verstanden, d. h., daß die Modalität nicht das charakterisiert, was widergespiegelt wird sondern das, wie die objektive Realität vom Standpunkt des Sprechers aus gedanklich widergespiegelt wird. 54 Die Vertreter dieser Richtung unterscheiden Urteile der Sicherheit und der Wahrscheinlichkeit und einige Autoren unterscheiden sogar Urteile der Sicherheit, der relativen Sicherheit, der Wahrscheinlichkeit und problematische Urteile. 55 So gehört nach dieser Auffassung zu einem sicheren Urteil beispielsweise der Urteilstyp Es regnet; Die Summe der Innenwinkel eines Dreiecks ist gleich zweier rechter Winkel; und zu den wahrscheinlichen der Urteilstyp Es ist möglich, daß es heute regnen wird oder Heute wird es wahrscheinlich regnen usw. Die Mehrzahl der Autoren, die dieser Auffassung von der Modalität beipflichten, leugnen nicht, daß in den Urteilen ihrem Charakter nach verschiedene objektive Verbindungen widergespiegelt werden, also Möglichkeiten, wirkliche und notwendige Verbindungen. Es ist indessen klar, daß die Beantwortung der Frage, ob sich die entsprechenden Urteile in ihrer logischen Modalität unterscheiden, davon abhängt, ob diese
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Urteile dabei nur entsprechend ihrem Inhalt oder aber auch entsprechend ihrer Form unterschieden werden. Es ist doch offensichtlich, daß der Charakter der objektiven Verbindungen, die in den Urteilen wiedergespiegelt werden, nur dann als Grundlage für die Einteilung der Urteile dienen kann, wenn die Urteile, in denen die Verbindungen der Möglichkeit, der Wirklichkeit und der Notwendigkeit widergespiegelt werden, sich voneinander nicht nur in ihrem Inhalt, sondern auch in ihrer Form unterscheiden; denn als Basis für die Einteilung der Urteile als Formen des Denkens kann nur solch ein Merkmal dienen, das es erlaubt, die Verschiedenheit dieser Form des Denkens zu ermitteln. Aber es gibt wenig Grund, anzunehmen, daß beispielsweise das folgende Urteil der Wirklichkeit Die Länge des Baumes beträgt fünf Meter und das folgende Urteil der Notwendigkeit In einem gegebenen Dreieck ist die Summe der Innenwinkel gleich zweier rechter Winkel eine unterschiedliche Form haben. Andererseits besteht kein Zweifel, daß über die möglichen, wirklichen und notwendigen Beziehungen des Urteils Aussagen von unterschiedlichem Sicherheitsgrad gemacht werden können, und zwar je nach der Kenntnis des Sprechers von den entsprechenden Beziehungen der objektiven Realität. So kann z. B. über das wirkliche oder mögliche Merkmal eines Gegenstandes sowohl ein problematisches als auch ein sicheres Urteil gefällt werden. Vgl. 1. Dieser Zug fährt wahrscheinlich mit einer Geschwindigkeit von 70km/h (ein problematisches Urteil über wirkliche Beziehungen) und Dieser Zug fährt mit der Geschwindigkeit von 70 km/h (ein sicheres Urteil über wirkliche Beziehungen); 2. Vielleicht ist das Leben auf dem Mars möglich (ein problematisches Urteil über mögliche Beziehungen) und Das Leben auf dem Mars ist möglich (ein sicheres Urteil über mögliche Beziehungen). Die Tatsache des Unterschieds der Urteile je nach dem Grad der Sicherheit des in ihnen ausgedrückten Wesens erkennen in der Regel auch die Vertreter der ersten Auffassung vom Wesen der logischen Modalität an. So schreibt P. V. Tavanec dazu folgendes: „Aber das wahrscheinliche (oder problematische) Urteil wird dem sicheren Urteil gegenübergestellt. Diese beiden Urteile müssen in einer Rubrik von Urteilen betrachtet werden, die sich durch den Charakter des in dem jeweiligen Urteil ausgedrückten Wissens unterscheiden." 56 Außerdem ziehen die Vertreter dieser ersten Auffassung von der Natur der logischen Modalität die subjektive Seite der Widerspiegelung der Erkenntnis der objektiven Realität auch bei der Charakterisierung der von ihnen unterschiedenen Urteile der Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit in Betracht, indem sie sie als verschiedene Stufen des 197
Erkenntnisprozesses ansehen. So bemerkt beispielsweise Tavanec, daß „in diesem Falle das assertorische Urteil uns eindeutig als die unterste Stufe der Urteilsentwicklung entgegentritt, also als jene Art des Urteils, von der wir entweder unmittelbar oder über das Urteil der Möglichkeit im Erkenntnisprozeß zum Urteil der Notwendigkeit übergehen." 57 Tatsächlich ist es nicht schwer, Beispiele zu finden, in denen sich im Prozeß des Erkennens der Übergang vom Urteil über mögliche Beziehungen zu Urteilen über wirkliche oder notwendige Beziehungen vollzieht. So könnte man beispielsweise glauben, daß in der nächsten Zeit unsere Erkenntnis über das Leben auf dem Mars nicht mehr in Form des Urteils über mögliche Beziehungen formuliert wird: Das Leben auf dem Mars ist möglich, sondern in der Art des Urteils der Wirklichkeit: Auf dem Mars ist (oder ist kein) Leben vorhanden. So sind diejenigen Bedeutungen, die den Grad der Sicherheit in den Augen des Sprechenden zum Inhalt des Satzes anzeigen und in diesem Sinne als verschiedene Arten der subjektiven Modalität bestimmt werden können, zweifellos modale Bedeutungen. Zugleich findet der Unterschied der Urteile nach der subjektiven Modalität auch seinen sprachlichen Ausdruck; er wird insbesondere im Satz nicht nur durch spezielle Modalwörter wie etwa vielleicht, wahrscheinlich, offenbar usw. ausgedrückt, sondern auch durch Modusformen des Verbums oder andere Verbalformen. Solche modalen Bedeutungen haben tatsächlich eine sehr enge Verbindung mit der Kategorie der Prädikativität. Wenn die Prädikativität nämlich die Bezogenheit des Satzinhalts zur Realität ist, so weisen die verschiedenen Arten der subjektiven Modalität darauf hin, wie er in den Augen des Sprechers auf die Realität bezogen wird, d. h. auf den Charakter dieser Bezogenheit.58 So stellen die verschiedenen Arten der subjektiven Modalität unterschiedliche Arten der Prädikativität dar, d. h. die subjektive Modalität wird zur Basis für die Gliederung der Prädikativität. Die Differenzierung der Sätze nach dem Charakter der subjektiven Modalität ist eine Differenzierung der Sätze nach ihrer Form. Die verschiedenen Arten dieser Sätze bilden eine formale paradigmatische Reihe. Dabei ist es unwichtig, zu bemerken, daß die Anzahl der Sicherheitsstufen des Aussageinhalts, die in der Sprache mittels ihrer synthetischen oder analytischen grammatischen Formen ausgedrückt werden, nicht gleichartig sind. Wenn nämlich in allen Sprachen die drei Stufen der Sicherheit (einfache, problematische und kategorische Sicherheit) diesen oder jenen Ausdruck finden, so werden in einigen Sprachen auch mehr als diese drei Arten der Sicherheit ausgedrückt. Im Nivchischen gibt es drei Modi des Verbums: den indikativen, den problematischen und den kategorischen, durch die die drei Stufen 198
der Sicherheit des Inhalts der Aussage ausgedrückt wird. Der Indikativ hat eine Reihe von Formen, von denen am meisten diejenige auf -d' angewendet wird. Z . B . Ytyk palroch vid' (== Der Vater ging in den Wald). Wenn das logische Prädikat durch eines der Glieder dieses Satzes mit der Modalität der einfachen Sicherheit ausgedrückt wird, so wird — wie oben schon gezeigt — diesem Satzglied das Prädikativsuffix -ta, -ra, -da angefügt, das somit Träger der Modalität der einfachen Sicherheit ist. Der problematische Modus wird im Nivchischen entweder durch die Anfügung der Partikel uvr/avr/yvr und der Hilfswortart jagalo an das Verbum im Indikativ auf -d' gebildet, oder durch die Verschmelzung des Verbums in der gleichen Form mit dem Hilfsverb had' ( = sein) in dessen Form haira/hajra, hanyd' oder hajaqana. Z. B . Ytyk palroch vid' uvr jagalo ( = Der Vater wird doch in den Wald gehen). 59 In anderen Sprachen des synthetisch-agglutinierenden Typs, die wir früher schon besprochen haben, werden alle modalen Bedeutungen für die Stufe der Sicherheit der Mitteilung, außer der einfachen Sicherheit, die durch die Form des Indikativs des Verbums ausgedrückt wird, mittels spezieller Modalwörter, d. h. durch ein analytisches Verfahren wiedergegeben. Dabei bleibt das Verbum in all den Fällen, in denen irgendwelche von diesen übrigen Modalbedeutungen durch Modalwörter ausgedrückt werden, in der Indikativform stehen. Wir führen einige Beispiele aus diesen Sprachen an. Im Mansischen werden in der genannten Weise vier Stufen der Sicherheit der Mitteilung ausgedrückt. Z. B . : Ät'am joxtas ( = Der Vater kam); 2. Ät'am erri joxtas ( = Der Vater kam möglicherweise); 3. Ät'am tflpal joxtas ( = Der Vater kam wahrscheinlich); 4. Ät'am sarmäk joxtas ( = Der Vater kam doch). Der Unterschied in der Modalität zwischen dem zweiten und dem dritten dieser Sätze besteht darin, daß im dritten eine größere Wahrscheinlichkeit ausgedrückt wird als im zweiten. Im Öuköischen, in dem ähnlich wie im Mansischen die modalen Bedeutungen der Sicherheitsgrade der Mitteilung außer der einfachen Sicherheit mittels spezieller Modalwörter ausgedrückt werden, gibt es außer der einfachen und der kategorischen Sicherheit nicht zwei, sondern drei Stufen der problematischen Sicherheit. Z. B . 1. Ytlygyn etg-i ( = Der Vater kam); 2. Ytlygyn väö'ym etg-i (== Der Vater kam möglicherweise)', 3. Ytlygyn ät-ym etg-i ( = Der Vater kam wahrscheinlich)-, 4. Ytlygyn ätany etg-i ( = Der Vater kam sicher)-, 5. Ytlygyn ipä etg-i ( = Der Vater kam doch). Im zweiten, dritten und vierten Satz werden verschiedene Stufen der problematischen Sicherheit ausgedrückt: zuerst die geringste, 199
dann die größte Wahrscheinlichkeit der Sicherheit des Inhalts der Aussage. Dabei wird die größte Wahrscheinlichkeit mittels zweier in dieser Hinsicht äquivalenter Modalwörter bezeichnet. Durch besondere Hilfswortarten mit modaler Bedeutung wird die Stufe der Sicherheit des Inhalts eines Satzes auch in vielen anderen Sprachen des synthetisch-agglutinierenden und des polysynthetisch-agglutinierenden Typs ausgedrückt. So verwendet man zu diesem Zweck im Chantischen die Hilfswörter mosay (vielleicht), itampa (wahrscheinlich), u. a.; im Chalcha-Mongolischen die Hilfswörter bajch (vielleicht), baß magadguj (vielleicht), mädääZ (endlich, doch) usw. usf. Japanologen unterscheiden drei Stufen der Sicherheit der Mitteilung in Aussagesätzen: 1. die einfache Sicherheit, die eine nichtmarkierte Modalität ist; 2. die kategorische Sicherheit (markierte Modalität), mit der Bedeutung einer verstärkten Gewißheit bis zur kategorischen B e h a u p t u n g ; 3. die problematische Sicherheit (markierte Modalität) mit der Bedeutung einer schwachen Gewißheit über die Sicherheit der Mitteilung bis zur Unsicherheit der Mitteilung. 60 I n den Sprachen des analytisch-agglutinierenden Typs wie auch in Sprachen des synthetisch-agglutinierenden Typs spielen beim Ausdruck der modalen Bedeutungen der Sicherheitsstufe des Satzinhalts auch die Hilfswörter mit modaler Bedeutung eine grundlegende Rolle. So haben wir im Chinesischen beispielsweise: 1. Fuqing laila [ = Der Vater kam] (ohne logische Hervorhebung irgendeines der Wörter mit Nennfunktion); 2. Fuqing shi laila [ = Der Vater kam] (weil das logische Prädikat durch das Wort laila [kam] ausgedrückt wird, wird davor die Kopula shi [ist] gestellt); 3. Fuqing kengeng laila [ = Der Vater k a m möglicherweise] (die modale Bedeutung der Wahrscheinlichkeit wird durch das spezielle Hilfswort kengeng [möglicherweise] wiedergegeben, das vor dem Wort laila steht, das seinerseits das logische Prädikat ausdrückt; 4. Fuqing dangran laila [ = Der Vater k a m natürlich] (die modale Bedeutung der kategorischen Sicherheit wird durch das Modalwort dangran [natürlich] ausgedrückt, das vor dem Verb laila steht, das das logische Prädikat ausdrückt). Spezielle Modalwörter, die verschiedene Arten der subjektiven Modalität — Stufen der Sicherheit des Inhalts einer Aussage — ausdrücken, gibt es auch im Burmesischen und im Vietnamesischen, die zu demselben Typ wie das Chinesische gezählt werden. Die Hilfswörter sind einbedeutendesMittel zum Ausdruck der subjektiven Modalität in den flektiv-fusionierenden und in den flektiv-symbolisclien 200
Sprachen mit unterschiedlichem Grad an Synthetismus und Analytismus. Im Russischen wird zu diesem Zweck die große Klasse der Hilfswortarten vom Typ koneino, mozet byt', verojatno, nesomnenno, pozaluj usw. verwendet, die verschiedene Grade der Sicherheit des Inhalts einer Aussage unter dem Blickwinkel des Sprechers wiedergeben. Vgl.: 1. Otec pridet [Der Vater kommt]; 2. Otec, mozet byt', pridet [Der Vater kommt vielleicht]; 3. Otec, koneöno, pridet [Der Vater kommt natürlich]. Diese Sätze, von denen jeder eine der Arten der subjektiven Modalität ausdrückt, bilden so eine Art paradigmatischer Reihe. Analoge Klassen von Modalwörtern mit der gleichen funktionalen Bestimmung findet man auch in synthetisch-flektiven Sprachen wie dem Deutschen und in analytisch-flektiven Sprachen wie dem Englischen. Spezialisten der arabischen Sprache, die ein typischer Repräsentant der synthetisch-symbolischen Sprachen ist, bemerken, daß „Modalwörter und Modalsyntagmen eine bedeutende Rolle unter den Ausdrucksmitteln für die Modalität in der modernen Sprache spielen" und daß sie „gewissermaßen über den Standpunkt des Sprechers zur Beziehung zwischen Inhalt der Aussage und realer Wirklichkeit berichten." 61 Derselbe Autor weist darauf hin, daß im modernen Arabischen „eines der produktivsten Ausdrucksmittel für die Modalität die Modalpartikeln sind", unter denen sich „Partikeln befinden, die die Sicherheit der Erscheinungen der Wirklichkeit ausdrücken . . ., und Partikeln, die die Unsicherheit der Erscheinungen der Wirklichkeit ausdrücken . . ." 6 2 Es ist klar, daß es im letztgenannten Fall richtiger wäre, nicht von Sicherheit und Unsicherheit der Erscheinungen der Realität zu sprechen, sondern von einem Grad der Sicherheit des Inhalts einer Aussage aus dem Blickwinkel des Sprechers. Gleichzeitig spielt, wie Kocarev vermerkte, für den Ausdruck der modalen Bedeutungen in der modernen arabischen Sprache die Intonation eine große Rolle, die „ein melodisch-tempodynamisches Mittel für die Wiedergabe der Beziehung des Inhalts der Rede zur Wirklichkeit ist, soweit es die Beurteilung der Realität, der Wahrscheinlichkeit, der Notwendigkeit, des Wunsches usw. betrifft." 63 Der Überblick der Methoden des Ausdrucks der subjektiven Modalität in Sprachen verschiedener Typen zeigt, daß in den Sprachen selbst der unterschiedlichsten Typen diese modalen Bedeutungen, ausgenommen die einfache Sicherheit, bevorzugt analytisch, also mit Hilfswortarten, insbesondere mit Partikeln mit der entsprechenden modalen Bedeutung, ausgedrückt werden. Anscheinend wird in allen Sprachen zu diesem Zweck 201
auch die Intonation genutzt. Nur in einigen Sprachen mit einem hohen Grad der Entwicklung des Synthetismus wird die subjektive Modalität auch durch Modusformen des Verbums ausgedrückt. Dies trifft, wie schon gesagt, im Nivchischen zu. Dabei ist es wichtig zu bemerken, daß der problematische Modus des Verbums im Nivchischen durch die Hinzufügung der Partikel uvr/yvr in Form des Indikativs des Verbums auf -d' und durch Hinzufügung der Partikel jagalo gebildet wird, was dafür spricht, daß diese Modusform des Verbums später entstanden ist als der Indikativ. Es sei noch bemerkt, daß es Fälle gibt, in denen die modalen Bedeutungen dieses Typs mittels besonderer Verbalaffixe ausgedrückt werden, die keine Modusform des Verbums bilden. So wird im Nivchischen die problematische Bedeutung durch das spezielle Suffix -dynevo ausgedrückt, das an sich nicht am Ende einer Verbform stehen kann, worauf das Indikativsuffix auf -d' oder irgendeines der Gerundsuffixe folgt. Z . B . : Ytyh 60 xubyn evod' [ = Der Vater hat den Fisch zum Schein gefangen]. 64 Jedoch stehen die analytischen Formen des Ausdrucks der subjektiven Modalität in der Mehrzahl der Sprachen mit der synthetischen Form des Ausdrucks der einfachen Sicherheit mit dem Indikativ des Verbums in Beziehung. Dies gestattet es, die analytischen Formen des Ausdrucks für solche speziellen Bedeutungen der subjektiven Modalität wie die problematische, die kategorische u. a. als Glieder einer paradigmatischen Reihe, die mit dem Indikativ zusammengehört, zu betrachten. 65 Die objektive Modalität, d. h. die Modalität, die den Charakter der Verbindungen zeigt, die im Inhalt der Aussage wiedergegeben werden, erhält ebenfalls ihren sprachlichen Ausdruck. Dabei spielen im Unterschied zur subjektiven Modalität beim Ausdruck der objektiven Modalität die synthetischen Ausdrucksformen, d. h. die Formen des verbalen Modus, eine bedeutend größere Rolle. Insbesondere werden in vielen Sprachen Modusformen wie bedingte oder konjunktive Modusform unterschieden, die mit dem Indikativ der Verbums in Beziehung stehen. Den Arten der subjektiven Modalität, wie der problematischen und kategorischen, tritt die Bedeutung des Indikativs des Verbums gegenüber, die auf die einfache Sicherheit des Inhalts der Aussage hinweist. Das Verbum, das ein Element der paradigmatischen Reihe ist, die durch Ausdrucksformen anderer Arten der objektiven Modalität gebildet wird, bezeichnet im Indikativ eine Handlung, eine Tatsache, deren Vollendung (Nichtvollendung) vom Sprecher festgestellt wird, d. h. durch die Form des Indikativs wird die tatsächliche Beziehung ausgedrückt. 202
Das Verbum im Konditionalis bezeichnet eine Handlung, deren Ausführung oder Nichtausführung die Bedingung für das reale Vorhandensein oder Nichtvorhandensein der Beziehung zwischen dem grammatischen Subjekt und der Handlung ist, die durch das Prädikatsverb des Hauptsatzes ausgedrückt wird. Dadurch wird hier auf die Möglichkeit der Verwirklichung (NiehtVerwirklichung) der Handlung unter bestimmten Bedingungen hingewiesen. So haben wir z. B . im Nivchischen: Gyn 60 xudox q'auRa nerx p'ryve [ = Wenn ihr keine Fische fangt, dann kommt zu mir]; CM k'yrßa ni öarnyd' ra [— Wenn du hungrig bist, werde ich dich ernähren]. In diesem Falle hat das Prädikatsverb des Nebensatzes die Form des Konditionalis und wird durch das Suffix -Ba gebildet. 66 Das Verbum im Konjunktiv weist auf eine Verbindung zwischen dem grammatischen Subjekt und dem Prädikatsverb hin, die unter einer bestimmten Bedingung vorhanden sein könnte, in Wirklichkeit aber nicht vorhanden ist, also auf eine nicht existierende Möglichkeit. 67 So haben wir z. B . in der nivchischen Sprache: K'itt vinyRar lars vilra Iura malgora [ — Ihr würdet weglaufen, aber der Sturm ist stark und es gibt viel Eis]. Wie schon erwähnt, ist die Modalität (ähnlich wie die Prädikativität) eine Eigenschaft des ganzen Satzes und wie die Prädikativität kann auch die Modalität nicht auf irgendein einzelnes bestimmtes Satzglied bezogen werden. Da nun die Prädikativität die Bezogenheit des Inhalts des Satzes auf die Realität ist und die Modalität den Charakter dieser Bezogenheit oder den Charakter der objektiven Verbindungen, die im Inhalt der Aussage wiedergegeben werden, aufzeigt, sind die sprachlichen Träger der Modalität zugleich auch die Träger der Prädikativität. Da aber die Prädikativität als Eigenschaft des ganzen Satzes, als Erscheinung seiner logisch-grammatischen Ebene der grammatischen Prädikativität als Erscheinung seiner syntaktischen Ebene, als Eigenschaft eines seiner Glieder — nämlich des grammatischen Prädikats —, gegenübergestellt wird, so muß dies unvermeidlich mit einer Differenzierung der Modalität auf den beiden Satzebenen entsprechend der Differenzierung der vorstehend genannten Kategorien verbunden sein. Und tatsächlich findet man zwischen der Modalität als Erscheinung der logisch-grammatischen Ebene und der Modalität als Erscheinung der syntaktischen Ebene eine gewisse Divergenz. Diese Divergenz tritt immer dann auf, wenn das logische Prädikat nicht durch ein verbales Prädikat, sondern durch irgendein anderes Satzglied ausgedrückt wird. Sehen wir uns diese Erscheinung an Materialien von Sprachen verschiedener Typen an; wie schon gezeigt wurde, wird im Nivchischen, das zum synthetisch-agglutinierenden T y p gehört, die subjektive Modalität durch die Modusformen des 203
Verbums ausgedrückt. Man unterscheidet dabei den Indikativ mit der Bedeutung der einfachen Sicherheit, den problematischen Modus mit der Bedeutung der problematischen Sicherheit und den kategorischen Modus mit der Bedeutung der kategorischen Sicherheit. Es wurden oben schon Beispiele angeführt, in denen in Sätzen der Modalität der einfachen Sicherheit das Prädikatsuffix -ta, -ra, -da im Satz umgestellt wird, weil es an dasjenige Satzglied tritt, das das logische Prädikat ausdrückt. Analog verhält es sich beim grammatischen Träger der problematischen und der kategorischen Modalität — auch sie beziehen sich jedesmal auf dasjenige Satzglied, das das logische Prädikat ausdrückt: 1. Ytyk p'rynyd'uvr jagalo [ = Der Vater kommt vielleicht]; Ttylcuvr jagalo p'rynyd' [Vielleicht kommt der Vater]. 2. Ytyk p'rybar [ = Der Vater geht natürlich]-, Ytyk habar p'ryd' [ = Natürlich geht der Vater], Das erste Satzpaar hat die modale Bedeutung der problematischen Sicherheit, deren Träger die Partikeln uvr/yvr und das Hilfswort jagalo sind. Im ersten dieser Sätze wird das logische Prädikat durch ein verbales Prädikat ausgedrückt und die Träger verbinden sich mit ihm; im 2. Satz wird das logische Prädikat durch das grammatische Subjekt ytyk (Vater) ausgedrückt, sie verbinden sich mit ihm, das verbale Prädikat wird im Indikativ wiedergegeben. Das zweite Satzpaar hat die modale Bedeutung der kategorischen Sicherheit. Wenn dabei das logische Prädikat durch das verbale Prädikat ausgedrückt wird, so wird es durch die Anfügung des Verbalsuffixes -bar (p'rybar — geht natürlich) an den Vei'balstamm gebildet. Im zweiten Satz dieses Satzpaares wird das logische Prädikat durch das grammatische Subjekt ausgedrückt, wobei das Hilfsverbum had' (sein) im kategorischen Modus angefügt wird, das verbale Prädikat selbst aber im Indikativ erscheint. In den jeweils zweiten Sätzen der beiden Satzpaare wird die Divergenz zwischen der Prädikativität (Bezogenheit des Inhalts des Satzes auf die Realität) und der grammatischen Prädikativität begleitet von der Divergenz der Modalität, die den Charakter dieser Bezogenheit vom Standpunkt des Sprechers aus aufzeigt, und der Bedeutung des Modus als Form des Prädikatsverbs begleitet. In dem oben erwähnten Artikel von I. V. Golovin schlägt der Verfasser ebenfalls vor, die Kategorie der Modalität als Kategorie des ganzen Satzes von der Submodalität als Kategorie des grammatischen Prädikats abzugrenzen. Dabei betont er, daß „lexische und phonetische Mittel, die zum Ausdruck der Modalität dienen nicht zum Ausdruck der Submodalität verwendet werden" und daß „die Submodalität hauptsächlich grammatisch oder lexiko-grammatisch ausgedrückt wird." 68 In anderen früher betrachteten Sprachen des 204
synthetisch-agglutinierenden Typs (im Mansischen, Chantischen, Cuköischen u. a.), in denen die subjektive Modalität durch spezielle Modalwörter und die Intonation ausgedrückt wird, aber nicht durch Modusformen des Verbums, bleibt das verbale Prädikat unverändert im Indikativ ohne Rücksicht darauf, durch welches Satzglied das logische Prädikat ausgedrückt wird. Das Satzglied, das das logische Prädikat ausdrückt, wird im Satz durch die Intonation und mit Hilfe entsprechender Modalwörter bei diesem Satzglied hervorgehoben. Vgl.z.B. den folgenden Satz im Mansischen: Ät'amttipi joxtds [ = Der Vater kam wahrscheinlich]; Ulpdl ät'amtaw joxtas [ = Wahrscheinlich kam der Vater]. In flektierenden Sprachen mit unterschiedlichem Grad an Synthetismus, in denen zum Zwecke des Ausdrucks der subjektiven Modalität ebenfalls Modalwörter verwendet werden, werden diese durch Intonation und Satzstellung in der Nähe des Satzgliedes, das das logische Prädikat ausdrückt, hervorgehoben. Vgl. in der russischen Sprache: Otec, mozet byt', pridet und Mo&et byt', otec pridet. In diesen Sätzen wird so die Modalität durch zwei Typen ausgedrückt: einerseits durch den Modus des Verbums und andererseits durch Modalwörter, die verschiedene Stufen der Sicherheit des Inhalts der Aussage angeben. Einen Versuch der Hervorhebung der zwei Typen der Modalität in der deutschen Sprache, wenn auch unter anderen Voraussetzungen finden wir in dem interessanten Artikel von Ermolaeva 69 , der sich speziell mit dem Problem der Modalität und Prädikativität befaßt. Nach Ansicht Ermolaevas weist die Modalität des ersten Typs folgende Eigenschaften auf: 1. wird sie (im Deutschen) „durch Modus, Intonation, Wortfolge (Stellung der finiten Verbform), durch Modalpartikel, infinite Formen des Verbums und durch die Konstruktionen 'Modalverb = Infinitiv', durch Synonyme des Modus, d. h. durch Mittel, die zum Bestand des grammatischen Prädikats eines zweiteiligen Satzes gehören oder Hauptglied eines einteiligen Satzes sind" ausgedrückt; 2. stellt sie „nicht nur ein unterscheidendes, sondern ein obligatorisches Merkmal des Satzes dar" und „bezieht sich immer auf den ganzen Satz"; 3. „ist sie untrennbar mit der Prädikativität verbunden"; 4. hat sie grundlegenden Charakter, während die Modalität des zweiten Typs zusätzlich auftreten kann; 5. „drückt sie die Beziehung des Inhalts des Satzes zur Realität hinsichtlich seiner Realität (Nichtrealität, Aufforderung) aus." Dagegen hat die Modalität des zweiten Typs nach Ermolaeva folgende Eigenschaften: 1. „Sie kann sowohl eine Eigenschaft des ganzen Satzes als auch eines speziellen Syntagmas sein" (Vgl. Er ist gewiß zu Hause und 205
Er ist ein Greis von vielleicht fünfundsechzig Jahren); 2. „Sie existiert im Satz . . nicht unabhängig von der Modalität des ersten Typs, sondern baut auf ihr auf" und hat also zusätzlichen und nicht grundlegenden Charakter; 3. „Sie drückt die vom Sprecher angenommene Beziehung des Inhalts des Satzes (oder seiner Teile) zur Realität hinsichtlich der Sicherheit (Unsicherheit) aus." 7 0 Wie die Analyse der entsprechenden Materialien zeigt, sind alle Beispiele für die Modalität des zweiten Typs, die Ermolaeva in ihrem Artikel anführt, Fälle der Modalität der logisch-grammatischen Ebene. Für die Modalität des ersten Typs führt Ermolaeva Fälle des Ausdrucks sowohl für die Modalität auf der syntaktischen als auch auf der logisch-grammatischen Ebene an. So hebt 1. die Intonation, die ein Mittel zum Ausdruck der Modalität des ersten Typs ist, das logisch-grammatische Prädikat des Satzurteils hervor und ist Träger der Prädikativität und damit zugleich auch der logisch-grammatischen Modalität. 2. führt sie unter der Modalität des ersten Typs auch Fälle an, in denen die Modalität der syntaktischen mit der der logisch-grammatischen zusammenfällt. Insbesondere sei hier vermerkt, daß der Satz mit dem Prädikatsverb im Indikativ wie Er ist zu Hause, in dem nach Ansicht Ermolaevas immer die Modalität des ersten Typs ausgedrückt wird, ebenso wie der Satz Er ist gewiß zu Hause eingestuft werden kann, weil im ersten Satz durch das Zusammenfallen der Modalität der logischgrammatischen Ebene mit der Modalität der syntaktischen Ebene ebenso wie im zweiten Satz der Sicherheitsgrad des Inhalts der Aussage ausgedrückt wird.71 Nur in solchen Fällen, in denen die Modalität der syntaktischen und der logisch-grammatischen Ebene zusammenfällt, erstreckt sich die Modalität der syntaktischen Ebene auf den ganzen Satz. In den anderen Fällen, in denen die modale Bedeutung der logische-grammatischen Ebene nicht nur nicht mit der modalen Bedeutung der syntaktischen Ebene zusammenfällt, sondern ihr im gewissen Sinne sogar widerspricht, erstreckt sich letztere nicht auf den Satz, sondern charakterisiert nur die Modalität einer Wortgruppe (gibt die modale Charakteristik der Beziehung zwischen grammatischem Subjekt und Prädikatsverb). So dominiert z. B. in dem Satz Er ist ein Greis von vielleicht 65 Jahren über die modale Bedeutung der einfachen Sicherheit , die durch das Verbum ist ausgedrückt wird — wie schon erwähnt — die modale Bedeutung der problematischen Sicherheit, die durch das Modalwort vielleicht ausgedrückt wird. Die Divergenz zwischen der modalen Charakteristik des ganzen Satzes und der Modalität, die durch die Modusformen des Verbums ausgedrückt wird, trifft man offenbar auch in den symbolischen Sprachen an. So
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schreibt N. K . Kocarev in der oben schon erwähnten Arbeit folgendes: „Eine bestimmte Intonation und verschiedene zusätzliche Mittel der modalen Klassifikation, so Modalwörter und Partikeln, besondere syntaktische Konstruktionen usw., können die Bedeutungen einer einfachen Behauptung oder Verneinung einer Tatsache, die durch die Formen des Indikativs ausgedrückt werden, in Bedeutungen der Unsicherheit des Zweifelhaften oder sogar der Irrealität verwandeln . . ." 7 2 Zwar besagt dieser Ausspruch richtig, daß entsprechende Modalwörter, Partikeln und sonstige Mittel lediglich die Bedeutung des Indikativs des Verbums modifizieren, aber es bleibt dabei unklar, ob sie mit anderen Satzgliedern außer dem verbalen Prädikat verbunden werden können, wenn das logische Prädikat durch diese Satzglieder ausgedrückt wird. An anderer Stelle bemerkt Kocarev jedoch, daß eine dieser Modalpartikeln, die zum Ausdruck der Bedeutung der Möglichkeit dient, nicht nur beim Verbum, sondern auch beim Nomen auftreten kann. 7 3 Somit darf die modale Charakteristik des Inhalts eines Satzes im ganzen in den Sprachen der verschiedensten Typen nicht mit der modalen Bedeutung, die durch die Formen des verbalen Modus ausgedrückt wird, zusammenfallen. 74 Eine solche Erscheinung liegt in den Fällen vor, in denen das logische Prädikat des Logems nicht durch ein Prädikatsverb, sondern durch irgendein anderes Satzglied ausgedrückt wird und die modale Charakteristik des Logems eine andere ist als die Modalität der einfachen Sicherheit. Dabei entsteht zwischen der modalen Charakteristik des Inhalts der ganzen Aussage und der modalen Bedeutung, die durch die Form des Verbalmodus des Prädikats ausgedrückt wird, eine zweifache Beziehung. Die erste Art dieser Beziehung trifft in den Fällen zu, in denen die modale Bedeutung, die durch die Form des Verbalmodus ausgedrückt wird und die modale Bedeutung, die auf der logisch-grammatischen Ebene ausgedrückt wird, ihrer Natur nach gleichartig (homogen) sind, also beispielsweise den Grad der Sicherheit des Satzinhalts unter dem Blickwinkel des Sprechers charakterisieren. So wird z. B. in den Sätzen Er ist gewiß zu Hause und Er ist vielleicht zu Hause75 das Verbum im Indikativ gebildet, der die modale Bedeutung der einfachen Sicherheit der Mitteilung ausdrückt, während auf der logisch-grammatischen Ebene im ersten Satz die modale Bedeutung der kategorischen Sicherheit und im zweiten Satz die Bedeutung der problematischen Sicherheit ausgedrückt wird. Es ist offensichtlich, daß in beiden Sätzen die modale Bedeutung der einfachen Sicherheit ihres Inhalts, die durch die Form des Indikativs des Verbs ausgedrückt wird, von der modalen Bedeutung der kategorischen und der problematischen Sicherheit ihres Inhalts, die 207
durch die Modalwörter gewiß und vielleicht auagedrückt aind, überlagert wird. Demnach ist die erste Modalbedeutung nicht aktualisiert und im Satz in einer „aufgehobenen Form (im Sinne Hegels — d. Übers.) enthalten. In den oben genannten Sätzen wird die modale Bedeutung, die auf der logisch-grammatischen Ebene ausgedrückt wird, der Komponente des Prädikats zugeteilt. Aber die Divergenz der Modalität auf der logischgrammatiachen und der syntaktischen Ebene tritt besonders deutlich in den Fällen zutage, in denen die modale Bedeutung der logisch-grammatischen Ebene nicht dadurch das grammatische Prädikat, sondern durch irgendein anderes Satzglied ausgedrückt wird. So wird z. B. in dem Satz Er ist ein Greis von vielleicht 65 Jahren das logisch-grammatische Prädikat durch die Wörter von vielleicht 65 Jahren ausgedrückt, die hier in der Funktion eines Attributs auftreten. Die modale Bedeutung der problematischen Sicherheit ist hier auf die genannten vier Wörter verteilt. Zugleich wird das grammatische Prädikat dieses Satzes im Indikativ wiedergegeben, der die modale Bedeutung der einfachen Sicherheit ausdrückt. Noch überzeugendere Beispiele kann man aus dem Nivchischen anführen. Hier wird der problematische Modus des Verbums auf zweifache Weise gebildet: durch Anfügen der Partikeln uvrlavrlyvr und des Hilfswortes jagalo an das Verbum im Indikativ auf -d' (s. die oben angeführten Beispiele) und durch die Verschmelzung des Verbums auf dieselbe Weise mit dem Hilfsverb had' (sein) in der Form haira/hajra, hanyd' oder hajaqana. Wenn jedoch das logische Prädikat nicht durch das Prädikatsverb ausgedrückt wird, sondern durch irgendein anderes Satzglied, so verbindet sich das Hilfsverb mit j enem Satzglied und das Verbum bleibt im Indikativ. Vgl. z. B.: Ytyk p'rynyöajra [ = Der Vater kommt möglicherweise] (yrynycajra 'möglicherweise kommt' < p'rynyd' + hajra); Ytyk hajra p'ryivid' [ = Meinetwegen geht dieser Vater] (p'ryivid' 'geht' — Verb im Indikativ, ytyk hajra 'meinetwegen, dieser Vater', ytyk 'Vater', hajra — Hilfsverb, das in dieser Form die modale Bedeutung des Problematischen wiedergibt.). Ebenfalls im Nivchischen wird der kategorische Modus des Verbums mit Hilfe des Suffixes -bar(a)/-par(a), -gitlej-kitle und -Rarj-qar gebildet. Aber wenn das logische Prädikat nicht durch das Prädikatsverb ausgedrückt wird, sondern durch irgendein anderes Satzglied, so steht das Verbum im Indikativ, und nach dem entsprechenden Satzglied steht das Hilfsverb had', das mit irgendeinem dieser Suffixe versehen wird. Z. B.: Sid'na nvixk'uty rsavd'? - T'amra habar övixk'uty rsavd' [ = Was ist das, was da in meine Nüstern eingehängt wurde? — Das, was in deinen Nüstern hängt, ist ein Tragejoch.] (Diese Beispielsätze stammen aus einem Mär208
chen — d. Übers.) (t'amra habar 'Tragejoch ist das', t'amra 'Tragejoch', habar Hilfsverb had' in Form des kategorischen Modus; rsavd' 'wurde eingehängt' Verb im Indikativ). 7 6 Die zweite Art der Beziehung zwischen der Modalität, die auf der logisch-grammatischen Ebene ausgedrückt wird und der Modalität, die durch die Form des Verbalmodus ausgedrückt wird, d. h. durch die Modalität der syntaktischen Ebene, tritt dann auf, wenn diese beiden Modalitätsarten nicht gleichartig, d. h. ihrem Charakter nach homogen sind. I n diesen Fällen bleiben beide Arten der Modalität als Komponenten der modalen Charakteristik des ganzen Satzes erhalten. So wird beispielsweise in dem Satz Zu Hause würde ich mich gewiß besser fühlen durch die Modusform des Verbums die modale Bedeutung einer nicht realisierten Möglichkeit ausgedrückt, aber durch das Modalwort gewiß die Modalität der kategorischen Sicherheit. Die erste dieser modalen Bedeutungen ist eine der Varianten der sog. ontologischen Modalität, die den Charakter objektiver Verbindungen wiedergibt. Die zweite modale Bedeutung gehört zur subjektiven Modalität, die den Grad der Sicherheit des Satzinhalts vom Standpunkt des Sprechers charakterisiert. So sind diese beiden Bedeutungen ihrem Charakter nach heterogen und widersprechen sich gegenseitig nicht in ihrem objektiven Inhalt, weshalb jede als ein Element der modalen Charakteristik innerhalb der Grenzen des Satzes auftritt. Aus der Betrachtung der oben angeführten F a k t e n von Sprachen der unterschiedlichsten Typen geht überzeugend hervor, daß Modalität und Modus zwei prinzipiell verschiedene Erscheinungen sind und daß die Abgrenzung zwischen ihnen auf derselben Ebene vollzogen werden muß, wie dies auch für die Prädikativität und die grammatische Prädikativität der Fall ist. Dies gilt, obwohl in den meisten Fällen die einen wie die anderen zusammenfallen in jedem Fallé auch, wenn einige Modusformen im Verlaufe der geschichtlichen Entwicklung der Sprache als Mittel zum Ausdruck der Modalität entstanden sind, die den Charakter der Bezogenheit des Inhalts eines Satzes auf die Realität und den Charakter der im Inhalt des Satzes widergespiegelten objektiven Verbindungen aufzeigt. Zu solchen Modi gehören vor allem der Indikativ, der problematische oder Wahrscheinlichkeitsmodus, der kategorische Modus sowie auch der Konditional und der Konjunktiv. I n die erste Modusgruppe werden auch die in vielen Sprachen unterschiedenen Modi wie auditiver oder Berichtsmodus und der Modus der unerwarteten Handlung einbezogen, da sie in einem gewissen Maße ebenfalls mit dem Ausdruck der Beziehung des Sprechers zur Sicherheit der Mitteilung verbunden sind. Die Divergenz I i Panfllov, Sprache und Denken
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zwischen der Modalität und der Bedeutung der einen oder der anderen Modusform, die immer auftritt, wenn das logische Prädikat nicht durch das verbale Prädikat, sondern durch irgendein anderes Satzglied ausgedrückt wird, führt dazu, daß in dem Satz die Modalität in zweifacher Weise ausgedrückt wird, einmal durch die Form des Verbalmodus und zum anderen durch modale Mittel, die dem jeweiligen Satzglied, das das logische Prädikat ausdrückt, zugeteilt werden. Bei dem homogenen Charakter der auf diese Weise ausgedrückten modalen Bedeutungen ist die modale Bedeutung irgendeiner Modusform des Verbums — wenn sie nicht der modalen Bedeutung entspricht, die dem logischen Prädikat zugeordnet ist — im Satz in einer „aufgehobenen" Form enthalten, und die modale Charakteristik des Inhalts des Satzes wird durch die modale Bedeutung, die auf der logisch-grammatischen Ebene ausgedrückt wird, bestimmt. Wenn aber die modalen Bedeutungen, die auf der logisch-grammatischen und auf der syntaktischen Ebene, d. h. durch die Modusform, ausgedrückt werden, heterogen sind, so treten sie beide als Komponenten der modalen Charakteristik des Satzinhalts auf, indem sie sowohl auf den Grad seiner Sicherheit vom Standpunkt des Sprechers aus als auch auf den Charakter der objektiven Verbindungen, die in ihm widergespiegelt werden, verweisen. Wenn man die Beziehung der Modalität und des Modus in synchroner Sicht betrachtet, muß man bemerken, daß die Kategorie der Modalität in der oben genannten Interpretation und die Kategorie des Modus jedenfalls in der Mehrzahl der Sprachen sich nicht nur im Charakter und Umfang ihrer Bedeutungen, sondern auch im Charakter ihrer grammatischen Ausdrucksmittel unterscheiden. Wie schon bemerkt wurde, ist die Intonation ein universaler Träger des logisch-grammatischen Prädikats und der Kategorie der Prädikativität und damit auch der Modalität . Träger der Prädikativität und damit auch der Modalität sind auch spezielle Morpheme, die dem jeweiligen Satzglied hinzugefügt werden, durch das das logische Prädikat des Mitteilungsurteils ausgedrückt wird. Die Modalität kann auch durch spezielle modale Hilfswörter ausgedrückt werden, die die modalen Bedeutungen des Sicherheitsgrades des Satzinhalts wiedergeben. So werden in der russischen Sprache z. B. diese Bedeutungen mit den Wörtern mo&et byt', verojatno, vozmoino, koneöno, nesomnenno usw.. wiedergegeben. Die modalen Bedeutungen können auch durch spezielle Verbalsuffixe ausgedrückt werden, die im Unterschied zu den Suffixen, die die verbalen Modusformen bilden, keine finiten Verbformen darstellen. Alle oben angeführten Ausdrucksmittel der Modalität als Erscheinungen der logisch-grammatischen Ebene des Satzes gibt es im Nivchischen. 210
Im Gegensatz dazu werden die Modi des Verbums entweder mit Suffixen gebildet, die als finite Verbformen auftreten (synthetische Formen des Modus) oder auch durch Hilfswörter oder Partikeln (analytischer Formen des Modus). Was den Charakter und den Umfang betrifft, die auf der logisch-grammatischen Ebene und auf der syntaktischen Ebene ausgedrückt werden, so ist ihr Verhältnis in den Sprachen verschiedener Typen sehr unterschiedlich. Dieses Problem verlangt eine weitere Untersuchung. Insbesondere muß hier die Frage — und dabei in jeder einzelnen Sprache gesondert — beantwortet werden, ob es berechtigt ist, innerhalb einer einzigen grammatischen Kategorie des Modus die Bedeutungen völlig unterschiedlicher Art zusammenzufassen: Bedeutungen, die verschiedene Arten der Kommunikation bestimmen (den Imperativ und in einigen Sprachen auch den Interrogativ neben dem Indikativ); Bedeutungen, die verschiedene subjektive Zustände des Menschen ausdrücken (Willenserklärungen, Wünsche usw.); verschiedene Arten der Bedeutungen der subjektiven und objektiven Modalität. Wenn man diese Frage speziell für die eine oder andere konkrete Sprache beantworten will, muß man prüfen, ob die formale Seite und der Charakter dieser Bedeutungen selbst tatsächlich genügend Hinweise dafür geben, um annehmen zu können, daß die entsprechenden Erscheinungen eine paradigmatische Reihe und damit eine einzige grammatische Kategorie, nämlich die Kategorie des Modus, bilden. Die oben angeführten Fakten aus vielen Sprachen, insbesondere diejenigen, die zeigen, daß zwischen Modalität und Modus wesentliche Unterschiede bestehen, geben Anlaß, die weit verbreitete These zu präzisieren, derzufolge der Modus als eine verbale Kategorie zugleich eine prädikative Kategorie sei. Eine prädikative Kategorie, d. h. eine Kategorie, die den gesamten Satz charakterisiert, ist nur die Modalität der logisch-grammatischen Ebene. Die Kategorie des Modus muß man als grammatische Prädikativität betrachten und nicht als prädikative Kategorie. Zugleich muß man auch die Definition, die gewöhnlich für die Kategorie des Modus gegeben wird, überprüfen. Unserer Ansicht nach charakterisiert der Modus die vom Sprecher vorgenommene Bewertung jener Beziehung, die im Satz zwischen dem grammatischen Subjekt und dem Prädikatsverb hinsichtlich ihres Realitätsbezuges und hinsichtlich des Charakters der objektiven Beziehungen zwischen der handelnden Person (oder dem Handlungsträger) und der Handlung hergestellt wird. Diese Bewertung wird durch die Verbalform bei einer synthetischen Flexion ausgedrückt. 14*
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Demgegenüber stellt die Modalität eine Erscheinung der logischgrammatischen Ebene dar und charakterisiert die Bewertung des Sicherheitsgrades des Satzinhalts durch den Sprecher oder den Charakter, der im Satz widergespiegelten objektiven Beziehungen. Sie wird durch die verschiedensten sprachlichen Mittel ausgedrückt (durch phonetische, tonetische, synthetische und analytische Formen einschließlich der Formen des Verbalmodus, durch spezielle Hilfswörter einschließlich der Partikeln mit Modalbedeutung und auch durch syntaktische Mittel).
Kapitel
IV
Satzglieder und die Komponenten des Urteils, der Frage und der Aufforderung
Die grammatischen und vor allem die syntaktischen Forschungen auf dem Gebiete der indoeuropäischen Sprachen kamen bis zur Mitte des 19. Jh. nicht von den Prinzipien der logischen Grammatik los, die erstmalig als ein abgeschlossenes System in der sog. philosophischen Grammatik von Port-Royal aus dem Jahre 1660 formuliert wurde, die sich ihrerseits in bedeutendem Maße auf die formale Logik von Aristoteles und den Rationalismus von Descartes stützte. Das Grundprinzip der Autoren der philosophischen Grammatik bestand darin, daß „man von den verschiedenen Bedeutungen, die in den Wörtern enthalten sind, keinen klaren Begriff bekommen kann, solange man nicht versteht, was in unseren Gedanken vor sich geht; denn die Wörter wurden ja nur dazu erfunden, um unsere Gedanken faßbar zu machen." Die Verneinung jedweder relativen Selbständigkeit der Sprache, die keineswegs eine unvermeidliche Folge der These ist, daß die Sprache dazu bestimmt sei, den menschlichen Gedanken auszudrücken, führte die Verfasser der philosophischen Grammatik zu der fehlerhaften Auffassung von der Natur der Sprache, zur Beschränkung der Sprache auf ihre materielle (lautliche) Seite. Dementsprechend bestimmen die Verfasser der philosophischen Grammatik die Wörter „als lediglich ausgesprochene Laute, die der Mensch als Zeichen für die Abbildung seiner Gedanken verwendet." 1 Auf dem Gebiete der Syntax ergab sich aus diesem Herangehen an die Sprache die völlige Gleichsetzung von Urteil und Satz, sowohl hinsichtlich des Inhalts als auch hinsichtlich seiner Struktur. Die Verfasser der philosophischen Grammatik unterscheiden drei Operationen des Geistes: den Begriff, das Urteil und die Schlußfolgerung. Sie definieren den Satz folgendermaßen: „Ein Urteil das ich über einen Gegenstand bilde, z. B. wenn ich sage 'Die Erde ist rund', nennt man Satz; somit besteht jeder Satz obligatorisch aus zwei Gliedern. Das eine wird Subjekt genannt, d. h. das, worüber etwas behauptet wird — so z. B. die Erde —, 213
das andere wird Attribut genannt, d. h. das, was behauptet wird, z. B. rund. Außerdem gibt es noch die Kopula ist zwischen den beiden Gliedern. Man sieht leicht, daß die beiden Glieder des Urteils zur ersten Operation des Geistes (Begriff — V. P.) gehören, weil sie das sind, was wir wahrnehmen (verstehen) und was das Objekt unserer Gedanken ist, während die Kopula zu der zweiten Operation des Geistes gehört, die man die Tätigkeit unseres Geistes und das Abbild unserer Gedanken nennen kann." 2 Diese Definitionen von Subjekt und Attribut als Element des Urteils und seines verbalen (lautlichen) Ausdrucks, des Satzes, wurden in der weiteren Folge nach dem Entstehen der Satzgliedtheorie fast ohne Veränderung auf das grammatische Subjekt und Prädikat als Satzglied übertragen. „Jeder Satz" schreibt A. Ch. Vostokov, „besteht aus zwei Teilen, die man Subjekt und Prädikat nennt. Das Subjekt ist der Name für den Gegenstand, über den gesprochen wird und das Prädikat das Verbum und alles, was über den Gegenstand gesagt wird, z. B. Die Sonne scheint; Die Wissenschaften sind nützlich; Müßiggang ist ein Laster. In diesen Sätzen ist das Subjekt Sonne, Wissenschaft, Müßiggang und das Prädikat scheint, ist nützlich, ist ein Laster "3 Dem Wesen nach bestimmt I. Davydov Subjekt und Prädikat ebenso wie Vostokov: „Im Urteil weist der eine Begriff auf die Handlung hin, der andere auf den Gegenstand, bei dem sich die Handlung vollzieht; im Satz nennt man die Handlung Prädikat und den Gegenstand Subjekt. In dem Satz Der Frühling kommt ist der Handlungsträger der Frühling, deshalb ist kommt das Prädikat und der Frühling das Subjekt." 4 Solche Definitionen von Subjekt und Prädikat findet man fast ohne Veränderung bis in die heutige Zeit in wissenschaftlichen deskriptiven Grammatiken und bis in die jüngste Zeit hinein wurde sie auch in den Schulgrammatiken vertreten, obwohl sie keine eigentliche grammatische Bedeutung hatten, weil sie nicht auf die eigentlichen sprachlichen Merkmale dieser Satzglieder hinweisen. Seit den letzten 100 Jahren wurden aufgrund der Kritik an der logischen Richtung der Grammatik von Seiten der Vertreter der psychologischen Richtung große Anstrengungen unternommen, um den Logizismus in der Definition solcher Satzglieder wie Subjekt und Prädikat zu überwinden und im Herangehen an die syntaktische Analyse des Satzes zu überwinden. Insbesondere erkennt jetzt die überwiegende Mehrheit der Linguisten und Philosophen5 an, daß die traditionellen, von der logischen Grammatik herrührenden Definitionen des Subjekts und Prädikats — denenzufolge das Subjekt das ist, worüber im Satz gesprochen wird und das Prädikat 214
das, was darüber im Satz ausgesagt wird — in Wirklichkeit die Definitionen des Subjekts und Prädikats des Urteils sind, oder genauer gesagt, des Gegenstandes des Urteils und des Prädikats des Urteils, weil das Subjekt des Urteils der Begriff vom Gegenstand des Urteils ist, d. h. der Begriff dessen, worüber im Satz gesprochen wird u n d nicht das, worüber im Satz gesprochen wird selbst. Aus diesem Grunde wurden in letzter Zeit Versuche unternommen, bei der Definition der Begriffe des grammatischen Subjekts und Prädikats speziell grammatische formale Merkmale einzuführen. So werden z. B. in der Akademie-Grammatik der russischen Sprache diese Begriffe folgendermaßen definiert: „Das grammatische Subjekt ist das Hauptglied eines zweiteiligen Satzes, das grammatisch von anderen Satzgliedern unabhängig ist, gewöhnlich durch ein Substantiv, Pronomen oder ein anderes dekliniertes Wort im Nominativ ausgedrückt wird und einen Gegenstand (im breiten Sinne des Wortes) bezeichnet, dessen Merkmal (Handlung, Zustand, Eigenschaft, Qualität) im Prädikat bestimmt wird." 6 „Das Prädikat ist das Hauptglied eines zweiteiligen Satzes, das grammatisch vom Subjekt abhängig ist, gewöhnlich durch eine finite Verbform, durch ein Substantiv oder Adjektiv ausgedrückt wird und das Merkmal (Handlung, Zustand, Eigenschaft, Qualität) des Gegenstandes bezeichnet, der durch das Subjekt ausgedrückt wird." 7 Man muß allerdings bemerken, daß diese Definitionen zugleich in verstärkter Form die traditionellen Definitionen in sich bergen (das grammatische Subjekt bezeichnet den 'Gegenstand [im breiten Sinne des Wortes], dessen Merkmale [Handlung, Zustand, Eigenschaft, Qualität] im Prädikat bestimmt wird' und das Prädikat bezeichnet 'das Merkmal [Handlung, Zustand, Eigenschaft, Qualität] des Gegenstandes, der durch das Subjekt ausgedrückt wird'). Man muß auch C. L. Ebeling darin zustimmen, daß eine solche Definition des grammatischen Subjekts und Prädikats einen logischen Fehler, einen sog. circulus vitiosus, enthält, weil Subjekt und Prädikat durch den Begriff des zweiteiligen Satzes definiert werden, aber die Sätze selbst nur als zweiteilig definiert werden können, wenn sie Subjekt u n d Prädikat enthalten. 8 Viele Linguisten stellen auch fest, daß man nicht in allen Satztypen ein grammatisches Subjekt und Prädikat ermitteln kann. D a f ü r werden nicht nur die verschiedenen Typen des einteiligen Satzes in Betracht gezogen 9 , sondern auch einige Typen zweiteiliger Sätze. So bemerkte beispielsweise Sachmatov, daß „es auch bestimmte Arten von zweiteiligen Sätzen gibt, in denen die beiden Teile grammatisch nicht miteinander verbunden sind, nicht miteinander übereinstimmen; ihre Hauptglieder 215
nennen wir Hauptglied des dominierenden Teiles und Hauptglied des abhängigen Teiles." 10 Sachmatov hat dabei Sätze im Auge wie U menja est' den'gi (den'gi — Hauptglied des dominierenden Teiles, est' — Hauptglied des abhängigen Teiles). In den grammatischen Untersuchungen zur russischen Sprache wurde in letzter Zeit der Definition und Klassifikation derjenigen zweiteiligen Satztypen große Aufmerksamkeit geschenkt, die nicht auf das traditionelle Schema Subjekt — Prädikat zurückgeführt werden können. Wie G. A. Zolotova feststellt, gibt es bei solchen Sätzen „eigene organisierende Komponenten, Konstanten und Variable. Und wenn für Sätze, die über die H a n d l u n g von G e g e n s t ä n d e n berichten (Hervorhebung vom Autor — V. P.), das Grundmodell durch das Syntagma der syntaktischen Form des Nomens im Nominativ und der finiten syntaktischen Form des Verbums gebildet wird und für Sätze, die über die E i g e n s c h a f t eines G e g e n s t a n d e s berichten (Hervorhebung vom Autor — V. P.), durch das Syntagma der syntaktischen Form des Nomens im Nominativ und der syntaktischen Form des Adjektivs, so werden für viele andere Typenbedeutungen die Grundmodelle durch Komponenten gebildet, die keineswegs mit den traditionellen Hauptsatzgliedern zusammenfallen." 11 Zolotova legt eine ganze Reihe solcher Satzmodelle vor: 1. Sätze, die „die q u a n t i t a t i v e C h a r a k t e r i s t i k der G e g e n s t ä n d e enthalten und durch das Syntagma zweier Komponenten organisiert sind, von denen die eine den durch die syntaktische Form des Nomens im Genitiv charakterisierten Gegenstand benennt und die andere die Menge bezeichnet" (Lylnihov — sotni 'Der Skifahrer sind es 100'; Nas malo 'Wir sind wenige'). 2. Sätze, die über das Subjekt und Objekt des Besitzes berichten, wobei das Subjekt durch die syntaktische Form 'u + Genitiv' und das Objekt durch die Form des Nominativs oder ihres Äquivalents bezeichnet wird (U nick novaja hvartira 'Wir haben eine neue Wohnung'; V sosedej byl sad 'Die Nachbarn hatten einen Garten' usw.) und viele andere Modelle.12 Zolotova weist zu recht darauf hin, daß „für die Entstehung der prädikativen Beziehungen im Satz und somit auch für die Entstehung des Satzes selbst grammatisches Subjekt und Prädikat nicht kanonisiert werden müssen, sondern die bedeutungstragenden Elemente, durch deren Gruppierung der gedankliche Sinn des Satzes realisiert wird." 13 De Groot macht darauf aufmerksam, „daß nicht alle Sätze die grammatische Analyse nach Subjekt und Prädikat zulassen." 14 Er sagt, daß das Subjekt und das Prädikat „allein durch die Wortarten bestimmt werden 216
können" und daß insbesondere in der englischen Sprache das Subjekt „als Glied einer Wortgruppe, die ein Pronomen im Subjektskasus oder dessen Äquivalent, gewöhnlich ein Eigenname (John died) oder eine Gruppe von Eigennamen (The old king died)" enthält, und das Prädikat als „Satzglied, das ein finites Verbum enthält" bestimmt werden kann.15 Nichtsdestoweniger tritt der Logizismus auch heute noch in vielen Arbeiten bei der Lösung der Frage nach den Kriterien der Satzgliedbestimmung und besonders der Hauptglieder des Satzes in Erscheinung. Das zeigt sich insbesondere sowohl darin, daß die Hauptsatzglieder Subjekt und Prädikat auch in denjenigen zweiteiligen Satztypen der indoeuropäischen Sprachen auftreten, in denen sie sich nicht durch morphologische Merkmale voneinander abgrenzen, wie dies bei den übrigen Satztypen der Fall ist, als auch darin, daß in den Sprachen mit einer schwachen Entwicklung des Synthetismus die Satzglieder im allgemeinen ohne genügende Unterstützung durch spezielle morphologische Merkmale vorhanden sind. So halten es die Verfasser der Akademie-Grammatik der russischen Sprache, die von der oben angeführten Definition des Subjekts und Prädikats ausgehen, für möglich, Subjekt und Prädikat in einer Reihe von Satztypen allein in dem Merkmal der Wortfolge hervorzuheben; sie schreiben dazu folgendes: „Man kann jedoch von der Rolle der Wortfolge als Mittel zur Unterscheidung des grammatischen Subjekts und Prädikats eines Satzes oder als Mittel zur Bestimmung des Subjekts nur in streng definierten Satztypen sprechen: In den Sätzen der Identität, in den Sätzen mit Indikativ und prädikativem Adverb oder mit der Form des Substantivs im Nominativ usw. Vgl. Der Traum meines Sohnes ist es, Künstler zu werden; Künstler zu werden ist sein sehnlichster Wunsch."16 Dadurch, daß die Verfasser der Akademie-Grammatik die Wortfolge und nicht morphologische Merkmale als Kriterien zur Bestimmung von Subjekt und Prädikat in den genannten Satztypen benutzen, geben sie dem Begriff des Subjekts und Prädikats einen wesentlich änderen Inhalt als in den oben angeführten Definitionen und lassen damit eine klar erkennbare Inkonsequenz bei der Behandlung dieser Begriffe zu. Die Hauptsache besteht jedoch darin, daß 1. bei einer Veränderung der Wortfolge, z. B. in den Identitätssätzen, ein und dasselbe Wort sowohl als Subjekt als auch als Prädikat betrachtet werden kann. Z. B. Moskau ist die Hauptstadt der UdSSR und Die Hauptstadt der UdSSR ist Moskau; Grusnickij ist ein Junker und Ein Junker ist Grusnickij; und daß 2. dieses oder jenes Wort als Subjekt oder Prädikat eines solchen Satztyps implizit danach bestimmt wird, ob es das logische Subjekt 217
(der Begriff des Gegenstandes des Gedankens, das, worüber im Satz gesprochen wird, steht an erster Stelle) oder das logische Prädikat (der Begriff des Merkmals des Gedankens, das, was im Satz gesagt wird, steht an zweiter Stelle) ausdrückt. Die Ursache all dieser Schwierigkeiten und Widersprüche, denen man bei der syntaktischen Analyse einer Reihe von Typen in den synthetischen Sprachen begegnet, besteht darin, daß den Begriffen Subjekt und Prädikat eine Allgemeinheit zugeschrieben wird, die sie auch in den Sprachen dieses Typs nicht besitzen. Bei der Aufstellung einer logisch folgerichtigen und widerspruchsfreien syntaktischen Theorie der Satzglieder speziell für Sprachen dieses Typs muß man von folgenden Prinzipien ausgehen: 1. Subjekt und Prädikat dürfen nur in jenen Satztypen bestimmt werden, in denen sie tatsächlich als grammatisch organisierende Zentren des Satzes auftreten, indem sie nach bestimmten grammatischen, insbesondere morphologischen Merkmalen einander gegenübergestellt werden;17 2. Es gibt keine eigentliche sprachliche Berechtigung zur Bestimmung von Subjekt und Prädikat in den Satztypen, in denen in der Gegenwart gewöhnlich das sog. nichtmorphologisierte Subjekt bzw. Prädikat auftreten; 3. In solchen Sätzen wird nur das logische, genauer gesagt, das logisch-grammatische Subjekt und Prädikat bestimmt und nicht das rein grammatische Subjekt und Prädikat. Was die analytisch-agglutinierenden Sprachen wie das Chinesische betrifft, so bleibt die Frage nach den Prinzipien der Satzglieder im wesentlichen offen; als Kriterien für ihre Bestimmung werden die unterschiedlichsten Merkmale vorgeschlagen. So wird in der chinesischen Grammatiktradition das grammatische Subjekt entweder als Subjekt der Handlung und das grammatische Objekt als Objekt der Handlung, oder als ein beliebiges Nomen, das vor dem Prädikat steht und das Objekt als Nomen, das nach dem Prädikat steht und schließlich auch als das, worüber im Satz eine Mitteilung erfolgt, definiert.»8 Einige sowjetische Sinologen bemerken, daß „im Falle der Berücksichtigung aller drei Kriterien diese offenbar bei einer Reihe von Verbalsätzen gleichzeitig angewendet werden und sich bei anderen Sätzen wiederum gegenseitig ausschließen."19 Sie sehen den Ausweg aus dieser Situation darin, für jeden Satztyp eigene Kriterien aufzustellen.20 Eine derartige Lösung dieser Frage kann man wohl kaum akzeptieren; denn wenn für jeden Satztyp besondere Subjektmerkmale aufgestellt werden, so wird jedesmal der Terminus Subjekt in einem anderen Sinne verwendet, während dann ein einheitlicher Begriff des Subjekts für alle Satztypen fehlt. Man sollte bei einer solchen Lösung nicht von einem einzigen Satzglied Subjekt sprechen, sondern von verschiedenen
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Satzgliedern, die nur eine gemeinsame Bezeichnung haben. Man k a n n auch nicht damit einverstanden sein, daß in den Begriff des Subjekts in diesen Fällen 21 nieht die grammatischen, sondern die logischen Merkmale im weitesten Sinne des Wortes einbezogen werden, wie etwa das, was den Träger einer Handlung und den Ausgangspunkt einer Aussage, also das logische Subjekt, bezeichnet. Eine unmittelbare Beziehung zur Frage nach den Kriterien f ü r die Bestimmung der Hauptsatzglieder hat auch das Problem des Wesens der Ergativkonstruktion im Unterschied zur Passivkonstruktion eines Satzes. I n der Theorie der Ergativkonstruktion eines Satzes ist die meistumstrittene Frage die, wie man auf der syntaktischen Ebene diese Satzglieder betrachten muß, von denen eines das Subjekt der Handlung ausdrückt, die durch ein transitives Verbum bezeichnet wird und im Ergativkasus steht und das andere das Objekt der Handlung ausdrückt und im absoluten oder nominativen Kasus steht. Diejenigen Autoren, die das erstgenannte Glied als ein indirektes Objekt und das zweite als das Subjekt bestimmen, nehmen an, daß in den entsprechenden Fällen eine Passivkonstruktion des Satzes vorliegt und das transitive Verbum eine passive Bedeutung annimmt. Anderen, die im ersten Satzglied das Subjekt sehen und nicht ein indirektes Objekt, dagegen im zweiten Falle ein direktes Objekt und nicht das Subjekt, nehmen an, daß wir es in solchen Fällen mit einer Differenzierung der entsprechenden Sätze nach ihrer Diathese zu t u n haben und mit einer besonderen Satzkonstruktion, in der das Subjekt bei einem transitiven Verbum nicht in der Nominativkonstruktion, sondern in einem anderen Kasus auftritt. 2 3 Wir mußten bereits darauf hinweisen, daß bei der Lösung der Frage, ob eine entsprechende Konstruktion des Satzes Passiv oder Ergativ sei, maßgebend ist, ob das Nomen im Ergativ, das das Subjekt der Handlung bezeichnet, tatsächlich als organisierendes Zentrum des Satzes auftritt und vor allem, welche Wiedergabe es in der Form des Prädikatsverbs erhält. Dabei zeigte es sich, daß in Sprachen, wie z. B. im Avarischen — in denen das Nomen im indirekten Kasus, das das Subjekt der Handlung ausdrückt, nicht als organisierendes Zentrum des Satzes auftritt, was vielmehr durch das Nomen im absoluten Kasus geschieht — die Annahme einiger Autoren, daß das erstgenannte Nomen das Subjekt sei, unbegründet ist.2'» Die Tatsache, daß das Nomen im indirekten Kasus in diesen Fällen das Subjekt der Handlung ausdrückt, kann nicht ausschlaggebend sein, weil die eigentlich sprachlichen (grammatischen) Merkmale fehlen, die es erlauben würden, ein entsprechendes Satzglied als ein Hauptsatzglied, das das Zentrum organisiert, zu betrachten. Nur in den Sprachen, in 219
denen das Nomen im Ergativ, das das Subjekt der Handlung bezeichnet, als organisierendes Zentrum des Satzes auftritt, (was dadurch in Erscheinung tritt, das es durch ein besonderes formales Kennzeichen in der Verbalform wiedergegeben wird), muß man dieses Nomen im Ergativ als Subjekt ansehen, wie dies beispielsweise in den paläoasiatischen 25 , kaukasischen und in anderen Sprachen der Fall ist. Bei der Lösung der Frage nach dem Wesen der Ergativkonstruktion und ihrer Beziehung zur Passivkonstruktion sind entprechende Fakten aus der Chanti-Sprache von besonderem Interesse. Im Vachovischen Dialekt des Chanti gibt es nebeneinander die passive, die ergative und die nominative Konstruktion des Satzes bei transitiven Verben. Wir führen als Beispiel an: Passiv-Konstruktion: qune nipik lonelly (Von dem Menschen wird ein Buch gelesen; wörtl.: Von Seiten des Menschen . . . ) ; qune 'Mensch' im Lokalkasus, nipik 'Buch' im absoluten Kasus, in der Verbform wird nur das Nomen im absoluten Kasus berücksichtigt. Ergativ-Konstruktion: qune nipik lonevel (Der Mensch liest das Buch; wörtl: Von Seiten des Menschen . . .); qune 'Mensch' im Lokalkasus, nipik 'Buch' im absoluten Kasus; im ersten Fall berücksichtigt die Verbform nur das Nomen im Lokalkasus durch seine Subjektskonjugation; im zweiten Falle ist das Nomen im Lokalkasus und im absoluten Kasus durch die Subjekt-Objekt-Konjugation des Verbums berücksichtigt. Nominativ-Konstruktion: qu nipik lonevel (Der Mensch liest ein Buch) und qu nipiket lonelelle (Der Mensch liest Bücher) qu 'Mensch', nipik 'Buch', nipiket 'Bücher' — alle im absoluten Kasus. Im ersten Fall wird in der Verbform nur das Substantiv qu durch die Subjekt-Konjugation des Verbums berücksichtigt, im zweiten Fall beide Substantive durch die Subjekt-Objekt-Konjugation des Verbums. 26 Aus den angeführten Beispielen ist ersichtlich, daß sowohl in der passiven als auch in der Ergativ-Konstruktion das Subjekt der Handlung durch das Nomen im Lokalkasus ausgedrückt wird, aber nur im letzteren Falle wird es Subjekt, weil es nur hier in der Verbalform ausgedrückt ist und somit als grammatisch organisierendes Zentrum des Satzes auftritt. Analoge Fakten stellt A. N. Balandin für das Mansische fest, in dem wie im Vachovischen Dialekt des Chanti nominative, passive und ergative Konstruktionen des Satzes existieren, wobei im Mansischen das Subjekt der Handlung im Gegensatz zum Chanti nicht durch den Lokalkasus, sondern durch den Direktiv ausgedrückt wird. 27 Es besteht kein Zweifel, daß bei der Entstehung des Subjekts im indirekten (ergativen) Kasus der Umstand eine entscheidende Rolle spielte, daß das Nomen in diesem Kasus in einer bestimmten Periode die Be220
Zeichnung des realen Subjekts (Trägers) der Handlung im Gegensatz zu der ursprachlichen Funktion des Nomens in demselben Kasus bei der Passivkonstruktion des Satzes übernahm, bei der es offenbar das Mittel zur Erfüllung der Handlung und nicht das Subjekt der Handlung bezeichnete. Nach Meinung C. C. Uhlenbecks, der auf der Grundlage von Materialien nordamerikanischer Indianersprachen eine Theorie des passiven Charakters des transitiven Verbs in der Ergativ-Konstruktion abgefaßt hat, sind für das „primitive" Denken außer dem Menschen auch geheime Kräfte die Handelnden, denen der Mensch nur als gehorsames und passives Werkzeug dient." 28 Diese Auffassung Uhlenbecks findet eine bestimmte Bestätigung in der Mythologie vieler sog. „primitiver" Völker, darunter beispielsweise auch in der Mythologie der Ob-ugrischen Völker. Balandin schreibt in diesem Zusammenhang: „Die alten Mythen der Obugrischen Völker überlieferten uns ein 'geheimes Subjekt', so wie es im Denken der fernen Vorfahren der heutigen Mansi und Chanti tatsächlich existierte. Diese ist toram ( = Himmel), der im Bewußtsein der alten Mansi und Chanti mächtige Naturkräfte verkörperte. Torsm tritt in den Mythen als personifizierte Kraft auf, die sich in Naturerscheinungen verkörpert, die materielle Teile seines Seins darstellen... In mansischen Mythen tritt tonrn als ein aktiv Handelnder auf, z. B . Numi-Torum asjum vari ('Numi-Torum [der hohe Himmel] macht mein Väterchen . . .')" 2 9 Man kann jedoch kaum annehmen, daß solche mythologischen Anschauungen bei diesen Völkern als eine erschöpfende Erklärung der Ursachen für die Entstehung der Passivkonstruktion von Sätzen dienen können.
Kapitel V
Die grammatische Kategorie der Diathese und die Kategorien des Subjekts (Trägers) der Handlung, des Objekts der Handlung und der Handlung. Die Ergativ-Konstruktion des Satzes Die traditionelle Definition der Diathese als grammatische Kategorie lautet: „Die Kategorie der Diathese bezeichnet die Beziehung1 zwischen dem Subjekt der Handlung (dem die Handlung Ausführenden) und dem Objekt, das in der Form des Verbums seinen Ausdruck findet." 2 Oder, etwas anders, wird die Diathese als „verbaler Ausdruck der Beziehung der Handlung zu ihrem Subjekt und Objekt (wobei auch das mögliche Fehlen des Objekts beachtet wird)" bestimmt. 3 Nach dieser Definition werden somit durch die grammatische Kategorie der Diathese unmittelbar die Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt der Handlung oder die Beziehung zwischen der Handlung und dem Subjekt und dem Objekt wiedergegeben, d. h. es wird behauptet, daß die Bedeutung der grammatischen Kategorie der Diathese auf der Basis der im weiten Sinne des Wortes logischen Kategorien, wie der Kategorie der Handlung, des Subjekts und des Objekts, gebildet wird. Keine der oben genannten Definitionen kann man als richtig ansehen, weil der Charakter der Beziehung der Handlung zu ihrem Subjekt und Objekt oder der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt der Handlung allein nicht die Möglichkeit gibt, die einzelnen Arten der verbalen Diathese gegeneinander abzugrenzen. So unterscheidet man im Russischen beispielsweise Passiv und Aktiv, die ein und d i e s e l b e B e z i e h u n g z w i s c h e n S u b j e k t und O b j e k t der H a n d l u n g oder der Handlung zu ihrem S u b j e k t und O b j e k t bezeichnen, was auch von den Verfassern der oben angeführten Definitionen zugegeben wird. Sie schreiben: „Aktive und passive Bedeutungen in der russischen Sprache stellen parallele Konstruktionen dar, die in der Sprache je nach dem Ziel, das sich der Sprecher stellt, ein und dieselbe Beziehung der Realität auf verschiedene Weise wiedergeben."4 Zugleich werden für die Abgrenzung von Passiv und Aktiv im Russischen zusätzliche Merkmale eingeführt: „Unter passiver Bedeutung im grammatischen Sinne versteht man die Beziehung zwischen dem Ausführenden der Handlung und dem Objekt der Handlung, 222
wenn das reale Objekt der Handlung im Satz als Subjekt in der Form des Nominativs auftritt und der reale Ausführende der Handlung als ein Objekt im Instrumental ohne Präposition auftritt." 5 Obwohl die grammatische Kategorie der Diathese tatsächlich auf der Basis der Wiedergabe der Beziehung der Handlung zu ihrem Subjekt und Objekt gebildet wird, kann als Bedingung für die Bestimmung einer Diathese nicht nur das Vorhandensein einer speziellen Verbalform genügen, die auf einen entsprechenden Typ der Beziehung der Handlung zu ihrem Subjekt und Objekt hinweist, sondern es müssen auch einige andere grammatische Merkmale dafür herangezogen werden, insbesondere der Typ der Beziehung des grammatischen Subjekts und des grammatischen Objekts zum Subjekt und Objekt der Handlung. Unter Berücksichtigung des Gesagten kann man folgende Definition der Diathese vorschlagen : Die Kategorie der Diathese eines Verbums kennzeichnet eine bestimmte Beziehung des grammatischen Subjekts und des grammatischen Objekts zum Subjekt und Objekt der Handlung, die durch ein Verbum bestimmt ist und seiner bestimmten Form zugeordnet wird.6 Die Kategorie der Diathese ist somit eine komplexe syntaktisch-morphologische Kategorie, die die Struktur des ganzen Satzes bestimmt. 7 Bei der oben gegebenen Definition der Diathese muß man folgende Begriffe unterscheiden: den Begriff des Subjekts der Handlung, der auf den realen Ausführenden (Träger) der Handlung verweist; den Begriff des logischen Subjekts als eines der Urteilsglieder, das auf den Gegenstand verweist, über den im Prädikat irgendetwas für den Gesprächspartner Neues mitgeteilt wird; den Begriff des grammatischen Subjekts, das neben dem Prädikat ein organisierendes grammatisches Zentrum des Satzes ist, der durch die für jede einzelne Sprache typischen grammatischen Merkmale charakterisiert ist; den Begriff des allgemeinen grammatischen Subjekts und Objekts. 1. Obwohl das grammatische Subjekt die spezifische Form des Ausdrucks des logischen Subjekts ist, wie das oben gezeigt wurde, kann es auch durch irgendein anderes Satzglied oder eine Gruppe von Satzgliedern ausgedrückt werden. 2. Die Vielfalt der Typen der Beziehung des grammatischen Subjekts und Objekts mit dem Subjekt und Objekt der Handlung, von denen jeder einer bestimmten Verbalform zugeordnet wird, führt zur Unterscheidung verschiedener Diathesen (siehe weiter unten). 3. Obwohl das nominal ausgedrückte grammatische Subjekt und das allgemeine grammatische Subjekt ebenso wie das nominal ausgedrückte grammatische Objekt und das allgemeine grammatische Objekt auf ein und denselben Begriff Bezug nehmen, können das allgemeine grammatische Subjekt und das allgemeine gram223
matische Objekt einen entsprechenden Ausdruck in einer Verbalform erhalten, und das besonders dann, wenn das nominal ausgedrückte grammatische Subjekt bzw. Objekt als Satzglieder fehlen und wenn man demnach nur von einer Beziehung des Subjekts und Objekts der Handlung zum allgemeinen grammatischen Subjekt und Objekt sprechen kann. Die letztere These verlangt einige Erläuterungen. 8 Was die Beziehung des grammatischen Subjekts und des nominal ausgedrückten grammatischen Subjekts betrifft, so genügt es, sich auf die russische Sprache zu beziehen, in der zwischen der Verbalform und dem nominal ausgedrückten grammatischen Subjekt eine Kongruenz besteht und somit die Verbalform auf den Charakter des nominal ausgedrückten grammatischen Subjekts hinweist, wie z. B . in den Sätzen Ja id-u; Ty id-es'; On id-et usw. So wird das grammatische Subjekt in diesen Sätzen zweimal ausgedrückt — durch ein besonderes Wort, das in der Funktion des nominal ausgedrückten grammatischen Subjekts auftritt und durch einige grammatische Träger in der Personalendung des Verbums. In einem bestimmten Kontext, z. B . im Dialog, kann nun das nominal ausgedrückte grammatische Subjekt fehlen und dann bleibt als einziges Mittel zum Ausdruck des grammatischen Subjekts die Personalform des Verbums (Id-u; Id-es'; Id-et usw.). In der russischen Sprache wird in der Verbalform nur das allgemeine grammatische Subjekt ausgedrückt, während das allgemeine grammatische Objekt nur durch ein spezielles Wort ausgedrückt werden kann, das in der Funktion des nominal ausgedrückten grammatischen Subjekts erscheint. Aber es gibt Sprachen, in denen das allgemeine grammatische Objekt auch in der Verbalform ausgedrückt wird, z. B . in den Sprachen mit der Subjekt-Objekt-Konjugation des Verbums, wie im Cuköischen, Nencischen oder im Eskimoischen. In diesen Sprachen gibt es in der Verbform grammatische Elemente, die das allgemeine grammatische Subjekt und das allgemeine grammatische Objekt ausdrücken. 9 Das allgemeine grammatische Objekt der Handlung kann ebenfalls nur durch die Verbalform ausgedrückt werden. Vgl. die beiden nivchischen Sätze N'i igd' (ich tötete [ihn]) (¿in der Verbalform ist ein Pronominalelement des allgemeinen grammatischen Objekts) und N'i ligsk'id' (ich tötete den Wolf), wobei das allgemeine grammatische Objekt durch ein spezielles Wort ausgedrückt wird, das hier in der Funktion eines direkten nominal ausgedrückten grammatischen Objekts auftritt. In den Sprachen mit einer Subjekt-Objekt-Konjugation können in bestimmten Kontexten das nominal ausgedrückte grammatische Subjekt und das nominal ausgedrückte grammatische Objekt weggelassen werden,
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so daß in diesen Fällen das allgemeine grammatische Subjekt und Objekt nur durch eine Verbalform ausgedrückt wird. Es muß dabei hervorgehoben werden, daß wir bei dem Hinweis auf den Ausdruck des allgemeinen grammatischen Subjekt durch das nominal ausgedrückte grammatische Subjekt von der lexischen Bedeutung des Wortes absehen, das in dieser Funktion auftritt und es nur als eine Komponente der syntaktischen Struktur des Satzes heranziehen. Was nun die substantielle lexische Bedeutung des Wortes betrifft, das in der Funktion des nominal ausgedrückten Subjekts erscheint, so tritt es als ein Mittel zur Bezeichnung des realen Subjekts (Trägers) einer Handlung auf. Mutatis mutandis gilt dies auch für den Ausdruck des allgemeinen grammatischen Objekts durch das nominal ausgedrückte grammatische Objekt als Satzglied. Wie aus der oben angeführten Definition der Diathese hervorgeht, besteht keine eindeutige Beziehung zwischen den im weitesten Sinne des Wortes logischen Kategorien des Subjekts und des Objekts der Handlung einerseits und den grammatischen Kategorien des nominal ausgedrückten grammatischen Subjekts und Objekts andererseits. Je nach der Diathese des Verbums befinden sie sich in den verschiedenartigsten Beziehungen. Wenn also in der russischen Sprache im Aktiv das nominal ausgedrückte grammatische Subjekt das Subjekt der Handlung ausdrückt und das nominal ausgedrückte grammatische Objekt das Objekt der Handlung (Raboiie strojat dorn [Die Arbeiter bauen das Haus]), so haben wir im Passiv die umgekehrte Beziehung, das nominal ausgedrückte grammatische Subjekt drückt das Objekt der Handlung aus und das nominal ausgedrückte grammatische Objekt das Subjekt der Handlung (Dom stroitsja (po-stroen) raboöimi [Das Haus wird von den Arbeitern gebaut]). Bei dem reflexiv-medialen Verbum bezeichnet das nominal ausgedrückte grammatische Objekt das Subjekt der Handlung, das zugleich auch sein Objekt ist (Mal'öik umyvaetsja [Der Junge wäscht sich]). In vielen Sprachen gibt es auch noch andere Diathesen, wie z. B. eine Aufforderungsdiathese, eine Reziprokdiathese u. a.. Bei der Aufforderungsdiathese bezeichnet das nominal ausgedrückte grammatische Subjekt das Subjekt der Handlung, von dem nur die Aufforderung zur Ausübung einer entsprechenden Handlung ausgeht, die aber durch das Objekt der Aufforderung durchgeführt wird. Dementsprechend bezeichnet mit dieser Diathese das nominal ausgedrückte grammatische Subjekt das Objekt, an das die Aufforderung zur Ausübung einer entsprechenden Handlung gerichtet ist und das damit das Subjekt dieser Handlung ist. So haben wir beispielsweise im Nivchischen: Ifnax vigud' (Er veranlaßte mich, zu kommen). 15 Panfllov, Sprache und Denken
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Bei der reziproken Diathese bezeichnet das nominal ausgedrückte grammatische Subjekt das aus einigen Personen oder Tieren bestehende Subjekt der Handlung, deren einzelne Individuen gegenseitig bezogene Handlungen ausführen. Vgl. z. B . im Nivchischen: Benikxe Iulukxe ygrykon vyvd'gu (B. und I. sind schon lange verheiratet). So gibt die Kategorie der Diathese die Möglichkeit, die vielfältigen und manchmal sehr komplizierten Beziehungen zwischen Subjekt, Objekt und Handlung auszudrücken. Man muß dabei allerdings im Auge behalten, daß zwar mit der grammatischen Kategorie der Diathese zweifelsohne objektive Beziehungen zwischen Subjekt, Objekt und Handlung wiedergegeben werden, dies aber nicht ganz wesentliche Unterschiede zwischen den Diathesekategorien in den einzelnen Sprachen ausschließt. 1. können die einen oder die anderen Arten dieser Beziehungen sogar innerhalb ein und derselben Sprache auf verschiedene Weise wiedergegeben werden, was wir z. B. anhand des Aktivs und Passivs feststellen konnten, wobei im Aktiv das nominal ausgedrückte grammatische Subjekt das Subjekt der Handlung und das nominal ausgedrückte grammatische Objekt das Objekt der Handlung bezeichnet, während im Passiv das grammatische Subjekt das Objekt der Handlung und das grammatische Objekt das Subjekt der Handlung bezeichnet. 2. können diese Beziehungen nicht nur durch grammatische Mittel ausgedrückt werden, insbesondere durch Verbalformen, sondern auch umschreibend, d. h. nicht mit den sprachlichen Formen selbst. Während im Nivchischen nämlich eine besondere Verbalform besteht, deren Verwendung den Ausdruck der auffordernden Diathese ermöglicht, so wird diese Beziehung im Russischen umschreibend, d. h. durch ein Syntagma aus einzelnen Wörtern und nicht durch eine finite Verbform ausgedrückt. Man vergleiche den nivchischen und den russischen Satz Ifnax vigud' — On zastavil (poprosil) menja pojti (Er veranlaßte mich, zu kommen), wo dem russischen Syntagma zastavil (proposil) pojti im Nivchischen das Verbum vigud' in der auffordernden Diathese entspricht. Die Tatsache, daß ein und derselbe Typ der Subjekt-Objekt-Beziehung innerhalb einer Sprache auf verschiedene Art und Weise ausgedrückt werden kann (Passiv-Aktiv-Konstruktion bzw. auch in mehreren Sprachen unterschiedlich ausgedrückt wird, kann offensichtlich nicht mit rein sprachlichen Ursachen erklärt werden. Hermann Paul vertrat die Ansicht, daß die eine der Diathese-Strukturen des Satzes, und zwar die Passivkonstruktion, durch die Gliederung des Gedankens in ein psychologisches Subjekt und ein psychologisches Prädikat bedingt sei. „Die Anwendung desPassivums ermöglicht es daher, 226
ein psychologisches Subjekt, welches sonst die grammatische Form des Objektes annehmen müßte, auch zum grammatischen Subjekt zu machen, und dies ist ein Hauptgrund f ü r den Gebrauch der passivischen Konstruktion. "10 I n der Theorie der Ergativkonstruktion von H . Suchardt spielte die Annahme eine wichtige Rolle, daß in der Passivkonstruktion des Satzes das Nomen im Grundkasus (bei Suchardt der reine Nominalstamm), das das Objekt der Handlung bezeichnet, gleichzeitig auch das logische Subjekt ausdrückt und dem logischen Prädikat vorangestellt ist, während in dem seinem Charakter nach aktiven Satz das Nomen im Grundkasus gleichzeitig ein reales Subjekt, d. h. das Subjekt der Handlung, u n d das logische Objekt ausdrückt und ebenfalls dem logischen Prädikat vorangeht, während das Objekt der Handlung durch das Nomen im Akkusativ bezeichnet wird. 11 Noch bestimmter hat sich dazu K . G. Krusel'nickaja geäußert: „So wird die Anwendung des Passivs vor allem durch den kommunikativen Zweck der Aussage bestimmt. Das Passiv ist angebracht und manchmal auch notwendig, wenn das Patiens gegeben ist. Nach dieser Auffassung wird das Passiv als Ausdruck der Tendenz zur Unifikation der Form, in der das Gegebene auftritt, dargestellt, d. h. zur Beseitigung der Nichtübereinstimmung zwischen Form und Inhalt. Dadurch, daß das Patiens im Sinne der Aussage das Gegebene ist, wird es auch formal zum Subjekt, weil ja das grammatische Subjekt in der Mehrzahl der Fälle als das Gegebene in Erscheinung tritt." 1 2 Es gibt keinen Zweifel, daß in den verschiedenen Sprachen die Tendenz besteht, eine Entsprechung zwischen der Gliederung des Gedankens, der kommunikativen Leistung seiner einzelnen Komponenten und der grammatischen Formen ihres Ausdrucks herstellen. Insbesondere darf m a n annehmen, daß das grammatische Subjekt als Satzglied in den Sprachen als spezielle Form des Ausdrucks des Subjekts des Urteils, der Frage und Aufforderung entsteht. Deshalb ist auch die Annahme nicht grundlos, daß einer der Faktoren, die zur Entstehung der Passivkonstruktion in den verschiedenen Sprachen geführt haben, in dem Streben zu suchen ist, eine Entsprechung zwischen der grammatischen Form und der kommunikativen Leistung in denjenigen Fällen herzustellen, in denen das Objekt der Handlung der Gegenstand des Gedankens, sein Ausgangspunkt war und daß der Begriff des Handlungsobjekts als Subjekt des Gedankens auftrat. Allerdings gibt es, wie oben gezeigt wurde, in den Sprachen mit Ergativkonstruktion auch eine andere Tendenz: die Tendenz, dasjenige Satzglied in das Subjekt umzuwandeln, das das Subjekt der Handlung
bezeichnet, die durch ein transitives Verbum ausgedrückt wird und die, zumindest in der Mehrzahl der Sprachen mit Ergativkonstruktion, ein Nomen in einem indirekten Kasus darstellt. Indessen fällt — wie wir oben schon bemerkten — der Begriff des Subjekts eines Urteils, einer Frage oder Aufforderung nicht mit dem Begriff des Subjekts (Trägers) der Handlung zusammen, so daß die beiden oben genannten Tendenzen in verschiedene Richtungen wirken können. Offenbar führte die Übernahme der ersten Tendenz in den indoeuropäischen und in einer Reihe anderer Sprachen zur Entstehung der Passivkonstruktion. Dadurch erklärt sich wohl auch, daß in diesen Sprachen mit Ausnahme einiger iranischer und indischer Sprachen, in denen eine andere, spätere Entwicklung vorliegt, keine Ergativkonstruktion des Satzes existiert. 13 Die Annahme der zweitgenannten Tendenz führte zur Entstehung der Ergativkonstruktion des Satzes in einer Reihe paläoasiatischer und kaukasischer Sprachen, in denen aus diesem Grunde jetzt keine Passivkonstruktion des Satzes vorhanden ist. Allerdings kann sich die Situation auch noch verkomplizieren, wenn in der einen oder anderen Sprache beide Tendenzen in gleichem Maße wirksam sind, so daß in diesen Sprachen zugleich Ergativ-, Nominativ- und Passivkonstruktionen des Satzes vorhanden sind. Dies finden wir insbesondere in dem genannten Dialekt des Chantischen. E s ist wichtig zu bemerken, daß in der Ergativkonstruktion das Nomen im absoluten Kasus, das das Objekt der Handlung bezeichnet, wie auch das Nomen im Ergativ, das das Subjekt der Handlung bezeichnet, gewöhnlich als eines der organisierenden Zentren des Satzes auftritt, das seine Wiedergabe in der Verbalform durch besondere Elemente innerhalb der Verbform erfährt. Dies diente zur Begründung der Auffassung, daß das direkte Objekt in der Ergativkonstruktion neben dem grammatischen Subjekt im Ergativ das Hauptglied des Satzes ist. So stimmt z. B. in der Eskimosprache das Prädikatsverb in der Ergativkonstruktion in Person und Numerus mit dem grammatischen Subjekt überein, das durch ein Nomen im Relativkasus ausgedrückt wird und das Subjekt der Handlung bezeichnet, als auch mit dem grammatischen Objekt, das durch ein Nomen im absoluten Kasus ausgedrückt wird und das Objekt der Handlung bezeichnet. Vgl.Jugym agljataqa pana (Der Mensch trägt einen Speer); Jugyt agljataqat pana (Die Menschen tragen einen Speer); Jugyt agljataqit panat (Die Menschen tragen Speere) usw. 14 In analogen Fällen ist für die Entscheidung darüber, welches dieser Satzglieder das grammatische Subjekt ist, im wesentlichen der Umstand entscheidend, daß das Nomen im obliquen Kasus das Subjekt der Handlung ausdrückt. Die Materialien der verschiedenen Sprachen ermöglichen die Unterscheidung einiger 228
Stufen, die gewissermaßen zwischen passiver, ergativer und nominativer Satzkonstruktion liegen. Im Chantischen gibt es, wie schon erwähnt, eine Passivkonstruktion des Satzes, in der das Verbum nur mit dem grammatischen Subjekt im absoluten Kasus, der das Objekt der Handlung bezeichnet, übereinstimmt. Außerdem gibt es zwei Typen der Ergativkonstruktion, wobei im ersten das Prädikatsverb sowohl mit dem grammatischen Subjekt im Lokativ, das das Subjekt der Handlung bezeichnet, übereinstimmt, als auch mit dem grammatischen Objekt im absoluten Kasus, das das Objekt der Handlung bezeichnet. Im zweiten Ergativtyp stimmt das Verbum nur mit dem grammatischen Subjekt im Lokativ überein, das das Subjekt der Handlung bezeichnet. Im Nivchischen gibt es kein Passiv, aber es findet sich in Ansätzen eine Ergativkonstruktion. In dieser Sprache tritt das grammatische Subjekt sowohl beim intransitiven als auch beim transitiven Verbum gewöhnlich im absoluten Kasus auf und diese Kasusform hat auch das direkte Objekt des transitiven Verbums. In einigen Mundarten dieser Sprache kann das grammatische Subjekt jedoch sowohl bei bestimmten transitiven als auch intransitiven Verben nicht nur im absoluten Kasus, sondern auch in der Form des Lokativ-Ablativ auftreten. 15 Im Cuköischen gibt es nur einen Typ der Ergativkonstruktion. Bei dieser Konstruktion stimmt das Prädikatsverb in Person und Numerus sowohl mit dem grammatischen Subjekt im Ergativ (Instrumental) als auch mit dem grammatischen Objekt im absoluten (direkten) Kasus überein. Dennoch kann in dieser Sprache beim transitiven Verbum auch die Nominativkonstruktion verwendet werden, in der das Verbum in Person und Numerus mit dem grammatischen Subjekt im absoluten (direkten) Kasus übereinstimmt, das das Subjekt der Handlung bezeichnet und nur einen allgemeinen Hinweis auf das Objekt der Handlung gibt, das durch das Nomen in einem indirekten Kasus (Instrumental, Dativ, Direktiv oder Lokativ) bezeichnet wird. Z. B . Öavöyvy-ta (Instrumental) na-pelja-nat qaa-t (direkter Kasus) und Caviyva-t (direkter Kasus) ena-pelja-g'at qaa-ta (Instrumental), was bedeutet: „Die Nomaden ließen die Rene zurück". 16 Wenn wir uns schließlich der georgischen Sprache zuwenden, so sehen wir, obwohl das grammatische Subjekt beim transitiven Verbum im Gegensatz zum grammatischen Subjekt beim intransitiven Verbum in einem speziellen Ergativkasus stehen kann, daß in diesem Kasus keine zweitrangige Satzglieder mehr stehen können, während in den paläoasiatischen Sprachen, wie im Cuköischen und Eskimoischen im Ergativ auch sekundäre Satzglieder auftreten können. Daraus folgt, daß die 229
georgische Ergativkonstruktion der nominativen näher steht als dies in den genannten paläoasiatischen Sprache der Fall ist. Der Ergativ nimmt im Georgischen eine andere Stelle im Paradigma der Deklination ein als der Ergativ im Eskimo oder im Cuköischen.17 So darf man annehmen, daß die syntaktische Struktur der d i a b e tischen Konstruktion des Satzes, wie das Passiv, genetisch durch die logische Struktur des Urteils bestimmt wird. Da das Objekt der Handlung zugleich als Gegenstand des Gedankens erscheint und das grammatische Subjekt diejenige sprachliche Kategorie ist, die in der Sprache als Mittel zum Ausdruck des logischen Subjekts herausgebildet wird, so entsteht zwangsläufig die Tendenz, die Form des Nomens, das ein solches Objekt der Handlung bezeichnet, mit seiner kommunikativen Leistung in Beziehung zu setzen. Daraus folgt jedoch nicht, daß in der passiven Satzkonstruktion der einen oder anderen Sprache in ihrer gegenwärtigen Etappe das grammatische Subjekt, das das Objekt der Handlung bezeichnet, immer das logische Subjekt zum Ausdruck bringt. Nach ihrer Entstehung kann sich die Divergenz zwischen dem grammatischen und dem logischen Subjekt auch auf die passive Satzkonstruktion erstrecken, so daß beispielsweise, wie im Russischen, das grammatische Subjekt, das das Objekt der Handlung in der passiven Satzkonstruktion bezeichnet, nicht nur das logische Subjekt, sondern auch das logische Prädikat ausdrücken kann (Amerika wurde von Kolumbus entdeckt und Von Kolumbus wurde nicht Indien, sondern Amerika entdeckt).
Nachwort
Die oben durchgeführte Analyse erlaubt es, einige Schlußfolgerungen hinsichtlich der Charakteristik der grammatischen (syntaktischen) und logisch-grammatischen Ebene der Sprache und ihrer gegenseitigen Beziehung sowie hinsichtlich der Charakteristik des Satzes als sprachlicher Einheit und der Wechselbeziehung von Sprache und Denken im ganzen zu ziehen. Die logisch-grammatische Ebene der Sprache basiert auf dem Ausdruck der logischen Formen des Denkens und ihrer Strukturkomponenten durch spezielle sprachliche Mittel. In diesem Zusammenhang haben wir die logische Phrase (Urteil, Frage, Aufforderung) und ihre Strukturkomponenten — Subjekt und Prädikat — zu betrachten. 1 Der Satz, d. h. die logische Phrase (Urteilssatz, Fragesatz, Aufforderungsatz) und ihre Komponenten d. h. das logische, genauer gesagt, das logischgrammatische Subjekt und Prädikat, sind Erscheinungen der logischgrammatischen Ebene der Sprache. In der Mehrzahl der Sprachen wird durch spezielle sprachliche Mittel das logisch-grammatische Prädikat und das logisch-grammatische Subjekt nur in den Fällen fixiert, in denen es nicht mit dem grammatischen Subjekt zusammenfällt, das in der Struktur des Satzes — der logischen Phrase — rein negativ, im Gegensatz zum logisch-grammatischen Prädikat ausgedrückt wird, d. h. durch die Nullfunktion charakterisiert ist. Das grammatische Subjekt und Prädikat, die sprachliche Kategorien sind, gehören zur syntaktischen Ebene der Sprache und stellen die grammatisch organisierenden Zentren des Satzes dar, die in jeder Sprache einander gegenübergestellt werden durch bestimmte grammatische und vor allem morphologische Merkmale. Die Komponenten der syntaktischen Ebene der Sprache — das grammatische Subjekt und das grammatische Prädikat — treten in der Sprache als spezifische sprachliche Form des Ausdrucks des logischen Subjekts und des logischen Prädikats als Strukturkomponenten der logischen 231
Phrase auf. Die besondere Form des grammatischen Subjekts im Ergativ neben dem Subjekt im Nominativ oder im Absolutiv in den Sprachen mit der Ergativkonstruktion des Satzes entsteht als Folge der Tendenz, dasjenige Satzglied zum Subjekt zu machen, das das logische Subjekt der Handlung bezeichnet. So übt in diesen Sprachen nicht nur die Kategorie des logischen Subjekts, sondern auch die Kategorie des Subjekts der Handlung ihren Einfluß auf die Bildung des grammatischen Subjekts als Satzglied aus. In seiner letzten Arbeit, die der Ergativkonstruktion des Satzes gewidmet ist, bemerkte 1.1. Meüsöaninov, daß „im syntaktischen Bau des Satzes seine Glieder, zu denen auch das grammatische Subjekt gehört, auftreten. Das grammatische Subjekt wird im Ergativsatz durch seine besondere Bezeichnung gebildet, die ihm durch ein solches syntaktisches System gegeben ist. Die durch das grammatische Subjekt erhaltene grammatische Form drückt nicht die syntaktische Stellung des Satzgliedes aus, sondern den Inhalt des mit dem grammatischen Subjekt wiedergegebenen logischen Subjekts. Das logische Subjekt manifestiert sich sowohl in seiner Handlung als auch in dem durch die Handlung erkannten Zustand. Ihr unterschiedlicher Inhalt spiegelt sich in der grammatischen Form des Satzglieds wider, was bei seiner Wiedergabe keineswegs nur der syntaktischen Satzgliederung entspricht." 2 Ein Nomen im Ergativ, meist in einem obliquen Kasus, das das Subjekt einer Handlung oder eines Zustandes bezeichnet, wird zum grammatischen Subjekt, sobald es die Eigenschaft eines der organisierenden Zentren des Satzes (neben dem grammatischen Prädikat) erhält. Da infolge der relativen Selbständigkeit der Entwicklung und der funktionalen Eigenschaft der Sprache eine Divergenz zwischen der logischen Leistung der Satzglieder und ihrer ursprünglichen Grundfunktion entsteht, die durch grammatische Mittel fixiert wird, die letztlich zu ihrer Konstitution als Satzglied beitragen, entstehen im Laufe der Zeit spezielle sprachliche Mittel, durch die jene logische Leistung der Satzglieder eine feste Zuordnung erfährt, die nicht ihrem historisch entstandenen sprachlichen Wesen entspricht. Zu solchen sprachlichen Mitteln gehören der logische Akzent, spezielle Hilfswörter, besondere Morpheme und andere grammatische Mittel, die das logisch-grammatische Prädikat und in einigen Sprachen auch das logisch-grammatische Subjekt hervorheben, wenn sie nicht durch das entsprechende grammatische Prädikat (Prädikatsgruppe) und grammatische Subjekt (Subjektsgruppe) ausgedrückt werden. Der Charakter der hierzu benutzten sprachlichen Mittel hängt in bestimmtem Maße mit den typologischen Besonderheiten der Sprache zusammen (s. o. S. 135). 232
Mit anderen Worten findet neben der Morphologisierung der Satzglieder, die der Funktion auf syntaktischer Ebene dient, in den Sprachen auch eine Morphologisierung der bedeutungstragenden Komponenten des Satzes statt, die ein Mittel zum Ausdruck ihrer Funktion auf der logischgrammatischen Ebene ist. Die Morphologisierung der bedeutungstragenden Komponenten auf der syntaktischen Ebene ist weniger frei als auf der logisch-grammatischen Ebene. So haben außer dem logischen Akzent, durch den das logisch-grammatische Prädikat hervorgehoben werden kann, das durch eine beliebige bedeutungstragende Komponente ausgedrückt wird, in nahezu ebenderselben Weise in dieser Hinsicht die verschiedenartigen Modalwörter universalen Charakter. Was die speziellen hierfür verwendeten Morpheme betrifft, so erweist sich ihr Funktionsbereich als überaus weit. So kann z. B . im Nivchischen der Träger des logisch-grammatischen Prädikats in Sätzen mit der modalen Bedeutung der einfachen Sicherheit -ta, -ra, -da an irgendein bedeutungstragendes Wort mit beliebiger Flexionsform, mit Ausnahme des Partizips, in attributiver Funktion angefügt werden. Im Unterschied dazu trägt die Verbindung zwischen der Funktion bedeutungstragender Wörter auf der syntaktischen Ebene und den morphologischen Kategorien starreren Charakter. So kann in der Funktion des grammatischen Subjekts im Russischen nur das Nomen im Nominativ auftreten. Man muß allerdings annehmen, daß eine solche Beziehung in Sprachen des synthetischen Typs vorhanden ist. I n den Sprachen, in denen die synthetischen Züge eine unbedeutende Entwicklung erfuhren, wie z. B . im Burmesischen, bildeten sich besondere Partikel heraus, die als Träger der Satzglieder auf treten und keine starre Verbindung mit irgendeiner grammatischen Klasse der bedeutungstragenden Wörter aufweisen. Wie 1 . 1 . Mesöaninov bemerkt, führt in den Sprachen dieses Typs „die grammatische Form des Wortes innerhalb eines Satzes zur Verwendung von Hilfspartikeln, die in ihrer Funktion den Flexionsmorpheme nahekommen, aber kein selbständiges Wort im Satz bilden, sondern eines seiner Glieder sind. Die Hilfspartikeln, die als syntaktische Funktionsträger auftreten, bilden keine flektive Struktur des Wortes und nehmen gleichzeitig auch keine selbständige Stellung im Satz ein; sie behalten eine enge Verbindung mit dem durch sie hervorgehobenen grammatischen Subjekt, grammatischen Prädikat, dem direkten und indirektem Objekt und bleiben amorph." 3 Die Unterscheidung der beiden Satzebenen — der syntaktischen und der logisch-grammatischen — erweist sich als notwendig, weil es wesentliche Unterschiede zwischen den Strukturen dieser beiden Ebenen und den sie charakterisierenden Kategorien gibt.
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Der Unterschied der Strukturen in diesen Ebenen und der sie charakterisierenden Kategorien zeigt sich vor allem darin, daß das grammatische Subjekt und Prädikat als organisierende Zentren der syntaktischen Ebene des Satzes oft nicht mit dem logisch-grammatischen Subjekt und Prädikat als den Strukturkomponenten des Satzes auf der logisch-grammatischen Ebene zusammenfallen und ebenso nicht die grammatische Prädikativität und der Modus entsprechend mit der logischen Prädikativität und der logisch-grammatischen Modalität. So haben wir z. B. in der synthetisch-agglutinierenden nivchischen Sprache das folgende Satzpaar: Ytyk p'rybar (Der Vater kam natürlich); Ytyk habar p'ryd' (Natürlich, der Vater kam). Im ersten dieser beiden Sätze wird das logische Subjekt durch das grammatische Subjekt Ytyk (Vater) ausgedrückt und das logische Prädikat durch das verbale Prädikat •p'rybar (kam natürlich) in Form des kategorischen Modus, dessen Träger das Suffix -bar ist. Im zweiten Satz wird das logische Prädikat durch das grammatische Subjekt Ytyk habar (natürlich, der Vater) ausgedrückt, wobei habar das Hilfsverb had' („sein") in Form des kategorischen Modus ist, und das logische Subjekt wird durch das Prädikatsverb p'ryd' („kam") in Form des Indikativs ausgedrückt. So fallen im zweiten Satz entsprechend dem Niehtzusammenfallen des logischen Subjekts mit dem grammatischen Subjekt und des logischen Prädikats mit dem grammatischen Prädikat die Prädikativität und die logisch-grammatische Modalität (die kategorische Sicherheit) auch nicht mit der grammatischen Prädikativität und dem Modus zusammen (das Verb hat die Form des Indikativs, der durch die einfache Sicherheit ausgedrückt wird). In entsprechenden Sätzen des Russischen, einer synthetisch-fusionierenden Sprache, steht dagegen bei einer analogen Entsprechung der Strukturkomponenten der syntaktischen und der logisch-grammatischen Ebene das verbale Prädikat im Gegensatz zum Nivchischen in beiden Fällen im Indikativ, und die Modalität der kategorischen Sicherheit wird durch das Modalwort koneöno ausgedrückt, das in jedem der Sätze einen anderen Platz einnimmt, je nachdem, zu welchem Satzglied es gehört, mit dem das logische Prädikat ausgedrückt wird. Daneben existieren in Sprachen des synthetischen Typs Satztypen, die eine logisch-grammatische Gliederung haben, aber kein grammatisches Subjekt und Prädikat unterscheiden. So hat z. B . im Russischen das Modell der Sätze, die eine quantitative Charakteristik von Gegenständen wiedergeben und kein grammatisches Subjekt und Prädikat unterscheiden, in der Mehrzahl der Fälle eine logische SubjektPrädikat-Struktur, was graphisch gewöhnlich durch einen Gedankenstrich 234
zwischen den entsprechenden Satzkomponenten ausgedrückt wird. So z. B . die Sätze Lyinikov — sotni (Der Skifahrer sind es hundert); Kamensiikov — öto much (Maurer gibt es wie Fliegen); Oostej — prud prudi (Gäste wie Sand am Meer) usw. Andererseits gibt es Sätze mit grammatischem Subjekt und Prädikat, die keine logisch-grammatische Gliederung haben (eingliedrige Phrasen nach der Definition L. V. Söerbas), weil sie das Neue insgesamt wiedergeben. So z . B . S ä t z e wie: Qrctöi prileteli; Nastupila vesna; Posli parochody usw. Die Beziehung zwischen syntaktischer und logisch-grammatischer Gliederung des Satzes hat in den Sprachen der verschiedenen Typen unterschiedlichen Charakter. In den synthetischen Sprachen gibt es infolge der Morphologisierung der Satzglieder bedeutende Divergenzen zwischen diesen beiden Arten der Satzgliederung. Bei den analytischisolierenen Sprachen, bei denen eine deutlich ausgedrückte Morphologisierung der Satzglieder nicht vorhanden ist, bleibt auch die Frage nach den Prinzipien der Hervorhebung der syntaktischen Satzglieder weiterhin umstritten. Die logisch-grammatische Gliederung des Satzes spielt in diesen Sprachen zweifellos eine bedeutend größere Rolle als in den synthetischen Sprachen. Bei der Ermittlung der Struktur des gesamten Satzes wird von den Spezialisten dieser Sprachen nicht selten eine syntaktische Satzgliederung zugrunde gelegt, was sich prinzipiell als unrichtig erweist. In bezug auf die Sprachen dieses Typs ist zumindest die Behauptung berechtigt, daß der Grad der Gegenüberstellung von syntaktischer und logisch-grammatischer Ebene des Satzes geringer sein dürfte als bei den synthetischen Sprachen. Insbesondere stellt der bekannte Sinologe A. A. Dragunov fest, daß im Chinesischen (einer analytisch-agglutinierenden Sprache) „Sätzen dieser Art, . . . , die klar ausgeprägte Tendenz zugrunde liegt, den Unterschied zwischen dem logischen und dem grammatischen Prädikat zu beseitigen, all das ins grammatische Prädikat zu verwandeln, was auch logisch für den Sprechenden am wichtigsten ist." Außerdem besteht eine Tendenz, dasjenige Wort, das das logische Subjekt ausdrückt, zum grammatischen Subjekt zu machen. Z. B. erhält der Satz Ta lcan zhongguo bao („Er liest chinesische Zeitungen") bei der logischen Hervorhebung von zhongguo bao („chinesische Zeitungen") die Form Ta kande shi zhongguo bao („Das von ihm Gelesene sind chinesische Zeitungen"), wobei das Verb lcan durch das Nominalsuffix -de gebildet wird und vor das gegenständliche Syntagmadie Kopula shi gestellt wird.4 Der Grad der Nichtübereinstimmung zwischen der syntaktischen und der logisch-grammatischen Ebene des Satzes variiert nicht nur in den 235
Sprachen der verschiedenen Typen, sondern auch in den verschiedenen Stilarten ein und derselben Sprache. Insbesondere muß man darauf hinweisen, daß die Spezifik der wissenschaftlichen und technischen Literatur darin besteht, daß die beiden Strukturen in bedeutend geringerem Maße voneinander abweichen als in anderen Literaturgattungen. In der wissenschaftlichen und technischen Literatur „paßt sich" die syntaktische Ebene des Satzes in größerem Maße der Forderung nach einem Ausdruck der logischen Struktur des Gedankens an. Insbesondere findet damit die Tatsache der breiten Verwendung von Sätzen mit ausgedrücktem Prädikat in der wissenschaftlich-technischen Literatur seine Erklärung; die grundlegende gedankliche Funktion übernimmt der nominale Teil, während das Yerbum mit einer abgeschwächten lexischen Bedeutung auftritt und im wesentlichen die Rolle der Verknüpfung übernimmt.5 Wesentlich für die Beziehung zwischen syntaktischer und logisch-grammatischer Ebene der Sätze ist, daß im Prozeß der Wechselwirkung von Sprachen bei Zweisprachigkeit neben anderen Veränderungen auf dem Gebiete des grammatischen Baus dieser Sprachen eine Tendenz zum Übergang vom synthetischen zum analytischen Bau festzustellen ist, d. h. letzten Endes, zur Schwächung des Grades der Nichtübereinstimmung zwischen der syntaktischen und der logisch-grammatischen Ebene des Satzes, ja zur Aufhebung dieser Nichtübereinstimmung der Ebenen und der sie charakterisierenden Kategorien (grammatische Prädikativität und logische Prädikativität, Modus und logisch-grammatische Modalität.). U. Weinreich, der zahlreiche Fälle der grammatischen Interferenz untersucht hat, die bei den unterschiedlichsten Sprachen zu finden sind, schreibt: „Es ist charakteristisch, daß bei der Interferenz zweier grammatischer Modelle gewöhnlich ein Modell existiert, das relativ freie und invariante Morpheme in seinem Paradigma verwendet, sozusagen das mehr explizite Modell, das als Muster für die Nachbildung dient . . . Der umgekehrte Typ der Veränderung — die Veränderung des grammatischen Systems in Richtung auf die weniger expliziten Formen — wird im allallgemeinen sehr selten angetroffen." 6 In der Arbeit Weinreichs werden auch Fälle angeführt, in denen als Ergebnis der Interferenz grammatische Kategorien oder einzelne Komponenten der grammatischen Kategorien verschwinden. Besonders erwähnen die Spezialisten der irischen Sprache die zunehmende Vereinfachung (banalization) des Irischen, d. h. ein Anwachsen der Züge eines analytischen Baus unter dem Einfluß des Englischen (einem analytisch-flektiven Typ) in den Gebieten, in denen die Bevölkerung sowohl Irisch als auch Englisch spricht.7 236
Die Möglichkeit und der Grad der Realisierung der Tendenz zur Entstehung einer größeren Übereinstimmung zwischen sprachlichen Einheiten und Einheiten des Denkens, zwischen der syntaktischen und der logischgrammatischen Ebene des Satzes werden durch linguistische und die verschiedensten extralinguistischen (sozial-ökonomischen, politischen, kulturgeschichtlichen, religiösen usw.) Faktoren bestimmt, die im Prozeß der Wechselwirkung der Sprachen bei Zweisprachigkeit wirksam sind. Am stärksten wird die o. g. Tendenz offensichtlich bei der Bildung sogenannter hebrider Sprachen vom Typ des Pidgin-English, des KruEnglish u. a., die einen begrenzten gegenständlich-funktionalen Anwendungsbereich haben. Diese hebriden Sprachen, die im wesentlichen auf dem Gebiete des Handels verwendet werden, entstehen unter den Bedingungen einer sehr oberflächlichen Kenntnis der beiden Sekundärsprachen und erweisen sich als fast völlig frei von obligatorischen Kategorien, die durch verbundene Morpheme ausgedrückt werden, in deren Rolle freie und nichtobligatorische Formen auftreten.8 Auf diese Weise erhält der analytische Bau in solchen Sprachen einen hohen Entwicklungsgrad.9 Die Identität von Sätzen auf der syntaktischen Ebene ist nicht mit der Identität dieser Sätze auf der logisch-grammatischen Ebene gleichzusetzen, weil im Falle des identischen Bestandes der syntaktischen Glieder eines Satzes, bei deren konkretem verbalen Ausdruck der Satz in logischgrammatischer Betrachtungsweise verschiedene Gedanken ausdrücken und eine unterschiedliche Struktur haben kann. So kann z. B . der Satz Otec priechal vöera („Der Vater kam gestern an") ohne Veränderungen auf syntaktischer Ebene drei unterschiedliche Gedanken wiedergeben, je nachdem, welches der Satzglieder mit Hilfe des logischen Akzents hervorgehoben wird und hat damit eine jeweils andere Struktur auf der logisch-grammatischen Ebene: 1 .Otec priechal vöera; 2. Otec priechal viera; 3. Otec priechal vöera. Im ersten der Sätze wird das logischgrammatische Prädikat durch das Subjekt, otec, ausgedrückt, während das Syntagma priechal vöera das logisch-grammatische Subjekt ausdrückt. Im zweiten Satz wird das logisch-grammatische Prädikat durch das grammatische Prädikat priechal und die ihm angeschlossene adverbiale Bestimmung viera ausgedrückt, während das logisch-grammatische Subjekt vom Subjekt, otec, bezeichnet wird. Schließlich wird im dritten Satz das logisch-grammatische Prädikat durch das Adverb vöera, das logisch-grammatische Subjekt dagegen durch das Syntagma otec priechal ausgedrückt. 237
Gleichzeitig wird die Identität dieser Sätze auf der syntaktischen Ebene erhalten und die formal-syntaktische Beziehung zwischen den Satzgliedern erfährt keinerlei wesentliche Veränderungen. In Anbetracht dieses Umstandes bemerken die Autoren der Grammatik: „Die grammatische Lehre von den Haupt- und Nebengliedern des Satzes stellt nur ein äußeres, formales Schema des Satzbaus auf, während in der lebendigen gesellschaftlichen Praxis in ein und demselben Satz Subjekte und Prädikate verschiedener Urteile in unterschiedlicher Weise zum Ausdruck kommen, die lebendige bewegliche Zentren des Gedankens und der Rede sind." «> Man muß auch darauf hinweisen, daß die Veränderung der logischgrammatischen Gliederung des Satzes auch zum Umbau seiner syntaktischen Struktur und zur Veränderung der Flexionsformen der Wörter, die bestimmte Satzglieder ausdrücken, führen kann. So wird z. B. im Nivchischen bei einer Veränderung des logischen Akzents bei ein und demselben Satz das Prädikativsuffix -taj-raj-da in entsprechender Weise verändert: 1. Ytykra nymr p'ryd' („Der Vater kam gestern"); 2. Ytyk nymr pryd'ra („Der Vater kam gestern"); 3. Ytyk nymrta p'ryd' („Der Vater kam gestern"). Eine noch bedeutendere Veränderung auf der syntaktischen Ebene erfährt der Satz bei einer Veränderung der logisch-grammatischen Gliederung, wenn sie nicht durch die Modalität der einfachen Sicherheit charakterisiert wird, wie dies in den angeführten Beispielen der Fall ist, sondern durch die Modalität der kategorischen Sicherheit, so z. B. Ytyk habar nymr p'ryd' („Natürlich kam der Vater gestern") und Ytyk nymr p'rybar („Der Vater kam natürlich gestern"). Im ersten Satz wird das logisch-grammatische Prädikat durch das grammatische Subjekt Ytyk ausgedrückt, nach dem das Hilfsverb hadf in der Form des kategorischen Modus steht, während im zweiten Satz das logisch-grammatische Prädikat durch das Prädikatsverb ausgedrückt wird und deshalb in der Form des kategorischen Modus erscheint. Wir haben oben schon Beispiele aus dem Abchazischen angeführt, in denen das Verbum in der Infinitiv-Form steht, wenn das logischgrammatische Prädikat nicht durch das Prädikatsverb, sondern durch irgendein anderes Satzglied ausgedrückt wird; bei dem Satzglied, das das logisch-grammatische Prädikat ausdrückt, muß die Kopula aup stehen, die das Klassenmerkmal erhält, das dieses Satzglied wiedergibt. So z. B. 1. Nina iax'a askol ax' diccakny dcoit („Nina heute in die Schule [sie] geht eilig") und 2. Nina loup iax'a askol ax' iccakny ico („Nina [sie] ist heute in die Schule [sie] eilt [welche] gehend"). Im ersten Satz wird eine einfache Feststellung der Tatsache ohne logische Hervorhebung irgend238
eines Gliedes getroffen; das Gerund dyccakny und das Prädikatsverb dcoit mit seinen Klassenmerkmalen (d-) gibt das Subjekt Nina wieder; das Verbum in der Funktion des grammatischen Prädikats wird in der finiten Form wiedergegeben. Bei der logischen Hervorhebung des Prädikatsverbs steht danach die Kopula au I n dieser Hinsicht ist auch das folgende Verfahren zur Bezeichnung einer größeren Menge von Interesse, das wir in einem Folkloret ext bemerkt h a b e n : Pttkyr n'o naqr tyj n'lami solni hara imyd' ( = E r gab ihm einen riesigen Speicher und auch die Hälfte der Mari-Hirsche [mari ist ein Ort in der Taiga, wo Rene weiden — der Übers.]). e® S. auch L. Levy-Bruhl, a. a. O., S. 95-119. 61 Wilhelm von Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts, Darmstadt 1949, S. 25. 62 Die Mitteilung über die Eskimosprache (Öaplinischer Dialekt) und über die nencische Sprache, deren Wortbestände z. Zt. schon ziemlich gut erforscht sind, erhielten wir von G. A. Menovsöikov und M. N. Teresöenko; vgl. a u c h : G. A. Menovsöikov, 0 nekotorych social'nych aspektach ävoljucii jazyka, im Sammelband „Voprosy social'noj lingvistiki", Leningrad 1969. 63 Besonders illustrativ sind dazu die 21 Demonstrativpronomina in der Eskimosprache, von denen jedes auf eine räumliche Situation des ent-
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eprechenden Gegenstandes hinweist, was für eine schnelle Orientierung des Jägers vorteilhaft ist. (Vgl. G. A. Menovscikov, Ukazatel'nye mestoimenija v äskimosskom jazyke, Nr. 1, 1955.) 64 Dies schließt indessen nicht aus, daß bei den primitiven Menschen Begriffe vom Typ „Baum" usw. existiert hätten, d. h. Begriffe, die einen ebenso breiten Kreis von Erscheinungen widergespiegelt haben, wie dies bei den entsprechenden Begriffen des heutigen Menschen der Fall ist. Allerdings waren diese Begriffe in sich nicht ausdifferenziert, d. h. sie schlössen in sich nicht irgendwelche speziellen (Art-) Begriffe ein und waren demzufolge auch keine Gattungsbegriffe im strengen Sinne des Wortes. Wie sprachliche Fakten bezeugen, vollzog sich die Entstehung von Gattungsbegriffen 1. auf dem Wege der Generalisierung, der Erweiterung des Inhalts bestehender Begriffe, und 2. auf dem Wege der Differenzierung der Begriffe, die einen breiten Kreis von Erscheinungen umfaßten, in speziellere Begriffe. Die Geschichte der Bedeutungsentwicklung der Wörter liefert zahlreiche Beispiele f ü r die Bildung von Gattungsbegriffen auf dem 1. Wege. Was die 2. Bildungsart betrifft, so ist die Geschichte des Entstehens von Wörtern mit der Bedeutung „Mensch" besonders interessant. Dazu gehört auch die Selbstbenennung der entsprechenden Völker. I n vielen Sprachen wird die Benennung für Mensch und die Selbstbenennung des Volkes durch ein und dasselbe Wort wiedergegeben. I n einer Reihe von Sprachen bezeichnet die Selbstbenennung des Volkes wörtlich „der Mensch hier". Das besagt, daß der Begriff Mensch ein Gattungsbegriff wurde. Er verallgemeinert die Begriffe der verschiedenen Völker im Zuge einer späteren Differenzierung des jeweiligen Begriffs, der durch die erwähnten Wörter bezeichnet wurde. (Vgl. V. Z. Panfilov, O samonazvanii nivchov i nazvanijach nivchov u sosednich narodov, im Sammelband „Ätnonimy", Moskva 1970). 65 Unbegründet ist die Behauptung von D. A. 2danov, daß wir in unserem Artikel „K voprosu o sootnosenii jazyka i myslenija" etwa folgende These aufgestellt h ä t t e n : daß 1. „die Entstehung der Begriffe, die sich qualitativ nicht von den heutigen Begriffsformen unterscheiden (diese und die folgende Hervorhebung von uns — V. P.), zur allerersten E t a p p e der Entwicklung des menschlichen Denkens gehöre" und daß 2. „der Lautkomplex der frühen Hominiden nicht Vorstellungen, sondern von Anfang an isolierte Begriffe ausgedrückt habe." (Vgl. D. A. 2danov, Vozniknovenie abstraktnogo myslenija, S. 33, 80). I n Wirklichkeit wird in diesem Artikel auf den elementaren und undifferenzierten Charakter der primitiven Begriffs. bildung und auf das Fehlen von Gattungsbegriffen in den ersten Etappen der Entwicklung des abstrakten verallgemeinernden Denkens hingewiesen (vgl. „Myslenie i jazyk", S. 146—147). Es ist nirgends davon die Rede, daß zwischen den anfänglichen Begriffen keinerlei logische Verbindungen bestanden hätten, es wurde lediglich darauf hingewiesen, daß zwischen ihnen keine strenge und eindeutige Verbindung existierte (a. a. O., S. 146).
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E . V. Sorochova, Materialisti6eskoe uöenie I. P. Pavlova o signal'nych sistemach, Moskva 1955, S. 134, 177. 07 E. M. Galkina-Fedoruk, Sovremennyj russkij jazyk. Leksika, Moskva 1954, S. 45; s.a. L. A. Bulachovskij, Vvedenie v jazykoznanie, Teil I I , Moskva 1953, S. 20. 68 N. Gr. Komlev, Komponenty soderzatel'noj struktury slova, Moskva 1969, S. 109. 89 V. I . Bezrukov, Slovo i ego otnosenie k pervoj signal'noj sisteme, „U£. zap. kaf. russkogo jazyka", Ausgabe 1, T j u m e n ' 1960, S. 168; s. a. V. I . Bezrukov, Zna6enie kak vyrazenie edinstva öuvstvennogo i rational'nogo. — I m Sammelband „Nekotorye voprosy leksikologii i grammatiki", T j u m e n ' 1960. 70 W. I . Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, Werke, Bd. 14, Dietz Verlag, Berlin 1970, S. 42—43 [das Zitat wurde der Vollständigkeit halber als ganzer Satz zitiert. — d. Üb.] (Hervorhebung von uns — V. P.). 71 W . I . Lenin, Aus dem philosophischen Nachlaß, Werke, Bd. 38, S. 340. « W. I . Lenin, ebenda, S. 73. 73 I . M. Secenov, Izbrannye filosofskie i psichologiöeskie proizvedenija, Moskva 1947, S. 497. 74 W. v. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues. . . S. 52-53. 7 5 W. I . Lenin, Werke, Bd. 38, S. 261, 264. 76 I . P . Pavlov, Sämtliche Werke, Band III/2, Akademie-Verlag Berlin 1953, S. 551. 77 I. P. Pavlov, ebenda, S. 466 [letzter Satz vollständig zitiert — d. Übers.]. 78 So hat er in einem seiner Mittwochskolloquien gesagt: „Damit (mit dem Entstehen des 2. Signalsystems — V. P.) wurde es möglich, von der Realit ä t zu abstrahieren, indem man die Empfindung durch das Wort ergänzte. Dies fährte zu Verallgemeinerungen, bei denen das Wort die Masse der Empfindungen zum Zwecke der Bildung von Begriffen wie z. B. Materie, Zeit, Raum usw. ersetzt." (Pavlovskie sredy, Bd. 1, Moskva — Leningrad 1949, S. 239). 79 Vgl. V. V. Bunak, NaSal'nye ätapy razvitija myslenijd i re6i po dannym antropologii, „Sovetskaja ätnografija", 1951, Nr. 3. »o K . Marx/F. Engels, Werke, Bd. 20, S. 446-447. 81 S. J a . Kogan, der unseren Standpunkt über den prinzipiell unterschiedlichen Charakter der Beziehung des sinnlich-anschaulichen und des abstrakten Inhalts des Denkens zur Sprache sowohl in der synchronischen als auch in der diachronischen Betrachtungsweise übernimmt, glaubt indessen, daß ich die „Wechselbeziehung und die Übergänge zwischen Vorstellungen und Begriffen und die Widerspiegelung dieser Verbindung in der Sprache" unberücksichtigt lasse, da „unter abbildendem Denken Abbilder verstanden werden können, die mit Hilfe von Begriffen gebildet werden." (S. J a . Kogan, Filosofskie voprosy jazyka i myslenija. Rezension über den Sammelband „Myslenie i jazyk", Moskva 1957, Voprosy filosofii, 1959, Nr. 4, S. 143.)
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Diesen Vorwurf kann man kaum als berechtigt ansehen, da in unserem Artikel „K voprosu o sootnosenii jazyka i myslenija", der in diesem Sammelband erschienen ist, eine derartige Verbindung von Vorstellungen und Begriffen, wie auch die Tatsache, daß sieh der sinnliche und der abstrakte Inhalt des Denkens in ständiger Wechselwirkung befinden, von uns gar nicht in Abrede gestellt wird. 82 Vgl. T. I . Petrova, Obraznye slova v nanajckom jazyke, „Izv. AN SS SR, OLJa", 1948, Bd. 8, Ausg. 6; N. B. Kile, Morfologiöeslcaja struktura obraznych slov v nanajskom jazyke, „Voprosy jazyka i literatury", Tematiceskij sbornik gumanitarnogo fakul'teta NGU, Ausg. 1, Teil 2, Novosibirsk 1966, ders., Obraznye slova nanajskogo jazyka, Avtoref. kand. diss., Novosibirsk 1968. 83 Vgl. L. N. Charitonov, Neizmenjaemye slova v jakutskom jazyke, Jakutsk, 1943; R . K . Kungurov, A. N. Tichonov, Izobrazitel'nye slova kok samostojatel'naja öast' reci, im Sammelband „Voprosy teorii öastej reci", Leningrad 1968. 84 Vgl. L. S. Sagdarov, Izobrazitel'nye slova v sovremennom burjatskom jazyke, Ulan-Ude 1962. 85 Vgl. V. Z. Panfilov, Grammatika nivchskogo jazyka, Bd. 2, Leningrad 1965, S. 197-205. 86 Vgl. G. A. Pak, Izobrazitel'nye slova v korejskom jazyke, Avtoref. K a n d . diss., Leningrad 1958. 87 Vgl. D. W e s t e r m a n n , Z v u k , ton i znaienie v zapadnoafrikanskich sudanskich jazykach. I m Sammelband „Afrikanskoe jazykoznanie", Moskva 1963; B. V. 2urkovskij, Ideofony: sopostavitel'nyj analiz, Moskva 1968. 88 D. V. Bubrich, K probleme izobrazitel'noj reöi, „Uö. zap. Karelofinskogo universiteta, Bd. I I I , Ausg. 1, Istor. i filol. nauki. Petrozavodsk, 1949; A. M. Gazov-Ginzberg, Byl Ii jazyk izobrazitelen v svoich istokach't Moskva 1965; „Materialy seminara po probleme motivirovannosti jazykovogo znaka", Leningrad 1969, S. 17-20, 64-68. 89 N. V. Kile, Obraznye slova nanajskogo jazylca, S. 11. 90 B. V. 2urkovskij, Ideofony v jazyke chausa, Avtoref. kand. diss. Moskva 1969, S. 20. 91 Dieses Wort wird in unterschiedlichem Tempo, je nach der Geschwindigkeit der Bootsbewegung, ausgesprochen. 92 Vgl. V. M. 2irmunskij, O prirode castej reci i ich klassifikacii, „Voprosy teorii ¿astej reöi", Leningrad 1968, S. 15—16. 93 Vgl. V. Z. Panfilov, Grammatika nivchskogo jazyka, Bd. 2, S. 197—205. R. K. Kungurov und A. N. Tichonov betrachten die bildlichen Wörter der Turksprachen als eine besondere Wortart (vgl. den Sammelband „Voprosy teorii öastej reöi", S. 254—258). 94 Dadurch erklärt sich auch, daß — wie dies aus Experimentalforschungen hervorgeht — „das innere Sprechen, wenn auch in verschiedenen Graden, nicht nur beim wortgebundenen begrifflichen Denken, sondern auch beim
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anschaulichen Denken festgestellt werden kann, ebenso auch bei Prozessen der Wahrnehmung, der Erinnerung und der Reproduktion verbalen und anschaulichen Materials." (Vgl. A. N. Sokolov, Vnutrennaja rec' i myslenie. Moskva 1968, S. 228). 95 L. L. Vasil'ev, Tainstvennye javlenija celoveceskoj psichiki, Moskva 1964, S. 117-119. 96 I . V. Stalin, Brief an D. Belkin und S. Furer vom 22. 7. 1950, „Tägliche Kundschau" vom 4. 8. 1950. 97 1 . V. Stalin, a. a. O. [zitierter Satz vollständig wiedergegeben. — d. Übers.). 98 Wiener schreibt dazu folgendes : „ . . . ich bin überzeugt, daß im Falle der Existenz irgendeiner Eigenschaft, die einen wirklich talentierten Mathematiker von seinen weniger geeigneten Kollegen unterscheidet, diese Eigenschaft in der Fähigkeit besteht, mit zeitweilig nur ihm verständlichen Symbolen zu operieren, die es erlauben, die neuen Ideen in irgendeiner begrenzten Sprache auszudrücken, die nur für einen bestimmten Zeitabschnitt notwendig ist. Wenn der Mathematiker diese Fähigkeit nicht besitzt, so wird er nie etwas erreichen, weil die Speicherung des Gedankens in einer nicht formalisierten Form unmöglich ist." (N. Wiener, Ja matematik, Moskva 1967, S. 81). Die große Rolle aller Zeichen, die nicht natürlichen Sprachen angehören, wird auch von anderen Naturwissenschaftlern erwähnt (Vgl. : J . Hadamard, An Essay on the Psychology of Invention in the Mathematical Field, Princeton, 1945). 99 F. de Saussure, Cours de linguistique générale, Payot, Paris 1960, S. 32. 100 F . de Saussure, a. a. O., S. 98. 101 A. I . Smirnickij, Znaëenie slova, V J a 1955, Nr. 2, S. 85. A. I . Smirnickij, a. a. O., S. 86. 103 Diese These Smirnickijs wird von L. A. Abramjan unterstützt, der seine Zweifel und Ablehnung gegenüber der Kritik an dieser These, die wir im Sammelband „Myslenie i jazyk", S. 160 geübt haben, ausgedrückt. (Vgl. L. A. Abramjan, Onoseologiëeskie problemy teorii znakov, Erevan, 1965, S. 41, Beispiel 14.) L. A. Abramjan nimmt an, daß „beim stillen Denken das Bewußtsein nicht unmittelbar mit den Laut-komplexen, also mit den lautlich ausgedrückten Wörtern operiert, sondern mit ihren Widerspiegelungen in Form von akustischen Abbildern. . . Weil aber das akustische Abbild die Widerspiegelung des Wortes im gnoseologischen Sinne des Wortes ist, kann die Charakterisierung der äußeren Seite des Wortes als materielle Erscheinung nicht darauf angewendet werden." (a. a. O., S. 116—117). Aber die Frage besteht in diesem Falle nicht darin, daß im Prozeß des inneren Sprechens die Lautvorstellungen des Wortes zugegen sind, sondern darin, daß die „äußere" Seite des Wortes durch sie nicht eingeschränkt wird, da der Prozeß des inneren Sprechens von den Artikulationen der Sprechorgane, d . h . also von durchaus materiellen Erscheinungen begleitet wird (s. genauer weiter unten). 104 I . M. Seôenov, Izbrannye filosofskie i psichologiceskie proizvedenija, S. 142.
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105 p . p . Blonskij, Pamjat' i myslenie, in dem Buch „Izbrannye psichologiöeskie proizvedenija, Moskva 1964, S. 452. 106 L. A. Öistoviö, V. V. Aljakrinskij, V. A. Adbul'jan, Vremennye zaderzki pri povtorenii slysimoj reii, „Voprosy psichologii", 1960, Nr. 1; L. A. Cistoviö, J u . A. Klaas, P . O. Alekin, O znaienii imitacii dlja raspoznavanija zvukovychposledovatel'nostej, „Voprosy psichologii", 1961, Nr. 5. 107 A. N. Sokolov, Vnutrennjaja reo i myslenie, S. 99. lfl 8 A. N. Sokolov, a. a. O., S. 101. 109 In diesem Zusammenhang verdient auch die Ansicht Beachtung, wonach das 2. Signalsystem „als Ergebnis der Entwicklung und der stärkeren Verflechtung der Prozesse des 1. Signalsystems vor allem auch im Zusammenhang mit der Komplizierung der Bewegungsfunktionen und der Bereicherung der kinästhetischen Reize aus der Hand als Werkzeug der Arbeit und schließlich auch im Zusammenhang mit der Entfaltung der Sprechbewegungen entstand. (V. I. Machin'ko, U6enie I. P. Pavlova o dvuch signal'nych sistemach, Char'kov 1954, S. 38). 110 A. N. Sokolov, a. a. O., S. 101. in Vgl. insbesondere N. I. ¿inkin, 0 kodovych perechodach vo vnutrennej reci, 1964, Nr. 6.
Kapitel 1
II.
Ähnliche Erscheinungen findet man auch bei anderen genetischen Gruppen. So bemerkt G. V. Cereteli unter Bezugnahme auf die semitischen Sprachen, daß „genetisch verwandte Sprachen infolge der verschiedenen Entwicklungsbedingungen zu ganz verschiedenen strukturtypologischen Gruppen gehören" und daß „es im Bereich der semitischen Sprachen zahlreiche Beispiele zum Beweis dieser Behauptung gibt." (G. V. Cereteli, O jazykovom rodstve i jazykovych sojuzach, 1968, Nr. 3, S. 9). 2 Vgl. E. V. Puzickij, Kacinskij jazyk, Moskva 1968, S. 61-62f. 3 E. Benveniste, Klassifikacija jazykov, „Novoe v lingvistike", III., Moskva 1963, S. 49. 4 Ebenda, S. 44, 45. 5 Vgl. V. Z. Panfilov, K voprosu o sootnosenii jazyka i myslenija, „Myslenie i jazyk", Moskva 1957, S. 149—151; V. Z. Panfilov, A propos des rapports entre la langue et la pensée ,„Recherches internationales à la lumière du marxismo", 7 — Linguistique, Paris 1958, S. 77—79; V. Z. Panfilov, Acerca de la correlacion existante entre el lenguaje y el pensamiento, „Pensamiento y lenguaje", Montevideo 1959, S. 188—192; s. auch S. 53—56 dieses Buches. 6 Vgl. R. Jakobson, Tipologiceskie issledovanija i ich vklad v sravnitel'noistoriéeskoe jazykoznanie, „Novoe v lingvistike", III., S. 97. 7 Vgl. B. A. Uspenskij, Strukturnaja tipologija jazykov, Moskva 1965, S. 11; V. Zvgeincev, Sovremenny napravlenija v tipologiöeskom izuöenii
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jazykov, „Novoe v lingvistike", I I I , S. 17; M. I . Burlakova, T. I. Nikolaeva, D. M. Segal, N. N. Toporov, Strukturnaja tipologija i slavjanskoe jazykoznanie, „Strukturno-tipologiöeskie issledovanija," Moskva 1962, S. 7. Man muß jedoch bemerken, daß in einem anderen Zusammenhang die Aufgaben der Typologie von Uspenskij breiter bestimmt worden sind: „Solch eine primäre Aufgabe der Typologie ist die Aufdeckung der isomorphen Erscheinungen, die allen Sprachen gemeinsam sind. Zugleich ermittelt die Typologie irgendwelche Merkmale und charakteristische Bestandteile der Sprache. Auf einer solchen Grundlage können Sprachen klassifiziert werden." (a. a. O., S. 17). 8 1.1. Mesöaninov, Tipologiieskie sopostavlenija i tipologija sistem, F N 1958, 3, S. 5. 9 V. Skaliöka, 0 sovremennom sostojanii tipologii, „Novoe v Linguistike", I I I , S. 28. 10 V. Skalicka, ebenda. 11 Ebenda, S. 34; vgl. auch V. Skaliöka, K voprosu o tipologii. 1966, Nr. 4, S. 28f. 12 V. Skalicka, 0 sovremennom sostojanii tipologii, S. 34. 13 V. Skalicka, K voprosu o tipologii, S. 28. 14 E. Benveniste, a. a. O., S. 50. 15 Dieses Prinzip ist insbesondere von denjenigen Autoren nicht berücksichtigt worden, die mit W . v. Humboldt die sog. inkorporierenden Sprachen neben den flektierenden, isolierenden und agglutinierenden Sprachen als einen besonderen Typ für möglich erachten. Wir mußten schon darauf hinweisen, daß in den Sprachen, in denen die Inkorporation tatsächlich als besonderes Mittel zum Ausdruck syntaktischer Beziehungen existiert, dieses Mittel durch die agglutinierende N a t u r des Wortes in diesen Sprachen bedingt ist, d. h., daß es kein bestimmender Zug der Struktur dieser Sprachen ist u n d dadurch auch kein Anlaß besteht, diese Sprachen als einen besonderen T y p der inkorporierenden Sprachen zu klassifizieren, (vgl.: V. Z. Panfilov, Grammatika nivchskogo jazyka, Bd. 2, Moskva — Leningrad 1965, S. 24, Fußnote 23). Daß die Hervorhebung eines besonderen inkorporierenden Typs der Sprachen unbegründet ist, hat Skaliöka in seinen letzten Arbeiten überzeugend gezeigt. Er bemerkt zunächst, daß in einigen Sprachen, die durch eine Reihe von Linguisten als inkorporierend betrachtet worden sind, eine solche Inkorporation überhaupt nicht vorhanden ist, wie z. B. im Giljakischen (Nivchischen). (Vgl. V. Skaliöka, Die Inkorporation und, ihre Bolle in der Typologie, „Travaux linguistiques de Prague", 3, 1968, S. 277). Weiter betrachtet er die Sprachen mit Inkorporation als eine Vereinigung zweier Semanteme in einem Wort zum Ausdruck syntaktischer Verbindung (ebenda, S. 276). Skaliöka bemerkt, daß die Inkorporation in diesen Fällen nur deshalb vorhanden ist, weil das Wort in diesen Sprachen ziemlich deutlich auf der syntagmatischen und paradigmatischen Ebene bestimmt wird, was sich in den agglutinierenden und flektierenden Sprachen beob17 Panfilov, Sprache und Denken
257
achten läßt. (Ebenda S. 276-277). Schließlich legt Skaliiska noch das Argument vor, daß „die Inkorporation ein typologischer Parameter und keine Strukturart der Sprache sei" (V. Skalicka, K voprosu o tipologii, S. 27); nur das Vorhandensein einer Strukturart kann Grundlage für die Bestimmung eines besonderen sprachlichen Typs sein. 16 Wenn man sich an das Prinzip des „reinen T y p s " halten will, so könnte man z. B. die Zugehörigkeit dieser oder jener menschlichen Gesellschaft zu einer bestimmten ökonomischen Gesellschaftsformation verneinen, da sie nicht in einer reinen Form realisiert ist. Die kapitalistische Gesellschaftsformation z. B. enthält nicht selten (und in den ersten Etappen immer) noch Elemente der ihr vorhergehenden feudalen Gesellschaftsformation. 17 Die hier festgelegten Etappen (oder genauer: Aspekte) der typologischen Forschungen werden in der Folge vorgegeben, wie sie sich aus den Bedingungen der Durchführung der logischen Operation der Teilung des Begriffes „natürliche Sprachen" ergibt. Diese Etappen geben nicht den • Gang der wirklichen Forschungen wieder. I n Wirklichkeit kann die Feststellung von Merkmalen, die allen Sprachen gemeinsam sind, und von Merkmalen, die einzelnen Gruppen von Sprachen gemeinsam sind, auch in einer anderen Reihenfolge ausgeführt werden. 18 1.1. Meäöaninov, Struktura predloienija, Moskva-Leningrad, 1963, S. 7. 19 Vgl. V. Z. Panfilov, Grammatika i logika, Moskva-Leningrad 1963; V. Z. Panfilov, Grammarand logic,The Hague-Paris 1968, und auch S. 129f. dieser Arbeit. 20 V. Z. Panfilov, Grammatika i logika, S. 74—78; V. Z. Panfilov, Grammar and logic, S. 100—106 und auch S. 135f. dieser Arbeit. 21 1 . 1 . Meäßaninov, Tipologiöeskie sopostavlenija i tipologija sistem, S. 4. 22 1.1. Mesüaninov, Struktura predloienija, S. 7; s. a. S. 14, 33, 82, 86. 23 Nebenbei bemerkt störten fast dieselben logischen Mängel der genealogischen Klassifikation nicht die breite Entwicklung der vergleichendhistorischen Forschungen und riefen auch keine Zweifel am wissenschaftlichen Wert der genealogischen Klassifikation der Sprachen hervor. 24 Vgl.: J . Greenberg, Kvantitativnyj podchod k morfologi&eskoj tipologii jazykov, „Novoe v lingvistike", I I I , S. 68—69. 25 Vgl. V. Z. Panfilov, Grammatika i logika, S. 6—10; V. Z. Panfilov, Grammar and logic, S. 11—14, und auch S. 185 dieser Arbeit. 26 Vgl.: V. Skaliöka, Tipologija i toidestvennost' jazykov, „Issledovanija po strukturnoj tipologii", Moskva 1963, S. 32. 27 Vgl. 1.1. Mesöaninov, Struktura predloienia, S. 17f. 28 J . Greenberg, a. a. O., S. 64. 29 E. Benveniste, a. a. O., S. 53. 3» J . Greenberg, a. a. O., S. 69. 31 Ebenda S. 73. 32 Ebenda S. 73-74. 33 E. Benveniste, a. a. O., S. 54; s. a. J . Vendryes, Jazyk, Moskva 1937, S. 315.
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34
V. Skalißka, K voproau o tipologii, S. 24. Vgl. V. Z. Panfilov, 0 proischoidenii sklonenija v nivchskom jazyke, „Ponjatie aggljutinacii i aggljutinativnogo tipa jazykov", Tezisy dokladov, Leningrad 1961, S. 31—32; ders.: O proischoidenii sklonenija v nivchskom jazyke, 1963, 3, S. 81-82; N. N. Korotkov, V. Z. Panfilov, O tipologii, grammatiöeskich kategorij, 1965, 1; s. a. „Zeichen und Systeme der Sprache" I I I , Berlin 1966. 36 Vgl. V. Z. Panfilov, O proischoidenii sklonenija v nivchskom jazyke, 1963, 3. 3? K . Marx/F. Engels, Werke, Bd. 20, S. 13 u. S. 19. 38 Ebenda, S. 482. 39 W. v. Humboldt, a. a. O., S. 16, 17. 40 Vgl. 1.1. Mesöaninov, Novoe ucenie o jazyke, „Stadial'naja tipologija", Leningrad 1936; ders.: Obsiee jazykoznanie, „K probleme stadial'nosti v razvitii slova i predloienija", Leningrad 1940. 41 Vgl. 1.1. Mesöaninov, Ucenie N. Ja. Marra o stadial'nosti, „Izv. AN SSSR. OLJa", 1947, Bd. 6, Ausgabe 1; ders.: Problema stadial'nosti v razvitii jazyka, „Izv. AN SSSR, O L J a " , 1947, Bd. 6, Ausg. 3. 42 Vgl. V. Z. Panfilov, Orammatika i logika, S. 76 und auch S. 234f. dieser Arbeit. 35
Kapitel\III 1
Beim objektiven Idealismus sind die Formen und Gesetze des Denkens nicht bar irgendeines objektiven Inhalts und sind damit auch irgendwie Widerspiegelungen der grundlegenden Eigenschaften des Seins. Andererseits werden aber sowohl die Formen als auch die Gesetze des menschlichen Denkens als Momente der Entwicklung von sich selbst erkennenden absoluten Ideen, also als ein Ergebnis der Selbstentdeckung der absoluten Ideen betrachtet; damit sind sie letzten Endes nicht das Ergebnis der Erkenntnis der Natur. 2 F . Engels, „Anti-Düring", K a p . I I I , S. 41, Dietz-Verlag Berlin 1948. 3 F . Engels, ebenda, Kap. I X , S. 103-104. 4 W. I . Lenin, Philosophischer Nachlaß, S. 101. 5 W. I . Lenin, ebenda, S. 84-85. 6 W. I . Lenin, ebenda, S. 246. ' W. I . Lenin, ebenda, S. 100. 8 W. I . Lenin, ebenda, S. 339. » K. Marx/F. Engels, Werke, Bd. 3, Dietz-Verlag Berlin 1969, S. 255-256. 10 K. Marx/F. Engels ebenda, S. 254. 11 K. Marx/F. Engels, ebenda, S. 256-257. 12 K . Marx/F. Engels, Werke, Bd. 20, S. 483-485. 13 s. ausführlicher S. 198 f. diese Arbeit. 14 A. Einstein u. L. Infeld, Ävoljucijafiziki, Moskva-Leningrad 1948,S. 236. 17*
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15
„ . . . nach der modernen Quantenmechanik müssen wir annehmen, daß jedes materielle Teilchen Welleneigenschaften besitzt" (Kurs fiziki, unter der Redaktion von Papalekse, Bd. I I , S. 621). 16 I. Tamm, Na poroge novoj teorii, „Nauka i iizn'", 1967, Nr. 1, S. 8. 17 Über die Begriffsynthese als besondere Lösung von Widersprüchen vgl. A. S. Bogomlov, O razresenii protivoreSija kak sposobe obrazovanija ponjatij. Problemy teorii poznanija i logika. „Materialy k X I V Mezdunarodnomu filosofskomu kongressu" 2—9 sentjabrja 1968, predstavlennye filosofami Sovetskogo Sojuza, Vena, Ausg. 2, S. 16—25. « A. Einstein u. L. Infeld, a. a. O., S. 237-238. 19 Einen solchen Schluß aus der Krise der klassischen Physik zieht insbesondere B. Whorf: „Die neuen Typen des logischen Denkens tragen letzten Endes vielleicht dazu bei, zu verstehen, weshalb sich die Elektronen, die Lichtgeschwindigkeit und andere Forschungsobjekte der Physik allen Gesetzen der Logik zuwider verhalten und weshalb die Erscheinungen, die gestern irgendwie jedem gesunden Menschenverstand zuwiderliefen, heute sich als real erweisen. Moderne Denker sprechen längst davon, daß das sog. mechanistische Denken in eine Sackgasse geraten sei und mit den neuesten wissenschaftlichen Problemen konfrontiert werde." (B. Whorf, Lingvistika i logika. „Novoe v lingvistike", Ausg. 1, Moskva 1960, S. 189). 20 L. Levy-Bruhl, Pervobytnoe myslenie, S. 48. 21 L. L6vy-Bruhl, ebenda, S. 49. 22 L. L6vy-Bruhl, ebenda, S. 48. 23 Vgl. „Issledovanija po psichologii vosprijatija", Moskva-Leningrad 1948. 24 I . S. Beritov, Ob osnovnych formach nervnoj i psichonervnoj dejatel'nosti, Moskva-Leningrad 1947, S. 46. 20 25 1. s . Beritov, ebenda, S. 52. I. S. Beritov, ebenda, S. 54. 27 1 K. Marx/1 . Engels, Werke, Bd. 1, S. 386. 28 Vgl. S. D. Kacnel'son, Jazyk poäzii i pervobytno-obraznaja rec, „Izv. AN SSSR. OL J a " , 1947, Bd. VI, Ausg. 4, S. 306-307.
Zweiter
Teil
Kapitel
I
1
Vgl. P. V. Cesnokov, Logiceskaja fraza i prezdlozenie, Rostov 1961. — Man m u ß hier bemerken, daß einige Sprachwissenschaftler auch den Satz als eine Art der Phrase ansehen. 2 Vgl. P. V. Kopnin, Priroda suidenija i formy vyrazenija ego v jazyke, I m Sammelband „Myslenie i jazyk", Moskva 1957, S. 300-322. 3 Vgl. A. S. Achmanov, LogiSeskie formy i ich vyrazenija v jazyke. I m Sb. „Myslenie i jazyk:; Moskva 1957, S. 170—176, P . V. Tavanec, Su£denie i ego vidy, Moskva 1953, S. 23-29.
260
* Aristoteles, Analitiki Pervaja i vtoraja, Moskva 1952, S. 12—14; 38—40. 5 J . Lukasiewicz, Logika dwuwartösciowa „Przegiad Filozoficny", 23. Warszawa, 1921; vgl. auch J . Lukasiewicz, Aristotelevshaja sillogistika s toöki zrenija sovremennoj formal'noj logiki, Moskva 1959. 6 A. S. Achmanov, Logiceskie formy i ich vyrazenie v jazyke, im Sammelband „Myslenie i jazyk", Moskva 1957, S. 181. 7 R. Whately, Elements of Logic, Reprinted from the ninth (octavo) edition, London 1872, (Die erste Ausgabe dieses Buches erschien 1827), S. 65—66. 8 R . Whately, ebenda, S. 66. 9 P h . Wegener, Untersuchungen über die Grundfragen des Sprachlebens, Halle 1885, S. 29. — An einem analogen Standpunkt hält die Logik Th. Lipps' fest (Th. Lipps, Grundzüge der Logik, Hamburg 1893, S. 40), desgleichen der Linguist H . Sweet (Henry Sweet, A New English Grammar, 1892—1898, S. 81). 10 A. I. Vvedenskij, Logika kak 6ast' teorii poznanija, SPb., 1912, S. 51—53. H Vgl. P. S. Popov, Suzdenie i predloienie, im Sammelband „Voprosy sintaksisa sovremennogo russkogo jazyka", Moskva 1950; ders., O logi&eskom udarenii, V J a 1961, Nr. 3. 12 P. S. Popov, Suzdenie i predlozenie, S. 28. 13 P. S. Popov, ebenda, S. 31. 14 P. S. Popov, O logi&eskom udarenii, S. 94. P. S. Popov, ebenda, S. 94-95. 16 Vgl. N. Z. Kotelova, 0 logiko-grammati&eskom urovne jazyka, „Jazyk i myslenie", Moskva 1967, S. 129. 17 P. S. Popov, O logi&eskom udarenii, S. 88. 18 Über den Begriff des Sprachtyps und die Kriterien der Klassifikation s. S. 75 f. dieser Arbeit und auch unseren Artikel „O zadaßach tipologiceskich issledovanij i kriterijach tipologiöeskoj klassifikacii jazykov", 1969, Nr. 4. la Die Mittel des sprachlichen Ausdrucks f ü r das logische Prädikat des Urteils, die durch andere modale Bedeutungen charakterisiert werden, werden weiter unten in dem Abschnitt behandelt, der den Kategorien der Modalit ä t gewidmet ist. 20 Wie V. N. Savel'eva ganz richtig bemerkt, sind Sätze dieses Typs, die hauptsächlich im Dialog verwendet werden, häufig unvollständig, weil diejenigen Satzglieder, die nicht das logische Prädikat ausdrücken, weggelassen werden können. Vgl. die Rezension des Buches V. Z. Panfilov, Grammatika nivchskogo jazyka, Bd. 1, Moskva-Leningrad 1962 in V J a 1966, Nr. 1, S. 125. 21 N. I . Fel'dman bemerkt dies z. B. in bezug auf das Japanische. (Vgl. N. I . Fel'dman, Ob imenitel'nom samostojatel'nom v sovremennom japonskom jazyke, Moskva 1945, S. 57). 22 Vgl. N. I . Fel'dman, a. a. O. m Ebenda, S. 56-57. 24 Ebenda, S. 57.
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» Ebenda, S. 56. 2« Ebenda, S. 49. 27 I m Altrussischen wird eine solche Hervorhebung in Sätzen mit einem absoluten Kasus wie im Japanischen realisiert. Z. B. Kon, ego ze ljubiii i ezdisi na nem, ot togo ti umreti ( = wörtl.: „Du stirbst an dem Pferd, das du liebst und auf dem du reitest."). „Die Wirkung dieser Struktur", schreibt A. Potebnja, „besteht darin, daß sie die Aufmerksamkeit auf das erste Nomen lenkt, indem sie dieses Nomen aus der Reihenfolge der übrigen Satzglieder heraushebt." (A. A. Potebnja, Iz sapisok po russkoj grammatike, Bd. I - I I , Moskva 1958, S. 203). 28 Vgl. E . A. Krejnoviö, Jukagirskij jazyk, „Jazyki narodov SSSR", Bd. V, Moskva-Leningrad 1968, — I n seiner früheren Arbeit (Jukagirskij jazyk, Moskva-Leningrad 1958) charakterisierte der Verfasser bei der Bestimmung der Träger des logischen Akzentes im Jukagirischen dieselben als Träger der Modalität der Behauptung, was nicht richtig ist. (Vgl. V. Z. Panfilov, Grammatikai logika, S. 19, Fußnote 20). I n seiner späteren Arbeit hat er diesen Standpunkt korrigiert. 29 Die Beispiele, die die morphologischen Mittel des Ausdrucks des logischen Prädikats im Jukagirischen illustrieren, stammen aus dem genannten Werk: E . A. Krejnoviö, Jukagirskij jazyk, „Jazyki narodov SSSR", Bd. V, S. 438, 441-442. 30 Vgl. J u . K . Sßeglov, Logiieskie sub-ekt i predikat i sposoby ich vydelenija v jazyke chausa. „Afrikanskaja filologija", Moskva 1965, S. 114—115. 31 Vgl. N. K . Dmitriev, Orammatika baskirskogo jazyka, Moskva-Leningrad 1948, S. 209. — I n der letzten Zeit wurde zum ersten Mal eine detaillierte Untersuchung der grammatischen Mittel zur Bestimmung des logischen Subjekts und Prädikats in einer anderen Turksprache, dem Cuvasischen, vorgenommen. (I. A. Andreev, Struktura prostogo predlozenija sovremennogo (uvasskogo jazyka. Avtoref. dokt. diss. Moskva 1970). Der Autor dieser Untersuchung stellte fest, daß im Cuvasischen dafür die Wortfolge, der logische Akzent und spezielle morphologische Mittel (mehrere Morpheme und Hilfswortarten) verwendet werden (S. 57—61). Speziell wird diese Frage anhand des Materials anderer Turksprachen auch in folgenden Arbeiten erörtert: F . S. Safpullina, K voprosu o porjadke slov v tatarskom jazyke, „Voprosy tatarskogo jazykoznanija", Buch I I , K a z n a n ' 1965; L. J u . Tugäeva, O porjadke slov v tjurkskich jazykach (K postanovke voprosa). „Tjurkologideskij sbornik. K 60-letiju clena-korr. An SSSR A. N. Kononova", Moskva 1966. * Bemerkung des Übersetzers: E s handelt sich hier allerdings u m eine Fragepartikel, die eher dem russischen Ii entspricht, welche in allen Fragesätzen verwendet werden m u ß und nur sekundär die Funktion eines prädikativen Suffixes annimmt. 32 Die Beispiele aus dem Abchazischen und die Erklärungen erhielten wir von T. P. Sakryl, wofür ihm der Autor seinen Dank ausspricht.
262
33
Der Autor dankt f ü r die Beispiele aus dem Cukäischen und die f ü r sie gegebenen Erklärungen P . I. Inänlikej. 34 Die Beispiele aus dem Mansischen und die Erklärungen erhielten wir von E. I. Rombandeeva. Vgl. auch unseren Aufsatz: K voprosu o protivopostavlenii opredelennosti i neopredelennosti v mansijskom jazyke. „Sovetskoe finnougrovedenie", 1966, Nr. 4. 35 Vgl. N. M. Teresßenko, Materialy i issledovanija pojazyku nencev, MoskvaLeningrad 1956, S. 114. 36 Vgl. A. A. Dragunov, Untersuchungen zur Grammatik der modernen chinesischen Sprache, Berlin 1960, S. 95 f. 37 Vgl. A. A. Dragunov, ebenda, S. 98. 38 Ebenda, S. 104. 3» Ebenda, S. 102. « Ebenda, S. 105. « Ebenda, S. 106. 42 Vgl. V. S. Fedoseeva, Intonacija otvetov v russkom jazyke, Moskva 1953, S. 241. 43 Vgl. V. S. Fedoseeva, ebenda, S. 246. 44 Vgl. V. S. Fedoseeva, ebenda, S. 245-246. 45 A. A. Artemov, Ob inlonacii, Moskva 1953, S. 6. 46 Orammatika russkogo jazyka, Bd. 2, Heft 1, Moskva 1954, S. 661. « Ebenda, S. 662. 48 Vgl. auch P. S. Kuznecov, O principach izttSenija grammatiki, Moskva 1961, S. 34. 49 A. V. Bel'skij, Intonacija kak sredstvo determinirovanija i predicirovanija v russkom literaturnom jazyke, „Issledovanija po sintaksisu russkogo literaturnogo jazyka", Moskva 1966, S. 188-189. 50 B. V. Tomaäevskij, Stich „Gore ot uma", I m Sammelband „Russkie klassiki i teatr", Leningrad 1947, S. 223-224. 51 Vgl. z. B. Grammatika russkogo jazyka, Bd. I , Moskva 1953, S. 503. 52 Damit erhebt sich die Frage, ob es richtig ist, anzunehmen, daß das Verbum auch in all den Fällen im Konjunktiv steht, in denen die Partikel by sich nicht auf das Verbum, sondern auf andere Wörter des Satzes bezieht. 53 Grammatika russkogo jazyka, Bd. I , Moskva 1953, S. 646. 54 Auf die Verwendung des Artikels zum Ausdruck der aktuellen Gliederimg des Satzes in „Gegebenes" und „Neues" (s. unten) verweist K . G. Krusel'nickaja in ihrem Artikel: „Smyslovaja funkcija porjadka slov v nemeckom jazyke sravnitel'no s russkim, „Uc. zap. Voennogo in-ta inostrannych jazykov", 1948, Nr. 5, S. 29—30; dieselbe: K voprosu o smyslovom ölenenii predloienija V J a 1953, Nr. 5, S. 62, Sie hält es jedoch nicht f ü r möglich, das „Gegebene" mit dem logischen Subjekt und das „Neue" mit dem logischen Prädikat gleichzusetzen, (s. unten) Die Verbindung der Kategorie der Bestimmtheit und Unbestimmtheit mit dem sprachlichen Ausdruck des logischen Prädikats wird auch in anderen
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' Sprachen festgestellt (Vgl. E. I. Ttombandeeva, K voprosu o protivopostavlenii opredelennosti i neopredelennosti v mansijsJcom jazyke). 55 B. Whorf, Nauka i jazykoznanie, „Novoe v lingvistike", Ausgabe I, Moskva 1960, S. 194-195. 56 H. Holz, Sprache und Welt, „Probleme der Sprachphilosophie", Frankfurt (M.) 1953, S. 99-100.
Kapitel 1
II
Die Frage nach der Existenz einer besonderen logisch-grammatischen Ebene des Satzes wurde erstmalig von uns gestellt (vgl. V. Z. Panfilov, K voprosu o logiko-grammatiöeskom urovne jazyka, Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung, Band 15, Heft 3/4 1962) und erhielt eine weitere Ausarbeitung in den folgenden Arbeiten: V. Z. Panfilov, Qrammatika i logika, Moskva-Leningrad 1963; ders.: O strukture predloienija, Zeichen und System der Sprache, Band I I I , Berlin 1966; ders. Gram mar and Logic, Paris-The Hague 1968; Vgl. auch: N. Z. Kotelova, O logiko-grammatiieskom urovne jazyka, „Jazyk i myslenie", Moskva 1967. 2 Hermann Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte, Verlag Max Niemeyer, Halle (S.) 1937, Kapitel VI und XVI. 3 Ebenda, S. 284. * Ebenda. 5 G. von der Gabelentz, Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse, Leipzig 1891, S. 353—354. 6 Hermann Paul, a. a. O., S. 124; vgl. auch die ähnliche Definition F. F. Fortunatovs: „Zum Subjekt wird im Urteil diejenige Vorstellung, von der der Prozeß des Urteils ausgeht, d. h. das Subjekt des Urteils bildet im Urteilsprozeß den 1. Teil eines gegebenen Gedankens; Prädikat des Urteils ist diejenige Vorstellung, die während des Urteils entweder als eine Vorstellung erkannt wird, die sich mit der Vorstellung des Subjekts vereinigt oder sich von ihr abhebt. So ist im Prädikat des Urteils die Vorstellung von dem, was über den Gegenstand des Gedankens gedacht wird, der im Subjekt des Urteils gegeben ist, eingeschlossen." (F. F. Fortunatov, Izbrannye trudy, Bd. 1, Moskva 1956, S. 126-127). 7 H. Paul, a. a. O., S. 284. 8 Ebenda, S. 126. 9 Wir erinnern daran, daß nach der Definition von Paul „der Satz der sprachliche Ausdruck, das Symbol dafür ist, daß sich die Verbindung mehrerer Vorstellungen oder Vorstellungsgruppen in der Seele des Sprechenden vollzogen hat, und das Mittel dazu, die nämliche Verbindung der nämlichen Vorstellungen in der Seele des Hörenden zu erzeugen." (ebenda, S. 121). 264
«0 Ebenda, S. 126. 11 Man muß allerdings erwähnen, daß G. v. d. Gabelentz in der zweiten Ausgabe seines Buches diesen Standpunkt aufgegeben hat und bemerkt, daß es auch möglich sei, diese Reihenfolge von psychologischem Subjekt u n d Prädikat zu verletzen, so daß letzteres dem ersteren vorhergehen kann, (s. G. v. d. Gabelentz, Sprachwisenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und, bisherigen Ergebnisse, Leipzig 1901, S. 370—372). 12 Es sei darauf hingewiesen, daß Fortunatov den Satz als eine der Arten des Syntagmas betrachtet. 13 Vgl. F. F . Fortunatov, 0 prepodavanii grammatiki russkogo jazyka v srednej skole, „Izbrannye t r u d y " , Bd. 2, Moskva 1957, S. 457; vgl. auch S. 456, 459. " Ebenda, S. 457. "5 Ebenda, S. 449. *« Vgl. S. 159 dieser Arbeit. " H . Paul, a. a. O., S. 284, 292f. J 8 G. v. d. Gabelentz, a. a. O. (1901), S. 369-370, 373; s. auch die oben a n geführten Definitionen des psychologischen Subjekts und Prädikats, die von Fortunatov gegeben wurden. 19 Charles Serrus, Le parallélisme logico-grammatical, Paris 1933, S. 451. 20 Georg Klaus, Moderne Logik, Berlin 1966, S. 39. 21 S. K . Kleene, Vvedenie v matematiku, Moskva 1957, S. 130. 22 A. A. Markov, Matematiëeskaja logika, „Filosofskaja änciklopedija", Bd. 3, S. 341. 23 Vgl. N. I . Kondakov, Vvedenie v logiku, Moskva 1967, S. 288. 24 A. Church, Vvedenie v matematiceskuju logiku, Moskva 1960, S. 436. 25 A. A. Zinov'ev, Filosofskieproblemymnogoznainojlogiki, Moskva 1960, S. 104. 2 « Ebenda S. 106. 27 E. K . VojSvillo, Opyt postroenija iséislenija predikatov, pribliiennogo k estestvennomu jazyku, „Logièeskaja struktura nauënogo znanija", Moskva 1965, S. 223. 28 V. Mathesius, O tak zvaném aktuàlnîm cleneni vëtném. Öestina a oben^ jazykozpyt. Soubor stati, Praha 1947, S. 234. — Anders werden diese Elemente auch Thema und Aussage genannt. (Vgl. V. Mathesius, O funkci podmetu, ebenda, S. 277—285, und auch: „Tezisy prazskogo lingvistiëeskogo kruzka", Zit. nach „Chrestomatija po istorii jazykoznanija XIX— X X vv.", Moskva 1956, S. 432). 29 V. Mathesius, O tak zvaném aktuàlnîm, ëleneni vëtném, S. 234—235. 30 I n diesem Zusammenhang m u ß man vor allem die Arbeiten von F . Daneä, J . Firbas, P . Adamec, J . Mistrik nennen. 31 Vgl. Pfemysl Adamec, Porjadok slov v sovremennom russkom jazyke, P r a h a , 1966, S. 20, Anmerkung 17. 32 A. W. de Groot, Subject — Predicate Analysis, Lingua, vol. VI, 3 (April 1957), Amsterdam, S. 310.
265
33 Ebenda, S. 309-310. 34 Es ist interessant, daß A. Potebnja bei seiner Ablehnung des Parallelismus zwischen der Struktur des Urteils und der Struktur des Satzes über die Struktur des Urteils eine analoge Ansicht äußert. „Die Termini 'Subjekt' u n d ' P rädikat' haben wir aus der Beobachtung des verbalen Satzes gewonnen; sie sind in dem Satz nicht gegenseitig vertauschbar. Dagegen ist f ü r die Logik in einem Urteil nur die Verträglichkeit oder Unverträglichkeit zweier Begriffe wesentlich. Welche von ihnen Subjekt und welche Prädikat genannt werden, das muß für sie trotz bestehender Meinungen gleichgültig sein, weil es in formal-logischer Beziehung, unabhängig von der Art des Entstehens und des verbalen Ausdrucks, ganz dasselbe ist, ob wir sagen 'das Pferd ist ein Lebewesen', 'das Pferd ist kein H u n d ' und 'Lebewesen' enthält 'Pferd' (unter den Lebewesen gibt es das Pferd), 'der H u n d ist kein Pferd'. Die Kategorien des Gegenstandes und seines Merkmals sind für die Logik nicht notwendig, für die das eine wie das andere nur Begriffe, nur Mengen von Merkmalen sind." (A. Potebnja, Iz zapisok po russkoj grammatike, Moskva 1958, S. 68—69). 35 "Vgl. auch P . V. Tavanec, Suzdenie i ego vidy, Moskva 1953, S. 49—57; M. P. Alekseev, Dialektika form myslenija, Moskva 1959, S. 146—148. 36 A. A. Sachmatov, Sintaksis russkogo jazyka, Leningrad 1941, S. 21—23, — Die von Sachmatov angegebene Quelle in russischer Sprache: Ch. Zigvart, Logika, Bd. I, Uöenie o suzdenii, ponjatii i vyvode, SPb, 1908, S. 29. (hier zitiert nach der deutschen Ausgabe: Chr. Sigwart, Logik, Bd. I, Tübingen 1911, S. 35). Von den Logikern und Sprachwissenschaftlern, die in dieser Frage einen analogen Standpunkt vertreten, seien auch Trendelenburg und Steinthal genannt (Vgl. H . Steinthal, Grammatik, Logik und Psychologie, Berlin 1855, S. 191, wo auch die Ansichten Trendelenburgs detailliert dargestellt werden.). 37 A. A. Sachmatov, a. a. O., S. 23; s. a. S. 25, § 7, — Mit der Auffassung Sachmatovs solidarisiert sich in dieser Frage völlig E . M. Galkina-Fedoruk (vgl.: E. M. Galkina-Fedoruk, Suidenie i predloienie, Izd-vo MGU, 1956, S. 68—72). — 1.1. MeSöaninov, der sich in vielem auf die Kommunikationstheorie von Sachmatov stützt, war auch der Meinung, daß das grammatische Subjekt und Prädikat eines Satzes immer die begriffliche Kategorie des logischen Subjekts bzw. des logischen Prädikats der Aussage ausdrückt (vgl.: 1.1. Mesöaninov, Öleny predloienija i Saati reSi, Moskva-Leningrad 1945, S. 167—170, 196—197). I n einer seinen letzten Arbeiten hat Meäöaninov seine Ansicht jedoch revidiert: „Das logische Subjekt und logische Prädikat können nicht nur durch ein grammatisches Subjekt und Prädikat ausgedrückt sein, sondern auch durch ein beliebiges Satzglied oder eine Gruppe seiner Glieder." (I. I . Meäöaninov, Ärgativnaja konstrukeija v jazykach razliSnyeh tipov, Leningrad 1967, S. 216). 38 Über den Begriff des Gegenstandes des Gedankens in der modernen Logik 266
siehe eingehender: A. S. Achmanov, Formy myali i zakony formal'nöj logiki, „Voprosy logiki", Moskva 1955, S. 49—50. 39 Vgl. V. Z. Panfilov, Grammatika nivchskogo jazyka, Bd. I, Moskva-Leningrad 1962, S. 36-38. 40 Vgl. A. A. Dragunov, Untersuchungen zur Grammatik der modernen chinesischen Sprache, Berlin 1960, S. 102 ff. « Ebenda, S. 102, 42 porjadka slov v nemeckom K . G. Krusel'nickaja, Smyslovaja funkcija jazyke sravnitel'no s russkim, „U