Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verbrechen an der Menschheit: Zu einem zentralen Begriff der internationalen Strafgerichtsbarkeit [1 ed.] 9783428505906, 9783428105908

Die Errichtung des ständigen Internationalen Strafgerichtshofes hat das Völkerstrafrecht wieder in das Blickfeld interna

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Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verbrechen an der Menschheit: Zu einem zentralen Begriff der internationalen Strafgerichtsbarkeit [1 ed.]
 9783428505906, 9783428105908

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GISELA MANSKE

Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verbrechen an der Menschheit

Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht Herausgegeben von Thomas Bruha, Meinhard Hilf, Hans Peter Ipsen t, Rainer Lagoni, Gert Nicolaysen, Stefan Oeter

Band 35

Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verbrechen an der Menschheit Zu einem zentralen Begriff der internationalen Strafgerichtsbarkeit

Von

Gisela Manske

Duncker & Humblot . Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2001 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0945-2435 ISBN 3-428-10590-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

Meiner Familie

Vorwort Diese Arbeit wurde im Mai 2000 beendet und im Wintersemester 2000/2001 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Später erscheinende Rechtsprechung und Literatur konnte nur noch in Einzelfällen berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für die Vorarbeiten zur Errichtung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofes, der in diesem Monat seine Arbeit aufgenommen hat. Zu danken habe ich an erster Stelle meinem Doktorvater und verehrten akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Michael Köhler, der die Arbeit mit beständigem Interesse betreut und gefördert hat. Er hat mir die Freiheit gegeben, meinen Interessenschwerpunkten, insbesondere dem humanitären Völkerrecht, nachzugehen und stand mir stets als konstruktiver Gesprächspartner zur Seite. Herrn Prof. Dr. Reinhard Merkel danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Die Arbeit wurde durch ein Promotionsstipendium nach dem Hamburgischen Gesetz zur Förderung des wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchses ermöglicht. Durch ein Zusatzstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes konnte ich im Rahmen eines dreimonatigen Praktikums bei dem Internationalen Strafgerichtshof der Vereinten Nationen für das ehemalige Jugoslawien die Umsetzung der theoretischen Grundlagen des internationalen Strafrechts in die Praxis erfahren. Die in Den Haag erlebten Diskussionen über unterschiedliche Sichtweisen des internationalen Strafrechts haben mich persönlich und fachlich sehr bereichert. Für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe der Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht habe ich deren Herausgebern, insbesondere Herrn Prof. Dr. Meinhard Hilf, zu danken. Schließlich möchte ich allen danken, die mir geholfen haben, diese Arbeit fertigzustellen. Herrn Dr. Richard Happ danke ich für hilfreiche Anregungen und kritisches Korrekturlesen, meiner Familie für die uneingeschränkte persönliche Unterstützung. Hamburg, im Juli 2002

Gisela Manske

Inhaltsübersicht Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

Erster Teil Historische Entstehung und Entwicklung des Konzeptes der" Verbrechen gegen die Menschlichkeit"

35

A. Der Erste Weltkrieg .... ... ........ ....... ......................... ............ ...... 36 I. Die Verfolgung der armenischen Bevölkerung in der lürkei .................... 36 11. Die Bewertung der Kriegführung des Deutschen Kaiserreiches und seiner Verbündeten durch die sog. "Kommission der Fünfzehn" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Ergebnis..........................................................................

39 45

B. Der Zweite Weltkrieg............. ................................................... 46 I. Die strafrechtliche Behandlung der während des Krieges durch deutsche Staatsangehörige begangenen "Greueltaten" ............ . . .. . .. .. . . .. ... . . . . . . . .. . .. . . . 11. Die strafrechtliche Behandlung der Taten der fernöstlichen Kriegsgegner der Alliierten ........................................................................... III. Ergebnis: Die Entwicklungslinie des Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg ...................................

c.

46 73 79

Die Gegenwart ....................................................................... 82 I. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) .... 82 11. Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda (lCTR) ......................... lOO

D. Ergebnis .............................................................................. 107

Zweiter Teil Kodifikation von Teilbereichen des Konzeptes in internationalen Abkommen

109

A. Die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948 .................................................................... 111 I. Der Begriff des "Genozids" bzw. Völkermordes ................................ 111 11. Die Abfassung der Konvention .................................................. 114 III. Der Inhalt der Konvention ....................................................... 115 IV. Die Definition des Völkermordes nach der Konvention ......................... 118 V. Bezüge des Völkermordes zum Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ............................................................................... 123

10

Inhaltsübersicht

B. Die Konvention über die Unterdrückung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid vom 30. November 1973 ................................................. I. Der Begriff der Apartheid ....................................................... 11. Die Abfassung der Konvention .................................................. III. Der Inhalt der Konvention ....................................................... IV. Die Definition des Verbrechens der Apartheid. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. V. Bezüge der Apartheid zum Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit VI. Ergebnis..........................................................................

128 128 129 130 131 133 135

C. Das übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 .................. I. Vorgeschichte .................................................................... 11. Der Inhalt des Übereinkommens von 1984 ...................................... III. Die Definition der Folter nach dem Übereinkommen ........................... IV. Bezüge der Folter zum Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit.....

135 136 138 139 145

D. Zusammenfassung: Gemeinsame Merkmale der durch internationale Abkommen geregelten Teilbereiche der Verbrechen gegen die Menschlichkeit .......... I. Die Begehung schwerer Menschenrechtsverletzungen .......................... 11. Vorliegen einer bestimmten Absicht des Täters .................................. III. Kollektivität der Opfer ........................................................... IV. Staatliche Beteiligung ........................................................... V. Ergebnis ..........................................................................

149 149 150 151 152 152

Dritter Teil Definitionen des Tatbestandes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit

154

A. Die Kodifikationsarbeiten der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen

(lLC) .................................................................................. 154

I. Die Fonnulierung der sog. ,,Nürnberger Prinzipien" ............................ 154 11. Die Entwürfe für einen ,,Kodex der Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit" ........................................................ 156

B. Die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Statut eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofes ...................................... I. Die Vorarbeiten der Völkerrechtskommission ................................... 11. Das Statut von Rom .............................................................. 111. Bewertung .......................................................................

168 168 169 170

C. Zusammenfassung................................................................... 172

Inhaltsübersicht

11

Vierter Teil

Interpretation des Konzeptes durch die Rechtsprechung

175

A. Die Auslegung des Tatbestandes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Rechtsprechung nach dem Zweiten Weltkrieg ................................ I. Das "überindividuelle" Schutzgut der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ... 11. "Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit": Verletzungshandlung oder Gesinnung? .... III. Der Zusammenhang mit einem System der Gewalt- und Willkürherrschaft ..... IV. Zusammenfassende Definition ................................................... V. Bewertung .......................................................................

176 177 183 188 193 193

B. Die Elemente der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach der Rechtsprechung der Kammern des Internationalen Strafgerichtshofes rur das ehemalige Jugoslawien (lCTY) ................................................................. I. Die Begehung der Tat innerhalb eines bewaffneten Konfliktes .................. 11. Die Ausrichtung gegen die Zivilbevölkerung .................................... III. Das Erfordernis der Diskriminierungsabsicht ................................... IV. Das politische Element .......................................................... V. Der Vorsatz: das Wissen des Täters um den Kontext seiner Tat ................. VI. Zusammenfassung ...............................................................

195 195 197 202 204 207 210

C. Bedeutung der Rechtsprechung rur die Bestimmung der Elemente der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . .. .. .. . . . .. . .. .. . .. . . . . . .. . . .. . . . . .. . .. I. Erläuterung des Begriffes der "unmenschlichen Handlung" ..................... 11. Der Kontext der Tat - das politische Element ................................... III. Die subjektive Tatseite ........................................................... IV. Ergebnis............................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

211 211 212 213 213

Fünfter Teil

Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verstoß gegen einen Mindeststandard "menschlichen Verhaltens"

214

A. Der Begriff der Menschlichkeit oder Humanität .................................. 215 I. Philosophische Grundlagen des Begriffes der ,,Humanität" ..................... 215 11. Humanität als Rechtsbegriff ..................................................... 220 B. Die "Gesetze der Menschlichkeit" im internationalen Recht ..................... 221 I. Die sog. ,.Martenssche Klausel" ................................................. 221 11. Funktionen der ,.Martensschen Klausel" ........................................ 223 C. Mindeststandards der Menschlichkeit im internationalen Recht ................. I. Grundsätzlich in Betracht kommende Rechtszweige ............................ 11. Das ,,humane Recht" als Oberbegriff für das humanitäre Kriegsrecht und das Recht der Menschenrechte ........................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Kodifikationen des ,,humanen" Völkerrechts .................................... IV. Mindeststandards des humanitären Kriegsvölkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. V. Zwischenergebnis................................................................

228 228 229 232 235 254

12

Inhaltsübersicht

D. Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Ausdruck der Mindeststandards "Menschlichen Verhaltens" ......................................... 255 I. Ziel der Untersuchung ........................................................... 255 11. Die Anknüpfungshandlungen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ....... 255 E. Ergebnis .............................................................................. 262

Sechster Teil

Verbrechen gegen die Menschlichkeit als internationale Verbrechen

265

A. Die Definition des "Internationalen Verbrechens" ................................ I. Vorbemerkung zur Begriftlichkeit ............................................... 11. Allgemeine Kriterien für die Bewertung einer Tat als "internationales Verbrechen" ............................................................................. III. Differenzierung nach internationalen Verbrechen i. e. S. und internationalen Verbrechen i. w. S. ................................................................... IV. Ergebnis..........................................................................

266 267

B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als internationale Verbrechen ............ I. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Bedrohung bzw. Bruch des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit. .. . . . . . . . . . . . ... . .. . .. . . . .. . .. 11. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen .............................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Massenverbrechen ................... IV. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Teil eines "systematischen oder weitverbreiteten Angriffes gegen irgendeine Zivilbevölkerung" ..................... V. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als "staatliche Verbrechen" .............. VI. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verstoß gegen die Gleichberechtigung der Völker ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. VII. Das Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verstoß gegen das Existenzrecht der Völker ........................................................................

277

268 273 277

278 286 291 298 303 319 324

C. Ergebnis der dargestellten Deutungsversuche der Verbrechen gegen die Menschlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 329

Siebter Teil

Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verbrechen an der Menschheit

332

A. Verbrechen an der Menschheit und die Struktur der Völkerrechtsgemeinschaft 333 I. Der Ansatzpunkt: die Betroffenheit der gesamten Menschheit .................. 333 11. Das Problem: Die Vereinbarkeit von Verbrechen an der Menschheit mit der Struktur der internationalen Gemeinschaft, insbes. dem Grundsatz der Staatensouveränität ...................................................................... 338

Inhaltsübersicht

13

III. Stufen der Internationalisierung des Strafrechts am Beispiel der strafrechtlichen Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg ............................................................................. 342 B. Die internationale Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft . . . . . .. . . .. .. . . . . . .. . . . .. I. Die Pflicht zum Heraustreten aus dem Naturzustand ............................ 11. Die Pflicht zur Verhinderung von Rückfällen in den Naturzustand .............. 111. Ergebnis..........................................................................

360 360 361 364

C. Konsequenzen für die Bestimmung der Verbrechen an der Menschheit ......... I. Verbrechen an der Menschheit als Verstöße gegen die Grundprinzipien der internationalen Gemeinschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verstöße gegen das Menschenrechtsprinzip ........................................................................... III. Die Maxime der Rechtlosigkeit bestimmter Menschengruppen als Verstoß gegen das Menschenrechtsprinzip ...................................................... IV. Die Rechtfertigung des Eingreifens der internationalen Gemeinschaft: Bestehen eines Zustandes der Rechtlosigkeit gerade im Hinblick auf die Gewährleistung des Menschenrechtsprinzips .....................................................

365

D. Anknüpfungspunkte für die Strafbarkeit des einzelnen Täters. '" .. .. .... . . .. ... I. Die "unmittelbare Drittwirkung" des Menschenrechtsprinzips .................. 11. Die Begehung "unmenschlicher" Handlungen .................................. III. Der Täter als "Vollstrecker" der Maxime der Rechtlosigkeit ....................

374 374 375 376

366 368 371 373

E. Ausblick: Konsequenzen für die Befugnis zur "humanitären Intervention" ..... 376 Literaturverzeichnis .. . . . .. .. .. . .. . .. .. . .. .. .. ... . . . .. .. . . . . . . . .. . . . . .. . .. . .. .. .. .. . . .. ... 378 Stichwortverzeichnis ..................................................................... 399

Inhaltsverzeichnis Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

Erster Teil Historische Entstehung und Entwicklung des Konzeptes der" Verbrechen gegen die Menschlichkeit" A. Der Erste Weltkrieg. ..... .......... ............ ............ ................. ........ I. Die Verfolgung der armenischen Bevölkerung in der Türkei .................... 11. Die Bewertung der Kriegführung des Deutschen Kaiserreiches und seiner Verbündeten durch die sog. ,,Kommission der Fünfzehn" ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bezugnahme auf die "Gesetze der Menschlichkeit" durch die Kommissionsmehrheit ................................................................... 2. Bestimmung des Inhalts der "Gesetze der Menschlichkeit" .................. 3. Die abweichende Meinung der Kommissionsmitglieder der Vereinigten Staaten ........................................... .................................. 4. Die Friedensverträge ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Ergebnis.......................................................................... B. Der Zweite Weltkrieg................................................................ I. Die strafrechtliche Behandlung der während des Krieges durch deutsche Staatsangehörige begangenen "Greueltaten" ........................................... 1. Die Herausbildung eines politischen Konsenses zur strafrechtlichen Verfolgung von "Greueltaten" ....................................................... a) Einleitung.. .. . .. ... . .. . . . . . .. .. . .. .. .. . . . . . . .. . . . . . . .. .. . . . .. .. ..... . .. . . . b) Überblick über politische Stellungnahmen, die sich mit den sog. "Greueltaten" befaßten .......................................................... c) Zusammenfassung............................. ..................... ...... 2. Die Vorbereitung der Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Herausbildung der Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit a) Grundlegung durch Robert H. Jackson ................................... b) Die Herausbildung einer Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Londoner Konferenz ................................... c) Das Ergebnis: Die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Londoner Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Durchführung des "Nürnberger Prozesses" .............................. a) Die Anklageschrift gegen die ,,nazistischen Hauptkriegsverbrecher" .... aa) Die Struktur der Anklageschrift: die Verschwörung zum Angriffskrieg .......... ................. .................... .................. bb) Die Stellung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit............. cc) Verhältnis zu den Kriegsverbrechen.................................

35 36 36 39 40 41 42 44 45

46 46 46 46 47 50 50 52 52 54 58 59 59 60 62 63

16

Inhaltsverzeichnis Urteil des Internationalen Militärgerichtshofes ...................... Ausführungen zu den Kriegsverbrechen ............................. Die Behandlung derJudenverfolgung ............................... Allgemeine Ausführungen zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit ................................................................... dd) Ergebnis ............................................................. 5. Die Folgeprozesse ............................................................ a) Das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 ...................................................... aa) Sachlicher Anwendungsbereich ..................................... bb) Zeitlicher Anwendungsbereich ...................................... cc) Verhältnis zu den anderen Verbrechen......... . ..................... dd) Bewertung ........................................................... b) Durchführung: die 12 Nürnberger "Folgeprozesse" ...................... 6. Ergebnis ............................... ;...................................... 11. Die strafrechtliche Behandlung der Taten der fernöstlichen Kriegsgegner der Alliierten ........................................................................... 1. Die Einrichtung eines Internationalen Militärgerichtshofes für den Femen Osten .......................................................................... 2. Das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Statut des Militärgerichtshofes .......................................................... a) Einbeziehung von Taten gegen Angehörige der Streitkräfte.. .. . . . . . .. . . . b) Keine Aufnahme von Verfolgungen aus religiösen Gründen............. 3. Das Tokioter Verfahren ....................................................... 4. Bewertung....................................................... ............. III. Ergebnis: Die Entwicklungslinie des Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg ...................................

64 64 66

Die Gegenwart ....................................................................... I. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (lCfY) .... 1. Entstehungsgeschichte ........................................................ 2. Die Errichtung des Strafgerichtshofes ........................................ 3. Die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien. .... . .. .. . 4. Überblick über die bisherige Arbeit des Strafgerichtshofes im Hinblick auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit ........................................ a) Der erste Fall: Dusan Tadic ............................................... b) Die erste Anklageschrift: Dragan Nikolic ................................ c) Das erste Urteil: Drazen Erdernovic ............... . ...................... 5. Bewertung .................................................................... 11. Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) ......................... 1. Errichtung und Jurisdiktion des Internationalen Strafgerichtshofes für Ruanda (ICfR) ..................................................................... 2. Die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Statut des ICfR .......................................................................... 3. Die bisherige Arbeit des ICfR ............................................... 4. Diskrepanz zur innerstaatlichen Strafverfolgung ............................. 5. Bewertung ....................................................................

82 82 82 84

b) Das aa) bb) cc)

c.

66 67 69 69 70 70 70 70 71 72 73 73 74 74 75 75 77 79

86 88 89 92 94 99 100 100 102 104 105 107

Inhaltsverzeichnis D. Ergebnis

17 107

Zweiter Teil

Kodifikation von Teilbereichen des Konzeptes in internationalen Abkommen A. Die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkennordes vom 9. Dezember 1948 .................................................................... I. Der Begriff des "Genozids" bzw. Völkermordes ................................ 11. Die Abfassung der Konvention .................................................. III. DerInhalt der Konvention ....................................................... 1. Präambel ...................................................................... 2. Vorgehensweise ............................................................... IV. Die Definition des Völkermordes nach der Konvention ......................... 1. Schutzobjekte ................................................................. 2. Angriffshandlungen ........................................................... 3. Das Erfordernis der •.zerstörungsabsicht" .................................... V. Bezüge des Völkermordes zum Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ............................................................................... 1. Äußerer Zusammenhang. .. .. .. . .. . ... . .. . . . .. . . .. . .. . .. . . .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. 2. Innerer Zusammenhang. .. . .. . . . . . . ... . .. . .. .. . . .. . . . . . . .. .. . . . .. .. .. .. . . . .. .. a) Genozid als Unterfall der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ........ b) Herausstellung des Verfolgungsaspektes ................................. c) Vernachlässigung der "unmenschlichen Handlungen"? .................. d) Die Bedeutung des Konzeptes des Völkermordes für das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ........................................

109 111 111 114 115 115 115 118 118 120 122 123 123 124 124 125 126 127

B. Die Konvention über die Unterdrückung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid vom 30. November 1973 ................................................. I. Der Begriff der Apartheid ....................................................... 11. Die Abfassung der Konvention .................................................. III. Der Inhalt der Konvention ....................................................... 1. Präambel ...................................................................... 2. Vorgehensweise ............................................................... IV. Die Definition des Verbrechens der Apartheid.. . . . .. . . . .. . .. . . . .. .. .. .. .. . .. .... 1. Angriffshandlungen ........................................................... 2. Das Erfordernis der Unterdrückungsabsicht .................................. V. Bezüge der Apartheid zum Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit 1. Apartheid als Unterfall der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ........... 2. Die Apartheid als "Verfolgung aus rassischen Gründen" ..................... VI. Ergebnis..........................................................................

128 128 129 130 130 130 131 132 132 133 133 134 135

C. Das übereinkommen gegen Folter und andere grausame. unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 .................. I. Vorgeschichte .................................................................... 11. Der Inhalt des Übereinkommens von 1984 ...................................... III. Die Definition der Folter nach dem Übereinkommen

135 136 138 139

2 Manske

18

Inhaltsverzeichnis 1. Taterfolg und Angriffshandlungen .................................... . . . . . . .. 2. Der Taterkreis .......... ..................................... ............ ...... 3. Die Tatzwecke - die spezifische Absicht des Folterers ....................... IV. Bezüge der Folter zum Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ..... 1. Die Folter als Teil des Tatbestandes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ............................................................................ 2. Das Verhältnis zwischen Folter und unmenschlicher Behandlung ........... a) Ausführungen im Zusammenhang mit der Auslegung des Art. 3 der EMRK .................................................................... b) Ergebnis .................................................................. 3. Erläuterung des Begriffs der unmenschlichen Handlung durch den Unterfall der Folter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

D. Zusammenfassung: Gemeinsame Merkmale der durch internationale Abkommen geregelten Teilbereiche der Verbrechen gegen die Menschlichkeit .......... I. Die Begehung schwerer Menschenrechtsverletzungen .......................... II. Vorliegen einer bestimmten Absicht des Täters. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Kollektivität der Opfer ........................................................... IV. Staatliche Beteiligung ........................................................... V. Ergebnis..........................................................................

140 142 143 145 145 145 146 148 148 149 149 150 151 152 152

Dritter Teil Definitionen des Tatbestandes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit A. Die Kodifikationsarbeiten der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (lLC) .................................................................................. I. Die Formulierung der sog. ,,Nürnberger Prinzipien" ............................ II. Die Entwürfe für einen ,,Kodex der Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit" ........................................................ 1. Der Entwurf von 1954 ........................................................ a) Gliederung des Tatbestandes in "unmenschliche Handlungen" und "Verfolgungen" ................................................................ b) Das Erfordernis der ,,staatlichen Verwicklung" .......................... 2. Der Entwurf von 1991 ........................................................ a) Die Begehung schwerer Menschenrechtsverletzungen als gemeinsames Merkmal .................................................................. b) Die Liste der genannten Tathandlungen .................................. c) Beibehaltung und Definition der "Verfolgungen" ........................ d) Die Kriterien der "System- oder Massenhaftigkeit" ...................... e) Lösung des Täterkreises aus der "staatlichen Verwicklung" .............. 3. Der Entwurf von 1996 ........................................................ a) Erweiterung des Kreises der Tathandlungen .............................. b) Die Definition der "unmenschlichen Handlungen" ....................... c) Weitere Erfordernisse ..................................................... aa) Begehung "in systematischer Weise oder in großem Umfang" ......

154 154 154 156 156 157 157 158 159 159 160 160 161 162 162 163 164 164

Inhaltsverzeichnis

19

bb) Anstiftung oder Leitung durch eine Regierung oder irgendeine Organisation oder Gruppe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 165 4. Zusammenfassung und Bewertung ........................................... 166 B. Die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Statut eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofes ...................................... I. Die Vorarbeiten der Völkerrechtskommission ................................... 11. Das Statut von Rom .............................................................. 111. Bewertung ......................................................... . ............. 1. Die genannten unmenschlichen Handlungen ................................. 2. Die Verfolgungen ............................................................. 3. Der ..großangelegte oder systematische Angriff gegen die Zivilbevölkerung"

168 168 169 170 170 171 172

C. Zusammenfassung................................................................... 172

Vierter Teil

Interpretation des Konzeptes durch die Rechtsprechung

175

A. Die Auslegung des Tatbestandes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Rechtsprechung nach dem Zweiten Weltkrieg ................................ I. Das ..überindividuelle" Schutzgut der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ... 1. Die Menschheit als ..Träger und Schützer" bestimmter Werte ............... 2. Die Menschenrechte .......................................................... 3. Die Menschenwürde .......................................................... 4. Zusammenfassung ............................................................ 11. ..Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit": Verletzungshandlung oder Gesinnung? .... 1. Die unmenschliche Gesinnung ............................................... 2. Die unmenschliche Tat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Bewertung .................................................................... III. Der Zusammenhang mit einem System der Gewalt- und Willkürherrschaft ..... IV. Zusammenfassende Definition .................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. V. Bewertung .......................................................................

176 177 177 179 181 183 183 184 185 188 188 193 193

B. Die Elemente der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach der Rechtsprechung der Kammern des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) ................................................................. I. Die Begehung der Tat innerhalb eines bewaffneten Konfliktes .................. 11. Die Ausrichtung gegen die Zivilbevölkerung ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Der Begriff der Zivilbevölkerung ............................................. 2. Das einzelne Opfer ........................................................... 3. Bewertung .................................................................... 4. Der Begriff der ,,Bevölkerung" - Erfassung von Einzeltaten? ................ III. Das Erfordernis der Diskriminierungsabsicht ................................... IV. Das politische Element .......................................................... V. Der Vorsatz: das Wissen des Taters um den Kontext seiner Tat ................. VI. Zusammenfassung ...............................................................

195 195 197 197 197 200 201 202 204 207 210

2*

20

c.

Inhaltsverzeichnis Bedeutung der Rechtsprechung für die Bestimmung der Elemente der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ...................................................... I. Erläuterung des Begriffes der "unmenschlichen Handlung" ..................... 11. Der Kontext der Tat - das politische Element ................................... III. Die subjektive Tatseite ........................................................... IV. Ergebnis ................. ~ ........................................................

211 211 212 213 213

Fünfter Teil

Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verstoß gegen einen Mindeststandard "menschlichen Verhaltens"

214

A. Der Begriff der Menschlichkeit oder Humanität .................................. I. Philosophische Grundlagen des Begriffes der ,,Humanität" ..................... 1. Die grundlegende Relativität des Begriffes ................................... 2. Die Trias Bildung, Menschenfreundlichkeit und Menschenwürde ........... a) Bildung ................................................................... b) Menschenfreundlichkeit .................................................. c) Menschenwürde .......................................................... 3. Bedeutung für den Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit .... 11. Humanität als Rechtsbegriff .....................................................

215 215 215 216 216 216 218 219 220

B. Die "Gesetze der Menschlichkeit" im internationalen Recht ..................... I. Die sog. ,,Martenssche Klausel" ................................................. 11. Funktionen der "Martensschen Klausel" ........................................ 1. Lückenschließung durch Gewohnheitsrecht .................................. 2. Lückenschließung durch Rechtsfortbildung .................................. 3. Der Grundsatz der Menschlichkeit als rechtlicher Beurteilungsmaßstab ..... 4. Ergebnis ......................................................................

221 221 223 223 224 225 227

C. Mindeststandards der Menschlichkeit im internationalen Recht ................. I. Grundsätzlich in Betracht kommende Rechtszweige ............................ 11. Das ,,humane Recht" als Oberbegriff für das humanitäre Kriegsrecht und das Recht der Menschenrechte ................................................. . . . . .. 1. Unterschiede zwischen dem humanitären Kriegsrecht und dem Recht der Menschenrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Der Schutz der Menschlichkeit als gemeinsames Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Ergebnis ...................................................................... III. Kodifikationen des ,,humanen" Völkerrechts .................................... 1. Mindeststandards nach den Menschenrechtsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Nicht derogierbare Rechte ................................................ b) Inhalt der absolut geschützten Rechte .................................... 2. Ergebnis ...................................................................... IV. Mindeststandards des humanitären Kriegsvölkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die Tatbestände der sog. "schweren Verletzungen" der Genfer Konventionen von 1949 ...................................................................... a) Bedeutung. . . . . . . . . . . . ... .. .. . . .. . .. .. .. . .. . . . . .. . . . . . . . .. . .. .. . . .. . . . . . .. b) Beschränkung des Opferkreises auf geschützte Personen ................

228 228 229 229 230 232 232 232 233 233 235 235 236 236 237

Inhaltsverzeichnis c) Die schweren Verletzungen als in internationalen Konflikten zu beachtender Mindeststandard für die Behandlung von Personen .................. d) Inhalt des Mindeststandards .............................................. e) Ergebnis .................................................................. 2. Erweiterung der schweren Verletzungen durch das erste Zusatzprotokoll von 1977 ........................................................................... a) Erweiterung des persönlichen Schutzbereiches . . .. . . . . . . .. .. .. . . .. . . .. . .. b) Inhaltliche Erweiterung ................................................... c) Ergebnis .................................................................. 3...Grundlegende Garantien" nach den Zusatzprotokollen zu den Genfer Abkommen von 1977 ............................................................ a) Bedeutung als Mindeststandard in internationalen und internen bewaffneten Konflikten ............................................................. b) Erweiterung des personellen Anwendungsbereiches ..................... c) Inhaltliche Erweiterung ................................................... d) Ergebnis .................................................................. 4. Mindeststandard im gemeinsamen Artikel drei der Genfer Abkommen von 1949 ........................................................................... a) Bedeutung als Mindeststandard für nicht-internationale Konflikte. . . . . .. b) Inhalt des Mindeststandards .............................................. c) Ergebnis .................................................................. 5. Erklärung eines humanitären Mindeststandards .............................. a) Bedeutung als Vorschlag für einen unter allen Umständen einzuhaltenden Mindeststandard .......................................................... b) Inhalt ...................................................................... c) Ergebnis .................................................................. V. Zwischenergebnis ................................................................ D. Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Ausdruck der Mindeststandards "Menschlichen Verhaltens" ......................................... I. Ziel der Untersuchung ........................................................... 11. Die Anknüpfungshandlungen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ....... 1. Mord .......................................................................... 2. Ausrottung .................................................................... 3. Versklavung ................................................................... 4. Vertreibung oder Zwangsumsiedlung der Bevölkerung ...................... 5. Folter .......................................................................... 6. Freiheitsberaubung ........................................................... 7. Vergewaltigung ............................................................... 8. Verfolgungen ................................................................. 9. Verschwindenlassen von Personen ........................................... 10. Apartheid ..................................................................... 11. Andere unmenschliche Handlungen .................................. .. ......

21 237 238 242 243 243 243 247 247 247 248 249 249 250 250 251 252 253 253 253 254 254 255 255 255 256 256 257 257 258 258 259 260 261 261 262

E. Ergebnis .............................................................................. 262

22

Inhaltsverzeichnis

Sechster Teil

Verbrechen gegen die Menschlichkeit als internationale Verbrechen

265

A. Die Definition des "Internationalen Verbrechens" ................................ I. Vorbemerkung zur Begrifflichkeit ............................................... II. Allgemeine Kriterien für die Bewertung einer Tat als ,,internationales Verbrechen" ............................................................................. 1. Formelle Begriffsbestimmungen. . . .. .. . .. .. .. . .. . . . . . . .. .. . .. .. . .. .. .. . . .. ... a) Der internationale Charakter der Verbotsnorm ........................... b) Das Kriterium der unmittelbaren Anwendbarkeit ........................ c) Bewertung ................................................................ 2. Materielle Begriffsbestimmungen ............................................ a) Die "Schwere und Gefährlichkeit der Tat" ............................... b) Die Verletzung internationaler Rechtsgüter ............................... III. Differenzierung nach internationalen Verbrechen i. e. S. und internationalen Verbrechen i. w. S. ................................................................... IV. Ergebnis..........................................................................

266 267

B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als internationale Verbrechen ............ I. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Bedrohung bzw. Bruch des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit. .. .. . .. .. .. . .. .. .. . . . . . . .. . ... 1. These . .. .. . . .. .. . . .. . . . . .. . . .. . . .. .. . . . . .. . . .. . . . . .. .. .. .. . . . .. . . . . . . . . . . . .. ... 2. Der Begriff des internationalen Friedens ..................................... 3. Der Frieden als internationales Rechtsgut .................................... 4. Argumentation ................................................................ a) Historische Entstehung des Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit . .. .. . . .. .. .. .. .. .. . . .. .. . .. . .. . . . .. . .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. . . .. ... b) Die Definitionen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit .............. c) Das Eingreifen dritter Staaten ............................................ d) Die Bewertung als Friedensbedrohung bzw. -bruch nach Art. 39 der UNCharta ..................................................................... 5. Bewertung .................................................................... II. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen .. .. .. .. . .. .. . .. .. . .. . . . . . .. .. . . . . .. .. . . .. .. .. .. .. .. . .. .. . .. .. . . . .. . . .. .. 1. These . .. .. .. . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . .. .. .. .. .. . .. . . . . . . . . . .. . . .. ... 2. Die Menschenrechte als internationale Rechtsgüter .......................... 3. Argumentation ................................................................ 4. Bewertung .................................................................... III. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Massenverbrechen ................... 1. These .......................................................................... 2. Argumentation ................................................................ 3. Bewertung .................................................................... IV. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Teil eines "systematischen oder weitverbreiteten Angriffes gegen irgendeine Zivilbevölkerung" ..................... 1. These .. . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. .. . . .. .. .. .. . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . .. 2. Argumentation ................................................................

277

268 268 268 269 270 271 271 271 273 277

278 278 278 279 280 280 281 282 283 285 286 286 286 287 290 291 291 291 296 298 298 298

c.

Inhaltsverzeichnis

23

3. Bewertung V. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als "staatliche Verbrechen" .............. 1. These .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Argumentation ................................................................ a) Das Phänomen der "staatlichen Verwicklung" in die Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ........................................ b) Die Frage nach einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Staates .... aa) Der Entwurf der Völkerrechtskommission zur Staatenverantwortlichkeit ............................................................... bb) Bewertung ........................................................... c) Die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Individuums aa) Das Phänomen der sog. Makrokriminalität .......................... bb) Die Notwendigkeit einer ,,Internationalisierung" der strafrechtlichen Reaktion ............................................................. cc) Kollektive oder individuelle Verantwortlichkeit? .................... d) Komplementarität von strafrechtlicher Individualverantwortung und Staatenverantwortlichkeit ................................................. 3. Ergebnis ...................................................................... VI. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verstoß gegen die Gleichberechtigung der Völker .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. These .......................................................................... 2. Die Gleichberechtigung der Völker als international geschütztes Rechtsgut . 3. Argumentation ................................................................ a) Der Verfolgungscharakter der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. . .. b) Die Diskriminierungsabsicht als Merkmal aller Verbrechen gegen die Menschlichkeit ............................................................ c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verfolgungen ................. VII. Das Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verstoß gegen das Existenzrecht der Völker ........................................................................ 1. These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Das Existenzrecht der Völker als internationales Rechtsgut .................. 3. Argumentation ................................................................ 4. Bewertung .................................................................... a) Zustimmung. . .. . . . . . . . . .. . .. . . . .. .. .. .. .. . . ... ... . . . . . . . . . .. .. ... .. . . .. .. b) Kritik .....................................................................

302 303 303 303 304 306 307 308 309 309 312 313 315

316 319 319 319 320 320 321 323 324 324 324 324 327 327 328

Ergebnis der dargestellten Deutungsversuche der Verbrechen gegen die Menschlichkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 329

Siebter Teil

Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verbrechen an der Menschheit

332

A. Verbrechen an der Menschheit und die Struktur der Völkerrechtsgemeinschaft 333 I. Der Ansatzpunkt: die Betroffenheit der gesamten Menschheit .................. 333

24

Inhaltsverzeichnis II. Das Problem: Die Vereinbarkeit von Verbrechen an der Menschheit mit der Struktur der internationalen Gemeinschaft, insbes. dem Grundsatz der Staatensouveränität ...................................................................... 1. Der Begriff der ,,Menschheit" ................................................ 2. Der Grundsatz der Souveränität der Staaten .................................. III. Stufen der Internationalisierung des Strafrechts am Beispiel der strafrechtlichen Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg ............................................................................. 1. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verstöße gegen das Strafrecht der zivilisierten Nationen - subsidiäre Durchsetzung durch die internationale Gemeinschaft .................................................................... 2. Exkurs: die Qualifizierung der Strafvorschriften des Londoner Abkommens a) Erlaß von Vorschriften über Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Besatzungsrecht oder Anwendung deutschen Strafrechts? ...... . . . . . . . . . . .. b) Erlaß von (rückwirkenden) Strafvorschriften ............................. c) Bewertung ................................................................ 3. Völkervertragliche Mindeststandards der Menschlichkeit- subsidiäre Durchsetzung durch die internationale Gemeinschaft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Zwischenergebnis............................................................. 5. Verbrechen an der Menschheit - primäre Zuständigkeit der internationalen Gemeinschaft ................................................................. 6. Ergebnis ......................................................................

338 338 340 342 344 346 346 348 350 351 355 356 359

B. Die internationale Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft . . .. . . . . . . . . .. . . . . . .. .. .. I. Die Pflicht zum Heraustreten aus dem Naturzustand ............................ II. Die Pflicht zur Verhinderung von Rückfällen in den Naturzustand .............. III. Ergebnis..........................................................................

360 360 361 364

c.

Konsequenzen für die Bestimmung der Verbrechen an der Menschheit ......... I. Verbrechen an der Menschheit als Verstöße gegen die Grundprinzipien der internationalen Gemeinschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1I. Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verstöße gegen das Menschenrechtsprinzip ........................................................................... 1. Der Schutz des Menschen als Aufgabe der internationalen Gemeinschaft ... 2. Der Inhalt des Menschenrechtsprinzips: Das Recht auf Rechtsfähigkeit ..... 3. Die Pflicht des Staates zur Gewährleistung des Menschenrechtsprinzips .... III. Die Maxime der Rechtlosigkeit bestimmter Menschengruppen als Verstoß gegen das Menschenrechtsprinzip ...................................................... IV. Die Rechtfertigung des Eingreifens der internationalen Gemeinschaft: Bestehen eines Zustandes der Rechtlosigkeit gerade im Hinblick auf die Gewährleistung des Menschenrechtsprinzips .....................................................

365

D. Anknüpfungspunkte für die Strafbarkeit des einzelnen Täters ................... I. Die "unmittelbare Drittwirkung" des Menschenrechtsprinzips .................. 1I. Die Begehung "unmenschlicher" Handlungen .................... . ............. III. Der Täter als "Vollstrecker" der Maxime der Rechtlosigkeit ....................

374 374 375 376

366 368 368 369 370 371 373

E. Ausblick: Konsequenzen für die Befugnis zur "humanitären Intervention" ..... 376

Inhaltsverzeichnis

25

Literaturverzeichnis . . . .. . . .. . . . .. . .. .. .. .. .. . . ... .. .. . ... . . .. . . . . . . . . . . . .. .. . . . .. . . . .. . .. 378 Stichwortverzeichnis ..................................................................... 399

Abkürzungsverzeichnis AJIL AJPIL AlbLR AMRE AMRK Anm. ArchVR ARSP BayOblG BGHSt BYIL ColJTL ders. Doc. DRZ EA EGMR EJIL EKMR EMRK EPIL EuGRZ FAZ FIU FlorJIL For.Aff. FR FS FYIL GA GJICL GYIL HarvHRJ HLKO HRU HRQ HuV-I HYIL ICC

Arnerican Journal of International Law Austrian Journal of Public International Law Albany Law Review Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Amerikanische Menschenrechtskonvention Anmerkung Archiv des Völkerrechts Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen British Yearbook of International Law Colurnbia Journal of Transnational Law derselbe Document Deutsche Richterzeitung Europa-Archiv Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte European Journal of International Law Europäische Kommission für Menschenrechte Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Encyclopedia of Public International Law Europäische Grundrechte-Zeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung Fordham International Law Journal Florida Journal of International Law Foreign Affairs Frankfurter Rundschau Festschrift Tbe Finnish Yearbook of International Law Goltdarnmers Archiv für Strafrecht Georgia Journal of International and Cornparative Law German Yearbook of International Law Harvard Human Rights Journal Haager Landkriegsordnung Human Rights Law Journal Human Rights Quarterly Humanitäres Völkerrecht - Informationsschriften Hague Yearbook of International Law International Crirninal Court

Abkürzungsverzeichnis ICLQ ICTR ICTY i.e.S. IGH IGY ILC ILM ILR Int.Aff. IPG IRPL IRRC IsrYBHR lT JA

IDI

JuS JZ KRG10 KrirnJ KritJ MDR MdS MIIL MSchrKrirn MW36 NILR NJ NorIIL NStZ ÖJZ OGHSt RBDI RCDPC RdC RDP RDPC RDPSP RES RGDIP RICR RIOP RISDP SchwZStrafR

27

International and Comparative Law Quarterly International Criminal Tribunal for Ruanda International Crirninal Tribunal for the Former Yugoslavia im engeren Sinne Internationaler Gerichtshof International Geneva Yearbook International Law Commission International Legal Materials International Legal Reports International Affairs Internationale Politik und Gesellschaft International Review of Penal Law International Review of the Red Cross Israel Yearbook on Human Rights International Tribunal s. ICTY Juristische Ausbildung Journal du droit international Juristische Schulung Juristenzeitung Kontrollratsgesetz Nr. 10 Kriminologisches Journal Kritische Justiz Monatsschrift für Deutsches Recht Die Metaphysik der Sitten (Kant) Michigan Journal of International Law Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform Mittelweg 36 Netherlands International Law Review Neue Justiz Nordic Journal of International Law Neue Zeitung für Strafrecht Österreichische Juristen-Zeitung Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen Revue beIge de droit international Revue de science criminelle et de droit penal cornpare Recueil des Cours Revue du Droit Public et de la science politique en France et a l'etranger Revue de droit penal et de criminologie Revue du droit public et de la science politique Resolution Revue generale de droit international public Revue internationale de la Croix-Rouge Revue internationale de droit penal Revue de droit international de sciences diplornatiques et politiques Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht

28 SFRJ SJZ Sp. StV Suppl. SZ SZIER u.a. UN VirflL VN WOLR WWR YBILC

YU

ZaöRV ZeF ZRP ZStW

Abkürzungsverzeichnis Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien Süddeutsche Juristenzeitung Spalte Strafverteidiger Supplement Süddeutsche Zeitung Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht unter anderem United Nations Virginia Journal of International Law Vereinte Nationen Western Ontario Law Review Wehrwissenschaftliche Rundschau Yearbook of the International Law Comrnission The Yale Law Journal Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zum ewigen Frieden (Kant) Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einleitung "Was Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind, ist zu bekannt, als daß es einer Erörterung bedürfte."\

Die vorliegende Arbeit untersucht, ob Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verbrechen an der gesamten Menschheit - mit der Folge einer entsprechenden Rechtfertigung zur "universellen" Ahndung - zu verstehen sind. Ausgangspunkt der Untersuchung war die Feststellung, daß im Hinblick auf die Übertragung des englischen Begriffes der "crimes against humanity" unterschiedliche Übersetzungen möglich sind. Dieser Begriff wird immer dann verwendet, wenn besonders abstoßende Verbrechen ein Ausmaß ähnlich dem der NS- Verbrechen erreichen und "das Gewissen der Menschheit schockieren"2. Zum einen läßt sich dieser Begriff mit "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" übersetzen. Dies impliziert die Feststellung eines Verstoßes gegen bestimmte Verhaltensanforderungen, gegen einen Mindeststandard ethischen, "menschlichen" Verhaltens. Dies ist jedoch nicht die einzige Deutungsweise des Begriffes 3 , in Betracht käme auch die Übersetzung als "Verbrechen an der Menschheit"4. Der Begriff läßt sich demnach auf zwei verschiedene Weisen übersetzens. \ Robert H. Jackson, Hauptankläger der Vereinigten Staaten von Amerika im Nürnberger Prozeß gegen die sog. ,.Hauptkriegsverbrecher", Erste Anklagerede vom 21.11.1945, dt. in: "Staat und Moral", S.60. 2 V gl. z. B. Donat-Cattin: "The term ,crimes against humanity' is often used by the general public to characterise inhumane acts unacceptable for modem civilisation", in: Lattanzi (Hrsg.) The International Crirninal Court, S. 49. Becker hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, daß eine Beurteilung der Frage, wann eine Tat die gesamte Menschheit berührt, anhand der "weltweiten Reaktion", die sie auslöst, problematisch ist, da ein entsprechendes "Weltgewissen" nicht existiere und das Maß der moralischen Entrüstung von anderen Faktoren, insbes. machtund wirtschaftspolitischen Überlegungen, überlagert werde, s. Der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, S.161, 162. 3 Zu den Übersetzungsschwierigkeiten bezüglich der Begriffe ,,humanity" (engl.) bzw. "l'humanite" (frz.) s. auch Reemtsma, der schließlich vorschlägt, die Bezeichnung "Verbrechen gegen die Humanität" zu wählen, Mittelweg 3/1992, S.66. 4 Dies würde im Englischen in etwa dem Begriff "crimes against mankind", im Französischen dem Begriff "crimes contre le genre humain" entsprechen. Diese Übersetzung wird zum Teil für zutreffender gehalten: "Verbrechen gegen die Menschlichkeit sollte wohl heißen, die Tater hätten sich an einem ethischen Wert, an der humanitas, vergangen, die Tater wären nicht menschlich genug. Das klingt aber sehr abmildernd im Vergleich zu dem Englischen. Hurnanity bezieht sich im Englischen auf die Opfer, die Ermordeten und die Menschheit als Ganzes, die durch die Morde verhöhnt worden ist, und nicht auf einen fehlenden ethischen Wert bei den Tatern.( ... ) Hurnanity kann ,Menschlichkeit' heißen, aber im genannten Zusammenhang heißt es eindeutig Menschheit", Leserbrief von Joseph Butler, Lehrbeauftragter für Englisch an der

30

Einleitung

Es handelt sich dabei aber nicht nur um ein linguistisches Problem. Vielmehr lassen die unterschiedlichen Übersetzungen den Rückschluß auf ein unterschiedliches Verständnis des Konzeptes der "crimes against humanity" zu. Übersetzt man "humanity" mit "Menschlichkeit", so versteht man unter Verbrechen gegen die Menschlichkeit einen Oberbegriff für schwerwiegende Verstöße gegen einen Mindeststandard "mitmenschlichen" Verhaltens, die eine strafrechtliche Sanktionierung - auf der nationalen oder internationalen Ebene - erfordern. Die Übersetzung als "Verbrechen an der Menschheit" deutet dahingegen darauf hin, daß die Taten, die bestraft werden sollen, die gesamte Menschheit betreffen. Es handelt sich dabei um eine Frage, die in der Literatur und Rechtsprechung zum Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit früher gelegentlich erwähnt, jedoch nicht ausdrücklich aufgeworfen oder ausführlich behandelt wurde. Daß diese Frage von aktueller Bedeutung ist, zeigt sich daran, daß sie zum Gegenstand einer grundlegenden Kontroverse unter den Richtern des durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen errichteten Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien geworden ist. Während ein Teil der Richter im Berufungsverfahren gegen Drazen Erdemovic die Sichtweise vertrat, daß Verbrechen gegen die Menschlichkeit die Menschheit als Ganzes beträfen 6 , lehnte Richter Li dies ausdrücklich ab und bezeichnete sie als Verbrechen gegen einen Mindeststandard menschlichen Verhaltens 7. Dieser Ansicht hat sich Richter Robinson im Verfahren gegen Dusan TadieS angeschlossen. Die unterschiedliche Übersetzung wirkt sich dann aus, wenn Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf internationaler Ebene bestraft werden sollen. Deutet man Technischen Universität München, in: SZ v. 28/29.5.1997, S. 14. s. auch Hol/weg, JZ 1993, S. 986, Anm.57 sowie Zimmermann, der das Verbrechen ohne nähere Erläuterung als "Verbrechen gegen die Menschheit" bezeichnet, ZaöRV 58 (1998), S. 50. 5 Hierauf hat Schwelb bereits 1946 hingewiesen: "The word humanity (1 'humanite) has at least two different meanings, the one connoting the human race or mankind as a whole, and the other, humaneness, i. e., a certain quality of behaviour. " Schwelb spricht sich für die Übersetzung mit ,Menschlichkeit' aus: "It is submitted that in the Charter, and in the other basic documents which will be discussed in this artic1e, the word humanity is used in the latter sense. It is therefore, not necessary, for a certain act, in order to come within the notion of crimes against humanity, to affect mankind as a whole. A crime against humanity is an offence against certain general principles of law which, in certain circumstances, becomes the concem of the international community, name1y, if it has repercussions reaching across international frontiers, or if it passes in magnitude or savagery any limits of what is tolerable by modem civilizations", s. BYIL 23 (1946), S.195. 6 The Prosecutor v. Drazen Erdemovie (Case No. IT-96-22-A), 7 October 1997, Sentencing Judgement, Joint Seperate Opinion of Judge McDonald and Judge Vorah, para. 21. 7 In: The Prosecutor v. Drazen Erdemovie (Case No. IT-96-22-A), 7 October 1997, Sentencing Judgement, Separate and Dissenting Opinion of Judge Li, para. 26. 8 " ••• The proper meaning of a crime against humanity is not that it is a crime against the whole of humanity, but rather that it is a crime which offends humaneness, i. e. a certain quality ofbehaviour", in: The Prosecutor v. Dusko Tadic (Case No. IT-94-1-T bis R 117), Sentencing Judgement, 11 November 1999, S.4.

Einleitung

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diese Verbrechen als Verstoß gegen einen Mindeststandard menschlichen Verhaltens, so wirft dies die Frage auf, welchen Inhalt dieser Standard hat und ob er universell gültig ist. Deutet man sie hingegen als Taten, die die gesamte Menschheit betreffen, so könnten diese Taten möglicherweise auch gegen den Willen des Begehungsstaates geahndet werden. Fraglich ist dann aber, wie eine solche zwangsweise Ahndung mit dem Grundsatz der Souveränität der Staaten zu vereinbaren ist. Diese Arbeit untersucht, warum Verbrechen gegen die Menschlichkeit "im Namen der internationalen Gemeinschaft" und universell verfolgt werden können. Gleichzeitig soll damit geklärt werden, ob es sich um Verstöße gegen einen Mindeststandard menschlichen Verhaltens oder um Verbrechen an der ganzen Menschheit handelt. Hierzu ist es erforderlich, den spezifischen Charakter des Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit herauszuarbeiten. Sobald man in eine nähere Betrachtung der bisher unternommenen Bemühungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit im internationalen Recht festzuschreiben, eintritt, stellt man fest, daß das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit trotz der gerade in den letzten Jahren ausgiebig diskutierten Frage der strafrechtlichen Verfolgung großformatiger Menschenrechtsverletzungen auf der internationalen Ebene, die mit der Verabschiedung des Statuts für einen ständigen Internationalen Strafgerichtshof in Rom 1998 ihren Höhepunkt erreichte, letztlich nicht hinreichend geklärt ist. Mittlerweile existieren verschiedene Definitionen des Tatbestandes. Diese Definitionen wurden mit Ausnahme des Statuts von Rom stets reaktiv gebildet und insofern auf den Anwendungsfall "zugeschnitten"9. Dies verlieh dem Konzept seine Effektivität zur Ahn9 Diese Vorgehensweise hat dazu geführt, daß sich an den Tatbeständen der Nürnberger Prozesse, insbesondere bezüglich der Kategorie der Verbrechen gegen den Frieden, aber auch hinsichlich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, eine immer noch ,,nachschwelende" Diskussion über die Geltung des Prinzips "nullum crimen sine lege" und der Vorwurf eines nicht zulässigen ex-postjacto-Rechts entzündete: s. hierzu insbes. Kranzbühler: ,,Das Verbrechen gegen den Frieden ist trotz aller mühsamen Ausweitungsversuche des Briand-KelloggPaktes eine Erfindung der Londoner Konferenz ebenso wie das Verbrechen gegen die Menschlichkeit", in: ,,Rückblick auf Nürnberg", S. 13. Der Internationale Militärgerichtshof von Nürnberg vertrat bezüglich des Grundsatzes nullum crimen sine lege die Auffassung, hierbei handele es sich nicht um eine Beschränkung der Souveränität, sondern um einen ,Grundsatz der Gerechtigkeit'. Nicht die Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher sei ungerecht, sondern eine Straffreiheit wäre ungerecht. Das amerikanische Militärgericht bezweifelte im sog. ,)uristenprozeß" die Anwendbarkeit des Grundsatzes auf das Völkerrecht aufgrund dessen dynamischer Natur: ,,Der Versuch, den ex-post-facto-Grundsatz auf richterliche Entscheidungen unter gemeinem Völkerrecht anzuwenden, würde bedeuten, dieses Völkerrecht im Keime zu ersticken.", s. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Das Nürnberger Juristen-Urteil von 1947, S.57. Zur Diskussion nach dem Zweiten Weltkrieg, s. v. a. SJZ 1947, Sondernummer: "Humanitätsverbrechen und ihre Bestrafung", von Hodenberg, Sp. 113ff., Wimmer, Sp. 123ff., Radbruch, Sp. 131 ff. s. auch Lange, DRZ 1948, S.155 ff. Allgemein: v. a. Triffterer, Dogmatische Untersuchungen zur Entwicklung des materiellen Völkerstrafrechts seit Nürnberg, S.124ff., Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 137ff., Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S.139ff., Dahm, Zur Problematik eines Völkerstrafrechts, S.55ff. Die Frage der Geltung des Grundsatzes" nullum crimen sine lege" im Bereich des Völkerstrafrechts ist umstritten. Insbesondere wird vertreten, daß aufgrund der Natur des Völkerrechts

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dung der jeweiligen "Greueltaten", schwächt es jedoch gleichzeitig, da die Definitionen nicht hinreichend von den Anwendungsfallen abstrahiert wurden, so daß die Grundstrukturen des Konzeptes verwischt wurden. In dieser Arbeit wird der umgekehrte Weg eingeschlagen. Da das juristische Konzept abstrakt gefaßt sein muß, darf es nicht reaktiv auf den Anwendungsfall "zugeschnitten" werden. Insofern muß das Konzept eine gewisse "Unabhängigkeit" und "Unveränderlichkeit" zeigen. Die bisherigen Bemühungen um eine Kodifikation dieses Konzeptes werden daher auf ihre gemeinsamen Merkmale hin verglichen, um so die normative Grundstruktur des Konzeptes von seinen anerkannten Anwendungsfallen zu abstrahieren. Dabei ist zwischen den Erkennungsmerkmalen des "soziologischen Phänomens" und den verschiedenen normativen Begriffsmerkmalen zu unterscheiden 10. Zwischen beiden besteht eine "Wechselwirkung" in der Weise, daß das soziologische Phänomen die Notwendigkeit der Schaffung des juristischen Konzeptes vorgibt und Richtschnur für dessen Inhalt ist. Die Merkmale, die dem Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit als soziologischem Phänomen anhaften, können als Indizien für das Vorliegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit nach der Definition als juristisches Konzept verstanden werden. Liegen diese Merkmale vor, so besteht ein Anhaltspunkt dafür, daß es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt. Dies liegt daran, daß das juristische Konzept "bei seiner Entstehung" auf das soziologische Phänomen zugeschnitten keine geschriebene Rechtsquelle zur Begründung der Strafbarkeit erforderlich sei, s. z. B. Glaser, Die Gesetzlichkeit im Völkerstrafrecht, ZStW 76 (1964), 170ff. Ausführlich auch Zander, der zu dem Schluß gelangt, im Völkerrecht gelte nur das Gebot der lex praevia, nicht aber das der lex scripta und stricta, Zur Problematik des Kriegsverbrechens, S.43. Selbst bei Annahme einer grundSätzlichen Geltung des Rückwirkungsverbotes im Völkerrecht wurde unter Bezugnahme auf die sog. ,,Radbruchsche Formel" (entwickelt von Gustav Radbruch in seinem Aufsatz "Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht", SJZ 1946, Sp. 105) in Bezug auf schwerste Verletzungen der Menschenrechte eine Durchbrechung dieses Grundsatzes befürwortet. s. dazu in neuerer Zeit die Urteile des BGH z.B. in BGHSt 39,1,15/16; BGHSt 41, 101,105, s. auch den Beschluß des BVerfG vom 26.10.1996, StV 1997, S.14, insbes. S.16 sowie den kritischen Beitrag von Ambos in StV 1/97, S. 39ff. Bos stellt die Anwendbarkeit des Prinzips nullum crimen nulla poena sine praevia lege poenali für internationale Strafgerichte fest, kritisiert jedoch gleichzeitig, daß dieses Prinzip "aus moralischen Gründen" in vielen Verfahren nach dem Zweiten Weltkrieg außer Acht gelassen wurde, s. A Methodology of International Law, S. 283. Wie problematisch die Aufgabe des Grundsatzes gerade im Hinblick auf NS-Taten ist, wird anhand des Beitrages von Rüping ,,Nullum crimen sine poena. Zur Diskussion um das Analogieverbot im Nationalsozialismus" deutlich, in: Oehler-FS, S. 27 ff. Von Hodenberg faßt diese Bedenken eindringlich zusanunen: ,,Die wahre objektive Gerechtigkeit kann, wie wir wissen, niemals erreicht werden. Wir können lediglich dem nachstreben, was wir selbst für Gerechtigkeit halten. Wenn insoweit an eine Tat nicht die Maßstäbe des zur Zeit ihrer Begehung geltenden objektiven Rechts gelegt werden sollen, so kann das nichts anderes bedeuten, als daß sich das bei dem Richter hervortretende ,gesunde Rechtsgefühl' gegenüber dem zur Zeit der Tat geltenden Strafgesetz durchsetzen soll", SJZ 1947, Sp.120. 10 Vgl. insofern die Abhandlung von Herzog, der zwischen den Verbrechen gegen die Menschlichkeit als soziologischem Phänomen und rechtlichem Konzept unterscheidet und von einem Zusanunenhang zwischen beiden ausgeht, s. RIDP (1947), S.155ff.

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war. Alle nachfolgenden Phänomene müssen deshalb eine Ähnlichkeit mit dem Ausgangsfall aufweisen, um unter die Definition zu fallen. Andererseits kann jedoch nicht der Schluß gezogen werden, daß bei Vorliegen eines der soziologischen Merkmale notwendig auch das juristische Konzept eingreift. Die empirischen Erkennungsmerkmale müssen deshalb einer Probe daraufhin unterzogen werden, ob sie gleichzeitig Begriffsmerkmale darstellen. Um die Grundstruktur des Konzeptes herauszuarbeiten, wird im ersten Teil der Arbeit zunächst die historische Entwicklung des Konzeptes einschließlich seiner Anwendung durch die Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien bzw. Ruanda nachvollzogen. Im zweiten und dritten Teil der Arbeit wird dann untersucht, inwieweit das Konzept völkerrechtlich verankert ist. Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind zwar nicht Gegenstand eines spezifischen internationalen Abkommens. Jedoch wurden Teilaspekte des Konzeptes in den Abkommen gegen den Völkermord, die Apartheid sowie die Folter kodifiziert. Weiterhin befaßte sich die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen im Rahmen ihrer Bemühungen um die Schaffung eines "internationalen Strafgesetzbuches" auch mit der Definition des Tatbestandes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Schließlich wurden die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in die Jurisdiktion des 1998 verabschiedeten Statuts für einen Internationalen Strafgerichthof aufgenommen. Wie der jeweilige Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Rechtsprechung nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die Kammern der ad-hoc-Gerichtshöfe der Vereinten Nationen interpretiert wurde, wird sodann im vierten Teil der Arbeit untersucht. Nachdem in diesem ersten Schritt der Untersuchung die normative Grundstruktur der Verbrechen gegen die Menschlichkeit herausgearbeitet wurde, ist im Hinblick auf das Ziel der Untersuchung in einem zweiten Schritt zu klären, weshalb diese Grundstruktur einen notwendig internationalen Bezug aufweist: Es soll geklärt werden, warum Handlungen, die regelmäßig die Tatbestandsmerkmale innerstaatlicher Straftatbestände erfüllen, von der internationalen Gemeinschaft verfolgt werden. Im fünften Teil wird daher untersucht, inwieweit der Begriff der "Menschlichkeit" im Völkerrecht verankert ist und ob ein Verstoß gegen internationale Verhaltensstandards hinreichend ist, um das Konzept auf die internationale Ebene zu verlagern. Danach wird im sechsten Teil der Arbeit ermittelt, welche weiteren Elemente einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit innewohnen müssen, damit dieses einen notwendig völkerrechtlichen Bezug aufweist. Der siebte Teil widmet sich schließlich der Ausgangsfrage, ob Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verbrechen an der gesamten Menschheit gedeutet werden können. Dies erfordert ein Eingehen auf die Strukturen der internationalen Gemeinschaft als Gemeinschaft souveräner Staaten und eine sorgfältige Abwägung zwischen dem Prinzip der Nichteinmischung in die innerstaatlichen Angelegenheiten und dem strafrechtlichen Schutz der menschlichen Person. Unter Berücksichtigung und Neubetrachtung der Völkerrechts- und Menschenrechtskonzeption von Kant wird die internationale Gemeinschaft dabei 3 Manske

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primär als Rechlsgemeinschaft verstanden, in der Angriffe gegen das einzelne Opfer dann sanktioniert werden müssen, wenn sie Ausdruck des Bestehens eines die Aufrechterhaltung des internationalen Rechtszustandes gefahrdenden Zustandes der Rechtlosigkeit im Hinblick auf die Gewährleistung des Prinzips der Anerkennung des Menschen als Rechtssubjekt sind. Die Arbeit skizziert eine solche Argumentation im Rahmen der vorhandenen völkerrechtlichen Rahmenbedingungen.

Erster Teil

Historische Entstehung und Entwicklung des Konzeptes der"Verbrechen gegen die Menschlichkeit" "Wenn ich diese Greueltaten mit eigenen Worten wiedergäbe, würden Sie mich für maßlos und unzuverlässig halten" ... 1

Vorbemerkung: Phänomene und Reaktionen Das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit begegnet uns zunächst als ein Begriff, der immer dann in der Berichterstattung auftaucht, wenn von besonders abstoßenden Greueltaten die Rede ist, die - nach Ansicht dessen, der den Begriff verwendet - die einhellige Empörung der Weltöffentlichkeit hervorrufen sollten und Strafe nach sich ziehen müssen. Es ist im wesentlichen der Eindruck, daß es derartige Taten in einer menschlichen Gesellschaft "nicht geben dürfte", der zu der Verwendung des Begriffes führt. In diesem Sinn ist der eingangs zitierte Ausspruch, wonach der Begriff der Verbrechen gegen die Menschlichkeit keiner Erläuterung bedarf, nicht von der Hand zu weisen, denn es existiert ein geradezu "instinktives" Wissen 2 über das Wesen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auf der anderen Seite erscheint der genaue Inhalt des juristischen Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit trotz seiner aktuellen Verwendung in den Medien etc. als weitgehend ungeklärt 3• 1 Robert H. Jackson, der Hauptankläger für die Vereinigten Staaten bei den Nürnberger Prozessen, in seiner 1. Anklagerede vom 21. November 1945, dt. in: Staat und Moral, S. 33. 2 Dies entspricht den Ausführungen, mit denen M ansfield ihren Beitrag über die Verbrechen gegen die Menschlichkeit einleitet: "If one were to ask the average man or woman on the street to provide adefinition of ,crimes against peace', ,war crimes', or ,crimes against humanity' it is doubtful that without some background in internationallaw they could supply adefinition that bore any relationship to the accepted definition in internationallaw. But when we see the daily news and television coverage of suffering refugees, families separated, and hear the stories of rape camps and other atrocities in the former Yugoslavia, we are sickened and saddened by these events and the needless human suffering and degradation. We instinctively know, in our hearts, that this should not be happening. This intuitive, instinctuai, emotional response is worth holding onto. This is the central, animating idea behind the war crime of ,Crimes Against Humanity'. For all our attempts to intellectualize the law and its canons, it fundamentally represents our most basic ideas of how men should govern their conduct toward one another, based on emotional, intuitive notions of what is good and what is right." NorJlL 64 (1995), S. 293. 3 Insofern erscheint die Bewertung von Sawicki, der Begriff der Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei allgemein anerkannt und stelle ein genau bestimmtes System mit präzisen

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

Die Herausbildung und Definition des Konzeptes erfolgten stets in Reaktion auf die jeweiligen historischen Ereignisse, so daß eine Behandlung der historischen Entstehung und Entwicklung des Konzeptes unumgänglich für das Verständnis ist 4 • Dabei ist zu beachten, daß die jeweiligen historischen Erscheinungsformen nicht mit dem Konzept als solchem zu verwechseln sind, sondern nur als Anlaß zur Formulierung des Konzeptes dienten.

A. Der Erste Weltkrieg Die ersten Bezugnahmen auf den Begriff der "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" erfolgten im Kontext des Ersten Weltkrieges. Sie betrafen zum einen die Verfolgung der armenischen Bevölkerung in der Türkei, zum anderen die Kriegführung des Deutschen Kaiserreiches. Verwendet wurde der Begriff der Verbrechen gegen die Menschlichkeit stets von den Staaten, die im Krieg auf der Gegenseite derjenigen, die man der Begehung von "Greueltaten" bezichtigte, standen.

I. Die Verfolgung der armenischen Bevölkerung in der Türkei Der Begriff der "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" wurde zeitlich zum ersten Mal in einer gemeinsamen Erklärung der Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und Rußlands vom 28. Mai 1915 verwendet. Diese Erklärung betraf die durch die türkische Regierung geförderten bzw. geduldeten Massaker an der armenischen Bevölkerung in der Türkei s. Hintergrund der durch die Erklärung verurteilten Taten war die Bewegung des türkischen Nationalismus, der ab dem Jahr 1910 einen homogen türkischstämmigen und islamischen Staat anstrebte 6• Opfer dieser Politik wurden die Angehörigen der armenischen Bevölkerung. Der Vollzug von ReDefinitionen der objektiven und subjektiven Tatseite dar, als allzu "optimistisch", s. ZStW 80 (1968), S.229. 4 Dabei wird nicht übersehen, daß auf diesem Gebiet - insbesondere hinsichtlich der einzelnen betrachteten Anwendungsfalle der Verbrechen gegen die Menschlichkeit für die Zeit bis nach dem Zweiten Weltkrieg - bereits ausführliche Studien vorliegen. Hinzuweisen ist insbesondere auf die nachfolgend mehrfach zitierten Arbeiten von Schwelb, "Crimes against Humanity", BYIL 23 (1946), S. 178ff., Clark, "Crimes against Humanity" in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S.I77ff.; Mansfield, "Crimes against Humanity: Reflections on the Fiftieth Anniversary of Nuremberg and a Forgotten Legacy", NorllL 64 (1995), S. 293 ff; sowie die umfassende Untersuchung von Bassiouni, Crimes against Humanity in International Criminal Law (1992). S Clark in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S.177; Bassiouni, Crimes against Humanity, S.168; die Erklärung wird im armenischen Memorandum zitiert, das die griechische Delegation der Kommission von 1919 am 14. März 1919 vorlegte, s. Schwelb, BYlL 23 (1946), S. 181, Anm. 2. Mansfield bezeichnet "diese Antwort auf das Leiden von Zivilisten" als "Riesenschritt vorwärts nach den Begriffen des internationalen Rechts dieser Zeit", NorllL 64 (1995), S. 297. 6 Vgl. Grosser, Ermordung der Menschheit,·S.63.

A. Der Erste Weltkrieg

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gierungsplänen, die armenische Gemeinschaft vollständig zu vernichten 7, hatte die Ennordung bzw. Deportation Hunderttausender von Menschen zur Folge 8 • Auf diese Weise wurde der Anteil der armenischen Bevölkerung in der Türkei auf einen Bruchteil reduziert 9 • Die Unterdrückung und Verfolgung der Annenier durch den türkischen Staat gilt heute als klassisches Beispiel für einen Genozid lO als der bewußt geplanten und gezielten Vernichtung eines Volkes 11. Das entscheidende Charakteristikum der von den drei Mächten, die sich mit der Türkei im Krieg befanden 12 , angeprangerten Massaker bestand darin, daß sie durch die Regierung geplant waren 13 und sich unter Beteiligung eines ganzen Verwaltungsapparates 14 gegen eigene Staatsangehörige richteten. 7 s. Grosser, der auf das Vorhandensein von Dokumenten, die diese Absicht der türkischen Regierung belegen, hinweist, Ermordung der Menschheit, S.64, 65. 8 Der Ablauf dieser Verfolgung wird übereinstimmend folgendermaßen geschildert: Zunächst kam es zur Entwaffnung der armenischen Soldaten und der Zivilbevölkerung und zur Ausschaltung der armenischen Elite; im nächsten Schritt wurde die nun wehrlose Restbevölkerung massenweise in wüstenartige Gebiete deportiert; die Deportationen begannen mit der T6tung der wehrhaften männlichen Bevölkerung; Frauen und Kinder sowie alte Männer wurden sodann in endlosen Märschen in lebensfeindliche Gebiete getrieben, wobei es unterwegs zu weiteren Morden, Massenvergewaltigungen und Entführungen von Kindern in die Sklaverei kam; die wenigen, die diese Schrecken überlebten, waren sodann dem Tod durch Erschöpfung oder Hunger in den Konzentrationslagern ausgesetzt; s. hierzu die Schilderungen bei Kuper, Genocide. Its Political Use in the 1\ventieth Century, insbes. S. 108-112; Grosser, Ermordung der Menschheit, S. 62,63; Campbell, § 220a StGB, S.17f.; Housepian in: Porter (Hrsg.), Genocide and Human Rights, S. 99 ff. 9 Die genauen Zahlen sind aufgrund der unterschiedlichen Schätzungen des armenischen Bevölkerungsanteils in der lürkei vor dem Genozid - also um das Jahr 1914 - nicht bekannt; die geschätzte Zahl der Toten bzw. (nach Rußland) Geflohenen liegt zwischen 800.000 und 1,5 bzw.2 Millionen Menschen; nach Kuper fand eine Dezimierung von ca. 1.800.000 Menschen auf gegenwärtig ca. 32.500 Menschen statt, s. ders. Genocide. Its Political Use in the 1\ventieth Century, S. 113; vgl. Grosser, Ermordung der Menschheit, S. 64. 10 Die Verfolgung der Armenier wird einhellig als Genozid bewertet, s. z. B. Campbell, § 220a StGB, S.14, Clark in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S.178. Kuper bezeichnet den türkischen Genozid an den Armeniern der Jahre 1915-17 als den größten Genozid dieses Jahrhunderts neben dem Holocaust an den Juden, s. Prevention of Genocide, S. 148. Im April 1984 entschied das ,,ständige Tribunal der Völker" , daß die Regierung der Jungtürken durch die Ausrottung der armenischen Bevölkerung in den Jahren 1915-17 einen Genozid begangen hat, s. Abdruck bei Kuper, Prevention of Genocide, Anhang 2, S.247-253; zur Entstehung und Funktionsweise des sog. "Ständigen Volkstribunals" s. Rigaux in: HankeVStuby (Hrsg.), Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen, S.157ff. 11 Campbell, §220a StGB, S.18. 12 Die Regierungen Rußlands, Großbritanniens und Frankreichs hatten der lürkei mit Erklärungen vom 2.-5.11.1914 den Krieg erklärt. 13 Daß den Taten eine vorsätzliche Regierungspolitik zugrundelag, wird aus den bei Housepian genannten Auszügen entsprechender Anordnungen deutlich, s. "The Armenians - The Unremembered Genocide" in: Porter (Hrsg.), Genocide and Human Rights, S.103, 104. 14 s. Grosser, Ermordung der Menschheit, S. 65.

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

Die Dreimächte-Erklärung bezeichnete die Vorfalle in der Türkei als" Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Zivilisation"ls. Sie sah vor, daß alle Mitglieder der türkischen Regierung, die in die Massaker verwickelt waren ebenso wie die unmittelbar Ausführenden zur Verantwortung gezogen werden sollten l6 . Dabei sind die folgenden Merkmale des Begriffes der "Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Zivilisation" entscheidend l7 : Zunächst bezog sich der Begriff auf Tötungen der Mitglieder einer ethnischen Minderheitengruppe durch die Gruppe, die sich an der politischen Macht befand. Dabei handelte es sich um Taten, die keine Kriegsverbrechen darstellten, da sie innerhalb der Türkei selbst stattfanden und die Opfer dieselbe Staatsangehörigkeit besaßen wie die Tater. In der Erklärung werden diese Taten auch nicht direkt mit dem weltweiten Konflikt, in den die Türkei verwickelt war, in Verbindung gesetzt. Schließlich wird ausdrücklich die Absicht geäußert, die für die Taten Verantwortlichen individuell strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen - ein zu diesem Zeitpunkt einmaliges Vorhaben. Zunächst wurde das Vorhaben einer strafrechtlichen Verfolgung dieser Taten in den Friedensvertrag der drei Mächte mit der Türkei eingefügt: Der Vertrag von Sevres 18 vom 10. August 1920 enthielt in Art. 230 19 die Verpflichtung der türkischen Regierung, diejenigen Personen, die für die Massaker während des Andauerns des Kriegszustandes verantwortlich waren, an die alliierten Mächte auszuliefern. In Übereinstimmung mit der Erklärung von 1915 war somit beabsichtigt, Personen zu bestrafen, die während des Krieges auf türkischem Territorium Verbrechen an Personen türkischer Staatsangehörigkeit, jedoch armenischer oder griechischer ethnischer Zugehörigkeit, begangen hatten 20 • Die drei Mächte behielten sich ausdrücklich das Recht vor, einen Gerichtshof einzurichten, der diese Personen zur Verantwortung ziehen sollte. Der Vertrag von Sevres wurde jedoch nicht ratifiziert und später durch den Vertrag von Lausanne 21 vom 24. Juni 1923 ersetzt, der an Stelle von Vorschriften über die IS Campbell gibt dagegen - unter Verweis auf Ternon, Les Anneniens, S. 284/5 - an, dieser Begriff sei abgelehnt worden und stattdessen der Begriff "crime de lese-humanite", also in etwa "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", verwendet worden, s. § 220a StGB, S. 18 Anrn.48. 16 s. Schwelb, BYlL 23 (1946), S. 181; ebenfalls bei Clark in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S. 178 u. Bassiouni, Crimes against Humanity, S. 168/9. 17 Clark in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S.178. 18 Friedensvertrag zwischen den alliierten Mächten und der TUrkei, FundsteIle: AnL 15 (1921), Suppl., S.179. 19 Art. 226-229 des Vertrages sahen dagegen eine Bestrafung wegen Kriegsverbrechen ("actes contraires aux lois et coutumes de la guerre") vor, s. Campbell, § 220a StGB, S. 19, Anm. 52; diese Bestimmungen entsprachen in etwa den Art. 228-230 des Versailler Vertrages, relevante Auszüge abgedruckt bei Schwelb, BYIL 23 (1946), S. 182. 20 Schwelb, BYIL 23 (1946), S.182; Bassiouni, Crimes against Humanity, S.175. 21 Zu diesem Vertrag s. Weber in EPIL 3, S. 242.

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Bestrafung von Kriegs- und anderen Verbrechen eine weitreichende Amnestieerklärung für Vergehen, die in der Zeit von 1914-1922 begangen wurden, vorsah 22 • Zur Ahndung der Taten kam es infolge mangelnden politischen Willens nicht mehr 23 • Damit wurde das Vorhaben einer strafrechtlichen Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in diesem Fall nicht ausgeführt. Die Reaktion der drei Mächte auf die Taten war mangels Einleitung entsprechender Vergeltungs- bzw. Strafmaßnahmen nicht mehr als eine Warnung an die türkische Regierung 24 • Zwar war die Idee der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für derartige Taten geäußert worden 25, der Fall geriet jedoch mangels eines entsprechenden politischen Willens zur Konsequenz in Vergessenheit und wurde so zu einem "negativen Präzedenzfall"26.

11. Die Bewertung der Kriegflihrung des Deutschen Kaiserreiches und seiner Verbündeten durch die sog. "Kommission der Fünfzehn" Die zweite Bezugnahme auf die Idee der "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" im Rahmen des Ersten Weltkrieges erfolgte anläßlich der Bewertung der Kriegführung des Deutschen Kaiserreiches und seiner Verbündeten durch die Alliierten. Am 25. Januar 1919 wurde in einer Plenarsitzung der Pariser "vorläufigen Friedenskonferenz" eine "Kommission über die Verantwortlichkeit der Urheber des Krieges und die Durchsetzung von Strafen" emannt27 • Die Aufgabe dieser Kommission bestand unter anderem darin, die Fakten über die durch die Streitkräfte des Deutschen Kaiserreiches und seiner Verbündeten begangenen Verletzungen der Gesetze und Gebräuche des Krieges aufzufinden und in einem Bericht zusammenzustellen. Am 29. März 1919 legten die Kommissionsmitglieder der vorläufigen Friedenskonferenz ihren Bericht28 vor, der, mit Ausnahme von Vorbehalten durch die Vereinigten Staaten und Japan, einstimmig angenommen wurde. Schwelb, BYIL 23 (1946), S. 182; Bassiouni, Crimes against Humanity, S. 175. Vgl. Bassiouni, FIU 18 (1994), S.1194, 1195. 24 Mansfield, NorIIL 64 (1995), S.297; Grosser weist darauf hin, daß durch das inkonsequente Verhalten der Eindruck einer Duldung der Taten erweckt wurde, s. Ermordung der Menschheit, S. 61 ff., insbes. S.65. 2S Wie Bassiouni betont, kann eine Amnestie nur ein Verbrechen zum Gegenstand haben und die Tatsache, daß ein Verbrechen nicht verfolgt wird, verneint nicht dessen rechtliche Existenz, s. Crimes against Humanity, S. 175/6. 26 Bezeichnend ist der in diesem Zusammenhang häufig zitierte (angebliche) Ausspruch von Hitler: ..Wer spricht heute noch von der Vernichtung der Armenier? Die Welt glaubt nur an Erfolg." Zitiert z. B bei Housepian in: Porter (Hrsg.) ..Genocide and Human Rights", S. 114; Campbell, § 220a StGB, S.14, Anm.31. 27 Bassiouni weist darauf hin, daß die Kommission keinerlei institutionelle Verbindung zu den später durch den Vertrag von Versailles errichteten juristischen Körperschaften aufwies. Ihre Ergebnisse hatten demzufolge keinen bindenden Charakter. Hierzu sowie näher zum Charakter der Kommission, ders. in: FIIL 18 (1995), S.1193, 1194. 28 FundsteIle: AIIL 14 (1920), Suppl., S.95--154. 22

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

1. Die Bezugnahme auf die "Gesetze der Menschlichkeit" durch die Kommissionsmehrheit Nachdem die Kommission im ersten Kapitel des Berichts dem Deutschen Reich und seinen Verbündeten die "Kriegsschuld" zugewiesen hatte 29 , wurden im zweiten Kapitel die durch das Deutsche Reich und seine Verbündeten begangenen "Verletzungen der Gesetze und Gebräuche des Krieges"30 näher erläutert. Unter dieser Überschrift befaßte sich die Kommission jedoch nicht nur, wie es ihrer ausdrücklichen AufgabensteIlung entsprochen hätte, mit den Verletzungen der Gesetze und Gebräuche des Krieges. Sie führte darüber hinaus mit den "Gesetzen der Menschlichkeit" eine weitere Kategorie von Verhaltensstandards ein, die sie ebenfalls als verletzt ansah: .. Trotz der ausdrücklichen Regeln, der anerkannten Gebräuche und der klaren Diktate der Menschlichkeit habenDeutschland und seine Alliierten Verbrechen aufVerbrechen gehäuft. "

Die Kommission hat demnach ihre Aufgabe, sich mit Verletzungen der Gesetze und Gebräuche des Krieges zu befassen, von sich aus um Verletzungen der "Gesetze der Menschlichkeit" erweitert31 . In ihrem Bericht erörtern die Kommissionsmitglieder die einzelnen von ihnen festgestellten Gruppen von Verbrechen. Zunächst werden "Verletzungen der Rechte der Kriegführenden, der Zivilisten und beider Gruppen" angeführt und als "die schockierendste Liste von Verbrechen, die jemals zur ewigen Schande derjenigen, die sie begangen haben, aufgezeichnet wurde", bewertet. Die anschließende, nach einzelnen Punkten gegliederte, Aufzählung stellt dementsprechend eine Auflistung schwerer Verletzungen des Kriegsvölkerrechts dar, wobei an zwei Stellen ausdrücklich das Wort "unmenschlich" verwendet wird 32 • Die Kommission wertet die von ihr aufgelisteten Taten in ihrem Ergebnis ausdrücklich nicht nur als Verletzungen des Kriegsvölkerrechts, sondern auch als Verletzung der elementaren "Gesetze der Menschlichkeit,m. Als Ansatzpunkt für die Verwendung dieses Begriffes konnte die sog. "Martenssche Klausel" dienen, die in der Präambel des IV. Haager Abkommens über die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges von 1907 enthalten ist und auf die "Gesetze der Menschlichkeit" als von den Kriegführenden einzuhaltendem Grundsatz verweist 34 . Damit konnte die AJIL 14 (1920), Supp!., S. 98-112, 107. AJIL 14 (1920), Supp!., S.112-115. 31 Nach Ansicht von M ünch ist dies darauf zurückzuführen, daß die Mehrheit des Ausschusses ein Ungenügen hinsichtlich der Reichweite der ,,herkömmlichen" Kriegsverbrechen empfand und das Bestreben hatte, das Kriegsrecht allgemein durch die Elemente der Martensschen Klausel einzuschränken, ZaöRV 36 (1976), S.358. 32 s. die Punkte 8 und 27, AJIL 14 (1920), Supp!., S.114/5. 33 AJIL 14 (1920), Supp!., S.115 (eigene Übersetzung). 34 Diese Klausel lautet: "Solange, bis ein vollständigeres Kriegsgesetzbuch festgestellt werden kann, halten es die hohen vertragschließenden Teile für zweckmäßig, festzusetzen, daß in 29

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Verwendung des Begriffes als Bezugnahme auf eine zur Zeit des Ersten Weltkriegs geltende Kodifikation des Kriegsvölkerrechts erklärt werden 35 • Die "Gesetze der Menschlichkeit" waren jedoch zuvor nicht als bestimmter Verhaltens standard, der von den Kriegführenden einzuhalten war, herangezogen worden. Aus dem dritten Kapitel des Berichtes ergibt sich, daß Verletzungen der "Gesetze der Menschlichkeit" nach Auffassung der Kommission individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit begründen. Die Kommission schlägt dort die Errichtung eines multinationalen Gerichtshofs zur Ahndung der von ihr festgestellten Taten vor. Insbesondere in ihrer Argumentation gegen die Anwendung des Prinzips der Souveränität des Staatsoberhauptes im Hinblick auf eine strafrechtliche Sanktionierung stützen sich die Kommissionsmitglieder auf Erwägungen der "Menschlichkeit". Ihrer Ansicht nach würde es das Gewissen der zivilisierten Menschheit schockieren, wenn die größten Ausschreitungen gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges und die Gesetze der Menschlichkeit, auch dann, wenn sie erwiesenermaßen durch den Souverän selbst begangen wurden, unter keinen Umständen bestraft werden könnten. Vielmehr seien alle Personen, die feindlichen Staaten angehörten, egal wie hoch ihre Position gewesen sein möge, einschließlich der Staatsoberhäupter, strafrechtlich verfolgbar, wenn sie sich wegen Verbrechen gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges oder gegen die Gesetze der Menschlichkeit schuldig gemacht hatten 36. 2. Bestimmung des Inhalts der "Gesetze der Menschlichkeit" Obwohl der Begriff der "Gesetze der Menschlichkeit" von der Kommission durch den gesamten Bericht hindurch angeführt wird, wird nicht erläutert, wie er zu definieren ist, oder warum er - in Erweiterung der Aufgabenstellung - verwendet wird. Die Abgrenzung zu den Kriegsverbrechen i. e. S. wird dabei dadurch erschwert, daß der neu eingeführte Terminus nahezu durchgängig als Bestandteil der Formulierung "Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Krieges oder der Gesetze der Menschlichkeit" benutzt wird, so daß keine klare Zuordnung zu einem dieser Maßstäbe möglich ist. Die Verwendung der Konjunktion "oder" impliziert jedoch gleichzeitig, daß die Gesetze der Menschlichkeit eine eigenständige, von den Gesetzen und Gebräuchen des Krieges verschiedene, Kategorie darstellen 37 • den Fällen, die in den Bestimmungen der von ihnen angenommenen Ordnung nicht einbegriffen sind, die Bevölkerung und die Kriegführenden unter dem Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts bleiben, wie sie sich ergeben aus den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewisssens." (RGB!. 1910, S.107). 3S Die Haager Landkriegsordnung war im Ersten Weltkrieg die Grundlage für den Schutz von Zivilpersonen, Verwundeten und Kriegsgefangenen, s. Fahl, Humanitäres Völkerrecht, S. 21. 36 AJIL 14 (1920), Supp!., 5.117; vg!. Mansjield, NorJIL 64 (1995), S.299. 37 Clark in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S.178.

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

Der Bericht gibt keine ausdrückliche Auskunft darüber, welche einzelnen Handlungen unter diese Kategorie der "Taten entgegen den Gesetzen der Menschlichkeit" fallen und ob sie sich mit dem Begriff der Gesetze und Gebräuche des Krieges überschneidet. So enthält die dem Kommissionsbericht als AnhangI angefügte Liste der von den verschiedenen Regierungen vorgebrachten Anklagen zum Großteil Vorwürfe, deren Inhalt als Begehung von Kriegsverbrechen eingeordnet werden kann 38 • Einzige Ausnahme sind Verbrechen, die auf dem Territorium Deutschlands oder seiner Verbündeten begangen wurden und sich gegen die eigenen Staatsangehörigen richteten. Diese zuletzt genannten Taten stellen einen Bezugspunkt zu den Massakern der türkischen Regierung an den Armeniern her 39• Die aufgelisteten Vorwürfe geben immerhin eine Tendenz an, worin "Verletzungen der Gesetze der Menschlichkeit" gesehen wurden. Es handelt sich um Taten wie Ermordungen und Massaker, systematischen Terrorismus, Tötungen von Geiseln, Folter von Zivilisten, Vergewaltigung, Entführung von Frauen und Mädchen zum Zweck der Zwangsprostitution, Deportation von Angehörigen der Zivilbevölkerung und Plünderung 40 • Da derartige Taten unter Umständen jedoch auch als Kriegsverbrechen gewertet werden können 41 ,läßt sich die Kategorie der Verbrechen gegen die Gesetze der Menschlichkeit nicht klar abgrenzen. 3. Die abweichende Meinung der Kommissionsmitglieder der Vereinigten Staaten Die Einbeziehung von Feststellungen über Verletzungen der "Gesetze der Menschlichkeit" in den Kommissionsbericht fand nicht die ungeteilte Zustimmung aller Kommissionsmitglieder. In einem Memorandum, das dem Kommissionsbericht als Anhang 11 angefügt ist 42 , drücken die Vertreter der Vereinigten Staaten, Robert Lansing 43 und James Brown Scott, ihre Vorbehalte gegenüber dem Bericht, insbesondere ihre Abneigung gegen die Verwendung des Begriffes der "Gesetze der Menschlichkeit" aus. Kernpunkt ihrer Argumentation ist das Eintreten für eine Trennung zwischen moralischer und rechtlicher Verantwortlichkeit. Nur rechtliche 38 Der weitaus überwiegende Teil der aufgeführten 32 Tatbestände fallt unter die Vorschriften der Haager Landkriegsordnung; eine Ausnahme besteht nur hinsichtlich der übermäßigen Repressalien und der Geiselnahme, s. Münch, ZaöRV 36 (1976), S. 357 Anrn. 57. 39 Schwelb, BYIL 23 (1946), S.181. 40 Ibid. Es handelt sich dabei um dreißigseitige Details der 32 Klassen von Verbrechen, die im Kommissionsbericht aufgelistet wurden, in der angegebenen Fundstelle jedoch aus Platzgründen nicht aufgeführt werden, s. AJIL 14 (1920), Suppl., S.127. 41 s. z. B. das Verbot der Plünderung, das ausdrücklich in Art. 28 und 47 der Haager Landkriegsordnung (HLKO) enthalten ist. Darüber hinaus enthält die HLKO in Art. 46 jedenfalls für die Bürger besetzter Gebiete ein allgemeines Gebot der Achtung ihrer Grundrechte. 42 s. AJIL 14 (1920), Suppl., S.127-151. 43 Kritisch zur Rolle von lAnsing innerhalb der Kommission Simpson in: HankeVStuby (Hrsg.), Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen, S. 43-45.

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Vergehen seien in Prozessen vor Gerichtshöfen justiziabel. Vergehen gegen ethische Grundsätze - gleich welchen Ausmaßes -lägen hingegen außerhalb der Reichweite des juristischen Verfahrens und unterlägen nur entsprechenden "moralischen Sanktionen"44. Die beiden Kommissionsmitglieder betonten, daß sich ein Strafgerichtshof nur mit der Anwendung bereits existierenden Rechts befassen dürfe - wie wünschenswert auch immer eine Bestrafung der für die Ausschreitungen während des Krieges Verantwortlichen sei 45 • Die Kommission hatte nach Auffassung von Lansing und Brown Scott ihr Mandat überschritten, als sie der von ihr zu untersuchenden Kategorie der Gesetze und Gebräuche diejenige der Gesetze der Menschlichkeit hinzufügte: "Die Aufgabe der Kommission war es, zu entscheiden, ob die vorgefundenen Tatsachen Verletzungen der Gesetze und Gebräuche des Krieges darstellten. Sie war nicht danach gefragt worden, ob diese Tatsachen Verletzungen der Gesetze oder Grundsätze der Menschlichkeit darstellten "46.

Lansing und Brown Scott begründeten ihren Einwand gegen die Befassung der Kommission mit dem Begriff der "Gesetze der Menschlichkeit" mit der Unbestimmtheit dieses Begriffes. Sie waren der Ansicht, daß der juristische Inhalt der "Gesetze der Menschlichkeit" nicht definiert werden konnte 47 • Während es sich bei den Gesetzen und Gebräuchen des Krieges um einen bestimmten Standard handele, der sowohl in der Lehre als auch in der Staatenpraxis anerkannt sei, schreibe jedes Individuum den "Gesetzen der Menschlichkeit" einen anderen Inhalt zu: Dieser sei abhängig von der Zeit, dem Ort und den Umständen und letztlich vom Bewußtsein des einzelnen Richters. Es gebe damit keinen festen und universellen Standard der Menschlichkeit48 • Dieser Befund schließe die "Gesetze der Menschlichkeit" von der Berücksichtigung bei der Urteilsfindung eines Gerichtshofes, der sich mit strafrechtlicher Verantwortlichkeit befassen müsse, aus 49 • Die beiden Kommissionsmitglieder forderten eine Beschränkung der Strafverfolgung auf die Kriegsverbrechen im eigentlichen Sinne: Zwar sei der Krieg seiner Natur nach unmenschlich, Handlungen, die im Einklang mit den Gesetzen und Gebräuchen des Krieges stünden, könnten jedoch, auch wenn sie unmenschlich seien, nicht zum Gegenstand der Bestrafung durch einen Gerichtshof gemacht werden. Verletzungen des moralischen Rechts und Handlungen entgegen den Gesetzen und Prinzipien der Menschlichkeit seien einem anderen Forum zu überlassenSO. Die amerikanischen Kommissionsmitglieder weigerten sich somit, die Gesetze und Prinzipien der Menschlichkeit zu einem Standard zu erklären, an dem die AJIL 14 (1920), Suppl., S. 128. ld., S. 144. 461d., S.133 (eigene Übersetzung). 47 s. Mansfield, NorJIL 64 (1995), S. 300. 48 AJIL 14 (1920), Suppl., S.I44. 49 ld., S. 134. so ld., S. 144. 44

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

Handlungen ihrer Feinde gemessen und durch ein juristisches Tribunal bestraft werden sollten SI. In einem Plädoyer für die Geltung des Grundsatzes nullum crimen sine lege machten sie ihre Haltung bezüglich der Anwendung der "Gesetze der Menschlichkeit" auf die während des Krieges begangenen Taten deutlich: so sehr diese vom moralischen Standpunkt aus verwerflich seien, eine strafrechtliche Verfolgung aufgrund eines Verstoßes gegen die nur ethischen und unbestimmten Verhaltensstandards der "Gesetze der Menschlichkeit" war ihrer Auffassung nach ausgeschlossen.

4. Die Friedensverträge Obwohl die Kommission in ihrem Bericht anerkannt hatte, daß die "Gesetze der Menschlichkeit" existierten und ihre Verletzung individuelle strafrechtliche Verantwortung nach sich ziehen konnte, kam es nicht zur Verfolgung von Verletzungen dieser nicht näher bestimmten Verhaltensnormen. Die Vereinigten Staaten wandten sich in Fortführung der Argumentationslinie ihrer Vertreter gegen eine Aufnahme entsprechender Vorschriften in die Friedensverträge. In den Friedensverträgen von Versailles, Saint-Germain-en-Laye, Neuilly-surSeine und Trianon 52 wurde der Begriff der "Gesetze der Menschlichkeit" nicht mehr verwendet. Diese Verträge beschränkten sich darauf, Verstöße gegen Gesetze und Gebräuche des Krieges zu inkriminieren 53 . Auch Art. 227 des Versailler Vertrages, nach dem der deutsche Kaiser zur Verantwortung gezogen werden sollte, betraf eine andere Verbrechenskategorie; denn hierbei ging es der Sache nach nicht um die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Begehung "unmenschlicher Handlungen", sondern um einen Vorläufer des später in Nürnberg verhandelten, äußerst umstrittenen Tatbestandes der "Verbrechen gegen den Frieden"54. Vgl. id., S. 149. s. allgemein zu den Friedensverträgen nach dem Ersten Weltkrieg Verosta, EPIL 4, S. 110; zum Vertrag von Neuilly vom 27.11.1919 s.Köck, EPIL 4, S.3; zum Vertrag von Trianon vom 4.6.1920 s. Köck, EPIL 4, S.249; zum Vertrag von Versailles vom 28.6.1919 von Puttkamer EPIL 4, S. 276. 53 Die entsprechenden Artikel, die sich mit Verstößen gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges befaßten, sind Art. 228-30 (Versailles); Art. 173-6 (St. Germain); Art. 118-20 (Neuilly); Art. 157-9 (Trianon), s. Schwelb, BYIL 23 (1946), S. 182. Die durch die Alliierten beabsichtigte strafrechtliche Verfolgung von Personen, die die Gesetze und Gebräuche des Krieges verletzt hatten, wurde schließlich dem deutschen Reichsgericht in Leipzig überlassen, dessen Vorgehen übereinstimmend als unzureichend empfunden wurde; s. z. B. Mansfield, NornL 64 (1995), S. 301/2. 54 Schwelb, BYIL 23 (1946), S.182/3; die Verwirklichung dieses Vorhabens scheiterte damals an der Weigerung der Niederlande, den Kaiser auszuliefern, s. z. B. Campbell, § 220a StGB, S. 21,23. Zur Note vom 21.1.1920, mit der die niederländische Regierung das Auslieferungsersuchen zurückwies s. Düx in: HirschlPaech/Stuby (Hrsg.), Politik als Verbrechen, S.48. SI

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Die Auseinandersetzung um die Einführung einer Kategorie der Verbrechen gegen die "Gesetze der Menschlichkeit" blieb damit rein akademisch ss . Die Verfahren vor dem Reichsgericht in LeipzigS6 , die sich mit Kriegsverbrechen befaßten, wurden dem Anspruch einer umfassenden strafrechtlichen Aufarbeitung des Ersten Weltkrieges nicht gerecht und stießen auf allgemeine Ablehnung S7 •

III. Ergebnis AnläBlich des Ersten Weltkrieges wurde zum ersten Mal statuiert, daß es bestimmte Verhaltens standards der "Menschlichkeit" gebe, die auch im Krieg einzuhalten waren. Dabei handelte es sich um Taten, die nicht als Kriegsverbrechen i. e. S. zu beurteilen waren. Vielmehr betraf die geäußerte Mißbilligung zum einen - im Falle der Armenier - die Verfolgung ganzer Bevölkerungsteile, zum anderen - im Fall des Deutschen Reiches - "Greueltaten" gegen die Zivilbevölkerung. Grundlegend war, daß diese Taten nach Auffassung der jeweiligen Vertreter der Staaten, mit denen sich die Verantwortlichen im Krieg befanden, individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit begründeten. Im ersten Fall kam es zur Einfügung einer entsprechenden Vorschrift in den Friedensvertrag, der dann jedoch nicht ratifiziert wurde. Im zweiten Fall wurde eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für Verletzungen gegen die "Gesetze der Menschlichkeit" ausführlich diskutiert, dann jedoch nicht in die entsprechenden Friedensverträge aufgenommen. Entscheidend ist jedoch, daß der Gedanke einer strafrechtlichen Verfolgung von Verletzungen der "Gesetze der Menschlichkeit" geäußert und formuliert wurde. Hierin liegen die ersten Ansätze zur Grundlegung des Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

55 Vgl. Münch, ZaöRV 36 (1976), S. 357. Zur Diskussion nach dem Ersten Weltkrieg s. Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 92 ff. 56 Als Rechtsgrundlage der Verfahren diente das neugeschaffene Gesetz vorn 18. Dezember 1919, das durch das Gesetz vorn 24. März 1920 ergänzt wurde, s. Wegner, Kriminelles Unrecht, Staatsunrecht und Völkerrecht, S. 2. Merkel verweist darauf, daß der bis heute einzige Publikationsort der Leipziger Urteile ein Weißbuch der Reichsregierung ist, das unter der folgenden FundsteIle abgedruckt ist: Verhandlungen des Reichtages, 1. Wahlperiode 1920, Bd. 368, 1924, Aktenstück 2584, S. 2542ff., Angabe in: Nürnberger Menschenrechtszentrum (Hrsg.), Von Nürnberg nach Den Haag, S.9O, Anrn.9. 51 Von den 20.000 Personen, deren Verhalten untersucht wurde, identifizierte die Kommission 895 Personen, die Kriegsverbrechen begangen haben sollten. Es wurden jedoch nur 12 Personen durch das Reichsgericht verurteilt, Bassiouni, FILJ 18 (1994), S.1191, 1194. An anderer Stelle nennt Bassiouni jedoch andere Zahlen (21.000 Verdächtige, 21 strafrechtlich Verfolgte), in Draft Statute International Criminal Tribunal (1992), S. 30. Bosch zieht diesbezüglich den Schluß: ,.All agree that these judicial proceedings were farcical", Judgrnent on Nuremberg, S. 6. Starke Kritik ebenfalls bei Glueck, der das Vorgehen der Alliierten als ,,historischen Fehler" brandmarkt, s. War Criminals, z. 8.S.19 und S.I77.

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

B. Der Zweite Weltkrieg Im Rahmen des Zweiten Weltkrieges kam es zu einer erneuten Statuierung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit für Verletzungen der "Gesetze der Menschlichkeit". Im Anschluß an den Krieg wurden zum ersten Mal in der Geschichte internationale Gerichtshöfe durch die Siegermächte gebildet, vor denen sich hochrangige Mitglieder der besiegten Staaten zu verantworten hatten. Der Nürnberger Prozeß gegen die sog. Hauptkriegsverbrecher der deutschen Staatsführung wurde dabei zum weitaus bekanntesten Präzedenzfall der Anwendung internationalen Strafrechts. Demgegenüber erreichte der entsprechende Tokioter Prozeß gegen Mitglieder der japanischen Staatsführung weitaus weniger Aufmerksamkeit.

I. Die strafrechtliche Behandlung der während des Krieges durch deutsche Staatsangehörige begangenen "Greueltaten" 1. Die Herausbildung eines politischen Konsenses zur strafrechtlichen Verfolgung von "Greueltaten"

a) Einleitung Der Zweite Weltkrieg löste erneut die Frage nach dem Bestehen und der Reichweite individueller strafrechtlichen Verantwortung für Taten, die im Rahmen eines Krieges begangen wurden, aus. Dabei kristallisierte sich noch während des Andauerns des Krieges in verschiedenen Erklärungen der Wille der Alliierten heraus, nicht nur Kriegsverbrechen gegen ihre eigenen Staatsangehörigen mit strafrechtlicher Verantwortung zu belegen, sondern auch Ausschreitungen gegen andere Staatsangehörige zu verfolgen, die auf dem Territorium der Achsenmächte begangen worden waren. Die Alliierten dachten dabei insbesondere an die Verfolgung der Juden und Angehöriger der politischen Opposition innerhalb Deutschlands: Taten, die nicht unter die Definition der Kriegsverbrechen fielen. Diese Taten, für die ein juristischer Terminus noch nicht vorhanden war, wurden in den Erklärungen als "Greueltaten" bezeichnet. Die historische Entwicklung des Gedankens der Sanktionierung der Taten durch einen internationalen Strafgerichtshof, die in die Nürnberger Prozesse mündete, läßt sich anhand der verschiedenen Erklärungen der Alliierten nachverfolgen 58 • Dabei ist zu erkennen, daß die Konzeptionierung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einer Ausdehnung des Begriffes der Kriegsverbrechen ihren Anfang nahm. 58 Zu einem Überblick über die Erklärungen von 1941 bis 1945 s. Mertens, L'imprescriptibilite des crimes de guerre et contre l'humanite, S. 201-205. Zu frühen Bestrebungen nach einer strafrechtlichen Ahndung der während des Krieges begangenen Taten s. auch Taylor, Die Nürnberger Prozesse, S. 11 Cf. Danach haben bereits im Jahr 1940 die britische, tschechische, französische und polnische Regierung offizielle Proteste gegen die Verbrechen, die von den Deutschen während der Besetzung in Polen und der Tschechoslowakei begangen wurden, erhoben.

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b) Überblick über politische Stellungnahmen, die sich mit den sog. "Greueltaten" befaßten Die ersten Stellungnahmen über Ausschreitungen der deutschen Streitkräfte während des Krieges bezogen sich auf Taten, die in direktem Zusammenhang mit der Kriegführung standen. Am 25. Oktober 1941 gaben der amerikanische Präsident Roosevelt und der britische Premierminister Churchill eine übereinstimmende Erklärung ab, in der sie die deutsche Kriegführung, insbesondere die Praxis der Massenexekution von Geiseln als Antwort auf Angriffe gegen Deutsche in den besetzten Ländern, verurteilten s9 • Roosevelt bezeichnete die Taten als Akte eines ..Terrorismus", einer Schreckensherrschaft, die Europa niemals den Frieden bringen könne, sondern ..die Saat des Hasses säe, die eines Tages schreckliche Vergeltung bringen werde". Churchill schloß sich diesem Urteil an und führte weiter aus, daß ..die Greueltaten alles übersteigen, was seit den dunkelsten und barbarischsten Zeitaltern der Menschheit bekannt geworden ist". Er kam zu dem Schluß, daß die Bestrafung dieser Verbrechen fortan einen Platz unter den Hauptkriegszielen einnehmen müßte. Wenig später, am 7. November 1941, verurteilte Volkskommissar Molotov als Vertreter der UdSSR in einer Note an alle Nationen, die mit der UdSSR diplomatische Beziehungen unterhielten, das Verhalten der deutschen Streitkräfte gegenüber Gefangenen der Roten Armee als ..barbarische Verletzungen der elementaren Regeln des internationalen Rechts". Die Haltung der deutschen Verantwortlichen gegenüber den Gefangenen verletze die elementarsten Regeln menschlicher Moral 60 • Diese politischen Stellungnahmen wurden am 13. Januar 1942 in der Erklärung von St. James gebündelt, als die Repräsentanten von neun besetzten europäischen Ländern die Bestrafung derer, ..die sich der Begehung von Kriegsverbrechen schuldig gemacht hatten bzw. hierfür durch Befehlsgabe, Ausführung oder sonstige Teilnahme verantwortlich waren", formell zu einem ihrer Hauptkriegsziele erklärten 61 • Dabei betonten die betroffenen Regierungen ausdrücklich, daß die Gewalthandlungen gegen die Zivilbevölkerungen, die in ihren Territorien erfolgt waren, weder mit dem Begriff der Kriegsverbrechen noch dem der politischen Verbrechen zu vergleichen seien 62 • Hieran wird deutlich, daß von einer neuen Kategorie von Taten die Rede war, die nicht vom Begriff der Kriegsverbrechen i. e. S., also Taten, deren Opfer Angehörige der Streitkräfte der feindlichen Macht sind, umfaßt waren. Obwohl zunächst stets nur von Taten gesprochen wurde, die die Regeln der Kriegftihrung verletzten, deutete sich an, daß die unbeschränkte, Zivilisten einbeziehende Kriegführung der deutschen Staatsftihrung die Alliierten dazu veranlaßte, über eine Erweiterung der dazu die Textauszüge bei Mansfield, NorJIL 64 (1995), S. 304,305. s. Textauszug bei Mansfield, NorJIL 64 (1995), S. 304/5. Id., S. 305. s. Aroneanu, Le crime contre l'humanite, S. 33.

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Reichweite einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung über die eigentlichen Kriegsverbrechen hinaus nachzudenken. Diese Reaktion auf die "totale" Kriegführung der Achsenmächte läßt sich in der Diskussion wiederfinden, die die Abfassung der Erklärung von St. James begleitete 63 • Hier war nicht mehr nur von Kriegsverbrechen die Rede, sondern von Verbrechen, die zwar in Kriegszeiten begangen wurden, aber nichts mit der Kriegführung im eigentlichen Sinne zu tun hatten 64 • In der Erklärung kommt der Wille zum Ausdruck, Handlungen, die normalerweise als Verbrechen nach dem innerstaatlichen Recht angesehen würden, wenn sie in Friedenszeiten begangen worden wären, auch dann zu bestrafen, wenn sie in Kriegszeiten begangen wurden. Darüber hinaus wurde gesehen, daß es sich nicht um "sporadische", auf dem Kriegszustand beruhende Exzesse handelte, wie sie in jedem Krieg vorkämen. Bei diesen Taten handelte es sich vielmehr nach Ansicht der Erklärenden um eine geplante und durchdachte ,,kriminelle Kampagne". Die Begehung von Greueltaten wurde als Konsequenz der nazistischen Ideologie, anderen Völkern ihr "System der groben Ungerechtigkeit, der Gewalt und der Grausamkeit aufzuzwingen"; gesehen. Mit Schrekken erkannte man: "Die Idee, daß ganze Nationen ausgelöscht oder ausgerottet werden können, scheint in unserer Zeit wieder aufgelebt zu sein,,6s.

Obwohl in der Erklärung ausdrücklich nur die Bestrafung von "Kriegsverbrechen" angesprochen wird, steht hinter diesem Begriff die Empörung über Taten, die nicht Kriegsverbrechen i. e. S. waren. Mit der Erklärung wurde somit anerkannt, daß diese Taten, obwohl sie noch als Kriegsverbrechen bezeichnet wurden, keine innere Verbindung mit der Kriegshandlung aufwiesen und daß ihre Repression die internationale Solidarität erfordere 66 • - Die Idee einer internationalen Strafverfolgung von "Greueltaten" war geboren. Nachdem mit der Erklärung von St. J ames der politische Konsens zur Bestrafung von während des Krieges begangenen Greueltaten bekräftigt war, wurde am Ende desselben Jahres der Schritt gewagt, den Anwendungsbereich der beabsichtigten strafrechtlichen Verfolgung ausdrücklich auf die "Politik der kaltblütigen Auslöschung der Juden im von Deutschland besetzten Europa" auszuweiten 67 • In einer Er63 s. dazu die bei Aroneanu wiedergegebenen Stellungnahmen der Vertreter verschiedener Regierungen (Polen, Norwegen, Tschechoslowakei, Griechenland), in: Le crime contre l'humanite, S. 33, 34. 64 Vgl. die Bemerkung von Glueck: "The Nazis have committed many hundreds of thousands of crimes, largely murders, which have nothing to do with legitimate warfare (... ) In these cases, it is not warfare that is involved but mass murder". In: War Criminals, S. 45. 6S Äußerung des Präsidenten des griechischen Rates, M. Tsouderos, bei Aroneanu, Le crime contre l'humanite, S. 34 (eigene Übersetzung). 66 Ibid. 67 Der Titel der Erklärung lautete: "German Policy of Extermination of the Jewish Race", abgedruckt in: International Conference on Military Trials, S.9, 10. Die Erklärung wurde

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klärung vom 17. Dezember 1942 verkündeten die 12 unterzeichneten Regierungen 68 , "daß derartige Vorgänge die Entschlossenheit aller friedliebenden Völker, die barbarische Tyrannei des Nationalsozialismus zu überwinden, nur verstärken könne und bekräftigten erneut ihren festen Entschluß, diejenigen, die für diese Verbrechen verantwortlich seien, nicht der Bestrafung entkommen zu lassen"69. Diese Erklärung ist insofern bemerkenswert, als sie sich auf Taten bezieht, die sich nicht gegen Angehörige der Streitkräfte der unterzeichneten Regierungen richteten, sondern gegen Personen jüdischer Glaubenszugehörigkeit, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. In der Erklärung wird folgerichtig auch nicht mehr vom Terminus "Kriegsverbrechen" Gebrauch gemacht. Dennoch enthält der Text eine Einschränkung: er bezieht sich nur auf Taten, die auf dem Gebiet der besetzten Länder begangen wurden. Aus dem "Schutzbereich" ausgeschlossen waren somit Taten, die auf dem Territorium der Achsenmächte selbst gegen eigene Staatsangehörige in ihrer Eigenschaft als Juden begangen wurden 70 • In der sog. "Moskauer Erklärung" vom 30. Oktober 1943 71 durch Stalin, Roosevelt und Churchill 72 , wird dann "zur Warnung Deutschlands" erläutert, auf welche Weise die Bestrafung der Streitkräfte Hitlers, die Berichten zufolge in vielen Ländern "Greueltaten, Massaker und kaltblütige Massenexekutionen" begangen hatten, erfolgen sollte 73 • Es war beabsichtigt, die für diese Taten Verantwortlichen in die Begehungsländer zu verbringen und sie dort nach dem jeweiligen Landesrecht zu bestrafen. Die Jurisdiktion konnte damit aus dem Territorialitätsprinzip abgeleitet werden. Gleichzeitig lag in diesem Vorgehen eine besondere Drohung, da die strafrechtliche Verfolgung den Staaten, an deren Angehörigen sich die Täter vergangen hatten, überlassen werden sollte. Von diesem Vorgehen ausgenommen waren die sog. "Hauptkriegsverbrecher" , deren Taten sich nicht genau lokalisieren ließen. Ihre Bestrafung wurde einer noch zu treffenden "gemeinsamen Entscheidung" der Regierungen der Alliierten vorbehalten.

gleichzeitig in Washington und London erhoben und befaßte sich u. a. mit der Liquidation der Juden innerhalb der Ghettos, s. Lemkin, Axis Rule, S. 89 Anm.45. 68 Es handelte sich dabei um die Regierungen Belgiens, der Tschechoslowakei, Griechenlands, Luxemburgs, der Niederlande, Norwegens, Polens, der Sowjetunion, Großbritanniens, der Vereinigten Staaten von Amerika, Jugoslawiens und Frankreichs. 69 s. Abdruck des Textes der Erklärung in: International Conference on Military Trials, S. 9, 10. 70 Schwelb, BYIL 23 (1946), S.184. 71 Das Datum der Erklärung wird unterschiedlich angegeben. Zum Teil wird abweichend der 1. November 1943 angegeben, da dies der Tag war, an dem die vier Dokumente der Erklärungen, die anläßlich der Konferenz der Außenminister in Moskau vom 19. bis zum 30. Oktober 1943 aufgezeichnet wurden, der Presse zugänglich gemacht wurden, s. International Conference on Military Trials, S. 11. 72 Die Erklärenden beriefen sich dabei darauf, "im Interesse von 32 Nationen" zu sprechen. 73 S. den Text der Erklärung in AJIL 38 (1944), Suppl., S. 3 ff., insbes. S.7, 8. 4 Manske

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c) Zusammenfassung

Anhand der verschiedenen Erklärungen läßt sich das zunächst weitgehend ,,konservative" Vorgehen der Alliierten erkennen. Eine Bestrafung von Kriegsverbrechen durch die feindliche Macht stellte keine wesentliche Neuerung dar. Hinsichtlich der Taten, die nicht als Kriegsverbrechen i. e. S. zu beurteilen waren, war die juristische Lage komplizierter: Soweit sie sich gegen die Zivilbevölkerung der besetzten Länder richteten, kam eine Jurisdiktion nach dem Territorialitätsprinzip oder dem passiven Personalitätsprinzip in Betracht. Dies bedeutete nur die Umsetzung der Grundsätze, daß jeder Staat Taten auf dem eigenen Staatsgebiet verfolgen kann und für den Schutz seiner eigenen Staatsangehörigen vor Straftaten zuständig ist. Insoweit handelte es sich noch um eine Ausdehnung des Begriffes der Kriegsverbrechen. In juristisch problematisches Gebiet drangen die Alliierten dagegen mit der Verfolgung von Taten, die sich gegen die eigenen Staatsangehörigen der Achsenmächte richteten, vor. Worauf konnte die Jurisdiktion der Alliierten gestützt werden? Das internationale Recht enthielt zu dieser Zeit noch keine Vorschriften, die das Recht eines Staates, mit seinen Angehörigen nach seinem Belieben zu verfahren, beschränkten und es gab keine internationale Instanz, die "internationale Verbrechen" hätte verfolgen können. In dieser Situation gerieten die Alliierten in einen Zwiespalt, der bereits anläßlich der Arbeiten der "Kommission der Fünfzehn" nach dem Ersten Weltkrieg zutage getreten war: die Greueltaten des NS-Regimes verlangten nach einer strafrechtlichen Reaktion, das internationale Recht sah jedoch keine Nonnen für eine solche Reaktion vor. In dieser Situation wurde ein vorsichtiges Vorgehen gewählt: man nutzte die im Bereich der Kriegsverbrechen vorhandenen Vorschriften und dehnte ihren Schutzbereich von der Einbeziehung der Zivilbevölkerung besetzter Länder auf die eigenen Staatsangehörigen der Achsenmächte aus. 2. Die Vorbereitung der Prozesse Parallel zu den Erklärungen über das Vorhaben der strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechern durch die Alliierten verliefen Vorbereitungen im Hinblick auf die praktische Durchführung der geplanten Prozesse. Bereits am 7. Oktober 1942 hatte der britische Justizminister Simon die Schaffung einer Enquete-Kommission der angekündigt, die sich mit der Sammlung von Beweisen über die Begehung von Kriegsverbrechen und der Identifizierung der hierfür Schuldigen befassen sollte 74. Am 20.10.1943 wurde eine solche regierungsübergreifende Stelle geschaffen, die sog. United Nations War Crimes Commission (UNWCC)7S. Ihre Aufgabe war es unter anderem, einen Weg zu finden, um die Greueltaten, die aus rassischen, 74 s. Aroneanu, Le crime contre I 'humanite, S.34.

75 Zur Rolle der UNWCC s. Bassiouni, FIIL 18 (1995), S.1197, 1198. Kritisch zur Arbeit der UNWCC: Simpson in: HankeIJStuby (Hrsg.), Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen, S.49-51.

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politischen oder religiösen Gründen begangen wurden, zu ahnden 76. Die UNWCC empfahl den alliierten Regierungen bereits frühzeitig, die Strafverfolgung nicht auf Kriegsverbrechen im technischen Sinne zu beschränken. Sie sprach sich dafür aus, daß Verbrechen gegen Staatenlose und andere Personen aufgrund ihrer Rasse oder Religion als Kriegsverbrechen im weiteren Sinne angesehen werden solltenn. Damit sollten nach Auffassung der UNWCC nicht nur Taten gegen die Streitkräfte der Alliierten oder Angehörige der Zivilbevölkerung der besetzten Länder, sondern in letzter Konsequenz auch Taten der Achsenmächte gegen die eigene Zivilbevölkerung der Bestrafung zugeführt werden 78 • Auf dieser Linie liegt auch die Empfehlung der Londoner Internationalen Versammlung, bei der Definition der Reichweite der Vergeltungsaktion der Alliierten eine umfassende Sichtweise anzunehmen, die nicht nur die Verletzungen der Gesetze des Krieges einschließen sollte, sondern auch jedes andere während des Krieges begangene schwere Verbrechen gegen die lokalen Gesetze, soweit der Täter nicht bereits einer angemessenen Bestrafung unterzogen worden war. Im Hinblick auf die Verfolgung der Juden nahm die Empfehlung einen weiten Standpunkt ein: eine Bestrafung der Täter sollte nicht nur dann erfolgen, wenn die Opfer Staatsangehörige der Alliierten waren, sondern auch dann, wenn die Verbrechen gegen staatenlose oder Juden anderer Staatsangehörigekeit in Deutschland oder andernorts begangen worden waren. 79 Damit war ein äußerst heikler Punkt bezüglich der Reichweite der Strafverfolgung durch die Alliierten angesprochen, nämlich die Frage, ob auch die gegenüber Juden deutscher Staatsangehörigkeit begangenen Taten erfaßt werden sollten. Diesbezüglich bestanden unter den Alliierten unterschiedliche Ansichtenso. Während von Seiten der Vereinigten Staaten die Absicht geäußert wurde, das "gesamte kriminelle Unternehmen" unabhängig vom Begehungsort zu bestrafen - einschließlich Vergehen gegen Minderheiten,jüdische und andere Gruppen und Individuen -, wurden von Seiten Großbritanniens Bedenken geltend gemacht. Es wurde eingewendet, daß Verbrechen von Deutschen an Deutschen nicht wie Kriegsverbrechen behandelt werden könnten. Die Alliierten hätten nach internationalem Recht keine Jurisdiktion über derartige Greue1taten in den feindlichen Gebieten und könnten diesbezüglich lediglich Druck auf die nach einer Ablösung der NS-Regierung gebildeten nachfolgenden Regierungen ausüben, diese Verbrechen zu verfolgen. Die UNWCC sollte sich folgerichtig darauf beschränken, Beweise über diejenigen Greueltaten zu sammeln, die in den besetzten Ländern begangen worden waren 81 • Die UNWCC Mansfield, NorJIL 64 (1995), S. 305. n s. History of the UNWCC, S. 176, 190. 18 Vgl. Schwelb, BYIL 23 (1946), S.185. 19 s. Schwelb, BYIL 23 (1946), S.184. 80 s. zum folgenden Schwelb, BYIL 23 (1946), S.186. 81 s. die Äußerung der britischen Regierung aus dem Jahr 1944, abgedruckt bei Clark in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S. 180; zur Diskussion über diese Angelegenheit innerhalb der UNWCC s. History of the UNWCC, S. 174 ff. 16

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

sammelte im weiteren Informationen und erteilte den Regierungen Ratschläge bezüglich der nationalen und internationalen Strafverfolgung 82 • 3. Die Herausbildung der Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit a) Grundlegung durch Robert H. Jackson Ein entscheidender Schritt im Hinblick auf die Formulierung des Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfolgte von Seiten der Vereinigten Staaten. Der amerikanische Präsident Truman erklärte am 16. April 1945: "Nichts wird unsere Entscheidung, die Kriegsverbrecher zu bestrafen, ins Wanken bringen, auch, wenn wir sie bis ans Ende der Welt verfolgen müßten .. 8).

Die Vereinigten Staaten schlugen den drei anderen Siegermächten die Errichtung eines Internationalen Militärgerichthofes vor 84 • Truman ernannte den Bundesrichter Robert H. Jackson zum Berater der Vereinigten Staaten für die Verfolgung von Vorwürfen bezüglich von Greueltaten und Kriegsverbrechen gegen die Hauptverantwortlichen der Achsenmächte und beauftragte ihn mit der Vorbereitung eines internationalen Prozesses 8S • Am 7. Juni 1945 legte Jackson dem Präsidenten einen Bericht vor, in dem er seine bisherigen Aktivitäten zur Vorbereitung dieses Prozesses und seine Auffassung über die einzuhaltenden Grundlinien schildert. Darin teilt Jackson die zu verfolgenden Verbrechen in drei Gruppen ein: "a) Greueltaten und Vergehen gegen Personen oder Besitz, die Verletzungen des internationalenRechts darstellen, einschließlich der Gesetze, Regeln und Gebräuche der Land- und Seekriegsführung (... ) b) Greueltaten und Vergehen, einschließlich Greueltaten und Verfolgungen aus rassischen oder religiösen Gründen, begangen seit 1933 (.. .) c) Invasionen anderer Länder und das Beginnen von Angriffskriegen unter Verletzung des internationalen Rechts oder internationaler Verträge (. .. )".86

Die erste Kategorie (lit. a) der genannten Verbrechen beinhaltet Kriegsverbrechen im tradionellen Sinn. Jackson konnte sich insoweit auf unbestrittene Völkerrechtsnormen stützen: 82 Die Vorarbeiten der UNWCC wurden allerdings nicht zur Grundlage des späteren Prozesses vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg, die im wesentlichen von den Vereinigten Staaten vorbereitet wurden, s. Bassiouni, AJIL 88 (1994), S.784, 787. 8) s. Textauszug bei Aroneanu, Le crirne contre l'hurnanite, S. 40. 84 Aroneanu, Le crirne contre I'humanite, S. 41; s. auch den Bericht von Jackson, abgedruckt in AIIL 39 (1945), Suppl., S.180. 8S s. Executive Order vom 2. Mai 1945, abgedruckt in: International Conference on Military Trials, S.21. 86 s. AJIL 39 (1945), Suppl., S.186.

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"Die Regeln der Kriegführung sind fest etabliert und von den Nationen allgemein anerkannt u87 •

Die dritte Kategorie (lit. c) betrifft dagegen das äußerst umstrittene, später in Nürnberg verhandelte "Verbrechen gegen den Frieden"88. Im Hinblick auf die Entwicklung des Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist die zweite von Jackson aufgeführte Gruppe von Verbrechen (lit. b) maßgeblich, die die in den vorangegangenen Erklärungen als "Greueltaten" bezeichneten Verbrechen umfaßt. Zur Begründung der Strafbarkeit derartiger Taten verweist Jackson zunächst auf das innerstaatliche Recht, aus dem er allgemeine Rechtsprinzipien ableitet89 , wie sie wenig später in Art. 38 I lit. c) des Statutes des Internationalen Gerichtshofes 90 kodifiziert wurden. Zum Beweis dafür, daß diese Prinzipien auch im internationalen Recht anerkannt seien, verweist er auf die in der IV. Haager Konvention über die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges von 1907 enthaltene sog. Martenssche Klausel: Diese sieht vor, daß die Bevölkerung und die Kriegführenden in den Fällen, die durch das Abkommen nicht ausdrücklich geregelt sind, unter dem Schutz der Grundsätze des Völkerrechts bleiben, die sich unter anderem aus den "unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen" ergeben 91 • Die Ausführungen von Jackson stellen einen entscheidenden Fortschritt in der Entwicklung des Konzeptes der "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" dar 92 : Zum ersten Mal werden diese Verbrechen ausdrücklich als eigenständige Kategorie behandelt. Zwar hatte man zu diesem Zeitpunkt bereits erkannt, daß die Greueltaten sich von den Verbrechen, die eng mit der Kriegführung verbunden waren, unterschieden. Dennoch waren sie stets gemeinsam mit den Kriegsverbrechen genannt worden. In der Umschreibung, die Jackson gebraucht, ist das Wort "Krieg" dagegen nicht mehr enthalten. Während Kriegsverbrechen als Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges qualifiziert werden, stellt Jackson seine Umschreibung der "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" als Verstöße gegen die allgemeinen Prinzipien des Strafrechts aller zivilisierten Staaten dar, die in das internationale Recht übernommen worden seien. Nach Ansicht von Jackson läßt sich diese Kategorie von Taten also auf die "allgemeinen Rechtsgrundsätze zivilisierter Staaten", stützen 93. Es handelt sich folgAJIL 39 (1945), Suppl., S.186 (eigene Übersetzung). Vgl. Schwelb, BYlL 23 (1946), S. 187: Gruppe a) wurde später Inhalt des Art. 6 lit. b), Gruppe c) Inhalt des Art. 6lit. a) des Londoner Statutes für den Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg. 89 Seine Formulierung lautet: ,,Dies bedeutet nur, die Prinzipien des Strafrechts anzuerkennen, wie sie in zivilisierten Staaten allgemein beachtet werden", AJIL 39 (1945), Suppl., S.186 (eigene Übersetzung). 90 FundsteIle: BGBl. 197311, S. 505. 91 s. die Präambel des IV. Haager Abkommens betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907, RGBl. 1910 S. 107. 92 V gl. zum folgenden Aroneanu, le crime contre I'humanite, S. 41, 42. 93 Jackson verweist diesbezüglich auf das IV. Haager Abkommen über die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges von 1907, wonach im Falle einer Unvollständigkeit der Bestimmun87

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

lich um aus dem innerstaatlichen Strafrecht abgeleitete Normen, die in das internationale Recht übernommen wurden. Materiell-rechtlich war damit also nicht von einer Bestrafung nach neugeschaffenen internationalen Normen die Rede, sondern von einer Bestrafung nach Normen übereinstimmenden innerstaatlichen Strafrechts. Die grundlegenden Erwägungen, die Jackson im Hinblick auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung der Greueltaten formulierte, gingen zunächst nicht unmittelbar in die Terminologie der Alliierten ein. Die Potsdamer Konferenz behandelte Kriegsverbrechen sowie "verwandte Gegenstände" in § 5 des Übereinkommens bezüglich der "politischen und wirtschaftlichen Prinzipien, die die Behandlung Deutschlands in der anfänglichen Kontrollphase leiten sollten"94. Dort war vorgesehen, daß "Kriegsverbrecher und solche, die an der Planung oder Ausführung von Vorhaben der Nazis, die Greueltaten oder Kriegsverbrechen mit sich brachten oder zur Folge hatten", verhaftet und der Verurteilung zugeführt werden sollten 9s • Die drei Regierungen der Siegermächte bekräftigten erneut ihren Willen, diese Personen "schneller und sicherer" Gerechtigkeit zuzuführen. Sie drängten auf ein zügiges Vorgehen und verwiesen schließlich auf die Ergebnisse der zeitgleich in London stattfindenden Verhandlungen 96. b) Die Herausbildung einer Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Londoner Konferenz

Erst auf der Londoner Internationalen Konferenz über das Verfahren gegen die Hauptkriegsverbrecher erfolgte eine ausführliche Auseinandersetzung mit der konkreten Definition des Tatbestandes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und eine Lösung des Konzeptes von Normen des innerstaatlichen Strafrechts. Vertreter der vier Siegermächte diskutierten die genaue Abfassung des Statuts des zu errichtenden Internationalen Militärgerichtshofes. Insgesamt ergibt sich der Eindruck, daß sich, insbesondere im Hinblick auf die Aufnahme des Tatbestandes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in das Statut und dessen Ausformulierung, die Ansichten und politischen Erwägungen der Vereinigten Staaten gegen die restriktive Haltung der sowjetischen Seite gegenüber einer Ausweitung der Jurisdiktion des Gerichtshofes über Kriegsverbrechen im engeren Sinne 97 durchgesetzt haben 98 • gen des Abkommens u. a. die "unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuche" heranzuziehen sind, s. AJIL 39 (1945), Suppl., S. 186. Er hätte, wäre sein Bericht später verfaßt worden, auf die in Art. 38 Abs.llit.c) des IGH-Statutes genannten "von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze" verweisen können. 94 Die Potsdamer Konferenz fand vom 17.7.-2.8.1945 statt. Der Text des sog. ,'potsdamer Abkommens" ist abgedruckt in: AJIL 39 (1945), Suppl., S.245ff. 95/d., S.249. 96 AJIL 39 (1945), Suppl., S.245, 253. Die sog. ,,Londoner Konferenz" fand vom 26.6.8.8.1945 statt, überschnitt sich also mit der Potsdamer Konferenz (vgl. Anm.94). 97 s. insbes. den sowjetischen Entwurf vom 28.6.1945, abgedruckt im Jackson-Bericht, S. 92, 93; dort wird lediglich vorgeschlagen, daß Art. 12 um eine Bezugnahme auf die Verantwort-

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In den ersten Entwürfen, die der Konferenz durch die Vereinigten Staaten, Großbritannien, die UdSSR und Frankreich übennittelt wurden, wurde das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verbrechen nach internationalem Recht noch nicht genannt 99 • Der erste amerikanische Entwurf enthielt nach der Aufzählung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen den Frieden jedoch den Hinweis, daß die Erklärung auch die strafrechtliche Verfolgung von "Greueltaten und Verbrechen, die unter Verletzung des innerstaatlichen Rechts einer der Achsenmächte oder deren Satellitenstaaten oder irgendeines Staates der Alliierten begangen wurden" umfassen sollte 1oo• Der zu errichtende internationale Gerichtshof sollte sich demnach auch mit der Verletzung innerstaatlichen Rechts befassen 101. Sehr weitgehend war der zeitliche Rahmen für die Verfolgung derartiger Taten: es sollten auch Greueltaten, die vor dem Kriegsausbruch im Jahr 1939 an Mitgliedern von Minderheiten innerhalb des Terrritoriums der Achsenmächte begangen wurden, erfaßt sein l02 • Der überarbeitete Entwurf der Vereinigten Staaten übernahm die von Jackson in seinem Bericht an den Präsidenten vorgeschlagenen Kategorien von Verbrechen 103 • Die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit umfaßt ausdrücklich "Greueltaten und Verbrechen aus rassischen oder religiösen Gründen", die seit dem Jahr 1933, nach der Machtergreifung durch das NS-Regime, begangen wurden. Auch dieser Entwurf ordnete diese Gruppe von Verbrechen jedoch noch dem innerstaatlichen Recht zu. Erst nach der Auflistung der einzelnen Kategorien der in die Jurisdiktion den Gerichtshofes fallenden Taten folgt eine Definition des internationalen Rechts, in der auch die "Gesetze der Menschlichkeit" genannt sind 104: Der inlichkeit für die Ermordung und Folterung von Kriegsgefangenen und die Verschleppung von Zivilbevölkerung in die Sklaverei nach Deutschland ergänzt werden sollte; dies stellt nach Ansicht von C/ark eher eine Anstrengung dar, die Vorschrift über Kriegsverbrechen i. e. S zu verbessern als eine Unterstützung für das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, s. Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S.183. 98 Über den Ablauf und den Inhalt der Verhandlungen existieren keine offiziellen Dokumente, s. Bassiouni, Crirnes against Hurnanity, S. 3, Clark in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S.181, Anm.12. Insofern kann nur auf die Notizen zurückgegriffen werden, die die Sekretärin des amerikanischen Konferenzmitgliedes, Robert H. Jackson, anfertigte, veröffentlicht als "Report to the International Conference on Military Trials", London, 1945, im folgenden zitiert als ,Jackson-Bericht". 99 s. C/ark in Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S.180/1. 100 Nr. 7 des sog. ,,Entwurfes von San Francisco" vom 30.4.1945; abgedruckt im JacksonBericht, S. 24. 101 C/ark in Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S.182. 102 Text des ,,American Memorandum Presented at San Francisco, April 30, 1945", abgedruckt in International Conference on Military Trials, S. 28,29. 103 Entwurf vom 14.6.1945, s. Jackson- Bericht, S.55, 57. 104 Die Definition lautet: "Verträge zwischen Nationen und die Prinzipien des Rechts der Nationen, wie sie aus den unter den zivilisierten V6lkern etablierten Gebräuchen, den Gesetzen der Menschlichkeit und den Diktaten des öffentlichen Gewissens folgen", s. Jackson-Bericht,

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

ternationale Charakter der Verbrechen wird mit dem bereits von Jackson verwendeten Argument begründet, daß entsprechende Taten nach dem Strafrecht aller "zivilisierten Nationen" Verbrechen darstellten. Erst der folgende britische Entwurf statuierte die Unabhängigkeit der Strafbarkeit vom innerstaatlichen Recht des Begehungslandes: .. Greueltaten, Verfolgungen und Deportationen aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, in Verfolgung eines gemeinsamen Planes oder Unternehmens (des Angriffskrieges), gleich ob in Verletzung des (innerstaatlichen) Rechtes des Begehungslandes oder nicht" lOS.

Mit dem letzten Teil der Definition wurde die Bezugnahme auf das innerstaatliche Recht als Standard aufgegeben, an dem die Taten zu bemessen waren und stattdessen ein internationaler Verhaltensstandard angesprochen, der auch dann eingreifen sollte, wenn die Taten nicht gegen das innerstaatliche Recht verstießen. Gleichzeitig wurde jedoch ein limitierendes Element eingeführt: Die zu verfolgenden Taten mußen eine Verbindung zum Angriffskrieg aufweisen. Mit dieser Definition waren die Grundlinien für die Endfassung des Statutes gesetzt lO6 • Die Diskussion konzentrierte sich in der Folgezeit auf die konkrete Definition des Artikels 6 des Statutes, der die vom Gerichtshof anzuwendenden materiellen Tatbestände enthielt. Dabei wurden in die Liste der zu verfolgenden Verbrechen ausdrücklich "Greueltaten und Verfolgungen der Zivilbevölkerung" aufgenommen l07 • Unklar blieb jedoch, ob nur Taten gegen fremde Staatsangehörige, also Kriegsverbrechen i. w. S., oder auch Taten gegen eigene Staatsangehörige eingeschlossen waren lO8 • Während die amerikanische Haltung dahin ging, alle Greueltaten gegen Zivilisten einzubeziehen, weigerte sich die sowjetische Delegation, den Katalog der zu verfolgenden Taten über die Kategorie der "Verletzugen der Gesetze und Gebräuche des Krieges" hin auszudehnen lO9 • Nachdem es den amerikanischen KonferenzmitS. 55,58; Clark weist auf die hierin liegende Bezugnahme auf die Martenssche Klausel hin, in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nurernberg Trial and International Law, S.182. lOS Art. 12Iit.e) des Entwurfes vorn 28.6.1945, Art. 12Iit.e), in: Jackson- Bericht, S.86n (eigene Übersetzung). 106 Zu diesen Wertungen vgl. Clark in Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S.183. 107 s. den Entwurf der französischen Delegation vorn 19.7. 1945,lackson-Bericht, S. 293, sowie den britischen Entwurf vorn 20.7.1945, id., S. 312. 108 Nach Ansicht von Clark scheint sich der französische Entwurf auf Kriegsverbrechen i. e. S. zu beschränken, während der britische Entwurf auch eine Einbeziehung der Taten gegen die Juden in Deutschland zuließ, in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S.184, 185. Der sowjetische Entwurf vorn 23.7.1945 ist in dieser Hinsicht eindeutig, da die Bestrafung von "Greueltaten gegen die Zivilbevölkerung" an die "Verletzungen der Gesetze und Gebräuche der Kriegführung" geknüpft ist, s. Jackson-Bericht, S. 327. 109 Diese Haltung stieß auf die Kritik von Jackson: Die durch den sowjetischen Entwurf vorgesehene Reichweite des Art. 6lit. b) stimme nicht mit der amerikanischen Position überein, da dieser einerseits zu eng, andererseits zu weit gefaßt sei, s. Jackson-Bericht, S. 328, 330/1; leider führt Jackson dies nicht näher aus. Clark wertet dies dahingehend, daß Jackson vor allem über

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gliedern gelungen war, die britische Delegation in diesem Punkt auf ihre Seite zu bringen, lenkte schließlich auch die sowjetische Delegation ein und gab das Beharren auf einer Bezugnahme auf die "Gesetze und Gebräuche des Krieges" auf 110• Die Konferenzteilnehmer befaßten sich daraufhin mit den folgenden Kriterien der Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Es mußte sich um Greueltaten gegen die Zivilbevölkerung handeln - wobei als Beispiele die Ermordung und Mißhandlung sowie die Deportation zur Zwangsarbeit angeführt wurden - und diese Greueltaten mußten in Verbindung mit der Planung oder Führung eines Angriffskrieges begangen worden sein 111 • Unter der Voraussetzung, daß eine Verbindung zum Angriffskrieg festgestellt werden konnte, sollten auch Verfolgungen aus rassischen und/oder religiösen Gründen in die Jurisdiktion des zu errichtenden Gerichtshofes fallen 112 • Im Verlauf der Verhandlungen wurde schließlich auch ausdrücklich eingestanden, daß es sich bei den Greueltaten um eine von den Kriegsverbrechen zu unterscheidende Kategorie von Verbrechen handelte 113 • Diese Kategorie rückte an die dritte Stelle der zu verfolgenden Verbrechen 114. Dabei wurde herausgestellt, daß eine Strafbarkeit nach dem Recht des Tatortes nicht erforderlich sei 115 und es sich mithin nicht um eine Strafverfolgung nach dem nationalen Recht handelte. Daß es sich um eine neue Verbrechenskategorie handelte, wurde anhand des amerikanischen Entwurfes vom 31.7.1945 deutlich. Hier wurde das Konzept erstmals mit einer eigenen Überschrift versehen: "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" 116. die Kriegsverbrechen i. e. S. hinausgehen wollte, in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S.186. Bei den Erörterungen der Definitionen stellte auch der britische Konferenzvertreter, Sir Maxwell Fyfe, heraus, daß die Bezugnahme auf die "Verletzungen der Gesetze und Gebräuche des Krieges" eine limitierende Wirkung hätten. Er schlug vor, diese Bezugnahme durch einen Punkt abzutrennen, s.lackson-Bericht, S. 329. llO s. lackson-Bericht, S. 373. 111 s. den britischen Entwurf vom 23.7.1945, lackson-Bericht, S.359 sowie den an diesen Entwurf eng angelehnten sowjetischen Entwurf, id., S. 373. Sehr ähnlich ist der amerikanische Entwurf vom 25.7.1945, id., S.374. 112 s. den britischen Entwurf vom 23.7 . 1945,Jackson-Bericht, S. 359. Der britische Entwurf vom 28.7.1945, dem die französische Delegation zustimmte, nennt zudem politische Gründe der Verfolgung, s. lackson-Bericht, S. 390. 113 s. insbes. den Entwurf der britischen Delegation vom 28.7.1945, in dem ausdrücklich von "anderen (Taten) als Kriegsverbrechen" die Rede ist,lackson-Bericht, S. 390. 114 Der amerikanische Entwurf vom 30.7.1945 stellte die Kategorie der "Greueltaten" unter lit. c) der Verbrechensdefinitionen, s.lackson-Bericht, S. 393. 115 s. den amerikanischen Entwurf, der die Formulierung ,,(gleich) ob in Verletzung des Rechtes des Begehungslandes oder nicht" enthielt, in lackson-Bericht, S. 374. 116 Im Original: "Crimes against Humanity". Woher diese Überschrift stammt, ist ungewiß; möglicherweise geht sie auf Prof. Herseh Lauterpacht zurück, der sich in London mitJackson getroffen hatte, s. Clark in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S. 189; die Überschrift war zuvor in keinem der Entwürfe aufgetaucht und wurde am 2.8.1945 ohne weitere Diskussion angenommen, id., S. 190. Allerdings tauchte der Begriff der "crimes against humanity" bereits in einer Erklärung des amerikanischen Präsidenten vom 24. März 1944 auf, in der dieser die "systematische Folterung und Ermordung von Zivilisten",

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c) Das Ergebnis: Die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Londoner Abkommen

Ergebnis der erörterten Verhandlungen war das sog. "Londoner Abkommen" vom 8. August 1945 117 • Dem Abkommen war als Anhang das Statut für den Internationalen Militärgerichtshof (IMT) angefügt. In Art. 6 lit. c) werden die Verbrechen gegen die Menschlichkeit folgendermaßen definiert: "Mord. Ausrottung. Versklavung. Deportation oder andere unmenschliche Handlungen. begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung vor oder während des Krieges. Verfolgung aus politischen. rassischen oder religiösen Gründen. begangen in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen. für das der Gerichtshof zuständig ist. und zwar unabhängig davon. ob die Handlung gegen das Recht des Landes verstieß. in dem sie begangen wurde. oder nicht" 118.

Mit dem sog. "Berliner Protokoll" vom 6. Oktober 1945 119 wurde die Übereinstimmung zwischen den Versionen in englischer. französischer und russischer Sprache hergestellt. In der englischen und französischen Fassung befand sich zwischen den Worten "Krieges" und "Verfolgung" ein Semikolon, das das Verbrechen in zwei Abschnitte teilte; im gleichermaßen authentischen russischen Text befand sich an dieser Stelle dagegen ein Komma l20 • Diese auf den ersten Blick unbedeutende Abweichung war für die Bestimmung des Anwendungsbereiches des Verbrechens von großer Bedeutung, da sie dessen Verhältnis zu den anderen von der Jurisdiktion des Internationalen Militärgerichtshofes umfaßten Verbrechen, dem Verbrechen gegen den Frieden und den Kriegsverbrechen, betraf. Nach dem Wortlaut des Statuts mußte das Verbrechen gegen die Menschlichkeit, um in die Jurisdiktion des IMT zu fallen, in Ausführung oder in Verbindung mit einem dieser anderen Verbrechen begangen worden sein. Wäre die entscheidende Textpassage, wie im englischen und französischen Text, hinter einem Semikolon angeführt, so würde sie sich nur auf den Definitionsteil beziehen, der hinter diesem Satzzeichen stünde, mithin nur auf die "Verfolgungen aus aber auch die "systematische Ermordung der Juden in Europa" verurteilte und alle ,,freiheitsliebenden Völker" zur Verfolgung dieser Taten aufrief. s. den Abdruck der Erklärung in: International Conference on Military Trials, S.12, 13. 117 ,,Agreement for the Prosecution and Punishment of the Major War Criminals of the European Axis", FundsteIle: AnL 39 (1945) Suppl., S.257 bzw. lackson-Bericht, S.420 (engl. Text); deutsche Fassung z. B. in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, amtlicher Wortlaut in deutscher Sprache, Band 1, S. 7 ff. Die Formulierung "oder andere unmenschliche Handlungen" war bereits im amerikanischen Entwurf vom 31.7.1945 enthalten, s. lackson-Bericht, S. 395. 118 s. Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, amtlicher Wortlaut in deutscher Sprache, Band 1, S.12. 119 Abgedruckt in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, amtlicher Wortlaut in deutscher Sprache, Band 1, S.19. 120 Schwelb, BYIL 23 (1946). S.188.

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politischen, rassischen oder religiösen Gründen". Stünde an dieser Stelle hingegen, wie im russischen Text, ein Komma, so wäre das Erfordernis einer Verbindung zu den anderen Verbrechen auch auf die vor dem Komma genannten "unmenschlichen Handlungen" zu beziehen 121. Damit wäre der gesamte Tatbestand als akzessorisch zu den Kategorien der Verbrechen gegen den Frieden bzw. den Kriegsverbrechen zu verstehen. Die vier Hauptankläger entschieden sich für die Einfügung des Kommas und somit für einen engen Anwendungsbereich des Verbrechens und ordneten eine entsprechende Änderung der englischen und französischen Fassungen an 122. Damit mußten sowohl unmenschliche Handlungen als auch Verfolgungen im Zusammenhang mit dem Krieg stehen, um in die Jurisdiktion des Tribunals zu fallen. Das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Londoner Statut war somit durch die Abhängigkeit dieser Verbrechen von den beiden anderen durch den Nürnberger Militärgerichtshof zu behandelnden Verbrechenskategorien, dem Verbrechen gegen den Frieden bzw. den Kriegsverbrechen, gekennzeichnet.

4. Die Durchführung des "Nürnberger Prozesses" a) Die Anklageschrift gegen die "nazistischen Hauptkriegsverbrecher"l23 Mit der Anklageschrift vom 6. Oktober 1945 erhoben die vier Siegermächte, vertreten durch jeweils einen Hauptankläger l24 , die Anklage gegen 24 Personen als Individuen 125 sowie in ihrer Eigenschaft als Mitglieder von sechs ,,kriminellen" Organisationen. Die in der Anklageschrift aufgeführten Vorwürfe betrafen die Begehung 121 Vgl. Schwelb, BYlL 23 (1946), S.188; Clark in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S. 190/1. 122 Dies entsprach den in der Vorbereitungsphase geäußerten Ansichten; der Ursprung des Semikolons ist nicht bekannt und mangels genaueren Materials bleibt die Frage offen, ob es sich hierbei tatsächlich nur um einen einfachen Fehler gehandelt hat, s. hierzu Clark in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S. 191/2. Nach Ansicht von Bassiouni war das Erfordernis der Verbindung zum Krieg immer gewollt und die Änderung des Semikolons in ein Komma sollte die Verbindung zu den anderen Verbrechenstypen stärken, um Kritik an der Verbrechensgruppe der Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu vermeiden, s. Crimes against humanity, S. 30. 123 FundsteIle: The Case against the Nazi War Criminals, S. 111 (engl.); dt.: Anklageschrift des Internationalen Militärgerichtshofes gegen die 24 nazistischen Kriegsverbrecher (1946). 124 Robert H. Jackson für die Vereinigten Staaten, Francois de Menthon für die Französische Republik, Sir Hartley Shawcross für Großbritannien und General R. A. Rudenko für die UdSSR. 125 Göring, Hess, von Ribbentrop, Ley, Keitel, Kaltenbrunner. Rosenberg, Frank, Frick, Streicher, Funk, Schacht, Krupp von Bohlen und Halbach, Dönitz, Raeder, von Schirach, Sauckel, Jodl, Bormann, von Papen, Seyss-Inquart, Speer, von Neurath, Fritzsche. (Die Namen derjenigen Angeklagten, die wegen der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt waren, sind hervorgehoben).

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von Verbrechen, wie sie in Art. 6 des Londoner Statuts definiert waren - Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit - sowie die besondere Verbrechensform eines "gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung" zur Begehung dieser Verbrechen 126. aa) Die Struktur der Anklageschrift: die Verschwörung zum Angriffskrieg Die Anklageschrift ist in vier Anklagepunkte unterteilt, deren Reihenfolge sich nach Art. 6 des Londoner Statuts richtet. Noch bevor die einzelnen Verbrechen näher erläutert werden, befaßt sich der erste Anklagepunkt mit dem "gemeinsamen Plan" oder der "Verschwörung" zur Begehung dieser Verbrechen. Die Angeklagten werden dafür verantwortlich gemacht, "während eines Zeitraumes von Jahren vor dem 8. Mai 1945 an der Ausarbeitung oder Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung teilgenommen zu haben, die auf die Begehung von Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit abzielte oder diese mit sich brachte"l27. Dadurch, daß der Anklageschrift eine "Verschwörungstheorie"l28 zugrundeliegt, verschwimmt die Struktur der einzelnen Verbrechen zu einem einzigen großen "Verbrechenskomplex". Dies erschwert die Abgrenzung der verschiedenen Kategorien von Verbrechen außerordentlich. Es liegt nahe, daß diese Fassung der Anklageschrift gewählt worden ist, um die Schrecken der NS-Zeit in ihrer Komplexität darzustellen l29 . Die Anklageschrift ist stark durch einen "Aufzählungscharakter" ge126

s. The Case against the Nazi War Criminals, S. 113/4.

127 Vgl. dt. Fassung, S. 2. 128 s. zu diesem Ausdruck auch Clark in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg

Trial and International Law, S. 193; zum Begriff der "conspiracy" nach dem anglo-amerikanischen Recht, durch den der Teilnehmebegriff stark ausgeweitet wird, s. z. B. Bouvier's Law Dictionary, Vol.I (1914), S. 621. S. auch Stillschweig, FW 1949, S. 101: Deutlich wird diese Auffassung insbesondere in der einleitenden Anklagerede des sowjetischen Hauptanklägers, Generalleutnant Rudenko, vom 8. Februar 1946: "Wir klagen die Angeklagten an, daß sie in verbrecherischer Verschwörung die gesamte deutsche zivile und militärische Maschine lenkten, indem sie den Staatsapparat Deutschlands in einen Apparat zur Vorbereitung und Durchführung der verbrecherischen Aggressionen verwandelten, in einen Apparat zur Ausrottung von Millionen unschuldiger Menschen", in: ..Die Gerechtigkeit nehme ihren Lauf" S. 9. Das Konzept der Verschwörung war jedoch selbst unter den Richtern, insbes. durch den französischen Richter, Donnedieu De Vabres, scharfer Kritik ausgesetzt, s. Smith, Der Jahrhundert-Prozeß, S. 138 ff. S. hierzu auch Conot, Justice at Nuremberg, S. 482 ff. sowie von Knierim, Nümberg, S. 226ff. 129 Der dokumentarische Zweck des Nürnberger Prozesses ist oft hervorgehoben worden, unter anderem durch den französischen Hauptankäger, Champetier De Ribes: ,,For the chief concern of this trial is above all that of historical truth. ( ...) Thanks to it, the historians of the future, as weil as the chronicler of to-day, will know the truth of the political, diplomatie and military events of the most tragic period of our history" , s. Speeches of the chief prosecutors, S. 111. Kritisch bezüglich des "Vorführeffektes" der Bestrafung nationalsozialistischer Gewalttaten dagegen Hanack: "Primärer Zweck der Prozesse kann ja sicher nicht sein, dem deutschen Volk

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prägt, indem die einzelnen Vorwürfe nacheinander abgehandelt werden l30 • Bei diesem chronologischen Vorgehen werden die einzelnen in Art. 6 des Londoner Statutes aufgeführten Verbrechen als Bestandteil bzw. zwingende Konsequenz der NSIdeologie gedeutet. Die Verschwörung begann nach der Anklageschrift mit dem Plan, Angriffskriege zu führen (vgl. Art. 6 lit. a); nach Kriegsbeginn erstreckte sie sich auf die Begehung von Kriegsverbrechen (Art. 6lit. b). Auch die Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 6lit. c) in Deutschland und den besetzten Gebieten wird nach der Anklageschrift als Konsequenz der umfassenden Verschwörung dargestellt 131 • Für das Verständnis des Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Rahmen der Nürnberger Prozesse ist die Zentrierung der Anklageschrift auf die Begehung von Angriffskriegen und die Sichtweise, nach der alle Verbrechen im Rahmen einer Verschwörung begangen wurden, von entscheidender Bedeutung. Denn nach der Verbrechenskonzeption der Alliierten war der Krieg, das sog. "Verbrechen gegen den Frieden" nach Art. 6 lit. a. des Statutes, sowohl Ausgangs- als auch Schwerpunkt der Verbrechensvorwürfe. Nach dieser Sichtweise begann der gesamte Verbrechenskomplex mit dem Plan, einen Angriffskrieg zu beginnen, sodann diesen Krieg in einer Weise zu führen, die den Gesetzen und Gebräuchen des Krieges widersprach und schließlich sowohl die Bewohner der besetzten Länder als auch die des eigenen Landes einer unmenschlichen Behandlung auszusetzen. Der Angriffskrieg ist somit der Kernpunkt des gesamten angeklagten Verbrechenskomplexes. Alle weiteren Verbrechen werden als Konsequenz der Propagierung des "totalen Krieges", in dem alle Mittel eingesetzt werden, um den Krieg zu gewinnen und die eigene Herrschaft durchzusetzen, verstanden. Der Einsatz von Mitteln, die gegen die Grundsätze der Humanität verstießen, führte dabei zur Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit I32 •

das Schauerliche der Millionenmorde vor Augen zu führen ( ...) ein solcher Zweck würde die Verfahren in gewisser Weise zu Schauprozessen herabwürdigen", in: JZ 1967, S. 297. 130 V gl. Taylor: "Counts Three and Four, charging war crimes and crimes against humanity, were based largely on evidence of particular atrocities, supplied by the Russians, the French, or other recently German-occupied countries, and reflected the continental practice of ,pleading' the details in the statement of charges." In: ders., War Crimes and International Law, S. 259. 131 Um diesen Befund nachvollziehen zu können, empfiehlt es sich, den Text der Anklageformel wörtlich nachzulesen, dt. Fassung, S. 2/3. 132 In der Anklageschrift wird hierfür eine sehr "verschränkte" Formulierung verwendet: "Der gemeinsame Plan oder die Verschwörung hatten zum Ziel und die Angeklagten begingen Verbrechen gegen die Humanität in Deutschland und den besetzten Gebieten, wobei sie als typische und systematisch angewandte Mittel verwandten: ( ... )", dt. Fassung, S. 3. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden hier also als Teil der Verschwörung begriffen. Darüber hinaus geht die Anklageschrift an dieser Stelle jedoch nicht näher auf das Konzept ein, sondern beschränkt sich darauf, die Definition des Art. 6 lit. c) des Statutes im Detail auszuführen.

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

bb) Die Stellung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden im ersten Anklagepunkt, der sich mit der Verschwörung befaßt, lediglich als Teil der Verschwörung, und zwar als deren Inhalt zu einem bestimmten Zeitpunkt, behandelt. Die Anklageschrift geht chronologisch vor und erläutert in einzelnen Abschnitten das Fortschreiten der Verschwörung. Im Verlauf dieser Erläuterung befaßt sich die Anklageschrift mit "Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Grundsätze der Humanität, verübt in der Ausführung der Verschwörung"l33. Nach der Feststellung, daß die ,,Naziverschwörer" den Krieg "unter rücksichtsloser und vollkommener Nichtachtung und Verletzung von Kriegsrecht und Kriegsbrauch" durchführten, werden in paralleler Darstellung zu den Kriegsverbrechen die Verbrechen gegen die Menschlichkeit dargestellt und die Angeklagten wegen einer "Verschwörung zur Verübung von Verbrechen gegen die Grundsätze der Humanität im Verlauf der Kriegsvorbereitung und Kriegführung" angeklagt: "Angefangen mit der Inangriffnahme ihres Planes, vollkommene Kontrolle innerhalb des Deutschen Reiches zu erlangen und zu erhalten, und sodann in der Ausnützung dieser Kontrolle zu Angriffen auf andere Staaten, führten die Nazi-Verschwörer ihren gemeinsamen Plan und ihre Verschwörung unter vollkommener und rücksichtsloser Nichtachtung und Verletzung der Grundsätze der Humanität durch. Im Verlaufe der Ausführung des gemeinsamen Planes und der Verschwörung wurden Verbrechen gegen die Grundsätze der Humanität begangen, die nachstehend im Anklagepunkt Vier dieser Anklageschrift im einzelnen ausgeführt sind" 134.

Da die Verbrechen gegen die Menschlichkeit im ersten Anklagepunkt stets nur im Zusammenhang mit der Verschwörung behandelt und auf die Funktion eines Mittels zur Umsetzung dieser Verschwörung beschränkt werden, sind der Anklageschrift keine Ausführungen über die besonderen Merkmale der Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu entnehmen. Auch die Ausführungen in vierten Anklagepunkt, der der Überschrift nach eigens den Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewidmet ist, sind bezüglich ihres Gehaltes wenig ergiebig. In der Anklageformel wird zunächst festgestellt, daß alle Angeklagten "in einer Reihe von Jahren vor dem 8. Mai 1945" in Deutschland und den besetzten Ländern Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hatten 135. Dabei wird unter anderem die Ermordung und Verfolgung derjenigen, die tatsächlich oder vermeintlich der politischen Opposition angehörten, genannt 136 und somit der innerstaatliche Bereich erfaßt. Hieraus läßt sich ableiten, daß auch Taten gegen deutsche Staatsangehörige als vom Begriff der Verbrechen gegen die Menschlichkeit umfaßt angesehen wurden.

Abschnitt G, s. dt. Fassung, S. 11. Unterpunkt 3, dt. Fassung, S. 11. 135 Dt. Fassung, S. 29. 136 Dt. Fassung, S.29; dies wird in den Unterpunkten A und B näher ausgeführt, S.29/30. 133

134

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cc) Verhältnis zu den Kriegsverbrechen Der letzte Satz der Anklageformel gibt Aufschluß darüber, wie die Anklagebehörde das Verhältnis zwischen den Verbrechen gegen die Menschlichkeit und den Kriegsverbrechen auffaßte I37 • Aus der Tatsache, daß die Anklagebehörde auch die in Anklagepunkt Drei, dem Anklagepunkt, der sich mit Kriegsverbrechen befaßt, genannten Tatsachen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit geltend macht, ergibt sich, daß ihrer Auffassung nach Kriegsverbrechen einen Unterfall der Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellten. Verständlich wird diese Sichtweise durch einen Vergleich der Definitionen der Kriegsverbrechen (Art. 6lit. b) und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 6 lit. c) nach dem Londoner Statut. Diese sind "parallel" formuliert und weisen eine hohe sprachliche und inhaltliche Ähnlichkeit auf. In der Anklageschrift werden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit dann nahezu identisch umschrieben 138. Es besteht eine starke Überschneidung zwischen den aufgeführten "unmenschlichen Handlungen"139. Hinsichtlich der genannten Opfergruppen bestehen dagegen grundsätzlich Unterschiede: Kriegsgefangene und Geiseln bei den Kriegsverbrechen, die Zivilbevölkerung bei den "Menschlichkeitsverbrechen" . Eine Überschneidung findet sich allerdings hinsichtlich der Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete. Aroneanu hat das Verhältnis zwischen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach der Anklageschrift treffend umschrieben 140: Es handelt sich um Bestandteile einer "einzigen großen juristischen Familie": der Verbrechen gegen die Menschlichkeit; das Verbrechen gegen die Menschlichkeit umfaßt die Kriegsverbrechen, die nichts anderes als in Kriegszeiten begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter besonderer Bezeichnung sind. In Konsequenz dieser Sichtweise begnügt sich Anklagepunkt Vier deshalb damit, Taten aufzuführen, die nicht unter den engeren Begriff des Kriegsverbrechens fallen, weil sie gegen Personen deutscher Staatsangehörigkeit - Angehörige der politischen Opposition und die jüdische Bevölkerung - begangen wurden 141.

Dt. Fassung, S.29. V gl. das Ergebnis der von Aroneanu vorgenommenen Gegenüberstellung, Le crirne contre l'hurnanite, S.47. 139 Aroneanu stellt beide Texte gegenüber, Le crirne contre l'hurnanite, S.43, 44; Eine Überschneidung liegt danach bezüglich ,,Ennordung" und ,,Deportation" vor, s. Art. 61it. bund lit. c des Londoner Statutes. 140 ld., S.45, 48. 141 s. dt. Fassung, S. 29/30. Vgl. Taylor, War Crirnes and International Law, S. 260. Hinsichtlich der Judenverfolgung beschränken sich die aufgeführten Taten allerdings nicht auf Opfer deutscher Staatsangehörigkeit. Die Darstellung ist in "unmenschliche Handlungen gegen die Zivilbevölkerung vor oder während des Krieges" (A) und "Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen" (B) gegliedert. 137 138

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

b) Das Urteil des Internationalen Militärgerichtshofes Das Urteil, das der Internationale Militärgerichtshof am 30. September und

1. Oktober 1946 verkündete, setzte die in der Anklageschrift verfolgte Linie fort l42 :

Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden in einem gemeinsamen Abschnitt behandelt, wodurch ihre Abgrenzung voneinander erschwert wird l43 • Die Richter folgten damit der in der Anklageschrift vertretenen Sichtweise, nach der Kriegsverbrechen gleichzeitig Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellten. Aufgrund dieser Überschneidung sind die Ausführungen der Richter über die Kriegsverbrechen auch für das Verständnis der Verbrechen gegen die Menschlichkeit bedeutsam. aa) Ausführungen zu den Kriegsverbrechen Die Richter stellten fest, daß das Beweismaterial bezüglich der Begehung von Kriegsverbrechen derart überwältigend sei, daß eine hinreichende Wiedergabe und Berücksichtigung in einem Urteil unmöglich sei. Fest stehe, daß Kriegsverbrechen in größtem Ausmaß verübt worden seien, wie nie zuvor in der Kriegsgeschichte. Die Verbrechen seien in allen besetzten Ländern, "begleitet von jeder nur denkbaren Grausamkeit und Schrecken", begangen worden l44 • Ihre Ursache wird in der nazistischen Konzeption des "totalen Krieges" gesehen: "Denn bei dieser Auffassung des totalen Krieges werden die den Konventionen zu Grunde liegenden sittlichen Ideen, die den Krieg menschlicher zu gestalten trachten, als nicht länger in Kraft oder Geltung befindlich gesehen. Alles wird dem gebieterischen Diktat des Krieges untergeordnet. Regeln, Anordnungen, Versicherungen und Verträge, eines wie das andere, haben keine Bedeutung mehr; befreit vom hemmenden Einfluß des Völkerrechts wird so der Angriffskrieg von den Nazi-Führern auf möglichst barbarische Weise geführt. Demgemäß wurden Kriegsverbrechen begangen, wann immer und wo immer der Führer und seine engsten Mitarbeiter sie als vorteilhaft betrachteten. Zum größten Teile waren sie das Ergebnis kalter verbrecherischer Berechnung "145.

Diese Textpassage macht das Grundverständnis des Gerichtshofes über die Begehung von Verbrechen nach dem Kriegsausbruch deutlich: sie werden als Konsequenz der nazistischen Ideologie mit dem unbedingten Willen, den Krieg zu gewinnen, angesehen; in diesem von den NS-Anführern propagierten "totalen Krieg" hei142 FundsteIle: Judgment of the International Military Tribunal for the Trial of Gerrnan Major War Criminals, H.M. Stationery Office, Miscellaneous No. 12. (1946); deutsche Fassung in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, amtlicher Wortlaut in deutscher Sprache, Band 1, S.189ff (im folgenden zitiert als: "Urteil"). Allerdings ließen die Richter den Vorwurf der Verschwörung im Hinblick auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit später fallen. 143 Urteil, S. 253 ff. 144 Urteil, S. 253. 145 Urteil, S.254.

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ligt der Zweck alle Mittel, sind alle rechtlichen und moralischen Hemmungen beseitigt. Der Gerichtshof spricht an dieser Stelle ausdrücklich nur von "Kriegsverbrechen". Aus der Überschrift, die auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit nennt, sowie aus den später angeführten Beispielen, wird aber deutlich, daß der Gerichtshof keine klare Trennung zwischen den beiden Verbrechenstypen vornimmt und beide Kategorien miteinander vermischt behandelt. So wird angeführt, daß Kriegsgefangene nicht nur unter Mißachtung der anerkannten Regeln des Völkerrechts, sondern auch "unter vollständiger Außerachtlassung der elementarsten Vorschriften der Menschlichkeit" mißhandelt, gefoltert und ermordet wurden 146; letzteres ist eine Formulierung, die üblicherweise im Zusammenhang mit dem Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwendet wurde. Anschließend wird die Deportation ganzer Zivilbevölkerungen der besetzten Länder zur Zwangsarbeit nach Deutschland behandelt. Dabei handelt es sich um Taten, die sowohl unter Art. 6lit. b) des Statuts, also die eigentlichen Kriegsverbrechen 147, als auch unter Art. 6lit. c) des Statuts l48 , also unter die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit fallen können 149. Aufgrund der in der Definition beider Tatbestände angelegten Überschneidung kommt es zur Befassung des IMT mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit, auch wenn die genannten Taten ausdrücklich - abgesehen von der Überschrift - nur als Kriegsverbrechen, nicht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet werden. Es ergibt sich der Eindruck, daß die Richter an dieser Stelle ein ausdrückliches Eingehen auf das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit vermeiden. Die Auffindung der Ansicht der Richter über das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit wird zudem dadurch erschwert, daß die Ausführungen über dieses Verbrechen durchgehend mit der über die Kriegsverbrechen vermischt sind IS0.

Urteil, S.254. In Form der "deportation to slave labor ... of civilian population of or in occupied territory" (Art. 6 lit. b) des Statuts. 148 In Form der "deportation ... committed against any civilian population" (Art.6lit.c) des Statuts. 149 Hinzuweisen ist darauf, daß Art. 6 lit. b nur bezüglich der Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten anwendbar war, während Art. 6 lit. c auch die Zivilbevölkerung des betreffenden Staates selbst erfaßte. Daraus folgt, daß Mord oder Deportation der Bevölkerung in besetzten Gebieten sowohl Kriegsverbrechen als auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein konnte, s. Dinstein, IsrYBHR 5 (1975), S.60. ISO Diese Vorgehensweise setzt sich bis in die Behandlung der Taten der einzelnen Angeklagten fort. Vierzehn der Angeklagten wurden - nach Ausführungen, die sich vorwiegend auf Kriegsverbrechen bezogen - wegen der Begehung von Taten beider Verbrechenskategorien verurteilt. s. Judgrnent S. 84ff., vgl. Clark in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nurernberg Trial and International Law, S.194, 196/197. 146

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

bb) Die Behandlung der Judenverfolgung Als UnterfaIle von "Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen" behandelten die Richter nacheinander die "Ennordung und Mißhandlung von Kriegsgefangenen", die ,,Ennordung und Mißhandlung der Zivilbevölkerung", die "Politik der Sklavenarbeit" und schließlich die "Verfolgung der Juden". Der Untersuchungsgegenstand der Judenverfolgung lSl stellt dabei einen Testfall für die Auffassung der Richter über das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Denn hierbei handelte es sich - anders als bei "unmenschlichen Handlungen" gegen Angehörige der Streitkräfte und fremde Staatsangehörige - jedenfalls dann um Sachverhalte, die nicht unter den Begriff der Kriegsverbrechen gefaßt werden konnten, wenn die Opfer Juden deutscher Staatsangehörigkeit waren. Der Gerichtshof stellte diesbezüglich zunächst fest: "Die Verfolgung der Juden durch die Nazi-Regierung ist mit größter Ausführlichkeit vor dem Gerichtshof bewiesen worden. Sie ist ein einziger Bericht von konsequenter und systematischer Unmenschlichkeit größten Stils" 152.

Anschließend wird die Judenverfolgung in ihrem chronologischen Ablauf dargestellt. Die Richter nehmen jedoch keine Subsumtion unter den Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor; zwar bewerten sie die betreffenden Taten als "unmenschlich", sie ziehen jedoch nicht die ausdrückliche Schlußfolgerung, daß es sich hierbei um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt. Abennals erschwert der "Erzählstil", die bloße Wiedergabe der Fakten, es, aus den Ausführungen allgemeine Schlußfolgerungen abzuleiten. cc) Allgemeine Ausführungen zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit Nach der Darstellung der einzelnen Beweisbefunde befaßt sich das Tribunal schließlich allgemein mit dem im Hinblick auf die Kriegsverbrechen und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuwendenden Recht. Dabei heben die Richter zunächst hervor, daß sie sich als an die Definitionen der Verbrechen nach Art. 6 lit. b und lit. c des Statutes gebunden ansehen lS3 • Erst zum Abschluß dieses Themenkomplexes gibt der Gerichtshof seine einzige ausdrückliche Stellungnahme in Bezug auf die Verbrechen gegen die Menschlichkeit ab: "Was die Verbrechen gegen die Menschlichkeit betrifft, so besteht keinerlei Zweifel, daß politische Gegner in Deutschland vor dem Kriege ermordet wurden und daß ihrer viele in Konzentrationslagern unter den schrecklichsten und grausamsten Umständen gefangen gehalISI 152 153

Urteil, S.277-283. Urteil. S. 277/278. Urteil. S.284.

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ten wurden. Diese Politik des Schreckens ist sicherlich in großem Maßstabe durchgeführt worden und war in vielen Fällen organisiert und durchdacht. Die vor dem Krieg von 1939 in Deutschland durchgeführte Politik der Verfolgung, der Unterdrückung und der Ermordung von Zivilpersonen, von denen eine gegen die Regierung gerichtete Einstellung zu vermuten war, wurde auf das erbarmungsloseste durchgeführt. Die in der gleichen Zeit vor sich gehende Verfolgung der Juden ist über allen Zweifel festgestellt. Um Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begründen, müssen die vor Ausbruch des Krieges begangenen und hier herangezogenen Handlungen in Ausführung eines Angriffskrieges oder in Verbindung mit einem der Zuständigkeit dieses Gerichtshofes unterstellten Verbrechen verübt worden sein. Der Gerichtshof ist der Meinung, daß, so empörend und entsetzlich viele dieser Verbrechen waren, doch nicht hinreichend nachgewiesen wurde, daß sie in Ausführung eines Angriffskrieges oder in Verbindung mit einem derartigen Verbrechen verübt worden sind. Der Gerichtshof kann deshalb keine allgemeine Erklärung dahingehend abgeben, daß die vor 1939 ausgeführten Handlungen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Statuts waren lS4 . Aber seit Beginn des Krieges im Jahr 1939 sind Kriegsverbrechen in großem Umfang begangen worden, die auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren; und soweit die in der Anklage zur Last gelegten unmenschlichen Handlungen, die nach Kriegsbeginn begangen wurden, keine Kriegsverbrechen darstellten, wurden sie dach alle in Ausführung eines Angriffskrieges oder im Zusammenhong mit einem Angriffskrieg begangen und stellen deshalb Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar". ISS

Die Richter betonten mit dieser allgemeinen Erklärung die durch Art. 6 lit. c des Statutes festgelegte Abhängigkeit der Verbrechen gegen die Menschlichkeit von den beiden anderen Verbrechenskategorien: ohne einen Zusammenhang zum Verbrechen gegen den Frieden oder den Kriegsverbrechen unterstand eine Tat nicht der Jurisdiktion des Gerichtshofes 156. Dieses Erfordernis legte der Gerichtshof restriktivaus. dd) Ergebnis Eine Gesamtbetrachtung des Urteils führt zu der Schlußfolgerung, daß die Richter die Gelegenheit nicht wahrnahmen, in eine allgemeine Erörterung des Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzutreten 157. Sie hielten sich streng an 1S4 Tatsächlich ist keiner der Angeklagten ausschließlich wegen Verbrechen verurteilt worden, die vor dem 1.9.1939 in Deutschland gegen Deutsche begangen worden waren, s. Schwelb, BYIL 23 (1946), S. 205. ISS Urteil, S. 285/286 (Herv. d Verf.). IS6 Vgl. Schwelb, BYIL 23 (1946), S.205. IS7 Dagegen nahmen die Richter den Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei der Strafzumessung offensichtlich sehr ernst. Nur zwei der Angeklagten, Streicher und von Schirach, wurden ausschließlich wegen der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Sie wurden zum Tode (Streicher) bzw. zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren (von Schirach) verurteilt. Im Falle von Streicher erfolgte eine Verurteilung wegen der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wegen der Aufhetzung zur Judenverfolgung; im Falle von Schirachs wegen seiner Verwicklung in den Einsatz von Zwangsarbeit und Deportation, s. Urteil, S.340-343 sowie S. 359-361 und S.412, 413. Wright betont, daß alle die-

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

die durch das Londoner Statut vorgegebene begrenzte Jurisdiktion\S8, insbesondere an die dort konzipierte Abhängigkeit dieses Verbrechens von den anderen beiden Verbrechenskategorien ls9 • Im Verhältnis zum Verbrechen gegen den Frieden erhalten die Verbrechen gegen die Menschlichkeit dadurch den Charakter eines Nebenproduktes des Krieges, im Verhältnis zu den Kriegsverbrechen wurde der Tatbestand durch die Richter als eine Art Generalklausel angewendet, als eine subsidiäre Vorschrift, die immer dann anzuwenden ist, wenn ein bestimmtes in Kriegszeiten begangenes Verbrechen nicht unter den Begriff der Kriegsverbrechen i. e. S. subsumierbar war l60 • Die Konturen des Verbrechens bleiben infolgedessen vage und überschneiden sich mit denen der Kriegsverbrechen 161. In dieser Hinsicht ist das Urteil des IMT enttäuschend, da die Richter nicht den Schritt wagten, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Teil eines sowohl in Kriegs- als auch in Friedenszeiten anwendbaren internationalen Verhaltensstandards anzuerkennen, der die Menschenrechte jeder Zivilbevölkerung - auch gegen den eigenen Staat - durch strafrechtliche Sanktionierung schützt. Diese Einschränkung war jedoch durch das Londoner Statut vorgegeben, das die Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht als universell anwendbare Strafrechtsvorschriften konzipierte, sondern als Ausdehnung der Kriegsverbrechen im herkömmlichen Sinn l62 • Durch das Akzessorietätserfordernis wurde deutlich, daß die Bereitschaft zur Ahndung von Greueltaten - so schockierend sie auch sein mochten - an die Voraussetzung gebunden war, daß sie innerhalb eines bewaffneten Konfliktes begangen wurden 163. Infolgedessen können die Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach der Konzeption des Londoner Statutes letztlich - mit Ausnahme der Verfolgung der deutschen Juden und Angehörigen der politischen Opposition - mit "Kriegsverbrechen an der (eigenen) Zivilbevölkerung" gleichgesetzt werden.

jenigen der Angeklagten, die zum Tod durch den Strang verurteilt wurden, auch der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden worden waren, während diejenigen, die sich ,,nur" der Begehung des Verbrechens gegen den Frieden schuldig gemacht hatten, nur zu lebenslänglichen oder zeitigen Freiheitsstrafen verurteilt wurden; damit maß der Gerichtshof der Begehung des von ihm erklärten ,,höchsten internationalen Verbrechens" gegen den Frieden mildere Strafen zu als dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit, s. AJIL 41 (1947), S.41, 43/44. IS8 V gl. die Feststellung der Richter zu Beginn ihrer Ausführungen über das Recht des Statuts: ..Das Recht des Statuts ist maßgebend und für den Gerichtshof bindend." Urteil, S. 244. IS9 s. Clark in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S.195, 196; Schwelb, BYIL 23 (1946), S.205. 160 Schwelb, BYIL 23 (1946), S.206. 161 Clark: in Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nuremberg Trial and International Law, S.198. 162 Vgl. Schwelb, BYlL 23 (1946), S.206, 207. 163 V gl. Taylor, War Crimes and International Law, S. 266.

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5. Die Folgeprozesse Noch vor Abschluß des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher durch den Internationalen Militärgerichtshof erließ der alliierte Kontrollrat für Deutschland am 20.12.1945 ein Gesetz, das die einheitliche Grundlage für die strafrechtliche Verfolgung von Taten, wie sie im Londoner Statut definiert worden waren, in den einzelnen Besatzungszonen bilden sollte l64 • Das Gesetz wurde durch die jeweiligen Besatzungsgerichte, teilweise auch durch deutsche Gerichte, angewendet 165 •

a) Das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Kontrollratsgesetz Nr.l0 Das sog. "Kontrollratsgesetz Nr. 10" (KRG 10) machte das Londoner Abkommen durch Art. 1 zu einem seiner Bestandteile l66 • Art. 11, der die einzelnen Verbrechen aufführte, definierte unter lit. c den Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit folgendermaßen: "Gewalttaten und Vergehen, einschließlich der folgenden den obigen Tatbestand jedoch nicht erschöpfenden Beispiele: Mord, Ausrottung, Versklavung, Zwangsverschleppung, Freiheitsberaubung, Folterung, Vergewaltigung oder andere an der Zivilbevölkerung begangene unmenschliche Handlungen; Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, ohne Rücksicht darauf, ob sie das nationale Recht des Landes, in welchem die Handlung begangen worden ist, verletzen ... 167 164 Das sog. ,,Kontrollrats gesetz Nr. 10" sollte die Bestimmungen der Moskauer Deklaration vom 30.10.1943 und des Londoner Abkommens mit dem diesem angefügten Statut vom 8.8.1945 ausführen; dt. Fassung in Amtsblatt des Kontrollrats in Dtl., Nr.3 vom 29.10.1945, S. 50 ff.; bemerkenswert ist, daß das Gesetz niemals formell aufgehoben wurde, s. Vultejus, StV 1992, S.602. 165 Der Kontrollrat hat nach Art. III Nr. 1 d Satz 1 die Anwendung des Gesetzes grundsätzlich den alliierten Gerichten vorbehalten, jedoch den einzelnen Besatzungsmächten gestattet, die Gerichtsbarkeit in ihren Zonen den deutschen Gerichten zu übertragen; die entsprechende Ermächtigung haben 1946 die britische, die französische und die sowjetische Besatzungsmacht allgemein, die amerikanische nur von Fall zu Fall erteilt, s. Vultejus, StV 1992, S. 602. So wurden in der britischen Zone durch eine spezielle Anordnung der britischen Militärregierung (..Ordinance No.47") deutsche Gerichte dazu ermächtigt, alle Fälle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu behandeln, die von Personen deutscher Staatsangehörigkeit gegen Personen deutscher Staatsangehörigkeit oder Staatenlose begangen worden waren, s. History of the UNWCC, S. 214; diese Ermächtigung wurde jedoch nachträglich wieder eingeschränkt, s. SJZ 1947, Sp. 228,231. Zu den Anordnungen in den einzelnen Besatzungszonen s. BVerfGE 25, 269,279/280. Zu den Rechtsgrundlagen und Beschränkungen der strafrechtlichen Verfolgung von NS-Verbrechen durch deutsche Gerichte s. auch Streim, DRiZ 1995, S. 195 ff. 166 S. Art. I des KRG 10 in Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Nr. 3, 29. Oktober 1945, S.50. Vgl. History ofthe UNWCC, S.212. 167 s. Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Nr. 3, 29. Oktober 1945, S.51. Engl. Text in: History of the UNWCC, S. 212; die deutsche Übersetzung ist uneinheitlich, s. z. B. bei Kraus, Kontrollratsgesetz Nr.lO, S.69; vgl. auch Vultejus, StV 1992, S.602.

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

Zwischen dieser Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und derer nach Art. 61it. c) des Londoner Statutes bestehen die folgenden Unterschiede: aa) Sachlicher Anwendungsbereich Das KRG 10 enthält einige Beispiele unmenschlicher Handlungen, die im Londoner Statut nicht enthalten sind, und zwar: Freiheitsberaubung, Folterung und Vergewaltigung. Darüber hinaus ist die Aufzählung durch die Verwendung der Formulierung "einschließlich, aber nicht beschränkt auf' und des Wortes "oder" vor "andere unmenschliche Handlungen" exemplarisch, nicht erschöpfend, gefaßt und damit auf eine größere Reichweite hin angelegt'68. bb) Zeitlicher Anwendungsbereich Die Wendung "vor oder während des Krieges" wurde im KRG 10 weggelassen. Dies hat zur Folge, daß nach dem Wortlaut einerseits Taten, die vor der Machtergreifung durch Hitler begangen worden waren, andererseits Taten, die nach dem Krieg begangen wurden, erfaßt waren l69 • Bedeutsam ist insbesondere die Erstreckung des Anwendungsbereiches auf die Zeit vor dem Kriegsbeginn von 1939 17°. Die Gerichte, die nach dem KRG 10 urteilten, mußten sich dadurch auch mit den Taten befassen, die durch das IMTNümberg nicht behandelt worden waren l7l . cc) Verhältnis zu den anderen Verbrechen Die entsprechenden Taten müssen nach dem KRG 10 nicht in Ausführung oder in Verbindung mit einem Verbrechen gegen den Frieden oder einem Kriegsverbrechen begangen worden sein; damit war das Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus seiner Akzessorietät zu den anderen beiden Verbrechenskategorien gelöst 172 • dd) Bewertung Das Kontrollratsgesetz erweiterte den Anwendungsbereich des Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Hinblick auf mögliche ErscheinungsforVgl. Schwelb, BYlL 23 (1946), S.217; History ofthe UNWCC; S.213. s. History ofthe UNWCC, S.213; Schwelb, BYIL 23 (1946), S.217/8. 170 V gl. Jescheck, EPIL 4, S. 54. 171 So konnten im sog. "Wilhelmstraßen-Prozeß" der ,,Anschluß" Österreichs und der Überfall auf die Tschechoslowakei in die Anklage aufgenommen werden, s. Paech. S + F 1998, S.202 Anm. 22. 172 Vgl. Schwelb, BYlL 23 (1946), S.218; History ofthe UNWCC. S.213. 168 169

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men unmenschlicher Handlungen sowie auf den Begehungszeitpunkt. Die wichtigste Änderung ist jedoch in der Loslösung des Konzeptes von den Kategorien der Verbrechen gegen den Frieden und der Kriegsverbrechen zu sehen. Dadurch wird das Verbrechen seiner Definition nach vom Kriegszustand gelöst und erhält selbständige Bedeutung auch für Friedenszeiten. b) Durchführung: die 12 Nürnberger "Fo/geprozesse" Auf der Grundlage des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 wurden im Anschluß an das Verfahren gegen die sog. "Hauptkriegsverbrecher" 12 weitere Verfahren gegen Personen, die im NS-Staat hochrangige Positionen innehatten, durchgeführt. Diese Verfahren wurden zwar "unter direkter Verantwortung des Alliierten Kontrollrates" durchgeführt, die Gerichte selbst waren jedoch Teil der Besatzungsverwaltung für die Amerikanische Besatzungszone 173 • Die Prozesse fanden in Nürnberg statt und sind bezeichnenderweise unter dem Titel "The United States of America vs. ( ... )" veröffentlicht 174 • Sie wurden nach Themenkreisen zusammengefaßt, indem die Angeklagten aus bestimmten Berufsgruppen oder als Träger bestimmter Funktionen innerhalb NS-Deutschlands gemeinsam angeklagt wurden 17S • Auch in den Folgeprozessen wurden die Kategorien der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Richter weitestgehend gemeinsam behandelt, obwohl die Anklageschriften zum großen Teil getrennte Anklagepunkte für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vorsahen 176• Dies s. hierzu Taylor, War Criminals and International Law, S. 272, 273. Und zwar als "Trials of War Criminals before the Nuemberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10", insgesamt 15 Bände. 17S Dementsprechend handelt es sich um die folgenden "Umgangsbezeichnungen": ,.ÄrzteProzeS" (Fall 1), ,)uristenprozeS" (Fall 3), ,,Einsatzgruppen"-Prozeß (Fall 9) usw. Die Funktionen der Angeklagten lassen sich in die folgenden Gruppen aufteilen: SS-Angehörige, hohe Militärs, Mitglieder des Auswärtigen Amtes und andere hohe Beamte, Justizfunktionäre, Ärzte und Industrielle, s. Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 1 sowie Von Knieriem, Nürnberg, S. 1 ff. Die Zahl der Angeklagten wird mit 177 angegeben. Zu einer Zusammenfassung der Prozesse s. Taylor, Nuremberg Trials, S. 277 ff. insbes. zum sog. ,)uristenprozeB" s. Steiniger/Leszczynski (Hrsg.), Fall 3; sowie Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Das Nürnberger Juristen-Urteil von 1947 und Ostendorf, DRiZ 1995, S.I84ff. 176 Die Anklageschriften behandelten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit teils als gemeinsame, teils als getrennte Anklagepunkte: Beispiele für die Behandlung in getrennten Anklagepunkten: sog. "Milch-Fall": Anklagepunkte 1 und 2 beziehen sich auf Kriegsverbrechen, Anklagepunkt 3 auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit (s. The United States of America vs. Erhard Milch, case 2, Trials of War Criminals, Vol. 11, S. 36Off.), sog. ,)uristenfall": Anklagepunkt 2 behandelt Kriegsverbrechen, Anklagepunkt 3 Verbrechen gegen die Menschlichkeit (s. The United States of America vs. Josef AltstöUer, et al., case 3, Trials of War Criminals, Vol. III), sog. ,,Einsatzgruppen-Fall": Anklagepunkt 1: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Anklagepunkt 2: Kriegsverbrechen, (s. The United States of America vs. Otto Ohlendorf, et al., case 9, Trials of War Criminals, Vol. IV, S. 13 ff.), sog. ,,RuSHA-Fall": Anklagepunkt 1: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Anklagepunkt 2: Kriegsverbrechen (The 173

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

setzt sich bis in die Schuldfeststellungen bezüglich der einzelnen Angeklagten fort I77 • Die Ausführungen haben wie das Urteil des Nürnberger Militärgerichtshofes den Charakter von Schilderungen der geschichtlichen Ereignisse, lassen jedoch zunehmend eine eigene substantielle Rechtsprechung bezüglich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit erkennen 178. Dennoch dauerte die grundsätzliche Zurückhaltung gegenüber der Verwendung des neuen Rechtsbegriff an 179. 6. Ergebnis Im Hinblick auf die strafrechtliche Verfolgung der durch Angehörige des NS-Regimes begangenen Greueltaten läßt sich ein zwiespältiges Herangehen erkennen. Zum einen bestand der feste Wille, jedenfalls die an den Angehörigen der aliierten Streitkräfte sowie der Zivilbevölkerung der besetzten Länder begangenen Greueltaten einer strafrechtlichen Verfolgung auf internationaler Ebene zu unterziehen. Offensichtlich waren während des Krieges jedoch auch Greueltaten an Teilen der eigenen Bevölkerung der Achsenmächte begangen worden. Die Alliierten erkannten, daß auch diese Taten nicht folgenlos bleiben durften und wagten den Schritt, diese in die Strafverfolgung einzubeziehen. Damit gaben sie ihre durch die Anerkennung der staatlichen Souveränität bedingte grundSätzliche Zurückhaltung vor einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten, die Behandlung der eigenen Staatsangehörigen durch den Staat, auf. Die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Londoner Statut umfaßte grundsätzlich auch unmenschliche Handlungen gegenüber den eigenen Staatsangehörigen der Achsenmächte. Allerdings mußten die Taten, um in die Jurisdiktion des Nürnberger Militärgerichtshofes zu falUnited States of America vs. Ulrich Greifelt, et a1., case 8, Trials of War Criminals, Vo1. IV, S. 608 ff.); sog. ,.pohl-Fall", Anklagepunkt 2: Kriegsverbrechen, Anklagepunkt 3: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, (s. The United States of America vs. Oswald Pohl, case 4, Trials of War Criminals, Vo1. V); Gegenbeispiele, in denen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einem oder mehreren Anklagepunkten gemeinsam angeklagt werden, sind: der sog. ,,Flick-Fall": Anklagepunkte I, 2 und 4; Anklagepunkt 3 behandelt allerdings ausschließlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit (s. The United States vs. Friedrich Flick, et a1., case 5, Trials ofWar Criminals, Vo1. VI, S.11 ff.), der sog. ,.Ministries-Fall", Anklagepunkte 5,6 und 7 (Punkt 4 befaßt sich allerdings ausschließlich mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit), s. The United States vs. Ernst von Weizsaecker, et a1., case 11, Trials of War Criminals, Vo1.XII, S.13ff.). 177 Die meisten der Angeklagten wurden sowohl wegen der Begehung von Kriegsverbrechen als auch wegen der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden bzw. freigesprochen: so z. B. im sog. ,,Ärztefall", s. The United states vs. Kar! Brandt, et a1., case I, Trials of War Criminals, Vo1. 11, S. 198 ff., im sog. ,.Einsatzgruppen-Fall", s. The United States vs. Ouo Ohlendorf, et a1., case 9, Trials of War Criminals, Vo1. IV, S.512ff., im sog. ,,RuSHA"-Fall, s. The United States vs. Ulrich Greifelt, et al., case 8, Trials of War Criminals, Vol.IV, S. 154ff. 178 Auf die relevanten Ausführungen wird aus diesem Grund nicht an dieser Stelle, sondern bei der Behandlung einzelner Themenkreise eingegangen. 179 Vg1. Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S.368.

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len, in Verbindung mit dem Krieg stehen. Der Gerichtshof legte dieses Erfordernis restriktiver aus, als es nach der Vorschrift erforderlich gewesen wäre. Auch nach Beseitigung des Akzessorietätserfordernisses durch die Definition nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 verhielten sich die Gerichte zunächst zurückhaltend. Zunehmend bildete sich jedoch eine Anerkennung des Gedankens heraus, daß auch die Behandlung der eigenen Staatsangehörigen bestimmten Schranken zu unterwerfen war und im Fall einer umfassendenden Verletzung durch dritte Staaten, auf internationaler Ebene, durchgesetzt werden konnte.

11. Die strafrechtliche Behandlung der Taten der fernöstlichen Kriegsgegner der Alliierten Während sich im Nürnberger Prozeß und seinen Folgeprozessen allmählich eine Anerkennung des Gedankens, daß bestimmte Mindeststandards "menschlicher" Behandlung auch gegenüber den eigenen Staatsangehörigen einzuhalten waren, durchgesetzt hatte, stellt die strafrechtliche Behandlung der "Greueltaten" der fernöstlichen Kriegsgegner der Alliierten ihrem Gesarntcharakter nach eine Ahndung von Kriegsverbrechen im traditionellen Sinn dar. Letztlich fand hier eine umgekehrte Entwicklung zu derer der Herausbildung des Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit über eine Ausdehnung der Kriegsverbrechen statt. Das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde genutzt, um in großem Ausmaß begangene Kriegsverbrechen, die den Charakter von "Verfolgungen" aufwiesen, herauszustellen.

1. Die Einrichtung eines Internationalen Militärgerichtshofes für den Fernen Osten Das Verfahren gegen die Kriegsgegner der Alliierten im Femen Osten fand weit weniger Beachtung als die strafrechtliche Bewältigung der Taten der Angehörigen des NS-Regimes 180. Es war dazu bestimmt, das fernöstliche Gegenstück zu den Nürnberger Prozessen darzustellen 181. Durch eine Erklärung des Oberbefehlshabers der alliierten Streitkräfte, General Douglas McArthur, vom 19. Januar 1946 182 , wurde ein "Internationaler Militärgerichtshof für den Femen Osten" mit Sitz in Tokio eingerichtet 183. In der Präambel der Erklärung wird daran erinnert, daß sich Japan in 180 s. lpsen, Völkerrecht, § 38, Rn. 16, S.537, ders. in Oehler-FS, 5.514; einen Überblick über das Verfahren gibt Röling in EPIL 4, S.242-245. s. auch dessen kritische Zusanunenfassung in: Röling/Rüter (Hrsg.), The Tokyo Judgment, Vol. I, Introduction, XI-XVII. Zu den Ereignissen im Vorfeld der Errichtung des Tribunals s. Piccigallo, The Japanese on Trial, 5.3--8. 181 Vgl. Minear: "Tokyo was to be the Nuremberg of the Pacific", Victor's Justice, S.23. 182 s. hierzu Friedman, The Law of War, Vol. 11, 5. 1031. 183 s. Schwelb, BYIL 23 (1946), 5.214; History ofthe UNWCC, 5.204; lpsen, Oehler-F5, 5.507.

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

der Kapitulationsurkunde vom 2. September 1945 184 dazu verpflichtet hane, die Vorschriften des Potsdamer Abkommens auszuführen 18S. 2. Das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Statut des Militärgerichtshofes Das Statut des Militärgerichtshofes, das der Erklärung als Annex angefügt ist l86 , bezieht auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit in die Jurisdiktion des Gerichtshofes ein 187. Die in Art. 5 lit. c genannte Definition ist bis auf wenige Unterschiede derer des Londoner Statutes nachgebildet: a) Einbeziehung von Taten gegen Angehörige der Streitkräfte

Im Statut des Militärgerichtshofes ist nicht ausdrücklich erwähnt, daß die entsprechenden Taten sich gegen die Zivilbevölkerung richten müssen, um als Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter dessen Jurisdiktion zu fallen. Auch in der Anklageschrift wurde den japanischen Hauptkriegsverbrechem nicht die Begehung von Taten gegen japanische Staatsangehörige auf japanischem Territorium vorgeworfen 188. Es wurden vielmehr nur Verbrechen angeklagt, deren Opfer fremde Staatsangehörige waren. Damit waren die Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach diesem Statut im Grunde lediglich eine Umschreibung für Kriegsverbrechen l89 • Daß das Konzept dennoch im Statut enthalten ist, wird auf die Intention zurückgeführt, auf diese Weise eine strafrechtliche Verfolgung von Soldaten für massenhafte Tötungen während des Kampfes unter Umgehung ihrer privilegierten Stellung s. AJIL 39 (1945), Suppl., S. 264,265 (Nr.6 der Urkunde). Schwelb, BYIL 23 (1946), S. 214, der Oberbefehlshaber sollte nach den auf der Moskauer Konferenz am 26.12.1945 getroffenden Vereinbarungen die Ausführung der Kapitulationsbedingungen durchsetzen; der Militärgerichtshof wurde aufgrund und zur Durchsetzung der folgenden völkerrechtlichen Instrumente eingerichtet: Der Kairoer Erklärung vom 1.12.1943, Der Potsdamer Erklärung vom 26.7.1945, der Kapitulationserklärung vom 2.9.1945 und der MoskauerErklärung vom 26.12.1945, s. Friedman, The Law ofWar, Vol.II, S.1029 sowie relevante Textauszüge, id., S. 1030f. 186 Dieses wurde durch den Oberbefehlshaber am selben Tag (19.1.1946) gebilligt und vor der Eröffnung des Verfahrens noch verändert, Friedman, The Law ofWar, Vol.II, S.1031; Minear weist darauf hin, daß das Statut von amerikanischer Seite verfaßt wurde (v. a. durch den Hauptankläger Joseph B. Keenan). Die anderen Alliierten seien erst hinterher zu Rate gezogen worden, dieses einseitige Vorgehen habe jedoch aufgrund der starken Ähnlichkeiten mit dem Londoner Statut nicht zu Meinungsverschiedenheiten geführt, s. ders., Victor's Justice. The Tokyo War Crimes Trial, S.20, 21; s. auch Piccigallo, The Japanese on Trial, S. 11. 187 Abdruck bei Friedman. The Law of War, Vol.I, S. 897. 188 s. History of the UNWCC, S.205. 189 s. Schwelb. BYIL 23 (1946). S. 215; vgl. Röling im Gespräch mit Cassese. in ders.: Reflections of a Peacemonger, S.55. 184

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als Kombattanten zu ennöglichen 190. Auf dieser Linie liegt auch der Versuch der Tokioter Anklageschrift, eine neue Verbrechenskategorie einzuführen, indem sie den Angeklagten die Verursachung von Todesfällen unter Kriegführenden und Zivilisten durch Angriffe ohne vorherige Kriegserklärung, d. h., ohne" Vorwarnung", vorwarf. Diese Handlungen wurden unter der Überschrift "Mord" in einem gesonderten Abschnitt behandelt und als "gleichzeitig Verbrechen gegen den Frieden, konventionelle Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellend" beschrieben 191. b) Keine Aufnahme von Verfolgungen aus religiösen Gründen Anders als im Londoner Statut wird im Statut des Militärgerichtshofes der Unterfall der Verfolgungen aus religiösen Gründen nicht aufgeführt. Diese Änderung läßt erkennen, daß die Verfasser des Statutes davon ausgingen, daß Verfolgungen aus religiösen Gründen, anders als im Fall der deutschen Hauptkriegsverbrecher, in Verbindung mit japanischer Kriegführung tatsächlich nicht in größerem Umfang begangen worden waren l92 • 3. Das Tokioter Verfahren Das Verfahren vor dem Tokioter Militärgerichtshof begann am 3. Mai 1946 mit der Verlesung der Anklageschrift 193 gegen 28 hochrangige Mitglieder der japanischen Staatsführung l94 • Von den 55 einzelnen Punkten der Anklageschrift befaßten sich 19 unter anderem mit Taten, die nach dem Statut in den Anwendungsbereich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit fielen l95 • Eine ausdrückliche Zuordnung 190 s. Röling in: Röling/Rüter (Hrsg.), The Tokyo Judgment, Vol.I, Introduction, XII, s. auch ders. in EPIL 4, S. 243, der aber - als ehemaliges Mitglied des Tokioter Gerichtshofes - darauf hinweist, daß die Richter dieser Linie nicht folgten und es nicht zur Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit kam; vgl. Cassese in: Retlections of a Peacemonger, S. 3. 191 s. hierzu History of the UNWCC, S. 206-208. Die Verteidigung wandte dagegen ein, daß Tötungen im Verlauf kriegerischer Operationen, soweit sie nicht Verletzungen der Regeln des Kriegsrechts darstellten, ,,normale Kriegsvorfälle" seien und nicht als Mord bewertet werden könnten, s. Röling/Rüter (Hrsg.), The Tokyo Judgment, Vol. I, S. 27. 192 Schwelb, BYIL 23 (1946), S.215; History ofthe UNWCC, S.205. 193 Zu dieser Anklageschrift, die dem Gerichtshof am 29.4.1946 unterbreitet wurde, s. Röling/Rüter (Hrsg.), The Tokyo Judgment, Vol. I, Judgment PartA, Chapter I, S. 20f. Zusammenfassung bei Friedman, The Law of War, Vol. H, S. 1031-1033; die Anklageschrift war in drei Abschnitte unterteilt, die die Überschriften "Verbrechen gegen den Frieden" (Punkt 1-36), ,,Mord" (Punkt 37-52) und ,,Andere konventionelle Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" trugen, s. Piccigallo, The Japanese on Trial, S.14; s. auch die Einteilung im abweichenden Votum des Richters Pal, Abdruck bei Friedman, The Law of War, Vol. H, S. 1159. 194 Aufzählung der Angeklagten bei Röling/Rüter (Hrsg.), The Tokyo Judgment, Vol. I, S. 15. Zu den ,,Auswahlkriterien" s. Piccigallo, The Japanese on Trial, S. 15. 195 Bei 16 der Punkte handelte es sich um Mord (als gleichzeitig Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellend), bei drei weite-

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

der angeklagten Taten zu den drei verschiedenen Verbrechens kategorien wurde jedoch nicht vorgenommen, so daß Aussagen darüber, welche Taten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt wurden, nicht möglich sind. Weiterhin ist zu beachten, daß die Richter, wie im Statut vorgesehen, darauf bestanden, Angeklagte nur dann wegen einer Tat, die unter die im Statut genannten Verbrechen fiel, zu verurteilen, wenn gegen sie auch der Vorwurf der Begehung von Verbrechen gegen den Frieden bestand l96 • Die Anklageschrift befaßte sich ähnlich wie im Nürnberger Verfahren mit einer "Verschwörung" zwischen dem Beginn des Jahres 1928 und dem 2. September 1945, deren Ziel die" Vorherrschaft und Ausbeutung der östlichen Welt" war. Die Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde, abermals parallel zur Anklageschrift von Nürnberg, lediglich als Teil dieser Verschwörung angesehen. Den Angeklagten wurde im Hinblick auf die Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen, zur Erreichung ihres Zieles "unter anderem die Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit (begangen) oder propagiert zu haben, wodurch die grundlegenden Prinzipien der Freiheit und des Respektes der menschlichen Persönlichkeit gefährdet und verletzt wurden "197. Das Verfahren vor dem Internationalen Militärgerichtshof für den Femen Osten, das aufgrund seiner zweifelhaften Rechtsgrundlage und der Anwendung völkerrechtlich nicht abgesicherter Prinzipien starker Kritik ausgesetzt war 198, wurde insgesamt nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse durchgeführt l99 • Vom 4. bis zum 12.11.1948 wurde das Urteil 2°O verlesen, in dem 25 der Angeklagten für schuldig befunden wurden 201 • ren um Taten, die gleichzeitig Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellten (nicht näher ausgeführt), s. Minear, Victor's Justice, S.24. Sehr plastisch zu den Schrecken der japanischen Verbrechen während des Krieges Lord Russel o[ Liverpool, "The Knights of Bushido. A Short History of Japanese War Crimes". 196 Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, S. 228; Piccigallo, The Japanese on Trial, S. 12;. s. auch Minear, Victor's Justice. The Tokyo War Crimes Trial, S. 21 u.22. 197 s. Minear, Victor's Justice, S. 24; s. auch Auszug bei: Reisman/Antoniou, The Laws of War, S.337. 198 s. z. B./psen, Oehler-FS, S. 5IOff.; Überblick über die Kritikpunkte bei Röling, EPIL 4, S.243/244. Er macht darauf aufmerksam, daß die Akzeptanz des Urteils fraglich sei, da die meisten Japaner die Angeklagten vermutlich nie als Kriminelle ansahen, id., S. 245. Das Urteil selbst wurde insgesamt in vollem Umfang nur von sechs der elf Richter getragen, zwei Richter verfaßten abweichende Meinungen zu spezifischen Problemen, drei weitere Richter umfassende abweichende Meinungen s. Minear, Victor's Justice, S. 32. 199 Zum Ablauf des Verfahrens, s. Überblick bei Friedman, The Law of War, Vol. 11, S. 1033-1034. 200 Der Tokioter Gerichtshof bestand aus 11 Richtern; die Erörterungen der Richter umfaßten 1.218 Seiten, das eigentliche Urteil sieben Seiten, s. Minear, Victor's Justice, S. 26; drei der Richter (Radhabinod Pal, Indien; Henri Bernhard, Frankreich; B. V.A. Röling, Niederlande) verfaßten abweichende Meinungen, s. Minear, Victor's Justice, S. 32, 33; vgl. Röling, EPIL 4, S. 243; zu den von den Richtern angesprochenen Kritikpunkten, s. Piccigallo, The Japanese on Trial, S. 28-31. 201 s. /psen, Oehler-FS, S. 505; Zu den Vorwürfen gegen die einzelnen Angeklagten, s. Lord Russel of Liverpool, The Knights of Bushido, S. 28~304; Zu den Verurteilungen,

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4. Bewertung Mehr noch als bei den Nürnberger Prozessen ergibt sich bei Betrachtung des Tokioter Verfahrens der Eindruck, daß dem Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit kaum Beachtung geschenkt wurde 202 • Zwar finden sich unter den Vorwürfen gegen die einzelnen Angeklagten auch solche, die das Unterlassen eines Einschreitens gegen bekanntgewordene "Greueltaten" der Untergeordneten durch Vorgesetzte betrafen 203 • Diesbezüglich findet jedoch eine starke Vermischung mit den Kriegsverbrechen statt204 , so daß nicht klar wird, ob eine Strafbarkeit auf die Begehung von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit gestützt werden sollte 205 • Die weitgehende Außerachtlassung des Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit stieß sogar innerhalb des Gerichtshofes selbst auf Kritik. Richter Jaranilla kritisierte, daß der im Statut enthaltene Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach der Rechtsprechung durch den Gerichtshof nicht als eigenständiger Tatbestand behandelt worden war und damit letztlich obsolet wurde: .. Die Position, die der Gerichtshof in diesem Punkt eingenommen hat, hat die Wirkung, diese sehr wichtige Vorschrift des Statuts für null und nichtig zu erklären und damit auch die feste Entschlossenheit der Alliierten, die den Gerichtshof geschaffen haben, um die ,brutalen Feinde' und die ,Kriegsverbrecher' nicht nur für ihre Angriffskriege, sondern auch für ihre schockierenden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit' der Gerechtigkeit zuzuführen ... 206 s. Minear, Victor's Justice, S. 31 und den Überblick bei Reisman/Antoniou. The Laws of War. S. 342. 343; keiner der Angeklagten wurde freigesprochen. zwei der Angeklagten waren während des Verfahrens verstorben, einer wurde für nicht verhandlungsfahig erklärt, s. Röling, EPIL 4, S.243. Zu den Strafen s. Röling/Rüter (Hrsg.), The Tokyo Judgrnent, Vol. I, S.464-466. 202 Von den sieben Punkten, mit denen die Jurisdiktion des Tribunals angegriffen wurde, weist nur Punkt sechs, in dem moniert wird, daß eine Tötung im Kriege kein Mord sei, eine Verbindung zum Anwendungsbereich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf, s. Minear, Victor's Justice, S.26-28; Abdruck dieser Punkte bei Friedman. The Law of War, Vol. 11, S.1035. 203 s. hierzu Lord Russel of Liverpool, The Knights of Bushido, S.286-304; s. insbes. die Vorwürfe gegen die Angeklagten Hata, S. 288; Hirota, S.289, Kimura, S.292/3, Matsui. S. 294/295, Muto, S. 295/296. 204 So betreffen die Vorwürfe auch das Unterlassen eines Einschreitens gegen die Begehung von Kriegsverbrechen duch die Truppen, s. z. B. die Vorwürfe gegen Shigemitsu und Tojo, s. Lord Russel of Liverpool, The Knights of Bushido, S.298 u. S. 303. 205 Dies läßt sich hier nur durch den Opferkreis abgrenzen; richteten sich die Thten der Truppen z. B. gegen Kriegsgefangene, so ist eine Verurteilung wegen der Begehung von Kriegsverbrechen naheliegend; handelt es sich bei den Opfern hingegen um Angehörige der Zivilbevölkerung, so kommt eine Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Betracht. 206 s. Concurring Opinion of Mr. Justice Jaranilla, member from the Republic of the Philippines, in: Röling/Rüter (Hrsg.) The Tokyo Judgrnent, Vol. I, S. 497 ff, S.504 (eigene Übersetzung).

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In dieser Kritik liegt die einzige ausdrückliche Auseinandersetzung mit dem Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit hatte im Tokioter Kriegsverbrecherprozeß seine eigenständige Bedeutung neben den Kriegsverbrechen vollständig eingebüßt. Die "Greueltaten" wurden durch den Gerichtshof unter die Definition der Kriegsverbrechen subsumiert207 • Der Tokioter Kriegsverbrecherprozeß 208 bedeutete damit einen Rückschritt in der Herausarbeitung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus dem Konzept der Kriegsverbrechen. In Umkehrung der Entwicklung des Konzeptes zur Eigenständigkeit gegenüber den Kriegsverbrechen waren Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach der Rechtsprechung der Tokioter Richter zu "Greueltaten während des Krieges" geworden.

207 s. das mit "Conventional War Crimes (atrocities)" überschriebene Kapitel VIII des Urteils in: Röling/Rüter (Hrsg.) The Tokyo Judgrnent, Vol. I, S. 385 ff. Darin stellt die Mehrheit der Richter fest, daß ,,Folter, Mord, Vergewaltigung und andere Grausamkeiten von allerunmenschlichster und barbarischster Art" durch die japanische Armee und Seestreitkräfte begangen worden waren, id., S. 385 (eigene Übersetzung). Es folgt jedoch keine Subsumtion unter Art. 5lit. c des Statutes, also Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Vielmehr wird auf eine Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Krieges ("the customary and conventional rules of war designed to prevent inhumanity") abgestellt und damit eine Einordnung in die Kategorie der Kriegsverbrechen vorgenommen. 208 Abgesehen vorn Tokioter Prozeß, der in etwa mit dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß vergleichbar ist, fanden im Femen Osten zusätzlich Prozesse gegen eine große Anzahl weiterer japanischer Verdächtiger statt. In den Jahren 1945-51 verurteilten im Femen Osten eingerichtete alliierte Militärkommissionen wegen der Begehung von Kriegsverbrechen i. w. S. 920 Japaner zum Tode und weitere ca. 3000 zu Freiheitsstrafen, s. Piccigallo, The Japanese on Trial, S. XI. Diese Prozesse wurden vor allem von Seiten Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und Australiens, insbesondere zur Verfolgung von Taten, die sich gegen deren eigene Staatsangehörige gerichtet hatten, durchgeführt. Zu diesem Zweck richteten die Amerikaner in Tokio, die Briten in Singapur spezielle, für die Verfolgung von Kriegsverbrechen zuständige Organisationen, ein, s. hierzu Lord Russel of Liverpool, The Knights of Bushido, S. 304 ff. Die Prozesse wurden insbes. vor Militärgerichten verhandelt.. Die verschiedenen Regelungen, die von den militärischen Autoritäten der Vereinigten Staaten in Bezug auf Verfahren vor amerikanischen Militärkommissionen erlassen wurden, enthalten auch Vorschriften in Bezug auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die im wesentlichen auf der Definition im Londoner Statut basieren, s. näher hierzu Schwelb, BYIL 23 (1946), S.220/1; History of the UNWCC, S. 215/6; nach Piccigallo betraf der Begriff der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in diesen Verfahren die Befehlshaber, die Pläne bzw. Befehle zur Begehung von Kriegsverbrechen formuliert hatten oder diese nicht verhindert hatten, The Japanese on Trial, S. 33.

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III. Ergebnis: Die Entwicklungslinie des Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg Nach der durchgeführten Untersuchung handelt es sich bei dem Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit um ein Konzept, das aus dem Bedürfnis, während des Krieges begangene "Greueltaten" auf der internationalen Ebene strafrechtlich zu sanktionieren, entstand. Dabei bildete sich der Tatbestand allmählich aus dem Begriff der Kriegsverbrechen heraus und erlangte schließlich Eigenständigkeit gegenüber diesen. Zunächst wurde dabei der personelle Anwendungsbereich der Kriegsverbrechen in dem Sinne erweitert, daß über Taten an Angehörigen der feindlichen Streitkräfte hinaus auch solche an der Zivilbevölkerung in den besetzten Ländern einbezogen wurden. Entscheidend war dann die Einbeziehung von Taten an der eigenen Zivilbevölkerung des Täters. Es läßt sich hier eine Entwicklung erkennen, in der die durch die Anerkennung der Staatensouveränität bedingte Zurückhaltung dritter Staaten vor einem ,,Eingreifen in die inneren Angelegenheiten" eines anderen Staates209 , hier des Deutschen Reiches, schrittweise zugunsten der Anerkennung internationaler Verhaltensstandards verdrängt wurde. In den Diskussionen über die Jurisdiktion des Internationalen Militärgerichtshofes von Nürnberg läßt sich noch ein deutliches Widerstreben vor der Aufnahme von Taten, die durch die eigene Staatsführung an Teilen der Bevölkerung begangen worden waren, erkennen 2lO • Diese Zurückhaltung gegenüber einer strafrechtlichen Erfassung von Taten, die die Behandlung der eigenen Staatsbürger betrafen, konnte nur schrittweise, über eine Ausdehnung des Begriffes der Kriegsverbrechen, überwunden werden. Die Ausdehnung führte zunächst von den Kriegsverbrechen im eigentlichen Sinne, also Verletzungen der Gesetze und Gebräuche des Krieges gegenüber Angehörigen der feindlichen Streitkräfte, zu einer Ausdehnung auf die fremde Zivilbevölkerung. Bis dahin handelte es sich lediglich um eine Ausdehnung des personellen Anwendungsbereiches. Der ,,revolutionäre" Schritt lag in der Entscheidung, eigene Staatsangehörige des Täters in den Schutzbereich einzubeziehen. Diesbezüglich konnte man sich nicht mehr auf einen Schutz der eigenen Staatsangehörigen vor Taten durch Angehörige des Kriegsgegners berufen, es handelte sich vielmehr um eine Einmischung in innere Angelegenheiten eines Staates, um einen von außen durchgesetzten "Schutz vor dem eigenen Staat". Hierfür bot das geltende Völkerrecht jedoch keine geeignete Grund209 Ginsburgs kritisiert. daß der Einwand der Staatensouveränität ein .J>equemes Alibi" filr die passive Haltung der Alliierten angesichts der bekannt gewordenen deutschen Greueltaten gegenüber der eigenen Bevölkerung bot. in: Ginsburgs/Kudriavtsev (Hrsg.), The Nurernberg Trial and International Law. S. 9. 210 Vgl. Calvocoressi: "The Allies did not claim the right for an international court to interfere in the domestic affairs of a sovereign state rnerely on the grounds that that state was offending against hurnanitarian principles (... ) As things are and as the law stands. it is clear that internationallaw does not extend so far.... in: Nuremberg, S.57.

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

lage 21l • Mangels einer entsprechenden Grundlage griffen die Alliierten auf die bereits etablierten Vorschriften des Konzeptes der Kriegsverbrechen zurück, um die Legalität des neuen Konzeptes zu stützen 212 • Im Hinblick auf das zugrundeliegende Phänomen war dies naheliegend, denn man hatte erkannt, daß die Behandlung der eigenen Staatsangehörigen der Achsenmächte der Behandlung der Angehörigen der alliierten Streitkräfte sowie der Zivilbevölkerung in den besetzten Ländern gleichkam. Mit Ausnahme der Staatsangehörigkeit der Opfer gliche~ die Verfolgungen, denen insbesondere die deutschen Juden ausgesetzt waren, ihrer "unmenschlichen" Begehungsform nach den Kriegsverbrechen 213 • Diese Taten wurden als so unerträglich empfunden, daß die Alliierten die Täter ebenfalls der Bestrafung zuführen wollten. Diese politische und juristische "Gratwanderung" wurde zunächst dadurch gelöst, daß die Begehung des Angriffskrieges als "internationales Element" konzipiert wurde, das die Jurisdiktion des Gerichtshofes begründete. Der Krieg hatte die anderen Staaten unmittelbar betroffen und diese Tatsache wurde als Rechtfertigung dafür herangezogen, daß alle "im Zusammenhang mit dem Krieg begangenen Taten" als ein zusammenhängender "Verbrechenskomplex" später durch die Alliierten strafrechtlich verfolgt wurden. Folgerichtig wurde die Jurisdiktion des Nürnberger Gerichtshofes davon abhängig gemacht, daß die entsprechenden Taten entweder ihrerseits "Verbrechen gegen den Frieden" oder "Kriegsverbrechen" darstellten oder mit diesen Verbrechens typen im Zusammenhang standen 214 • Dies erklärt die Unsicherheit und restriktive Auslegung der Richter des Militärgerichtshofes im Hinblick auf den Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie waren bei ihrer Interpretation des Konzeptes darauf bedacht, den Grundsatz der staatlichen Souveränität zu wahren. Die grundSätzlich inneren Angelegenheiten sollten damit nur dann auf internationaler Ebene strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie - in Form der Begehung innerhalb eines internationalen bewaffneten Konfliktes - eine Verbindung zu den Interessen oder dem Wohlergehen anderer Staaten aufwiesen 21S • Mit dem Erfordernis des Zusammenhanges der Taten mit der Begehung von Kriegsverbrechens oder Verbrechen gegen den Frieden war nach der Fassung des Londoner Statutes ein innerer Zusammenhang gemeint. Dies ergibt sich aus der For211 Diese bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges anhaltende völkerrechtliche Lage schildert Broms folgendermaßen: "According to the old doctrine of intemationallaw it has been similarly presumed that astate has no international duty to treat its own nationals in a generally acceptable manner. This way of thinking is based on the idea that one cannot lean on international law in internat matters. Every state has been considered as entitled to deal with its own nationals as it sees fit without the other states having any possibility of intervening. It was also usual to point out that an individual who has been maltreated could not appeal to the principles of internationallaw against the horne state." In: Macdonald/lohnston (Hrsg.), The Structure and Process of International Law, S.411. 212 Vgl. Bassiouni. Crimes against humanity. S.186. 213 s. History of the UNWCC. S. 174. 214 Vgl. Smith. Der lahrhundert-Prozeß, S.75. 215 V gl. Ferringer. Crimes against humanity, S. 33.

B. Der Zweite Weltkrieg

81

mulierung "in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist". Der Gerichtshof reduzierte dieses Erfordernis jedoch auf eine äußere Verbindung, indem er es einerseits ablehnte, vor Kriegsbeginn begangene Taten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bewerten, andererseits aber für die Zeit nach Kriegsbeginn die Verbindung der unmenschlichen Taten zu den anderen Verbrechenskategorien, insbesondere dem Verbrechen gegen den Frieden, ohne weitere Prüfung bejahte. Diese Auslegung ist insofern zweifelhaft, als der Text des Londoner Statutes ausdrücklich die Formulierung "vor oder während des Krieges" verwendet 216 und damit keineswegs von vornherein ausschließt, daß Taten, die vor Kriegsbeginn begangen wurden, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit angesehen werden können. Die Richter des Nürnberger Gerichtshofes sind davor zurückgewichen, die ihnen durch das Londoner Statut verliehenen Kompetenzen voll auszuschöpfen. Die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Kontrollratsgesetz Nr.1 0 beseitigte - durch Weglassung der Formel "vor oder während des Krieges" zum einen den äußeren, zeitlichen Bezug auf den Krieg. Darüber hinaus wurde durch die Entfernung der Akzessorietät der Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu den beiden anderen Verbrechenstypen auch der innere Zusammenhang mit dem Kriege hinfällig. Damit wurde die Zurückhaltung vor einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten Deutschlands aufgegeben. Hintergrund dieser Veränderungen ist, daß es sich bei dem KRG 10 um ein Gesetz der Besatzungsmächte handelte, die die "höchste Gewalt" in Deutschland übernommen hatten 2l7 • Da Deutschland als Staat nicht mehr bestand oder jedenfalls handlungsunfähig war 2l8 , war der Einwand der "inneren Angelegenheiten" hinfällig geworden. Vor diesem Hintergrund wurde die Gelegenheit ergriffen, eine umfassende strafrechtliche Bewältigung der unter dem NS-Regime begangenen Greueltaten vorzunehmen, die auch Taten umfaßte, die vor Kriegsbeginn begangen wurden. Die "Verselbständigung" des Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Ablösung von den Verbrechen gegen den Frieden und die Kriegsverbrechen ist als entscheidender Fortschritt für die Abgrenzung und Definition dieses Konzeptes zu betrachten. Die Anwendung des Tatbestandes sowohl durch die Besatzungs- als auch deutsche Gerichte führte zudem zu einer breiteren Diskussion über das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit 2l9 • Dennoch ist in den 216 s. den Abdruck des Art. 6 des Londoner Statutes in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, amtlicher Wortlaut in deutscher Sprache, Band 1, S. 12. 217 Mit der sog. Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945 hatten die Alliierten die "suprerne authority" über Deutschland übernommen, Abdruck der Erklärung in AJIL 39 (1945), S.171. Siehe hierzu näher unten, Teil 7, S. 347. 218 Zur (umstrittenen) völkerrechtlichen Lage Deutschlands nach der Kapitulation s. z. B. Schmid, Die deutsche Frage im Staats- und Völkerrecht. 219 Vgl. z.B. die Urteilsanmerkungen von Radbruch, SJZ 1947, Sp.343; Lange, SJZ 1947, Sp. 655 und Erdsiek, SJZ 1948, Sp. 39, sowie die Beiträge von Lange: ,,Das Kontrollratsgesetz

6 Manske

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht hinreichend klargestellt worden, daß hier eine Kategorie von Taten geschaffen worden war, die sich mit Mindeststandards für die Behandlung der eigenen Staatsbürger befaßte und deren Verletzung einer internationalen Strafverfolgung unterwarf.

c.

Die Gegenwart

Nachdem das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach kurzer Diskussion in der Nachkriegszeit weitestgehend vernachlässigt wurde, werden durch die Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda seit der Mitte der 90er Jahre aktuelle Anwendungsfälle behandelt, die zu einer erneuten Befassung mit dem Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit geführt haben. Bei den von den Strafgerichtshöfen zu beurteilenden Taten handelt es sich um solche, die im Rahmen bewaffneter Konflikte begangen wurden. Ein wesentlicher Fortschritt im Hinblick auf das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellt dabei die Anwendung des Konzeptes auf den nicht- internationalen bewaffneten Konflikt dar. Nach dem gegenwärtigen Stand des Konzeptes sind damit zweifelsfrei auch Taten gegenüber eigenen Staatsangehörigen erfaßt.

I. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTYY20 Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ist das erste von den Vereinten Nationen eingesetzte Rechtsprechungsorgan, das sich mit der strafrechtlichen Verfolgung innerhalb eines bewaffneten Konfliktes begangener Taten auf der internationalen Ebene befaßt.

1. Entstehungsgeschichte Die Vorfälle, die sich im Rahmen des bewaffneten Konfliktes auf dem Territorium der früheren Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien ereigneten und den Zerfall dieses Staates 221 begleiteten, haben die Weltöffentlichkeit entsetzt 222 • BeNr. 10 in Theorie und Praxis", DRZ 1948, S.155ff., Radbruch ,.zur Diskussion über die Verbrechen gegen die Menschlichkeit", SJZ 1947, Sp. 131 und Würtenberger ..Humanität als Strafrechtswert", SJZ 1947, Sp.650. 220 International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia (ICTY). Im folgenden wird die allgemein geläufige - englische - Abkürzung verwendet. 221 Die von der EG-Konferenz über Jugoslawien eingesetzte sog. Badinter-Schiedskommission stellte in ihrem Bericht über Jugoslawien die Auflösung des Staatsgebildes und dessen Untergang fest, s. ILM 31 (1992), S.1496n und S.1523. 222 Zum Verlauf und den Hintergründen des Konfliktes im ehemaligen Jugoslawien s. v. a. die Dokumente in: ILM 31 (1992), S.1421 ff; EA49 (1994), Z 1- Z 170; Samary, Krieg in Ju-

C. Die Gegenwart

83

richte über systematische Greueltaten der zu Feinden gewordenen Bevölkerungsgruppen gegeneinander, insbesondere der massenhafte Einsatz von Vergewaltigungen 223 als Mittel der "ethnischen Säuberung"224 häuften sich. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen forderte die Konfliktparteien wiederholt dazu auf, von derartigen Taten abzusehen 225 : Mit Resolution 764 vom 13. Juli 1992 bekräftigte der UN-Sicherheitsrat, daß alle Konfliktparteien auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien an das humanitäre Völkerrecht gebunden seien und stellte fest, daß schwere Verletzungen der Genfer Abkommen 226 zu individueller Verantwortlichkeit der Täter führen würden 227 . In goslawien, sowie die Beiträge in: Rathfelder (Hrsg.) Krieg auf dem Balkan; Volle/Wagner (Hrsg.), Der Krieg auf dem Balkan; Gaisbacher u.a. (Hrsg.), Krieg in Europa; interessant zu den unterschiedlichen Gruppierungen und deren Staatsbildungsambitionen Vukovic, IPG 1996, S.55ff. 223 Hierzu wurde der UN- Menschenrechtskommission durch die UN-Sonderberichterstatterin Linda Chavez ein Bericht vorgelegt, der feststellt, daß die Massenvergewaltigung in vielen Krieges eine gängige Praxis war und ist; von diesem Verbrechen wurden nach Einschätzung der VN allein in Bosnien- Herzegowina 20.000 Opfer betroffen, s. SZ vom 31.8./1.9.1996, S. 10. Ausführlich zu diesem Thema Schmidt am Busch: ,,Die Kriegsverbrechen an Frauen im Jugoslawienkontlikt" in KritJ 1/1995, S. 1 ff., die die Fragen einer möglichen internationalen strafrechtlichen Verfolgung eingehend behandelt. Weiterhin Niarchos, HRQ 17 (1995), S. 649 ff., Salzman, HRQ 20 (1998), S. 348 ff. 224 Dieser Begriff tauchte nicht nur in der Presse, sondern auch in den einschlägigen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates auf, so z.B. in S/RESn71 (1992), dt. Fassung in VN 1992, S. 217 und S/RESn80 (1992), dt. Fassung VN 1992, S.219 sowie S/RES/808 (1993), dt. Fassung in VN 1993, S. 71; eine Definition dieses Begriffes enthält der Zwischenbericht der Expertenkommission für das frilhere Jugoslawien vom 2.1.1993, s. Auszug bei Reisman/Antoniou, The Laws of War, S. 389; sehr eingehend befaßt sich Lerner mit diesem Begriff in: Dinstein/fabory (Hrsg.) War Crimes in International Law, S. 107 ff. S. auch Petrovic, der weitere Definitionen des Begriffes behandelt, EJIL 5 (1994), S.342, S. 351. Die Expertenkommission kam zu dem Ergebnis, daß die Praxis der "ethnischen Säuberungen", insbesondere Vergewaltigungen sowie sexuellen Übergriffe durch einige der Parteien derart systematisch ausgeführt wurden, daß sie als das Produkt einer Politik erschienen; dies werde durch die ständige Unterlassung, die Begehung solcher Verbrechen zu verhindern und ihre Täter zu verfolgen und zu bestrafen, deutlich, s. Final Report UN. Doc. S/1994/674, S. 2 (Zusammenfassung der Ergebnisse durch den UN-Generalsekretär). Daes stellt fest, daß die ethnische Säuberung nicht als eine der Folgen des Krieges, sondern als dessen Ziel erscheine, IGY 7 (1993), S. 55 ff. Im Fall ,,Karadfic und Mladic" hat die Verfahrenskammer I des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien festgestellt, daß sexuelle Übergriffe Teil der Politik der "ethnischen Säuberung" waren, s. The Prosecutor v. Radovan Karadzic and Ratko Mladic (Cases No.IT-95-5-R61, IT-95-18-R61), Review ofthe IndictmentPursuant toRule 61,11 July 1996, para. 64. 22S s. z. B. S/RESn71 (1992) para. 3, dt. Fassung in VN 1992, S. 217 (in der Resolution werden die vorgehenden Resolutionen aufgeführt, die sich ebenfalls mit der Situation im ehemaligen Jugoslawien befassen). 226 Gemeint sind hiermit die vier Genfer sog. ,,Rotkreuz" -Abkommen vom 12. August 1949, die den Schutz der Streitkräfte und Zivilpersonen in Kriegszeiten zum Gegenstand haben. Fundstelle: BGBI. 11 1954, S. 783 ff. 227 s. Rheinisch, AJPIL 47 (1995), S. 174. 6*

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

Resolution 771 vom 13. August 1992 verurteilte der UN-Sicherheitsrat erneut die Verletzungen des humanitären Völkerrechts und verlangte, daß alle am Konflikt im ehemaligen Jugoslawien beteiligten Personen, sich sofort derartiger Taten enthielten. Für den Fall der Nichtbefolgung der Maßgaben der Resolution wurde die Ergreifung "weiterer Maßnahmen nach der Charta" angedroht228 •

Der erste institutionelle Schritt zur Vorbereitung der Ahndung der Verletzungen des humanitären Völkerrechts erfolgte mit der Resolution 780 des UN-Sicherheitsrates vom 6. Oktober 1992 229 • Durch diese Resolution beauftragte der Sicherheitsrat den Generalsekretär der Vereinten Nationen mit der Bildung einer unabhängigen Expertenkommission, die die gemäß Paragraph 5 der Resolution 771 von Staaten und humanitären Organisationen gesammelten Informationen überprüfen und auswerten sollte. Diese sog. ,,Kalshoven-Kommission"230 sprach sich in ihrem Zwischenbericht vom 2. Januar 1993 für die Errichtung eines internationalen ad-hocStrafgerichtshofes aus, der sich mit den Vorfällen im ehemaligen Jugoslawien befassen sollte 231 • 2. Die Errichtung des Strafgerichtshofes Am 22. Februar 1993 beschloß der UN-Sicherheitsrat in Paragraph 1 der Resolution 808 die Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofes zur Ahndung schwerer seit dem Jahr 1991 auf dem Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawien begangener Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht232 • Als Begründung für die Einsetzung des Gerichtshofes gibt der Sicherheitsrat an, daß die Situation im ehemaligen Jugoslawien, die den Berichten nach durch weitverbreitete Verletzungen des humanitären Völkerrechts, insbesondere massenhafte Tötungen und die Fortführung der Praxis der "ethnischen Säuberung" gekennzeichnet sei, eine Bedrohung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit darstelle. Der Sicherheitsrat sei in seinem festen Entschluß, solchen Verbrechen ein Ende zu bereiten und die hierfür verantwortlichen Personen der Gerechtigkeit zuzuführen, davon überzeugt, daß die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofes der Erreichung dieses Zieles dienen werde und zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung des Friedens beitragen werde. Dt. Übersetzung in VN 1992, S.217. FundsteIle des Originals: ILM 31 (1992), S.1476; dt. Fassung in VN 1992, S. 219. 230 So benannt nach dem Vorsitzenden Prof. Frits Kalshoven (Niederlande); nach dessen Rücktritt im Herbst 1993 übernahm Prof. M. Cherif Bassiouni (USA) den Vorsitz. 231 UNo Doc. S/25274, para. 74; Auszüge abgedruckt bei ReismanlAntoniou, The Laws of War, S.387 (390); ausführlich zur Arbeit der Kommission, Bassiouni, AJIL 88 (1994), S. 784, 789. Die Kommission kam in ihrem Abschlußbericht zu dem Ergebnis, daß auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien schwere Verletzungen der Genfer Abkommen und andere Verletzungen des internationalen humanitären Völkerrechts in großem Umfang und in besonders brutaler Ausführung begangen worden waren, s. Final Report UN. Doc. S/1994/674, S.2. 232 Dt. Fassung in: VN 2/1993, S. 71. 228 229

C. Die Gegenwart

85

Durch Paragraph 2 der Resolution 808 wurde der UN-Generalsekretär darum gebeten, einen Bericht über alle mit dieser Angelegenheit zusammenhängenden Aspekte anzufertigen 233 • Dieser Bericht, den der Generalsekretär am 3. Mai 1993 vorlegte 234 , befaßt sich unter anderem mit der Kompetenz des zu errichtenden Tribunals in materieller Hinsicht und enthält Vorschläge für die in das Statut des Tribunals aufzunehmenden Vorschriften, die dem Bericht als Annex angefügt sind. Diese Vorschläge bildeten die Grundlage für das Statut, das mit der Annahme der Resolution 827 vom 25. Mai 1993 verabschiedet wurde 235 • Der Sicherheitsrat hatte so, gestützt auf Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen 236 , fast ein halbes Jahrhundert nach Beendigung der Nürnberger und Tokioter Kriegsverbrecherprozesse einen internationalen Strafgerichtshof237 geschaffen, dessen Aufgabe es ist, über die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit für Verletzungen des humanitären Völkerrechts zu urteilen 238 •

233 Zu den Vorschlägen verschiedenener Regierungen s. Bassiouni, FIU 18 (1994). S.1202-1204. 234 UN.Doc.S/25704. FundsteIle: ILM 32 (1993). S.1l59ff. 23S FundsteIle der Resolution: ILM 32 (1993). S.1203; dt. Fassung in VN 1993. S. 156. 236 Zur Bewertung dieses Vorgehens des Sicherheitsrates s. u. a. die folgenden Beiträge: Graefrath. Jugoslawientribunal- Präzedenzfall trotz fragwürdiger Rechtsgrundlage. NJ 1993. S. 433; Greenwood, The International Tribunal for former Yugoslavia. Int. Aff. 69 (1993). S. 641; Heintschel v. Heinegg. Zur Zulässigkeit der Errichtung des Jugoslawien-Strafgerichtshofes durch Resolution 827 (1993), HuV-I 2/1996. S.75; Hollweg. Das neue Internationale Tribunal der UNO und der Jugoslawienkonflikt. lZ 1993. S.980; 0' Brien. The International Tribunal for Violations of International Hurnanitarian Law in the former Yugoslavia. AJIL 87 (1993). S.639; Partseh, Der Sicherheitsrat als Gerichtsgründer. VN 1994. S.ll; Shraga/Zack/in. The International Crirninal Tribunal for the Former Yugoslavia. EJIL 5 (1994). S. 360; Tomuschat, Ein Internationaler Strafgerichtshof als Element einer Weltfriedensordnung, EuropaArchiv. 3/1994. S. 61; s. auch Lattanzi, in: Le droit face aux crises humanitaires? S. 136ff. Soweit die Zulässigkeit des Vorgehens bejaht wird. wird die einschlägige Rechtsgrundlage in Art.41 der Charta der Vereinten Nationen (.,nichtmilitärische Zwangsmaßnahme") gesehen, s. z.B.Heinegg, HuV-I 2/1996, S. 79, Anm.22. Lüder, HuV-I 2/1998, S.lll Anm.12, Griesbaum, HuV-I 3/1997, S.127, Weigend, ZStW 105 (1993), S.798. Diese Ansicht wurde inzwischen auch von der Berufungskammer des ICTY eingenommen, die nach eingehender Erörterung festelIte: ,.In surn, the establishment of the International Tribunal falls squarely within the powers of the Security Council under Article 41.", s. The Prosecutor v. Dusko Tadic a/k/a "Dule" (Case No. IT-94-1-AR 72), Decision on the Defence motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction of 2 October 1995, paras. 32 ff., insbes. para. 36. 237 Nach Ansicht von Meron ist das ICTY der erste wirklich internationale Strafgerichtshof, da die nach dem 11. Weltkrieg eingerichteten Militärgerichtshöfe z. T. als "Siegergerichte" angesehen wurden. s. AJIL 88 (1994), S. 78, Anm.1. 238 Zu Aufbau und Funktionsweise des Tribunals s. Roggemann. Der Internationale Strafgerichtshof der VN, S.47ff. sowie die Übersichten bei Lescure/Trintignac, International Justice for Former Yugoslavia, Anhang.

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

3. Die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien Zunächst definiert das Statut in Art. 1 den allgemeinen Zuständigkeitsbereich des Gerichtshofes, nämlich die Befugnis, Personen, die für die seit 1991 im Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawien begangenen schweren Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verantwortlich sind, nach den Bestimmungen dieses Statuts strafrechtlich zu verfolgen 239 • In Art. 2-5 folgen dann die völkerstrafrechtlichen Tatbestände, die Grundlage für Verurteilungen durch den Gerichtshof sein können 240 • Es handelt sich um "Schwere Verletzungen der Genfer Abkommen von 1949" (Art. 2), "Verstöße gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges" (Art. 3), "Völkermord" (Art. 4) und schließlich "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" (Art. 5)241. Die Definition, die Art. 5 des Statutes für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwendet, lautet folgendermaßen: "Das Internationale Gericht ist befugt, Personen strafrechtlich zu verfolgen, die für folgende Verbrechen verantwortlich sind, wenn diese in einem, ob internationalen oder internen, bewaffneten Konflikt begangen werden und gegen die Zivilbevölkerung gerichtet sind: a)

Mord;

b)

Ausrottung;

c)

Versklavung;

d)

Deportierung;

e)

Freiheitsentziehung ;

f)

Folter;

g)

Vergewaltigung;

h)

Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen;

i)

andere unmenschliche Handlungen "242.

Als Grundlage für diesen Text gibt der UN-Generalsekretär in seinem Bericht vom 3. Mai 1993 das Londoner Statut sowie das Kontrollratsgesetz Nr.lO an 243 • Der Begriff der Verbrechen gegen die Menschlichkeit beziehe sich auf unmenschliche Handlungen sehr ernster Natur, wie vorsätzliche Tötung, Folter oder Vergewaltigung, die als Teil eines weitverbreiteten oder systematischen Angriffes gegen irs. die deutsche Fassung in EA 49 (1994), D 89. Kritik an der starken Überschneidung der Tatbestände üben Partsch, VN 1/1994, S.13 und Graefrath, NJ 1993, S.436. 241 Vgl. die deutsche Fassung in EA49 (1994), D90/91. 242 Übernommen aus EA49 (1994), D91. 243 s. ILM 32 (1993), S. 1170 u. S. 1173. 239

240

C. Die Gegenwart

87

gendeine Zivilbevölkerung aus nationalen, politischen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gründen begangen werden. Im Konflikt auf dem Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawien hätten solche unmenschlichen Handlungen die Form der sog. "ethnischen Säuberung" sowie weitverbreiteter und systematischer Vergewaltigung und sexueller Übergriffe, einschließlich der Zwangsprostitution, angenommen 244 • In der Fassung des Art. 5 läßt sich deutlich die Anlehnung an die Definitionen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Art. 6 lit. c des Londoner Statuts und Art. 11 1 lit. c des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 erkennen 24'. Die aufgeführten Beispiele unmenschlicher Handlungen sind eine Zusammenstellung der im Londoner Statut ausdrücklich genannten "unmenschlichen Handlungen" - Ermordung, Ausrottung, Versklavung, Deportation - unter Hinzufügung der im Kontrollratsgesetz zusätzlich enthaltenen Beispiele - Freiheitsberaubung, Folterung und Vergewaltigung 246 • Diesbezüglich enthält Art. 5 des Statutes keine Abweichung von dem fast 50 Jahre zuvor entwickelten Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit 247 • Es bestehen jedoch Unterschiede im Aufbau des Artikels gegenüber den entsprechenden Artikeln der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Anders als seine Vorläufer ist der Artikel des Statutes nicht in "unmenschliche Handlungen" und "Verfolgungen" unterteilt. Vielmehr werden in lit. h des Artikels 5 auch die Verfolgungen aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen als ein Unterfall der "unmenschlichen Handlungen" aufgeführt. Inhaltlich ist das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Statut des ICfY insbesondere durch den der Auflistung der einzelnen Verbrechen vorangestellten Einführungssatz, der die Einzeltaten nur unter gewissen Umständen der Jurisdiktion des Strafgerichtshofes unterstellt, gekennzeichnet. Die betreffenden Verbrechen müssen danach in einem bewaffneten - internen oder internationalen - Konflikt begangen worden sein und sich gegen die Zivilbevölkerung richten 248 • 244 s. ILM 32 (1993), S.1173; vgl. die Definition der "ethnischen Säuberungen" im Zwischenbericht der Expertenkommission: ,,rendering an area ethnically hornogeneous by using force or intimidation to remove persons of given groups frorn the area", s. Abdruck bei ReismanlAntoniou, The Laws of War, S.389, para. 55, sowie die Aufzählung der Methoden der "ethnischen Säuberung" in para. 56. 24S V gl. ShragalZacklin, EJIL 5 (1994), S. 360. Nach Ansicht dieser Autoren stellt Art. 6lit. c des Londoner Statutes immer noch die einzige authoritative Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar; die Liste der umfaßten Handlungen folgt jedoch der weiteren Fassung im KRG 10, vgl. 0' Brien, AJIL 87 (1993), S.648; Greenwood, Int. Aff.69 (1993), S. 651. 246 Goldstone weist darauf hin, daß Vergewaltigungen nie zuvor als Kriegsverbrechen verfolgt worden sind, Prosecuting War Crirninals, S. 9; s. auch Meron, AJIL 88 (1994), S. 84. 247 Insofern ist Art. 5 "aus der Nürnberger Erfahrung erwachsen", s. Tomuschat, EA 49 (1994), S.65. 2A8 Durch das Erfordernis der Begehung innerhalb eines bewaffneten Konfliktes kommt es zu Überschneidungen mit der in Art. 2 und 3 genannten Kategorie der Kriegsverbrechen, so daß sich die Frage der Überflüssigkeit des Art. 5 stellt, s. hierzu 0' Brien, AJIL 87 (1993), S.648; Greenwood, Int. Aff.69 (1993), S. 651,652; Oel/ers-Frahm, ZaöRV 54 (1994), S. 426 sowie Graefrath, NI 1993, S.433.

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

Dabei stimmt die Angriffsrichtung "gegen irgendeine Zivilbevölkerung" mit den Fassungen des Londoner Statutes und des Kontrollratsgesetzes überein. Das Erfordernis der Begehung innerhalb eines bewaffneten Konfliktes war jedoch nur im Londoner Statut enthalten und wurde nicht in die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 11 lit. c des Kontrollratsgesetzes übernommen. Das Statut für das ehemalige Jugoslawien hat somit einen Rückschritt in der Entwicklung des Konzeptes gemacht und das Verbrechen gegen die Menschlichkeit wieder in den Kontext des bewaffneten Konfliktes geTÜckt249 • Insgesamt ergibt sich der Eindruck, daß die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Art. 5 des Statutes grundsätzlich auf den Definitionen nach dem Londoner Statut bzw. dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 aufbaut und diese auf die Situation des Konfliktes im ehemaligen Jugoslawien zugeschnitten hat. Dies ist insbesondere daran ersichtlich, daß man - zu einem Zeitpunkt als noch umstritten war, ob es sich bei der bewaffneten Auseinandersetzung auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien um die Ausprägungen eines (oder mehrerer) internationalen oder internen Konfliktes handelte - beide Möglichkeiten in die Jurisdiktion des Gerichtshofes einbezog 250 •

4. Überblick über die bisherige Arbeit des Strafgerichtshofes im Hinblick auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit Der Internationale Strafgerichtshof nahm seine Arbeit im Jahr 1994 auf25 1• In diesem Jahr wurden auch die ersten Maßnahmen im Hinblick auf einzelne Verdächtige ergriffen. Inzwischen ergingen eine Reihe von Urteilen und Entscheidungen des Ge249 Goldstone bezeichnet dies als Reminiszenz an die durch das Londoner Statut eingenommene Position und verweist auf die Entscheidung der Berufungskammer im Tadic-Fall, in der diese die vorsichtige Formulierung verwendet, daß der Sicherheitsrat durch das Erfordernis der Verbindung mit dem bewaffneten Konflikt ,,may have defined the crime in Article 5 more narrowly than necessary under customary internationallaw", s. Prosecuting War Criminals, S. 8. Meron spricht sich dafür aus, daß Verbrechen gegen die Menschlichkeit heutzutage unabhängig vom Krieg existieren, AllL 88 (1994), S. 78,85. Johnson bewertet die Aufnahme des Erfordernisses des "bewaffneten Konfliktes" nicht als Wiederspiege1ung einer allgemeinen Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern als spezifischen Zuschnitt des Verbrechens auf den Konflikt im ehemaligen Jugoslawien, IRPL 67 (1996), S. 220. 250 s. Graefrath, NJ 1993, S.436; dies läßt sich z. B. daran ablesen, daß "vorsichtshalber" auch die Begehung der entsprechenden Taten innerhalb eines internen bewaffneten Konfliktes erfaßt werden; die "ethnischen Säuberungen" sind zwar nicht ausdJiicklich erwähnt, lassen sich aber über den Begriff der Deportation in Art. 5 erfassen, s. Shraga/Zacklin, EJIL 5 (1994), S.367 sowie The United Nations and Human Rights, UN Blue Books Series, Vol. VII., S. 120. 251 Die Eröffnungssitzung des ICTY fand im November 1993 statt; die Richter befaßten sich in der Folgezeit zunächst mit organisatorischen Fragen wie der Wahl des Präsidenten und der Zusammensetzung der Kammern. In einer zweiten Sitzung im Januar/Februar 1994 wurde die Verfahrensordnung des Tribunals (,,Rules of Procedure and Evidence") verfaßt und angenommen, s. Yearbook of the ICTY 1994, S. 24.

c.

Die Gegenwart

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richtshofes 252 • In fortschreitendem und sich ständig verstärkendem Maß läßt sich die Entwicklung einer spezifischen Rechtsprechung der Kammern des Strafgerichtshofes verfolgen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt andauert 253 • Im folgenden werden beispielhaft drei Verfahren dargestellt, die eine besondere Relevanz im Hinblick auf die Behandlung des Tatbestandes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch den Strafgerichtshof aufweisen.

a) Der erste Fall: Dusan Tadic Der bosnische Serbe Dusan Tadic wurde aufgrund der Anschuldigungen moslemischer Flüchtlinge, Greueltaten in der Region Prijedor in Bosnien-Herzegowina begangen zu haben 25 4, am 12. Februar 1994 255 durch die deutsche Polizei in München festgenommen. Nach Durchführung von Ermittlungen wurde er am 7. November 1994 wegen der Begehung von Völkermord gern. § 220 a StGB bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht in München angeklagt256 • Währenddessen hatte das Büro des Chefanklägers des Strafgerichtshofes mit Ermittlungen über Anschuldigungen bezüglich schwerer Verletzungen des humanitären Völkerrechts in der Region um Prijedor begonnen und entsprechende Vorwürfe gegen Tadic waren bekanntgeworden. Der Chefankläger bat daraufhin die deutsche Regierung um Übermittlung aller relevanten Informationen über die von deutschen Behörden durchgeführten Ermittlungen. Er war der Ansicht, daß die Ermittlungen gegen Tadic eng mit den von ihm durchgeführten Ermittlungen in Prijedor in Zusammenhang standen und stellte einen Antrag an die zuständige Kammer des Tribunals, in der Sache Tadic die deutschen Behörden um Übertragung des Falles zu bitten. Nach Anhörung des Chefanklägers entschied die zuständige Erste Kammer des Tribunals in ihrer öffentlichen Sitzung vom 8. November 1994, im Hinblick auf 2S2 s. hierzu u. a. 2nd Annual Report of the ICfY, HYIL 8 (1995), S. BI, 134-153; guter Überblick über die bisherige Arbeit des ICfY bei Johannsen, HuV-I 1/97, S. 17 ff.; ausführlicher für die Jahre 1994-1996: King/La Rosa, EJIL 8 (1997), S. 123-179. 253 Zu einem Überblick über die bisherigen Aktivitäten des ICfY s. Murphy, AJIL 93 (1999), S.57ff. 2S4 Die Vorwürfe betrafen Völkermord, Anstiftung zum Mord, Angriffe und Folter von Lagerinsassen in Omarska, begangen im Jahr 1992, s. Yearbook of the ICfY 1994, S.25/6. 2SS Grundlage war ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts, auf dessen Antrag hin der Ermittlungsrichter des BGH am 13.2.1994 einen Haftbefehl erließ, s. Griesbaum, HuV-I 3/1997, S. 127. s. auch Roggemann, Der Internationale Strafgerichtshof der Vereinten Nationen, S. 33. 256 Das Ermittlungsverfahren war von den deutschen Strafverfolgungsbehörden aufgrund des Weltrechtsprinzips (§. 6 Nr. 1 des StGB) eingeleitet worden, Roggemann, Der Internationale Strafgerichtshof der Vereinten Nationen, S. 33; zur Diskussion über die Zuständigkeit der deutschen Gerichte für von Ausländern begangenen Taten im ehemaligen Jugoslawien s. BGHErmittlungsrichter, Besch!. v. 13.2.1994 in NStZ 1994, S. 232 f. mit Anmerkung von Oehler, NStZ 1994, S.485. s. auch Vierucci, EJIL 6 (1995), S.136, sowie Yearbook ofthe ICfY 1994, S.25/6.

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

Tadie, ein fonnelles Übers teilungs gesuch an die Bundesrepublik Deutschland zu richten 257. In der Entscheidung der Kammer2S8 werden die ennittelten Sachverhalte angegeben 2S9 • Diese betrafen nach Auffassung der Kammer die Verbrechen des Genozids in Fonn der "ethnischen Säuberung" und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Angriff, Mord, Vergewaltigung und Verfolgung aus religiösen GTÜnden 260 • Am 13. Februar 1995 wurde Tadie daraufhin fonnell angeklagt 261 • Nachdem Tadie im April 1995 262 von Deutschland an den Strafgerichtshofüberstellt worden war, wurde am 7. Mai 1996 das Verfahren gegen ihn eröffnet 263 • Ein Jahr später 264 , am 7. Mai 1997 erging das Urteil der Verfahrenskammer, in dem Tadie der Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden wurde 26S • Die nachgewiesenen Taten bestanden aus Tötungen, Körperverletzungen und Deportationen, an denen Tadie jeweils als Anführer oder Gehilfe beteiligt war, sowie in seiner Teilnahme am Angriff auf die Stadt Ko257 s. den Abdruck in HRU 15 (1994), S.486-488, sowie Yearbook of the ICfY 1994, S.57-64. Nach Erlaß des Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, das am 11.4.1995 in Kraft getreten war (Funds teile: BGBl.I 1995, S.485ff.), beschloß das BayOblG am 18.4.1995, das Strafverfahren an den Internationalen Strafgerichtshof überzuleiten, s. Griesbaum, HuV-I 3/1997, S. 132. 258 FundsteIle: Anhangzu Vierucci, EJIL 6 (1995), S.I44. 259 Id., S. 147. 260 Id., S. 148, Punkt 18 (i). 261 s. Yearbook of the ICfY 1994, S.25 Anm.2. 262 Das genaue Datum war der 24.4.1995, s. De Hemptinne, RDPC 77 (1997), S.I006. 263 Information aus: SZ vom 7.5.1996, S.I, 4, 9; s. auch SZ vom 8.5.1996, S.I, 8; SZ vom 10.5.1996, S.3 sowie FR vom 8.5.1996, S.I, 3; zum Verlauf des Verfahrens, s. 2nd Annual Report of the ICfY in HYlL 8 (1995), S. 136, 137. Kritisch zu diesem Verfahren Scharf, AlbLR 60 (1997), S.861. 264 Tadit hatte zwischenzeitlich die Jurisdiktion des Internationalen Strafgerichtshofes bestritten. Seine "preliminary motion" vom 23.6.1995 wurde jedoch von der Verfahrenskammer am 10.8.1995 zurückgewiesen und auch vor der Berufungskammer des Gerichtshofes drangen seine Argumente (Unzulässige Errichtung des Gerichtshofes durch den UN-Sicherheitsrat; Verletzung des internationalen Rechts durch die Vorschrift des Vorranges vor nationalen Gerichten; keine materielle Jurisdiktion, da diese nur bezüglich eines internationalen Konfliktes bestünde) nicht durch, s. das Urteil der Berufungskammer vom 2.10.1995: The Prosecutor v. Dusko Tadic a/lda "Dule ", (Case No. IT-94-1-AR 72), Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, abgedruckt in: ILM 35 (19%), S. 32ff. s. hierzu sowie zur Frage der materiellen Jurisdiktion, insbes. der Reichweite des humanitären Völkerrechts, Greenwood, EJIL 7 (19%), S. 265 ff. 26S Das Urteil (The Prosecutor v. Dusko Tadic, Case No.IT-94-1-T) ist zugänglich über Internet: http://www.un.org/ictyoderüberdas ..PressandlnformationOffice.. desIStGHJ.Anschrift: Churchillplein 1, 2517 JW The Hague. P.O. Box 13888, 2501 EW The Hague. Netherlands. Ausführliche Zusammenfassung des Verfahrens bei King/La Rosa, EJIL 8 (1997), S 143-155. s. auch das Urteil der Berufungskammer vom 2.10.1995 in ILM 35 (1996), S. 32; s. hierzu auch Alvarez, Nuremberg Revisited: The Tadic Case, EJIL 7 (1996), S. 245; Sassoli prüft, ob die Tadit vorgeworfenen Verbrechen in die Kompetenz des Tribunals fallen, s. RGDIP 100 (1996), S.114ff.

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zarac in der Region Prijedor, im Nordwesten Bosnien-Herzegowinas. Seine Taten wurden als Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Verfolgungen bzw. unmenschlichen Handlungen bzw. als Kriegsverbrechen in Form der grausamen Behandlung von Zivilisten entgegen dem gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Abkommen vom 12. August 1949 bewertet. Am 14. Juli 1997 erging das Urteil der Verfahrenskammer über das Strafmaß für Tadic, das sich aus den jeweils den einzelnen nachgewiesenen Anklagepunkten zugeordneten Einzelstrafen für die einzelnen Verbrechen zusammensetzt. Es wurde eine gleichzeitige266 Verbüßung dieser Einzelstrafen angeordnet. Das höchste Strafmaß - 20 Jahre Freiheitsstrafe267 - wurde dabei dem Anklagepunkt 1, verschiedenen Verfolgungshandlungen, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet wurden, zugemessen. Allgemein läßt sich erkennen, daß die Verfahrenskammer das Strafmaß für die Einzeltaten bei einer Bewertung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit stets höher angesetzt hat als für Kriegsverbrechen 268 • Die Kammer hat hierzu ausgeführt, daß eine Tat, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wird 269 , ein schwereres Verbrechen als ein "gewöhnliches" Kriegsverbrechen darstelle. Die Kammer schlägt schließlich vor, daß die Mindestdauer der Strafverbüßung 10 Jahre, gemessen vom Zeitpunkt des letzten abschließenden Urteils in der Sache, betragen sollte 270. Tadic legte gegen das Urteil Berufung ein 271 • Nach einge266 s. The Prosecutor v. Dusko Tadic alkla "Dule" (Case No. IT-94-1-T), Sentencing Judgment, 14 July 1997, para. 75. Es hätte die Alternative bestanden, die Verbüßung der Strafen nacheinander anzuordnen, s. Rule 101 (C) der Verfahrensordnung ("Rules of Procedure and Evidence") des ICfY. 267 s. The Prosecutor v. Dusko Tadic a/kla "Dule" (Case No. IT-94-1-T), Sentencing Judgment, 14 July 1997, para. 76; die Anklagebehörde hatte sich für eine lebenslange Freiheitsstrafe ausgesprochen, während die Verteidigung die Ansicht äußerte, eine zu verhängende Freiheitsstrafe solle das Maß von 15 Jahren nicht überschreiten, id., para. 5. 268 Dies läßt sich insbesondere an den alternativ als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen bewerteten Taten erkennen, s. Prosecutor v. Dusko Tadic alkla "Du/e" (Case No. IT-94-1-T), Sentencing Judgment, 14 July 1997, para. 74. Die für die selben Taten bemessene Freiheitsstrafe beträgt in diesen Fällen jeweils ein Jahr mehr als bei der Bewertung als Kriegsverbrechen in Form der Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Krieges nach Art. 3 des Statutes. 269 ,,A prohibited act committed as part of a crime against humanity, that is with the awareness that the act formed part of a widespread or systematic attack on a civilian population, is, all else being equal, a more serious offence than an ordinary war crime. This follows from the requirement that crimes against humanity be committed on a widespread or systematic scale, the quantity of the crimes having a qualitative impact on the nature of the offence which is seen as a. crime against more than just the victims themselves but against humanity as a whole." S. The Prosecutor v. Dusko Tadic alkla "Dule" (Case No. IT-94-1-T), Sentencing Judgment, 14 July 1997, para 73. Die Verfahrenskarnmer verweist dabei auf das Urteil vom 7 Mai 1997, paras. 646-647. 270 Die Zeit, in der Tadit sich bereits im Gewahrsam des ICfY befand (gerechnet von dem Zeitpunkt, an dem die Verfahrenskarnmer ein förmliches Gesuch auf ÜbersteIlung Tadits an die Bundesrepublik richtete, also am 8.11.1994), wird hierauf nicht angerechnet, s. The Prosecutor v. Dusko Tadic alkla "Du/e" (Case No.IT-94-1-T), Sentencing Judgment, 14 July 1997, paras. 76 und 77.

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

hender Untersuchung der Berufungsgründe durch die Berufungskammer72 wurde der Fall an eine der Verfahrenskammern zurückverwiesen, die erneut über das Strafmaß zu befinden hatte. Im Ergebnis wurde das Strafmaß von 20 Jahren Freiheitsstrafe aufrecht erhalten 273 •

b) Die erste Anklageschrift: Dragan Nikolic Der zweite vor dem Gerichtshof verhandelte Fall betraf den bosnischen Serben Dragan Nikolic, der sich als Lagerkommandant an der Verfolgung der moslemischen Zivilbevölkerung in Bosnien-Herzegowina beteiligt hatte 274 • Im November 1994 übermittelte der Chefankläger, Richard J. Goldstone, nach Art. 18 des Statutes des Tribunals die Anklageschrift gegen Nikolic an die zuständige Richterin Elizabeth Odio Benito. Diese sah die Anklageschrift am 4. November 1994 nach Art. 19 des Statutes durch und bestätigte sie. Danach wurden gemäß Art. 29 des Statutes zwei Haftbefehle gegen Nikolic erlassen, von denen sich einer an die Führung der Republik Bosnien-Herzegowina in Sarajewo, der andere an die bosnisch-serbische Verwaltung in Pale richtete 27S • In der Anklageschrift vom 4. November 1994 276 , die aus 24 Anklagepunkten besteht, wird Nikolic die Begehung von schweren Verletzungen der Genfer Konventionen von 1949 gern. Art. 2 des Statutes, Verletzungen der Gesetze und Gebräuche des Krieges gern. Art. 3 des Statutes sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit gern. Art. 5 des Statutes vorgeworfen. Bis auf wenige Ausnahmen wurden die ein211 s. The Prosecutor v. Dusko Tadic a/kla "Dule" (Case No. IT-94-1-T), Notice of Appeal by the Defence of May 23, 1997 (Filing No. D 17694 - D 17692) sowie Notice of Appeal of Judgement of May 7, 1997 vom 3. Juni 1997 (Filing No. D 17708 - D 17706). 212 s. The Prosecutor v. Dusko Tadic (Case No.IT-94-I-A), Judgement of 15 July 1999. 213 Die höchste Einzelstrafe, die die Verfahrenskammer verhängte, betrug 25 Jahre Freiheitsstrafe für Mord als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auf diese Strafe wurden fünf Jahre und drei Tage Untersuchungshaftdauer angerechnet, so daß Tadic danach noch 20 Jahre Freiheitsstrafe zu verbüßen hatte, s. Prosecutor v. Dusko Tadic (Case No. IT-94-1-T bis R 117), Sentencing Judgment of 11 November 1999. 214 Zum Hintergrund der Vorwürfe: Nikolic war im Sommer 1992 Kommandant des sog. ,,susica-Lagers" im Nordosten Bosnien-Herzegowinas. Das Lager war innerhalb eines Monats nach der Übernahme der bosnischen Stadt Vlasenica durch serbische Kräfte Ende April 1992 errichtet worden und wurde durch das Militär und die lokale Miliz betrieben. Die Zahl der im Lager gefangen gehaltenen Personen betrug zumeist mehr als 500. Einer Schätzung zufolge durchliefen insgesamt vermutlich ca. 8000 muslim ische Zivilisten dieses Lager. Die Insassen wurden durch ca.12 Soldaten unter dem Kommando von Dragan Nikolic bewacht. Das Lager wurde im September 1992 geschlossen. Quelle: Press and Information Office of the ICTY, Press Release v. 7.11.1994. s. auch The Prosecutor 0/ the Tribunal against Dragan Nikolic also known as "Jenki" Nikolic (Case No. IT-94-2-I), Indictment of 4 November 1994. 215 s. Yearbookofthe ICTY 1994, S.26n. 216 The Prosecutor against Dragan Nikolic, also known as ,.1enki" Nikolic (Case No. IT-94-2-I); FundsteIle: Yearbook of the ICTY 1994, S. 65.

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zeInen Taten gleichzeitig als Verbrechen nach allen dreien der oben genannten Verbrechenskategorien angeklagt 277 • Nach der Anklageschrift handelt es sich bei den von Nikolic begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit um Mord in acht Fallen, Folterung in drei Fällen und unmenschlichen Handlungen in Form von schweren Körperverletzungen in zehn Fällen, die in zwei Fällen die körperliche Entstellung der Opfer zur Folge hatten. Desweiteren wird Nikolic die Begehung von Freiheitsberaubung, Teilnahme an der Verfolgung von mehr als 500 Zivilisten aus politischen, rassischen und/oder religiösen Gründen sowie die Begehung unmenschlicher Handlungen gegen diese Personengruppe vorgeworfen. Er habe als Kommandant des Lagers, in dem sich diese Menschen befanden, durch unzureichende Nahrungsversorgung und Schaffung von Lebensumständen, die den Mindeststandards nicht gerecht wurden sowie einer Atmosphäre, in der die Insassen um ihre persönliche Sicherheit fürchteten, Gefahren für die Gesundheit und das Wohlergehen der Lagerinsassen verursacht. Der Strafgerichtshof führte gegen Nikolic ein Verfahren nach Art. 61 der Verfahrensvorschriften durch 278 • Dieses Verfahren wird angewendet, wenn ein Haftbefehl nicht innerhalb eines "angemessenen Zeitraumes" ausgeführt wurde, obwohl die Anklagebehörde alle ihr möglichen Schritte unternommen hat, den Angeklagten sowie die zuständigen Behörden zu unterrichten. Das Gericht kann dann eine öffentliche Verhandlung auf der Grundlage des vorliegenden Beweismaterials durchführen, in der geprüft wird, ob hinreichende Gründe für die Annahme sprechen, daß der Angeschuldigte alle oder einige der ihm in der Anklageschrift vorgeworfenen Verbrechen begangen hat. Im Fall Nikolic wurden vom 9. bis zum 13. Oktober 1995 in einer öffentlichen Anhörung eine Reihe von Zeugen und mutmaßlichen Opfern gehört. Auf dieser Grundlage bewertete die Verfahrenskammer die Verantwortlichkeit von Nikolic bezüglich der ihm in der Anklageschrift vorgeworfenen Verbrechen, um eine Entscheidung über den Erlaß eines internationalen Haftbefehls zu treffen. Die Verfahrenskammer betonte dabei, daß es sich bei diesem Verfahren nicht um ein Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten handele, sondern vielmehr den Opfern die Möglichkeit gegeben werden solle, in einem öffentlichen Verfahren gehört zu werden und so Teil der Geschichte zu werden 279 • Gegenstand des Verfahrens nach Regel 61 waren die folgenden Vorwürfe: Mord, unmenschliche Handlungen, Folter, Freiheitsberaubung gegenüber Zivilisten, Verfolgungen aus religiösen Gründen, Aneignung von Eigentum und Plünderung sowie der rechtswidrige Transfer von Zivilisten 280 • Die Verfahrenskammer stellte fest, daß Es handelt sich um ,.AltemativvoTWÜrfe"; s. auch Vierueei. EJIL 6 (1995), S. 135. Zu dieser Verfahrensart s. z. B. De Hemptinne. RDPC 77 (1997), S.996ff. 279 The Prosecutor 01 the Tribunal against Dragan Nikolie also known as ,.Jenki" Nikolie (Case No. IT-94-2-R 61), Decision of Trial Chamber 1,20 October 1995, para. 3. 280 Nach Durchführung des Verfahrens nach Regel 61 forderte die Verfahrenskammer die Anklagebehörde zur Erweiterung der Anklageschrift im Hinblick auf die Verwicklung von Nikolie in die Begehung von Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe auf. Sie wies dabei darauf 277

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

diese Taten als schwere Verletzungen gern. Art. 2 und Verletzungen der Gesetze und Gebräuche des Krieges gern. Art. 3 des Statutes in die Jurisdiktion des Tribunals fallen. Dennoch sei eine Bewertung der Taten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit angemessener 281 • Die Verfahrenskammer untersucht die Verbrechen im folgenden hinsichtlich zweier Merkmale, die ihrer Ansicht nach in der Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Artikel 5 enthalten sind. Bei dem ersten Merkmal, dem Erfordernis einer Verbindung der Taten zum bewaffneten Konflikt, handelt es sich um ein Merkmal, das ebenfalls hinsichtlich der in Art. 2 und 3 des Statutes definierten Verbrechenstypen besteht. Das zweite Merkmal ist hingegen nur den Verbrechen gegen die Menschlichkeit eigen: die Taten müssen sich gegen die Zivilbevölkerung richten. Nach Auffassung der Verfahrenskammer setzt sich dieses Merkmal aus drei verschiedenen Komponenten zusammen: zunächst sei erforderlich, daß die Taten sich gegen eine Zivilbevölkerung richteten, die durch den oder die Täter als bestimmte Gruppe angesehen werde, zweitens sei erforderlich, daß die Begehung der Verbrechen zu einem gewissen Grad organisiert und systematisch durchgeführt werde. Obwohl die Taten nicht mit einer auf staatlicher Ebene etablierten Politik im herkömmlichen Sinn des Wortes verbunden sein müßten, könnten sie nicht allein das Werk einzelner Individuen sein. Schließlich müßten die Verbrechen - als Ganzes betrachtet - ein gewisses Ausmaß und eine gewissen Schwere aufweisen 282 •

c) Das erste Urteil: Drazen Erdemovie Der Strafgerichtshof verurteilte am 29. November 1996 den bosnischen Kroaten Drazen Erdemovic wegen der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren 283 • Erdemovic hatte als Mitglied der bosnisch-serbischen Armee an einer Massenerschießung unbewaffneter muslimischer Zivilisten auf einem Gut nahe Pilica nach dem Fall der Stadt Srebrenica am 16. Juli 1995 teilgenommen 284 • An diesem Tag wurden Hunderte von Männern im Alter zwischen 17 und 60 Jahren erschossen, nachdem sie in Gruppen von jeweils zehn hin, daß die von den angehörten Zeugen beschriebenen Übergriffe unter die Definition der Folter fielen, s. The Proseeutor 0/ the Tribunal against Dragan Nikolic also knawn as "Jenki" Nikolie (Case No. IT-94-2-R 61), Decision of Trial Chamber I, 20 October 1995, para. 33. 281 The Prosecutor 0/ the Tribunal against Dragan Nikolic also known as "Jenki" Nikolic (Case No. IT-94-2-R61), Decision ofTrial Chamber 1,20 October 1995, para. 25. 282 Id., para. 26. 283 The Prosecutor v. Drazen Erdemovie (Case No.IT-96-22-T), Sentencing Judgrnent, 29. November 1996 (Verfahrenskammer I), Disposition, S.57. 284 Zum Sachverhalt s. z. B. Oellers-FrahmJSpeeht, ZaöRV 58 (1998), S. 390/1. Schätzungen zufolge kamen etwa 1200 Personen ums Leben. Erdemovie gab an, selbst etwa 70 Personen erschossen zu haben, ibid.

C. Die Gegenwart

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Personen auf einem an das Gut angrenzenden Feld aufgereiht worden waren 28S • Erdemovic, der sich ausländischen Journalisten offenbart hatte und zunächst als Zeuge in einem anderen Verfahren vor dem Strafgerichtshof erschienen war286, bekannte sich der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig 287 • Gleichzeitig betonte er jedoch, daß er sich während der Tatausführung in einer extremen Zwangslage befunden hatte: "Euer Ehren, ich mußte dies tun. Hätte ich mich geweigert, wäre ich zusammen mit den Opfern getötet worden. Als ich mich weigerte, sagten sie zu mir: ,Wenn Du Mitleid mit ihnen hast, stell' dich in eine Reihe mit ihnen und wir werden auch dich töten'. ( .. .) Ich konnte mich nicht weigern. denn dann hätten sie mich getötet... 288

Die Problematik und besondere Tragik dieses Falles liegt darin, daß nach dem Statut des ICI'Y an die Verteidigung des Angeklagten unter Berufung auf eine Notstandslage sehr strenge Anforderungen gestellt werden 289 • Nach Ansicht der Verfahrenskamrner ist eine strafausschließende Wirkung des Notstandes nur dann anzuerkennen, wenn der Tater keine "moralische Wahl" zu einem Alternativverhalten hatte. Hierfür ist zunächst erforderlich, daß dem Tater seinerseits eine "physische Gefahr" in Form des Todes oder schwerer körperlicher Schäden droht290 und kein an28S s. The Prosecutor v. Drazen Erdemovic, Sentencing Judgement (Case No.IT-96-22-T), para. 2. Zum Sachverhalt und Verfahrensablauf, fee, GnCL 26 (1997), S.264-267. 286 Am 28. Män 1996 hatte Richter Riad nach Regel 90 bis der Verfahrensordnung die Überführung und vorläufige Inhaftierung von Erdemovie angeordnet. Hintergrund war die Annahme, Erdemovic könne zusätzlich Beweise in den Verfahren gegen Radovan Karadtit und Ratko Mladit liefern. Erst am 29. Mai 1996 wurde Erdemovie dann selbst "wegen der Begehung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit nach Art. 5 des Statutes oder einer Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Krieges nach Art. 3 des Statutes" angeklagt. s. The Prosecutor v. Drazen Erdemovie (Case No. IT-96-22-T), Sentencing Judgment, 29. November 1996, paras. 1, 2. 287 Die Ablegung eines Schuldbekenntnisses (guilty plea) durch den Angeklagten ist in Art. 20 Abs. 3 des Statutes sowie Regel 62 der Verfahrensordnung (Rules of Procedure and Evidence) vorgesehen. Sie hat zur Folge, daß das Beweismaterial nicht durch die Parteien (Anklagebehörde und Verteidigung) dargelegt werden muß, sondern die Richter nur noch eine Entscheidung über die Höhe der Strafe zu treffen haben. Allgemein hierzu und kritisch zum Fall Erdemovie, De Hemptinne, RDPC 77 (1997), S. 1015-1018 sowie fee, GJICL (1997), S. 267-286. Erdemovie hatte das Schuldbekenntnis bei seinem ersten Erscheinen ("initial appearance of the accused") vor der Verfahrenskammer am 31. Mai 1996 abgelegt. Daraufhin wurde der Alternativvorwurf der Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Krieges fallengelassen. Das Schuldbekenntnis wurde für abschließend und wirksam erklärt, s. The Prosecutor v. Drazen Erdemovie (Case No. IT-96-22-T), Sentencing Judgement, 29. November 1996, paras. 3,20. Ausführlich zum Schuldbekenntnis im Fall Erdemovie id., paras. 10-20. 288 The Prosecutor v. Drazen Erdemovic (Case No. IT-96-22-T), Sentencing Judgment, Case No.IT-96-22-T, 29. November 1996, para. 10 (eigene Übersetzung). 289 Eine Berufung des Angeklagten auf höheren Befehl hat bereits nach Art. 7 Abs.4 des Statutes des ICTY keine Auswirkung auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten, sondern kann nur als Strafzumessungserwägung zur Strafmilderung herangezogen werden, wenn der Gerichtshof entscheidet, daß "die Gerechtigkeit dies gebietet". 290 s. die Ausführungen in the Prosecutor v. Drazen Erdemovie (Case No. IT-96-22-T), Sentencing Judgment, 29 November 1996, para. 18. Ausführlich zur Notstandsproblematik und

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

derer "Ausweg" aus der Situation gegeben ist. Diese beiden Voraussetzungen wären im Falle von Erdemovic - seinen Angaben nach - zu bejahen gewesen. Weiterhin ist jedoch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Die Verfahrenskammer machte diesbezüglich im Hinblick auf das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine Feststellung, die eine Abwägung zugunsten von Erdemovic grundsätzlich ausschloß 291 : "Im Hinblick auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist die Verfahrenskammer der Auffassung, daß das Leben des Angeklagten und das des Opfers nicht vollständig gleichwertig sind. Im Gegensatz zum gewöhnlichen Recht ist die Verletzung hier nicht nur gegen das körperliche Wohlbefinden des Opfers allein gerichtet, sondern gegen die Menschheit als Ganzes" 792 .

Somit verblieb den Richtern nur noch die Möglichkeit, das Strafmaß selbst zu mildern 293 • Am 14. April 1997 legte Erdemovic gegen das Urteil gern. Art. 25 des der Rechtsprechung der Kammern des Strafgerichthofes hierzu im Fall Erdemovic s. OellersFrahmiSpecht, ZaöRV 58 (1998), S. 391 ff. m Nach Ansicht von Oellers-FrahmiSpecht kann diese Feststellung der Verfahrenskammer nur so gedeutet werden, daß eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die nach der Rechtsprechung der Militärgerichte neun verschiedener Nationen in Verfahren nach dem Zweiten Weltkrieg Voraussetzung für die Annahme eines strafausschließenden Notstandes war, stets zu Ungunsten des wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit Angeklagten ausgehen muß und demnach eine Entschuldigung bzw. Strafausschließung wegen Notstandes bei einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht möglich ist, s. ZaöRV 58 (1998), S.394. Noch deutlicher wird dieser Ausschluß der Möglichkeit einer Abwägung zugunsten des Angeklagten eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit im späteren Urteil der Berufungskammer. Dort führen die Richter McDonald und Vohrah in ihrem Sondervotum aus, daß der Einwand des Notstandes erfordere, daß das eingesetzte Mittel nicht unverhältnismäßig gegenüber dem Schaden sein dürfe. Unter Berücksichtigung der oben zititerten Meinung der Verfahrenskammer, kommen die beiden Richter zu dem Schluß, daß die Verfahrenskammer mit diesem unerreichbaren Maßstab die Möglichkeit des Einwandes des Notstandes im Hinblick auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausgeschlossen habe: "We cannot ( ...) conceive of any ,remedy' which could be taken on the part of an accused that could have been deemed proportionate to a crime directed at the whole of humanity. In the above observation, the Trial Chamber appears to have ruled out duress as a defence in regard to crimes against humanity, but this would run counter to the whole tenor of its Sentencing Judgement which apparently accepts that duress can operate as a complete defence to acharge of a crime against humanity involving the killing of innocent persons." S. The Prosecutor vs. Drazen Erdemovic (Case No.IT-96-22-A), Judgement, 7 October 1997, Joint Separate Opinion of Judge McDonald and Judge Vohrah, para.37. m The Prosecutor v. Drazen Erdemovic (Case No.IT-96-22-T), Sentencing Judgment, 29 November 1996, para. 19. Die Kammer fügte sodann ,,zur Sicherheit" hinzu, daß der Beweis von Umständen, die die Verantwortlichkeit von Erdemovic ausschließen würden, nicht erbracht worden sei. Die Einwendung des Notstandes (duress) würde jedoch zusammen mit anderen Umständen im Hinblick auf die Erwägung bezüglich mildernder Umstände berücksichtigt werden, id., para. 20. 793 Zur Berücksichtigung mildernder Umstände im Strafurteil der Kammer ausführlich Nemitz, HuV-I, 1997, S.22ff. Die Verfahrenskammerberücksichtigte hierbei die folgenden Umstände: das jugendliche Alter des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tatbegehung und seinen untergeordneten Rang in der militärischen Hierarchie; die von ihm gezeigte Reue, seinen Willen, sich dem Internationalen Strafgerichtshof zu übergeben, sein Schuldbekenntnis (guilty plea)

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Statutes Berufung ein. Er beantragte einen Freispruch, hilfsweise eine Verringerung des Strafmaßes im Hinblick auf die Notstandslage, in der er sich bei Begehung der Taten befunden hatte 294 • Am 7. Oktober 1997 erging das Urteil der Berufungskammer 29S • Zwar wurden die Anträge von Erdemovic zUTÜckgewiesen 296 , die Mehrheit der Richter befand jedoch, daß das Schuldbekenntnis des Angeklagten im Hinblick auf die Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wegen mangelnder Kenntnis des Angeklagten über die relevanten Tatsachen unwirksam sei 297 • Der Fall müsse deshalb an eine andere Verfahrenskammer zUTÜckverwiesen werden, um Erdemovic die Möglichkeit zu geben, in voller Kenntnis der Natur der Vorwürfe und der Konsequenzen des Bekenntnisses erneut zu plädieren 298 • Die Unwirksamkeit des Schuldbekenntnisses von Erdemovic beruhte nach Auffassung der Berufungskarnmer darauf, daß er sich der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig bekannt hatte, ohne zu wissen, daß dies eine höhere Strafe nach sich ziehen würde als ein Schuldbekenntnis im Hinblick auf die Begehung von Kriegsverbrechen 299 • Der damalige Präsident des Internationalen Gerichtshofes und Vorsitzende Richter der Berufungskammer, Prof. Antonio Cassese, wies Erdemovic bei Verkündung des Urteils der Berufungskammer auf die ihm zur Verfügung stehenden drei Möglichkeiten des weiteren Vorgehens hin 300: Erstens könne er sein Schuldbekenntnis wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in ein Bekenntnis hinsichtlich der Begehung von Kriegsverbrechen umändern 30l , zweitens und seine Zusammenarbeit mit der Anklagebehörde; die Tatsache, daß von ihm keine Gefahr mehr ausgehe und seinen korrigierbaren Charakter; schließlich, daß die Strafe in einem Gefängnis fern seiner Heimat verbüßt werden würde, s. The Prosecutor v. Drazen Erdemovie (Case No. IT-96-22-T), Sentencing Judgment, 29 November 1996, para. 111. 294 Jovan Babic, der Anwalt von Erdemovie , begründete die Einlegung der Berufung in einer vorläufigen Notiz vom 23.12.1997 mit drei Gründen: erstens der unrichtigen und unvollständigen Erhebung der Tatsachen, die zu einer falschen Anwendung des Rechts geführt habe; zweitens der falschen Rechtsanwendung selbst, die die Angemessenheit der Strafe beeintlußt habe; drittens wegen des Strafmaßes selbst - und damit, daß Erdemovie zum Zeitpunkt der Tatbegehung unter dem Einfluß überwältigenden seelischen Zwanges stand. 295 The Prosecutor v. Drazen Erdemovie (Case NO.IT. 96-22-A), Judgement, 7 Oktober 1997. Ausführlich und kritisch zu diesem Urteil, insondere hinsichtlich der Behandlung des von Erdemovic geltend gemachten Notstandes, Oellers-FrahmiSpecht, ZaöRV 58 (1998), S.397ff. 296 Und zwar den Antrag auf Freispruch einstimmig, den Antrag auf Überprüfung des Strafmaßes mit der Mehrheit der Richter, s. The Prosecutor v. Drazen Erdemovie (Case No. IT. 96-22-A), Judgement, 7. Oktober 1997, para. 21. 297 Id., para. 20. 298 Dies ist auch der Vorschlag von Yee, GnCL 26 (1997), S. 309. 299 s. das gemeinsame Sondervotum der Richter McDonald und Vohrah, The Prosecutor v. Drazen Erdemovie (Case No. IT. 96-22-A), Judgement, 7 Oktober 1997, paras. 17 ff., insbes. para. 26. 300 Vgl. Pressemiueilung des Press and Information Office des ICTY vom 7. Oktober 1997. 301 Dies habe zur Folge, daß die neue Verfahrenskammer kein Verfahren durchführen werde, sondern lediglich erneut über die Strafe entscheiden werde und dabei ggf. die Behauptung, nur unter dem Einfluß einer Bedrohung des eigenen Lebens gehandelt zu haben, mildernd berücksichtigen werde, ibid. 7 Manske

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könne er erneut ein Schuldbekenntnis wegen der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit abgeben 302, drittens könne er auf ,,nicht schuldig" plädieren. Nur im letzteren Fall werde es zu einem neuen Verfahren mit erneuter Klärung der Beweislage kommen. Zu beachten sei in jedem Fall, daß das Vorliegen einer Lebensbedrohung für den Angeklagten nach Auffassung der Mehrheit der Berufungskammer 303 keine vollständige Verteidigung im Sinne einer Freistellung von Strafe darstelle 304. Für die vorliegende Untersuchung sind die Ausführungen entscheidend, mit denen die Richter der Berufungskammer begründen, warum davon auszugehen ist, daß Erdemovic bei Abgabe seines Schuldbekenntnisses nicht hinreichend über die Natur der gegen ihn erhobenen Vorwürfe und die Konsequenzen des Bekenntnisses informiert war. Diese Ausführungen lassen erkennen, daß Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach der Rechtsprechung des Strafgerichtshofes allgemein als schwerer zu bewerten sind als Kriegsverbrechen. Nach Ansicht der Richter McDonald und Vohrah sprach alles dafür, daß der Angeklagte die Elemente beider Verbrechenskategorien nicht verstanden hatte 30s • Erdemovic war durch die Verfahrenskammer ausdrücklich befragt worden, ob er sich der Begehung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder der Begehung eines Kriegsverbrechens für schuldig bekenne 306• Er hatte sich für ein Schuldbekenntnis bezüglich der Begehung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit und damit nach der Rechtsprechung der Kammer bezüglich des schwereren der beiden Vorwürfe entschieden 307 • Dies ergibt 302 Dies habe zur Folge, daß die Verfahrenskammer, wie nach der ersten Option, kein erneutes Verfahren durchführen werde, sondern lediglich über die Strafe entscheiden werde und hierbei ebenfalls die Zwangslage, in der sich Erdernovic seinen Angaben nach befand, strafmildernd berücksichtigen könne, ibid. 303 Die Mehrheit: die Richter McDonald, Vohrah und Li; die Minderheit: die Richter Cassese und Stephen. 304 Mittlerweile ist diese Sachlage jedoch als Notstand (duress) strafmildernd berücksichtigt worden, s. The Prosecutor v. Drazen Erdemovie (Case IT-96-22-T), Sentencing Judgement, 5 March 1998, paras. 14, 17 (in para. 14 wird die Beweislage bezüglich des Notstandes erörtert, in para. 17 anerkannt, daß diese Tatsache strafmildernd zu berücksichtigen sei). Zur Problematik der Wirkung des Notstandes im Erdemovic-Fall s. die ausführliche Kritik an den Urteilen der Kammern des Jugoslawientribunals durch Oellers-FrahmlSpecht in ZaöRV 58 (1998), S. 389ff, insbes. S. 392ff. 30S Erdemovie waren die Elemente beider Verbrechenstypen niemals hinreichend erklärt worden - weder durch die Verfahrenskammer noch durch seinen Anwalt, s. fee, GnCL 26 (1997), S. 275-277. Die Richter der Berufungskammer verweisen auf das zutage getretene Mißverständnis des Anwaltes von Erdemovie . Dieser hatte die Auffassung vertreten, die Tötung von Zivilisten könne nur dann ein Kriegsverbrechen darstellen, wenn sie innerhalb einer Kampfsituation begangen werde, s. The Prosecutor v. Drazen Erdemovie (Case No. IT-96-22-T), Sentencing Judgement, 5 March 1998, para. 18. 306 In der Anklageschrift gegen Erdemovie vom 29.5.1996 (Case No. IT-96-22-T) wurde Erdemovic alternativ die Begehung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder einer Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Krieges nach Art. 3 des Statutes vorgeworfen. 307 Dies wird ausdrücklich durch die Richter McDonald und Vohrah ausgeführt, s. The Prosecutor v. Drazen Erdemovie (Case No. IT-96-22-A), Judgement, 7 October 1997, Joint Separate Opinion of Judge McDonald and Judge Vohrah, para. 19.

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sich aus dem Strafurteil im Tadic-Fall, in dem der Angeklagte in den Fällen, in denen eine seiner Handlungen sowohl als Kriegsverbrechen als auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet wurde lOS, bei einer Bewertung der Handlung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer jeweils um ein Jahr höheren Freiheitsstrafen verurteilt wurde als bei einer Bewertung der Tat als Kriegsverbrechen 309 • Die Richter McDonald und Vohrah schließen, daß Erdemovic, wäre er über diese Tatsache aufgeklärt worden, sein Schuldbekenntnis nicht auf die Begehung des schwereren der beiden Verbrechenstypen gestützt hätte 3lO • Diese Sichtweise ist inzwischen bestätigt worden. Am 14. Januar 1998 plädierte Erdemovic erneut und bekannte sich nun nicht mehr der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern der Begehung von Kriegsverbrechen i. S. d. Art. 3 des Statutes für schuldig. Die Anklagevertretung zog daraufhin den alternativen Anklagevorwurf311 der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit zurück. Am 5. März 1998 wurde Erdemovic schließlich zu fünf Jahren Freiheitsstrafe - unter Anrechnung seiner Haftzeit ab dem 28.3.1996 - verurteilt. Die Verfahrenskammer hatte damit das Strafmaß gegenüber dem Urteil vom 29. November 1996 halbiert 3l2•

S. Bewertung Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind nach dem Statut des Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien Verbrechen, die innerhalb eines bewaffneten Konfliktes an Teilen der Zivilbevölkerung begangen werden. In der Rechtsprechung der Kammern deutet sich an, daß diese Taten als äußerst schwerwiegend bewertet werden. Dies ist insbesondere daran ersichtlich, daß bestimmten Taten bei einer Bewertung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine höhere Strafe zugemessen wurde als bei einer Bewertung als Kriegsverbrechen. Das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit hat sich damit endgültig aus seiner Verbindung zu den Kriegsverbrechen gelöst. 308 Eine derartige "doppelte Bewertung" der Taten von Tadic beruht darauf, daß in der Anklageschrift Alternativvorwürfe (alternative charges) enthalten sind, wonach eine Handlung gleichzeitig als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder als Kriegsverbrechen angeklagt ist. 309 Dies heben die Richter McDonald und Vohrah in ihrer gemeinsamen Separate Opinion ausdrücklich hervor, s. The Prosecutor v. Drazen Erdemovie (Case No.IT-96-22-A), Judgement, 7 October 1997, Joint Separate Opinion ofJudge M cDonald and Judge Vohrah, para. 25. 310 Id., para. 26. Dies bemängelt auch Yee, GnCL 26 (1997), S.272. Erweist daraufhin, daß es sich hier wohl um den einzigen Fall in der Geschichte handele, in dem der Angeklagte sich bei alternativen Vorwürfen des schwereren Vorwurfes für schuldig bekannte. 311 V gl. die Anklageschrift: The Prosecutor ofthe Tribunal against Drazen Erdemovie (Case No. IT-96-22-I), 29. Mai 1996: "The Prosecutor ( ... ) charges: Drazen Erdemovic with a crime against humanity or alternatively a violation of the laws and customs of war ( ... )." (Hervorhebung d. Verf.). 312 s. The Prosecutor v. Drazen Erdemovie (Case No. IT-96-22-T), Sentencing Judgement, 5 March 1998, para. 23 and disposition.

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11. Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) Im Jahr 1994 errichtete der UN-Sicherheitsrat ein weiteres "ad-hoc-Tribunal", den Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda313 •

1. Errichtung und Jurisdiktion des Internationalen Strafgerichtshofes für Ruanda (ICTR)314

Wie im Falle des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien hatte der Sicherheitsrat zunächst durch Resolution 935 eine Expertenkommission zur Sammlung von Beweismaterial eingesetzeiS . Durch Resolution 955 vom 8. November 1994 nahm der Sicherheitsrat das Statut für diesen Strafgerichtshof an 316 . Aufgabe des Gerichtshofes ist es gemäß Art. 1 des Statutes, Personen straf313 Die Errichtung wurde durch den UN-Sicherheitsrat gleichennaßen auf Kapitel VII der UN-Charta gestützt, s. S/RES/955 (1994), Fundstelle: ILM 33 (1994), S.1601; Akhavan weist jedoch darauf hin, daß die Errichtung des Tribunals durch Ruanda nicht nur unterstützt, sondern sogar initiiert wurde, AJIL 90 (1996), S.504 Die ruandische Regierung hatte am 28.9.1994 um die Errichtung eines internationalen Tribunals gebeten, s. Johnson, IRPL 67 (1996), S. 217. Shraga/Zacklin beschreiben die Schaffung des ICTR als Verhandlungen zwischen Mitgliedern des UN- Sicherheitsrates und einem von Genozid verwüsteten Land, EJIL 7 (1996), S. 515. Interessant sind die durch die ruandische Regierung genannten Gründe für die Einrichtung eines internationalen Tribunals, aber auch die spätere Kritik an der konkreten Ausgestaltung, aufgrund deren Ruanda schließlich gegen die Annahme der RES 955 stimmte, nachzulesel) bei Akhavan, AIIL 90 (1996), S. 504-508. Einer der Gründe für die Ablehnung der Resolution war, daß das ICfR keine Todesstrafen verhängen kann, s. The United Nations and R wanda; UN Blue Books Series, Vol. X, S. 65. 314 International Crirninal Tribunal for Rwanda (ICTR); im folgenden wird die geläufige englische Abkürzung verwendet. 315 Fundstelle der Resolution: VN 1994, S.154/5; die Expertenkommission kam zu dem Ergebnis, daß überwältigendes Beweismaterial dafür bestehe, daß Genozidhandlungen i. S. d. Art. 11 des Übereinkommens gegen Völkennord durch Angehörige der Hutu gegen die ethnische Gruppe der Thtsi in zusammenwirkender, geplanter, systematischer und methodischer Weise begangen worden waren, s. Shraga/Zacklin, EJIL 7 (1996), S. 503; Zusammenfassung des Zwischenberichts der Kommission bei Akhavan, AJIL 7 (1996), S.502. Die Kommission schlug vor, das Statut des ICfY auf Ruanda auszudehnen, was jedoch abgelehnt wurde. Ausführlich zur Arbeit der Expertenkommission und ihren Ergebnissen Sunga, HRU 16 (1995), S. 121 ff. In ihrem Bericht stellte die Kommission "pre-planned execution of severe human rights violations, including systernatic, widespread and flagrant breaches of international hurnanitarian law, large-scale crimes against humanity and genocide" fest, s. die Zusammenfassung des Berichtes bei Sunga, HRU 16 (1995), S.121. 316 Fundstelle: ILM 33 (1994), S. 1598. Die Resolution wurde mit 13 Stimmen, bei einer Enthaltung (China) und einer Ablehnung (Ruanda), angenommen, s. UNo Doc. StpY. 3453, S. 3. sowie S. 14-16 zu den Gründen für die Ablehnung. Zu den Umständen der Errichtung des ICfR auch Akhavan, AIIL 90 (1996), S.501. Zur Struktur des ICTR S. The United Nations and Rwanda, UN Blue Books Series, Vol. X, S. 65; sowie Ruxton in: Nürnberger Menschenrechtszentrum (Hrsg.) "Von Nürnberg nach Den Haag", S.225, 231-233.

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rechtlich zu verfolgen, die für schwere Verletzungen des internationalen humanitären Rechts verantwortlich sind, die auf dem Territorium Ruandas begangen wurden, sowie ruandische Staatsangehörige, die für die Begehung derartiger Verletzungen auf dem Territorium von Nachbarstaaten Ruandas verantwortlich sind. Hinsichtlich des zeitlichen Anwendungsbereiches gilt eine Beschränkung auf Taten, die zwischen dem 1. Januar 1994 und dem 31. Dezember 1994 begangen wurden"317. Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes für Ruanda (ICfR) umfaßt damit grundsätzlich den selben strafrechtlichen Anwendungsbereich wie das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien, nämlich "schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts". Insofern sind .,eide Statute, mit Ausnahme einiger Anpassungen an den jeweiligen Kontext, nahezu identisch 318 • Bei näherer Betrachtung ergeben sich jedoch Unterschiede zwischen den einzelnen in die Jurisdiktion der beiden Gerichtshöfe fallenden Tatbeständen. Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda hat sich mit Genozid (Art. 2 des Statutes), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 3 des Statutes) sowie Verletzungen des gemeinsamen Artikels 3 und des ZusatzprotokoIIes 11 der Genfer Konventionen (Art. 4 des Statutes) zu befassen 319 • Nicht genannt werden die Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges. Diese Unterschiede im Bereich der Vorschriften des humanitären Völkerrechts i. e. S. können jedoch damit erklärt werden, daß der Charakter des Konflikts in Ruanda 320 vom dem des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien abweicht. Wahrend der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien als internationaler bewaffneter Konflikt eingestuft werden kann 321 , handelt es sich bei den Vorfallen in Ruanda um die Ausprä317 Zur Bewertung der örtlichen und zeitlichen Jurisdiktion des ICTR s. ShragalZacklin, EJIL 7 (1996), S. 506,507. 318 s. The United Nations and Rwanda, UN Blue Books Series, Vol. X, S. 65 sowie The United Nations and Human Rights, UN Blue Books Series, Vol. VII, S.121; das ICTR ist auch institutionell mit dem Tribunal für das ehemalige Jugoslawien eng verknüpft: nach dem Statut haben beide Gerichtshöfe eine gemeinsame Anklagebehörde und eine gemeinsame Berufungskammer (Art. 15 Abs.3, Art. 12 Abs.2), s. ShragalZacklin, EJIL 7 (1996), S.513; hierzu sowie zur Arbeit der Anklagebehörde s. Ruxton in: Nürnberger Menschenrechtszentrum (Hrsg.) "Von Nürnberg nach Den Haag", S. 225,232,233. Zur personellen Besetzung s. Magnarella, FJIL 9 (1994), S.421, 427 sowie Johnson, IRPL 67 (1996) S.211, 231. 319 s. ILM 33 (1994), S.I602-1604. 320 Zu den Ursprüngen und Hintergründen des Konfliktes s. Rebuilding Post-War Rwanda, S.24-27, sowie Schürings, VN 1994, S.125; Magnarella, FJIL 9 (1994), S.421, 422-424; Johnson, IRPL 67 (1996), S. 211-215; Ruxton in: Nürnberger Menschenrechtszentrum (Hrsg.) "Von Nürnberg nach Den Haag", S. 225,226 sowie Sunga, HRU 18 (1997), S. 329ff. J2l Der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien enthielt sowohl Elemente eines internen als auch internationalen Konfliktes, s. The United Nations and Human Rights, UN Blue Books Series, Vol. VII, S. 121; 0' Brien, AJIL 87 (1993), S.647; nach Ansicht des letztgenannten Autors war das Recht der internationalen Konflikte zumindest nach dem 25.6.1991 anwendbar, als Slowenien die Unabhängigkeit erklärte; nach Oeter war der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien zum Jahreswechsel 1991/92 erkennbar zu einem internationalen Konflikt geworden,

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gungen eines internen Konfliktes 322 • Damit beschränkt sich der Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts im Falle Ruandas auf die im Statut genannten Vorschriften, die auch in internen Konflikten gelten 323 • Ein weiterer Unterschied zwischen den Statuten der beiden ad-hoc-Gerichtshöfe liegt in der Reihenfolge und Stellung der einzelnen Vorschriften. Wahrend das Statut des ICfY zunächst die Verletzungen des humanitären Kriegsrechts nennt (Art. 2, 3), steht im Statut des ICfR der Völkermord an erster Stelle (Art. 2). Dies läßt erkennen, daß hier der Genozid als primär begangenes Delikt bewertet wird 324 • Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der im Statut des ICfY an letzter Stelle genannt wird (Art. 5) und damit quasi Auffangcharakter erhält, steht im Statut des ICfR an zweiter Stelle (Art. 3). 2. Die Defmition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Statut des ICTR Die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 3 des Statutes des Strafgerichtshofes für Ruanda ist im Hinblick auf die aufgeführten "unmenschlichen Handlungen" sowohl bezüglich der Formulierung als auch bezüglich der Reihenfolge der genannten Einzelhandlungen identisch mit der Definition nach Art. 5 des Statutes des Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien 32s • Hervorzuheben ist jedoch, daß der Einleitungssatz, der der Auflistung der einzelnen "unmenschlichen Handlungen" vorangestellt ist, in beiden Statuten voneinander abweicht. Während die genannten Einzelhandlungen nach dem Statut des ICfY nur dann in die Kompetenz dieses Gerichtshofes fallen, wenn diese in einem internationalen oder internen bewaffneten Konflikt begangen wurden und gegen die Zivilbevölkerung gerichtet waren, wird die Jurisdiktion des ICfR davon abhängig gemacht, daß die betreffenden Taten als Teil eines weitverbreiteten oder systematischen Angriffes gegen irgendeine Zivilbevölkerung aus nationalen, politischen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gründen begangen wurden 326• ZaöRV 53 (1993), S.14, 15; diese Einschätzung wird durch die Feststellungen der sog. ,,800inter-Kommission" bekräftigt, nach denen der föderale Staat SFRJ sich auflöste und schließlich nicht mehr existierte, s. ILM 31 (1992), S.1496/7 und 1523. 322 So z. B. das Ergebnis der rur Ruanda eingesetzten Expertenkommission, Interim Report s. UNo Doc. S/1994/1125, S.20, para. 91. Vgl. zu dieser Einschätzung Akhavan, AJIL 90 (1996), S. 503, ebenso The United Nations and Human Rights, UN Blue Books Series, Vol. VII, S.121. 323 V gl. ShragalZacklin. EJIL 7 (1996), S. 507. 324 Nach Ansicht der ruandischen Regierung hätte die Jurisdiktion des Gerichtshofes auf das Verbrechen des Genozides beschränkt werden sollen. s. ShragalZacklin. EJIL 7 (1996). S.508. 325 Der Text wird hier deshalb nicht wiedergegeben, s. aber den Abdruck in ILM 33 (1994), S.1603. 326 Der UN-Sicherheitsrat hat keinen Grund rur diese Abweichung von der Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofes rur das ehemalige Jugoslawien angegeben, s. Johnson, JRPL 67, S. 211,219.

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Diese Bedingungen für die Jurisdiktion weichen in zweierlei Hinsicht von den Bedingungen ab, unter denen eine Jurisdiktion des ICTY für entsprechende Taten gegeben ist: Das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Statut des Strafgerichtshofes für Ruanda weist insofern einen weiteren Anwendungsbereich auf, als die entsprechenden Taten nicht im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes begangen worden sein müssen 327 • Damit ist Art. 3 des Statutes ein weiteres Beispiel für die Loslösung des Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom Kriegszustand 328 • Andererseits hebt die Definition nach Art. 3 des Statutes das "Verfolgungselement" , den diskriminierenden Charakter der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, hervor 329 • Zusätzlich zu dem in Art. 3 lit. h aufgeführten - gleichermaßen in Art. 5 lit. h des Statutes des ICTY enthaltenen - Unterfall unmenschlicher Handlungen in Form von "Verfolgungen aus politischen, rassischen und religiösen Gründen" tritt dieses Element bereits im Einleitungssatz auf. Dies hat zur Folge, daß der Strafgerichtshof für Ruanda nur über Taten urteilen darf, die im Rahmen eines diskriminierenden Angriffes auf eine Zivilbevölkerung begangen wurden. Das Ausmaß dieses Angriffes muß dabei "weitverbreitet oder systematisch" sein, was vereinzelte Angriffe grundsätzlich ausschließt. Die Gründe des Angriffes sind gegenüber den "traditionellen" Verfolgungsgründen der politischen, rassischen oder religiösen Gruppenzugehörigkeit, wie sie bereits im Londoner Statut genannt wurden, um die Gründe der nationalen und ethnischen Gruppenzugehörigkeit erweitert worden. Es läßt sich deutlich erkennen, daß die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Art. 3 des Statutes des Tribunals für Ruanda auf die zu behandelnde Situation dieses Landes zugeschnitten ist, in der ein interner ethnischer Konflikt ein verheerendes Ausmaß annahm 330 • Vgl. Akhavan, AAL 90 (1996), S.503. Vgl. Sassoli, RGDIP 100 (1996), S.114; ShragalZacklin sind jedoch der Auffassung, daß die Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch KRG 10 nur als eigenständige Verbrechenskategorie anerkannt wurden, nicht jedoch als Kategorie, die in keiner Verbindung mit irgendeinem bewaffneten Konflikt stehen, EJIL 7 (1996), S. 509. J29 Erforderlich ist danach eine zusätzliche Verbindung zwischen den unmenschlichen Handlungen und diskriminierenden Gründen, vgl. Akhavan, AJIL 7 (1996), S.503. 330 In RES 955 drückte der UN- Sicherheitsrat seine ernste Besorgnis angesichts der Berichte, die andeuteten, daß Genozid und andere systematische, weitverbreitete und flagrante Verletzungen des internationalen humanitären Rechts in Ruanda begangen wurden, aus, s. ILM 33 (1994), S. 1601; tatsächlich sind die Zahlen erschreckend: so kamen im "Genozid der 100 Tage" im Frühjahr 1994 in knapp drei Monaten vermutlich mehr als eine halbe Million Menschen um, s. SZ vom 26.9.1996, S. 10; Akhavan bezeichnet die Vorfalle als den vielleicht schlimmsten Genozid seit dem Zweiten Weltkrieg; die Massaker vom April 1994 hätten innerhalb von drei Monaten zu einer geschätzten Zahl von 500.00 bis einer Million Toten geführt, s. AJIL 90 (1996), S. 501. Akhavan stützt sich hierbei auf den Bericht des Sonderberichterstatters der UN-Kommission für Menschenrechte vom Juni 1994, id., Anm. 3; nach dem Bericht der für Ruanda eingesetzten Expertenkommission beträgt die geschätzte Zahl 500.000 (unbewaffnete Zivilisten), möglicherweise jedoch fast eine Million - die genaue Anzahl werde sich 327

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3. Die bisherige Arbeit des ICTR Trotz vieler praktischer Hemmnisse konnte der Strafgerichtshof für Ruanda seine Funktionsfahigkeit in relativ kurzer Zeit herstellen 331 • Die Ermittlungen der Anklagebehörde begannen im Mai 1995 332• Bereits ein Jahr nach der Errichtung des Gerichtshofes wurde am 12. Dezember 1995 die erste Anklage gegen acht Personen, unter anderem wegen der Begehung von Genozid in der Präfektur Kibuye in Westruanda, erhoben. Am 16. Februar 1996 wurden zwei weitere Anklagen im Hinblick auf Massaker in den Präfekturen Kigali und Gitamara in Zentralruanda erhoben. Zudem ersuchte die Anklagebehörde Belgien und die Schweiz um Übertragung der Verfahren im Hinblick auf mehrere inhaftierte Personen, die verdächtigt wurden, an Massakern teilgenommen bzw. zum Genozid aufgestachelt zu haben 333 • Der Strafgerichtshof hielt zu diesem Zweck am S.Januar 1996 seine erste Plenarsitzung 334 in Arusha 33S ab. Mittlerweile sind eine Reihe von Anklagen - darunter erstmalig auch gegen eine Frau 336 - erhoben worden 337 und erste Entscheidungen der Verfahrenskammern des Gerichtshofes ergangen 338 • vennutlich nie ennitteln lassen, s. UN.Doc. S/I994/1125, S.12, para. 43. Die Anzahl der Opfer von Vergewaltigungen wird auf 16.000 geschätzt, s. Rebuilding Post-War Rwanda, S. 69. 331 Die folgenden Infonnationen stützen sich, soweit nicht anders gekennzeichnet, auf den Artikel von Akhavan in AßL 90 (1996), S. 50 I, 509 genauere Ausführungen s. dort. Zur Arbeit des Strafgerichtshofes, insbesondere den Problemen, s. den Beitrag ,,Rwanda Tribunal setting stage for a world court" des Registrars des ICfR, Agwu Ukiwe Okali, in: The East African, 10-16 November 1997. 332 The United Nations and Rwanda, UN Blue Books Series, Vol. X, S. 66. 333 Durch RES 978 (1995) hatte der UN- Sicherheitsrat die Staaten aufgefordert, in ihren Territorien verdächtige Personen festzunehmen und zu inhaftieren; inzwischen wurden mehrere mutmaßliche Täter in Kanada, der Schweiz, Kenia, Zaire, Sambia und Kamerun festgenommen und teilweise bereits an das Tribunal überstellt, s. The United Nations and Rwanda, UN Blue Books Series, Vol. X, S. 66 und S.103,104. Der Gerichtshof hat gegenüber nationalen Gerichten eine konkurrierende Zuständigkeit mit der Möglichkeit, entsprechende Verfahren an sich zu ziehen, s. Ruxton in: Nürnberger Menschenrechtszentrum (Hrsg.) "von Nürnberg nach den Haag", S. 225, 229. 334 s. The United Nations and Rwanda, UN Blue Books Series, Vol. X, S. 103; Johnson, IRPL 67 (1996), S.211, 232. 33S Zur Wahl eines "afrikanischen Sitzes" des ICfR s. Shraga/Zacklin, EJIL 7 (1996), S. 514, 515. 336 Zur Anklage gegen Pauline Nyiramasuhujo, ehern. Minister of Women's Development and Family Welfare s. Sunga, HRU 18 (1997), S.339. 337 Zu den Anklagen s. insbesondere Sunga, HRU 18 (1997), S. 336ff. Allen der dort genannten Angeklagten wird unter anderem die Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Zu einigen dieser Personen s. InfOlmationen bei Magnarella, FJIL 9 (1994), S.421, 439,440;Johnson, IRPL67 (1996), S.211, 232. Zu den ersten Anklagen s. auch Ruxton in: Nürnberger Menschenrechtszentrum (Hrsg.) "Von Nürnberg nach Den Haag", S.225,234,235. 338 s. z.B. die Entscheidung im Fall Kanyabashi, abgedruckt in HRU 18 (1997), S.343ff.

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Am 26. September 1996 begann der erste Prozeß vor dem Strafgerichtshof. Er richtete sich gegen den Angeklagten Jean-Paul Akayesu, den Bürgermeister von Taba, einer kleinen Gemeinde im Zentrum Ruandas, der sich für die Ausrottung der Tutsi eingesetzt haben soll. Akayesu wurde der Begehung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt339 • Am 2. September 1998 erging das Urteil der Verfahrenskammer gegen Akayesu 340 • Er wurde der Begehung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form des Mordes, der Ausrottung, der Folter und der Vergewaltigung für schuldig befunden 341 • Zunächst betrafen die Anklagen nur wenige hochrangige Mitglieder der politischen und militärischen Führungsebene, dagegen zum größten Teil Angehörige der "mittleren", insbesondere kommunalen, Ebene 342 • Mittlerweile ist die strafrechtliche Aufarbeitung des Völkermordes jedoch mit der Verurteilung des ehemaligen ruandischen Mimisterpräsidenten, Jean Kambanda, bis in die Spitzen der politischen Verantwortungsträger vorgedrungen 343 • Kambanda hatte als erster der Angeklagten ein Schuldbekenntnis bezüglich der Begehung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit abgelege 44 und war am 1. Mai aller sechs AnkIagepunkte für schuldig befunden worden 345 • Am 4. September 1998 verurteilte ihn die Verfahrenskammer zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe346 •

4. Diskrepanz zur innerstaatlichen Strafverfolgung Auch Ruanda selbst befaßt sich auf nationaler Ebene mit der strafrechtlichen Aufarbeitung des Genozids. Im Jahr 1996 wurde ein sog. "Völkermord-Gesetz" im Hinblick aufTaten, die zwischen dem 1. Oktober 1990 und dem 31. Dezember 1994 begangen wurden, erlassen, das die Angeklagten in vier Kategorien einteilt347 • Seit 339 s. SZ vom 26.9.1996, S.10; der Verteidiger von Akayesu hatte mit der Begründung mangelnder Vorbereitungszeit einen Aufschub auf den 31.10.1996 durchgesetzt, s. FAZ v. 30.9.1996; nach Prozeßbeginn wurde der Prozeß erneut vertagt, SZ vom 10.1.1997, S.9. 340 The Prosecutor vs. Jean-Paul Akayesu (Case No. ICTR-96-4-T), Judgment of 4 September 1998. 341 Gegen Akayesu waren insgesamt 15 Anklagepunkte erhoben worden, sieben davon betrafen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Punkte 3, 5, 7, 9, 11, 13 und 14). 342 s. hierzu Shraga/Zacklin, EJIL 7 (1996), S.516. 343 Kambanda war vom 8. April bis zum 17. Juli 1994 Ministerpräsident von Ruanda, also genau in dem Zeitraum, in dem der Völkermord stattfand, s. The Prosecutor vs. Jean Kambanda (Case No. ICTR-97-23-S), Judgement and Sentence, 4. September 1998, para. 39 (ii). 344 s. Donat-Cattin in Lattanzi (Hrsg.) The International Criminal Court, S.58 Anm.21. 34S Zwei der Anklagepunkte betrafen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Punkt 5 und 6). Zum Urteil des Internationalen Strafgerichtshofes gegen Kambanda vom 1. Mai 1998 s. ausführlich Lüder, HuV-I 2/1998, S.I09ff., zum Sachverhalt s. dort insbes. S. 112. 346 s. The Prosecutor vs. Jean Kambanda, Case No. ICTR 97-23-S, Judgement and Sentence, 4 September 1998. 347 s. SZ vom 1.10.1996, S. 8; s. auch Doc.168 in The United Nations and Rwanda, UN Blue Books Series, Vol. X, S.650, 651. Ausführlich zu diesem Gesetz und den Plänen bezüglich der

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

Ende Dezember 1996 wurden Prozesse durchgeführt, in denen bereits mehrfach die Todesstrafe verhängt worden ist 348 • Im April 1998 wurden trotz internationaler Proteste aufgrund der Verfahren öffentliche Exekutionen durchgeführt 349 Damit ist das Problem virulent geworden, daß gegen Personen, die durch ruandische Gerichten verurteilt werden, die Todesstrafe verhängt werden kann, während dies nach dem Statut des ICfR, das die Strafkompetenz des Tribunals auf die Verhängung von Freiheitsstrafen beschränkt, ausgeschlossen iseso • Dies wird im Hinblick darauf, daß der Internationale Strafgerichtshof sich gerade mit den Taten der "Drahtzieher" des Genozids befassen soll, als problematisch empfunden 3s1 • Denn hierdurch wird eine Situation geschaffen, nach der die Anführer und Hauptverantwortlichen des Genozids durch den Internationalen Strafgerichtshof verfolgt und im Höchstfall zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt werden, während Tausende von Zivilisten, die durch eben diese Anführer manipuliert und zu ihren Taten veraniaßt wurden, nach ruandischem Recht verurteilt werden und zum Tode verurteilt werden können 3S2• Damit könnte das Strafmaß weniger von der Art des Verbrechens und dem Maß der Schuld abhängen als vielmehr von der Entscheidung, vor welchem Gericht das Verfahren behandelt wird 3s3 • Das gesamte Ausmaß der zu leistenden strafrechtlichen "Vergangenheitsbewältigung" wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß gegenwärtig bis zu 100.000 Verdächtige in ruandischen Gefängnissen einsitzen und auf einen Prozeß warten 3S4 • Der Internationale Gerichtshof selbst kann aus Kapazitätsgründen nur gestrafrechtlichen Aufarbeitung Magnarella, FJIL 9 (1994), S. 421, 436n. Die vier Kategorien werden im Urteil der Verfahrenskammer des Strafgerichtshofes für Ruanda ausdrücklich aufgeführt, s. The Prosecutor VS. Jean Kambanda (Case No. ICTR 97-23-S), Judgement and Sentence, 4 September 1998, para. 18. 348 s. SZ vom 23.1.1997, S.9 (sowie vom 4.-6.1.1997, S. 7) - dort wird noch die Zahl von neun Personen angegeben, in der SZ vom 23.4.1998, S.9 wird dagegen die Zahl von 116 zum Tode Verurteilten genannt. 349 Es wird die Zahl von ,,mehr als 20 Personen" genannt, s. SZ vom 25./26.4.1998, S.8. 350 Vgl. Art. 23 Abs. 1 des Statutes, Fundstelle: ILM 33 (1994), S.1598, 1611; diese Beschränkung war einer der Gründe dafür, daß Ruanda gegen die Annahme der RES 955 stimmte, s. The United Nations and Rwanda, UN Blue Books Series, Vol. X, S. 65; s. hierzu auch Shraga/Zacklin, EJIL 7 (1996), S.504, 511. 35. Vgl. The United Nations and Human Rights, UN Blue Books Series, Vol. VII, S. 121. 352 Auf diese Widersprüchlichkeit hatte bereits der Vertreter Ruandas anläßlich der Abstimmung über die RES 955 hingewiesen, s. UNo Doc. S/pV. 3453, S. auch Shraga/Zacklin, EJIL 7 (1996), S.511 und Magnarella, FJIL 9 (1994), S.421, 435. Schabas hatte noch darauf hingewiesen, daß die Todesstrafe in Ruanda seit 1982 nicht mehr verhängt wurde und somit eine de facto Abschaffung naheliege. Das eigens zur Aufarbeitung erlassene Gesetz vom August 1996 schließt die Todesstrafe für alle Täter außer den Anstiftern, Planem und Organisatoren des Genozides aus, so daß den zehntausenden ,,Mitläufern" vermutlich die Todesstrafe erspart bleiben wird, S. ders., AlbLR 60 (1997), S. 766,767. 353 Vgl. Johnson, IRPL 67 (1996), S. 211,224. 354 Nach Angaben der SZ vom 9.1.1997 ist diese Zahl mittlerweile sogar auf 90.000 Personen angestiegen. Im Frühjahr des Jahres 1998 wird die Zahl bereits mit 130.000 angegeben,

D. Ergebnis

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gen einen kleinen Teil dieser Verdächtigen Verfahren durchführen. Dennoch wird seiner Arbeit ein hoher symbolischer Wert für die nationale Versöhnung und Abschreckung derartiger Taten für die Zukunft beigemessen 3SS •

5. Bewertung Mit der Einbeziehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes für Ruanda wurde klargestellt, daß das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch in internen bewaffneten Konflikten gegen die eigene Zivilbevölkerung begangene Taten umfaßt. Die Definition des Statutes geht noch weiter und enthält kein Erfordernis der Begehung innerhalb eines bewaffneten Konfliktes mehr. Damit ist das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausdrücklich aus seiner Verbindung zum Kriegszustand gelöst. Der Schwerpunkt rückt damit von "während des Krieges begangenen Greueltaten" auf die Begehung unmenschlicher Handlungen im Rahmen systematischer und weitverbreiteter Angriffe auf eine Zivilbevölkerung.

D. Ergebnis Eine Betrachtung der historischen Entwicklung des Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit zeigt, daß eine Verfolgung dieser Verbrechen stets im Zuge bewaffneter Konflikte erfolgte. Während die ersten Formulierungen im Rahmen der groBen internationalen Konflikte, des Ersten und Zweiten Weltkrieges, erfolgten, ist mit der Aufarbeitung der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien und Ruanda in der Gegenwart eine Ausdehnung bis in den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt, vorgenommen worden 3s6 • Damit läBt sich sagen, daß das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit - seinem empirischen Phänomen nach - anläBlich bewaffneter Konflikte auftritt; weiterhin, daß eine Ahndung dieser Taten durch die internationale Gemeinschaft bisher stets mit der "strafrechtlichen Aufarbeitung" bewaffneter Konflikte verbunden war. Hieraus läBt sich jedoch nicht ableiten, daß das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit notwendigerweise durch eine Verbindung der entsprechenden Taten zum bewaffneten Konflikt geprägt ist. s. SZ vom 25./26.4.1998, S. 8. In der Ausgabe vom 23.4.1998 wird die ungefähre Zahl mit 140.000 angegeben, s. dort, S.9. Schabas spricht ebenfalls von mehr als 80.000 Personen, AlbLR 60 (1997), S. 766. 3SS SO zumindest Akhavan in AJIL 90 (1996), S. 509; nach Ansicht von Shraga/Zacklin ist es verfrüht, allgemeine Schlußfolgerungen zu ziehen, insofern seien die nächsten Jahre abzuwarten, EJIL 7 (1996), S.518. 356 Eine solche Einbeziehung auch innerstaatlicher bewaffneter Auseinandersetzungen entspricht jedoch vor allem der tatsächlichen Lage, s. z. B. auch Much, in: BaumlRiedeVSchaefer (Hrsg.), Menschenrechtsschutz in der Praxis der UN, S.281.

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1. Teil: Historische Entstehung und Entwicklung

Das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde schrittweise aus dem Konzept der Kriegsverbrechen abgeleitet und diente der Lückenfüllung im Hinblick auf die Behandlung der eigenen Staatsangehörigen des Täters. Zunächst kam es dabei zu einer Erweiterung des personellen Anwendungsbereiches, indem über die Angehörigen der feindlichen Streitkräfte die Zivilbevölkerung der besetzten Länder und schließlich auch die eigene Bevölkerung des Täters einbezogen wurde. Hiermit wurde anerkannt, daß die Behandlung der eigenen Staatsangehörigen nicht vollständig von der Kontrolle durch dritte Staaten bzw. die internationale Gemeinschaft gelöst ist. Ein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft im Sinne einer humanitären Intervention wurde jedoch zunächst noch davon abhängig gemacht, daß die entsprechenden Taten im Rahmen eines bewaffneten internationalen Konfliktes begangen wurden. Parallel zur Herausbildung des Schutzes der Menschenrechte auf internationaler Ebene wurde dieser Standard verallgemeinert und die Begründung für ein Einschreiten auf eine andere Grundlage gestellt. Dennoch erfolgte eine Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit weiterhin nur im Zusammenhang mit der Aufarbeitung bewaffneter Konflikte, so daß sich anhand der historischen Anwendungsfälle nicht der Schluß ziehen läßt, daß eine Sanktionierung unmenschlicher Taten als allgemeines Prinzip der internationalen Staatengemeinschaft verankert ist. Zweitens haben wir es mit einem Phänomen zu tun, das durch Massenhaftigkeit - sowohl auf Seiten der Täter als auch auf Seiten der Opfer - gekennzeichnet ist. In allen der bisher internationalrechtlich geahndeten Fälle hatte die Begehung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine ungeheure Schadensdimension. Aber auch hieraus läßt sich nicht unbedingt schließen, daß das Kriterium der Massenhaftigkeit dem juristischen Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit immanent ist. Aus der Tatsache, daß eine Ahndung stets in Fällen massenhafter Opferwerdung erfolgte, läßt sich zunächst nur auf eine entsprechende Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft zum Eingreifen schließen. Schließlich ist zu erkennen, daß es nicht die Begehung einzelner unmenschlicher Handlungen ist, die die internationale Gemeinschaft zum Eingreifen veranIaßt. Im Fall des Zweiten Weltkrieges waren die Taten untrennbar mit der Politik des NS-Regimes, seiner Ideologie einer Überlegenheit des deutschen Volkes gegenüber anderen Völkern, verbunden. Derartige Machtansprüche liegen auch den "ethnischen Säuberungen" im Rahmen des Konfliktes auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien und dem Völkermord in Ruanda zugrunde. Damit läßt sich schließen, daß ein besonderes Augenmerk auf den Kontext der Begehung derartiger Taten zu richten ist.

Zweiter Teil

Kodifikation von Teilbereichen des Konzeptes in internationalen Abkommen Einleitung Nachdem im ersten Teil der Arbeit festgestellt werden konnte, daß das Konzept der Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit der Zeit des Ersten Weltkrieges bis hinein in die Gegenwart im Zusammenhang mit Reaktionen auf "Auswüchse" bewaffneter Konflikte formuliert und angewendet wurde, stellt sich die Frage, ob und inwieweit dieses Konzept im internationalen Recht verankert ist. Soweit eine Geltung als internationales Gewohnheitsrecht angenommen wird I, ist dies in Ermangelung einer durchgängigen Strafverfolgungspraxis bezüglich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine Behauptung, die nahezu isoliert auf das zweite Element des völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts, die Rechtsüberzeugung, gegründet ist, deren Vorliegen schwer nachweisbar ist und hier nicht eingehend untersucht werden soll. I

Dies wurde zwar durch den UN-Generalsekretär in seinem Bericht vom 3. Mai 1993 nach

§ 2 der Res. 808 des UN-Sicherheitsrates behauptet, s. ILM 32 (1993), S. 1170 para. 35; die Gel-

tung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Völkergewohnheitsrecht ist aber nach 1945 bis in die heutige Zeit umstritten geblieben, und kann angesichts einer mangelnden Praxis nur dann bejaht werden, wenn man dieses Element der Entstehung von Gewohnheitsrecht vernachlässigt. Zur Diskussion s. die folgenden Autoren: Gornig, NJ 1992, S. 8; Hollweg, JZ 1993, S.986; Weber, VN 1990, S. 208,209, Oellers-Frahm, ZaöRV 54 (1994), S.425; Shraga/Zacklin, EJIL 5 (1994), S. 360, Greenwood, Int. Aff. 69 (1993), S. 645; Goldstone, Prosecuting War Criminals, S.4, Rheinisch, AIPIL 47 (1995), S.178/9, Tomuschat, EA49 (1994), S.65; Doehring, Beiträge zur Konfliktforschung 1986, S. 81, Grewe, Doehring-FS, S.236 u. 248, Sunga, Individual Responsibility in International Law, S.47; Triffterer, Jescheck-FS, Bd.II, S. 1486, Jescheck, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 121. Kälin, SZIER 1993, S. 246. Verneinend z. B./psen, Völkerrecht (3. Auflage) § 38 S.542: ,,Angesichts der seit Nürnberg und Tokio fehlenden Staatenpraxis sowie der seither (... ) eher rückläufigen Rechtsüberzeugung läßt sich der Feststellung nicht ausweichen, daß die Straftatbestände des Statutes des Nürnberger Gerichtshofes sowie des Gerichtshofes von Tokio nicht zu Völkergewohnheitsrecht erstarkt sind". Bejahend dagegen z. B. Donat-Cattin: ,.Prom the deliberations of the Ad Hoc Committee in 1995 and the Preparatory Committee for the Establishment of an International Criminal Court (... ) in 1996-1998, a general agreement can be inferred about the qualification of crimes against humanity as part of customary internationallaw", in: Lattanzi (Hrsg.), The International Criminal Court, Comments on the Draft Statute, S. 51. Bejahend und mit eingehender Erörterung auch Buchner, Die Rechtswidrigkeit der Taten von "Mauerschützen" , S. 237 u. 239 ff. Teilweise wird die Ableitung von Straftatbeständen aus Gewohnheitsrecht auch unter dem Geichtspunkt der Unbestimmtheit als allgemein problematisch bewertet, s. Triffterer in: HankeVStuby (Hrsg.), Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen, S. 95.

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2. Teil: Kodifikation von Teilbereichen in internationalen Abkommen

Ähnlich verhält es sich mit einer Ableitung aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen zivilisierter Staaten2 • Aussagen hierüber würden eine umfassende rechtsvergleichende Untersuchung voraussetzen, die hier nicht geleistet werden kann. Es ist demzufolge entscheidend, im geschriebenen internationalen Recht Anhaltspunkte für eine Regelung des Konzeptes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufzufinden. Bis in die Gegenwart hinein existiert zwar kein Abkommen, das eigens der Problematik der Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewidmet ist und alle Elemente abdeckt 3• Jedoch befassen sich einige der nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossenen Abkommen mit individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit für internationale Verbrechen. In diesen Abkommen wurden Teilbereiche bzw. Unterfalle des Konzeptes kodifiziert 4 • Aussagen über die spezifischen Merkmale der Verbrechen gegen die Menschlichkeit lassen sich aus dem Abkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948, dem Abkommen über die Unterdrückung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid von 1973 sowie dem Abkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von 1984 ableiten. Von der Prämisse ausgehend, daß in diesen Abkommen UnterfaIle der Verbrechen gegen die Menschlichkeit kodifiziert und näher behandelt werden, 2 Ipsen verweist bzgl. der Jurisdiktion des Tokioter Gerichtshofes bzgl. von Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit dem Hinweis darauf, daß jede Rechtsordnung für schwere Straftaten wie Mord, Vernichtung oder ähnliche unmenschliche Handlungen eine strafrechtliche Verfolgung und schwere Strafen vorsehe, auf die "allgemeinen Grundsätze des Recht der zivilisierten Nationen", in: Hosoya/Ando u. a. (Hrsg.) The Tokyo War Crimes Trial, S.42. s. auch ders. in Oehler-FS, S. 513, 514. Bassiouni zieht anhand einer umfassenden rechtsvergleichenden Studie des Strafrechts von 38 Staaten im Hinblick auf die in der Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit enthaltenen Einzeltaten die Schlußfolgerung, daß die in Art. 6 lit. c der Londoner Charter enthaltenen Verbrechen nach den großen Strafrechtssystemen der Welt verboten waren und deshalb Verletzungen der "allgemeinen durch die zivilisierten Nationen anerkannten Rechtsgrundsätze" darstellten, bevor die Charta verfaßt wurde, s. Crimes against humanity, S. 287, s. auch derselbe in ColJTL 31 (1994), S. 461. Dagegen erkennt Jescheck zwar an, daß entsprechende Taten bereits 1939 im innerstaatlichen Strafrecht der zivilierten Staaten kodifiziert waren, der spezifische Unrechts gehalt der Verbrechen gegen die Menschlichkeit hierdurch jedoch nicht erfaßt wurde, so daß man nicht von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Strafbarkeit des Humanitätsverbrechens ausgehen könne, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S.184. Teilweise wurden die Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem nationalen Strafrecht ausdrücklich unter Strafe gestellt. Auch bezüglich dieser Tatbestände ist jedoch zweifelhaft, ob sich hieraus ein allgemeiner Rechtsgrundsatz der Strafbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ableiten läßt, da die Definitionen zum großen Teil unergiebig sind bzw. nicht einheitlich verfaßt wurden, s. hierzu insbes. Herzog, RSCDPC 20 (1965), S. 337, Komarow, ICLQ 29 (1980), S. 30ff. 3 Dies wird insbesondere von Bassiouni moniert, der die Abfassung eines derartigen Abkommens fordert, s. ColJTL 31 (1994), S. 457 ff. 4 So vertrat die Berufungskarnmer des ICTY im Tadic-Fall die Ansicht, daß die Abkommen gegen den Völkermord und die Apartheid bestimmte 'JYpen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit verbieten, s. The Prosecutor v. Dusko Tadic a/k1a "Dule" (Case No. IT-94-1-AR 72), Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, para. 140.

A. Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkennordes

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läßt sich der Schluß ziehen, daß diejenigen Elemente, die allen dieser Verbrechensformen gemeinsam sind, auch für den Oberbegriff der Verbrechen gegen die Menschlichkeit charakteristisch sind.

A. Die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948 5 Die bekannteste Form der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist der Genozid bzw. Völkermord, dessen Strafbarkeit unmittelbar im Anschluß an die Strafverfolgung der Hauptkriegsverbrecher des Zweiten Weltkrieges in einem internationalen Abkommen kodifiziert wurde.

I. Der Begriff des "Genozids" bzw. Völkermordes Als Urheber des Begriffes des "Genozids" bzw. "Völkermordes" gilt der Völkerrechtler Raphael Lemkin 6 • Bereits im Jahr 1944 befaßte Lemkin sich in seinem Werk Axis Rule in Occupied Europe mit einem Phänomen, das zwar seit Jahrhunderten bekannt war 7 , während des Zweiten Weltkrieges jedoch in bisher unbekannter Form aufgetreten war: "der Praxis der Auslöschung von Nationen und ethnischen Gruppen, wie sie durch die Invasoren ausgeführt wurde"s. Er benannte dieses Phänomen mit dem Terminus "Genozid"9. Damit führte er einen neuen Begriff und eine neue Konzeption für die Zerstörung von Nationen oder ethnischen Gruppen ein lO • Dabei bedeutet Genozid nach der Konzeption von Lemkin nicht notwendigerweise die unmittelbare Zerstörung einer Nation in Form von Massentötungen aller ihrer Mitglieder, sondern die Vollziehung eines aus verschiedenen Handlungen zusammengesetzten Planes. Im Rahmen dieses Planes werden Handlungen begangen, die auf die Zerstörung essentieller Lebensgrundlagen der Gruppe ausgerichtet sind. Ziel dieser Handlungen ist die Vernichtung der Gruppe. Es kommt nach dieser Konzeption zu einem umfassenden Angriff auf di~ verschiedenen Lebensbereiche der FundsteIle: UNTS, Vol. 78, S. 277; dt. Text in: BGBI 1954lI, S. 730. Lemkin lehrte als Professor an der Yale- Universität; er war polnischer Abstammung und seine Familie war während des Zweiten Weltkrieges Opfer des Genozids geworden, s. Jescheck, ZStW 66 (1954), S.199 sowie Brügel, EA 4 (1949), S.2307. 7 Axis Rule, S. 79; vgl. Jacoby: "Genozid ist nur ein neuer Name für ein altes Verbrechen", ZStrR 64 (1949), S.470; auch Brügel führt aus, daß es sich um kein neues, unbekanntes Verbrechen handele, EA 4 (1949), S. 2307. 8 Axis Rule, S. XI. 9 Diese Bezeichnung bildete er aus dem griech. Wort "genos" (griech. für Stamm, Rasse, Nation) und dem lat. Suffix "eide" (töten, schlachten) als Analogie zu den Worten Homicid und Fratricid, Axis Rule, S. XI; eine andere mögliche Bezeichnung sei das Wort ,.Ethnozitf', Axis Rule, S. 79, Arun. 1. 10 Axis Rule, S. 79; s. insbes. die Überschrift. S

6

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2. Teil: Kodifikation von Teilbereichen in internationalen Abkommen

Gruppe in politischer, sozialer, kultureller, religiöser, wirtschaftlicher und biologischer Hinsicht, der die gesamte Bandbreite der physischen und psychischen Existenz umfaßt ll . Der Genozid ist damit nach der Konzeption Lemkins durch einen Angriff auf alle denkbaren Lebensbereiche einer Gruppe gekennzeichnet, wobei das Spektrum der eingesetzen Mittel von psychischer Demoralisierung bis hin zu planmäßiger physischer Vernichtung reicht 12 • Für die einzelnen Mitglieder der Gruppe bedeutet die Durchführung des Planes, die Gruppe zu vernichten, den Verlust der persönlichen Freiheit und Sicherheit, Gesundheit und Würde bis hin zur Existenzvemichtung 13 • Entscheidend ist jedoch, daß Genozid gegen die nationale Gruppe als Einheit gerichtet ist. Die im Rahmen dieses ,,zieles" begangenen Taten richten sich zwar direkt gegen Individuen, jedoch nicht in ihrer Eigenschaft als Individuen, sondern als Mitglieder der nationalen Gruppe 14. Der Genozid weist nach der Konzeption von Lemkin zwei Phasen auf: In der ersten Phase kommt es zur Zerstörung des "nationalen Musters" der unterdrückten Gruppe, in der zweiten zur Auferlegung des nationalen Musters des Unterdrückers. Nach Auffassung von Lemkin kann dieser Vorgang nicht hinreichend mit dem Begriff der "Denationalisation"U umschrieben werden, da dieser teilweise lediglich mit der Deprivation der Staatsbürgerschaft in Verbindung gebracht werde 16 , nicht jedoch die Zerstörung der biologischen Struktur umfasse. Bei Genozid handele es sich gerade um einen Angriff gegen die Bevölkerung im physischen Sinne, deren Beseitigung oder Vertreibung aus einem bestimmten Gebiet und die Ersetzung durch die Bevölkerung des "Unterdrückerstaates"17. Lemkin verfaßte sein Werk als Reaktion auf die Kriegführung des Dritten Reiches und seiner Achsenpartner im Zweiten Weltkrieg 18 , die gerade dadurch gekennzeichnet war, daß die Zerstörung von Völkern und ethnischen Gruppen durch diese Mächte als Mittel der Kriegführung 19 , u. a. der Besetzung von Ländern, eingesetzt 11 Axis Rule, S. XI, XII, s. auch S. 79; vgl. die Darstellung der verschiedenen "Techniken" des Genozids, id., S. 82-90. 12 Lemkin bezeichnet die von den Achsenrnächten angewendeten Techniken des Genozids als hochentwickeltes, fast wissenschaftliches System, das zu einem Grad entwickelt worden sei, der nie zuvor durch eine Nation erreicht wurde, Axis Rule, S.90. 13 Axis Rule, S.79. 14lbid. 15lbid. 16 ld., S.80. 17 lbid. 18 Lemkin gab später ausdrücklich an, daß die von Deutschland angewendeten Praktiken die Basis für die Entwicklung des Konzeptes waren; Deutschland sei insofern das ,,klassische Land der Genozid- Praktiken", s. AJIL 41 (1947), S.151. 19 Dies steht im Gegensatz zur sog. Rousseau-Portalis-Doktrin vom beschränkten Krieg, s. Axis Rule, S. 80; vgl. auch Campbell, § 220 a StGB, S. 43, 44.

A. Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkennordes

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wurde 20 • Die Ursache hierfür sieht Lemkin in der nationalsozialistischen Denkweise, die sich in Betonung der Nation biologischer Überlegenheit dünkte. Konsequenz dieser Ideologie war eine "totale" Kriegführung, die sich nicht nur gegen Staaten und Armeen, sondern gegen ganze Völker richtete 21 • Diese Art der Kriegführung, die alle Lebensbereiche betraf, richtete sich gegen jeden, der dem "gegnerischen" Volk angehörte und ließ damit dem einzelnen - entgegen der sog. Rousseau-Portalis-Doktrin 22 - keinen Raum für eine Distanzierung vom Kriegsgeschehen. Sie machte alle Bemühungen, die Zivilbevölkerung vom Kriegsgeschehen zu verschonen 23, zunichte. Lemkin sah, daß eine derart skrupellose Kriegführung, die an die dunkelsten Zeiten der Geschichte gemahnte, bei Abfassung der Regeln der Kriegführung nicht vorhersehbar gewesen war und infolgedessen - insbesondere im Hinblick auf den Schutz der Integrität eines Volkes - weitgehend Lücken in den einschlägigen Kodifikationen bestanden 24 • Er sprach sich dafür aus, das Problem des Genozids umfas20 V gl. die Überschrift des Kapitels IX., nach der Lemkin den Genozid als eine Besatzungstechnik begreift, Axis Rule, S.79. 21 Axis Rule, S. 80, 81: die Kriegführung sei darauf gerichtet gewesen, Europa in seiner "biologischen Zusammensetzung" zugunsten Deutschlands zu ändern, so daß aufgrund der Schwächung der Bevölkerung der besetzen Länder (im Falle der Juden sogar einer vollständigen Zerstörung der Gruppe) auch dann eine Überlegenheit im Frieden erreicht würde, wenn der Krieg selbst verloren würde. 22 Die sog. ,,Rousseau-Portalis"-Doktrin findet ihre Grundlage in der 1762 von Rousseau eingeführten These, wonach der Krieg ein Verhältnis zwischen Staaten und nicht zwischen allen Rechtssubjekten der betroffenen Staaten ist: ,,Der Krieg ist ( ... ) keine Beziehung von Mensch zu Mensch, sondern eine Beziehung von Staat zu Staat, in der die Einzelnen nur durch Zufall Feinde sind, nicht als Menschen und nicht einmal als Bürger, sondern als Soldaten" (Gesellschaftsvertrag, Erstes Buch, 4. Kapitel). Daraus leitet sich eine Begrenzung der Kriegführung auf die Kombattanten und das Gebot der Schonung der nicht an den Kampfhandlungen beteiligten Zivilpersonen ab, s. z. B. Rosenblad. International Humanitarian Law, S. 10, Greenwood in: Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts, Nr.113, S. 14 Auch gegen die gegnerischen Soldaten dürfen nach der These von Rousseau Kampfhandlungen jedoch nur solange vorgenommen werden, wie sie Widerstand leisten, sobald sie sich ergeben, sind sie nicht mehr erlaubtes Ziel eines militärischen Angriffes: ,,( ... ) Wenn der Krieg mit der Vernichtung des feindlichen Staates endet, ist man berechtigt, die Verteidiger zu töten, solange sie Waffen tragen; aber sobald sie sie niederlegen und sich ergeben, hören sie auf, Feinde oder Werkzeuge des Feindes zu sein, sie werden einfach wieder Menschen, und man hat kein Recht mehr über ihr Leben" (Gesellschaftsvertrag, ibid.). Diese These wurde 1801 anläßlich der Eröffnung des französischen Prisenhofes durch den französischen Juristen und Staatsmann Portalis verkUndet und stellt seitdem eine der Kernthesen des humanitären Völkerrechts dar, s. z. B. Thieler, Die schweren Verletzungen, S.8; Gasser, Einführung in das humanitäre Völkerrecht, S. 12. 23 Zu diesen Bemühungen s. z. B. Verdross: "Eine der wichtigsten bereits nach altem Gewohnheitsrecht existierenden Kriegsschranken liegt ( ... ) darin, daß grundsätzlich nur die gegnerische Staatsgewalt, nicht mehr auch die feindlichen Nichtkombattanten ein zulässiges Angriffsobjekt bilden." In: Die völkerrechtswidrige Kriegshandlung, S.44. 24 Axis Rule, S. 90. Lemkin nimmt hierbei auf die zur Zeit des Zweiten Weltkrieges geltenden Regeln der Haager Landkriegsordnung von 1907 Bezug. Er verweist insbesondere auf Art. 46, 48, 52, und 56 der HLKO sowie die Gesetze der Menschlichkeit in der Martensschen Klausel,

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2. Teil: Kodifikation von Teilbereichen in internationalen Abkommen

send zu behandeln 25 und war im folgenden eine treibende Kraft26 im Hinblick auf die Schaffung eines internationalen Abkommens gegen den Völkermord 27 •

11. Die Abfassung der Konvention Unter dem Eindruck der Schrecken der Kriegführung, insbesondere der deutschen Besatzungspolitik, im Zweiten Weltkrieg 28 wurde am 9. Dezember 1948 die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes angenommen, die sich mit dem Verbot des Genozids und individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit für dessen Begehung befaßt. Ausgangspunkt der Entwicklung, die zur Annahme dieser Konvention führte, war die einstimmige Annahme der Resolution 96 (I) durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 11. Dezember 1946 29 • In der Präambel der Resolution wird Genozid als Verweigerung des Existenzrechtes ganzer Menschengruppen definiert, "so wie Mord oder Totschlag die Verweigerung des Lebensrechtes individueller Menschen ist"30. Dies schockiere das Bewußtsein der Menschheit, führe zu großen Verlusten für die Menschheit in Form kultureller und anderer Beiträge durch diese Gruppen und widerspreche dem moralischen Recht und dem Geist und den Zielen der Vereinten Nationen. Die Bestrafung des Völkermordes wird daraufhin als internationale Angelegenheit bezeichnet. Die Generalversammlung bestätigte sodann, daß Genozid ein Verbrechen nach internationalem Recht sei und forderte die Mitgliedstaaten dazu auf, die notwendige Gesetzgebung zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes zu erlassen. Der WIrtschafts- und Sozialrat, der von der Generalversammlung mit einer Studie über dieses Thema und der Formulierung eines Konventionsentwurfes beauftragt worden war, legte daraufhin mehrere Entwürfe für ein id., S. 92; nach Ansicht von Lemkin sollten die Haager Regulationen so verbessert werden, daß Genozid in jedem möglichen zukünftigen Krieg ausdrücklich verboten sei, id., S. 93. 2S Axis Rule, S. 92. 26 Kuper bezeichnet den Einsatz von Lemkin als ,.Einmann- Kreuzzug" für eine GenozidKonvention, The Prevention of Genocide, S. 22; Lemkin hatte bereits 1933 auf der V. Internationalen Konferenz zur Strafrechtsvereinheitlichung in Madrid den Vorschlag gemacht, die Zerstörung rassischer, religiöser oder sozialer Einheiten unter den Bezeichnungen ,,Barbarei" bzw. "Vandalismus" zum Verbrechen nach Völkerrecht (delieta juris gentium) zu erklären, war mit seinem Vorschlag jedoch nicht durchgedrungen, s. ders. in AnL 41 (1947), S.146; insbes. zu den Definitionen dieser Verbrechen, id., Anm. 3; s. hierzu auch Campbell, § 220a StGB, S.24-26 sowie Jescheck, ZStW 66 (1954), S. 199. 27 Lemkin schlug den Abschluß eines internationalen multilateralen Vertrages vor, aufgrund dessen in alle nationalen Verfassungen und Strafgesetze Vorschriften zum Schutz von Minderheitengruppen vor Unterdrückung eingefügt werden sollten, die eine Strafandrohung für Genozid-Praktiken vorsehen, s. Axis Rule, S.93. 28 Vgl. Sunga, Individual Responsibility in International Law, S.67. 29 Abdruck der Resolution bei Robinson, The Genocide Convention, S.121 (Anhang I). 30 Im Text der Resolution wird der Begriff ,,murder" verwendet.

A. Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkennordes

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entsprechendes Abkommen vor 3!. Die endgültige Fassung der Konvention trat am 12. Januar 1951 32 in Kraft und wurde in der Folgezeit zu einem der am weitesten anerkannten Menschenrechtsverträge. 33

111. Der Inhalt der Konvention 1. Präambel In der Präambel beziehen sich die vertragsschließenden Staaten zunächst auf die o. g. Resolution 96 I der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die den Völkermord zum Verbrechen gemäß internationalem Recht erklärt hatte, "das dem Geist und den Zielen der Vereinten Nationen zuwiderläuft und von der zivilisierten Welt verurteilt wird". Die Konvention sei "in Anerkennung der Tatsache, daß der Völkermord der Menschheit zu allen Zeiten der Geschichte große Verluste zugefügt habe und der Überzeugung, daß zur Befreiung der Menschheit von einer solch verabscheuungswürdigen Geißel internationale Zusammenarbeit erforderlich sei", geschaffen worden.

2. Vorgehensweise In Art. I bestätigen die vertragsschließenden Parteien, "daß Völkermord, ob im Frieden oder im Krieg begangen, ein Verbrechen gemäß internationalem Recht ist". Hiermit wird ausdrücklich anerkannt, daß die Bestrafung des Genozids, wie von Lemkin gefordert 34, nicht von der Begehung in Kriegszeiten abhängig ist. Die vertragsschließenden Parteien verpflichten sich zur Verhütung und Bestrafung dieses Verbrechens. Aus Art. I, sowie Art. III und V der Konvention ergibt sich, daß die Bestrafung den einzelnen Vertragsstaaten obliegt. Sie haben nach Art. V die notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen zu ergreifen, um die in Art. III genannten Handlungen nach ihrem innerstaatlichen Strafrecht zu pönalisieren. Somit ist für die Strafbarkeit die Umsetzung der Vorschriften der Konvention in das innerstaatliche Strafrecht erforderlich3s • Es ist demzufolge ausdrücklich keine Strafbarkeit un31 s. hierzu den Abdruck bei Robinson, The Genocide Convention, S.122ff. (Anhänge 11IV); der erste Entwurf wurde durch eine Kommission dreier Völkerrechtswissenschaftler, u. a. Lemkin selbst, geschaffen, Campbell. § 220 a StGB, S. 71; zum Inhalt der Entwürfe. id., S. 72 ff. 32 Gern. Art. XIII des Abkommens mit Hinterlegung der zwanzigsten Ratifikationsurkunde. 33 s. Akhavan, 8 HarvHRJ 8 (1995), S.229. 34 Vgl. Axis Rule. S. 93. 3S Für die Bundesrepublik Deutschland ist dies durch das Gesetz über den Beitritt zur Konvention gegen den Völkennord vom 9.8.1954 geschehen, aufgrund dessen die Vorschrift des § 220a in das StGB eingefügt wurde. s. BGBl.1954II, S. 729.



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2. Teil: Kodifikation von Teilbereichen in internationalen Abkommen

mittelbar nach dem Völkerrecht vorgesehen 36 • Dennoch ergibt sich aus dem Abkommen nach Ansicht der auf diesem Gebiet herausragenden Autoren eine unmittelbare strafrechtliche Verantwortlichkeit des einzelnen nach Völkerrecht 37 • Die Jurisdiktion in Bezug auf Genozidhandlungen ist Aufgabe der Einzelstaaten und erfolgt nach dem Territorialprinzip 38: nach Art. VI der Konvention ist sie den zuständigen Gerichten des Begehungslandes übertragen 39 • Es ist zwar ebenfalls die Möglichkeit der Jurisdiktion durch ein internationales Strafgericht vorgesehen, dessen Zuständigkeit ist jedoch grundsätzlich von der Anerkennung durch die Vertragsstaaten abhängig 40 • Mittlerweile ist der Tatbestand des Völkermordes in die Jurisdiktion des 1998 in Rom verabschiedeten Statuts des zukünftigen Internationalen Strafgerichtshofes aufgenommen worden 41 • Der grundsätzlich durch die Konvention vorgesehene einzelstaatliche Durchsetzungsmechanismus wurde im Hinblick darauf, daß in Fällen von Genozid häufig eine staatliche Beteiligung besteht 42 , bisher als wesentliche Schwäche der Konven36 Dies war durch den französischen Delegierten vorgeschlagen worden, s. Campbell, § 220 a StGB, S. 105. 37 s. Jescheck: ,,( ... ) abgesehen von der Strafbarkeit des Völkermordes nach staatlichem Recht bleibt die unmittelbare Strafbarkeit derartiger Taten nach Völkerrecht bestehen. (...) Nach Völkerrecht ist der Völkermord also unmittelbar strafbar und nach dem Weltrechtsprinzip zu verfolgen." In: GA 1981, S.58. s. auch Triffterer: "Häufig wird die Ansicht vertreten, die Konvention gehe nicht von der Strafbarkeit des Völkermordes unmittelbar nach dem Völkerrecht aus. Sie verpflichte lediglich, wie bei den Weltverbrechen, die Vertragsstaaten, entsprechende Strafbestimmungen in ihre Rechtsordnungen aufzunehmen. Diese Meinung vermag jedoch nicht zu überzeugen. Vielmehr wollte die Konvention eine unmittelbare Verantwortlichkeit des Einzelnen für Verbrechen des Völkermordes nach Völkerrecht begründen. ( ...) deshalb ist davon auszugehen, daß die Konvention die unmittelbare Verantwortlichkeit des Einzelnen nach Völkerrecht begründet." In: Dogmatische Untersuchungen zur Entwicklung des materiellen Völkerstrafrechts, S. 166 und S. 68. 38 Für die deutsche Strafverfolgung nach § 220 a StGB gilt hingegen gern. § 6 Nr. 1 des StGB das Weltrechtsprinzip; vgl. SchjSchr.-Eser,§220aStGB, Rn. 8, LK-Jähnke, § 220a StGB, Rn. 3. s. dazu auch Zieher, das sog. Internationale Strafrecht, S.142ff. 39 Vgl. Sticher, HuV-I 1I1990, S. 35. 40 Kuper schildert, daß die vorgesehene Vorschrift über einen internationalen Strafgerichtshof Proteststürme hervorrief, da eine internationale Jurisdiktion als Einschränkung der nationalen Souveränität angesehen wurde, so daß eine solche Vorschrift die Akzeptanz bzw. Ratifizierung durch viele Staaten in Frage gestellt hätte und der Vorschlag schließlich fallengelassen wurde, Genocide, S. 37, 38. Nach Einschätzung von Akhavan hat sich keiner der in der Konvention vorgesehenen Mechanismen als wirksam erwiesen, HarvHRJ 8 (1995), S. 230 sowie S.232ff. 41 s. Art. 6 des Statutes von Rom vom 17. Juli 1998, UN Doc.AlCONF.183/9, Abdruck in HuV-I 1998, S.181 ff. Deutsche Übersetzung in EuGRZ 1998, S.618ff., S.619. 42 Nach Ansicht von Dahm ist der Genozid "das typische Regierungs- und Führungsverbrechen", s. Die Stellung des Menschen, S. 18, s. auch Urner: ,,In der Regel wird Genozid gerade durch den Staat begangen", Die Menschenrechte der Zivilpersonen, S. 36. Der Vorschlag des frz. Delegierten, in die Definition die Konzeption aufzunehmen, daß Genozid ein Verbrechen darstelle, das durch die Staatsoberhäupter begangen, gefordert oder geduldet werde (UN Doc. AlC. 6[18, S. 146) wurde jedoch nicht angenommen; s. Kuper, Prevention of Genocide,

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tion angesehen 43 • Da die einzelnen genannten Angriffshandlungen bereits nach dem Strafrecht der meisten Staaten erfaßt sind und es sich andererseits bei den Taten, zu deren Bestrafung die Konvention konzipiert wurde, nicht um "Spontanhandlungen unverantwortlicher Individuen" handelt, die der Bestrafung durch eine "tugendhafte Regierung" unterliegen, kommt Schwarzenberger zu dem Schluß, daß die Konvention in den Fällen, in denen sie angewendet werden könnte, überflüssig sei, in den Fällen, in denen sie notwendig wäre, dagegen unanwendbar sei 44 • Nach Ansicht vieler Autoren stellt die staatliche Beteiligung ein wesentliches Charakteristikum des Völkermordes dar und drückt sich darin aus, daß Genozidhandlungen entweder durch Träger der staatlichen Macht selbst unter dem Deckmantel der Ausübung staatlicher Strafgewalt oder anderer Hoheitsakte begangen oder von ihnen offensichtlich geduldet werden und den ausgesprochenen Zweck verfolgen, der Regierung oder gewissen herrschenden Schichten mißliebige Personen oder Volksgruppen "unschädlich" zu machen 4s • Nach dieser Sichtweise besteht folglich eine enge Beziehung zwischen der Staatsgewalt und dem Genozid 46 • Für die Annahme, daß die "staatliche Verwicklung" ein Charakteristikum des Genozids darstellt, spricht die Einsicht, daß ein Verbrechen von der Tragweite und dem Ausmaß des Genozids kaum ohne - zumindest indirekte - staatliche Beteiligung bzw. Duldung stattfinden kann 41 • Hieraus ergeben sich Bedenken gegen die in Art. VI der Konvention vorgesehene einzelstaatliche Jurisdiktion, insbesondere im Hinblick auf die infolge der bei Beteiligung der staatlichen Machthaber zweifelhafte Unabhängigkeit der staatlichen Gerichtsorganisation 48 • Wenn die wichtigsten Fälle von Genozid durch den Heimatstaat der Opfer bzw. mit dessen Duldung begangen werden, ist nicht zu erwarten, daß gerade Gerichte dieses Staates die Handlungen der eigenen Exekutive bestrafen werden 49 • Aus diesen Erwägungen läßt sich ein BeS. 14, 15 (Kuper selbst stimmt zwar zu, daß Genozid in der großen Mehrheit der Hille durch oder in Komplizenschaft der Regierungen begangen werde, in wenigen Fälle jedoch auch ohne diese Verwicklung des Staates begangen werde, ibid.). 43 Die nach Art. VIII des Abkommens vorgesehene Möglichkeit der Anrufung der zuständigen Organe der Vereinten Nationen zur Ergreifung von Maßnahmen zur Verhütung oder Bekämpfung von Völkermordhandlungen wird als nur schwacher Ersatz angesehen, s. Brügel, EA 4 (1949), S. 2309/2310. 44 In: Mueller/Wise (Hrsg.), International Criminal Law, S.32, 33. 4S s. Jacoby, ZStrR 64 (1949), S.473, der betont, daß derartige Handlungen als Willkürakte und Mißbrauch staatlicher Macht besonders gefährlich sind. 46 Vgl. Kuper, Prevention ofGenocide, S.14, 15; vgl. seine Aussage, "the sovereign territorial state claims, as an integral part of its sovereignty, the right to commit genocide", in: Genocide, S.161. 47 Campbell, § 220a StGB, S. 98 u. S. 105. s. auch "Genocide: A Commentary on the Convention", YU 58 (1948-49), S.1147. Sticher, HuV-I 1990, S. 36. 48 Jacoby, ZStrR 64 (1949), S.474. 49 Vgl. Stillschweig, FW 1949, S.102. Akhavan, HarvHRJ 8 (1995), S. 232, der zudem darauf hinweist, daß Verfahren vor nationalen Gerichten nicht sehr ernst genommen würden, id., S.234. Sticher weist darauf hin, daß die Effektivität der Konvention angesichts der Tatsache, daß die Staaten nicht dazu bereit sind, Verbrechen, die sie selbst begangen oder geduldet haben,

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2. Teil: Kodifikation von Teilbereichen in internationalen Abkommen

dürfnis für Einbeziehung von Genozidhandlungen in die Jurisdiktion eines internationalen Strafgerichtshofes ableitenso.

IV. Die Defmition des Völkermordes nach der Konvention Der Begriff des Völkennordes wird in Art. 11 der Konvention definiert als: "eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: (a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe; (b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe; (c) vorsätzliche Au/erlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; (d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; (e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe".

Aus dieser Definition lassen sich bestimmte Merkmale ableiten, die das Verbrechen des Völkennordes von anderen Verbrechen unterscheiden:

1. Schutzobjekte Das spezifische Merkmal des Verbrechens des Völkennordes besteht nach der Definition in Art. 11 der Konvention darin, daß die Vorschrift dem Schutz des Existenzrechtes bestimmter Menschengruppen dient. Das durch die Konvention geschützte Rechtsgut ist eine Gruppe als soziale EinheitS), d. h. eine durch gemeinsastrafrechtlich zu verfolgen, nur in den Fällen gewährleistet sei, in denen eine Regierung gestürzt werde, HuV-I 1990, S.36. so Insbes. Kuper. Er führt aus, daß die innerstaatliche Jurisdiktion angesichts der Thtsache, daß es meistens Regierungen seien, die das Verbrechen des Genozides begingen, die bizarre Konsequenz habe, daß man es in der großen Mehrheit der Fälle von Regierungen erwarten würde, ihre eigenen Mitglieder zu verfolgen. Deshalb hätten diese .,nichts zu befürchten", es sei denn, sie würden durch Revolution oder Intervention von außen gestürzt. Die wirkliche Drohung für Regierungen würde sich aus der Annahme einer universalen Jurisdiktion und der Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofes ergeben, Prevention of Genocide, S.14, 15. Es bleibt abzuwarten, ob der ständige Internationale Strafgerichtshof, in dessen Jurisdiktion der Völkermord nach Art. 6 des Statuts von Rom fällt, diese Erwartungen erfüllen wird. SI s. LK-Jähnke, §220a StGB, Rn. 8: das einzelne Gruppenmitglied werde nicht geschützt; es könne aber Angriffsgegenstand sein.

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me Merkmale verbundene Mehrzahl von Menschen, die sich hierdurch von der übrigen Bevölkerung abhebt 52• Der Einzelne wird somit nur mittelbar in seiner Eigenschaft als Gruppenmitglied geschützt 53 • Die Auswahl der durch die Konvention geschützten Gruppen war und ist Gegenstand von Kontroversen 54• Nach der Konvention werden nur nationale, ethnische, rassische und religiöse Gruppen geschützt. Aus dem Schutzbereich ausgegliedert sind somit u. a. politische und wirtschaftliche Gruppen 55 • Die Gemeinsamkeit der geschützten Gruppen kann darin gesehen werden, daß die Gruppenzugehörigkeit hier in der Regel durch die Geburt begründet wird und einen permanenten Charakter aufweist 56 • Aus diesen Erwägungen läßt sich ein stärkeres Schutzbedürfnis der betreffenden Gruppenmitglieder ableiten, als für Mitglieder von Gruppen - wie z. B. politische -, denen der einzelne aus eigenem Entschlu6 beitritt57 • Andererseits verliert die Konvention gerade durch die Nichteinbeziehung der politischen Gruppen an Tragweite, denn Unterdrückungshandlungen gegen Gruppen stehen häufig in Zu52 s. LK-Jähnke, § 220a StGB Rn. 9, ähnlich Robinson, The Genocide Convention, S.63. Nach Ansicht von Jähnke kommt es für die Abgrenzung auf das Empfinden der Gruppenmitglieder an, während es nach Ansicht von Robinson eher auf die Sichtweise der übrigen Bevölkerung ankommt, die die Gruppenmitglieder als Einheit ansehen muß. Hinzuweisen ist darauf, daß nicht nur Minderheiten, sondern auch die Mehrheitsbevölkerung geschützt ist, s. Stillschweig, FW 1949, S.96, zustimmend LK-Jähnke, § 220a StGB, Rn. 9. 53 Hieraus ist der Schluß zu ziehen, daß es nicht um den Schutz von Individualrechten als solches geht, vgl. Urner, Die Menschenrechte der Zivilpersonen im Krieg, S. 32. 54 So äußerte Ägypten im Rahmen der Verhandlungen zur Vorbereitung eines Statutes für einen ständigen Internationalen Strafgerichtshof den Wunsch, in die Definition des Genozides auch soziale und kulturelle Gruppen einzuschließen, traf aber auf die Ablehnung durch die Mehrheit der Mitglieder des Vorbereitungsausschusses, s. Hall, AJIL 91 (1997), S.180. 55 Die Ausklarnrnerung politischer Gruppen ist dabei auf die Weigerung bestimmter Staaten (des früheren Ostblockes), diese Gruppen in den Schutzbereich der Konvention aufzunehmen, zurückzuführen, s. Stillschweig, FW 1949, S. 97. Sie stellt eine Abweichung vom Text der RES 96 dar, s. Robinson, The Genocide Convention, S. 59; Grosser bezeichnet diese Ausklarnrnerung politischer und ökonomischer Gründe der Verfolgung als problematisches Zugeständnis an die Mehrheitsfähigkeit der Konvention, s. Ennordung der Menschheit, S. 53, Campbell hält die Streichung der politischen Gruppen hingegen für konsequent, § 220StGB, S. 99. Ein überzeugendes Plädoyer für die Einbeziehung politischer Gruppen gibt van Schaack in YU 106 (1997), S.2259ff. 56 Gegen die Einbeziehung politischer Gruppen wurde deren mangelnde Stabilität eingewendet. Tatsächlich ist jedoch davon auszugehen, daß die Nichteinbeziehung dadurch begründet ist, daß andernfalls ein Hindernis für die Ratifikation vieler Staaten, die eine Einmischung der Vereinten Nationen in ihre inneren Angelegenheiten befürchteten, bestanden hätte, vgl. Robinson, The Genocide Convention, S. 59. 57 s. Stillschweig, FW 1949, S.97; Kuper weist dagegen das Argument der Instabilität und mangelnden Abgrenzbarkeit politischer Gruppen bzw. der freiwilligen Mitgliedschaft als ,,nicht trifflig" zurück, s. Prevention of Genocide, S. 15; die Machthaber hätten ihrerseits keine Schwierigkeiten, die politischen Opponenten zu bestimmen und politische Zugehörigkeit könne so permanent und unveränderlich sein wie rassischer Ursprung. Die Warnung, daß die Verbrechen der Zukunft vorwiegend aus politischen Gründen begangen werden würden, habe sich in vielen Mitgliedstaaten der UN bewahrheitet, id., S.16.

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2. Teil: Kodifikation von Teilbereichen in internationalen Abkommen

sammenhang mit politischen Konflikten 58 • Die Ausklammerung politischer Gruppen begründet so die Gefahr, daß die politischen Ansichten einer Gruppe als Vorwand herangezogen werden könnten, um strafrechtlicher Verantwortlichkeit für Unterdrückungshandlungen zu entgehen, die von der Konvention eigentlich erfaßt sind 59• Letztlich ist der Ausschluß politischer Gruppen aus dem Schutzbereich der Konvention darauf zurückzuführen, daß die Staaten mit der Konvention keine Einbruchstelle in ihre internen politischen Angelegenheiten schaffen wollten 60 • Genozid ist nach der Konvention somit nicht die Vernichtung politisch andersdenkender, sondern zu einer bestimmten Gruppe zugehöriger Menschen 61 . Angriffs"objekte" der genannten Handlungen sind Menschen, die wegen ihrer Herkunft, d. h., ihrer Angehörigkeit zu einer durch ihre kulturellen, religiösen, evtl. auch körperlichen Eigenschaften geprägten Gruppe, in den Genozid-Plan einbezogen sind und durch diese unverkennbaren Eigenschaften gleichzeitig keine Chance haben, diesem zu entkommen. Dabei richten sich die einzelnen Angriffshandlungen zwar direkt gegen Individuen, jedoch nicht gegen sie persönlich, sondern in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der Gruppe62.

2. Angriffshandlungen In Art. 11 sind unter lit. abis e die Angriffshandlungen, die Genozid darstellen können, aufgelistet63 . Alle fünf der genannten Handlungen beziehen sich auf physischen bzw. biologischen Genozid, wobei die ersten drei der genannten Handlungen physische Begehungsformen darstellen, während die letzten beiden Begehungsformen mit dem Begriff des biologischen Genozides umschrieben werden können 64 • 58 s. Kuper, The Prevention of Genocide, S.39; vgl. Jescheck, der darauf hinweist, daß die Fälle, in denen der Vorwurf des Genozids erhoben wird, häufig Ausschreitungen gegen politisch Andersdenkende betreffen, ZStW 66 (1954), S.212. 59 V gl. Kuper, The Prevention of Genocide, S.28. 60 Bassiouni, International Crirninal Law, S. 72. Die Einbeziehung politischer Gruppen hätte so ein Hindernis für die Ratifizierung durch viele Staaten bedeutet, vgl. Robinson, The Genoeide Convention, S.59; Kuper geht soweit, zu sagen, daß das eigentliche Motiv für die Entscheidung der Wille zur Beibehaltung der Freiheit bzw. des ,,Rechts" von Regierungen gewesen sei, sich der politischen Opposition ohne Einmischung der Außenwelt zu entledigen bzw. diese zu unterdrucken; s. ders., Prevention of Genocide, S.16, sowie S. 29f. 61 Etwas überspitzt formuliert bei Campbell, § 220a StGB, S.99. 62 Vgl. Robinson, The Genocide Convention, S. 58; str. ist dabei, ob die Tötung eines nur vermeintlichen Gruppenmitgliedes Vollendung (so Sch/Schr- Eser, § 220 a StGB, Rn. 3) oder nur einen Versuch (so LK-Jähnke, § 220 a StGB, Rn. 10) darstellt. 63 Es handelt sich dabei um eine limitierende Aufzählung, s. Robinson, The Genocide Convention, S. 57; nach Ansicht von Stillschweig hätte die Einfügung einer allgemeinen Formel zu Meinungsverschiedenheiten und Rechtsunsicherheit geführt, s. FW 1949, S. 97. Zu den einzelnen Angriffshandlungen s. Campbell. § 220a StGB, S.136ff. 64 Nach Kuper beziehen sich die ersten drei Handlungen auf physische Vernichtung, die Geburtenverhinderung nach lit. d auf die biologische Vernichtung. Die Überführung von Kindern

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Die tatbestandsmäßigen Angriffshandlungen betreffen somit ausschließlich die Verletzung oder Gefährdung der biologisch-physischen Integrität der Gruppenangehörigen 6S • Der sog. ,,kulturelle" Genozid, d.h., die Zerstörung der spezifischen Eigenschaften einer Gruppe66, der noch in den Entwürfen enthalten war, wurde dagegen nach langen Debatten aus dem Anwendungsbereich der Konvention ausgegrenzt 67 • Diese Form des Genozids kann z. B. als Verbot des Gebrauches der Muttersprache oder der Zerstörung von Gegenständen von historischem, künstlerischen oder religiösem Wert für die Gruppe auftreten 63. Die ratio legis der Konvention gegen Genozid liegt somit darin, das Dasein der genannten Gruppen in ihrer physischen Existenz und ihrem biologischen Fortbestand zu gewährleisten 69 • Der Schutz ist dabei auf das "Existenzminimum" beschränkt. Dem Einzelnen wird lediglich sein Lebensrecht innerhalb der Gruppe gewährleistet 70.

der Gruppe in eine andere Gruppe sieht er dagegen als Relikt der Originalfassung, nach der Handlungen, die kulturellen Genozid darstellen, erfaßt waren, s. The Prevention of Genocide, S.12; entsprechend auch Robinson, The Genocide Convention, S. 64; s. auch Stillschweig, FW 1949,S.97. 6S s. Jescheck, ZStW 66 (1954), S. 212; die Schädigung der geistigen Integrität betrifft nach Jescheck nur einen Sonderfall des physischen Genozides - gedacht war an die Verteilung von Rauschgift durch die Japaner an die chinesische Bevölkerung; die Hinzufügung der Worte "oder schwerem seelischen Schaden" in lit. b wurde auf Vorschlag Chinas eingefügt, jedoch als vage kritisiert, s. Kunz, AIIL 43 (1949), S. 742. 66 Vgl. die Definition in Art. I, 11 3 (lit. a-e) des Entwurfes des Generalsekretariats der Vereinten Nationen, Abdruck bei Robinson, The Genocide Convention, Anhang 11, S. 122, 124. 67 s. Kunz, AnL 43 (1949), S. 742; insofern besteht eine Abweichung vom Wortlaut der RES 96 (I), in der als ein Aspekt des Völkermordes der Verlust der kulturellen Beiträge von Gruppen genannt wird, s. Robinson, The Genocide Convention, S. 64; die Gründe für die Nichtaufnahme des kulturellen Genozids lagen zum einen darin, daß Abgrenzungsschwierigkeiten zu Begriffen wie der Kolonialisation oder Assimilation bestanden, zum anderen darin, daß man die Schließung eines Minderheitenabkommens für geeigneter hielt, dieses Problem zu lösen, s. Stillschweig, FW 1949, S. 98, Campbell, § 220a StGB, S. 87; hinzu trat möglicherweise die Sichtweise, daß Akte der Brutalität gegen den Geist und die Kultur einer menschlichen Gruppe zwar häufig die ersten Schritte auf dem Weg, der von der Diskriminierung zur Ausrottung führt, darstellen, aber nicht die schrecklichen Aspekte des Massenmordes aufweisen, s. Jacoby, ZStrR 64 (1949), S.476. 68 s. hierzu den Konventionsentwurf des ad-hoc-Ausschusses, der den kulturellen Genozid in Art. III als Zerstörung der Sprache, Religion oder Kultur der Gruppe, z. B. durch das Verbot des Gebrauches der Sprache oder die Zerstörung bzw. Verhinderung des Gebrauches von kulturellen Institutionen oder Gegenständen definiert, Abdruck bei Robinson, The Genocide Convention, als Anhang IV, S. 131 ff. (ß Vgl. Campbell, § 220a StGB, S. 135/6; Art. 11 lit. a-