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German Pages 504 [505] Year 2009
Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Band 95
Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit Herleitungen, Ausprägungen, Entwicklungen
Von Bernhard Kuschnik
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
BERNHARD KUSCHNIK
Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit
Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von Thomas Oppermann in Gemeinschaft mit Heinz-Dieter Assmann K r i s t i a n K ü h l , H a n s v. M a n g o l d t We r n h a r d M ö s c h e l , M a r t i n N e t t e s h e i m Wo l f g a n g G r a f Vi t z t h u m , J o a c h i m Vog e l sämtlich in Tübingen
Band 95
Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit Herleitungen, Ausprägungen, Entwicklungen
Von Bernhard Kuschnik
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Gefördert mit Mitteln des Auswärtigen Amtes.
Die Juristische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen hat diese Arbeit im Sommersemester 2008 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 21 Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7654 ISBN 978-3-428-13038-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
„There is a novel“ he went on. „The book is Wuthering Heights. You get me? This is my larger theory. It doesn’t matter if you are white or yellow or green or a black African Negro. The concept is Homo sapiens. The European is at an advanced technological stage, and the African is at a stage of technology that is more primitive. But all humanity must unite together in the struggle against nature. This is the principle of Wuthering Heights. This is the mission of Homo sapiens. Do you agree?“ I said, „I hear you.“ „Humanity’s struggle to conquer nature,“ the pygmy said fondly. „It is the only hope. It is the only way for peace and reconciliation – all humanity one against nature.“ He sat back in his chair, with his arms crossed over his chest, and went silent. After a while, I said, „But humanity is part of nature, too.“ „Exactly“, the pygmy said. „That is the problem.“ Philip Gourevitch, We wish to inform you that tomorrow we will be killed with our families – Stories from Rwanda
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde in den Jahren 2005–2008 in Bochum, Arusha und Den Haag verfasst und im Sommersemester 2008 von der Juristischen Fakultät der Eberhard Karls Universität in Tübingen als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung sind bis Sommer 2008 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Martin Nettesheim, der mir Freiraum zur eigenen Entfaltung ließ, stets mit wertvollen Hinweisen und konstruktiver Kritik zur Seite stand und das Erstgutachten erstattete. Für die zügige Anfertigung des Zweitgutachtens danke ich Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Graf Vitzthum, LL.M. Den faktischen Anstoß für die Wahl des Themas gaben Frau Prof. Dr. Adelheid Puttler, LL.M. und das Team des Instituts für Friedenssicherungsrecht und humanitäres Völkerrecht (IFHV), Ruhr Universität Bochum. Ihnen wird für Inspiration und Unterstützung herzlich gedankt. Das Büchereipersonal der folgenden Institutionen unterstützte mich tatkräftig beim Auffinden relevanter Literatur: Ruhr Universität Bochum, University of Aberdeen, UN ICTR Library und die ICJ Peace Palace Library. Eine Vielzahl von Freunden hat Anteil am Entstehen der Arbeit. Während meines Forschungsaufenthalts am UN ICTR standen mir insbesondere Aniceth Gaitan, Zachary Sharpe und Harry Caldecott mit Rat und Tat zur Seite. Dem gesamten Team der Coalition for the International Criminal Court (CICC) danke ich für eine wundervolle, erlebnisreiche und sehr lehrreiche Zeit in Den Haag. Weiter ist mein Ausbilder während der Referendar-Anwaltsstation, Dr. h.c. Rüdiger Deckers, hervorzuheben, der mein strafrechtliches Wissen und Können durch seine kompetente und weitsichtige Führung sowie sorgfältige und unverkrampfte Betreuung schärfte. Jens Fronhoffs verdient Dank für seine fortwährende Unterstützung und tief greifende Freundschaft in allen Lebenslagen. Jessica Narloch gab mir (nicht nur) während der Anfertigung der Arbeit bedingungslosen Halt und Sicherheit. Schließlich möchte ich mich an dieser Stelle zutiefst bei meinen Eltern bedanken, die mir seit jeher der größte Rückhalt sind und die Arbeit finanziell unterstützten. Sie haben das Projekt erst möglich gemacht. Meinem Bruder danke ich für ermutigende Worte und tatkräftige Hilfe, wann immer sie anstand. Gewidmet ist die Arbeit meiner Großmutter, Annemarie Schüffny, die sie gern gelesen hätte, sowie den Opfern des Völkermordes von Ruanda. Essen, im Juni 2009
Bernhard Kuschnik
Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einführung
25
A. Einleitung und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
B. Gang der Untersuchungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
Kapitel 2 Genese der Strafgerichtsbarkeit
30
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
B. Entwicklung der individuellen Strafbarkeit bis zur Errichtung des IMT (1400–1919) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Fall Hagenbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Fall Respublica v. De Longchamps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Fall Napoléon Bonaparte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das „Armenien Massaker“ von 1915 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der Fall des Kaisers Wilhelm II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34 34 36 40 41 42
C. Entwicklungen durch das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal und das Tribunal für den Fernen Osten (1941–1948) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Weg nach Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Nürnberger Kriegsverbrecherprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritik am Strafverfahren und Nürnberger Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ex post facto Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Nullum crimen sine lege“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beachtung von fair trial und tu quoque . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Internationale Militärgerichtshof für den Fernen Osten . . . . . . . . . . . 1. Das Statut des IMTFE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Tokio Prozess am IMTFE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44 45 48 55 56 65 66 69 69 71
D. Die Nachfolgeprozesse von Nürnberg und Tokio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Weitere Kriegsverbrecherprozesse gegen japanische Kriegsverbrecher . . II. Die Nürnberger Nachfolgeprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73 73 74
10
Inhaltsverzeichnis
E. Weiterentwicklungen des Gesamttatbestandes durch die UN (1951–1996) – Bestätigende und weiterführende Resolutionen der U.N. und die Drafts der International Law Commission (ILC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Draft Code of Offence against the Peace and Security of Mankind v. 1951 (ILC Draft Code v. 1951) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Draft Code of Offence against the Peace and Security of Mankind v. 1954 (ILC Draft Code v. 1954) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind v. 1988 (ILC Draft Code v. 1988) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind v. 1991 (ILC Draft Code v. 1991) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind v. 1996 (ILC Draft Code v. 1996) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F.
Die I. II. III. IV. V.
78 79 80 82 82 84
Errichtung international(isiert)er Straftribunale und des ICC (1993–2007) Errichtung des ICTY . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Errichtung des ICTR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Errichtung des ICC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Errichtung des Sondergerichts für Sierra Leone (SCSL) . . . . . . . . . . . . . . Die Serious Crime Unit für Ost Timor und das Jakarta Menschenrechtsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Spezialkammern für Kambodscha/The Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia (ECCC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Der Höhere Gerichtshof für den Irak (IHT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anmerkungen zum Urteil Saddam Hussein et al. . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik am Hussein Urteil – Ex post facto und „Siegerjustiz“ . . . . . . .
86 87 90 95 104
G. Nationalstaatliche Bestimmungen und Verfahren (1954–2006) . . . . . . . . . . . . . . I. Deutsche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Israel und der Fall Eichmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Fall Finta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Fall Mugesera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung der kanadischen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Fall Barbie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Fall Touvier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorbemerkung zu den Fällen Papon und Aussaresses . . . . . . . . . . . . . 4. Der Fall Papon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Fall Aussaresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bewertung der französischen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
134 136 137 139 139 143 145 146 146 149 151 152 154 156
108 115 121 124 127
H. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
Inhaltsverzeichnis
11
Kapitel 3 Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
159
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 B. Struktur des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit . . I. Einleitung und Konkretisierung des Ganges der Untersuchungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Mikrokriminelle Einzeltat, makrokrimineller Gesamtkontext, Gesamttat und „conduct – consequence – circumstance“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konkretisierung des mikrokriminellen „conducts“, und makrokriminellen „course of conduct“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Allgemeine actus reus Voraussetzungen des „conducts“ im Rahmen der Einzeltat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Täterschaftliche Ausführungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Planung („planning“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufstachelung („instigating“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anweisung („ordering“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Begehung i. e. S. – „Ausführung“ („committing“) . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Teilnahmehandlungen durch „aiding“ und „abetting“ . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unterlassen („omission“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strafbarkeit der Unterlassungshandlung für alle tauglichen Begehungsformen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen von „aiding“ und „abetting“ durch Unterlassen . . . . 3. Voraussetzungen von Unterlassen auf Grund Nichtbeachtung einer Handlungspflicht zum Einschreiten („failure of duty to prevent or punish“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strafbarkeit von Unterlassungshandlungen für alle enumerierten Katalogstraftaten des Verbrechens gegen die Menschlichkeit? . . . . . . . . . D. Einzeltatbestandsübergreifende mens rea Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . I. „Intent“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Knowledge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wissen bezüglich des makrokriminellen Gesamtkontextes . . . . . . . . . 2. Wissen bezüglich der Teilnahme innerhalb des makrokriminellen Gesamtkontextes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
161 161 164 165 167 171 172 174 178 179 181 186 187 188
190 192 197 200 201 201 202
E. Täterkreis und objektiver Nexus zwischen Einzeltat und Gesamtkontext? . . . . 204 F.
„Diskriminierender Grund“ – chapeau oder Einzeltatbestandselement – oder beides? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 I. Der diskriminierende Grund innerhalb des chapeaus – „discriminatory grounds“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 II. Der diskriminierende Grund innerhalb der Einzeltatbestände – „discriminatory intent“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
12
Inhaltsverzeichnis III.
Wechselwirkung zwischen dem im chapeau enthaltenen, und dem im Verfolgungstatbestand kodifizierten „diskriminierenden Grund“ . . . . . . . 214
G. Wechselwirkungen zwischen Gesamtkontext und Einzeltatbeständen . . . . . . . . 215
Kapitel 4 Chapeau-Elemente
217
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 B. Der (Gesamt-)Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Merkmale des Angriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der „gewaltfreie“ Angriff? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erforderlichkeit einer mehrfachen Begehung des Angriffs? . . . . . . . . 3. Verbindung zwischen dem Angriff und dem Beschuldigten – „as part of [. . .] the attack“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die erforderliche Natur des Angriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgedehntheit („widespread“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Systematik („systematic“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Politik-Element („policy“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Politik-Element und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Politik-Element als generelles Tatbestandsmerkmalerfordernis? . . 4. Kriminologischer Exkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Makrokriminalität“ als Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Jägers Interpretation des Präfixes „Makro“ . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Begriff „Kriminalität“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Menschheitsverbrechen und Makrokriminalität als pervertierte Weiterführung einer (de facto) staatlichen Politik? – Der kriminologische Ursprung des „Politik-Elements“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Staatsgerichtete Erklärungsansätze für Verbrechen gegen die Menschlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Weiterführende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Konjunktive oder disjunktive Anwendung von „widespread“ und „systematic“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. „Gerichtet gegen jegliche Zivilbevölkerung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gerichtet gegen („directed against“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Jegliche („any“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. „Zivilbevölkerung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterscheidung „Zivilist – Kombattant“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriff der „Zivilbevölkerung“ im bewaffneten Konflikt, nicht bewaffneten Konflikt und in Friedenszeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
218 219 221 222 229 230 231 232 234 234 235 243 243 246 248
249 249 251 254 255 257 259 262 262 264 266
Inhaltsverzeichnis
IV.
a) Polizisten als Zivilisten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufhebung der Unterscheidung „Zivilisten – Kombattanten“? . . . c) Terroristen als Zivilisten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Zivilbevölkerung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bevölkerungszugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesamtzahl der Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geographische Reichweite des Angriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 266 269 270 273 273 274 276
D. Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 I. Nexus zum bewaffneten Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 II. Mens rea bezüglich des chapeaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
Kapitel 5 Enumerierte Einzeltatbestände
282
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 B. Verbrechen gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit . . . . . . . . . . . I. „Mord“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definition des Mordtatbestandes nach den ICC Elements of Crimes 2. Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mens rea – „murder“ oder „assassinat“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problemdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausrottung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definition der „Ausrottung“ nach dem ICC Statut und den Elements of Crimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Merkmal der „Massenvernichtung“ („destruction of part of a population“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Merkmal der Zielgerichtetheit gegen jegliche bestimmbare oder benannte Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beteiligungsgrad an der „Ausrottungshandlung“ . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mens rea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Folter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definition der „Folter“ nach dem ICC Statut und den Elements of Crimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatbestandsmerkmale der Folter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ernsthafte physische oder psychische Schmerzen . . . . . . . . . . bb) Gewahrsam oder unter Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtmäßige Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
283 283 283 284 285 286 289 291 291 292 292 295 296 297 299 299 300 301 302 306 306
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Inhaltsverzeichnis dd) Keine Notwendigkeit der Ausführung auf Veranlassung des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Notwendigkeit eines spezifischen Zwecks (verbotener Zweck) b) Keine Rechtfertigungsmöglichkeit für Folterhandlungen . . . . . . . . 3. Mens rea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
C. Sexualisierte Verbrechen („gender crimes“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tatbestandsübergreifendes Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vergewaltigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Handlungspraktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Reichweite der Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bewertung der Definitionsansätze in Akayesu, Furundzˇija, Kunarac und Muhimana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zwang und Gewalt („coercion“ und „force“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) „Ohne Zustimmung des Opfers“ und Unbeachtlichkeit einer Widerstandshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtslage zum äußeren Nichtzustimmungserfordernis . . . . . bb) Argumente Für und Gegen das innere Nichtzustimmungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Definition der „Vergewaltigung“ nach den Elements of Crimes . . 3. Mens rea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sexuelle Sklaverei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zur Versklavung, Vergewaltigung und Nötigung zur Prostitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sexuelle Sklaverei 6 Sklaverei + Vergewaltigung . . . . . . . . . . . . . b) Sexuelle Sklaverei 6 Nötigung zur Prostitution . . . . . . . . . . . . . . . 3. Definition der „sexuellen Sklaverei“ nach den Elements of Crimes . . 4. Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Notwendigkeit einer monetären Leistungserbringung . . . . . b) „Ähnlich [. . .] verübte Freiheitsberaubung“ („similar deprivation of liberty“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Teilnahme an Handlungen sexueller Natur („caused such person [. . .] to engage in one or more acts of a sexual nature“) . . . . . . . . d) Keine Zustimmung des Opfers erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Mens rea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Nötigung zur Prostitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zu anderen Tatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
307 312 314 315 315 315 318 319 319 320 321 325 326 329 331 331 334 336 338 339 339 340 340 343 345 345 345 348 349 349 349 350 350 350
Inhaltsverzeichnis
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3. Definition der Nötigung zur Prostitution nach den Elements of Crimes 4. Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Notwendigkeit einer monetären Leistungserbringung . . . . . b) Art und Weise der Zwangsausübung („by force, or threat of force or coercion“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Mens rea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Erzwungene Schwangerschaft („Forced Pregnancy“) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzgut und Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Definition der „erzwungenen Schwangerschaft“ nach dem ICC Statut und den Elements of Crimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mens rea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Zwangssterilisation („Enforced Sterilization“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Definition der Zwangssterilisation nach den Elements of Crimes . . . 3. Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mens rea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Jede andere Form sexueller Gewalt [von vergleichbarer Schwere] („Crime against humanity of sexual violence“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definition der sexuellen Gewalt nach den Elements of Crimes . . . . . 2. Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mens rea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Exkurs: Das Verbrechen der Zwangsheirat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Legalitäts- und Abgrenzungsproblematiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Ehe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Zwang“ und „mangelndes Einverständnis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Handlungsvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Faktische Unauflösbarkeit der Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Handlung ejusdem generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
351 352 352
D. Verbrechen gegen die Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Freiheitsentzug („imprisonment“) oder sonstige schwerwiegende Beraubung der körperlichen Freiheit unter Verstoß gegen die Grundregeln des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definition „Freiheitsentzug oder sonstige schwerwiegende Beraubung der körperlichen Freiheit“ nach den Elements of Crimes . . . . . . 2. Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mens rea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Versklavung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
353 354 354 354 356 356 358 358 358 359 360 361 361 361 362 365 365 365 367 368 372 373 373 376 376 376 377
377 378 378 380 381
16
Inhaltsverzeichnis
III.
IV.
V.
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Definition der Versklavung nach dem ICC Statut und den Elements of Crimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überwirkung des Artikel 1 der Sklavereikonvention von 1926 auf die derzeitigen actus reus Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auswirkung der ICTY Kunarac Rechtsprechung auf den Sklavereitatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mens rea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Nicht sexualisierte] Sklavereiähnliche Praktiken („slavery related practices“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Menschenhandel („trafficking in persons“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schuldknechtschaft („debt bondage“) und Leibeigenschaft („serfdom“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwangsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mens rea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kinderarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwangsweises Verschwindenlassen von Personen („enforced disappearance“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Definitionsbestimmung des „zwangsweisen Verschwindenlassens“ von Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Freiheitsentzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nichtanerkennung/Auskunftsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beteiligung des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Andauernder Zeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Keine Rechtfertigung für zwangsweises Verschwindenlassen . . . . 4. Mens rea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung („Deportation“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definitionsbestimmung der „Vertreibung und zwangsweisen Überführung der Bevölkerung“ nach dem ICC Statut und den Elements of Crimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mens rea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
381 383 383 384 385 388 388 388 393 393 394 394 395 396 396 396 398 401 402 403 404 405 405 406 407
407 408 411
E. Diskriminierungsverbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 I. Verfolgung („persecution“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 1. Definitionsbestimmung des Verbrechens der Verfolgung . . . . . . . . . . . 413
Inhaltsverzeichnis
II.
F.
Der I. II. III. IV.
17
2. Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beraubung fundamentaler Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zielgerichtetheit der Rechtsberaubung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aus diskriminierenden Gründen („discriminatory grounds“) . . . . d) Tatbestandsnexus zu anderen Verbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mens rea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Hasspredigt („hate speech“) als Verfolgung im Rahmen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ruggiu und Nahimana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unklarheiten in der völkerrechtlichen Bewertung von Hasspredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bewertung der Urteilsgründe in Ruggiu und Nahimana . . . . . . . . . d) Die Hasspredigt und Meinungsfreiheit – ein Widerspruch? . . . . . Das Verbrechen der Apartheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Definitionsbestimmung des Verbrechens der Apartheid nach dem ICC Statut und den Elements of Crimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tauglicher Täterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tatbegehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) „Ähnliche Handlungen“ („acts of a character similar to those referred to in paragraph 1“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) „Systematische Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer rassischer Gruppen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) „Systematische Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer rassischer Gruppen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Mens rea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
415 416 419 420 423 424
444 445
Auffangtatbestand „andere unmenschliche Handlungen“ . . . . . . . . . . . . . . . Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definitionsbestimmung nach dem ICC Statut und den Elements of Crimes Actus reus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mens rea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
447 447 448 449 453
425 426 428 430 434 436 436 438 439 439 441 442 442 443
Kapitel 6 Ausblick
456
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 Personen- und Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498
Abkürzungsverzeichnis I. Zeitschriften AFLA AFR AJHR AJIL AJLeg.Hist. Alb.LRev. Am.Soc’y Int’l LProc. Am.U. Int’l L. Rev. Annals Internal Med. AöR ARV B.C. Int’l&Comp. L.Rev. B.C. Third World LJ BJIL BJWA Brit.Med.J B.U. Int’l LJ BYIL Call.Crim.LRev. Cambridge LJ Case WJInt’l L Case W.Res.J.Int’l L CGS Chinese J Int’l L CHum.RtsLRev. CJL&Soc.Probs. CJTransnat’lL Cornell Int’lLJ CrimLForum Crim.LRev. Crit.Inq. Denv. JInt’l L&Pol’y DtZ Duke JComp. & Int’l L
African Legal Aid African Renewal (ehemals: African Recovery) Australian Journal of Human Rights American Journal of International Law American Journal of Legal History Albany Law Review American Society of International Law Proceedings American University International Law Review Annals Internal Medicine Archiv des öffentlichen Rechts Archiv des Völkerrechts Boston College International and Comparative Law Review Boston College Third World Law Journal Berkeley Journal of International Law Brown Journal of World Affairs British Medical Journal Brunswick University International Law Journal British Yearbook of International Law California Criminal Law Review Cambridge Law Journal Case Western Journal of International Law Case Western Reserve Journal of International Law Comparative Genocidal Studies Chinese Journal of International Law Columbia Human Rights Law Review Columbia Journal of Law and Social Problems Columbia Journal of Transnational Law Cornell International Law Journal Criminal Law Forum Criminal Law Review Critical Inquiry Denver Journal of International Law & Policy Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift Duke Journal of Comparative and International Law
Abkürzungsverzeichnis Duke LJ EJ Crime, Crim.L& Crim.Just. EJIL EJST Emory Int’l LRev. FAZ Fem. Leg. Stud. Fordham Int’lLJ Fordham LRev. GeoLJ GewArch GLJ Guild. Prac. GW Int’l LRev Harv. CR – CLLRev. Harv. Hum. Rts. J Harv. Int’l LJ Harv. Int’l Rev. Harv. Womens’ LJ HGS Hist.J Hofstra L&Pol’y Symp. Hofstra LRev. How. LJ HR Hum.Rts.Brief Hum.Rts. LRev. Hum.Rts.Q Hum. Rts. Rev. HuVI ICLQ ILR ILSA J Int’l Comp. L Ind.Int’l&Comp.L.Rev. Int’l Affairs Int’lCrimLRev. Int’l J Transnat. Just. Int’l L Int’l Law. Iowa L Rev. IPG
Duke Law Journal European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice European Journal of International Law European Journal of Social Theory Emory International Law Review Frankfurter Allgemeine Zeitung Feminist Legal Studies Fordham International Law Journal Fordham Law Review Georgetown Law Journal Gewerbe Archiv German Law Journal Guild Practitioner George Washington International Law Review Harvard Civil Rights – Civil Liberties Law Review Harvard Human Rights Journal Harvard International Law Journal Harvard International Review Harvard Womens’ Law Journal Holocaust and Genocide Studies Historical Journal Hofstra Law and Policy Symposium Hofstra Law Review Howard University Law Journal Hague Recueil Human Rights Brief Human Rights Law Review Human Rights Quarterly Human Rights Review Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften International and Comparative Law Quarterly International Law Reports ILSA Journal of International and Comparative Law Indian International and Comparative Law Review International Affairs International Criminal Law Review International Journal of Transnational Justice International Law International Lawyer Iowa Law Review Zeitschrift für Internationale Politik und Gesellschaft
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20 IRRC Isr. LJ Isr. L.Rev. JA JAMA JCrim.L&Crim’gy JGR JGSPol.&L JHist.Rev. JInt’l Affairs JInt’l Crim. Just. JöR JPol. Phil. JuS JZ Krim.J KritV
Abkürzungsverzeichnis
International Review of the Red Cross Israel Law Journal Israel Law Review Juristische Ausbildung Journal of the American Medical Association Journal of Criminal Law and Criminology Journal of Genocide Research Journal of Gender, Social Policy and the Law Journal of Historical Review Journal of International Affairs Journal of International Criminal Justice Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Journal of Political Philosophy Juristische Schulung Juristische Zeitung Kriminologisches Journal Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Law&Soc.Inq. Law and Social Inquiry LJIL Leiden Journal of International Law LPICT Law and Practice of the International Courts and Tribunals Maastricht J.E.&Comp.L Masstricht Journal of European and Comparative Law MEQ Middle East Quarterly Mil.L.Rev Military Law Review MJECL Maastricht Journal of European and Comparative Law MJInt’l L Michigan Journal of International Law MState J Int’l L Michigan State Journal of International Law Murd. Elec. JL Murdoch Electronic Journal of Law Nav. War Coll. Rev. Naval War College Review N.C. JInt’l L& North Carolina Journal of International Law and CommerComm.Reg. cial Regulation New Engl. Int’l& Comp. L Ann. New England International and Comparative Law Annual New Engl. JMed. New England Journal of Medicine New Engl. LRev. New England Law Review NJ Neue Justiz NJIL Nordic Journal of International Law NJW Neue Juristische Wochenschrift NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NY Rev. Books New York Review of Books NYUJInt’l L&Pol. New York University Journal of International Law and Politics NYULRev. New York University Law Review
Abkürzungsverzeichnis OrLRev. Phil. Studies PNAS Pol. Studies Refugee Survey Q RevL&Soc. Change Rhode Island Med. J RIDP San Diego Int’l LJ SJZ Soc.Theory&Prac. Stan.LRev. StV Tex. Int’l LJ TJComp.&Int’l Law UBrunswick LJ U.C. Davis J Int’l L& Pol’y U ChicagoLRev. UCLA JInt’l L& Foreign Affairs UColoLRev. UDML.Rev. U New South Wales LJ UQueensland LJ Vand.JTransn’l L Virg. JInt’l L Virg. LRev. Warsaw Transatlantic LJ Wayne LRev. Windsor YB of Access and Just. WOntario LRev. Yale JInt’l L Yale JL&Hum’ty Yale LJ Y Int’l Env’l L ZaöRV ZIS ZRP ZStW
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Oregon Law Review Philosophical Studies Proceedings of the National Academy of Sciences Political Studies Refugee Survey Quarterly Review of Law and Social Change Rhode Island Medical Journal Revue Internationale De Droit Pénal San Diego International Law Journal Süddeutsche Juristenzeitung Social Theory and Practice Stanford Law Review Strafverteidiger Texas International Law Journal Tulsa Journal of Comparative and International Law University of Brunswick Law Journal University of California Davis Journal of International Law and Policy University of Chicago Law Review University of California Los Angeles Journal of International Law and Foreign Affairs University of Colorado Law Review University of Detroit Mercy Law Review University of New South Wales Law Journal University of Queensland Law Journal Vanderbilt Journal of Transnational Law Virginia Journal of International Law Virginia Law Review Warsaw Transatlantic Law Journal Wayne Law Review Windsor Yearbook of Access and Justice Western Ontario Law Review Yale Journal of International Law Yale Journal of Law and Humanity Yale Law Journal Yearbook of International Environmental Law Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
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Abkürzungsverzeichnis II. Sonstiges
AFRC AI ASDT ATCA CAVR CCL No. 10 CDF CICC CIJ CPA CTF ECCC ECHR ECJ ECOWAS ESO FALINTIL FAR FCKW FDLR FPR FRETILIN (auch Fretelin) GA HJ HRW IACHR IACPWC IAD ICC ICCPR ICECR ICJ ICRC ICTR ICTY IGC IHT ILC IMT
Armed Forces Revolutionary Council Amnesty International Associaçao Social-Democrata de Timor Alien Tort Claims Act Commissão de Acolhimento, Verdade e Reconcillação Control Council Law No. 10 Civil Defence Forces Coalition for the International Criminal Court Coalition for International Justice Coalition Provisional Authority Commission of Truth and Friendship Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia European Court of Human Rights European Court of Justice Economic Community of West African States École Sous Officiers Forças Armadas de Libertação National de Timor Leste Forces Armées Rwandaise Fluorchlorkohlenwasserstoffe Democratic Forces of Rwanda Front Patriotique Rwandais Frente Revolucionária de Timor-Leste Independente General Assembly Hitler Jugend Human Rights Watch Inter American Court of Human Rights Inter-Allied Commission on the Punishment of War Crimes Immigration and Refugee Board Appeal Division International Criminal Court International Covenant on Civil and Political Rights International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights International Court of Justice International Committee of the Red Cross International Criminal Tribunal for Rwanda International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia Iraqi Governing Council Iraqi Higher Criminal Court International Law Commission International Military Tribunal
Abkürzungsverzeichnis IMTFE INCERD INTERFET IST KPP – HAM KUHP KZ LSE MRND NS OPCD OSCE OSS OTP PCIJ PrepCom Res. RPE RStGB RTLM RUF S.A. SCOPET SCSL S.S. StGB StPO TFV TVPA UDHR UDSSR UDT UN UNAMET UNAMSIL UNESCO UNICEF UNTAET
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International Military Tribunal for the Far East Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination International Force East Timor Iraqi Special Tribunal Komisi Penyelidik Pelanggaran Hak Asasi Manusia di Timor Timur Kitab Undang-Undang Hukum Pidana Konzentrationslager London School of Economics Mouvement Révolutionnaire National pour le Développement Nationalsozialismus Office of Public Council for the Defence Organization for Security and Co-operation in Europe Office of Strategic Services Office of the Prosecutor Permanent Court of International Justice Preparatory Committee for the Establishment of an International Criminal Court Resolution Rules of Procedure and Evidence Reichsstrafgesetzbuch Radio-Télévision des Milles Collines Revolutionary United Front Sturmabteilung Serious Criminal Offences Panels in East Timor Special Court for Sierra Leone Schutzstaffel Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Trust Fund for Victims Torture Victims Protection Act Universal Declaration of Human Rights Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken União Democrática Timorense United Nations United Nations Mission in East Timor United Nations Mission in Sierra Leone United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization United Nations Children’s Fund United Nations Transitional Administration in East Timor
24 UNWCC VR VStGB WCGJ ZP
Abkürzungsverzeichnis United Nations War Crimes Commission Volksrepublik Völkerstrafgesetzbuch Women’s Caucus for Gender Justice Zusatzprotokoll
Kapitel 1
Einführung A. Einleitung und Zielsetzung Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit ist Gegenstand einer mehr als fünfzig Jahre andauernden Kontroverse. Kaum ein anderes Verbrechen des Völkerstrafrechts1 wurde seit seiner Entstehung so stark in Zweifel gezogen, hat im Laufe seiner Entwicklung verschiedenste Tatbestandsausprägungen erhalten2 und entwickelte sich im Zuge seiner stetigen rechtsgeschichtlichen Entwicklung zu einem leitenden Instrumentarium der völkerrechtlichen Strafverfolgung. Bei einer Vielzahl der aufsehend erregenden Völkerstrafrechtsprozesse der heutigen Zeit – man denke an die Verfahren gegen Slobodan Milosevic oder Saddam Hussein, sowie die zu erwartenden Urteile gegen den ehemaligen Präsidenten Liberias Charles Taylor, den „Duch“ Kaing Gueck Eav, seinerzeit Leiter des Folterzentrums S-21 während der Roten Khmer in Kambodscha, oder Radovan Karadzic – spielt der Vorwurf, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, eine der Hauptrollen. Ohne zu weit vorzugreifen, sei – was die dogmatische Ausgestaltung betrifft – auf Art. 6 (c) des Statuts des Nürnberger Tribunals (sog. IMT Statut) verwiesen. Der dort kodifizierte Tatbestand vermittelt einen ersten Eindruck, was unter einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verstehen ist: Er stellt nach allgemeiner Ansicht zudem die erste (und bis heute auch kürzeste) Definition dar. Freilich ist Art. 6 (c) IMT Statut – obgleich sich vieles in den kontemporären Definitionen wiederfinden lässt – aus völkergewohnheitsrechtlicher Sicht nicht mehr vollumfänglich gültig. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Art. 6 (c) IMT Statut vor über 50 Jahren verfasst wurde und der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit seitdem einem
1 Unter dem Begriff „Völkerstrafrecht“, erstmals gebraucht von Beling, wird die Gesamtheit aller völkerrechtlichen Normen verstanden, die strafrechtliche Rechtsfolgen anordnen. Er setzt sich zusammen aus einer Fusion zweier Rechtsgebiete, Völkerrecht und nationales Strafrecht, Bassiouni, Int. Criminal Law I, 1; Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, 40. 2 Vgl. nur die respektiv divergierenden Tatbestandsdefinitionen in Art. 6 (c) IMT Statut, Art. 5 (c) IMTFE Statut, Art. 3 ICTR Statut, Art. 5 ICTY Statut, Art. 2 SCSL Statut, Art. 5 ECCC Statut, Art. 7 ICC Statut, UNTAET Abs. II, Sekt. 5, Art. 12 IHT Statut.
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Kap. 1: Einführung
fortwährenden Wandel ausgesetzt war. Die eingetretene vermehrte Tatbestandsanwendung ist (somit auch) auf ein modifiziertes Verständnis rückführbar: „Artikel 6: [. . .] Die folgenden Handlungen, oder jede einzelne von ihnen, stellen Verbrechen dar, für deren Aburteilung der [Anm. Nürnberger] Gerichtshof zuständig ist. Der Täter solcher Verbrechen ist persönlich verantwortlich: [. . .] (c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Nämlich: Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation oder andere unmenschliche Handlungen, begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung vor oder während des Krieges, Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, begangen in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist, und zwar unabhängig davon, ob die Handlung gegen das Recht des Landes verstieß, in dem sie begangen wurde, oder nicht. [. . .]“3
Auf der juristischen Diskussionsebene ist die Debatte über „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ seit jeher primär dogmatisch geprägt gewesen. Zuvorderst ist sich mit der Konkretisierung der jeweiligen Tatbestandsmerkmale auseinander gesetzt worden. Durch die Rechtsprechung des im Jahr 1993 errichteten UN Tribunals für das ehemalige Jugoslawien (sog. ICTY) in Den Haag zur Aburteilung der unter der Federführung Milosevic´s verübten Grausamkeiten, sowie des 1994 errichteten UN Tribunals für Ruanda (sog. ICTR) in Arusha, Tansania zur Aburteilung des an den Tutsis begangenen Völkermordes, konnte eine bemerkenswerte Weiterentwicklung und Konkretisierung erreicht werden. ICTY und ICTR sind allerdings, da sie nur Handlungen in begrenzen Konfliktzonen (Jugoslawien, Ruanda) aburteilen, die in einem bestimmten Zeitraum begangen wurden, in ihrer Jurisdiktionskompetenz örtlich und zeitlich begrenzt, weswegen sie als ad hoc Straftribunale bezeichnet werden. In der Folgezeit unternahm die Staatengemeinschaft Anstrengungen, einen ständigen internationalen Strafgerichtshof (International Criminal Court – ICC) zu errichten. Dessen Statut, welches mit Stand vom 1. August 2008 von 108 Staaten ratifiziert ist, sieht erhebliche Präzisierungen und Erweiterungen für den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit vor. Auch die einsetzende Rechtsprechung von sog. gemischten internationalen Tribunalen – etwa das im Jahr 2002 errichtete Sondergericht für Sierra Leone (SCSL), oder (nationalen) Sondergerichten, etwa das Iraqi High Tribunal (IHT) oder die in Kambodscha etablierten Spezialkammern (ECCC), werden dogmatische Konkretisierungen hervorbringen. Schließlich nahm auch die nationale Rechtsprechung einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Definition. Zwar ist sich in der Fachliteratur bereits mit der dogmatischen Erörterung des Tatbestandes beschäftigt worden4. Gleichwohl bestehen weiterhin viele unge3
Zu Artikel 6 (c) IMT Statut ausführlich siehe unten Kapitel 2 C.III.2. In der deutsprachigen Literatur sind besonders hervorzuheben: Burkhardt, Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit – Sexualisierte Gewalt, Makro4
B. Gang der Untersuchungshandlung
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klärte Fragen, die sich etwa durch die Anschläge des 11. September ergeben haben5 oder durch die Rechtsprechung verursacht sind. Zudem bieten die in Art. 7 ICC Statut aufgenommenen Tatbestandskonkretisierungen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit bisher noch nicht angesprochenes Konfliktpotential. Die vorliegende Arbeit möchte den dogmatischen Blick für den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit schärfen. Sie begreift sich nicht als eine exklusive Wiedergabe des status quo, zumal ein derartiger Ansatz schon von Stephan Meseke gewählt worden ist6. Vielmehr soll die Dogmatik des Gesamttatbestandes hinterfragt, und Entwicklungs- und Verbesserungspotential aufgezeigt werden.
B. Gang der Untersuchungshandlung Die Analyse des Gesamttatbestandes setzt eine rechtshistorische Auseinandersetzung voraus. Im Gegensatz zum Verbrechen des Völkermordes7 existierte bis zur Verabschiedung des ICC Statuts im Jahr 1998 kein multilateraler Vertrag, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit umfassend legal definiert hätte. Der Gesamttatbestand ist primär aus Völkergewohnheitsrecht gewachsen. Eine nähere Beschäftigung mit der Rechtshistorie des Tatbestandes bildet somit die Grundlage für weiter führende Erörterungen. Dass eine geschichtliche Aufarbeitung nicht nur das akademischen Verständnis fördert, sondern auch für die Gerichtspraxis von größter Bedeutung ist, hat sich erst im Jahre 2006 wieder im Saddam Hussein Urteil des IHT gezeigt. Einer der vorrangigen Streitpunkte war dort, ob das Gericht wegen einer Verurteilung Husseins auf Grundlage begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit unzulässiges ex post facto Recht angewendet hat, weil es davon ausging, dass der Tatbestand schon im Jahr 1982 nicht mehr – wie es noch Art. 6 (c) IMT Statut vorsah – lediglich in Kriegs-
kriminalität und Völkerstrafrecht; Meseke, Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes; Becker, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Überlegungen zur Problematik eines völkerrechtlichen Strafrechts; Krone, Die Volksverhetzung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Berücksichtigung der soziologischen, psychologischen und sozialpsychologischen Gesetzmäßigkeiten des zugrunde liegenden Aggressionsprozesses sowie des historischen und kriminologischen Hintergrundes von § 130 StGB. 5 Fraglich ist insbesondere, ob ein singulärer makrokrimineller Akt, wie etwa das Steuern eines Flugzeugs in einen Wolkenkratzer, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen kann. Zur Auslegung von „multiple“ commission of acts als Ausformung der chapeu Elemente innerhalb des Gesamttatbestandes siehe unten Kapitel 4 B.I.2. 6 Meseke, Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes. 7 Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948, BGBl. 1954 II, 730.
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Kap. 1: Einführung
zeiten begangen werden konnte, sondern sich zum damaligen Zeitpunkt schon in einem solchen Maße weiterentwickelt hatte, dass völkergewohnheitsrechtlich betrachtet der Nexus entbehrlich war. Die Rechtshistorie ist zudem nicht stehen geblieben und hat Klarstellungen und Präzisierungen erforderlich werden lassen, die noch keine Erwähnung fanden. Viele Aussagen bekannter Fälle aus der nationalen Rechtsprechung, die sich mit der Dogmatik des Verbrechens gegen die Menschlichkeit beschäftigen, sind durch neuere Urteile modifiziert worden. Die französische Barbie und Touvier Rechtsprechung ist durch Papon und Aussaresses grundlegend modifiziert worden. Und das vom ICTY in Tadic´ zitierte Finta Urteil nahm der Kanadische Supreme Court im Auslieferungsfall Mugesera fast vollumfänglich zurück. Schließlich lassen sich neuere Urteile von Sondergerichten finden, die eine erste Präzisierung des Artikels 7 des ICC Statuts erkennen lassen. Aufschlussreich sind vor allem die vom IHT in Hussein getroffenen Feststellungen zur Dogmatik des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, da die dort angewandte Definition des Gesamttatbestandes (Art. 12 IHT Statut) fast wortgleich mit Art. 7 ICC Statut übereinstimmt. Das vom IHT am 5. November 2006 ergangene, und von der Berufungskammer am 26. Dezember 2006 bestätigte Saddam Hussein AlDujail Urteil ist folglich einer ausführlichen Analyse unterzogen worden8. Die Kapitel 3 bis 5 stellen die rechtsdogmatische Analyse des Gesamttatbestandes i. e. S. dar. In Kapitel 3 werden die tatbestandsübergreifenden Strafbarkeitsvoraussetzungen erörtert. Neben Ausführungen zur grundlegenden Struktur des Verbrechenstatbestandes in Gesamttatbestand, Gesamtkontext, und Einzeltatbestände ist vornehmlich auf die tauglichen Begehungsformen (Handlung, Unterlassung, Beihilfe etc.), sowie auf die allgemeinen subjektiven Strafbarkeitsvoraussetzungen Bezug genommen. Besondere Berücksichtigung findet die Begehungsvariante des Unterlassens im Wege der Beihilfehandlung. Das Kapitel 4 beschäftigt sich mit den vor die Klammer gezogenen Elementen des makrokriminellen Gesamtkontextes (sog. chapeau) – der Gesamtangriff, der gegen jegliche Zivilbevölkerung gerichtet sein muss –. Durch die nachgewiesene Verbindung zwischen der vom Täter begangenen Einzeltat und dem im chapeau kodifizierten makrokriminellen Kontext zieht das Verbrechen gegen die Menschlichkeit die Berechtigung, als Völkerstrafrechtsverbrechen aburteilbar zu sein. Besonderes Gewicht kommt dabei der Frage zu, inwieweit die mehrfache Begehung konstitutive Voraussetzung für die Annahme eines Gesamtangriffes ist, und in wieweit ein Politik – Element in die Bewertung des makrokriminellen Kontextes einzubeziehen ist. Neben den dogmatischen Unklarheiten zu den chapeau Elementen ist der rechtfertigende Ansatzpunkt zur
8 Vgl. dazu auch die bereits gemachten Ausführungen an anderer Stelle; Kuschnik, 7 Chinese J Int’l L (2008), 459.
B. Gang der Untersuchungshandlung
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Aburteilungsbefugnis des Individualtäters strittig9. Des Weiteren wird die Erforderlichkeit eines „objektiven“ Nexuserfordernisses zwischen chapeu und Einzelstraftat diskutiert. Das 5. Kapitel behandelt umfassend den Strafkatalog der enumierierten Einzeltatbestände. Besondere Berücksichtung finden die sich im Fluss befindlichen Sexualdelikte; diskutiert wird inter alia, in wieweit „Zwangsheiraten“ unter die Generalklausel der „anderen Formen sexueller Gewalt“ subsumierbar sind. Um Vollständigkeit zu wahren, wird sich mit jedem in Art. 7 ICC Statut kodifizierten Einzeltatbestand auseinander gesetzt. Auch hier sind bisher kaum erwähnte Probleme erörtert; etwa, ob „Hasspredigten“ unter dem Verfolgungstatbestand subsumierbar sind. Die mit der in Art. 7 (1)(j) ICC Statut einhergehende „makrokriminelle Mischproblematik“ beim Apartheidstatbestand ist soweit ersichtlich erstmals angesprochen. Das 6. und gleichzeitig letzte Kapitel zeichnet einen Ausblick auf die dogmatische Fortentwicklung des Gesamttatbestandes. Besonderes Gewicht ist der Frage beigemessen, inwieweit die schwerwiegende Zerstörung der Umwelt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit deklarierbar ist, und in wieweit Chancen und Ziele für die Präzisierung des Gesamttatbestandes realistisch sind.
9 Vgl. dazu etwa die neuere Darstellung von Kirsch in: Festschrift für Rainer Hamm zum 65. Geburtstag, 269 ff., der annimmt, das chapeu des Gesamttatbestandes sei als „Verfolgungsvoraussetzung“ ausgestaltet.
Kapitel 2
Genese der Strafgerichtsbarkeit A. Einleitung Die historische Entwicklung des Völkerstrafrechts hat sich bis dato durch geschichtliche Katastrophen (weiter)entwickelt. Der 30-jährige Krieg, der Zweite Weltkrieg, und die Völkermorde in Jugoslawien und Ruanda haben faktische Anstöße gegeben, die das Völker(straf)recht fundamental wandelten. Die erste bemerkenswerte Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts ist wohl im Abrücken vom archaischen Gesetz des Stärkeren zu sehen. Ausgangspunkt waren die Erfahrungen des „30-jährigen Krieges“1. Jener vom 23. Mai 1618 bis zum 24. Oktober 1648 andauernde Konflikt war von mindestens 13 Teilkriegen und 10 Friedensschlüssen bestimmt2. Die Aneinanderreihung von Kriegsereignissen in einer derart kurzen Zeit, die zu einem solch quantitativ großen Ausmaß an Leid und Tod führte, war im zwischenstaatlichen Handeln bisher unbekannt. Während es sich bei vorangegangenen Kriegen um einzelne Schlachten handelte, die in der Gesamtschau betrachtet wenig Einfluss auf die Zivilbevölkerung nahmen, waren nunmehr Zivilisten erheblich in den Konflikt involviert. Aufgrund von Soldatenknappheit wurden eine Vielzahl von Bauern und Söldnern angeworben, was zu einer de facto Entvölkerung vieler in „Süddeutschland“ befindlicher Landstriche führte. Auch die Kriegsführung änderte sich drastisch. Zum einen wurden Heere von vorherig unvorstellbarer Größe aufgestellt; eine Truppenstärke von 100.000 Mann waren keine Seltenheit mehr. Zum anderen kamen erstmalig brauchbare Handfeuerwaffen zum Einsatz, die die Verlustzahlen erheblich ansteigen ließen. Aufgrund der verheerenden Folgen des 30-jährigen Krieges einigten sich die (europäischen) Staaten darauf, dass eine fortwährende gegenseitige Souveränitätsverletzung der respektiven Staaten untereinander nicht mehr hinnehmbar ist. Im Westfälischen Vertrag von 1648 wurde die Anerkennung der staatlichen Souveränität als Kernpunkt der zwischenstaatlichen Interaktion festgeschrieben. Eine Intervention sollte nur dann stattfinden, wenn es der Staat durch Abschluss von Verträgen oder Zugeständnissen freiwillig hinnahm. Das Zusam1
Jackson, 97 AJIL (2003), 782 (786). Ursache des Krieges waren vor allem konfessionelle und ständische, sowie dynastische Interessenkonflikte in Mitteleuropa. 2
A. Einleitung
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menspiel der Staaten begriff sich seitdem bis weit in das 20. Jahrhundert primär als ein Nebeneinander der Völkerrechtssubjekte, statt als ein Miteinander. Zwischenstaatliche Regeln waren auf ein Minimum beschränkt3 und betrafen vornehmlich zwischenstaatliche Kompetenzkonflikte. Es entwickelte sich das Verständnis, dass sich grundsätzlich die fremde Einmischung in die Angelegenheiten eines Staates verbietet. Wurde diese Grundregel verletzt, lag ein Völkerrechtsbruch vor. Ein solcher konnte nur von Staaten – weil nur diese Völkerrechtssubjekte waren – nicht aber etwa von Individuen begangen werden4. Im Völkerrecht hat die klassische Völkerrechtesidee5 – das Recht auf Nichteinmischung – bis heute Geltung. Art. 2(1) der am 26. Juni 1945 unterzeichneten UN Charta schreibt die gleiche souveräne Wertigkeit eines jeden Staates vor. Daraus resultierend, kodifiziert Art. 2(7), dass kein Staat den anderen übervorteilen können soll mit der Folge, dass jeder Staat prinzipielle innerstaatliche Autoritätsbefugnisse besitzt6. Eine Ausprägung dieses als ältester Grundsatz des Völkerrechts geltenden Prinzips ist die Anerkennung der jeweiligen Machthoheit eines jeden souveränen Staates über sein Territorium7 und über die darauf befindlichen Personen und Sachen, denen er Mittels autonomer Jurisdiktionsgewalt ohne extraterritoriale Einmischung rechtliche Regelungen anheim stellen kann8.
3 Nettesheim, JZ 2002, 569 (570); Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law I, 3 (8). 4 Doehring, Völkerrecht, Rn. 43 spricht in diesem Zusammenhang von den Staaten als Erzeuger des Völkerrechts. Der ICJ stellte im Fall „Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations“ weiter fest, dass die Völkerrechtssubjektivität nicht auf Staaten als „geborene Völkerrechtssubjekte“ begrenzt ist, ICJ Rep. 1949, 174. Heute sind neben Staaten als Völkerrechtssubjekte anerkannt: der Heilige Stuhl, der Souveräne Malteserorden und das ICRC, vgl. Dahm, Völkerrecht, Band I/2, §§ 113–115. Nach herrschender Ansicht besitzen zumindest partielle Völkerrechtssubjektivität: das Individuum, die NGO’s und transnationale Unternehmen; Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law I, 3 (4); Hobe/Kimminich, Völkerrecht, 65. Zum Subjektstatus von Völkern, Volksgruppen, Minderheiten, Aufständischen und Befreiungsbewegungen siehe Hobe/Kimminich, Völkerrecht, 512 ff.; zur Subjektsqualität von Völkern in Bezug auf ihr Recht auf Selbstbestimmung: Vitzthum, Völkerrecht, 1. Absch., Rn. 4; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, 1; vgl. auch Art. 1 des Internationalen Übereinkommens über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte vom 19.12.1966 und Art. 1 des Internationalen Übereinkommens über die zivilen und politischen Rechte vom 16.12.1966 in Hartzberg/Commichau/Murphy, Die Entwicklung der Menschen und Bürgerrechte, 207 ff. und 218 ff. 5 Hobe/Kimminich, Völkerrecht, 36 ff. 6 Akehurst, International Law, 147. 7 ICJ, ICJ Rep. 1949, 35 (Corfu Channel Fall) „Between States, respect for territorial sovereignty is an essential foundation of international relations“. 8 Kohler, Internationales Strafrecht, 4.
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit
Nunmehr ist anerkannt, dass ein derart autarkes zwischenstaatliches Nebeneinander im völkerrechtlichen Denken und Handeln nicht bis zur letzten Konsequenz durchgesetzt werden kann und darf. Ein Staat hat prinzipiell zwar weiterhin einen berechtigten Anspruch auf Nichteinmischung und Selbstbestimmung. Grenzen sind aber dort zu ziehen, wo der Staat das Nichteinmischungsprinzip pervertiert und dazu missbraucht, schwerwiegendste Menschenrechtsverletzungen herbeizuführen9. Grundlage dieses Wertewandels waren auch hier die historischen Umstände. Geprägt durch das zivile Schadensausmaß des Zweiten Weltkrieges kam die Staatengemeinschaft zu dem Schluss, dass das Völkerrecht – will es Recht bleiben und nicht nur rechtspolitische Formalie – einem Anspruch auf staatliche Nichteinmischung zumindest dann nicht folgen darf, wenn durch die Handlungen des Einzelstaates eine Bedrohung für den internationalen Frieden oder für die internationale Sicherheit besteht. Nach allgemeiner Ansicht liegt eine derartige Gefährdungslage dann vor, wenn die Staatengemeinschaft in ihren Grundwerten erschüttert ist, weil etwa ein Völkermord, oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit an einer Zivilbevölkerung stattfindet. Es wird deutlich, dass das Völkerrecht eine Wandlung vom positivistischen Nebeneinander, hin zu einem überpositivistischen Werteverständnis vollzogen hat. Die Grundlage völkerrechtlicher Strafbarkeit ist dementsprechend rechtsphilosophisch angesiedelt. Auf der einen Seite steht die Auffassung, dass das Recht deshalb „Recht“ ist, weil es durch einen gegebenen Prozess von den Parteien innerhalb der (Staaten)gemeinschaft verabschiedet worden ist. Recht ist nicht unmittelbar durch eine höhere Gerechtigkeit, sondern entweder durch faktische Autorität (Hobbes10), oder durch gegenseitige Übereinkunft z. B. in Verträgen (Rousseau) konstituiert. Dem gegenüber steht die Auffassung, dass das durch Menschen kreierte Recht durch ein höher stehendes, natürliches Recht untermauert ist. Starke Naturrechtsversionen leiten das überpositivistische Naturrecht exklusiv entweder von Gott oder ethischen Erwägungen ab. Freilich können menschliche Übereinkünfte nicht irrelevant sein. Plato und Aristoteles gingen davon aus, dass das Naturrecht durch menschliche Denkweise zu unterfüttern ist, um anwendbar zu 9 Interessant ist in diesem Zusammenhang Art. 4 des Constitutive Act of the African Union, welcher vorschreibt: „(h) the right of the Union to intervene in a Member State pursuant to a decision of the Assembly in respect for grave circumstances, namely: war crimes, genocide and crimes against humanity“; (j) the right of Member States to request intervention from the Union in order to restore peace and security;“ (eigene Hervorhebung); siehe auch die Präambel der African Union Charter; zu den Implementierungsproblemen des Art. 4 Kioko, 85 IRRC (2003), 807 ff. 10 Berühmt ist der Ansatz von Hobbes in seinem bedeutendsten Werk „Leviathan“ „non veritas sed autoritas facit legem“ – nicht die Wahrheit, sondern die Macht konstituiert das Recht –; s. a. Nodoushani, 36 Rechtstheorie 3 (2005), 341 ff.
A. Einleitung
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sein. Cicero stellte im Einklang fest: „Lex est ratio summa insita in natura, quae iubet ea, quae facienda sunt, prohibetque contraria“ – Das Gesetz hat seinen Ursprung in der Natur und ist als die höchste Vernunft anzunehmen, die gebietet, was zu tun ist und was nicht getan werden dürfe, verbietet –11. Naturrechtliche und rechtspositivistische Ansätze sind bis zum heutigen Tage in der Völkerrechtslehre erhalten geblieben. Im Völkerstrafrecht hat die Frage erstmalig während der Nürnberger Prozesse nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges praktische Relevanz entfaltet. Besondere Aufmerksamkeit erregte der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, der erstmalig im Statut des Nürnberger Tribunals in Art. 6(c) kodifiziert wurde und nun auch in § 7 des VStGB Eingang gefunden hat. Seitdem hat der rechtsphilosophische Streit nicht an Bedeutung verloren, und so scheint es, sich in den letzten Jahren in Deutschland intensiviert. Dies liegt (auch) darin begründet, dass nach vorzugswürdiger Ansicht eine strikt positivistische Auslegung des Völkerstrafrechts, und insbesondere des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, nicht weiterhelfen kann. Bei Rechtsbegriffen, die die Grundfeste des existenziellen Menschenrechtsschutzes symbolisieren; etwa was „Menschlichkeit“ ausmachen soll, versagt der strikt positivistische Ansatz, nur positives Recht sei Recht, sowie Recht i. S. d. positiven Rechts sei Recht ohne Gerechtigkeit, da ihr das dahinter liegende gerechtigkeitslegitimierende Fundament verborgen bleibt12. Die völkerrechtliche individuelle Strafgerichtsbarkeit für Verbrechen gegen die Menschlichkeit hat sich seit Nürnberg primär überpositivistischen Bestrafungsgründen bedient. In Anlehnung bediente sich das BVerfG in der Folgezeit zunächst der „Radbruchschen Formel“; nunmehr soll eine Abgrenzungsregelung zwischen einem aus Artikel 103 GG abgeleiteten Absolutheitsdogma von nulla poena sine lege und den Maximen des Vertrauens- und Gerechtigkeitsschutzes erheblich sein13. 11 Cicero, De Republica, De Legibus, I, 18. Nach Cicero ergeben sich daraus drei Möglichkeiten ein Gesetz zu kennzeichnen – „einmal als Wesen und Wirkkraft der Natur, dann als Einsicht und Vernunft eines klugen Menschen und schließlich als Maßstab für Recht und Unrecht“; Cicero, De Republica, De Legibus, I, 18 „ea est enim naturae vis, ea mens ratioque prudentis, ea iuris atque iniuriae regula.“ Zum Ganzen Meyer, Von der Vision zur Reform. 12 Dazu auch Nodoushani, 36 Rechtstheorie 3 (2005), 341 ff. 13 BVerfGE 3, 58, 119; 3, 225, 233; 6, 98, 106; 6, 132, 198; 6, 389, 414; 23, 98, 106; 41, 101; 54, 53, 67. Verwiesen sei zudem auf BGHZ 3, 94, 107; 23, 175, 181, sowie BGHSt 2, 173, 177; 2, 234, 238; 3, 357, 362. In diesem Lichte könnten auch die Ausführungen des Großen Strafsenates des BGH aus dem Jahr 2005 herangezogen weden. Danach dürfe die Anwendung des Gesetzes nicht am Wortlaut haften bleiben, sondern müsse funktional „im Kontext der sozialen Verhältnisse und der gesellschaftlich-politischen Anschauungen, auf die sie wirken soll“ ausgelegt werden. Dabei kann sich der Rechtsstaat nur verwirklichen, „wenn sichergestellt ist, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden“. (BGHSt 50, 40, 52); zum Ganzen vgl. weiter, Muhm, Germania: La
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit
B. Entwicklung der individuellen Strafbarkeit bis zur Errichtung des IMT (1400–1919) Neben dem im Westfälischen Vertrag kodifizierten Verbot der staatlichen Nichteinmischung – und daraus bei Zuwiderhandlung folgend, einem staatlichen Völkerrechtsbruch – entwickelten sich die völkerstrafrechtlichen Verbrechen nur langsam14. Während deren Begehung so alt ist wie die Menschheit selbst15, ist bis heute schwierig festzumachen, wann sich ein Individuum erstmalig einer internationalen Strafgerichtsbarkeit strafrechtlich stellen musste. Dies liegt vornehmlich darin begründet, dass in frühzeitlichen Strafverfahren und gesetzlichen Regelungswerken nicht strikt zwischen internationaler, transnationaler und nationaler Strafrechtsebene unterschieden wurde16. Oft wird jedoch das Verfahren gegen Peter von Hagenbach aus dem Jahr 1474 als erstes internationales Strafverfahren hervorgehoben17. Der Fall war zudem die Geburtsstunde des Terminus „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
I. Der Fall Hagenbach Im Jahr 1469 erzwang Herzog Karl von Burgund („Karl der Kühne“) von Sigmund, dem Erzherzog von Österreich, aufgrund finanzieller Schwierigkeiten vertraglich die Überlassung seines territorialen Eigentums am Oberrhein18. Einer der abgetretenen Besitztümer war die Stadt Breisach, wo Karl von Burgund den Landvogt Peter von Hagenbach für seine Lehen einsetzte. Hagenbach trieb rinascita del diritto naturale e i crimini contro l’umanità [Deutschland: Die Renaissance des Naturrechts und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit]; Krivec, Von Versailles nach Rom, Der lange Weg von Nullum crimen, nulla poena sine lege, 164 ff. (Hervorhebung im Original). 14 Stein/von Buttlar, Völkerrecht, 1; Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Gerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, 4. 15 Graven, 76 Recueil des Cours (1950), 427 (433). 16 Burkhardt, Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 17. 17 Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, 19; Birkett, 23 International Affairs (1947), 317; Schwarzenberger, International Law Bd. II, 462 ff.; Paust/Bassiouni/Scharf/Gurulé/Sadat/Zagaris/Williams, International Criminal Law, 857. Der Ansicht von Maridakis in: Revue Hellénique de Droit International Bd. V (1952), 1 ff., erste Ansatzpunkte eines Völkerstrafrechts seien bereits in der griechischen Antike zu finden, wurde überwiegend widersprochen; Triffterer, Dogmatische Untersuchungen zur Entwicklung des materiellen Völkerstrafrechts seit Nürnberg, 4; Kraske, 4 ARV (1953), 183 (184). Teilweise wird der Ursprung des Völkerstrafrechtes auch in der kirchlichen Strafgewalt der Päpste gesehen, die als relativ unparteiische Weltinstanz zur Aufrechterhaltung der zwischenstaatlichen Rechtsordnung mit strafrechtlichen Mitteln einschritten; vgl. Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, 20 ff. 18 Ziel von Karl dem Kühnen war es, die Burgundischen Ländereien in ein Königreich umzuwandeln.
B. Individuelle Strafbarkeit bis zum IMT (1400–1919)
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dort nach Gutdünken den „bösen Pfennig“ ein19 und schaffte in unrechtmäßiger Weise finanzielle Privilegien der Einwohner ab20. Auflehnung und Widerstand wurden mit Haft oder Tod durch Erhängen oder Köpfen bestraft. Weiter raubten regelmäßig Banditen die eidgenössischen Kaufleute in Hagenbachs Herrschaftsgebiet aus, was dieser durch Gewährung von Unterschlupf auf seiner Burg unterstützte. Um dem Eroberungsstreben von Karl von Burgund ein Ende zu setzten, erklärte die Schweizerische Eidgenossenschaft, die ihrerseits Expansionspläne hegte, im Bündnis mit Frankreich im Oktober 1474 Burgund und dessen Verbündeten, England, den Krieg. Am 5. Januar 1477 fiel Karl in der Schlacht von Nancy. Peter von Hagenbach wurde zuvor von seinen eigenen Söldnern gefangen genommen, weil er den Sold nicht ausbezahlt hatte. Am 4. Mai 1474 klagte man Hagenbach auf dem Marktplatz von Breisach wegen „Verbrechen gegen das Gesetz Gottes und der Menschheit“21 an und verurteilte ihn schließlich zum Tode. Das Hagenbach-Verfahren ist in mehrerlei Hinsicht interessant. Zum einen war es – soweit ersichtlich – das erste überstaatliche Verfahren, bei dem ein Individuum wegen „Verbrechen gegen die Menschheit“ verurteilt worden ist22. Der überstaatliche Aspekt des Strafverfahrens ergab sich aus der Zusammensetzung der Richterbank des Landfriedensgerichts. Sie bestand aus verschiedenen Ländern des damaligen Reiches Deutscher Nationen; Elsässer, Deutsche, Österreicher und Schweizer23. Zum anderen ist im Verfahren erstmalig entschieden worden, dass eine Berufung auf „höheren Befehl“ – wie auch später in Nürn19
Brauer-Gramm, Der Landvogt Peter von Hagenbach, 236. Brauer-Gramm, Der Landvogt Peter von Hagenbach, 249 „,Ich muss die Bürger in Breisach mit dem Schwert bezwingen, fünf oder sechs von ihnen hinrichten lassen, damit sich die andern um so mehr beugen‘, war Hagenbachs Meinung gewesen, worüber Herr Bernhard [Anm. Hagenbachs Statthalter Bernhard Gilgenberg] wenig erschrak: ,So geht es nicht, denn Breisach hat das Schultheißenamt inne. Ihr hättet gern ihr Gut, der Statthalter kennt seinen Landvogt! Doch kann das nicht sein, ehe ihr nicht das Schultheißenamt gelöst habt. Dann verfällt Euch die Habe verurteilter Bürger.‘ [. . .] Der Befehl dazu ließ nicht lange auf sich warten, und ,nach Herrn Bernhards Rat‘ holte Hagenbach die Zustimmung der Stände auf nicht ganz lautere Weise ein.“ 21 Zu den wortsprachlichen Schwierigkeiten zwischen den Begriffen „humanity“ und Menschlichkeit und Menschheit siehe Makino, 3 JGS (2001), 49 (54); Becker, Der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, 114; Aroneanu, Das Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 49. 22 Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, 20. 23 In Concreto zwei Basler, zwei Straßburger, vier Bürger von Kolmar und Schlettstadt, acht von Breisach, und Vertretern von Kenzingen, Neuenburg, Freiburg, sowie Bern und Soloturn. Die Zusammensetzung ist aber nicht unstrittig, weil die Reimchronik (RChr. Kap. 137, 8 ff., 376) nur 24 Vertreter nennt. Dies muss jedoch kein Widerspruch sein, wenn man davon ausgeht, dass die Reimchronik, vielleicht absichtlich (a. a. O. die frevelen Eidgenosssen) die Schweizer Boten nicht erwähnt, Brauer-Gramm, Der Landvogt von Hagenbach, 311, Fn. 1529. 20
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit
berg – nicht greift24. Zu bemerken ist allerdings, dass das Hagenbach-Verfahren obgleich seiner international(isiert)en Ausrichtung in seiner übergreifenden Ausprägung kaum mit dem späteren Nürnberger Verfahren zu vergleichen ist, oder gar als diesbezüglicher Präzedenzfall fungiert25. Strittig ist schon, ob das Hagenbach-Verfahren als Internationaler Strafgerichtsprozess charakterisierbar ist. So wird als Argument ins Feld geführt, die einzelnen Gebiete, aus denen die Richter stammten, hätten noch bis zum Jahr 1499 unter der Führung des Sacrum Romanum Imperium gestanden, woraus sich ergäbe, dass das Tribunal konföderiert, nicht aber international(isiert) gewesen sei26. Auch wurde Hagenbach zwar formal wegen der Verletzung der „Gesetze gegen die Menschheit“ für schuldig befunden. Im Gegensatz zum Nürnberger Prozess spielte der Bezugspunkt jedoch keine Rolle, weil das Gericht die Beweggründe für die Verurteilung auf „gewöhnliche“ Verbrechen stützte. Interessant ist der Fall allerdings aus heutiger Sicht hinsichtlich der Frage, welche Verbrechenstypen nach Ansicht des Gerichtes gegen die Gesetze der Menschheit verstießen: neben dem etwas antiquierten Verbrechenstypus der Brandschatzung wurde schon im Jahre 1474 die Tathandlung des Mordes und der Vergewaltigung als „unmenschlich“ deklariert. Die Einschätzung des Gerichts deckt sich mit der nachfolgenden Entwicklung des Verbrechenstatbestandes gegen die Menschlichkeit. Das Einzelverbrechen des „Mordes“ lässt sich in allen innerhalb der jeweiligen Gerichtsstatute befindlichen kodifizierten Tatbestandsvarianten des Verbrechens gegen die Menschlichkeit wiederfinden. Der Verbrechenstypus der „Vergewaltigung“ ist seit Art. II (c) Kontrollratsgesetz (Control Council Law – CCL.) No. 10 in jedes Statut eines internationalen Straftribunals aufgenommen worden und hat als taugliche Verbrechensbegehung i. S. eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit nunmehr universelle Geltung erlangt.
II. Der Fall Respublica v. De Longchamps Im naturrechtlich geprägten Rechtskreis und insbesondere in den heutigen Vereinigten Staaten von Amerika hat der Fall Respublica v. De Longchamps27 bleibende Spuren hinterlassen28. Das dort umschriebene völkerrechtliche Ver24
Weinstein, 4 ILQ 1951, 528 (530); Birkett, 23 Int’l Affairs (1947), 317. Dagegen Schwarzenberger, International Law, 308 (310) „The trial of Hagenbach may be considered a forerunner of the proceedings at Nuremberg“. 26 Burkhardt, Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 17; Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, 22; Nussbaum, A Concise History of the Law of Nations, 320 „Yet the trial was not international, nor was it concerned with war crimes“; anders aber Birkett, 23 Int’l Affairs (1947), 317; Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law Bd. I, 3 (69); Brand, 28 Or. L. Rev. 2 (1949), 93 (107). 27 Respublica v. De Longchamps, 1 Dallas (1784), 110 ff. 25
B. Individuelle Strafbarkeit bis zum IMT (1400–1919)
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ständnis wirkte sich auf die internationale Verantwortlichkeit der individuellen Strafbarkeit aus. Was die innerstaatliche Geltung des Völkerrechts betrifft, war in der Tradition von Lord Mansfield und Blackstone die Amerikanische Praxis der Englischen sehr ähnlich. Die von Mansfield in Triquet v. Bath getätigte Aussage, „the law of nations [. . .] was part of the laws of England“ übte einen großen Einfluss auf die Amerikanische Jurisprudenz aus29, und kann bis zum heutigen Tage sowohl in England als auch in den USA Gültigkeit beanspruchen. Auch die Amerikanische Verfassung – die erste kodifizierte demokratische Verfassung der Welt – erkennt die bindende Kraft völkerrechtlicher Normen ausdrücklich an30. In Art. 1 Sec. VIII Ziff. 10 findet sich die Aussage: „The Congress shall have the power to define and punish Piracies and Felonies committed on the high seas and Offences against the law of nations.“31
Aus der Tatsache, dass in allen anderen Artikeln der Verfassung der Terminus „treaty“ verwandt wird, folgert die Lehre, der Begriff „law of nations“ sei eine Ausprägung von Völkergewohnheitsrecht. Völkergewohnheitsrecht ist seitdem ein gültiger Teil des Amerikanischen nationalen Rechts. Eine Verletzung des „law of nations“ ist erstmalig dem Franzosen Charles Julian De Longchamps vorgeworfen worden, der Barbe Marbois – einen Generalbevollmächtigten des Französischen Ministers – bedrohte und körperlich misshandelte. Grund seiner Tat war die Verweigerung Marbois, De Longchamps amtliche Papiere zu beglaubigen, mit denen De Longchamps unrühmliche Aussagen widerlegen wollte, die in Zeitschriften über ihn verbreitet wurden. Daraufhin begab sich De Longchamps am 17. Mai 1784 in das Wohnhaus von Marbois und drohte diesem an, er – De Longchamps – werde ihn „entehren“. Zwei Tage später beschimpfte er Marbois auf der Straße als „Gesinde“ und schlug mit einem Stock auf ihn ein. Der Court of Oyer and Terminer in Philadelphia verhängte gegen De Longchamps trotz Nichteinschlägigkeit einer kodifizierten Regelung eine über zweijährige Haft- sowie Geldstrafe. Als Grundlage des Schuldspruchs diente die Verletzung des law of nations. Der Vorsitzende Richter McKean führte in Einklang mit Triquet v. Bath aus: „The first crime in the indictment is an infraction of the law of nations. This law, in its full extent is part of the law of this state, and is to be collected from the
28 In aktuellen Urteilen mit völkerrechtlichem Kontext wird regelmäßig auf De Longchamps verwiesen; vgl. etwa Sosa v. Alvarez-Machain, 542 US. (2004), 1 (22 ff.). 29 Baumann, Der Einfluss des Völkerrechts auf die Gewaltenteilung, 190. 30 Hintergrund war, dass die Verfassungsväter die nationale Sicherheit des neuen Amerikanischen Staates durch die strikte Beachtung des Völkerrechts, welche sie auch von anderen Staaten (insb. England) forderten, schützen wollten; Cassese, RC 1985 III, 329 (351 f.); Auer, The Supreme Law of the Land, 3. 31 Eigene Hervorhebung.
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit practice of different nations and authority of writers. The person of a public minister is sacred and inviolable. Whoever offers any violence to him not only affronts the sovereign he represents, but also hurts the common safety and well-being of nations: he is guilty of a crime against the whole world [. . .]. You then have been guilty of an atrocious violation of the law of nations.“32
Mit Hinblick auf De Longchamps wird nunmehr auch die von Richter Gray im Paquete Habana Entscheid von 1900 getroffene Aussage zitiert: „International law is part of our law, and must be ascertained and administered by the courts of justice of appropriate jurisdiction, as often as questions of right depending upon it are duly presented for their determination.“33
Nach der „law of nations“ Lehre hat das Völkergewohnheitsrecht unmittelbare innerstaatliche Geltung, sofern es „self executing“ ist, d.h. genügend bestimmt, um von den Gerichten angewandt zu werden34. Das Amerikanische Recht wählte insoweit das Prinzip der Inkorporation, um internationales Recht in nationales Recht zu integrieren, sodass eine innerstaatliche Transformation nicht notwendig ist und internationales Recht dann Teil des nationalen Rechtes wird, wenn es mit federalen innerstaatlichen Gesetzen, die Verfassung inbegriffen, vereinbar ist35. Das völkergewohnheitsrechtliche law of nations steht zwar nicht über dem federalen nationalen Recht36, so dass – nach amerikanischem Verständnis – im Zweifel (auch völkerrechtswidriges) federales Recht das law of 32 Respublica v. De Longchamps, 1 Dallas (1784), 110 (116). Bestätigt vom U.S. Supreme Court in: Bank of Augusta v. Earle, 13 Pet. 519 (1839) „This law, in its full extent, is part of the law of this state, and is to be collected from the practice of different nations, and the authority of writers“ [Anm. De Longchamp zitierend]. But why accumulate authorities upon a point which is every day adopted, acted upon, and confessed? The occasions for its application are of daily occurrence, and its application is daily made – sometimes unconsciously, I admit – by every tribunal in the land, from the highest to the lowest. Why take up time in insisting upon what is so manifest, so universally conceded? Manifest and conceded though it be, yet there is not always a full sense of its force and authority. This makes it necessary to say, as the truth really is, that the authority of the law of nations is exactly the same as that of the common law – it is as binding in matters of judicature – it is imperative and of absolute power. Its principles being known, can no more be set aside, evaded, or disregarded, than a settled principle of the common law“; s. a. Crisholm v. Georgia, 2 Dallas (1793), 419 (474); Ware v. Hylton, 3 Dallas (1796), 199 (281); Restatement 3rd of the Foreign Relations Law of the United States § 111 Einleitung (1987); zum Verhältnis law of nations und international law siehe Hilton v. Guyot, 159 U.S. 113 (1895) und Janis, The American Tradition of International Law, 1–32; Koh, 111 Harv.L.Rev. 1998, 1824; ders. 98 AJIL 1 (2004), 43 ff. 33 The Paquete Habana, 175 US. (1900), 677 (700). 34 Restatement 3rd, § 111, 43 f. 35 O’Connell, International Law, Bd. I, 67; Daglish, 50 Int’l Comp.L.Q. (2001), 404 (405). 36 Wohl aber steht Völkergewohnheitsrecht über dem Recht der einzelnen US Mitgliedsstaaten; vgl. Schroeder v. Bissel, 5 F. 2nd (1925), 838 (842); Tag v. Rogers, 362 US. (1960), 904; Committee of US Citizens living in Nicaragua v. Reagan, 859 F. 2nd (1988), 929 (939); 3rd Restatement, § 115.
B. Individuelle Strafbarkeit bis zum IMT (1400–1919)
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nations bricht37. Allerdings muss das federale Recht im Sinne des law of nations völkerrechtsfreundlich ausgelegt werden. („Charming Betsy“38). Die Grenze der „Auslegung“ ist auch hier das nationale Recht. Als Maßstab dienen die Feststellungen der drei Gewalten. Ist etwa anhand eines nationalen Urteils klar erkennbar, wie „Folter“ zu definieren ist, geht diese Auslegung dem völkergewohnheitsrechtlichen Verständnis vor39. Was den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit betrifft, lässt sich zwar noch nicht aus De Longchamps ableiten, eine derartige Begehung verstoße gegen das law of nations. Zudem kann De Longchamps nicht als internationales Strafverfahren bezeichnet werden40. Bemerkenswert ist jedoch, dass sich schon sehr früh insbesondere im angloamerikanischen Rechtskreis ein Bewusstsein entwickelte, die Legitimität des staatlich politischen und juristischen Agierens am internationalen Werteverständnis zu messen41. In der Folgezeit sind nunmehr – allerdings vornehmlich in Zivilprozessen – zunächst Kriegsverbrechen42, und zumindest vereinzelt auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit als ein Verstoß gegen das „law of nations“ angesehen worden. Bezüglich letzterem ist die amerikanische Jurisprudenz jedoch bis zum heutigen Tage zutiefst zerstritten; gleiches gilt für die spiegelbildliche Frage, inwieweit Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch das Weltrechtsprinzip aburteilbar sind43. 37 Committee of US Citizens living in Nicaragua v. Reagan, 859 F. 2nd (1988), 929 (939) „the law in this court remains clear: no enactment of Congress can be challenged on the ground that it violates customary international law.“; Tag v. Rogers 362 US. (1960), 904 „Whatever force appellant’s arguments might have in a situation where there is no applicable treaty, statute or constitutional provision, it has long been settled in the United States that the federal Courts are bound to recognize any one of these three sources of law as superior to canons of international law.“ 38 Murray v. The Charming Betsy, 5 US (1804), 64 (118); in diese Richtung schon Talbot v. Seeman, 5 US (1801), 1 (43); zu den Gründen McLeod v. United States, 229 US (1913), 416 (434). 39 Cunard Steamship Company v. Mellon, 262 US (1923), 100 (129); Schroeder v. Bissel, 5 F. 2nd (1925), 838 (842). Zu dem Einwand, eine derartige Auslegung sei völkerrechtswidrig vgl. La Scottia, 81 US (1871), 170. 40 Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, 23. 41 The Declaration of Independence, Abs. 1 (U.S. 1776) „When in the Course of human Events, it becomes necessary for one People to dissolve the Political Bonds which have connected them with one another [. . .] a decent Respect of Opinions of Mankind require that they should declare the causes which impel them to the separation“. 42 Zum Thema Kriegsverbrechen als Verstoß gegen das law of nations siehe Ex parte Quirin, 317 US 1 (1942). 43 Generell zurückhaltend Brownlie, Principles of Public International Law, 303. „Anglo-American opinion is hostile to the general [universality] principle involved, and the Harvard Research regards it as the basis only for an auxiliary competence, except for the offence of piracy.“ Auch in der Rechtsprechung ist die Rechtslage umstritten: In Sec. 404 des US Restatement 3rd sind zwar Völkermord, nicht aber „Ver-
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit
III. Der Fall Napoléon Bonaparte Der Fall Napoléon Bonaparte stellt eines der ersten internationalisierten Verfahren gegen ein Staatsoberhaupt dar. Der Fall war Erwägungs- und Erörterungsgrund sowohl bei dem späteren Leipziger Verfahren, die im Anschluss an den Ersten Weltkrieg gegen die Kriegsverbrecher durchgeführt werden sollten, als auch beim Nürnberger Verfahren zur Aburteilung der Nazi Hauptkriegsverbrecher im Dritten Reich. Eine kurze historische Einbettung erleichtert auch hier das Verständnis: Nach der Niederlange der Franzosen in der Völkerschlacht bei Leipzig im Jahr 1813 stimmte Napoléon am 11. April 1814 durch Vertrag mit Österreich, Preußen und Russland zu, jegliche künftigen Kampfhandlungen ruhen zu lassen, abzudanken und ins Exil nach Elba zu gehen. Nach neun Monaten entschloss sich Napoléon indes nach Frankreich zurückzukehren und betrat am 1. März 1815 Festland, was von den Siegermächten als Vertragsbruch ausgelegt wurde. In der Erklärung des Wiener Kongresses vom 13. März 1815, bekräftigt durch den Bericht der Sonderkommission vom 12. Mai 1815, wurde Napoléon zum hostis humanis generis erklärt44. brechen gegen die Menschlichkeit“ in den Katalog der Straftaten aufgenommen wurden, welche Anlass zur Anwendung des Weltrechtsprinzips geben. Unklar auch die Aussage des US Supreme Court im Fall Demjanjuk, wonach nur die „schwersten Verbrechen“ unter das Weltrechtsprinzip fallen sollen (vgl. dazu Pizzo, 18 B.C. Int’l&Comp. L. Rev. (1995), 137 ff.) – siehe in diesem Zusammenhang aber Abs. 4 der Präambel der Convention on the Non-Applicability of Statutory Limitations to War Crimes and Crimes Against Humanity, wonach das Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein solches „schweres Verbrechen“ ist. Angemerkt sei auch, dass sowohl Sec. 404 Restatement 3rd, als auch Demjanjuk aufgrund ihres fortschreitenden Alters nur noch bedingt zitierfähig sind. Eindeutig das Weltrechtsprinzip für Verbrechen gegen die Menschlichkeit bejahend nunmehr Richter Breyer in: Sosa v. Alvarez-Machain et al., Certiorari to the United States Court of Appeals for the Ninth Circuit (Urteil v. 29. Juli 2004), 542 US 1 (3) „Today international law will sometimes similarly reflect not only substantive agreement as to universally condemned behaviour but also procedural agreement that universal jurisdiction exists to prosecute a subset of that behaviour. [. . .] That subset includes torture, genocide, crimes against humanity, and war crimes.“ (eigene Hervorhebung). Die Mehrheit der Richter erwähnte den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit nicht und beschränkte sich auf den Terminus der „schwerwiegendsten Verbrechen“. Siehe auch Tel-Oren v. Libyan Arab Republic, 726 F. 2d (1984), 774 (781, n. 7), wonach ein Staat aufgrund des Weltrechtsprinzips „may exercise jurisdiction to define and punish certain offences recognized by the community of nations as of universal concern [. . .] even where no other recognized basis of jurisdiction is present.“; ablehnend aber Richter Korman in: Khulumani vs. Barkley National Bank, Ntsebeza v. Daimler Crysler Group, United States Court of Appeals for the Second Circuit (Urteil v. 12. Oktober 2007), 05-2141-cv, 05-2326-cv, bzgl. der Anwendbarkeit des Weltrechtsprinzips für Apartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. (Von der Mehrheit des Gerichts nicht entschieden.) Angemerkt sei auch, dass bei der Erarbeitung des ICC Statuts die Amerikanische Delegation das Weltrechtsprinzip für Völkermord zwar bejahte, für Verbrechen gegen die Menschlichkeit aber ablehnte; vgl. Brown, 35 New Engl. LRev. (2001), 383 (386).
B. Individuelle Strafbarkeit bis zum IMT (1400–1919)
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Am 15. Juni 1815 griff dieser die Engländer nahe Waterloo an, wo er bekanntlich entscheidend geschlagen wurde. Am 22. Juni musste Napoléon abdanken und wurde durch Beschluss von Großbritannien, Österreich, Preußen und Russland am 2. August 1815 auf St. Helena verbannt45; gerechtfertigt „according to the law of nations, and that detention was imperiously called for by a due consideration for public safety and general peace.“46 Die Anknüpfungspunkte zwischen dem Fall Bonaparte und dem für den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit wichtigen Kriegsverbrecherprozess von Nürnberg sind unverkennbar. Der schon bei Napoléon erwogene Vorschlag, den Täter als hostis humanis generis zu deklarieren und sofort ohne Gerichtsverhandlung zu exekutieren47, wurde später für die NS Verbrecher des 3. Reiches, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hatten, als Sanktionsvariante ernsthaft von den Siegermächten erwogen und wäre auch zur Durchführung gelangt, wenn der spätere Chefankläger Robert Jackson nicht mit äußerster Deutlichkeit widersprochen, und auf einen Gerichtsprozess bestanden hätte48. Die gemeinschaftliche Verwaltung des Gefängnisses Berlin Spandau, in dem Rudolf Heß bis zu seinem Selbstmord im Jahre 1987 inhaftiert war, lässt zudem Parallelen zum alliierten Kontrollrecht auf St. Helena erkennen.
IV. Das „Armenien Massaker“ von 1915 Der feststehende Terminus „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ wurde rechtsverbindlich erstmalig in der Deklaration der Regierungen Frankreich, Großbritannien und Russland von 1915 kodifiziert. Hintergrund war das zwischen 1915 bis 1917 an schätzungsweise 642.000 bis 1.500.000 Armeniern vom Osmanischen Reich begangene Massaker49, das bezeichnet wurde als
44 Wiener Kongress Erklärung unterzeichnet von den Staaten Österreich, Frankreich, Großbritannien, Portugal, Preußen, Russland, Spanien und Schweden. Der Bericht der Sonderkommission sind beigetreten: Bayern, Dänemark, Hannover, die Niederlande, Sardinien, Sachsen, Württemberg und Sizilien; vgl. British and Foreign State Papers, Bd. II, 665 und 734: „The powers consequently declare that Napoléon Bonaparte has placed himself without the pale of civil and social relations and that as an enemy and a disturber of the tranquillity of the world he has rendered himself liable to public vengeance.“ 45 British and Foreign State Papers, Bd. III, 200. 46 Wright, 13 APSRev. 1 (1919), 120 (128) (eigene Hervorhebung). 47 In diesem Zusammenhang ist auch die Aussage des Preußischen Feldmarschalls Blücher relevant, der vorgeschlagen hatte, Napoléon auf der Stelle zu erschießen; vgl. Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, 23. 48 Dazu unten C.1. 49 Zum geschichtlichen Hintergrund vgl. Yoshimura, 1 CGS (2004), 21 (24); Möller, Völkerstrafrecht und Internationaler Strafgerichtshof, 50 ff.
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit „crimes against humanity and civilisation for which the members of the Turkish Government will be held responsible together with the agents implicated in the massacres.“50
Dass der Massenmord an den Armeniern – von Lemkin später betitelt mit dem Terminus „Genozid“51 – eine historische Tatsache ist, wird mit Ausnahme der Türkei nicht in Zweifel gezogen52. So hat 1985 die UN den Völkermord an den Armeniern anerkannt, indem sie der Annahme eines Berichtes einer aus Experten zusammengesetzten UN-Subkommission, welche zu obigem Ergebnis kam, zustimmte. Vergleichbares verabschiedete das Europäische Parlament in einer entsprechenden Resolution aus dem Jahr 1987. Dem Beispiel folgten verschiedene nationale Parlamente, darunter diejenigen von Frankreich, Schweden und Italien. Zu einer Verurteilung der Täter ist es indes nie gekommen.
V. Der Fall des Kaisers Wilhelm II. Erste gesetzlich kodifizierte Ansätze zur Begründung einer individuellen völkerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit finden sich in Art. 227 des Versailler Friedensvertrages53. Danach sollte Kaiser Wilhelm II. aufgrund seiner Kriegspolitik während des Ersten Weltkrieges54 inter alia wegen „schwerwiegender Ver50 Schwelb, 23 BYIL (1949), 178 (181); s. a. Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 565. 51 Zum wortsprachlichen Begriff Lemkin, 15 American Scholar (1946), 227 ff. 52 Nach Lewy, The Armenian Massacres in the Ottoman Turkey, soll aber unklar sein, ob die vom Osmanischen Reich durchgeführte „Umsiedlungspolitik“, bei der unstrittigerweise unzählige Zivilisten ums Leben gekommen sind, zur gezielten vorsätzlichen Ausrottung der Armenier eingesetzt wurde, oder die Umsiedlung nur dem Zweck diente, die nach Unabhängigkeit strebenden und mit den Russen sympathisierenden Armeniern vom Kampfgeschehen zu trennen, dazu auch Jäckel, FAZ v. 23.3. 2006, 9. 53 RGBl. 1919 II, 687 (981). Der Text des Teils VII. Strafbestimmungen, Art. 227 lautet: „Die alliierten und assoziierten Mächte stellen Wilhelm II. von Hohenzollern, vormaligen Kaiser von Deutschland, wegen schwerer Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge unter öffentliche Anklage. Ein besonderer Gerichtshof wird eingerichtet, um über den Angeklagten unter Wahrung der wesentlichen Bürgschaften des Rechts auf Verteidigung zu Gericht zu sitzen. Der Gerichtshof besteht aus fünf Richtern, von denen je einer von folgenden fünf Mächten, namentlich den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan, ernannt wird. Der Gerichtshof urteilt auf der Grundlage der erhabensten Grundsätze der internationalen Politik; Richtschnur ist für ihn, den feierlichen Verpflichtungen und internationalen Verbindlichkeiten ebenso wie dem internationalen Sittengesetze Achtung zu verschaffen. Es steht ihm zu, die Strafe zu bestimmen, deren Verhängung er für angemessen erachtet. Die alliierten und assoziierten Mächte werden an die Regierung der Niederlande das Ersuchen richten, den vormaligen Kaiser zum Zwecke seiner Aburteilung auszuliefern.“ 54 Denkbar wäre eine Anklage aufgrund des Lusitania Vorfalls gewesen. Nach Ansicht von de Vattel wäre er auch „guilty towards his people, of drawing them into acts of injustice, exposing their lives without necessity [. . .] Lastly, he is guilty towards all
B. Individuelle Strafbarkeit bis zum IMT (1400–1919)
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letzung des internationalen Sittegesetzes“ vor einem internationalen ad hoc Tribunal angeklagt werden55. Eine Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit blieb hingegen aus. Obwohl die – abgedruckt im Report of the Commission on the Responsibilities of the Authors of War and on Enforcement of Penalties for Violations of the Laws and Customs of War von 1919 – Mehrheit der Mitglieder zu dem Ergebnis kam, dass das deutsche Reich und seine Alliierten einen Krieg geführt hatten „by barbarous or illegitimate methods in violation of the established laws and customs of war and the elementary laws of humanity“ und dass „all persons belonging to enemy countries [. . .] who have been guilty of offences against the laws and customs of war or the laws of humanity are liable for criminal prosecution“, wurde der Tatbestand in den Friedensvertrag von Versailles nicht aufgenommen. Eine Aburteilung Wilhelms II. scheiterte zudem, weil sich die Niederlande, die ihm Exil gewährte, standhaft dem Auslieferungsbegehren der Siegermächte erwähren konnte56. Der Fall Wilhelms II. ist völkerstrafrechtlich von Interesse, da sich erstmalig ein völkerrechtliches Strafverständnis zeigte, dessen Grundlage nicht nur die Ahndung für Taten war, die im ius in bello begangen wurden. Geradezu revolutionär erschien, in Erwägung zu ziehen, dem bis dato unbestrittenen Grundsatz des ius ad bellum keine Gültigkeit mehr zuzusprechen57. Freilich war zu diesem Zeitpunkt die Begründung nicht ausgereift. Merkel bezeichnet die Bestrafung wegen moralischer Verfehlungen auf Grundlage des Art. 227 des Versailler Vertrages insoweit als „merkwürdiges Dokument: ein Zwitter zwischen Recht und Moral, dessen Mangel an Begründung erkennbar mit einem Überschuss an Pathos behoben werden sollte und dem alle Tonfälle der Verlegenheit abzuhören waren, aus einer unklaren Verbindung beider Sphären deduzieren zu müssen, was als einzelne keine von ihnen hergeben konnte.“58 mankind, of disturbing their quiet, and setting a pernicious example“ (eigene Hervorhebung) in: Wright, 13 APSRev. 1 (1919), 121 (126). 55 Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law I, 3 (69); Schweitzer, Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 1281. 56 Tomuschat in: Von Nürnberg nach Den Haag, 95; Stuby in: Hankel/Stuby, Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen, 435 f. Begründet wurde die Weigerung zur Auslieferung mit dem Argument, das Niederländische Recht sehe nur Auslieferung an einen souveränen Staat, nicht aber an eine Staatenkoalition vor, Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law Bd. I, 3 (70) und Wilhelm II. sei als politischer Flüchtling asylberechtigt, Finch, 41 AJIL 1 (1947), 20 (35). 57 Vergleichbares galt für das innerstaatliche deutsche Strafrecht. Damit Kriegsverbrechen innerstaatlich geahndet werden konnten, musste das „Gesetz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen“ verabschiedet werden, RGBl. 1919, 980 ff. weil generelle Auffassung war, dass Kriegshandlungen, die über das völkerrechtlich gebotene Maß hinausgingen, nicht strafrechtlich sanktionierbar seien, Hankel, Die Leipziger Prozesse, 92. Durch die Leipziger Prozesse sollte diese Lücke geschlossen werden. 58 Merkel in: Von Nürnberg nach Den Haag, 72.
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Ob man Merkel in seiner Analyse zustimmen kann, erscheint nicht unfragwürdig. Völkerstrafrecht ist keine strikt positivistisch geprägte Rechtsmaterie. Dies erkannten auch die späteren Tribunale von Nürnberg und Tokio, die im Spannungsfeld einer gerechten Abwägung zwischen der Rechtssicherheit für den Angeklagten, der Wahrung der internationalen Werte der Staatengemeinschaft, und der Priorität der Rechtsanwendung ihre „Lehren aus Leipzig“59 ziehen mussten. Leipzig zeigt einerseits, dass die internationale Staatengemeinschaft schon vor der erstmaligen Nürnberger Kodifizierung des Verbrechens gegen die Menschlichkeit aus der moralischen Wertvorstellung der internationalen Gemeinschaft eine internationale Strafbarkeit deduzieren wollte. Nürnberg war die (nunmehr) konsequente Anwendung der Leipziger Grundsätze (, ebenso wie Den Haag und Arusha die kontemporäre konsequente Weiterführung der Nürnberger Grundsätze ist). Leipzig ließ aber andererseits auch erkennen, dass das Recht angewendet werden muss, um Gerechtigkeit zu konzipieren. „Recht“ – und insbesondere Völkerstrafrecht, das potentiell auf alle Staatsbürger überwirkt – ist nicht lediglich rechtliches oder politisches Wunschdenken, sondern einer der Ausgangspunkte eines fairen, gerechten, menschlichen und friedlichen Umgangs.
C. Entwicklungen durch das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal und das Tribunal für den Fernen Osten (1941–1948) Trotz aller Kontroversen ist das Nürnberger Kriegsverbrechertribunalverfahren zur Aburteilung der NS Verbrecher des Dritten Reiches ein Meilenstein des Völkerstrafrechtes und die faktische Geburtsstunde des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Besonders bemerkenswert ist der Urteilspruch im Hinblick auf drei Punkte: erstens wurde das Führen eines Angriffskrieges nunmehr als strafbar deklariert, sodass der berühmte Satz von Clausewitz, wonach der „Krieg nur die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln“60 sei, nicht mehr als legitimer Rechtfertigungsgrund herangezogen werden konnte. 59 Straftaten auf Grundlage der Landkriegsordnung, die durch die Haager Konferenzen von 1899 und 1907 kodifiziert wurden, die von deutschen Soldaten im ius in bello während des Ersten Weltkrieges begangen wurden, sind 1922/23 mangels Auslieferungsbereitschaft Deutschlands nur innerstaatlich vor dem Reichsgericht in Leipzig abgeurteilt worden. Von mutmaßlich 896 Kriegsverbrechern, deren Auslieferung gem. Art. 228 bis 230 des Versailler Vertrages von den Siegermächten begehrt war, wurden nicht mehr als zwölf Verfahren eingeleitet. Sechs endeten mit Freispruch, die anderen mit Haftstrafen zwischen zwei Monaten und vier Jahren, wobei zwei Gefangene nach sehr kurzer Zeit entkamen; vertiefend Hankel, Die Leipziger Prozesse; Schabas, Genocide in International Law, 17 ff.; Birkett, 23 Int’l Affairs (1947), 317 (321). 60 Clausewitz, Vom Kriege Bd. I, 1, 24.
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Zweitens musste sich nicht (nur) der Staat, sondern der individuelle Straftäter vor anderen Staaten (völkerstrafrechtlich) verantworten. Drittens – insofern Punkt zwei konkretisierend – erstreckte sich die strafrechtliche Verantwortung auf Grausamkeiten, die an der eigenen Bevölkerung begangen wurden. Letztere beide Punkte sind eng mit dem Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit verwoben und haben in der Folgezeit erhebliche Konkretisierungen erfahren. Die rechtsdogmatische Umsetzung des Verbotes des Angriffskrieges stellt die Staatengemeinschaft indes bis heute vor erhebliche Probleme.
I. Der Weg nach Nürnberg Der Nürnberger Prozess war das Endstadium eines langen und zähen Verhandlungsprozesses. Zum besseren Verständnis des Urteils soll auf die bedeutsamsten Schritte kurz eingegangen werden. Noch bevor die Amerikanische Regierung am 7. Dezember 1941 aufgrund des Angriffs der Japaner auf Pearl Harbor offiziell in den Krieg eintrat, prangerten Präsident Roosevelt und Premier Churchill formell im Oktober 1941 die systematische Hinrichtung unschuldiger Geiseln an. Churchill gab mit der Forderung „retribution for these crimes“ erwirken zu wollen, das erste Signal, die Täter des NS Regimes zur Verantwortung zu ziehen. Auch die Sowjetunion protestiere gegen die menschenverachtende Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener und Zivilisten und kündigte durch eine Regierungserklärung vom 14. Oktober 1942 an, „alle Führer Hitlerdeutschlands“ im Rahmen eines Strafverfahrens vor ein besonderes internationales Gericht zu stellen61. Zu diesem Zweck wurde von allen Exilregierungen der Staaten, die Deutschland besetzte62, eine lose Arbeitsgemeinschaft gegründet; betitelt als InterAllied Commission on the Punishment of War Crimes (IACPWC). In der Erklärung im St. James Palace am 13. Januar 194263 im Rahmen der III. Inter Alliierten Konferenz formulierte die IACPWC, „that those guilty and responsible, whatever their nationality, are sought for, handed over to justice and judged“, sowie „that the sentences pronounced are carried out“. Am 7. Oktober wurde die IACPWC in die Commission for the Investigation of War Crimes umbenannt, an der sich siebzehn alliierte Staaten beteiligten64. 61 Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, 122; Erklärung abgedruckt in: International Conference on Military Trials, 13 ff. 62 Die von Deutschland besetzten Staaten waren: Belgien, Frankreich, Griechenland, die Niederlande (das damalige) Jugoslawien, Luxemburg, Norwegen, Polen und die (damalige) Tschechoslowakei. 63 Abgedruckt in Punishment for War Crimes, the Inter-Allied Declaration signed at St. James Palace London on 13th, 15. 64 Die Sowjetunion blieb einem Beitritt fern und gründete eine „Außerordentliche Staatskommission zur Feststellung und Untersuchung der Verbrechen der Eindring-
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Die Kommission trat jedoch erst am 20. Oktober 1943 zum ersten Mal zusammen und nannte sich seitdem United Nations War Crimes Commission (UNWCC)65. Aufgabe der Kommission war die Erstellung von Anklagelisten und das Sammeln, Ordnen und Dokumentieren von Beweismitteln zur Vorbereitung eines Prozesses66. Ein weiteres wichtiges Dokument war die „Erklärung über Grausamkeiten“ vom 1. November 1943 im Rahmen der Moskauer Kriegskonferenz67. Dort konnten erstmalig detailliertere Aussagen zur Vorgehensweise herausgearbeitet werden. Kriegsverbrecher, die ihre Taten an einem bestimmten Ort verübten, sollten an das betreffende Land ausgeliefert und nach den dort geltenden Gesetzen abgeurteilt werden68. Das galt aber nicht für die Hauptkriegsverbrecher, „deren Verbrechen nicht mit einem bestimmten Ort verbunden sind“. Sinn und Zweck der Restriktion war das Offenlassen der Möglichkeit, die Hauptkriegsverbrecher ohne langen Prozess sofort standrechtlich verurteilen zu können69. Eine diesbezügliche Einigung konnte auf den Kriegkonferenzen von linge“. Soweit bisher ersichtlich, gehörten zu den bedeutendsten „Propaganda“ Verfahren der Krasnodar und der Khar’kov Fall. Die gesamte Zahl der Verurteilten bleibt unklar. Nachweisbar ist jedoch, dass von April 1943–Juli 1944 mehr als 5.200 Beschuldigte (meist zu Zwangsarbeit) verurteilt wurden. Von Januar bis Mai 1945 sollen zudem etwa 5.000 Sowjets wegen Landensverrates nach Art. 58 des Strafgesetzbuches zum Tode verurteilt worden sein; dazu Prusin, 17 HGS 1 (2003), 1 (5 ff.), vgl. weiter Korovin, 40 AJIL 4 (1946), 742 ff.; Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, 123. 65 Roggemann, Die Internationalen Strafgerichtshöfe, 169; Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, 123. 66 Die UNWCC litt jedoch unter finanziellen Engpässen und beschränkte sich daher auf die Archivierung der Berichte der Mitgliedsländer. Durch ein Umschwenken der Aufgabenzielsetzung auf die Erörterung rechtlicher Probleme (insbesondere das Problem der Strafbarkeit des Angriffskrieges) war die Kommission zerstritten und leistete nur spärliche Vorarbeit; besser organisiert war das von Generalmajor William J. Donovan geleitete Office of Strategic Services (OSS), dessen Arbeit im Nürnberger Prozess Bedeutung erlangte, vgl. Müller, Der Nürnberger Prozess, XII; Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, 63. 67 Moskauer Kommuniqué der Dreier-Konferenz (USA, Großbritannien, Sowjetunion) und Vierererklärung mit China vom 1. November 1943, abgedruckt in Grewe, Fontes Historiae Iuris Gentium Bd. 3/2, 1289–1291. 68 Zu den daraus resultierenden Prinzipien Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, 63. 69 Diese Option wurde als „Napoléon-Lösung“ bezeichnet, da dieser, wie bereits dargestellt, ohne Prozess verbannt wurde. Wohl bekannt ist in diesem Zusammenhang die Aussage Stalins auf der Konferenz von Teheran im November 1943: „Ich trinke auf die möglichst rasche Justiz für alle deutschen Kriegsverbrecher. [. . .] Ich trinke auf unsere Entschlossenheit, sie sofort nach Gefangennahme zu erledigen und zwar alle, es müssen ihrer mindestens 50.000 sein.“ Abgedruckt in Müller, Der Nürnberger Prozess. Was ex post als Scherz interpretiert wurde, war im Hinblick auf die von 1943– 1945 in der Sowjetunion durchgeführten „Verfahren“ (Anklage nach 24-stündiger Befragung, kein Rechtsbeistand, Konzept der Kollektivschuld) sowie dem damaligen
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Kairo70 und Teheran71 nicht erzielt werden. Auf der Konferenz von Jalta72 war man sich zumindest einig, dass ein Gerichtsverfahren angestrebt werden sollte73. Bezüglich der Rechtgrundlage, Prozessordnung sowie Anzahl der anzuklagenden Personen herrschte hingegen weiterhin Unklarheit. Nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 wurde in der Berliner Vier-Mächte Erklärung vom 5. Juni 194574 die Frage nach der Rechtsgrundlage des Gerichtes dadurch entschieden, dass die Alliierten vorläufig die oberste Regierungsgewalt über Deutschland in den Grenzen von 1937 proklamierten75. Mit dem Londoner Abkommen vom 8. August 194576, das aus der Londoner Konferenz vom 26. Juni 1945 hervorging und als Annex das Statut des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals mit einschließt, wurden schließlich die Verfahrensregeln des Gerichtes sowie die Gerichtsverfassung und die Anklagetatbestände festgelegt. Das IMT Statut spielt für den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit eine herausragende Rolle. In dessen Art. 6 (c) wurde er, vermutlich auf Drängen von Robert H. Jackson, erstmalig völkerrechtsverbindlich
sowjetischen Verständnis von zakonmost (Legalitätsprinzip) für Stalin keineswegs abwegig; Prusin, 17 HGS 1 (2003), 1 (5); s. a. Brand, 28 Or.L.Rev. 2 (1949), 93 (99). 70 Kairo Kommuniqué der Dreierkonferenz (USA, Großbritannien, China) vom 26. November 1943, abgedruckt in: Grewe, Fontes Historiae Iuris Gentium, Bd. 3/2, 1292. 71 Teheraner Kommuniqué der Dreierkonferenz vom 11. Februar 1945, abgedruckt in: Grewe, Fontes Historiae Iuris Gentium, Bd. 3/2, 1293. 72 Erklärung von Jalta und Geheimprotokoll vom 11. Februar 1945, abgedruckt in Grewe: Fontes Historiae Iuris Gentium, Bd. 3/2, 1294–1298 und 1299–1304. 73 Zu den Gründen siehe Report of Robert H. Jackson to the President, June 7, 1945, Department of State Bulletin, June 10, 1071 ff. „On the other hand, we could execute or otherwise punish them without a hearing. But undiscriminating executions or punishments without definite findings of guilt, fairly arrived at, would violate pledges repeatedly given, and would not set easily on the American conscience or be remembered by our children with pride. The only other course is to determine the innocence or guilt of the accused after a hearing as dispassionate as the times and the horrors we deal with will permit, and upon a record that will leave our reasons and motives clear.“; und Breyer, 71 N.Y.U.L.Rev. 5 (1996), 1161 (1164). 74 Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands, abgedruckt in: Brandl, Das Recht der Besatzungsmacht, 318–331. 75 Die Rechtmäßigkeit der Ausübung der Souveränitätsgewalt mehrerer Staaten über einen anderen Staat (Kondominium) ist völkerrechtlich unstreitig; Vilas v. City of Manila, 220 U.S. (1911) 345; Alvarez y Sanchez v. United States, 216 U.S. (1910), 167; Chicago R.I & P.Ry.Co. v. McGlinn, 114 U.S. (1885) 542; Wright, 41 AJIL 1 (1947), 38 (50); ders. Mandates under the League of Nations, 13, 306–309; Finch, 41 AJIL 1 (1947), 20 (22); Kelsen, 39 AJIL 3 (1945), 518 (524). 76 Londoner Vier-Mächte-Abkommen vom 8. August 1945 (zwischen den Regierungen Großbritanniens, der Sowjetunion, Frankreichs und den USA), abgedruckt in IMTMat. Bd. 1, 7 ff.; sowie in: 39 AJIL (1945), Suppl. 257 ff.
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kodifiziert77 und kristallisierte sich während des Nürnberger Prozesses als eines der Hauptanklagepunkte gegen die NS Kriegsverbrecher heraus.
II. Der Nürnberger Kriegsverbrecherprozess Der Nürnberger Kriegsverbrecherprozess begann am 20. November 1945 und dauerte knapp ein Jahr78. Gemessen an den Erklärungen von Roosevelt, Churchill und Stalin während der Yalta Konferenz vom 11. Februar 1945 und der Berlin Konferenz vom 2. August 1945, für „[just and] swift punishment79“ zu sorgen, wurde dieses Ziel – bezieht man den großen organisatorischen Aufwand mit ein – erreicht80. Bedeutende verfahrensrechtliche Regelungen für die Angeklagten finden sich in den Art. 16 ff. des Statuts. Art. 16 IMT Statut räumt den Angeklagten Akteneinsicht (Abs. (a) und (c)), Äußerungsrechte (Abs. b), das Recht auf anwaltliche oder eigene Verteidigung (Abs. d), sowie ebenfalls in Abs. (d) ein Beweiseinführungsrecht ein. Das Gericht seinerseits konnte Urteile in absentia erlassen (Art. 12) – was auch beim Angeklagten Bormann relevant wurde – und Todesurteile aussprechen (Art. 27). Weiter bestand für die Angeklagten keine Möglichkeit, Rechtsmittel einlegen zu können, da eine Berufungs- oder Revisionsinstanz nicht existierte. Das Urteil erging durch ius de non appelando. Die Bank des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals setzte sich aus je einem Richter sowie je einem Stellvertreter der vier Siegermächte zusammen81. Das Komitee der 77 Durch Briefe des Sohnes von Robert H. Jackson, William E. Jackson, an seinen Vater ist nachgewiesen worden, dass Hersch Lauterpacht starken Einfluss auf Robert H. Jackson nahm, den Terminus Verbrechen gegen die Menschlichkeit in das Statut integrieren zu lassen, was dieser dann auch durchsetzen konnte; vgl. Koskenniemi, 2 J Int’l Crim. Just. (2004), 810 (811, 814). 78 Das Urteil wurde am 30. September und am Morgen des 1. Oktober 1946 verlesen. 79 Wright, 41 AJIL (1947), 39, Fn. 4. 80 Das Tribunal hielt 403 offene Sitzungen und nahm Beweis von 33 Zeugen für die Anklage und 80 Zeugen für die einzelnen Beschuldigten auf. 143 Zeugen gaben Beweis durch schriftliche Aussage infolge von Vernehmungen ab, 1809 durch eidesstattliche Versicherung. Für die beschuldigten Organisationen wurden vom Tribunal 22 Zeugen gehört und eine Kommission eingesetzt, weitere 100 Zeugen zu hören. Zusätzlich sind mehrere tausend Dokumente dem Tribunal als Beweis vorgelegt worden, das meiste findet sich in der IMT-Mat. Sammlung, Wright, 41 AJIL (1947), 41 Fn. 11. 81 Die Besetzung der Richterbank bestand insoweit aus Richter Lord Geoffrey Lawrence vom Britischen Court of Appeals als Vorsitzender Richter, Francis Biddle, Generalstaatsanwalt a.D. der Vereinigten Staaten von Amerika, Generalmajor I. T. Nikitchenko, Stellvertretender Vorsitzender Richter des Sowjetischen Höchsten Gerichtshofes und Donnedieu de Vabres, Rechtsprofessor an der Universität von Paris. Die wechselnden Richter waren Sir Norman Birkett, Richter des High Court von England, John J. Parker, Richter des Circuit Court of Appeals der Vereinigten Staaten von Amerika, Oberstleutnant A. F. Volchkov, Richter des Amtsgerichts Moskaus und Robert Falco, Richter des Cour de Cassation von Frankreich. Die Vertreter sollten soweit als möglich
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führenden Hauptanklagevertreter des Prozesses bestand aus Robert H. Jackson für die Vereinigten Staaten82, Sir Hartley Shawcross für Großbritannien83, Francois de Menthon84 für Frankreich und General R. A. Rudenko für die Sowjetunion. Ob das Tribunal als international bezeichnet werden kann, ist bis zum heutigen Tag strittig und hängt mit der problematischen Mehrdeutigkeit des Begriffs „international“ zusammen85; je nachdem, ob man die Internationalität aus dem Rechtsprechungsorgan des Gerichtes mit dessen internationaler Besetzung und Anwendung von Völkerrecht, oder aus einem völkerrechtlichem Grundsatz, etwa aus Prinzipien des Naturrechtes ableiten will86. Insgesamt wurden 24 Personen vor dem Gericht angeklagt, von denen gegen 22 ein Urteil erging87. Bezüglich Anklagepunkt vier – Verbrechen gegen die Menschlichkeit – ist Anklage gegen 18 Beschuldigte erhoben worden88. Alle zwölf Beschuldigte, die zur Todesstrafe durch Erhängen verurteilt wurden, hatten auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen89, während vier Beschuldigte, denen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt wurde, aufgrund mildernder Umstände zu lebenslänglicher oder zeitiger Haftstrafe verurteilt wurden90. Zwei Beschuldigte sind diesbezüglich freigesprochen worden.91
an den Verhandlungen teilnehmen (Art. 2 IMT Statut), hatten jedoch kein eigenes Stimmrecht, wenn sie nicht einen Richter vertraten (Art. 4 IMT Statut). Verurteilungen mussten mit einer Stimmengewichtung von mindestens 3-1 ergehen (Art. 4 (c) IMT Statut). 82 Damaliger Richter am Supreme Court der Vereinigten Staaten. 83 Shawcross ersetzte Sir David Maxwell Fyfe as führender Ankläger Großbritanniens. 84 De Menthon wurde später ersetzt durch M. Champetier de Ribes. 85 Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, 150. 86 Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, 41. Nach mehrheitlicher Rechtsauffassung in den Vereinigten Staaten von Amerika hatte der Prozess eine internationale Natur inne, weswegen Anträge von deutschen NS Verbrechern auf habeas corpus nach Art. 1 Sec. 9 Abs. 2 der Amerikanischen Verfassung von Amerikanischen Gerichten durchweg abgelehnt wurden; Flick v. Johnson, 174 F. (2d) (1949) 983; Johnson v. Eisentraeger, 70 Sup. Ct. (1949) 158. 87 Gustav Krupp von Bohlen wurde aufgrund von Krankheit als nicht verhandlungsfähig befunden, IMT-Mat. Bd. I, 159 und Robert Ley begann vor Verhandlungsbeginn Selbstmord. 88 Alle Einzelurteile in IMT-Mat. Bd. I, 314 ff. Gegen die Beschuldigten Hjalmar Schacht, Karl Dönitz, Erich Räder und Franz von Papen wurde keine Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben. 89 Herman Wilhelm Göring (Selbstmord vor der Hinrichtung), Joachim von Rippentrop, Wilhelm Keitel, Ernst Kaltenbrunner, Alfred Rosenberg, Hans Frank, Wilhelm Frick, Julius Streicher (nur für Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden), Fritz Saukel, Alfred Jodl, Arthur Seyß-Inquart; Martin Bormann (Verurteilung in absentia).
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Wie bereits einleitend erwähnt, war der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Art. 6 (c) des Statuts des Internationalen Kriegsverbrechertribunals als Anhang des Londoner Abkommens der Siegermächte kodifiziert92. Als taugliche mikrokriminelle Katalogstraftaten waren festgeschrieben: (1) Mord, (2) Ausrottung, (3) Versklavung, (4) Deportation und (5) andere unmenschliche Handlungen. Um die Tathandlung auf eine makrokriminelle Ebene zu stellen war als übergreifendes chapeau additiv notwendig: (1) eine Tathandlung an irgendeiner (insbesondere der eigenen) Zivilbevölkerung, die in Verbindung mit der Begehung eines anderen Kriegsverbrechens steht, über welches das Gericht Jurisdiktionsgewalt inne hat; (2) auf der Grundlage von diskriminierenden Motiven, namentlich aus politischen, rassischen und religiösen Gründen; und (3) in Ausführung einer staatlichen Politik. Nicht das Nazi Regime eo ipso, sondern die dahinter stehenden Individuen sollten strafrechtlich für Taten, die unter den in Art. 6 (c) IMT Statut enumerierten Tatbestand subsumierbar waren, zur Verantwortung gezogen werden. Die Entscheidung ist umso beachtlicher, als dass gegen Kriegsende unklar war, ob überhaupt ein Gerichtsprozess stattfinden sollte. Eine Aburteilung nach „Kollektivschuldsgesichtpunkten“ war keineswegs abwegig. So bildeten sich grob vereinfacht zwei gesellschafts-populäre Ansichten heraus: Die so genannten Vansittartisten waren, geprägt durch die Verursachung des Ersten und Zweiten Weltkrieges, der Ansicht, Deutschland an sich sei „der Würgevogel“ und „ewige Angreifer“. Der Nationalsozialismus sei der vollendete Ausdruck des deutschen Volkscharakters93. Unterstützung fand der Ansatz 90 Walter Funk (lebenslänglich), Constantin von Neurath (15 Jahre), Baldur von Schirach (20 Jahre – nur für Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig befunden) und Albert Speer (20 Jahre). 91 Rudolf Heß, Hans Fritzsche. 92 Charter of the International Military Tribunal (im Folgenden IMT Statut). Dessen Art. 6 lautet: „Der durch das in Artikel 1 genannte Abkommen eingesetzte Gerichtshof zur Aburteilung der Hauptkriegsverbrecher der der europäischen Achse angehörenden Staaten hat das Recht, alle Personen abzuurteilen, die im Interesse der der europäischen Achse angehörenden Staaten als Einzelpersonen oder als Mitglieder einer Organisation oder Gruppe eines der folgenden Verbrechen begangen haben: Die folgenden Handlungen, oder jede einzelne von ihnen, stellen Verbrechen dar, für deren Aburteilung der Gerichtshof zuständig ist. Der Täter solcher Verbrechen ist persönlich verantwortlich: [. . .] (c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Nämlich: Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation oder andere unmenschliche Handlungen, begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung vor oder während des Krieges, Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, begangen in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist, und zwar unabhängig davon, ob die Handlung gegen das Recht des Landes verstieß, in dem sie begangen wurde, oder nicht“, abgedruckt in: Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, Anhang III (401 ff.) 93 Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, 11.
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aus den „Kollektivierungsbestrebungen“ des Naziregimes. Traurige Berühmtheit hat die von Joseph Goebbels proklamierte NS Parole erlangt: „Hitler ist Deutschland, Deutschland ist Hitler“94. Führt man den Gedankengang zu Ende, hätte man in der Konsequenz nicht nur die Hauptkriegsverbrecher, sondern das gesamte deutsche Volk für die Rechtsverletzungen „des Staates“ als kollektives Gemeinwesen haftbar machen müssen. In diese Richtung ging auch der von Henry Morgenthau vorgeschlagene (aber aufgrund des öffentlichen Drucks von Präsident Truman nicht umgesetzte) „Morgenthau-Plan“, der neben einer Dreiteilung Deutschlands in eine nördliche, südliche und internationale Zone, eine völlige Entindustrialisierung Deutschlands vorsah, um das Aggressionspotential „der Deutschen“ einzudämmen95. Hannah Arendt, die vielleicht berühmteste Rechtsphilosophin, die sich mit dem NS Regime auseinander setzte, kam obgleich vergleichbarer Annahme zu einem gegenteiligen Schluss. Sie ging davon aus, dass unter Betrachtung des makrokriminellen Ausmaßes und der Anzahl der individuellen Taten eine Lokalisierung der Täter – sieht man von den Hauptkriegsverbrechern ab, sondern betrachtet die Vielzahl der Täter, die als Mitläufer handelten – nahezu unmöglich sei. Daraus folgerte sie, dass es der Gerechtigkeit nicht diene, alle in Frage stehenden Personen abzuurteilen. Wo alle schuldig sind, könne letzten Endes keiner verurteilt werden96. Eine zum Kollektivschuldargument entgegen gesetzte Auffassung vertrat Sebastian Haffner in seinem Werk „Deutschland: Jekyll and Hyde“97, welches 1940 in England und 1941 in den Vereinigten Staaten erschienen ist. Seiner Ansicht nach bestand der Unterschied zwischen der Nazispitze und den „loyalen Deutschen“ in Folgendem: „Die Nazis sind glücklich, weil es ihnen glänzend geht; dagegen sind die loyalen Deutschen, obwohl sie leiden und stöhnen und sich unglücklich fühlen, für das Weiterbestehen des Hitlerregimes. Die Nazis haben sich die Hauptprinzipien und -ziele des Regimes voll zu eigen gemacht, und deswegen unterstützen sie es. Die loyalen Deutschen machen sich, was diese Prinzipien und Ziele betrifft, selbst etwas vor und unterstützen das Regime auf Grund tagtäglichen Selbstbetruges. Den Verzicht auf Persönlichkeit, Religion, Privatleben und Zivilisation betrachten die Nazis als Befreiung und Erlösung, die loyalen Deutschen hingegen sehen dies als ein schweres Opfer an. Weil es ihr Krieg ist, möchten die Nazis ihn gewinnen. Die loyalen Deutschen möchten ihn, obwohl es nicht ihr Krieg ist, gewinnen, weil sie es für richtig und angemessen halten, in Kriegen des Vaterlandes den Sieg herbeizuwünschen.“98 94 95 96 97 98
Haffner, Germany: Jekyll & Hyde, 11. Dazu Smith, Der Jahrhundertprozeß, 43 ff. Arendt, Essays in Understanding, 125 f.; Fine, 3 EJST (2000), 293 (296). Haffner, Germany: Jekyll & Hyde. Haffner, Germany: Jekyll & Hyde, 103.
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Das IMT erteilte unter Heranziehung des Art. 6(c) IMT Statut der Theorie der Kollektivschuld eine Absage99 und setzte als Grundlage der Bestrafung die völkerrechtsverletzenden Handlungen von Einzelpersonen an100. Zur Begründung der individuellen Strafbarkeit führte das IMT Ex parte Quirin101, die Haager Abkommen von 1899 und 1907, Art. 227 und 228 des Versailler Vertrages, Art. I des Völkerbundvertrages von 1923, die Präambel des Völkerbundprotokolls von 1924, ein Zitat aus der Sitzung des Völkerbundrates vom 24. September 1927, die Entschließung der 6. Panamerikanischen Konferenz vom 18. Februar 1928 und den Briand-Kellogg Pakt von 1928 in Feld102. Nach Auswertung dieser Quellen tätigte das IMT zwei Grundsatzaussagen: Zum einen wurde die staatliche Kriegsführung als Mittel der Politik seit Abschluss des Briand-Kellogg Paktes im Jahre 1928 als verbrecherisch eingestuft, weswegen eine Rechtfertigung für den Aggressionskrieg des Dritten Reiches, der am 1. September 1939 durch den Angriff auf Polen begann, nicht in Betracht kam. Zum anderen existierte die individuelle Strafbarkeit im Völkerrecht schon vor der Tatbege99 So schon das Anklageplädoyer von Robert H. Jackson am 21. November 1945 in Müller, Der Nürnberger Prozess, 8; s. a. Wright, 41 AJIL 1 (1947), 38 (64). Die Absage an das Kollektivschuldkonzept ist heute allgemeine Ansicht, weil es als primitive und archaische Vorstellung angesehen wird, die dem Verständnis von Schuld und Strafe zuwiderläuft. Siehe auch First Annual Report of the ICTY, U.N. Doc. A/49/32S/1994/1007, Abs. 16 „If responsibility not for appalling crimes perpetrated in the former Yugoslavia is not attributed to individuals, then whole ethnic and religious groups will be held accountable for these crimes and branded as criminal. In other words ,collective responsibility‘ – a primitive and archaic concept – will gain the upper hand; eventually whole groups will be held guilty of massacres, torture, rape, ethnic cleansing, the wanton destruction of cities and villages. The history [. . .] clearly shows that clinging to feelings of ,collective responsibility‘ easily degenerates into resentment, hatred and frustration and inevitably leads to further violence and new crimes.“; van Boven, 6 EJIL (1995), 461 ff.; obige Sichtweise wurde schon von Hugo Grotius geteilt, der eine Verantwortlichkeit unter Kollektivschuldgesichtspunkten ablehnte, Grotius, De Iure Belli et Pacis libris tres, 3. Buch, Kap. 11 IV ff. 100 Schon aus kriminologischer Sicht war die Erkenntnis zum damaligen Zeitpunkt mehr als beachtlich; vgl. Jäger, Makrokriminalität, 29 „Die Untersuchung der Verbrechen unter totalitärer Herrschaft ist für mich insofern zu einem Schlüsselerlebnis geworden, als sie gezeigt hat, wie rasch man der Suggestion erliegt, kollektive Verbrechen als das verselbständigte Handeln von ,Systemen‘, ,Apparaturen‘ und organisierten Großgruppen zu interpretieren, das für persönlich motivierte Verhaltensweisen keinen Raum läßt. Erst die sich auf Einzelfälle konzentrierende prozessuale Aufarbeitung und die sich daran anschließende kriminologische Analyse haben diese vereinfachende Vorstellung als ontische Täuschung entlarvt. Deutlich geworden ist die an sich triviale Tatsache, daß schließlich auch ,Systeme‘ aus dem mehr oder weniger koordinierten Handeln einzelner bestehen, auf das sich individuelle Einstellungen, Beweggründe und Interessen unmittelbar und folgenreich auswirken. Es ist der historische Verdienst der Nachkriegsprozesse, einen differenzierteren Einblick in die Funktionsweise totalitärer Herrschaft vermittelt und insbesondere den Nachweis erbracht zu haben, daß das Leben zahlloser Menschen oft von Entscheidungen und Verhaltensweisen einzelner Funktionsträger in konkreten Situationen abhing.“ 101 IMT-Mat. Bd. I., 249; Ex parte Quirin, 317 US 1 (1942). 102 IMT-Mat. Bd. I., 242 ff.
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hung der NS Verbrecher für Kriegsverbrechen103. Aus der Kombination beider Thesen traf das Gericht die berühmte Feststellung: „Viele andere Autoritäten könnten angeführt werden, doch genug ist bereits gesagt worden, um zu zeigen, dass Einzelpersonen wegen Verletzung des Völkerrechts bestraft werden können. Verbrechen gegen das Völkerrecht werden von Menschen und nicht von abstrakten Wesen begangen, und nur durch Bestrafung jener Einzelpersonen, die solche Verbrechen begehen, kann den Bestimmungen des Völkerrechts Geltung verschafft werden.“104
Durch die Feststellung, dass eine generelle individuelle Strafbarkeit für die in Art. 6 IMT Statut enumerierten Verbrechen bestehe, schlug das IMT zweifellos eine weisungsgebende Richtung ein. So sprach es nicht nur einen neuen Ansatz zu der Frage aus, „ob“ ein Individuum völkerrechtlich verantwortlich ist, sondern auch „wie weit“ diese Strafbarkeit greift. Anders formuliert: zum einen änderte sich der Umfang des Täterkreises. Wurde zuvor – wenn überhaupt – regelmäßig nur die „Truppe an der Front“ für Verletzungshandlungen innerstaatlich haftbar gemacht, war es das Ziel des IMT, die Hintermänner des NS Regimes für ihre strafbaren Handlungen auf internationaler Ebene zur Verantwortung zu ziehen105. Zum anderen veränderte sich der Umfang des tauglichen Opferkreises. Zwar war seit dem 19. Jahrhundert ein individueller Verstoß gegen das ius in bello rechtswidrig. Diese Regeln betrafen aber primär die Behandlung von fremdstaatlichen Streitkräften. Grausamkeiten der souveränen Staatsführung gegen das eigene Volk galten indes vor dem Nürnberger Prozess weitläufig als „innere Angelegenheit“, die als Ausprägung der absoluten Staatssouveränität jegliche internationale Einmischung verbot106 und somit straffrei war. 103 Insbesondere bezieht sich das Gericht in diesem Punkt auf die Haager Konventionen von 1899 und 1907; IMT-Mat. Bd. I, 246 und Ex parte Quirin, ibid., 249 sowie aus dem Terminus „Verbrechen“, der in den genannten Quellen benutzt wurde. Im Rahmen des ius in bello gab es schon im 19. Jahrhundert einen ausgeprägten debitus modus zum Schutz des Individuums; dazu Jescheck, Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, 33 ff. Als die wichtigsten Kodifikationen seien genannt: die Genfer Konvention über die Verbesserung des Loses Verwundeter Streitkräfte im Felde vom 22. August 1864; Text in Grewe, Fontes Historiae Iuris Gentium, Bd. 3/1, 551 ff.; Petersburger Konventionen von 1868, die Haager Landkriegsordnung (LKO), die aus den Haager Abkommen von 1899 (RGBl. 1901, 393) und 1907 (RGBl. 1910, 5) hervorgegangen ist. Beachtlich sind auch die „Instructions for the Government of Armies of the United States in the Field“ (sog. „Lieber Code“) vom 24. April 1863, der im Rahmen des Amerikanischen Bürgerkrieges erlassen wurde; abgedruckt in Bluntschli, Das moderne Völkerrecht, 483 ff. 104 IMT-Mat. Bd. I, 249. Die große Frage bis heute ist allerdings, ob – wie es das Gericht vollzogen hat – beide Grundsätze miteinander vermischt werden durften. Oder anders gewendet: War es zulässig, dass das Gericht die Feststellung über die Strafbarkeit verbrecherischer staatliche Akte in die Feststellungen über die individuelle Strafbarkeit von Personen „hineingepresst“ hat? Zur Kritik am Nürnberger Urteil siehe unten. 105 Siehe diesbezüglich die Ausführungen von Robert H. Jackson in seiner Anklagerede vom 21. November 1945, Müller, Der Nürnberger Prozess, 1.
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit
Die Strafbarkeitslücke wurde durch die Einbringung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Art. 6 (c) des IMT Statuts geschlossen. Aufgrund der Tatsache, dass die angeführten Quellen keine Trennung zwischen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorsahen, entschlossen sich die Siegermächte jedoch, den erstmalig kodifizierten Tatbestand eng auszulegen und mit dem Tatbestand der Kriegsverbrechen zu verbinden (sog. nexus)107. Die Reichweite des nexus war bis zur Verabschiedung des Berliner Protokolls vom 6. Oktober 1945108 allerdings unsicher, weil Art. 6 (c) des IMT Statuts aufgrund des divergierenden Originalwortlautes in der englischen und französischen Fassung einerseits und der russischen Fassung andererseits – genau genommen ging es um die Frage, ob zwei Satzteile durch ein Semikolon oder ein Komma zu trennen sind – unterschiedlich ausgelegt werden konnte109. Durch Angleichung der englischen und französischen Fassung an die russische; mithin der Umwandlung des streitigen Semikolons in ein Komma, wurde klargestellt, dass ein nexus zwischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen für alle Tatbestandsalternativen gelten sollte. Die in Deutschland durchgeführten Strafhandlungen der Verfolgung, Unterdrückung und Ermordung von Zivilpersonen, die unabhängig (insbesondere vor dem 1. September 1939) von einer Kriegshandlung begangen wurden, waren daher nicht aburteilsfähig110. Ex post wird die Restriktion unterschiedlich bewertet. Auf der einen Seite hätte das IMT eine ungenutzte Chance verstreichen lassen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit von den Kriegsverbrechen abzugrenzen111. Andererseits wird betont, 106
Merkel in: Von Nürnberg nach Den Haag, 81. Genau genommen verlangt Art. 6 (c) IMT Statut eine Verbindung entweder zu einem Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen den Frieden. Warum letztere Verbindung vor dem Hintergrund, dass das Verbrechen gegen den Frieden genauso umstritten war wie das Verbrechen gegen die Menschlichkeit, für ausreichend erachtetet wurde, ist aus rechtsdogmatischer Sicht nur schwer nachvollziehbar und beruht vornehmlich auf politischen Erwägungen; Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law I, 523 (526). 108 Protokoll über die Berichtigung einiger Unstimmigkeiten im Wortlaut des Statuts, IMT-Mat. Bd. I, 19. 109 Die englische Originalfassung des Art. 6 (c) IMT Statut lautet: „Crimes against Humanity [. . .] committed [. . .] before or during the war; or persecution [. . .] in execution of or in connection with any crime within the jurisdiction of the Tribunal.“ (eigene Hervorhebung). Das Semikolon zwischen „war“ und „or“ konnte daher so interpretiert werden, dass der nexus zu Kriegsverbrechen nur für den Verfolgungstatbestand gelten soll. Durch Ersetzung des Semikolons in ein Komma (Angleichung an die russische Fassung) wurde klargestellt, dass das Nexuserfordernis für alle Tatbestandsalternativen gilt. 110 IMT-Mat. Bd. I, 285 „Um Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begründen, müssen die vor Ausbruch des Krieges begangenen und hier herangezogenen Handlungen in Ausführung eines Angriffskrieges oder in Verbindung mit einem der Zuständigkeit dieses Gerichtshofes unterstellten Verbrechen verübt worden sein.“ 111 Meseke, Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, 19. 107
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dass Art. 6(c) IMT Statut die (noch vertretbare) Grenze der damaligen Rechtsvorstellung kodifizierte und eine Abkopplung des neu eingeführten Tatbestandes von der anerkannten individuellen Strafbarkeit von Kriegsverbrechen nicht mehr juristisch tragbar gewesen wäre112. Letztere Ansicht erscheint vorzugswürdig. Wie an der prompten Kritik zum Nürnberger Urteil erkennbar ist, stand die Legitimität des Tatbestandes trotz Kodifizierung des nexus auf nicht unumstrittenen, aber nichtsdestotrotz überzeugenden113 rechtsdogmatischen Füßen. Eine Kodifizierung ohne Bindungswirkung zu einem bereits anerkannten Verbrechen hätte dem Urteil die Glaubhaftigkeit genommen.
III. Kritik am Strafverfahren und Nürnberger Urteil Schon kurz nach der Urteilsverkündung mangelte es nicht an Kritik114. Insbesondere wurde problematisiert, ob das Gericht das Recht rechtmäßig angewandt hat; sowohl im Bereich des materiellen, als auch im Bereich des Prozessrechtes. Grob vereinfacht lassen sich drei Problembereiche herausstellen: fraglich war erstens, ob durch die Anwendung des Tatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit das Gericht ein ex post facto Gesetz angewandt hat. Daraus resultierend, zweitens, ergab sich das Problem, ob „nullum crimen sine lege“ verletzt wurde. Drittens, wurde hinterfragt, ob das Gericht den fair trial Grundsatz
112 Merkel in: Von Nürnberg nach Den Haag, 81; Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law I, 521 (523) „The regulation of armed conflicts still distinguishes between norms applicable to conflicts of an international character and those applicable to conflicts of a non-international character [. . .]. At the time of the [IMT] Charter, however, war crimes only arose in the context of conflicts of an international character. At that time, another distinction also existed in international law between what was called the international law of peace and the international law of war. These legal distinctions were among the reasons why the drafters of the Charter had to link the new international criminal category of „Crimes against Humanity“ [. . .] to the established one of „war crimes“ [. . .]. The latter being a well established category of international crimes satisfied the required principles of legality.“ 113 In Polyukhovic v. Commonwealth, 172 CLR (1991), 501 (545) wurde mehrheitlich die völkergewohnheitsrechtliche Ausprägung des Verbrechens gegen die Menschlichkeit bei Aburteilung der Nazis befürwortet, vgl. Toohey J (Mehrheit) und Brennan J (Minderheit); in Regina v. Finta, 1 S.C.R. (1994) war die Stimmenverteilung 4-3 für eine rückwirkende, jedoch angemessene Bestrafung, vgl. Cory J (Mehrheit) und La Forest J (Minderheit); laut dem Hetherington-Chalmers Bericht (UK) war es im Jahr 1945 unsicher, ob Verbrechen gegen die Menschlichkeit illegal waren, Thomas Hetherington and William Chalmers, Report of the War Crimes Inquiry, 62; vgl. weiter Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 618. 114 Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law I, 521 (525) „[. . .] the [IMT] Charter’s extension by analogy [. . .] to the newly defined ,Crimes against Humanity‘ was a logical and necessary step. No one, in fact, ever questioned the merits of prohibiting such conduct as defined by the Charter’s Article 6 (c), but whether the newly formulated crime could be made to apply after its definition in positive international law and only to the vanquished were among the most persistently asked questions.“
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beachtet hat. Hier spielte das Siegerjustiz-Argument und das tu-quoque Prinzip eine vorrangige Rolle. 1. Ex post facto Gesetzgebung Die Siegermächte hätten bei der Aburteilung der NS Hauptkriegsverbrecher einen auf den ersten Blick scheinbar einfacheren Weg gehen können. Weil sie aufgrund der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands de jure Souveränitätsgewalt über das deutsche Territorium ausübten, wäre es möglich gewesen, das Nürnberger Tribunal völkerrechtlich als Akt der innerstaatlichen Hoheitsmacht zu deklarieren115. Stattdessen wurde ein Tribunal geschaffen, das als Treuhänder der Welt116 fungieren sollte. Zwei der drei vom Gericht angewandten Straftatbestände stießen auf besonders harsche Kritik. Zum einen war die Kodifizierung des Verbrechens gegen den Frieden in Art. 6 (a) des IMT Statutes problematisch, weil die aggressive Kriegsführung vor Nürnberg nach herrschender Meinung als nicht individuell strafbare Handlung eingestuft wurde117. Zum anderen stellte die Festschreibung
115 Merkel, Von Nürnberg nach Den Haag, 68 (79). Das diese Option doch nicht verwirklicht wurde, hängt mit der sich daraus ergebenden (noch größeren) Rückwirkungsproblematik zusammen. 116 Die Autorität des Gerichtes wird teilweise aus internationalen Verträgen abgeleitet; insbesondere dem Londoner Abkommen, dem neben Großbritannien, den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich und der Sowjetunion gem. Art. 5 des Abkommens Griechenland, Dänemark, Jugoslawien, die Niederlande, die Tschechoslowakei, Polen, Belgien, Abessinien, Australien, Honduras, Norwegen, Panama, Luxemburg, Haiti, Neu Seeland, Indien, Venezuela, Uruguay und Paraguay beigetreten sind; vgl. IMT-Mat. Bd. 1, 7 f. Dagegen wird vorgebracht, dass ein internationaler Gerichtshof nur durch Vertrag geschaffen werden kann, und der Kreis der Gerichtsbarkeit sich auf die Mitgliedsstaaten erschöpft; Report of the ILC, 2nd Sess. June 5–July 29, 1950, U.N. General Assembly, Official Records, 5th Sess., Supp. No. 12 (A/1316). Deutschland aber sei dem Londoner Abkommen nie beigetreten, noch habe es die Gerichtsbarkeit des IMT angerkannt; Ehard, SJZ 1948, 353 (355 f.). Vertiefend Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht 149 ff. Als Alternative wird eine Herleitung über die Entscheidung der Londoner Konferenz vorgeschlagen; Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, 41. Im Prozess selbst stellte das Gericht klar, dass es Einwände zur Rechtmäßigkeit des Gerichts nicht hören werde; die Beschuldigten hätten nur das Recht darauf, nach den Regeln von promulgiertem „Recht und Gesetz“ gerichtet zu werden; Birkett, 23 Int’l Affairs (1947), 317 (321). 117 Prominentester Befürworter dieser traditionellen Ansicht ist wohl Hans Kelsen, vgl. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, 125, 161; ders. 14 HR (1926.IV), 231 (283 ff.); vgl. weiter Ehard, SJZ 1948, 354 (358, 360 ff.). Der bekannteste Einwand gegen die erwähnten Verträge in IMT-Mat. Bd. I, 241 ff. ist die mangelnde Beachtung der (schwachen) Bindungskraft sowie mangelnde individuelle Strafandrohung innerhalb der Quellen, Finch, 41 AJIL 1 (1947), 20 (26); Triffterer, Dogmatische Untersuchungen zur Entwicklung des materiellen Völkerstrafrechtes seit Nürnberg, 40; Kelsen, 1 ILQ (1947), 153 (165). Das Gericht bezieht sich jedoch auch in IMT-Mat. Bd. I, 249 auf Ex parte Quirin, 317 U.S. 1 (1942), wo nach
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des Verbrechens gegen die Menschlichkeit ein Novum dar, das IMT behauptete indes, „bereits bestehendes Völkerrecht“ angewandt zu haben118. Richter Birkett, einer der Stellvertretenden Richter des IMT, entgegnete wie folgt: „International law is not created by a sovereign body. It is not laid down in statutes. It is not a static thing. It grows and develops as the consciousness of nations grows and widens and deepens. That is how international law becomes law, and there must come a point when some authority, for the first time says: ,This is now the law.‘“119
Birketts Aussage ist teilweise so verstanden worden, als hätte er eingestanden, das IMT hätte neues Recht geschaffen und die Strafbarkeit für Verbrechen gegen die Menschlichkeit rückwirkend begründet. Das trifft nicht zu. Birkett hat hervorgehoben, dass der Tatbestand zuvor existierte und das Urteil des IMT als deklaratorische schriftliche Fixierung zu verstehen ist120. Indizien für eine derartige Sichtweise lassen sich zum einen aus der Tatsache herleiten, dass der Begriff des Verbrechens gegen die Menschlichkeit (in leicht veränderter Form) bereits im 15. Jahrhundert im Hagenbach Fall erwähnt ist121. Auch gab es bereits Stimmen während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, die Englische Krone für „war against the natural rights of all mankind“ zur Rechenschaft zu
umfassender historischer Betrachtung die internationale individuelle Verantwortlichkeit bejaht wurde. 118 Wright, 41 AJIL 1 (1947), 38 (49); Birkett, 23 Int’l Affairs (1947), 317 (325). 119 Birkett, 23 Int’l Affairs (1947), 317 (323); ähnlich auch Robert H. Jackson in Müller, Der Nürnberger Prozess, 53 und das IMT Tribunal selbst in IMT-Mat. Bd. I, 247; vgl. weiter die Ausführungen des Richters Cardozo in New Jersey v. Delaware, 291 U.S. (1934) 361. „International law, or the law that governs between states, has at times, like the common law within states, a twilight existence during which it is hardly distinguishable from morality or justice, till at length the imprimatur of a court attests its jural quality.“ Zum Verständnis von ex post facto und nullum crimen sine lege führte Robert Jackson aus „The ex post facto provision of our Constitution has not been held to protect the citizens against retroactive change in decisional law, but it does against such a prejudicial change in legislation“. Nach obiger Ansicht soll Völkergewohnheitsrecht so lange nicht bestehen, bis es von einem Gericht festgestellt wurde. Siehe auch Minear, Victors’ Justice. The Tokyo War Crimes Trial, 61 und U.S. v. Harris, 347 U.S. (1954) 635. 120 Birkett stellt insoweit klar, „that the Charter [. . .] was existing international law“, Birkett, 23 Int’l Affairs (1947), 317 (325). Rückwirkende Strafbegründung war zu dieser Zeit im amerikanischen Recht verboten, vgl. Art. I sect. IX § 3 der amerikanischen Verfassung; Finch, 41 AJIL 1 (1947), 20 (34) bejaht demzufolge einen Verstoß gegen den ex post Grundsatz im Nürnberger Prozess unter Zugrundelegung der Amerikanischen Rechtsgrundsätze ausdrücklich für Anklagepunkt 1 (Gemeinsamer Plan oder Verschwörung) sowie Anklagepunkt 2 (Verbrechen gegen den Frieden), nicht aber explizit für Anklagepunkt 4 (Verbrechen gegen die Menschlichkeit). Im englischen Recht war die rückwirkende Strafbegründung grundsätzlich erlaubt, Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, 241. 121 Siehe oben B.I.
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ziehen122. Weitere Verbindungspunkte finden sich in Art. 227 des Versailler Vertrages, der sich jedoch auf das Verbrechen gegen den Frieden bezieht, sowie in der Erklärung von Frankreich, Großbritannien und Russland vom 28. Mai 1915 bezüglich des Völkermordes an der Armenischen Bevölkerung123. Schließlich wurde vertreten, den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit aus der Martens’schen Klausel124 abzuleiten, die die Regeln und Gebräuche der „Menschlichkeit“ im Krieg festlegt. Die aufgeworfenen Rechtsquellen mögen eine Herleitung des Verbrechenstatbestandes verdeutlichen. Sie klären indes nicht die dahinter stehende Frage, welcher Umfang an Vorhersehbarkeit für den Beschuldigten mit Hinblick auf das Legalitätsprinzip notwendig ist. Hier prallen die zivilistisch geprägt positivistische, und die im angloamerikanischen Rechtskreis vorherrschende naturalistische Rechtsphilosophie aufeinander. Folgt man dem positivistischen Ansatz, ist freilich erklärbar, warum das IMT gegen ex post facto verstoßen haben soll. Zum Zeitpunkt des Nürnberger Urteils existierte keine explizite Kodifikation des Tatbestandes. Folglich gab es auch kein diesbezügliches „Recht“, sodass eine Aburteilung nach derartigem Verständnis unrechtmäßig war. Auch die Ableitung aus der Martens’schen Klausel überzeugt dann nicht, weil sie nur Gebräuche des Krieges regelt und mangels Verallgemeinerungsfähigkeit nicht auf das Verbrechen gegen die Menschlichkeit übergeleitet werden kann125. Mithin ist insbesondere im zivilistischen Rechtskreis kritisiert worden, dass durch die Aburteilung mithilfe des Tatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlich122
Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law Bd. I, 3 (69). UNWCC, History of the United Nations War Crimes Commission, 35; Goldenberg, 10 W. Ontario L. Rev. (1971), 1 (4 f.). 124 Die Präambel der Haager Konvention von 1899 lautet „Populations and belligerents remain under the protection and empire of the principles of international law, as they result from the usages established between civilized nations, from the laws of humanity, and the requirements of the public conscience.“ (eigene Hervorhebung) Die gleiche Formulierung findet sich in der Präambel der Hager Konvention von 1907 „[. . .] as they result from the usages established among civilized peoples, from the laws of humanity, and the dictates of the public conscience.“ (eigene Hervorhebung), sowie eine vergleichbare Formulierung in Protokoll I Art. 1–2 und Protokoll II, Präambel „principles of humanity“. Der Begriff „Martens’sche Klausel“ geht auf den Namen des Russischen Diplomaten zurück, der sie verfasste; zur Auslegung der Klausel vgl. Legality of the threat or use of nuclear weapons, ICJ Rep. 1996, 257; ibid., Dissenting Opinion of Judge Shahabudden, 406; Pictet, Development and Principles of International Humanitarian Law, 59; Chetail, 21 Refugee Survey Q (2002), 199 (203 f.); Münch, ZaöRV 1976, 447 ff. 125 Cryer, Prosecuting International Crimes, 248 „Precedents for charging crimes against humanity are thin on the ground before the twentieth century. The first time an analogous concept was used was the famous ,Martens clause‘, which refers to principles of the law of nations, as they result from the laws of humanity, and the dictates of the public conscience’. There is no clear basis for inferring criminal responsibility from this.“; Bassiouni, 9 CWInt’lLJ (1979), 209 (210); ders., Crimes against Humanity in International Law, 182. 123
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keit das Legalitätsprinzip verletzt wurde126. Der naturalistische Ansatz, dem das IMT gefolgt ist127, unterscheidet im Gegensatz zum positivistischen Ansatz nicht zwischen geschriebenem und ungeschriebenem Strafrecht, sondern wählt als Ausgangspunkt des Rechtes „das in der Natur innewohnende Gute“, welches dann verwirklicht ist, wenn menschliche Gerechtigkeit herbeigeführt wurde. Das ist dann der Fall, wenn „das natürliche Gute“ für alle Beteiligten durch das Gesetz verwirklicht ist128. Oberstes Prinzip der Gerechtigkeit ist „das naturalistische Gute“, welches im Gegensatz zum positivistischen Ansatz nur durch das Gesetz „spricht“ und im Kollisionsfall vorgeht129. Der Ansatz ist auch heute noch im angloamerikanischen Rechtskreis stark verankert130. Wie allerdings aus der aus dem Jahre 2004 stammenden Grundsatzentscheidung Sosa v. Alvarez-Machain hervorgeht, scheint der US Supreme Court nunmehr entgegen dem Cicero’schen Verständnis einen moderneren Weg einschlagen zu wollen. So stellte das Gericht fest: „we now tend to understand common law not as a discoverable reflection of human reason, but in a positivistic way, as a product of human choice.“131
Im Endeffekt ändert sich für die Frage nach der rechtmäßigen Anwendung nur wenig. Selbst wenn man das Verständnis von Sosa zugrunde legen würde, wären die Beschuldigten vor dem IMT verurteilt worden. Grundlage wäre dann nicht das „naturalistische Gute“, sondern die selbstverantwortliche Entscheidung der Hauptkriegsverbrecher gewesen, entgegen besseren Wissens „furchtbarste Verbrechen“ begangen zu haben. 126 Bassiouni, Crimes against Humanity in International Criminal Law, 108 „The law of the Charter, however, violated the ,principles of legality‘ as applied under then existing French Civilist and Germanic legal tradition, though not necessarily under the views of some common law exponents. But to deny legitimacy to the Charter would enable the perpetrators to escape criminal accountability for their misdeeds.“ 127 Zu den Gründen Bassiouni, Crimes against Humanity in International Criminal Law, 104. 128 Freilich gibt es innerhalb des naturalistischen Ansatzes unterschiedliche Auffassungen, wie „das Gute“ zu bestimmen ist. Deistische Naturalisten berufen sich etwa auf Gott als oberste Instanz (auf diesem Gedanken ist etwa die Shari’a aufgebaut), während ethische Naturalisten sich auf gemeinschaftliche ethische Werte stützen. In jedem Fall ist jedoch „das Gute“ vom menschlichen Handlungswillen nicht entkoppelt. Das höhere Recht ist unterfüttert durch die menschliche Vernunft. 129 So auch Blackstone, Commentaries on the Laws of England, 41 „This law of nature, being co-eval with mankind and dictated by God himself, is of course superior in obligation to any other. It is binding over all the globe, in all countries, and at all times: no human laws are of any validity, if contrary to this; and such of them as are valid derive all their force and all their authority, mediately or immediately, from this original.“ 130 Hay, Law of the United States, Rn. 12; Blumenwitz, Einführung in das angloamerikanische Recht, 23. 131 Sosa v. Alvarez-Machain et al., Certiorari to the United States Court of Appeals for the Ninth Circuit (Urteil v. 29. Juli 2004), 542 US 1 (35).
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Daher ist es im Ergebnis auch irrelevant, ob der vom IMT vertretenen klassischen naturalistischen Ansicht132, oder der modernen Auffassung in Sosa zu folgen ist; in jedem Fall erscheint die Bestrafung der Täter folgerichtig, weil sie wissen mussten, dass ihre Taten mala in se strafbare Handlungen darstellten und damit entweder aus naturrechtlichen Gesichtspunkten „ungerecht“ waren und folgerichtig mit einer Verurteilung unabhängig davon, ob der Tatbestand kodifiziert ist oder nicht, rechnen mussten, oder sie deshalb schuldig sind, weil sie wussten, dass das, was sie taten, entgegen besserem Wissens „malum in se“ war, und eine Bestrafung aus Gerechtigkeitsgesichtspunkten unumgänglich erschien133. Den Tätern ist ein solches Wissen auf der Grundlage des existierenden Völkergewohnheitsrechts nachzuweisen134. Bei den begangenen Handlungen der 132 Gegen den naturalistischen Ansatz wird primär das Argument ins Feld geführt, das Konzept sei zu weit, ungenau und unberechenbar. Dementsprechend soll, im Vergleich zum positivistischen Ansatz, ein größerer Aufwand erforderlich sein, um die erforderliche Schärfe zu erreichen. Das Problem ist indes grundlegender und basiert auf einem unterschiedlichen Verständnis von „Gerechtigkeit“. Während die „Gerechtigkeit“ aus positivistischer Sicht vor allem auf der Rechtsbeständigkeit und Rechtssicherheit aufbaut, ist beim naturalistischen Ansatz die „Einzefallgerechtigkeit“ gemäß dem Grundsatz iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi – Gerechtigkeit ist der beharrliche und dauernde Wille, jedem sein Recht zu geben – oberste Prämisse, obgleich auch hier die Rechtssicherheit durch die Bindung an stare decisis verwirklicht wird. Mit Hinblick auf den Aspekt der Gerechtigkeit wird vertreten, dass rückwirkende Strafbarkeitsbegründung möglich sein soll, wenn eine Straflosigkeit das Rechtsgefühl in erheblicher Weise verletzt; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, 241; vgl. ferner OGHSt Bd. 1, 5. Nach amerikanischer Rechtsansicht ist Gerechtigkeit „being in itself a part of „virtue“, welches „is confined to things simply good or evil“; Black’s Law Dictionary, 1002. Zum Begriff der „vagueness“ siehe auch Regina v. Finta, 1 S.C.R. (1994), 701 (785); R. v. Nova Scotia Pharmaceutical Society, 2 S.C.R. (1992), 606 (643); United Nurses of Alberta v. Alberta, 1 S.C.R. (1992), 901 (930). Zum Verhältnis zwischen Rechtssicherheit, Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit siehe auch Radbruch, SJZ 1946, 105 ff. 133 Anschaulich Poust: „The great stream of philosophical thought which flowed through Greece and Rome and the medieval world and infused fundamental ideals of justice into the legal thinking of the eighteenth century, may be ignored but cannot be destroyed by neorealists who peer at the courts through a microscope and triumphantly discover that judges are human and conclude that the economic selfishness of a ruling group is the main determinant in the development of law. The basic principle – sic utere tuo ut alienum non laedas, the maxims of equity, and the foundations of all criminal law which rests upon the Ten Commandments – all these and, above them all, man’s craving for, and belief in, justice according to law, testify to the deep ethical roots which nourish the trunk and branches of law. [. . .] The problems of international law cannot be considered in a theoretical vacuum. Neither the wisdom nor the existence of asserted rules of common international law can be appraised without appraising also the conduct which has been condemned and the menace to the peace of the world implicit in that conduct.“, in: Brand, 28 Or.L.Rev. 2 (1949), 93 (102). Vgl. auch Matas, 43 U.N.L.J. (1994), 281 (283) „crimes against humanity are malum in se“. Siehe weiter Regina v. Finta, 1 S.C.R. (1994), 701 (709). 134 Cassese, International Criminal Law, § 7.4.2; Scharf, 3 AFLA (2005), 77 (82).
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Hauptkriegsverbrecher im Dritten Reich stand das außer Zweifel. Ihnen hätte klar sein müssen, dass die willkürliche systematische und ausgedehnte Vergasung von Zivilisten malum in se ist135 und deshalb bestraft werden muss, ganz gleich ob es von formalen Gesetzen legitimiert war oder nicht. Recht, das sich zur Unmoral selbst pervertierte, um fundamentales Unrecht zu tun, konnte keine Beachtung finden und verstieß bei Tatbegehung gegen die Grundprinzipien des (z. B. humanitären) Völkerrechts, schutzlosen und kranken Personen besonderen Schutz zukommen zu lassen, anstatt sie in darwinistischer Manier auszurotten. Die Bedienung der formal juristischen Argumentationstechnik, wonach die NS Hauptkriegsverbrecher deshalb hätten (zumindest partiell) freigesprochen werden müssen, weil es nirgendwo ein geschriebenes (völkerrechtliches) Gesetz gegeben hätte, welches willkürliche und systematische Abschlachtungen verbiete, kann nicht ernsthaft vertreten werden. Das IMT Statut hat indes gut daran getan, den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit mit dem Tatbestand der Kriegsverbrechen zu verbinden und dadurch (auch) einer derartigen Argumentationsweise entgegentreten. Unbestreitbar war rein formalistisch betrachtet zumindest für Kriegsverbrechen die völkerrechtliche individuelle Strafbarkeit anerkannt. Die beim IMT Prozess vorhandene Spannungslage zwischen formaler Rechtssicherheit und materiellem Unrechtsbewusstsein ist insoweit vom IMT in nachvollziehbarer und zustimmungswürdiger Weise aufgelöst worden. Freilich darf nicht verschwiegen werden, dass sich die Angeklagten allem Anschein entgegen in einem Rechtsirrtum befunden haben konnten und – wenngleich kaum vorstellbar – von der Nichtstrafbarkeit eines systematischen Massenmordes ausgingen. Im deutschen Strafrecht kann ein derartiger Einwand den Beschuldigten zumeist nicht in die Straflosigkeit helfen, weil er sich durch gehörige Gewissensanspannung mit der Rechtslage hätte vertraut machen können. Im Völkerstrafrecht ist – prima facie – eine „Rückversicherung“ schwieriger, weil den Beschuldigten nicht nur kodifiziertes Völkerrecht, sondern auch ungeschriebenes Völkergewohnheitsrecht entgegentritt. Chefankläger Robert H. Jackson stellte fest: „Das Völkerrecht muss sich, soll es sich überhaupt entwickeln, wie das gemeine Recht[136] von Fall zu Fall entwickeln, und zwar schreitet es immer auf Kosten derer fort, die es verkannt und ihren Irrtum dann zu spät bemerkt haben.“137 135 In diese Richtung auch Robert H. Jackson in seiner Eröffnungsrede beim Nürnberger Prozess in: Jackson, The Nürnberg Case, 94. 136 „Gemeines Recht“ ist hier als „Common Law“ im Sinne des anglo-amerikanischen Rechtskreises zu verstehen, englische Fassung des Zitats in Wright, 41 AJIL (1947), 38 (59 Fn. 85). 137 Robert H. Jackson in Müller, Der Nürnberger Prozess, 53. Robert H. Jackson bringt zudem ein weiters Argument für die Nichtanwendbarkeit des Rückwirkungsverbots für NS Verbrecher in den Prozess ein. Diese könnten sich schon deshalb nicht
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Beachtenswert ist, dass die Schwere der Rechtsfolge bei einem Staatenverstoß auf der einen, und einem völkerrechtlich strafbewährten Individualverstoß auf der anderen Seite erheblich divergieren kann. Während Staaten Fehlverhalten mit Reparationszahlungen und Entschuldigungen bezahlen müssen, steht für das Individuum am Ende des Rechtsirrtums eine langjährige Haftstrafe oder der Tod138. Man könnte daher argumentieren, dass der Beschuldigte, der Teil eines solchen nationalen oder internationalen Strafprozesses ist, ein besonders hohes Maß an Rechtssicherheit verdient, mit der Folge, dass die Verurteilung auf kodifiziertes Recht zu beschränken ist.
darauf berufen, weil sie generell während der Tatausführung nicht auf die Gesetze des Völkerrechts vertrauten, Müller, Der Nürnberger Prozess, 50; Regina v. Finta 1 S.C.R. (1994), 701 (709 ff.) „The rule against retroactive legislation is a principle of justice. A retroactive law providing individual punishment for acts which were illegal though not criminal at the time they were committed, however, is an exception to the rule against ex post facto laws. Individual criminal responsibility represents certainly a higher degree of justice than collective responsibility. Since the internationally illegal acts for which individual criminal responsibility has been established were also morally the most objectionable and the persons who committed them were certainly aware of their immoral character, the retroactivity of the law applied to them cannot be considered as incompatible with justice. Justice required the punishment of those committing such acts in spite of the fact that under positive law they were not punishable at the time they were performed. It follows that it was appropriate that the acts were made punishable with retroactive force“. Ein weiteres Argument gegen ex post facto könnte sein, dass das NS Regime 1935 selbst im Strafrecht das Rückwirkungsverbot abgeschafft hat, Gattini, 2 J Int’l Crim Just. (2004), 795 (801). Diese Argumentationsmethode erinnert sehr an die im deutschen Recht bekannte Radbruchsche Formel (dazu sogleich). 138 Zur Frage, inwieweit die Verhängung der Todesstrafe durch das IMT mit der Wahrung der „Menschlichkeit“ vereinbar war siehe Schabas, 60 AlbLRev. (1996), 733 ff.; Aroneanu, Das Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 30 „Es ist nur recht und billig, dass die an tausendfachen Ermordungen Schuldigen wenigstens wie Verbrecher des gemeinen Rechts behandelt werden. Denn wenn es auch unmöglich ist, dem Urheber von tausend Morden tausendfach das Leben zu nehmen, so wäre es doch noch tausendmal widersinniger, sein einziges Leben zu schonen, das er schon als Sühne für das erste seiner Verbrechen verwirkt hat, nur weil er statt eines Verbrechens deren tausend begangen hat.“ Vgl. auch Art. 27 IMT Statut, der die Verhängung der Todesstrafe gestattete. Die von Aroneaunu vertretene Auffassung ist nach heutiger Auffassung strittig, da (zumindest nach europäischen Standards) die Verhängung der Todesstrafe menschenrechtswidrig ist; vgl. Art. 2 ECHR, 213 U.N.T.S. 222 (224); anders aber Art. 6 ICCPR, 999 U.N.T.S. 171 (174 f.); Art. 4 ACHR „Pact of San Jose, Costa Rica“, 1144 U.N.T.S. 123 (145). Zur Rechtmäßigkeit der Verhängung der Todesstrafe für Saddam Hussein durch das Iraqi High Tribunal für begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit siehe 11 MEQ (2004) 61 (62 f.) „MEQ: Will Saddam and his associates face the death penalty? Chalabi [Anm. ehemaliger Vorsitzender Richter des IHT]: Yes. Under Iraqi criminal law, the penalties for murder and rape include the death penalty. The statute of the Tribunal links penalties for crimes of which Saddam and his associates are accused to murder and rape penalties.“; Müller, FAZ v. 2. Januar 2007, 3 „Die Todesstrafe [. . .] verstößt nicht gegen Völkerrecht. Doch in ihrer Vollstreckung an Saddam Hussein bündelt sich noch einmal die Kritik an dem gesamten Verfahren.“
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Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass sich das Völkerstrafrecht nur mit den „gröbsten Auswüchsen“ strafwürdigen Verhaltens befasst, welches sich als Teil einer Kriminalität im Großformat darstellt. Bei schwerwiegenden Einzelstrafhandlungen, die als Teil eines systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung begangen werden, ist eine Berufung auf ein „Nichtwissen der Strafbarkeit“ realitätsfremd und kaum nachvollziehbar. Die Rechtsicherheit für den Angeklagten kann im Völkerstrafrecht nicht in jedem Fall Vorrang haben139. Die Prinzipien ex post facto und nullum crimen sine lege sind nicht an einen unumstößlichen Strafbefreiungsautomatismus gekoppelt. „Der Wertetrias der Gesetzmäßigkeit, das Streben nach Gerechtigkeit und Rechtssicherheit sind die Erfordernisse einer Justiz“140. Wer das anders sieht, und auf strikten Rechtspositivismus setzt, darf sich nicht scheuen, den einmal eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen. In Nürnberg hätte er etwa Julius Streicher und Baldur von Schirach freisprechen müssen, weil beide lediglich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt wurden. Bei internationalen Verfahren, die in Zusammenhang mit der UN stehen, ist das höchste Mittel der Sanktion – die Todesstrafe – zudem ausgeschlossen. Hält man den hier gezeichneten Ansatz für stichhaltiger, stellt sich die Frage, wann der Gerechtigkeit der Vorrang vor der Rechtssicherheit zu gewähren ist. Diesbezüglich erweisen sich die von Gustav Radbruch berühmt gewordenen Aussagen, welche als Radbruchsche Formel zusammengefasst werden, als fruchtbar. Nach der Radbruchschen Formel soll zumindest dann der Gerechtigkeit der Vorrang vor der Rechtssicherheit einzuräumen sein, wenn der Widerspruch des positiven Rechts zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht hat, dass das formalistische Gesetz als „unrichtiges Recht“ der Gerechtigkeit zu weichen hat141. In Anlehnung an das „malum in se“ Prinzip müssen in 139 Im Ergebnis so auch Werle, NJW 2001, 3001 (3002); Naucke, Die Strafjuristische Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität, 70 f. „Man muß, um das Rückwirkungsverbot zu Gunsten staatsverstärkter Kriminalität juristisch einsetzen zu können, blinder Positivist sein, wozu kein Jurist verpflichtet ist. Sobald diese selbstverschuldete Blindheit aufgegeben ist, liegt der normale Fall eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsgebot nicht vor.“; dagegen Kunz, Kriminologie, 398 Rn. 12. 140 Radbruch, SJZ 1946, 105 (III). 141 Als Radbruchsche Formel wird die These von Gustav Radbruch bezeichnet, wonach sich der Richter im Konflikt zwischen positiven (gesetztem) Recht und Gerechtigkeit unter bestimmten Umständen gegen das Gesetz für die Gerechtigkeit zu entscheiden hat. Die von Radbruch in SJZ 1946, 105 (107) veröffentlichte Formel lautet: „Der Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, dass das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als „unrichtiges Recht“ der Gerechtigkeit zu weichen hat. Es ist unmöglich, eine schärfere Linie zu ziehen zwischen den Fällen des gesetzlichen Unrechts und den trotz unrichtigen Inhalts dennoch geltenden Gesetzen; eine andere Grenzziehung aber kann mit aller Schärfe vorgenommen werden: wo Gerechtigkeit
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jedem Fall zumindest dann Gerechtigkeitserwägungen durchschlagen, wenn der Täter durch seine Handlung nicht einmal die Gerechtigkeit erstrebte142. Dann kann ihm auch das Argument: „Was gestern Recht war, kann heute kein Unrecht sein“143 nicht helfen, da die Grundregeln des Rechts und der Gerechtigkeit eigenverantwortlich und fundamental missachtet wurden144 und folglich der Rechtssatz mangels moralischer Legitimität keine Rechtsqualität besitzt. Die Radbruchsche Formel spielt in der deutschen Strafrechtsdogmatik neben seiner Einschlägigkeit in den Bewertungen von NS Unrecht eine Rolle bei den Mauerschützenurteilen. Es wird vorgeschlagen, den Grundsatz generell auf die im Völkerstrafrecht verankerten Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuwenden145. Dies hätte zwei entscheidende Vorteile: zum einen schafft die Radbruchsche Formel eine gerechte Grenzziehung zwischen angloamerikanischer „malum in se“ Auslegung, zivilistischem Rechtsicherheitsdogma, und der mitunter schwerwiegendsten Konsequenz für den Täter im Falle eines Schuldspruchs. Zum anderen wäre die Formel im Gegensatz zum restriktiven Anwendungsbereich innerhalb der deutschen Rechtsordnung bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit regelmäßig anwendbar. Denn die Berufung auf ein Gesetz, welches die nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewusst verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht nur nicht „unrichtiges Recht“, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur.“; vgl. zur Radbruchschen Formel Forschner, Die Radbruchsche Formel in den höchstrichterlichen „Mauerschützenurteilen“; Sprengler, NJ 1997, 3; BVerfG 23, 98 (98 ff.); BGHZ 3, 94; BGHSt 39, 1; BGHSt 41, 101; 41, 157; 41, 247. Die Radbruchsche Formel ist nach deutschem Rechtsverständnis umstritten, weil sie (augenscheinlich) gegen Art. 103 Abs. 2 GG, der keine Ausnahmeregelung enthält, verstoßen soll. Dagegen spricht aber die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (Art. 25 GG), die Stellung der Menschenwürde innerhalb des GG (Art. 1 und 79 III GG), sowie die Stellung des Völkerrechts als überstaatliches, vorrangiges Recht. Art. 7 Abs. 2 der EMRK enthält ausdrücklich eine Bestätigung dieser in Nürnberg erarbeiteten Grundregel (sog. „Nürnberg Klausel“), allerdings hat Deutschland die EMRK mit Ausschluss von Art. 7 Abs. 2 ratifiziert. 142 Vgl. Radbruch, SJZ 1946, 105 „Ich schließe mich insoweit in vollem Umfange einem Rechtsgutachten an, daß der Dekan der juristischen Fakultät der Universität Jena, Herr Professor Dr. Lange, zu dieser Frage erstattet hat. So bekannt waren die Verhältnisse im Dritten Reich, dass man genau wusste: Wenn jemand wegen eines Zettels ,Hitler ist ein Massenmörder und an diesem Kriege schuld‘ im dritten Kriegsjahr zur Verantwortung gezogen wurde, daß dieser Mann dann mit dem Leben nicht davonkommen konnte. Wie die Justiz das Recht beugen würde, konnte ein Mann wie Puttfarken gewiss nicht übersehen, aber er konnte sich schon darauf verlassen, dass sie das fertigbringen würde.“ (Hervorhebung im Original) 143 So Egon Krenz, der letzte Staatsratsvorsitzende der DDR in seinem Schlusswort bei der Revisionsverhandlung vor dem BGH, vgl. FAZ v. 28.10.1999, 5. 144 So auch EGMR, NJW 2001, 3035 im Fall Streletz, Keßler, Krenz Rn. 87. 145 Naucke, Die Strafjuristische Privilegierung Staatsverstärkter Kriminalität, 44 „Mit der Radruch-Formel ist es nicht anders. Man kann sie ausdehnen mit dem Ziel, einen größeren Bereich strafrechtlichen Staatsunrechts zu bestimmen, und man kann sie einengen mit dem Ziel, einen noch kleineren Bereich strafrechtlichen Staatsunrechts festzulegen – ohne jeweils die Grundlagen dieser Formel aufzugeben.“
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fundamentalen Grundwerte der Menschlichkeit missachtet, oder das blauäugige Verschließen der Augen vor der Strafbarkeit von Handlungen, die nach gesundem Menschenverstand zutiefst unrichtig und abstoßend sind und daher eine Bestrafung geradezu herausfordern, ist nicht nur unzweckmäßig, oder ungerecht, sondern verhöhnt den eigentlichen Sinn und Zweck, warum überhaupt Recht gesprochen wird. 2. „Nullum crimen sine lege“ Hintergrund des nullum crimen sine lege Prinzips ist im angelsächsischen Recht die Vorstellung, dass das Völker(straf)recht originär aus dem Grundsatz des allgemeinen Gerechtigkeitsprinzips erwächst146. Dementsprechend ist die Rechtsregel „nullum crimen sine lege“ nicht, wie im deutschen nationalen Strafrecht üblich, als Verfahrensvorschrift, sondern als „Grundsatz der Gerechtigkeit“ auszulegen147. Daraus ergibt sich, dass die Beachtung von nullum crimen sine lege nicht unumstößlich ist, sondern nur als Gerechtigkeitserwägung zugunsten des Beschuldigten einfließt148. Oberstes Prinzip bei der Auslegung von Völkerstrafrecht muss der Ruf nach internationaler Gerechtigkeit sein149, welches durch die allgemein anerkannten Völkerrechtsquellen zwar präzisiert150, aber nicht darauf zu beschränken ist. In Regina v. Finta ist ausgeführt: 146 Koki Hirota v. General of Army McArthur, 338 US (1948) 197 „the maxim nullum crimen sine lege is not a limitation of sovereignty, but is in general a principle of justice“; Wright, 41 AJIL 1 (1947), 38 (54); Lord Stowell für den British High Court of Admirality; 1 C.Rob. (1799) 135. Für die vom IMT eingeschlagene Richtung wohl auch schließlich Hans Kelsen, obwohl dieser zu Beginn strikter Befürworter der Trennung zwischen Rechtstheorie und Gerechtigkeitsphilosophie war; Kelsen, 55 Harv. L.Rev. (1941), 44 (66 ff.); ders., Law and Peace in International Relations, 37 und ders., Peace through Law, 87. Eine Interpretation aus heutiger Sicht seines Standpunktes liefern Schabas, 11 EJIL (2000), 521 (538) und Gattini, 2 J Int’l Crim Just (2004), 795 ff. 147 IMT-Mat. Bd. I, 245 (für Verbrechen gegen den Frieden), für die zulässige Übertragung dieses Arguments auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit vgl. Fall Re Altstoetter (Juristen Urteil), US Military Tribunal (1947) in: Steiniger/Leszczynski, Fall 3, 128. Strittig ist zudem, ob der nullum crimen sine lege Grundsatz im angelsächsischen Recht überhaupt existiert. Bejaht, jedoch durch Anknüpfung an die stare decisis, Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, 237; verneinend Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, 62 ff. 148 Birkett, 23 Int’l Affairs (1947), 317 (324). 149 Wright, 41 AJIL 1 (1947), 38 (59). 150 Reicht die Auswertung von multilateralen Verträgen i. S. d. Art. 38 (1)(a) IGH Statut nicht und muss Völkerrecht durch Gewohnheitsrecht oder allgemeine Rechtsgrundsätze i. S. d. Art. 38 (1) (b) und (c) bestimmt werden, wird eine Kombinationslösung, Simma/Paulus, 93 AJIL (1999), 302 (313); Kreß, ZStW 111 (1999), 597 (613 ff.), sowie eine Gesamtbewertung des internationalen soft law, Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, 43 in Erwägung gezogen. Weiter wird vertreten, dass in bestimmten Fällen opinio necessitatis gänzlich das Element der Staatenpraxis ersetzen kann.
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit „I would simply note that many of the defendants tried in Nuremberg also raised this plea, in the form of nullum crimen sine lege, and this defence was rejected. [. . .] With regard to ,crimes against humanity‘, this at any rate is clear: the Nazis, when they persecuted and murdered countless Jews and political opponents in Germany, knew that what they were doing was wrong and that their actions were crimes which had been condemned by the criminal law of every civilized State. When these crimes were mixed with the preparation for aggressive war and later with the commission of war crimes in occupied territories, it cannot be a matter of complaint that a procedure is established for their punishment“151.
Die angloamerikanische Auslegungsvariante ist im zivilistischen Rechtskreis kritisiert worden. Die angeführten Gerechtigkeitserwägungen und die Natur des Rechtsprinzips als bloße „Gerechtigkeitsregel“ haben sich jedoch im Völkerstrafrecht zu Recht durchzusetzen vermocht. 3. Beachtung von fair trial und tu quoque Weiter wurde, insbesondere auf deutscher Seite, der Einwand erhoben, das Nürnberger Verfahren sei unfair gewesen, weil das Statut von den Siegern erlassen worden war und sich ausschließlich gegen die Besiegten richtete. „Die eine Streitpartei sei demnach alles in einem gewesen: Schöpfer der Gerichtsverfassung und der Strafrechtsnormen, Ankläger und Richter“152.
Die Kritik hat sicherlich seine Berechtigung. Führt man sich vor Augen, dass Robert Jackson als Hauptanklagevertreter bei der Erstellung des IMT Statuts samt den Prozessregeln, bei der Auswahl der Richter, und bei der Beschaffung und Auswertung der Beweise in fundamentaler Weise involviert war153, muss man sich zudem fragen, ob nicht nur das IMT als Institution, sondern auch die einzelnen Organe untereinander hinreichend überparteiisch und unabhängig handelten. Richter Birkett stellt den Vorwürfen zwei Argumente entgegen: – Erstens wäre das Gericht, hätten weitere (neutrale) Mächte auf der Richterbank gesessen, schnell an seine praktischen Kapazitätsgrenzen gestoßen, sodass die Durchführung eines (relativ) schnellen Verfahrens gefährdet gewesen wäre. Jede Aussage der Verfahrensbeteiligten und jedes Dokument hätte simultan in weitere Sprachen übersetzt werden müssen, was aufgrund der ohnehin schon fast unüberschaubaren Masse an Beweismitteln154 einen nicht erfüllbaren administrativen Aufwand zur Folge gehabt hätte155. Auch sei es 151
Regina v. Finta 1 S.C.R. (1994), 701 (736). Ehard, SJZ 1948, 353 (359); Kelsen, 1 ILQ (1947), 153 (171); zum Argument der Siegerjustiz zusammenfassend Werle, 109 ZStW (1997), 808 (811 ff.). 153 Meltzer, 68 Alb. LRev. (2004), 55 f. 154 Finch, 41 AJIL 1 (1947), 20 (23) „herculean efforts [. . .] in rounding up culprits and collecting evidence“. 155 Birkett, 23 Int’l Affairs (1947), 317 (320). 152
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schwierig gewesen zu eruieren, welche Staaten – was die Frage nach Schuld und Unschuld der Naziverbrecher betrifft – als hinreichend neutral einzustufen waren, um deren Vertretern hinreichende Distanz zuzusprechen156. – Zweitens war die Aburteilung der Verbrechen nach den Erfahrungen der Leipziger Prozesse157 durch deutsche Gerichte oder deutsche Richter keine Option, wenn eine effektive Bestrafung der Täter erfolgen158 und das Völkerrecht zum Wohle der Staatengemeinschaft konkretisiert werden sollte. Ob Birketts Einschätzungen ex post betrachtet überzeugen können, sei einmal dahin gestellt. Freilich ließe sich anführen, dass sich – wie aus dem Verfahren des Militärtribunals für den Fernen Osten (IMTFE) ersichtlich ist – eine internationalere Besetzung der Richterbank wohl nicht als ein unüberwindbares Verfahrenshindernis dargestellt hätte. Der Prozess hätte sich auch nicht in unvertretbarer Weise in die Länge gezogen. Das IMTFE Verfahren dauerte ca. 2,5 Jahre; was in Anbetracht des vergleichbaren Beweisumfanges zeitlich angemessen gewesen wäre. Allerdings sollte Berücksichtigung finden, dass aus Sicht ex post derartige Einwände einfach zu führen sind. Denkt man sich jedoch in die Lage der Alliierten hinein, wie sie sich kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stellte, erscheinen die Einschätzungen Birketts weder unglaubwürdig, noch nicht nachvollziehbar. Allein die Tatsache, dass es zu einem Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher gekommen ist, ist als riesiger Erfolg für die Wahrung des Rechts zu werten. Schließlich wurde kritisiert, dass das IMT deshalb unter unfairen Gesichtspunkten verhandelt hätte, weil nur Verbrechen des NS Regimes, nicht aber Verbrechen der Alliierten abgeurteilt worden wären, obgleich von den Siegermächten vergleichbare Verbrechen begangen worden waren (tu quoque)159. Das Ge156 Birkett, 23 Int’l Affairs (1947), 317 (321) „At any rate it was difficult to find many neutrals at that time. There were not very many left“; ähnlich auch Robert H. Jackson, in Müller, Der Nürnberger Prozess, 6. 157 Dazu siehe oben B.V. 158 Finch, 41 AJIL 1 (1947), 20 (24). 159 Grundlegend Irving, Nuremberg: The Last Battle, der darauf verweist, dass Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von den Alliierten begangen wurden, wie etwa der Massenmord von 12.000 Soldaten durch die Rote Armee im Katyn Wald, nicht zur Disposition standen. Das Problem der Siegerjustiz blieb nicht auf den Nürnberger Prozess beschränkt. Durch die Entscheidung der Anklage des ICTY, gegen das NATO Bombardement auf Serbien Montenegro im Frühling 1999, bei dem etwa 500 Zivilisten getötet wurden, kein Verfahren eröffnen zu wollen, hat sich das Tribunal teilweise den Ruf eingehandelt, „Instrument des Westens“ zu sein, vgl. Annual Report of the ICTY, U.N. Doc. A/55/273, 30–31; Koskenniemi, 2 J Int’l Crim Just. (2004), 810 (825). Dem ICTR wird eine vergleichbare unlautere Aburteilungspraxis vorgeworfen, da es sich faktisch dazu entschlossen hat, keine Verfahren gegen Mitglieder der RPF zu eröffnen und damit einseitig Stellung bezog, obwohl sich auch Tutsis (freilich in geringerem Ausmaß) wegen Völkerstrafrechtsverbrechen strafbar gemacht haben.
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richt wies diesen Einwand grundlegend mit dem Argument zurück160, ein Verbrecher könne sich seiner Schuld nicht durch Hinweis auf vergleichbares widerrechtliches Verhalten anderer entledigen161. Weiter sitze man „nicht darüber zu Gericht, ob andere Mächte [. . .] Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Wir verhandeln hier darüber, ob die Angeklagten solche Dinge begangen haben.“162
Dementsprechend wurden alle Beweisanträge der Verteidigung, die darauf abzielten Völkerrechtsverbrechen der Alliierten nachzuweisen, mit Ausnahme in Dönitz und Räder abgewiesen163. Formal juristisch betrachtet ist die Argumentation mit Hinblick auf den ersten Absatz des Art. 6 IMT Statut sicherlich stringent164. Zudem ergibt Unrecht + Unrecht nicht etwa Recht, sondern vielmehr summiertes Unrecht. Aus Sicht einer gerechten Behandlung war die einseitige Bestrafung nichtsdestotrotz problematisch, weil sie den Eindruck erweckte, dass das IMT den Gleichheitsgrundsatz missachtete und mit zweierlei Maß gemessen hatte. In diesem Sinne bemerkte schon Kelsen: „Nur wenn sich die Sieger demselben Recht unterwerfen, das sie auf die Besiegten anwenden wollen, wird die Idee der Gerechtigkeit unversehrt bleiben“165.
160 Ahlbrecht, Geschichte der Völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, 82. 161 Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, 128. 162 Richter Lord Lawrence in IMT-Mat. Bd. XIII, 575 f. 163 Dönitz konnte nachweisen, dass die Torpedierung englischer Handelsschiffe deshalb gerechtfertigt war, weil diese bewaffnet waren und den Befehl hatten, Deutsche U-Boote wenn möglich zu rammen, IMT-Mat. Bd. I, 352 f. Auch die Torpedierung japanischer Handelsschiffe durch amerikanische U-Boote im Pazifik wurde gehört, IMT-Mat. Bd. I, 358. In beiden Fällen waren die Beschuldigten aber nicht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Im Fall Re Alstoetter (Juristen Urteil), US Military Tribunal Nürnberg (1947), in: Steiniger/Leszczynski, Fall 3, 107 ff. erklärte das Gericht, „dass die Deutschen nicht die Einzigen waren, die sich der Begehung von Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben“. Das Gericht knüpfte daran aber nur die Folge, dass es dem verletzten Staat überlassen bliebe, sich seinerseits Kriegsverbrecher der Alliierten zu bemächtigen. Im Fall Re Ohlendorf, US Military Tribunal (1948), in: Steiniger/Leszczynski, Fall 9, und im Fall Re Weizsäcker, US Military Tribunal (1949), in: Kempner/Robert, Urteil im Wilhelmstraßenprozess, wurde der tu quoque Einwand, dass auch auf sowjetischer Seite Kriegsverbrechen begangen wurden, ebenfalls verworfen. 164 Art. 6 IMT Statut „The Tribunal established by the Agreement referred to Article 1 hereof for the trial and punishment of the major war criminals of the European Axis countries shall have the power to try and punish persons who, acting in the interests of the European Axis countries, whether as individuals or members of organizations, committed any of the following crimes [. . .] (c) Crimes against Humanity [. . .].“ (eigene Hervorhebung). Gleichwohl ist dem Völkerrecht der Gedanke rechtmäßiger Vergeltung nicht fremd. „Reprisals“ müssen jedoch angemessen sein; sie sind zudem u. a. gegen Kriegsgefangene und Zivilisten ausgeschlossen. 165 Kelsen, Peace through Law, 114 f.
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IV. Der Internationale Militärgerichtshof für den Fernen Osten Bereits auf der Potsdamer Konferenz verkündeten die Alliierten, auch japanische Kriegsverbrecher im Wege eines Strafverfahrens zur Verantwortung zu ziehen166. Aufgrund der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 entschloss sich Kaiser Hirohito zur bedingungslosen Kapitulation. Japan akzeptierte durch die Kapitulationsurkunde und Zustimmung zum Potsdamer Abkommen die völkerrechtliche Strafgerichtsbarkeit gegen japanische Kriegsverbrecher. Durch Special Proclamation167 des Obersten Befehlshabers der Alliierten Streitkräfte im Pazifik, General Douglas Mc Arthur wurde am 19. Januar 1946 in Tokio der Internationale Militärgerichtshof für den Fernen Osten (IMTFE168) eingesetzt169. 1. Das Statut des IMTFE Rechtsgrundlage des Tokio-Verfahrens war das Statut des Tribunals170. Grob vereinfacht war das IMTFE Statut stark an das IMT Statut angelehnt, wenngleich weniger detailreich. Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit ist in Art. 5 Satz 2 des IMTFE Statuts normiert worden171. 166
Roggemann, Die Internationalen Strafgerichtshöfe, 182. U.S.D.S.P. No. 2675, 5–10; vgl. weiter Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law I, 3 (79 ff.); Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, 105. 168 International Military Tribunal for the Far East (IMTFE). 169 Strittig ist, ob die Einsetzung des IMTFE völkerrechtswidrig war, da das Völkerrecht für derartige rechtserhebliche Handlungen und Erklärungen ein staatlich legitimiertes Organ vorschreibt. Mc Arthur soll indes das Statut fast eigenhändig verfasst haben, ohne jedoch explizit dazu beauftragt worden zu sein. Als Oberfehlshaber konnte er aber selber keine verbindlichen Völkerrechtsakte setzen. Insoweit fehle es an einer „Einsetzungsnorm“; vgl. Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert; dagegen Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, 165; zur vergleichsweise geringen Bedeutung der Far East Commission und des Allied Associate Council bei der Ausarbeitung des IMTFE Statuts vgl. Roggemann, Die Internationalen Strafgerichtshöfe, 183. 170 Charter of the International Military Tribunal for the Far East vom 19. Januar 1946 in Tokio, abgedruckt in Pritchard/Zaide, Bd. I, Anhang VI. 171 Art. 5 Satz 2 (c) IMTFE Statut lautet: „Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Namentlich Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation und andere unmenschliche Handlungen begangen vor oder während des Krieges, oder Verfolgung aus politischen oder rassischen Gründen, begangen in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist, unabhängig davon, ob die Handlung gegen das Recht des Landes verstieß, in dem sie begangen wurde, oder nicht. Anführer, Organisatoren, Anstifter und Teilnehmer, die am Entwurf oder der Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung zur Begehung eines der vorgenannten Verbrechen teilgenommen haben, sind für alle Handlungen 167
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit
Vergleicht man die Definition des IMTFE Statuts mit der korrigierten Fassung des IMT Statuts, ergeben sich mehrere Besonderheiten172. Zum einen wurde im IMTFE Statut der religiöse „Grund“ aus dem Verfolgungstatbestand gestrichen, was sich auf eine „offensichtliche mangelnde Relevanz“ zurückführen lassen soll173. Weiter ist der in Art. 6 (c) IMT Statut enthaltene Passus „begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung“ in Art. 5 Satz 2 IMTFE Statut auf Initiative des Chefanklägers Joseph B. Keenan gestrichen worden, um die Möglichkeit zu eröffnen, auch gegnerische Kombattanten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anklagen zu können174. Weiter ist Art. 5 Satz 1 des IMTFE Statuts beachtenswert, der vorsieht, dass eine Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nur dann stattfinden kann, wenn gleichzeitig ein Verbrechen gegen den Frieden verübt wurde175. Während sich der nexus im IMT Statut insoweit nur auf Kriegsverbrechen erstreckten konnte, war es hier zwingende Regel, dass ein (zusätzlicher) nexus zum Verbrechen gegen den Frieden bestand176. Insoweit konsequent wurden alle Beschuldigten zumindest wegen Verbrechen gegen den Frieden angeklagt. Interessanterweise hat das IMTFE diesen Unterschieden keine Bedeutung beigemessen und vielmehr erklärt „that in all material respects the Charters of this Tribunal and the Nuremberg Tribunal are identical.“177
Schließlich sei noch auf prozessuale Unterschiede hingewiesen. Das IMTFE setzte sich im Gegensatz zum IMT nicht nur aus den Siegermächten, sondern aus elf verschiedenen Nationen zusammen178. Das IMTFE war mithin ein internationales Straftribunal. Die Richterbank bestand – nicht wie beim IMT aus vier Richtern und vier Stellvertretern – sondern aus elf Richtern179. Von Stellvertreverantwortlich, die von irgendeiner Person in Ausführung eines solchen Planes begangen worden sind.“ 172 Die Generalversammlung ging in ihrer Resolution zur Bestätigung der Nürnberger Prinzipien vom 11. Dezember 1946, G.A.Res. 95 (I) von „similar principles“ aus. 173 Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, 107. 174 Röling/Cassese, The Tokyo Trial and beyond, 13. 175 Woetzel, The Nuremberg Trials, 228. 176 Woetzel, The Nuremberg Trials, 228; Pompe, Aggressive War an International Crime, Kap. I, 221 ff. 177 Pritchard/Zaide, Bd. 20, 48 ff. Zu demselben Ergebnis kommt die Generalversammlung in ihrer Resolution zur Bestätigung der Nürnberger Prinzipien vom 11. Dezember 1946, G.A.Res. 95 (I). 178 Großbritannien, die Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Sowjetunion, China, die Niederlande, Kanada, Australien, Neuseeland, Indien und die Philippinen. 179 Sir William Web, Vorsitzender Richter (Australien), Stuart Mc Dougall (Kanada), Ju-Ao Mei (China), Henri Bernard (Frankreich), Lord William Patrick (Großbritannien), Rahadbinod Pal (Indien), Bernard V. A. Röling (Niederlande), Erima Harvey Northcroft (Neuseeland), Delfin Jaranilla (Philippinen), I. M. Zarayanov (Sowjetunion) und John P. Higgins (Vereinigte Staaten von Amerika).
C. Entwicklungen durch das IMT und IMTFE (1941–1948)
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tern ist aufgrund der sonst anwachsenden Zahl auf 22 Richter abgesehen worden. Schließlich gab es nicht, wie beim IMT Prozess, einen Anklagevertreter pro Nation, sondern (nur) einen Hauptankläger im Form von Joseph B. Keenan, welcher vom Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte, Douglas Mc Arthur, ernannt wurde180. 2. Der Tokio Prozess am IMTFE Am 3. Mai ist der Tokio-Prozess, der mehr als zweieinhalb Jahre dauern sollte181, gegen 28 größtenteils hochrangige Staatsdiener eröffnet worden182; ausgewählt durch das Exekutiv Komitee des Bereichs der Internationalen Anklage, dessen Vorsitz Sir Arthur Comyns Carr, Q.C. inne hatte. Kaiser Hirohito war nicht vor dem IMTFE angeklagt; die Gründe sind bis heute unklar183. Die in der Anklageschrift unter Gruppe 3184 angeführten Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Anklagepunkte 53–55) wurden aufgrund des Art. 5 Satz 1 IMTFE Statut im Gegensatz zum Nürnberger Prozess nur als unselbständiges Delikt angeklagt. Das Gericht ließ zwar die Anklagepunkte 54185 und 55186 zu, verurteilte aber keinen Beschuldigten auf der alleinigen Grundlage, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben187. Auch finden sich keine dog180 Kritisch zur Rolle Keenans während des Prozesses, Lowe in: Melkian, Domestic and International Trials II, 137 (138 f.). 181 Der Prozess zog sich vom 3. Mai 1946 bis zum 12. November 1948 und war damit knapp dreimal so lang wie der Nürnberger Prozess. Der Aufwand des Prozesses war, verglichen mit Nürnberg, nicht weniger groß. Es wurden 230 Übersetzer und 232 Anwälte für die Anklage und Verteidigung benötigt. Die Mitschriften an den offenen Sitzungen belaufen sich auf ungefähr 53.000 Seiten, es wurden 818 offene Sitzungen abgehalten, 416 Zeugen vor Gericht und weiter 779 Zeugen schriftlich gehört. 182 Angeklagt waren: Sadao Akari, Dohihara Kenji, Hashimoto Kingoro, Hata Shinroku, Hiranuma Kiichiro, Hirota Koki, Hoshino Naoki, Itagaki Seishiro, Kaya Okinori, Kido Koichi, Kimura Heitaro, Koiso Kuniaki, Matsui Iwane, Matsuoka Yosuke, Minami Jiro, Muto Akira, Nagano Osami, Oka Takasumi, Okawa Shumei, Oshima Hiroshi, Sato Kenryo, Shigemitsu Mamoru, Shimada Shigetaro, Shiratori Toshio, Suzuki Teiichi, Togo Shigenori, Tojo Hideki und Umezu Yoshijiro. (Nachnamen sind kursiv hervorgehoben); s. a. Koki Hirota v. General of Army McArthur, 338 US (1948) 197. 183 So wird etwa die Stellung des Kaisers als Marionettenfigur des Regierungsapparates angeführt; Woetzel, The Nuremberg Trials, 229. Andere stellen vorwiegend auf machtpolitische Erwägungen, insbesondere die Sicherung der Stabilität in Japan, ab; vgl. Pritchard, 149 Mil.L.Rev. (1995), 25 (28); McCoubrey, 50 Int’l Comp.L.Q. (2001), 386 (389). 184 Gruppe 1 umfasste Verbrechen gegen den Frieden, Gruppe 2 Mord (darunter fiel auch der Angriff auf Pearl Harbor). 185 Anklagepunkt 54: „Ordering, authorizing or permitting atrocities.“ 186 Anklagepunkt 55: „Disregard of duty to secure observance of the Laws of war.“ 187 Außer Shiratori wurden alle Beschuldigten bezüglich der Verbrechen der Gruppe 3 angeklagt. Araki, Hashimoto, Hata, Hiranuma, Hoshino, Kaya, Kido, Mi-
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit
matischen Ausführungen, sodass, bezüglich dieses Tatbestandes, das Verfahren nur eine geringe Rolle gespielt hat188. Jedoch lassen sich Parallelen zum Nürnberger Prozess ziehen. Das Gericht stellte fest, dass es bereits bestehendes Völkerrecht anwendete,189 mit der Folge, dass keine ex post facto Verurteilung stattgefunden hätte190. Die völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit von Personen wurde bejaht191. Das Prinzip nullum crimen sine lege ist wie auch im Nürnberger Prozess als Gerechtigkeitsprinzip ausgelegt worden192. Das tu quoque Argument wurde als unzulässiger Einwand verworfen193. Auf den Punkt bringend führt das Gericht in seinem Urteil insoweit aus: „with the foregoing opinions of the Nuremberg Tribunal and the reasoning by which they are reached this Tribunal is in complete accord“194.
Schließlich ist die Kritik am IMTFE mit den Einwänden gegen den Nürnberger Prozess vergleichbar. Wie schon bei Nürnberg erhielt auch bei Tokio insbesondere das Argument der „Siegerjustiz“ besondere Aufmerksamkeit in der Fachliteratur195.
nami, Oka, Oshima, Sato, Shimada, Suzuki und Umezu wurden bezüglich Anklagepunkt 54 und 55 freigesprochen und erhielten lebenslange Haftstrafe. Togo wurde mit einer Haftstrafe von 20 Jahren diesbezüglich freigesprochen. Dohira, Itagaki und Tojo waren nach Anklagepunkt 54 schuldig (auf Anklagepunkt 55 ist das Gericht nicht eingegangen) und erhielten Todesstrafen. Hirota (Todesstrafe), Shigemitsu (7 Jahre), Kolso (lebenslänglich) und Matsui (Todesstrafe) wurden bezüglich Anklagepunkt 54 freigesprochen und (u. a.) bezüglich Anklagepunkt 55 für schuldig befunden; Kimura und Muto waren sowohl nach Anklagepunkt 54 wie 55 schuldig; Matsuoka und Nagano starben vor Prozessende; Okawa wurde für nicht zurechnungsfähgig befunden (wovon er sich nach Prozessende schnell erholte); vgl. Pritchard/Zaide, Bd. 20 sowie Kopelman, 23 N.Y.U.J. Int’l L. & Pol. (1990), 373 (442). 188 Röling/Cassese, The Tokyo Trial and beyond, 55. 189 Prichard/Zaide, Bd. 20, 48, 436, 437. 190 Das IMTFE bezog sich diesbezüglich, vergleichbar mit den Ausführungen des IMT seinerseits, allerdings auf den Tatbestand der Aggressiven Kriegsführung, Pritchard/Zaide, Bd. 20, 48, 438, 439. Für eine Überleitung der Argumentationlinie auf den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit siehe Minear, Victors’ Justice. The Tokyo War Crimes Trials, 34 f. 191 Ibid., „the principle of international law which under certain circumstances protects the representatives of a state cannot be applied to acts which are condemned as criminal by international law“ mit Verweis auf Ex parte Quirin, 317 U.S. 1 (1942) und In Re Yamashita, 66 Supreme Ct. Rep. (1946), 340; vgl. Mansfield, 1 Queensland L.J. (1948–51), 7 (11); Minear, Victors’ Justice. The Tokyo War Crimes Trial, 42 ff. 192 Prichard/Zaide, Bd. 20, 48, 438. 193 Pritchard, 149 Mil.L.Rev. (1995), 25 (31). 194 Pritchard/Zaide, Bd. 20, 48, 439. 195 Pritchard, 149 Mil.L.Rev. (1995), 25 (33).
D. Die Nachfolgeprozesse von Nürnberg und Tokio
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D. Die Nachfolgeprozesse von Nürnberg und Tokio I. Weitere Kriegsverbrecherprozesse gegen japanische Kriegsverbrecher Neben dem Aufsehen erregenden Prozess in Tokio fanden Mitte der 40iger bis Anfang der 50er Jahre auf der ganzen Welt Kriegsverbrecherprozesse gegen Japaner statt (sog. „B and C class trials“). Gebietsübergreifend klagten militärische Kommissionen in Yokohama,196 Manila,197 und Shanghai 198 Kriegsverbrecher an; auf den Philippinen verurteilte eine militärische Kommission 92 Japaner zum Tode. Weiter belegt sind Anklagen gegen 44 Japaner auf den Marshall Inseln199 und Guam200, sowie Anklagen gegen 19 Japaner in Truk wegen Durchführens von medizinischen Experimenten. Auch britische Verfahren fanden in ganz Ostasien statt; so etwa auf Kuala Lumpur201, in Borneo, Rangoon, Hongkong und Singapur202. In China belief sich die Zahl auf 500 Verurteilungen mit 149 Todesurteilen203. Australische Gerichte erhoben unter anderem gegen 93 Japaner Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Gräueltaten, die sie an amerikanischen, australischen und niederländischen Gefangenen begangen hatten204. Zudem führten die Niederlande205, Norwegen206 und Frankreich207 mehrere hundert Verfahren durch; einige davon wegen erzwungener Prostitution. 196 Berühmtheit erlangte der „Hell Ship Fall“, bei welchem 1300 Gefangene den Tod fanden. 197 Fall Yamashita, United States Military Commission, Manila, Urteil v. 7. Dezember 1945, Trials of War Criminals, Bd. 4, 1–95, sowie Fall Kou Shinyokou. 198 Fall Sawada Shigeru, Trials of War Criminals, Bd. 5, 1–22; Fall Isayama Harukei, Trials of War Criminals, Bd. 5, 60–64; Fall Hisakasu Tanaka, Trials of War Criminals, Bd. 5, 66–70. 199 Fall Sakabara; Fall Masuda, Trials of War Criminals, Bd. 1, 71–80. 200 Fälle Abe Kose, Mori Kunizo, Tachibana Yoshio. 201 Fall Yamamoto Chusaburo, Trials of War Criminals, Bd. 3, 76–80. 202 Besonderes Aufsehen erlangte der „River Kwai Fall“, bei welchem 600 von 2000 Gefangenen ermordet wurden, die mit dem Bau der Eisenbahnlinie Burma-Siam beschäftigt waren, sowie der Fall Hara Tesco, Fall Harada, Fall Hidaka, Fall Kawamuri, Fall Otsuka, Fall Ryosaburo, Fall Shimpei Fufuye, Fall Tamenori, Fall Sato und Fall Toshio. 203 Fall Sakai Takashi („Conqueror of Honkong“), Trials of War Criminals, Bd. 14, 1–7; Fall Knichi, „Chinese War Criminal No. 1“; Fall Hisaotani. 204 Fall Ohashi Shigeru, Trials of War Criminals, Bd. 5, 25 ff.; Fall Shinohara, Eitaro, Trials of War Criminals, Bd. 5, 32 ff.; Fall Sawada Shigeru, Trials of War Criminals, Bd. 5, 1 ff.; Fall Kato Eikichi, Trials of War Criminals, Bd. 5, 37; Fall Baba Masao, Trials of War Criminals, Bd. 11, 56 ff.; Fall Chuichi Tanaka, Trials of War Criminals, Bd. 11, 62; Fall Abachi, Fall Hamanaka, Fall Hirota Okira, Fall Ito Takeo. 205 Fall Koshiro Tanabe, Trials of War Criminals, Bd. 11, 1 ff.; Fall Awochi Washio, Trials of War Criminals, Bd. 13, 122 ff.; Fall Suzuki Motosuke, Trials of War Crimi-
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit
Der bekannteste Nachfolgeprozess gegen einen japanischen Kriegsverbrecher ist wohl In Re Yamashita,208 in dem der Beschuldigte, General Yamashita Tomouki – zum Tode verurteilt durch eine U.S. Militärkommission in Manila – sein Recht auf habeas corpus vor dem US Supreme Court geltend machte209. Zwar wurden Yamashita nicht Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern Kriegsverbrechen vorgeworfen. Interessant ist jedoch, dass der US Supreme Court Ex parte Quirin210 bestätigte, der schon vom IMT zitiert worden war. Die internationale individuelle Verantwortlichkeit für Kriegsverbrechen, aus denen nach Ansicht des IMT und IMTFE der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit abgeleitet werden konnte, hatte damit auch eine Stärkung auf nationaler Ebene erfahren.
II. Die Nürnberger Nachfolgeprozesse Gegen deutsche NS Kriegsverbrecher, die nicht im Rahmen des IMT Prozesses abgeurteilt wurden, sind Folgeprozesse innerhalb Deutschlands durchgeführt worden. Als Rahmen zur Durchführung der Prozesse diente jedoch nicht, wie ursprünglich in Art. 22 des IMT Statuts vorgesehen, das IMT als Ständiger Gerichtshof, sondern die einzelnen militärischen Besatzungstribunale in der jeweilig besetzten Zone211. Zur Vereinfachung der Aburteilungspraxis (auch wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit) ist eine zentrale Rechtsgrundlage in Form des Kontrollratsgesetz Nr. 10 (CCL No. 10212) geschaffen worden, welches durch Verordnung Nr. 7 der amerikanischen Militärregierung für Deutschland über Verfassung und Zuständigkeit der Militärtribunale vom 18.10.1946 vom Kontrollrat für Deutschland am 20. Dezember 1945 erlassen, und von den Vertretern der vier Siegermächte unterzeichnet wurde213. Die Anbindung an nals, Bd. 13, 126–129; Fall Shigeki Motomura, Trials of War Criminals, Bd. 13, 138 ff.; Fall Saburoh Yamara. 206 Fall Karl Hans Herman Klinge, Trials of War Criminals, Bd. 3, 1 ff.; Fall Richard Wilhelm Hermann Bruns, Trials of War Criminals, Bd. 3, 15 ff.; Fall Oscar Hans, Trials of War Criminals, Bd. 5, 82 ff.; Fall Gerhard Friedrich Ernst Flesch, Trials of War Criminals, Bd. 6, 111 ff. 207 Fall Robert Wagner, Trials of War Criminals, Bd. 3, 23 ff. 208 In the Matter of the Application of General Tomouki Yamashita, 66 Supreme Ct. Rep. (1946), 340, bestätigend United States Military Commission, Manila, Urteil v. 7. Dezember 1945, Trials of War Criminals, Bd. 4, 1 ff. 209 Der writ of habeas corpus ist ein Rechtsbehelf, der gestellt werden kann, um die Rechtmäßigkeit einer Haftanordnung überprüfen zu lassen. Verwurzelt in der Magna Charta von 1215 ist sie heute in Art. 9 (4) des Paktes für Bürgerliche und Politische Rechte festgeschrieben; vgl. auch Rasul v. Bush, 542 U.S. (2004), 466. 210 Kuhn, 44 AJIL 3 (1950), 559. 211 Berliner Deklaration (auch bekannt als „Vier Mächte Erklärung“) vom 2. August 1945, U.S.D.S.P. No. 2423 (1945); Kelsen, 39 AJIL 3 (1945), 518 ff. 212 Control Council Law Number 10 (CCL No. 10).
D. Die Nachfolgeprozesse von Nürnberg und Tokio
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Verordnung Nr. 7 war erforderlich, weil das den Prozessen materiell zugrunde liegende CCL No. 10 selbst keine Verfahrensregeln enthielt. Inhaltlich basierte die Verordnung Nr. 7 – mit Ausnahme einiger Vorschriften – auf dem Londoner Statut vom 8. August 1945; es war also das Ergebnis der dortigen Diskussionen gewesen. Die Verordnung stellte sich als ein Gemisch aus Elementen angloamerikanischer und kontinentaler Verfahrensregeln dar, wobei das angloamerikanische Rechtsverständnis deutlich überwog. Obgleich CCL No. 10 von den Siegermächten in ihrer Besatzungszone jeweilig unterschiedlich umgesetzt wurde, war die Grundlage für eine Aburteilung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit stets Art. II Abs. 1 c) CCL No. 10. Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit ist dort definiert als „Gewalttaten und Vergehen, einschließlich der folgenden, den obigen Tatbestand jedoch nicht erschöpfenden Beispiele: Mord, Ausrottung, Versklavung, Zwangsverschleppung, Freiheitsberaubung, Folterung, Vergewaltigung, oder andere an der Zivilbevölkerung begangene unmenschliche Handlungen, Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, ohne Rücksicht darauf, ob sie das nationale Recht des Landes, in welchem die Handlung begangen worden ist verletzt.“
Vergleicht man Art. II Abs. 1 c) CCL No. 10 mit Art. 6 (c) IMT Statut, ergeben sich diverse Unterschiede. Am auffälligsten ist, dass der im IMT Statut enthaltene Passus „begangen [. . .] vor oder während des Krieges [. . .], begangen in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist“ ins CCL No. 10 nicht übernommen wurde. Die daraus zu schließende rechtliche Bewertung ist bis heute unklar. Teile der Literatur gehen einerseits davon aus, mit der Streichung des Passus sei eine Abkoppelung von dem bis dato im IMT Statut festgeschriebenen nexus zu Kriegsverbrechen erfolgt. Andere argumentieren nicht weniger überzeugend, in der Präambel des CCL No. 10 sei ein Verweis auf das IMT Statut insofern erhalten geblieben, als dass das CCL No. 10 nur die Bestimmungen des Londoner Abkommens „zur Ausführung [. . .] bringen“ sollte. Das Londoner Abkommen – und folglich auch das IMT Statut als Annex des Londoner Abkommens – waren insofern untrennbare Bestandteile des CCL No. 10214. Es verwundert mithin nicht, dass es in den Nachfolgeprozessen keine einheitliche Auffassung zu der Frage gab. Die Unterschiedlichkeit der Feststellungen spiegelt sich in Flick215, Krauch216, Ohlendorf 217 und Altstoetter218 wider. 213 Gesetz Nr. 10 Bestrafungen von Personen, die sich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben, Berlin, 20. Dezember 1945 in: Amtsblatt des Kontrollrates in Deutschland, Nr. 3, 31. Januar 1946, 50–55 (Control Council Law No. 10), vgl. auch Taylor, Final Report to the Secretary of the Army on the Nuremberg War Crimes Trials under Control Council Law No. 10, U.S.G.D.P.O., 1949; Brand, 28 Or.L.Rev. 2 (1949), 93 (97); zur Rechtsnatur des C.C.L. 10 siehe Haensel, Das Organisationsverbrechen, 7 ff. 214 Goldenberg, 10 W. Ontario L. Rev. (1971), 1 (9, Fn. 22).
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit
Ähnlich starkes Aufsehen erregte die Weiterentwicklung der Tatbestandsalternativen. Unter Zugrundelegung des Passus der „anderen unmenschlichen Handlungen“ sind die Verbrechen der Freiheitsberaubung, Folter und Vergewaltigung erstmalig in den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit integriert worden. Das CCL. No. 10 wurde durch das Erste Gesetz zur Aufhebung des Besatzungsrechts vom 30. Mai 1956219 offiziell aufgehoben, womit auch die Jurisdiktionsgewalt der Besatzungsmächte zur Durchführung der Nachfolgeprozesse endete. Eine Aburteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf Grundlage des CCL No. 10 ist seitdem nicht mehr möglich. Den größten Bekanntheitsgrad der in den vier Besatzungszonen respektive abgehaltenen Prozesse erlangten die 12 War Crimes Trials vor den U.S. Amerikanischen Militärgerichten, die sich nach Tätergruppen gliederten220. Durch Veröffentlichungen der UNWCC sind auch Nachfolgeprozesse aus der britischen Zone bekannt221. Sie haben im Vergleich zu den Amerikanischen Prozes215 U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 22. Dezember 1947 (Flick), Trials of War Criminals, Bd. 6, 1187. 216 U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 29. Juli 1948 (Krauch – I.G. Farben Fall), Trials of War Criminals, Bd. 8, 1081. 217 U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 10 April 1948 (Ohlendorf – Einsatzgruppen Fall), Trials of War Criminals, Bd. 4, 411. 218 U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 4. Dezember 1947 (Altstoetter – Juristen Urteil), Trials of War Criminals, Bd. 3, 954. 219 Erstes Gesetz zur Aufhebung des Besatzungsrechts vom 30. Mai 1956, BGBl. I, 437. 220 1. Ärzte: (U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 20. August 1947 [Brandt], Trials of War Criminals, Bd. 2, 171 ff.); 2. Industrielle: (U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 22. Dezember 1947 [Flick], Trials of War Criminals, Bd. 9, 1 ff. und U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 29. Juli 1948 [Krauch], Trials of War Criminals, Bd. 10, 1 ff., sowie U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 31. Juli 1948 [Krupp], Trials of War Criminals, Bd. 10, 69 ff.); 3. Funktionäre der Justiz: (U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 4. Dezember 1947 [Altstoetter], Trials of War Criminals, Bd. 6, 1 ff.); 4. Regierungsbeamte und Beamte des Auswärtigen Amtes (U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 12. Dezember 1949 [Weizsäcker], Kempner/Haensel, das Urteil im Wilhelmstraßen Prozess); 5. Mitglieder der SS (U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 10. März 1948 [Greifelt], Trials of War Criminals, Bd. 13, 1 ff. und U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 3. November 1947 [Pohl], Trials of War Criminals, Bd. 5, 958 ff., sowie U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 10. April 1948 [Ohlendorf], Leszczynski/Quilitzsch, Fall 9); 6. Mitglieder des Militärs (U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 17. April 1947 [Milch], Trials of War Criminals, Bd. 2, 773 ff. und U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 19. Februar 1948 [List], Trials of War Criminals, Bd. 8, 34 ff., sowie U.S. Military Tribunal Nürnber, Urteil v. 28. Oktober 1948 [Leeb], Trials of War Criminals, Bd. 12, 1 ff.). 221 British Military Court in Hamburg: Urteil v. 20. Oktober 1945 [Eck – Peleus Fall], Trials of War Criminals, Bd. 1, 1 ff.; Urteil v. 13. Februar 1946 [Grumpelt – Scuttled U-Boot Fall], Trials of War Criminals, Bd. 1, 55 ff.; Urteil v. 8. März 1946
D. Die Nachfolgeprozesse von Nürnberg und Tokio
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sen jedoch weitaus weniger Aufmerksamkeit erregt222. Für den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit sind die Britischen Nachfolgeprozesse zu vernachlässigen. Begründbar ist dies durch die vorgegebene Jurisdiktionskompetenz der Britischen Tribunale. Deren rechtliche Legitimation, sowohl in der Britischen Besatzungszone, als auch in Übersee fußte auf dem Royal Warrant vom 14. Juni 1945223, der zwar eine Befugnis zur Aburteilung von Kriegsverbrechen, nicht aber von Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Verbrechen gegen den Frieden vorsah224. Interessanterweise war damit die Jurisdiktionsbefugnis der britischen Tribunale enger als diejenige, die in Art. 6 IMT Statut oder CCL No. 10 vorgesehen war. Zu einer Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist es aufgrund des Royal Warrant folglich nie gekommen. Bekannte französische Verfahren225 sind die Fälle Albert Wagner und Hermann Röchling, sowie „Konzentrationslager Natzweiler“ und „Konzentrationslager Ravensbrück“226. [Tesch – Zyklon B Fall], Trials of War Criminals, Bd. 1, 93 ff.; Urteil v. 16. Oktober 1946 [Moehle], Trials of War Criminals, Bd. 9, 75 ff.; Urteil v. 21. Mai 1947 [Ruchteschell], Trials of War Criminals, Bd. 9, 82 ff.; Urteil v. 3. Juli 1947 [Wielen], Trials of War Criminals, Bd. 11, 31 ff.; British Military Court in Wuppertal: Urteil v. 14. März 1946 [Amberger – Dreierwald Fall], Trials of War Criminals, Bd. 1, 81 ff.; Urteil v. 3. Dezember 1945 [Killinger], Trials of War Criminals, Bd. 3, 67 ff.; Urteil v. 18 Februar 1946 [Rauer], Trials of War Criminals, Bd. 4, 113 ff.; Urteil v. 10. Mai 1946 [Buck], Trials of War Criminals, Bd. 5, 39 ff.; Urteil v. 21. Mai 1946 [Golkel], Trials of War Criminals, Bd. 5, 45 ff.; Urteil v. 1. Juni 1946 [Rohde], Trials of War Criminals, Bd. 5, 54 ff.; British Military Court in Essen: Urteil v. 22. Dezember 1945 [Heyer – Essener Lynch Fall], Trials of War Criminals, Bd. 1, 88 ff.; Urteil v. 26. Juni 1946 [Schonfeld], Trials of War Criminals, Bd. 11, 64 ff.; British Military Court in Luneburg, Urteil v. 10. Mai 1946 [Student], Trials of War Criminals, Bd. 4, 118; British Military Court in Brunswick: Urteil v. 3. April 1946 [Gerike – Der Velpe Kinderheim Fall], Trials of War Criminals, Bd. 7, 76 ff.; Urteil v. 2. August 1946 [Falkenhorst], Trials of War Criminals, 18 ff.; British Military Court in Borken: Urteil v. 22. Dezember 1945 [Oenning und Nix], Trials of War Criminals, Bd. 11, 74 f.; British Military Court in Elten: Urteil v. 10. Januar 1946 [Renoth], Trials of War Criminals, Bd. 11, 76–81; British Military Court in Hannover: Urteil v. 26. Januar 1946 [Heering], Trials of War Criminals, Bd. 11, 79 ff.; Urteil v. 28. Januar, 1946 [Mackensen], Trials of War Criminals, Bd. 11, 81; British Military Court in Burgsteinfurt, Urteil v. 11. Februar 1946 [Schoengrath], Trials of War Criminals, Bd. 11, 83 f. 222 Ein in Großbritannien berühmter Fall is Luft Stallag III; Trials of War Criminals, Bd. 11, Vorwort, viii. 223 Der Royal Warrant vom 14. Juni 1945, Trials of War Criminals, Bd. 1, Annex I, E 2 (105), ist ein königlicher Befehl und hat Legislativkraft. Da er bis heute nicht aufgehoben ist, ist aufgrund der Beachtung der Magna Charta umstritten, ob er auch noch heutzutage angewandt werden könnte, dazu Rogers, 39 Int’l Comp.L.Q. (1990), 780 (795). 224 Trials of War Criminals, Bd. 1, Annex I, E 2 (105). 225 Henke/Rathje, Bundesarchiv, Einleitung „Wie in der britischen, amerikanischen und sowjetischen Besatzungszone Deutschlands nach Ende des Zweiten Weltkriegs mußten sich die Verantwortlichen für Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit
Die Anzahl und der Umfang der Verfahren in der russischen Zone sind bis zum heute Tage unklar, da die relevanten Dokumente von der russischen Regierung noch nicht vollständig freigegeben wurden. Auch der eigentliche Aussagewert der Urteile ist zweifelhaft. Die meisten Verfahren scheinen „politisch geprägt“ gewesen zu sein227.
E. Weiterentwicklungen des Gesamttatbestandes durch die UN (1951–1996) – Bestätigende und weiterführende Resolutionen der U.N. und die Drafts der International Law Commission (ILC) Zur Bestätigung der in Nürnberg erarbeiteten Prinzipien verabschiedete die UN Generalversammlung einstimmig am 11. Dezember 1946 eine Resolution, in der die Absicht zum Tragen kam, ein Organ einzusetzen, welches die Nürnberger Prinzipien kodifizieren sollte228. Ein knappes Jahr später – am 21. November 1947 – wurde zu diesem Zweck durch Resolution 174 (II) der UN Generalversammlung die International Law Commission (ILC) als permanentes Unterorgan der Vereinten Nationen gegründet. Ziel der ILC sollte es sein, eine „promotion of the progressive development of international law and its codification“229 zu leisten. Die ILC stellte 1949 in ihrer ersten Sitzung fest, dass die Nürnberger Prinzipien bereits von der UN Generalversammlung bestätigt waren. Die ihr angetragene Aufgabe könne daher nicht rein inhaltsbestätigend sein, sondern müsse in und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch in der französischen Besatzungszone vor Militärgerichten verantworten. Diese Aufgabe übernahm am 1. April 1945 das Tribunal Général in Rastatt. In den dreieinhalb Jahren seines Bestehens ermittelte es in mehr als 2.000 Fällen. Insgesamt führte es 235 Prozesse durch. Höchstes Gericht in der französischen Besatzungszone war das Tribunal Supérieur, das seinen Sitz ebenfalls im Rastatter Schloß hatte. Es war als Revisionsinstanz mit den Berufungsverfahren in Kriegsverbrecherprozessen befaßt. Im Zuge einer Justizreform in der französischen Besatzungszone stellte das Tribunal Général seine Arbeit zum 15. Oktober 1948 ein. Seitdem oblagen den mittleren Militärgerichten der französischen Besatzungszone die erstinstanzlichen Verfahren gegen Kriegsverbrecher; für Revisionsverfahren war bis zum Ende der Verfahren 1954 weiterhin das Tribunal Supérieur zuständig.“ Abrufbar unter: http://www.bundesarchiv.de (letzter Besuch 16. März 2007). 226 Trials of War Criminals, Bd. 13, 118 ff. 227 Zu den Urteilen in der russischen Besatzungszone, und insbesondere zum Dresdner Ärzteprozess und der Verfolgung wegen Zwangssterilisation, Meyer-Seitz, 19 Recht&Psychatrie (2001), 32 ff. 228 Affirmation of the Principles of International Law recognized by the Charter of the Nuremberg Tribunal, G.A. Res. 95 (I) vom 11. Dezember 1946. Am selben Tag wurde eine weitere Resolution verabschiedet, die sich mit dem Tatbestand des Völkermordes auseinandersetzte, G.A. Res. 96 (I) vom 11. Dezember 1946. 229 Yearbook of the United Nations 1947–48, 210.
E. Weiterentwicklungen durch die UN (1951–1996)
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der Konkretisierung und Weiterentwicklung des Tatbestandes liegen; aufbauend auf den allgemein anerkannten Prinzipien des Völkerrechts230. Zunächst wurde ein Mitglied der ILC, Berichterstatter Spiropoulos, beauftragt, die Nürnberger Prinzipien zu konkretisieren. Er legte zwei Berichte vor, die beide von der ILC weitgehend angenommen wurden. Spiropoulos erster Bericht befasste sich mit der Kodifizierung der Nürnberger Prinzipien. Erwähnenswert sind vor allem die Prinzipien VI und VII, die Ausführungen zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit enthalten231. Nachdem die ILC seine Stellungnahmen an die UN Generalversammlung weitergeleitet hatte232, beauftragte diese postwendend die ILC mit der Erarbeitung eines „Draft Code of Offences against the Peace and Security of Mankind“233.
I. Der Draft Code of Offence against the Peace and Security of Mankind v. 1951 (ILC Draft Code v. 1951) Vorarbeit für die Erarbeitung des ILC Drafts von 1951 hatte bereits ein Komitee des UNWCC geleistet, das am 28. Mai 1946 eine Definition von Verbrechen gegen die Menschlichkeit erarbeitet hatte. Das Komitee wagte sich an zwei Grundsatzprobleme, die bis zum heutigen Tag umstritten sind: zum einen, wie ein gewöhnliches Verbrechen in den makrokriminellen Kontext einzubetten ist234; zum anderen, welche Katalogstraftaten in den Gesamttatbestand einzugliedern sind235. Spiropoulos knüpfte an das Verständnis der UNWCC an. Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren im Draft Code v. 1951 folglich definiert als
230 YBILC (First Session, 1949), 282; bestätigt durch Resolution der Generalversammlung vom 6. Dezember 1949, Yearbook of the United Nations 1948–49, 952. 231 Prinzip VI „[. . .] Crimes against Humanity are punishable as crimes under international law“ und Prinzip VII „Complicity in the commission of [. . .] a war crime, or a crime against humanity as set forth in Principle VI is a crime under international law“ (eigene Hervorhebung). 232 YBILC (Second Session), Vol. II, 149. 233 GA Res. 488(V) vom 4. Dezember 1954. 234 Das Komitee versuchte sich schon hier an der schwierigen „widespread“ und „systematic“ Auslegung und stellte fest „Isolated offenses do not fall within the notion. [. . .] Only crimes which either by their magnitude and savagery or by their great number or by the fact that a similar pattern is applied at different times and places, endanger the international community or shock the conscience of mankind, warrant intervention by states other than that on whose territory the crimes have been committed, or whose subjects have become their victims.“, Goldenberg, 10 W.Ontario L.Rev. (1971), 1 (11); Brand, 28 Or.L.Rev. 2 (1949), 1 (111 f.). 235 Der Report trifft diesbezüglich die Aussage „A crime against humanity can be committed by [. . .] e. g. unjustified killing, deportations, racial discrimination, suppression of civil liberties.“
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit „inhumane acts by the authorities of a State or by private individuals against any civilian population, such as murder, or extermination, or enslavement, or deportation, or persecutions on social, political, racial, religious or cultural grounds, when such acts are committed in execution of or in connection with other offences defined in this article.“236
An der Definition ist zweierlei auffällig. Zum einen lehnt sie sich unverkennbar stark an Art. 6 (c) IMT Statut an. Andererseits wird der Verfolgungstatbestand erstmalig durch die Beweggründe „social“ und „cultural grounds“ erweitert. Grund hierfür war das Verständnis der ILC bei der Entwicklung des Tatbestandes. Den Verfassern schwebte nicht eine mechanische Umsetzung der Prinzipien vor, sondern die Hervorhebung des Sinn und Zwecks. Grundlage des Tatbestandes sollten fundamentale Menschenrechte, verstanden als l’humanité im Sinne der französischen Rechtsphilosophie sein237. Die UN Generalversammlung selbst befasste sich mit dem Draft Code v. 1951 nicht, sondern leitete den Text an die Staatengemeinschaft weiter. Dessen Vorschläge und Einwendungen sind in dem Bericht des Berichterstatters Spiroupolos aus dem Jahre 1954 nachzulesen. Obwohl der Report keine rechtsbindende Wirkung entfaltet, wird er nichtsdestotrotz nunmehr als Ausprägung von Völkergewohnheitsrecht oder allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts verstanden238.
II. Der Draft Code of Offence against the Peace and Security of Mankind v. 1954 (ILC Draft Code v. 1954) Im Jahre 1954 wurde von der ILC eine veränderte Version des Drafts v. 1951 vorgelegt, mit dem Ziel, die erhaltenen Stellungnahmen der Regierungen zum Draft v. 1951 in die Kodifikation zu integrieren. Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren in Art. 2 (11) nunmehr definiert als „inhumane acts such as murder, extermination, enslavement, deportation or persecutions, committed against any civilian population on social, political, racial, religious 236
Eigene Hervorhebung. Goldenberg, 10 W.Ontario L.Rev. (1971), 1 (15); in diesem Sinne auch schon der französische Anklagevertreter Menthon während des Nürnberger Prozesses, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verbrechen gegen die Menschenwürde (crime contre la condition humaine) kennzeichnete, vgl. IMT-Mat. Bd. 5, 457 f.; ähnlich Brand, 28 Or.L.Rev. (1949), 93: „international bill of rights“; vertiefend zu diesem Verständnis Manske, Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verbrechen an der Menschheit. 238 Bassiouni/Manikas, The Law of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, 547 „The connection between crimes against humanity and an aggressive war was also severed in the 1950 Report of the ILC, which restated the Nuremberg Principles. This report, however, has no binding legal authority in itself. The ILC report may, nevertheless, be viewed as evidence of ,customary international law‘ or of ,general principles of international law‘“ [Fussnoten nicht berücksichtigt]. 237
E. Weiterentwicklungen durch die UN (1951–1996)
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or cultural grounds by the authorities of a State or by private individuals acting at the instigation or with toleration of such authorities.“ 239
Verglichen mit dem ILC Draft v. 1951 lassen sich zwei Erweiterungen der Definition finden. Bemerkenswert ist zum einen, dass der Passus „committed in execution of or in connexion with other offences defined in this article“ gestrichen wurde, mit der Konsequenz, dass der in Art. 6 (c) IMT Statut aufgenommene nexus zu Kriegsverbrechen nicht mehr bestehen bleiben sollte. Das Verbrechen gegen die Menschlichkeit war damit als Verbrechenstatbestand ohne Restriktion durch andere Verbrechenstatbestände eigenständig existent geworden240. Zum anderen wurde die Tathandlung insoweit konkretisiert, als dass der Tatbestand nicht nur dann als verwirklicht anzusehen war, wenn das Verbrechen vom Staat bzw. einem Beamten des Staates verübt wurde, sondern additiv auch dann ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Betracht kommen sollte, wenn die Handlung von einer Privatperson begangen worden ist, die durch Aufstachelung oder Duldung des Staates gehandelt hat241. Ebenso wie der ILC Draft von 1951 wurde auch der ILC Draft von 1954 von der UN Generalversammlung nicht zur Diskussion gestellt. Grund war die zusätzlich in Art. 2 inkorporierte Definition des Aggressionstatbestandes, über welchen innerhalb der Staatengemeinschaft keine Einigung erzielt werden konnte242. Die Nichtverabschiedung der ILC Drafts hatte für den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit weit reichende Konsequenzen. Zum einen bildete sich eine Unsicherheit bei der Definitionsbestimmung heraus, da die Drafts mittlerweile vom Art. 6 (c) IMT Statut erheblich abwichen, jedoch mangels Rechtsbindungsqualität nur soft law darstellten. Zum anderen gaben die Staaten ihre ernsthaften Bemühungen zur Schaffung einer einheitlichen Definition vermehrt auf und verurteilten Täter, die sich des Verbrechens gegen die Menschlichkeit strafbar gemacht hatten, einzelstaatlich nach national geprägten Definitionsbestimmungen. Daraus resultierte, dass der Tatbestand 239
Eigene Hervorhebung. Goldenberg, W. Ontario L. Rev. (1971), 1 (19); Syle, 20 MJIn’l L (1999), 267 (288). Die Streichung des Nexuserfordernisses war mit knapper Stimmenmehrheit durch die ILC verabschiedet worden. Sechs Mitglieder stimmten dafür, fünf dagegen, ein Mitglied enthielt sich; YBILC (1954), Vol. I, 133. 241 Hintergrund dieser Konkretisierung war das schon am 28. Mai 1946 vom Komitee der UNWCC herausgearbeitete Problem, dass damalig individualisierte Akte von Privatpersonen die Schwelle der Makrokriminalität regelmäßig nicht überschritten und damit kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen konnten. Ob diese Sichtweise indes heute noch haltbar ist, erscheint fragwürdig, siehe dazu Kapitel 4 B.II.3. 242 Carey, 53 Iowa L. Rev. (1967), 291 (301); Goldenberg, 10 W. Ontario L. Rev. (1971), 1 (21). Das Definitionsproblem der „Aggression“ wurde 1954 an ein Spezialkomitee verwiesen. Im Jahre 1967 fand eine Verweisung an ein weiteres Komitee statt, dass sich aus 35 Staatenvertretern zusammensetzte. 240
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit
lange Zeit verschiedentlich national definiert, zersplittert und folglich mit Auslegungsproblemen behaftet war. Erst durch die jeweilige nationalstaatliche Umsetzung des am 17. Juli 1998 verabschiedeten ICC Statuts, in dem in Art. 7 der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit enthalten ist, sind nunmehr wieder vermehrte transnationale Bemühungen erkennbar, eine einheitliche oder zumindest ähnlich gelagerte Definition des Tatbestandes anzuwenden.
III. Der Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind v. 1988 (ILC Draft Code v. 1988) Im Jahr 1978 beschloss die UN Generalversammlung, den im ILC Draft von v. 1954 kodifizierten Tatbestand erneut zu überdenken und schlug der ILC vor, mit der Formulierung des Codes fortzufahren243. Die ILC befasste sich ab initio mit der Thematik; treibende Kraft war der neue Berichterstatter des ILC, Doudou Thiam, der im Jahr 1982 einen ersten Bericht zum Draft Code vorlegte244. Ein zweiter Bericht, der sich vornehmlich mit den Tatbeständen beschäftige, die auch im 1954 Draft zu finden sind, ist 1984 dem ILC vorgelegt worden245. Weitere Berichte folgten 1985246, 1986247, und 1987248. Im Jahre 1988 wurde der Titel des ILC Drafts von „Draft Code of Offences against the Peace and Security for Mankind“ in „Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind“ umbenannt249. Die Ausführungen innerhalb des Dokuments blieben hingegen gleich250.
IV. Der Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind v. 1991 (ILC Draft Code v. 1991) Im Jahr 1989 gab Doudou Thiam in seinem siebenten Bericht an, eine Neuformulierung des Tatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit vornehmen zu wollen251. Seine Arbeit, die er, gestützt durch einen Vorschlag von 243
U.N. Doc. A/CN.4/377 (1978). First Report of the Special Rapporteur, Mr. Doudou Thiam, U.N. Doc. A/38/10 (1983). 245 Second Report of the Special Rapporteur, Mr. Doudou Thiam, U.N. Doc. A/ CN.4/377&Corr.1 (1984) 246 Third Report of the Special Rapporteur, Mr. Doudou Thiam, U.N. Doc. A/CN.4/ 387 (1985). 247 Fourth Report of the Special Rapporteur, Mr. Doudou Thiam, U.N. Doc. A/ CN.4/398 (1986). 248 Fifth Report of the Special Rapporteur, Mr. Doudou Thiam, U.N. Doc. GA/ RES/42/15 (1987). 249 Report of the International Law Commission, U.N. Doc. A/43/10 (1988). 250 Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law I, 293 (294). 244
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Trinidad und Tobago, ein Internationales Gericht zur Bekämpfung des Drogenhandels zu errichten, aufnahm, kumulierte in den ILC Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind von 1991, welcher vom ILC in seiner 43sten Sitzung in einer ersten Lesung besprochen wurde. In Art. 21 des ILC Draft Codes sind die Grundelemente des Tatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit zwar enthalten, allerdings hatte man sich dazu entschlossen, den Gesamttatbestand in „systematic or mass violations of human rights“ umzubenennen. Nach Art. 21 liegt ein solcher Verstoß bei folgenden Voraussetzungen vor: „An individual who commits or orders the commission by another individual of any of the following shall, on conviction thereof, be sentenced [to . . .]: – violation of human rights in a systematic manner or on a mass scale consisting of any of the following acts: (a) murder; (b) torture; (c) establishing or maintaining over persons a status of slavery, servitude or forced labour; (d) deportation or forcible transfer of population; (c) persecution on social, political, racial, religious or cultural grounds.“252
Der ILC Draft Code von 1991 unterscheidet sich vom ILC Draft Code von 1988 in mehreren entscheidenden Punkten. Schon die Umbenennung des Tatbestandes verdeutlicht, dass eine grundlegende Erweiterung des Schutzgutes angestrebt wurde, und nunmehr nicht Verbrechen, sondern „Menschenrechtsverletzungen“ unter Strafe gestellt werden sollten. Das Erfordernis, dass die Begehung einer Privatperson nur durch Aufstachelung oder Duldung durch einen Staat verübt werden kann, wurde gestrichen. Auch was den enumerierten Einzelstraftatkatalog betrifft, wurden Erweiterungen und Veränderungen vorgenommen. Der Tatbestand der Versklavung (enslavement) wurde in Sklaverei (slavery) umbenannt, sowie die Tatbestände der Leibeigenschaft, Zwangsarbeit und die zwangsweise Überführung von Personen neu aufgenommen. Beim Tatbestand der Verfolgung sind alle im ILC Draft Code von 1988 enthaltenen Beweggründe übernommen worden. Die schon in Art. 6(c) IMT Statut enthaltene Generalklausel der „anderen unmenschlichen Handlungen“ wurde hingegen gestrichen. Der Draft Code wurde von der Generalversammlung an die Staatenvertreter weitergeleitet. Aufgrund der tief greifenden Veränderungen ist der ILC Draft sowohl von Staatenvertretern als auch von der Literatur stark kritisiert worden253. Nach Anweisung der Generalversammlung, verstärkt das weitere Vorge251 Seventh Report of Special Rapporteur, Mr. Doudou Thiam, U.N. Doc. A/CN.4/ 419&Corr.1 and Add.1 (1989), Abs. 30 ff. 252 Report of the International Law Commission, U.N. Doc. A/46/10 (1991), siehe insbesondere Art. 21 des 1991 Draft Codes, Art. 21 Systematic or mass violations of human rights. 253 Vgl. Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind, Comments and observations received from Governments, A/CN.4/448 and Add. 1 (1993). Bezüglich des Tatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit gab es inter
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit
hen an der Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs auszurichten, überarbeitete die ILC den 1991er ILC Draft Code; die Arbeit kumulierte im ILC Bericht der 46sten Sitzung, der in Ordnungsnummer II Kommentare zum ILC Draft Code enthält254. Darin ist der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit zwar in Artikel 20 (d) enumeriert, und im Folgenden diskutiert, nicht aber neu definiert. Um weiteren Fortschritt zu erzielen, berief die UN Generalversammlung 1994 das „Ad Hoc Committee on the Establishment of an ICC“ ein. Nachdem das Komitee 1995 seinen Bericht vorgelegt hatte, entschied die Generalversammlung, darauf aufbauend ein „Preparatory Committee on the Establishment of an ICC“ (PrepCom) einzuberufen, mit der Aufgabe betraut, eine überarbeitete Konvention auszuarbeiten. Während der ersten Sitzung im März/April 1996 beschäftigte sich die PrepCom mit materiellen, prozessualen und administrativen Fragen. In der zweiten Sitzung im August 1996 wurde u. a. eine Einbeziehung des im Folgenden erörterten Draft Codes von 1996 diskutiert. Parallel dazu traf sich 1995 ein unabhängiges Komitee von Experten in Italien, um eine alternative Fassung des Drafts auszuarbeiten. Viele der Vorschläge sind von der Prep Com angenommen worden und haben erheblich den Draft Code von 1996 beeinflusst.
V. Der Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind v. 1996 (ILC Draft Code v. 1996) Resultat einer Überarbeitung des ILC Draft Codes war der in der 48sten Sitzung der ILC verabschiedete Draft Code v. 1996, der in Art. 18 eine Definition des Tatbestands des Verbrechens gegen die Menschlichkeit enthält. Die Formualia unterschiedliche Auffassungen bezüglich des Verfolgungstatbestandes, sowie die Kritik, dass der Tatbestand keine Generalklausel enthält; siehe Kommentar von Australien zu Art. 21, Abs. 31 ff.; Kommentar von Brasilien, Abs. 14; Kommentar von Bulgarien, Abs. 9 ff.; Kommentar von den Niederlanden, Abs. 59 ff.; Kommentar von Paraguay, Abs. 17; Kommentar von Polen, Abs. 41; Kommentar UK und Nordirland, Abs. 26; Kommentar der USA, Abs. 14 „Art. 21 [. . .] This article is too vague to impose criminal liability. The crime of ,persecution on social, political, racial, religious or cultural grounds‘ in particular is so vague that it could mean almost anything. For example, on definition of ,to persecute‘ is ,to annoy with persistent or urgent approaches to pester‘. It should not be an international crime for one political party to ,annoy‘ or ,pester‘ another political party, yet under the plain meaning of the draft Code that could be an international crime. This article also fails fully to consider the effects of the International Covenant on Civil and Political Rights, which spells out the specific human rights recognized by the vast majority of the international community. This article also appears to embrace common crimes, such as murder. The United States does not believe that it would be useful or even sensible to make every murder an international crime. It notes further that deportation may under many circumstances be lawful: this current formulation is thus too broad.“; Bassiouni, 11 Nouvelles Études Pénales, Commentaries on the International Law Commission’s 1991 Draft Code of Crimes Against the Peace and Security of Mankind. 254 Report of the International Law Commission, UN Doc. A/49/10 (1994).
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lierung orientierte sich einerseits an den in den Jahren 1993 und 1994 verabschiedeten Definitionen für das ICTY und ICTR, welche jeweilig in Art. 5 bzw. Art. 3 der Gerichtsstatute zu finden sind. Andererseits wurde versucht, den Tatbestand progressiv weiterzuentwickeln255. Die in Art. 18 gefundene Formulierung erwies sich während der Rom Konferenz im Jahr 1998 zur Errichtung des ICC als tragende Verhandlungsgrundlage für die Definierung des Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Auch nachrangig wurde der ILC Draft Code von 1996 von den internationalen ad hoc Tribunalen regelmäßig zitiert, was seine große Bedeutung veranschaulicht. In Art. 18 des Draft Codes v. 1996 ist der Tatbestand wie folgt kodifiziert: „A crime against humanity means any of the following acts, when committed in a systematic manner or on a large scale and instigated or directed by a government or by any organization or group: (a) (b) (c) (d) (e) (f)
(g) (h) (i) (j) (k)
murder; extermination; torture; enslavement; persecution on political, racial, religious or ethnic grounds; institutionalized discrimination on racial, ethnic or religious grounds involving the violation of fundamental human rights and freedoms and resulting in seriously disadvantaging a part of the population; arbitrary deportation or forcible transfer of population; arbitrary imprisonment;4 forced disappearance of persons; rape, enforced prostitution and other forms of sexual abuse; other inhumane acts which severely damage physical or mental integrity, health or human dignity, such as mutilation and severe bodily harm.
Fn. 4: Corrigendum A/CN.4/L.532/Corr.3, 19 July 1996.“
Die im ILC Draft Code v. 1996 enthaltene Definition weicht erheblich von derjenigen in Art. 21 des Draft Codes v. 1991 enthaltenen ab und konkretisiert sowohl das chapeau als auch die enumerierten Einzeltaten erheblich. Was das chapeau betrifft, so wurde einerseits festgehalten, dass ein Verbrechen sowohl in Kriegs-, als auch in Friedenszeiten begangen werden kann. Das Erfordernis, dass ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit nur ausgedehnte oder systematische Begehungsweisen umfasst, und die Einbeziehung einer Regierungs-, Organisations- oder Gruppenbeteiligung erfordert, sollte andererseits sicherstellen, dass der Gesamttatbestand nur makrokriminelle Verbrechensbegehungen abdeckt, sodass im Gegensatz zum ILC Draft Code v. 1991 Handlungen von Einzeltätern nicht erfasst sein sollten256. 255
Vgl. Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law I, 293 (303). Rosenstock, 91 AJIL (1997), 395 (368) „While it is unlikely that an individual could commit any of the enlisted acts as part of a plan or on a large scale, it is reason256
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Die Enumerierung der Einzeltatbestände orientierte sich primär am IMT, ICTR und ICTY Statut. Die schon im ILC Draft Code v. 1991 enthaltende Einbeziehung des „zwangsweisen Verschwindenlassen von Personen“, nunmehr in Art. 18(i), geht auf Praktiken zurück, die in einigen lateinamerikanischen Staaten in den 60iger und 70iger Jahren des letzten Jahrhunderts üblich waren257. Ihre Kodifizierung erscheint vor dem Hintergrund der Verabschiedung von Resolution 47/133 durch die U.N. Generalversammlung258, sowie der Verabschiedung der Inter-American Convention on Forced Disappearance of Persons259, als gerechtfertigt260. Die Einbeziehung anderer sexualisierter Gewalthandlungen in Art. 18 (j), eingeschlossen der Aufnahme einer Generalklausel, sollte nach mehrheitlicher Ansicht Völkergewohnheitsrecht reflektieren261. Schließlich wurde in Art. 18 (f) der Tatbestand der Apartheid erweitert und generalisierend als „institutionelle Diskriminierung“ kodifiziert. Dieser Ansatz konnte sich nicht während der Verhandlungen zum ICC Statut durchsetzen262. Die erweiterte Formulierung der Generalklausel in Art. 18 (k) wurde indes bei den Verhandlungen in Rom berücksichtigt.
F. Die Errichtung international(isiert)er Straftribunale und des ICC (1993–2007) Seit dem Ende des letzten Jahrhunderts findet eine zunehmende rechtsverbindliche Kodifizierung des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit statt, die eng in Verbindung mit der Errichtung verschiedener internationaler Straftribunale263, und dem ICC steht. Das Völkerstrafrecht ist able for the code not to cover a lone madman; an inclusion of ,any organization or group‘, as well as governments, seems to ensure that only the random act of a madman will be excluded.“ 257 Dazu unten Kapitel 5 D.IV. 258 U.N. Doc. A/RES/47/133 (1992). 259 U.N. Doc. A/RES/47/49 (1992); Inter American Convention on Forced Disappearance of Persons, 33 ILM 1529 (1994). 260 Rosenstock, 91 AJIL (1997), 395 (368). 261 Dagegen Bassiouni, Introduction to International Criminal Law I, 140 „these two instruments [Anm: gemeint ist GA. Res. 95 (I) vom 11. Dezember 1946 und der ILC Draft Code von 1951] are not legally binding qua. Furthermore, these texts regrettably lack the specificity required by the principles of legality. The same criticism can be leveled at the ILC’s 1996 Draft Code of Crimes Against the Peace and Security of Mankind, July 15, 1996, which lacks specificity in elements of the offense and its penalties. The crime of genocide was intended to embody crimes against humanity, but it fails to do so, even though there is an overlap between the two categories of crime“. 262 Siehe auch die Erörterungen zum Tatbestand der Apartheid, unten Kapitel 5 E.II. 263 Mettraux, 43 Harv. Int’l LJ 1 (2002), 237 (239) „[. . .] perhaps, the Tribunals have had the greatest impact on the law of crimes against humanity, by systematically identifying and clarifying each element of the offence.“
F. Internationale Straftribunale und ICC (1993–2007)
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Dank der Errichtung der internationalen ad hoc Tribunale für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for Yugoslavia – ICTY) und für Ruanda (International Criminal Tribunal for Rwanda – ICTR), sowie durch die Errichtung mehrerer internationalisierter Tribunale, wie etwa das Sondertribunal für Sierra Leone (SCSL), sowie nationalen Ausprägungen, etwa die Spezialkammern in Kambodscha (ECCC) heute kein Zukunftsprojekt mehr. Die Etablierung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag (ICC) im Jahr 2002 stellt derzeitig den Höhepunkt der völkerstrafrechtlichen Entwicklung dar.
I. Errichtung des ICTY Am 25. Mai 1993 wurde aufgrund des begangenen Völkermords und anderen Grausamkeiten im ehemaligen Jugoslawien264 auf Vorschlag verschiedener Quellen, eingeschlossen einer zuvor durch Resolution 780 eingerichteten Expertenkommission unter der Leitung von M. Cherif Bassiouni 265 vom Weltsicherheitsrat eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit festgestellt und der Beschluss gefasst, als Konsequenz ein internationales ad hoc Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien unter Kapitel VII der UN Charta zu errichten266. Ziel der Tribunalseinsetzung war es zum einen, eine Bestrafung der Täter zu gewährleisten, zum anderen, einen Beitrag zur schnellen Beendigung des Konflikts zu leisten267. Die Einsetzung des Tribunals als Unter264 Report of the Secretary-General pursuant to Paragraph 2 of Security Council Resolution 808 (Fn. 6), Rn. 6 „[. . .] reports of mass forcible expulsion and deportation of civilians, imprisonment and abuse of civilians in detention centres, deliberate attacks on non-combatants, hospitals and ambulances, impeding the delivery of food and medical supplies to the civilian population, and wanton devastation and destruction of property. [. . .]“; siehe auch Rn. 9 des Reports „[. . .] which concluded that grave breaches and other violations of international law had been committed in the territory of the former Yugoslavia, including wilful killing, ,ethnic cleansing‘, mass killings, torture, rape, pillage and destruction of civilian property, destruction of cultural and religious property and arbitrary arrests [. . .]“; s. a. Security Council Resolution 771 (1992), UN Doc. S/RES/771 (13. August 1992) und Security Council Resolution 820 (1993), UN Doc. S/RES/820 (1993); Security Council Resolution 827 (1993), UN Doc. S/RES/827 (25. Mai 1993). 265 Bassiouni, 10 Harv. Hum. Rts. J. (1997), 11 (39 ff.). 266 Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (im folgenden ICTY). Der exakte Name des ICTY ist: „International Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in the Territory of the Former Yugoslavia since 1991“. Errichtet wurde das ICTY durch Resolution des Weltsicherheitsrates 808 (1993), UN Doc. S/RES/808 (22. Februar 1993); Resolution des Weltsicherheitsrates 827 (1993), UN Doc S/RES/827 (25. Mai 1993). 267 Resolution des Weltsicherheitsrates 827, UN Doc.S/RES/827 (25. Mai 1993) „[. . .] Determined to put an end to such crimes and to take effective measures to bring to justice the persons who are responsible for them [. . .] Believing that the establish-
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organ der UN war nicht unumstritten. So wurde angeführt, der Weltsicherheitsrat besäße keine Kompetenz, internationales Recht zu schreiben und gerichtliche Institutionen zu errichten268. Aufgrund der geäußerten Bedenken wurde dem Generalsekretär der Vereinten Nationen der Auftrag erteilt, innerhalb von 60 Tagen seit Beschlussfassung einen vollumfänglichen Bericht zu erstellen. Dieser betraute den Untergeneralsekretär mit der Aufgabe, welcher wiederum eine Arbeitsgruppe gründete, die sich aus sechs Rechtsexperten zusammensetzte269. Der Generalsekretär nahm in seinem Bericht zur Kritik Stellung und erläuterte, dass eine Errichtung, die auf dem Abschluss eines multilateralen Vertrages basiere, zu langwierig und zu ineffektiv sei, um der konkreten Situation angemessen Rechnung zu tragen270. Die Einbeziehung der UN Generalversammlung wurde aus demselben Grund abgelehnt. Zudem seien der UN Charta explizit keine spezifischen Kompetenzgrenzen zu entnehmen (obwohl unverkennbar ist, dass es Grenzen gibt) und die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sei eher als eine weitläufige Mandatserteilung zu verstehen271, sodass die Maßnahme rechtmäßig sei. Um die Legitimität der Errichtung noch zu verstärken, stellte der Bericht fest, dass „in assigning to the International Tribunal the task of prosecuting persons responsible for serious violations of international humanitarian law, the Security Council would not be creating or purporting to „legislate“ that law. Rather, the International Tribunal would have the task of applying existing international humanitarian law“272. Das ICTY sollte demnach lediglich Jurisdiktionskompetenz ratione materiae besitzen, welche „beyond any doubt [is] part of customary international law“273, um einem Verstoß gegen ment of an international tribunal [. . .] will contribute to ensuring that such violations are halted and effectively redressed [. . .]“ (Hervorhebung im Original); Johnson, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 368. 268 Johnson, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 368 (370). 269 Zu diesem Thema wurden formale Berichte, Kommentare und Vorschläge von verschiedensten Quellen eingereicht. Es beteiligten sich fast 30 Staaten (darunter auch Deutschland), 10 NGOs, verschiedene Expertengruppen, die OSCE und das ICRC; dazu Report of the Secretary-General pursuant to Paragraph 2 of Security Council Resolution 808 (1993), Rn. 13 f., 32 ILM (1993), 1163 (1166). 270 Report of the Secretary-General pursuant to Paragraph 2 of Security Council Resolution 808 (1993), Rn. 20 ff., 32 ILM (1993), 1163 (1168 f.); Zacklin, 2 JInt’l. Crim. Just. (2004) 361 ff. 271 Zacklin, 2 JInt’l Crim. Just. (2004) 361 (362). 272 Report of the Secretary-General pursuant to Paragraph 2 of Security Council Resolution 808 (1993), Rn. 29, 32 ILM (1993), 1163 (1169); s. a. Prosecutor v. Aleksovski, IT-95-14/1-A (24 März 2000), Rn. 113, wonach eine ICTY Trial Chamber an die Entscheidungen der ICTY Appeals Chamber gebunden ist. 273 Report of the Secretary-General pursuant to Paragraph 2 of Security Council Resolution 808 (1993), Rn. 34, ILM 32 (1993), 1163 (1170). Beachte aber auch Rn. 36 „[. . .] there is one related issue which would require reference to domestic practice, namely, penalties [. . .]“. Vgl. weiter Prosecutor v. Vailjevic´, IT-98-32-T (29. November
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nullum crimen sine lege vorzubeugen274 und die Kompetenzen des UN Sicherheitsrates nicht zu überschreiten275. Um die so genannten gegen die Zivilbevölkerung verübten „ethnischen Säuberungen“ aburteilen zu können, wurde der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in das Statut des Tribunals aufgenommen, dessen Tatbestandskonkretisierungen sich sowohl in Art. 5 des Statuts, als auch wortgleich im Annex des Reports wieder finden lassen. Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit liegt unter folgenden Voraussetzungen vor: „Artikel 5 Verbrechen gegen die Menschlichkeit Der Gerichtshof ist befugt, Personen strafrechtlich zu verfolgen, die für folgende Verbrechen verantwortlich sind, wenn diese in einem, ob internationalen oder internen, bewaffneten Konflikt begangen werden und gegen die Zivilbevölkerung gerichtet sind: a) Mord; b) Ausrottung; c) Versklavung; d) Deportierung; e) Freiheitsentziehung; f) Folter; g) Vergewaltigung; h) Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen; i) andere unmenschliche Handlungen.“276 2002), Rn. 202; bestätigt durch ibid., IT-98-32-A (25. Februar 2004); Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-PT (2. März 1999), Rn. 20. Ob das ICTY auch Jurisdiktionsbefugnis bei Verletzungen von Vertragsrecht oder innerstaatlichem Recht besitzt (das nicht zugleich customary international law darstellt), ist nicht vollständig geklärt. Vgl. zum einen Prosecutor v. Strugar, IT-01-42-AR72 (22. November 2002), Rn. 10, 13, 14; Prosecutor v. Hadzˇihasanovic´, IT-01-47-AR72 (16. Juli 2003), Rn. 55. In einer Reihe von obiter dicta hat das ICTY aber zumindest die Möglichkeit erwogen, auch auf Grundlage von Vertragsrecht Jurisdiktionskompetenz zu begründen; Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1 (2. Oktober 1995) Rn. 143; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000) Rn. 169. Siehe insb. auch Prosecutor v. Galic´, IT-98-29-T (5. Dezember 2003) Rn. 63 ff. wo eine ICTY Trial Chamber erstmalig nur Vertragsrecht angewendet hat, um seine Jurisdiktionskompetenz begründen zu können. 274 Mettraux, 43 Harv. Int’l LJ 2 (2002), 237 (241); Prosecutor v. Milutinovic ´ , Sˇainovic´ und Ojdanic´, IT-99-37-AR72 (21. Mai 2003) Rn. 9. 275 Dies ist insbesondere auch deshalb von Relevanz, weil Maßnahmen des Weltsicherheitsrates nach Kapitel VII der UN Charta Maßnahmen darstellen, die für alle Staaten rechtsverbindlich sind; Zacklin, 2 JInt’l Crim.Just. (2004), 361 (362). 276 Der autoritäre englische Originalwortlaut, auf den bei der dogmatischen Analyse vornehmlich abgestellt wird, lautet: „Article 5 Crimes against humanity. The International Tribunal shall have the power to prosecute persons responsible for the following crimes when committed in armed conflict, whether international or internal in character, and directed against any civilian population: a) murder; b) extermination; c) enslavement; d) deportation; e) imprisonment; f) torture; g) rape; h) persecutions on political, racial and religious grounds; i) other inhumane acts“.
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Auffällig ist, dass sich die Tatbestandsdefinierung fast mit Art. II Abs. I c) des CCL No. 10 deckt. Lediglich der Passus „wenn diese in einem, ob internationalen oder internen, bewaffneten Konflikt begangen werden“ wurde in Art. 5 ICTY Statut hinzugefügt, während die im CCL No. 10 enthaltene Klarstellung, dass die Strafbarkeit der Handlung von etwaigen nationalen Regelungen unabhängig zu beurteilen ist, gestrichen wurde. Durch Resolution 827 des Weltsicherheitsrates ist der Bericht des Generalsekretärs vom Weltsicherheitsrat angenommen und das Statut des Tribunals verabschiedet worden277. Die Definition des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Art. 5 des ICTY Statuts war damit für das Tribunal rechtsverbindlich. Unter ratione personae Gesichtspunkten sollten nur natürliche Personen angeklagt werden „responsible for serious violations of international humanitarian law“. Juristische Personen fallen nicht unter die Jurisdiktionsgewalt des ICTY278. Die Kompetenz ratione loci und ratione temporis erstreckt sich auf Verletzungen innerhalb des Territoriums des ehemaligen Jugoslawiens279, die seit dem 1. Januar 1991 begangen wurden280. Ausgehend von dem – mit Stand vom 1. August 2008 – neuesten Bericht von Mai 2008 soll im Wege der „Completion Strategy“ die Arbeit aller ICTY Trial Chambers im Jahr 2010, die der Appeals Chamber im Jahr 2011 beendet sein281. Der Report bezieht die späteren Entwicklungen, insbesondere die Verhaftung und Überstellung von Radovan Karadzic im Juli 2008, nicht mit ein.
II. Errichtung des ICTR Die Errichtung des ICTR ist der des ICTY sehr ähnlich. Aufgrund des Völkermordes in Ruanda stellte auch hier der Weltsicherheitsrat eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit fest282 und errichtete unter 277 Sec. Council Resolution 827 (1993) v. 25. Mai 1993, 32 ILM (1993), 1203 (1204); Zacklin, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 361 (367). 278 Report of the Secretary-General pursuant to Paragraph 2 of Security Council Resolution 808 (1993), Rn. 50, 32 ILM (1993), 1163 (1174). 279 „Former Yugoslavia means the territory of the former Socialist Federal Republic of Yugoslavia, including its land surface, airspace and territorial waters“, Report of the Secretary-General pursuant to Paragraph 2 of Security Council Resolution 808 (1993), Rn. 61, 32 ILM (1993), 1163 (1176). 280 Siehe Art. 1 und Art. 8 ICTY Statut. Das ICTY (Trial und Appeal Chamber) widersprach in Prosecutor v. Milutinovic´, Sˇainovic´ und Ojdanic´, IT-99-37-PT (6. Mai 2003), dem Argument der Verteidigung, dass Taten, die im Kosovo im Jahr 1998 stattgefunden haben, nicht mehr von der Gerichtsbarkeit des Gerichts umfasst seien. 281 U.N. Doc. S/2008/326 (2008), Abs. 45. 282 Grundlage der Feststellung waren vor allem der „Report on the situation of human rights in Rwanda prepared by the Special Rapporteur of the Commission on Human Rights in accordance with Commission resolution S-3/1 and Economic and Social Council decision 1994/223“, U.N. Doc. S/1994/1157, und Berichte der Exper-
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Kapitel VII der UN Charta durch Resolution 955 am 8. November 1994 mit dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda ein weiteres ad hoc Tribunal283, das seinen Sitz in Arusha, Tansania hat284. Im Gegensatz zum ICTY wurde dies jedoch nicht durch zwei, sondern nur durch eine Resolution vollzogen. tenkommission, „Preliminary Report of the Independent Commission of Experts established in accordance with Security Council resolution 935 (1994)“, U.N. Doc. S/1994/ 1125, „Final Report of the Commission of Experts established pursuant to Security Council resolution 935 (1994)“, UN Doc. S/1994/1405 (1994), sowie eine Anfrage der Regierung Ruandas an den Weltsicherheitsrat bezüglich der Errichtung eines Internationalen Tribunals; „Letter from the Permanent Representative of Rwanda to the President of the Security Council, 28 September 1994“, UN Doc. S/1994/1115 (1994). Vergleiche weiter die bahnbrechende Entscheidung in Prosecutor v. Karemera, Ngirumpatse und Nzirorera, Prosecutor’s Appeal on Judicial Notice v. 16. Juni 2006, ICTR-98-44-AR73(C) und die diesbezügliche Pressemitteilung ICTR/INFOO-9-2481.EN (Arusha, 20 June 2006) „The Appeals Chamber of the International Criminal Tribunal for Rwanda on 16 June 2006 ruled that the Trial Chambers must take judicial notice of the following acts: i. The existence of Twa, Tutsi and Hutu as protected groups falling under the Genocide Convention, ii. The following state of affairs existed in Rwanda between 6 April 1994 to 17 July 1994: there were throughout Rwanda widespread or systematic attacks against a civilian population based on Tutsi ethnic identification. During the attacks, some Rwandan citizens killed or caused serious bodily or mental harm to person[s] perceived to be Tutsi. As a result of the attacks, there were a large number of deaths of persons of Tutsi ethnic identity; iii.) Between 6 April 1994 and 17 July 1994 there was genocide in Rwanda against Tutsi ethnic group. [. . .] This is one of the most significant rulings of the [Anm. ICTR] Tribunal, given the consequences in terms of putting the occurrence of genocide beyond legal dispute. It can be recalled that until now the OTP [Anm: Office of the Prosecutor] has had to in each case lead evidence and prove the occurrence of the genocide. This will no longer be necessary. In the view of the OTP the ruling should now silence the ,rejectionist‘ camp which has disputed the occurrence of genocide.“ (eigene kursive Hervorhebung, [ ] ohne Anmerkung sind im Originalzitat enthalten). Anders als beim ICTY lagen zum Zeitpunkt der Errichtung des ICTR keine unmittelbaren Kampfhandlungen mehr vor, da sich der Völkermord in Ruanda im Wesentlichen auf den Zeitraum vom 6. April 1994 (Abschuss des Flugzeugs des Präsidenten von Ruanda) bis 18. Juli 1994 (Waffenstillstandserklärung durch die RPF) beschränkte. Der Weltsicherheitsrat sah nichts desto trotz eine unmittelbare Gefährdung des Weltfriendes für gegeben, da „the recent genocide and related crimes will continue to haunt Rwanda and jeopardize its prospects for a peaceful future until some measure of justice is achieved. In addition, the authority of the Security Council to restore and maintain international peace and security does not end when the last shot is fired“, Morris/Scharf, The International Criminal Tribunal for Rwanda I, 104. 283 U.N. Doc. S/RES/955 (1994), 2; vgl. auch Morris/Scharf, The International Criminal Tribunal for Rwanda I, 79 „The consideration of the advantages and the disadvantages of the various options for the establishment of the Yugoslavia Tribunal as well as the legal basis for its establishment by the Security Council is equally relevant to the Rwanda Tribunal“. 284 Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda (im folgenden ICTR). Der exakte Name des ICTR ist: „International Criminal Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Genocide and Other Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in the Territory of Rwanda and Rwandan Citizens responsible for genocide and other such violations committed in the territory of neighbouring States between 1 January 1994 and 31 December 1994.“ Das ICTR wurde errichtet durch Re-
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Zudem ist der Generalsekretär, anders als bei der Errichtung des ICTY, bei der Errichtung des ICTR nicht beauftragt worden, einen Bericht zu erstellen, da nach allgemeiner Ansicht der Bericht des Generalsekretärs zur Errichtung des ICTY eine ausreichende Grundlage bildete. Der Generalsekretär erstellte nichtsdestotrotz einen diesbezüglichen Bericht in proprio motu285 und reichte diesen am 13. Februar 1995 ein286. Des Weiteren wurde bewusst auf gegenseitige Kompatibilität der beiden Tribunale untereinander geachtet, um finanzielle und ökonomische Ressourcen zu bündeln und eine einheitliche Auslegung des Rechts zu gewährleisten. So waren in den ersten beiden Mandaten (1995–2003) die Chefankläger Richard J. Goldstone287 (1994–1999) und Carla Del Ponte288 (1999–2003) sowohl für die Anklage beim ICTY als auch beim ICTR zuständig289. Durch die gleiche personelle Besetzung der Richterbank in der Berufungsinstanz des ICTY und ICTR sollte zudem die Rechtsvereinheitlichung gefördert werden. Seit dem 4. September 2003 ist durch Resolution 1504 für das ICTR ein gesonderter Chefankläger bestellt worden, sodass die Position am ICTY von Carla Del Ponte, am ICTR aber von Hassan Bubacar Jallow wahrgenommen wurde290. Seit dem 1. Januar 2008 fungiert Serge Brammertz als Chefankläger des ICTY. Auch im ICTR Statut findet sich in Art. 3 eine Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die jedoch von der Definition des Art. 5 ICTY Statut in verschiedenen Punkten abweicht. Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des ICTR Statuts liegt unter folgenden Voraussetzungen vor: „Artikel 3 Verbrechen gegen die Menschlichkeit Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda ist befugt, Personen strafrechtlich zu verfolgen, die für folgende Verbrechen verantwortlich sind, wenn diese im Rahmen eines breit angelegten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung aus nationalen, politischen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gründen begangen werden: a) Mord b) Ausrottung
solution des Weltsicherheitsrates 955 (1994), S/RES/955 (8. November 1994). Das Statut des Tribunals ist abgedruckt im Annex der Resolution, Text in 33 ILM (1994), 1600. Zu den Gründen der Ortswahl für das Tribunal (im Nachbarstaat Tansania und nicht in Ruanda) siehe Møse, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 920 (921). 285 Morris/Scharf, The International Criminal Tribunal for Rwanda I, 101. 286 Report of the Secretary-General Pursuant to Paragraph 5 of Security Council Resolution 955 (1994), U.N. Doc. S/1995134 (13. Februar 1995). 287 U.N. Doc. S/RES/936 (8. Juli 1994). 288 U.N. Doc. S/RES/1259 (11. August 1999). 289 Vgl. Art. 15 Nr. 3 ICTR Statut. 290 U.N. Doc. S/RES/1505 (4. September 2003). Zu den Gründen der „Abbestellung“ Del Pontes vom ICTR siehe Reydams, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 977 (978 f.).
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c) Versklavung d) Deportierung e) Freiheitsentziehung f) Folter g) Vergewaltigung h) Verfolgung aus politischen, rassischen und politischen Gründen i) andere unmenschliche Handlungen.“291
Vergleicht man die kodifizierten Tatbestände in Art. 5 ICTY Statut und Art. 3 ICTR Statut, ist zwar auffällig, dass sich die Aufzählung der Katalogstraftaten gleichen. Im chapeau des Gesamttatbestandes wird jedoch zum einen im Gegensatz zu Art. 5 ICTY Statut nicht die Begehung in einem internationalen oder internen Konflikt gefordert292, zum anderen aber das Erfordernis einer Begehung „on national, political, ethnic, racial or religious grounds“ für alle enumerierten Verbrechen als notwendig erachtetet. Im Gegensatz dazu schreibt Art. 5 ICTY Statut vor, dass letzteres Erfordernis nur bei dem Verbrechenstatbestand der Verfolgung besteht. Interessant ist zudem, dass sich bei genauerer Betrachtung des Art. 3 ICTR Statut das Erfordernis „on national, political, ethnic, racial or religious grounds“ teilweise wiederholt. Es it vollumfänglich sowohl im chapeau für alle Verbrechen, als auch eingegrenzt für den Verfolgungstatbestand festgeschrieben („on political, racial and religious grounds“), wobei jedoch im chapeau die Beweggründe disjunktiv enumeriert sind, während beim Tatbestand der Verfolgung eine konjunktive Festschreibung gewählt wurde293. Schließlich ist der in Art. 5 ICTY Statut verwendete Terminus des „Konflikts“ durch den Passus „breit angelegten oder systematischer Angriff “ – bzw. im englischen Originalwortlaut: „widespread or systematic attack“ ersetzt worden294. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass diese Konkretisie291 Der autoritäre englische Originalwortlaut lautet: „Art. 3 Crimes against Humanity The International Tribunal for Rwanda shall have the power to prosecute persons responsible for the following crimes when committed as part of a widespread or systematic attack against any civilian population on national, political, ethnic, racial or religious grounds: a) Murder; b) Extermination; c) Enslavement; d) Deportation; e) Imprisonment; f) Torture; g) Rape; h) Persecutions on political, racial and religious grounds; i) Other inhuman acts.“ 292 Die allgemeine Jurisdiktionskompetenz des Gerichtes beschränkt sich zudem im Gegensatz zum ICTY Statut auf reine inländische Konflikte. Zu den Gründen Morris/ Scharf, The International Criminal Tribunal for Rwanda I, 142. 293 Zur rechtlichen Bewertung siehe unten Kapitel 3 F. und Kapitel 5 E.I.2.c). 294 Ohne zu weit dogmatisch vorgreifen zu wollen, sei schon hier einmal daran erinnert, dass eine Befassung mit dem englischen Originalwortlaut zwingend notwendig ist, um Unklarheiten zu vermeiden. Während sich etwa der Passus „widespread or systematic“ eingebürgert hat, ist die deutsche Übersetzung mitunter unterschiedlich. „Widespread“ wird in der deutschen Übersetzung des Art. 3 ICTR Statuts mit „breit angelegt“ übersetzt. In der amtlichen Übersetzung zu Artikel 7 des ICC Statuts sowie
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rung schon im Bericht des Generalsekretärs zu Art. 5 ICTY Statut zu finden ist295, die für das ICTR nur übernommen werden musste. Unterschiede finden sich schließlich in der relevanten Anwendung der Rechtsquellen. So stellt der Generalsekretär in seinem Bericht zum ICTR klar: „The Security Council has elected to take a more expansive approach to the choice of the applicable law than the one underlying the Statute of the International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (hereafter „the ICTY“) and included within the subject – matter jurisdiction of the Rwanda Tribunal international instruments regardless of whether they were part of customary international law or whether they have customarily entailed individual criminal responsibility of the perpetrator of the crime.“296
Unter Zugrundelegung des Zitats könnte angenommen werden, dass sich die Spruchpraxis des ICTR nicht auf Völkergewohnheitsrecht beschränken muss, sondern allgemeine internationale Rechtsquellen, die nicht einen universellen Anerkennungsstatus erreicht haben, in die Bewertung einfließen lassen kann. Eine solche Annahme – zumindest was den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit betrifft – greift allerdings fehl. Obiger Hinweis des Generalsekretärs soll sich primär auf die Aburteilung von Kriegsverbrechen nach Art. 4 ICTR Statut beziehen297 und nicht auf andere Völkerstrafrechtstatbestände überwirken. Einige Trial Chamber Entscheidungen des ICTR haben allerdings Anlass zu der Vermutung gegeben, dass das ICTR neben Völkergewohnheitsrecht generell auch andere Rechtsquellen anwenden will, soweit es zum damaligen Zeitpunkt für Ruanda galt298. Im Prosecutor v. Delalic´ et al. ist die Rechtsfrage von der Appeals Chamber faktisch entschieden worden. So hat die Appeals Chamber darauf hingewiesen dass das ICTR „was not creating new law but inter alia codifying existing customary rules for the purpose of the jurisdiction of the ICTR.“299 in § 7 (1) VStGB ist hingegen der Begriff „ausgedehnt“ gewählt worden. Die englische Version verwendet hingegen sowohl bei Artikel 3 ICTR Statut als auch bei Artikel 7 ICC Statut den Begriff „widespread“. 295 Report of the Secretary-General pursuant to Paragraph 2 of Security Council Resolution 808 (1993), Rn. 48, ILM 32 (1993), 1163 (1173). 296 Report of the Secretary-General Pursuant to Paragraph 5 of Security Council Resolution 955 (1994), U.N. Doc. S/1995134 (13. Februar 1995), 3, Abs. 12. 297 Obote-Odora, 8 Murd.U.Elec. JL 2 (2001), Abs. 23 ff. 298 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 604 ff.; Prosecutor v. Kayishema & Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 156 ff., 597 ff.; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T (27. Januar 2000), Abs. 242; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 353. 299 Prosecutor v. Delalic ´ et al. IT-96-21-A (20. Februar 2001). Selbst wenn man dem widersprechen möchte, hat der Ansatz der ICTR Trial Chamber für die allgemeine Definition des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit unbestrittenermaßen keine direkte Auswirkung. Das ICTR ist sich bei der Auslegung
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Auch bezüglich der Jurisdiktionskompetenz des ICTR ratione personae und ratione temporis gibt es faktische wie rechtliche Unterschiede zum ICTY. Zwar wurde dem ICTR offiziell der Auftrag erteilt, unter ratione personae Gesichtspunkten (alle) Personen abzuurteilen, die sich des Verbrechens des Völkermordes und anderer schwerwiegender Verletzungen humanitären Völkerrechts strafbar gemacht haben300, was auch Verbrechen der Tutsi gegen die Hutu mit einschließt. Bis zum heutigen Tage wurde jedoch noch kein einziger Tutsi vor dem ICTR angeklagt, obwohl nachweisbar301 auch von dieser Gruppe schwerwiegende Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden. In letzter Zeit muss sich infolgedessen das ICTR zunehmend der Kritik stellen, „Siegerjustiz“ zu betreiben302. Bezüglich der Kompetenz ratione temporis ist die Gerichtsbarkeit des Tribunals auf Straftaten, die im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 1994 und dem 31. Dezember 1994 begangen wurden, begrenzt und unterscheidet sich daher erheblich vom ICTY, das Jurisdiktionskompetenz seit dem 1. Januar 1991 besitzt. Mit Hinblick auf die „Completion Strategy“ soll die Arbeit der drei Trial Chambers Ende 2008, die Arbeit der Appeals Chamber im Jahre 2010 beendet sein303.
III. Errichtung des ICC Die Idee zur Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofes wurde von der UN schon seit 1948 in Betracht gezogen304. Jedoch sollte es fünfzig Jahre dauern, bis mit der Verabschiedung des ICC Statuts während der Rom Konferenz am 17. Juni 1998 der Plan in die Realität umgesetzt werden konnte. Schon 1951305 und 1953306 entwickelte die ILC jeweils im Auftrag der UN Generalversammlung ein Draft Statute für einen internationalen Strafgerichtshof. Weil jedoch die Definition der Straftatbestände mit der Errichtung eines durchgängig einig, dass es seine Auslegung explizit auf die Anwendung von Völkergewohnheitsrecht begrenzen möchte; vgl. Mettraux, 43 Harv. Int’l LJ 1 (2002), 237 (238, Fn. 6). 300 U.N. Doc. S/RES/955 (8. November 1994), Nr. 1. 301 Report of the Secretary-General Pursuant to Paragraph 5 of Security Council Resolution 955 (1994), U.N. Doc. S/1995134 (13. Februar 1995), 1, Abs. 3 „By resolution 935 (1994) of 1 July 1994, the Secretary-General was requested to establish an impartial commission of experts. [. . .] In its final report (S/1994/1405) the commission concluded [. . .]; that crimes against humanity [. . .] were committed by individuals on both sides of the conflict“. 302 Eingehend Reydams, 3 JInt’l Crim Just. (2005) 977 ff.; s. a. Møse, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 920 (934). „All persons convicted by the Tribunal so far are Hutu, and all accused in Arusha also belong to this group. It is often argued that this may give an impression of one-sidedness and ,victor’s justice‘“. 303 U.N. Doc. S/2008322 (2008) Abs. 1. 304 U.N. Doc. A/260 (1948). Vgl. auch Artikel VI der Völkermordkonvention von 1948. 305 Report of the Committee on International Jurisdiction, U.N. Doc. A/2136 (1952).
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Internationalen Gerichtes verbunden wurde, kam es nie zur Vorlage des Gesamtprojektes in der Generalversammlung, da sich die Staatengemeinschaft nicht über eine Definition des Angriffskrieges einigen konnte307. Aufgrund der weltpolitischen Lage in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts („kalter Krieg“) schien zudem die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes, das länderübergreifend strafrechtliche Jurisdiktionskompetenz besessen hätte, utopisch zu sein308. Allerdings wurde im Jahre 1973 die Apartheid Konvention verabschiedet, die in Artikel 5 inter alia die Errichtung eines internationalen Tribunals vorsah. Zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema kam es freilich nicht. Im Jahre 1989 schlug Trinidad und Tobago mit Unterstützung der ILC der UN Generalversammlung mit Hinblick auf die Bekämpfung des Rauschgifthandels die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes vor309. Am 25. November 1992 wurde durch Resolution 47/33 die ILC unter der Leitung von James Crawford mit der Aufgabe betraut, einen Draft Code für einen Internationalen Gerichtshof auszuarbeiten. Im Jahre 1994 legte die ILC einen Bericht vor, der ein Draft Statut für einen Internationalen Gerichtshof enthielt310. Dieser orientierte sich weitgehend an den bis dato völkerstrafrechtlich ausgearbeiteten Statuten der Tribunale von Tokio und Nürnberg, den ILC Draft Codes von 1951 und 1953, dem ILC Draft Code von 1980 zur Errichtung eines internationalen Tribunals zur Durchsetzung der Apartheid Konvention, sowie dem ICTY und ICTR Statut311. Zur Evaluierung des Drafts und als Vermittlungsinstanz zwischen den Staaten, welche die Errichtung eines ICC befürworteten und anderen, die eine ablehnende Haltung vertraten, errichtete die UN Generalversammlung am 9. Dezember 1994 einen ad hoc Ausschuss,312 der am 6. September 1995 seinen Abschlussbericht – einschließlich eines Drafts – der UN Generalversammlung
306 Report of the 1953 Committee on International Criminal Jurisdiction, U.N. Doc. A/2645 (1954). 307 Eine Definition des Angriffskrieges konnte erst 1974 erreicht werden. Die von der Generalversammlung verabschiedete Fassung in Resolution 3314 (XX) (1974) ist nicht rechtsverbindlich. Bis zum heutigen Tage – Stand 1. August 2008 – ist die Definition des Tatbestandes des Angriffskrieges äußerst umstritten, soll aber während der Review Conference im Jahr 2010 verabschiedet werden. Vorarbeit leistet derzeitig eine „Special Working Group on the Crime of Aggression“ unter Vorsitz von Christian Wenaweser. 308 McGoldrick, Crim. LRev. 1999, 627 (628). 309 Bassiouni, 25 Denv.JInt’l L&Pol’y (1996–97), 397. 310 Report of the International Law Commission on the work of its 46th session, A/ 49/10 (1994). 311 Bassiouni, 25 Denv. JInt’lL&Pol’y (1996–97), 397 (399). 312 U.N. Doc. A/RES/49/53 (1994), s. a. Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, 343.
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vorlegte. Ein Jahr später wurde daraufhin ein Vorbereitungsausschuss errichtet, welcher die Änderungswünsche und Bedenken der Staaten einarbeiten sollte und die klare Zielsetzung hatte, einen konsolidierten Text zu erstellen, der innerhalb der Staatengemeinschaft weite Akzeptanz finden würde313. Jedoch konnte vom Ausschuss nur ein Bericht vorgelegt werden, der verschiedene Vorschläge enthielt314. Bezüglich der darin enthaltenen Ausführungen zum Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit war angemerkt, dass vor allem die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen umstritten seien. Insbesondere herrschte Uneinigkeit darüber, ob die Tatbestandsmerkmale des ausgedehnten und systematischen Angriffes disjunktiv (entweder/oder) oder konjunktiv (sowohl/als auch) festzuschreiben sind und ob im makrokriminellen Gesamtkontext der Nexus zum bewaffneten Konflikt integriert werden müsse315. Im Dezember 1997 beschloss die Generalversammlung, 1998 eine Staatenkonferenz in Rom einzuberufen, deren Aufgabe es sein sollte, den endgültigen Text des Statuts auszuarbeiten und zu verabschieden316. Am 15. Juni begann die fünfwöchige Rom Konferenz317 unter Beteiligung von über 160 Staaten, an deren Ende der mehrheitliche Beschluss des ICC Statuts stand318. Im Gegensatz 313
U.N. Doc. A/RES/50/46 (1995), Abs. 2. Report of the Preparatory Committee for the Establishment of an International Criminal Court, U.N. Doc. A/51/22 (1996). Grundlage des Reports war der 1994 veröffentlichte Draft Code der ILC; Meron, 92 AJIL (1998), 462 (465). 315 Zimmermann, 58 ZaöRV (1998), 47 (50 ff.). 316 U.N. Doc. A/RES/52/160 (1997); s. a. Beschluss des Rechtsausschusses der UN Generalversammlung vom 14.11. 1997, U.N. Doc. A/C. 6/52/L. (1997). 317 Der offizielle Name der Konferenz lautete: „United Nations Diplomatic Conference of Plenipotentiaries on the Establishment of the International Criminal Court“. 318 Zu dem Verhandlungsprozess während der Rom Konferenz siehe Bassiouni, Cornell Int’l LJ (1999), 444 ff.; Arsanjani, 93 AJIL (1999), 22 ff. Innerhalb des Verhandlungsprozesses zum Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit bildeten sich drei große „Kräfte“ heraus. Die erste Gruppe von Staaten befürwortete eine restriktive und konservative Ausrichtung des Tatbestandes, da befürchtet wurde, dass er im Falle einer progressiven Herangehensweise die nationalstaatliche Souveränität verletzen könnte; unter ihr befanden sich viele Arabische Staaten. Die zweite Gruppe, im Gegensatz zur ersten, setzte sich für eine weite und funktionsfähige Definition ein, die die positiven Entwicklungen in der neueren Zeit berücksichtigt (so z. B. die Einbeziehung von sexualisierter Gewalt) – so genannte „like minded States“, welche aus vielen Europäischen Staaten, sowie Staaten aus Entwicklungsländern bestand –. Die dritte Gruppe – auch bekannt als „P5“, da sie sich aus den ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrates zusammensetzte – war vor allem von dem Gedanken geleitet, den Tatbestand präzise und klar zu formulieren und Erweiterungen nicht überzustrapazieren. Interessanterweise schloss sich jedoch kurz vor Beginn der Konferenz das Vereinigte Königreich den „like minded States“ an. Grundlage der Verhandlungen waren der Vorschlag der Vereinigten Staaten, der eher konservativ und von der Befürchtung getragen war, leichtfertige Anklagen zu verhindern (PCNICC/1999/DP.4/Add.1); der Vorschlag mehrerer arabischer Staaten, der primär von dem Gedanken verkörperte, die kulturellen und religiösen Werte zu erhalten (PCNICC/1999/WGEC/DP.39); und der Vorschlag von Kanada und Deutschland, welcher sich an den Statuten der Tribunale 314
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zum ICTY und ICTR ist somit rechtliche Grundlage des Gerichts ein multilateraler Vertrag und nicht die Einsetzungsbefugnis des UN Sicherheitsrates nach Kapitel VII. Auch hat das Gericht nur komplementäre Jurisdiktionskompetenz319. Es kann also erst tätig werden, wenn die nationale Justiz unfähig oder unwillig ist, die Verurteilung eines Straftäters herbeizuführen. Damit ist die Funktion des Gerichtes klar definiert: Es soll die nationale Gerichtsbarkeit (wenn notwendig) nur ergänzen und nicht ersetzen. Grundlage dieser Entscheidung ist das völkerrechtliche Souveränitätsprinzip. Im Detail bestehen hier noch viele klärungsbedürftige Fragen320. Der in Art. 7 des Statuts festgeschriebene Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit stellt derzeitig wohl die modernste (und längste) Definition dar und besticht insbesondere durch die Entscheidung, neben der Neuaufnahme von Tatbestandsalternativen viele Tatbestandsmerkmale und Einzelverbrechen in Art. 7 (2) ICC Statut legal zu definieren, um Unsicherheiten bei der Tatbestandsauslegung vorzubeugen. Weitere Konkretisierungen finden sich in den „ICC Verbrechenselementen“ – sog. ICC Elements of Crimes321. Zum besseren Verständnis soll zu Beginn auf die amtliche deutsche Übersetzung des ICC Statuts hingewiesen werden. Im Laufe der Untersuchung wird jedoch primär auf die autoritäre englische Originalfassung abgestellt, um Missverständnissen vorzubeugen. „Artikel 7 Verbrechen gegen die Menschlichkeit (1) Im Sinne dieses Statuts bedeutet ,Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘ jede der folgenden Handlungen, die im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen wird: und anerkannten Autoritäten orientierte und auf einen allgemeinen Konsens abzielte. Letzterer Vorschlag war Grundlage der Diskussionen. Schließlich wurden konstruktive Vorschläge von der Schweiz, Spanien, Japan und Kolumbien, sowie verschiedenen NGO’s – darunter die Coalition for the International Criminal Court – unterbreitet; vgl. Robinson in: Lee, The International Criminal Court: Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 57 (60); Schmitt/Richards, 53 Nav. War Coll. Rev. (2000), 93 ff. 319 Bassiouni, 25 Denv. JInt’l L&Pol’y (1996–97), 397 (411); McGoldrick, Crim. LRev. 1999, 627 (629 f.). 320 Siehe etwa Hunt, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 56 ff.; instruktiv Kleffner, Complementarity in the Rome Statute and National Criminal Jurisdictions; ders./Kor, Complementary Views on Complementarity – Proceedings of the International Roundtable on the Complementary Nature of the International Criminal Court; ders., 1 JInt’l Crim. Just. (2003), 86 ff. 321 Dazu BVerfG, 2 BvR 1290/99 (13. Dezember 2000), Rn. 29 „Die Staatenkonferenz hat eine Vorbereitungskommission, in der die Unterzeichner der Schlussakte sowie bestimmte weitere Staaten wie etwa die Vereinigten Staaten vertreten sind, mit der Ausarbeitung sog. Verbrechenselemente (,elements of crimes‘) beauftragt. Dabei handelt es sich gemäß Art. 9, 21 des Statuts um den Strafgerichtshof bei der Auslegung und Anwendung unterstützende Konkretisierungen der in Art. 6 bis 8 geregelten Straftatbestände nach objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen.“
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a) Vorsätzliche Tötung; b) Ausrottung; c) Versklavung; d) Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung; e) Freiheitsentzug oder sonstige schwerwiegende Beraubung der körperlichen Freiheit unter Verstoß gegen die Grundregeln des Völkerrechts; f) Folter; g) Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation, oder jede andere Form sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere; h) Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaft aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, Gründe des Geschlechts im Sinne des Absatzes 3 oder aus anderen nach dem Völkerrecht universell als unzulässig anerkannten Gründen im Zusammenhang mit einer in diesem Absatz genannten Handlung oder einem der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen; i) zwangsweises Verschwindenlassen von Personen; j) das Verbrechen der Apartheid; k) andere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art, mit denen vorsätzlich große Leiden oder eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der geistigen oder körperlichen Gesundheit verursacht werden. (2) Im Sinne des Absatz 1 a) bedeutet ,Angriff gegen die Zivilbevölkerung‘ eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Absatz 1 genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat; b) umfasst ,Ausrottung‘ die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen6 – unter anderem das Vorenthalten des Zugangs zu Nahrungsmitteln und Medikamenten –, die geeignet sind7, die Vernichtung eines Teils der Bevölkerung herbeizuführen; c) bedeutet ,Versklavung‘ die Ausübung aller oder einzelner mit einem Eigentumsrecht an einer Person verbundenen Befugnisse und umfasst die Ausübung dieser Befugnisse im Rahmen des Handels mit Menschen, insbesondere mit Frauen und Kindern; d) bedeutet ,Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung‘ die erzwungene, völkerrechtlich unzulässige Verbringung der betroffenen Personen durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen aus dem Gebiet, in dem sie sich rechtmäßig aufhalten; e) bedeutet ,Folter‘, dass einer im Gewahrsam oder unter Kontrolle des Beschuldigten befindlichen Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden; Folter umfasst jedoch nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören, oder damit verbunden sind; f) bedeutet ,erzwungene Schwangerschaft‘ die rechtswidrige Gefangenhaltung einer zwangsweise geschwängerten Frau in der Absicht, die ethnische Zusammenset-
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zung einer Bevölkerung zu beeinflussen oder andere schwere Verstöße gegen das Völkerrecht zu begehen. Diese Begriffsbestimmung ist nicht so auszulegen, als berühre sie innerstaatliche Gesetze in Bezug auf Schwangerschaft; g) bedeutet ,Verfolgung‘ den völkerrechtswidrigen, vorsätzlichen und schwerwiegenden Entzug von Grundrechten wegen der Identität einer Gruppe oder Gemeinschaft; h) bedeutet ,Verbrechen der Apartheid‘ unmenschliche Handlungen ähnlicher Art wie die in Absatz 1 genannten, die von einer rassischen Gruppe im Zusammenhang mit einem institutionalisierten Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer anderer rassischer Gruppen in der Absicht begangen werden, dieses Regime aufrechtzuerhalten; i) bedeutet ,zwangsweises Verschwindenlassen von Personen‘ die Festnahme, den Entzug der Freiheit oder die Entführung von Personen durch einen Staat oder eine politische Organisation oder mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates oder der Organisation, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen oder Auskunft über das Schicksal oder den Verbleib dieser Personen zu erteilen, in der Absicht, sie für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen. (3) Im Sinne dieses Statuts bezieht sich der Ausdruck ,Geschlecht‘ auf beide Geschlechter, das männliche und das weibliche, im gesellschaftlichen Zusammenhang. Es hat keine andere als die vorgenannte Bedeutung.“322
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UN. Doc. A/Conf.183/9 (1998). Die autoritäre englische Version lautet: „Art. 7 ICC Statute Crimes against humanity 1. For the purpose of this Statute, ,crimes against humanity‘ means any of the following acts when committed as part of a widespread or systematic attack directed against any civilian population with knowledge of the attack: (a) Murder; (b) Extermination; (c) Enslavement; (d) Deportation of forcible transfer of population; (e) Imprisonment or other severe deprivation of physical liberty in violation of fundamental rules of international law; (f) Torture; (g) Rape, sexual slavery, enforced prostitution, forced pregnancy, enforced sterilization, or any other form of sexual violence of comparable gravity; (h) Persecution against any identifiable group or collectivity on political, racial, national, ethnic, cultural, religious, gender as defined in paragraph 3, or other grounds that are universally recognized as impermissible under international law, in connection with any act referred to in this paragraph or any crime within the jurisdiction of the Court; (i) Enforced disappearance of persons; (j) The crime of apartheid; (k) Other inhumane acts of a similar character intentionally causing great suffering, or serious injury to body or to mental or physical health. 2. For the purpose of paragraph 1: (a) ,Attack directed against any civilian population‘ means a course of conduct involving the multiple commission of acts referred to in paragraph 1 against any civilian population, pursuant to or in furtherance of a State or organizational policy to commit such attack;
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Hingewiesen sei bei der Definition in Art. 7 ICC Statut schon vorab auf zwei Dinge: erstens ist im Gegensatz zum ICTR Statut und ICTY Statut die Grundlage der Tatbestandsdefinierung in Art. 7 ICC Statut nicht Völkerrecht, das (noch) ohne jeden Zweifel Völkergewohnheitsrecht darstellen soll323, obgleich nunmehr – im Jahr 2008 – auch Gegenteiliges (schon) vertretbar ist. Bezweifelt man die völkergewohnheitsrechtliche Stellung des ICC Statuts, ergeben sich im Detail Konflikte zwischen der Auslegung des ICTR und ICTY auf der einen, und der Definierung durch die Mitgliedsstaaten des ICC Statuts auf der anderen Seite. Zweitens wurde aufgrund der mitunter recht progressiven Auslegung der Tatbestände durch obige ad hoc Tribunale – quasi als Gegenmaßnahme – die (b) ,Extermination‘ includes the intentional infliction of conditions of life, inter alia the deprivation of access to food and medicine, calculated to bring about the destruction of part of a population; (c) ,Enslavement‘ means the exercise of any or all of the powers attaching to the right of ownership over a person and includes the exercise of such power in the course of trafficking in persons, in particular women and children; (d) ,Deportation or forcible transfer of population‘ means forced displacement of the persons concerned by expulsion or other coercive acts from the area on which they are lawfully present, without grounds permitted under international law; (e) ,Torture‘ means the intentional infliction of severe pain or suffering, whether physical or mental, upon a person in the custody or under the control of the accused; except that torture shall not include pain or suffering arising only from, inherent in or incidental to, lawful sanctions; (f) ,Forced pregnancy‘ means the unlawful confinement of a woman forcibly made pregnant, with the intent of affecting the ethnic composition of any population or carrying out other grave violations of international law. This definition shall not in any way be interpreted as affecting national laws relating to pregnancy; (g) ,Persecution‘ means the intentional and severe deprivation of fundamental rights contrary to international law by reason of the identity of the group or collectivity; (h) ,The crime of apartheid‘ means inhumane acts of a character similar to those referred to in paragraph 1, committed in the context of an institutionalized regime of systematic oppression and domination by one racial group over any other racial group or groups and committed with the intention of maintaining that regime; (i) ,Enforced disappearance of persons‘ means the arrest, detention or abduction of persons by, or with the authorization, support or acquiescence of, a State or a political organization, followed by a refusal to acknowledge that deprivation of freedom or to give information on the fate or whereabouts of those persons, with the intention of removing them from the protection of the law for a prolonged period of time. 3. For the purpose of this Statute, it is understood that the term ,gender‘ refers to the two sexes, male and female, within the context of society. The term ,gender‘ does not indicate any meaning different from the above.“ 323 Hunt, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 56 (67) „The drafters of the Statute and the Elements of Crimes do appear to have attempted in many cases to stick as closely as possible to customary international law, wherever it could be identified. The numerous compromises which were made in order to obtain agreement, however, caused the Statute and the Elements of Crimes to diverge substantially from the actual content of customary international law as it existed at the time.“
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Auslegungskompetenz der ICC Richter durch eine Einführung von Legaldefinitionen in Absatz 2, sowie Konkretisierungen in den Elements of Crimes beschnitten. Eine Angleichung zwischen der Rechtsprechung des ICTR und ICTY an die Rechtsprechung des ICC dürfte insofern mit Schwierigkeiten behaftet sein324. Auf der Konferenz von Rom konnten zudem nicht alle streitigen Fragen geklärt werden325. Insoweit wurde durch Resolution F im Rahmen der Rom Konferenz noch Klärungsbedürftiges an eine Vorbereitungskonferenz weitergeleitet326. Zwischen 1998 und 2002 kam diese zu insgesamt zehn Sitzungen am Hauptsitz der UN in New York zusammen und beschäftigte sich in der 3. und 5. Sitzung mit dem Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Die infolgedessen veröffentlichten Berichte geben insbesondere Aufschluss über die Definierung des mens rea Erfordernisses sowie über das Tatbestandsmerkmal des Angriffs327. Nach Ratifizierung und Urkundenhinterlegung des 60. Mitgliedsstaates trat das Rom Statut am 1. Juli 2002 in Kraft. Mit Stand vom 1. August 2008 ist es bereits von 108 Staaten ratifiziert worden, allerdings besteht weiterhin eine am324
Hunt, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 56 ff. Beachte auch die Sichtweise David Scheffers, Mitglied der Amerikanischen Delegation, zu den „Verhandlungsbemühungen“ innerhalb der letzten 48 Stunden vor Verkündung des ICC Statuts „The process launched in the final forty-eight hours of the Rome Conference minimized the chances that these proposals and amendments to the text that the U.S. delegation had submitted in good faith could be seriously considered by delegations. The treaty text was subjected to a mysterious, closed-door and exclusionary process of revision by a small number of delegates, mostly from the likeminded group, who cut deals to attract certain wavering governments into supporting a text that was produced at 2:00 A.M. on the final day of the conference, July 17. Even portions of the statute that had been adopted by the Committee of the Whole were rewritten. This „take it or leave it“ text for a permanent institution of law was not subjected to the rigorous review of the Drafting Committee or the Committee of the Whole and was rushed to adoption hours later on the evening of July 17 without debate.“; abgedruckt in Schmitt/Richards, 53 Nav. War Coll. Rev. (2000), 93 ff. Obgleich der Schwierigkeiten bei den Verhanldungen in Rom ist Scheffer sehr positiv gegenüber dem ICC eingestellt: siehe Interview auf http://www.youtube.com/watch?v =o9xLNciSlTo&NR=1 (letzter Besuch 31. Juli 2008). 326 Resolution F of the Final Act of the United Nations Conference of Plenipotentiaries on the Establishment of an International Criminal Court, U.N. Doc. A/ CONF.183/10, Resolution F. Die Vorbereitungskonferenz befasste sich u. a. mit Verfahrens- und Beweisregeln, mit einer Definition des Verbrechens des Angriffskrieges, mit Abkommen zwischen dem ICC und der UNO bzw. dem Gastland, oder mit Immunitäten für die Mitglieder des Gerichtes. 327 Preparatory Commission for the International Criminal Court, Addendum, Annex III (3. Sitzung) PCNICC/1999/L.5/Rev.1/Add.2; Report of the Preparatory Commission for the International Criminal Court, Addendum, Part II (5. Sitzung) PCNICC/2000/1/Add.2; Byron/Turns, 50 ICLQ (2001), 420 (422 ff.); vgl. auch Statements der Signaturstaaten, Summary of Statements made in the plenary in connection with the adoption of the Report of the Working Group on the Rules of Procedure and Evidence and the Report of the Working Group on Elements of Crime, PCNICC/ 2000/INF/4. 325
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bivalente bis ablehnende Haltung von vielen asiatischen und arabischen Staaten328. Mit China und den USA lehnen auch zwei ständige Mitglieder des UN Sicherheitsrates bisherig einen Beitritt strikt ab329. Sie waren auch zwei der insgesamt sieben Staaten, welche bei der Abstimmung zum ICC Statut gegen die Verabschiedung stimmten. Teile der Amerikanischen Rechtsprechung beziehen nichtsdestotrotz die in Art. 7 des ICC Statut statuierte Definition des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit im Rahmen der Anwendung des Alien Tort Claims Acts330 mit ein331. In Estate of Wiston Cabello v. Fernandez-Larios wurde entschieden, dass „while the United States has not ratified the Rome Statute on the International Criminal Court, the U.S. has approved the other United Nations General Assembly and the U.N. Security Council resolutions cited by plaintiff Aldo Cabello as sources of law which Defendant’s alleged commission of crimes against humanity violated“332. Am 1. Januar 2003 nahm der ICC seine Arbeit auf. Die anfängliche Gerichtspraxis war vorsichtig abwartend bis konservativ. So hat etwa der Chefankläger des ICC eine Anklage gegen Streitkräfte der Kriegsallianz im Irak am 9. Februar 2006 mit dem Argument abgelehnt, dass „the situation did not appear to meet the required threshold of the Statute“. Der Annahme, im Irak seien Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden, ist Luis Moreno Ocampo mit dem Argument entgegen getreten, dass „very few allegations were submitted concerning genocide or crimes against humanity“ und das „the available information provided no reasonable indica of the required elements for a crime against humanity, i. e. a widespreaad or systematic attack directed against any 328 Roach, 53 Pol. Stud. (2005), 141 ff.; Abtahi, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 635 ff. (aus iranischer Sicht); Ramanathan, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 627 ff. (aus indischer Sicht). 329 zu den Gründen Chinas vgl. Jianping/Zhixiang, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 608 ff.; zu den Gründen der U.S.A. vgl. instruktiv: Is a U.N. International Criminal Court in the U.S. National Interest? Hearing before the Subcommittee on International Operations of the Committee of Foreign Relations United States Senate, 105th Congress, 2nd Sess. v. 23. Juli 1998, S.Hrg. 105–724 sowie Driscoll/Zompetti/Zompetti (Hrsg.), The International Criminal Court, 141 ff. Vgl. weiter Conso, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 314 ff.; Hafner, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 323 ff.; Schabas, 15 EJIL 4 (2004), 701 ff.; Scheffer, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 333 ff.; zusammenfassend McGoldrick, Crim. LRev. 1999, 627 (644 ff.). 330 28 U.S.C.S 1988, zum ATCA wird innerhalb der Erörterungen zum Foltertatbestand Stellung genommen, siehe unten Kapitel 5 B.III. 331 Wiwa v. Royal Dutch Petrolium et al. (22. Februar 2002), Ca.No. 96 Civ. 8386, 2002 WL 319887 (S.D.N. 7 Feb. 28, 2002) unveröffentlicht, bei den Akten des Autors; Mehinovic et al. v. Vukovic. 198 F. Supp. 2d (2002), 1322 (1353); Villeda Aldana et al. v. Fresh Del Monte Produce, Inc. 305 F. Supp. 2d (2003), 1285; Estate of Winston Cabello et al. v. Fernandez-Larios, 157 F. Supp. 2d (2001), 1345. 332 Estate of Winston Cabello et al. v. Fernandez-Larios, 157 F. Supp. 2d (2001), 1345.
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civilian population (article 7)“333. Die Anklagebehörde geht seit 2007 einen konsequenteren und aktiveren Weg. Es werden mit Stand vom 1. August 2008 mehrere Verfahren vor dem ICC verhandelt, darunter Lubanga, Katanga/Chui (joinder) und Bemba Gombo. Insbesondere im Prozessrecht sind bereits umfangreiche und höchst spannende Konkretisierungen getroffen worden334. Durch die Beantragung eines Haftbefehls gegen Al-Bashir ist erstmalig gegen ein gegenwärtiges Staatsoberhaupt ein internationales Verfahren eingeleitet worden. Es bleibt zu hoffen, dass der ICC den eingeschlagenen Weg weitergehen wird, gestützt durch Kooperations- und Unterstützungshilfe der internationalen Staatengemeinschaft; einschließlich Deutschlands und der Vereinten Nationen.
IV. Errichtung des Sondergerichts für Sierra Leone (SCSL) Am 23. März 1991 entschloss sich die aus Rebellen bestehende Vereinigte Revolutionsfront (Revolutionary United Front – „RUF“) unter der Führung von Foday Sankoh zum Putsch gegen die Regierung von Sierra Leone. Hintergrund waren Vorwürfe der Korruption, des finanziellen Missmanagements und der Vetternwirtschaft. Der aus dem Putsch resultierende zehnjährige Bürgerkrieg zwischen der RUF, den bewaffneten Streitkräften des Revolutionsrates (Armed Forces Revolutionary Council – „AFRC“) und der Bürgermiliz (Civil Defence Forces – „CDF“) hatte schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen (auch) gegen die Zivilbevölkerung zur Folge. Besondere Beachtung fand die am 6. Januar 1999 von der RUF eröffnete Großoffensive gegen die Hauptstadt von Sierra Leone, Freetown. Während des dreiwöchigen Kampfes mit den Regierungstruppen und den Soldaten der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (Economic Community of West African States – „ECOWAS“) kam es zu ausgedehnten und systematischen Menschenrechtsverletzungen gegen die zivile Bevölkerung von Freetown335. Am 18. Mai 1999 vereinbarten die Regierung von Sierra Leone und die RUF eine Waffenstillstandsvereinbarung. Am 7. Juli 1999 wurde das Lomé Friedensabkommen unterzeichnet, das jedoch die 333 Bekanntmachung vom OTP des ICC vom 9. Februar 2006, abrufbar unter: http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Irak/icc.html (letzter Besuch 16. März 2007). 334 Teileinblicke in das Prozessrecht des ICC sind an anderer Stelle wiedergegeben; siehe Kuschnik, 9 Int’l CrimLRev. (2009), 157 et seqq. 335 Zur Vorgeschichte des Konflikts siehe Beresford/Muller, 14 LJIL (2001), 635 (636). Zu Art und Ausmaß der Verletzungshandlungen, welche u. a. die Exekution von Zivilisten durch Erschießen, Erstechen und Verbrennen, Amputation von Armen, Beinen, Lippen und anderen Körperteilen, Vergewaltigung von Frauen und Mädchen, Leichenschändung, Kindesentführung, Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten sowie Raub und Brandstiftung einschließen, vgl. Fifth Report of the Secretary-General on the United Nations Observer Mission in Sierra Leone, U.N. Doc. S/1999/237 (1999), 20 ff.; Report of the Secretary-General on the establishment of a Special Court for Sierra Leone, U.N. Doc. S/2000/915 (2000), Abs. 12.
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weitere Begehung von Gräueltaten nicht verhindern konnte. Der UN Sicherheitsrat reagierte im Oktober 1999 und beschloss zur Stabilisierung der Lage und Entwaffnung der Rebellen eine peace – keeping Operation (U.N. Mission in Sierra Leone – „UNAMSIL“) durchzuführen, die zu Beginn eine Truppenstärke von 6.000 Mann umfassen sollte336. Am 1. Juni 2000 richtete der Präsident von Sierra Leone Tejan Kabbah, der im Februar 1998 mit Hilfe von ECOWAS wieder an die Macht gelangte, an die Vereinten Nationen die Bitte, ein internationales Tribunal zu errichten, um der Gewalt Einhalt zu gebieten337. Dies wurde aus Kostengründen abgelehnt und stattdessen der Generalsekretär beauftragt, mit der Regierung von Sierra Leone ein Abkommen auszuhandeln, dass die Errichtung eines Sondergerichtes für Sierra Leone (Special Court for Sierra Leone – „SCSL“) vorsah338. Zusätzlich wurde dem Generalsekretär der Auftrag erteilt, einen Bericht zu erstellen, welcher Vorschläge zur praktischen Umsetzung der Errichtung beinhalten sollte. Er legte diesen Bericht dem Weltsicherheitsrat am 4. Oktober 2000 vor, der im Anhang inter alia das Statut des Sondergerichtes enthielt339. Unter ratione materiae Gesichtspunkten hat das Gericht die Kompetenz, schwerste Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht, die ohne Zweifel Völkergewohnheitsrecht darstellen340 (Art. 2–4), sowie bestimmte Verstöße gegen nationales Strafrecht von Sierra Leone (Art. 5) abzuurteilen. Aus der Sonderstellung und der nationalen/internationalen Zusammensetzung der gerichtlichen Organe341 ergibt sich die Bezeichnung des Gerichtes als „Hybrid“ – auch bekannt als „mixed tribunal“. In Art. 2 des SCSL Statuts ist der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit festgeschrieben. Dessen Definition ist eine Mischung aus Art. 5 ICTY Statut, Art. 3 ICTR Statut und Art. 7 ICC Statut. Da eine (amt336
U.N. Doc. S/RES/1270 (1999). Letter from the President of Sierra Leone to the Secretary-General, U.N. Doc. S/2000/786 (2000). 338 U.N. Doc. S/RES/1315 (2000). Dieses Vorgehen unterscheidet sich erheblich von der Errichtung des ICTY und ICTR, die auf Grundlage des Kapitels VII der U.N. Charta vom Weltsicherheitsrat errichtet wurden. 339 Report of the Secretary-General on the establishment of a Special Court for Sierra Leone, U.N. Doc. S/2000/915 (2000). 340 Beresford/Muller, 14 LJIL (2001), 635(642). Zur Nichtaufnahme des Verbrechens des Völkermordes siehe Report of the Secretary-General on the establishment of a Special Court for Sierra Leone, U.N. Doc. S/2000/915 (2000), Abs. 13. 341 Jeder der beiden Trial Chambers setzt sich zusammen aus zwei internationalen (berufen vom Generalsekretär der UN) und einem nationalen Richter (berufen von der Regierung von Sierra Leone). Die Appeals Chamber setzt sich aus drei internationalen und zwei nationalen Richtern zusammen. Der Generalsekretär ernennt den Chefankläger, die Regierung von Sierra Leone seinen Stellvertreter. Das übrige Gerichtspersonal besteht sowohl aus nationalen als auch internationalen Mitgliedern; Dickinson, 97 AJIL (2003), 295 (299 Fn. 58); http://www.sc-sl.org (letzter Besuch 1. August 2008). 337
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liche) deutsche Übersetzung nicht existiert, sei auf die englische Fassung verwiesen. „Article 2 Crimes against Humanity The Special Court shall have the power to prosecute persons who committed the following crimes as part of a widespread or systematic attack against any civilian population: a. b. c. d. e. f. g.
Murder; Extermination; Enslavement; Deportation; Imprisonment; Torture; Rape, sexual slavery, enforced prostitution, forced pregnancy and any other form of sexual violence; h. Persecution on political, racial, ethnic or religious grounds; i. Other inhumane acts.“
Das chapeau des Gesamttatbestandes stimmt mit Ausnahme einer Aufnahme der mens rea Präzisierung („with knowledge of the attack“) mit Art. 7 des ICC Statuts überein. Die Auflistung der aufgeführten Verbrechen folgt wiederum der Aufzählung der ICTY und ICTR Statute342. Jedoch wurden die Sexualstraftaten über den Tatbestand der Vergewaltigung hinaus mit Ausnahme des Verbrechens der „zwanghaften Sterilisation“ aus Art. 7 des ICC Statuts übernommen. Allerdings ist darauf verzichtet worden, die Generalklausel der anderen Formen sexueller Gewalt mit der in Art. 7 ICC Statut aufgeführten Präzisierung der vergleichbaren Schwere („comparable gravity“) zu versehen. Die Abweichung von den Definitionen der ad hoc Tribunale und dem ICC ist insbesondere deshalb von Interesse, weil das Statut in zeitlicher Hinsicht ausgearbeitet wurde, nachdem das ICC Statut in Rom angenommen worden war. Grundlage bei der Tatbestandsdefinierung des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Art. 2 SCSL Statut sollte nur Völkergewohnheitsrecht gewesen sein. Aus diesem Grund könnte es problematisch sein, Art. 7 ICC Statut (gänzlich) mit dem völkergewohnheitsrechtlichen Stand der Definition des Verbrechens gegen die Menschlichkeit gleichzusetzen. Allerdings muss wiederum Berücksichtigung finden, dass das ICC Statut nunmehr von 108 Staaten – einschließlich Japan – ratifiziert ist und regelmäßig – auch unter Einbeziehung des Weltsicherheitsrates – angewendet wird343.
342 Report of the Secretary-General on the establishment of a Special Court for Sierra Leone, U.N. Doc. S/2000/915 (2000), Abs. 14. 343 Durch U.N. Doc. Res. 1593 (2005) trug der Weltsicherheitsrat dem ICC die Situation in Sudan (Dafur) an, da der Sudan kein ICC Vertragsstaat ist.
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Im Übrigen ist das SCSL angewiesen, die Feststellungen des ICTY und ICTR zu Grunde zu legen (Art. 20(3) SCSL Statut)344. Eine Einbeziehung von Art. 7 ICC Statut ist hingegen nicht explizit erwähnt. Bezüglich der Kompetenzen ratione personae ergaben sich zwei Probleme. Zum einen sollten im Gegensatz zum ICTY und ICTR, die nur eine „allgemeine“ Verantwortlichkeit für die Begehung schwerwiegender Verbrechen voraussetzen, lediglich Personen abgeurteilt werden, die „meist verantwortlich“ für die Begehung der Verbrechen sind. Gemeint ist damit, dass nicht nur das Ausmaß des Verbrechens an sich, sondern auch der Grad an Befehlsgewalt als wichtiger Entscheidungsträger bei der Beurteilung personeller Jurisdiktionskompetenz einfließen sollte. Die Abweichung vom Terminus „verantwortlich“, der in den ad hoc Tribunalen verwendet wird, ist mit Hinblick auf die eingeschränktere Entscheidungskompetenz der Anklagebehörde kritisiert worden345. Zum anderen stellte sich das Problem, dass viele Täter zum Zeitpunkt der Tatbegehung noch minderjährig waren, was eine generelle Bestrafungsbefugnis unter Menschenrechtsgesichtspunkten in Frage stellt. Als Mittelweg wurde die Regelung getroffen, nur „Kinder“ ab dem fünfzehnten Lebensjahr zum Zeitpunkt der Tatbegehung seien durch das Gericht aburteilbar (Art. 7). Die neben dem SCSL eingerichtete Schlichtungskommission soll zur Aufarbeitung der Vorkommnisse und Versöhnung eine besondere Rolle spielen346. Unter ratione temporis Gesichtspunkten hat das SCSL Jurisdiktionskompetenz ab dem 30. November 1996. Hier ergab sich insbesondere das Problem, dass durch das Lomé Abkommen den beteiligten Parteien eine generelle Amnestie zugesichert wurde, sodass erst eine Bestrafung für Taten, die ab dem 7. Juli 1999 begangen wurden, in Betracht gekommen wäre. Jedoch wurde in das Abkommen (und folgerichtig auch in das Statut des SCSL, Art. 10) eine Klausel aufgenommen, wonach schwerste Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht nicht von dieser Amnestie erfasst sind347. Insoweit sind Aburteilungen für Verbrechen 344 Zwar verweist Art. 20 Abs. 3 SCSL Statut explizit nur auf die Feststellungen der Appeals Chamber des ICTY und ICTR, jedoch wird im Schrifttum erwartet, dass auch die Feststellungen der Trial Chambers berücksichtigt werden, Jones/Carlton-Hanciles/Kah-Jallow/Scratch/Yillah, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 211 (226). 345 Beresford/Muller, 14 LJIL (2001), 635 (644). 346 Report of the Secretary-General on the establishment of a Special Court for Sierra Leone, U.N. Doc. S/2000/915 (2000), Abs. 32 ff.; McDonald, 84 ICRC 849 (2002), 121 (134). 347 U.N. Doc. S/1999/836 Abs. 7. Die Rechtmäßigkeit nationaler Amnestien für begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit war bis vor einigen Jahren noch hoch umstritten. Nach nunmehr weit vorherrschender Meinung haben Amnestien auf die Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen generell keinen Einfluss; siehe Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 191; dagegen (noch) Scharf, 32 Cornell Int’l LJ (1999), 507 ff.; vgl. zu dieser Frage auch Arrest Warrant of 11 April 2000 (Congo v. Belgien), ICJ Rep. 2002, 121 ff. einschließlich der Sondervoten; sowie Meisenberg, 17 HuV-I (2004), 30 ff. Das ICC Statut mag zwar nicht explizit eine Regelung zu Amnestien erhalten, aus den
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gegen die Menschlichkeit möglich, welche (schon) nach dem 30. November 1996 verübt wurden. Die Jurisdiktionskompetenz lex loci ist schließlich – vergleichbar mit der des ICTY – limitiert auf Verletzungshandlungen innerhalb des Tatort-Territoriums; in diesem Fall Sierra Leone.
V. Die Serious Crime Unit für Ost Timor und das Jakarta Menschenrechtsgericht Nach einer über zweihundertjährigen Besatzungsherrschaft Ost Timors durch die Portugiesen etablierten sich in Ost Timor zwei politische Kräfte, nachdem durch einen Militärputsch das Lissaboner Regime im April 1974 gestürzt worden war und die neue Regierung eine Politik der Dekolonisierung befürwortete348. Auf der einen Seite stand die neu gegründete FRETILIN349, die für eine Politik der Unabhängigkeit eintrat. Auf der anderen Seite schlug die rechts gerichtete UDT350 aufgrund schwindender Popularität einen politischen Kurs ein, der eine Vereinigung mit Indonesien vorsah. Nach militärischen Kämpfen zwischen FRETILIN und UDT entschloss sich Indonesien, am 8. Dezember 1975 an der Seite der UDT in den Konflikt einzutreten351. Die daraus resultierende über 20jährige Auseinandersetzung brachte schwerste ausgedehnte und systematische Menschenrechtsverletzungen (insbesondere) gegen die Zivilbevölkerung hervor, wobei Indonesien eine Politik der „Einkesselung und Vernichtung“ betrieb352. Auch ein im Mai 1999 zwischen Portugal und Indonesien beschlosseÄußerungen der Vertragsstaaten während der ASP’s ist jedoch ersichtlich, dass eine Verfolgung nicht von Amnestien abhängig zu machen ist. Eben solches ergibt sich auch aus der Präambel des ICC Statuts, Abs. 4, 5, 6 und 11. 348 Zum geschichtlichen Hintergrund vgl. Trotter, 7 New Engl. Int’l&Comp.LAnn. (2001), 31 ff. 349 Die FRETILIN (Frente Revolucionária de Timor-Leste Independente/Die Revolutionsfront für eine unabhängiges Ost Timor) ist die Nachfolgepartei der ASDT (Associaçao Social-Democrata de Timor/Die Timoresische Vereinigung der Sozial-Demokraten) und erwarb ihre Popularität durch eine Kombination aus Pro-Unabhängigkeitsmobilisierung, sowie Gesundheits- und Bildungsprogrammen. Später benannte sie sich um in FALINTIL (Bewaffnete Truppen der nationalen Befreiung von Ost Timor). 350 UDT (Uniao Democratica Timorense/Die Demokratische Union Timors). 351 Interessanterweise wurden viele Waffen wie Bomber und Kampfflugzeuge beim Angriff gegen Ost Timor von den USA gestellt. Als Indonesiens Alliierter im Kalten Krieg war es zudem eines der beiden einzigen Länder, die nicht für die Resolution 384 und Resolution 389 votierten (und damit den Angriff Indonesiens verurteilten); Trotter, 7 New Engl. Int’l&Comp.LAnn. (2001), 32 (38, Fn. 44). 352 Taylor, East Timor, 85; UNICEF, East Timorese Children Involved in Armed Conflict, 5. Die indonesische Politik wird in diesem Zusammenhang auch als „Integrationsplan“ bezeichnet. „Einkesselung“ bezieht sich auf die Eroberung von Dörfern durch eine Kombination aus Bombenabwurf- und Invasionsmissionen. „Vernichtung“ bezieht sich auf die totale Ausrottung der Dorfbevölkerungen durch eine Kombination inter alia aus Massenexekutionen, Gruppenvergewaltigung, Freiheitsberaubung, Benutzung menschlicher Schutzschilde (fence of legs), Deportation und zwanghafte Umsied-
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nes Referendum bezüglich der Unabhängigkeitsfrage in Ost Timor (sog. „5. Mai Vereinbarung“), welche im August 1999 unter der Aufsicht der UN Mission UNAMET353 abgehalten wurde354, konnte kein Ende der Gewalt herbeiführen355. Weil Ost Timor mehrheitlich für die Unabhängigkeit des Landes votierte, führte die indonesische Armee als Vergeltungsmaßnahme spezifische Terrorkampagnen356 durch, sodass der Weltsicherheitsrat durch Resolution 1264 der INTERFET357 unter der Führung der australischen Armee den Auftrag erteilte, eine Stabilisierung der Lage wiederherzustellen358. Nach dem Abzug der Truppen, die den Konflikt unter Kontrolle bringen konnten, wurde die UNTAET359 gegründet360, und mit der Verwaltung und dem Neuaufbau des Landes betraut. Derzeit ist Ost Timor ein unabhängiger, souveräner Staat von TimorLeste. Zur Aburteilung der schwerwiegenden Verbrechen sind im Juni 2000 durch UNTAET Regulation 2000/15 im Bezirksgericht von Dili, Ost Timor, die Spezialkammern für schwerwiegende Strafrechtsverletzungen SCOPET361 – auch bekannt als „Serious Crime Unit“, bzw. „SCU“ – gegründet worden. Etwa zeitgleich wurde durch Indonesisches Recht 26/2000 auf Grundlage eines Dekrets des Präsidenten in Jakarta ein ad hoc Menschenrechtsgericht geschaffen, um Verbrechen der Militärischen Armee abzuurteilen362. Das Gericht ist ermächtigt lung. Nach Schätzungen wurden in der Zeit zwischen 1975 und 1999 100.000– 180.0000 Menschen ermordet; Security Council Report Timor Leste, Nr. 7, 1; s. a. Report of UNTAET Expert on Crimes against Humanity in East Timor: James Dunn (14. Februar 2001); abrufbar unter: http://www.etan.org/news/2001a/dunn1.htm (letzter Besuch am 16. März 2007). 353 „United Nations Mission in East Timor“. 354 U.N. Doc. S/RES/1246 (1999). 355 Das Referendum wurde ermöglicht, weil aufgrund der 1997–98 entstandenen Wirtschaftskrise in Asien der indonesische Präsident Suharto zurücktrat und mit Habibie ein Mann in das oberste Amt gelangte, der der Ansicht war, dass die militärische Besetzung Ost Timors dem internationalen Ansehen schädige. Zudem waren die anhaltenden, extensiven Armeeausgaben und der wachsende internationale politische Druck Beweggründe. Am Referendum sollen sich 99% aller registrierter Wähler Ost Timors beteiligt haben. Trotz extensiver vorheriger Einschüchterungsversuche durch das indonesische Militär sollen 78,5% der Bevölkerung für die Unabhängigkeit Ost Timors votiert haben. 356 Das pro-indonesische Militär verübte ausgedehnte und systematische Morde und Vergewaltigungen gegen die Zivilbevölkerung. 63% der Timoresischen Bevölkerung wurde zwanghaft umgesiedelt, 85% aller Gebäude wurden verbrannt. Grundlage war u. a. der sog. „Lumitang Befehl“. 357 „International Force East Timor“. 358 U.N. Doc. S/RES/1264 (1999). 359 „United Nations Transitional Administration in East Timor“. 360 U.N. Doc. S/RES/1272 (1999). 361 Serious Criminal Offences Panels in East Timor. 362 Der Vorschlag des High Commissioner of Human Rights, ein internationales Straftribunal zu errichten, fand (aus Kostengründen) bei der U.N. keine Zustimmung;
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worden, rückwirkend zu bestrafen. Ratione temporis erstreckte sich die Kompetenz der SCOPET auf den Zeitraum vom 1. Januar bis 25. Oktober 1999. Das Menschenrechtsgericht in Jakarta sollte Verbrechen aburteilen, die im April und September 1999 begangen wurden. Grundlage der Aburteilung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit war UNTAET Regulierung Nr. 2000/15 Abs. II, Sec. 5363. Für den genauen Wortlaut der Tatbestandsdefinition sei auf folgende Fußnote verwiesen364. Die in der UNTAET Reg. Nr. 2000/15 festgeschriebene Devgl. den Report of the International Commission of Enquiry on East Timor to the Secretary General. Indonesien drohte zudem an, dass im Falle einer Errichtung eines internationalen ad hoc Straftribunals, welches vergleichbar mit dem ICTY oder ICTR währe, keinerlei Kooperation stattfinden würde. Durch den überraschend aufrichtigen Report der indonesischen Untersuchungskommission KPP HAM (abrufbar unter: http://members.pcug.org.au/~wildwood/01aprkppham. htm, letzter Besuch 16. März 2007) war die U.N. guter Dinge, dass eine aufrichtige Aburteilung erfolgen würde, und auf den Vorschlag Indonesiens einging, sich jedoch das Recht vorbehielt weitere Maßnahmen ergreifen zu können, wenn die Verfahren nicht internationalen Standards nachkommen würden; CIJ, Unfulfilled Promises, 21; Linton, 17 LJIL (2004), 303 (306). 363 UNTAET/REG/2000/15 (2000). 364 UNTAET/REG/2000/15 (2000) „Section 5 Crimes Against Humanity 5.1. For the purpose of the present regulation, ,crimes against humanity‘ means any of the following acts when committed as part of a widespread or systematic attack and directed against any civilian population, with knowledge of the attack: (a) Murder; (b) Extermination; (c) Enslavement; (d) Deportation or forcible transfer of population; (e) Imprisonment or other severe deprivation of physical liberty in violation of fundamental rules of international law; (f) Torture; (g) Rape, sexual slavery, enforced prostitution, forced pregnancy, enforced sterilization, or any other form of sexual violence of comparable gravity; (h) Persecution against any identifiable group or collectively on political, racial, national, ethnic, cultural, religious, gender as defined in Section 5.3 of the present regulation, or other grounds that are universally recognized as impermissible under international law, in connection with any act referred to in this paragraph or any crime within the jurisdiction of the panels; (i) Enforced disappearance of persons; (j) The crime of apartheid; (k) Other inhumane acts of a similar character intentionally causing great suffering, or serious injury to body or to mental or physical health.“ In Sec. 5.2. sind die Legaldefinitionen der in Sec. 5.1. enthaltenen Verbrechen, welche legal definiert werden sollten, wortgleich aus Art. 7(2) ICC Statut übernommen worden. Zwar wurden nicht alle Legaldefinitionen aus Art. 7(2) ICC Statut übernommen; diejenigen, welche übernommen worden sind, haben jedoch den gleichen Wortlaut wie Art. 7(2) ICC Statut. Es ist daher für das Verständnis ausreichend, nur auf den Anfang der jeweiligen Enumerierung hinzuweisen; für die jeweilige vollständige Legaldefinition vgl. oben. „5.2. For the purpose of Section 5.1. of the present regulation: (a) ,Extermination means‘ [. . .]; (b) ,Enslavement means‘ [. . .]; (c) ,Deportation or forcible transfer of population means‘ [. . .];
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finition ist mit dem Wortlaut des Art. 7 des ICC Statuts fast identisch. Bei näherer Analyse ergeben sich jedoch drei signifikante Unterschiede. Erstens wurde im chapeau zwischen den Tatbestandsmerkmalen „when committed as part of a widespread or systematic attack“ und „directed against any civilian population“ das Wort „and“ unbewusst365 eingefügt. Als Konsequenz wird angenommen, dass nur ein Angriff gegen die Zivilbevölkerung aburteilbar ist366. Zweitens lässt sich bei den Legaldefinitionen eine Präzisierung für den Terminus „Angriff“ nicht finden. Somit fehlt in Art. 2 Para. 5.2. UNTAET Nr. 2000/ 15 eine Vorschrift, die mit Art. 7 (2)(a) ICC Statut vergleichbar ist. Ambos und Wirth mit Berufung auf Bergsmo leiten daraus ab, dass durch die (diesmal) willentliche Auslassung dem neueren Trend in der Völkerstrafrechtssprechung gefolgt werden sollte, das Politikelement nur als Indikator für die Existenz eines Angriffs zu werten, ohne jedoch als notwendigen Bestandteil der Tatbestandsvoraussetzungen vorauszusetzen367. Schließlich ergibt sich drittens eine Abweichung beim Verfolgungstatbestand. Während Art. 7(1)(h) ICC Statut eine Verbindung mit einem anderen Verbrechen fordert, dass entweder spezifisch in Art. 7 ICC Statut enumeriert ist oder generell in der Jurisdiktionskompetenz des Gerichts liegt, bezieht sich UNTAET Regulierung Nr. 2000/15 Abs. II Sec. 5.1.(h) auf die Jurisdiktionskompetenz der jeweiligen Spezialkammer, was jedoch keine Auswirkungen auf die Tatbestandsdefinierung haben soll368. Bei der Ost-Timoresischen Umsetzung des Gesetzes ergab sich insbesondere das Problem, welches innerstaatliche Recht zu Grunde gelegt werden sollte. Als Grundlage gab UNTAET Reg. 1999/1 vor, dass bis zur Ersetzung durch neue Gesetze jenes Recht anwendbar ist, welches subsidiär in Ost-Timor vor dem 25. Oktober 1999 angewandt wurde. Erstaunlicherweise hat im Dos Santos Appeal mehrheitlich das Gericht entgegen der bisherigen Ost-Timoresischen Rechtspraxis dies so interpretiert, dass nicht indonesisches, sondern portugiesisches Recht anwendbar sei369. Zur direkten Anwendbarkeit von Völkerrecht nahm das Ge(d) ,Torture‘ means [. . .]; (e) ,Forced pregnancy‘ means [. . .]; (f) ,Persecution‘ means [. . .]; (g) ,The crime of apartheid‘ means [. . .]; (h) ,Enforced disappearance of persons‘ means [. . .].“ Art. 7(3) ICC Statut ist wortgleich in Sec. 5.3 übernommen worden. 365 Ambos/Wirth, 13 Crim. LForum (2002), 1(2) 366 Cumes, 11 EJCrime, Crim.L&Crim.Just. 1 (2003), 40 (45, Fn. 24). 367 Ambos/Wirth, 13 Crim. LForum (2002), 1 (30 f.). 368 Ambos/Wirth, 13 Crim. LForum (2002), 1 (3). 369 Berufungsurteil, Prosecutor v. Dos Santos (Case No. 16/2001) v. 15. Juli 2003 berufend auf Jane Doe v. Major Johny Lumintang v. 4. Oktober 2001, D.C. Col. Civ. Act. No. 00-674 (bei den Akten des Autors). Kritisch der führende Rechtsberater bei der Erarbeitung von UNTATET 1999/1 Hansjoerg Strohmeyer in: 24 Univ. of New
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richt nicht Stellung, sondern wendete bei der Tatbestandsdefinierung des Verbrechens gegen die Menschlichkeit Portugiesisches Recht an. Als Grundlage dienten Art. 131 und Art. 239.1(a) des portugiesischen Strafgesetzbuches, wonach Mord ein Verbrechen ist, dass als Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Form des Völkermords strafbar ist. Neben der Feststellung, dass eine Verurteilung wegen ex post facto nicht in Betracht käme, weil dies dem nullum crimen, nulla poena sine lege Prinzip zuwiderliefe, kam bezüglich der Tatbestandsdefinierung das Gericht zu zwei merkwürdigen Ergebnissen. Zum einen ging es davon aus, der Angeklagte selbst müsse einen systematischen und ausgedehnten Angriff verüben, um das Tatbestandserfordernis zu erfüllen. Zum anderen stellte das Gericht fest, dass die Tragweite des mens rea Erfordernisses beim Völkermord und beim Verbrechen gegen die Menschlichkeit identisch seien, was jedoch aufgrund des zu Grunde gelegten Wortlautes aus Art. 239.1.(a) nicht überrascht. In Prosecutor v. Domingos Mendonca wurde zwar darauf folgend unterinstanzlich entschieden, dass sowohl bei der ex post facto Problematik als bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale das Berufungsgericht irrige Feststellungen getroffen habe370. Auch in späteren unterinstanzlichen Urteilen wurde Dos Santos nicht in Betracht gezogen. Berücksichtigt werden muss aber, dass UNTAET Reg. 2000/11 Para. 2.3 vorsieht, Entscheidungen des Berufungsgerichtes als allgemein bindend zu verstehen371. Bezüglich der Frage, welches Recht anwendbar sei, hat zur Verwunderung vieler zudem das Berufungsgericht in einem Prima Facie-Verfahren, welches eine Anklage auf Mord aus dem Jahr 1999 zum Gegenstand hatte, entgegen Dos Santos diesmal Indonesisches Recht für anwendbar erklärt372. Die Rechtslage bei den Ost-TimorVerfahren ist damit generell unklar und verworren. In Indonesien wurde UNTAET Reg. 2000/15 Sec. 5 durch Art. 9 des Gesetzes Nr. 26/2000 umgesetzt. Der in Sec. 5 Abs. 1 UNTAET festgeschriebene Passus „Crimes against humanity means any of the following acts when committed as part of a widespread or systematic attack directed against any civilian population“ wurde – vom Indonesischen ins Englische übersetzt – im Gesetz Nr. 26/2000 folgendermaßen umschrieben:
South Wales LJ (2001), 171 (173 f.) und die Dissenting Opinion von Richter Da Costa in Dos Santos berufend auf die diesbezüglichen Feststellungen in Agostinho Da Costa v. Prosecutor (Case No. 3/2003) v. 18. Juli 2003. Die zwei Richter, die die Mehrheit bei dem Urteil stellten waren Portugiesen, während Da Costa Ost-Timorese ist. 370 Prosecutor v. Domingos Mendonca (Case No. 18a/2001) v. 24. Juli 2003, § 20, § 49b. 371 Dagegen Prosecutor v. Domingos Mendonca (Case No. 18a/2001) v. 24. Juli 2003, § 5. 372 Prosecutor v. Domingos Amati and Francisco Matos (Case No. 12/2003) v. 9. Dezember 2003.
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„Crimes against humanity as referred to in Article 7 point b is an action conducted as part of an attack that is widespread or systematic which is known that the attack is directly against civilian community“373.
Die Übersetzung bringt viele Unklarheiten mit sich. Fraglich ist etwa, ob nach der nationalen Definition nur unmittelbar handelnde Täter vom Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfasst sind („directly against civilian community“). Die Verwendung des Begriffs „community“374 statt „population“375 ist insofern problematisch, als dass im Gesetz 26/2000 ein höheres Mindestmaß an Territorialabgrenzung notwendig zu sein scheint. Auch bezüglich des angesprochenen Verfolgungstatbestandes ergeben sich direkte Auslegungsprobleme, weil der Tatbestand „persecution“ mit penganiayaan übersetzt wurde376. Eine allgemeingültige Definition von penganiayaan gibt es im Indo373 Siehe ELSAM, Monitoring Report on Ad Hoc Human Rights Court Against Gross Human Rights Violations in East Timor, Report Nr. 4, 2. Abrufbar unter: http:// socrates.berkeley.edu/~warcrime/ET-ELSAM-Reports/ELSAM04.pdf (letzter Besuch 16. März 2007); vgl. auch mit leichter Abweichung die Übersetzung des Asian Legal Resource Center „Crimes against humanity as referred to in Article 7 section b include any action perpetrated as a part of a broad or systematic direct attack on civilians, in the form of.“ 374 Im Originalworlaut des Gesetzes: „ditujukan secara langsung terhadap penduduk sipil“ (directly against civilian community, eigene Hervorhebung). 375 Vorstellbar wäre eine Übersetzung wie „ditujukan kepada populasi sipil“ (directed against any civilian population, eigene Hervorhebung). 376 Der Orginalwortlaut des Gesetzes 26/2000 lautet: „Undang-Undang Republik Indonesia. Nomor 26 Tahun 2000. Tentang. Pengadilan Hak Asasi Manusia. BAB III. LINGKUP KEWENANGAN. Pascal 9. Kejahatan terhadap kemanusiaan sebagaimana dimaksud dalam Pasal 7 huruf b adalah salah satu perbuatan yang dilakukan sebagai bagian dari serangan yang meluas atau sistematik yang diketahuinya bahwa serangan tersebut ditujukan secara langsung terhadap penduduk sipil, berupa: a. pembunuhan; b. pemusnahan; c. perbudakan; d. pengusiran atau pemindahan penduduk secara paksa; e. perampasan kemerdekaan atau perampasan kebebasan fisik lain secara sewenangwenang yang melanggar (asas-asas) ketentuan pokok hukum internasional; f. penyiksaan; g. perkosaan, perbudakan seksual, pelacuran secara paksa, pemaksaan kehamilan, pemandulan atau sterilisasi secara paksa atau bentuk-bentuk kekerasan seksual lain yang setara; h. penganiayaan terhadap suatu kelompok tertentu atau perkumpulan yang didasari persamaan paham politik, ras, kebangsaan, etnis, budaya, agama, jenis kelamin atau alasan lain yang telah diakui secara universal sebagai hal yang dilarang menurut hukum internasional; i. penghilangan orang secara paksa; atauj. kejahatan apartheid.“ (eigene kursive Hervorhebung) Partielle Übersetzung in Linton, 17 LJIL (2004), 303 (308, Fn. 17); eine umfassende (allerdings nicht autoritäre) Übersetzung des Asian Legal Resource Center findet sich zudem unter: http://hrli.alrc.net/main file.php/indonleg/132/. „Law No. 26 Year 2000 – Establishing the Ad Hoc Human Rights Court. Article 9 Crimes against humanity as referred to in Article 7 section b include any action perpetrated as a part of a broad or systematic direct attack on civilians, in the form of: 1. killing; 2. extermination; 3. enslavement; 4. enforced eviction or movement of civilians;
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nesischen Recht nicht377, weswegen auf die im KUHP378 verwendete Definition zurückgegriffen wurde. Dort ist aber der Anwendungsbereich viel enger. Während „Verfolgung“ eine jegliche Handlung konstituieren kann, welche aufgrund einer fundamentalen Rechtsverletzung geistige oder körperliche Schäden verursacht, ist „penganiayaan“ mit dem Begriff des „assaults“ (statt „persecution“) zu übersetzten379, und daher enger gefasst380. Weil auch erläuternde Anmerkungen fehlen und insoweit das indonesische Strafrecht die Regelung für selbst erklärend hält, soll aber wohl von der wörtlich eindeutigen engeren Interpretation ausgegangen werden381. SCOPET und das Jakarta Menschenrechtsgericht sind mittlerweile nicht mehr aktiv. An die Stelle der SCOPET ist im Dezember 2004 die CAVR382 als Organ der CTF383 getreten, die als Wahrheits- und Versöhnungskommission fungiert. Die Gerichtsverfahren selber, sowohl in Dili, als auch in Jakarta, werden als Fehlschlag gewertet384. Am indonesischen Menschenrechtsgericht kam es haupt5. arbitrary appropriation of the independence or other physical freedoms in contravention of international law; 6. torture; 7. rape, sexual enslavement, enforced prostitution, enforced pregnancy, enforced sterilization, or other similar forms of sexual assault; 8. terrorization of a particular group or association based on political views, race, nationality, ethnic origin, culture, religion, sex or any other basis, regarded universally as contravening international law; 9. enforced disappearance of a person; or 10. the crime of apartheid.“ (Eigene Hervorhebung.) 377 ELSAM, Monitoring Report on Ad Hoc Human Rights Court Against Gross Human Rights Violations in East Timor, Report Nr. 4, 2. 378 Das Kitab Undang-Undang Hukum Pidana (KUHP) ist das indonesische Strafgesetzbuch. 379 Linton, 17 LJIL (2004), 303 (311, Fn. 35). 380 ELSAM, Monitoring Report on Ad Hoc Human Rights Court Against Gross Human Rights Violations in East Timor, Report Nr. 4, 2 f. „,penganiayaan‘ has been interpreted as defined in the Indonesian Criminal Code, whereas Persecution has [a] wider meaning, which is any discriminative action that causes mental and/or physical detriments. Thus, it is not narrowly limited to a direct action upon ones physique. By using the word ,penganiayaan‘ the action of terror and intimidation towards a person or a particular civilian group based on a political belief cannot be included in the category and the prosecutor has to prove that there has been a physical action conducted and not only the effect that occurred [. . .].“ 381 Linton, 17 LJIL (2004), 303 (311, Fn. 35). Teilweise wird „penganiayaan“ auch mit „Terrorisierung“ übersetzt, siehe Fn. 376. 382 CARV steht für Commissão de Acolhimento, Verdade e Reconcillação. Aus den Terms of Reference for the Commission of Truth and Friendship Established by the Republic of Indonesia and the Democratic Republic of Timor Leste, Para 13(c) geht hervor, dass keinerlei Anklage erfolgt und statt dessen andere Wege der Wiedergutmachung gefunden werden sollen. 383 CTF steht für Commission of Truth and Friendship. 384 Bertodano, 2 JInt. Crim. Just. (2004), 910 (925 f.); Linton, 17 LJIL (2004), 303 (304); CIJ, Unfulfilled Promises, 19 ff.
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sächlich aufgrund des mangelnden Verfolgungswillens des Hauptanklägers letztinstanzlich zu keiner einzigen Verurteilung eines indonesischen Beamten385. Zwar war die Verurteilungsrate in Dili höher (74 Verurteilungen bei zwei Freisprüchen)386, jedoch wurden viele Verfahren gegen hohe Beamte des indonesischen Staatsapparates, die wahre Führungspositionen innehatten, nicht eingeleitet. Dies lag neben machtpolitischen und administrativen Ursachen auch darin begründet, dass ein Entschluss der Spezialkammern im Februar 2003, acht ranghohe indonesische Verantwortliche, eingeschlossen General Wintaro, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuklagen, von der UN nicht unterstützt wurde387. Am 5. Mai 2004 hat das Ost-Timoresische Parlament ein Gesetz erlassen, welches weitläufige Amnestieregelungen beinhaltet.
VI. Die Spezialkammern für Kambodscha/ The Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia (ECCC) Nach einer über 10jährigen388 Auseinandersetzung zwischen den Vereinten Nationen, den Geberländern und der Regierung von Kambodscha hat nunmehr 385 Zu den Gründen detailliert Linton, 17 LJIL (2004), 303 ff.; Report of the Special Rapporteur on the Independence of Judges and Lawyers, U.N. Doc. E/CN.4/2003/ 65/Add.2 (2003). 386 Security Council Report Timor Leste, Nr. 7, 6. Paulino wurde mit 2-1 Stimmen vom Vorwurf des Verbrechens gegen die Menschlichkeit freigesprochen; Prosecutor v. Paulino De Jesus (Case No. 6/2002) v. 8. Dezember 2003; Carlos Ena wurde einstimmig vom Vorwurf des Verbrechens gegen die Menschlichkeit freigesprochen, Prosecutor v. Carlos Ena (Case No. 5/2002) v. 23. März 2004; im Lolotoe-Verfahren wurde Jose Cardoso wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf Grund des Verfolgungstatbestandes, Mordes und Vergewaltigung zu 12 Jahren verurteilt, Prosecutor v. Jose Cardoso Fereira (Case No. 04/2001) v. 5. April 2003; das Same-Verfahren beinhaltet drei Schuldgeständnisse wegen begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die zu Haftstrafen zwischen 7 und 12 Jahren führten, Prosecutor v. Benjamin Sarmento and Romeiro Tilman (Case No. 18a/2001) v. 16. Juli 2003, Prosecutor v. João Sarmento (Case No. 03/2003) v. 9. Juni 2003; Quelo Mauno, eine militärische Führungsfigur in Oecussi, wurde nach einen Schuldgeständnis wegen begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 7 Jahren Haft verurteilt, Prosecutor v. Quelo Mauno (Case No. 03/2003) v. 9. Juni 2003; Da Silva, ein ehemaliges Mitglied der Armee, wurde nach Schuldgeständnis wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 9 Jahren verurteilt, Prosecutor v. Miguel Da Silva (Case No. 08/2003) v. 26. November 2003. Im Juli 2003 wurden zudem aufgrund des Maliana Vorfalls 57 Personen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. 387 Bertodano, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 910 (913 ff.). Siehe auch Prosecutor v. Wiranto and 7 Others (Case No. 05/2003) v. 18. Februar 2004, 12, wo das Gericht eine Entscheidung durch „Spiel auf Zeit“ vermieden hat. „An in-chambers review of the documentary evidence already submitted may require time in light of the number and gravity of charges, as well as the volume of material submitted [. . .].“ 388 Vgl. den Brief der zwei Premierminister von Kambodscha vom 21. Juni 1997 an den UN Generalsekretär, UN Doc. A/51/930-S/1997/488.
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die Errichtung eines Hybrid-Tribunals in Kambodscha Gestalt angenommen. Es wurde mit dem Ziel errichtet, die Hauptverantwortlichen der Roten Khmer inter alia für die von Ihnen begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit an der eigenen Kambodschanischen Zivilbevölkerung zur Rechenschaft zu ziehen389. Hintergrund der anvisierten Aburteilungspraxis ist die zwischen 1975–1979 von der Roten Khmer betriebene Ausrottungspolitik zuvorderst an der (ehemaligen) Stadtbevölkerung Kambodschas, mit dem Ziel, nach Chinesischen Vorbild einen kommunistischen Bauernstaat zu errichten. Zu diesem Zweck wurde zur Vermeidung von Aufständen eine kategorische Isolierungs- und Überwachungspolitik betrieben, die systematische und ausgedehnte zwanghafte Umsiedlungen, durch Schulungen propagierte Denunzierungen, sowie Folter und Massenmord vorsah, um den „Oppositionellen“ Einheit zu gebieten. Schätzungsweise sind in dieser Zeit 1,5–2 Millionen Menschen ums Leben gekommen. Traurige Berühmtheit hat im Rahmen der Verfolgungs- und Denunzierungspraktiken die in Phnom Penh gelegene Schule Tuol Svay Prey – bekannter unter den Namen „Sicherheitsgefängnis 21“ (S-21), sowie nunmehr unbenannt in Tuol Sleng Genocide Museum – erlangt, das von der Roten Khmer als Folterkammer genutzt wurde, um (oft vorgefertigte) Geständnisse zu erpressen und „Feindesinformationen“ zu erlangen. Von den dort schätzungsweise 14.000 Inhaftierten haben nur 7 (nach anderen Quellen 8) Menschen überlebt. Viele der Opfer wurden auf den in der Nähe gelegenen Feldern von Choeung Ek umgebracht. Sie sind heute – betitelt als „Killing Fields“ – das wahrscheinlich bekannteste Beispiel des Massenmordes390. Schon 1979 ist gegen den faktischen Anführer der Roten Khmer Saloth Sar – bekannter unter den Namen „Pol Pot“ oder „Bruder Nr. 1“ –, sowie gegen Ieng Sary – innerhalb der Hierarchie „Bruder Nr. 3“ – ein Prozess geführt worden. Vom damaligen kambodschanischen Propagandaminister Kaev Chenda wurden beide Angeklagte in absentia verurteilt. Da die Rote Khmer jedoch zuvor die Gerichte und das Justizministerium aufgelöst hatten, und Juristen aufgrund ihres „Intellekts“ umbrachten, ist weitläufig das Verfahren als Schauprozess verurteilt worden, welches jegliche Rechtsstaatlichkeit vermissen ließ. Im Jahre 1997 wurde „Pol Pot“ in einem öffentlichen Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Er verstarb kurz darauf.
389 Visoth/Lee, Joint Statement on the Establishment of the Office of Administration of the Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia v. 9. Februar 2006, 1 „We can now say clearly that we have moved from the planning phase into the actual establishment of the Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia or ECCC“. Abrufbar unter: http://www.cambodia.gov.kh/krt/pdfs/Joint-statement %209Feb06%20 Eng.pdf (letzter Besuch 1. August 2008). 390 Eine diesbezügliche umfangreiche Dokumentensammlung hält das Yale Cambodian Genocide Program bereit. Abrufbar unter: http://www.yale.edu/cgp/resources. html (letzter Besuch 16. März 2007).
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Nichtsdestotrotz war weiterhin fraglich, wie mit der restlichen Führungselite der Roten Khmer zu verfahren ist. Vorschläge von Seiten Australiens in den 80iger Jahren, einen internationalen Gerichtshof zur Untersuchung der Verbrechen der Roten Khmer einzurichten, scheiterten am internationalen politischen Druck und der Situation des Kalten Krieges. Ein Amnestiegesetz, welches 1996 erlassen wurde, erschwerte zudem die Aburteilungsbestrebungen. Seit Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts ist der Druck intensiviert worden, die Hauptverantwortlichen der „Demokratischen Kampuchea“ vor eine Spezialkammer zu stellen. Diesbezüglich gab es jedoch tief greifende Probleme391. Erstens war nicht völlig geklärt, wie die angestrebten 3 jährigen Verfahren finanziert werden sollten. Ursprünglich ist daran gedacht worden, die veranschlagten 56,3 Millionen Dollar zwischen der internationalen Gemeinschaft (43 Millionen) und Kambodscha (13,3 Millionen) aufzuteilen. Premier Samdech Hun Sen wendete ein, Kambodscha könne aufgrund mangelnder finanzieller Finanzkraft lediglich 1,5 Millionen Dollar beisteuern – in der Tat gehört Kambodscha mit einem geschätzten jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von 315 Dollar zur Gruppe der 19 ärmsten Staaten der Erde, denen der IWF sämtliche Schulden erlassen musste. Die Geberländer selbst – zuvorderst Japan, das die Hälfte des internationalen Kostenanteils übernommen hat – sicherten daraufhin die Erbringung der Mittel zu. Deutschland beteiligte sich durch Zusagen vom 28. März und 15. Juni 2005 mit knapp 3 Millionen Euro. Die EU hat am 28. Dezember 2005 eine weitere knappe 1 Million Euro versprochen. Die Schätzung der erforderlichen Mittel sind mit Stand vom 1. August 2008 auf 50,3 Millionen Dollar leicht rückläufig392. Zweitens wird dem Gericht vorgeworfen, nicht unabhängig richten zu können, da viele Staatsvertreter Kambodschas durch die Politik der „nationalen Aussöhnung“ noch heute in hohen Ämtern sitzen und zu befürchten ist, dass sie das Verfahren verzögern und auf Prozesse Einfluss nehmen werden. Auch der derzeitige Premier Hun Sen diente von 1975–1977 als Kommandeur der Roten Khmer in der Verwaltungszone Ost, obgleich ihm keine Verbindung zu den „Pol Pot“ Morden nachgewiesen werden konnte. Drittens ist Kritik laut geworden, die Vertreter des Gerichts könnten korrumpiert sein393, und zudem schlecht im Völkerstrafrecht ausgebildet. 391 Siehe auch Luftglass, 90 Virg. LRev. (2004), 893 ff.; Linton, 84 IRRC 845 (2002), 93 ff.; einen Überblick über die historische Verhandlungsgeschichte gibt Etcheson in: Justice Initiatives, The Extraordinary Chambers (2006), 7 ff. 392 Press Conference on the Revised Budget for ECCC, 24. Juni 2008, abrufbar unter http://www.eccc.gov.kh (letzter Besuch 1. August 2008). 393 Vgl. dazu etwa den Bericht, dass Mitglieder des (zukünftigen) Gerichts einen gewissen Prozentsatz ihres Einkommens an die Regierung zahlen müssten, weil sie von der Regierung mit der zugewiesenen Position bekleidet worden waren; Bericht vom Open Society Institute vom 14. Februar 2007; abrufbar unter: http://www.global
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Schließlich viertens stellt das allgemeine Alter, sowie die Inhaftierung der in Betracht kommenden Angeklagten ein Problem dar. Hauptverantwortliche wie etwa „Pol Pot“ oder Ta Mok sind bereits verstorben. Die mit Stand vom 31. Dezember 2007 sich in Haft befindlichen Führungspersonen beschränken sich auf den Leiter des Foltergefängnis S-21, Kaing Guek Eav a.k.a. „Duch“, dem politischen Chefideologen der Roten Khmer Nuon Chea, den ehemaligen Außenminister Ieng Sary, und dessen Ehefrau, der ehemaligen Ministerin für Soziales Ieng Tirith, sowie Khieu Samphan, dem ehemaligen Präsidenten des Kampuchea Regimes. Laut einem Sprecher des Gerichts verbiete sich gegen Ien Sary aufgrund des Urteils von 1979, mithin wegen ne bis in idem, eine Aburteilung wegen Völkermordes. Andere Anklagepunkte seien aber möglich394. Trotz aller Bedenken ist die Etablierung seit 2003 erheblich vorangeschritten. Als die Nationalversammlung Kambodschas im Oktober 2004 einem „Sondertribunal“ zugestimmt hatte, war zwar der Kompetenzstreit mit den Vereinten Nationen noch nicht vollends beigelegt, aber ein Kompromiss ausgehandelt. Klar war insoweit, dass das Gericht in Phnom Penh tagt und nach nationalem wie internationalem Recht urteilt. In den beiden Kammern sitzen mehrheitlich einheimische Richter und Staatsanwälte – assistiert von Juristen, die von der UN entsandt sind. Entscheidungen des Tribunals müssen von mindestens einem „internationalen Richter“ mitgetragen werden. Verhandelt werden allein Verbrechen der Roten Khmer. Es sollen sich nur „die höchsten Führer“ des Pol-PotStaates vor den Richtern verantworten müssen – in Betracht kommen bis zu 60 einst ranghohe Rote Khmer Mitglieder. Als Höchststrafe kann auf lebenslange Haft erkannt werden395. Am 3. Juli 2006 sind die Richter eingeschworen worden396, am 10. Juli 2006 haben die Anklagevertreter ihre offizielle Arbeit aufgenommen und werden seitdem kontinuierlich im internationalen Strafrecht geschult. Im Frühjahr 2008 ist das Verfahren gegen Kaing Guek Eav eröffnet worden. policy.org/intljustice/tribunals/cambodia/2007/0214corruption.htm (letzter Besuch 16. März 2007). 394 Associated Press vom 26. Oktober 2006, Abrufbar unter http://www.globalpoli cy.org/intljustice/tribunals/cambodia/2006/1026notimmune.htm“ (letzter Besuch 16. März 2007). Alle derzeitigen „Indictment“ und „Detention Orders“ sind abrufbar unter: http://www.cambodia.gov.kh/krt/english/indictments.htm. (letzter Besuch 16. März 2007); siehe auch Heder/Tittemore, Seven Candidates for Prosecution: Accountability for the Crimes of the Khmer Rouge. 395 Siehe „Constitutional Council Decision on the KR Law“ vom August 2006. 396 Die ECCC Trial Chamber setzt sich zusammen aus: Mr. Nil Nonn, Mr. Thou Mony, Mr. Ya Sokhan, Ms. Silvia Cartwright (Neuseeland), Mr. Jean Marc Lavergne (Frankreich), sowie als „Reserve“, Mr. You Ottara, Ms. Claudia Fenz (Östereich). Die ECCC Supreme Court Chamber ist zusammengesetzt aus: H. E. Kong Srim, Mr. Som Sereyvuth, Mr. Sin Rith, Mr. Ya Narin, Mr. Motoo Noguchi (Japan), Ms. Agnieszka Klonowiecka Milart (Polen), Mr. Chandra Nihal Jayasinghe (Sri Lanka), sowie als „Reserve“ Mr. Mong Monichariya, Mr. Martin Karopkin (USA).
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Was den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit betrifft, findet sich eine Definition in Art. 5 des am 10. August 2001 verabschiedeten NS/RKM/0801/12 Gesetzes für das ECCC. Der Tatbestand ist dort wie folgt definiert, wobei jedoch Erwähnung finden muss, dass die vom Juristenrat vorgeschlagene englische Übersetzung keine autoritäre Rechtskraft beanspruchen kann. „Article 5 The Extraordinary Chambers shall have the power to bring to trial all Suspects who committed crimes against humanity during the period 17 April 1975 to 6 January 1979. Crimes against humanity, which have no statute of limitations, are any act committed as part of a widespread or systematic attack directed against any civilian population, on national political, ethnical, racial or religious grounds, such as: – – – – – – – – –
murder; extermination; enslavement; deportation; imprisonment; torture; rape; persecutions on political, racial, and religious grounds; other inhumane acts.“397
Art. 5 stimmt fast wortgleich mit Art. 3 ICTR Statut überein, was nicht erstaunt, wenn man sich vor Augen führt, dass das ICTR Statut für das ECCC Gesetz quasi Pate stand398. Im Gegensatz zu Art. 3 ICTR Statut sieht jedoch Art. 5 ECCC Gesetz die Präzisierung der Unverjährbarkeit des Verbrechens, die Einfügung des Wortes „directed“ zwischen „attack“ und against“, eine grammatische Umformulierung des Wortes „ethnic“ (in „ethnical“), sowie eine Präzisierung des nicht abschließenden Charakters der enumerierten Katalogstraftaten durch die im chapeau enthaltende Voranstellung des Terminus „such as“ vor. Im zwischen der UN und dem Staat Kambodscha am 6. Juni 2003 ausgehandelten und am 6. August 2004 vom Kambodschanischen Regierungsrat verabschiedeten Vertrag399 war eine entscheidende Änderung für den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit vorgesehen: Gemäß Art. 9 397 NS/RKM/0801/12, Law on the Establishment of Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia for the Prosecution for Crimes Committed During the Period of Democratic Kampuchea. 398 Linton, 84 IRRC 845 (2002), 93 (98) „Art. 5’s definition of crimes against humanity is taken from the Statute of the International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR)“. 399 U.N. Doc. A/Res/57/288B (2003), im Annex ist das „Agreement between The United Nations And The Royal Government Of Cambodia Concerning The Prosecu-
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(Crimes falling within the Jurisdiction of the Extraordinary Chambers) ist statuiert: „The subject-matter jurisdiction of the Extraordinary Chambers shall be the crime of genocide as defined in the 1948 Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, crimes against humanity as defined in the 1998 Rome Statute of the International Criminal Court and grave breaches of the 1949 Geneva Conventions and such other crimes as defined in Chapter II of the Law on the Establishment of the Extraordinary Chambers as promulgated on 10 August 2001“400.
Ausgehend von Art. 9 sollten die ECCC gehalten werden, die in Art. 7 ICC Statut kodifizierte Definition des Verbrechens gegen die Menschlichkeit anzuwenden. Die in Art. 5 des NS/RKM/0801/12 Gesetzes enthaltene Definition wäre dann hinfällig geworden401. Die ECCC werden indes die in Art. 7 ICC Statut enthaltene Definition (wohl) nicht anwenden. Für die Einschlägigkeit von Artikel 7 sprach zwar, dass der Kambodschanische Regierungsrat am selben Tag, an dem er Änderungen des Gesetzes NS/RKM/0801/12 beschloss, die Vereinbarung zwischen der UN und Kambodscha ratifizierte, und somit der UN Vereinbarung Gültigkeit zusprach. Auch der Draft zu den Prozessregeln des Gerichts, welcher am 3. November 2006 veröffentlicht wurde, stützte dieses Ergebnis. In Rule 66(6)(b) war dort kodifiziert, dass „for genocide, war crimes and crimes against humanity, [and other crimes] defined in United Nations Conventions to which Cambodia is a signatory, the period [Anm. of a provisional detention of an Accused Person] may be extended to one year [. . .]“402.
Bei dem ICC Statut dürfte es sich um die angesprochene „UN Konvention“ handeln. Zum einen ist das ICC Statut von der „United Nations Diplomatic Conference of Plenipotentiaries on the Establishment of an International Criminal Court“ verabschiedet worden. Zum anderen existiert für den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit keine klassische UN Konvention – wie etwa die UN Folterkonvention von 1984 –, die den Straftatbestand definieren würden, sodass, damit die Regelung in Rule 66(6)(b) überhaupt einen Sinn ergibt, das ICC Statut gemeint sein musste. Kambodscha hat das ICC Statut auch am 11. April 2002 ratifiziert. Anwendbar wäre daher die in Art. 7 ICC Statut enthaltene Definition gewesen. Gegen die Einschlägigkeit der ICC Definition ist jedoch das Umsetzungsgesetz der Kambodschanischen Regierung NS/RKM/1004/006 vom 27. Oktober 2004 anzuführen, welches die Vereinbarung zwischen der UN und Kambodscha tion Under Cambodian Law Of Crimes Committed During The Period Of Democratic Kampuchea“ zu finden. 400 Eigene Hervorhebung. 401 Die Wirksamkeit des Vertrages ist bestätigt durch den Report of the SecretaryGeneral on Khmer Rouge Trials v. 25. November 2005, 2; UN. Doc. A/60/565 (2005). 402 ECCC Draft Internal Rules v. 3. November 2006 (eigene Hervorhebung).
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in das nationale Recht implementierte. Die dort in Art. 5 enthaltene Definition des Verbrechens gegen die Menschlichkeit ist wortgleich aus dem Vorgängergesetz aus dem Jahre 2001 übernommen worden; eine Anpassung an die Definition des Art. 7 ICC Statut fand nicht statt403. Die in Rule 66(6)(b) enthaltene Konkretisierung ist zudem in die geltende Finalfassung (nunmehr in Rule 66(6)(a)) nicht eingeflossen404.
VII. Der Höhere Gerichtshof für den Irak (IHT) Das Iraqi High Tribunal – IHT – hat durch den Schuldspruch im Fall Saddam Hussein et al. am 5. November 2006405 wegen begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit einen nunmehr weltweiten Bekanntheitsgrad erreicht. Um die Gerichtspraxis und den Legimitationsanspruch des IHT, des Statuts des IHT, sowie des Hussein Urteils fundiert evaluieren zu können, ist es notwendig, zunächst die Hauptereignisse zu umreißen, die in die Etablierung des Gerichts mündeten. Eine große Rolle spielten die drei Golfkriege, an denen die Vereinigten Staaten von Amerika entweder passiv durch Unterstützungshandlungen, oder aktiv durch Kampfhandlungen mitwirkten. Durch den Iran-Irak Krieg (22. September 1980–20. August 1988); sog. „Erster Golfkrieg“, der vornehmlich durch Grenzstreitigkeiten, Expansionsbemühungen beider Kriegsparteien, den Nachwirkungen der islamischen Revolution von 1979, sowie geschichtlichen Ressentiments (Schlacht von Kardessa) verursacht war, belief sich der Schuldenstand des Irak nach Kriegsende auf ca. 80 Milliarden US Dollar. Aufgrund der Finanzlage und in der Absicht, neue Ölfelder zu erschließen, griff der Irak am 2. August 1990 Kuwait an. Durch UN Resolution 678406 ermächtigt, traten die Vereinten Nationen unter dem militärischen Hauptkommando der Amerikanischen Truppen, das aus einem Kontingent von über 550.000 Soldaten bestand, in den Konflikt ein und befreiten Kuwait.
403 Law on the Establishment of the Extraordinary Chambers, with inclusion of amendments as promulgated on 27 October 2004 (NS/RKM/1004/006); Law on the Establishment of Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia for the Prosecution of Crimes Committed during the Period of Democratic Kampuchea. 404 Art. 66(6)(a) der Internal Rules lautet in modifizierter Form nunmehr: „for genocide, war crimes and crimes against humanity, for the period not exceeding 1 (one) year.“ 405 Die Verfahrensverhandlungen gegen Saddam Hussein endeten im August 2006. Drei Monate später, am 5. November 2006 ist das Urteil der Berufungskammer gesprochen worden. Das Urteil wurde am 22. November 2006 veröffentlicht. Nachdem von der Verteidigung am 3. Dezember 2006 ein Berufungsantrag gestellt wurde, hat sich die Berufungskammer mit dem Fall befasst und am 26. Dezember 2006 das Trial Chamber Urteil bestätigt. 406 UN Doc. S/678 (1990).
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Die Gründe für die Invasion der Amerikaner am 20. März 2003 („Dritter Golfkrieg“) bleiben bis heute unklar; teilweise wohl auch, weil die USA keine offizielle Kriegserklärung abgab und die Notwendigkeit der Konfliktführung durch alternierende Motive begründete – etwa die Irakische Regierung besäße Massenvernichtungswaffen und gewähre Terroristen Unterschlupf, die Schreckensherrschaft Saddam Husseins müsse beendet und die Zivilbevölkerung beschützt werden, oder der Mittlere Osten sei zu demokratisieren –. (Spätestens) kurz nach Beendigung der völkerrechtswidrigen407 Invasion und anschließenden Besetzung des Iraks entschieden sich die USA, die Regierungsvertreter Iraks, insbesondere das Staatsoberhaupt Saddam Hussein, zur Rechenschaft zu ziehen. Zu diesem Zweck wurde durch eingesetzten Iraker Regierungsrat (Iraqi Governing Council – IGC408) das nationale „Iraqi Special Tribunal for Crimes against Humanity“ gegründet; auch genannt „Iraqi Special Tribunal“ (IST). Am 10. Dezember 2003 ist das Statut des Tribunals verabschiedet worden. In Art. 12 findet sich eine Definition des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Durch Art. 1 des Gesetzes Nr. 10 von 2005 wurde das Gericht in „Iraqi Higher Criminal Court“, auch bekannt unter der Bezeichnung „Iraqi High Tribunal“ (IHT) unbenannt. Durch das Gesetz Nr. 10/2005 ist das Statut des Gerichts (partiell) neu gefasst worden409. Über die Gründe für die Errichtung eines nationalen Sondergerichts im Irak kann nur spekuliert werden. Allgemeinhin wird angenommen, hauptsächlich politische Interessen der USA hätten eine UN Einbindung verhindert, da die Verhängung der Todesstrafe nicht ausgeschlossen werden sollte410, Gerichte und Tribunale mit Beziehung zur UN jedoch Todesstrafen nicht aussprechen dürfen. Eine etwaige Überstellung an den ICC kam aufgrund der ablehnenden Haltung 407 Dazu statt vieler Hestermeyer, 64 ZaöRV (2004), 315. Hauptgrund für die Völkerrechtswidrigkeit der Invasion ist, dass keine Resolution der UN nach Kapitel VII vorlag, die aus völkerrechtlicher Sicht ein militärisches Eingreifen gerechtfertigt hätte. Ebenso wenig rechtfertigte die Situation – wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – ein militärisches Eingreifen als ultima ratio auf der Grundlage von überrechtlichen humanitären Gründen. 408 Der IGC bestand aus 25 Irakern, die von den USA am 13. Juni berufen wurden und mit der Aufgabe betraut waren, interim eine parlamentarische Rolle zu übernehmen. Die faktische Legislativgewalt im Irak besaß jedoch die Coalition Provisional Authority (CPA), der politische Flügel der Besatzungsmacht im Irak, welcher mit einem Vetorecht ausgestattet ist, alle Entscheidungen der IGC zu blockieren, U.N. Doc. S/RES/1511 (2003) und U.N. Doc. S/RES/1500 (2003). Durch CPA Order No. 48, CPA/0RD/9 Dec 2003/48 hatte die CPA dem IGC den Auftrag erteilt, ein Statut für die Errichtung des IST auszuarbeiten, wobei maßgeblich Prof. Bassiouni involviert war. Das Statut wurde von Paul Brenner, dem obersten Verwaltungsverantwortlichen der U.S. im Namen der CPA in Kraft gesetzt. 409 Eine nicht autoritäre englische Übersetzung des Gesetzes Nr. 10 von 2005 findet sich unter: http://www.lawcase.edu/saddamtrial/documents/IST_statute_unofficialeng lish.pdf (letzter Besuch 16. März 2007). 410 Scharf, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 330 (331).
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der USA, sowie der Tatsache, dass weder die USA noch der Irak das ICC Statut ratifiziert hatten, nicht in Betracht. Die Jurisdiktionskompetenz des IHT ratione materiae erstreckt sich auf nationales (Art. 14) und internationales Recht (Art. 11–13), und schließt in Art. 12 eine Aburteilung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein. Die Definition ist fast mit der in Art. 7 ICC Statut enthaltenen identisch. Lediglich innerhalb des Strafkatalogs ergeben sich insoweit Unterschiede, als das die Einzeltatbestände der erzwungenen Sterilisation und das Verbrechen der Apartheid mangels Relevanz nicht aufgenommen wurden. Interessant ist zudem ein Zusatz beim Tatbestand des Mordes, welcher in der Vorgängernorm (Art. 12 IST Statut) nicht enthalten war. Während dort – insoweit wortgleich mit Art. 7(1)(a) ICC Statut – lediglich der Verbrechenstatbestand „murder“ kodifiziert war, ist im IHT Statut im Einklang mit den IST Elements of Crimes411 die Ergänzung „wilful murder“ aufgenommen worden. Da die mens rea des Mordtatbestandes hoch umstritten ist – insbesondere in Bezug auf die Frage, ob die Tat mit Vorsatz begangen werden muss oder Fahrlässigkeit ausreicht412 – ist die Einfügung beachtlich und besitzt Ausstrahlungswirkung auf die Interpretation des ICC Statuts413. Ein im Vorgängerstatut in Art. 1 b) enthaltener Zusatz, Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien (auch) außerhalb eines bewaffneten Konfliktes begehbar414, ist in der Neufassung nicht aufgenommen worden. Nach Ansicht des Gerichts in Hussein et al. ändert sich dadurch aber nichts. Die Jurisdiktionskompetenz des IHT ratione personae erstreckt sich gemäß Art. 1(2) IHT Statut auf Iraker, sowie Personen, die sich gewöhnlich im Irak aufhalten („resident“). Ratione temporis können Handlungen vom 17. Juni 1968 bis zum 1. Mai 2003 abgeurteilt werden. Der ungewöhnlich lange Zeitraum von 35 Jahren ist zuvorderst dem Bestreben geschuldet, die Option offen zu halten, die Verbrechen, welche von der von Hussein geführten Regierung angewiesen oder durchgeführt wurden, in ihrem gesamten Umfang aburteilen zu können, und die „De-Ba’athifizierung“ des Irak voranzutreiben415. Das Hussein-Al Du411
Abrufbar unter http://law.case.edu/saddamtrial/ (letzter Besuch 1. August 2008). Dazu unter Kapitel 5 B.I.3. 413 Dazu bereits an anderer Stelle Kuschnik, 7 Chinese J Int’l L 2 (2008), 459 (476 ff.). 414 Art. 1 b) IST Statut „The Tribunal shall have jurisdiction over any Iraqi national or resident of Iraq accused of the crimes listed in Articles 11 to 14 below, committed since July 17, 1968 and up until and including May 1, 2003, in the territory of the Republic of Iraq or elsewhere, including crimes committed in connection with Iraq’s wars against the Islamic Republic of Iran and the State of Kuwait. This includes jurisdiction over crimes listed in Art. 12 and 13 committed against the people of Iraq (including its Arabs, Kurds, Turcomans, Assyrians and other ethnic groups, and its Shi’ites and Sunnies) whether or not committed in armed conflict.“ (Eigene Hervorhebung des Autors.) 415 Shany, 2 JInt’ Crim. Just. (2004), 338 (340). 412
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jail-Verfahren beschränkte sich nicht auf die Aburteilung des Präsidenten. Neben Saddam Hussein Al Majeed Al Tikriti 416 wurden vom IHT abgeurteilt417: Barzan Ibrahim Al Hassan al Tikriti 418, Taha Yassin Ramadan419, Abdallah Kathem Rowayid420, Mizhir Abdallah Ruaid421, Ali Dayeh Ali 422, Awwad Hamad Al Bandar423, sowie Mohammed Azzam Al Ali 424. 1. Anmerkungen zum Urteil Saddam Hussein et al. Saddam Hussein wurde aufgrund des Al Dujail Vorfalls aus dem Jahr 1982 wegen Mord, zwangsweisen Verschwindenlassens von Personen, Folter, Freiheitsentzug und anderer unmenschlichen Handlungen als Verbrecher gegen die Menschlichkeit angeklagt, wobei aus Mangel an Beweisen die Anklage wegen zwangsweisen Verschwindenlassens von Personen fallen gelassen wurde. Das IHT hat im Wege seiner (ca. 300 Seiten langen) Urteilsbegründung völkerstrafrechtliche Angaben gemacht, die für die Auslegung des Tatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit von besonderem Interesse sind. Bemer416
Präsident des Iraks (Todesstrafe). Im sog. Anfal-Verfahren sind weitere Personen vor dem IHT angeklagt worden; Muhammad Hamza al-Zubaydi (Premierminister, stellvertretender Premierminister des Iraks), Watban Ibrahim Hassan al Tikriti (Innenminister, Präsidentenberater), Aziz Saleh al Numan (Gouverneur und regionaler Vorsitzender der Baath-Partei), Tarek Aziz (Vize-Premierminister, Außenminister, Informationsminister), Tahir Tawfiq al Ani (Gouverneur von Mosul); sowie im sog. „Anfal Prozess“: Hussein Rashid al Tikriti (Stellvertretender Leiter Operationen der irakischen Streitkräfte), Sabir Abdul Aziz al Duri (Leiter des militärischen Nachrichtendienstes), Hashem Ahmed al Jubouri al Tai (Verteidigungsminister), Ali Hassan al Majid al Tikriti (Innenminister) und Farhan Mutlak al Jubouri (Leiter des militärischen Nachrichtendienstes im Nordirak). Al Anfal war die Bezeichnung für eine militärische Kampagne des Regimes von Saddam Hussein, die sich in den Jahren 1986 bis 1989 (während des Iran-Irak-Krieges und unmittelbar danach) gegen die Kurden richtete. Die Anfal-Kampagne soll zu 182.000 Opfern in der Zivilbevölkerung geführt haben. Das Regime ließ Bodenoffensiven und Luftangriffe ausführen. Es kam zur systematischen Zerstörung von Siedlungen, zu einer Massen-Deportierung, zur Errichtung von Konzentrationslagern und zum Einsatz von Scharfschützen und von chemischen Waffen. Das am 24. Juni 2007 vom IHT gesprochene 963! seitige Anfal Urteil ist seit März 2008 in englischer Übersetzung unter http://law.case.edu/saddamtrial/ abrufbar (letzter Besuch 1. August 2008). 418 Halbbruder Husseins, ehemaliger Direktor des Geheimdienstes Muchabarat und ständiger Vertreter des Iraks bei den Vereinten Nationen (Todesstrafe). 419 Irakischer Vizepräsident (durch Trial Chamber Urteil lebenslange Freiheitsstrafe; vom Berufungsgericht umgewandelt in Todesstrafe). 420 Auch bekannt als „Abdullah Kadhem Ruaid“, Vertreter der Baath-Partei Saddams in der Region Dujail (15 Jahre Haft). 421 Vertreter der Baath-Partei Saddams in der Region Dujail (15 Jahre Haft). 422 Vertreter der Baath-Partei Saddam Husseins in der Region von Dujail (15 Jahre Haft). 423 Vorsitzender des Revolutionsgerichtes des Iraks (Todesurteil). 424 Vertreter der Baath-Partei Saddams in der Region Dujail (Freispruch). 417
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kenswert sind zum einen die Ausführungen zum Verhältnis zwischen dem Tatbestand und nullum crimen sine lege, sowie ex post facto. Zum anderen hat das Gericht die einzelnen Tatbestandselemente innerhalb des Gesamttatbestandes angesprochen. Interessant sind vor allem die Ausführungen zum chapeau Element des Angriffs, sowie die Definition des Einzeltatbestandes des Mordes. Beides hat bei der Erörterung der Tatbestandsmerkmale in Kapitel 4 und 5 dieser Untersuchung Erwähnung gefunden. Was das Legalitätsprinzip betrifft, stand das IHT vor dem Problem, dass der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit im Jahre 1969 nicht im nationalen irakischen Recht kodifiziert war. Daraus folgerte das IHT allerdings nicht etwaige Straflosigkeit. Grundlage der Überlegungen war die Einbeziehung des Artikels 11(2) der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Dort ist festgeschrieben: „Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. [. . .].“425
Wie aus Art. 11 ersichtlich ist, darf niemand für eine Handlung bestraft werden, die nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar ist. Die Strafbarkeit nach Völkerrecht wäre insoweit ausreichend426. Das IHT fragte sich, ob der Irak schon zum damaligen Zeitpunkt verpflichtet (und „berechtigt“) war, die Regel anzuwenden. Dies wurde neben dem Hinweis auf die Allgemeine Menschenrechtserklärung mit dem Argument bejaht, in Art. 15 der ICCPR fände sich eine gleich lautende Regelung, die der Irak 1971 ratifizierte. Daraus folgerte das Gericht, dass das Legalitätsprinzip zumindest dann nicht verletzt sein kann, wenn der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit zum damaligen Zeitpunkt nach Völkerrecht strafbar war. Eines Umsetzungsaktes in nationales irakisches Recht bedurfte es nicht, weil das IHT Völkerstrafrecht unmittlbar anwenden kann427. Das IHT führt insoweit aus: „Our Court, and despite the fact that it is national and not international, has the right to consider the international crimes, not because of court of law, which is an internal law, stipulated so, but [. . .] because the rules of the international criminal law are applicable not only in Iraq, but in all countries of the world directly, without the need to be stipulated in the national laws of those countries, as it is with respect to crimes against humanity [. . .].“428
425 Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte v. 10. Dezember 1948, Resolution 217 A(III), UN Doc. A/810, 71 (1948). 426 Kollidiert das völkerrechtliche Strafbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit der Nicht-Strafbarkeit nach nationalem Recht, geht Ersteres vor; so Cassese, 4 J Int’l Crim. Just. (2006), 410 (416 ff.). 427 Iraqi High Tribunal, Case n ë 1/9 First/2005 Al-Dujail Lawsuit, Urteil v. 5. November 2006, 36. Zu den Grundsätzen der Direktanwendung von Völkerrecht siehe auch oben, Respublica v. De Longchampes.
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Nach der Bejahung der unmittelbaren Anwendbarkeit von Völkerstrafrecht stellte sich das Problem, in welchem Rahmen im Jahr 1982 das Verbrechen gegen die Menschlichkeit als „international crime“ völkerstrafrechtlich anerkannt war. Unstrittig war zwar, dass seit Nürnberg, und spätestens seit der Anerkennung der Nürnberger Prinzipien durch die UN Generalversammlung, der Gesamttatbestand völkerstrafrechtliche Geltung beanspruchen konnte. Relativ unproblematisch war die Frage nach der Strafbarkeit der im Gesamttatbestand enumerierten Einzelverbrechen; Hussein wurden vornehmlich klassiche Einzeltatbestände (Mord, Folter etc.) vorgeworfen. Größere Schwierigkeiten bereitete aber die Frage, ob 1982 – wie es im Jahr 1946 vom IMT hervorgehoben wurde – ein nexus zu Kriegsverbrechen erforderlich war, oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Friedenszeiten begangen werden konnten. Das IHT ging davon aus, dass trotz einer Verurteilung Husseins keine ex post facto Verletzung vorlag. Als Nachweis zitierte es Art. 1 b) der Konvention über die Nichtanwendbarkeit der Verjährungsfrist auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in dem festgelegt ist, dass Verjährungsfristen keine Anwendung finden sollen auf „Verbrechen gegen die Menschlichkeit, unabhängig davon, ob sie im Krieg oder im Frieden begangen wurden, wie sie im Statut des Internationalen Nürnberger Militärgerichtshofes vom 8. August 1945 definiert und in den Resolutionen 3 (I) vom 13. Februar 1946 und 95 (I) vom 11. Dezember 1946 der Vollversammlung der Vereinten Nationen bestätigt wurden.“
Zwar ist der Irak dieser Konvention nie beigetreten. Dies schade jedoch nach Ansicht des IHT nicht, weil Art. 1 b) – was den (Nicht-)nexus zu Kriegsverbrechen betrifft – eine Ausprägung von Völkergewohnheitsrecht sei, welches vom Irak beachtet werden müsse429. Auch die Tatsache, dass der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit 2003, respektive 2005 in innerstaatliches Recht kodifiziert wurde, ändere daran nichts. Denn „The principle of non – retroactivity of penal law relates to the substantive aspect of penal law, that is related to incrimination and punishment and does not relate to the formal or procedural aspect.“430
Die IHT Appeals Chamber bestätigte die Ausführungen der Trial Chamber. Eine interessante Feststellung findet sich zu der Frage, ob die Trial Chamber das Legalitätsprinzip verletzte. Die Appeals Chamber führt aus: „The convicted (Saddam Hussein) cannot hide behind legality, because the main purpose of the legality principle is to pinpoint the person responsible for the act, 428 Iraqi High Tribunal, Case n ë 1/9 First/2005 Al-Dujail Lawsuit, Urteil v. 5. November 2006, 42. 429 Iraqi High Tribunal, Case n ë 1/9 First/2005 Al-Dujail Lawsuit, Urteil v. 5. November 2006, 43 ff. 430 Iraqi High Tribunal, Case n ë 1/9 First/2005 Al-Dujail Lawsuit, Urteil v. 5. November 2006, 49.
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and a person who commits a crime of misusing authority cannot claim that he is not aware of this act.“431
Die Appeals Chamber hat eine Verletzung des Legalitätsprinzips aufgrund eines mutwilligen Missbrauchs von Autoritätsmacht zurückgewiesen; ein Ansatz, der an die Radbruchsche Formel erinnert. Das Legalitätsprinzip sei – was schon das IMT feststellte – von Grund auf eine Ausprägung des Gerechtigkeitsprinzips, kein starrer Verfahrensgrundsatz432. Schließlich ist der Argumentation gefolgt worden, dass sich die Strafbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus einer internationalen völkergewohnheitsrechtlichen Strafnorm ableiten lässt. 2. Kritik am Hussein Urteil – Ex post facto und „Siegerjustiz“ Wie bereits angedeutet, ergab sich aus dem Zusammenspiel zwischen der zeitlichen Jurisdiktionskompetenz des IHT und den angeklagten Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine Vielzahl von Problematiken. Insbesondere zwei Kritikpunkte sind angemerkt worden. Zum einen sei die Verhängung der Todesstrafe gegen Saddam Hussein nicht hinnehmbar. Obgleich die Todesstrafe aus völkergewohnheitsrechtlicher Sicht (wohl noch) nicht verboten ist, erscheint der Einwand berechtigt. Nähere Ausführungen zur Todesstrafe sollen hier indes unterbleiben433. Zum anderen ist insbesondere von den Befürwortern einer strikten Anwendung der nullum crimen sine lege und ex post facto Grundsätze kritisiert worden, das IHT habe die Verfahrensgrundsätze nicht beachtet. Das Urteil verstoße insbesondere deswegen gegen fair trial, weil – selbst wenn im Einklang mit der Entscheidung des Nürnberger Tribunals (IMT) davon auszugehen sei, dass eine Verantwortlichkeit für Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts bestanden hat – es nichtsdestotrotz zweifelhaft sei, ob schon im Jahr 1982 eine Verbindung zu einem bewaffneten Konflikt entbehrlich war434. Denn in Art. 6 (c) IMT Statut sei die Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit explizit von der Begehung während des 431
Iraqi High Tribunal, 29/c/2006, Urteil v. 26. Dezember 2006, 8. Nicht unproblematisch aber: ibid., 12 „[. . .] under justice principles, no criminal can escape punishment on the basis of this principle, as legal principles were made for the good of society and not for the good of criminals“. 433 Zur Problematik der Todesstrafe mit Hinblick auf nationale und völkerrechtliche Regelungen wird an anderer Stelle Stellung bezogen; Gaitan/Kuschnik, Why the Death Penalty Should be Abolished in Tanzania – with a Postlude on Republic v. Mbushuu, Positionspapier, 2008. 434 Prosecutor v. Tadic, IT-94-1 (Entscheidung v. 2. Oktober 1995), Abs. 141 und Bantekas, 54 ICLQ (2004), 237(241, 243) gehen davon aus, dass das Erfordernis eines bewaffneten Konfliktes im Zeitraum zwischen Mitte und Ende der 1980er Jahre weggefallen ist. Zweifelnd auch Shany, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 338 (344); Alvarez, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 319 (320 Fn. 2). Pinzauti, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 1092 (1101) für einen Wegfall im Jahre 1993. 432
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„Krieges“ abhängig gemacht worden, um den Legalitätsanspruch der Urteile zu wahren. Auch die IMT Nachfolgeprozesse böten kein eindeutiges Bild zu der Rechtsfrage; die progressiven Erklärungen insbesondere der ILC seien rechtlich betrachtet nur „soft law“ und könnten streng betrachtet keine Bindungswirkung entfalten. Auch die Berufung auf Art. 1 b) der Konvention über die Nichtanwendbarkeit der Verjährungsfrist auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei nicht überzeugend, da zweifelhaft ist, ob sich aus Art. 1 b) eine generelle völkergewohnheitsrechtliche Regel ableiten lässt. Die Konvention ist lediglich von 46 Staaten ratifiziert worden. Fraglich ist somit, ob die in Art. 1 b) getroffene Regelung eine universelle Anerkennung kodifiziert435. Weiter wiege die Tatsache schwer, dass das ICTY in Tadic´ die Feststellung traf, das Erfordernis eines bewaffneten Konflikts sei „nunmehr“ weggefallen,436 und das IHT dazu angehalten war, die Rechtsprechung der internationalen Tribunale bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Darüber hinaus überzeuge die Hilfsargumentation der IHT Trial Chamber, Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien deswegen schon 1982 auch zu Friedenzeiten strafbar, weil seit jeher der Verbrechenstatbestand des „Mordes“ auf der ganzen Welt als Verbrechen anerkannt ist, nicht. Dieser u. a. von Bassiouni vorgeschlagene Ansatz437 verkenne, dass – obwohl die Ursprünge des Völkerstrafrechts in den strafrechtlichen Regelungen der Einzelstaaten zu finden sind – der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit von seiner Struktur her nicht als eine ledigliche Akkumulierung von national anerkannten Einzelverbrechen aufgefasst werden kann. Nationales Strafrecht und Völkerstrafrecht sind nicht miteinander vergleichbar. Weiter musste sich das IHT – wie auch schon das IMT vor 60 Jahren davor – mit den Vorwürfen „Siegerjustiz“ und tu quoque auseinandersetzen. Bemängelt wurden die untransparente Verabschiedung des Statuts und die völkerrechtswidrige Besatzung des Iraks durch die Amerikanischen Armee, zumal die Amerikaner einen direkten Einfluss auf die Wortwahl des Statuts hatten438. So sind etwa Handlungen der Amerikanischen Armee, die nach der offiziellen Beendigung 435 Kreicker, NJ 2002, 281 (285); der aktuelle Ratifikationsstand ist unter http:// www.untreaty.un.org abrufbar. 436 Prosecutor v. Tadic, Decision on the Defence Motion for Interlocatory Appeal on Jurisdiction, IT-94-1 (Entscheidung v. 2. Oktober 1995), Abs. 141. 437 Bassiouni, 38 Cornell Int’l LJ (2005), 327 (376) „An alternative approach to avoiding a violation of a principle of legality is to divide [. . .] crimes against humanity [. . .] into several lesser crimes that are usually found in most domestic criminal codes, including the 1969 Criminal Code and the 1940 Military Penal Law [. . .]. Accordingly it would be appropriate to refer to these crimes, which are defined in Iraqi law, and to rely on them as elements of ,the various crimes against humanity‘.“ Allerdings räumt Bassiouni ein, dass eine solcher „materieller Gerechtigkeitsansatz“ nicht unproblematisch ist, ibid. (375); siehe auch Cassese, International Criminal Law, 143. 438 Alvarez, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 319.
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der Kampfhandlungen am 1. Mai 2003 begangen wurden (z. B. Abu Graib) vor dem IHT ratione temporis nicht aburteilsfähig. Eine theoretische Aburteilung von amerikanischen Verletzungshandlungen, die vor dem 1. Mai 2003 verübt wurden, ist zwar an sich möglich, da unter ratione personae Gesichtspunkten das IHT Statut die Aburteilung von Personen gestattet, die im Irak ihre „residence“ haben439. Allerdings hätte eine Anklage gegen Amerikaner höchst überrascht440. Schließlich ist kritisiert worden, unter fair trial Gesichtspunkten hätte das IHT nicht die elementarsten Rechte der Angeklagten gewahrt. Zwar wurden die Richter angehalten, das Minimum internationaler Rechtsstandards zu beachten, jedoch war es mit Hinblick auf den Einfluss der Amerikanischen Regierung441 sowie der (früheren) weit reichenden Korruption innerhalb der irakischen Jurisdiktion442 fraglich, ob den Angeklagten ein fairer Prozess zu teil wurde443. Auch sind Bedenken geäußert worden, ob die Richterbank unvoreingenommen urteilte. So sollte Richter Ra’ouf Rashid Abdul Rahman in den 60er Jahren von Saddam Hussein zum Tode verurteilt worden und Anführer einer Gegenbewegung zur Ba’ath Partei gewesen sein. Der vorherige Vorsitzende Richter hatte zudem aufgrund des politischen Drucks den Fall niedergelegt444, ein anderer wurde „entfernt“, da er ein Mitglied der Ba’ath Partei gewesen sein soll445. Auch der konkrete Verfahrensablauf wurde kritisch bewertet. Beweise sollen nicht rechtzeitig der Verteidigung zur Verfügung gestellt, Verfahrensabschnitte 439
Dagegen Varghese, 34 Research Note (2003-04), 2. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass – mit Ausnahme der Statuierung in den Verbrechenskatalog innerhalb des Verbrechens gegen die Menschlichkeit – der Tatbestand der Folter als eigenständiges Delikt nicht in das Statut aufgenommen wurde, Shany, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 338 (343). Alvarez, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 319 (327) führt die Nichtaufnahme auf die Erwägung zurück, Amerikanische Soldaten vor einer Anklage vor dem IHT schützen zu wollen. Dagegen Varghese, 34 Research Note (2003-04), 2. 441 Zolo, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 313 (315). Zwar ist das Verfahren nur von irakischen Richtern geleitet worden, jedoch fanden diese von amerikanischen Beratern Unterstützung. Zudem war das IHT durch die Amerikanische Regierung fremd finanziert, sowie das Statut vornehmlich von amerikanischen Rechtsexperten ausgearbeitet worden. 442 Scharf, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 330 (333) „Consistent with the above observations, two recent studies of the Iraqi judicial system, conducted by the US Department of Justice and the United Nations, describe a legal system riddled with corruption and incompetence. The UN study concluded that, as a product of such ,a degraded justice system‘, in the near term, Iraqi judges are not capable of rendering fair and effective justice violations of international humanitarian law and other serious criminal offenses involving the prior regime.“ 443 Vgl. dazu das Interview mit Salem Chalabi in: 11 MEQ 4 (2004), 61 (62); Zolo, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 313 (314); Alvarez, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 319 (320 ff.). 444 Elis, International Herald Tribune v. 10. Februar 2006 (2006 WLNR 2357126). 445 Boudreaux, L.A. Times v. 25. Januar 2006 (2006 WLNR 6946995). 440
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ohne Rechtsbeistand durchgeführt, Aussagen von Zeugen für die Verteidigung abgebrochen oder zur Umwandlung erzwungen446, und Anträge nicht zugelassen worden sein. Die Anwälte der Verteidigung seien zudem nicht ausreichend ausgebildet gewesen447 und hätten vor Verfahrensbeginn keine autoritäre Fassung der Prozessordnung und des IHT Statuts erhalten448. Nicht unproblematisch sei schließlich, dass während des Verfahrens drei Vertreter der Verteidigung getötet wurden, was die Durchführung einer effektiven und stringenten Verteidigungsstrategie erschwerte. Das IHT nahm zu der angeführten Kritik umfassend Stellung. Dem Vorwurf, das IHT sei kein unabhängiges Gericht, sondern eine amerikanische Marionette, wurde entgegnet, dass nach dem Zusammentritt der ständigen Irakischen Regierung am 20. Mai 2006, welche durch Freie Wahlen von der irakischen Bevölkerung gewählt wurde, das Gesetz Nr. 10 beschlossen worden ist, welche als Kompetenzgrundlage des IHT fungierte. Das Gesetz wurde durch die Irakische Regierung eingebracht und von 78% der Iraker in einem nationalen Referendum angenommen. Die Annahme, das IHT könne sich nicht auf eine legale Jurisdiktionsgrundlage stützen, sei insoweit haltlos449. Das IHT sei auch nicht voreingenommen gewesen. Richter Ra’ouf soll schon aus der Haft entlassen worden sein, bevor Saddam Hussein an die Macht kam. Die von ihm unterstützte Bewegung war keine Gegenbewegung zur Ba’ath Partei, sondern eine Menschenrechtsorganisation450. Gegen den Vorwurf der Voreingenommenheit spreche zudem, dass viele richterliche Beschlüsse, die sich gegen die Angeklagten richteten, ein ums andere Mal davon geleitet waren, im Gerichtssaal für „Ruhe und Ordnung“ sorgen. Auch sei der Vorwurf, den Beschuldigten sei kein rechtsstaatliches Verfahren zugekommen, haltlos. Der Verteidigung wurde die komplette 1120 Seiten lange „Überweisungsakte“ übersandt. Was die Zeugenvernehmung betrifft, seien dreimal so viele Zeugen für die Verteidigung wie für die Anklage gehört, und Befragungen lediglich dann abgebrochen worden, wenn die Verteidigung die Zeugen zu ihren persönlichen Verhältnissen und „Charakter“ befragte, anstatt auf eine objektiv-gerichtete Befragung abzustellen, die sich an Fakten orientierte. Dass es dennoch zu ständiger „Unruhe“ kam, sei vornehmlich von der Verteidigung selbst verschuldet worden. Will man zu einer redlichen Bewertung des Hussein-Verfahrens gelangen, sollte man sich insbesondere letzteren vom Gericht angesprochenen Punkt gezielt vor Augen führen. Der Prozess war in seinem Ablauf wohl eines der spek446 447 448 449 450
N.B., Chicago Tribune v. 6. Juni 2006 (2006 WLNR 9657474). HRW, The Iraqi High Tribunal and Representation of the Accused, 6. Ibid., The Former Iraqi Government on Trial 14. Iraqi High Tribunal, 29/c/2006, Berufungsurteil v. 26. Dezember 2006, 9. Case n ë 1/9 First/2005 Al-Dujail Lawsuit, Urteil v. 5. November 2006, 7.
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takulärsten, aber auch „schmutzigsten“ Strafverfahren, die es je gab. Schiebt man lediglich bei der Frage, ob fair trial gewahrt wurde, den Richtern und der Anklage den „schwarzen Peter“ zu, macht man es sich zu leicht. Ein fairer Umgang im Gerichtsprozess schließt das Verhalten aller Verfahrensbeteiligten ein. Man kommt nicht umhin, die Verteidigung, sowie die Angeklagten selbst für die Nichtwahrung ihrer Rechte mitverantwortlich zu machen. Die Angeklagten, sowie deren Verteidiger, haben durch ihr provokatives, unethisches und anarchistisches Verhalten vor Gericht – wie etwa durch das Erscheinen vor Gericht in Unterwäsche, das mutwillige Preisgeben von geschützten Zeugenidentitäten, das vorsätzliche Fernbleiben von Verhandlungssitzungen zur Boykottierung der Gerichtsabläufe, oder das systematische Diskreditieren des IHT451 – es gerade darauf angelegt, dem IHT jegliche Möglichkeit zu nehmen, ein vollumfänglich rechtsstaatliches Verfahren durchzuführen. Das Stören und Missachten der gerichtlichen Abläufe war nicht nur ein „Nebenprodukt“ des Prozesses, sondern primäre Verteidigungsstrategie452. Vor diesem Hintergrund ist es dem IHT anzurechnen, dass es das Minimum an international anerkannten Verfahrensgarantien, welche in Art. 14 ICCPR kodifiziert sind, zumindest formal zu beachten versuchte, wenngleich das Verfahren nach westlichen Standards bemessen sicherlich als „fehlerhaft“ einzustufen ist453. 451 Saddam Hussein etwa bezeichnete das Gericht während einer Sitzung als „Bordell“ und spukte einer sich im Gerichtssaal befindlichen Person ins Gesicht. Ein anderes Mal sprang er ohne Erlaubnis des Gerichts auf und äußerte in lautem Ton „Nieder mit den Amerikanern, nieder mit den Verrätern!“. Rechtsvertreter missachteten mutwillig fundamentale Verfahrensabläufe, obwohl sie das Gericht mehrfach auf ihr Fehlverhalten hinwies. Zum ganzen ausführlich Case n ë 1/9 First/2005, Al-Dujail Lawsuit, Urteil v. 5. November 2006, 24 ff. 452 Scharf, Dujail Issue # 41 Analysis of the Dujail Judgement. Abrufbar unter: http://www.law.case.edu/saddamtrial (letzter Besuch 16. März 2007) „Moreover, due to the defense tactics in this case, the challenge of ensuring a fair trial while at the same time maintaining order in the courtroom was enormously daunting. Saddam’s chief lawyer, Khalil al-Dulaimi, gave an interview to the New York Times a few days ago in which he explained the unusual defense strategy. According to al-Dulaimi, the defense was convinced that Saddam would be found guilty and that Saddam’s best chance was to use the proceedings to inflame the insurgency and to stretch the trial out as long as possible, so that in the end the United States would agree to set Saddam free in return for his help in restoring peace to Iraq“; vgl. Wrong, New York Times v. 25.6.2006, 6. Siehe auch Case n ë 1/9 First/2005 Al-Dujail Lawsuit, Urteil v. 5. November 2006, 13 „In another attempt by the defence attorneys to falsify the facts, they forced the person to appear with an important testimony, saying that some of the persons‘ names mentioned in the official lists issued by the revolution court about those executed by the accused Awad Hamad Al Bandar in 1983 are still alive; the witness claimed that (23) individual are still alive and that he shared food with them. And when this witness was asked to nominate the victims who he claims are still alive, he started reading some names written on a paper in his hand. But when the court asked him to spell the names without using the paper, he couldn’t remember them. Worst of all, it appeared that the handwriting on the paper differs from the handwriting of the witness. And when the Court asked him about it, he confessed that the paper was given to him by an anonymous source.“
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Schließlich ist anzumerken, dass die Rechtsauslegung des Gerichts, was die Strafbarkeit wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit betrifft, zwar kritisierbar, aber nicht haltlos ist. Es lassen sich durchaus beachtliche Autoritäten finden, die den Schluss zulassen schon im Jahr 1982 sei ein nexus zu einem bewaffneten Konflikt entbehrlich gewesen. Hingewiesen sei auf CCL No. 10, einige Urteile in den IMT Nachfolgeprozessen454, den ILC Draft von 1954, und Art. 1 b) der Konvention über die Nichtanwendbarkeit der Verjährungsfrist auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das IHT hätte zudem auf die Ausführungen von John Dugard, der im Fall Bouterse vom Niederländischen Gerechtshof Te Amsterdam als Rechtsexperte gehört wurde, verweisen und somit eine anerkannte Autorität zitieren können, die zu vergleichbaren rechtlichen Schlüssen gekommen ist. Dugard ging davon aus, dass es zwar nicht unzweifelhaft sei, ob 1982 schon ein nexus entbehrlich war. Er hält obige Autoritäten aber für ausreichend, um daraus eine völkergewohnheitsrechtliche Regel abzuleiten455. Der Gerechtshof Te Amsterdam hat zwar im Ergebnis einer Verfahrensdurchführung im Fall Bouterse widersprochen, sich allerdings der Ansicht Dugards bezüglich der nexus Erwägungen vorbehaltlos angeschlossen456. In Simon hat zudem das Argentinische Oberste Handlungen der Militärjunta, die in Friedenzeiten während des Argentinischen „Dirty War“ begangen wurden – mithin in den ’70 und ’80er Jahren des letzen Jahrhunderts – als Verbrechen gegen die Menschlichkeit klassifiziert457. Schließlich traf der ECHR in Kolk
453 Siehe aber auch Bruton v. United States, 391 U.S. (1968) 123 „We do not live in a perfect world, and a criminal defendant is not guaranteed a perfect trial, just a fair one.“ 454 Siehe oben, D.2. 455 John Dugard, Opinion Re Bouterse, AA8427, „Rn. 4. DID THE ACTS CONSTITUTE A CRIME AGAINST HUMANITY IN 1982? 4.1.1 [. . .] Linkage to armed conflict [. . .] 4.2.3 The linkage between crimes against humanity and a state of war appears to have disappeared well before 1982.“ Abrufbar unter: https://www.jong bloedonline.nl/zoeken/public/uitspraak.php?uitspraakID=6953&ljn=AA8427 (letzter Besuch 1. August 2008). 456 Gerechtshof Te Amsterdam, R 97/163/12 Sv en R 97/176/12 Rn. „5.2 Het hof schaart zich eveneens achter het oordeel van de deskundige [Anm. gemeint sind die Ausführungen Dugards]: • dat foltering als misdrijf tegen de menselijkheid reeds in 1982 een misdrijf was volgens internationaal gewoonterecht en dat de dader daarvan persoonlijk strafrechtelijk aansprakelijk kan worden gesteld; • dat het in 1982 waarschijnlijk niet (meer) zo was dat een misdrijf tegen de menselijkheid alleen in tijd van oorlog of tijdens een gewapend conflict kon worden begaan, maar ook in tijd van vrede; • dat misdrijven tegen de menselijkheid niet verjaren; • dat een staat volgens het internationaal gewoonterecht naar de stand van 1982 bevoegd was extraterritoriale (universele) rechtsmacht uit te oefenen ten opzichte van een niet-onderdaan die verdacht werd van een misdrijf tegen de menselijkheid“ (eigene Hervorhebung). Abrufbar unter: http://www.wihl.nl/finals/Netherlands/NL.C-DO.Bouterse.20112000.pdf (letzter Besuch 16. März 2007). Siehe auch IHF Report, The Netherlands (2001), 233. 457 Dazu Legarre, 5 Chinese J Int’l L (2006), 723 ff.
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et al. gegen Estland die (kritikwürdige) Feststellung, schon im Jahr 1949 sei der nexus zu Kriegsverbrechen entbehrlich gewesen458. Gegen die Feststellung in Tadic´ hätte das IHT eine Äußerung des erste Präsidenten des ICTY, Antonio Cassese, in Betracht ziehen können, der davon ausgeht, dass „However, it [Anm. der ECHR] neglected to note that in 1949 those ,principles‘ still applied only to crimes against humanity committed in connection with or in execution of war crimes or crimes against peace. In other words, the indispensable link between those crimes and war had not yet been severed. It is only later, in the late 1960s, that a general rule gradually began to evolve, prohibiting crimes against humanity even when committed in time of peace.“459
Freilich bleibt in Anbetracht der Gesamtumstände, aus denen das Al-Dujail Urteil erwachsen ist, ein schaler Geschmack zurück. Können für die direkte Anwendung des Völker(straf)rechts trotz aller Streitigkeit in dieser Frage einschlägige Autoritäten angeführt werden, die das Ergebnis nachvollziehbar stützen – etwa die folgend besprochenen, auf Grundlage von Art. 6 (c) IMT Statut ergangenen französischen Urteile Barbie, Touvier und Papon, die Verurteilung Eichmanns mit Hilfe eines 1953 erlassenen nationalen israelischen Gesetzes für während des Dritten Reiches begangene Taten, oder die IMT- und IMTFE-Verfahren –, so erscheint es insbesondere bedenklich, dass die Verurteilung Husseins wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf eine Definition gestützt wurde, die seit 1998 als progressive Weiterentwicklung des Gesamttatbestandes gilt, die abgeurteilten Taten aber 1982 begangen wurden. Rechtsstaatlicher wäre es für den vorliegenden Fall gewesen, sich an eine anerkannte Gesamttatbestandsvariante anzulehnen, die stärker im Einklang mit traditionellen Definitionen geständen hätte. Dem IHT selbst kann man diesbezüglich eigentlich keinen Vorwurf machen, da es mit dem verabschiedeten Statut arbeiten musste. Das eigentliche Problem gründet sich vielmehr in der von den Rechtssetzern vorgesehenen sehr langen ratione temporis Kompetenz des Gerichts von 1968–2003, die geradezu den Vorwurf herausfordert, im Falle einer progressiven Definitionskodifizierung über den gesamten Zeitraum die Verurteilung des Beschuldigten auf eine Rechtsgrundlage zu gründen, die nicht mit dem allgemeinen Rechtsempfinden zum Begehungszeitpunkt übereinstimmt. Unstrittigerweise existieren im Völkerstrafrecht in generalis, und bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Speziellen, im Jahr 1945 durch die Aburteilung der Nazihauptverbrecher durch das IMT, der Errichtung des ICTY und ICTR in den Jahren 1993/1994, sowie durch Verabschiedung und Inkraftsetzung des ICC Statuts in den Jahren 1998/2002, erhebliche völkerstrafrechtlich gerechtfertigte Weiterentwicklungen. Wendet ein Gericht, wie es das IHT getan hat, entwicklungs458 459
(Berechtigterweise) kritisch dazu Cassese, 4 JInt’l Crim. Just. (2006), 410 (413). Cassese, 4 JInt’l Crim. Just. (2006), 410 (413) (eigene Hervorhebung).
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übergreifend moderne Rechtsdefinitionen auf Fälle an, in denen diese (noch) nicht existent waren, so muss es insbesondere von Kritikern aus dem zivilistischen Rechtskreis mit dem Einwand leben, ex post facto verletzt zu haben. Derartige Schwierigkeiten waren unnötig und hätten vermieden werden können, wenn die Rechtssetzer des IHT Statuts eine Tatbestandsdefinition gewählt hätten, die über den gesamten Zeitraum unstrittige Gültigkeit hätte beanspruchen können. Selbst wenn die „Progressivität“ des ICC Statuts hätte gestärkt werden sollen, so wäre es klüger gewesen, eine jeweilige Version des Gesamttatbestandes mit Kopplung an eine zeitliche Anwendungsregel in das IHT Statut aufzunehmen; beispielsweise etwa bei begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zeitraum 1968–1993 an die in Art. II CCL No. 10 enthaltene Definition; für Taten im Zeitraum 1993–1998 an die Definition aus Art. 5 ICTY Statut, Art. 3 ICTR Statut, oder eine Mischung aus beiden; und beschränkt für 1998–2003 an die in Art. 12 IHT Statut enthaltene Definition. Dem Gericht wäre es durch diese klare Leitliniengebung (vermutlich) auch erspart geblieben, Gerichtsurteile des ICTY zu zitieren, oder Spezifizierungen aus dem ICC, respektive IST Elements of Crimes zu übernehmen, die zwar auf Art. 12 IHT in abstracto anwendbar sind, auf den konkret zu entscheidenden Fall aber mangels Vergleichbarkeit mit der Rechtshistorie, wie sie sich 1982 darstellte, nur schwerlich passen.
G. Nationalstaatliche Bestimmungen und Verfahren (1954–2006) Neben der Etablierung von internationa(isiert)en Tribunalen und nationalen Spezialkammern, sowie Sondergerichten hat es nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges eine nicht unerhebliche Anzahl an nationalstaatlichen Prozessen gegeben, in denen Beschuldigte wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt wurden. Nach dem Ende des Nürnberger Tribunals belief sich die Zahl der durch die Alliierten durchgeführten Verfahren gegen Nazi Verbrecher auf 50.000–60.000, bei denen für 806 Beschuldigte das Todesurteil verhängt wurde; 486 wurden vollstreckt460. Jedoch sind auch außerhalb der Besatzungszone nach Kriegende vermehrt nationalstaatliche Urteile ergangen. So wurden inter alia in Italien461, 460 Weinschenk, 10 Int’l Lawer (1976), 515 (517); Woetzel, The Nuremberg Trials, 245; Bassiouni in Bassiouni, International Criminal Law I, 521 (584). 461 Vgl. den Erich Priebke und Karl Haas Fall, Cassazione Penale, Anno XXXVII, No. 1 v. 1. Januar 1997 sowie den Herbert Kappler Fall. Beide Fälle beinhalten die Verbrechensbegehung von Soldaten an Zivilisten. Im Priebke und Hass Fall wurde indes wegen Kriegsverbrechen angeklagt, vgl. Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law I, 521 (585, Fn. 316).
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England462, Österreich463 und Deutschland Kriegsverbrecher durch nationale Gerichte abgeurteilt. Erwähnt sei zudem das im Jahre 1959 in Cuba in Anlehnung an den Andersonville Fall464 vor einem „Revolutionstribunal“ durchgeführte Verfahren gegen Beamte des Fulgencio Batista Regimes. Die dortige Anklage beschränkte sich jedoch im Gegensatz zu Andersonville nicht auf Kriegsverbrechen, sondern schloss Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit ein465. In der Gesamtabwägung zwischen verübter Verbrechen und Aburteilungspraxis blieben die Staaten indes eher zurückhaltend. So wurden die Vorfälle in Hiroshima und Nagasaki, bei der aufgrund der Atombombenabwürfe geschätzte 225.000 unschuldige Menschen den Tod fanden466 wegen juristischen Formalien nicht abgeurteilt467. Auch die von Mao oder Stalin verübten Verbrechen an der Zivilbevölkerung haben keine völkerstrafrechtliche Berücksichtigung gefunden468. Die bedeutendsten Fälle, die sich mit dem Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit beschäftigen sind wohl dem ungeachtet die Verfahren Eichmann469 (Israel), Barbie, Touvier, Papon, Aussaresses470 (Frankreich), Polyukhovic471 (Australien), Finta, Mugesera (Kanada)472, Menten473, Bouterse474 (Niederlande) und Scilingo475 (Spanien). 462 Im Fall Serafinowicz wurde der Angeklagte wegen Kriegsverbrechen angeklagt, jedoch aufgrund seines Gesundheitszustandes für nicht verhandlungsfähig erklärt. 463 Bezüglich der Aburteilungspraxis in Österreich wird angenommen, dass 137.000 Fälle untersucht wurden; daraufhin wurden 28.000 Anklagen erfasst. Daraus resultierten 13.600 Verurteilungen; vgl. Keine „Abrechnung“ NS-Verbrechen, Justiz und Gesellschaft in Europa nach 1945. 464 Henry Wirz, Kommandant eines Gefangenenlagers für Konföderierte während des amerikanischen Bürgerkrieges, wurde von einem Militärgerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika wegen Verletzung des Artikels 59 der „Instructions for the Government of Armies of the United States in the Field“ („Liber Code“) vom 24. April 1863 wegen Misshandlung an Kriegsgefangenen zum Tode verurteilt; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, 35; Bauer, Die Kriegsverbrecher vor Gericht, 39. 465 Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, 247. 466 29 The New Encyclopedia Britannica (1990), 1022. 467 Shimoda v. The State, 355 Hanrel Jiho (Entscheidung v. 7. Dezember 1963); vgl. weiter Falk, 59 AJIL (1965) 759 ff. 468 Vgl. z. B. die Säuberungsaktionen Stalins in den 1930er Jahren (Conquest, The Great Terror: Stalin’s Purge of the Thirties, 529). Weitere unberücksichtigte Massenverbrechen sind etwa die veranlasste Hungersnot in der Ukraine (Dolot, Execution by Hunger: The Hidden Holocaust), der Bürgerkrieg in Nigeria in den 1960er Jahren, der Millionen von Todesopfern forderte (Stremlau, The International Politics of the Nigerian Civil War 1967–1970), oder die Vorkommnisse bezüglich der Etablierung des freien Staates von Bangladesh (MacDermot, 7 Int’l Law. (1973), 476 ff.); vgl. weiter Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law I, 521 (587). 469 Siehe unten G. II. 470 Siehe unten G. IV. 471 Polyukhovic v. Commonwealth, 172 CLR (1991), 501 ff. 472 Siehe unten G. III.
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit
I. Deutsche Verfahren Die deutschen Gerichte befassten sich nach Kriegsende zunehmend mit Fällen, deren Inhalt die Aburteilung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit war. Bis zum 31. Mai 1961 wurden von westdeutschen Gerichten476 12.175 Täter wegen Kriegsverbrechen verurteilt; davon 68 zu lebenslänglicher und 5.178 zu zeitiger Freiheitsstrafe. Die restlichen Verfahren endeten in Freispruch oder Einstellung477. Dabei wendeten die westdeutschen Gerichte unter Zuhilfenahme der innerstaatlichen Strafrechtsnormen nationales Recht an; insbesondere das StGB, das in weiten Teilen dem RStGB von 1871 entsprach, und das CCL No. 10478. Einer der wichtigsten Fälle war der des Generals der Waffen S.S. Ferdinand 473
Public Prosecutor v. Menten, 75 ILR (1981) 362 ff. Siehe oben F.7.(b) und Boutersee, Entscheidung v. 20. November 2000, dazu Schimmelpenninck van der Oije/Freeland, 20 AJHR (2001), 89 ff.; dies., 14 LJIL (2001), 455 ff. 475 Scilingo Fall, Sentencia por crímenses contra la humanidad en el caso Adolfo Scilingo, Sentencia Num. 16/2005; dazu auch Gil Gil, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 1082 ff. 476 Ausführlich zu den deutschen Kriegsverbrecherprozessen vgl. die 22-bändige Sammlung „Justiz und NS-Verbrechen“, herausgegeben von Rüter-Ehlermann/Rüter; s. a. Ruckerl, The Investigation of Nazi Crimes; De Zayas, The Wehrmacht War Crimes Bureau. 477 Bekanntmachung des Westdeutschen Justizministers in: New York Times, 23. Dezember, 1961. 478 Kinder, Bundesarchiv „Im KRG Nr. 10, Art. III, Ziff. 1d) wurde für die Besatzungsbehörden die Möglichkeit vorgesehen, deutsche Gerichte für die Aburteilung von Verbrechen, die deutsche Staatsbürger oder Staatsangehörige gegen andere deutsche Staatsbürger oder Staatsangehörige oder gegen Staatenlose begangen haben, zuständig zu machen. Die Besatzungsmächte haben von dieser Ermächtigung in unterschiedlicher Weise Gebrauch gemacht. In der Amerikanischen Zone wurden Ermächtigungen jeweils im Einzelfalle erteilt. Deutschen Gerichten in der Britischen Zone wurde die Ermächtigung zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß KRG Nr. 10, Art. II, Ziff. 1c), durch die Verordnung Nr. 47 der Militärregierung vom 30. Aug. 1946 [Amtsblatt der Militärregierung Deutschland, Britisches Kontrollgebiet, Nr. 13, 306] allgemein erteilt. In der Französischen Zone wurde diese Ermächtigung erst mit der Verfügung Nr. 154 der Militärregierung vom 1. Juni 1950 [Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission, 443] ausgesprochen. Die allgemeinen Ermächtigungen wurden durch Verordnung Nr. 234 der britischen Militärregierung vom 31. Aug. 1951 [Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission, 1138] und Verordnung Nr. 171 der französischen Militärregierung vom 31. Aug. 1951 [Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission, 1137] wieder aufgehoben. Eine Verurteilung nach KRG Nr. 10 durch Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland war nun nicht mehr möglich. Das Gesetz selbst wurde formell erst aufgehoben durch § 2 des Ersten Gesetzes zur Aufhebung des Besatzungsrechts vom 30. Mai 1956 [BGBl. I. 437]. In den Fällen, in denen die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben war, wurden bereits ab 1945 von deutschen Gerichten Verfahren wegen nationalsozialistischer Straftaten durchgeführt. Soweit – wegen fehlender Tatbestände bzw. Ermächtigung – das KRG Nr. 10 nicht angewendet werden konnte, wurde allein nach deutschem allgemeinem Strafrecht entschieden. Einzelne Länder (Bayern, Bremen, Hessen und Württemberg-Baden) erließen in den Jahren 1946/47 inhaltlich übereinstimmende Gesetze über die Verfolgung nationalsozialisti474
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Schoerner, dem vorgehalten wurde, deutsches Armeepersonal grausam und unmenschlich behandelt zu haben479. Aufgrund der schwachen Beweislage war das Urteil verhältnismäßig milde. Trotz juristischer Mängel waren die deutschen Prozesse ein wertvoller Teil der Wiederaufarbeitung, weil sie aufgrund der Tatsache, dass deutsches Recht angewandt wurde und deutsche Gerichte die Prozesshoheit hatten, in der Bevölkerung weit reichende Akzeptanz hervorriefen. In der Ausländischen Fachliteratur werden sie als „well balanced results“ gewertet480.
II. Israel und der Fall Eichmann Zwar wurden in Israel schon in den fünfziger Jahren Verfahren gegen Nazi Verbrecher durchgeführt, die den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit zum Gegenstand hatten481, das bekannteste Verfahren bleibt jedoch das gegen Adolf Eichmann, welches am 11. April 1961 vor dem District Court von Jerusalem eröffnet wurde482. Eichmann war als Leiter des Referates B4 im Reichssicherheitshauptamt insbesondere mit der Ausführung der „Endlösung“ betraut worden und fungierte in dieser Funktion als enger Ansprechpartner und oberstes Ausführungsorgan Hitlers bei der Errichtung von Konzentrationslagern sowie der Liquidation der Inhaftierten483. Auf die völkerrechtlichen Probleme, die sich im Zusammenhang mit der unrechtmäßigen Festnahme Eichmanns durch Agenten des Israelischen Geheimdienstes in Argentinien ergeben, sowie der daraus resultierenden Anscher Straftaten.“ Kritisch zur Anwendung des CCL No. 10 im deutschen Rechtskreis, Feldmann, Das Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 479 Vgl. Aschenauer, Der Fall Schoerner: eine Klarstellung. 480 Prichard in: Lee, World War II in Asia and the Pacific and the War’s Aftermath, with General Themes, 454 (466). 481 District Court Tel Aviv, Urteil v. 14. Dezember 1951, Attorney General of the Government of Israel v. Tarnek, 18 ILR (1951), 539 f.; District Court Tel Aviv, Urteil v. 23. März 1953, Attorney General of the Government of Israel v. Honigman, 18 ILR (1951), 542 f.; District Court Tel Aviv, Urteil v. 4. Januar 1952, Attorney General of the Government of Israel v. Enigster, 18 ILR (1951), 540 f. 482 Attorney General of the Government of Israel v. Eichmann, District Court of Jerusalem, Urteil v. 12. Dezember 1961, 36 ILR (1968), 5 ff. 483 Nach Ansicht des Gerichts hatte Eichmann schon seit dem 21. September 1939 Kenntnis von den Deportationsplänen. Eichmanns Kenntnis von der Endlösung, sowie den Absichten des NS Regimes zur völligen Ausrottung der jüdischen Bevölkerung lässt sich inter alia auf der Tatsache stützen, dass er Teilnehmer der Berliner Wannsee Konferenz im Jahr 1942 war, bei der die „Endlösung“ diskutiert wurde. Bezüglich des Ausmaßes der Tatbegehung stellt das Gericht fest, dass er als Kopf der „Eichmann Special Action Group“ in Budapest allein im Jahr 1944 für die Liquidation und Deportation von einer halben Million ungarischer Juden verantwortlich war; vgl. Attorney General of the Government of Israel v. Eichmann, District Court of Jerusalem, Urteil v. 12. Dezember 1961, 36 ILR (1968), 5 (8, 244 f.).
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zweiflung der Jurisdiktionsbefugnis des Gerichtes (ex injuria ius non oritur)484 soll vorliegend nicht eingegangen werden. Stattdessen wird sich mit den Aussagen des Gerichtes auseinandergesetzt, die den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit betreffen. Definitionsgrundlage war Section 1 (a) und (b) im Nazi and Nazi Collaborators (Punishment) Law, 5710/1950485. Danach sollten folgende Handlungen „done, during the period of the Nazi régime, in an enemy country“ verbrechenstauglich sein: „Section 1(b) Crimes against humanity means any of the following acts: murder, extermination, enslavement, starvation, or deportation and other inhumane acts, committed against any civilian population, and persecution on national, racial, religious or political grounds.“
Auffällig ist zunächst, dass bezüglich des Nexuserfordernisses dem CCL No. 10 gefolgt wurde, sodass eine Tatverbindung mit Kriegsverbrechen nicht erforderlich war. Bezüglich der enumerierten Tatbestandsalternativen hält Sec. 1 (b) eine abgeänderte Aufzählung parat. So enthält das Gesetz im Gegensatz zum IMT Statut zum einen das Verbrechen „starvation“, zum anderen wurde die erweiterte Fassung des CCL No. 10, welches Freiheitsberaubung, Folter und Vergewaltigung als verbrechenstauglich im Sinne des Verbrechens gegen die Menschlichkeit einstufte, nicht übernommen. Dass der Verfolgungstatbestand entgegen den anderen Definitionen nicht als Plural definiert wurde, scheint keine Auswirkungen zu haben. Eichmann wurde unter den Anklagepunkten 5–7, sowie 9–12 vorgeworfen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Dabei hatte das Gericht durch die vorgebrachten Einwände, ex post Gesetzgebung anzuwenden sowie Siegerjustiz486 zu betreiben, mit Problemen zu kämpfen, die bereits das IMT und IMTFE beschäftigten. Allerdings war der Hintergrund des ex post facto Vorwurfes ein anderer487. Divergent war auch, dass es sich bei dem Nazi and Nazi Collaborators (Punishment) Law um ein Gesetz handelte, welches nationales und nicht internationales Recht festschrieb488. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Obersten Israelischen Gerichtshofes in Attorney General of the Government of Israel v. Sylvester489, welches 484 Dazu Schwarzenberger, International Law and Order, 237 ff.; sowie Ex parte Elliot 1 All E.R. (1949) 373; Ker v. Illinois, 119 U.S. (1886) 436; Frisbie v. Collins, 342 U.S. (1952) 519. 485 Nazi and Nazi Collaborators (Punishment) Law, Law of August 1, 5710-1950 (1950), 7 Laws of the State of Israel No. 67 (1953), 154. Das Gesetz galt ex tunc für begangene Taten im Zeitraum 1933–1945. 486 N.B., 38 International Affairs (1962), 86 f.; Felman, 27 Crit. Inq. 2 (2002), 201 (209, 211 f.). 487 Problematisch war vor allem, ob das zugrunde liegende Gesetz deswegen ex post facto verletzte, weil zum Zeitpunkt der Tatbegehung weder das Gesetz noch Israel als Staat selbst existierten. 488 Woetzel, The Nuremberg Trials, 251.
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sich mit der ex post Frage schon zuvor beschäftigt hatte und, vergleichbar mit der Argumentation des Nürnberger Tribunals, den Einwand abwies, weil der Täter wusste, dass eine Tat eines solchen Ausmaßes ein Verbrechen sein muss und folglich summum ius summa injuria war, kamen sowohl der District Court als auch die Berufungskammer im Eichmann Fall zu dem Ergebnis, dass derartige Bedenken unbegründet sind490 und in Einklang mit internationalen Recht stehen491. Auch wurde sich der Ansicht angeschlossen, dass die Maxime nullum crimen sine lege als Gerechtigkeitsprinzip auszulegen sei und damit den Beschuldigten hier nicht helfen könne492. Für die Auslegung des Tatbestandes selbst sind der Verweis auf Altstoetter bezüglich des (nunmehr in Art. 7 ICC Statut enthaltenen) Politik-Elementes 493, die Bewertung bezüglich der in Flick494, Krauch495, Ohlendorf 496 und Altstoetter497 erörterten Frage, ob zur Tatbegehung ein nexus zu Kriegsverbrechen erforderlich war498, sowie die Feststellung, dass im Gegensatz zum Völkermord das Verbrechen gegen die Menschlichkeit keine besondere Absicht verlangt499, relevant.
III. Kanada 1. Der Fall Finta Im Jahre 1984 wurde angenommen, dass sich in Kanada zwischen 100 und 1000 NS Kriegsverbrecher aus den ehemaligen Ostblock-Ländern befänden500. 489 Attorney General of the Government of Israel v. Sylvester, Criminal Appeal I/48, I Pesakim, 513, 528, in dem sich das Gericht auf Phillips v. Eyre, L.R. 6 Q.B. I (1871) 25 beruft. 490 Attorney General of the Government of Israel v. Eichmann, District Court of Jerusalem, Urteil v. 12. Dezember 1961, ILR 36 (1968), 5 (12 f.). 491 Ibid., 5 (25). 492 Ibid., 5 (42). 493 Ibid., 5 (46); siehe dazu umfassend Kapitel 4 B.II.3. 494 U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 22. Dezember 1947 (Flick), Trials of War Criminals, Bd. 6, 1187–1223. 495 U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 29. Juli 1948 (Krauch – I.G. Farben Fall), Trials of War Criminals, Bd. 8, S. 1081–1210. 496 U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 10. April 1948 (Ohlendorf – Einsatzgruppen Fall), Trials of War Criminals, Bd. 4, 411–589. 497 U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 4. Dezember 1947 (Altstoetter – Juristen Urteil), Trials of War Criminals, Bd. 3, 954–1201. 498 Attorney General of the Government of Israel v. Eichmann, District Court of Jerusalem, Urteil v. 12. Dezember 1961, ILR 36 (1968), 5 (49). 499 Attorney General of the Government of Israel v. Eichmann, District Court of Jerusalem, Urteil v. 12. Dezember 1961, ILR 36 (1968), 5 (41). 500 Wagner, 4 Windsor YB of Acess to Justice (1984), 143 (143 f.).
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Die Aburteilung gestaltete sich als schwierig. Zum einen herrschte die Ansicht vor, das kanadische Recht kenne zum Zeitpunkt der Begehungshandlung den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit nicht und insoweit stehe eine Bestrafung dem ex post facto Grundsatz entgegen. Zum anderen stellten sich praktische Umsetzungsprobleme, da zur damaligen Zeit nur eine sehr beschränkte Auslieferungspraxis vorherrschte501. Im Jahre 1987 entschloss sich die kanadische Legislative daraufhin, im Strafgesetzbuch durch Einführung der Section 7 (3.71) den nationalen Gerichten eine Jurisdiktionsbefugnis für außerhalb Kanadas verübte Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzuräumen. Voraussetzung war, dass entweder erstens der Täter selbst Kanadier ist, zweitens der Täter in einer kanadischen oder gegnerischen zivilen oder militärischen Einrichtung angestellt ist oder war, oder drittens das Opfer kanadisch ist, oder einem Staat angehört, der im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes mit Kanada alliiert ist oder war. Durch den in Sec. 7 (3.71) kodifizierten nexus konnten folglich Taten, die außerhalb des Territorialbereichs Kanadas begangen wurden, als „in Kanada begangene Taten“ gewertet werden502. Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit selbst war in Section 7 (3.76) definiert; es wird auf die folgende Fußnote verwiesen503. Das Verfahren gegen Imre Finta wurde im Jahr 1989 eröffnet. Als Leiter des Konzentrationslagers in Szeged, Ungarn, wurde ihm zur Last gelegt, durch Inhaftierung ungarischer Juden und der Leitung von Abtransporten nach Auschwitz und Strasshof Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben504. Da Finta als ungarischer Staatsangehöriger Taten gegen Ungarn begangen hatte, ergab sich die Jurisdiktionsbefugnis der kanadischen Gerichte aus der Tatsache, 501 Den Auslieferungsbegehren von Ostblockländern wurde nicht entsprochen, weil man befürchtete, die Beschuldigten könnten kein faires Verfahren erhalten. Westdeutschland, das auch zur Auslieferung berechtigt gewesen wäre, zeigte sich bei der Aburteilung von nichtdeutschen NS Verbrechern jedoch sehr zurückhaltend. So kam es nur zu einem einzigen Auslieferungsverfahren; Re R. and Federal Republic of Germany and Rauca 41 O.R. (2d) (1983) 255. 502 Sog. „Made in Canada War Crimes Law“; vgl. Cotler, 90 AJIL (1996), 460; Lippman, 17 B.C. Third World L.J. (1997), 171 (245). 503 Subsec. 7(3.76) des Criminal Code lautet: „For the purpose of this section [. . .] crime against humanity means murder, extermination, enslavement, deportation, persecution or any other inhumane act of omission that is committed against any civilian population or any identifiable group of persons, whether or not it constitutes a contravention of the law in force at the time and in the place of its commission, and that, at the time and in that place, constitutes a contravention of customary international law or conventional international law or is criminal according to the general principles of law recognised by the community of nations“. Siehe auch subsec. 7(3.77) „In the definitions ,crime against humanity‘ and ,war crime‘ in subsection (3.76), ,act or omission‘ includes, for greater certainty, attempting or conspiring to commit, counselling any person to commit, aiding or abetting any person in the commission of, or being an accessory after the fact in relation to, an act or omission.“ 504 Matas, 43 U.B.L.J. (1994), 281.
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dass er als Hauptmann in der ungarischen Gendarmerie angestellt war, die wiederum unter dem Befehl des (feindlichen) deutschen Sicherheitsdienstes stand. In einem umstrittenen Geschworenenprozess wurde Finta in allen Anklagepunkten freigesprochen505. Die daraufhin von der Staatsanwaltschaft eingelegte Berufung zum Ontario Court of Appeal wurde mit einem Quorum von 3-2 als unbegründet zurückgewiesen506. Die Revision zum Supreme Court of Canada scheiterte mit 4-3 Stimmen507. Spätere Wiederanhörungsanträge im Juni 1994508 und Dezember 1994509 wurden abgewiesen. Auch auf eine Petition der League for Human Rights of B’nai Brith Canada, die der Inter-American Commission of Human Rights vorgelegt wurde, um eine Klärung herbeizuführen, ob die Entscheidung in Finta gegen die American Declaration of Human Rights and Duties of Man verstößt510, reagierte der Supreme Court nicht. Der Finta Fall war für die Tatbestandsdefinierung des Verbrechens gegen die Menschlichkeit lange Zeit von großer Bedeutung und wurde von anderen Gerichten regelmäßig zitiert511. Die in Finta zum Gesamttatbestand getätigten Aussagen sind indes nicht unproblematisch; sie entsprechen nicht mehr der heutigen Rechtslage. So erkannte das Gericht zwar an, dass „crimes against humanity were recognized as an offence at international law, or criminal according to the general principals of law recognized by the community of nations“512. Jedoch legte es die Schwelle der actus reus sowie mens rea Voraussetzungen sehr hoch, was zum einen zum Freispruch von Imre Finta513, zum anderen zu zunehmender Kritik am Urteil führte514. Bezüglich der actus reus Voraussetzungen hob das Gericht hervor, aufgrund des raison d’être des Gesamttatbestandes müsse nachgewiesen werden, dass die Tat so schwerwiegend sei, dass sie das Bewusstsein aller billig und gerecht Denkenden schockiere515. Notwendig sei 505 Regina v. Finta, 69 O.R. 2d (1989) 557; zu den Punkten „stacked jury“ und „improper statements“ im Finta Fall vgl. Matas, 43 U.N.B.L.J. (1994), 281 (282 ff.). 506 Regina v. Finta, 73 Can. Crim. Cas. 3d (Ont. C.A. 1992) 65. 507 Regina v. Finta, 1 R.C.S. (1994) 701. Vgl. insbesondere die Dissenting Opinion der Richter LaForrest, L’Heureux und Mc Lachlin, 724 ff. 508 1994 S.C.B. 1074. 509 1994 S.C.B. 1963. 510 Declaration of the Ninth International Conference of American States, May 2, 1948, 6 Ninth Conference of American States, Acts and Documents (1953), 289. 511 Statt vieler Prosecutor v. Tadic ´, IT-94-1 (7. Mai 1997), Abs. 657. 512 Cotler, 90 AJIL (1996), 460 (465, 467). 513 Im Zivilprozess Citron v. Finta wurde Finta jedoch zur Zahlung von $ 30.000 wegen „Verleumdung“ verurteilt, weil er Sabina Citron, eine Überlebende des Holocausts, die ihn öffentlich beschuldigte, Kriegsverbrechen begangen zu haben, als Lügnerin titulierte. Im Verfahren selbst widersprach Finta der Aussage Citrons nicht. Vgl. Matas, 43 U.N.B.L.J. (1994), 181. 514 Vgl. statt vieler Cotler, 90 AJIL (1996), 460 ff. 515 Regina v. Finta, 1 S.C.R. (1994), 701(812) „An integral part of the crime and an essential element of the offence is that it constitutes a crime against humanity. In
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daher der Nachweis eines zusätzlichen Grades an Grausamkeit bei Begehung der Tat. Was die erforderliche mens rea betrifft, kam das Gericht zu dem Schluss, dass es nicht ausreichend sei, nachzuweisen, dass der Beschuldigte von der Unmenschlichkeit seiner Tat wusste. Vielmehr muss der Täter von allen faktischen Umständen, welche die Einzeltat zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit herauf heben, Kenntnis erlangt, oder sich der Bewusstwerdung dieser Kenntnis willentlich entzogen haben516. Vom Gericht wurde das mit Hinweis auf R. v. Vaillancourt 517 damit begründet, dass „there are certain crimes where, because of the special nature of the available penalties or of the stigma attached to a conviction, the principles of fundamental justice require a mental blameworthiness or a mens rea reflecting the particular nature of that crime“518. Nicht notwendig soll hingegen gewesen sein, dass der Beschuldigte, weiß oder annimmt, seine Tat sei unmenschlich519. Schließlich wurde, obwohl dies nicht ausdrücklich in Section 7 (3.76) kodifiziert ist, die Begehung im Rahmen einer „state action or policy“ für notwendig erachtet520. Das Gericht berief sich diesbezüglich vornehmlich auf die Ausführungen des Rechtsexperten des Verfahrens, M. Cherif Bassiouni 521. Im Urteil wird an anderer Stelle dieses Politikerfordernis noch präzisiert. So sollte erforderlich sein, dass „cruel and terrible actions which are essential elements of the offence were undertaken in pursuance of a policy of discrimination or persecution of an identifiable group or race“522. Oder anders gewendet: Laut Finta soll die Begehung im Rahmen einer diskriminierenden Politik für alle enumerierten Verbrechenstatbestände gelten.
the mind of the public persons indicted for having committed crimes against humanity [. . .] stand charged with committing offenses so grave that they shock the conscience of all right thinking people.“ und ibid. (814) „War crimes, like crimes against humanity, shock the conscience of all right thinking people.“ 516 Regina v. Finta, 1 S.C.R. (1994), 701 (706). 517 R. v. Vaillancourt, 2 S.C.R. (1987), 636 (653). 518 Regina v. Finta, 1 S.C.R. (1994), 701 (815). 519 Regina v. Finta, 1 S.C.R. (1994), 701 (817 ff.). Das Gericht nimmt auch eine Definierung des Tatbestandsmerkmals „inhumane act“ vor. „The trial judge added to his comments that ,Inhumanity in this context means some kind of treatment that is unnecessarily harsh in the circumstances‘. [. . .] In my view this is an appropriate characterization which emphasizes for example robbery, without the additional component of barbarous cruelty is not a crime against humanity.“ Dagegen Dissenting Opinion LaForrest, L’Heureux und Mc Lachlin in Regina v. Finta, 1 S.C.R. (1994), 701 (757). 520 Regina v. Finta, 1 S.C.R. (1994), 701 (823). 521 Kritisch zur Rolle von M. Cherif Bassiouni, vgl. Regina v. Finta, 1 S.C.R. (1994), 701 (761), Dissenting Opinion LaForrest, L’Heureux und Mc Lachlin. 522 Regina v. Finta, 1 S.C.R. (1994), 701 (814).
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2. Der Fall Mugesera Gegen Ende der neunziger Jahre vollzog die kanadische Regierung eine Kehrtwende in der Kriegsverbrecherfrage und beschloss, die Täter effektiver zur Rechenschaft zu ziehen523. Im Jahr 1998 rief man das Modern War Crimes Program ins Leben, das u. a. diesbezügliche gesetzliche Regelungen erarbeiten sollte. Am 24. Juni 2000 wurde der Crimes against Humanity and War Crimes Act verabschiedet, der als weltweit erstes nationales Gesetz die Verpflichtungen des ICC implementierte524. Die Regelung in Sec. 7.31 des Kanadischen Strafgesetzbuches wurde durch Sec. 8 des Crimes against Humanity and War Crimes Acts ersetzt und der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit progressiv neu definiert; es sei auch hier auf die folgende Fußnote verwiesen525. Neben der aus Sec. 7.31 bekannten Voraussetzungstrias zur Jurisdiktionsbegründung bei Begehung der Tat außerhalb Kanadas526 ist zusätzlich mit Sec. 8 (b). i.V. m. Sec. 6(1) (b) eine Regelung geschaffen worden, die es den Gerichten gestattet, nach Begehung der Tat Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kanada abzuurteilen, wenn „after the time the offence is alleged to have been committed, the person is present in Canada“, und zwar anders als vorher, unabhängig von jeglichen Nationalitätsbeschränkungen. Die neuen Regelungen sind allerdings aufgrund von ex post facto Bedenken nicht im Auslieferungsverfahren Mugesera v. Canada zur Anwendung gekommen, welches am 28. Juni 2005 vom Supreme Court of Canada entschieden wurde527, da der relevante Zeitraum der Tatbegehung vor Inkrafttreten des Crimes against Humanity and War Crimes Act lag. Insoweit fand – wie auch bei Finta – bezüglich der Tatbestandsdefinition des Verbrechens gegen die Menschlichkeit Sec. 7(3.76) des kanadischen Strafgesetzbuchs Anwendung528. Mugesera und Finta sind folglich auf der gleichen Rechtsgrundlage entschieden. 523
Cotler, 90 AJIL (1996), 460 (461). Am 9. Juli 2000 ratifizierte Kanada zudem das ICC Statut. 525 Crimes against Humanity and War Crimes Act 2000, c. 24. „Sec. 4 (3) ,crime against humanity‘ means murder, extermination, enslavement, deportation, imprisonment, torture, sexual violence, persecution or any other inhumane act or omission that is committed against any civilian population or any identifiable group and that, at the time and in the place of its commission, constitutes a crime against humanity according to customary international law or conventional international law or by virtue of its being criminal according to the general principles of law recognized by the community of nations, whether or not it constitutes a contravention of the law in force at the time and in the place of its commission.“ 526 Nunmehr kodifiziert in Crimes against Humanity and War Crimes Act 2000, c. 24 Sec. 8 (a). 527 Mugesera v. Canada, 2 S.C.R. (2005), 100 ff.; s. a. Rikhof, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 1121 ff.; Schabas, 93 AJIL (1999), 529 ff. 528 Dazu Mugesera v. Canada, 2 S.C.R. (2005), Abs. 118. 524
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Hintergrund des Falles war eine von Léon Mugesera vor ca. 1000 Parteianhängern der MRND529 abgehaltene Hasspredigt aus dem Jahr 1992, in der er zur Vernichtung gegen die Tutsis aufrief und diese als „inyenzis“ (Kakerlaken) diffamierte530. Der Justizminister von Ruanda, Stanislas Mbonampeka, stellte daraufhin einen Haftbefehl wegen Anstiftung zum Hass aus. Mugesera floh nach Quebec, Kanada, wo ihm und seiner Familie auf Grund politischer Beziehungen eine permanente Aufenthaltserlaubnis ausgestellt wurde. Er unterrichtete fortan an der Université Laval. Im Jahre 1995 wurde der Minister des Staatsangehörigkeits- und Einwanderungsministeriums auf die Hintergründe des Falles aufmerksam und begann mit Auslieferungsanhörungen gegen Mugesera. Die Berufungskammer der Einwanderungs- und Flüchtlingskommission IAD entschied schließlich gegen Mugesera, und für die Rechtmäßigkeit der Ausweisung, weil sie inter alia den Vorwurf für erwiesen ansah, Mugesera habe Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen531. Die staatlichen Berufungsgerichte hoben die Entscheidung der Unterinstanz zum Teil532 auf533. Bezüglich des Vorwurfes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, kamen sie zum Ergebnis, dass Mugesera sich nicht der Anstiftung zum Mord als Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht hatte, weil keine Verbindung zwischen der Hasspredigt und den begangen Morden in Ruanda nachgewiesen werden konnte. Ein Aufruf zum Mord an sich könne zudem kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein534. Richter Décary, der den Großteil der Urteilsgründe des Berufungsgerichts formulierte, war schließlich der Ansicht, dass die Rede nicht prima facie als eine Handlung zu werten sei, die sich als Teil eines ausdehnten und systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellt535. 529 Die Mouvement révolutionnaire national pour le développement (MRND) gilt als Hutu Partei, die einen besonderes harten, politischen Kurs verfolgte, und mithauptverantwortlich für den Ruanda Völkermord ist. 530 Die Rede Mugeseras ist abgedruckt im Appendix III des Urteils. 531 Rechtliche Grundlage der Ausweisung war sec. 19(1)(j) des Immigration Acts. Sec. 19(1)(j) des Immigration Acts lautet: „19.(1) No person shall be granted admission who is a member of any of the following classes: [. . .] (j) persons who there are reasonable grounds to believe have committed an act or omission outside Canada that constituted a war crime or crime against humanity within the meaning of subsection 7(3.76) of the Criminal Code and that, if it had been committed in Canada, would have constituted an offence against the laws of Canada in force at the time of the act or omission.“ 532 Bestätigt wurden die Anklagepunkte A (Anstiftung zum Mord) und B (Anstiftung zum Genozid und Hass), nicht jedoch Anklagepunkt C (Verbrechen gegen die Menschlichkeit) und D (falsche Darstellung von Tatsachen). 533 Federal Court – Trial Division (FCTD), 205 F.T.R. 29, 2001 FCT 460; Federal Court of Appeal (FCA), 1 F.C.R. 3, 2003 FCA 325 (2004) und 325 N.R. 134, 2004 FCA 157. Interessanterweise beriefen sich das FCTD und das FCA praktisch auf dieselben Rechtsquellen, die auch vom IAD angeführt wurden. 534 Mugesera v. Canada, 2 S.C.R. (2005) Abs. 150.
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Der Supreme Court of Canada bestätigte zwar die Nichtverurteilung wegen Mordes als Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Zugrundelegung der ICTY und ICTR Rechtsprechung, bejahte jedoch unter Heranziehung von Tadic536 und Kupreskic537 eine Verurteilung wegen Verfolgung. Demnach könne eine Hasspredigt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein, wenn die verwendete Sprache extrem gewalttätig ist. Der in Finta aufgestellten mens rea Voraussetzung, die Begehung müsse immer im Rahmen einer diskriminierenden Absicht und in Ausübung einer staatlichen Politik verübt werden, wurde unter Berufung auf Akayesu widersprochen, sodass eine diskriminierende Absicht – im Einklang mit der gefestigten Rechtsauffassung der internationalen Gemeinschaft in dieser Frage – nunmehr nur noch beim Verfolgungstatbestand nachzuweisen ist538. Auch muss die Handlung – entgegen Finta – nicht mehr ausschließlich im Rahmen einer staatlichen Politik verübt werden. Bestätigt wurde hingegen Finta im Einklang mit Tadic´ insoweit, als dass sich die allgemeinen mens rea Voraussetzungen auf alle Tatbestandsmerkmale (und nicht nur auf den enumerierten Akt) beziehen müssen539, wenngleich freilich der nachweisbare Vorsatzgrad geringer ist. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des ICTY und ICTR540 kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Finta Rechtsprechung, die als actus reus Erfordernis eine besonders grausamen Handlung für notwendig erachtete, die das Bewusstsein aller billig und gerecht Denkenden schockiere, nicht in Einklang mit Völkergewohnheitsstrafrecht stehe und daher zu verwerfen sei541. 3. Bewertung der kanadischen Rechtsprechung Als Resümee lässt sich festhalten, dass die Entscheidung in Mugesera äußerst begrüßenswert ist und einen großen Einfluss auf die Rechtsprechung der internationalen Gerichte zeichnen wird. Sehr positiv zu bewerten ist, dass das Gericht den Mut hatte, ihre eigens vorherig aufgestellte und viel beachtete Finta Rechtsprechung, welche nicht (mehr) im Einklang mit Völkergewohnheitsrecht stand, zurückzunehmen. Generell lässt der Supreme Court von Kanada erkennen, dass sich die Tatbestandsauslegung streng an anerkannten Völkerstrafrechtsgrundsätzen orientieren soll. Die Entscheidungen des ICTY und ICTR 535
Mugesera v. Canada, 2 S.C.R. (2005) Abs. 31. Prosecutor v. Tadic´ – IT-94-1 (7. Mai 1997), Abs. 697. 537 Prosecutor v. Kupreskic, IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 621. 538 Mugesera v. Canada, 2 S.C.R. (2005), Abs. 143 f. 539 Mugesera v. Canada, 2 S.C.R. (2005), Abs. 176. 540 Mugesera v. Canada, 2 S.C.R. (2005) Abs. 135. Das Gericht beruft sich insbesondere auf Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3-T (6. Dezember 1999), Abs. 38 und Prosecutor v. Kordic and Cerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 387. 541 Rikhof, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 1121 (1127). 536
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seien diesbezüglich zwar eo ipso nicht bindend für kanadische Gerichte. Den Feststellungen der Tribunale käme aber aufgrund der dort vorgenommenen fundierten Analyse der Rechtslage ein besonderes Gewicht an Autorität zu542. Insoweit wird der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit schulbuchmäßig unter Berücksichtigung der Entscheidungen der ad hoc Tribunale geprüft543. Durch Mugesera hat der kanadische Supreme Court einen ernsthaften (geglückten) Versuch unternommen, zur internationalen Rechtsvereinheitlichung des Gesamttatbestandes beizutragen. Im Gegensatz zur folgenden Besprechung der französischen Rechtsprechung wurde der Gesamttatbestand losgelöst von rein staatlichen Interessen an den internationalen Autoritäten des Völkerstrafrechts, namentlich der Rechtsprechung des ICTR und ICTY festgemacht.
IV. Frankreich 1. Der Fall Barbie Die französische Gerichtsbarkeit hatte sich erstmalig im Fall Barbie mit der Auslegung des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu beschäftigen544. Grundlage der Urteile waren die Taten Klaus Barbies während der deutschen Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg. Als Leiter der Abteilung IV der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in Lyon war er verantwortlich für das Aufspüren und die Beseitigung der Résistance. Klaus Barbie, der sich den Ruf des „Schlächters von Lyon“545 erwarb, soll in seiner Funktion für die Auslöschung von mehr als 4.000 Menschen verantwortlich gewesen sein546. Im Jahr 1952 wurde er von einem Militärtribunal in Lyon wegen 542
Mugesera v. Canada, 2. S.C.R. (2005) Abs. 126. Mugesera v. Canada, 2 S.C.R. (2005) Abs. 151 ff. 544 France v. Klaus Barbie, Entscheidung v. 6. Oktober 1983, Cass. crim., 1984 D.S. Jur. 113 G.P. Nos. 352–54, 710 (18.–20. Dez.), 1983 J.C.P. II G, Nr. 20, 107, J.D.I. 779 (1983), in: 78 ILR (1988), 126 ff. [hiernach Barbie I]; Entscheidung v. 26. Januar 1984, Cass. crim., 1984 J.C.P. II G, Nr. 20, 197 (Note Ruzie), J.D.I. 308 (1984), in: 78 ILR (1988), 126 ff. [hiernach Barbie II]; Urteil v. 20. Dezember 1985, Cass. crim., 1986 J.C.P. II G, Nr. 20, 655, J.D.I. 146 f. (1986), in: 78 ILR (1988), 127 ff. [hiernach Barbie III]; Abweisung der Beschwerde Barbies vom Cour de Cassation, Urteil v. 3. Juni 1988, in: 100 ILR (1995), 330 ff. [hiernach Barbie IV] Französische Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden auch gegen Jean Leguay und René Bousquet eröffnet. Leguay starb kurz nach Verfahrenseinreichung. Bousquet wurde am 8. Juni 1993 vor Anklageerhebung ermordet. 545 Die Betitelung ergab sich aus Barbies nachgesagter Verhörpraxis, Mitglieder der Résistance und Juden zu foltern, um Hintergrundinformationen zu erlangen; Viout, 3 Hofstra L.&Pol’y Symp. (1999), 155 (156); Kaplan, 19 Crit. Inq. 1 (1992), 70 (75); Binder, 98 Yale L.J. (1988–89), 1321 (1325); Tigar/Casey/Giordani/Mardemootoo, 30 Tex. Int’l L. J. (1995), 285 (289). 546 Binder, 98 Yale L.J. (1988), 1321 (1325). 543
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Mordes, Konspiration zum Mord und Freiheitsberaubung, sowie 1954 in einem weiterem Verfahren wegen vergleichbarer Vergehen in einem anderen Distrikt verurteilt; allerdings in absentia, weil Barbie sich zuvor nach Bolivien flüchten konnte547. Aufgrund einer französischen Strafgesetzregelung verjährten diese Urteile nach 20 Jahren, weswegen eine erneute Bestrafung aufgrund dieser Vergehen gegen das nationale ne bis in indem Gebot verstoßen hätte. Kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist wurde daher eine gesetzliche Regelung getroffen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf der Grundlage von Art. 6 (c) IMT Statut unter Strafe zu stellen und jegliche Verjährung auszuschließen548. Als die französischen Gerichte Klaus Barbie habhaft wurden,549 erhob Staatsanwalt Ross Anklage wegen begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ließ jedoch später alle Anklagepunkte bezüglich der Taten gegen die Widerstandskämpfer fallen. Das lag darin begründet, dass sich die Opfer Barbies in zwei Gruppen aufteilen ließen – zum einen Personen, die der jüdischen Gemeinschaft angehörten, zum anderen Mitglieder der Résistance – und fraglich war, ob beide Gruppen unter den Gesamttatbestand subsumierbar waren. Das Pariser Cour d’Appeal bestätigte das vorsichtige Vorgehen des Staatsanwaltes, und definierte Verbrechen gegen die Menschlichkeit als „the persecution extending to the extermination [. . .] of any non-combatant because of their race or their religious or political beliefs in application of a deliberate state controlled policy“550,
547 Zur Rolle des Amerikanischen C.I.C. und der „Rat Line“ bei der Flucht Barbies vgl. Doman, 60 U Colo L Rev. (1989), 449 (450 f.); Goldberg, 19 Harv. CR – CLL Rev. (1984), 1 ff.; Ryan, 20 Harv. CR-CLL Rev. (1985), 71 ff.; s. a. Binder, 98 Yale LJ (1988), 1321 (1326) „[The] American government in 1951 smuggled Barbie out of Germany to Bolivia“. 548 Appendix zum Strafgesetzbuch vom 26. Dezember 1964, Gesetzes Nr. 64-1326, „crimes against humanity, as defined by the Resolution of the United Nations of February 13, 1946, that took note of the definition of crimes against humanity as set forth in the Charter of the International Tribunal of August 8, 1945, are not subject to any statute of limitations by their nature“; s. a. Binder, 98 Yale L.J. (1988), 1321 (1333). 549 Bolivien lehnte bis zum 6. Februar 1986 die von Frankreich gestellten Auslieferungsanträge für Barbie ab, weil zwischen Frankreich und Bolivien kein Auslieferungsvertrag existierte. Ein am 3. November 1982 vom Untersuchungsrichter von Lyon erlassener internationaler Haftbefehl scheiterte an der Zustellung nach Bolivien aufgrund des Art. 3 des Statutes von Interpol, welches Rechtshilfe nur für den Fall vorsah, dass generelles, nationales Strafrecht gebrochen wurde. Die Ausweisung und Transferierung Barbies im Februar 1986 nach Cayenne hängt mit einem politischen Machtwechsel in Bolivien, sowie der französischen Inaussichtstellung von finanzieller Unterstützung zusammen. Bolivien begründete die Auslieferung nach Cayenne mit dem Argument, nur Frankreich sei gewillt gewesen, Barbie aufzunehmen; vgl. Voigt, 3 Hofstra L.&Pol’y Symp. (1999), 155 (161 ff.); Wexler, 32 Colum. J. Transnat’l L. (1994), 289 (333, Fn. 201). 550 Übersetzung in Binder, 98 Yale L.J. (1988), 1321 (1336); eigene Hervorhebung.
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wobei die Tat eine Motivation „of gratifying hatred“551 voraussetze. Hintergrund der ungewöhnlichen Definierung des Gesamttatbestandes waren (wohl) politisch motivierte Erwägungen. Denn aufgrund des tu quoque Einwands von Barbies Verteidiger Vergès, warum auf der einen Seite Barbie angeklagt würde, nicht jedoch die französischen Soldaten, die während der algerischen Revolution ebenfalls nachweislich Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hatten552, musste das Gericht eine passende Antwort finden. Die vom Gericht gewählte Lösung war zwar nicht vollends juristisch zufrieden stellend, entschärfte aber den Einwand, dass auch die französischen Soldaten angeklagt werden mussten. Denn nach Ansicht des Berufungsgerichtes war die brutale Niederschlagung der Revolution durch die französischen Soldaten ein Akt, der unter Zuhilfenahme illegaler Mittel den Zweck verfolgte, ein legales Ziel durchzusetzen. Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei darin nicht zu sehen, weil die französische Armee nicht von einer Motivation „of gratifying hatred“ getrieben gewesen sei. Im Gegenzug hat das Gericht den Anklagepunkt, dass Barbie Verbrechen gegen die Résistance verübt hätte, durch die gewählte Definition fallen gelassen. Durch die vom Gericht vorgenommene Definierung waren Handlungen gegen die Mitglieder der Résistance nicht unter den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit subsumierbar. Zum einen wurde die Résistance als Kampfeinheit bewertet und hatte damit Kombattantenstatus, zum anderen war nach Ansicht des Berufungsgerichtes Barbies Motivation zur Ausschaltung der Résistance nicht Hass, sondern primär militärischer Ehrgeiz gewesen. Durch die vorgenommene Definition des Berufungsgerichts war man insoweit in der Lage, für den Preis, eine Verurteilung für die Taten gegen die Résistance nicht erwirken zu können, die Amnestie und Handlungen der Französischen Armee während des Algerienkrieges zu rechtfertigen553. Das Cour de Cassation, das auf Beschwerde des Nebenklägers aktiv wurde, wollte diesen „Kompromiss“ nicht mittragen und sowohl die vollumfängliche Verurteilung als auch die Rechtfertigung der französischen Soldaten erwirken. Insoweit re-definierte es den Gesamttatbestand. Verbrechens gegen die Menschlichkeit seien „all inhuman acts and persecutions which, in the name of a state practicing a policy of ideological hegemony, have been committed systematically, not only against persons because of their membership in a racial or religious group, but also against opponents of this policy, whatever the form of their opposition.“554
551
Id. Binder, 98 Yale L.J. (1988), 1321 (1335). 553 So auch Binder, 98 Yale L.J. (1988), 1321 (1337) „The Court of Appeals had succeeded in rationalizing the amnesty of the French Army’s Algerian indiscretions at the cost of extinguishing Barbie’s liability for crimes against the Resistance.“ 554 Übersetzung in Wexler, 32 Colum. J. Transnat’l L. (1994), 380, Annex IV. 552
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Durch die Streichung des „non-combatant“ Erfordernisses konnte Barbie (auch) wegen der Verbrechen gegen die Résistance verurteilt werden. Die Präzisierung des Politik-Elements durch das Ausführungserfordernis einer „ideological hegemony“ eröffnete zudem die Möglichkeit, eine Unterscheidung bezüglich der Taten Barbies und der der französischen Armee treffen zu können, weil nach Ansicht des Gerichts die französische Regierung niemals eine totalitäre Staatspolitik betrieben habe, die mit der NS Herrschaft in Deutschland vergleichbar war555. Zwar löste dies das Problem der Nichtanklage der französischen Soldaten556. Es eröffnete aber im darauf folgenden Touvier Fall Schwierigkeiten bei der Aburteilung eigner Landsleute, sodass aus heutiger Sicht das eigentliche Problem nur vertagt wurde. Am 4. Juli 1984 wurde Barbie nach Zurückweisung des Falles an das Cour d’assises des Rhône Bezirkes557 wegen begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt. 2. Der Fall Touvier Paul Touvier, Leiter der Informationsbeschaffung der Lyoner Miliz, wurde am 2. Juni 1993 aufgrund seiner Rolle, bei der Tötung von sieben Juden während des Zweiten Weltkrieges Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit geleistet zu haben, vor dem Gericht von Versailles angeklagt558. Auch er wurde 555 Schon das Cour d’Appeal merkte an (ohne dies jedoch in die Definition aufzunehmen) dass „the perpetrator of the crime against humanity should have acted within the framework of his affiliation with a policy of ideological hegemony such as the Third Reich’s National Socialist ideology“; Binder, 98 Yale L.J. (1988), 1321 (1338). Bestätigt und hervorgehoben als wesentliches Tatbestandsmerkmals in Barbie IV, supra, 330 (331 f.) „state practicing [. . .] a policy of ideological supremacy“. 556 Diese waren zwar 1962 und 1968 aufgrund eines französischen Aktes der Legislative vollumfänglich amnestiert worden, allerdings ist die Legalität dieser Amnestien fraglich. Das Gericht in „Barbie I“ geht nichtsdestotrotz vom Vorrang des konventionellen Rechtes aus. 557 Das Cour d’assises ist ein besonderes Geschworenengericht erster Instanz, dass sich, im Gegensatz zum Tribunal de police und Tribunal correctionel nur mit schwerwiegenden Delikten beschäftigte. Es konstituierte sich aus drei „professionellen“ Richtern und neun Schöffenrichtern, die zusammen über Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu entscheiden hatten und durch das Los ausgewählt wurden. Die Verteidigung konnte fünf, die Anklage vier Schöffenrichter austauschen lassen. Zur Verurteilung war eine Stimmengewichtung von mind. 8-4 notwendig, sodass die Mehrheit der Schöffenrichter (also mindestens fünf) für eine Verurteilung votieren musste. Geleitet wurde das Verfahren von den drei „professionellen Richtern“, insbesondere vom le Président des Gerichtes. 558 Anklagekammer des Berufungsgerichtes von Versailles, Urteil v. 2. Juni 1993, Cour d’Appel de Versailles (1er); bestätigt vom Cour de Cassation am 21. Oktober 1993 (beide unveröffentlicht). Das Hauptverfahren wurde am 17. März 1994 vor dem Cour d’Assises im Gerichtsbezirk Yveline eröffnet. Am 20. April 1994 wurde Touvier zu lebenslanger Haft verurteilt; vgl. Wexler, 20 Law&Soc. Inq. (1995), 191 (192).
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wie Barbie kurz nach Kriegsende verurteilt. Am 10. September sprach ein Lyoner Gericht ihn schuldig wegen Landesverrates, von einem Gericht in Chambéry wurde er am 4. März 1947 wegen illegaler Informationsbeschaffung für den Feind und Diebstahl für schuldig befunden; allerdings in beiden Verfahren in absentia, weil er unter mysteriösen Umständen kurz nach seiner Gefangennahme am 3. Juli 1947 entkommen konnte. Am 28. November 1971 ist Touvier von Präsident Pompidou für die 1947 abgeurteilten Taten amnestiert worden, was in Frankreich zu einer Welle der Entrüstung führte und den Ruf nach einer erneuten Anklage verstärkte. Die ursprünglich verurteilten Taten waren jedoch, wie auch bei Barbie aufgrund der französischen Strafgesetzregelung seit dem Jahre 1967 verjährt. Nachdem man Touvier 1989 in Nizza aufspührte, wurde er wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Die Pariser Chambre d’Accusation des Cour d’Appel, welches sich mit der Zulässigkeit der Anklage zu beschäftigen hatte, verwarf jedoch die Anklage. Mit Ausnahme des Vorwurfs der Beteiligung am Rillieux-la-Pape Massaker am 29. Juni 1944, in dem Touvier unbestreitbar an die Ermordung von sieben Juden beteiligt war559, ließ es alle anderen 10 Anklagepunkte aus Mangel an Beweisen fallen. Was den verbliebenen Anklagepunkt betrifft, stellte die Kammer unter Zugrundelegung der Tatbestandsdefinierung des Cour de Cassation in Barbie in nicht unumstrittener Weise fest, das französische Vichy Regime, für das Touvier seinen Dienst verrichtete, hätte keine „policy of ideological hegemony“ praktiziert. Vielmehr sei dies „une affire entre Français“ gewesen. Das Cour de Cassation hob einige Feststellungen der Pariser Chambre d’Accusation unter dem Hinweis auf, eine Verurteilung erschiene möglich, wenn Touvier auf Anweisung der Deutschen gehandelt hätte. Denn auf Grundlage des Art. 6 (c) IMT Statut sei eine Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen französische Kollaborateure dann denkbar, wenn sie „im Interesse der europäischen Achsenmächte“ handelten560. Eine solche Möglichkeit konnte nicht ausgeschlossen werden, sodass es zur Eröffnung des Hauptverfahrens kam. Im Übrigen widersprach das Gericht jedoch nicht den Ausführungen des Berufungsgerichtes bezüglich der Rolle des Vichy Regimes im Zusammenhang mit Nazi Deutschland. 559 Zu den Hintergründen der Beteiligung Touviers am Rillieux-la-Pape Massakers siehe Tigar/Casey/Giordani/Mardemootoo, 30 Tex. Int’l LJ (1995), 285 (289 ff.). Touvier räumte seine Beteiligung an der Tat selbst ein. 560 Frankreich v. Touvier, Entscheidung v. 28. November 1992, Cass. Crim. (unveröffentlicht). Das Gericht beruft sich augenscheinlich auf den ersten Absatz des Art. 6 IMT Statut; „The Tribunal established by the Agreement referred to Article 1 hereof for the trial and punishment of the major war criminals of the European Axis countries shall have the power to try and punish persons who, acting in the interests of the European Axis countries, whether as individuals or members of organizations, committed any of the following crimes [. . .] (c) Crimes against Humanity [. . .].“; eigene Hervorhebung.
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Am 17. März 1994 wurde Touvier vor dem Cour d’Assises in Versailles angeklagt. Bezüglich einer Aburteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ergab sich das Problem, dass Judge d’Instruction Getti bei der Anklageerhebung das Argument Touviers, nur Handlanger der deutschen Gestapo gewesen zu sein, abgelehnt hatte und die Planung der Taten der französischen Miliz zurechnete. Unter diesen Umständen wäre eine Verurteilung mit Hinblick auf die Präzisierung des Cour de Cassation nicht möglich gewesen, da das Tatbestandsmerkmal der „policy of ideological hegemony“ nicht erfüllt gewesen wäre. Das Cour d’Assises hingegen nahm den Einwand Touviers im Vorverfahren auf und verwendete ihn gegen Touvier, um zu einer Verurteilung zu gelangen. Gelöst wurde das Problem mit der „Erkenntnis“, dass „the plan was Nazi, but the complicity was French“561, sodass eine Brandmarkung der französischen Vichy als de facto NS Regime vermieden562 und Touvier dennoch wegen Beihilfe zu begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt werden konnte. 3. Vorbemerkung zu den Fällen Papon und Aussaresses Nach der Aburteilung von Barbie und Touvier entschloss sich die französische Legislative im Jahr 1992, die 1964er Strafregelung zu novellieren und erstmalig den Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Art. 211-1 bis 213-5 des Nouveau Penal Code innerstaatlich festzuschreiben563. Die gewählte Formulierung brachte gegenüber der Barbie und Touvier Rechtsprechung sowohl Bekanntes wie Neues: „Art. 212-1. Deportation, enslavement, or massive and systematic summary executions, kidnapping of persons followed by their disappearance, torture, or inhuman acts, inspired by political, philosophical, racial or religious reasons, and organized according to a concerted plan against a group within the civilian population, are punished by life imprisonment. Art. 212-2. When committed in time of war, according to a concerted plan, against those who fight the ideological system in the name of which crimes against humanity are perpetrated, acts, included within Article 212-1 are punishable by life imprisonment.
561
So übersetzt von Wexler, 20 Law&Soc.Inq. (1995), 191 (209). Wexler, 20 Law&Soc.Inq. (1995), 191 (202, 218); Tigar/Casey/Giordani/Mardemootoo, 30 Tex. Int’l L. J. (1995), 285 (286, 310) „[. . .] these conservative judges were anxious to portray the Vichy government, which so many still in public life had served in one way or another, as more victim than wrongdoer.“ 563 Die Regelung von 1964 sah nur vor, dass das Verbrechen gegen die Menschlichkeit unverjährbar ist. Eine eigentliche Definition des Tatbestandes fand hingegen nicht statt, weshalb sich die Gerichte in Barbie und Touvier auf Völkerrecht, vornehmlich Art. 6 (c) IMT Statut, stützten. 562
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Art. 213-5. Public action relative to the crimes defined in the present article, as well as any penalties duly imposed, are not subject to any statute of limitation.“ 564
Der Art. 212-1 setzte weiterhin das Erfordernis eines gemeinsamen Planes voraus. Die Formulierung in Art. 212-2 warf aber Fragen auf, ob der Plan weiterhin von einem „ideological system“ getrieben sein muss, da jenes Tatbestandsmerkmal dort expliziert kodifiziert ist. Nicht übernommen wurde das Tatbestandsmerkmal einer allgemeinen „Verfolgung“. Auffällig ist zudem, dass sowohl generell eine diskriminierende Absicht für alle Tatbestandsalternativen als auch speziell die Tatbestandsalternative der „philosophischen Beweggründe“ kodifiziert wurde. Rückführbar ist der Zusatz auf ein vergleichbares Verständnis der Franzosen während des IMT-Verfahrens, sowie die einschlägigen Regelungen in den ILC Draft Codes von 1951, 1954, 1988 und 1991. Das in Barbie und Touvier herausgearbeitete Erfordernis, es müsse eine Verbindung zwischen dem Täter und den Achsenmächten bestehen, wurde nicht übernommen565. Wie im Folgenden dargestellt wird, ist sowohl Papon als auch Aussaresses, wie auch schon vorher Barbie und Touvier, auf der Grundlage von Art. 6 (c) IMT Statut – und nicht Art. 212 – angeklagt worden. In Aussaresses finden sich jedoch interessante Ausführungen zum im Nouveau Penal Code festgeschriebenen Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit. 4. Der Fall Papon Maurice Papon, Generalsekretär der Präfektur im Departement Gironde in den Jahren 1942 bis 1944, wurde vorgeworfen, als Kollaborateur der Vichi Regierung an der Deportation von fast 1600 Juden aus Bordeaux beteiligt gewesen zu sein566. Anders als in den Fällen Barbie und Touvier war Papon jedoch während der Besetzung Deutschlands ein hochrangiger Entscheidungsträger und nach Kriegsende völlig rehabilitiert, weshalb es ihm möglich war, einflussreiche politische Posten wahrzunehmen567. Nachdem Michael Bergés, ein Universitäts564 C. Pén.arts. 92-1336 v. 16. Dezember 1992, geändert durch C. Pén.arts 93-913 v. 19. Juli 1993; in Kraft getreten am 1. März 1994; abgedruckt und übersetzt in: Finkelstein, 30 Tex. Int’l L. J. (1995), 261 (293 f.). 565 Wexler, 91 Am. Soc’y Int’l L. Proc. (1997), 270 (273 Fn. 10). 566 Zum Papon Fall vgl. weiter Jean/Salas, Barbie, Touvier, Papon; Löytömäki, 15 EJIL (2004), 610 ff., Golsan, The Papon Affair; ders., 29 SubStance 1 (2000), 139 ff.; Boyce in Melikan: Domestic and International Trials II, 157 ff.; Paxton, 16 NY Rev. Books (1999), 32 ff. 567 Papon wurde von Charles de Gaulle aufgrund seiner „Verdienste“ in den Staatsdienst berufen. Von 1958 bis 1967 war er Polizeipräfekt der Pariser Polizei und von 1968 bis 1981 Parlamentsabgeordneter. Im Jahr 1978 wurde er zum Haushaltsminister in der Regierung von Raymond Barre unter der Präsidentschaft von Valéry Giscard d’Estaing ernannt. Zuvor war er von 1973 bis 1978 Berichterstatter des Finanzausschusses der Nationalversammlung.
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dozent in Politikwissenschaften, unregistrierte belastende Dokumente im Departement von Bordeaux entdeckte, die den Namen seines Freundes Slitinsky erwähnten568, wurde Papon nach Veröffentlichung der Dokumente in der Zeitschrift Le Canard Enchaîné am 23. Januar 1997 vor der Chambre d’Accusation des Cour d’Appel von Bordeaux wegen illegaler Verhaftung, Mord und Freiheitsentzug im Rahmen der Deportation von Juden nach Drancy und Auschwitz in Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Die vom Gericht vorgenommene Tatbestandsdefinierung, wiederum ausgehend von Art. 6 (c) IMT Statut, reduzierte die von Barbie und Touvier aufgestellten Anforderungen erheblich. Nicht mehr notwendig war, dass das Verbrechen in Ausübung einer ideologischen Hegemonialpolitik verübt werden musste oder der Täter einer Organisation angehörte, die eine solche verfolgte. Aus der Neuinterpretation ergaben sich zwei Konsequenzen. Zum einen korrigierte das Gericht ihre (Fehl-)Interpretation des Art. 6 (c) IMT Statuts (bezüglich obiger Punkte) und stellte indirekt klar, dass der neu formulierte Art. 212-2 nicht bei der Tatbestandsdefinierung in Art. 212-1 des Nouveau Penal Code hineinzulesen ist. Zum anderen wurde die Beteiligung des Vichi Regimes an der Judenverfolgung anerkannt569. Am 2. April 1998 verurteile das Cour d’Assises von der Gironde Papon wegen begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer Haftstrafe von 10 Jahren,570 wenngleich die Beteiligung zum Mord nicht nachgewiesen werden konnte. Papon befand sich allerdings weiterhin auf freiem Fuß, da er Rechtsmittel einlegte. Kurz vor der Anhörung flüchtete er in die Schweiz, wurde aber nach zehn Tagen an Frankreich ausgeliefert und begann seine Haftstrafe abzuleisten. Die Revision wurde mit der Begründung verworfen, dass Papon bei Anhörungsbeginn nicht anwesend war und sich somit nicht auf Rechtsmittel berufen konnte. Seine daraufhin beim ECHR eingereichte Klage hatte Erfolg571. Am 18. September wurde Papon aufgrund seines (angeblich) schlechten Gesundheitszustandes entlassen. Eine angestrengte Revision mit der Intention einer Wiederaufnahme des Verfahrens ist vom Cour de Cassation am 12. Juni 2004 abgewiesen worden.
568
Wexler, 91 Am. Soc’y Int’l LProc. (1997), 270. Faurission, 17 JHRev. 3 (1998), 14 ff. 570 Basierend auf dem Urteil des Cass Crim. v. 23. Januar 1997, Bull. Crim. N ë 502 (1997) bestätigend Bordeaux Chambre d’Accusation v. 18. September 1996, Bull. Crim. N ë 608 (1996). 571 Affaire Papon c. France, Requête n ë 54210/00 (25. Juli 2002); s. a. Bourgon, 1 JInt’l Crim. Just. (2003), 555 (569 f.); N.B. 12 HRCD (2001), 1081 ff. 569
154
Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit
5. Der Fall Aussaresses Durch Papon hatte die französische Gerichtsbarkeit zu einer heilenden Aufarbeitung der Taten des Vichi Regimes gefunden, was direkte Auswirkungen auf die (französische) Definition des Verbrechens gegen die Menschlichkeit hatte. Im Fall Aussaresses ist allerdings das eingetreten, was in Barbie verhindert werden sollte. Streitgegenstand waren nunmehr die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die durch die französische Armee während des Algerienkrieges begangen wurden572. Hintergrund der Anklage war die Veröffentlichung eines Buches von General Paul Aussaresses573. Dort enthüllte er, während des Algerienkrieges Massenexekutionen und Folter angeordnet und ausgeführt zu haben. Daraufhin reichte die FIDH574 am 7. Mai 2001 eine Klage wegen begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit (gegen unbekannt) bei Gericht ein, die jedoch vom Untersuchungsrichter Valat abgewiesen wurde. Das Pariser Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung am 14. Dezember 2001 und kam zu drei Grundsatzfeststellungen. Nach Ansicht des Gerichts kann erstens, Art. 212-1 des Nouveau Penal Code wegen ex post facto nicht rückwirkend angewandt werden. Zweitens, ist eine Berufung auf Art. 6 (c) IMT Statut mit der raison d’être der Regelung nicht vereinbar. Und drittens, stehe die am 31. August 1968 erteilte Amnestie für Vorkommnisse in Algerien einer Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit entgegen575. Das Cour de Cassation schloss sich in einer weit beachteten und umstrittenen Entscheidung weitgehend dieser Sichtweise an576. Zunächst unterstrich der Gerichtshof, dass sich zum Zeitpunkt der Tatbegehung die von General Aussaresses begangenen Handlungen nicht unter den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit im Sinne des französischen Strafgesetzes subsumieren ließen. Als Begründung führte das Gericht an, dass „la coutume internationale ne saurait pallier l’absence de texte incriminant, sous la qualification de crime contre l’Humanité, les faits dénoncés par la partie civile“577. Weiter hob das Gericht hervor, dass im Fall Aussaresses auch das französische Gesetz von 1964, das auf Art. 6 (c) des IMT Statut verweist, nur die 572 Zum geschichtlichen Hintergrund Kohser-Spohn/Renken, Trauma Algerienkrieg; zur systematischen Folterung Walther, Die Zeit 23 (27.05.2004); weitere Verweise in Aldrich, 45 Hist.J 4 (2002), 917 (933). 573 Aussaresses, Services spéciaux Algérie 1955–1957. 574 Féderation internationale des lingues des droits de ’Homme (FIDH)/Internationaler Verband der Liga für Menschenrechte. 575 Lelieur-Fischer, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 231 (232). 576 Cass. Crim. Bull. Crim. v. 17. Juni 2003. 577 „International customary rules cannot make up for the absence of a provision which criminalizes the acts denounced by the civil petitioner as crimes against humanity“, Übersetzung in Lelieur-Fischer, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 231 (236).
G. Nationalstaatliche Verfahren (1954–2006)
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Handlungen umfassen sollte, die durch die Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg begangen wurden. Auf Verbrechen, die während des algerischen Krieges von französischen Soldaten verübt wurden, sei Art. 6 (c) IMT Statut nicht anwendbar578 und daher nicht einschlägig. Aussaresses konnte folglich mangels hinreichender gesetzlicher Strafbestimmung nicht verurteilt werden. Ob der vom Cour de Cassation eingeschlagene Weg dogmatisch stichhaltig ist, erscheint mehr als fraglich. Das Urteil ist in der Literatur nicht ohne Kritik geblieben579. Die FIDH bezeichnete die Entscheidung als „la frilosité et le conservatisme de la décision rendue par la Cour de cassation“. Lässt man die Urteilsbegründung des Gerichts Revue passieren, ist diese Einschätzung nicht abwegig. Dass Art. 212-1 des Nouveau Penal nicht angewendet wurde erscheint vor dem Hintergrund sonstiger ex post facto Bedenken sicherlich vertretbar, zumal Frankreich dem zivilistischen Rechtskreis angehört. Erstaunlich ist aber, dass auch Art. 6 (c) IMT Statut keine Anwendung finden sollte. Die Tatsache, dass es zum Zeitpunkt der Tatbegehung keine national strafrechtliche Regelung gab, hat das Gericht zuvor nicht daran gehindert, sowohl Barbie, Touvier, als auch Papon wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf der Grundlage von Völkerrecht abzuurteilen. Aussaresses nimmt zudem den in Papon eingeschlagenen Weg zurück, wonach für die Anwendung des Art. 6 (c) IMT Statut gerade nicht Voraussetzung sein soll, dass die Tathandlung von den Achsenmächten begangen wurde. Die vom Cour de Cassation vertretene gegenteilige Auffassung in Aussaresses muss in diesem Punkt als Rückbesinnung zu Barbie verstanden werden580. In der Schlussfolgerung heißt dass, das nach Ansicht des Cour de Cassation kein vor 1994 begangenes Verbrechen außer jenen, die durch die Achsenmächte (bzw. unter Berücksichtigung von Papon durch das Vichi Regime) begangen wurden, durch die französischen Strafgerichte als Verbrechen gegen die Menschheit qualifizierbar sind; und dies ungeachtet des entgegenstehende Völkergewohnheitsrechts!581. Folglich konnten die zwischen 1955 und 578 Eine vergleichbare Auslegung ist bereits im Fall Boudarel im Jahr 1993 ergangen, bei dem Folterhandlungen von französischen Soldaten in Indochina, die das Ausmaß eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit erreichten, für nicht aburteilbar erklärt wurden; Urteil im Fall Boudarel durch Cass. crim v. 1. April 1993, Bull. Crim. (1993), 143 (354 f.) „[. . .] and therefore, the acts alleged by the civil petitioners, taking place after the Second World War, could not be characterized as crimes against humanity under the texts referred to. Whereas, however, despite this mistake of law, the appealed decision is not to be overruled insofar as the Court of Cassation can ascertain that the acts allegedly committed by Georges Boudarel, irrespective of the ordinary prohibitions they may fall under, would necessarily be included in the scope of application of Article 30 of the law granting amnesty for any crimes committed in relation to events pursuant to the Vietnamese insurrection.“ 579 Lelieur-Fischer, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 231 ff. 580 Im Ergebnis auch Lelieur-Fischer, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 231 (232). 581 Wiederum ausgenommen sind davon aber begangene Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien und Ruanda, für welche der Gesetzgeber eine rückwirkende Anwendung
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit
1957 begangenen Verbrechen der französischen Armee nicht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit abgeurteilt werden. Auf die Frage nach der (zweifelhaften) Rechtskraft der Amnestie kam es daher gar nicht mehr an. 6. Bewertung der französischen Rechtsprechung Hält man sich die Rechtsprechung der französischen Gerichte zum Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit vor Augen, beschleicht einen der Verdacht, dass die Gerichte den Gesamttatbestand je nach Sach- und Interessenlage so (um)interpretieren, wie es ins Ergebnis passte. Die getätigten Aussagen der französischen Gerichte sind höchst politisch motiviert und somit nur unter Bedenken außerhalb der französischen Gerichte zitierfähig. Es bleibt zu hoffen, dass die französischen Gerichte in etwaigen zukünftigen Verfahren zu einer Tatbestandsdefinierung zurückfinden, die weniger von nationalem Interesse geprägt ist und die allgemeinen Entwicklungen des Völkerstrafrechts stärker mit einbezieht. Bis zum Sommer 2008 wahr anzunehmen, dass aufrund der gültigen Formulierung in Art. 212 auch in Zukunft von den französischen Gerichten abweichende Aussagen zum Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu erwarten waren, die sich mitunter erheblich vom völkergewohnheitsrechtlichen Verständnis unterscheiden würden. Im Juni 2008 ist nunmehr im Wege des projet de loi sur l’adaptation du droit penal a’ l’institution de la cour penale internationale eine nationale Adaption an das ICC vorgesehen, welche mit Stand von 1. August 2008 noch von der Assemblee Generale angenommen werden muss. Art. 2 des Textes lässt unübersehbare Gemeinsamkeiten mit Art. 7 ICC Statut erkennen.
H. Ausblick Im Ganzen betrachtet ist ein unverkennbarer Trend innerhalb der Staatengemeinschaft erkennbar, die nationalen Tatbestandsdefinitionen – auch aufgrund der erforderlichen Implementierungsverpflichtungen – an das ICC Statut anzupassen. Bemerkenswert ist auch, dass das IHT Statut, welches von ICC NichtVertragsstaaten verfasst wurde, eine Annäherung an das ICC Statut erkennen lässt. Das lässt Hoffung aufkommen, dass die in Art. 7 ICC Statut kodifizierte Definition mittelfristig unbestreitbar einen völkergewohnheitsrechtlichen Statuts erreicht. Der schon vor Jahren gemachte Vorschlag Bassiounis, einen exklusiven vorsieht; Art. 2 des Gesetzes Nr. 91-1 v. 2. Januar 1995, Journal Officiel, 3. Januar 1995 (für das ehemalige Jugoslawien) und Gesetz Nr. 96-432 v. 22. Mai 1996, Journal Officiel, 23. Mai 1996 (für Ruanda). Siehe auch erste (vorsichtige) Gegentendenzen zu Aussaresses in FIDH, Implementing the Principle of Universal Jurisdiction in France (2006), 5. Abrufbar unter: http://www.fidh.org/IMG/pdf/universal_juris.pdf (letzter Besuch 1. August 2008).
H. Ausblick
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multilateralen Vertrag zu verabschieden, der den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit hinreichend definieren würde582, wäre dann in jedem Fall entbehrlich. Was die internationale Tribunals- und Gerichtspraxis betrifft, so ist das ICC gehalten, den nächsten Schritt zur effektiven Ahnung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu gehen. Chefankläger Luis Moreno Ocampo hat sich durch die Beantragung eines Haftbefehls gegen Al-Bashir couragiert gezeigt und verdeutlicht, dass es in einer modernen und globalisierten Welt keinen Platz für Straflosigkeit von begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit geben kann, und nachhaltiger Frieden nur durch das Schaffen von Gerechtigkeit zu erwirken ist. Es ist ermutigend, dass auch die ECCC aktiv geworden sind. Die Verfahen gegen die Hauptverantwortlichen der Roten Khmer sind mit Stand vom 1. August 2008 in vollem Gange583. Schließlich scheint auch auf nationalstaatlicher Ebene eine Aburteilung wegen begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gang zu kommen. Derzeitig sind mehrere Verfahren vor den Gerichten anhängig, die sich mit der Aburteilung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschäftigen. Hervorzuheben ist etwa der seit März 2007 vor der kanadischen Justiz anhängige Fall Désiré Munyaneza. Kommt es zu einer Verurteilung, wäre Munyaneza die erste Person, die nach dem neuen kanadischen Crimes against Humanity and War Crimes Act inter alia wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in zwei Fällen, die er in Butare, Ruanda begangen haben soll, abgeurteilt wird. Die Praxis der deutschen Generalbundesanwaltschaft war aufgrund ihres Vorgehens im Fall Ignace Murwanashyaka nicht unstrittig. Der Anfrage Ruandas auf Auslieferung aus dem Jahr 2006 – geleitet von dem Ziel, durch die Abschaffung der Todesstrafe584 eine stärkere Integrierung in die internationale Strafjustiz zu erreichen585 – wurde (wohl auch wegen rechtsstaatlicher Bedenken der dort fungierenden Cacaca- und Militärgerichte) nicht stattgegeben, stattdessen ist das Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestellt worden586. Der 582
Bassiouni, 31 Colum. J. Transnat’l L. (1994), 457 ff. Der Verfahrensstand kann unter http://www.cambodiatribunal.org/ nachvollzogen werden. 584 Johnson, „Ruanda schafft die Todesstrafe ab“ in: TAZ v. 23.07.2007. 585 Twarhirwa, „Death Penalty-Rwanda: Abolition needed for ,Integrating into International Justice‘“; abrufbar unter: http://ipsnews.net (letzter Besuch 1. August 2008). 586 Noch 2006 hieß es: Munyaneza, „Rwanda: Murwanashyaka to be Tried in Germany“, The New Times (Kigali), 28. April 2006, „,The reason for the conditional release was because our country had started to prepare a case against him‘, the Ambassador [Anm. gemeint ist Hubert Ziegler] said. He did not say why his government decided not to extradite Murwanashyaka.“. Siehe auch „Verordnung (EG) Nr. 201/ 2007 der Kommission vom 23. Februar 2007 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1183/2005 des Rates über die Anwendung spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen Personen, die gegen das Waffenembargo betreffend die Demokratische Republik 583
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Kap. 2: Genese der Strafgerichtsbarkeit
im September 2007 in Deutschland aufgegriffene ehemalige Planungsminister und Hauptteilhaber der RTML, Augustin Ngirabatware wurde indes an das ICTR überstellt587.
Kongo verstoßen“, Anhang, Nr. 3. Seit 2005 sind gegen Murwanashyaka ein Reiseverbot erteilt und die finanziellen Mittel eingefroren worden. Ein internationaler Haftbefehl existiert derzeitig nicht; siehe auch Muhumuza, „Uganda: Uganda hands over 8 Rwanda Rebels“, The Monitor, 11. März 2007; nunmehr aber Johnson, Deutschlands zahmer Umgang mit ruandischer Terrororganisation, in: TAZ v. 23.4.2008, S. 3 „Der Sprecher der Bundesanwaltschaft bestätigte gestern die Einstellung des Verfahrens.“ 587 OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 20.2.2008 – 2 Ausl. A113/07.
Kapitel 3
Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen A. Einleitung Als eines der Grundprinzipien menschlichen Zusammenlebens gilt seit jeher, dass ein Individuum strafrechtlich für seine Taten einstehen muss, wenn es einen verbindlichen Brauch oder eine Rechtsnorm verletzt hat. Im Laufe der Rechtsgeschichte hat sich diese Verantwortlichkeit insoweit konkretisiert, als dass der Täter eine strafbare Handlung begangen haben (äußeres Handlungselement oder actus reus1) und sich subjektiv über die Konsequenzen seines Handelns bewusst gewesen sein muss (inneres Handlungselement oder mens rea2). Schließlich muss zwischen actus reus und mens rea Kausalität bestehen. Diese fundamentalsten Grundsätze der Strafrechtsdogmatik sind allgemein anerkannt3 und haben auch das Völkerstrafrecht geprägt. Der actus reus eines Verbrechens besteht aus (1) einer strafbaren Verhaltensweise („conduct“), die sich aus einer oder mehreren strafbaren Handlungen („acts“) zusammensetzt, (2) einer diesbezüglichen Folge, wie etwa der Tod des Opfers („consequence“); und (3) Begleitumständen, wie etwa das Alter des Opfers4 („circumstances“)5. Neben der Erfüllung der actus reus Voraussetzungen muss, je nach Verbrechenstypus, eine diesbezügliche mens rea nachgewiesen werden. Einen Einfluss 1
Lat. „strafbare Handlung“. Der Begriff „mens rea“ geht zurück auf den von Richter Edward Coke rezipierten Rechtsgrundsatz „actus reus non facit reum, nisi mens sit rea“; s. a. Martin, A Dictionary of Law, „actus reus non facit reum, nisi mens sit rea, Latin: an act does not make a person guilty of his crime unless his mind be also guilty“. 3 Prosecutor v. Music ´ et al., IT-96-21-T (9. Oktober 2001), Abs. 424 ff.; Re Ohlendorf, US Military Tribunal (1948), in: Steiniger/Leszczynski, Fall 9; Allain/Jones, 8 EJIL 1 (1997), 100 ff. „A cardinal principle of criminal law is actus reus non facit reum, nisi mens sit rea. In accordance with this maxim, and that of nullum crimen sine lege, any criminal code should clearly specify the actus reus and the mens rea required in respect of each crime.“ 4 Vgl. Werle, Principles of International Criminal Law, 98 f. 5 Grundlegend Bassiouni, A Draft International Criminal Code and Draft Statute for an International Criminal Tribunal, 100 f.; vgl. auch U.S. Model Penal Code § 2.02, Comment (1), 229 (conduct, circumstances, result). 2
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
auf die Strafbarkeit haben darüber hinaus die verantwortungsausschließenden Verteidigungen („defences“), die sich sowohl auf die Rechtswidrigkeit, als auch auf die Schuld des Täters beziehen können6. Durch die Verabschiedung des ICC Statuts im Jahr 1998 hat man sich nunmehr von der aus dem angloamerikanischen Rechtskreis bekannten actus reus und mens rea Strafrechtsdogmatik etwas abgewandt und den zivilistisch geprägten Ansatz stärker einbezogen. So ist es im ICC Statut bewusst vermieden worden, die Begriffe actus reus und mens rea zu verwenden. Benutzt werden stattdessen die Termini „material element“, „mental element“ und „grounds for excluding responsibility“. Auch ist die aus dem common law bekannte Beweislastumkehr im Rahmen der defences nicht übernommen worden. Führt man sich vor Augen, dass das ICC Statut einen Kompromiss zwischen beiden großen Rechtskreisen darstellt, verwundert die stärkere zivilistische Einbindung nicht. Gleichwohl hat wohl unbestrittener Maßen die angloamerikanische Strafrechtsdogmatik weiterhin einen großen Einfluss, was sich schon daran zeigt, dass der jedem deutschem Strafrechtler bekannte dreigliedrige Deliktsaufbau nicht explizit im ICC Statut angelegt ist. Da schließlich die vorliegende Untersuchung die objektiven und subjektiven Strafbarkeitsvoraussetzungen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der internationalen Tribunale ansprechen möchte, die explizit auf actus reus und mens rea abstellt, soll die beim ICTR und ICTY vorgeschriebene actus reus und mens rea Dogmatik auch hier Verwendung finden. Eine individuelle Strafbarkeit wegen begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach völkerrechtlichen Grundregeln wurde erstmalig nach dem Ersten Weltkrieg vorgeschlagen. Die Commission on the Responsibility of the Authors of the War and on Enforcement of Penalties unterbreitete den Vorschlag, dass „all persons belonging to enemy countries, however high their position may have been, without distinction of rank, including chief of States, who have been guilty of offences against the laws and customs of war or the laws of humanity, are liable to criminal prosecution“7. Im Nürnberger Urteil ist der 6 Einen ersten Überblick über den Aufbau des völkerstrafrechtlichen Verbrechensbegriffs gibt Ambos, 10 ZIS (2006), 464 (740 f.); für eine umfassendere Analyse siehe ders., Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, 543 ff. 7 Commission on the Responsibility of the Authors of the War and on Enforcement of Penalties – Report Presented to the Preliminary Peace Conference, Versailles, 29. März, 1919, 14 AJIL (1920), 95 (121). Die Position ist von mehreren Staaten während des Pariser Friedensvertrages von 1919 bestätigt worden; siehe auch U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 4. Dezember 1947 (In Re Altstoetter), Trials of War Criminals, Bd. I, 46 „Since the World War of 1914–1918, there has developed [. . .] evidence of [. . .] an international interest and concern in relation to what was previously regarded as belonging exclusively to domestic affairs of the individual State; and with that interest there has been [. . .] an increasing readiness to seek and find a connection between domestic abuses and the maintenance of the general peace“, vgl. auch Polyukhovic v. Commonwealth, 172 CLR (1991), 501 (669), die Passage in Altstoetter zitierend.
B. Struktur des Gesamttatbestandes
161
Grundansatz in einen verbindlichen Rechtssatz gegossen worden. Zwar war zum damaligen Zeitpunkt die Strafbarkeit für begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht unumstritten, weil der Straftatbestand nicht schriftlich kodifiziert war und dementsprechend Bedenken aufgrund eines etwaigen Verstoßes gegen nullum crimen sine lege und ex post facto bestanden. Jedoch ist nunmehr allgemein anerkannt, dass sich ein Individuum völkerstrafrechtlich wegen begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafbar machen kann8.
B. Struktur des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit I. Einleitung und Konkretisierung des Ganges der Untersuchungshandlung Grundlegend gliedert sich der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in zwei ineinander greifende, dependente Kriminalitätsebenen. Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Frage, ob der Täter unter Beachtung der erforderlichen actus reus und mens rea Voraussetzungen ein (Einzel-)Verbrechen begangen hat9, welches (zumindest) unter eines der im Gesamttatbestand enumerierten Katalogstraftaten (z. B. „Mord“ oder „Folter“) subsumierbar ist. Wenn dem so ist, hat der Täter zumindest eine „mikrokriminelle“ Handlung begangen. Die Katalogstraftaten eo ipso sind nicht (schon) als „unmenschlich“ klassifizierbar. Prima facie könnte zwar auf Grundlage des Art. 7 ICC Statut von einem solchen Verständnis auszugehen sein. Denn neben Mord, Folter etc. sind dort – auf derselben Kriminalitätsebene – in Art. 7(1)(k) „andere unmenschliche Handlungen“ festgeschrieben. Im Rückschluss könnte man meinen, aufgrund ejusdem generis, sowie der Verwendung des Wortes „andere“ seien alle im Strafkatalog des Art. 7(1)(a)–(k) ICC Statut enthaltenen Katalogstraftaten „unmenschliche Handlungen“. Schon aus systematischer Sicht kann ein derartiges Verständnis nicht richtig sein, weil es die Ebenentrennung zwischen mikrokrimineller Handlung und makrokriminellem Kontext verwischen würde. Vielmehr ist erst aus dem Zusammenspiel zwischen mikrokrimineller Ebene, dog8 Dixon/Khan, Archbold International Criminal Courts, § 10–12 (S. 286) „It is, therefore, settled law that ,the principle of individual responsibility and punishment for crimes under international law recognized at Nuremberg is the cornerstone of international law. This principle is the enduring legacy of the Nuremberg Charter and Judgement which gives the meaning to the prohibition of crimes under international law by ensuring that the individuals who commit such crimes incur responsibility and are liable to punishment‘“ mit Berufung auf den ILC Draft Code of Crimes Against the Peace and Security of Mankind, 1996, 19. 9 „Die Begehung“ („commission“) ist die praktisch relevanteste Form der Partizipierung (participation) an einer strafbaren Einzelhandlung im Rahmen des actus reus.
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
matisiert durch den Straftatkatalog, und der makrokriminellen Ebene, dogmatisiert durch das chapeau, die „Unmenschlichkeit“ des Verbrechens herauszulesen. Insofern statuiert Artikel 7 ICC Statut, „im Sinne dieses Statuts bedeutet ,Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘ jede der folgenden Handlungen, die im Rahmen – bzw. ,as part of‘ – eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs [. . .]“ begangen werden. Der in Artikel 7(1)(k) ICC Statut enthaltene Zusatz „unmenschliche“ in „andere unmenschliche Handlungen“ ist mithin rein deklaratorisch10. Er sollte (wohl) bei der erstmaligen Kodifizierung in Art. 6(c) IMT Statut sicherstellen, dass nur andere Handlungen von vergleichbarer Schwere unter den Gesamttatbestand subsumierbar sind. Durch die in Art. 7(1)(k) ICC Statut eingefügte „Konkretisierung“, eine unmenschliche Handlung sei nur eine solche „of a similar character intentionally causing great suffering, or serious injury to body or mental or physical health“ ist die ejusdem generis Voraussetzung nunmehr explizit kodifiziert. Die Problematik ist rückführbar auf die Übernahme der in Art. 6(c) IMT Statut erstmalig kodifizierten Generalklausel in das ICC Statut. Dort war – entgegen Art. 7 ICC Statut – noch der Zusatz „unmenschliche“ konstitutiv gewesen, weil der gesamte Tatbestand weder strikt zwischen mikro- und makrokrimineller Ebene trennte, noch in der Generalklausel eine ejusdem generis Konkretisierung festgeschrieben war. Das Völkerstrafrecht will sich seit jeher nur mit Situationen befassen, die aufgrund ihres Ausmaßes ein Anliegen der internationalen Gemeinschaft darstellen. Dies liegt darin begründet, dass eine völkerstrafrechtliche Aburteilung von „Mikrokriminalitätsverbrechen“, sei es durch ein international(isiert)es Tribunal oder durch ein nationales Gericht, gegen das völkerrechtlich verankerte nationalstaatliche Souveränitätsprinzip verstoßen würde. Das Prinzip schließt die Souveränität über Jurisdiktionsbefugnisse innerhalb der Territorialgrenzen mit ein. Ist jedoch die Handlung des Täters „als Teil“ eines makrokriminellen Kontextes begangen, ist die Tat kein isolierter, „gewöhnlicher“ Einzelakt mehr, sondern stellt sich als Teil eines koordinierten Gesamtkontextes dar, die ein Kriminalitätsniveau im Großformat angenommen hat, und ein Einschreiten nach völkerrechtlichen Standards rechtfertigt. Aus jener Übertragungswirkung zieht das Verbrechen gegen die Menschlichkeit seine nationalübergreifende Bestrafungsbefugnis. Um die Handlung des Täters als makrokriminelles Verbrechen gegen die Menschlichkeit einordnen zu können, ist dreierlei erforderlich. 10 Anders wäre das nur dann, wenn mit der, der aus dem makrokriminellen Kontext anhaftenden Schwere die mangelnde Schwere eines Einzelverbrechens „aufgefüllt“ werden könnte. Dann hätte die doppelte Nennung – aufgrund der Interdependenz beider Ebenen – ihre Berechtigung. Ein solcher Ansatz verstößt aber sowohl gegen ejusdem generis als auch dem Sinn und Zweck der Tatbestandsaburteilung; dazu weiter unter Punkt G.
B. Struktur des Gesamttatbestandes
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Erstens muss ein makrokrimineller Gesamtkontext festgestellt werden. Beim Verbrechen gegen die Menschlichkeit vollzieht sich das durch den Nachweis eines ausgedehnten oder systematischen Gesamtangriffes, der – regelmäßig (aber nicht notwendigerweise) durch eine Staatsapparatur unterstützt – gegen jeglichen Teil der Zivilbevölkerung gerichtet ist. Die diesbezüglichen makrokriminellen Elemente der Tat werden in Kapitel 4 behandelt. Zweitens muss – wie bereits angesprochen – zumindest ein mikrokriminelles Einzelverbrechen verübt worden sein, welches in den enumerierten Strafkatalog fällt. Mit der Frage nach dem Umfang der enumerierten Tattypen (Mord, Folter et cetera) beschäftigt sich Kapitel 5. Die Fragen, welche allgemeinen Strafbarkeitsvoraussetzungen erforderlich sind (übergreifende actus reus und mens rea Elemente), und welche Tatbegehung tauglich ist (Anstiftung, Unterlassung et cetera), sollen, quasi vor die Klammer gezogen, durch folgende in diesem Kapitel enthaltenen Erörterungen geklärt werden. Schließlich ist drittens eine hinreichende Verbindung zwischen mikrokrimineller Einzelbegehung und makrokriminellem Gesamtkontext erforderlich. Das Zusammenwirken zwischen Makro- und Mikrokriminalitätsebene ist kein akademisches Glasperlenspiel. Zum ersten ist bis heute strittig, wie das dem Täter vorgeworfene Unrecht in Einklang mit der Bifurkationsstruktur des Gesamttatbestandes zu bringen ist; insbesondere, ob das chapeau schulderhöhend wirkt, oder lediglich Verfolgungsvoraussetzung ist11. Zum zweiten ist nicht unstrittig, in welcher Art und Weise die Handlung des Täters mit dem makrokriminellen Kontext verwoben sein muss; insbesondere, ob eine subjektive Vorstellung ausreicht, oder (auch) ein objektiver nexus zu fordern ist. Zum dritten lässt sich fragen, ob die die makrokriminelle Ebene anlastende Schwere auf die mikrokriminelle Ebene überwirken kann oder respektiv strikt voneinander zu beurteilen ist. In Weizsäcker ist etwa angenommen worden, dass auch ein schlichter Diebstahl ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein kann, wenn er im Rahmen eines ausgedehnten Angriffs begangen wird12. Stimmt man dem zu, würde dogmatisch betrachtet die im chapeau enthaltene makrokriminelle Schwere auf die mikrokriminelle Ebene überwirken. Der erforderliche nexus zwischen Einzel- und Gesamttat wird nach zutreffender herrschender Ansicht an den (regelmäßig gleich bleibenden) mens rea Erfordernissen des Täters in Bezug auf den weiterreichenden Kontext, mithin am chapeau, festgemacht. Aufgrund der Interdependenz zwischen beiden Ebenen sind die angesprochenen Probleme indes – vor die Klammer gezogen – am Ende dieses Kapitels untergebracht. Spezielle Abweichungen und Präzisierun-
11
Dazu Kirsch, Festschrift für Rainer Hamm zum 65. Geburtstag, 269 ff. U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 12. Dezember 1949 [Weizsäcker], Kempner/Haensel, das Urteil im Wilhelmstraßen Prozess. 12
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
gen der Grundregeln wurden an gegebener Stelle jeweilig in Kapitel 4 und 5 untergebracht.
II. Mikrokriminelle Einzeltat, makrokrimineller Gesamtkontext, Gesamttat und „conduct – consequence – circumstance“ Von Werle13 ist vorgeschlagen worden, die mikrokriminelle und makrokriminelle Kriminalitätsebene als „Einzeltat“ und „Gesamttat“ zu klassifizieren. Vordergründig ist die Wahl des Terminus „Gesamttat“ problematisch; schließlich wird nicht die makrokriminelle „Tat“, sondern die mikrokriminelle Handlung im Rahmen des makrokriminellen Gesamtkontextes abgeurteilt. Gleichwohl macht der Begriff Sinn. Zum einen setzt sich der Gesamtkontext aus einem „course of conduct – consequence – circumstance“ zusammen. Zum anderen wird der Täter aufgrund seiner (geistigen) Beziehung zum makrokriminellen Gesamtkontext verurteilt, und hat deswegen ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Der Begriff „Gesamttat“ wird vorliegend somit als Überbegriff für den „gesamten Tatbestand“ verstanden; dogmatisch betrachtet ist die Straftat als Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit beschreibbar. Dieser besteht aus – erstens, einer mikrokriminellen Verhaltensweise (conduct), die aus einer oder mehreren „Einzeltaten“ („acts“) besteht, die eine strafbare Folge („consequence“), wie etwa den Tod des Opfers, hervorruft, und anhand von Begleitumständen („circumstances“) zu bewerten ist14; und – zweitens, einem makrokriminellen Gesamtkontext, der sich zusammensetzt aus einem „course of conduct“ – hier der „Gesamtangriff“ –, welcher aus Umständen (circumstances) besteht, die sich sowohl aus mikrokriminellen Handlungen (acts), als auch makro-handlungsunabhängigen Tatbebestandsmerkmalen (z. B. Zivilbevölkerung) zusammensetzen15. Der für „course of conduct“ in der amtlichen deutschen Übersetzung des ICC Statuts gewählte Begriff „Verhaltensweise“ ist missverständlich – weil ungenau übersetzt. Auf eine gewisse Art und Weise können sich nur „Lebewesen“ „verhalten“. Der Gesamtkontext entsteht/verändert/verschwindet, „verhält“ sich aber 13
Werle, JZ 2000, 755 (757). So auch die ICC Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), General Introduction Nr. 7 „The elements of crimes are generally structured in accordance with the following principles: – as the elements of crimes focus on the conduct, consequences and circumstances associated with each crime, they are generally listed in that order.“ (Eigene Hervorhebung.) 15 So auch Art. 7(2)(a) ICC Statut „bedeutet Angriff [. . .] eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Absatz 1 genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist [. . .]“; Werle, Principles of International Criminal Law, 98; Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, 766. 14
B. Struktur des Gesamttatbestandes
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nicht. Die autoritäre englische Version „course of conduct“ ist insofern stringent neutralistisch formuliert. Die Schwäche der deutschen Übersetzung gründet sich in der Tatsache, dem Zusatz „course of“ keine Beachtung geschenkt zu haben. Begrüßenswerterweise ist die Übersetzung in § 7 VStGB eingeflossen.
III. Konkretisierung des mikrokriminellen „conducts“ und makrokriminellen „course of conduct“ Der mikrokriminelle „conduct“ kann sich entweder aus einer oder mehreren Einzeltaten16 (acts) zusammensetzen und kann sowohl aus aktiven Handlungen, Unterlassungen, als auch aus einer Kombination aus beiden bestehen17. Die Erfüllung einer „consequence“ ist an die Frage gekoppelt, ob die strafbare Einzeltat ein Tätigkeits- oder Erfolgsdelikt ist18. Die Typik der enumerierten „Einzeltaten“ lässt sich weiter untergliedern. In Polyukhovich v. Commonwealth wurde festgestellt, dass sich die im Verbrechenskatalog befindlichen Einzeltaten in drei Kategorien aufteilen lassen; Verbrechen der Verfolgung, Verbrechen der Ausrottung, und andere schwerwiegende Verbrechen gegen die Mitglieder der Zivilbevölkerung19. Das ICTY ging indes in Tadic´ davon aus, dass sich die Einzelverbrechen innerhalb des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in zwei Kategorien aufteilen ließen, zum einen in „murder type“ Verbrechen, und zum anderen in „persecution type“ Verbrechen20. Die Gruppe der „murder type“ Verbrechen beinhalte die Katalogstraftaten Mord, Ausrottung, Versklavung und Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung („Deportation“). Die Gruppe der „persecution type“ Verbrechen beinhalte das Verbrechen der Verfolgung. 16 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), General Introduction Punkt 9. 17 Decisions Taken by the Preparatory Committee at its Session held in New York 11–21 February 2000, Art. G actus reus (act and/or omission) in: Bassiouni, The Statute of the International Criminal Court: A Documentary History, 382. 18 Eser in Cassese/Gaeta/Jones, The Rome Statute of the International Criminal Court, 889 (911). 19 Polyukhovic v. Commonwealth, 172 CLR (1991), 501 (667) „The Commonwealth submitted that there are, in international law, three classes of crimes against humanity: crimes of persecution [. . .]; crimes of extermination [. . .]; and other serious crimes against members of any civilian population. [. . .] There is little doubt that crimes against humanity, in each of these classes, do exist in international law either as treaty law or, probably as a matter of customary international law“ mit Berufung auf Meron, 81 AJIL (1987), 348. 20 Prosecutor v. Tadic ´, IT-94-1-T (14. Juli 1997), Abs. 694 „[. . .] one of the categories of crimes against humanity recognized by the Nürnberg Charter was persecution on political, racial or religious grounds, the other category being crimes of the murder type, namely, murder, extermination, enslavement and deportation“; so auch Morris/ Scharf, International Criminal Tribunal for Rwanda, 160 mit Berufung auf die UNWCC.
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
Beide Typen unterscheiden sich in zwei Faktoren; zum einen bezüglich der Frage, wer Adressat der Handlung ist, und zum anderen, ob ein gewisser diskriminierender Grund vorliegen muss21. Die sowohl in Polyukhovic als auch in Tadic´ vorgenommene Kategorisierung der Einzeltaten scheint allerdings unsauber und unvollständig zu sein. So wurde etwa in Tadic´ weder der Tatbestand der „Vergewaltigung“, noch die Generalklausel der „andere[n] unmenschliche[n] Handlungen“ in die vorgeschlagene Verbrechenstypisierung eingeordnet. Weil insbesondere letzterer Tatbestand aufgrund seiner Anwendungsreichweite sowohl „murder type“ als auch „persecution type“-Ausprägungen annehmen kann, wird vorgeschlagen, die Kategorisierung der Einzeltaten, losgelöst von der in Polyukhovic vorgeschlagenen Einordnung, auf drei Kategorien auszuweiten in: erstens, „murder type“ Verbrechen22, zweitens, „persecution type“ Verbrechen23 und drittens, „spanning type“ Verbrechen („übergreifender Verbrechenstypus“)24. Was eine Aufgliederung in primäre Schutzgüter betrifft, könnte eine Kategorisierung in derart vorgenommen werden, dass zwischen Verbrechen gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit, sexualisierten Verbrechen, Verbrechen gegen die Freiheit, Diskriminierungsverbrechen, und der Generalklausel der anderen unmenschlichen Handlungen zu unterscheiden ist. In Kapitel 5 wurden die respektiven Einzeltatbestände unter diese Schutzgutkategorien gefasst. Für den „course of conduct“ („Angriff“) sieht Art. 7(2)(a) ausdrücklich vor, dass dieser nur durch die Verübung von mehreren Einzeltaten verwirklicht werden kann. Das ICTY geht hingegen davon aus, dass auch eine singuläre Einzeltat einen tauglichen „course of conduct“ konstituieren kann. Eine Bejahung des „course of conducts“ ist abhängig von der Erfüllung der makrokriminellen „circumstances“. Seit der Entscheidung der ICTY Appeals Chamber in Kordic´ und 21 Cassese in: Cassese/Gaeta/Jones, The Rome Statute of the International Criminal Court I, 353 (361) „[. . .] one may identify at least two sub-classes of crimes against humanity: (i) crimes committed against civilians within the framework of a widespread or systematic practice of gross violations of fundamental human rights; and (ii) crimes of persecution against a particular group of persons, whether civilian or military, in pursuance of a discriminatory or persecutory policy or practice based on religion, racial, ethnic or political grounds.“ 22 Unter Einbeziehung des ICC Statuts würden in diese Kategorie fallen: Mord, Ausrottung, Versklavung, Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung, Freiheitsentzug oder sonstige schwer wiegende Beraubung der körperlichen Freiheit unter Verstoß gegen die Grundregeln des Völkerrechts, Folter, Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation, zwangsweises Verschwindenlassen von Personen. 23 Unter Einbeziehung des ICC Statuts würden die Einzeltaten der Verfolgung und der Apartheid in diese Kategorie fallen. 24 Unter Einbeziehung des ICC Statuts würden die Generalklauseln in Art. 7(1)(g) ICC Statut „jede andere Form sexueller Gewalt“ und Art. 7(1)(k) ICC Statut „andere unmenschliche Handlungen [. . .]“ in diese Kategorie fallen.
C. Actus reus Voraussetzungen des conducts
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Cˇerkez ist zudem geklärt, dass der Angriff ernsthafte Verletzungen für den Körper oder die Gesundheit hervorrufen muss. Ein Eingriff ohne ernsthafte zivile Opfer oder Schäden ist demnach kein Angriff im Sinne des Gesamtkontextes25. Insofern ist erforderlich, diesbezügliche „consequences“ nachzuweisen. Schließlich ist sowohl in Bezug auf die Einzeltat, als auch in Bezug auf den Gesamtkontext ein jeweiliger mens rea Nachweis obligatorisch.
C. Allgemeine actus reus Voraussetzungen des „conducts“ im Rahmen der Einzeltat Die aus deutscher Sicht dogmatische Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme ist auf das Völkerstrafrecht nur bedingt übertragbar. So kodifiziert Art. 6(1) des ICTR Statuts und Art. 7(1) des ICTY Statuts wortgleich, dass „A person, who planned, instigated, ordered, committed or otherwise aided and abetted in the planning, preparation or execution of a crime [. . .] of the present Statute, shall be individually responsible for the crime.“
In Art. 6(3) ICTR Statut und Art. 7(3) ICTY Statut ist zudem die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Täters für seine Untergebenen („superior responsibility“) geregelt: „The fact that any of the acts referred to in Articles 2 to 4 [beim ICTY Statut „to 5“] of the present Statute was committed by a subordinate does not relieve his or her superior of criminal responsibility if he or she knew or had reason to know that the subordinate was about to commit such acts or had done so and the superior failed to take the necessary and reasonable measures to prevent such acts or to punish the perpetrators thereof.“26
Grundlage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit ist aus Sicht des ICTR und ICTY die Partizipierung an der kriminellen Handlung („participation per se“). Dabei wird unterschieden zwischen der Ausführung des Verbrechens („execution“) auf der einen Seite und der akzessorischen Teilnahme an der Ausführung des Verbrechens auf der anderen Seite („assistance“).
Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-A (17. Dezember 2004), Abs. 56 f. Art. 7(1) des ICTY Statuts in deutscher Übersetzung lautet: „Wer ein in den Artikeln 2 bis 5 dieses Statuts genanntes Verbrechen geplant, angeordnet, begangen oder dazu angestiftet hat oder auf andere Weise zur Planung, Vorbereitung oder Ausführung des Verbrechens Beihilfe geleistet hat, ist für das Verbrechen individuell verantwortlich. [. . .] (3) Die Tatsache, dass eine der in den Artikeln 2 bis 5 dieses Statuts genannten Handlungen von einem Untergebenen begangen wurde, enthebt dessen Vorgesetzten nicht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, sofern er wusste oder hätte wissen müssen, dass der Untergebene im Begriff war, eine solche Handlung zu begehen oder eine solche begangen hatte und der Vorgesetzte nicht die erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, um die Handlung zu verhindern oder den Täter zu bestrafen.“ 25 26
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
„Execution“ setzt sich zusammen aus drei grundlegenden Handlungsalternativen; erstens, der Vorbereitung („preparation“), bei der die Planung („planning“) für strafwürdig erachtet wird; zweitens der „Ermunterung“ („encouragement“), die sich aus der Aufstachelung27 („instigation“) und der Anweisung („ordering“) zusammensetzt; und drittens der „Begehung“ („perpetration“), die die finale Ausführungsbegehung („commission“) beinhaltet28. Art. 6(1) ICTR Statut, respektive Art. 7(1) ICTY Statut, umfassen damit die verschiedenen Stufen der strafrechtlichen Partizipierung an einem Verbrechen; von der anfänglichen Planung, über die Organisation bis hin zur Begehung der Tat29. Die „assistance“ setzt sich zusammen aus einer Beihilfe- („aiding“) und Anstiftungshandlung („abetting“), die jeweils auf die Vorbereitung, Ermunterung oder Ausführung eines Verbrechens gerichtet ist30. Die notwendige Handlungsweise und der Grad an Unterstützung variieren freilich im Zusammenspiel mit der jeweiligen Form der Partizipierung. Dies ist vergleichbar mit der unterschiedlichen Ausgestaltung der mens rea bei den jeweiligen Partizipierungsformen31. Ungeklärt und im Einzelfall strittig32 ist das Verhältnis zwischen strafrechtlicher Verantwortlichkeit33 und „superior responsibility“34. Grundlegend gehen 27 Der für den Terminus „instigation“ weitläufig verwendete Begriff der „Anstiftung“ ist aufgrund der Verwechslung mit dem Terminus „abetting“ (Anstiftung im Rahmen der akzessorischen Teilnahmehandlung) unglücklich gewählt. Es wird daher vorgeschlagen, „instigation“ mit „Aufstachelung“, und „abetting“ mit „Anstiftung“ zu übersetzen. Der Begriff der „Anreizung“ ist für den Terminus „incitement“ reserviert; siehe Art. 2 Nr. 3 ICTR Statut und Kapitel 5 E.I.4. im Rahmen der Besprechung der Strafbarkeit von „Hasspredigten“. 28 Der Begriff „commission“ wird teilweise auch begriffsübergreifend im Sinne von „Begehen“ i. w. S. verwendet, siehe Prosecutor v. Brdanin, IT-99-36-A (3. April 2007), Abs. 270 „commission by omission“. Auch Art. 25(3) ICC Statut scheint von einem weiten Verständnis von „commission“ auszugehen. Siehe aber auch Prosecutor v. Brdanin, IT-99-36-A (3. April 2007), Separate Opinion of Judge Meron, Abs. 6 „B’s conviction for this crime via the JCE [joint criminal enterprise] should be treated as a form of „ordering“ for purposes of Article 7(1) rather than as a form of „committing“. 29 Prosecutor v. Delalic ´ et al., IT-96-21-T (16. November 1998), Abs. 473; Dixon/ Kahn, Archbold International Criminal Courts, § 10–12 (S. 286). 30 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T, Dissenting Opinion of Judge Arlette Ramaroson (17. Februar 2004), Abs. 45. Die Anstiftungshandlung kann Beihilfeelemente enthalten, was dazu führt, dass beide Tathandlungen ineinander greifen und eine strikte Abgrenzung schwierig ist; siehe unten C.II. 31 Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 199 und 207. 32 Problematisch ist unter anderem, ob der Täter für ein und dieselbe Handlung sowohl nach Art. 6(1) als auch 6(3) ICTR Statut (bzw. Art. 7(1) und Art. 7(3) ICTY Statut) bestraft werden kann; dazu Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-951-T (12. Mai 1999), Abs. 210; Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 842; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 337; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-A (29. Juli 2004), Abs. 743 ff. Fraglich ist auch, ob
C. Actus reus Voraussetzungen des conducts
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jedoch sowohl das ICTR als auch das ICTY davon aus, dass beide Konzepte in sich eigenständig und strikt von einander zu trennen sind35, sodass „superior responsibility“ keine Auswirkung auf die Begründung der individuellen Strafbarkeit hat, sondern als Sonderregelung der individuellen Strafverantwortlichkeit aufzufassen ist. Auch das ICC Statut vertritt diesbezüglich eine klare Position, indem es die individuelle Strafbarkeit (Art. 22) und die Auswirkungen von Anordnungen Vorgesetzter (Art. 33) systematisch voneinander trennt. Die Grundregeln zur individuell strafrechtlichen Verantwortlichkeit sind in Art. 25 ICC Statut präzisiert worden. Der Aufbau in Format und Struktur ist an Art. 2 des ILC Draft Codes v. 1996 angelehnt36. Ein Täter ist gemäß Art. 25(3) ICC Statut37 für ein in der Jurisdiktionskompetenz des Gerichts liegendes Verbrechen verantwortlich, wenn er: „(a) Commits such a crime, whether as an individual, jointly with another or through another person, regardless of whether that other person is criminally responsible; (b) Orders, solicits or induces the commission of such a crime which in fact occurs or is attempted; Art. 6(3) ICTR Statut/Art. 7(3) ICTY Statut zu Art. 6(1) ICTR Statut/Art. 7(1) ICTY Statut nur einen subsidiären Charakter besitzt; dazu Prosecutor v. Stankic´, IT-97-24-T (31. Juli 2003), Abs. 465; nunmehr Prosecutor v. Jokic´ [Miodrag], IT-01-42/1-A (30. August 2005), Abs. 187. 33 Art. 6(1) ICTR Statut, Art. 7(1) ICTY Statut. 34 Art. 6(3) ICTR Statut, Art. 7(3) ICTY Statut. 35 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T, Dissenting Opinion of Judge Arlette Ramaroson (17. Februar 2004), „I would add, as stated by the Appeals Chamber in Celebici, that the two types of responsibilities differ in nature, and that ,these principles are quite separate and neither is dependent in law upon the other“; Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 471 „In the opinion of the Tribunal, Articles 6(1) and 6(3) address distinct principles of criminal liability and should, therefore, be considered separately. Art. 6(1) sets forth the basic principles of individual criminal liability, which are undoubtedly common to most national criminal jurisdictions. Art. 6(3), by contrast, constitutes something of an exception to the principles articulated in Article 6(1), as it derives from military law, namely the principle of liability of a commander for the acts of his subordinates or „command responsibility“. 36 Saland in: Lee, The International Criminal Court, The Making of the Rome Statute, 189 (198); Art. 2 ILC Draft Code v. 1996 „Article 2 Individual responsibility 1. A crime against the peace and security of mankind entails individual responsibility. [. . .] 3. An individual shall be responsible for a crime set out in article [. . .] 18 [. . .] if that individual: (a) intentionally commits such a crime; (b) orders the commission of such a crime which in fact occurs or is attempted; (c) fails to prevent or repress the commission of such a crime in the circumstances set out in article 6; (d) knowingly aids, abets or otherwise assists, directly and substantially, in the commission of such a crime, including providing the means for its commission; (e) directly participates in planning or conspiring to commit such a crime which in facts occurs; (f) directly and publicly incites another individual to commit such a crime which in fact occurs; (g) attempts to commit such a crime by taking action commencing the execution of a crime which does not in fact occur because of circumstances independent of his intentions.“ 37 Eine wortgleiche Regelung findet sich in Sec. 14.3 UNTAET Reg. 2000/15.
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
(c) For the purpose of facilitating the commission of such a crime, aids, abetts or otherwise assists in the commission or its attempted commission, including providing the means for its commission; (d) In any other way contributes to the commission or attempted commission of such a crime by a group of persons acting with a common purpose. [. . .].“38
Die Frage nach der hier angesprochenen konkreten Form der Tatbegehung ist nicht nur akademischer Natur. Im Gegenteil stellte sie sich als eine der vordersten Streitpunkte in der Gerichtspraxis des ICTR und ICTY dar. Denn häufig entschloß sich die OTP aufgrund neuer Erkenntnisse, die Anklageschrift nachträglich zu ändern oder zu erweitern, oder versäumte es, detaillierte Ausführungen über den „mode of participation“ des Angeklagten zu machen. Konsequenterweise wurde von der Verteidigung regelmäßig ein formaler Antrag auf Nichtanerkennung der Änderung oder Erweiterung, oder Unzulässigkeit der Einführung eingereicht, da der Grundsatz der effektiven Verteidigungsmöglichkeit und damit „fair trial“ verletzt sei. Im Blasˇkic´ Appeal hat sich das ICTY diesen Bedenken angeschlossen und den Richtsatz aufgestellt, dass sich die OTP zwar
38 Vgl. amtliche UN Übersetzung des ICC Statuts, UN Doc. A/Conf.183/9 (17. Juli 1998), Art. 25(3): „In Übereinstimmung mit diesem Statut ist für ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen strafrechtlich verantwortlich und strafbar, wer (a) ein solches Verbrechen selbst, gemeinschaftlich mit einem anderen oder durch einen anderen begeht, gleichviel ob der andere strafrechtlich verantwortlich ist; (b) die Begehung eines solchen Verbrechens, das tatsächlich vollendet oder versucht wird, anordnet, dazu auffordert oder dazu anstiftet; (c) zur Erleichterung eines solchen Verbrechens Beihilfe oder sonstige Unterstützung bei seiner Begehung oder versuchten Begehung leistet, einschließlich der Bereitstellung der Mittel für die Begehung; (d) auf sonstige Weise zur Begehung oder versuchten Begehung eines solchen Verbrechens durch eine mit einem gemeinsamen Ziel handelnde Gruppe von Personen beiträgt [. . .].“ Bei der Regelung in Art. 25 ICC Statut ergaben sich drei kritische Verhandlungsschwerpunkte; erstens die Einbeziehung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von juristischen Personen, zweitens die Einbeziehung der anglo-amerikanischen Strafmaxime der „complicity“ und drittens die Erweiterung des Anreizungstatbestandes („incitement“) vom Tatbestand des Völkermordes auf andere Straftatbestände, über die das Gericht ratione materiae Jurisdiktionskompetenz besitzt. Der erste Punkt wurde aufgrund eines unüberwindbaren Meinungsstreites nicht in Art. 25 ICC Statut aufgenommen und der Rechtsprechung des Gerichtes überlassen. Bei der Ausführungshandlung der „complicity“ konnte durch die Inkorporierung der im Internationalen Übereinkommen vom 15. Dezember 1997 zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge (International Convention for the Suppression of Terrorist Bombings, U.N. Doc. Res. 52/ 164 (15. Dezember 1998), Annex.) getroffenen Regelung Einigkeit erzielt werden. Die Regelung ist in Art. 25(3)(d) ICC Statut kodifiziert worden. Bezüglich des letzten Punktes wurde Einigkeit erzielt, dass die Begehung der Aufstachelung inter alia auf das Verbrechen gegen die Menschlichkeit übertragbar ist, ohne dass die in Art. 3 des Völkermordtatbestandes enumerierte Einschränkung der direkten und öffentlichen Begehung übernommen werden muss. Dieser Ansatz ist, bezüglich dieses Punktes, in Konformität mit der Rechtsfindung der ad hoc Tribunale.
C. Actus reus Voraussetzungen des conducts
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nicht exklusiv zwischen „superior responsibility“ (Abs. 3) und Partizipierung der Tat (Abs. 1) entscheiden muss, sondern sich auf beide Varianten stützen kann. Allerdings ist sowohl bei Berufung auf Abs. 1 als auch Abs. 3 dringend erforderlich, dass die Anklage die Art und Weise des Tatvorwurfs, also etwa Planung, Anweisung, oder Ausführung, explizit benennt. Unterlässt sie das, ist die Anklageschrift in diesem Punkt fehlerhaft39. Ebenso wenig kann ein Anklagevorwurf zulässigerweise von einer direkten Begehungs- in eine indirekte Begehungsvariante „umgedeutet“ werden. In Mpambara hat das ICTR (zu Recht) erklärt, dass beide Handlungstypen in ihrer Ausgestaltung grundsätzlich verschieden sind, und unterschiedliche Voraussetzungen konstituieren; der Versuch der OTP, eine direkte Begehung im Rahmen eines joint criminal enterprise in ein „aiding und abetting“ umzuwandeln, ohne die Anklageschrift ändern zu müssen, scheiterte40.
I. Täterschaftliche Ausführungshandlungen Die ICTR, ICTY und ICC Statuten enumerieren explizit die Planung, Aufstachelung41, Anordnung, Begehung, sowie die Beihilfe und Anstiftung als taugliche Ausführungshandlungen eines Verbrechens. Die deutsche Übersetzung der englischen Originalbegriffe war jedoch wohl aufgrund der unterschiedlichen Rechtssystematik mit Schwierigkeiten behaftet, so dass sich insbesondere unter Einbeziehung des deutschen Strafrechtsverständnisses bei der Definitionspräzisierung Unklarheiten ergeben. Der Begriff der „instigation“ als Ausführungsverbrechen (hier betitelt als „Aufstachelung“) wird mit „Anstiftung“ übersetzt42. Art. 25(3)(b) ICC Statut in der deutschen Übersetzung geht zudem davon aus, dass der Terminus „induce“ (hier betitelt als „Hervorrufen“) als Variante der „instigation“ auch „anstiften“ heißen soll. Die eigentliche in den Statuten erwähnte und nach deutschem Rechtsverständnis sinngemäße Anstiftung als akzessorische Teilnahmehandlung („abetting“) ist in die deutsche Übersetzung hingegen nicht übertragen worden. „Instigation“ kann aber nicht mit „abetting“ gleichgesetzt und etwa unter den Begriff „Anstiftung“ subsumiert werden. „Instigation“ (Aufstachelung) ist schon 39 Grundlegend Prosecutor v. Blasˇkic ´ , IT-95-14-A (29. Juli 2004), Abs. 211 ff. mit Verweis auf und zustimmend Prosecutor v. Krnojelac; IT-97-25-A (17. September 2003) Abs. 138; siehe auch Prosecutor v. Zigiranyirazo, ICTR-2001-73-PT, Decision on Defence Urgent Motion to Exclude some Parts of the Prosecution Pre Trial Brief (30. September 2005), Abs. 5. 40 Prosecutor v. Mpambara, ICTR-01-65-T (11. September 2006), Abs. 37. 41 Die Amtliche Deutsche Übersetzung lautet „angestiftet“, vgl. Art. 7 des ICTY Statuts in deutscher Übersetzung. Zur Problematik der deutschen Übersetzung der Ausführungstermini siehe oben Fn. 27. 42 Siehe Art. 6(1) ICTR Statut und Art. 7(1) ICTY Statut.
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
aufgrund der Einordnung als „direkte Begehung“ von seiner Begehungsform her etwas völlig anders als die indirekte Begehungsalternative des „abetting“ (Anstiftung). Ebenso ist „aiding“ (richtigerweise „Beihilfe“) und „abetting“ (richtigerweise „Anstiftung“) mit dem Überbegriff „Beihilfe“ (statt „Teilnahme“) übersetzt worden43. Auch hier wurde das deutsche Strafrechtsverständnis nicht hinreichend berücksichtigt. Da jedoch in der völkerstrafrechtlichen Gerichtspraxis „aiding“ und „abetting“ regelmäßig kumulativ verwendet werden, und somit eine Berufung auf eine „Teilnahmehandlung“ ausreicht, wiegt letzterer Übersetzungsfehler nicht so schwer. Zum besseren Verständnis sollen neben der hier vorgeschlagenen deutschen Übersetzung (die zum Zwecke der Klarstellung teilweise von der „amtlichen“ Übersetzung abweicht), zusätzlich die englische Originaltermini Beachtung finden. Im Zweifelsfalle sind Letztere, nicht etwa die deutsche Übersetzung, autoritär. 1. Planung („planning“) In Akayesu wurde festgestellt, dass die „Planung“ konzeptionell mit dem Konzept der Mittäterschaft („complicity“) im zivilistischen Rechtskreis, und dem Konzept der Verschwörung („conspiracy“) im angloamerikanischen Rechtskreis vergleichbar ist. Im Gegensatz zu „complicity“ ist jedoch die Begehung durch eine Person möglich44. Planung setzt voraus, dass eine oder mehrere Personen einen Entwurf für die Ausführung des Verbrechens, sowohl in der Vorbereitungsphase, als auch in der Ausführungsphase konzipieren45. Das Ausmaß der Beteiligung muss von substantieller Natur sein: etwa durch die Ausarbeitung eines Planes, oder das Gutheißen eines Planes, der von einer anderen Per-
43 Siehe Art. 6(1) ICTR Statut und Art. 7(1) ICTY Statut, sowie Art. 25(3)(c) ICC Statut. 44 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 480. 45 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T, Dissenting Opinion of Judge Arlette Ramaroson (17. Februar 2004), Abs. 55 „Planning implies that one or more persons conceive a design for the commission of a crime at both the preparatory and execution phases.“; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 380; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T (27. Januar 2000), Abs. 119; Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 480; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 37; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 761; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 592; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 279; Prosecutor v. Kristic´, IT-98-33-T (2. August 2001), Abs. 601; Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT95-14/2-T (26. Januar 2001), Abs. 386; Prosecutor v. Stankic´, IT-97-24-T (31. Juli 2003), Abs. 443.
C. Actus reus Voraussetzungen des conducts
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son vorgeschlagen wurde46. Die Existenz eines Planes kann durch circumstancial evidence bewiesen werden47. Weil die Tathandlung erst dann erfüllt ist, wenn der Täter substanziell an der Planung mitgewirkt hat, erfüllen Personen, die nur in einer zu vernachlässigenden Weise an der Planung beteiligt sind, nicht die actus reus Voraussetzungen dieser Tathandlung. Um einen Täter wegen der Ausführungshandlung der Planung bestrafen zu können, ist zudem Voraussetzung, dass das Verbrechen tatsächlich begangen worden ist48. Reine Vorbereitungs- oder Planungshandlungen, die nicht in eine kausale Ausführungshandlung münden, sind damit nicht von dieser Tatbegehungsalternative erfasst. Als Grund gibt das ICTR in Akayesu an, dass mit Ausnahme des Völkermordtatbestandes allein durch die Planungshandlung keine Tatbestandserfüllung eintreten könne, und demnach strafrechtliche Verantwortlichkeit ausscheide49. Der Ansatz ist jedoch nicht unfragwürdig, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in den meisten Rechtssystemen der Internationalen Gemeinschaft, unabhängig von der eigentlichen Ausführung der Tat, eine Planungshandlung schon dann für vollendet bewertet wird, wenn einige der erforderlichen Tatbestandsmerkmale verwirklicht sind. Praktisch relevant wird die Frage bei allgemeinen „Generalstabsplanungen“, die nicht unmittelbar mit einem Begehungsakt in Verbindung stehen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass für den Fall, dass ein Täter sowohl die Handlung geplant, als auch ausgeführt („committed“) hat, er nur wegen Letzterem zu betrafen ist50. Das Vorliegen beider Ausführungshandlungen führt allerdings zu einer Strafschärfung („aggravating circumstance“). Bezüglich der erforderlichen mens rea muss nachgewiesen werden, dass der Beschuldigte durch seine Planung in direkter oder indirekter Weise vorsätzlich die fragliche Begehung des Ausführungstäters herbeiführen wollte51.
46 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T, Dissenting Opinion of Judge Arlette Ramaroson (17. Februar 2004), Abs. 55 „The level of participation must be substantial, such as, inter alia, formulating a plan or endorsing a plan proposed by another person.“; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 761; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), 30. 47 Prosecutor v. Naletilic ´ und Martinovic´, IT-98-34-T (31. März 2003), Abs. 59; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 279. 48 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 473. 49 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 473; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 589. 50 Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 30; Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 386; Prosecutor v. Naletilic´ und Martinovic´, IT-98-34-T (31. März 2003), Abs. 59. 51 Prosecutor v. Blasˇkic ´ , IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 279; Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 386; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 31.
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
2. Aufstachelung („instigating“) Eine Aufstachelung beinhaltet, dass eine andere Person angetrieben werden soll, ein Verbrechen zu begehen52. Nach Blasˇkic´ ist der Terminus „instigating“ vergleichbar mit der Wortbedeutung „to bring about“53. Zwischen der Aufstachelungshandlung und der Ausführung des Verbrechens gegen die Menschlichkeit muss eine Verbindung nachgewiesen werden54, bei der die Aufstachelung sich als (expliziter oder impliziter55) signifikanter Beitrag zur Begehungstat darstellt. Nicht notwendig ist der Nachweis strikter Kausalität im Sinne von conditio sine qua non56. Ein praktisches Beispiel soll dies verdeutlichen. Wenn der A (Hutu) den B (Hutu) anstachelt, den C (Tutsi) zu töten, weil dieser ein „Tutsi“ ist, der B aber (unter Ausschluss jeglicher Irrtümer) den D (Tutsi) tötet, weil er – der B –, aufgestachelt von A, zum einen „Tutsis“ töten will, zum anderen aber die Tötung von D vorzieht, so stellt sich die Aufstachelungshandlung des A als tauglich dar. Auch eine Aufstachelungshandlung von A, die sich 52 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T, Dissenting Opinion of Judge Arlette Ramaroson (17. Februar 2004), Abs. 57 „,Insigation‘ involves ,prompting another person to commit an offence‘“; Prosecutor v. Ndindabahizi, ICTR-2001-71-I (15. Juli 2004), Abs. 456; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 381; Prosecutor v. Krstic´, IT-98-33-T (2. August 2001), Abs. 601; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 280; Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 387; Prosecutor v. Naletilic´ und Martinovic´, IT-98-34-T (31. März 2003), Abs. 60. 53 Prosecutor v. Blasˇkic ´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 280. 54 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-44A-T, Dissenting Opinion of Judge Arlette Ramaroson (17. Februar 2004), Abs. 57 „Another requirement for instigation to commit a crime is the existence of a causal link between the act of instigating [. . .] and the actual perpetration of the crime“; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 30 „An individual who instigates another person to commit a crime incurs responsibility for that crime. By urging or encouraging another person to commit a crime, the instigator may contribute substantially to the commission of the crime. Proof is required of a causal connection between the instigation and the actus reus of the crime“; Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 482; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 38; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T (27. Januar 2000), Abs. 120; Prosecutor v. Semanza, ICTR-9720-T (15. Mai 2003), Abs. 381. Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 762; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 593; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 280. Ein Verbindungsnachweis ist (unabhängig vom Verbrechen gegen die Menschlichkeit) bei „incitement to genocide“ nicht notwendig, vgl. Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 562; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 38; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T (27. Januar 2000), Abs. 120. 55 Prosecutor v. Brdjanin, IT-99-36-T (1. September 2004), Abs. 269. 56 Prosecutor v. Naletilic ´ und Martinovic´, IT-98-34-T (31. März 2003), Abs. 60 „The actus reus [von instigation] requires a clear contribution to the act of the other person, but it needs not be shown that the offence would not have been perpetrated without the participation of the accused“ (Hervorhebung im Original); Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 387; Prosecutor v. Kvocˇka et al., IT-98-30/1-T (2. November 2001), Abs. 252.
C. Actus reus Voraussetzungen des conducts
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unspezifisch auf die Tötung von Tutsis bezieht, wäre wohl ausreichend, wenn der Nachweis erbracht werden kann, dass der B aufgrund der Aufstachelung an einer spezifischen Person ein Verbrechen verübt hat57. Praktisch relevant ist das Problem bei Verurteilungen im Rahmen des Verfolgungstatbestandes (Hasspredigten, Denunzierungsfälle58). Reicht insoweit die „Erbringung eines signifikanten Beitrages“ aus, könnte sich daraus schließen lassen, dass auch bei einem omnimodo facturus eine taugliche Aufstachelungshandlung möglich ist, und zwar unabhängig von der Frage, ob sich der Drang der Tatbegehung beim finalen Ausführungsorgan durch die Aufstachelung verstärkt hat. Direkte Provokationen reichen aus59. Sonderregelungen gelten allerdings beim Spezialfall einer Aufstachelungshandlung im Rahmen eines „joint criminal enterprise“. Hier bestehen weniger strenge Regeln. In concreto geht die ICTY Appeals Chamber davon aus, dass bei der gemeinschaftlichen Begehung mit anderen Tätern die Erbringung eines signifikanten Beitrages mitunter entbehrlich sein kann60. Schafft der „Aufstachelungstäter“ etwa eine Situation, die es zulässt, dass seine Untergebenen kriminelle Handlungen begehen können, ohne Sanktionen fürchten zu müssen, so soll darin eine taugliche Aufstachelungshandlung liegen61. Ein verallgemeinerungsfähigeres Problem ist wiederum, ob eine Aufstachelungshandlung „öffentlich“ vollzogen werden muss. Die Unklarheit ergab sich aus einer Abweichung zwischen dem englischen und dem französischen ICTR Statut. Während „Aufstachelung“ in der englischen Fassung durch „instigation“ kodifiziert wurde, enthält die gleichermaßen autoritäre französische Fassung den 57
So auch Chesterman, 10 Duke J Comp.&Int’lL (1999), 307 (320). Dazu umfassend siehe unten Kapitel 5 E.I.4. bei der Besprechung des Verfolgungstatbestandes. 59 Prosecutor v. Kordic ´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 387 „The Blaskic Trial Chamber held that instigating „entails ,prompting another to commit an offence‘.“ Both positive acts and omissions may constitute instigation, but it must be proved that the accused directly intended to provoke the commission of the crime.“; Prosecutor v. Kvocˇka et al., IT-98-30/1-T (2. November 2001), Abs. 309; Prosecutor v. Brdjanin, IT-99-36-T (1. September 2004), Abs. 269. 60 Prosecutor v. Kvoc ˇka et al., IT-98-30/1-A (28. Februar 2005), Abs. 187 „The Appeals Chamber has stated that the accused’s participation in carrying out the joint criminal enterprise is likely to engage his criminal responsibility as a co-perpetrator, without it being necessary in general to prove the substantial or significant nature of his contribution: it is sufficient for the accused to have committed an act or an omission which contributes to the common criminal purpose. Contrary to the holding of the Trial Chamber, the Tribunal’s case-law does not require participation as co-perpetrator in a joint criminal enterprise to have been significant, unless otherwise stated. A fortiori, contrary to Kvocka’s submissions, such participation need not be ,direct or significant‘. Kvocka’s arguments are thus rejected on this point.“ (Hervorhebung im Original) 61 Prosecutor v. Galic ´ , IT98-29-T (5. Dezember 2003), Abs. 168 mit Berufung auf Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 337. 58
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
Begriff „incitation“. Die Trial Chamber I in Akayesu nahm zwar zur Kenntnis, dass die englischen Begriffe „instigation“ und „incitement“ eine synonyme Wortbedeutung hätten62. Allerdings sei aus rechtsdogmatischer Sicht insbesondere im zivilistischen Rechtskreis die Bedeutung der Begriffe „instigation“ (richtigerweise „Aufstachelung“) und „incitement“ (richtigerweise „Anreizung“) sehr verschieden. Das Gericht stellte sich insoweit die Frage: „Furthermore, and even assuming that the two words were synonymous, the question would be to know whether instigation under Article 6(1) [ICTR Statut] must include the direct and public elements, required for incitement, particularly, incitement to commit genocide (Art. 2(3)(c) of the [ICTR] Statute) which, in this instance, translates incitation into English as ,incitement‘ and no longer ,instigation‘.“63
Ohne substantielle Erklärung folgert die ICTR Trial Chamber I unter Berufung auf eine Autorität in der Literatur und dem ILC Kommentar zu Art. 2(3) des ILC Draft Codes on Crimes Against the Peace and Security of Mankind, dass eine öffentliche Begehung notwendig sei64. Das bedeutet allerdings nicht, dass es keine Argumente dafür gebe, dass „Aufstachelungshandlungen“ immer öffentlich begangen werden müssen. Denkt man das in Akayesu aufgeworfene Systematikproblem zu Ende, so könnte für die Notwendigkeit einer öffentlichen Begehung im Rahmen einer Aufstachelungshandlung folgendermaßen argumentiert werden: Als Vorbemerkung sei jedoch erneut erwähnt, dass – wie in dieser Abhandlung vorgeschlagen – der englische Begriff „incitement“ bzw. der französische Terminus „incitation“ als „Anreizung“, und der englische Begriff der „instigation“ als „Aufstachelung“ verstanden und übersetzt wird. In Art. 2(3)(c) ICTR Statut ist kodifiziert, dass unter anderem eine Person bestraft werden kann, wenn sich die Handlungsweise als „direct and public incitement to commit genocide“ darstellt. Infolge dessen könnte aus der Tatsache, dass einerseits in der englischen Version in Art. 2(3)(c) ICTR Statut der Begriff 62 Das Gericht berief sich diesbezüglich auf die „Lexique Anglais-Français (principalement juridique) des Europarates, Straßburg, 1977, das den Begriff „incitement“ mit incitation, instigation ou provocation übersetzt, sowie auf das „Dictionnaire Français/Anglais“ Larourss und das „Dictionnaire Francais/Anglais“ Super Senior Robert Collins; Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 481, Fn. 82. 63 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 481. 64 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 481, Fn. 85 „See Virgina Morris and Michael P. Scharpf, Ibid. p. 239 [ohne vorherige Konkretisierung im Urteil und falscher Schreibweise des Autors. Aus dem Akayesu Appeal Urteil, Fn. 476 [sowie dem großen Bekanntheitsgrad der Autoren] geht hervor, dass wohl ,Virginia Morris und Michael Scharf, International Criminal Tribunal of Rwanda‘ gemeint ist]. Comments on Article 2(3)(f) of the Draft Code on Crimes Against the Peace and Security of Mankind by the International Law Commission, which article considers incitement to commit a crime in the same way as Article 6(1) of the Tribunal’s Statute.“; s. a. ibid., Abs. 478; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 38.
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„incitement“ mit „direct and public“ verbunden ist, und andererseits die französische Version in Art. 6(1) ICTR Statut für die Begehungsalternative der „Aufstachelung“ (richtigerweise „instigation“) den Begriff „incitation“ gebraucht, der Schluss gezogen werden, dass das Element „public“ aus der englischen Version quasi auf den für den Begriff der „Aufstachelung“ in der französischen Version verwendeten Terminus („incitation“) überwirkt. Die Folge wäre, dass der für die Aufstachelung verwendete englische Begriff „instigation“ so ausgelegt werden muss, dass er das französischsprachige Verständnis achtet und somit eine öffentliche Begehung voraussetzt. Die Appeals Chamber in Akayesu hat obigem Ansatz nicht getragen. Gerade der in Art. 2(3)(c) ICTR Statut gewählte Zusatz „direct and public incitement“ impliziert, dass es a contrario Anreizungshandlungen („incitement“) geben muss, die nicht öffentlich sind. Wäre dem nicht so, wäre der Zusatz überflüssig65. Eine Interpretation, die von der Unbeachtlichkeit eines Tatbestandsmerkmals ausgeht, ist jedoch nur im Ausnahmefall zulässig. Daraus schließt das Gericht, dass „if the drafters of the Statute had wished to similarly confine ,instigation‘ to situations where it was ,public and direct‘, it would be reasonable to expect that they would have specifically required it.“66
Auch seien die von der Trial Chamber aufgeführten Autoritäten nicht schwergewichtig, da dort nur allgemeine Aussagen getroffen werden, die nicht ohne weiteres übertragbar sind67. Die Appeals Chamber kam insoweit zu dem Schluss, dass zwar die in der Originalfassung der Statuten verwendeten englischen Begriffe der Aufstachelung („instigation“) und der „Anreizung“ („incitement“) aus linguistischer Sicht synonym sind68, jedoch eine öffentliche Aufstachelung nicht notwendig ist. Diesem Interpretationsansatz ist vorbehaltlos zuzustimmen. Das zeigt neben den systematisch-dogmatischen Argumenten auch die Überlegung, dass es für den strafrechtlichen Schweregehalt keinen Unterschied machen kann, ob der/die Ausführungstäter vom Beschuldigten auf einem öffentlichen Platz, oder in einer geschlossenen nicht öffentlichen Räumlichkeit, etwa einer Halle, aufgestachelt wurden. Wirkungsgrad und Ausstrahlungswirkung der Aufstachelungshandlung auf die Zuhörer sind in beiden Fällen vergleichbar. 65
Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-A (1. Juni 2001), Abs. 480. Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-A (1. Juni 2001), Abs. 478, den Ausführungen der Anklage in Prosecution’s Brief, Abs. 5.27 folgend. 67 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-A (1. Juni 2001), Abs. 476 „In the opinion of the Appeals Chamber, it could be said that in fact Morris and Scharf only provided a general comparison of the approach followed by the Draft Code of Crimes (and commentaries included therein) with the approach contained in the Statute, with respect of individual criminal responsibility regarding incitement to commit crimes.“ 68 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-A (1. Juni 2001), Abs. 478. 66
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
Bezüglich der erforderlichen mens rea muss nachgewiesen werden, dass der (Ausführungs-)Täter in direkter oder indirekter Weise vorsätzlich die fragliche Begehung herbeiführen wollte69. Zusätzlich ist der Nachweis zu erbringen, dass der Beschuldigte vorsätzlich die Begehung eines Verbrechens provozieren oder hervorrufen („induce“) wollte, oder sich darüber bewusst war, dass als nachvollziehbare Folge seiner Handlung die Begehung des Verbrechens mit substanzieller Wahrscheinlichkeit hervorgerufen würde70. 3. Anweisung („ordering“) Die Verbrechensbegehung in Form der Anweisungserteilung ist seit dem IMTUrteil völkerstrafrechtlich anerkannt71. Eine „Anweisungshandlung“ erfordert die Existenz eines Hierarchie- oder Subordinationsverhältnisses („superior-subordinate relationship“) zwischen der Person, die die Anweisung erteilt, und derjenigen Person, die sie ausführt oder durch einen Untergebenen ausführen lässt. Grundsatz ist somit, dass eine Person aufgrund seines Autoritätsgrades eine andere Person „überzeugt“, ein Verbrechen zu begehen72. Allerdings ist nicht notwendig, dass die Autorität formal rechtlich bestätigt ist; abzustellen ist lediglich auf den faktischen Effektivitätsgrad an Autorität73. Die Anweisung kann explizit oder implizit in jeglicher Form und Ausgestaltung erfolgen74. Der Nachweis kann durch „circumstantial evidence“ erbracht werden75. Zudem ist nicht erforderlich, dass die Anweisung offensichtlich unrechtmäßig ist, oder dass sie sich
69 Prosecutor v. Blasˇkic ´ , IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 279; Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 386; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 31. 70 Prosecutor v. Naletilic ´ und Martinovic´, IT-98-34-T (31. März 2003), Abs. 60; vgl. auch Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Januar 2001), Abs. 386 mit leicht restriktiverem Ansatz „it must be proved that the accused directly intended to provoke the commission of the crime“; siehe schließlich Prosecutor v. Kvocˇka et al., IT-98-30/1-T (2. November 2001), Abs. 252. 71 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-A (1. Juni 2001), Abs. 474. 72 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T, Dissenting Opinion of Judge Arlette Ramaroson (17. Februar 2004), Abs. 62 „ordering presupposes the existence of a superior-subordinate relationship between the person giving the order and the one executing it, or his subordinate. In other words, the person in a position of authority uses it to convince another to commit an offence“; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 39; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 763; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 612. 73 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T, Dissenting Opinion of Judge Arlette Ramaroson (17. Februar 2004), Abs. 64; vgl. weiter Mettraux, 1 Int’l Crim. LRev. (2002), 261 ff.; s. a. Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 483 „Regarding the position of authority, the Chamber consideres that sometimes it can be just a question of fact“. 74 Prosecutor v. Blasˇkic ´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 281. 75 Prosecutor v. Blasˇkic ´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 281.
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explizit an das Begehungsorgan richtet; eine Anweisung an eine identifizierbare Personengruppe reicht aus76. Schließlich kann auch eine Person, die in der Befehlshierarchie lediglich als „Weiterleitungsorgan“ fungiert, unter bestimmten Umständen eine taugliche Anweisungshandlung tätigen. Das trifft insbesondere dann zu, wenn nachgewiesen werden kann, dass sich die Anweisung des „Weiterleitungsorgans“ unter Zugrundelegung der Umstände als neuerlicher Erlass darstellt77. Je nach Ausgestaltung der Weiterleitung kann die Weiterleitung zudem eine Teilnahmehandlung im Sinne von „aiding“ und „abetting“ sein. Die erforderliche mens rea für eine taugliche Anweisungshandlung besteht aus dem Nachweis, dass der Beschuldigte vorsätzlich die Begehung eines Verbrechens provozieren oder hervorrufen („induce“) wollte78. Er muss zudem in direkter oder indirekter Weise vorsätzlich die fragliche Begehung herbeigeführt haben wollen79. Im Blasˇkic´ Appeal wurde festgestellt, dass auch das reine Bewusstsein („awareness“) des Täters, dass als nachvollziehbare Folge seiner Handlung die Begehung des Verbrechens mit substanzieller Wahrscheinlichkeit hervorgerufen würde, ausreichend ist80. Die mens rea des Empfängers ist unbeachtlich81. 4. Begehung i. e. S. – „Ausführung“ („committing“) Ein Täter hat zuvorderst ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, wenn er physisch die kriminelle Handlung ausgeführt hat82. Primär deckt die Ausführungsvariante die persönliche und physische Beteiligung an der Verbrechensausführung durch den Beschuldigten ab83. „Commission“ bedeutet aber 76
Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 282. Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 827 und 862. 78 Prosecutor v. Naletilic ´ und Martinovic´, IT-98-34-T (31. März 2003), Abs. 60 „The requisite mens rea is that the accused intended to provoke or induce the commission of the crime, or was aware of the substantial likelihood that the commission of a crime would be a probable consequence of his acts“; Prosecutor v. Akayesu, ICTR-964-T (2. September 1998), Abs. 482; Prosecutor v. Kvocˇka et al., IT-98-30/1-T (2. November 2001), Abs. 252. 79 Prosecutor v. Blasˇkic ´ , IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 279; Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 386; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 31. 80 Prosecutor v. Blasˇkic ´, IT-95-14-A (29. Juli 2004), Abs. 42. 81 Prosecutor v. Blasˇkic ´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 282. 82 Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 595; Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 188; Prosecutor v. Kunarac et al., IT96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 390; Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 376; Prosecutor v. Kvocˇka et al., IT-98-30/ 1-T (2. November 2001), Abs. 251; Prosecutor v. Vasiljevic´, IT-98-32-T (29. November 2002), Abs. 62. 77
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
nicht, dass der Täter begriffsnotwenig aktiv Ausführungstäter sein muss. In Stakic´ hat das ICTY durch expliziten Verweis auf das deutsche Rechtsinstitut der „mittelbaren Täterschaft“ zum einen eine „indirekte“ Begehung für tauglich erachtet84, wobei auch eine co-operative Begehung im Rahmen eines joint criminal enterprise möglich ist85. Zum anderen sei noch einmal darauf verwiesen, dass die Tatbegehung der „commission“ sowohl die aktive Handlungsbegehung, als auch die schuldhafte Unterlassung umfasst. Wie im deutschen Strafrecht auch, können Handlungen durch passives Nichteingreifen „begangen“ werden. Bezüglich der erforderlichen mens rea ist auf die spezifischen subjektiven Voraussetzungen innerhalb der chapeau Merkmale des Verbrechens gegen die 83 Prosecutor v. Tadic ´, IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 188; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 390; Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 376; Prosecutor v. Kvocˇka et al., IT-98-30/1-T (2. November 2001), Abs. 251; Prosecutor v. Vasiljevic´, IT-98-32-T (29. November 2002), Abs. 62. 84 Prosecutor v. Stakic ´, IT-97-24-T (31. Juli 2003), Abs. 439 „The Trial Chamber prefers to define ,committing‘ as meaning that the accused participated, physically or otherwise directly or indirectly [Fn. 942] in the material elements of the crime charged through positive acts or, based on a duty to act, omissions, whether individually or jointly with others. [Fn. 943] The accused himself need not have participated in all aspects of the alleged criminal conduct“. Fn. 942: „participation in German Law (mittelbare Täterschaft) or „the perpetrator behind the perpetrator“; terms normally used in the context of white collar crime or other forms of organised crime“; Fn. 943: Kvocka Trial Judgement, para 251 (Hervorhebungen im Original). 85 Grundlegend Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 185 ff.; vgl. weiter Prosecutor v. Multitinovic´ et al., Decision on Ojdanic’s Motion Challenging Jurisdiction, IT-99-37-AR72 (21. Mai 2003), Abs. 19 und 34 ff.; Prosecutor v. Vasiljevic´, IT-98-32-A (25. Februar 2004), Abs. 97 ff.; Prosecutor v. Kvocˇka, IT-98-30/1-A (28. Februar 2005), Abs. 82 ff. Bezüglich der erforderlichen mens rea vgl. Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 196; Prosecutor v. Kvocˇka, IT-98-30/1-A (28. Februar 2005), Abs. 110; Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-A (17. September 2003), Abs. 84; Prosecutor v. Cˇermak und Markacˇ, Trial Chamber II Decision on Ivan Cˇermaks und Mladen Markacˇs Motion on Form of Indictment, IT-03-73-PT (8. März 2005), Abs. 65; Prosecutor v. Brdanin und Talic´, Decision on Form of Further Amended Indictment, IT-99-36 (26. Juni 2001), Abs. 33; Prosecutor v. Simic´, IT-95-9-T (17. Oktober 2003), Abs. 145; Prosecutor v. Limaj et al. Prosecution Pre-Trial Brief, Abs. 134; Prosecutor v. Krstic´, IT-98-33-T (2. August 2001), Abs. 633 f.; siehe auch inter alia Powles, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 609 ff.; van Sliedrecht, The Criminal Responsibility of Individuals for Violations of International Humanitarian Law, 100. Alle Formen von joint criminal enterprise („basic“, „systematic“ und „extended“) setzen bezüglich des actus reus voraus: Erstens, eine Mehrzahl an Personen, zweitens, die Existenz eines gemeinsamen Plans, Ausgestaltung, oder Zweckes welcher die Begehung eines (im Statut enumerierten) Verbrechens beinhaltet oder darauf abzielt, wobei jedoch ein vorheriges Arrangement (z. B. durch formale schriftliche Fixierung) nicht notwendig ist. Der Plan, die Ausgestaltung oder der Zweck kann aus der Tatsache abgeleitet werden, dass eine Mehrzahl von Personen uni sono handelten; und drittens, die Teilnahme des Beschuldigten an dem gemeinsamen Plan, der Ausgestaltung oder dem Zweck. Die Einzelheiten bezüglich der actus reus und mens rea Voraussetzungen sowie Abgrenzungen, wie etwa zu aiding und abetting, sind indes höchst umstritten und unklar und nicht Teil dieser Abhandlung.
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Menschlichkeit und des jeweiligen enumerierten Einzelverbrechens abzustellen86.
II. Teilnahmehandlungen durch „aiding“ und „abetting“ Dass Strafhandlungen nicht nur durch direkte Tatbeteiligung, sondern auch durch indirekte Formen einer Partizipierung verwirklicht werden können, ist unbestritten87. Insoweit existieren im Völkerstrafrecht neben den obig dargestellten direkten Handlungstypen, welche die Verwirklichung der Haupttat beschreiben, zwei Begehungsalternativen akzessorischer Verantwortlichkeit88, die auf die Ausführung der Haupttat gerichtet sind. Der actus reus beschreibt damit eine Handlungsform, bei der nicht der Beschuldigte selbst, sondern eine andere Person („principal“89) das Verbrechen ausführt. Unterschieden wird zwischen „aiding“ und „abetting“. „Aiding“ bedeutet, dass der Beschuldigte dem Prinzipal bei der Tatausführung assistiert90. Er ist „Gehilfe“ im völkerstrafrechtlichen Sinn. „Abetting“ bedeutet, dass der Beschuldigte den Prinzipal bezüglich der Tatausführung berät, ermutigt, unterstützt oder anregt, anzettelt, aufwiegelt oder „aufstachelt“ 91. Er nimmt im völkerstrafrechtlichen Sinn eine Mittelfunktion zwischen „Gehilfe“ und „Anstifter“ ein. Zur Vereinfachung wird im Folgenden jedoch nur der Begriff des „Anstifters“ verwendet. 86
Dazu unten unter D. Re Weizsäcker, US Military Tribunal (1949), 14 Nuremberg Military Tribunals, Trials of War Criminals Before the Nuremberg Military Tribunals Under Control Council Law 10, 472 in Bezug auf die Holocaust Verbrechen (und damit inter alia Verbrechen gegen die Menschlichkeit) „there is no excuse or justification for any man who took a conscious or consenting part in the measures which constituted these abdominable and atrocious crimes, and it is immaterial whether they originated or executed them, or merely implemented them, justified them to the world, or gave aid and comfort to their perpetrators.“ (Eigene Hervorhebung.) 88 Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 33 „aiding and abetting is a form of accessory liability“. 89 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 391 „principal offender“; vgl. auch Art. II CCL No. 10(a). 90 Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 32 „,Aiding‘ means assisting another to commit a crime.“; vgl. weiter Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 765; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20T (15. Mai 2003), Abs. 384; Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana, ICTR96-10 und ICTR-96-17-T (21. Februar 2003), Abs. 787; Prosecutor v. Akayesu, ICTR96-4-T (2. September 1998), Abs. 484. 91 Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 32 „,Abetting‘ means facilitating, encouraging, advising or instigating the commission of a crime.“, vgl. weiter Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 765; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 384; Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana ICTR-96-10 und ICTR-96-17-T (21. Februar 2003), Abs. 787; Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 484. 87
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
Nach deutschem Strafrechtsverständnis stellen die „Beihilfehandlung“ und die „Anstiftungshandlung“ zwei verschiedene Formen der Handlungsbegehung dar, die jeweils getrennt von einander verwirklicht werden können. „Beihilfe“ zu einer Tat kann für sich betrachtet genauso strafwürdig sein, wie „Anstiftung“. Im Völkerstrafrecht ist das Verhältnis strittig92. Geht man einerseits vom Wortlaut des Art. 6(1) ICTR Statut aus, erfordert die Erfüllung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit ein „aiding and abetting“; also das konjunktive Vorliegen beider Tathandlungen. In Akayesu wurde andererseits festgestellt, dass die alternative Erfüllung einer Teilnahmevariante ausreichen soll93, wobei aus neueren Urteilen wiederum eine Gegentendenz erkennbar ist, die die strikte Anwendung des Wortlautes aus Art. 6(1) favorisiert94. Obgleich die Frage akademisch interessant ist, spielt sie in der Gerichtspraxis kaum eine Rolle. Bisherig hat die OTP des ICTR noch keine Anklage alleinig entweder auf „aiding“ oder „abetting“ gestützt, sondern sich auf beide Tatbestandsalternativen berufen; wohl auch deswegen, weil dieses Vorgehen von den Richtern des Tribunals gebilligt wird. Grundlegende Voraussetzung beider Teilnahmehandlungen ist das Erfordernis, dass der Beschuldigte eine Handlung begangen hat95, die sich als eine praktische Unterstützung, Ermutigung oder moralische Unterstützung für den Prinzipal darstellt. Die Teilnahmehandlung muss in die Ausführungshandlung des Prinzipals kumulieren; eine kausale Verbindung im Sinne von conditio sine qua non ist indes nicht erforderlich96. Die jeweilige Teilnahmehandlung muss damit 92 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 484 „Aiding and abetting, which may appear to be synonymous, are indeed different“ (Hervorhebung im Original). Vgl. auch Art. 25(3)(c) ICC Statut; Sec. 14.3(c) UNTAET Reg. 2000/15 „[. . .] aids, abets or otherwise assists [. . .]“ (eigene Hervorhebung). Siehe aber auch Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 32 „In legal usage, including that of the Statute and of the case law of the Tribunal and the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia (the „ICTY“), the two terms are so often used conjunctively that they are treated as a single broad concept“; vgl. weiter Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 765; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 384 mit Berufung auf Mewett/Manning, Criminal Law, 272, wo festgestellt wird, dass die Begriffe aiding und abetting „almost universally conjunctively“ verwendet werden. 93 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 484. 94 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 765; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 384; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 32. 95 Prosecutor v. Blagojevic ´ und Jokic´, IT-02-60-T (17. Januar 2005), Abs. 726 „The criminal act of the principal for which the aider and abettor is responsible must be established.“ 96 Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 33; Prosecutor v. Furundzˇija, IT-95-17/1-T (10. Dezember 1998), Abs. 199 f. und 203 „On the effect of the assistance given to the principal, none of the [analysed] cases above suggests that
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nicht der Ausführungshandlung konstitutiv zu Grunde liegen oder ein Element der Ausführungshandlung beinhalten, sie muss aber einen „substantiellen Effekt“ auf die Ausführung der Tat haben97. Der Nachweis eines solchen Effektes ist sowohl im Wege aktiver Handlungen (z. B. das zur Verfügung Stellen von Waffen), als auch durch Unterlassungen (z. B. durch das Vermitteln moralischer Unterstützung) möglich98. Die Beteiligungshandlung ist sowohl in der Planungs-, Vorbereitungs- als auch Ausführungsphase begehbar99. Taugliche Teilnahmehandlungen sind sogar nach Vollendung und Beendigung des Verbrechens möglich100. Beide Handlungen können insoweit zeitlich versetzt verübt werden. Der Nachweis eines gemeinsamen Planes oder Arrangements zwischen Teilnehmer und Prinzipal ist nicht notwendig101.
the acts of the accomplice need bear a causal relationship to, or be a conditio sine qua non for, those of the principal.“ (Hervorhebung im Original) 97 Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 43; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T (27. Januar 2000), Abs. 126; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 33; Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana, ICTR-96-10 und ICTR-96-17-T (21. Februar 2003), Abs. 787; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 33 und 386; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 766; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-9554A-T (22. Januar 2004), Abs. 70; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 33; Prosecutor v. Furundzˇija, IT-95-17/1-T (10. Dezember 1998), Abs. 223 f. und 249; Prosecutor v. Aleksovski, IT-95-14/1-T (25. Juni 1999), Abs. 61; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 285; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 391; Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 399; Prosecutor v. Krstic´, IT-9833-T (2. August 2001), Abs. 601; Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-T (15. März 2002), Abs. 88; Prosecutor v. Vasiljevic´, IT-98-32-T (29. November 2002), Abs. 70; Prosecutor v. Vasiljevic´, IT-98-32-A (25. Februar 2004), Abs. 134 f.; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-A (29. Juli 2004), Abs. 48. 98 Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 64; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 33 und 386; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 766; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-0060-T (13. April 2006), Abs. 33; Franz Schonfeld et al., LRWC Bd. 11, 64 ff. „a person may watch for his companions to prevent surprise, remain at a suitable distance in order to favour their escape when necessary, or to be able to come readily to their assistance, the knowledge of which is calculated to provide added confidence to his companions“. 99 Das geht aus dem Wortlaut des Art. 6(1) ICTR Statuts hervor: „A person, who planned, instigated, ordered, committed or otherwise aided and abetted in the planning, preparation or execution of a crime.“ (Eigene Hervorhebung.) 100 Prosecutor v. Aleksovski, IT-95-14/1-A (24. März 2000), Abs. 62 „Participation may occur before, during or after the act is committed. It can, for example, consist of providing the means to commit the crime or promising to perform certain acts once the crime has been committed, that is, behaviour which may in fact clearly constitute instigation or abetment of the perpetrators of the crime. For that reason, as stated by the Trial Chamber seized of the Tadic´ case, ,the act contributing to the commission and the act of commission itself can be geographically and temporally distant.“ 101 Prosecutor v. Tadic ´, IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 677; Prosecutor v. Delalic´ et al., IT-96-21-T (16. November 1998), Abs. 327 f.
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
Einen guten Gesamtüberblick über die Voraussetzungen einer tauglichen Teilnahmehandlung gibt das ICTR in Bisengimana, wo die objektiven Voraussetzungen zusammengefasst sind: „The accused’s participation may take place at the planning, preparation or execution state of the crime and may take the form of a positive act or omission, occurring before or after the act of the principal offender. The Prosecution is required to demonstrate that the accused carried out an act of substantial practical assistance, encouragement, or moral support to the principal offender, culminating in the latter’s actual commission of the crime. While the assistance need not be indispensable to the crime, it must have a substantial effect on the commission of the crime. Mere presence at the crime scene may constitute aiding and abetting where it is demonstrated to have a significant encouraging effect on the principal offender, particularly if the individual standing by was the superior of the principal offender or was otherwise in a position of authority. In those circumstances, an omission may constitute the actus reus of aiding and abetting, provided that this failure to act had a decisive effect on the commission of the crime. However, it is not necessary that the person aiding and abetting the principal offender be present during the commission of the crime.“102
Bezüglich der erforderlichen mens rea für „aiding“ und „abetting“ muss dem Beschuldigten Doppelvorsatz nachgewiesen werden. Ihm muss bewusst sein, dass seine Handlung die Begehung einer Tat unterstützt und (zusätzlich) Kenntnis103 von der Tat besitzten, die der Prinzipal ausführen wird104. Bei der mens rea bezüglich der konkreten Teilnahmehandlung ist Vorsatz im Sinne von „intent“ und „knowledge“105 nicht notwendig; es muss lediglich nachgewiesen werden, dass der Teilnehmer mit dem Bewusstsein handelte, die Ausführungstat zu unterstützen106. Die in Khulumani vs. Barcley National Bank107 getätigte Feststellung, dass „based on [a] review of international law’s treatment of aiding and abetting liability over the past sixty years“ zusätzlich der Täter „with the purpose of facilitating that crime“ gehandelt haben müsste, ist problematisch108. Für zusätzliche Erfordernisse als die oben genannten gibt es in der völkerstrafrechtlichen Rechtsprechung – Weizsäcker109 einmal ausge102
Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 61 ff. Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 88. 104 Prosecutor v. Brima et al., SCSL-2004-16-A (3. März 2008), Abs. 244 mit Berufung auf Alekovski, Knorjelac und Brdanin. 105 Dazu unten unter D.I. und II. 106 Prosecutor v. Tadic ´, IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 229; Prosecutor v. Aleksovski, IT-95-14/1-A (24. März 2000), Abs. 162; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 392; Prosecutor v. Vasiljevic´, IT-98-32-T (29. November 2002), Abs. 71; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-A (29. Juli 2004), Abs. 49 und 49 f.; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 32; Prosecutor v. Furundzˇija, IT-95-17/1-T (10. Dezember 1998), Abs. 245. 107 Khulumani vs. Barkley National Bank, Ntsebeza v. Daimler Crysler Group, United States Court of Appeals for the Second Circuit (Urteil v. 12. Oktober 2007), 052141-cv, 05-2326-cv (eigene Hervorhebung). 103
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nommen – keine stichhaltigen Anhaltspunkte. Was die mens rea bezüglich der vom Prinzipal begangenen Ausführungstat betrifft, so ist weder erforderlich, dass der Teilnehmer das exakte Verbrechen kennt, das der Prinzipal ausführen wird110, noch dass er den Vorsatz des Prinzipals teilt111. Jedoch muss sich der Teilnehmer bezüglich der „essentiellen Elemente“ des Ausführungsverbrechens bewusst gewesen sein, was das Bewusstsein des Prinzipals mit einschließt112. Falls beim Prinzipal eine besondere Vorsatzschwelle gefordert ist113, muss der Beschuldige diese zwar nicht selbst in sich aufgenommen und an den Prinzipal weitergegeben haben, ihm muss aber zumindest bewusst sein, dass der Prinzipal seine Tat mit den besonderen Vorsatzvoraussetzungen begehen wird114. Die Voraussetzung kann durch objektive Fakten belegt werden. Falls der Beschul108 Zutreffend Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-T (2. August 2007) Abs. 231 „If he [Anm. ,the perpetrator‘] is aware that one of a number of crimes will probably be committed by the principal offender, and one of those crimes is in fact committed, then he has intended to assist or facilitate the commission of that crime, and may be guilty of aiding and abetting.“; Prosecutor Brima et al. SCSL-04-16-A (3. März 2008), Abs. 243. 109 U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 12. Dezember 1949 [Weizsäcker], Kempner/Haensel, das Urteil im Wilhelmstraßen Prozess). 110 Prosecutor v. Furundz ˇija, IT-95-17/1-T (10. Dezember 1998), Abs. 246; Prosecutor v. Kvocˇka et al., IT-98-30/1-T (2. November 2001), Abs. 255; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-A (29. Juli 2004), Abs. 50. 111 Prosecutor v. Furundz ˇjia, IT-95-17/1-T (10. Dezember 1998), Abs. 245; Prosecutor v. Aleksovski, IT-95-14/1-A (24. März 2000), Abs. 162; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 392. Nach Akayesu soll dem Anstifter (allerdings) nachgewiesen werden müssen, dass er mit der Ausführung der Tat sympathisiert; Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 484 „Abetting, on the other hand, would involve facilitating the commission of an act by being sympathetic thereto“ (eigene Hervorhebung); Kittichaisaree, International Criminal Law, 241; vgl. auch Prosecutor v. Bagilishema, Separate and Dissenting Opinion of Judge Mehment Güney, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 22 mit Berufung auf den Synagogefall, Strafsenat, Urteil v. 20. April 1949 gegen S. u. a. StS 143/ 48 (Entscheidungen, Bd. II, 11 ff.). 112 Die Akzeptanz einer möglichen und vorhersehbaren Folge reicht wohl aus; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 32 „An accomplice must knowingly provide assistance to the perpetrator of the crime, that is, he or she must know that it will contribute to the criminal act of the principal. Additionally, the accomplice must have intended to provide assistance, or as a minimum, accepted that such assistance would be a possible and foreseeable consequence of his conduct“ (eigene Hervorhebung); in diese Richtung auch Prosecutor v. Brima et al., SCSL2004-16-A (3. März 2008), Abs. 245 „awareness of the substantial likelihood“. 113 So etwa nach h. M. „premeditation“ im Falle des Mordes, oder die erhöhte mens rea beim Verfolgungstatbestand im Rahmen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit; siehe unten Kapitel 5 E.I.3. 114 Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 89; Prosecutor v. Tadic´, IT-15. Juli 1999), Abs. 229; Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-A (17. September 2003), Abs. 52; Prosecutor v. Vasiljevic´, IT-98-32-A (25. Februar 2004), Abs. 142; Prosecutor v. Krstic´, IT-98-33-A (19. April 2004), Abs. 140; für die Anwendung des Grundsatzes beim Völkermordtatbestand im Rahmen des „specific intent“, Prosecutor
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
digte etwa dem Prinzipal die Mordwaffe beschafft und sich im klaren darüber war, dass diese zur unrechtmäßigen Tötung eingesetzt wird, so geht das ICTR davon aus, dass der Beschuldigte von der „Premeditation“ des Prinzipals wusste115. Die Frage, ob der Teilnehmer den Vorsatz des Prinzipals teilte, oder ihm der Vorsatz des Prinzipals nur bewusst war, ist vor allem für das Strafmaß des Teilnehmers relevant. Letzteres kann strafmildernd wirken116.
III. Unterlassen („omission“) Die Frage, in wieweit sich ein Täter durch Unterlassen strafbar machen kann, ist eines der komplexesten Probleme der individuellen Strafbarkeit des Völkerstrafrechts. Bei Unterlassungshandlungen wird traditionell zwischen echten Unterlassungsdelikten – also solchen, denen eine Unterlassung inhärent ist – und unechten Unterlassungsdelikten unterschieden. Echte Unterlassungsdelikte sind im Völkerstrafrecht nur sehr spärlich vorhanden. Prominentestes Beispiel ist Art. 85 Abs. 4 (b) des ZP I (ungerechtfertigte Verzögerung bei der Heimschaffung von Kriegsgefangenen oder Zivilpersonen). Beim Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit existieren hingegen keine Einzeltatbestände, die als echtes Unterlassungsdelikt qualifizierbar wären117. Bei unechten Unterlassungsdelikten wird die Strafwürdigkeit, die sich aus der Begehung der Tat ergibt, mit der Unterlassung einer Handlung gleichgesetzt. Aufgrund des Grundsatzes ultra posse nemo tenetur – „über das Mögliche hinaus wird niemand verpflichtet“ – kann das freilich nur dann der Fall sein, wenn dem Unterlassungstäter eine rechtliche Pflicht zum einschreiten oblag. Nach deutschem Strafrechtsverständnis kann sich die Garantenpflicht aus der Position des Täters gegenüber dem Opfer (verwandtschaftliches Verhältnis, Ehe, Verlöbnis), gesetzlicher Regelung (Polizei), tatsächlicher Übernahme, oder aus der konkreten Situation (Ingerenz) ergeben. Im Völkerstrafrecht sind die Regelungen sehr rudimentär ausgestaltet. Allerdings ist eine besondere Form der Strafbarkeit durch Unterlassen – die Verantwortlichkeit des Täters für Taten seiner Untergebenen („superior responsibility“) – anerkannt118. Dieses Konzept erklärt den Vorgesetzten aufgrund seines Unterv. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 485; Prosecutor v. Krstic´, IT-9833-A (19. April 2004), Abs. 140 und 143. 115 Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 93, 75. Ob der „Mord“tatbestand „premeditation“ voraussetzt, ist allerdings umstritten; vgl. unten Kapitel 5 B.I.3. 116 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 963; Prosecutor v. Vasiljevic´, IT-98-32-T (29. November 2002), Abs. 71; Prosecutor v. Krstic´, IT98-33-A (19. April 2004), Abs. 268; Prosecutor v. Vasiljevic´, IT-98-32-A (25. Februar 2004), Abs. 181 f. 117 Duttwiler, 6 Int’l Crim. LRev. (2006), 1 (11).
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lassens für strafrechtlich verantwortlich, der wusste oder hätten wissen müssen, dass Verbrechen von Untergebenen begangen werden, die unter seiner de facto Kontrolle standen, und es unterließ, dagegen einzuschreiten, um diese Handlungen zu verhindern oder zu bestrafen. Das Konzept der „superior responsibility“ ist nunmehr (relativ) unstrittig und in der Fachliteratur ausgiebig behandelt worden119. Es soll daher ausgespart bleiben. In Mpambara sind darüber hinaus drei weitere Varianten des Unterlassens angesprochen worden, die – in Abgrenzung zu der in Art. 6(3) ICTR/Art. 7(3) ICTR Statut kodifizierten Strafbarkeit wegen „superior responsibility“ – im Rahmen des Art. 6(1) ICTR/Art. 7(1) ICTY Statut begangen werden können120: erstens, strafbares Unterlassen durch Teilnahme an einem „joint criminal enterprise“; zweitens, strafbares Unterlassen durch „aiding“ und „abetting“121; und drittens, strafbares Unterlassen auf Grund der Nichtbeachtung einer Handlungspflicht zum Einschreiten122. Variante eins ist aufgrund der Komplexität und des Umfangs des Themas – insbesondere in Bezug auf die Formen des systematischen und erweiterten „joint criminal enterprise“ – ausgespart worden. Die Grundzüge sind im Urteil besprochen, auf die ausdrücklich verwiesen wird123. Variante zwei und drei sind im Folgenden besprochen. 1. Strafbarkeit der Unterlassungshandlung für alle tauglichen Begehungsformen? Zunächst ist zu fragen, ob die Handlungsweise des Täters unterlassungstauglich war. Für die Handlungsform der Begehung („commission“) ist das anerkannt124. In bestimmten Fallkonstellationen wird auch ein „instigating“ durch 118 Siehe Art. 6(3) ICTR Statut und Art. 7(3) ICTY Statut; Prosecutor v. Music ´ et al., IT-96-21-TbisR117 (Urteil v. 9. Oktober 2001), Abs. 343. 119 Statt vieler Bantekas, 93 AJIL (1999), 573 (595). 120 Prosecutor v. Mpambara, ICTR-01-65-T (11. September 2006), Abs. 21 ff. 121 In Prosecutor v. Brdanin, IT-99-36-A (3. April 2007), Abs. 274 betitelt als „theory of aiding and abetting by omission proper.“ 122 In Prosecutor v. Brdanin, IT-99-36-A (3. April 2007), Abs. 273 wird darauf verwiesen, dass „this form of aiding and abettting is not, strictly speaking, criminal responsibility for omission.“ Anders aber Prosecutor v. Mpambara, ICTR-01-65-T (11. September 2006), Abs. 21 ff., wo der Handlungstypus als Unterlassen eingestuft ist. 123 Prosecutor v. Mpambara, ICTR-01-65-T (11. September 2006), Abs. 13 ff. und 24 ff. 124 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 188; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 390; Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 376; Prosecutor v. Kvocˇka et al., IT-98-30/1-T (2. November 2001), Abs. 251; Prosecutor v. Naletilic´ und Martinovic´, IT-98-34-T (31. März 2003), Abs. 62; Prosecutor v. Stakic´, IT-97-24-T (31. Juli 2003), Abs. 439; Prosecutor v. Blagojevic´ und Jokic´, IT-02-60-T (17. Januar 2005), Abs. 694; Prosecutor v. Limaj et al., IT-03-66-T (30. November 2005), Abs. 509.
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
Unterlassen bejaht125. Noch nicht völlig geklärt ist, ob – und wenn ja wodurch – ein Unterlassen durch „aiding“ und „abetting“ möglich ist. Die ICTY Appeals Chamber hat das sowohl in Blasˇkic´126, als auch in Brdanin127 ausdrücklich offen gelassen. Die ICTY und ICTR Trial Chambers interpretieren die Unentschlossenheit128 der Appeals Chamber in derart, dass einer Verurteilung wegen „aiding“ und „abetting“ durch Unterlassen nichts im Wege steht129. Noch weiter ging die ICTY Trial Chamber in Galic´, die erstmalig eine taugliche Unterlassungshandlung für alle in Frage kommenden Handlungsbegehungen – also auch für „planning“ und „ordering“ – bejahte130. Es ist insoweit möglich, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich die Ansicht durchsetzt, die Unterlassungsstrafbarkeit könne auf alle tauglichen Begehungsformen Anwendung finden. 2. Voraussetzungen von „aiding“ und „abetting“ durch Unterlassen Hält man ein „aiding“ und „abetting“ für unterlassungstauglich, stellt sich die Frage, wann der Teilnehmer durch sein Unterlassen die Tatausführung unter125 Prosecutor v. Blasˇkic ´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 280; Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 387; Prosecutor v. Naletilic´ und Martinovic´, IT-98-34-T (31. März 2003), Abs. 60; Prosecutor v. Galic´, IT-98-29-T (5. Dezember 2003), Abs. 168 „It has been held in relation to „instigating“ that omissions amount to instigation in circumstances where a commander has created an environment permissive of criminal behaviour by subordinates.“; Prosecutor v. Brdjanin, IT-99-36-T (1. September 2004), Abs. 269; Prosecutor v. Limaj et al., IT-03-66-T (30. November 2005), Abs. 509. 126 Prosecutor v. Blasˇkic ´ , IT-95-14-A (29. Juli 2004), Abs. 47 „The Appeals Chamber leaves open the possibility that in the circumstances of a given case, an omission may constitute the actus reus of aiding and abetting.“ 127 Prosecutor v. Brdanin, IT-99-36-A (3. April 2007), Abs. 275 „Alternatively, the Trial Chamber might have had in mind the theory of aiding and abetting by omission proper. The Appeals Chamber has recently affirmed that omission proper may lead to individual criminal responsibility under Article 7(1) of the Statute where there is a legal duty to act. However, it has never set out the requirements for a conviction for omission in detail, and it has so far declined to analyse whether omission proper may lead to individual criminal responsibility for aiding and abetting. In light of the considerations that follow, the Appeals Chamber finds that it is inappropriate to do so in the present case.“ 128 Prosecutor v. Blagojevic ´ und Jokic´, IT-02-60-T (17. Januar 2005), Abs. 726; Prosecutor v. Strugar, IT-01-42-T (31. Januar 2005), Abs. 349. 129 Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 91; vgl. auch Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 548 „aiding and abetting may consist in failing to act or refraining from action“ und 693; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 390 mit Berufung auf Prosecutor v. Aleksovski, IT-95-14/1-T (25. Juni 1999), Abs. 62; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 285; Prosecutor v. Naletilic´ und Martinovic´, IT-98-34-T (31. März 2003), Abs. 63; Prosecutor v. Blagojevic´ und Jokic´, IT-02-60-T (17. Januar 2005), Abs. 726; Prosecutor v. Strugar, IT-01-42-T (31. Januar 2005), Abs. 349. 130 Prosecutor v. Galic ´ , IT-98-29-T (5. Dezember 2003), Abs. 168.
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stützt. Grundsätzlich ist ein „substanzieller Unterstützungseffekt“ erforderlich. Die Präsenz am Tatort ist kein Erfordernis stricto sensu, um einen Täter wegen „aiding“ und „abetting“ durch Unterlassen zu bestrafen131, da der Ausführungstäter abseits vom Tatort substanziell unterstützt werden kann132. In der Gerichtspraxis relevant sind aber vor allem Unterlassungsfälle, bei denen der Täter gerade durch seine alleinige Präsenz am Tatort eine taugliche, strafbare Unterlassungshandlung begangen haben soll. „Präsenz“ in diesem Sinne ist nicht auf physische Präsenz beschränkt, sondern schließt „Präsenzsurrogate“, wie etwa Briefe133 oder Boten mit ein. Die aufgeworfene Problematik ergibt sich daraus, dass sich nach weitläufiger Ansicht eine Person nicht schon dadurch strafbar macht, dass sie sich lediglich am Tatort befindet134. In Mpambara ist ausgeführt: „Liability is not automatic, even for a person of high office, and must be proven by showing that the accused’s inaction had an encouraging or approving effect on the perpetrators; that the effect was substantial; and that the accused knew of this effect and of the perpetrator’s criminal intention, albeit without necessarily sharing the perpetrators’ criminal intent. Of course, by choosing to be present, the accused is taking a positive step which may contribute to the crime. Properly understood, criminal responsibility is derived not from the omission alone, but from the omission combined with the choice to be present.“135
Das ICTR geht davon aus, dass die reine Präsenz des Täters eine Teilnahmehandlung durch Unterlassen darstellen kann, insbesondere, wenn diese in Verbindung mit dem Autoritätsgrad des Täters eine Form der (signifikanten) moralischen Unterstützung konstituiert136. Die Präsenz am Tatort wirkt zudem als Indiz137. Notwendigerweise muss dann aber wohl zumindest nachgewiesen werden, dass die Präsenz am Tatort gewollt war138, sowie wohl auch, dass die
131 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 484; Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 200; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 43; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 33; Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 691. 132 Prosecutor v. Mpambara, ICTR-01-65-T (11. September 2006), Abs. 23. 133 Prosecutor v. Aleksovski, IT-95-14/1-T (25. Juni 1999), Abs. 63 ff. 134 Prosecutor v. Bagilishema, Separate and Dissenting Opinion of Judge Mehmet Güney, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 18; Prosecutor v. Naletilic´ und Martinovic´, IT-98-34-T (31. Mai 2003), Abs. 63; Prosecutor v. Limaj et al., IT-03-66-T (30. November 2005), Abs. 517. 135 Prosecutor v. Mpambara, ICTR-01-65-T (11. September 2006), Abs. 22. 136 Grundlegend mit Hilfe einer Analyse des relevanten internationalen Fallrechts und Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 688 ff. siehe Prosecutor v. Furundzˇija, IT-95-17/1-T (10. Dezember 1998), Abs. 190 ff.; vgl. auch Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 34. 137 Prosecutor v. Naletilic ´ und Martinovic´, IT-98-34-T (31. Mai 2003), Abs. 63; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-A (29. Juli 2004) Abs. 47.
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
(vorsätzlich gewährte) moralische Unterstützung bei den Ausführungstätern „angekommen“ ist. 3. Voraussetzungen von Unterlassen auf Grund Nichtbeachtung einer Handlungspflicht zum Einschreiten („failure of duty to prevent or punish“) Höchst praxisrelevant ist, ob auch dann eine „Unterstützungshandlung“ vorliegen kann, wenn keinerlei aktive Unterstützungshandlungen geleistet werden. Das ICTR vertritt mehrheitlich die Ansicht, in diesem Fall könne der Täter nicht für die Taten verantwortlich gemacht werden139. Denn niemand ist strafrechtlich für Handlungen belangbar, in die er nicht „verwickelt“ war (nulla poena sine culpa)140. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn aufgrund einer Handlungspflicht der Täter zum Einschreiten verpflichtet gewesen wäre; wenn mithin der Täter über Autorität verfügt und es wissentlich unterlässt, aktive Gegenmaßnahmen 138 Anders aber Richter Güney, der in einer Dissenting Opinion erklärte, dass eine strafrechtliche Verantwortlichkeit bei derartigen Fallkonstellationen sehr wohl möglich sein soll. Er beruft sich dabei insbesondere auf den Synagogenfall, Akayesu und Furundzˇija; Prosecutor v. Bagilishema, Separate and Dissenting Opinion of Judge Mehmet Güney, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 17 ff. Ob man Güneys Ansicht allerdings folgen sollte, ist fraglich. Seine Auffassungen zu dieser Sache sind nicht unproblematisch. Allein aus der Tatsache, dass der Täter schon einmal vor der konkreten Tatbegehung am Tatort war, kann man wohl noch nicht eine Verantwortung für die Ausführung von Handlungen ableiten. Aus alleiniger zeitversetzter Präsenz einen Unterstützungseffekt herauslesen zu wollen, erscheint als zu weit gegriffen. 139 Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 531 „The following question whether the Accused was present at the Stadium is critical to all the charges covering the period 13 to 18 April 1994. It follows from case law that mere presence at the scene of criminal events is not in itself incriminating. [. . .] One obvious reason for this is that presence may have purpose of preventing the commission of crimes. Nonetheless, if the Prosecution can establish that the Accused was at the Stadium during the critical period in question, other elements of participation in the crime may be presumable or imputable. A person in authority, such as the Accused, runs the risk of being identified with the perpetrators of the crimes unless he is seen to be actively and demonstrably opposing the crimes. Therefore, the Prosecution must lead sufficient evidence to convince the Chamber beyond reasonable doubt that the Accused was present at the Stadium at some point during the relevant period“ [. . .] Abs. 555 „The fact that the Prosecution has not been able to demonstrate that the Accused was at the Stadium at some point during the period 13 to 17 April 1994 means that the Accused cannot bear direct responsibility for the detention of the refugees or for the conditions of their detention.“ (Hervorhebung im Original.) Der Angeklagte wurde insoweit in diesem Anklagepunkt (Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Form von „anderen unmenschlichen Handlungen“ wegen Vorenthaltung von Essen, und der Benutzung der Sanitäreinrichtungen für 5 Tage) freigesprochen (Anklagepunkt 5). 140 s. a. Prosecutor v. Tadic ´, IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 186; anders aber Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-A (29. Juli 2004), Abs. 53 ff. und 663.
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einzuleiten, um Straftaten zu verhindern oder zu bestrafen, weil er dadurch den Anschein erweckt, er unterstütze die Taten moralisch. Das gilt auch dann, wenn er lediglich als zustimmender Zuschauer fungiert, soweit durch seine Präsenz ein substantieller Unterstützungseffekt nachweisbar141 ist142. Wichtig ist zum einen der Nachweis, dass der „erweckte Anschein“ den Ausführungstäter erreicht hat143 – also ein Kausalitätsverhältnis zwischen Anscheinserweckung und Ausführungshandlung existiert; und zum anderen, dass die Anscheinserweckung konkret auf (zumindest) eine im Strafkatalog enumerierte Einzeltathandlung gerichtet ist144. In Brdanin hat die ICTY Appeals Chamber festgestellt, dass die Erweckung des Anscheins, die Aufrechterhaltung eines „Camps“, samt „Aktivitäten“ werde gebilligt, nicht ausreichend ist, um hinreichende Kausalität nachzuweisen145. Ob aus der Pflicht zum Einschreiten die Notwendigkeit eines Subordinationsverhältnisses zu fordern ist, ist strittig146. Hält man sich vor Augen, dass Unterlassen aufgrund Nichtbeachtung einer Handlungspflicht zum Einschreiten auf der Grundlage von Art. 6(1) ICTR/Art. 7(1) ICTY Statut abzuurteilen ist, so ist – im Gegensatz zu Art. 6(3) ICTR/7(3) ICTY Statut – ein formales Unterordnungsverhältnis wohl nicht konstitutiv. Der Grad an Autoritätswirkung muss demnach nicht besonders hoch – aber doch zumindest feststellbar oder erkennbar sein147. Indizien sind der Bekanntheitsgrad der Person und dessen faktische Machtstellung, sowie die Kleidung (Uniform oder Zivil). 141
Der Nachweis kann durch „circumstantial evidence“ erbracht werden, Prosecutor v. Brdanin, IT-99-36-A (3. April 2007), Abs. 280. 142 Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 91 f.; Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 461; Prosecutor v. Furundzija, IT95-17/1-T (10. Dezember 1998), Abs. 207. Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 61, Abs. 65 f., 74 ff.; Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 200 f.; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 34 „presence, when combined with authority, may constitute assistance. [. . .] Insignificant status, may, however, put the „silent approval“ below the threshold necessary for the actus reus [von aiding oder abetting] (Hervorhebung im Original). 143 Prosecutor v. Brdanin, IT-99-36-A (3. April 2007), Abs. 277 „It follows that encouragement and moral support can only form a substantial contribution to a crime when the principal perpetrators are aware of it.“ 144 Prosecutor v. Brdanin, IT-99-36-A (3. April 2007), Abs. 282. 145 Prosecutor v. Brdanin, IT-99-36-A (3. April 2007), Abs. 283, 286. 146 Prosecutor v. Mpambara, ICTR-01-65-T (11. September 2006), Abs. 27 m.w. N. 147 Prosecutor v. Blasˇkic ´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 284 „the mere presence at the crime scene with superior authority, such as a military commander, is a probative indication for determining whether that person encouraged or supported the perpetrators of the crime“. Vgl. weiter Prosecutor v. Bisengimana, Indictment, ICTR-200060-I, 3.8; und Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 61 ff. Die Stellung eines Bourgmestre, der Befehl und Entscheidungsgewalt über Conseillers, kommunale Polizisten, und andere Exekutiv- und Regierungsorgane auf kommunaler Ebene verfügt, ist ausreichend. Im Synagogefall wurde die Stellung als „alter Kämp-
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
4. Strafbarkeit von Unterlassungshandlungen für alle enumerierten Katalogstraftaten des Verbrechens gegen die Menschlichkeit? Vergegenwärtigt man sich noch einmal den Wortlaut des Artikels 6 ICTR Statut, bzw. Art. 7 des ICTY Statuts, ist auffällig, dass der respektive wortgleiche erste Absatz augenscheinlich nur aktive Handlungsbegehungsformen enumeriert148. Daraus den Schluss zu ziehen, dass a contrario eine Unterlassungsstrafbarkeit ausscheiden muss, wäre allerdings verfehlt. Schon aus den Urteilen der Nazi Nachfolgeprozesse ist ersichtlich, dass sich ein Täter durch eine reine Unterlassungshandlung strafbar machen kann, wenn er rechtlich verpflichtet gewesen wäre, angemessene, rechtlich vorgeschriebene Gegenmaßnahmen zu ergreifen und dies in sorgloser Weise versäumte149. Problematisch ist aber, ob die Unterlassungsstrafbarkeit für alle Einzelttatbestände und für alle Handlungsformen beim Verbrechen gegen die Menschlichkeit bejaht werden kann. In concreto ist fraglich, ob und wann im Rahmen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit für den Täter eine Pflicht zum Ergreifen von Gegenmaßnahmen besteht. Nach herrschender Ansicht ist ein taugliches Unterlassen zwar denkbar bei: – der Aushungerung von Zivilisten durch das Vorenthalten von Grundnahrungsmitteln150; – dem Vorenthalten von medizinischer Versorgung151 und sanitärer Pflege152; fer“ (Altparteigenosse der NSDAP) in Kombination mit der Präsens am Tatort als ausreichend erachtet, vgl. Strafsenat, Urteil v. 20. April 1949 gegen S. u. a. StS 143/48 (Entscheidungen, Bd. II, 11 ff.). Ein Zuschauer, der sich in Zivilkleidung am Tatort befindet und nicht ohne weiters als Autorität (im Fall: der Sturmabteilung [SA]) erkannt wird, erfüllt nicht das Autoritätserfordernis, Pig-cart parade Fall, Strafsenat, Urteil v. 10. August 1948 gegen L. et al., StS 37/48 (Entscheidungen, Bd. I, 229 und 234). 148 Art. 6 (1) ICTR Statut „Wer ein in den Artikeln 2 bis 4 dieses Statuts genannten Verbrechen geplant, angeordnet, begangen oder dazu angestiftet hat oder auf andere Weise [. . .] Beihilfe geleistet hat [. . .].“ (Eigene Hervorhebung.) Die hervorgehobene Passage ist wortgleich in Art. 7(1) ICTY Statut zu finden. Vgl. auch die autoritäre englische Version. 149 U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 20. August 1947 [Brandt], Trials of War Criminals, Bd. 2, 193; U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 17. April 1947 [Milch], Trials of War Criminals, Bd. 2, 774 f.; U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 28. Oktober 1948 [von Leeb] Trials of War Criminals, Band 11, 542; Casssese, International Criminal Law, 200; zu den philosophischen Hintergründen der Strafverantwortlichkeit durch Unterlassung vgl. Sartorio, 39 Noûs 3 (2005) 460 ff.; Clarke, 73 Philosophical Studies (1994), 195 ff. 150 Nazi and Nazi Collaborators (Punishment) Law, 5710/19501 (1950), 7 Laws of the State of Israel No. 67 (1953), 154 Section 1(b) Crimes against humanity means any of the following acts: murder, extermination, enslavement, starvation, or deportation and other inhuman acts, committed against any civilian population, and persecution on national, racial, religious or political grounds (eigene Hervorhebung). Zum Eichmann Fall siehe oben Kapitel 2 G.II. 151 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 679.
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– der Nichtverhinderung eines Verbrechens, dass von einem Untergebenen begangen wird („superior responsibility“); – der Nichtverhinderung des Tötens153, Folterns154, und der Verursachung von großen Leiden155. Schwierig zu beantworten ist jedoch, wann darüber hinaus eine taugliche Unterlassungsstrafbarkeit vorliegen kann. Das Problem rührt neben der allgemeinen rudimentären Ausprägung der völkerrechtlichen Strafrechtsdogmatik daher, dass beim Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit aufgrund seiner langjährigen völkervertragsrechtlichen Nichtkodifizierung ein Rückgriff auf kodifizierte Regelungen, die etwa (zumindest partiell) für die Unterlassungsstrafbarkeit von Kriegsverbrechen existieren, nicht möglich ist. Teilweise wird in der Fachliteratur vertreten, dass generell eine Unterlassungsstrafbarkeit für Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Betracht kommen soll156. Die Argumentationslinien sind vielfältig. Ein Teil der Literatur verweist auf die Konvention über die Nichtanwendbarkeit von Verjährungsvorschriften auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In Art. 2 der Konvention ist kodifiziert, dass „wenn eines der in Artikel I genannten Verbrechen begangen wird, finden die Bestimmungen dieser Konvention auf Vertreter der Staatsmacht und auf Privatpersonen Anwendung, die als Täter oder Mittäter solche Verbrechen begehen oder die andere Personen unmittelbar aufhetzen, solche Verbrechen zu begehen, oder die sich verschwören, um sie zu begehen, ungeachtet des Grades der Vollendung, sowie auf Vertreter der Staatsmacht, die zulassen, daß sie begangen werden.“157
Aus dem Begriff „zulassen“ soll ableitbar sein, dass Unterlassungshandlungen vom Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfasst
152
Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 531. Prosecutor v. Mucic´ et al., IT-96-21-T (16. November 1998), Abs. 424; Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 236. 154 Prosecutor v. Mucic ´ et al., IT-96-21-TbisR117 (Urteil v. 9. Oktober 2001), Abs. 494. 155 Prosecutor v. Mucic ´ et al., IT-96-21-TbisR117 (Urteil v. 9. Oktober 2001), Abs. 511. 156 Duttwiler, 6 Int’l Crim. LRev. (2006), 1 (12). 157 Art. 2 der Konvention über die Nichtanwendbarkeit von Verjährungsvorschriften auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, BGBl. II, 889 (eigene Hervorhebung). Die englische Version lautet: „This Convention shall apply to the representatives of the State authority and private individuals who, as principles or accomplices, participate in or who directly incite others to the commission of any of those crimes, or who conspire to commit them, irrespective of the degree of completion, and to the representatives of the state authority who tolerate their commission.“, Convention on the Non-Applicability of Statutory Limitations to War Crimes and Crimes against Humanity, GA Res. 2391(XXIII), UN. Doc. A/7218 (1968) (eigene Hervorhebung). 153
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
sind158. Dagegen spricht aber, dass die Konvention keine individuelle strafrechtliche Verantwortung konstituiert, sondern lediglich klärt, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjähren können. Zwar müssen nach Art. 3 der Konvention die Staaten Maßnahmen ergreifen und Auslieferungsmöglichkeiten für Personen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit tolerieren, schaffen. Daraus lässt sich aber wohl nicht ableiten, dass diese auch für Unterlassungshandlungen strafrechtlich verantwortlich sind. Wie bereits schon im Saddam Hussein Urteil des IHT in Kapitel 2 dieser Untersuchung angesprochen, ist zudem generell umstritten, ob aus obiger Konvention allgemeingültige Regelungswirkungen ableitbar sind159. Weiter wird insbesondere von Cassese erwogen, aus Art. 86 (1) ZP I eine allgemeine Unterlassungsstrafbarkeit abzuleiten. Geregelt ist dort Folgendes: „Die Hohen Vertragsparteien und die am Konflikt beteiligten Parteien ahnden schwere Verletzungen und treffen die erforderlichen Maßnahmen, um alle sonstigen Verletzungen der Abkommen oder dieses Protokolls zu unterbinden, die sich aus einer Unterlassung ergeben, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln besteht.“160
Cassese erkennt zwar an, dass die Passage, wie auch der in der Konvention über die Nichtanwendbarkeit der Verjährungsvorschriften kodifizierte Artikel 2 primär auf Staatsverpflichtungen abzielt. Er erklärt aber, das hindere nicht daran, für das Völkerstrafrecht rechtliche Folgerungen zu ziehen. Cassese meint mithin: „It may therefore seem warranted to hold that it also crystallized a general principle on criminal liability for omission“161. Für Cassese spricht, dass es nicht einsehbar ist, warum es als allgemeines Strafprinzip unter Einbeziehung der im Vergleich zur aktiven Begehung strikteren Voraussetzungen keine allgemeine völkerstrafrechtliche Unterlassungsstrafbarkeit geben soll. Nach der Entscheidung des Nürnberger Tribunals, wonach Individuen – nicht Institutionen – völkerstrafrechtlich verantwortlich sind, wäre dies der nächste konsequente Schritt. Die von Art. 86(1) geforderte Einschränkung, dass bezüglich der Schwere der Verbrechens ein „grave breach“ vorliegen muss, ist bei der Begehung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit regelmäßig erfüllt162.
158 Miller, 65 AJIL (1971), 476 (494); zur Entstehungsgeschichte der Passage Lerner, 4 Isr.LRev. (1969), 512 (524 ff.). 159 Dazu oben Kapitel 2 F.VII.2. 160 BGBl. 1990 II, 1550 (eigene Hervorhebung); vgl. auch die englische Version des Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims in International Armed Conflicts (Protocol 1), Article 86. „Failure to act, 1. The High Contracting Parties and the Parties to the conflict shall repress grave breaches, and take measures necessary to suppress all other breaches, of the Conventions or of this Protocol which result from a failure to act when under a duty to do so.“ (Eigene Hervorhebung.) 161 Cassese, International Criminal Law, 201.
C. Actus reus Voraussetzungen des conducts
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Gegen den von Cassese gemachten Vorschlag kann indes angeführt werden, dass die Signifikanz von Art. 86 (1) als Vertragsbestimmung äußerst gering ist163. Die Regelung betrifft zudem nur das humanitäre Völkerrecht, nicht auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Schließlich müssen grundlegende Völkerstrafrechtsprinzipien völkergewohnheitsrechtlich abgesichert sein, um im Prozess anwendbar zu sein. Gerade die neuere Entwicklung zeigt aber, dass es innerhalb der Staatengemeinschaft keinen Konsens über die Strafbarkeit völkerstrafrechtlichen Unterlassens gibt. Im ICC Statut ist keine Regelung bezüglich der individuellen Strafbarkeit durch Unterlassen enthalten. Zurückführen lässt sich das auf einen unüberwindbaren Meinungsstreit betreffend der allgemeinen Voraussetzungen der Unterlassungsstrafbarkeit. Zwar wurde allgemein zugebilligt, dass es Unterlassungsstrafbarkeit gibt. Allerdings blieb strittig, ob sich diese Strafbarkeit auf alle im ICC Statut enumerierten Verbrechenstatbestände erstrecken soll164. Die Auffassung, wonach eine Unterlassensstrafbarkeit für alle enumerierten Einzelverbrechen im Rahmen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit bestehe, ist daher problematisch und völkergewohnheitsrechtlich (noch) nicht abgesichert165. Das ICC hat daher prima facie keine generelle Kompetenz 162 Prosecutor v. Serugendo, ICTR-2005-84-I (12. Juni 2006), Abs. 46 „Genocide and crimes against humanity are inherenty aggravating offences because they are heinous in nature and shock the collective conscience“; Prosecutor v. Ruggiu, ICTR-9732-I (1. Juni 2000), Abs. 48; Report of the Secretary-General pursuant to Paragraph 2 of Security Council Resolution 808 (1993), Rn. 48, ILM 32 (1993), 1163 (1166) „crimes against humanity refer to inhumane acts of a very serious nature“. 163 Weltz, Die Unterlassungshaftung im Völkerstrafrecht, 228 ff. 164 Saland in: Lee, The International Criminal Court, The Making of the Rome Statute, 189 (212) „In the early days of the Preparatory Committee, Canada and Japan presented proposals dealing with the issue of the extent to which omission would create criminal responsibility. The Canadian proposal, which was wider in scope and dealt also with acts and causation, became the basis for negotiations. It soon became apparent that there were widely diverging views on the role of omission. No one contested the fact that certain crimes could be committed by failing to take action or to avoid a result, e. g. the starvation of civilians by not providing humanitarian assistance. There was also command responsibility. But the idea of having a general provision stating, for example, that one could incur criminal responsibility if the consequences of the omission corresponded to the consequence that would be caused by the commission of such crime by means of act, was in no way acceptable to all. France, in particular, had very great problems with this concept. [. . .] Lengthily discussions in Rome showed that the problem persisted and that it would be almost impossible to negotiate a solution acceptable to all. I [gemeint is Saland, der Vorsitzende der Arbeitsgruppe war] therefore made the suggestion of not having a general provision on omission at all. [. . .] Eventually, the proposed solution became acceptable, particularly as time pressure started to build. The article was deleted. As a result, the issue of omission will be left to the Court’s case law.“ (Eigene Hervorhebung.) 165 Für eine generelle Strafbarkeit im Völkerstrafrecht für Unterlassungshandlungen allerdings, Cassese, International Criminal Law, 200; Duttwiler, 6 Int’l Crim. LRev. (2006), 1 ff. (Siehe aber S. 26 „Given that the opinio iuris, as a constitutive element of international custom, is lacking, the proof of a customary law rule on omission must fail. [. . .] case law on omissions is numerous for war crimes, but scare for crimes
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
zur Aburteilung von Unterlassungsstrafbarkeiten bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit166. Auch das von Duttwiler angeführte Argument greift nicht, kein Staat hätte bei der Verabschiedung des Rom Statuts Vorbehalte erklärt, mit der Folge, im Zweifel spreche die Verabschiedung für eine Unterlassungsstrafbarkeit167. Denn die Erklärung von Vorbehalten war und ist beim Beitritt zum Rom Statut weder vorgesehen noch zulässig168. Gerade deshalb kommt neben der ICC Rechtsprechung den Verhandlungsprotokollen immense Bedeutung bei der Auslegung des Statuts zu. Von Cryer wird schließlich ins Feld geführt, bei Ausschluss der generellen Unterlassungsstrafbarkeit wäre die Jurisdiktionskompetenz des ICC erheblich eingeschränkt169. Diese Erkenntnis ist sicherlich richtig, aber obgleich nach eigener Einschätzung bedauerlich, wohl so gewollt. Für die Annahme, dass nichtsdestotrotz zumindest für alle Handlungsalternativen beim Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit eine Strafbarkeit durch Unterlassung in Betracht kommen könnte, spricht allerdings eine in Bagilishema getätigte Aussage des ICTR. Das Gericht hat dort zwar eine Strafbarkeit durch Unterlassung verneint, weil sich der Beschuldigte nicht zum maßgeblichen Zeitpunkt am Tatort befand. Das ICTR hat aber eine Unterlassungsstrafbarkeit wegen „anderer unmenschlichen Handlungen“ als Verbrechen gegen die Menschlichkeit grundsätzlich für möglich gehalten170. Eine Argumentation könnte – für Artikel 7 des ICC Statuts – an der Bejahung der Unterlassungstauglichkeit von „anderen unmenschlichen Handlungen“ ansetzen. Argumentationsgrundlage wäre, aus der Bejahung der Strafbarkeit im Rahmen der Generalklausel zu schließen, aufgrund ejusdem generis seien alle anderen enumerierten Einzeltatbestände des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in die Unterlassungsstrafbarkeit einzubinden; freilich unter Ausnahme des Tatbestandes des Freiheitsentzugs, da dieser als fortwährende aktive Begehung behandelt wird171.
against humanity, and non-existent [. . .] for genocide. It is questionable whether this unequal pattern would be sufficient to establish a general customary norm overarching all crimes under international law.“) 166 So auch Eser in: Cassese/Gaeta/Jones, The Rome Statute of the International Criminal Court I, 767 (819); Ambos in Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, 475 (492); Schabas, EJCrime, Crim.L&Crim.Just. (1998), 400 (412); dagegen Werle, Völkerstrafrecht, 170 (allgemeine Unterlassungsstrafbarkeit von Verbrechen sei völkergewohnheitsrechtlich anerkannt); Duttwiler, 6 Int’l Crim. L.Rev. (2006), 1 (60) (Unterlassungsstrafbarkeit könnte aus den allgemeinen Rechtsprinzipien abgeleitet werden). 167 Duttwiler, 6 Int’l Crim. LRev. (2006), 1 (59). 168 Art. 120 ICC Statut. 169 Cryer in: McGoldrick/Rowe/Donelly, The Permanent International Criminal Court, 233 (236 ff.). 170 Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 531 ff. 171 Duttwiler, 6 Int’l Crim. LRev. (2006), 1 (12).
D. Einzeltatbestandsübergreifende mens rea
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Additiv könnte – wie es etwa § 2 VStGB vorsieht – ins Feld geführt werden, dass nationales Strafrecht, das Völkerstrafrecht anwendet, eine Handlung durch Unterlassen für grundsätzlich zulässig erachtet. Wird etwa in Deutschland unter dem VStGB ein Täter wegen begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Unterlassen abgeurteilt, findet § 13 StGB Anwendung. Die dadurch hervortretende Vermischung der Strafregelungsebenen – Völkerstrafrecht einerseits und nationales Strafrecht andererseits – ist zwar nicht unproblematisch und bringt für den Angeklagten Rechtsunsicherheit. Aufgrund der rudimentären Ausprägung der völkerstrafrechtlichen Regeln scheint eine solche Fusion jedoch unvermeidbar zu sein. Dass derartige „Zwitterregelungen“ zulässig sind, ist zudem allgemein hin anerkannt. So wurden schon vor über 50 Jahren im sog. Synagogefall172 und in Zuhlke173 die Täter wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Unterlassen auf Grundlage des CCL No. 10 angeklagt, wobei auch hier das jeweilige nationalstaatliche Strafrecht Hilfestellung leistete.
D. Einzeltatbestandsübergreifende mens rea Voraussetzungen Als fundamentaler Grundsatz des Strafrechtes hat sich die Maxime actus non facit reum, nisi mens sit rea herausgebildet174. Damit ist nunmehr unbestritten, dass zur Begehung eines Verbrechenstatbestandes eine reine „Resultatenverantwortlichkeit“ oder „strict liability“ nicht Grundlage einer Bestrafung sein kann, sondern die subjektive Vorstellung des Täters konstitutiv mit einzubeziehen ist, um zur Feststellung der „Schuld“ zu gelangen. Um einem gerechten Verfahren Genüge zu tun, muss es ein festes Konzept geben, dass diese subjektiven Voraussetzungen (mens rea) festlegt175. Entgegen etablierter nationalstaatlicher Definitionspraxis gab es jedoch bis vor dem Inkrafttreten des ICC Statuts keine allgemeinen mens rea Grundsätze, die für alle Verbrechen Gültigkeit beanspruchen konnten. Das Erfordernis wurde vielmehr – wie es für die Dogmatik der mens rea typisch ist – einzelspezifisch an die respektiven Einzeltatbestände gekoppelt. So hat das ICTR in Bagilishema festgestellt, dass „each enumerated
172 Oberster Gerichtshof für die Britische Zone in Strafsachen, Strafsenat, Urteil v. 20. April 1949 gegen S. u. a. StS 143/48 (Entscheidungen, Bd. II, 11 ff.). 173 In Re Zuhlke (Holland) Special Court of Cassation, Second Chamber, Urteil v. 6. Dezember 1948, in 15 ILR, 415, 499. 174 Smith/Hogan, Criminal Law (1999), 28 „An act does not make a person guilty of a crime, unless the person’s mind be also guilty“. 175 Eser in: Cassese/Gaeta/Jones, The Rome Statute of the International Criminal Court I, 889 (893 f.) „the concept of mens rea though not explicitly mentioned in either the Nuremberg Charter nor in other conventions in international crimes may be required by the very nature of the crimes concerned.“; Prosecutor v. Music´, IT-96-21T (16. November 1998), 424 ff.
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
crime contains its own specific mental and physical elements“176. Beim Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit setzt sich die mens rea im Einklang mit dem Aufbau des actus reus aus zwei Ebenen zusammen. Dem Täter muss die erforderliche mens rea sowohl bezüglich des jeweiligen Einzelverbrechens, als auch bezüglich der chapeau Elemente nachgewiesen werden. Bei den Einzelverbrechen ist die erforderliche mens rea jeweils unterschiedlich ausgestaltet. So ist etwa für die Erfüllung des Mordtatbestandes eine weitaus höhere mens rea erforderlich als für den Tatbestand der Ausrottung. Daraus ergibt sich, dass neben den allgemeinen Grundsätzen auch einzelspezifisch bei jedem enumerierten Verbrechen auf die mens rea eingegangen werden muss, was im Zuge der Erörterung der jeweiligen Einzelverbrechen geschehen ist. Die folgenden Ausführungen betreffen indes die jeweils gleich bleibenden mens rea Erfordernisse der chapeau Elemente und die mens rea Erfordernisse derjenigen Einzelverbrechen, die den allgemeinen Regeln folgen. Erste Ansätze einer Kodifizierung allgemeiner mens rea Grundsätze für das Verbrechen der Menschlichkeit finden sich in 2(3) des ILC Draft Code v. 1996. Dort ist festgestellt, dass „an individual shall be responsible for a crime set out in article [. . .] 18 [. . .] if that individual (a) Intentionally commits such a crime“177. Was unter dem Begriff „intentionally“ zu verstehen ist, blieb unklar. Die Rechtsprechung des ICTR und ICTY, sowie nationale Gerichte haben in nunmehr gefestigter Rechtsprechung konkretisiert, dass der Täter bei der Tatbestandsverwirklichung des Verbrechens gegen die Menschlichkeit kumulativ: – erstens, die enumerierte Tat mit „intent“ begehen muss; – zweitens, über konstruktives178 Wissen („knowledge“) vom weiter reichendem Kontext verfügen muss179; und – drittens, weiß („knowledge“), dass sich seine Handlung als Teil eines Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellt180. 176
Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 83. Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind 1996, YB of the ILC, 1996, Vol. II (Part 2). Art. 18 des Codes enumeriert das Verbrechen gegen die Menschlichkeit (eigene Hervorhebung). 178 Prosecutor v. Ruggiu, ICTR-97-32-I (1. Juni 2000), Abs. 20. 179 Prosecutor v. Kayishema und Ruzinada, ICTR-95-I-T (21. Mai 1999), Abs. 133; Prosecutor v. Ruggiu, ICTR-97-32-I (1. Juni 2000), Abs. 20; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 94; Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 271 f.; Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 557; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 249; Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-T (14. Juli 1997), Abs. 656; Regina v. Finta, 1 S.C.R. (1994), 701 (819). 180 Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 134; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T (27. Januar 2000), Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 94; Abs. 206; Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana, ICTR-96-10 und ICTR-96-17-T (21. Februar 2003), Abs. 803; 177
D. Einzeltatbestandsübergreifende mens rea
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Während sich die erste Voraussetzung auf allgemeine Strafrechtsprinzipien stützt, werden die 2. und 3. Voraussetzungen mit der spezifischen Natur des Verbrechens gegen die Menschlichkeit begründet. Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit liegt nur dann vor, wenn die Gesamthandlung eine makrokriminelle Dimension erreicht hat. Um den Täter den erhöhten Umfang der Verbrechensbegehung zuzurechnen und ihn diesbezüglich verantwortlich machen zu können, muss er das Ausmaß des Gesamtverbrechens subjektiv in sich aufgenommen haben181. Um „Teil des Gesamtangriffs zu sein“ muss er zudem die mens rea besitzen, dass er an diesem partizipiert182. Schließlich ist zwischen 2. und 3. Kausalität nachzuweisen; die 3. Voraussetzung ist mithin ein nexus zur 2. Voraussetzung. Die Motive des Täters sind indes für die rechtliche Konstitution des Verbrechens gegen die Menschlichkeit ohne Bedeutung183. Der Beschuldigte muss demnach nicht den Zweck oder die Ziele des Gesamtangriffs teilen184. Auch eine „Guter Wille“ Verteidigungsstrategie, bei der der Beschuldigte behauptet, er habe die Taten nur begangen, um Schlimmeres zu verhindern, greift bei der Frage der generellen Strafbarkeit nicht185. Denn die Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), 332; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 880; Prosecutor v. Simba, ICTR-01-76-T (13. Dezember 2005), Abs. 421; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 57. „The accused must have acted with knowledge of the broader context of the attack and knowledge that his act formed part of the attack on the civilian population“; ähnlich Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 530; s. a. Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 102. 181 T. und K. Fall, Oberster Gerichtshof für die Britische Zone, Urteil 21. Dezember 1948 in: Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen, Bd. I, 198 ff. „The mental element of crimes against humanity lies in the fact that the agent willed and was aware of the attack on the victim or victims and knew those facts and circumstances which make up the objective element required by Art. II (c) of Control Council Law No. 10“; P Fall, Oberster Gerichtshof für die Britische Zone, Urteil v. 20. Mai 1948 in: Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen, Bd. I, 11 ff. setzte voraus, dass „the agent be to some extent responsible for the offence against humanity resulting from his attack. If the agent knows that his intended offensive conduct is linked to the circumstances prevailing in the State and law, that these circumstances consist of a regime of violence and terror, if he knows what the victim will suffer as a result of that, if he knows that means for humanity, and if he also knows that what he does is reprehensible, but nevertheless he acts of his own volition, then he is to a great extent responsible for the inhumanity he causes“. 182 Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 94, Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 880; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 675. 183 Prosecutor v. Kupres ˇkic´, IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 558; Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 271 f. 184 Prosecutor v. Semanza, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 332; Prosecutor v. Simba, ICTR-01-76-T (13. Dezember 2005), Abs. 421. 185 De Guzman, 22 HRQ (2000), 335 (389) ff. u. a. mit Verweis auf Weizsäcker, Altstötter, Finta und Tadic´; siehe auch Art. 3 der Apartheid Konvention.
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
Begehung von unmenschlichen Verbrechen kann nicht Rechtfertigung für die Verhinderung von unmenschlichen Taten sein; es sei denn der Täter handelt als willenloses Werkzeug. Das Erforschen der Motive ist dennoch sinnvoll. Denn Motive wirken (zumindest) als Indiz für die Schuld des Täters und zeichnen direkte Wirkungen bei der Strafzumessung186. Artikel 30 des ICC Statuts verfolgt bei den mens rea Voraussetzungen einen vergleichbaren Ansatz187. Sofern nichts anderes bestimmt ist, soll gemäß Absatz 1 eine Person (bezüglich eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit) dann strafrechtlich verantwortlich sein, wenn er die objektiven Tatbestandsmerkmale vorsätzlich (intent) und wissentlich (knowledge) verwirklicht. Zwar ist anzumerken, dass es äußerst zweifelhaft ist, ob die in Art. 30 ICC Statut enthaltene Regelung voll umfassend völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist188. Sie ist nicht ohne Bedenken als „allgemeingültige“ Regelungsmaterie zitierbar und fungiert lediglich als Hilfestellung. Nichtsdestotrotz nimmt Art. 30 im Völkerstrafrecht einen besonderen Stellenwert ein, weil es die erste Vorschrift ist, die die mens rea Voraussetzungen allgemeingültig konkretisiert. Die dort gewählten Grundsätze zum mens rea Element decken sich zudem größtenteils – was die Grundaussagen zum Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit betrifft – mit den Aussagen der internationalen ad hoc Straftribunale.
I. „Intent“ Der Täter muss die Einzeltat mit „intent“ (dolus) begehen, was bedeutet, dass er den Willen haben muss, ein bestimmtes Ergebnis (bzw. consequence) herbeizuführen189. Der Begriff des „intent“ umfasst im Völkerstrafrecht verschiedene Ausgestaltungen und Schweregrade. So wird im Falle des Völkermordes „specific intent“ (Absicht) gefordert, bei Mord als Verbrechen gegen die Menschlichkeit „premeditated intent“ (geplanter Vorsatz), und bei anderen Einzelverbrechen „intent and knowledge“. Teilweise reicht sogar grob fahrlässiges Verhalten aus (strittig). Als Leitlinie und unter Ausschluss einer speziellen Regelung kann jedoch Art. 30(2) ICC Statut herangezogen werden. Danach 186 Schabas, Introduction to the International Criminal Court, 36; zum Ganzen Olusanya, Sentencing War Crimes and Crimes against Humanity under the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. 187 Im Zuge der Beratungen ist der Begriff „mens rea“ durch den Begriff „mental Elements“ ersetzt worden. 188 Cassese, International Criminal Law, 159 „It is not easy to identify the various forms and shades of mens rea in international criminal law. [. . .] there is no customary rule setting out a general definition of the various categories of mens rea (such as intent, recklessness, or negligence). In this respect the only exception is Article 30 of the ICC Statute, on ,mental element‘. However, it is doubtful that it reflects customary international law.“ (Hervorhebung im Original.) 189 Cassese, International Criminal Law, 162.
D. Einzeltatbestandsübergreifende mens rea
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handelt der Täter – unter Beachtung obiger Bedenken bezüglich der Verallgemeinerungsfähigkeit – mit „intent“, wenn er – erstens, im Hinblick auf ein Verhalten dieses Verhalten setzen will; und – zweitens, im Hinblick auf die Folgen diese Folgen herbeiführen will oder ihm bewusst ist, dass diese im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse eintreten werden190. In Finta wurde festgestellt, dass der Täter nicht wissen muss, dass sich sein Verhalten juristisch in eine spezifische Kategorie einordnen lässt, etwa als „Mord“ oder „Vergewaltigung“. Abzustellen ist auf die „tatbestandliche Qualität“ seines Wissens191.
II. „Knowledge“ Der Terminus des „Wissens“ ist in Art. 30(3) ICC Statut legal definiert und „bedeutet das Bewusstsein, dass ein Umstand vorliegt oder dass im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse eine Folge eintreten wird.“ Die Termini „Wissentlich“ und „wissen“ sind austauschbar verwendbar. 1. Wissen bezüglich des makrokriminellen Gesamtkontextes Das Wissen bezüglich des makrokriminellen Gesamtkontextes kann objektiv mit Hilfe der zugrunde liegenden Umstände192 abgeleitet werden aus 190 Cassese in Cassese/Gaeta/Jones, The Rome Statute of the International Criminal Court, 353 (361 ff.) „In particular, courts have insisted on three points. First, for crimes against humanity, criminal intent involves both the intent to bring about a certain result and the awareness of the factual circumstances which make up or are required for the actus reus.“ 191 Regina v. Finta, 69 O.R. 2d (H.C. 1989) 557 ff. „We regard knowledge of the facts and circumstances necessary to bring Finta’s conduct within the definition of crimes against humanity or war crimes as essential element of each charge. That knowledge requirement does not depend on Finta’s perception of whether particular conduct came within the meaning of relevant words. [. . .] If Finta was aware of the facts or circumstances which brought the acts within those definitions [of inhumanity] then the required mental element was established regardless of how Finta might have characterized his acts. [. . .] Finta’s knowledge of the ,factual quality‘ of his acts clearly refer[s] to knowledge of the circumstances which brought his acts [. . .] within the definition of a crime against humanity or a war crime read in its entirety. The [. . .] issue [is] Finta’s knowledge of the facts surrounding his acts, and [. . .] Finta’s personal moral code or his own perceptions of international law [has no] relevance to his guilt. These views were taken up the majority of the Supreme Court of Canada.“; s. a. Cassese in Cassese/Gaeta/Jones, The Rome Statute of the International Criminal Court, 353 (365). 192 Vgl. France v. Klaus Barbie [Barbie IV], Cour de Cassation, Urteil v. 3. Juni 1988, in: 100 ILR (1995), 330 ff. Die Teilnahme des Beschuldigten an „the execution of a common plan to bring about the deportation or extermination of the civilian
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
– den historischen und politischen Umständen, in denen die Gewalttaten stattfanden; – der Funktion des Beschuldigten zum Zeitpunkt der Tatbegehung; – dem Verantwortungsgrad des Beschuldigten innerhalb der politischen oder militärischen Hierarchie; – der direkten bzw. indirekten Beziehung zwischen der politischen und militärischen Hierarchie; – der Reichweite und Schwere der begangenen Taten; – der Natur und dem Grad des begangenen Verbrechens, soweit diese allgemein bekannt waren.193 Auch das „Augen verschließen“ vor der Gesamtlage kann ausreichend sein194. 2. Wissen bezüglich der Teilnahme innerhalb des makrokriminellen Gesamtkontextes Der Täter hat Wissen bezüglich der Teilnahme innerhalb des makrokriminellen Gesamtkontextes, wenn ihm nachgewiesen werden kann, dass ihm bewusst war, dass seine Handlung mit dem weiter reichenden Kontext verknüpft ist195. In Blasˇkic´ hat das ICTY diese Voraussetzung insoweit präzisiert, als dass der Täter bereits dann über das erforderliche Wissen verfügt, wenn er aufgrund seiner Stellung und Funktion innerhalb des Täterkreises wissentlich das Risiko auf sich genommen hat, an der Implementierung des makrokriminellen Gesamtkontextes teilzunehmen196. Dabei stützt es sich neben der Rechtsprechung des ICTR primär auf Papon, wo festgestellt wurde, dass
population during the war or persecutions on political ,racial or religious grounds‘“ konstituierte „an essential element of the crime against humanity consisting in the fact that the acts charged were performed in a systematic manner in the same of a State practicing by those means a policy of ideological hegemony. These crimes [. . .] implie[d] that he acted in full knowledge of the policy which he was furthering.“ (Eigene Hervorhebung.) 193 Prosecutor v. Blasˇkic ´ , IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 259; Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 523 f.; Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 273 ff. 194 Regina v. Finta, 1 S.C.R. (1994), 701 (706); Chesterman, 10 Duke JComp.& Int’l L(1999), 307 (321). 195 Regina v. Finta, 1 S.C.R. (1994), 701 [Einl.] mit Berufung auf Criminal Code, R.S.C. 1985, c. C-46, s. 7(3.71) [Gesetz durch den Crimes against Humanity and War Crimes Act abgelöst] „The mental element required to be proven to constitute a crime against humanity is that an accused was aware of or wilfully blind to facts or circumstances which would bring his or her acts within the definition of a crime against humanity.“
D. Einzeltatbestandsübergreifende mens rea
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„the last sub-paragraph of Article 6 of the International Military Tribunal [. . .] does not require that the accomplice to a crime against humanity support the policy of ideological hegemony of the principal perpetrators.“197
Daraus schließt das ICTY, dass der Beschuldigte sich weder mit einer Ideologie oder einer Politik identifizieren, noch diese unterstützen muss. Ausreichend sei, dass er das Risiko auf sich genommen hat, an der Implementierung der Ideologie, der Politik oder des Planes teilzunehmen198. Ein diesbezüglicher Nachweis müsste darauf abzielen, dass – der Beschuldigte willentlich zugestimmt hat, bestimmte Funktionen wahrzunehmen; – diese Funktionen die politischen, militärischen, oder zivilen Autoritäten, welche die Ideologie, Politik oder Pläne, die den Grundstein für die Verbrechen legten, unterstützten; und schließlich – der Beschuldigte die Begehung durch vorsätzliche Taten unterstütze, oder es unterließ, aus freiem Willen die erforderlichen Gegenmaßnahmen zu veranlassen, um die Begehung der Verbrechen zu verhindern199. Schließlich kann das Bewusstsein des Täters ausreichend sein, dass seine Handlungen mit großer Wahrscheinlichkeit zur Begehung von Verbrechen führen werden. Das beinhaltet primär Fälle, bei denen der Täter Befehle erteilt, die zwar nicht unmittelbar zur Verbrechensbegehung führen, jedoch einen wichtigen Zwischenschritt zu dessen Begehung darstellen. Praktisch relevant war dies bei der Aburteilung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgrund des Unterschreibens von Dekreten während des Dritten Reiches, welche vorsahen: die Deportation von Juden und Widerstandskämpfern der Deutschen Besatzung in Konzentrationslager; die Ausweitung der antijüdischen Gesetzgebung auf neu besetzte Gebiete; die Ausgrenzung der Juden von sozialen und wirtschaftlichen Teilen der Deutschen Gesellschaft; sowie das Erfordernis der Registrierung, Ghettoisierung, das Tragen des David Sterns und die Deportation von Juden aus besetzten Gebieten.
196 Prosecutor v. Blasˇic ´, IT-59-14-T (3. März 2000), Abs. 251 „The accused need not have sought all the elements of the context in which his acts were perpetrated; it suffices that, through the functions he willingly accepted, he knowingly took the risk of participating in the implementation of that context“. Cassese in Cassese/Gaeta/ Jones, The Rome Statute of the International Criminal Court, 353 (366) bezeichnet dies als „advertent recklessness or dolus eventualis.“ (Hervorhebung im Original.) 197 Prosecutor v. Blasˇic ´ , IT-95-14-T) (3. März 2000), Abs. 256. 198 So auch Cassese in Cassese/Gaeta/Jones, The Rome Statute of the International Criminal Court, 353 (365) „possibility of being or becoming instrumental in the execution of a governmental policy of inhumanity or of a systematic practice of atrocities“ (Hervorhebung im Original). 199 Prosecutor v. Blasˇkic ´ , IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 257.
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
E. Täterkreis und objektiver Nexus zwischen Einzeltat und Gesamtkontext? Im Prinzip kann jede Einzelperson, sowohl ein Zivilist, hochrangiges Mitglied des Militärs, als auch Beamter oder Politiker ein völkerstrafrechtliches Verbrechen begehen200. Es gibt insoweit keine domaine réservé bezüglich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Täterkreises. Das macht auch ein Blick auf die Aburteilungspraxis des ICTR und des ICTY deutlich. So hat etwa das ICTR sich inter alia mit den Taten von Journalisten201, Ärzten202, Geschäftsleuten203 und Studenten204 befasst. Im Rahmen der begangenen Verbrechen während des Völkermordes in Ruanda wurde auf vier Haupttätergruppen abgestellt; erstens: Politische Führungspersönlichkeiten205, zweitens: Führungspersönlichkeiten des 200 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-A (1. Juni 2001), Abs. 436 u. 434 f.; Prosecutor v. Kayishema und Ruzinada, ICTR-95-1-A (1. Juni 2001), Abs. 170 (bezgl. Völkermord); Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 248 und 252; Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 555; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 725 ff (bezgl. Kriegsverbrechen); s. a. Principle I und III der Nürnberger Prinzipien, Affirmation of the Principles of International Law recognized by the Charter of the Nuremberg Tribunal, G.A. Res. 95 (I) vom 11. Dezember 1946. Am selben Tag wurde eine weitere Resolution verabschiedet, die sich mit dem Tatbestand des Völkermordes auseinandersetzte, G.A. Res. 96 (I) vom 11. Dezember 1946. 201 Stand Juli 2006: Georges Ruggiu (Journalist für RTML, 12 Jahre Haft), Joseph Serugendo (Mitglied des Comité d’Initiative [Lenkungskomitee von RTML], 6 Jahre Haft); Ferdinand Nahimana (Direktor von RTML, lebenslange Freiheitsstrafe, Fall in Berufung); Hassan Ngeze (Chefredakteur der Kangura Zeitung, lebenslange Freiheitsstrafe, Fall in Berufung). 202 Gérard Ntakirutimana (Arzt, 25 Jahre Haft). 203 Stand Juli 2006: Georges Rutaganda (Unternehmer, zugleich 2. Vize Präsident der Interahamwe, lebenslange Freiheitsstrafe), Obed Ruzindana (Unternehmer, nach Mali überstellt); Omar Serushago (Unternehmer, zugleich Interahamwe Anführer für die Gisenyi Präfektur, 15 Jahre Haft); Alfred Musema (Direktor einer Tee Fabrik in Gisovu, lebenslange Freiheitsstrafe); Protais Zigiranyirazo (Unternehmer, Verfahren anhängig). 204 Arsène Shalom Ntahobali (Student, gleichzeitig Anführer der Interahamwe, Verfahren anhängig, Angeklagter im joinder „Butare“). 205 Stand Juli 2006: Jean Bosco Barayagwiza (Direktor für politische Angelegenheiten und Außenminister, 35 Jahre Haft, Fall in Berufung); Jean Kambanda (Premierminister, lebenslange Freiheitsstrafe); Jean de Dieu Kamuhanda (Kultur und Bildungsminister, lebenslange Freiheitsstrafe); Mikaeli Muhimana (Beigeordneter in Gishyita, lebenslange Freiheitsstrafe, Fall in Berufung); Emmanuel Ndindabahizi (Finanzminister, lebenslange Freiheitsstrafe, Fall in Berufung); Eliezer Niyitegeka (Informationsminister, lebenslange Freiheitsstrafe); André Ntagerura (Verkehrsminister, Entlassung unter Auflagen); Vincent Rutaganira (Beigeordneter der Mubuga, Gishyita Kommune, 6 Jahre Haft); André Rwamakuba (Bildungsminister, Verfahren anhängig); vgl. insbesondere den anhängigen joinder Karemera et al. (auch bekannt als „Government I“ und bestehend aus den Fällen von Edouard Karemera [Innenminister der Übergangsregierung und Vizepräsident der MRND], Mathieu Ngirumpatse [Generaldirektor des Außenministeriums und Präsident der MRND] und Joseph Nzirorera [Präsident der
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Militärs206, drittens: Beamte des Staates in Führungspositionen207 und viertens: Geistliche208. Aufgrund der besonderen politischen und sozialen Situation in der Präfektur Butare zum Zeitpunkt der Tatbegehungen ist zudem ein joinder anhängig, der dieser Lage Rechnung trägt209. Die Nationalität ist unbeachtlich; der Täter kann sowohl gegen fremde, wie auch eigene Landsleute ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen210. Ohne Bedeutung ist schließlich, ob das Opfer als „Feind“ aufgefasst wurde211.
Nationalversammlung und Generalsekretär der MRND].; sowie (Casmir) Bizimungu et al. (auch bekannt als „Government II“ und bestehend aus den Fällen von Casmir Bizimungu [Gesundheitsminister]; Justin Mugenzi [Wirtschaftsminister]; Jérôme Bicamumpaka [Außenminister] und Prosper Mugiraneza [Minister für die öffentliche Verwaltung]). 206 Stand Juli 2006: Samuel Imanishimwe (Leutnant der FAR, 27 Jahre Haft, Fall in Berufung); Aloys Simba (Oberstleutnant, 25 Jahre Haft); Tharciss Muvunyi (Kommandeur der ESO-Verfahren anhängig); vgl. insbesondere die derzeit anhängigen joinder Bagosora et al. (auch bekannt als „Military I“, bestehend aus den Fällen von Théoneste Bagosora [Verteidigungsminister, zugleich Direktor des Kabinets], Gratien Kabiligi [Brigadegeneral der FAR], Anatole Nsengiyumva [Oberstleutnant], Aloys Ntabakuze [Kommandeur des Battallions in der FAR]); sowie Ndindiliyimana et al. (auch bekannt als „Military II“ und bestehend aus den Fällen Augustin Bizimungu [Gesundheitsminister], Augustine Ndindilyimana [Stabschef der Gendarmerie Nationale]; François-Xavier Nzuwonemeye [Kommandeur des 42. Battallions] und Innocent Sagahutu [Stellvertretender Kommandeur des Aufklärungsbattallions]). 207 Stand Juli 2006: Jean-Paul Akayesu (Bourgmestre von Taba, lebenslängliche Freiheitsstrafe); Emmanuel Bagambiki (Präfekt von Cyangugu, Entlassung unter Auflagen); Ignace Bagilishema (Bourgmestre von Mabanza, freigesprochen); Paul Bisengimana (Bourgmestre von Gikondo, 15 Jahre Haft); Sylvestre Gacumbitsi (Bourgmestre der Rurumo Komune, 30 Jahre Haft, Fall in Berufung); Juvénal Kajelijeli (Bourgmestre von Mukingo, 45 Jahre Haft); Clément Kayishema (Präfekt von Kibuye, lebenslange Freiheitsstrafe); Laurent Semanza (Bourgmestre von Bicumbi, 35 Jahre Haft); François Karera (Präfekt der Kigali Vororte, Verfahren anhängig); Jean Mpambara (Bourgmestre der Rukara Kommune, Kibungo Präfektur (freigesprochen). 208 Elizapan Ntakirutimana (Priester), Samuel Musabyimana (Bischof, vor Urteilsverkündung verstorben); Athanase Seromba (Priester, Verfahren anhängig). 209 Joinder Nyiramasuhuko et al. (auch bekannt als „Butare“, bestehend aus den Fällen von Pauline Nyiramasuhuko [Familienministerin und Ministerin für Frauenangelegenheiten], ihr Sohn Arsène Shalom Ntahobali [Student und Anführer der Interahamwe], Alphonse Ntezirayo [Kommandierender Offizier der Militärpolizei, später Präfekt von Butare], Sylvain Nsabimana [Präfekt von Butare], Elie Ndayambaje [Bourgmestre von Muganza], Joseph Kanyabashi [Bourgmestre von Ngoma]). 210 Beachte aber die im Einzelfall jeweilige Ausgestaltung der Jurisdiktionskompetenz des Gerichtes, vgl. Art. 1 ICTR Statut; siehe weiter Prosecutor v. Ruggiu, ICTR97-32-I (1. Juni 2000), Verdict „Trial Chamber I for the forgoing Reasons [. . .] sentences Georges Ruggiu born on 12 October 1957 in Verviers, Province of Lieges, Belgium To: [. . .] Count 2 (Crime against humanity) twelve (12) years of imprisonment [. . .]“. 211 Attorney-General v. Enigster, Yehezkel Ben Alish, District Court of Tel Aviv, Urteil v. 4. Januar 1951, 5 Pesakim Mehoziim (1951-52), Zusammenfassung in 18 ILR (1951), 542 ff.; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 423.
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
Fraglich könnte aber sein, ob beim Verbrechen gegen die Menschlichkeit betreffend des tauglichen Täterkreises insoweit eine Einschränkung zu machen ist, als dass nur ein Individuum als „Akteur des Staates“ (bzw. de facto Staates oder Organisation) tauglicher Täter sein kann. Die Problematik existiert spiegelbildlich beim „Systematik“ Element innerhalb des Tatbestandmerkmals des Gesamtangriffs. Während dort jedoch eine Verbindung zwischen Angriff und (de facto) Staat oder Organisation relevant ist, ist hier fraglich, ob das Politikelement „Ausstrahlungswirkung“ auf den Täterkreis entfaltet. Aus Urteilen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone, deren ratio decidendi in diesem Punkt die Grundlage für die in Kupreskic´ gemachten Feststellungen war, geht hervor, dass eine Privatperson tauglicher Täter für ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein kann, wenn die Tat entweder, erstens von Staats- oder Regierungsautorität implizit unterstützt oder gefördert wurde, zweitens die Tathandlung in klare Weise von einer allgemeinen staatlichen Politik angeregt worden ist, oder drittens in klarer Weise sich in eine solche Politik eingefügt hat212. 212 B. Fall, Oberster Gerichtshof für die Britische Zone, Urteil v. 25. Mai 1948 in: Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen, Bd. I, 6 ff.; P. Fall [I], Oberster Gerichtshof für die Britische Zone, Urteil v. 20. Mai 1948 in: Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen, Bd. I, 11 ff.; V. Fall, Oberster Gerichtshof für die Britische Zone, Urteil v. 22. Juni 1948 in: Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen, Bd. I, 19 ff.; R. Fall, Oberster Gerichtshof für die Britische Zone, Urteil v. 27. Juli 1948 in: Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen, Bd. I, 45 ff.; K Fall, Oberster Gerichtshof für die Britische Zone, Urteil v. 27. Juli 1948 in: Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen, Bd. I, 49 ff.; M. Fall, Oberster Gerichtshof für die Britische Zone, Urteil v. 28. September 1948 in: Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen, Bd. I, 91 ff.; H Fall, Oberster Gerichtshof für die Britische Zone, Urteil v. 20. April 1949 in: Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen, Bd. I, 385 ff.; P Fall [II], Oberster Gerichtshof für die Britische Zone, Urteil v. 10. Mai 1949 in: Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen, Bd. II, 17 ff.; Eheleute M Fall, Oberster Gerichtshof für die Britische Zone, Urteil v. 24. Mai 1949 in: Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen, Bd. II, 67 ff.; A Fall, Oberster Gerichtshof für die Britische Zone, Urteil v. 6. September 1949 in: Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen, Bd. II S. 144 ff.; S. Fall, Oberster Gerichtshof für die Britische Zone, Urteil v. 15. Mai 1950 in: Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen, Bd. III, 56 f.; s. a. Prosecutor v. Kupreskic´ et al., IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 555 „While crimes against humanity are normally perpetrated by State organs, i. e. individuals acting in an official capacity such as military commanders, servicemen, etc. there may be cases where the authors of such crimes are individuals having neither official status nor acting on behalf of a governmental authority. The available case-law seems to indicate that in these cases some sort of explicit or implicit approval or endorsement by State or governmental authorities is required, or else that it is necessary for the offence to be clearly encouraged by a general governmental policy or to clearly fit within such a policy. [. . .].“
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Noch weiter gehen die im Weller Fall gemachten Feststellungen, die das ICTY in Kupreskic´ für beachtenswert hält213. Dort hatte der Täter, der Mitglied der S.S. war, jüdische Zivilisten misshandelt. Zum Tatzeitpunkt trug er keine S.S. Uniform und handelte auf eigene Initiative. Als die Jüdische Gemeinschaft die Taten bei der örtlichen Gestapo anzeigte, gab diese an, die Handlungen Wellers seien ein isolierter Akt gewesen, der in keinster Weise Zustimmung fände. Weller wurde von der Gestapo vorgeladen und verhört. Obgleich kein direkter Nachweis einer Beeinflussung durch eine Staatshandlung nachweisbar war, wurde Weller darauf folgend wegen begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Ob man den in Weller gewählten Ansatz für zustimmungswürdig erachten will, ist primär von der Frage abhängig, welche Anforderungen an Grad und Ausmaß eines nexus zwischen Einzeltat und Gesamtkontext festgeschrieben werden sollen. Ist – wie hier vertreten – alleinig die mens rea des Täters ausreichend, die verübte Einzeltat sei (nach seiner Vorstellung) Teil des Gesamtkontextes, so ist die Frage nach einem objektiv bestimmbaren nexus belanglos. Hält man eine objektive Verbindung zum Gesamtangriff für erforderlich, nachweisbar etwa durch eine Mitgliedschaft in einer bestimmten Gruppe, welche sich zu einer Organisation oder Staatsapparatur bekennt, die den Gesamtangriff gegen jegliche Zivilbevölkerung steuert, würde der alleinige subjektive Nachweis nicht genügen. Letztere Ansicht ist allerdings abzulehnen. Zwar könnte für sie ins Feld geführt werden, dass der Nachweis eines objektiven nexus das Kausalitätselement stärkt und zu mehr Rechtssicherheit führen könnte. Die Gegenargumente überwiegen jedoch. Erstens, ist seit jeher in den Statuten und Elements of Crimes kein derartiges objektives Nexuserfordernis kodifiziert. Zweitens, belegt die neuere Rechtsprechung des ICTY, dass das makrokriminelle Politik-Element kein konstitutives Merkmal des Gesamttatbestandes ist. Daraus ist ableitbar, dass es dem ICTY primär um die Makrokriminalität der Systematik bzw. des Ausmaßes geht, und nicht um Politikverbindungen zwischen mikrokrimineller und makrokrimineller Ebene. Drittens, birgt der Nachweis eines objektiven nexus Missbrauchsgefahren, da der Staat als Teil einer „Hinterzimmerpolitik“ private Ausführungstäter anheuern könnte, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu be213 Der Weller Fall besteht aus 6 Entscheidungen; (1) Landgericht von Mönchengladbach, Urteil v. 16. Juni 1948 (unveröffentlicht); (2) Oberlandgericht von Düsseldorf, Urteil v. 21. Oktober 1948 (unveröffentlicht); (3) Oberster Gerichtshof in der Britisch besetzten Zone, Urteil v. 21. Dezember 1948, teilweise veröffentlicht in: Entscheidungen, Bd. I, 203 ff.; (4) Schwurgericht v. Mönchengladbach, Urteil v. 20. April 1949 (unveröffentlicht); (5) Oberster Gerichtshof in der Britisch besetzten Zone, Urteil v. 10. Oktober 1949 in: Entscheidungen II, 149 ff.; (6) Schwurgericht von Mönchengladbach, Urteil v. 21. Juni 1950 (unveröffentlicht); ein Verweis auf Weller findet sich in Prosecutor v. Kupreskic´ et al., IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 555. Die Weller Urteile sind beim Landeshauptarchivamt in Düsseldorf einsehbar.
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
gehen, was den Nachweis eines objektiven nexus erheblich erschweren würde; und schließlich viertens wäre unklar, wie mit Fällen von ad hoc Makrokriminalität zu verfahren ist, bei denen ein übergeordneter Gesamtkontext nicht existiert, sondern die Einzeltat abrupt in den Gesamtkontext kulminiert. In der Gerichtspraxis ist der Streit weniger relevant, als man vermuten könnte. Schließlich kann sich das Gericht nicht auf die Aussagen des Angeklagten verlassen, welche mens rea er hatte. Auch hier greift der Grundsatz, dass die mens rea durch objektive Umstände nachgewiesen wird. Allerdings ist unverkennbar, dass bei der Aburteilungspraxis ein gewisser Trend ersichtlich ist, bestimmte Täter bevorzugt wegen begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit abzuurteilen. Während die ad hoc Tribunale zu Beginn ihrer Tätigkeit sowohl über nieder- als auch über hochrangige Täter richteten, hat im Laufe der Zeit eine vermehrte Konzentration auf hochrangige Verantwortliche stattgefunden214. Dies lässt sich einerseits auf Art. 1 der ICTR und ICTY Statute215 zurückführen, welche die ratione personae Jurisdiktionskompetenz beider Tribunale von der Schwere der Verbrechen abhängig machen. Dominant waren wohl auch allgemeine Gerechtigkeitserwägungen, wie etwa, die „großen Fische“ nicht ungeschoren davonkommen zu lassen und dem Wiederaufarbeitungs- und Versöhnungsprozess angemessen Rechnung zu tragen. Auch das SCSL Statut216 und ECCC Gesetz217 beschränken die Verurteilung auf die hauptverantwortlichen Personen. Im ICC Statut ist die Jurisdiktionskompetenz zwar primär von der Schwere des Verbrechens – und nicht der Verantwortlich214 U.N. Doc. S/RES/1534 (2004) „Calls on each Tribunal, in reviewing and confirming any new indictments, to ensure that any such indictments concentrate on the most senior leaders suspected of being most responsible for crimes within the jurisdiction of the relevant Tribunal set out in resolution 1503 (2003). Vgl. weiter: Statement by the President of the Security Council, U.N. Doc. S/PRST/2002/21 (23. Juli 2002) „the ICTY should concentrate its work on the Prosecution and trial of civilian, military and paramilitary leaders suspected of being responsible for serious violations of international humanitarian law committed in the territory of the former Yugoslavia since 1991, rather than on minor actors.“ 215 Art. 1 i.V. m. Art. 5 ICTR Statut bzw. Art. 1 i.V. m. Art. 6 ICTY Statut. Vgl. etwa Art. 1 ICTY Statut: „Der Gerichtshof ist befugt, Personen, die für die seit 1991 im Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawien begangenen schweren Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verantwortlich sind; nach den Bestimmungen dieses Statuts strafrechtlich zu verfolgen“ (eigene Hervorhebung). 216 Art. 1(1) i.V. m. Art. 2 Statute „The Special Court shall, except as provided in subparagraph (2), have the power to prosecute persons who bear the greatest responsibility for serious violations of international humanitarian law and Sierra Leonian law committed in the territory of Sierra Leone [. . .], including those leaders who, in committing such crimes, have threatened the establishment of and implementation of the peace process in Sierra Leone.“ 217 Art. 1 ECCC Law „The purpose of this law is to bring to trial senior leaders of the Democratic Kampuchea and those who were most responsible for the crimes and serious violations of Cambodian penal law, international humanitarian law and custom, and international conventions recognized by Cambodia [. . .]“, i.V. m. Art. 2, Art. 5.
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keit des Täters – abhängig gemacht218. Aus einem Policy Paper der ICC-OTP geht allerdings hervor, dass auch hier primär die Personen mit größter Verantwortung abgeurteilt werden sollen219, unter Einbeziehung der konkreten Beweislage. Hingewiesen sei noch auf einen letzten Punkt. Die Jurisdiktionskompetenz der internationalen (ad hoc) Tribunale und Gerichte erstreckt(e) sich nur auf natürliche Personen. Entgegen weit verbreiteter Ansicht galt das übrigens auch für das IMT. Zwar hebt der Bericht des Generalsekretärs, der zur Errichtung des ICTY gefertigt wurde, hervor, dass das IMT bestimmte Organisationen oder Parteien als „kriminell“ deklarieren konnte220. Nimmt man es genau, war darin aber keine strafrechtliche Aburteilung zu sehen. Das IMT hat nicht abstrakt und losgelöst vom Individuum, Organisationen wie die S.S. oder S.A. verurteilt, sondern vielmehr das Individuum aufgrund des Tatbestandes der Mitgliedschaft in einer solchen221, und zwar auch nur dann, wenn dem Mitglied Konspiration vorgeworfen werden konnte222. Die These, ob darüber hinaus auch Staaten – losgelöst vom Individuum – völkerstrafrechtliche Verbrechen begehen können, wird zwar nicht einhellig beantwortet, ist aber zu Recht aufgrund kollektivschuldrechtlicher Bedenken abzulehnen223. Zwar ist in Art. 19 des ILC Drafts zur Staatenverantwortlichkeit224 eine Unterscheidung zwischen „international
218 ICC Statut, Präambel, „Affirming that the most serious crimes of concern of the international community as a whole must not go unpunished [. . .];“ sowie Art. 1 und 5 (Hervorhebung im Original). 219 ICC-OTP, Paper on some policy issues before the Office of the Prosecutor, Abs. 2.1 (2003) „The concept of gravity should not be exclusively attached to the act that constituted the crime but also to the degree of participation in its commission.“ [. . .] The global character of the ICC, its statutory provisions and logistical constraints support a preliminary recommendation that, as a general rule, the Office of the Prosecutor should focus its investigative and prosecutorial efforts and resources on those who bear the greatest responsibility, such as the leaders of the State or organisation allegedly responsible for those crimes. (Hervorhebung im Original.) 220 Report of the Secretary-General pursuant to Paragraph 2 of Security Council Resolution 808 (1993), Rn. 50 f., 32 ILM (1993), 1163 (1166). 221 Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law I, 3 (11). 222 Wright, 41 AJIL 1 (1947), 38 (69). 223 Report of the International Law Commission May 2–July 22, 1994, U.N.Doc. A/ 49/10. 347 ff.; Report of the International Law Commission May 2–July 21, 1995, U.N. Doc. A/50/10, 106; Abi-Saab in: Cassese/Spinedi/Weiler, International Crimes of State. A Critical Analysis of the ILC’s Art. 19 on State Responsibility 141(146); sowie Brownlie, System of the Law of Nations: State Responsibility I, 33; Gilbert, 39 Int’l & Comp. LQ (1990), 345 ff.; Marek, 14 Revue Belge de Droit International (1978), 460; Stessens, 43 Int’l & CompLQ (1994), 493 ff.; Petition of Cunard Steamship Comp. Ltd for limited liability before the U.S. District Court of NY (Lusitania), 251 Fed.Rep. 715; Hudson, International Tribunals, 180 „At no time has any authorative formulation of international law been adopted which would brand specific state conduct as criminal, and no international tribunal has ever been given jurisdiction to find a state guilty of crime.“
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
crime“ und „international delict“ eingeführt worden225. Der eingesetzte Berichterstatter der ILC James Crawford entschied jedoch, Art. 19, sowie jeden staatenverantwortlichen Bezug zum Terminus „Delikt“ zu löschen226 und stattdessen den Begriff der „Verletzung“ wieder aufzunehmen. Der strafrechtlichen Verfolgung von Staaten ist insoweit – obgleich Crawford es unterlassen hat, die Frage zu klären, ob es so etwas wie ein „international delict“ gibt227 – indirekt eine Absage erteilt worden. Dass ein Staat im Falle eines Völkerrechtsbruches mitunter Entschädigungsleistungen erbringen muss, ist freilich unbestritten.
F. „Diskriminierender Grund“ – chapeau oder Einzeltatbestandselement – oder beides? Bei der Analyse des Tatbestandsmerkmals des diskriminierenden Grundes bestehen Unklarheiten, die aus der verallgemeinernden Verwendung des Terminus sowohl innerhalb des Gesamttatbestandes als Element des Gesamtkontextes, als auch als Voraussetzung eines Einzeltatbestandes, herrühren228. Art. 3 des ICTR Statuts veranschaulicht die „Problematik“229: „The International Tribunal for Rwanda shall have the power to prosecute persons responsible for the following crimes when committed as part of a widespread or systematic attack against any civilian population on national, political, ethnic, racial or religious grounds: [. . .] (h) Persecutions on political, racial and religious grounds; [. . .].“230 224 International Law Commission’s Draft Articles on State Responsibility, ILC Yearbook 1976 II, 95 ff. 225 Draft Articles on State Responsibility, Report of the International Law Commission on the Work of its Twenty-Eighth Session, U.N. Doc. A/31/10 (1976), beachte insb. Art. 19(3); Morgenbesser, Staatenverantwortlichkeit für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen; Dugard in: Bassiouni, International Criminal Law I, 239 ff.; Lauterpacht in: Oppenheim International Law, Bd. I, 339. 226 Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law I, 3 (11). 227 The ILC Draft Articles on State Responsibility, 2000 „Particularly controversial was former article 19, with its distinction between ,international delicts‘ and ,international crimes‘. Quite apart from the question whether there exists a distinct category of ,State crime‘ in international law, article 19 had no consequences within the framework of Part 1. Thus, for example, the same rules of attribution applied to ,delicts‘ as to ,crimes‘, as did the so-called principle of objective responsibility embodied in articles 1 and 2. After a divisive debate on the issue in 1998, the ILC decided that . . .‘ (a) . . . draft article 19 would be put to one side for the time being while the Commission proceeded to consider other aspects of Part 1 [. . .].“ 228 Wiwa v. Royal Dutch Petrolium et al. (22. Februar 2002), Ca.No. 96 Civ. 8386, 2002 (unveröffentlicht, siehe WL 319887 [S.D.N. 7. Feb. 28, 2002]); „it is unclear whether discriminatory treatment is a necessary element of an allegation of a crime against humanity“; de Guzman, 22 HRQ (2000), 335 (364 ff.). 229 De Guzman, 22 HRQ (2000), 335 (365) „persuasive confusion“. 230 Eigene Hervorhebung der relevanten Passagen.
F. Diskriminierender Grund
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Wäre nach dem Statut „grounds“ einheitlich mit „Gründe“ zu übersetzen, stellt sich das Problem, ob eine der beiden Formulierungen überflüssig wäre. Die daraus resultierende Rechtsunsicherheit ist unübersehbar. Welcher der beiden „grounds“ ist überflüssig und daher vernachlässigbar? Ist der „ground“ innerhalb des Verfolgungstatbestandes im Lichte des chapeaus zu interpretieren? Oder gilt gerade Gegengesetzes? Zurückführen lässt sich der Wortlaut des Statutes auf Meinungsverschiedenheiten bei der Verabschiedung des ICTR Statuts231, auf die im Folgenden eingegangen wird. Diese Untersuchung beinhaltet im Zusammenhang mit dem diskriminierenden Grund insoweit drei Problemstellungen: Erstens ist zu fragen, ob innerhalb des chapeaus ein diskriminierender Grund erforderlich ist, der auf alle Einzeltatbestände überwirkt. Zweites soll ohne Problematiken vorwegzunehmen angerissen werden, in wieweit beim enumerierten Einzeltatbestand der Verfolgung ein diskriminierender Grund erforderlich ist – mithin die Frage nach der mens rea in Relation zum diskriminierenden Vorsatz –. Und drittens wird aufgezeigt, welche Wechselwirkung zwischen diskriminierendem Grund und diskriminierendem Vorsatz besteht. Zur Erreichung größerer Klarheit soll der diskriminierende Grund im chapeau als „discriminatory ground“ bezeichnet werden. Für den diskriminierenden Grund als mens rea Voraussetzung wird der Begriff „discriminatory intent“ verwendet232.
I. Der diskriminierende Grund innerhalb des chapeaus – „discriminatory grounds“ Das erste angesprochene Problem ist beschränkt auf die Rechtsanwendung innerhalb des ICTR Statuts. Weder Art. 5 des ICTY Statuts, Art. 2 des SCSL Statuts, noch Art. 7 des ICC Statuts enthalten einen vergleichbaren Passus. Im Akayesu Appeal wurde die Auslegungsproblematik des diskriminierenden Grundes innerhalb der chapeau Elemente erörtert. Fraglich war insbesondere, ob der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit eine Begehung aufgrund eines diskriminierenden Grundes für alle enumerierten Einzelverbrechen, oder nur für den Tatbestand der Verfolgung voraussetzt. Die Anklagebehörde argumentierte für eine Anwendung nur im Rahmen des Verfolgungstatbestandes, da sonst die Gefahr von Strafbarkeitslücken bestünde und der Wortlaut im Rahmen des Verfolgungstatbestandes hinfällig sei233. Die Verteidigung wen231 Report of the Preparatory Committee on the Establishment of an International Criminal Court, U.N. Doc. A/51/22 (1996), Abs. 87. 232 Überzeugend insoweit Brief of Argument of the Prosecution (Cross-Appellant), Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-A (12. Januar 1998) App. Ch., para 5.12, wo zwischen „discriminatory intent“ und „discriminatory grounds“ unterschieden wird. 233 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-A (1. Juni 2001), Abs. 448 Fn. 820. In Artikel 3 des ICTR Statutes ist das Tatbestandsmerkmal „on national, political, ethnic,
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
dete ein, dass im Einklang mit den Grundregeln bei der Gesetzesauslegung eine strikte Auslegung geboten ist. Die Auffassung der Anklagebehörde führe von einem „interpretativen“ zu einem „legislativen“ Ansatz, weil Teile der chapeau Voraussetzungen einfach „herausgestrichen“ würden234. Die Appeals Chamber stellte in Akayesu fest, dass ein Beschuldigter nach Art. 3 des ICTR Statuts gewöhnlich nur dann bestraft werden kann, wenn dem Gesamtkontext „discriminatory grounds“ zugrunde liegen235. Begründet wurde das anhand einer Analyse der Motive des Weltsicherheitsrates, der aufgrund des Charakters der Ereignisse in Ruanda die Jurisdiktionskompetenz für Verbrechen gegen die Menschlichkeit begrenzen wollte236. Folglich wurde in Akayesu bezüglich des „discriminatory grounds“ innerhalb des chapeaus die Aussage getroffen: „It [Anm: der Weltsicherheitsrat] limited at the very most the jurisdiction of the Tribunal to a sub-group of such crimes, which in actuality may be committed in a particular situation. By the same token, the Appeals Chamber notes that the ICTY Statute contains in its Article 5 explicitly an express requirement for a nexus with an armed conflict. As held in Tadic, this „creates a narrower sphere of operation than that provided for crimes against humanity under customary international law.“ Here again, by limiting the scope of the article, the Security Council did not, however, intend that the definition contained in the ICTY Statute should constitute a departure from customary international law.“237
Das ICTR in Akayesu stimmt insoweit mit den Ausführungen der Verteidigung überein, dass zumindest einer der im chapeau enthaltenen discriminatory grounds für alle Katalogstraftaten nachgewiesen werden muss. Die Begrenzung racial or religious grounds“ zweimal festgeschrieben, einmal im chapeau, und ein weiteres Mal beim Verfolgungstatbestand. 234 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-A (1. Juni 2000), Abs. 452. 235 Vgl. Johnson, 97 RIDP (1996), 211 (219), der argumentiert, dass die Tatbegehung aufgrund diskriminierender Gründe explizit vom Statut gefordert ist; dagegen Robinson: „Defining“ in Cryer, Prosecuting International Crimes, 251. 236 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-A (1. Juni 2001), Abs. 464 f. „It is [. . .] in light of the nature of the events in Rwanda (where a civilian population was actually the target of a discriminatory attack), that the Security Council decided to limit the jurisdiction of the Tribunal over crimes against humanity solely to cases where they were committed on discriminatory grounds. This is to say that the Security Council intended thereby that the Tribunal should not prosecute perpetrators of other possible crimes against humanity. The Appeals Chamber found that in doing so, the Security Council did not depart from international humanitarian law nor did it change the legal ingredients required under international humanitarian law with respect to crimes against humanity. It limited at the very most the jurisdiction of the Tribunal to a subgroup of such crimes, which in actuality may be committed in a particular situation.“ (Hervorhebung im Orginal.) s. a. Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 672; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 54. 237 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-A (1. Juni 2001), Abs. 465 mit Berufung auf Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-A (26. Januar 2000), Fn. 356 (eigene Hervorhebung).
F. Diskriminierender Grund
213
wird jedoch nur als Jurisdiktionsbegrenzung des Gerichts verstanden. Völkergewohnheitsrechtlich ist der Nachweis von diskriminierenden Gründen nur beim Verfolgungstatbestand und beim Verbrechen der Apartheid notwendig. Hingewiesen sei noch einmal auf Folgendes: Die Jurisdiktionsbegrenzung des ICTR führt nicht dazu, dass der Täter diskriminierende Gründe inne gehabt haben musste. Die Trial Chamber in Akayesu hatte diesbezüglich zwar unklare Feststellungen getroffen, da sie bei den Einzelverbrechen Mord und Vergewaltigung eine auf diskriminierende Motive beruhende generelle Absicht beim Täter forderte238, bei den Verbrechen der Ausrottung und der Folter auf der anderen Seite jedoch feststellte, nur der „Angriff“ müsse von diskriminierenden Gründen getragen sein239. Durch die Ausführungen der Appeals Chamber in Akayesu ist aber Klarheit geschaffen worden, dass sich die im chapeu enthaltenen „discriminatory grounds“ nur auf den Gesamtkontext, und nicht etwa auch auf die Einzelhandlung des Täters beziehen müssen. Der „discriminatory ground“ im chapeau des ICTR Statuts ist insoweit keine subjektive Tatbestandsvoraussetzung (mens rea), sondern ein objektives Erfordernis für das Merkmal des Gesamtangriffs240. Mit Ausnahme des Verfolgungstatbestandes ist mithin kein diesbezüglicher mens rea Nachweis erforderlich241.
II. Der diskriminierende Grund innerhalb der Einzeltatbestände – „discriminatory intent“ Unabhängig von der Frage, wie der diskriminierende Grund innerhalb des chapeaus auszulegen ist, war weiter fraglich, ob der Gesamttatbestand voraussetzt, dass der Täter für alle enumerierten Einzelverbrechen mit diskriminierender mens rea gehandelt haben muss oder ob dieses Erfordernis auf den Begehungstypus der Verfolgung beschränkt ist. Der Ursprung dieses Problems lässt sich auf den Verhandlungsprozess zu Art. 5 des ICTY Statuts zurückführen. Bei der Verabschiedung der Resolution 827 durch den Weltsicherheitsrat 242 und der darauf folgenden Errichtung des ICTY wurde von den Vertretern der 238
Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 598. Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 592 und 595; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 81. 240 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-A (1. Juni 2001), Abs. 468; Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 442. 241 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-A (1. Juni 2001), Abs. 467; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 878; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 673, Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-200164-T (17. Juni 2004), Abs. 301; Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 529; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 54. 242 Zu U.N. Doc. S/RES/827 und der Entstehungsgeschichte des ICTY siehe oben Kapitel 2 F.I. 239
214
Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich und Russland die Auffassung vertreten, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit müsse generell eine diskriminierende mens rea beinhalten243. Von der Trial Chamber in Tadic´ wurde dementsprechend das ICTY Statut so interpretiert, als dass für alle enumerierten Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein diskriminierender dolus erforderlich ist244. Diese Auffassung wurde indes von der Appeals Chamber aufgehoben245. Unter Berufung auf das Londoner Abkommen vom 8. August 1945, das IMTFE, das CCL No. 10, die ILC Draft Codes, sowie das ICC Statut stellte die Appeals Chamber fest, dass kein diskriminierender dolus erforderlich sei, um eine Erfüllung des Gesamttatbestandes hervorzurufen.246 Das ICTR hat sich der Auffassung des ICTY angeschlossen und zustimmend erklärt, zur Erfüllung des Gesamttatbestandes sei aus völkergewohnheitsrechtlicher Sicht mit Ausnahme des Verfolgungstatbestandes eine diskriminierende Absicht per se nicht erforderlich247. Diese Entscheidung erscheint begrüßenswert248, ist aber insoweit richtig zu stellen, als dass zumindest auch für das Verbrechen der Apartheid eine vergleichbare Einschränkung gelten muss. Denn das Apartheidsverbrechen gehört, wie auch das Verbrechen der Verfolgung, zum Katalogtypus der Diskriminierungsverbrechen.
III. Wechselwirkung zwischen dem im chapeau enthaltenen, und dem im Verfolgungstatbestand kodifizierten „diskriminierenden Grund“ Schließlich stellt sich die Frage, welche Wechselbeziehung zwischen beiden „diskriminierenden Gründen“ besteht. So könnte man annehmen, dass aufgrund der doppelten Kodifizierung ein „diskriminierender Grund“ überflüssig ist und damit nicht berücksichtigt werden muss. Ein solcher Ansatz ist aber zu kurz gegriffen. Er verkennt, dass das Tatbestandsmerkmal des „diskriminierenden Grundes“ jeweils an einer grundsätzlich unterschiedlichen Stelle ansetzt. Während sich im chapeau, in Abgrenzung zum Völkergewohnheitsrecht, die diskriminierende Grundlage auf den Angriff bezieht, muss sich bei der Verfolgung
243
S/PV. 3217, 16, 11, 45; Cryer, Prosecuting International Crimes, 251. Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 652. 245 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 273 ff. 246 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-I-A (15. Juli 1999), Abs. 287. 247 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-A (1. Juni 2000), Abs. 464, 466; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 74; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 877; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 671 f. 248 Überzeugend, De Guzman, 22 HRQ (2000), 335 (368) „widespread inhumane acts deserve severe moral sanction whether or not they are committed on discriminatory grounds.“ 244
G. Wechselwirkungen Gesamtkontext – Einzeltat
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additiv per se die Handlung auf diskriminierende Motive stützen249. Insoweit ist die doppelte Erwähnung der diskriminierenden Gründe in Art. 3 ICTR Statut sinnig. Losgelöst vom ICTR Statut soll schon einmal kurz auf die besondere Stellung des Einzeltatbestandes der Apartheid hingewiesen werden. Dort ist ein diskriminierendes Element (Rassismus) sowohl innerhalb der actus reus, als auch der mens rea Voraussetzungen kodifiziert250. Dieser Besonderheit wird in Kapitel 5 bei der Eröterung des Apartheidsverbrechens besonders Rechnung getragen251.
G. Wechselwirkungen zwischen Gesamtkontext und Einzeltatbeständen Neben der Tatsache, dass ein Nachweis über die Existenz eines makrokriminellen Gesamtkontextes und der Begehung einer mikrokriminellen Einzeltat erbracht werden muss, ist anzumerken, dass zwischen beiden Ebenen Verbindungen bestehen. Diese sind im ICC Statut selbst angelegt; die Einzeltat muss „als Teil“ des Gesamtkontextes begangen werden. Die notwendige dogmatische Verbindungsdichte ist im folgenden Kapitel bei der Besprechung des Merkmals „as part of“ angesprochen. Darüber hinaus ergeben sich jedoch addive Wechselund Verbindungswirkungen aufgrund der Bifukationsstruktur der Norm. Das wird am Einzeltatbestand der Verfolgung besonders deutlich, dessen actus reus sich zusammensetzt aus erstens einem völkerrechtswidrigen, schwerwiegenden Entzug, zweitens von fundamentalen Rechten, drittens gegen eine identifizierbare Gruppe, viertens aus diskriminierenden Gründen. Um eine Rechtsverletzung von fundamentalen Rechten nachzuweisen, ist auf die Schwere der Rechtsverletzung der Einzeltat „an sich“ abzustellen. Teilweise wird jedoch angenommen, dass alternativ die chapeau Elemente des Gesamtkontextes herangezogen werden könnten, um den Unrechtsgrad der Einzeltat zu substituieren. So wurde im Fall Weizsäcker festgestellt, dass unter bestimmten Umständen ein Diebstahl, der für sich betrachtet sicherlich keine fundamentale Rechtsverletzung ist, das Ausmaß eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit 249 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 363, 368; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 349. 250 Nach Art. 7(1)(j) i.V. m. (2)(h) ICC Statut „bedeutet ,Verbrechen der Apartheid‘ unmenschliche Handlungen ähnlicher Art wie die in Absatz 1 genannten, die von einer rassischen Gruppe im Zusammenhang mit einem institutionalisierten Regime der systematischen Unterdrückung und [1] Beherrschung einer oder mehrerer anderer rassischer Gruppen [2] in der Absicht begangen werden, dieses Regime aufrechtzuerhalten (eigene Hervorhebung und Einfügung). 251 Siehe Kapitel 5 E.II.
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Kap. 3: Tatbestandsübergreifende Strafbarkeitsvoraussetzungen
erreichen kann, wenn er sich als Teil einer staatlichen Ausrottungs- und Verfolgungspolitik darstellt 252. Ob man einen „Kumulierungseffekt“ aus der subjektiven Verbundenheit zu den makrokriminellen chapeau Elementen ableiten kann, ist allerdings mehr als fraglich. Unverkennbar ergeben sich zum einen Probleme bezüglich eines ejusdem generis Verstoßes auf Einzeltatbestandsebene („comparable gravity and nature of the act“)253. Zum anderen wäre ein derartiger Ansatz nur schwerlich mit der Rechtfertigung, warum die Tat als Verbrechen gegen die Menschlichkeit aburteilbar ist, in Einklang zu bringen. Denn als Grundlage der Verurteilung fungiert die Tatsache, dass sich der Täter durch seine mikrokriminelle Einzeltat an dem Gesamtkontext bewusst beteiligen will, oder dies zumindest billigend in Kauf nimmt. Er weiß, dass er durch die Begehung der Einzeltat in signifikanter Weise am Gesamtangriff gegen die Zivilbevölkerung seinen Beitrag leistet. Spiegelbildlich rechtfertigt sich eine Verurteilung z. B. wegen Mordes als Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Die Annahme, die Begehung einer kleinkriminellen Straftat könnte ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein, wenn sie sich als Teil eines Gesamtangriffs darstellt, verkennt mithin, dass der Täter auf der mikrokriminellen Ebene, die er zuvorderst aufgrund der Begehung der Straftat beeinflussen kann, originär signifikant unrechtsbegründend handeln muss. Es besteht zwar bei der Aburteilung der Einzeltat eine mentale Verbindung zum makrokriminellen Kontext; die Existenz des Kontextes ist aber – ähnlich wie bei Qualifikationsmerkmalen – wenn überhaupt, als strafbarkeitsschärfend, nicht als strafbarkeitsbegründend zu werten254. Denn die reine Vorstellung, am Gesamtangriff partizipieren zu wollen, ist – autonom betrachtet – ebenso wenig strafbar255, wie die Existenz des Gesamtangriffs an sich, wenn keine Verbindung zum Einzelverbrechen besteht.
252 U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 12. Dezember 1949 [Weizsäcker], Kempner/Haensel, das Urteil im Wilhelmstraßen Prozess. 253 Zum Unterschied zwischen Diebstahl und Plünderung, vgl. Kuschnik, 7 Chinese J. Int’l L (2008), 459 (482). 254 Vgl. Meseke, Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, 115 „Ihren spezifischen Unrechtscharakter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlangt diese „Einzeltat“ jedoch erst dadurch, dass sie im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung verwirklicht wird.“ (Eigene Hervorhebung.) 255 Es passt ins Bild, dass – mit Ausnahme des „attempt to commit genocide“ – Völkerstrafrechtsverbrechen aufgrund mangelnder Schwere der Tatbegehung nicht „versucht“ begangen werden können; Mettraux, International Crimes and the Ad Hoc Tribunals, 293 ff. Das Völkerstrafrecht setzt damit als Ausgangspunkt des Unrechts die tatsächliche Begehung durch den Täter fest.
Kapitel 4
Chapeau-Elemente A. Einleitung Das Wesen des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit besteht – wie bereits in Kapitel 3 angesprochen1 – aus zwei sich überlagernden Kriminalitätsebenen. Der makrokriminelle Kontext beinhaltet die Chapeaubestandteile2, die als tatübergreifende Voraussetzungen des Gesamttatbestandes dem Verbrechen die hinreichende Zielgerichtetheit und Dimension verleihen, um es von anderen nationalen Verbrechen abzugrenzen. Viele Grundfragen zum chapeau, beispielsweise das Problem, ob bei der Begehung des Verbrechens ein nexus zu einem bewaffneten Konflikt vorliegen muss, werden nunmehr im gegenseitigen Einklang des ICTR und ICTY nach gefestigter Rechtsprechung einheitlich entschieden,3 sodass Erörterungen zur gefestigten und stringenten Rechtslage bündig zusammengefasst sind. Im Gegensatz ist ausführlich auf Tatbestandsmerkmale eingegangen, die sich kontemporär im Fluss befinden oder deren Auslegung mit Problemen behaftet ist. Beispielhaft sei – ohne Probleme zu sehr vorwegzunehmen – auf die umstrittene Frage verwiesen, ob das Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Erreichung des makrodimensionalen Ausmaßes die Begehung im Rahmen einer übergeordneten Politik voraussetzt, und durch welche Institutionsstruktur diese Politik initiiert, oder geleitet worden sein muss. Will man einerseits das Erfordernis einer staatlich gesteuerten Handlungskontrolle beibehalten, könnte mitunter ein Terrornetzwerk, welches nicht auf Anweisung oder unter Einwirkung des Staates gehandelt hat, sich nicht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafbar machen. Ob dies mit dem Sinn und Zweck des Verbrechenstatbestandes vereinbar ist, erscheint nicht unfragwürdig. Doch selbst bei der Beibehaltung der Restriktion stellt sich das Problem, anhand welcher Indizien eine (de facto) staatlich gesteuerte Kontrolle festgemacht werden soll. Ist man andererseits der 1
Siehe oben Kapitel 3 A. und B. Der Begriff „chapeau“ – franz. für „Hut“ – ist in der englischsprachigen Literatur fest verankert und soll auch hier Verwendung finden. 3 Vgl. etwa Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana, ICTR-96-10 und ICTR-96-17-T (21. Februar 2003), Abs. 803 „The elements of a crime against humanity within the meaning of Article 3 of the Statute are well established“. 2
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
Ansicht, dass eine Gruppe planvoll gesteuerte Handlungen im Sinne des Gesamttatbestandes begehen kann, so ist diskussionswürdig, was unter dem Begriff „Gruppe“ zu verstehen ist. Ist im Sinne des Gesmattatbestandes auch eine autonom agierende Terrorzelle, mitunter also nur eine Person, unter die Definition zu fassen? Die nachfolgende Besprechung der chapeau Tatbestandsmerkmale ist in drei Hauptabschnitte gegliedert. Erörtert werden die Erfordernisse – eines (Gesamt-)Angriffs; – einer Ausgedehntheit oder Systematik des (Gesamt-)Angriffs – und, unter rechtsdogmatischen Gesichtspunkten betrachtet, der Notwendigkeit eines Politikelements als Tatbestandsvoraussetzung, – und deren Notwendigkeit einer disjuktiven oder konjunktiven Anwendung der Tatbestandsmerkmale; – einer Gerichtetheit des (Gesamt-)Angriffs gegen jegliche Zivilbevölkerung.
B. Der (Gesamt-)Angriff Beim Terminus „Angriff“ muss unterschieden werden zwischen dem Einzelverbrechen des Täters, und dem kollektiven Gesamtangriff. „Angriff“ im Sinne des chapeaus bezieht sich explizit auf Letzteres. In Bagilishema hat das ICTR den treffenden Begriff „broader attack“ verwendet4. Alternativ ist in Ndindabahizi der Terminus „attack as a whole“ vorgeschlagen worden, der in Abgrenzung zur „individual offence“ zu gebrauchen ist5. Regelmäßig ist die Einzeltat des Täters Teil des Gesamtangriffs. Gerade die Mehrheit der Einzeltaten, die sich wie ein Puzzle zu einem Gesamtangriff zusammenfügen, führt dazu, dass der Gesamtangriff seine verheerende Kraft entfalten kann6. Anders ist dies nur bei Fällen der hier betitelten „ad hoc Makrokriminalität“. In dieser Sonderkonstellation – gedacht sei an das Steuern eines Flugzeuges in ein AKW, oder das Verseuchen der städtischen Grundwasserversorgung – verschmelzen kriminelle Einzeltat auf der einen, und Stoßrichtung wie kriminologischer Sinn und Zweck der Gesamttat auf der anderen, zu ein und derselben Handlungsebene.
4
Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 75. Prosecutor v. Ndindabahizi, ICTR-2001-71-I (15. Juli 2004), Abs. 477. 6 Zur „Puzzlemetapher“ sind an anderer Stelle Ausführungen gemacht worden; siehe Kuschnik, 7 Chinese J Int’l L (2008), 459 (474 f.). 5
B. Der Gesamtangriff
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I. Merkmale des Angriffs Unterschieden werden muss zwischen dem Merkmal des Angriffs und dem des bewaffneten Konflikts7. Im Tadic´ Appeal wurde festgestellt, dass beide Begriffe unterschiedlich ausgestaltet sind,8 was sich konsequenterweise auch daraus ergibt, dass völkergewohnheitsrechtlich das Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes begangen werden muss. Der Angriff kann daher dem bewaffneten Konflikt vorangehen, ihn begleiten oder ihm nachfolgen9.
7 Die Konkretisierung des Terminus „bewaffneter Konflikt“ kann mit Hilfe der Rechtspraxis zum Gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen, der sowohl für internationale, als auch nicht internationale bewaffnete Konflikte anwendbar ist (Morris/ Scharf, The International Criminal Tribunal for Rwanda, 146), bestimmt werden. Eine weitere Hilfe gibt der Kommentar zu den Genfer Konventionen, welcher Abgrenzungsindizien zwischen „Banditentum“ oder unorganisierte und kurzfristige Revolte auf der einen Seite und einem „bewaffneten Konflikt“ auf der anderen Seite festschreibt; vgl. Pictet, Commentary to the Geneva Convention for the Amelioration of the Condition of the Wounded and Sick in Armed Forces in the Field, 49, wonach relevante Kriterien für die Befürwortung eines „bewaffneten Konflikts sind: „(1) That the Party in revolt against the de jure Government possesses an organized military force, an authority responsible for its acts, acting within a determinate territory and having the means of respecting and ensuring respect for the Convention. (2) The legal Government is obliged to have recourse to the regular military forces against insurgents organized as military and in possession of a part of the national territory. (3)(a) That the de jure Government recognized the insurgents as belligerents; or (b) that it has claimed for itself the rights of a belligerent; or (c) that it has accorded the insurgents recognition as belligerents for the purposes only of the present Convention; or (d) that the dispute has been admitted to the agenda of the Security Council or the General Assembly of the United Nations as being a threat to international peace, a breach of the peace, or an act of aggression. (4)(a) That the insurgents have an organization purporting to have the characteristics of a State. (b) That the insurgent civil authority exercises de facto authority over persons within a determinate territory. (c) That the armed forces act under the direction of the organized civil authority and are prepared to observe the ordinary laws of war. (d) That the insurgent civil authority agrees to be bound by the provisions of the Convention.“ Diese Kriterien sind nur Richtlinien zur Bestimmung eines bewaffneten Konflikts, Ibid., 50. Gegenseitigkeit von beiden „Parteien“ bezüglich der rechtlichen Verpflichtung aufgrund der Existenz eines bewaffneten Konfliktes ist nicht notwendig, vgl. Gemeinsamer Art. 1 der Genfer Konventionen: „in all circumstances“. Die Unterscheidung zwischen einem internationalen und nicht internationalen bewaffneten Konflikt ist anhand Art. 1 des Zusatzprotokolls II zu treffen. Dazu Morris/Scharf, The International Criminal Tribunal for Rwanda, 146 „The general criterion for determining the non-international character of an armed conflict is defined by reference to an armed conflict between the armed forces of a High Contracting Party and the dissident armed forces or other organized armed groups. This requirement reflects the essential distinction between an international armed conflict conducted by two or more States and a non-international armed conflict conducted by a State and another armed force which does not qualify as a State.“ 8 Prosecutor v. Tadic ´, IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 251; Prosecutor v. Kunarac et al. IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 86; Prosecutor v. Martic´, IT95-1-T (12 Juni 2007), Abs. 49.
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
Im Gegensatz zum humanitären Völkerrecht, welches in Art. 49 des ZP I den Begriff „Angriff“ als „offensive als auch defensive Gewaltanwendung gegen den Gegner“ definiert10, liegt ein Angriff im Sinne des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit dann vor, wenn es zu einer unrechtmäßigen Tatbegehung, oder einem unrechtmäßigen Vorkommnis oder einer Reihe von Vorkommnissen gekommen ist, die in den Tatbestandsalternativen der enumerierten Verbrechen enthalten sind11. Der Begriff ist damit im Vergleich zum humanitären Völkerrecht weiter gefasst; er beschränkt sich nicht auf feindliche Kampfhandlungen, sondern beinhaltet Misshandlungen gegen Zivilisten. Das ICTY legt den Begriff des Angriffs zudem weit aus. So muss sich dieser nicht notwendigerweise aus den im Tatbestand enumerierten Einzelhandlungen zusammensetzen; ausreichend ist vielmehr „any mistreatment of the civilian population“12. 9 Prosecutor v. Kunarac et al. IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 86 „Under customary international law, the attack could precede, outlast, or continue during the armed conflict, but it need not be a part of it“, insoweit klarstellend Prosecutor v. Kunarac et al. IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 420 „the attack must be part of the armed conflict“; siehe auch Prosecutor v. Vasiljevic´, IT-9832-T (29. November 2002), Abs. 30; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 71; Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 546; Prosecutor v. Naletilic´ und Martinovic´, IT-98-34-T (31. März 2003), Abs. 233; Prosecutor v. Martic´, IT-95-1-T (12 Juni 2007), Abs. 49. 10 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 416; Art. 49 Abs. 1 des Zusatzprotokolls v. 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I), in: Satorius II, Nr. 54a. Englischer Wortlaut in: 1125 U.N.T.S. 3. 11 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 416; vgl. auch Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 122, wonach ein Angriff definiert ist als ,the event in which the enumerated crimes must form part‘. Siehe weiter Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 581: „The concept of ,attack‘ may be defined as an unlawful act of the kind enumerated in Article 3(a) to (i) of the Statute, like murder, extermination, enslavement, etc.“; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 660 „The Chamber adopts the definition of ,attack‘ within this Tribunal, as ,an unlawful act, event, or series of events of the kind listed in Article 3 (a) through (i) of the Statute‘. This definition has remained constant throughout the jurisprudence of the Tribunal.“; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 867; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T (27. Januar 2000), 867; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 70; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20T (15. Mai 2003), Abs. 327; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 867, „This definition has remained constant throughout the jurisprudence of the Tribunal“; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 660; Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-T (17. Juni 2004), Abs. 298; Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 526; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 42. 12 Prosecutor v. Kunarac et al. IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 416; Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-T (15. März 2002), Abs. 54; Prosecutor v. Vasiljevic´, IT-98-32-T (29. November 2002), Abs. 29; Prosecutor v. Simic et al., IT95-9 (17. Oktober 2003), Abs. 39 f.; Prosecutor v. Martic´, IT-95-1-T (12 Juni 2007),
B. Der Gesamtangriff
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Seit der Entscheidung der ICTY Appeals Chamber in Kordic´ und Cˇerkez ist geklärt, dass der Angriff ernsthafte Verletzungen für den Körper oder die Gesundheit hervorrufen muss. Ein Eingriff ohne ernsthafte zivile Opfer oder Schäden ist demnach kein Angriff im Sinne des Gesamttatbestandes13. Dies impliziert, dass dem Gesamtangriff vorausgehende Vorbereitungshandlungen, wie etwa das Erstellen von „Todeslisten“ ex prae, sowie ein im Versuch stecken gebliebener Gesamtangriff, bei dem es zu keinen zivilen Schäden gekommen ist, nicht als „Angriff“ zu werten ist. Existiert keine „formale“ Angriffserklärung, kann im Einzelfall allerdings schwierig sein, zu welchem genauen Zeitpunkt der Angriff begonnen hat. Unter Zugrundelegung von Kunarac muss der Angriff selbst nicht Teil einer feindlichen Auseinandersetzung sein. So kann beispielsweise die Misshandlung an Personen, die nicht aktiv an feindlichen Auseinandersetzungen teilnehmen – so etwa gegen Inhaftierte – ein Angriff im Sinne des Tatbestandes sein14. Auch muss sich der Angriff nicht gegen den Feind richten. Er kann also, wie etwa im Dritten Reich geschehen, auf die eigene Bevölkerung abzielen. 1. Der „gewaltfreie“ Angriff? Der Angriff muss nicht „militärischer“ Natur sein15. Fraglich ist aber, ob er seinem Charakter nach auch gewaltfrei sein kann. Das ICTR bejahte dies in Akayesu mit Hinweis auf die mögliche Errichtung eines Apartheid Systems16. Ob diese Auffassung jedoch stichhaltig ist, erscheint zweifelhaft. Auch die Errichtung eines Apartheid Systems stellt im weiteren Sinne eine schädigende Gewalthandlung dar. Begründen lässt sich das mit Berufung auf Art. 7(2)(h) des ICC Statuts, wonach das Verbrechen der Apartheid als unmenschliche Handlung definiert ist, die inter alia die systematische Unterdrückung und Beherrschung einer rassischen Gruppe über eine andere voraussetzt. Unterdrückungshandlungen in diesem Sinne, die völlig gewaltfrei vollzogen werden, sind jedoch nur schwer vorstellbar. Dagegen spricht schon die Wortbedeutung. So erfordert der Begriff Unter„drücken“ (oder im englischen: Op„press“ion) begriffsnotwendig eine Energieverschiebung, und damit Gewaltanwendung, entweder physischer Abs. 49; s. a. Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 122. 13 Prosecutor v. Kordic ´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-A (17. Dezember 2004), Abs. 56 f. 14 Prosecutor v. Kunararc, IT-96-23-T und/1-T (22. Februar 2001), Abs. 416. 15 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7 Introduction Nr. 3. 16 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 581: „an ,attack‘ may be non-violent in nature, like imposing a system of apartheid, which is declared a crime against humanity in Article 1 of the Apartheid Convention of 1973 [. . .]“; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 70; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13 (27. Januar 2000), Abs. 204.
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
oder psychischer Art. Eine weite Auslegung des Gewaltbegriffs, welcher nicht auf physische Handlungen beschränkt ist, sondern psychische Gewalt mit einschließt, erscheint daher entgegen Akayesu vorzugswürdig. Auch das ICTY geht davon aus, dass die Begehung eines Angriffs begriffsnotwendig „Gewalt“ voraussetzt17. In neueren Urteilen des ICTR wird die Möglichkeit eines „gewaltfreien“ Angriffs nicht mehr explizit angesprochen, sondern vielmehr auf die Termini der „bewaffneten Gewalt“ und „anderen Formen der unmenschlichen Misshandlung“ zurückgegriffen. Bis vor kurzem wurde zwar regelmäßig weiterhin auf Akayesu verwiesen; in Kamuhanda ist allerdings von einem Verweis abgesehen worden18. Der Angriff muss richtigerweise zwar durch „Gewalt“, allerdings nicht begriffsnotwendig „durch bewaffnete Gewalt“ begangen werden19. Dies ergibt sich auch aus der schon dargestellten Unterscheidung zwischen dem Begriff des „Angriffs“ und dem des „bewaffneten Konflikts“20. 2. Erforderlichkeit einer mehrfachen Begehung des Angriffs? Völkergewohnheitsrechtlich höchst umstritten ist, welche Angriffsstruktur vorliegen muss, um einen Angriff im Sinne des Tatbestandes annehmen zu können. Das ICTY hat seit der Vukovar Hospital Rule 61 Entscheidung einerseits festgestellt, dass sich der Angriff aus einer Serie von Einzelakten zusammensetzen, oder aus einem singulären Akt von außergewöhnlichem Ausmaß bestehen kann21. In letzterem Fall wäre der Gesamtangriff gleichzusetzen mit der spezifischen Einzelhandlung des Täters. Auf der anderen Seite scheint die in Art. 7(2)(a) ICC Statut gewählte Definition des Angriffs als „Handlungsweise, welche mit der mehrfachen Begehung der in Paragraph 1 (des Art. 7 ICC Statuts) enumerierten Taten verbunden 17 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-91-1-T (7. Mai 1997), Abs. 644. Prosecutor v. Martic´, IT95-1-T (12 Juni 2007), Abs. 49 „commission of acts of violence“. 18 Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 661; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 868; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 327, Fn. 547. 19 Siehe auch Art. 7(2)(a) ICC Statut „Attack [. . .] means a course of conduct [. . .] of acts referred to in paragraph 1“. Art. 7 I (k) ICC Statut: „Other inhumane acts of a similar character intentionally causing great suffering, or serious injury to body or to mental or physical health“ (Hervorhebung des Autors). 20 Prosecutor v. Tadic ´, IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 251; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002); Abs. 86. 21 Prosecutor v. Mrksˇic ´ et al., Decision on Review of Indictment Pursuant to Rule 61 (IT-95-13-R61), 3. April 1996); Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 649; Prosecutor v. Blaskic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 206; so auch schon Report of the International Law Commission, U.N. Doc. A/51/10 (1996) para 3.
B. Der Gesamtangriff
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ist“22, der Variante des außergewöhnlichen eruptiven Einzelaktes als mögliche gleichzeitige Angriffsstruktur eine Absage erteilt zu haben. Die Definition erweckt den Eindruck, dass sich der Angriff immer aus aufeinander folgenden Einzelakten konstituieren müsse, die in ihrer Gesamtschau in einen Gesamtangriff münden. Will man die ratio dieser restriktiven Sichtweise verstehen, muss man sich näher mit der Entstehungsgeschichte der Norm auseinandersetzten. Die Definition ist ein während der Rom Konferenz verabschiedeter (verunglückter) Kompromiss,23 dem folgendes Problem zu Grunde lag: Der Angriff setzt sich zusammen aus den Konkretisierungen des systematischen Angriffs und des ausgedehnten Angriffs24. Jedoch gab es bei den Verhandlungen zu Art. 7 ICC Statut einen scheinbar unüberwindbaren Meinungsstreit, ob die Konkretisierungen alternativ oder kumulativ angewandt werden müssten. Die Gegner einer alternativen Anwendung sahen die Gefahr, dass sonst ein isolierter Einzelakt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen könnte. Als Ausweg wurde die Lösung gefunden, dass auf der einen Seite nur eine der beiden Konkretisierungen vorliegen muss, um den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit verwirklicht zu sehen. Der Angriff muss daher nur entweder ausgedehnt, oder systematisch sein. Auf der anderen Seite wurde durch die Definierung des Angriffs als „mehrfache Begehung von Handlungen“ (sowie durch die explizite Einführung des Politik-Elements) eine Art „ausgedehnter Angriffs-Ersatz“ geschaffen, der freilich geringere Anforderungen an die Begehung stellt als die originäre „ausgedehnte Angriffsvariante“. Fraglich erscheint, ob sich aus obiger Entstehungsgeschichte ableiten lässt, dass nur durch die mehrfache Begehung von Handlungen (Plural!) das Tatbestandmerkmal des „Angriffs“ einschlägig sein kann. Die Frage ist insofern relevant, als dass eine ad hoc makrokriminelle Begehungsweise vorstellbar ist, die sich nur durch eine einzige Handlung vollzieht, aber nichtsdestotrotz ausgedehnte Verletzungen hervorrufen kann, welche die Belange der ganzen internationalen Gemeinschaft betreffen können. Badar geht davon aus, dass streng formalistisch betrachtet (aufgrund des Nichtvorliegens eines Angriffs) unter Zugrundelegung der Angriffsdefinition 22 Die englische Version in Art. 7(2)(a) ICC Statut lautet: „Attack [. . .] means a course of conduct involving the multiple commission of acts referred to in paragraph 1 [. . .]“ (eigene Hervorhebung). 23 Dazu eingehend Robinson, 93 AJIL (1999), 43 ff.; Hwang, 22 FInt’lLJ (1998), 457 ff.; siehe auch Paust in Sienho/Wang, International Law in the Post Cold War World, 289, 291 „Art. 7 (2)(a) of the Rome Statute provides an [. . .] illogical definition of attack. [. . .] Clearly an ,attack‘ can otherwise involve a single act“. 24 Dixon in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 7 Rn. 8; Ambos/Wirth, 13 Crim.LForum (2002), 1 (16).
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
des Art. 7 ICC Statuts kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt worden wäre, wenn während des terroristischen Anschlags am 11. September 2001 ausschließlich einer der beider Twin-Tower des WTC von Al Quaida angegriffen worden wäre, da keine „mehrfache Begehung“ vorgelegen hätte25. Vergleichbare Beispiele desselben Problems sind etwa ein einmaliger Atombombenabwurf (primär) auf die Zivilbevölkerung, die Steuerung eines Flugzeuges in ein AKW oder die schwerwiegende Verseuchung des Trinkwassers, welche durch einen einzigen kriminellen Akt hervorgerufen wurde. Badars Schlussfolgerung, dass contra verba nichtsdestotrotz ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorliegen müsse, weil es das internationale Strafrecht verdiene sich mit der Tat zu befassen, ist zwar erfrischend pragmatisch, aber dogmatisch unausgereift. Mehr ins Detail gehen die Ausführungen von Ambos und Wirth. Ausgehend vom obigen Definitionsproblem offerieren sie den Ansatz, beim Sonderfall hier betitelter ad hoc Makrokriminalität die Begehung einer mehrfachen Verletzung in Idealkonkurrenz (concours idéal) anzunehmen26, sodass die eine Tathandlung sich in eine mehrfache Verübung von Verletzungshandlungen aufteilen lässt. Der Ansatz erscheint aus dogmatischer Sicht plausibel. Zwar muss beim Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit hinreichend unterschieden werden zwischen den Regelungen zur mikrokriminellen Handlung des Täters, und der makrokriminellen „Verhaltensweise“. Von Idealkonkurrenz spricht man zudem, wenn der Täter bei Handlungseinheit gleichzeitig mehrere Straftatbestände verwirklicht27. Ambos und Wirth gehen stattdessen davon aus, 25 Badar, 5 San Diego Int’l LJ (2004), 73 (107). „Presumably, one can argue that if only one of the Twin Towers in the United States of America were to have been attacked, this act would not have fulfilled the provision of Article 7 (2)(a) as there was no multiple commission of acts.“; in diese Richtung auch Paust in: Yee/Wang, International Law and the Post-Cold War World, 289 (290). „Article 7(2) of the Rome Statute provides an even more limiting and illogical definition of attack as ,a course of conduct involving the multiple commission of acts.‘ Clearly, an attack otherwise involve a single act“. Im Ergebnis gleiche Bedenken äußert Zimmermann, 42 NJW (2002), 3068 (3069 f.) „In Übereinstimmung mit geltendem Völkergewohnheitsrecht und der Rechtsprechung des Jugoslawien-Tribunals wird [. . .] die einschränkende, in Art. 7 II lit. a des Statuts des Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs enthaltene, auf einem in Rom gefundenen politischen Kompromiss beruhende Legaldefinition dessen, was einen Angriff gegen die Zivilbevölkerung ausmacht, im Entwurf des Völkerstrafgesetzbuches gerade nicht in den Grundtatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgenommen. Im Lichte der Ereignisse des 11. September es könnte sich dabei in der Zukunft als besonders problematisch erweisen – ist doch, soweit ersichtlich, in der internationalen Rechtsprechung bislang ungeklärt, ob auch Einzeltaten angesichts ihres Ausmaßes gegebenenfalls als ausgedehnte oder systematische Angriffe verstanden werden können mit der Folge, dass – würde man dies bejahen – in einem solchen Fall nach § 1 VStGB eine grundsätzlich weltweite Zuständigkeit deutscher Gerichte bestünde. (Eigene Hervorhebung.) Aufgrund der Jurisdiktionskompetenzbeschränkung des Gerichts ratione temporis (Art. 11, 126 ICC Statut) ist die Aburteilung freilich nur auf zukünftige, vergleichbare 9/11 Konstellationen anwendbar. 26 Ambos/Wirth, 13 Crim. LForum (2002), 1(17); dies. in Klip/Sluiter Bd. 2, 701 ff.
B. Der Gesamtangriff
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dass Idealkonkurrenz dann vorliegen soll, wenn ein makrokrimineller „course of conduct“ – hier der Gesamtangriff – mehrere mikrokriminelle Täterhandlungen beinhaltet. Dogmatisch betrachtet ist das zwar regelmäßig ungenau, weil das Rechtsinstitut der Idealkonkurrenz auf täterspezifische Handlungen, und nicht auf einem makrokriminellen Gesamtkontext aufbaut. Im Fall von ad hoc Makrokriminalität28 ist das allerdings anders. Sowohl die Tathandlung des Täters, als auch der zugrunde liegende „course of conduct“ stehen hier auf derselben Kriminalitätsebene und werden vom Täter verursacht. Mikrokrimineller „conduct“ und „act“, sowie makrokrimineller „course of conduct“ verschmelzen. Gegen Ambos und Wirth kann unter Zuhilfenahme der ICC Elements of Crimes auch nicht eingewendet werden, dass im neunten Absatz der Einführung steht: „a particular conduct may constitute one or more crimes“29, und nicht „one or more acts“. Denn aus Art. 7(1) ICC Statut ist ein Gleichlauf der Begriffe statuiert – „any of the following acts“ [. . .] (a) murder; (b) extermination [. . .]“30. Auch die trauvaux preparatoires lassen durchaus eine progressive Auslegung zu. Zwar wurde während der Verhandlungen zum ICC Statut die Passage kurz vor Verabschiedung von „commission of multiple acts“ in „multiple commission of acts“ abgeändert. Zudem ist von den Vertretern Kanadas, deren Vorschlag die Grundlage für die Finalfassung dieser Passage war, vorgetragen worden, dass auch nur die Begehung eines Aktes einen tauglichen Angriff darstellen kann. Allerdings ist von Robinson klargestellt worden, dass „,multiple commission of acts‘ was adopted instead of ,commission of multiple acts‘ because several delegations were concerned that the latter formulation might be erroneously construed as requiring more than on kind of unlawful act.“31
Die Abänderung von „ Begehung von mehrfachen Handlungen“ in „mehrfache Begehung von Handlungen“ beruhte auf der Sorge, dass das Angriffsmerkmal nicht erst dann erfüllt sein soll, wenn mehrere Handlungen einer Art vorliegen. Denn die Formulierung „Begehung von mehrfachen Handlungen“ implizit, dass zur Taterfüllung mehrere Handlungstypen vorliegen müssen. Folglich wäre ein Angriff, der sich lediglich aus Morden zusammensetzen würde, kein Angriff im Sinne des Gesamtatbestandes. Durch die Umformulierung zu „mehrfache Begehung von Handlungen“ sollte dieser restriktiven Auslegung entgegen gewirkt werden. Auch ein einzelner Mord, der sich in einen „Gesamtangriff aus mehrfachen Verfolgungshandlungen“ einfügt, ist daher tauglicher Teil des Gesamtangriffs. Die Umformulierung von „Begehung von mehrfachen Handlun27
Siehe § 52 StGB. Dazu ausführlich unter B.II.4. 29 Eigene Hervorhebung. 30 Siehe auch Art. 7(2)(a) ICC Statut „multiple commission of acts referred to in paragraph 1); Art. 7(1) „crimes against humanity means any of the following acts“. 31 Robinson, 93 AJIL (1999), 43 (48, Fn. 26). 28
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
gen“ in „mehrfache Begehung von Handlungen“ gibt allerdings keinen Aufschluss für die Frage, ob ein Angriff auch durch eine singuläre Handlung begangen werden kann. Ferner ist unklar, inwieweit der von Kanada gemachte Vorschlag in die Passage eingeflossen ist. Neben dem von Ambos und Wirth eingeschlagenen Weg ist noch eine weitere dogmatische Lösung denkbar: Zunächst ist festzuhalten, dass ad hoc Makrokriminalität nur in Form einer „ausgedehnten Begehung“ vorstellbar ist, da der „systematischen Begehung“ ein notwendiges Wiederholungselement inhärent ist, welches in obigen Fällen nicht verwirklicht sein kann. Ansatzpunkt der Einbeziehung einer ad hoc makrokriminellen Handlung in den Regelungsbereich des Artikels 7 ICC Statut wäre nunmehr, das Tatbestandsmerkmal der „Mehrfachheit“ („multiple“) nicht primär im Lichte des Merkmals „Begehung“ sondern der „Ausgedehntheit“ zu bewerten. Gegen diesen Ansatz spricht zwar die in Art. 7 ICC Statut angelegte enge lexalische Verbindung „mehrfache Begehung“. Der Sinn und Zweck des Merkmals „ausgedehnt“ verbietet aber im Fall einer ad hoc makrokriminellen Handlung ein solches Verständnis. Denn beim Tatbestandsmerkmal der „Ausgedehntheit“ ist primärer Anknüpfungspunkt der makrokriminellen Strafwürdigkeit nicht etwa die „mehrfache Begehung von Einzelhandlungen eo ipso“, sondern das dahinter stehende quantitativ-gesteuerte Schadensausmaß des Gesamtangriffs. Das Erfordernis einer mehrfachen Begehung soll die Schwere des Einzelverbrechens erhöhen, sodass die Teilhandlung des Täters eine größere allgemeine Gefahr konstituiert32. Gerade das kausal hervorgerufene Ausmaß der Opferzahl und nicht primär die mehrfache Begehung stellt das Verbrechen auf eine neue Stufe der Strafwürdigkeit. Dass spätestens seit den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki und den Ereignissen vom 11. September 2001 das quantitative kausale Schadensausmaß einer Tatbegehung nicht mehr notwendigerweise vom aufeinander folgenden Zeitablauf der Tatbegehung abhängt, dürfte wohl unbestritten sein. Eine zwingend exklusive Verbindung zwischen Gefahrerhöhung und aufeinander folgender Tatbegehung existiert nicht (mehr) konstitutiv. Gerade im Falle von ad hoc Makrokriminalität ersetzt die Waffe an sich (Atombombe), oder die Waffe in Verbindung mit dem Anschlagsziel (Steuerung eines Flugzeugs in einen Wolkenkratzer oder ein AKW) das durch ein „Verbrechen der Masse“ verursachte Schadensausmaß. Daraus kann geschlossen werden, dass die Interpretation des Gesetzestextes in derart, dass nur eine mehrfache Begehung von Einzeltaten in eine makrokriminelle Gesamttat kumulieren kann, eine veraltete Vorstellung von makrokrimineller Schadensverursachung widerspiegelt, die der raison d’être der Vorschrift widerspricht und daher abzulehnen ist33. 32
Heine/Vest in: McDonald/Swaak-Goldman, 175 (194).
B. Der Gesamtangriff
227
Gegen den offerierten Ansatz spricht auch nicht, dass die bisherige völkerstrafrechtliche Rechtsprechung „Auslegungsvarianten“ nach Sinn und Zweck mitunter Grenzen gesetzt hat. Beispielhaft sei auf die Entscheidung des ICTY zu der Frage verwiesen, ob das Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gemessen an den Voraussetzungen des Art. 5 ICTY Statuts, eine mit einem bewaffneten Konflikt verbundene Begehung voraussetzt. Für diese Ansicht sprach der Wortlaut des Art. 5 ICTY Statuts, der ein solches Erfordernis explizit kodifiziert34. Gegen diese Auffassung sprach die Tatsache, dass völkergewohnheitsrechtlich die Restriktion nicht (mehr) erforderlich war, weil sich ein vergleichbares makrodimensionales Schadensausmaß auch in Friedenszeiten entfalten kann und der „bewaffnete Konflikt“ somit für die Konstituierung des Makro-Verbrechens ohne Bedeutung ist. Das ICTY wollte sich die letzteren Gedanken nicht zu Eigen machen; der Wortlaut des ICTY Statuts sei eindeutig und lasse keinen interpretativen Spielraum zu35. Gleichwohl hat das ICTY in einem anderen Fall eine Auslegung des Statuts contra verba nicht gescheut36. Weiter muss Beachtung finden, dass – und gerade darin liegt beim vorliegenden Problem der Unterschied zur Fragestellung bzgl. der Notwendigkeit eines bewaffneten Konfliktes nach Art. 5 ICTY Statut – weder das ICC Statut eindeutig, noch aus der Entstehungsgeschichte des obigen Passus der gesetzgeberische Wille zweifelsfrei ableitbar ist. Den Richtern des ICC kann daher ein größerer Interpretationsspielraum zugestanden werden. Richtig ist zwar, dass die Auslegung „strikt“ zu erfolgen hat37. Die Auslegung muss aber auch dem Sinn und Zweck der Regelung gerecht werden. Im Übrigen finden sich für die vorgeschlagene Lösung rechtshistorische Belege; schon die UNWCC unterschied zwischen „magnitude and savagery“ auf der einen, und „great number“ auf der anderen Seite38. 33
Siehe auch unten B.II.4. Art. 5 ICTY Statut: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, „Der Internationale Strafgerichtshof ist befugt, Personen zu verfolgen, die für folgende gegen die Zivilbevölkerung gerichtete, in internationalen oder inneren bewaffneten Konflikten verübte Verbrechen verantwortlich sind.“ (Eigene Hervorhebung.) 35 Zusammenfassend Mettraux, International Crimes and the Ad Hoc Tribunals, 151 f. 36 Siehe Kapitel 5 E.I. und Art. 5(h) ICTY Statut „persecutions on political, racial; and religious grounds“ wurde als „persecutions on political, racial; or religious grounds“ interpretiert. 37 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7 Introduction Nr. 1. 38 Vgl. Goldenberg, 10 W. Ontario L Rev. (1971), 1 (11) die UNWCC zitierend „Isolated offenses do not fall within this notion. Only crimes which either by their magnitude and savagery or by their great number or by the fact that a similar pattern is applied at different times and places, endanger the international community or shock the conscience of mankind, warrant intervention by states other than that on whose territory the crimes have been committed, or whose subjects have become the victims.“ (Eigene Hervorhebung.) Siehe weiter Brand, 28 Or. L Rev. (1949), 1 (111 ff.). 34
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
Es soll nicht verschwiegen werden, dass indes die vom IHT im Al-Dujail Urteil gegen Saddam Hussein getätigten Feststellungen39 gegen die hier vorgeschlagene progressive Auslegung der Passage sprechen. Das Tatbestandsmerkmal des „Angriffs“ wurde dort definiert als ein Verhalten „that includes frequently committing of the acts“ – also die öftere40 Begehung von Handlungen, obwohl das in dieser Hinsicht zum ICC Statut wortgleiche IHT Statut lediglich die „multiple commission of acts“ – also die mehrfache Begehung von Handlungen – vorschreibt. Daraus ließe sich die Notwendigkeit einer aufeinander folgenden, und nicht nur einer mehrfachen Begehung ableiten. Sogar noch klarer ist die vom IHT getätigte Äußerung, der Angriff sei „a behavioural method that involves repeated perpetrations of actions“41; also die „wiederholte“ Begehung von Handlungen, nicht nur die „mehrfache“. Wie das ICC entscheiden wird, ist noch nicht abzusehen. Auch völkergewohnheitsrechtlich ist die Lage unklar. Der vom ICC Statut gewählte „Definitions-Kompromiss“ ist vom IHT wortgetreu übernommen;42 und im Al-Dujail Urteil durch die Forderung nach einer notwendigen öfteren Begehung weiter eingeschränkt worden. Auf der anderen Seite wurde die ICC Definition willentlich nicht in Art. 2 Para. 5.2. UNTAET Nr. 2000/15 festgeschrieben43. Das ICTY schließlich tendiert dazu, auch eine singuläre Begehung für ausreichend zu erachten. Aufgrund kriminologischer und rechtsdogmatischer Überlegungen ist letzterer Sichtweise der Vorzug zu geben. Warum die mehrfache Begehung der Tathandlung in das chaupeau des Art. 7 ICC Statut aufgenommen wurde, ist letztendlich sowieso nicht recht nachvollziehbar. Denn der in Rom gefundene „Kompromiss“ – den Ausschluss von isolierten Einzelhandlungen durch die Einführung der mehrfachen Begehung abzumildern – war nicht notwendigerweise zwingend. Bekanntlich enthält das chapeau des Gesamttatbestandes eine zweifache quantitative Voraussetzung; zum einen das Element der „Ausgedehntheit“ (widespread) des Angriffs, und zum anderen das Element der Zielgerichtetheit gegen die „Bevölkerung“44. Es war daher nicht konstitutiv, für die alternative Anwendung des „widespread“ und „systematic“ Elementes das Substitutionsmerkmal der „mehrfachen Begehung“ zu kodifizieren. Ersatzweise hätte man auf das Merkmal der „Bevölkerung“ abstellen und etwa dadurch konkretisieren können, dass ein „nicht geringfügiger 39 Iraqi High Tribunal, Case n ë 1/9 First/2005 Al-Dujail Lawsuit (Case) (5. November 2005), 5 (eigene Hervorhebung); die Englische Übersetzung des Urteils ist vorgenommen worden von Miza Management LLC (bei den Akten des Autors). 40 Oxford Advanced Learner’s Dictionary, „u frequent.ly adv. often [. . .]“. 41 Iraqi High Tribunal, Case n ë 1/9 First/2005 Al-Dujail Lawsuit (Case) (5. November 2005), 53 (eigene Hervorhebung). 42 Vgl. Art. 12 b)1 des IST Statuts. 43 Ambos/Wirth, 13 Crim. LForum (2002), 1(30 f.). 44 In diese Richtung auch Polyukhovic v. Commonwealth, 172 CLR (1991), 501 (509).
B. Der Gesamtangriff
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Anteil“ der Bevölkerung durch den zielgerichteten Angriff hätte betroffen sein müssen45. Eine solche Herangehensweise hätte den Vorteil gehabt, dass für die Erfüllung des Tatbestandes die Kodifizierung einer „Mehrfachheit“ von Begehungshandlungen nicht erforderlich gewesen wäre. Auch die ICTY Trial Chamber ist in Nikolic´ davon ausgegangen, dass die Elemente der Ausgedehntheit und Systematik in das Merkmal der Bevölkerung hineingelesen werden können46. Letzteres könnte ein weiterer Ansatzpunkt für das ICC sein, ad hoc Makrokriminalität in die Systematik des Artikel 7 ICC Statuts zu integrieren. 3. Verbindung zwischen dem Angriff und dem Beschuldigten – „as part of [. . .] the attack“ Nicht jede Tat, die während eines Angriffs begangen wurde, erfüllt eo ipso den Verbrechenstatbestand. Vielmehr muss der Akt des Beschuldigten sich als Teil eines Schemas von ausgedehnten oder systematischen Verbrechen darstellen, die sich gegen die Zivilbevölkerung richtet47. Erforderlich ist somit ein zurechenbarer Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen. Das bedeutet aber nicht, dass die Einzeltat zur selben Zeit, oder am selben Ort des Gesamtangriffs begangen werden müsste48. Weiter ist nicht Voraussetzung, dass der Einzelangriff alle Besonderheiten und Eigentümlichkeiten des Gesamtangriffs zeichnet. Vielmehr muss die Tat den Gesamtangriff nur verstärken,49 was anhand gemeinsamer Charakteristika, Ziele, Beschaffenheit, Nachwirkungen und Tragweite festgemacht werden kann50. Das reine Ausnutzen einer gegebenen Situation (z. B. Gefangenschaft) ist diesbezüglich etwa ausreichend51. 45 Vorstellbar wäre etwa eine Formulierung wie: „,Attack directed against any civilian population‘ means a course of conduct involving a single act or a multiplicity of acts referred to in paragraph 1 directed against and affecting a significant portion of any civilian population.“ Vgl. auch Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 340; Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki und Imanishimwe, ICTR-99-46T (25. Februar 2004), Abs. 701 im Rahmen der Unterscheidung zwischen Mord und Ausrottung. 46 Prosecutor v. Nicolic ´ , IT-94-2-R61, Review of Indictment Pursuant to Rule 61 of the Rules of Procedure and Evidence (1995); Hwang, 22 FInt’lLJ (1998), 457 (483). 47 Prosecutor v. Kunarac, IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 99 und 417; „The acts of the accused must constitute part of the attack“; Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-A (15 Juli 1999), Abs. 248 und 255; Prosecutor v. Mrksˇic´ et al., IT-9513-R61 (3. April 1996), Abs. 30; Prosecutor v. Kayeshima und Ruzindana, ICTR-951-T (21. Mai 1999), Abs. 135. 48 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 326; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 866; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 659. 49 Prosecutor v. Kunarac, IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 418. 50 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 326; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 866. 51 Prosecutor v. Kunarac, IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 592.
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
Die Handlung des Täters erfordert auch keine mehrfache Begehung52. Prinzipiell kann somit bereits eine Tat53 gegen ein Opfer54 ausreichend sein, wenn diese sich als Teil des Gesamtkontextes darstellt55. Liegt jedoch ein isolierter Einzelakt vor, ist dieser, soweit er nicht in sich selbst ein Gesamtangriff („attack“) ist56, aufgrund seines vom Gesamtgeschehen losgelösten Charakters qualitativ kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit,57 weil er nicht das erforderliche Ausmaß „in Wildheit oder Größe“58 erreicht. Die konkrete Eingliederung einer Tat als isolierten Akt oder Teil einer Gesamttat ist mitunter schwierig und einzelfallabhängig. Als Hilfestellung hat die Appeals Chamber des ICTY in Kunarac einerseits festgestellt, ein isolierter Einzelakt liege dann vor, „when it is so far removed from that attack that, having considered the context and circumstances in which it was committed, it cannot reasonably be said to have been part of the attack“59. Das IHT hat andererseits präzisiert, dass die Einzelhandlung nicht begangen werden muss, wenn der Gesamtangriff seinen höchsten Punkt erreicht hat.Zwar seien Handlungen, die nach mehreren Monaten oder in großer Entfernung vom Gesamtangriff begangen werden, regelmäßig nicht Teil des Gesamtangriffs. Etwas anderes soll aber dann gelten, wenn zwischen beiden Angriffen eine „enge Verbindung“ besteht60.
II. Die erforderliche Natur des Angriffs Eines der tatbestandstypischen Merkmale des Verbrechens gegen die Menschlichkeit ist die Art und Weise des makrokriminellen Kontextes, der durch die Varianten „ausgedehnt“ („widespread“) und „systematisch“ („systematic“) konkretisiert ist. Das Tatbestandsmerkmal des ausgedehnten Angriffs soll das Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit Hinsicht auf den Angriffsumfang von ge-
52 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 649; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 82; Prosecutor v. Mrksˇic´, Radic´ und Sˇljivancˇanin, IT-95-13-R61 (3. April 1996), Abs. 30; Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., IT95-16-T (14. Juni 2000), Abs. 550. 53 Id. 54 Id.; Prosecutor v. Mrksˇic ´ et al., IT-95-13-R 61 (3. April 1996), Abs. 29 f. 55 Beim Tatbestand der Ausrottung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist dies indes höchst umstritten, siehe unten Kapitel 5 B.II.2.a). 56 Dazu s. o. 57 Prosecutor v. Kupresˇkic ´ et al., IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 550; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-A (29. Juli 2004), Abs. 101; Prosecutor v. Naletilic´ und Martinovic´, IT-98-34-T (31. März 2003), Abs. 234; Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 579 „random acts of violence“. 58 Attorney-General v. Enigster, Yehezkel Ben Alish, 18 ILR 1951. 59 Prosecutor v. Kunarac, IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2000), Abs. 100. 60 Iraqi High Tribunal, Case n ë 1/9 First/2005 Al-Dujail Lawsuit, Urteil v. 5. November 2006, 54.
B. Der Gesamtangriff
231
wöhnlichen Verbrechen abgrenzen. Das Merkmal der Systematik betont hingegen eine gesteigerte organisatorische Art der Ausführung, die typischerweise durch gezielte Planung und Politik untermauert ist. 1. Ausgedehntheit („widespread“) Der Terminus „ausgedehnt“ als Element des Angriffsmerkmals wird von den Internationalen Tribunalen in jeweils leicht abgeänderter Art und Weise bestimmt. Die ICTR Trial Chamber I stellte in Akayesu fest, dass das Tatbestandsmerkmal definiert werden kann als „massive, frequent, large scale action, carried out collectively with considerable seriousness and directed against a multiplicity of victims.“61 Nach Ansicht des ICTR bezieht sich das Tatbestandsmerkmal primär auf das Ausmaß des Angriffs; gelegentlich auch auf die Anzahl der Opfer62. In seiner neueren Rechtsprechung wird nur noch von „massive or large-scale, involving many victims“ gesprochen63. Die Trial Chamber II hat sich seit Niyitegeka64 und Ntakirutimana65 der Akayesu Rechtsprechung angeschlossen66, wonach anhand eines „Tests“ entschieden wird, ob der Angriff „massiv“ war oder „ein großes Ausmaß [erreicht hat], welches viele Opfer beinhaltet“67. Auch das IHT geht im Al Dujail Saddam Hussein Urteil davon aus, dass „widespread“ zu übersetzten ist mit „wide scaled“68. 61 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 580; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 69; Prosecutor v. Musema, ICTR96-13 (27. Januar 2000), Abs. 204; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 77; Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-T (17. Juni 2004), Abs. 299; Prosecutor v. Ndindabahizi, ICTR-2001-71-I (15. Juli 2004), Abs. 477; Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 527. 62 Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 33; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 329; Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 439; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 871; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 664; Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki und Imanishimwe, ICTR-99-46T (25. Februar 2004), 804; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 44. 63 Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana, ICTR-96-10 und ICTR-96-17-T (21. Februar 2003), Abs. 804; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 329; Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 439; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 871; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 45; Prosecutor v. Simba, ICTR-01-76-T (13. Dezember 2005), Abs. 421 „widespread refers to the large scale of the attack“. 64 Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 439. 65 Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana, ICTR-96-10 und ICTR-96-17-T (21. Februar 2003), Abs. 804. 66 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 871. 67 Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 664; Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-T (17. Juni 2004), Abs. 299. Im ersten von der TC II entschiedenen Fall Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 123 wurde lediglich auf die Anzahl der Opfer abgestellt.
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
Aus der Definition des Tatbestandsmerkmals, sowie aus den Verhandlungen zum ICC Statut geht zudem hervor, dass die reine ausgedehnte Ausbreitung einer Gesamttat nicht ausreichend ist. Vielmehr muss diese „collectively with considerable seriousness“ ausgeführt werden, was bedeutet, dass herkömmliche „Verbrechenswellen“ (crime waves) ohne koordinierte, ernsthafte Steuerung nicht vom Tatbestand erfasst sind69. Ein Steuerungselement, welches die Einzeltaten zu einer Gesamttat „bündelt“, ist daher in jedem Fall notwendig. Probleme ergeben sich schließlich bei der Frage, wann konkret ein ausgedehnter Angriff vorliegt. Dazu führte das ICTY in Blasˇkic´ aus: „The qualitative criterion is not objectively definable as witnessed by the fact that neither international texts nor international and national case law set any threshold starting with which a crime against humanity constituted“70. Gewisse festgesetzte und festgeschriebene Schwellenwerte gibt es deshalb nicht. 2. Systematik („systematic“) Das Tatbestandsmerkmal „systematisch“ beschreibt die organisierte Natur des Gesamtangriffs71. Das Konzept wird, in Abgrenzung zu zufallsbedingten72 oder zusammenhangslosen Vorkommen durch unabhängige Täter73, definiert als „thoroughly organised and following a regular, deliberate[74] pattern on the basis of a common policy involving substantial public or private resources“75. Ein weiteres Indiz für die Systematik des Angriffs kann eine methodische Vorge68 Iraqi High Tribunal, Case n ë 1/9 First/2005 Al-Dujail Lawsuit, Urteil v. 5. November 2006, 53. 69 Robinson in: Lee, The International Criminal Court: Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 61 (63), der als weitere Autoritäten den Draft Code v. 1996, den Report of the Commission of Experts Established Pursuant to Security Council Resolution 780 (1992), S/1994/674 (1994), sowie Barbie, Finta und Polyukhovich anführt. 70 Prosecutor v. Blasˇkic ´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 207. 71 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 872; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 666; Prosecutor v. Ndindabahizi, ICTR-2001-71-I (15. Juli 2004), Abs. 477; Prosecutor v. Simba, ICTR01-76-T (13. Dezember 2005), Abs. 421; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 45. 72 Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana, ICTR-96-10 und ICTR-96-17-T (21. Februar 2003), Abs. 804; Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 439. 73 Prosecutor v. Ndindabahizi, ICTR-2001-71-I (15. Juli 2004), Abs. 477. 74 Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-T (17. Juni 204), Abs. 299; Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 527. 75 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 580; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 69; Prosecutor v. Musema, ICTR96-13 (27. Januar 2000), Abs. 204; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 77; Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 439.
B. Der Gesamtangriff
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hensweise sein76. In Blasˇkic´ wurde diese anhand von vier Elementen näher charakterisiert. Das Tatbestandsmerkmal „systematic“ soll demnach bei folgendem Kontext vorliegen: – the existence of a political objective, a plan pursuant to which the attack is perpetrated or an ideology, in the broad sense of the word, that is, to destroy, persecute or weaken a community; – the perpetration of a criminal act on a very large scale against the group of civilians or the repeated and continuous commission of inhumane acts linked to one another; – the preparation and use of significant public or private resources, whether military or other; – the implication of high-level political and/or military authorities in the definition and establishment of the methodical plan.77 Die Trial Chamber präzisierte weiter, dass der Plan nicht notwendigerweise ausdrücklich, klar oder präzise erklärt werden muss und dass er aus verschiedenen Ereignissen und Beispielen, die der Plan beinhaltet, vermutet werden kann78. Die Appeals Chamber konnte sich den Ausführungen der Trial Chamber nicht vollumfänglich anschließen, da für sie unklar war, ob die Trial Chamber meinte, dass die Einbeziehung des Politik-Elementes in jedem Fall ein konstitutives Merkmal für die systematische Begehung sein soll79. Unabhängig von dieser aufgeworfenen Fragestellung kann die Auflistung der Trial Chamber aber dennoch von großem Nutzen sein80. Fasst man die von der Trial Chamber angeführten Elemente lediglich als Indizien für die Erfüllung des „systematic“ Elementes auf, ist die Aufzählung in sich stimmig. In diesem Lichte ist auch die zweite – oben angeführte – Präzisierung zu verstehen. Das „große Ausmaß der Tat“ oder die „wiederholte Begehung“ sind keine konstitutiven Voraussetzungen einer systematischen Begehung, sondern nur Indizien. Das muss schon deshalb so sein, weil – wie bereits angedeutet – beide Elemente nur alternative Erfüllungsmerkmale für die Etablierung des Gesamtkontextes sind. Allerdings soll darauf hingewiesen werden, dass sich die Elemente der „Ausgedehntheit“ und „Systematik“ in der Praxis oft überschneiden81. Es be76 Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 439; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 872; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 666. 77 Prosecutor v. Blasˇkic ´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 203. 78 Prosecutor v. Blasˇkic ´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 204. 79 Prosecutor v. Blasˇkic ´, IT-95-14-A (29. Juli 2004), Abs. 100. 80 Anders Meseke, Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, 136.
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
steht zudem eine indirekte Wechselwirkung, die im Rahmen der gerichtlichen Beweisführung relevant werden kann. So kann der Nachweis der Ausgedehntheit gleichzeitig ein Indiz für die Systematik des Angriffs sein, weil ein Angriff, der aus vielen Einzeltaten besteht und daher eine gewisse Ausweitung erreicht, auch ein Koordinierungselement besitzt, um die erforderliche Ausweitung zu erreichen. Durch den Nachweis der „Ausgedehntheit“ erreicht die Anklagebehörde somit Synergieeffekte, da diesbezügliche Feststellungen in doppelter Weise vor Gericht eingebracht (bzw. darauf verwiesen) werden können. In diese Richtung tendiert auch das ICTR82. 3. Politik-Element („policy“) Die Problematik des Politik-Elements wird im Rahmen zweier unterschiedlicher Konstellationen diskutiert. Zum einen ist die Frage aufgeworfen worden, ob ein Politik-Element notwendig ist, um eine systematische Begehung eines Angriffs zu konstituieren. Zum anderen ist fraglich, ob allgemeinhin – also unabhängig von der Systematik des Angriffs – eine Begehung im Rahmen einer gewissen Politik erforderlich ist. Freilich sind beide Problemkreise miteinander verwoben. Zum Zwecke größerer Klarheit soll jedoch die Thematik getrennt voneinander behandelt werden. Im Bedarfsfall wird auf Überschneidungen hingewiesen83. a) Politik-Element und Systematik Die bereits angeschnittene Frage, inwieweit ein Politik-Element ein konstitutives Merkmal für die systematische Begehung ist, hängt einerseits eng mit dem Verständnis zusammen, was man als strafwürdige Makrokriminalität verstehen will, und ist andererseits wesentlich von der durch die internationalen Straftribunale vorgenommenen Definierung des Merkmals „systematisch“ beeinflusst. Die dogmatischen Grundzüge sollen im Folgenden angesprochen werden. Nach Auffassung des ICTR stellt sich die Systematik eines Angriffs dar durch ein „thoroughly organised and following a regular, deliberate pattern on 81 Prosecutor v. Blasˇkic ´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 207; Mettraux, International Crimes and the Ad Hoc Tribunals, 171. 82 Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-T (17. Juni 2004), Abs. 305 „Although Article 3 of the Statute does not require evidence of a widespread and systematic attack against a civilian population, the Chamber deems it appropriate in this case to make findings in that regard, so as to better reflect the circumstances and context of the attack.“ 83 Siehe auch Hwang, 22 FInt’lLJ (1998), 457 (483) „Turning to the final component of ,population‘, the ICTY Trial Chamber [in Tadic´] required that there be ,some form of policy to commit these acts‘. This approach is somewhat puzzling because the inquiry into systemacity, one alternative in the first component of ,population‘, already addresses the issue of whether or not an action was taken pursuant to a policy.“
B. Der Gesamtangriff
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the basis of a common policy involving substantial public or private resources“.84 Nach obiger Definition wäre das Politik-Element ein wesentlicher Teil eines systematischen Angriffs. Die Definition könnte sogar vermuten lassen, dass das Politik-Element konstitutives Merkmal des Systematik Elements ist. Dieser Annahme ist das Tribunal in seiner neueren Rechtsprechung jedoch entgegen getreten85, sodass die Systematik eines Angriffs auch durch andere Organisations- und Planungsmuster nachgewiesen werden kann und es nicht des Hinweises auf eine gemeinsame „formalisierte“ Politik bedarf. Gestützt wird diese Auffassung auch vom ICL Draft Code von 1996, in dem ausgeführt wird, dass das Politik-Element lediglich ein „Indikator“ für die Systematik des Angriffs ist86. b) Politik-Element als generelles Tatbestandsmerkmalerfordernis? Neben der erörterten Frage, in wieweit das Politik-Element für die Erfüllung der systematischen Begehung konstitutive Voraussetzung ist, wird das Problem diskutiert, in welcher generellen Beziehung das Politik-Element zum Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit steht. Letztere aufgeworfene Frage ist eine der umstrittensten Fragestellungen überhaupt. Die eigentliche Problematik, in wieweit das Politikerfordernis konstitutives Element des Tatbestandes ist, hängt entgegen landläufiger Auffassung so gut wie nicht mit der Frage zusammen, ob der Angriff systematisch begangen werden muss. Die Rechtsprechung ist hier, wie eben dargestellt, gefestigt. Schon zu 84 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 580; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 69; Prosecutor v. Musema, ICTR96-13 (27. Januar 2000), Abs. 204; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 77; Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 439. 85 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 329; Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-T (17. Juni 2004), Abs. 299 „systematic [. . .] does not necessarily include the idea of a plan“; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 872 „There has been some debate in the jurisprudence of this Tribunal about whether or not the term systematic necessarily contains a notion of a policy or plan. The Chamber finds that it does not, and adopts the same position as Trial Chamber III in Semanza.“; Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 527 „systematic [. . .] does not necessarily require the proof of a plan“. 86 Hwang, 22 FInt’l LJ (1998), 457 (491); im Endergebnis wohl doch anders Ambos/Wirth, 13, Crim. LForum (2002), S. 1 (30) „However, in more recent decisions a tendency is discernable to omit it [gemeint is das „policy element“] altogether and regard the existence of a policy merely as an indicator for the existence of a (systematic) attack. [. . .] This new development is fairly unproblematic with regard to the systematic attack, as any kind of systematic conduct requires, however small, a degree of organization which, in turn, requires a policy and an entity powerful enough to implement it. Thus, the ,systematic attack‘ element indeed inevitably implies a policy element.“ (Eigene Hervorhebung.)
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
Beginn seiner Rechtsprechung ging das ICTY davon aus, dass eine systematische oder ausgedehnte Begehung eine gewisse „Politik“ indizieren kann87. Klar ist nunmehr auch, dass – auch nach ICTR Verständnis – die Systematik nicht begriffsnotwendig von einem Nachweis einer gewissen Politik abhängig ist. Davon zu unterscheiden ist die Frage nach der generellen Erforderlichkeit des Politik-Elements, welches auf alle Tatbestandsmerkmale des chapeaus überwirkt. Bejaht man das Erfordernis eines Politik-Elements, so ist damit eine, wenn auch abgeschwächte, „quasi – kumulative Anwendung“ von „widespread“ und „systematic“ geschaffen. Entscheidet sich die Anklagebehörde, die Ausgedehntheit des Angriffs nachzuweisen, müsste sie im Falle eines zu erbringenden Politik-Nachweises zusätzlich als quasi-systematisches Element darlegen, das der Gesamtangriff durch eine ausreichende hierarchische Struktur implementiert oder zumindest gefördert worden ist. Wählt die Anklagebehörde die Systematik Variante, so muss im Wege des Politik-Elements regelmäßig ein „regular deliberate pattern“ nachgewiesen werden. Faktisch bietet sich dafür (nur) der Verweis auf ein ausgedehntes Auftreten von zusammenhängenden Einzeltaten gegen jegliche Zivilbevölkerung an. Das Problem der Notwendigkeit eines Politik-Elements ist somit eng mit zwei Fragen verknüpft: (1) Soll generell ein Politik-Element konstitutiv sein, mit der Folge, dass eine faktische (wenn auch abgeschwächte) kumulative Anwendung von „widespread“ und „systematic“ vorliegt? (2) (Sofern man 1. bejaht): Welche Organisationsstruktur muss dem Politik-Element zugrunde liegen? Was die erste Frage betrifft, so tendierten das ICTR und das ICTY im Anfangsstadium ihrer Rechtsprechung zu der Auffassung, dass die Begehung eines Verbrechens gegen Menschlichkeit generell von der Erfüllung eines „Politik“Elements abhängig zu machen ist88. Durch die Entscheidung der Appeals Chamber in Kunarac ist allerdings eine Trendwende in der Frage eingeleitet worden89, sodass insbesondere die ICTR Trial Chamber II, die bis dato an der generellen Notwendigkeit eines Politik-Elements festgehalten hatte, seine Rechts-
87 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 653 „Notably, if the acts occur on a widespread or systematic basis that demonstrates a policy to commit those acts, whether formalized or not“; so auch Bassiouni/Manikas, The Law of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, 548. 88 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998) Abs. 579; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 69; Prosecutor v. Musema, ICTR96-13 (27. Januar 2000), Abs. 204 „There is no requirement that this policy must be adopted formally as the policy of the state. There must however be some kind of preconceived plan or policy“; Report on the International Law Commission to the General Assembly, 94 U.N. Doc. A/51/10 (1996), 94. 89 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12 Juni 2002), Abs. 98.
B. Der Gesamtangriff
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auffassung der Ansicht der Appeals Chamber anpasste. Nunmehr gehen das ICTR und ICTY unisono davon aus, dass ein Politik-Element „may be evidentially relevant, in that it may be useful in establishing that the attack was directed against a civilian population and that it was widespread or systematic, but that the existence of such a plan is not a separate element of the crime.“90
Die SCSL Appeals Chamber hat sich in Fofana et al. der Sichtweise des ICTR und ICTY angeschlossen91. Nach Ansicht der Tribunale ist das Politik-Element damit ein schwergewichtiges Indiz für die makrokriminelle Begehung; allerdings kann die Makrokriminalität des Gesamtangriffs auch durch andere Indizien bewiesen werden92. Etwas anderes gilt aber für die Einzeltatbestände der Verfolgung und (wohl auch) der Apartheid. Hier ist aufgrund der spezifischen Verbrechensstruktur ein Politik-Element in jedem Fall konstitutiv (sog. „Diskriminierungspolitik“)93. Freilich bleibt es der Anklagebehörde unbenommen, das Politik-Element in jedem Fall nachzuweisen. Ein solches Vorgehen ist schon deswegen ratsam, um Indizwirkungen für die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale „ausgedehnt“ und „systematisch“ zu erzielen, sowie Handlungen im Rahmen eines joint criminal enterprise nachzuweisen94. Die von den Tribunalen entwickelte Rechtsprechung zum Politik-Element ist nicht ohne Beanstandung geblieben und muss sich seitdem der Kritik stellen, unrechtmäßige Rechtsfortbildung statt legitime Rechtsanwendung betrieben zu haben. Ob die Entbehrlichkeit des Politik-Elements bei Ausspruch des Gerichts ohne jeden Zweifel schon völkergewohnheitsrechtlich gesichert war, erscheint in
90 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 329; Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-T (17. Juni 2004), Abs. 299 „systematic [. . .] does not necessarily include the idea of a plan. The existence of a policy or play may be evidentially relevant, in that it may be useful in establishing that the attack was directed against a civilian population and that it was widespread or systematic. However, the existence of such a policy or plan is not a separate legal element of the crime“ mit Verweis auf Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 98; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 872 „There has been some debate in the jurisprudence of this Tribunal about whether or not the term systematic necessarily contains a notion of a policy or plan. The Chamber finds that it does not, and adopts the same position as Trial Chamber IIII in Semanza.“; Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 527 „systematic [. . .] does not necessarily require the proof of a plan“. Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 665 „the existence of a plan is not [an] independent legal element of Crimes against humanity“. 91 Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-A (28. Mai 2008), Abs. 246. 92 Prosecutor v. Martic ´ , IT-95-1-T (12. Juni 2007), Abs. 49 „settled jurisprudence“. 93 Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-96-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 78. 94 Zu Letzterem Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-T (2. August 2007), Abs. 210 ff. m. w. N.
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
der Tat zweifelhaft95. Sowohl die Entstehungsgeschichte des Verbrechenstatbestandes, als auch die rechtsverbindlichen Völkerrechtsquellen bis zum Jahr 1993 ließen die Notwendigkeit eines konstitutiven Politik-Elementes erkennen. Auch das im Wege der Rom Konferenz in Art. 7 Abs. 2(a) ICC Statut verabschiedete Tatbestandsmerkmal des Angriffs verlangt ausdrücklich, dass dieses „in Ausführung oder zur Unterlassung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat“ begangen werden muss. Eine wortgleiche Regelung findet sich in Art. 12 b) IHT Statut. Man könnte daher einwenden, dass bis heute eine hinreichende völkergewohnheitsrechtliche opinio juris und Staatenpraxis nicht existiert, um von der generellen Entbehrlichkeit des Politik-Elements auszugehen. Sehr bemerkenswert ist jedoch, dass sich das IHT in Al Dujail der Sichtweise des ICTY und ICTR ausdrücklich angeschlossen hat. Diese Entscheidung könnte auch für die zukünftige Rechtsprechung des ICC von Relevanz sein, da das IHT nicht notwendigerweise die Begehung im Rahmen einer Politik voraussetzte, obwohl in Artikel 12 IHT Statut – insoweit wortgleich mit Art. 7 ICC Statut – die Begehung im Rahmen einer Politik gefordert ist96. Unter expliziter Nennung des Wortlautes von Art. 12 scheint das IHT die Passage in derart zu interpretieren, als dass das im Statut enthaltene Politik-Element lediglich ein schwerwiegendes „Indizmerkmal“, nicht aber ein konstitutives Merkmal des Tatbestandes ist97. Obgleich das IHT – aus kriminologischer Sicht – eine uneinheitliche Linie vertritt, weil es im chapeau einerseits eine (klassische) „wiederholte Begehung“ von Handlungen fordert, andererseits aber (progressiv) das Politik-Element nur als Indiz verstanden wissen will, ist letzterer Ansatz – im Zusammenspiel mit der hier vertretenen Auffassung einer 95 Robinson, 93 AJIL (1999), 43 (48) „the applicability of the policy element is supported by the bulk of authority since Nuremberg.“ und (56) „The explicit recognition of the policy element will be regretted by some observers, as it was not explicitly identified in previous instruments, but it is well supported by the jurisprudence of international and national tribunals and the relevant commentaries.“ 96 Iraqi High Tribunal, Case n ë 1/9 First/2005 Al-Dujail Lawsuit, Urteil v. 5. November 2006, 54. 97 Iraqi High Tribunal, Case n ë 1/9 First/2005 Al-Dujail Lawsuit, Urteil v. 5. November 2006, 54 „Also, this court agrees with what was set out in the decision of International Criminal Tribunal decision for the Former Yugoslavia issued on March 15, 2005 [Anm: gemeint ist Prosecutor v. Krnojelac], which stated that there is no provision in international customary law which indicates that the defendant’s action and (the actions of those people he is criminally responsible for it) should be pursuant to a policy or plan; nonetheless this plan or policy may [Anm. nicht aber „must“!] be pursuant to the condition which says that it is essential for the attack to be widespread or organized (systematic), in addition to the necessity of the defendant’s actions to be part of that attack. This was stated in article/12/Second/a of the law of the Iraqi High Tribunal No. 10 of 2005, where the term „attack against group of civilian population“ means a behavioural approach that includes the repeated perpetration of the act, stated in provision (First) of this article against any group of civilian population pursuant to a policy of a state or organization that requires the perpetration of such an attack or furthers such a policy.“ (Eigene Hervorhebung)
B. Der Gesamtangriff
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möglichen singulären Begehung im Rahmen eines ad hoc makrokriminellen Aktes – sinnig, konsequent und orientiert sich am Sinn und Zweck der Vorschrift. Festzuhalten bleibt, dass sich die Ansicht des ICTR und ICTY an den Zeichen der Zeit orientiert, da sie auch ad hoc makrokriminelles Verhalten als strafwürdig und unter den Tatbestand für subsumierbar erachtet. Das Politikelement – wie es klassisch aus seiner Entstehungsgeschichte verstanden wird – stellt sich als Spiegelbild der „mehrfachen Begehung“ dar, und bedarf insoweit der realitätsnahen Interpretation. Wird dennoch von der Erforderlichkeit eines „Politikelements“ ausgegangen, knüpft sich daran die Frage nach dessen Verwirklichung auf Grundlage der mithin erforderlichen Organisationsstruktur. Letzteres hat unmittelbare praktische Auswirkungen auf die Verteidigungsstrategie und Aburteilungspraxis. Denn bei der Anwendung des Gesamttatbestandes ist regelmäßig nicht strittig, ob eine taugliche Politik vorliegt. Dies ist durch Amtsdokumente, Radio- und Fernsehansprachen von hohen Regierungsvertretern, sowie Zeugenaussagen regelmäßig (relativ) leicht zu beweisen. Viel problematischer ist, in wieweit der Zusammenschluss der Täter in der Lage war, eine solche Politik zu initiieren, durchzusetzen oder zu fördern. Besonders schwierig kann das bei terroristischen Aktivitäten sein, die das Ausmaß eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit erreichen. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. Angenommen eine autonome Terrorgruppe begründet ihre eigene politische Prägung aus verschiedenen Organisationsstrukturen, die zwar ein gemeinsames Ziel verfolgen, sich allerdings z. B. aufgrund ihrer unterschiedlichen Abstammung, oder religiöser oder politischer Gesinnung bekämpfen. In einem derartigen Fall greift die „Lehrbuchkonstellation“, bei der ein Staat als übergeordneter Apparat eine gewisse Politik praktiziert, die von der Führungselite angewiesen, und den unmittelbar ausführenden Tätern aufgenommen und umgesetzt wird, nicht. Fraglich ist dann, wie zu entscheiden ist, wenn der Nachweis einer durchdeklinierten Politik von oben (Staat) nach unten (ausführender Einzeltäter) nur schwerlich erbracht werden kann. Gerade hier wird relevant, welche Organisationsstruktur als tauglich erachtet werden kann, um das Politik-Element begründen zu können. Vor über einem halben Jahrhundert wurde im IMT Urteil die Auffassung vertreten, dass ausschließlich durch eine „staatliche“ Politik ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit hervorgerufen werden kann. Art. II Abs. 1 lit. c) CCL No. 10 sah diese Beschränkung zwar nicht mehr vor; die Rechtsprechung in den CCL No. 10 Nachfolgeprozessen war jedoch in der Frage uneinheitlich, sodass sich aus der Nichtkodifizierung des staatlichen Elements in Art. II Abs. 1 lit. c) CCL No. 10 nichts ableiten lässt. Allerdings haben die Internationalen Tribunale nunmehr von der im IMT Statut erklärten Restriktion Abstand genommen
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
und die Ausführung einer Politik durch „nicht-staatliche Akteure“ mit territorialer de facto Kontrolle und Bewegungsfreiheit für möglich erachtet98. Dies scheint nunmehr herrschende Auffassung zu sein99. Umstritten ist aber, welche nicht staatlichen Organisationsstrukturen ausreichen sollen. Aus Art. 18 des ICL Draft Code 1996 geht hervor, dass die Politik von einem Staat, einer Organisation, oder einer Gruppe gesteuert oder initiiert werden kann. Der ILC Draft Code 1991 sah sogar vor, dass „private individuals with de facto power“ eine taugliche Organisationsstruktur bereitstellen können100. Letztere Erweiterung ist zustimmungswürdig und würde seinen Anwendungsbereich in der Aburteilung ad hoc makrokriminellen Verhaltens finden. Das ICTR erachtete zu Beginn seiner Rechtsprechung neben einer Begehung durch einen Staat oder einer Organisation eine Begehung durch eine Gruppe für möglich101, hat aber diese Ansicht aufgegeben. Sowohl das ICTR als auch das ICTY gehen nunmehr einhellig davon aus, dass ein Staat oder eine Organisation mit de facto Macht eine taugliche Organisationsstrukur bereitstellen kann. Nach Tadic´ soll letzteres unter folgenden Umständen anzunehmen sein: „The control required by international law may be deemed to exist when a State (or in the context of an armed conflict, the Party to the conflict) has a role in organising, coordinating, or planning the military actions of the military group, in addition to financing, training and equipping or providing operational support to that group.“102
Wo die spezifische Abgrenzung zwischen Organisation und Gruppe zu ziehen ist, ist einzelfallabhängig und anhand eines bunten Straußes von Indizien zu ermitteln. Eine kriminelle Bande („Gang“) soll noch nicht als „Organisation“ zu bewerten sein, da das erforderliche Ausmaß an organisierter Kriminalität nicht 98 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998) Abs. 579; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 69; Prosecutor v. Musema, ICTR96-13 (27. Januar 2000), Abs. 204; Report on the International Law Commission to the General Assembly, 94 U.N. Doc. A/51/10 (1996), 94. 99 Allerdings hat Bassiouni, der als einer der angesehensten Kommentatoren für den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit gilt, noch bis Mitte der neunziger Jahre vertreten, dass nur staatliche Organisationen ausreichend seien; vgl. Bassiouni, Crimes against Humanity in International Criminal Law (1992), 247; nunmehr aber verneinend, vgl. Bassiouni/Manikas, The Law of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, 548. 100 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 654 f. mit Berufung auf den ILC 1991 Draft Code. 101 Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-96-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 78 „The requirement that the attack must be committed against a ,civilian population‘ presupposes a kind of a plan; and the discriminatory element of the attack is, by its very nature, only possible as a consequence of a policy. Thus the policy element can be seen to be an inherent feature of the attack, whether the attack be characterised as widespread or systematic. [. . .] Further, it is clear from Article 3 of the Statute and recent case law [. . .] that such a policy may be instigated or directed by any organisation or group, whether or not representing the government of the State.“ 102 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-A (15. July 1999), Abs. 137.
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erreicht wäre103. Der Begriff der „Organisation“ wird allerdings als relativ flexibel erachtet104, sodass Drogenkartelle, Rebellenorganisation und eine als „Mafia“ bezeichnete Struktur ausreichend sein dürften105. Auch Terrororganisationen, deren Einfluss mit denen von Al Quaida oder Hamas106 vergleichbar ist, dürften eine taugliche Organisationsstruktur besitzen107. Das gilt insbesondere (aber nicht nur ausschließlich) dann, wenn sie von Sponsorstaaten unterstützt werden, da hier obiger „Tadic´ Test“ greift108. Für die internationalen ad hoc Tribunale hat die Frage nach der erforderlichen Organisationsstruktur auf den ersten Blick an praktischer Relevanz verloren, weil nach ihrer Rechtsauffassung das Politik-Element nicht konstitutives Merkmal für die Begehung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit, und damit die Frage im Zweifel nicht entscheidungserheblich ist. Durch die explizite Aufnahme des Politik-Elements in Art. 7 ICC Statut ist das Problem jedoch wieder praxisrelevant geworden. Das ICC Statut geht prima facie davon aus, dass die Begehung durch eine Gruppe nicht ausreichen soll. Dahinter stand die Befürchtung, dass die Richter des ICC „versucht“ sein könnten, auch Verbrechen von „Fußsoldaten“ als Verbrechen gegen die Menschlichkeit abzuurteilen, obwohl sich der Strafauftrag des Gerichts auf die schwerwiegendsten Ausprägungen makrokrimineller Gewalt beschränken soll. Letztere Re103 Robertson, Crimes against Humanity, 311 „The definition at least ensures that the ICC should confine itself to the most heinous offences, carried out systematically rather than on the spur of the moment, and pursuant to a policy conceived either by a state instrumentality (such as the police or the army) or by an organized entity as distinct from a criminal gang.“ 104 Robinson, 93 AJIL (1999), 43 (50, Fn. 44). 105 A.A. Meseke, Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, 147, der zwischen gewöhnlichen „Extremisten“ und „Mafia“ auf der einen, und „internationalen Terroristen“ auf der anderen Seite unterscheiden, und letzteren die Organisationstauglichkeit zusprechen will, weil diese „vor keinem Mittel zurückschrecken“ würden. Die Herangehensweise ist nicht unproblematisch. Es kommt auf die durch die Struktur verkörperte potentielle „Schlagkraft“ an, nicht auf die (subjektiv zu bestimmende) „Entschlossenheit“ der Täter. 106 Von der EU wird die Hamas als Terrororganisation eingeordnet, siehe Gemeinsame Position des Rates 2006/380/CFSP (29. Mai 2006) Annex 2. Nr. 17. 107 Zegveld, The Accountability of Armed Opposition Groups in International Law, 107; Provost, International Human Rights and Humanitarian Law, 71; „It would thus seem that there is no requirement of state action either for the collective attack on a population or for the individual acts which are related to that attack. The conclusion is important in that it calls for international sanction of crimes against humanity committed by groups which are unrelated to the state, for example insurgents or terrorist groups, or in situations where it is impossible to connect the group to the state apparatus conclusively.“; Abtahi, 4 Int’l Crim. L.Rev. (2004), 1 (2). 108 O’Connell, 43 CJTransn’lL (2004), 435 (449 f.) Zur traditionellen Ansicht der USA und Großbritannien zur Frage der Einordnung terroristischer Gruppen als staatliches „Autoritäts-Substitut“, vgl. O’Connell, 43 CJTransnat’l L (2004) 435 (445).
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
striktion ergibt sich indes schon aus dem Paper on some policy issues before the Office of the Prosecutor, sodass ein „Missbrauch“ durch die ICC Richter nicht zu befürchten ist (denn wer nicht angeklagt ist, kann auch nicht gerichtet werden). Grundlage für die Beschränkung auf Organisationsstrukturen war zudem die Erwägung, dass der Angriff auf eine Zivilbevölkerung ein gewisses Ausmaß an Planung voraussetze. Nächster Schritt war die Erkenntnis, dass Planungen solchen Ausmaßes nur durch Staaten oder Organisationen vollzogen werden könnten, die territoriale (de facto) Kontrolle ausüben109. Dieses Verständnis baut auf der schon im Rahmen des Angriffselementes diskutierten Prämisse auf, dass ein makrokriminelles Ausmaß einer Begehung konstitutiv an eine Verbrechenshierarchie gekoppelt sein soll. Gerechtfertigt wird die Notwendigkeit des Politik-Elementes regelmäßig mit dem Hinweis, nur ein Staat oder eine Organisation sei in der Lage, das hinreichende makrokriminelle Ausmaß zu konstituieren. Ein ähnliches Verständnis trat bei den Verhandlungen zum ICC Statut zu Tage. Die Jurisdiktionskompetenz des ICC sollte sich auf die schwerwiegendsten Verbrechen beschränken und isolierte Handlungen ausklammern110. Insofern sollen die Begehung des Makrokriminalitätsverbrechens „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ einerseits, und „isolierte Handlungen von Individuen“ andererseits, begriffsnotwendige Gegensätze sein111. Ob letzteres Verständnis mit der gegenwärtigen Realität vereinbar ist, erscheint indes zweifelhaft, da sie auf einem antiquierten Verständnis der makrokriminellen „verbrecherischen Kraft“ fußt. Die Sichtweise der ad hoc Tribunale, wonach das Politik-Element nur Indizwirkung entfaltet, ist vorzugswürdig. Trotz des vordergründig gegenteiligen Wortlautes ist auch dem ICC letzterer Weg nicht verstellt. Aus vergleichbaren wie denen im Rahmen der mehrfachen Begehung diskutierten Gründen könnte unter Beibehaltung des Politikerfordernisses eine zeitgemäße Interpretation bei ad hoc makrokriminellem Verhalten für er109
Robinson, 93 AJIL (1999), 43 (50, Fn. 44). Hwang, 22 Fint’lLJ (1998), 457 (492) und (496). 111 Zu diesem Verständnis (allerdings nicht auf „Staatspolitik“ oder „Staatshandlungen beschränkend) Bassiouni, Crimes against Humanity in International Criminal Law (1992), 247 „,Crimes against Humanity‘ are collective crimes which cannot be committed unless they are part of a given state’s policy because their commission requires the use of the state’s institutions, personnel and resources in order to commit, or refrain from preventing the commission of, the specific crimes described in Article 6(c) [IMT Statute.] [. . .] The rationale for this requisite of ,state action or policy‘ is that ,crimes against humanity‘, like other international crimes such as genocide and apartheid, cannot be committed without it because of the nature and scale of the crime.“; s. a. ILC 1996 Draft Code, Commentary Art. 18 para 5 „[it] would be extremely difficult for a single individual acting alone to commit [crimes against humanity]. The instigation or direction of a Government or any organization or group [. . .] gives the act its great dimension and makes it a crime against humanity imputable to private persons or agents of a State.“ 110
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forderlich, und (nur!) in diesen Fällen die Verwirklichung durch formal kleinere Organisationsstrukturen für tauglich gehalten werden. Der Intension der Staatengemeinschaft, isolierte mikrokriminelle Handlungen nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 7 aufzunehmen, wäre weiterhin Folge geleistet. Freilich müsste sich das ICC um eine nachvollziehbare Herleitung bemühen. Als Grundlage für eine fundierte Beantwortung dieser Auslegungsfrage müsste rechtsdogmatisch-übergreifend auf kriminologische Erkenntnisse verwiesen werden. Gerechtfertigt wäre die Herangehensweise durch die Tatsache, dass der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in höchstem Maße ethisch imprägniert, und durch seinen Sinn und Zweck geprägt ist. Insofern wird ersichtlich, dass die Frage nach der Erforderlichkeit des PolitikElementes nicht auf einer strengen rechtsdogmatischen Grundlage fußt. Sie hängt vielmehr mit dem Problem zusammen, durch welche Strukturen sich Makrokriminalität konstituieren kann, und in welcher Art und Weise sie ein Ausmaß annimmt, dass das Prädikat „unmenschlich“ verdient. Nur wenn diese Fragen geklärt sind, ist das Ziehen von fundierten Rückschlüssen möglich, in wieweit die durch eine hinreichend hierarchisch-strukturierte Organisationsstruktur ausgeführte Politik konstitutives Merkmal für den Verbrechenstatbestand ist. 4. Kriminologischer Exkurs a) „Makrokriminalität“ als Begriff Dass eine kriminologische Bestimmung dessen, was „Makrokriminalität“ ausmacht, sich als schwierig gestaltet, hat schon der Begründer des Begriffs, Herbert Jäger, erkannt. Als Grundabstufung charakterisierte er mit „Makrokriminalität“ ein eingebundenes Täterverhalten112, welches der „Alltagskriminalität“ gegenüber zu stellen ist. Dieser Ansatz ist in der Fachliteratur nicht unstrittig geblieben. Klar ist zwar, dass Makrokriminalität auf der einen Seite, und – untechnisch gesprochen – „normale Straßenkriminalität“ auf der anderen sich durch zwei Verschiedenartigkeiten von gesteuerter Kriminalitätsquantität und -qualität unterscheiden. Allerdings wird eingewandt, dass der Terminus der „Alltagskriminalität“ unglücklich gewählt sei: zwar spiegelt er die alltägliche Beschäftigung von Polizei und Strafjustiz wider, hingegen bleibt die durchaus ebenso gegebene „Alltäglichkeit der Makro- und Megaphänomene“ unberücksichtigt113. Auch die als Abgrenzungsbegriff vorgeschlagene „Jedermanns-Kriminalität“ erscheint missverständlich, da sie suggeriert, dass makrokriminelle 112 Das Täterverhalten bei Makrokriminalitätsverbrechen wird unterteilt in Exzesstaten, Initiativtaten und Befehlstaten, Jäger, Verbrechen unter totalitärer Herrschaft, 27 ff. 113 Möller, Völkerstrafrecht und Internationaler Strafgerichtshof, 240; SchülerSpringorum, Kriminalpolitik für Menschen, 237.
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
Verbrechen a contrario nicht von „jedermann“ begangen werden. Eine damit verbundene Dämonisierung (oder Glorifizierung) der Täter sollte jedoch vermieden werden. Angelehnt an den im englischen Schrifttum verwendeten Begriff der „ordinary crimes“114 wird daher der Terminus der „gewöhnlichen Kriminalität“ vorgeschlagen115. Zwar ist zuzugeben, dass sich die Begriffe „Alltag“ und „gewöhnlich“ in ihren Wortbedeutungen nur in Nuancen unterscheiden. Letztere Bedeutung erscheint jedoch passender, weil makrokriminelle Verbrechen – etwa die Judenverfolgung im Dritten Reich oder der Völkermord in Ruanda – aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse noch so quantitativ verbreitet und zeitlich andauernd gewesen sein können und daher den Eindruck einer (grauenhaften) „Alltäglichkeit“ erwecken; sie im Rahmen gesunder gesellschaftlicher Interaktion als „gewöhnlich“ zu bezeichnen ginge unzweifelhaft fehl. Der Terminus „gewöhnlich“ passt auch vice versa. Zwar kann nicht geleugnet werden, dass isoliert begangene Straftaten nicht nur abstrakte fundamentale Rechtsverletzungen darstellen, sondern das Opfer und/oder die Angehörigen zutiefst traumatisieren können. Gleichwohl ist die Begehung isolierter krimineller Handlungen seit jeher ein kranker, wengleich unvermeidlicher Aspekt des menschlichen Zusammenlebens. Beschränkt auf eine gesellschaftlich-kriminologische Sichtweise wird man sie, bezogen auf die gesamtgesellschaftliche Gruppeninteraktion und in Gegenüberstellung zu Makrokriminalitätsverbrechen, kaum als „ungewöhnliche“ kriminelle Ausnahmehandlungen begreifen können, welche die Menschheit „schockieren“, selbst wenn sie in ihrer konkreten Ausgestaltung besonders „grausam“ sein sollten. „Makrokriminalität“ ist insofern definierbar als ein eingebundenes Täterverhalten, das sich über die Ebene der „gewöhnlichen Kriminalität“ auf eine neue mega-dimensionale116 Kriminalitätsebene hinauf geschwungen hat. Weitere Präzisierungen gestalten sich als schwierig. Zum einen liegt das darin begründet, dass sich die Wissenschaft der Kriminologie, die sich mit der Erscheinungsform der Kriminalität als einer Form abweichenden Verhaltens, sowie der Kontrolle von Kriminalität beschäftigt117, bislang 114 Vgl. Art. 9 UN Doc. S/RES/955 (1994), 7; Shany, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 338 (342); Akhavan; 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 989 (992). 115 In diese Richtung auch Kunz, Kriminologie, 395, Rn. 4. 116 Schüler-Springorum, Kriminalpolitik für Menschen, 235 ff. 117 Albrecht in: Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss, Kleines Kriminologisches Wörterbuch, 308; Schwind, Kriminologie, § 1 Rn. 14, geht in verstärktem Maße auf die Teilbereiche der Kriminologie ein; Kriminal-Ätiologie, Kriminal-Phänomenologie, Viktimologie, Poenologie und Kriminaltherapie, Forensische Psychologie und Psychiatrie, Institutionenforschung, sowie Kriminalstatistik.
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nur in sehr beschränktem Umfang mit dem hier betroffenen Kriminalitätsbereich auseinandergesetzt hat und eine Umsetzung in die Strafrechtsdogmatik bis vor kurzem ausgeblieben ist118. Den Untersuchungen von Herbert Jäger119 sind für lange Zeit kaum weitere kriminologische Analysen gefolgt; das Thema ist allerdings in den letzten Jahren wiederentdeckt worden. Mit neuen Gedankenansätzen haben sich Möller120, Burkhardt 121, Vest 122, Braum123 und Neubacher124 hervorgetan. Im angloamerikanischen Fachkreis haben neben Arendt 125 vor allem Kelman und Hamilton126, die sich intensiv mit dem Phänomen von Gehorsamsverbrechen während des 3. Reiches auseinander setzten, Beachtung gefunden. Zum anderen ist der Begriff „Makrokriminalität“ – wie Jäger ihn definierte – lediglich ein „Sammelbegriff für höchst unterschiedliche Erscheinungsformen kollektiven [. . .] Unrechts“ mit „Hinweisfunktion“127, was Präzisierungsbemühungen erheblich erschwert. Die Unklarheiten beginnen mit der Auslegung der Wortbedeutung, weil die Bezeichnung des Präfixes „Makro“ mehrdeutig interpretierbar ist. Es kann sich entweder auf den Täterkreis, auf das Ausmaß der Gefahren- und Schadensituation, oder auf beides beziehen.
118 Rotsch, NStZ 1998, 491 (494); Naucke, Die Strafjuristische Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität, 25. Wenigstens ein Teilkapitel zum Thema der Makrokriminalität widmete jedoch in seinem Lehrbuch zur Kriminologie jüngst Kunz, Kriminologie, 394 ff. 119 Jäger, Makrokriminalität; ders., Verbrechen unter totalitärer Herrschaft; ders., Menschheitsverbrechen und die Grenzen des Kriminalitätskonzepts; ders. in: Hankel/ Stuby, Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen, 259 ff. 120 Möller, Völkerstrafrecht und Internationaler Strafgerichtshof, 227 ff. 121 Burkhardt, Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 109 ff. 122 Vest, Genozid durch organisatorische Machtapparate. 123 Braum, Europäische Strafgesetzlichkeit, 115 ff. 124 Neubacher, NJW 2006, 966 ff. 125 Arendt; On Violence; dies., Origins of Totalitarism; dies., Eichmann in Jerusalem: A Report of the Banality of Evil; dies., The Human Condition. 126 Kelman/Hamilton, Crimes of Obedience. 127 Jäger, Makrokriminalität, 7 und 9 „Trotz seiner [gemeint ist der Begriff der Makrokriminalität] definitorischen Unschärfe scheint mir dieser Begriff immerhin die Qualität zu haben, die Aufmerksamkeit auf eine wichtige Besonderheit zu lenken, die sämtlichen Varianten kollektiver Gewalt bei all ihrer sonstigen Verschiedenheit gemeinsam ist und sie von anderen Erscheinungsformen der Kriminalität unterscheidet.“ Die Vielzahl der möglichen Verhaltensweisen erschließt sich durch einen Blick in die Völkerstrafrechtsgeschichte. Makrokriminelle Verbrechen können etwa sein: die Vorbereitung eines Angriffskrieges, Völkermord, die verschiedensten Einzelbegehungen im Rahmen eines Verbrechen gegen die Menschlichkeit; kurz: die (meisten) Tatbestände des Völkerstrafrechts. Ob „Terrorismus“ als Makrokriminelles Verbrechen zu werten ist, ist umstritten, siehe Jäger, Makrokriminalität, 12 f. und 85 ff.
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
aa) Jägers Interpretation des Präfixes „Makro“ Jäger reduzierte das Präfix „Makro“ auf die Quantität des Täterkreises. Nach seiner Ansicht ist das Konzept der Makrokriminalität auf die Zusammenhänge kollektiver menschlicher Interaktion ausgerichtet; punktuelle Ereignisse oder isolierte Taten sollen daher nicht „makrokriminell“ sein. Es sei die „Abhängigkeit der individuellen Handlung von den Geschehnissen der Makroebene, die einen Qualitätsumschwung bewirkt, der den eigentlichen Unterschied zu anderen Straftaten ausmache128. Der angesprochene menschliche „kollektive Interaktionsprozess“ entsteht nach Jäger durch gruppendynamische Interaktion. In diesem Sinne versteht er auch den Einfluss von Autoritäten. Bei der Ausübung von Makrokriminalität sind diese nicht Ursprung der Makrokriminalität, sondern (nur) Teil eines gruppendynamischen Interaktionsprozesses129. Nichtsdestotrotz hat die Autorität in erheblichem Maße Anteil an der Kriminalitätsentwicklung, da sie aufgrund des Subordinationsverhältnisses zwischen Staat und Bürger in der Lage ist, den Interaktionsprozess mit dem Ziel zu leiten und zu manipulieren, das Kollektiv für seine Vorstellungen und Vorhaben einzunehmen130. Wie etwa das Milgam Experiment131 zeigte, sind eine Vielzahl von Menschen nicht fähig, diesem auf sie einwirkenden Autoritätsdruck Stand zu halten. Folglich kommt es zu einem – wie Krone es betitelte – „Vollzug des Negativurteils“132 gegenüber den Mitglie128 Burkhardt, Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 110 ff. Jägers Theorie zusammenfassend; zum Merkmal des „Qualitätsumschwungs“ Jäger, Makrokriminalität: Studien zur Kriminologie kollektiver Gewalt, 12; ders. in: Hankel/ Stuby, Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen, 325 (327). 129 Jäger, KritV 1993, 259 (263); so auch Arendt, konkret 1991, 34 (39). 130 Jäger, Verbrechen unter totalitärer Herrschaft, 373 „Indoktrination [. . .] ist eine mögliche Erklärung dafür, daß kriegsethische Vorstellungen offenbar relativ mühelos auf außermillitärische und außerkriegerische Situationen übertragen werden konnten. Bereits am ersten Kriegstag, berichtet Höß, wurden dem [Konzentrations-]Lagerpersonal Reden gehalten, in denen es z. B. hieß ,daß nun die harten Gesetze des Krieges ihr Recht verlangten‘. Auch später wurden die Funktionäre in dem Lager dazu angehalten, ,kriegsmäßig denken‘ zu lernen. Selbst unmittelbar vor seiner Hinrichtung berief sich Eichmann noch auf die ,Gesetze des Krieges‘, denen er gehorcht habe. Die Fähigkeit, Begriffe auszuweiten und Tatsachen umzudeuten, ging oft erstaunlich weit. Sie konnte zu Rationalisierungen führen, die zu der offen zutage liegenden Wirklichkeit in krassem Widerspruch standen; so etwa, wenn die Verbrechen in den Vernichtungslagern zur soldatischen Pflichterfüllung umgemünzt und Vorstellungen, die an der Front Berechtigung gehabt haben mögen, auf die Situation in den Lagern transportiert wurden. Im Auschwitz-Prozess erwähnte ein Angeklagter zum Beispiel den Ausspruch Himmlers: ,Auschwitz ist Frontdienst‘. Auch der Rampendienst wurde gelegentlich als ,Frontdienst‘ bezeichnet.“ Zur Verbindung zwischen Aufstiegs- bzw. Beförderungsaussichten und Gehorsam, ibid., 68 ff. 131 Milgram, Das Milgram Experiment, 22; zu etwaigen Unzulänglichkeiten des Verfahrensablaufs und daher nur eingeschränkten Verwendbarkeit der Versuchsergebnisse, Kelman/Hamilton, Crimes of Obedience, 207. 132 Krone, Die Volksverhetzung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 66 ff.
B. Der Gesamtangriff
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dern der betreffenden Bevölkerungsgruppen; sie werden zu den Opfern der makrokriminellen Handlungen. Laut Jäger wird das Täterverhalten durch tat-vorausgehende negative Denkmuster, sowie durch tat-nachträgliche Rechtfertigungs- und Immunisierungsversuche gesteuert (sog. „Neutralisierungstechniken133); etwa die Vorstellung, dass der Täter als ausführendes Organ lediglich ein kleines Rad im Gesamt(unrechts)gefüge, und daher in seiner Verantwortlichkeit beschränkt sei. Auch Faktoren individueller Sozialisation spielen eine tragende Rolle (insbesondere Gewöhnung und Routine). Makrokriminalität entsteht nach Jäger folglich durch ein systemkonformes und situationsangepasstes Verhalten innerhalb eines Organisationsgefüges, Machtapparates oder sonstiger kollektiver Organisationsform134. Charakteristisch seien insoweit zwei Besonderheiten, die makrokriminelles Verhalten gegenüber der Gewöhnlichkeitskriminalität abhebt: „1. die mit ihnen verbundenen kollektiven Veränderungen moralischer Wertorientierung, die zur Schwächung oder sogar völligen Suspendierung sonst wirksamer Normvorstellungen, Kulturverbote, Hemmungen und Schuldmechanismen führen, sowie 2. die besondere Bedeutung situativer Einflüsse, externer Handlungsbedingungen und gruppendynamischer Anpassungszwänge, die Einzelne zu Handlungen veranlassen, zu denen sie aus eigenem Antrieb niemals fähig wären.“135
Die spezifische Besonderheit, das prägende Merkmal der Makrokriminalität sei folglich nicht die überdurchschnittliche Schadensdimension an sich. Wie Möller herausgearbeitet hat, bezieht sich „das Makroelement der Makrokriminalität nach Jäger [. . .] ausdrücklich nicht auf die Außerordentlichkeit des verursachten Schadens, sondern allein auf die Größenordnung der Täterkollektive und deren Einbindung in den umkleidenden politischen Gesamtrahmen, der Bedingung für die Begehung der konkreten Einzeltaten ist.“ Vorschläge zur Erweiterung des Makrokriminalitätsbegriffs auf das exklusive Merkmal der Schadensdimension lehnt Jäger ab136.
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Jäger, Makrokriminalität, 190. Jäger, Makrokriminalität, 12; ders. in: Hankel/Stuby, Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen, 327; in diese Richtung auch Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 145 „systemkonforme und situationsangepasste kriminelle Verhaltensweisen innerhalb eines Organisationsgefüges, Machtapparates oder sonstigen kollektiven Aktionszusammenhangs. Es geht dabei im Wesentlichen um Kriminalität unter Beteiligung des Staates“. 135 Jäger, Verbrechen unter totalitärer Herrschaft, 381. 136 Jäger in: Hankel/Stuby, Makroverbrechen als Gegenstand des Völkerstrafrechts, 325 (327); ihm folgend Möller, Völkerstrafrecht und Internationaler Strafgerichtshof, 241. 134
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
bb) Der Begriff „Kriminalität“ Kriminalitätsdefinitionen der Kriminaljustiz und der Gesellschaft sind stets Ergebnisse eines Bestimmungsvorgangs, der unter konkreten historischen und sozialen Bedingungen abläuft137. „Kriminalität“ bezeichnet insofern nicht ein existentes Verhalten an sich, sondern gibt dem Verhalten einen hinweisend bewertenden Eindruck. Erst das Sinn gebende Begreifen macht das Verhalten zum kriminellen138. Anders als die Begriffe „Straftat“ und „Verbrechen“ wird der Begriff der „Kriminalität“ nicht zur Kennzeichnung von individuellem, sondern von strafnormverletzendem Verhalten verwendet, welches eine gesellschaftliche Massenerscheinung beschreibt139. Die Einordnung des Verhaltens als „kriminell“ ist durch drei Komponenten gezeichnet. Die juristische Kriminalitätsdefinition gibt an, welche Instanzen der Kriminalitätskontrolle die Vergabe der förmlichen Bezeichnung als Kriminalität vornehmen und wie diese Instanzen ihre Aufgabe tatsächlich wahrnehmen. Die informelle gesellschaftliche Kriminalitätsdefinition legt fest, wie Gesellschaftsmitglieder ihre Vorstellungen über Kriminalität bilden. Die KategorisierungsKomponente schließlich bestimmt Regeln, nach denen die möglichen Anwendungen der ersten beiden Komponenten phänomenologisch in Subkategorien (Gewalt-, Sexual-, Umweltkriminalität) eingeteilt werden können140. Für die Klärung der Frage, was ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausmachen soll, bringt die Auslegung des Begriffs „Kriminalität“ indes kaum Erkenntnisgewinne. Hingewiesen sei jedoch auf die zugegebenermaßen diskussionswürdige These von Naucke, das Verüben von Makroverbrechen sei auch insbesondere deswegen in höherem Maße kriminell, weil deren Begehung – dies soll wohl der Tatsache geschuldet sein, dass in bisherigen Verfahren vornehmlich die „Schreibtischtäter“ und „Befehlsgeber“ als hauptverantwortliche Hintermänner abgeurteilt wurden – in besonders „feiger Weise“ stattfände141. Gegen einen solchen Ansatz spricht zum einen, dass dieser zutiefst subjektivierte Begriff nur unter großen Anstrengungen konkretisierbar ist. Zum anderen erscheint es problematisch, die Definitionsbestimmung eines Verbrechensphänomens an eine konkrete Begehungspraktik zu koppeln, zumal aus der Gerichtspraxis des ICTY und ICTR hervorgeht, dass nicht nur „feige“ Hintermänner, 137
Kunz, Kriminologie, 10. Ibid., 8. 139 Meier, Kriminologie, 5, Rn. 12. 140 Kunz, Kriminologie, 9. 141 Naucke, Die Strafjuristische Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität, 21 f. „Die staatsverstärkte Kriminalität ist eine feige Art der Kriminalität. „Feigheit“ ist bisher kein dogmatischer Fachausdruck. Im Zusammenhang der staatsverstärkten Kriminalität dürfte er es aber ruhig werden. Die Nutzung staatlicher Macht, um eine Straftat begehen zu können, ist im Prinzip eine feige Begehungsweise; und an ihrer Feigheit kann man die staatsverstärkte Kriminalität genau erkennen.“ 138
B. Der Gesamtangriff
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sondern auch unmittelbar ausführende Täter wegen der Begehung von makrokriminellen Handlungen zur Verantwortung gezogen wurden. b) Menschheitsverbrechen und Makrokriminalität als pervertierte Weiterführung einer (de facto) staatlichen Politik? – Der kriminologische Ursprung des „Politik-Elements“ Erkennt man an, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit Handlungen darstellen, die durch den Einflusses von staatlicher Autorität ein makrokriminelles Ausmaß erreichen142, liegt es nicht fernab zu erwägen, dass „unmenschliche“ Handlungen nur durch Staats-, oder Organisationsträger begangen werden können, welche de facto Kontrolle über den Tatort besitzen. Verbrechen gegen die Menschlichkeit wären so verstanden nicht lediglich Kriminalitätsverbrechen, die ein quantitativ schockierendes Ausmaß erreichen; sie wären politische Verbrechen bzw. Verbrechen der Politik143. aa) Staatsgerichtete Erklärungsansätze für Verbrechen gegen die Menschlichkeit In der Fachliteratur existieren zahlreiche Erklärungsansätze zur Verbindung zwischen Staatsmacht und der Entstehung von Makrokriminalität. Nach der (hier so betitelten) „3 Etappen Theorie“ von Aroneanu144, vorgestellt in seiner 1946 erschienenen Schrift „Le Crime contre l’humanité“145 konstituiert sich Makrokriminalität durch 1. die Aufhebung des Rechts zum Nachteil bestimmter Einzelpersonen; 2. durch die Inbeschlagnahme der öffentlichen Gewalt zum Zwecke der Verübung der Verbrechen146, und 3. durch eine „staatlich organi142 So explizit Naucke, Strafrecht, 53 Rn. 207, der das makrokriminelle Ausmaß bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit von der rechtswidrigen Gewalt der Staatsorganisation abhängig macht. Naucke zieht es insofern vor, in diesem Fall nicht von „Makrokriminalität“, sondern „staatsverstärkter Kriminalität“ zu sprechen; vgl. dazu id. und ders., Die Strafjuristische Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität, 19, Fn. 11 „Im Unterschied zum Begriff der Makrokriminalität erlaubt es der Begriff der staatsverstärkten Kriminalität, die verzweifelte Freiheitssituation des Opfers der Makrokriminalität stärker zu betonen.“ 143 Luban, 29 Yale JInt’l L (2004), 85 (117); Vernon, 10 J.Pol.Phil. (2002), 231 (242); in diese Richtung für den Tatbestand des Völkermordes auch Schafer, Introduction to Criminology, 141 „The crime wherein convictional or political aspects appear to merge with collective lawbreaking is genocide.“ 144 Dautricourt, 40 JCrim.L&Crim’gy (1949), 170 (174) „The jurist who, in Europe, has most contributed to the study of crime against humanity is Mr. Eugene Aroneanu.“ 145 Siehe Aroneau, Das Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 31 ff. „Die verbrecherische Kraft“. 146 In diese Richtung auch Jäger, Makrokriminalität, 27 „Eine erhebliche Bedeutung [für die Makrokriminalität] dürfte der ungehinderten Interessendurchsetzung in
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
sierte Hinrichtung“, welche sich durch die Gleichschaltung der Presse und der Massen konstituiert147. Daraus folgerte Aroneanu: „Der Staat ganz allein [. . .] war in der Lage, dank der Einführung des Führerprinzips, das er selbst in höchster Vollendung verkörperte, den Henkersknechten die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit eine verhältnismäßig sehr beschränkte Zahl von Übeltätern es fertig bringe, Millionen von Menschen zu vernichten.“148
Jäger und Kelman/Hamilton betonen zwar im Detail andere Besonderheiten der Makrokriminalitätsentstehung, etwa die Existenz von Neutralisierungstechniken149, stimmen aber im Grundsatz mit Aroneanu überein. Auch neuere Untersuchungen, etwa von Möller und Neubacher scheinen sich der staatsgerichteten Orientierung Jägers anzuschließen150, und konkretisieren ihn durch die Begriffe des „Machtmissbrauchs“151 und dem Machtmonopol, sowie dem Subordinationsverhältnis der Staatsapparatur gegenüber dem Bürger152. Ob darin umfassende Erklärungsversuche für die Entstehung von Makrokriminalität gesehen werden können, soll hier nicht geklärt werden und ist nicht Zielsetzung des Exkurses.
gegen Sanktionierung immunisierten Machtpositionen und Freiräumen zukommen, d.h. der völligen Ausschaltung generalpräventiv wirkender Kontrollmechanismen bei den meisten staatlichen Verbrechen.“ 147 Dieses Element betont auch Jäger, Makrokriminalität, 27 f. „Eine besonders wichtige – vielleicht sogar die wichtigste – Bedingung der Makrokriminalität scheint mir in der kollektiven Veränderung moralischer Wertorientierungen und in Neutralitätsmechanismen zu bestehen, die zur Schwächung oder sogar völligen Suspendierung sonst wirksamer Normvorstellungen, Kulturverbote, Hemmungen und Gewissensreaktionen führen.“ 148 Aroneanu, Das Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 35. 149 Jäger, Makrokriminalität, 190; Sykes/Matza, Techniken der Neutralisation (z. B. Berufung auf höhere Institutionen, Routinisierung); siehe auch Kelman/Hamilton, Crimes of Obedience, 15 ff. 150 Möller, Völkerstrafrecht und internationaler Strafgerichtshof, 241. 151 Der unmittelbare Bezug zwischen politisierter Makrokriminalität und Machtmissbrauch ergebe sich dadurch, „dass sich die Bildung des typisch makrokriminellen Täterkollektives innerhalb der Staaten und Herrschaftssysteme vollzieht bzw. [. . .] von diesen überhaupt erst initiiert, verstärkt oder zumindest toleriert wird. Insoweit besteht die Makrokriminalität zu einem nicht geringen Teil aus Verbrechen von Staatsorganen und Vertretern von Herrschaftssystemen, die das Resultat des Missbrauchs ihrer jeweiligen Macht darstellen“ (Ibid., 243). Die Gefährlichkeit des Machtmissbrauchs liege in der sich aus dem Subordinationsverhältnis ergebenden staatlichen „Allmächtigkeit“. Diese sei nicht nur wegen der willkürlichen Eingriffsmöglichkeit auf das konkrete Opfer besonders gefährlich, sondern „vor allem durch ihren entweder latenten oder gezielten Einfluss auf die Entstehung des spezifisch-makrokriminellen Klimas, das für die Entfesselung kollektiver Gewalt ausschlaggebend ist.“ (Ibid., 263.) 152 Neubacher, NJW 2006, 966 ff.; ders., Kriminologische Grundlagen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, 240 ff.
B. Der Gesamtangriff
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bb) Weiterführende Überlegungen Interessant ist jedoch, dass die von Aroneanu begründete und von Jäger, Kelman/Hamilton, Möller und Neubacher weiterentwickelten Ansätze in grundsätzlicher Hinsicht nicht adversativ sind. Zwar ist zuzugestehen, dass sich durch die Betonung divergierender Aspekte des makrokriminellen Kontextes Unterschiede aufzeigen lassen. Entscheidend ist aber, dass obige Begründungsansätze für makrokriminelles Verhaltens scheinbar sine qua non eine hierarchieabhängige (de facto) Staatsapparatur voraussetzen. Aus historischer Sicht mag man dem kaum widersprechen. Bei bisherig begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit war regelmäßig das Ausmaß der hierarchischen Organisation eine entscheidende Ausprägung für die Entfaltung des mega-quantitativen Opferschadens. Beispielhaft können etwa die Massendeportationen während des Dritten Reiches, geführt und koordiniert durch eine präzis – strukturierte Organisationshierarchie, die Ausrottung eines Viertels der kambodschanischen Bevölkerung durch das Pol Pot Regime, oder der 1994 in Ruanda begangene Völkermord, vornehmlich geleitet durch die MRND, angeführt werden. In Fällen, bei denen exklusiv mit Hilfe eines Hierarchieaufbaus eine makrokriminelle verbrecherische Kraft errichtet werden kann, ist eine Reduzierung auf eine subordinationäre Organisationsstruktur auch stimmig. Fraglich ist aber, ob eine solche Beschränkung des makrokriminellen Verständnisses in jedem Fall nachvollziehbar erscheint. Die Problematik ergibt sich insbesondere daraus, dass staatsgerichtete Ansätze auf klassisch hierarchieabhängige Situationen fixiert sind und von einem Tatbestandsverständnis ausgehen, das auf einem „Verbrechen der Masse“153 aufbaut. Neuerdings sind allerdings Konstellationen denkbar, bei denen die Entfaltung des makrokriminellen Ausmaßes gerade nicht durch eine mit Hilfe einer hierarchischen Struktur organisierten, und durch eine „Menschenmasse“ ausgeführten Tathandlung, bzw. Tathandlungen abhängig sein muss. Denn, begründet durch den wissenschaftlichen Fortschritt, kann in gleichrangiger Weise – und zwar weitgehend unabhängig von der hierarchischen Organisationsstruktur – eine hinreichende verbrecherische Kraft durch den Vernichtungsgrad einer Waffe (Atombombe) oder einer Waffe in Verbindung mit einem Ziel (Steuerung eines Flugzeugs in ein AKW oder ein Hochhaus) erreicht werden. Solche Handlungen können mitunter zu tausenden oder hunderttausenden von Opfern führen und damit ein vergleichbares Ausmaß an Makrokriminalität erreichen, obwohl sie nur von einer kleinen Gruppe, oder auch nur von einem Individuum im Rahmen eines singulären Gesamtaktes begangen werden154. 153 Kipourdidy, Das Verbrechen der Masse 1, stellt klar, dass sich der Begriff „Masse“ unstrittig auf die Anzahl der Menschen bezieht. 154 Vgl. de Guzman, 22 HRQ (2000), 335 (340) „If crimes against humanity were limited, for example, to situations involving state action, the effect would be to tear
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
Die mögliche makrokriminelle Begehung eines stark individualisierten und mitunter autonomen Gesamttäterkreises ist auch deshalb vorstellbar, weil für die Sammlung von Informationen nunmehr das Internet als dezentrales und hierarchieunabhängiges System bereitsteht, welches öffentlich und jedermann zugänglich ist. Zentrale Aspekte der Planungsphase – wie etwa das Ausspähen von Zielen oder das Organisieren oder Erstellen von Waffen (vornehmlich Bomben) – sind nicht mehr von der Effektivität des Informationsflusses innerhalb einer (staatlichen oder militärischen) Hierarchiekette zwingend abhängig. Die nur schwer beschränkbare Nutzungsmöglichkeit des Internets hat hier zu einer Entkopplung zwischen Hierarchieerfordernis und makrokriminellem Ausmaß geführt. Durch den Bau von AKW Anlagen, die latent ein Gefahrenpotential beinhalten, eine schwerwiegende Verseuchung der Umwelt, der Gesundheit und des Lebens der vom radioaktiven Strahlungsradius umfassten Lebewesen herbeizuführen, sowie dem Bau vernetzter, städtischer Trinkwasserleitungen, ist es zudem nicht mehr bedingungsnotwendig erforderlich, eine im Vergleich zu früher entsprechende Finanzkraft oder Hierarchiestruktur entwickeln zu müssen, um ein analoges schwerwiegendes Ausmaß an verbrecherischer Kraft zu erreichen. Man kann daher bezweifeln, ob das Festhalten an der Vorstellung noch zeitgemäß ist, nur eine Masse von Menschen könne Tathandlungen von makrokriminellem Ausmaß hervorrufen155. Grundlage der Überlegungen muss sein, dass – wie schon Jäger selbst feststellte – die Organisationsstruktur nur Hilfsmittel für die systematische und quantitative Ausprägung der Makrokriminalität sein darf, und nicht etwa deren Ursache ist. Zuzugeben ist zwar, dass die beschriebenen Fälle nicht formal in das klassische makrokriminelle Begriffsverständnis passen. Mikrokriminelle und makrokriminelle Ebenen sind nicht, wie sonst üblich, auf einander aufbauend. Stattdessen fallen mikrokriminelle Einzelhandlung und makrokrimineller Gesamtkontext durch ein und dieselbe Tatbegehung zusammen, weshalb man derartige Situationen als „ad hoc Makrokriminalität“ umschreiben kann. Anders ist auch, dass in derartigen Fällen der Täter primär nicht nur wegen seiner überschießenden subjektiv kriminellen mens rea einen
the prohibition of widespread atrocities committed by individuals from the moral fabric of the international community“. (Eigene Hervorhebung.) Siehe auch Amnesty International, AI Index: EUR 41/004/2004, Spain: Scale of Killings is a potential Crime against Humanity [in Bezug auf die Zuganschläge von Madrid]; anders aber Luban, YJInt’l L (2004), 85 (98) „A solidary individual who disseminates a deadly disease with intent to destroy, in whole or in part, a national group is guilty of genocide, even if he acted entirely on his own – but he will not be guilty of the crime against humanity of extermination.“ Nach Luban wäre der Abba Kovner Vorfall, bei dem ein Überlebender des Holocausts versuchte, die Wasserverteilung der Stadt Hamburg zu vergiften, um 6 Millionen Deutsche zu töten und sich dadurch am Holocaust zu rächen, nicht als (versuchtes) Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu werten. 155 So schon Krone, Die Volksverhetzung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 67; Dahm, Völkerrecht, III (1961), 301.
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Beitrag zum Gesamtangriff leistet, sondern gleichfalls wegen des objektiven Ausmaßes des Gesamtangriffs bestraft wird156. Gleichwohl ist daraus aber nicht ableitbar, derartige Taten seien nicht als makrokriminelle Handlungen im Sinne eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit darstellbar. Die Annahme etwa, dass ein mit 9/11 vergleichbares Szenario nicht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit identifizierbar sei, weil die Tat nicht durch Al Quaida, sondern von einer autonomen Terrorzelle geplant und durchgeführt wurde, ist zu formalistisch und leugnet durch ein Zurückziehen auf ein nicht mehr zeitgemäßes Makrokriminalitätsverständnis die eigentliche ratio des Gesamttatbestandes157. Nicht ohne Grund scheinen die internationalen Tribunale daher schrittweise das Erfordernis einer staatlichen Politik im Rahmen des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit abgemildert zu haben. Wie bei der dogmatischen Analyse des Gesamtkontextes ausgeführt wurde, ist nach ICTY und ICTR Verständnis eine (de facto) staatlich organisierte Politik zwar ein schwerwiegendes Indiz für die Begehung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit, jedoch nicht in jedem Fall konstitutiv158. Aus der Erweiterung des hier vertretenen makrokriminellen Verständnisses folgt allerdings nicht, dass allein durch eine überdimensionale Schadensdimension „Makrokriminalität“ entstehen könnte. Stellte man lediglich auf die Schadensdimension ab, würde man die erforderliche Zurechnungskomponente zwischen dem Ausmaß des makrokriminellen Verhaltens und dem Ausmaß des makrokriminellen Schadens negieren. Als Konsequenz würden unkoordinierte „Verbrechenswellen“ als Makrokriminalität gälten. Dass das im Sinne der völkerstrafrechtlichen Dogmatik (und der kriminologischen Bestimmung) nicht richtig sein kann, ist im Wege der rechtsdogmatischen Analyse zum Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit herausgearbeitet worden. Zwar ist nunmehr allgemeine Ansicht, dass für die Verwirklichung des chapeau Tatbestandes die alleinige Ausgedehntheit eines Gesamtangriffes ausreichend sein kann, weshalb nicht notwendigerweise eine systematische Begehung des Gesamtangriffs nachzuweisen ist159. Allerdings muss – unabhängig von der Zer156 Zur Frage eines objektiven nexus zwischen Einzelhandlung und Gesamthandlung siehe oben Kapitel 4 D. 157 Heinz, Aus Politik und Zeitgeschichte, B3-4 (2004), 32 betitelt Handlungen des internationalen Terrorismus ausdrücklich als „Makrokriminalität“; siehe auch Prosecutor v. Kupreskic´, IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 555 „While crimes against humanity are normally perpetrated by State organs, i. e. individuals acting in an official capacity such as military commanders, servicemen, etc., there may be cases where the authors of such crimes are individuals having neither official status nor acting on behalf of a governmental authority.“ 158 Siehe unten Kapitel 5 C.III.2. 159 Dazu unten Kapitel 5 C.I. und II.
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
strittenheit über das Politik-Element – der makrokriminelle Gesamtkontext („attack“) in jedem Fall „collectively with considerable seriousness“ entstanden sein160. Daraus folgt, dass bedingungsnotwendig ein kausales Steuerungselement zwischen Handlung und Schaden konstitutiv ist. Regelmäßig wird sich das freilich durch eine staatlich gesteuerte Machtapparatur beschreiben lassen, weshalb auch Art. 7 des ICC Statuts im Rahmen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit die Ausführung des Gesamtangriffs durch den Staat oder durch eine Organisation geradewegs vorschreibt. Werden jedoch die oben beschriebenen Fallkonstellationen – die Steuerung eines Flugzeugs in ein AKW, die Vergiftung der städtischen Wasserversorgung, oder der eigenmächtige Atombombenabwurf eines ultra vires handelnden Staatsbeamten161 – einbezogen, so sind Fälle denkbar, bei denen die Steuerungsmechanik einer Staatshierarchie zur wiederholten Tatbegehung entbehrlich ist, weil sie durch die Schadensdimension einer Waffe und der dezentralen Informationsbeschaffungsmöglichkeit ersetzt ist. Oder anders formuliert: Nicht die quantitative Komponente der Steuerung macht den Schaden aus, sondern das Mittel, welches den Schaden herbeiführt. Freilich ist in jedem Fall zumindest ein Steuerungselement in Form eines planvoll gesteuerten Vorgehens (z. B. durch einen Einzeltäter oder durch eine Gruppe) erforderlich. Andernfalls wäre der Schaden vornehmlich kein Verbrechen, sondern ein vorsatzloser, unkoordinierter „Unfall“. c) Zusammenfassung Im Ergebnis gilt daher: Makrokriminalität ist auf der einen Seite mehr als nur „reine Gewalt“162 oder unkontrollierter überdimensionaler Schaden. Erforderlich ist in jedem Fall ein personelles, oder personell gesteuertes Steuerungselement, das als kausale Verbindung zwischen makrokrimineller Handlung und makrokriminellen Schaden fungiert. Auf der anderen Seite ist dieses Element zwar regelmäßig, allerdings nicht bedingungsnotwendig durch eine hierarchisch struktu-
160 Robinson in: Lee, The International Criminal Court: Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 61 (63), der als weitere Authoritäten den Draft Code v. 1996, den Report of the Commission of Experts Established Pursuant to Security Council Resolution 780 (1992), S/1994/674 (1994), sowie Barbie, Finta und Polyukhovich anführt. 161 Die strafrechtliche Zurechnung von ultra vires Handlungen eines Staatsbeamten auf Leitpersonen des Staates ist hoch umstritten. Zur Frage, ob man etwa die Staatsführung nicht nur für koordinierte, sondern auch unkoordinierte, z. B. eigenmächtige Handlungen seiner Untergebenen verantwortlich machen kann – wie etwa im Weller Fall geschehen –, siehe Kapitel 4 D. 162 So auch Möller, Völkerstrafrecht und Internationaler Strafgerichtshof, 258 f.; dagegen aber die im Traktat über Gewalt, 178, 187 f. geäußerten Feststellungen von Sofky.
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rierte Machtapparatur konstituiert. Letzteres gilt insbesondere in Fällen der hier benannten ad hoc Makrokriminalität. Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind daher weder auf staatlich-politisierte Handlungen beschränkt, noch bedingungsnotwendig Ausprägungen einer „pervertierten Staatspolitik“. (Exkurs Ende) Bejaht man dem ungeachtet das exklusive Erfordernis einer gesteuerten Politik, ist schließlich fraglich, welche tauglichen Begehungsformen in Betracht kommen. Einen Hinweis gibt die Fußnote 6 der ICC Elements of Crimes163: „A policy which has the civilian population as the object of the attack would be implemented by State or organizational action. Such a policy may, in certain exceptional circumstances, be implemented by a deliberate failure to take action, which is consciously aimed at encouraging such attack. The existence of such a policy cannot be inferred solely from the absence of governmental or organizational action.“
Ausgehend von obiger Konkretisierung ist die Ausübung einer Politik nicht auf „aktive“ Handlungsformen beschränkt, sondern kann im Einzelfall auch „durch Unterlassen“ verwirklicht werden. Allerdings impliziert im Gegenschluss ein reines Unterlassen nicht, dass eine geforderte Politik betrieben wurde. Schließlich sei erwähnt, dass für den Nachweis der Politik nicht notwendig ist, dass diese „hegemonial“ sein müsste, oder auf „Diskriminierungen“ beruht164. Durch die während der Verhandlungen zum ICC Statut vorgenommene Formulierungsänderung von „policy to commit such acts“ in „policy to commit such an attack“ wurde zudem klargestellt, dass sich die Politik nicht auf spezifische Handlungen beziehen muss, sondern etwa die Politik einer „ethnischen Säuberung“ ausreichend ist. 5. Konjunktive oder disjunktive Anwendung von „widespread“ und „systematic“? Obwohl nunmehr allgemeine Ansicht ist, dass „widepread“ und „systematic“ disjunktiv anzuwenden sind, ist die Stellung beider Tatbestandsmerkmale bis dato nicht völlig geklärt. Ungeachtet der allgemeinen Problematik existierte beim ICTR Statut additiv das Problem, dass die englische Version von der französischen und der arabischen Version abwich. Während der englische Wortlaut
163 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(a), Fn. 6; s. a. Hwang, 22 FInt’l LJ (1998), 457 (467) mit Berufung auf den ILC Draft Code v. 1996. 164 Siehe oben Kapitel 2 G.III. Beachte aber das in Art. 3 ICTR Statut im chapeau kodifizierte Diskriminierungserfordernis, welches jedoch als reine Jurisdiktionsbegrenzung aufzufassen ist.
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
des Statuts lediglich die disjunktive Anwendung beider Tatbestandsmerkmale forderte, verlangte die französische und arabische Version eine konjunktive Verwendung165. Die Frage ist sowohl auf völkergewohnheitsrechtlicher Ebene, als auch für die spezifische Auslegung des ICTR Statuts gerichtlich zu Gunsten der alternativen Anwendung beider Merkmale entschieden worden166. Hingewiesen sei jedoch auf die Tatsache, dass aufgrund des Verhandlungsprozesses zu Art. 7 des ICC Statuts, sowie der darauf folgenden Implementierung der getroffenen Regelung sich das Problem noch nicht vollends erledigt hat. So hat man sich nach langen Verhandlungen zu Art. 7 einerseits dazu durchringen können, von einem konjunktiven Anwendungserfordernis abzusehen. Um jedoch zu gewährleisten, dass gewöhnliche Verbrechenswellen oder isolierte Einzelverbrechen nicht vom Tatbestand umfasst sind, wurde vorgeschlagen, im Rahmen des Tatbestandmerkmals des Angriffs eine mehrfache Be165 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998) Abs. 579 „With regard to the nature of this attack, the Chamber notes that Article 3 of the English version of the Statute reads „[. . .] as part of a widespread or systematic attack. [. . .] whilst the French version of the Statute reads „[. . .] dans le cadre d’une attaque généralisée et systématique [. . .]“ The French version requires that the attack be both of widespread and systematic nature, whilst the English version requires that the attack be of a widespread or systematic nature and need not be both. The Chamber notes that customary international law requires that the attack be either of a widespread or systematic nature need not be both. The English version of the Statute conforms with customary international law and the Chamber therefore accepts the elements set forth in Article 3 of the English version of the Statute and follows the interpretation in other ICTR judgements namely: „that the ,attack‘ under Article 3 of the Statute, must be either of a widespread or systematic nature and need not be both“; s. a. Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 869. 166 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 646 ff.; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 93; Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 248; Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-T (15. März 2002), Abs. 55; Prosecutor v. Kristic´, IT-98-33-T (2. August 2001), Abs. 480; Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 178; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 202; Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., IT-9516-T (14. Januar 2000), Abs. 544; Prosecutor v. Jelisˇic´, IT-95-10-T (14. Dezember 1999), Abs. 53; Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998) Abs. 579; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 67 f.; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13 (27. Januar 2000), Abs. 202 f.; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 77; Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana, ICTR-96-10 und ICTR-96-17-T (21. Februar 203), Abs. 804; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), 328; Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 439; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44-T (1. Dezember 2003), Abs. 864, 870; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 663; Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki und Imanishimwe, ICTR-99-46-T (25. Februar 2004), Abs. 698; Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-T (17. Juni 2001), Abs. 299; Prosecutor v. Ndindabahizi, ICTR-2001-71-I (15. Juli 2004), Abs. 477; Prosecutor v. Simba, ICTR-01-76-T (13. Dezember 2005), Abs. 421; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 43; Chesterman, 10 Duke JComp. Int’l L (1999), 307, 313 „it is now well settled as a matter of customary international law that the two elements are alternatives.“
C. Gerichtet gegen jegliche Zivilbevölkerung
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gehung von Tathandlungen zu fordern. Praktisch bedeutet das, dass neben einem konjunktiven Test zwischen „widespread“ und „systematic“, welcher hohe Voraussetzungen vorsieht, additiv ein de facto disjunktiver Test Anwendung findet, der jedoch weniger hohe Voraussetzungen fordert („Bevölkerung“ und „Politik-Element“). Infolgedessen bestand das ICTR lange Zeit weiterhin darauf, dass die Sichtweise der disjunktiven Anwendung der Elemente „widespread“ und „systematic“ nicht völlig den Stand des Völkergewohnheitsrechts darstelle167. Die in Art. 7 des ICC Statuts gefundene Lösung lässt sich zudem in der Rechtsprechung des ICTY wiederfinden. So wurde in Kupresˇkic´ festgestellt, das neben einem ausgedehnten oder systematischen Angriff zusätzlich die zu bewertende Situation ein bestimmtes Ausmaß, und eine bestimmte Schwere erreichen muss168. Für die Anklagebehörde ändert sich aus praktischer Sicht wenig. Sie wird in jedem Fall versuchen, sowohl die Ausgedehntheit als auch die Systematik des Angriffs darzulegen, um vorteilhafte prozesstaktische Synergieeffekte zu erreichen. Denn das ICTR stellte in Gacumbitsi fest: „Although Article 3 of the Statute does not require evidence of a widespread and systematic attack against a civilian population, the Chamber deems it appropriate in this case to make findings in that regard, so as to better reflect the circumstances and context of the attack.“169
C. „Gerichtet gegen jegliche Zivilbevölkerung“ Nach allgemeiner Auffassung muss der Gesamtangriff gegen jegliche Zivilbevölkerung gerichtet sein („directed against any civilian population“). Umso unverständlicher ist, warum sich die UN in ihrer amtlichen Übersetzung nicht die Mühe machte, jedes einzelne Tatbestandsmerkmal in die deutsche Version des Art. 7 Abs. 1 ICC Statut explizit zu übertragen. In concreto ergeben sich zwei nicht unerhebliche Abweichungen zur englischen Formulierung.
167 Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13 (27. Januar 2000), Abs. 202 f. „conforms more closely with international law“ (eigene Hervorhebung); Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 328 „The Chamber observes that this jurisprudence (Anm. gemeint ist die Rechtsprechung des ICTR) does not fully articulate the basis of such custom“ (eigene Hervorhebung). Neuerdings jedoch die Trial Chamber II in Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 869 „in line with customary international law“; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 43, Fn. 60 „In practice of both the ICTR and the ICTY, the English version has been accepted as being consonant with customary international law“ (mit Verweis auf Kunarac Appeal). 168 Prosecutor v. Kupres ˇkic´, IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 543; s. a. Akhavan, 94 A.Soc’y Int’l L Proc.(2000), 279 (280). 169 Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-T (17. Juni 2004), Abs. 305.
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
Zum einen wurde die Passage „attack directed against“ bei der Übersetzung des Art. 7(1) ICC Statuts mit „im Rahmen eines [. . .] Angriffs“ übersetzt. Auch die Konkretisierung des Begriffs „Angriff“ in Art. 7(2)(a) ICC Statut, der eine „Verhaltensweise darstellt, die mit der [. . .] Begehung der in Abs. 1 genannten Handlungen gegen die Zivilbevölkerung verbunden ist“, trifft es nicht so ganz. Offensichtlich ist die deutsche Übersetzung in ihrem Anwendungsbereich sehr viel weiter gefasst ist als der englische Originaltext. Geht man vom deutschen Wortlaut aus, wäre es entgegen der englischen Fassung nicht erforderlich, dass der Angriff gegen die Zivilbevölkerung (ziel)gerichtet („directed“) sein muss. Eine Handlung „im Rahmen des Gesamtangriffs“ würde ausreichen. Die Konsequenz wäre, dass unter Zugrundelegung der deutschen Übersetzung – in generalis – auch zivile Kollateralschäden ein taugliches Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen könnten, was die herrschende Meinung ablehnt170. Das VStGB hat „directed against“ mit der in Art. 7(2)(a) ICC Statut enthaltenen Konkretisierung „gegen eine Zivilbevölkerung“ übersetzt. Wünschenswert wäre gewesen, die Zielgerichtetheit gegen die Zivilbevölkerung bei der Kodifizierung stärker zu betonen und „directed against“ mit „gerichtet gegen“ zu übersetzen, zumal das Tatbestandsmerkmal „directed“ Gegenstand von umfassenden Diskussionen bei der Verabschiedung des ICC Statuts gewesen war171. Zum anderen verwirrt die deutsche Übersetzung bei dem in Art. 7(2)(a) ICC Statut enthaltenen Terminus „any population“ in unnötiger Weise. Die englische Version spricht konsequent sowohl in Art. 7(1), als auch in Art. 7(2)(a) ICC Statut von „any population“. In der deutschen Version hingegen findet sich in Abs. 1 der Begriff des Angriffs „gegen die Zivilbevölkerung“; in Abs. 2 wird Angriff hingegen definiert als „eine Verhaltensweise [. . .] gegen eine Zivilbevölkerung“. Warum das Tatbestandsmerkmal „any“ nicht stringent übersetzt wurde, bleibt offen. Glücklicherweise ist in Art. 7 Abs. 1 VStGB der konkretere Begriff „eine Zivilbevölkerung“ aufgenommen worden, so dass eine stärkere Annäherung an die englische Fassung stattgefunden hat. Doch auch diese Übersetzung ist nicht 100%ig geglückt. Besser wäre es gewesen „any civilian population“ mit „irgendeine Zivilbevölkerung“ oder „jegliche Zivilbevölkerung“ zu übersetzen. Die Aufnahme des Begriffs „any“ – also „irgendeine“ – und nicht nur „a“ – also „eine“ – hat auch hier eine tiefere Bedeutung172. Um Unstimmigkeiten zu vermeiden, soll im Folgenden von der englischen Fassung ausgegangen werden. Jeder Bestandteil der Formulierung „directed against any civilian population“ nimmt eine selbständige Funktion wahr und erlaubt daher keine oberflächliche Übersetzung. 170 171 172
Siehe unten unter C.I. Dazu unten unter C.I. Dazu unten unter C.II.
C. Gerichtet gegen jegliche Zivilbevölkerung
259
I. Gerichtet gegen („directed against“) Ausgehend von der englischen Fassung des Art. 7 Abs. 1 ICC Statut ist ein Teil des chapeaus des Verbrechens gegen die Menschlichkeit definiert als „any of the following acts, when committed as part of a[n] [. . .] attack directed against any civilian population.“
Aus dem Wortlaut geht nicht eindeutig hervor, worauf sich das „directed against“ beziehen soll. In Betracht kommt einerseits die Auslegung „any of the following acts [. . .] directed against any civilian population“ als auch die Variante „attack directed against any civilian population“. Die Zielgerichtetheit kann sich daher entweder auf das Tatbestandsmerkmal der Bevölkerung, oder auf das Tatbestandsmerkmal des Angriffs beziehen. Schließlich wird in der Fachliteratur teilweise die Ansicht vertreten, dass die Zielgerichtetheit nicht aus dem Terminus „directed“, sondern aus dem Politik-Element abzuleiten ist173. Dieser Ansatz ist aber abzulehnen, weil Art. 7 ICC Statut explizit zwischen den Begriffen „directed“ und „policy“ unterscheidet. Die Trennung beider Begriffe ist rechtshistorisch belegbar174. Der Wortlaut des Art. 5 ICTY Statut scheint aufgrund des Wortzusatzes „crimes when committed [. . .], and directed“ für die erste Auslegungsvariante zu sprechen175. Da Art. 3 des ICTR Statuts obigen Zusatz nicht enthält, ließe sich a contrario argumentieren, das sich im Sinne des ICTR Statuts der Gesamtangriff – und nicht die täterspezifische Handlung – gegen die Bevölkerung richten soll176. Im Wege der Rechtsprechung der internationalen Straftribunale wurde indes entschieden, dass der Gesamtangriff gegen die Zivilbevölkerung gerichtet sein muss177. Folglich ist es der ausgedehnte oder systematische Kontext des Angriffs, der sich gegen die Zivilbevölkerung richtet. Das macht insoweit Sinn, als 173
Robinson, 93 AJIL (1999), 43 (48). Public Prosecutor v. Menten, 75 ILR 362 (362 f.) „the concept of crimes against humanity also requires [. . .] that the crimes in question form part of a system based on terror or constitute a link in a consciously pursued policy directed against particular groups of peoples.“ (Eigene Hervorhebung.) 175 Art. 5 ICTY Statut „The International Tribunal shall have the power to prosecute persons responsible for the following crimes when committed in armed conflict, whether international or internal in character, and directed against any civilian population.“ (Eigene Hervorhebung.) 176 Art. 3 ICTR Statut „The International Tribunal for Rwanda shall have the power to prosecute persons responsible for the following crimes when committed as part of a widespread or systematic attack against any civilian population on national, political, ethnic, racial, or religious grounds.“ 177 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 248; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 421 f. „The expression ,directed against‘ specifies that in the context of a crime against humanity the civilian population is the primary object of the attack.“ 174
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
gerade ein Gesamtangriff dadurch, dass er eine nicht unerhebliche Anzahl von Opfern innerhalb der Bevölkerung hervorruft, seine makrokriminelle Dimension erreicht. „Gerichtet“ bedeutet in diesem Sinne, dass der Gesamtangriff kausal gegen die Zivilbevölkerung herbeigeführt werden muss178. Die Zivilbevölkerung darf nicht nur „zufälliges“ Opfer des Gesamtangriffs sein179. Im Gegensatz zum humanitären Völkerrecht, wo der Angriff eo ipso eine Rechtsverletzung darstellen kann, ist der Angriff im Rahmen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit damit nur ein Werkzeug für die Begehung des Verbrechens. Oder anders formuliert: Der Gesamtangriff selbst ist (noch) kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aufgrund der unterschiedlichen Definition des „Angriffs“ im humanitären Völkerrecht einerseits, und beim Verbrechen gegen die Menschlichkeit andererseits, ergibt sich, dass die Verletzung von humanitärem Völkerrecht nicht notwendigerweise die Begehung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit mit sich bringt. Gleiches gilt vice versa180. Konsequenz ist, dass eine (humanitär-) völkerrechtlich illegale Militäroperation, selbst wenn sie große zivile Kollateralschäden hervorruft, nicht automatisch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist181. Vielmehr muss nachgewiesen werden, dass die Operation gerade darauf abzielte, die Zivilbevölkerung zu schädigen. Abzustellen ist dabei auf das Primärziel der Operation. Diese Frage ist unter anderem mit Hilfe des Umstandes zu entscheiden, ob der „restliche“ militärische Angriff an sich rechtmäßig gewesen ist. Gleichwohl hat das Kriterium nur Hinweisfunktion. Eine ethnische Säuberung gegen jegliche Zivilbevölkerung etwa kann unter keinen Umständen gerechtfertigt werden, auch nicht dadurch, dass die übrige Militäroperation rechtmäßig war. Schließlich muss Berücksichtigung finden, dass sich die Zivilbevölkerung unter keinen Umständen als ein legitimes militärisches Ziel darstellen kann182.
178 Chesterman, 10 Duke JComp.&Int’lL (1999), 307 (319) „,Instigated or directed‘ implies some form of causal link.“ (Hervorhebung im Original.) 179 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2001), Abs. 91; Prosecutor v. Naletilic´ und Martinovic´, IT-98-34-T (31. März 2003), Abs. 235; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 421; Badar, 5 San Diego Int’l LJ (2004), 73 (100). 180 So auch Mettraux, International Crimes and the Ad Hoc Tribunals, 159, abweichend Schwelb, 23 BYIL (1946), 178 (190); Zimmermann, 58 ZaöRV (1998), 47 (56). 181 Dinstein, The Conduct of Hostilities under the Law of International Armed Conflict, 116 ff.; Oeter in: Fleck, Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, 89 ff. 182 Prosecutor v. Kupres ˇkic´ et al., IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 521; ICJ „Advisory Opinion in Response to the United Nations General Assembly Request concerning Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons“, ICJ Reports 1996, 226, Abs. 78.
C. Gerichtet gegen jegliche Zivilbevölkerung
261
Für die Bestimmung der „Gerichtetheit“ hat die ICTY Trial Chamber in Kunarac folgende (nicht abschließende) Indizien formuliert: „the means and method used in the course of the attack, the status of the victims, their number, the discriminatory nature of the attack, the nature of the crimes committed in its course, the resistance to the assailants at the time and the extent to which the attacking force may be said to have complied or attempted to comply with the precautionary requirements of the laws of war. To the extent that the alleged crimes against humanity were committed in the course of an armed conflict, the laws of war provide a benchmark against which the Chamber may assess the nature of the attack and the legality of the acts committed in its midst.“183
Legt man obige Indizien zu Grunde, kann insofern bei der Bestimmung der Gerichtetheit des Angriffs im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes in Grenzfällen oder Grauzonen das humanitäre Völkerrecht Indizwirkung für die „legale Angreifbarkeit“ des Zieles haben. Konkretisierend können, soweit vorhanden, die für den jeweiligen Einsatz geltenden Verhaltensbestimmungen („rules of engagement“) herangezogen werden, sofern diese rechtmäßiges Völkerrecht kodifizieren. Die Tatsache, dass Zivilisten beim Kampfgeschehen anwesend sind und verletzt oder getötet werden, macht eine Angriffshandlung nicht per se illegal184. Zivile Opfer sind bei fast jeder militärischen (Groß-)Operation unvermeidbar. Sie sind allerdings nur bis zu einem solchen Maß akzeptabel, solange die Zahl der Zivilopfer nicht in unverhältnismäßiger Weise den erwarteten militärischen Vorteil übersteigt185. Eine Grenze muss dort gezogen werden, wo der Schaden an der Zivilbevölkerung nicht mehr „geringfügig“ ist, sondern sich als Primärschaden gegen jegliche Zivilbevölkerung darstellt. Nicht unproblematisch sind auch Konstellationen, in denen die gegnerische Seite „menschliche Schutzschilde“ verwendet, um dadurch militärtaktische und propagandistische Vorteile zu erlangen. In Kriegszeiten kann direkt das humanitäre Völkerrecht als Gradmesser herangezogen werden. In „Nicht Kriegszeiten“ können die Bestimmungen zumindest analoge Anwendung finden. Sofern die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt, ist daher nicht ausgeschlossen, dass auch hier zumindest ein „unbeabsichtigtes“ Töten von Zivilisten nicht dazu führt, dass der Angriff gegen die Zivilbevölkerung pe se unrechtmäßig und damit gegen sie gerichtet war. Im Ausnahmefall könnte als ultima ratio sogar das ge183
Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 91. Vgl. Zusatzprotokoll I, Art. 57, 58. 185 Dinstein, The Conduct of Hostilities under the Law of International Armed Conflict, 116 ff.; Oeter in: Fleck, Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, 89 ff.; Conduct of the Persian Gulf War – Final Report to Congress, Pursuant to Title V of the Persian Gulf Conflict Supplemental Authorization and Personnel Benefits Act of 1991 (Public Law 102-25), April 1992, Appendix O, The Role of the Law of War, 696 f. 184
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
zielte Töten von Zivilisten rechtmäßig sein, wenn allein dadurch die vom Angriffsziel ausgehende (tödliche) Gefahr im Wege des Notwehrrechts beseitigt werden muss und sich die Zivilisten durch Warnschüsse nicht „vertreiben“ lassen (wollen). Letztendlich ist jedoch die Frage sehr einzelfallabhängig. Nach Kupresˇkic´ sei letztlich auf den „Anspruch an Menschlichkeit“186 abzustellen.
II. Jegliche („any“) Der Begriff „any“ hat sich in den Statuten der Straftribunale und in der Rechtsprechung etabliert und ist völkergewohnheitsrechtlich anerkannt. Das Tatbestandsmerkmal „any“ stellt klar, dass sich der Gesamtangriff gegen jegliche Zivilbevölkerung richten kann; Nationalität, Abstammung oder jeglicher anderer Unterscheidungsfaktor ist irrelevant187. Der Angriff kann daher sowohl gegen Staatenlose188, als auch gegen die eigene Bevölkerung geführt werden189. Gerade letztere Konstellation – konkret die Vernichtung der Juden durch die Nazis während des Dritten Reiches – hat entscheidend zur Entstehung des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit beigetragen. Aufgrund der Formulierung „any“ ist auch unerheblich, auf welche Konfliktseite sich die Bevölkerung geschlagen hat190.
III. „Zivilbevölkerung“ Dass Zivilisten als unschuldige Teilnehmer innerhalb des Konfliktsgeschehens besonders geschützt werden müssen, ist völkergewohnheitsrechtlich anerkannt. Die Militärpraktik, am Kriegsgeschehen Unbeteiligte, Unschuldige und Schwache (Verletzte oder Gefangene) gezielt zum Zwecke der Kriegsführung zu töten, 186 Prosecutor v. Kupresˇkic ´ et al., IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 526 „It may happen that single attacks on military objectives causing incidental damage to civilians, although they may raise doubts as to their lawfulness, nevertheless do not appear on their face to fall foul per se of the loose prescriptions of Articles 57 and 58 (von Zusatzprotokoll I) (or of the corresponding customary rules). However, in case of repeated attacks, all or most of them falling within the grey area between indisputable legality and unlawfulness, it might be warranted to conclude that the cumulative effect of such acts entails that they may not be in keeping with international law. Indeed, this pattern of military conduct may turn out to jeopardise excessively the lives and assets of civilians, contrary to the demands of humanity.“ 187 Report of the International Law Commission to the General Assembly, II YBInt’l Comm’n (1950), 377 Abs. 124. 188 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 635. 189 Prosecutor v. Vasiljevic ´, IT-98-32-T (29. November 2002), Abs. 33; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 423; Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 635; Hwang, 22 FInt’l LJ (1998), 457 (463). 190 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 423.
C. Gerichtet gegen jegliche Zivilbevölkerung
263
um dadurch taktische Vorteile zu erringen, widerspricht einer gesunden Kriegsmoral und Gerechtigkeitsvorstellung und ist völkerrechtswidrig191. Das gilt selbst dann, wenn Teile der Zivilbevölkerung Repressalien – wie etwa Selbstmordattentate – gegen die Besatzungsmacht verüben. Auch in diesem Fall bleibt ein Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung z. B. in Form von Vergeltungsexekutionen illegal192. Während des Verhandlungsprozesses zum Rom Statut wurde das Problem erörtert, ob nur Zivilisten als taugliche Opfergruppe für den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Betracht kommen. Aus machen Fachberichten zu den Verhandlungen des Statuts geht hervor, dass eine Begrenzung auf Zivilisten anzuraten sei, da sonst die Gefahr bestünde, dass reguläre und unvermeidliche Kampfhandlungen zwischen Kombattanten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit deklariert werden könnten193. Verbrechen gegen Mitglieder der Armee oder gegen rivalisierende bewaffnete Gruppen innerhalb eines Staates werden aber als Kriegsverbrechen abgeurteilt194. Insgesamt war die Diskussion zu dem Begriff „Zivilbevölkerung“ jedoch sehr begrenzt195. Die internationalen Straftribunale haben sich weit eingehender mit dem Problem beschäftigt. Hinter den eigentlichen Schwierigkeiten, auf die im Folgenden eingegangen werden soll, stehen klassische Definitionsprobleme. Für bewaffnete Konflikte sind in Art. 3 der Genfer Konvention und den ZP I und II Konkretisierungen vorgenommen worden. Allerdings kann der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit auch zu Friedenszeiten und in relativen Friedenszeiten begangen werden, sodass zum einen fraglich ist, ob die Definitionen, die für den bewaffneten Konflikt entwickelt wurden, unproblematisch übernommen werden können. Zum anderen besteht die Schwierigkeit, dass sich die Konkretisierungen zum Begriff „zivil“ (insbesondere im Rahmen des ZP I und ZP II) mitunter zu widersprechen scheinen. 191
Art. 33 Abs. 3 IV Genfer Konvention und Art. 51 Abs. 6 ZP I. Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-A (28. Mai 2008), Abs. 247; Oberster Kassationsgerichtshof (Corte di Cassazione) im Fall Priebke, Corriere della Sera v. 8.3.1998 S. 5; „Pour résumer les caractéristiques générales des représailles comme notion juridique de droit international [. . .] entendu, toute violation volontaire d’un droit ou d’un intérêt juridique d’un État auteur d’une infraction internationale par l’État victime, cette réaction à l’atteinte subie, prouvée comme telle, doit néanmoins demeurer proportionnée au dommage subi mais aussi ne doit jamais violer les exigences fondamentales et élémentaires d’humanité et de conscience publique (eigene Hervorhebung); Kämmerer, 37 AVR (1999), 283 (316); siehe aber U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 19. Februar 1948 [List], Trials of War Criminals, Bd. 8, S. 34 ff.; U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 10. April 1948 (Ohlendorf – Einsatzgruppen Fall), Trials of War Criminals, Bd. 4, 411 ff. 193 Robinson, 93 AJIL (1999), 43 (51, Fn. 50). 194 De Guzman, 22 HRQ (2000), 335 (361). 195 Hwang, 22 FInt’lLJ (1998), 457 (496). 192
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
1. Unterscheidung „Zivilist – Kombattant“ Die zivile Bevölkerung muss das Primärziel des Gesamtangriffs sein196. Dabei ist „Zivilbevölkerung“ definiert als „Personen, die in keinster Weise aktiv an den Feindseeligkeiten teilnehmen“197. Die Definitionsbestimmung ist damit gleichbedeutend mit der Kategorie „Zivilist“, die unter Artikel 3 der Genfer Konventionen geschützt ist198. Folglich liegt es auf der Hand, zunächst die Regeln des humanitären Völkerrechts bei der Bestimmung des Zivilistenstatuts zu bemühen. Im Sinne des humanitären Völkerrechts bezeichnet der Begriff des „Kombattanten“ als Gegenbegriff zum „Zivilist“ diejenigen Personen, die berechtigt sind, „unmittelbar an Feindseligkeiten teilzunehmen“. Der Kombattantenstatus setzt somit die Zugehörigkeit zu den Streitkräften voraus199. Zu den Kombattanten gehören aber nicht allein die Mitglieder der regulären Streitkräfte, sondern auch „Milizen“ und „Freiwillige Korps“. Entscheidend für die „Zugehörigkeit“ ist, dass sie unter einer verantwortlichen Führung stehen und dass der Konfliktpartei, der die Personen zugeordnet werden, durch einen entsprechenden (Rechts-)Akt die Befugnis zur Durchführung von Schädigungshandlungen erteilt wurde. Zudem müssen sie sich durch ein festes Abzeichen sowie durch das Tragen der Waffen als Kombattanten zu erkennen geben200. Aufgrund der erweiterten Reichweite des tatbestandlichen Anwendungsbereichs des Verbrechens gegen die Menschlichkeit – sowohl für Handlungen im 196 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 582; Prosecutor v. Kayishema und Ruzinada, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 127 f.; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), 72; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13 (27. Januar 2000), Abs. 207; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-96-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 79; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 330; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 91; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-A (29. Juli 2004), Abs. 110 ff.; Prosecutor v. Martic´, IT-9511-T (12. Juni 2007), Abs. 49. 197 „People, who are not taking any active part in the hostilities“ (eigene Hervorhebung). Vgl. Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), 582; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-93-3 (6. Dezember 1999), Abs. 72; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13 (27. Januar 2000), Abs. 207; Zusatzprotokoll der Genfer Konvention vom 12. August 1949, Art. 50. 198 Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-93-3 (6. Dezember 1999), Abs. 72, Fn. 18; siehe auch Case concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), ICJ Rep. 1986 (Entsch. v. 27.6.1986), 14 ff., 112; Corfu Channel Case (United Kingdom v. Albania) ICJ Rep. 1949 (Entscheidung v. 9.4.1949), 4 ff., 22 wonach sich die in Art. 3 der Genfer Konvention 1949 sowie Art. VIII Haager Abkommen von 1907 enthaltenen Prinzipien darstellen als „certain general and well recognized principles, namely: elementary considerations of humanity, even more exacting in peace than in war.“ (Eigene Hervorhebung.) 199 Ipsen in: Fleck, Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, 61. 200 Heintschel von Heinegg, Casebook Völkerrecht, Rn. 692.
C. Gerichtet gegen jegliche Zivilbevölkerung
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Krieg als auch im Frieden – kann sich die Bestimmung des Begriffs „Zivilist“ jedoch nicht allein auf die Regeln des humanitären Völkerrechts beschränken. Inter alia existieren in Friedenszeiten keine „Kombattanten“ im klassischen Sinn, sodass in derartigen Fällen eine direkte Anwendung der Regeln des humanitären Völkerrechts nicht greift. Die Tribunale haben den Begriff „zivil“ daher weit ausgelegt. Grundsätzlich gehe der zivile Charakter der Bevölkerung auf der einen Seite nicht dadurch verloren, dass sich unter den Zivilisten vereinzelte Kombattanten befänden201. Auf der anderen Seite könne eine Bevölkerung seinen Zivilistenstatus aber verlieren, wenn eine große Anzahl von Soldaten oder Kombattanten unter den Zivilisten anzutreffen sei202. Wann der Status umschlägt, ist vom jeweiligen Einzelfall abhängig; aussagekräftige Indizien sind die Anzahl der Kombattanten, sowie die Frage, ob sich diese im „Kampfeinsatz“ befinden oder von Kampfhandlungen freigestellt sind203. Entscheidungskriterium soll sein, ob die Bevölkerung „vorherrschend zivil“ ist204. Die Bestimmung des Zivilistenstatus wird dadurch erschwert, dass nach neuerer Rechtsprechung des ICTR und SCSL angenommen wird, Soldaten oder Kombattanten könnten innerhalb eines Gefechtes eine Statusänderung vollziehen205. So soll ein Kämpfer innerhalb eines Gefechtes dann ein Zivilist sein, wenn er sich in keinster Weise (mehr) am Gefecht beteiligt. Denkbar ist etwa, dass er die Waffen streckt oder durch Krankheit, Verletzung, Gefangenschaft oder jeglichem vergleichbaren Grund zu einer Person hor de combat wird. 201 Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 128; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 80; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 422. 202 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), 582; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-93-3 (6. Dezember 1999), Abs. 72; Prosecutor v. Musema, ICTR96-13 (27. Januar 2000), Abs. 207; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 873; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 667; Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-T (17. Juni 2004), Abs. 299; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 48. Zusatzprotokoll der Genfer Konvention vom 12. August 1949, Art. 50; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14A (29. Juli 2004), Abs. 115. 203 Ibid. 204 Vgl. Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), 582; Prosecutor v. Kayishema und Ruzinanda, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 128; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-93-3 (6. Dezember 1999), Abs. 72; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 79; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 330; Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 528. 205 Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-A (28. Mai 2008), Abs. 259; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 79; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 874, 876; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 668; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-0060-T (13. April 2006), Abs. 49; mit Bezug auf Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 214.
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
Auch die Tatsache, dass er zuvor Waffen getragen hat, soll daran nichts ändern206. Begründet wird die weite Auslegung mit dem Argument, für die Bestimmung des Zivilistenstatus seien zuvorderst Informationen über alle relevanten Umstände erheblich, die für die Interpretation des Begriffs „zivil“ eine zweckgerichtete Auslegung ermöglichen207. In Art. 50 ZP I findet sich zudem eine Regelung, wonach im Zweifelsfalle vom Zivilistenstatus auszugehen sei208. Das ICTY scheint demgegenüber zu vertreten, dass Personen hor de combat nicht als „Zivilisten“ deklarierbar sind209. 2. Begriff der „Zivilbevölkerung“ im bewaffneten Konflikt, nicht bewaffneten Konflikt und in Friedenszeiten Bei der Bestimmung des Begriffs „zivil“ im Falle des bewaffneten Konflikts ist auf die Regelungen des humanitären Völkerrechts direkt, und in Friedenszeiten zumindest analog zurückzugreifen210. Wie bereits angedeutet, ist die Reichweite beim Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit jedoch größer, sodass Ergänzungsregelungen getroffen werden müssen. Unterlässt man dies und wendet obige „Kriegsregeln“ unreflektiert an, sind seltsame Ergebnisse die Folge. Das zeigt sich bspw. bei der Frage, in wieweit staatliche Ausführungsorgane (z. B. die Polizei) Zivilisten sein können. a) Polizisten als Zivilisten? Das Problem, in wieweit Polizisten als „Zivilisten“ zu bewerten sind, ist eng verknüpft mit der Frage, welche Rolle der Polizei im Staatsaufbau zugewiesen ist. Staatsübergreifende Verallgemeinerungen sind hier insofern schwierig, als dass die Aufgabenbereiche der Polizei innerhalb der Staatengemeinschaft mit206 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 582; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 873; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 667; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 48; Prosecutor v. Muvunji, ICTR-2000-55A-T (12. September 2006), Abs. 513. 207 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 575. 208 Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-A (28. Mai 2008), Abs. 259, Art. 50 ZP I zitierend „In case of doubt whether that person is a civilian, that person shall be considered to be a civilian.“ 209 Prosecutor v. Blasˇkic ´, IT-95-14-A (29 Juli 2004), Abs. 113 f.; Prosecutor v. Galic´, IT-98-29-A (30. November 2006), Abs. 437; Prosecutor v. Martic´, IT-95-11-T (12. Juni 2007), Abs. 55 (auf Grundlage des in Art. 5 ICTY Statut enthaltenen chapeau Erfordernisses des bewaffneten Konflikts); scheinbar für eine Einbeziehung, aber dennoch Blasˇkic´ folgend Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-A (17. Dezember 2004), Abs. 421 f., 458; siehe weiter Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14A (28. Mai 2008), Abs. 259. 210 Prosecutor v. Tadic ´, IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 639; zustimmend Robinson, 93 AJIL (1999), 43 (51); Dinstein, 12 LJIL (2000).
C. Gerichtet gegen jegliche Zivilbevölkerung
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unter sehr unterschiedlich in den Kompetenzaufbau eingegliedert sind. Während etwa in Deutschland auch zu Kriegszeiten eine klare Trennung zwischen Polizeigewalt und Militärgewalt besteht211, ist in manchen Staaten die Polizei in Kriegszeiten Teil des Militärs. Bei der Verabschiedung des ZP I, das bei internationalen bewaffneten Konflikten greift, ist das Problem erkannt worden. Der Begriff „Polizeikräfte“ innerhalb der Definition der Streitkräfte wurde daher durch die Termini „paramilitärisch“ und „bewaffnetes Ausführungsorgan“ ersetzt. Als Konsequenz ergibt sich, dass nach ZP I die „Zivil“-Polizei (in Abgrenzung zur Militärpolizei) nicht Teil der Streitkräfte ist, und daher als „zivil“ gilt212. In diese Richtung tendiert auch die vom Generalsekretär einberufene Expertenkommission für das ehemalige Jugoslawien. Sie hat hervorgehoben, dass eine Person, die sich selbst oder die Gemeinschaft verteidigt – wie etwa ein Polizist oder eine örtliche Sicherheitsperson – in den persönlichen Schutzbereich des Verbrechens gegen die Menschlichkeit falle213. Auch sind Personen, die lediglich in Notwehr handelten, weiterhin Zivilisten214. Was letzteren Fall betrifft, sei nach Ansicht der Expertenkommission die Abgrenzung primär von der Frage abhängig zu machen, ob die Person in „improvisierter“ Notwehr (dann Zivilist), oder in tatsächlicher „militärischer“ Notwehr (dann Kombattant) gehandelt habe215. Die SCSL Appeals Chamber vertritt einen vergleichbaren Ansatz. Insbesondere Polizisten, die sich mangels Munition nicht verteidigen können, seien Zivilisten. Nehmen sie stattdessen aktiv – z. B. an der Seite von Rebellengrup211 Für die polizeilichen Aufgaben innerhalb des Militärs ist in Deutschland sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten die Militärpolizei (sog. „Feldjäger“) zuständig. 212 Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of Aug. 12, 1949, 702 f. „as regards police forces left behind in the locality, this can only refer to members of uniformed police units which form part of the armed forces of the State as laid down in paragraph 3 of Article 43 (Armed forces). In fact the civilian police force falls under the civilian population and therefore does not need to be evacuated when the locality is declared a non-defended locality.“ 213 Final Report of the Commission of Experts Established Pursuant to Security Council Resolution 780, U.N. Doc. S/1994/674 (1994); Annexes to the Final Report, U.N. Doc. S/1994/674/Add.2 para 75 (1994). 214 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-T (2. Oktober 1995), Abs. 636. 215 Final Report of the Commission of Experts Pursuant to Security Council Resolution 780, U.N. Doc. S/1994/674 (1994), Annex, para 78 der betont, dass die Tatsache, dass sich das Verbrechen gegen Menschlichkeit gegen zivile Ziele richtet „should not lead to any quick conclusions concerning people who at one particular time did bear arms. [. . .] A head of a family who [. . .] tries to protect his family gun-in-hand does not thereby lose his status as a civilian. Maybe the same is the case for the sole policeman or local defence guard doing the same, even if they joined hands to try to prevent the cataclysm [. . .] The distinction between improvised self-defence and actual military defence may be subtle, but none the less important. This is no less so when the legitimate authorities in the area – as part and parcel of an overall plan of destruction had previously been given an ultimatum to arm all the local defence guards.“ (Eigene Hervorhebung.)
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pen – an Kampfhandlungen teil, sind Polizisten nicht als Zivilisten deklarierbar216. Neben ZP I verwendet allerdings auch ZP II, welches bei nicht internationalen Konflikten Anwendung findet, den Begriff der Streitkräfte. Aus dem Kommentar zu den Zusatzprotokollen geht hervor, der Streitkräftebegriff sei dort „im weitesten Sinne“ zu verstehen. Daraus erwächst die Folgerung: „in fact this term was chosen in preference to others suggested such as, for example, ,regular armed forces‘, in order to cover all the armed forces, including those not included in the definition of the army in the national legislation of some countries (national guard, customs, police forces or any other similar forces).“217
Durch die weite Auslegung des „Streitkräftebegriffs“ sind mit Hinblick auf die Feststellungen des Kommentars demnach Polizisten Teil der Streitkräfte und danach gerade keine Zivilisten. In diese Richtung tendierte auch die ICTR Trial Chamber II in Kayishema und Ruzindana. Dort wurde für Zeiten des Friedens festgestellt, der Begriff „Zivilisten“ sei im Rahmen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit weit zu verstehen und „includes all persons except those who have the duty to maintain public order and have the legitimate means to exercise force. Non-civilians would include, for example, members of the FAR, the RPF, the police and the Gendarmerie Nationale.“218
Nach Ansicht des ICTR sind damit Personen, die mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut sind, zumindest dann, wenn sie innerhalb ihrer Befugnisse handeln, nicht Teil einer Zivilbevölkerung. Zusammenfassend lässt sich insoweit festhalten, dass sich die Ansichten der Expertenkommission, und die des ICTR in ihrer Einordnung explizit zu widersprechen scheinen. In der Fachliteratur hat man das Problem erkannt und hilft sich mit Auslegungsinterpretationen. Chesterman geht etwa davon aus, dass „Kayishema und Ruzindana should not be understood as a general statement of law. Rather, it merely reflects Trial Chamber II’s understanding of the particular situation in Kibuye Prefecture.“219
Weiter wird hervorgehoben, dass die unterschiedliche Regelung in ZP I und ZP II nicht unbedingt widersprüchlich sei. Denn die Erweiterung des Begriffs „Streitkräfte“ in ZP II resultiert aus dem Bestreben, die Anwendbarkeit des ZP II zu erweitern und daher der Zivilbevölkerung größeren Schutz zukommen zu 216 Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-A (28. Mai 2008), Abs. 261 und Abs. 283 „opened fire at the hospital because several policemen were patients there“.; siehe auch Abs. 251, wo deklariert ist, Art. 50 ZP I sei für die Abgrenzung ein „useful tool“. 217 Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of Aug. 12, 1949, 1352. 218 Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 127. 219 Chesterman, 10 Duke JComp.&Int’lL (1999), 307 (322).
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lassen220. Aus der Erweiterung des Begriffs „Streitkräfte“ kann danach eine Einschränkung des Schutzbereichs für Zivilisten nicht gefolgert werden. Ob man sich Chestermans Rechtfertigungsversuch anschließen kann, sei hier einmal dahingestellt. Wichtiger ist ohnehin die Frage, welche Konsequenzen sich aus den unterschiedlichen Definitionsbestimmungen ergeben sollen. Zum einen könnte man zu dem Schluss kommen, der Begriff „zivil“ sei jeweils von der vorgefundenen Konfliktart abhängig zu machen. Unter Hinblick auf die Schutzrichtung des Gesamttatbestandes könnte man für eine weite Auslegung plädieren und daher im Zweifel Polizisten unter den Schutzbereich des Tatbestandes fassen221. Teile in der Literatur heben indes hervor, dass es unangemessen wäre, eine Definition für Friedenszeiten anzuwenden, die vornehmlich für bewaffnete Konflikte geschaffen wurde, und bevorzugen daher die in ZP II vorgefundene Definition222. Schließlich könnte man vertreten, dass mit Hinblick auf die Rechtssicherheit und die Schutzrichtung des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit eine einheitliche Auslegung des Tatbestandsmerkmals für alle drei Konstellationen – (internationaler und nicht internationaler) bewaffneter Konflikt, relativer Frieden, und Frieden – geboten erscheint. Die Berufung auf die Regelungen des humanitären Völkerrechts zur Bestimmung des Begriffs „zivil“ wäre danach zwar Indiz, allerdings im Zweifel nicht exklusiv. Eine Loslösung von der Tatbestandsdefinierung nach humanitärem Völkerrecht würde zudem den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit stringenter machen, da es merkwürdig erscheint, einerseits einen nexus zum bewaffneten Konflikt abzulehnen, auf der anderen Seite aber Tatbestandsmerkmale durch Leitlinien des bewaffneten Konflikts definieren zu wollen. Es wird bei den Gerichten liegen, allgemeingültige Indizien für das Merkmal „zivil“ – und zwar losgelöst von den Bestimmungen des humanitären Völkerrechts – herauszuarbeiten. Das hätte auch den Vorteil, dass für das im Folgenden dargestellte Problem eine Lösung gefunden wäre. b) Aufhebung der Unterscheidung „Zivilisten – Kombattanten“? In Einzelfällen haben Gerichte nichtsdestotrotz auch dann eine Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angenommen, wenn die Opfer nicht Zivilisten, sondern aktive Kombattanten waren223. Auch in der Fachliteratur finden sich namhafte Stimmen, die eine Restriktion der Tatbegehung gegen 220
Chesterman, 10 Duke JComp.&Int’lL (1999), 307 (324). So im Ergebnis auch Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-A (28. Mai 2008), Abs. 261. 222 Chesterman, 10 Duke JComp.&Int’lL (1999), 307 (325). 223 OGHSt 1, 45 ff., 228 f.; 2, 231 ff. 221
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Zivilisten für überflüssig halten224. Zudem geht aus der Entstehungsgeschichte des Art. 5 Satz 2 des IMTFE Statuts – welcher den Zusatz „gegen jegliche Zivilbevölkerung“ nicht enthält – hervor, dass auch die Aburteilung von Kombattanten für begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit für möglich erachtet wurde225. Für die Einbeziehung von Kombattanten spricht schließlich, dass diese nicht unmenschlicher behandelt werden dürfen als Zivilisten und im Zweifel in den Genuss des strafrechtlichen Schutzes kommen müssen, wenn das humanitäre Völkerrecht nicht greift. Gegen eine Einbeziehung spricht indes, dass eine Auslegung contra legem (Zivilbevölkerung) stattfände, die im (Völker-)Strafrecht nur mit großem Unbehagen mit dem Grundsatz nullum crimen sine lege gebracht werden kann. Das vom Wortlaut her eindeutige Tatbestandsmerkmal „Zivil“ wäre dann überflüssig und hätte keinen eigenständigen Anwendungsbereich. Die Feststellung, dass Tatbestandsmerkmale (im Strafrecht) entbehrlich sind, ist aber zum Schutze des Beschuldigten nur dann vertretbar, wenn schwerwiegendste Gründe dargelegt werden. Schließlich sei erwähnt, dass bei den Verhandlungen in Rom explizit entschieden wurde, den Vorschlag, Kombattanten in das Regelungsregime des Verbrechens einzubeziehen, nicht aufrechtzuerhalten226. Die Auffassung, der Tatbestand wäre auch auf Kombattanten anwendbar, ist somit lediglich – freilich explizit vom Gedankengang und der Schutzrichtung des Tatbestandes her argumentiert, durchaus zustimmungswürdiges – lex ferenda. c) Terroristen als Zivilisten? Fraglich ist schließlich, ob auch ein ausgedehnter oder systematischer Angriff, gerichtet gegen Terroristen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen kann. Im Ergebnis hängt das von der Klärung des Problems ab, ob Terroristen als „Zivilisten“ im Sinne des Tatbestandes aufzufassen sind. Allgemeingültige „einfache“ Antworten lassen sich auch hier nicht finden. Das liegt schon in der Tatsache begründet, dass terroristische Aktivitäten vielfältig ausgestaltet sind und daher unklar ist, was man eigentlich unter „Terrorismus“ verstehen soll. Bis zum heutigen Tage gibt es keinen Straftatbestand, der „Terrorismus“ allumfassend definieren würde. Vielmehr existiert ein Flick-
224 Schwelb, 23 BYIL (1949) 178 (190 f.); Zimmermann, 58 ZaöRV (1998), 47 (56); Cassese in: Boisson de Chazournes/Gowlland-Debbas, Liber Amicorum Abis Saab, 429 (443); in diese Richtung vorsichtig auch Ambos in: Kirsch, Internationale Strafgerichtshöfe, 139 (175). 225 Dazu oben Kapitel 2 C.IV.1. 226 Boot, Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, 487.
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werk von multilateralen Verträgen, das lediglich Regelungen über spezifische terroristische Aktivitäten enthält227. Was das Zusammenspiel zwischen „Terrorismus“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ betrifft, wird angenommen, dass sich beide Tatbestände in ihrer Anwendbarkeit nicht generell ausschließen. Terroristische Aktivitäten können gleichzeitig Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein228. Mehrheitlich ist etwa anerkannt, dass Taten von Terroristen gegen Zivilisten – man denke etwa an den 11. September 2001 – Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen können229. Fraglich ist, ob auch vice versa eine systematische Staatspolitik gegen „Terroristen“, die darauf abzielt, deren gezieltes Auslöschen zu erwirken, den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfüllen kann. Die Internationalen Tribunale und nationalen Gerichte haben sich peripher mit der aufgeworfenen Frage beschäftigt, in wieweit Terroristen als „Zivilisten“
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Einen guten Überblick über die Entwicklung der Terrorismusdefinition gibt Saul, 4 Chinese JIL (2005), 144 ff.; siehe auch Bassiouni, 36 CWRes.JInt’l L (2004), 299 ff.; Gross, 67 AJIL (1973), 508 ff. 228 Report of the Secretary General on the establishment of a special tribunal for Lebanon v. 15. November 2006, Rn. 23 f.; UN. Doc. S/2006/893 (2006). 229 Die Angriffe auf das WTC am 11. September 2001 werden überwiegend als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit angesehen; siehe Proulx, 19 Am. U Int’l LRev. (2003), 1010 (1025 ff.); Frey, 7 UCLA JInt’l L&Foreign Affairs (2002), 169 (190); Boyle in: Benedek/Yotopoulos-Marangopoulos, Anti Terrorist Measures and Human Rights, 95 ff.; Rattner, 58 Guild Prac. (2001), 129 (134); Schorlemer, 14 EJIL (2003), 265 (272 ff.); Haug, 8 Democracy & Nature (2002), 301 (302); Cassese, 12 EJIL (2001), 993 (994) „The terrorist attack of 11 September has been defined as a crime against humanity by a prominent French jurist and former Minister of Justice, Robert Badinter, by the UN – Secretary General Kofi Annan, as well as by the UN High Commissioner of Human Rights, Mary Robinson. Distinguished international lawyers have taken the same view. Indeed, the atrocious action exhibits all of the hallmarks of crimes against humanity: the magnitude of extreme gravity of the attack as well as the fact that it targeted civilians is an affront to all humanity, and part of a widespread or systematic practice.“; Mallat, 34 CWJInt’l (2002), 245 (246) „[. . .] what happened on September 11 is not simply a plane hijacking turned tragic. Nor is it a replica of the 1985 killing of a handicapped civilian in a high jacked cruise liner, nor the painful death of a child, in front of the cameras, at the beginning of the Intifada. Nor even of the many cases of bombs planted in thoroughfares or indiscriminately lobbed at civilian areas by fighter jets. September 11 is different because of its context and its magnitude. By its sheer size, is wantonness, its ferocity, it callousness, its suddenness, the means used, the thousands of innocent civilians destroyed in minutes, September 11 qualifies as crimes against humanity.“; siehe schließlich UN Doc. A/56/PV.20 (2001), wo Staatsoberhäupter wiederholt darauf hinweisen, dass 9/11 die gesamte Menschheit schockiert hat. Hingewiesen sei allerdings darauf, dass im Rahmen von 9/11 der Angriff auf das Pentagon wohl nicht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen ist, da hier nicht die Zivilbevölkerung, sondern militärisches Personal angegriffen wurde. Zur Problematik inwieweit militärisches Personal vom Schutzgut des Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfasst sein könnte, a. a. O.
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im Sinne des Gesamttatbestandes aufzufassen sind. ICTR und ICTY gehen davon aus, dass „although according to the terms of Article 5 of the Statute of this Tribunal combatants in the traditional sense of the term cannot be victims of a crime against humanity, this does not apply to individuals who, at one particular point in time, carried out acts of resistance. As the Commission of Experts, established pursuant to Security Council Resolution 780, noted „it seems obvious that Article 5 applies first and foremost to civilians, meaning people who are not combatants. This, however, should not lead to any quick conclusions concerning people who at one particular point in time did bear arms. [. . .] Information of the overall circumstances is relevant for the interpretation of the provision in a spirit consistent with it’s purpose.“230
In Akayesu lässt sich zudem ein Verweis auf Barbie finden,231 wo der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit definiert ist als: „inhumane acts and persecution committed in a systematic manner in the name of a State practicing a policy of ideological supremacy, not only against persons by reason of their membership of a racial or religious community, but also against the opponents of that policy whatever the form of their opposition.“232
Die aufgezeigten Feststellungen könnten den Schluss zulassen, dass sich ein gegen Widerstandskämpfer – mithin auch Terroristen – gerichteter Angriff als Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen kann. Allerdings sei erwähnt, dass die vom ICTY und ICTR aufgeführten Autoritäten nicht unproblematisch sind. So hatte etwa die Commission of Experts, die vom ICTY zitiert wird, kein Mandat, sich mit rechtlichen Fragen zum Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu beschäftigen, sondern sollte lediglich „fact finding“ betreiben233. Und die aus der Barbie Entscheidung zitierte Stelle ist, wie bereits aufgezeigt wurde,234 auf Handlungen von Widerstandskämpfern gegen das NS 230 Prosecutor v. Mrksˇic ´ , Radic´ und Sˇljivancˇanin, IT-95-13-R61 (3. April 1996), Abs. 29; s. a. Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 575. 231 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 576. 232 Federation Nationale des Desportes et Internes Resistants et Patriotes et al. v. Klaus Barbie, Entscheidung v. 6. Oktober 1983, Cass. crim., 1984 D.S. Jur. 113 G.P. Nos. 352–54, 710 (18.–20. Dez.), 1983 J.C.P. II G, Nr. 20, 107, J.D.I. 779 (1983), in: 78 ILR (1988), 124 (128). 233 Hwang, 22 FInt’LJ (1998), 457, 488 „Clearly, the Security Council did not envision that the Commission would provide an authorative legal interpretation of the crimes identified in the ICTY Statute. This was also explicitly recognized by the Commission, which stated in its report that the ,Commission‘s mandate is to provide the Secretary-General with its conclusions on the evidence of such violations and not to provide an analysis of the legal issues. Despite the questionable authority of the Commission’s report, the ICTY in the Vukovar Hospital Rule 61 Decision and the Tadic Judgement relied heavily on the Commission’s Report to argue that the term ,any civilian population‘ does not apply strictly to non-combatants.“ (Hervorhebung im Original.) 234 Siehe oben, Kapitel 2 G.IV.
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Regime angewendet worden, und war zudem höchst nationalstaatlich politisiert. Besondere Berücksichtigung sollte allerdings finden, dass die SCSL Appeals Chamber nunmehr klar ausgesprochen hat, auch für Kollaborateure und „Widerstandskämpfer“ komme – ohne Einschränkung – der Zivilistenstatus in Betracht235. Der Schutzzweck des Gesamttatbestandes spricht in der Tat für die Einbeziehung236.
IV. „Zivilbevölkerung“ Durch das Tatbestandsmerkmal der „Bevölkerung“ soll sichergestellt werden, dass das Primärobjekt des Gesamtangriffs ein gewisses quantitatives Ausmaß erreicht hat. Es charakterisiert damit, wie auch das Merkmal der „Ausgedehntheit“, den makrokriminellen Maßstab des Verbrechens. Ein Angriff gegen isolierte Einzelpersonen ist damit kein Gesamtangriff im Sinne des Gesamtkontextes237. Dennoch haben beide Tatbestandsmerkmale leicht unterschiedliche Zielrichtungen. Der Schwerpunkt der „Ausgedehntheit“ ist unabhängig von jeglicher Relation zwischen den Opfern alleinig auf das quantitative Ausmaß gerichtet. Der Begriff der „Bevölkerung“ verlangt hingegen zwar nicht ein vergleichbares ausgedehntes quantitatives Ausmaß wie das Merkmal der Ausgedehntheit238, allerdings einen gewissen Zusammenhalt innerhalb der Opfergruppe239. 1. Bevölkerungszugehörigkeit Wie spezifisch zwischen „Bevölkerung“ und „Menschenansammlung“ differenziert werden soll, ist nicht vollständig geklärt. Als Konkretisierung bietet sich an, einschränkend eine Gerichtetheit gegen eine definierte Gruppe oder ein
235 Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-A (28. Mai 2008), Abs. 260 und Abs. 264, siehe auch Abs. 263 Fn. 503. 236 Vgl. auch Ambos in: Kirsch, Internationale Strafgerichtshöfe, 139 (175) „Lediglich eine solch weite Definition wird dem Schutzzweck der Verbrechen gegen die Menschlichkeit – strafrechtliche Absicherung der grundlegenden Rechte aller Menschen im Hinblick auf ausgedehnte und/oder systematische Verletzungen – gerecht.“ (Hervorhebung im Original.) 237 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-T, Decision on the Form of the Indictment (14. November 1995), Abs. 11; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 422; Dixon in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 7 Rn. 13; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, 239. 238 Robinson, 93 AJIL (1999), 43 (48). 239 Siehe ZP I Art. 50 Abs. 2 „Die Zivilbevölkerung umfasst alle Zivilpersonen“; allerdings verlangt der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit einen Angriff gegen die Zivilbevölkerung, und nicht lediglich einen Angriff gegen Zivilisten.
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Segment der Gesellschaft zu fordern. Das ICTY hat dieses Unterscheidungskriterium in Tadic´ als zulässig erachtet und formuliert dass „the ,population‘ element is intended to imply crimes of a collective nature and thus exclude single or isolated acts. [. . .] Thus the emphasis is not on the individual victim but rather on the collective, the individual being victimized not because of his individual attributes but rather because of this membership of a targeted civilian population.“240
Zuvorderste Frage ist mithin, der Konkretisierung folgend, ob die Opfer aufgrund ihrer Mitgliedschaft innerhalb der Populationsgruppe angegriffen wurden. Gefordert ist insoweit ein „Verbindungstest“, mit dem zu klären ist, ob die Opfer über gewisse „Ähnlichkeiten“ verfügen und deshalb wegen einer gewissen Mitgliedschaft in einer Gruppe angegriffen wurden241. Der zu erbringende Nachweis darf allerdings nicht hoch sein, da sonst quasi durch die Hintertür der aus völkergewohnheitsrechtlicher Sicht nicht erforderliche Nachweis eines diskriminierenden Grundes wieder eingeführt wäre242. Die Opfer der jeweiligen Einzelangriffe müssen somit nicht notwendigerweise geografische oder andere definierende Merkmale mit dem Teil der Zivilbevölkerung teilen, das primäres Ziel des Angriffs war; eine solche Zuordnung kann jedoch Indizwirkung enfalten243. 2. Gesamtzahl der Opfer Der Angriff gegen die betroffene Gruppe muss kein sehr großes Ausmaß annehmen, um als „Bevölkerung“ im Sinne des Tatbestandes zu gelten. Nach Ansicht der Tribunale verlange der Begriff der Bevölkerung nicht, dass der Gesamtangriff gegen die gesamte Bevölkerung eines geografischen Gebiets (bzw. Gebiete) verübt wurde244. Wie viele Opfer zur Erfüllung des Tatbestandes aus240 Prosecutor v. Tadic ´, IT-94-1-T (2. Oktober 1995) Abs. 638 (eigene Hervorhebung). 241 So Prosecutor v. Nikolic ´, IT-94-2-R61 (20. Oktober 1995) Abs. 26 „according to prevailing opinion [. . .] [crimes against humanity] must be directed at a civilian population, specifically identified as a group by the perpetrators for those acts“; Bassiouni/ Manikas, The Law of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, 548; Final Report of the Commission of Experts Pursuant to Security Council Resolution 780, U.N. Doc. S/1994/674 (1994), Abs. 72. 242 So ausdrücklich auch Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-A (28. Mai 2008), Abs. 263. 243 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 330; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 669; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 50 f. 244 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 423; Prosecutor v. Naletilic´ und Martinovic´, IT-98-34-T (31. März 2003), Abs. 235; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 330; Abs. 80; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 90; Prosecutor v. Kamuhanda,
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reichen, ist einzelfallabhängig245. Erforderlich ist aber in jedem Fall ein „larger body of victims“246. Konsequenz ist, dass die Anklagebehörde auch für Fälle, in denen sie sich ausschließlich auf das „systematic“ Element des Angriffs berufen möchte, zumindest gewisse Nachweise zum numerischen Ausmaß des Gesamtangriffs erbringen muss. Fraglich ist, ob im Umkehrschluss aus der Tatsache, dass ein „larger body of victims“ notwendig ist, gefolgert werden kann, dass das gezielte Töten von vereinzelten, aber äußerst einfußreichen zivilen Regierungsgegnern kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit konstituiert. Für eine Nicht-Einbeziehung spricht, dass von der Tatbegehung ausgehend, die erforderliche Anzahl von (unmittelbar betroffenen) Opfern regelmäßig nicht erreicht wird, um von einem Angriff gegen die Bevölkerung sprechen zu können. Auch scheint die von den Gerichten verwendete Formulierung „larger body of victims“ (Plural!) eindeutig zu sein. Für eine Bejahung des Tatbestandes in obigen Fällen sei jedoch zumindest auf die Überlegung verwiesen, dass bestimme Personengruppen – insbesondere Vertreter der drei Staatsgewalten – Repräsentativfunktionen für die Bevölkerung wahrnehmen. Diese Personengruppen handeln (zumindest in Demokratien) im Auftrag des Volkes, oder sind zumindest anderweitig deren Sprachrohr oder politischer Wegweiser. Wird gegen diese Personen ein Angriff verübt, begrenzt sich dieser nicht ausschließlich auf die Verletzung der jeweiligen Führungsperson als Privatpersonen, sondern zeichnet zumindest mittelbare Wirkungen für den Rest der Bevölkerung. Die Ausstrahlungswirkung eines solchen Angriffs kann für die Zivilbevölkerung mitunter erhebliche Konsequenzen entfalten (Einschüchterung, Einstellung politischer Aktivitäten, Verlust von Schutz etc.). Erinnert sei an das tödliche Attentat an Präsident Juvénal Habyarimana am 6. April 1994, welches wie ein Fanal wirkte und den Völkermord in Ruanda augenblicklich in Gang setzte. Es kann insoweit durchaus darüber nachgedacht werden, ob – wie auch Mettraux meint – die systematische Eliminierung von (einzelnen) Führungspersonen zugleich auch ein Angriff gegen die Bevölkerung darstellen könnte247. Der Angriff, so verstanden, wäre dann nicht nur ein Angriff gegen eine einzelne Person, sondern vielmehr zugleich auch ein Angriff ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 669; Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-0060-T (13. April 2006), Abs. 50. 245 Prosecutor v. Blasˇkic ´ , IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 207. Im 14. Kommentar zu Art. 20 Teil III des 1991 ILC Draft Codes wurde das Merkmal der „Bevölkerung“ definiert als „involving widespread or systematic violations aimed at the civilian population in whole or in part“. Daraus könnte geschlossen werden, dass die numerischen Festsetzungen zur Völkermord Konvention anwendbar sein sollen. In jedem Fall kann davon ausgegangen werden, dass bei der Erfüllung des „widespread“ Merkmals auch das numerische Ausmaß des Bevölkerungsmerkmals erfüllt ist. 246 UN War Crimes Commission, 193 „The word population appears to indicate that a larger body of victims is visualized, and that single or isolated acts against individuals may be considered to fall outside the scope of the concept.“ 247 Mettraux, International Crimes and the Ad Hoc Tribunals, 165 Fn. 52.
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
gegen eine die Bevölkerung vertretende „Institution“. Die Rechtsprechung hat diesem Ansatz allerdings explizit eine Absage erteilt248. Dagegen unstrittig sind Handlungen gegen „Oppositionelle“ als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu werten, die schon aufgrund ihres mengenmäßigen Umfangs eine Schwere erreichen, die vergleichbar ist mit aus Südamerika bekannten sog. „Dirty War“ Szenarien. Hier ist unabhängig von der Repräsentationsfunktion das erforderliche quantitative Ausmaß schon aufgrund der Anzahl der direkt betroffenen Opfer erreicht, sodass es auf die Ausstrahlungswirkung auf die Bevölkerung gar nicht ankommen muss249. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die Auswahl der Opfer augenscheinlich „willkürlich“ erfolgt250. 3. Geographische Reichweite des Angriffs Das notwendige Gebietsausmaß muss prinzipiell nicht sehr groß sein. Übergeordneter Faktor sollte die Opferzahl in Relation zur Gesamtbevölkerungszahl und nicht das Gebietsausmaß sein. Letzteres ist aber insoweit von Relevanz, als es Indizwirkung haben kann, ob die Taten „isoliert“ oder (zusammenhängend) gegen die Zivilbevölkerung begangen wurden. Nach Tadic´ kann bereits ein Durchmesser von 20 km ausreichend sein; in Kunarac wurden drei relativ kleine Gemeinden in Ost Bosnien als ausreichend erachtet; in Rutaganda waren es zwei Präfekturen; in Musema zwei Kommunen in der Kibuye Präfektur. Das Gebiet muss zudem nicht begriffsnotwendig „horizontal“ bemessen werden. Auch ein Angriff gegen einen Wolkenkratzer kann ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein, da die vertikale „Gebietsstruktur“ bei der Gesamtwürdigung mit einzubeziehen ist. Letztendlich ist die Erfüllung des Gebietsmerkmals davon abhängig, wo das Gericht die Gebietsgrenze zieht. Diese Entscheidung ist wiederum von den Ausführungen der Anklägervertreter in der Anklageschrift geprägt. Abschließend sei auf die Ausführungen in Nikolic´ verwiesen, wo das ICTY sechs Indikatoren herausgearbeitet hat, um zu bestimmen, ob ein Angriff gegen die Zivilbevölkerung vorliegt251. 248 Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-T (2. August 2007), Abs. 119; Prosecutor v. Limaj et al., IT-03-66-T (30. November 2005), Abs. 187. 249 In Argentinien wurden zwischen 1976 und 1983 mehr als 10.000 Menschen, davon viele „Oppositionelle“ von der Argentinischen Militärdiktatur ermordet, dazu Ocampo, 52 JInt’ Affairs (1999), 669 ff.; siehe auch das am 19. April 2005 von der Spanischen Audiencia Nacional ergangene Scilingo Urteil, in dem Adolpho Scilingo u. a. aufgrund seiner systematischen „Verschleppungspraktik“ wegen begangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer 640-jährigen Haftstrafe verurteilt wurde; dazu Gil, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 1082 ff.; Pinzauti, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 1092 ff.; Tomuschat, 3 JInt’l Crim. J. (2005), 1074 ff. Ein Abdruck des Urteils (in Spanisch) ist bei den Akten des Autors. 250 Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-A (28. Mai 2008), Abs. 263, Fn. 503 mit Berufung auf Amonacid-Arellano et al. IACHR, Urteil v. 26. September 2006.
D. Abschließende Bemerkungen
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D. Abschließende Bemerkungen I. Nexus zum bewaffneten Konflikt Um der Wahrung des Legalitätsprinzips Genüge zu tun, ist vor über einem halben Jahrhundert der in Art. 6 (c) IMT Statut „neu“ enumerierte Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit mit der Partizipierung eines Kriegsverbrechens verbunden worden (sog. nexus). Das IMT hat die Restriktion in ihrer Rechtsprechung konsequent umgesetzt, und Verbrechen, die vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stattfanden, für nicht aburteilsfähig erklärt. Ob die Limitierung als Begrenzung des Anwendungsbereichs des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, oder lediglich als Jurisdiktionsbegrenzung des IMT aufzufassen ist, ist bis heute strittig252. In Art. II des CCL 10 ist das nexus Erfordernis zwar nicht mehr explizit kodifiziert. Allerdings findet sich in der Präambel des Gesetzes ein Verweis auf das IMT Statut, sodass in den Nachfolgeprozessen abweichende Auffassungen vertreten wurden, ob CCL. No. 10 einen bewaffneten Konflikt voraussetzt. Während dies in den Fällen Flick253 und Weizsäcker254 mit Hinweis auf das IMT Statut bejaht wurde, ist in Ohlendorf entschieden worden, dass die Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht auf eine Begehung im Kriegsfall beschränkt sei255. In Altstoetter 251 Erstens: Fand eine Autoritätsübernahme in dem Gebiet statt, wo die Verbrechen begangen wurden? Zweitens: Ist eine Autoritätsstruktur errichtet worden? Drittens: Wurden diskriminierende Maßnahmen vollzogen, wie etwa die Sperrung von Bankkonten? Viertens: Wurden angriffsbegleitend Schnellverhaftungen, Freiheitsberaubungen, Folter, und andere Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung begangen? Fünftens: Wurde eine massive Überführung von Zivilisten in Lager vorgenommen? Und sechstens: Wurde die gegnerische Bevölkerung vom Kampfgebiet entfernt? Vgl. Prosecutor v. Nikolic´ (Dragan). IT-94-2 R61, Review of the Indictment Pursuant to Rule 61 of the Rules of Procedure and Evidence, Abs. 27. 252 Schwelb, 23 BYIL (1949), 178 (206); Lippman, 17 B.C. Third World LJ (1997), 171 (182 ff.); Taylor, Finals Report to the Secretary of the Army on the Nuernberg War Crimes Trials under Control Council Law No. 10, 224 „None of the Nuremberg judgments squarely passed on the question whether mass atrocities committed by or with the approval of a government against a racial or religious group of its own inhabitants in peacetime constitute crimes under international law. Such a contention was made by the prosecution before the IMT, but the Tribunal disposed of this charge by holding that the language of the London Charter limited its jurisdiction to such crimes as were committed in the course of or in connection with aggressive war.“ 253 U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 22. Dezember 1947 (Flick), Trials of War Criminals, Bd. 6, 1187 (1212 f.). 254 U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 12. Dezember 1949 [Weizsäcker], Kempner/Haensel, das Urteil im Wilhelmstraßen Prozess. 255 U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 10. April 1948 (Ohlendorf – Einsatzgruppen Fall), Trials of War Criminals, Bd. 4, 411, 499 „The Allied Control Council Law No. 10, removed [the war nexus] limitation so that the present Tribunal has jurisdiction to try all crimes against humanity as long known and understood under the general principles of law.“
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
wurde schließlich erklärt, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht allein mit Hilfe des IMT Statuts auszumachen seien, sondern das allgemeine Völkerrecht einzubeziehen ist256. Letzterer Aussage kann man sich sicherlich zweifellos anschließen. Für die Auslegung des Gesamttatbestandes ist sie hingegen recht unergiebig, da berücksichtigt werden muss, dass es sich bei CCL No. 10 um ein nationalstaatliches Gesetz handelte. Im Gegensatz dazu basiert Art. 6(c) IMT Statut auf einem multilateralen völkerrechtlichen Vertrag257. Zweifelhaft erscheint daher, aus CCL No. 10 Regeln des „allgemeinen Völkerrechts“ ableiten zu wollen, zumal wie bereits erwähnt, die Präambel des CCL No. 10 auf das IMT Statut verweist und daher in dessen Lichte interpretiert werden kann. Das Nexuserfordernis ist von der ILC erstmalig im Draft Code v. 1951 aufgegeben worden. Begründet wurde dies (in nicht unzweifelhafter Weise) mit der Nichtkodifizierung innerhalb des CCL No. 10. In den folgenden Draft Codes der ILC ist das Nichterfordernis eines nexus zu einem bewaffneten Konflikt bestätigt worden. Auch die „Konvention zur Nichtanwendbarkeit von Verjährungsvorschriften für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“258, die Völkermordkonvention259, und die Apartheid Konvention260 verlangten keinen nexus zu einem bewaffneten Konflikt. Praktisch relevant wurde die Frage indes erst ca. fünfzig Jahre später im Rahmen der Auslegung des Art. 5 ICTY Statut, welcher explizit eine Verbindung zu einem bewaffneten Konflikt kodifiziert. Weil es bis zum Erlass des ICTY Statuts keine „harten“ rechtsverbindlichen völkerrechtlichen Regelung gab, die eine Loslösung von einem bewaffneten Konflikt ausdrücklich befürwortete, wurde vom Generalsekretär in seinem Bericht zur Resolution 808 die Auffassung vertreten, dass ein nexus zu einem nationalen oder internationalen Konflikt notwendig sei261. In der Tat war bei Er256 U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 4. Dezember 1947 [Altstoetter], Trials of War Criminals, Bd. 6, 1 ff. 257 Die Rechtsnatur und Reichweite des CCL No. 10 ist bis heute unklar; siehe Van Schaack, 37 CJTransnat’lL (1999), 787 (808); U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 22. Dezember 1947 (Flick), Trials of War Criminals, Bd. 6, 1187 ff., wo die Anklagebehörde zunächst dem CCL No. 10 den Charakter eines „Erlasses der Besatzung“ beigemessen hatte, später das Tribunal aber als „internationales Tribunal“ bezeichnete. Das ICTY hat CCL No. 10 als internationales Instrument eingeordnet; Prosecutor v. Erdemovic´, IT-96-22-A, Separate and Dissenting Opinion of J. Cassese (7. Oktober 1997) Abs. 27. 258 GA.Res. 239, U.N. Doc. A/7218 (1968). 259 Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948; BGBl. II 1954, 730. 260 Art. 1(b) der Konvention zur Bekämpfung und Ahndung des Verbrechens der Apartheid. 261 Report of the Secretary-General Pursuant to Paragraph 2 of Security Council Resolution 808, UN Doc. S/25704 (1993).
D. Abschließende Bemerkungen
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lass des ICTY Statuts die Frage, ob ein diesbezüglicher nexus erforderlich war, umstritten262. Im Jahr 1994 wurde das ICTR Statut verabschiedet, welches, im Gegensatz zu Art. 5 ICTY Statut, in Art. 3 kein Nexuserfordernis vorsieht. Die Statuten der beiden Tribunale legten insoweit für die Frage der Notwendigkeit eines bewaffneten Konflikts unterschiedliche Voraussetzungen fest. Die Frage, wie die unterschiedliche Kodifizierung in Art. 5 ICTY Statut und Art. 3 ICTR Statut aufzufassen ist, ist umfassend im Tadic´ Appeal erörtert worden. Als ratio decidendi hat das Gericht festgestellt, dass der Weltsicherheitsrat alleinig die Jurisdiktionskompetenz des ICTY beschränken, jedoch keine Aussage bezüglich des völkergewohnheitsrechtlichen Status treffen wollte. Dementsprechend kreiert das im ICTY Statut festgeschriebene Nexuserfordernis „a narrower sphere of operation than that provided for crimes against humanity under customary international law.“263 Die Appeals Chamber hat somit entschieden, dass – zumindest seitdem – völkergewohnheitsrechtlich das Verbrechen gegen die Menschlichkeit keinen nexus zu einem Kriegsverbrechen erfordert. Obgleich die in Tadic´ getroffene Feststellung wünschenswert ist, erscheint fraglich, ob sie in korrekter Weise die zu diesem Zeitpunkt vertretende Auffassung des Weltsicherheitsrates widerspiegelt. So war die Erarbeitung des Drafts zum ICTY Statut in gewichtiger Weise von den Auffassungen Bassiounis geprägt, welcher das Nexuserfordernis nicht als Jurisdiktionsbeschränkung, sondern als allgemeines völkergewohnheitsrechtliches Tatbestandsmerkmal auffasste264. Gleichwohl gibt es nachvollziehbare Argumente, den nexus schon vor den 1990er Jahren für entbehrlich zu halten265. 262 Gegen ein Nexuserfordernis zu einem bewaffneten Konflikt Meron, 90 AJIL (1996), 238 (242); ders., 89 AJIL (1995), 554 (557); Akhavan, 90 AJIL (1996), 501 (503); Syle, 20 MJInt’L (1998), 267 (288); Van Schaak, 37 CJTransnat’lL (1999), 787 ff.; dagegen für ein Nexuserfordernis (allerdings vor Tadic´) vgl. Sunga, Individual Responsibility in International Law for Serious Human Rights Violations, 44 f.; Orentlicher, 100 Yale LJ (1991), 2537 (2590, Fn. 33). 263 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-A (15. Juli 1999), Fn. 356. 264 Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law I, 521 (572) „[. . .] the Security Council adopted the Secretary-General’s formulation that there should be some connection between „crimes against humanity“ and a conflict of an international or internal character in the former Yugoslavia. [Fn. 240] In so doing, Article 5 ICTY avoided any possible challenges to its legality since it maintained the requirement of a link with an armed conflict (and not a war), yet extending the notion of an armed conflict to an internal one.“ (Fn. 240 This was this writer’s [Anm: gemeint ist Bassiouni] recommendation to the U.N. Legal Office which prepared the draft statute. [. . .]); siehe weiter ibid. (573), wo Bassiouni feststellte, dass die ILC Drafts keinen rechtlichen Bindungseffekt beanspruchen können, die Art. 5 ICTY Statut und Art. 3 ICTR Statut nur auf einen begrenzten Zusammenhang (zeitlich wie örtlich) Anwendung finden, und Art. 7 des ICC Statuts nur die Vertragsparteien bindet. Daraus folgerte Bassiouni bis vor kurzem, dass der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch einen multilateralen Vertrag definiert werden muss. Dieser
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Kap. 4: Chapeau-Elemente
Das Nichterfordernis eines nexus zu einem bewaffneten Konflikt hat sich nunmehr durchgesetzt und ist allgemein völkergewohnheitsrechtlich anerkannt266. Dementsprechend hat bei den Verhandlungen zum Rom Statut der weit überwiegende Teil der Vertreter die Auffassung vertreten, ein Nexuserfordernis nicht festzuschreiben. Die Auffassung ist in den Wortlaut des Art. 7 ICC Statut eingeflossen267. Die Begehung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit ist damit unstrittig nach ICC Recht sowohl in Kriegszeiten, bürgerkriegsähnlichen Zuständen, als auch in „Zeiten des Friedens“ möglich.
II. Mens rea bezüglich des chapeaus Bezüglich der chapeau mens rea Erfordernisse geht das ICTR kammerübergreifend davon aus, dass der Täter sich bewusst gewesen sein musste, dass ein weit reichender Kontext in Form eines makrokriminellen Gesamtangriffs vorliegt, was allerdings aus objektiven Umständen ableitbar ist, und dass ihm bewusst war, dass sich seine Einzeltat als Teil der Gesamttat darstellt268. Grundlegend gelten hier die in Kapitel 3 erörterten Grundsätze über die Reichweite und Umfang des Wissenselements („knowledge“). So muss im Gegensatz zum Tatbestand des Völkermordes der Täter keinen spezifischen Vorsatz besitzen, einen Teil oder die Gesamtheit der Bevölkerung aufgrund diskriminierender Motive ausrotten zu wollen. Entbehrlich ist auch ist der Nachweis, dass der Täter beabsichtigte, durch seine Einzeltat die Zivilbevölkerung als Ganzes verletzen zu wollen. Ansatz erscheint jedoch im Hinblick auf die neueren Entwicklungen des Völkerstrafrechts und dem weitläufigen Beitritt der Nationalstaaten zum ICC Statut nicht mehr obligatorisch zu sein. 265 Dazu an anderer Stelle, Kuschnik, 7 Chinese J Int’l L (2008), 459 ff. 266 Nunmehr geht auch Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law I, 521 (573 f.) davon aus, dass „it is the position of this writer that from 1945 to date there is enough evidence of customary international law, ,general principles of law‘ and the ,writings of the most distinguishing publicists‘ to support the proposition that ,crimes against humanity‘ do not need the war-connecting link contained in Art. 6(c) [. . .] Surely, no one would argue today that innocent civilians should be left outside the protection of international criminal law by invoking a legal criterion that reflected the exigencies and practices of another time“. 267 Robinson in Lee, The International Criminal Court: Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 61 (62 f.) „The most important aspect of article 7 is the exclusion of any requirement that there be an armed conflict. [. . .] In the final compromise on article 7, the majority view prevailed, an outcome which was essential to the utility of article 7. Had a requirement of armed conflict been included, crimes against humanity would have been largely redundant, since most or all of the conduct involved would already have been covered as war crimes.“ 268 Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 134; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 71; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13 (27. Januar 2000), Abs. 206; Prosecutor v. Ndindabahizi, ICTR-2001-71-I (15. Juli 2004), Abs. 478.
D. Abschließende Bemerkungen
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Der Täter muss schließlich – entgegen Finta – nicht Detailwissen vom Gesamtangriff oder von einer etwaigen „Politik“ besitzen269. Die Gründe oder Motive seiner Tat sind für die Strafbarkeit irrelevant; die wissentliche Teilnahme am Teil einen Gesamtangriffs, die sich allein auf persönliche Gründe und Motive zurückführen lässt, lässt die Strafbarkeit nicht entfallen270.
269 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 434. 270 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 433; Obokata, 54 ICLQ (2005), 445 (453).
Kapitel 5
Enumerierte Einzeltatbestände A. Einleitung In Kapitel 4 dieser Untersuchung wurde dargestellt, welche chapeau Voraussetzungen in Form eines gegen jegliche Zivilbevölkerung gerichteten ausgedehnten oder systematischen Gesamtangriffes vorliegen müssen, um von einem makrokriminellen Kontext i. S. eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit sprechen zu können. In diesem Kapitel folgen Überlegungen, wie die konkrete Handlung des Täters, und dessen Verbindung zum makrokriminellen Zusammenhang ausgestaltet sein muss. Je nach Statut oder nationalem Gesetz ist der enumerierte Straftatbestandskatalog unterschiedlich ausgestaltet und teilweise an die tatsächlichen Umstände angepasst. Die in Art. 7 ICC Statut kodifizierte Auflistung der enumerierten Einzelverbrechen ist etwa vom IHT Statut in Art. 12 mit Ausnahme der Tatbestände der erzwungenen Zwangssterilisation und Apartheid wortgleich übernommen worden. Die Nichtaufnahme obiger Tatbestände gründete sich schlicht auf der Erwägung, dass sie für die relevante Aburteilspraxis des IHT keinerlei Einschlägigkeit hat1. Feststellungen in derart, welche Katalogstraftat völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist, gestalten sich im Einzelfall als schwierig, da die einzelnen Statute mitunter in schwerwiegender Weise von einander abweichen. Während das IMT Statut in Art. 6 (c) mit Mord, Ausrottung, Versklavung, Verfolgung und Deportation nur fünf konkrete Straftatbestände enumerierte2, sind es in Art. 2 SCSL Statut der ganzen elf 3 und in Art. 7 ICC Statut sogar fünfzehn4. Weiter kann die Einschlägigkeit einer gewissen Handlung deshalb strittig sein, weil je nach Einzelfall problematisch ist, ob sie unter die auffangtatbestandlichen Generalklauseln fallen. Zum einen 1 Zum IHT und IHT Statut siehe oben unter Kapitel 2 F.VII.; und Kuschnik, 2 Chinese J Int’l L (2008), 459 ff. 2 Art. 6(c) IMT Statut: „Mord“, Ausrottung, Verklavung, „Deportation“, Verfolgung. 3 Art. 2 SCSL Statut: murder, extermination, enslavement, deportation, imprisonment, torture, rape, sexual slavery, enforced prostitution, forced pregnancy, und persecution. 4 Vgl. Art. 7 Abs. 1 ICC Statut: „murder“, Ausrottung, Versklavung, Vertreibung, zwangsweise Überführung der Bevölkerung, Freiheitsentzug, Folter, Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation, Verfolgung, zwangsweises Verschwindenlassen von Personen, und das Verbrechen der Apartheid.
B. Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit
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existiert hier die völkerrechtlich anerkannte Generalklausel der „anderen unmenschlichen Handlungen“. Im Wege dieser sollen Handlungen, die in der Gesamtschau zu den anderen enumerierten Einzeltatbeständen in ihrer Schwere und von ihrer Verbrechensnatur her vergleichbar sind, aburteilsfähig sein5. Daneben existieren spezielle Generalklauseln, die nur für einen bestimmten Katalogstraftyp gelten. In Art. 7 sind deren zwei enthalten. Zum einen in Art. 7 Abs. 1 (e) – Imprisonment or other severe deprivation of physical liberty in violation of fundamental rules of international law –. Zum anderen in Art. 7 Abs. 1 (g) – Rape, sexual slavery, enforced prostitution, forced pregnancy, enforced sterilization, or any other form of sexual violence of comparable gravity –. Das SCSL Statut in Abgrenzung dazu enumeriert in Art. 2 (g) lediglich die Generalklausel der „any other form of sexual violence“; die Anforderung der vergleichbaren Schwere ist also nicht übernommen worden. Schließlich findet sich in Art. 7 Abs. 1 (h) eine Generalklausel, die sich nur auf ein Tatbestandsmerkmal bezieht – Persecution against any identifiable group or collectivity on political, racial, national, ethnic, cultural, religious, gender as defined in paragraph 3, or other grounds that are universally recognized as impermissible under international law [. . .] –.
B. Verbrechen gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit I. „Mord“6 1. Definition des Mordtatbestandes nach den ICC Elements of Crimes Eine Legaldefinition des Mordes lässt sich in den die Katalogstraftaten konkretisierenden Absatz 2 des Art. 7 ICC Statuts nicht finden. Das Statut belässt es bei der Formulierung „murder“. In den ICC Elements of Crimes, die gem. Art. 9 (1) des ICC Statuts dem Gerichtshof bei der Auslegung und Anwendung des Verbrechens gegen die Menschlichkeit helfen sollen, finden sich erste Präzisierungsansätze. Dort wird der Tatbestand des „Mordes“ wie folgt definiert7: 5 Zur Frage der vergleichbaren „Natur“ des Straftatbestandes innerhalb der Generalklausel siehe die Ausführungen zur elementaren Umweltzerstörung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kapitel 6. 6 Hingewiesen sei auf die amtliche deutsche UN Übersetzung des ICC Statuts, U.N. Doc. A/Conf.183.9 (17. Juli 1998), sowie auf § 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB. Art. 7(1)(a) ICC Statut spricht von „vorsätzlicher Tötung“. Nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB ist es ausreichend, dass der Täter „einen Menschen tötet“. Ob man daraus jedoch schließen kann, den autoritären englischen Wortlaut „murder“ als „Totschlag“ zu verstehen, erscheint fraglich. Wie bei den mens rea Erfordernissen gezeigt werden wird, beinhaltet der angloamerikanische Strafrechtsbegriff „murder“ sowohl „Mord“, Totschlag, als auch fahrlässige Tötungsvarianten (first, second, third degree murder); dazu sogleich. 7 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(a).
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
„Art. 7(1)(a) Crime against Humanity for murder Elements 1. The perpetrator killed7 one or more persons. 2. The conduct was committed as part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. 3. The perpetrator knew that the conduct was part of or intended the conduct to be part of a widespread or systematic attack against a civilian population. Fn. 7: The term ,killed‘ is interchangeable with the term ,caused death‘. This footnote applies to all elements which use either of these concepts.“
2. Actus reus Wie ersichtlich ist, bringen die „ICC Elements of Crimes“ für die Auslegung des actus reus des Mordtatbestandes bis auf den Hinweis, dass das Opfer getötet wurde, oder der Tod des Opfers durch den Täter verursacht sein muss, kaum Erkenntnisgewinne. Verwiesen werden soll daher auf die Feststellungen des ICTR in Akayesu, in dem der Tatbestand des Mordes als das ungesetzliche, vorsätzliche Töten eines Menschen definiert wurde. Das setzt nach Auffassung des Gerichts voraus, dass (a) das Opfer tot ist. (b) der Tod des Opfers aus einer ungesetzlichen Handlung oder Unterlassung des Beschuldigten (bzw. Untergebenen des Beschuldigten) resultiert. [. . .] [(d) das Opfer in einer im Statut enumerierten Art und Weise diskriminiert worden ist.8] (e) das Opfer Mitglied der Zivilbevölkerung war. (f) die Handlung oder Unterlassung Teil eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung war.9
Der actus reus des Mordtatbestandes bereitet bei unmittelbarer Ausführung der Handlung dogmatisch betrachtet regelmäßig keine Probleme10. Hingewiesen 8 Dieses Element ist auf die Anwendung von Art. 3 ICTR Statut beschränkt und stellt keine konstitutive völkergewohnheitsrechtliche Voraussetzung zur Erfüllung des objektiven Tatbestandes dar. 9 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 589 f.; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 81; Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(a). Punkt (f) ist eine Ausprägung des gesamttatbestandlichen chapeaus, die bei jedem Verbrechenstypus erfüllt werden müssen. 10 Zur Beweiswürdigung: In Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-T (2. August 2007), Abs. 144 wurde herausgestellt, dass das Auffinden der Leiche nicht konstitutiv ist für eine Verurteilung zu „Mord“, sondern anhand anderer Indizien beweisbar ist.
B. Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit
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sei jedoch auf die Frage, ob auch ein Fötus ein Opfer im Sinne des Tatbestandes sein kann. So hatte im Fall Muhimana11 der Täter, Mikaeli Muhimana, einer schwangeren Frau den Bauch aufgeschnitten, um seine Neugier zu befriedigen, wie ein Fötus in einem Mutterleib aussieht. Nachdem er „das (schreiende) Baby“ herausgenommen hatte, verstarb es. Das Gericht hat zum Problem nicht Stellung bezogen und den Täter nur aufgrund des Mordes an der schwangeren Frau verurteilt. Die unterschiedliche Verwendung der Begriffe „Fötus“ für den Fall, dass sich das Opfer noch im Mutterleib befindet, und „baby“ für den Fall, dass eine gewaltsame Trennung vom Mutterleib vorgenommen wurde, lässt jedoch den Schluss zu, dass die Tötung eines Fötus im Mutterleib zumindest dann unter dem Mordtatbestand aburteilsfähig sein könnte, wenn es ein Stadium erreicht hat, bei dem es selbständig (zumindest) für eine gewisse Zeit „als Baby“ überlebensfähig ist. Aus einer Einbeziehung des Tatbestandes der Zwangssterilisation lässt sich hingegen nichts ableiten. Schutzzweck ist dort nicht etwa das ungeborene Leben, sondern die Fortpflanzungsfähigkeit des Opfers12. Wie aus der Präzisierung in Akayesu hervorgeht, muss der Täter nicht notwendigerweise auch Ausführungstäter sein. Ausreichend ist, dass der Tod des Opfers aus einer ungesetzlichen Handlung oder Unterlassung des Beschuldigten (bzw. Untergebenen des Beschuldigten) resultiert. Ein interessantes neueres Fallbeispiel stellt diesbezüglich die Verurteilung von Awad Hamad Al Bandar durch das IHT dar. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sich unter gewissen Umständen auch die Verhängung von Todesurteilen durch einen Richter als „Mord“ im Sinne eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit klassifizieren lässt13. 3. Mens rea – „murder“ oder „assassinat“? Die erforderlichen Voraussetzungen für den subjektiven Tatbestand des Mordes sind bis heute höchst strittig. Zurückführen lässt sich dies auf eine Unstimmigkeit bei der Übersetzung von Art. 3 (a) des ICTR Statuts. Während die englische Version den Terminus „murder“ verwendet, statuiert die französische Version des ICTR Statuts den Begriff „assassinat“. Beide Versionen sind gleichermaßen autoritär14.
11
Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 570. Dazu unten unter C.V. 13 Iraqi High Tribunal, Case n ë 1/9 First/2005 Al-Dujail Lawsuit, Urteil v. 5. November 2006, 57. 14 Provisional Rules of Procedure of the Security Council (21. Dezember 1982), Rule 41, U.N. Doc. S/96/Rev.7. 12
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
a) Problemdarstellung Die aufgezeigte Abweichung zeichnet unmittelbare Wirkungen auf die Auslegung des Tatbestandes. Das Problem ergibt sich insbesondere daraus, dass im Common Law Rechtskreis „murder“ nicht notwendigerweise eine vorsätzliche Begehung voraussetzt15. Der Begriff umfasst je nach Grad („degree“) sowohl die absichtliche, wissentlich-vorsätzliche, als auch die grob fahrlässige Tötung eines Menschen16. Im französischsprachigen Rechtskreis hingegen wird bei Einschlägigkeit von „assassinat“ immer eine vorsätzliche Begehung gefordert17. Die Trial Chamber I in Akayesu entschied sich mit der Begründung, dass die französische Version einen Übersetzungsfehler beinhalten soll und Völkergewohnheitsrecht eine vorsätzliche Begehung nicht notwendigerweise vorschreibt, 15 Anders aber wohl Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-A (1. Juni 2001), Abs. 151 bei der Auslegung der Begriffe „killing“ und „meutre“ innerhalb des Völkermordtatbestandes. 16 United States Model Code § 2102 „[. . .] criminal homicide constitutes murder when (a) it is committed purposely or knowingly, or (b) it is committed recklessly under circumstances manifesting extreme indifference to the value of humane life“; Canada Criminal Code R.S.C. 1985, Ch. C-46 s. 229 „Culpable homicide is murder (a) where the person who causes the death of a human being (i) means to cause his death, or (ii) means to cause him bodily harm that he knows is likely to cause his death, and is reckless whether death ensures or not“, New South Wales Crimes Act (1900) s. 18 („(a) Murder shall be taken to have been committed where the act of the accused, or thing by him or her omitted to be done, causing the death charged, was done or omitted with reckless indifference to human life, or with intent to kill or inflict grievous bodily harm upon some person, or done in an attempt to commit, or during or immediately after the commission, by the accused, or some accomplice with him or her, of a crime punishable by imprisonment for life or for 25 years.“; siehe auch Sec. 609.195 des Minnesota Criminal Code 609.195 MURDER IN THE THIRD DEGREE. (a) Whoever, without intent to effect the death of any person, causes the death of another by perpetrating an act eminently dangerous to others and evincing a depraved mind, without regard for human life, is guilty of murder in the third degree and may be sentenced to imprisonment for not more than 25 years. (b) Whoever, without intent to cause death, proximately causes the death of a human being by, directly or indirectly, unlawfully selling, giving away, bartering, delivering, exchanging, distributing, or administering a controlled substance classified in schedule I or II, is guilty of murder in the third degree and may be sentenced to imprisonment for not more than 25 years or to payment of a fine of not more than $ 40,000, or both.“ (Hervorhebung im Original.) 17 Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 137. Siehe auch France Nouveau Code Pénal, art. 221-3 „Le meutre commis avec préméditation constitue un assassinat“; Rwanda Code Pénal, art. 312 „Le meurtre commis avec préméditation ou guet-apens est qualifié assassinat“; Code Pénal de Burkina Faso 1996, art. 318 „L’homicide commis volontairement est qualifié meurtre. Tout meurtre commis avec premeditation ou guet-apens est qualifié assassinat“; Nouveau Code Pénal du Sénégal, art. 281 „Tout meurtre commis avec préméditation ou geut-apens est qualifié assassinat“; Belgium Code Penal, art. 394 „Le meurtre commis avec premeditation est qualifié assassinat“; Code Penal de Haiti, art. 241 „Tout meurtre commis avec premeditation ou guet-apens est qualifié assassinat“.
B. Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit
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für die „murder“ Variante18. Dem widersprach die Trial Chamber II in Kayishema und Ruzindana19. Zum einen könne bei zwei gleich autoritären Texten nicht sorglos eine Version „diskriminiert“ werden. Zum anderen ist zwar anerkannt, dass es bei der Interpretation von sprachübergreifenden Rechtsbegriffen zu Qualifikationsproblemen kommen kann. In diesem Fall aber überschneidet sich die mens rea von „murder“ mit „meurtre“ und „assassinat“ (gleichzusetzen mit „meurtre aggravé“). Weil die Verfasser des französischen Statuts beide Varianten, also exklusive und inklusive vorsätzliche Begehung, zur Auswahl hatten und sich mit „assassinat“ für die konstitutiv vorsätzliche Begehung entschieden haben, ist die Bedeutung insoweit eindeutig und der genauere Wortlaut anzuwenden. Zudem wird angezweifelt, ob die in Akayesu völkergewohnheitsrechtliche Einordnung zutreffend ist. Schließlich verwies Trial Chamber II darauf, dass bei Auslegungszweifeln zu Gunsten des Angeklagten entschieden werden soll. Die aufgeworfene Unklarheit ist von der Trial Chamber III seit Semanza unter Zugrundelegung von Art. 33(4) der Wiener Vertragsrechtskonvention, welche Anweisungen bei der Auslegung von bilingualen oder multilingualen Verträgen gibt, ausgiebig erörtert worden20. Dabei kam das Gericht zu dem Schluss, dass „assassinat“ sich als eine spezifische Form von „Mord“ darstellt und daher präziser ist als die englische Variante „murder“. Weiter muss bei der Auslegung von strafrechtlichen Regelungen besonderes Gewicht auf die Rechte des Angeklagten gelegt werden, woraus sich in Zweifelsfällen eine strikte Interpretation ergebe. Schließlich sei aus systematischer Sicht die „assassinat“ Variante vorzugswürdig. Vergleicht man den Tatbestand des Genozids (Art. 2 ICTR Statut) mit dem Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit (Art. 3 ICTR Statut), gehen sowohl die englische als auch die französische Version des Statuts davon aus, dass in Art. 3(a) im Vergleich zu Art. 2(2)(a) ein höherer Standard an Vorsatz vorausgesetzt ist. Während die englische Version beim Genozid den Begriff „killing“ verwendet, ist beim Verbrechen gegen die Menschlichkeit von „murder“ die Rede. Aus der „gewöhnlichen Wortbedeutung“ beider Begriffe sei nun ableitbar, dass „murder“ einen höheren Grad an Vorsatz erfordert als „killing“. Diese Auslegung soll auch mit der französischen Version vereinbar sein, die mit „assassinat“ bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit einen höheren Grad an Vorsatz fordert als mit „meurtre“ beim Genozid. Auch Art. 4(a) ICTR Statut untermauert das von der Trial Chamber III gefundene Ergebnis. Dort ist der Begriff „murder“ gleichgesetzt mit „meutre“, was im Gegenschluss 18 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 588; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 79. 19 Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 138; Prosector v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 84 f. 20 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 334 ff.; Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki und Imanishimwe, ICTR-99-46-T (25. Februar 2004), Abs. 700; Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 568 f.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
bedeutet, dass für Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein höherer Grad an Vorsatz erforderlich ist, weil dort nicht nur „meutre“, sondern „assassinat“ gefordert ist. Das Argumentationsmuster in Semanza ist an sich stimmig. Fraglich erscheint jedoch, ob die von der Trial Chamber III angeführten Argumente Allgemeingültigkeit beanspruchen können. Zwar sind bezüglich der aufgeworfenen Frage sowohl das ICTY Statut, als auch das SCSL Statut mit dem ICTR Statut wortgleich ausgestaltet21, wobei auch hier jeweils beide Versionen gleichermaßen autoritär sind. Allerdings findet sich eine nicht unerhebliche Abweichung bei der französischen Version des ICC Statuts, einschließlich bei den Elements of Crimes. Während die englische Version im Einklang mit obigen anderen Statuten in Art. 6(a) ICC Statut (Genozid) den Begriff „killing“ und in Art. 7(1)(a) ICC Statut (Verbrechen gegen die Menschlichkeit) den Begriff „murder“ verwendet, ist in der französischen Version bei Art. 7(1)(a) ICC Statut, wortgleich mit Art. 6(a) ICC Statut der Begriff „meurtre“ (und nicht „assassinat“ oder „meurtre aggravé“) kodifiziert worden. In der französischen Version des ICC Statuts findet sich folglich keine mens rea Abstufung zwischen dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord (in Bezug auf den Mordtatbestand). Hinzuweisen sei auch auf die englischsprachige Konkretisierung in den Elements of Crimes. Der Tatbestand des „murder“ wird dort konkretisiert durch den in Nr. 1 enthaltenen Hinweis „The perpetrator killed [. . .]“ (und nicht etwa „murdered“). Man könnte daher zu Recht annehmen, dass das ICC Statut die Begehung eines unvorsätzlichen Mordes nicht a priori als aburteilsfähiges Verhalten ausschließt22. Auch kann die Erklärungsnotiz in der Fußnote 7 in Artikel 7 der Elements of Crimes angeführt werden. Dort heißt es in generalis „[The term „killed“ is interchangeable with the term „caused death.] This footnote applies to all elements which use either of these concepts.“ Schließlich stünde auch Art. 30 ICC Statut der Annahme einer unvorsätzlichen Begehung nicht entgegen. Denn dort heißt es (einschränkend), dass die Strafbarkeit nur durch vorsätzliches Handeln hervorgerufen wird, „sofern nichts anderes bestimmt ist.“ Die systematische Auslegung des Mordtatbestandes, sowie die Konkretisierungen in den ICC Elements of Crimes stellen sich als besondere Bestimmungen dar und gehen daher als lex specialis gegenüber Artikel 30 vor. Nicht verschwiegen werden soll, dass beim Tatbestand der Ausrottung, für die – so das ICTY – die gleichen, oder – so das ICTR – mitunter geringere 21 Art. 4(2)(a) ICTY Statut verwendet die Begriffe „killing“ und „meurtre“, während in Art. 5(a) ICTY Statut von „murder“ bzw. „assassinat“ die Rede ist. In Art. 2(a) SCSL Statut werden beim Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit die Begriffe „murder“ und „assassinat“ gebraucht. 22 So auch an anderer Stelle; Kuschnik, 7 Chinese J Int’ L 2 (2008), 459 ff.
B. Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit
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Anforderungen bei der mens rea zu stellen ist als beim Mord, nunmehr die Appeals Chamber in Gacumbitzi zu Gunsten einer zwingend vorsätzlichen Begehung entschieden hat23. Freilich kann dem Einwand der Wortlaut des Art. 7 ICC Statut, einschließlich der Elements of Crimes, entgegen gehalten werden. b) Folgerung Infolge der Auslegungsdifferenzen beim ICC Statut ist anzunehmen, dass sich der zwischen Akayesu und Kayishema und Ruzinada entbrannte Streit auch auf die Rechtsprechung des ICC fortsetzen wird. Für das ICC Statut scheint – wie ausgeführt – das in Semanza angeführte „Systematik“ Argument aufgrund des divergierenden französischen Wortlautes zwischen ICTR und ICC Statut beim Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit nicht problemlos implantierbar zu sein. Vor diesem Hintergrund ist es umso seltsamer, dass im ICC Statut der Tatbestand des Mordes als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht legal definiert worden ist. Als Grund wurde angeführt, es sei klar definiert, was unter „Mord“ zu verstehen ist. Es bedürfe daher keiner weiteren Erklärung24. Insbesondere die mens rea des Verbrechens wirft allerdings ungeklärte Fragen auf, sodass zumindest in den Elements of Crimes eine eindeutige Konkretisierung wünschenswert gewesen wäre. Geht man – entgegen hier vertretener Ansicht – von dem zwingenden Erfordernis einer vorsätzlichen Handlung aus, stellt sich anknüpfend die Frage, wie in concreto der Vorsatz ausgestaltet sein muss. Semanza erklärt diesbezüglich, der Beschuldigte müsse in jedem Fall vor der Tötungshandlung einen bewussten Plan gehabt haben, das Opfer zu töten („premeditated murder“). Eine wohlüberlegte Ausarbeitung und Vorbereitung soll indes nicht notwenig sein; ein Moment rationaler Reflexion reiche aus („cool moment of reflection“)25. Ob diese Auslegung noch vom Wortsinn getragen ist, ist indes fraglich. Der Ursprung des Wortes „premeditation“ geht auf das lateinische Wort paremeditatio – abgeleitet vom Verb praemeditare – zurück, welches „sich selbst für eine Reflexion vorbereiten“ bedeutet26. „Sekundenentscheidungen“, wie rational sie auch gewesen sein mögen, sollten daher entgegen der Ansicht des ICTR nicht 23
Dazu gleich unter B.II. ILC Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind von 1996, Kommentar zu Art. 18 a), Abs. 7 „Murder is a crime that is clearly understood and well defined in the national law of every State. This prohibited act does not require any further explanation“. 25 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 339; Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki und Imanishimwe, ICTR-99-46-T (25. Februar 2004), Abs. 700; Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 569; die Trial Chamber I ist diesbezüglich unentschieden, Prosecutor v. Ndindabahizi, ICTR-2001-71-I (15. Juli 2004), Abs. 487, Fn. 618. 26 Chesterman, 10 Duke JComp.&Int’lL (1999), 307 (333). 24
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
ausreichen. Was den Mord in seiner kriminellen Schwere hervorhebt, ist gerade, dass der Täter bewusst und durch überlegten Entschluss die jedem Menschen inne wohnende Hemmschwelle, einen anderen Menschen nicht zu töten, überschreitet. Vorzugswürdiger erscheint damit die vom IHT im Al Dujail Saddam Hussein Urteil getätigte Feststellung: „Generally the circumstance of premeditation is proven in international crimes through the joint prior preparation and planning in advance of perpetration of the crime (planning, agreement and prior time period) and through the existence of the element of peace of mind that could be felt through several aspects, including the length of the time between preparation, planning and perpetration of the crime.“27
Die Sichtweise ist aber nicht unstrittig. So geht das SCSL in Brima, Kamara und Kanu unter Verweis auf Akayesu sowie einer – nach eigener Einschätzung fehlinterpretierten – Stelle aus Kayishema und Ruzindana davon aus, dass generell „premeditation“ nicht erforderlich sei: „The requirement for murder is intent to kill or cause seriously bodily harm in the reasonable knowledge that it would likely result in death. Premeditiation is not a mens rea requirement.“28
Unabhänig von der „Mord“problematik in Art. 7 ICC Statut wird nach überwiegender Ansicht in der völkerstrafrechtlichen Rechtsprechung nunmehr vertreten, die Begehung eines Mordes setze „Vorsatz“ konstitutiv voraus. Auch das IHT, das seit der Novellierung des Statuts im Jahr 2005 explizit „wilful murder“ verlangt und somit der „common law“ Tradition einer möglichen Fahrlässigkeitsbegehung folgt, verlangt Vorsatz29. Streit herrscht hingegen weiterhin, ob „premeditation“ erforderlich ist; und falls ja, welcher diesbezügliche Nachweis von der Anklagebehörde erbracht werden muss. Der Vorsatz – ganz gleich ob einschließlich premeditation oder nicht – muss sich in jedem Fall allerdings nicht auf das Töten einer bestimmten Person beziehen. Hinreichend ist, dass der Beschuldigte generell Zivilisten töten wollte30. Ein error in persona ist demnach unbeachtlich. Auch muss sich der Vorsatz nicht unbedingt auf das finale Töten einer Person beziehen. Die Intension, schwere körperliche Schäden zuzufügen genügt31. Bezüglich der eingetretenen Todesfolge muss der Täter in die27 Iraqi High Tribunal, Case n ë 1/9 First/2005 Al-Dujail Lawsuit, Urteil v. 5. November 2006, 52 (eigene Hervorhebung). 28 Prosecutor v. Brima, Kamara und Kanu, SCSL-04-16-T (20. Juni 2007), Abs. 690 (eigene Hervorhebung). 29 Aus der Wortverwandheit zwischen IHT Statut und ICC Statut lässt sich indes nicht prima facie ableiten, bei Art. 7 ICC Statut sei eine vorsätzliche Mordbegehung konstitutiv. Denn die ICC Elements of Crimes und IHT Elements of Crimes divergieren gerade in diesem Punkt; dazu Kuschnik, 7 Chinese J Int’ L 2 (2008), 459 ff. 30 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 339; Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki und Imanishimwe, ICTR-99-46-T (25. Februar 2004), Abs. 700; Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 569; Prosecutor v. Martic, IT-95-11-T (12. Juni 2007), Abs. 60.
B. Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit
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sem Fall entweder wissen, dass die Schädigung mit Wahrscheinlichkeit zum Tod führt, oder zumindest sorglos sein, ob ein solcher Erfolg eintritt oder nicht32. In Martic´ ist dies insofern präzisiert worden, dass das Wissen über die wahrscheinliche Todesfolge der Handlung oder Unterlassung ausreicht; Wissen bezüglich einer möglichen Todesfolge soll hingegen nicht genügen33. Unabhängig vom mens rea Erfordernis bezüglich der spezifischen Mordhandlung muss der Täter in Einklang mit den generellen mens rea Grundsätzen zusätzlich über konstruktives Wissen vom makrokriminellen Gesamtkontext verfügen. Ihm muss zudem nachgewiesen werden, dass ihm bewusst war, dass sich seine Handlung als Teil eines Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellt.
II. Ausrottung 1. Definition der „Ausrottung“ nach dem ICC Statut und den Elements of Crimes Der Tatbestand der Ausrottung war lange Zeit nicht eindeutig, weil er nicht spezifisch in Art. 6 (c) des IMT Statuts definiert war und nur wenig Rechtsprechung zu den konstitutiven Merkmalen existierte34. Nach der Definition in Art. 7(2)(b) ICC Statut schließt Ausrottung mit ein („includes“): „the intentional infliction of conditions of life, inter alia the deprivation of access to food and medicine, calculated to bring about the destruction of part of a population.“35 31 Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 140 „The accused is guilty of murder if the accused, engaging in conduct which is unlawful: 1. causes the death of another; 2. by a premeditated act or omission; 3. intending to kill any person or, 4. intending to cause grievous bodily harm to any person“; Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 568 ff.; s.a. Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 217; Prosecutor v. Martic´, IT-95-11-T (12. Juni 2007), Abs. 58 „death was a probable consequence“ mit Verweis auf Prosecutor v. Kvocˇka et al., IT-98-30/1-A (28. Februar 2005), Abs. 261. 32 Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 87; Prosecutor v. Nzabirinda, ICTR-2001-77-T (23. Februar 2007), Abs. 25. 33 Prosecutor v. Martic, IT-95-11-T (12. Juni 2007), Abs. 60 und Fn. 113, 114 m.w. N. 34 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 591; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), 691; Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana, ICTR-96-10 und ICTR-96-17-T (21. Februar 2003), Abs. 813; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), 340; Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 450; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 890; Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza und Ngeze, ICTR99-52-T (3. Dezember 2003), Abs. 1061; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 686 und Abs. 691. 35 Hervorhebung im Original. Amtliche UN Übersetzung des Art. 7(2)(b), UN. Doc. A/Conf.183/9 (17. Juli 1998) [Im Sinne des Absatzes 1] „umfasst ,Ausrottung‘
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Der Tatbestand der „Ausrottung“ wird durch die Elements of Crimes folgendermaßen konkretisiert36: „Art. 7(1)(b) Crime against humanity of extermination Elements 1. The perpetrator killed8 one or more persons, including by inflicting conditions of life calculated to bring about the destruction of part of a population.9 2. The conduct constituted, or took place as part of,10 a mass killing of members of a civilian population. 3. The conduct was committed as part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. 4. The perpetrator knew that the conduct was part of or intended the conduct to be part of a widespread or systematic attack against a civilian population. Fn. 8: The conduct could be committed by different methods of killing, either directly or indirectly. Fn. 9: The infliction of such conditions could include the deprivation of access to food and medicine. Fn. 10: The term ,as part of‘ would include the initial conduct in a mass killing.“
2. Actus reus Durch Konkretisierungen in den ICC Elements of Crimes und der Rechtsprechung des ICTR und des ICTY hat sich ein klareres Bild von den Voraussetzungen des Verbrechenstatbestandes abgezeichnet. Grundsätzlich ist „Ausrottung“ als Kumulationshandlung von Mordhandlungen beschreibbar37. Nicht unproblematisch sind beim actus reus des Ausrottungstatbestandes allerdings zwei grundlegende Merkmale: erstens, das Element der „Massenvernichtung“, und zweitens, das Erfordernis der Zielgerichtetheit gegen jegliche bestimmbare oder benannte Bevölkerung. a) Merkmal der „Massenvernichtung“ („destruction of part of a population“) Als Grundregel gilt, dass sich Ausrottung vom Mord durch ihr quantitatives Ausmaß unterscheidet. Notwendig ist, dass im Gegensatz zum Mord ein Element der „Massenvernichtung“38 existiert, welches nicht an einer vordefinierten die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen6 – unter anderem das Vorenthalten des Zugangs zu Nahrungsmitteln und Medikamenten –, die geeignet sind7, die Vernichtung eines Teils der Bevölkerung herbeizuführen. Fn. 6: A: Die vorsätzliche Unterwerfung unter Lebensbedingungen. – Fn. 7: A: Mit dem Ziel.“ 36
Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(b). Prosecutor v. Martic, IT-95-11-T (12. Juni 2007), Abs. 62. 38 Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999), Abs. 82; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13 (27. Januar 2000), Abs. 217; Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 142 und 145; Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana, ICTR-96-10 und ICTR-96-17-T (21. Februar 2003), Abs. 813; 37
B. Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit
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Mindestanzahl an Opfern, sondern von Fall zu Fall anhand des gesunden Menschenverstandes festzumachen ist39. Seit Bagilishema wurde vom ICTR folglich festgestellt, dass die Ausrottung eine ungesetzliche Tötung im großen Umfang ist, wobei „großer Umfang“ keine numerische Mindestzahl impliziert40. Entscheidend ist die Kumulationswirkung der Begehungshandlungen; unerheblich ist, ob diese während eines Begehungsvorfalls vollzogen wurden41. Die Ausrottung kann sich sowohl aus nur einem Handlungstypus als auch aus einer Kombination von Handlungstypen zusammensetzen42. Sie muss sich aber in jedem Fall als ein „Massen-Tötungs-Ereignis“ darstellen43. Geschehnisse in einem Konzentrationslager im Dritten Reich sind daher als Ausrottung subsumierbar, nicht aber generell die damaligen Geschehnisse in „Nazi Deutschland“. Fraglich war bis vor kurzem, worauf sich das Element der „Massenvernichtung“ beziehen soll. Das ICTR ist lange Zeit davon ausgegangen, das Element der „Massenvernichtung“ müsse nicht auf die Einzeltat des Beschuldigten, sondern auf den Gesamtangriff bezogen werden. Folge wäre, dass der Beschuldigte selbst dann wegen Ausrottung bestraft werden kann, wenn er nur eine Person getötet hat, vorausgesetzt, seine Handlung oder Unterlassung stellt sich als Teil einer Massenvernichtungshandlung dar44. Der diesbezügliche Schwellenwert war nicht hoch. So wurde im Fall Akayesu bereits die Ermordung von 16 Personen als „Ausrottung“ deklariert45.
Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 450; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 890; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 691; Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-200164-T (17. Juni 2004), Abs. 309. 39 Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 87; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 891; Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-T (17. Juni 2004), Abs. 309; Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana, ICTR-96-19 und ICTR-96-17-A (13. Dezember 2004), Abs. 701; Prosecutor v. Simba, ICTR-01-76-T (13. Dezember 2005), Abs. 422; Prosecutor v. Rutaganda, ICTR-96-3 (6. Dezember 1999) Abs. 83; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13 (27. Januar 2000), Abs. 217. 40 Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 87; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 692; s. a. Prosecutor v. Martic, IT-95-11-T (12. Juni 2007), Abs. 62; siehe auch Prosecutor v. Brdanin, IT-99-36-A (3. April 2007), Abs. 471, wonach im konkreten Fall die Ausrottung von 1669 Zivilisten an 5 verschiedenen Orten als für ausreichend erachtet wurde. 41 Prosecutor v. Brdjanin; IT-99-36-T (1. September 2004), Abs. 391; Prosecutor v. Stakic´, IT-97-24-t (31. Juli 2003), Abs. 640; Prosecutor v. Martic, IT-95-11-T (12. Juni 2007), Abs. 63. 42 Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 70 „extermination consists of an act or a combination of acts“. 43 Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 145. 44 Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 147; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 88. 45 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), 735 ff.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
Ob ein derart „geringes“ Quantitätserfordernis noch mit der Wortbedeutung „Ausrottung“ vereinbar ist, darf zu Recht bezweifelt werden46. Das ICTY bezieht insoweit seit Vasiljevic´ die Massenvernichtungshandlung auf die Einzeltat des Beschuldigten. Insoweit konsequent verlangt das Gericht, der Beschuldigte müsse (selbst) für eine große Anzahl von Opfern verantwortlich sein47. Seit Ntakirutimana hat sich das ICTR dieser Sichtweise angeschlossen48, und ist in casu mit expliziter Berufung auf Vasiljevic´ zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beschuldigten sich nicht wegen Ausrottung strafbar gemacht hatten, da nur die Tötung eines Opfers, nämlich Charles Ukobizaba, nachweisbar war. Das ICTR stellte insoweit fest: „The Chamber is not persuaded that the element of ,mass destruction‘ or ,the taking of a large number of lifes‘ has been established in relation to the Accused, or that the Accused were responsible for the mass killing of named or described individuals“49.
Der Herangehensweise des ICTY und ICTR ist zuzustimmen. Würde sich die Ausrottung auf den Gesamtangriff beziehen, mit der Folge, dass schon die Tötung eines Opfers „Ausrottung“ sein kann, muss man sich fragen, was der Unterschied zwischen „Mord“ und „Ausrottung“ sein soll. In der Gerichtspraxis würde einer der beiden Tatbestände de facto keinen originären Anwendungsbe46 Aus historischer Sicht ist einwendbar, dass Ausrottungen, z. B. während des dritten Reiches mit einer exorbitanten Zahl von Opfern verbunden waren; vgl. Paust/Bassiouni/Scharf/Gurulé/Sadat/Zagaris/Williams, International Criminal Law, 860. Dass jedoch eine ganze Bevölkerung ausgerottet werden müsste, um eine Erfüllung des Tatbestandsmerkmals herbeizuführen, wird, soweit ersichtlich, zu Recht von niemandem vertreten. Dagegen spricht auch schon das chapeau Tatbestandsmerkmal der „jeglichen Bevölkerung“, der einen Gesamtangriff auf einen Teil der Bevölkerung für ausreichend erachtet. 47 Prosecutor v. Vasiljevic ´ , IT-98-32-T (29. November 2002), Abs. 232 „supposes the taking of a large number of lives“. Auch aus dem wortsprachlichem Verständnis heraus kann geltend gemacht werden, dass der auf den Einzeltäter bezogene Vorwurf der „Ausrottung“ schon begriffsnotwendig eine gesteigerte Anzahl an Opfern erfordert. 48 Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana, ICTR-96-10 und ICTR-96-17-T (21. Februar 2003), Abs. 814; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 340 und Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki und Imanishimwe, ICTR-99-46-T (25. Februar 2004), Abs. 701; Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-T (17. Juni 2004), Abs. 309 „responsibility for a single or a limited number of killings is insufficient“; Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 450; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 892; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 693 „small number of killings do not constitute extermination“, Prosecutor v. Ndindabahizi, ICTR-2001-71-I (15. Juli 2004), Abs. 479 „The perpetrator intend to commit acts [. . .] whose effect is to bring about a mass killing. This distinguishes the offence from murder, whose material element may be satisfied by the killing of a single person“; vgl. weiter Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 70. 49 Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana, ICTR-96-10 und ICTR-96-17-T (21. Februar 2003), Abs. 814 (eigene Hervorhebung).
B. Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit
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reich besitzen, da sich der Gesamtangriff in der Regel immer gegen einen quantitativ großen Teil der Zivilbevölkerung richtet. Folge wäre, dass man unnötigerweise „doppelt“ das quantitative Ausmaß des Gesamtangriffes prüfen würde. Anders wäre das nur (mitunter), falls der Gesamtangriff exklusiv systematisch begangen wird. b) Merkmal der Zielgerichtetheit gegen jegliche bestimmbare oder benannte Bevölkerung Ferner wird vom ICTR festgehalten, dass sich die Ausrottung vom Mord dadurch unterscheidet, dass sie vorrangig gegen eine „Bevölkerung“ und nicht primär gegen Individuen gerichtet sei50. Folglich wird betont, der Unterschied zwischen Mord und Ausrottung sei nicht ausschließlich an der Opferanzahl, sondern konzeptionell an der Auswahl der Opfer und der Art und Weise der Tötung festzumachen51. Das ICTR verlangt daher zusätzlich, dass sich die Handlung gegen eine benannte oder beschriebene Personengruppe richtet52. Das ICC Statut ist in dem Punkt nicht eindeutig: Das dort enumerierte Tatbestandsmerkmal „to bring about“ kann sowohl „veranlassen“ als auch „zur Folge haben“ meinen. Dementsprechend verweist die amtliche deutsche UN Übersetzung der relevanten Stelle, welche „to bring about“ mit „die geeignet sind“ übersetzt, in einer Fußnote auf die Alternativübersetzung „mit dem Ziel“. Schließt man sich der Rechtsprechung des ICTR an, wäre letztere Übersetzung einschlägig.
50 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 340; Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki und Imanishimwe, ICTR-99-46-T (25. Februar 2004), Abs. 701; ähnlich Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 70. 51 Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza und Ngeze, ICTR-99-52-T (3. Dezember 2003), Abs. 1061; siehe auch Chesterman, 10 Duke JComp.&Int’l L (1999), 307 (335) mit Verweis auf Bassiouni, Crimes against Humanity (1992) „Extermination is not simply ,murder on a mass scale‘. As Cherif Bassiouni explains, extermination implies intentional and unintentional killing. The reason for the latter is that mass killing of a group of people involves planning and implementation by a number of persons, who, though knowing and wanting the intended result, may not necessarily know their victims. Furthermore, such persons may not perform the actus reus that produced the deaths, nor have specific intent toward a particular victim.“ (Hervorhebung im Original.) 52 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 591; Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana, ICTR-96-10 und ICTR-96-17-T (21. Februar 2003), Abs. 813; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), 340; Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 450; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 890; Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza und Ngeze, ICTR-99-52-T (3. Dezember 2003), Abs. 1061; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), 691; Prosecutor v. Ndindabahizi, ICTR-2001-71-I (15. Juli 2004), Abs. 479; Prosecutor v. Simba, ICTR-01-76-T (13. Dezember 2005), Abs. 422.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
c) Beteiligungsgrad an der „Ausrottungshandlung“ Vergleicht man den jeweiligen Grad des geforderten Begehungserfordernisses bei Ausrottung und Mord, bestehen insoweit Unterschiede als dass bei der Ausrottung eine „weniger direkte“ Begehungsweise genügen kann, um eine Erfüllung des Tatbestandes hervorzurufen53. So ist es ausreichend, wenn der Beschuldigte an Maßnahmen teilnimmt, die darauf abzielten, eine große Anzahl an Opfern zu töten, ohne jedoch selbst eine Person getötet zu haben54. Die Frage scheint allerdings nunmehr geklärt. Das ICTR und ICTY sind im gegenseitigen Einklang der Auffassung, der Beschuldigte selbst müsse nicht Hauptakteur der Ausrottung sein; eine indirekte oder geringe, allerdings ausreichende55 Beteiligung genüge56. Selbiges kodifizieren die ICC Elements of Crimes in obig angeführter Fußnote 8. Der Tatbestand kann damit als eine Art Auffangtatbestand für all die Fälle fungieren, bei denen sowohl Völkermord, als auch – hier aber nicht unstrittig – Mord wegen ihrer hohen mens rea Schwelle nicht einschlägig ist. Hingewiesen sei jedoch darauf, dass das ICTY Beschuldigte, die zum Tatzeitpunkt auf einer unteren Hierarchieebene standen, regelmäßig nicht wegen „Ausrottung“ als Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden hat. Diejenigen, die wegen dieser Straftat verurteilt wurden, hatten Autorität oder Macht über viele andere Personen inne oder waren auf die eine oder andere Art in der Lage, eine große Anzahl von Personen zu instrumentalisieren. Reine „Ausführungstäter“, die keine Entscheidungsgewalt hatten, sondern „nur“ töteten, wurden regelmäßig wegen Mord als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder anderen Straftaten abgeurteilt57. Schließlich ist der Tatbestand der Ausrottung nicht per se auf die Handlung der direkten Tötung beschränkt. Nach Art. 7(2)(b) des ICC Statuts beinhaltet die Ausrottung auch die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen – unter anderem das Vorenthalten des Zugangs zu Nahrungsmitteln und Medikamenten –58 die geeignet sind, die Vernichtung eines Teiles der Bevölkerung herbeizuführen. Auch das ICTR und das ICTY deklarieren das Schaffen von Le-
53 Prosecutor v. Ndiindabahizi, ICTR-2001-71-I (15. Juli 2004), Abs. 479; Illustrierend Prosecutor v. Gacumbitzi, ICTR-2001-64-T (17. Juni 2004), Abs. 316, 320 (Verurteilung wegen Ausrottung, jedoch nicht wegen Mordes). 54 Prosecutor v. Ndindabahizi, ICTR-2001-71-I (15. Juli 2004), Abs. 479. 55 Prosecutor v. Mpambara, ICTR-01-65-T (11. September 2006), Abs. 9 mit konkretisierenden Verweis auf Indizien. 56 Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 70; Prosecutor v. Vasiljevic´, IT-98-32-T (29. November 2002), Abs. 227. 57 Siehe auch Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana, ICTR-96-10 und ICTR-96-17-T (21. Februar 2003), Abs. 813, Fn. 1155. 58 Siehe oben Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(b) Fn. 9.
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bensbedingungen, die unweigerlich zum Tod des Opfers führen, als taugliche Ausrottungshandlung59. 3. Mens rea Das Tatbestandsmerkmal der Ausrottung beinhaltete nach Ansicht der ICTR Trial Chamber II bis vor kurzem sowohl die vorsätzliche als auch die unvorsätzliche Tötung60. Das wurde in Kayishema und Ruzindana damit begründet, dass der Täter, der die Absicht hat, eine Vielzahl von Personen zu töten, seine Opfer notwendigerweise nicht kennt und daher keinen spezifischen Vorsatz bezüglich eines bestimmten Opfers besitzt. Die mens rea Voraussetzungen seien demnach erfüllt, wenn eine Tat oder Unterlassung mit Vorsatz („intention“), Rücksichtslosigkeit („recklessness“) oder grober Fahrlässigkeit („gross negilgence“) begangen wird61. Das ICTY auf der anderen Seite stellte das mens rea Erfordernis der Ausrottung mit dem des Mordes gleich,62 woraus sich ergiebt, dass die Tat immer vorsätzlich begangen werden müsse63. Die ICTR Trial Chamber III hat sich seit Semanza der Sichtweise des ICTY angeschlossen und verlangt nicht nur beim Mord, sondern auch bei der Ausrottung vorsätzliches Handeln,64 da in Anbetracht der Tatsache, dass bezüglich dieser Frage weder im ICTR Statut, noch im Völkergewohnheitsrecht eine Regelung getroffen ist, die strafrechtliche Verantwortlichkeit nur bei Vorliegen von vorsätzlichen Handeln greifen kann65. Da59 Prosecutor v. Ndindabahizi, ICTR-2001-71-I (15. Juli 2004), Abs. 480; Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana, ICTR-96-10 und ICTR-96-17-A (13. Dezember 2004), Abs. 522; Prosecutor v. Simba, ICTR-01-76-T (13. Dezember 2005), Abs. 422. Als Beispiele werden explizit angeführt: „Imprisoning a large number of people and withholding the necessities of life which results in mass death; introducing a deadly virus into a population and preventing medical care which results in mass death.“ Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 146; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 90; s. a. Prosecutor v. Martic´, IT-95-11-T (12. Juni 2007), Abs. 62. 60 Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 143. 61 Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 146; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 89. „Having considered the above, the Chamber defines the requisite elements of extermination: The actor participates in the mass killing of others or in the creation of conditions of life that lead to the mass killing of others, through his act(s) or omission(s); having intended the killing, or being reckless, or grossly negligent as to whether the killing would result and, being aware that his act(s) or omission(s) forms part of a widespread or systematic attack against any civilian population on national, political, ethnic, racial or religious grounds.“ 62 Prosecutor v. Kristic ´ , IT-98-33-T (2. August 2001), Abs. 495; nunmehr auch das ICTR in Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 886. 63 Nunmehr auch Prosecutor v. Brdanin, IT-99-36-A (3. April 2007), Abs. 477 mit Verweis auf Stakic´ Appeal und Ntakirutimana Appeal. 64 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 341. Im Gegensatz zum Mord wird bei der Ausrottung aber nicht „premeditated murder“ gefordert. 65 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 341.
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bei können die Handlungsweise des Beschuldigten sowie äußere Umstande in Betracht gezogen werden66. Die ICTR Trial Chamber I vollzog einen gleichsamen Wandel. Während in Niyitegeka die mens rea Voraussetzungen noch unter dem Terminus „ungesetzlich oder vorsätzlich“ zusammengefasst67, und somit eine unvorsätzliche Begehung für möglich gehalten wurde, scheint sie sich seit Simba der Auffassung der Trial Chamber III angeschlossen zu haben68. Die ICTR Trial Chamber II hat indessen in Kajelijeli die Ausführungen von Trial Chamber III in Semanza so interpretiert, dass sorgloses oder grob fahrlässiges Verhalten ein Indikator für die mens rea des Beschuldigten ist. In ihrer Entscheidung in Kayishema und Ruzindana sei nicht beabsichtigt gewesen, einen Täter ohne mens rea Erfordernis zu verurteilen. Verstehe man die Aussagen in Kayishema und Ruzindana, sowie Semanza unter diesem Gesichtspunkt, seien beide Urteile nicht in sich widersprüchlich69. Praktisch bedeutet das, dass Trial Chamber II an Kayishema und Ruzindana weiter festgehalten damit eine weite Auslegung der mens rea befürwortet hat70. Trial Chamber III folgte indes weiterhin der von ihr in Semanza aufgestellten Rechtsprechung. Im Fall Ntagerura wurde (nach Erlass von Kajelijeli durch Trial Chamber II) festgestellt: „The mental element for extermination is the intent to perpetrate or to participate in mass killing“71. Die Rechtsauffassung zur mens rea für den Tatbestand der Ausrottung war insoweit in der ICTR Trial Chamber Rechtsprechung bis vor kurzem uneinheitlich. Während Trial Chamber II unvorsätzliche Ausrottung für ausreichend erachtete, wollten Trial Chambers I und III nur vorsätzliche Ausrottung unter den Tatbestand subsumieren. Die ICTR Appeals Chamber hat die Sache indes nunmehr im Gacumbitzi Appeal im Einklang mit der Auffassung der Trial Chambers I und III, sowie der ICTY Rechtsprechung entschieden und klargestellt, dass „the intention to participate in a large scale massacre“ notwendig ist72. An diese Sichtweise ist seit66
Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 341, Fn. 569. Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 450. 68 Noch unentschieden in Prosecutor v. Ndindabahizi, ICTR-2001-71-I (15. Juli 2004), Abs. 480 „Given the facts of the present case, there is no need to consider whether recklessness would satisfy the mens rea of extermination“. Nunmehr jedoch Vorsatz voraussetzend Prosecutor v. Simba, ICTR-01-76-T (13. Dezember 2005), Abs. 422, mit Verweis auf Ntagerura in Fn. 423; wohl auch Prosecutor v. Mpambara, ICTR-01-65-T (11. September 2006), Abs. 10. 69 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 895, 907; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 696. 70 Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 71 mit Verweis auf Kajelijeli. 71 Prosecutor v. Ntagerura, Bambiki und Imanishimwe, ICTR-99-46-T (25. Februar 2004), Abs. 701; vgl. auch Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-T (17. Juni 2004), Abs. 312. 67
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dem auch ICTR Trial Chamber II gebunden. Ob das ICC den Feststellungen der ad hoc Tribunale folgen sollte, sei hier einmal dahin gestellt. Zumindest sollte insoweit Klarheit bestehen, als dass bei der Entscheidung, welche mens rea bei „Mord“ einschlägig ist, damit (wohl) indirekt die mens rea der Ausrottung zumindest mitbestimmt ist. Unabhängig vom mens rea Erfordernis bezüglich der spezifischen Ausrottungshandlung muss der Täter im Einklang mit den generellen mens rea Grundsätzen zusätzlich über konstruktives Wissen vom makrokriminellen Gesamtkontext verfügen. Ihm muss zudem nachgewiesen werden, dass er weiß, dass sich seine Handlung als Teil des Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellt73.
III. Folter 1. Definition der „Folter“ nach dem ICC Statut und den Elements of Crimes Das Verbrechen der Folter wurde erstmalig in Art. II des CCL No. 10 kodifiziert und ist seitdem in jedem Statut eines international(isiert)en Tribunals enthalten. Art. 7(2)(e) des ICC Statuts definiert Folter als: „the intentional infliction of severe pain or suffering, whether physical or mental, upon a person in custody or under the control of the accused; except that torture shall not include pain or suffering arising only from, inherent in or incidental to, lawful sanctions.“74
Konkretisierend machen die Elements of Crimes die Verwirklichung des Foltertatbestandes von nachfolgenden Voraussetzungen abhängig75: „Art. 7(1)(f) Crime against humanity of torture14 Elements 1. The perpetrator inflicted severe physical or mental pain of suffering upon one or more persons. 2. Such person or persons were in the custody of or under the control of the perpetrator. 72 Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-A (7. Juli 2006), Abs. 86, Fn. 212 mit Verweis auf Stakic´ Appeal des ICTY. 73 Prosecutor v. Bisengimana, ICTR-00-60-T (13. April 2006), Abs. 71; lehrreich auch Prosecutor v. Brdanin, IT-99-36-A (3. April 2007), Abs. 479 ff. 74 Amtliche UN Übersetzung des Art. 7(2)(e), UN. Doc. A/Conf.183/9 (17. Juli 1998) [Im Sinne des Absatzes 1] „bedeutet ,Folter‘, dass einer in Gewahrsam oder unter der Kontrolle des Beschuldigten befindlichen Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden; Folter umfasst jedoch nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören, oder damit verbunden sind; [. . .].“ 75 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(f).
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3. Such pain or suffering did not arise only from, and was not inherent in or incidental to, lawful sanctions. 4. The conduct was committed as part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. 5. The perpetrator knew that the conduct was part of or intended the conduct to be part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. Fn. 14: It is understood that no specific purpose need to be proved for this crime.“
2. Actus reus Die Definition aus Art. 7(2)(e) ICC Statut ist wortwörtlich in die Elements of Crimes übernommen worden. Beide Definitionen weichen allerdings von der Definitionsbestimmung der „Folter“ ab, die sich in Art. 1(1) der Folterkonvention von 1984 wiederfinden lässt. Problematisch ist die Diskrepanz insoweit, als dass teilweise vertreten wird, dass die Definition in der Folterkonvention eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Stellung beanspruchen kann76. Folter ist dort definiert als „jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächliche oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentliches Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht wird.“77
Art. 1(1) der Folterkonvention begründet als Grundlage des Foltertatbestandes vier grundlegende Voraussetzungen: erstens muss die Handlung dem Opfer große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zufügen. Zweitens muss der Handlung ein spezifischer Zweck zugrunde liegen. Drittens muss die Handlung durch eine Person in amtlicher Eigenschaft begangen werden. Und viertens ist eine vorsätzliche Begehung konstitutiv. Die Definition unterscheidet 76 Vgl. Prosecutor v. Delalic ´ et al., IT-96-21-T (16. November 1998), Abs. 459 „it may therefore be said that the definition of torture contained in the Torture Convention [. . .] reflects a consensus which the Trial Chamber considers to be representative of customary international law“. 77 Convention Against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (10. Dezember 1984), 23 ILM 1027, in modifizierter Version 24 ILM 535 (1985). Der Originalwortlaut lautet „any act which severe pain or suffering, whether physical or mental, is intentionally inflicted on a person for such purposes as [. . .] intimidating or coercing him [or her] or a third person, or for any reason based on discrimination of any kind, when such pain or suffering is inflicted by or at the instigation of or with the consent or acquiescence of a public official or other person acting in an official capacity“.
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sich damit von Art. 7(2)(e) ICC Statut in zweierlei Hinsicht. Zum einen fordert sie im Gegensatz zum ICC Statut die Begehung durch eines Staatsbeamten (oder Beamten des öffentlichen Dienstes), zum anderen muss die Folterhandlung aufgrund eines spezifischen Zweckes verübt worden sein. Die in Art. 1(1) der Folterkonvention kodifizierte Definition ist damit enger als die in Art. 7(2)(e) ICC Statut. Das ICTR und ICTY haben sich vor Verabschiedung der ICC Definition mit der Reichweite des Art. 1(1) der Folterkonvention auseinandergesetzt. Das ICTR griff in Akayesu bei der Auslegung des Tatbestandes der Folter auf Art. 1(1) zurück. Auch das ICTY hat sich dieser Sichtweise in Delalic´78 und Furundzˇjia79 angeschlossen. Bemerkenswert ist, dass auch die Appeals Chamber in Furundzˇjia den eingeschlagenen Weg zunächst mitgetragen hat. In Kunarac hat sie ihre Auffassung allerdings wieder revidiert und dem Tatbestand der Folter im Rahmen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit einen größeren Anwendungsbereich eingeräumt. Weil auch das ICTR nunmehr von einer weiteren Auslegung des Foltertatbestandes im Rahmen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit ausgeht, mit der Folge, dass Art. 1(1) der Folterkonvention nicht obligatorisch ist für die Auslegung von „Folter“ i. S. eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit, ist die Frage gerichtlich entschieden. a) Tatbestandsmerkmale der Folter Der objektive Tatbestand der Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verlangt nach Ansicht der ad hoc Tribunale, dass der Täter dem Opfer ernsthafte physische oder psychische Schmerzen zufügt, mit dem Zweck – von dem Opfer oder eines Dritten ein Geständnis oder Informationen zu erlangen; – das Opfer oder einen Dritten für eine mutmaßliche Handlung zu bestrafen, die entweder das Opfer oder ein Dritter begangen hat; – das Opfer oder einen Dritten zu erniedrigen oder zu nötigen; – [für jeglichen Grund, der auf jeglicher Art einer Diskriminierung beruht80.] 78 Prosecutor v. Delalic ´ et al., IT-9-21-T (16. November 1998), Abs. 473 „traditionally, an act of torture must be committed by, or at the instigation of, or with the consent or acquiescence of, a public official or person acting in an official capacity. In the context of international humanitarian law, this requirement must be interpreted to include officials of non-state parties to a conflict, in order for the prohibition to retain significance in situation of internal armed conflicts or international conflicts involving some non-State entities“. 79 Prosecutor v. Furundz ˇjia, IT-95-17/1-T (10. Dezember 1998), Abs. 162. 80 Nur vom ICTR deklariert: Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 594; Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki und Imanishimwe, ICTR-99-46-T
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Während die meisten dieser Handlungen durch ihre aktiven Ausführungsweisen gekennzeichnet sind, geht das ICTY seit Delalic´ davon aus, dass auch eine Folterhandlung durch Unterlassen möglich ist, wenn die Praktik einen vergleichbaren Schweregrad erreicht81. aa) Ernsthafte physische oder psychische Schmerzen Das ICTY differenziert zwischen Handlungen, deren Schweregrad Folter per se darstellt, und Handlungen, bei denen der Schweregrad einer Folterhandlung erreicht werden kann82. In erstere (restriktiv zu handhabende) Kategorie fallen Vergewaltigung83 und das Abtrennen von Körperteilen84. Im Regelfall ist jedoch äußerst umstritten, wann die Zufügung der Schmerzen einen Schweregrad der „Ernsthaftigkeit“ erreicht. Eine pauschale Berufung auf bestimmte Praktiken wird insbesondere in Grenzfällen nicht ausreichend sein. Nicht jede Handlung, die als Körperverletzung subsumierbar ist, ist deswegen schon deshalb „Folter“, weil es eine „Körperverletzung“ ist. Vielmehr muss bei der in Frage stehenden Handlung auf die Dauer, Häufigkeit, Intensität, körperliche und geistige Konstitution des Opfers, sowie die allgemeinen äußeren Umstände abgestellt werden. In Delalic´ hat das ICTY unter Berufung auf den Northern Ireland Fall festgestellt, die Zufügung von Schmerzen müsse „sehr ernsthafte“ Ausmaße annehmen; dies sei im Einklang mit Art. 1(1) der Folterkonvention, welche die Zufügung „verstärkter („aggravated“) Schmerzen“ fordere85. Eine „intensive, psychische und physische Zufügung von Schmerzen muss demnach eo ipso nicht notwendigerweise eine Folterhandlung sein86. Der Schweregrad muss „severe pain and suffering“, nicht aber „extreme pain and suffering“ erreichen87.
(25. Februar 2004), Abs. 343; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 343. 81 Prosecutor v. Delalic ´ et al., IT-9-21-T (16. November 1998), Abs. 468; Prosecutor v. Kunarac et al. IT-96-23 und IT-9623/1-T (22. Februar 2001), Abs. 497; Prosecutor v. Kunarac et al. IT-96-23 und IT-9623/1-A (12. Juni 2002), Abs. 156. 82 Prosecutor v. Kunarac et al. IT-96-23 und IT-9623/1-A (12. Juni 2002), Abs. 150. 83 Prosecutor v. Kunarac et al. IT-96-23 und IT-9623/1-A (12. Juni 2002), Abs. 150; Prosecutor v. Brdanin, IT-99-36 (1. September 2004), Abs. 485. 84 Prosecutor v. Kvoc ˇ ka, IT-98-30/1 (2. November 2001), Abs. 144. 85 Prosecutor v. Delalic ´ et al., IT-9-21-T (16. November 1998), Abs. 463 f.; Declaration on the Protection of All Persons from Being Subjected to Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment. U.N. Doc. A/10034, 91 Art. 1 (1975) „Torture constitutes an aggravated and deliberate form of cruel, inhuman or degrading treatment or punishment“; zu restriktiv Torture and Other Cruel, Inhuman, or Degrading Treatment of Punishment, 101 S.Exec. Rep. 30, 13 (1990) „Torture is the extreme end of cruel, inhuman or degrading treatment.“ (Eigene Hervorhebung.) 86 Prosecutor v. Delalic ´ et al., IT-9-21-T (16. November 1998), Abs. 463 f. mit Berufung auf den Northern Ireland Case. Das Gericht ist sich jedoch auch bewusst, dass diese Entscheidung nicht ohne Kritik in der Fachliteratur geblieben ist; siehe auch
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Es ist nicht erforderlich, als Beweis für die Misshandlung ein medizinisches Gutachten vorzulegen88. In der Gerichtspraxis wird dies zum Zwecke der Beweissicherung zwar ratsam, allerdings nicht immer möglich sein, da es nicht wenige Foltermethoden gibt, die gerade darauf abzielen, keine äußerlich sichtbaren Spuren zu hinterlassen (vor allem „white torture“). Um ungeachtet der Einzelfalllastigkeit bei der Bestimmung von „Folterhandlungen“ – mit aller Vorsicht – die Erfüllung des Tatbestandes plastischer werden zu lassen, sei auf folgende Beispielfälle verwiesen. Ausgehend von Entscheidungen des ICCPR Komitees stellte das ICTY in Delalic´ fest, dass eine Kombination aus Körperverletzungen („beatings“), das Verwenden von Elektroschocks und/oder simulierte Scheinexekutionen89, eine Kombination aus plantones90, Körperverletzungen und das Vorenthalten von Nahrungsmitteln91, eine Kommunikationsverweigerung für mehr als drei Monate in Kombination mit dem dauerhaften Verbinden der Augen und dem Fesseln von Händen92, falanga93, „horse“94 in Kombination mit dem Ablecken des eigenen Blutes vom Rochin v. California, 342 U.S. (1952), 165 (172) wo eine Verletzung des 5th Amendment der US Verfassung davon abhängig gemacht wurde, ob die Tat tauglich ist „[to] shock the conscience“. 87 Prosecutor v. Brdanin, IT-99-36 (3. April 2007), Abs. 241 f.; plastisch Burchard, 6 JInt’l Crim. Just. (2008), 159 (165). 88 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 150. 89 Prosecutor v. Delalic ´ et al., IT-9-21-T (16. November 1998), Abs. 461 mit Berufung auf Muteba v. Zaire (124/1982) Report of the Human Rights Committee, U.N. GAOR, 22nd Session, Suppl. No. 40 (1984), Abs. 10.2. Rechtliche Grundlage der dortigen Bewertung der Handlung als Folter war Art. 7 ICCPR. 90 Die Praktik des plantones beinhaltet, dass das Opfer über einen extrem langen Zeitraum aufrecht stehen bleiben muss. 91 Prosecutor v. Delalic ´ et al., IT-9-21-T (16. November 1998), Abs. 461 mit Berufung auf Setelich v. Uruguay (63/1979) GAOR 14th Session, Abs. 16.2. Rechtliche Grundlage der dortigen Bewertung der Handlung als Folter war Art. 7 ICCPR. 92 Prosecutor v. Delalic ´ et al., IT-9-21-T (16. November 1998), Abs. 461 mit Berufung auf Weinberger v. Uruguay (28/1978) Report of Human Rights Committee, GAOR 31st Sess., Abs. 4. Diese Praktik kann zu einer Lähmung der Gliedmaßen, Fußverletzungen, schwerwiegender Gewichtsabnahme und Augeninfektionen führen. Rechtliche Grundlage der dortigen Bewertung der Handlung als Folter war Art. 7 ICCPR. 93 Prosecutor v. Delalic ´ et al., IT-9-21-T (16. November 1998), Abs. 462 mit Berufung auf den „Greek Case“, 1969 Y.B. Eur.Conv. on H.R. 12, Abs. 504. Die Praktik falanga, die im Greek Case von der Sicherheitspolizei Athens angewandt wurde, besteht aus einer Ausübung ernsthafter Schläge, die auf den ganzen Körper verteilt werden. Rechtliche Grundlage der dortigen Bewertung der Handlung als Folter war Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention. 94 Bei der Praktik horse wird das Opfer gezwungen, ein anderes Opfer, einen Dritten, oder den Täter über einen längeren Zeitraum auf dem Rücken zu transportieren. Die Praktik setzt sich sowohl aus physischen wie auch psychischen Elementen (Erniedrigung) zusammen.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
Stiefel des Täters95, eine Kombinationshandlung aus völliger Entkleidung des Opfers und Fesselung der Arme auf dem Rücken, die zu einer temporären Lähmung beider Arme führte96, Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt97, äußerst erniedrigende Handlungen98, oder eine Kombinationshandlung aus Verbinden der Augen, die Ausübung von Schlägen und das Aussetzen von Wasser, das durch ein Hochdruckgerät auf das Opfer gesprüht wird, während dieses in einem Reifen gedreht wird99, Folterhandlungen sein können. Auch die Verwendung von Foltermitteln, die sich aus einer Kombination aus Aufstellen des Opfers an einer Wand, Vermummungen, sowie Lärm, Schlaf- und Nahrungsentzug zusammensetzen, kann als Folter deklarierbar sein100. Im letzten Beispiel hat der Europäische Gerichtshof jedoch in concreto das Vorliegen einer Folterhandlung mangels spezifischer Schwere im Fall Northern Ireland verneint. Eine vergleichbare Handlungsbegehung wurde jedoch später in Carboni unter dem Tatbestand der Folter subsumiert101. Schließlich kann bei der konkreten Bestimmung, ob die in Frage stehende Handlung eine taugliche Folterhandlung darstellt, auf Berichte des Sonderbeauftragten, sowie des Komitees gegen Folter verwiesen werden, in welchen (in nicht abschließender Form) weitere Beispiele aufgeführt sind102. Folterhandlungen können sich demnach auch zusammensetzen aus: dem Entfernen der Nägel, Zähne usw., dem Zufügen von Verbrennungen, Elektroschocks, dem Aufhängen des Opfers, der Suffokation durch die Hände oder mit Hilfe eines Objektes (z. B. einer Tüte), dem Aussetzen von extremen Licht, Handlungen in Zusammenhang mit der Verwaltung von Medikamenten in Haftanstalten oder Psychiatrien, dem längerfristigen Entzug von Schlaf oder Essen, oder der Vorenthaltung
95
Mehinovic et al. v. Vukovic, 198 F. Supp. 2d (2002), 1322 ff. Prosecutor v. Delalic´ et al., IT-9-21-T (16. November 1998), Abs. 465. 97 Prosecutor v. Delalic ´ et al., IT-9-21-T (16. November 1998), Abs. 465 f. mit Verweis auf Aydin v. Turkey, Urteil v. 18. Dezember 1996, ECHR; Aydin v. Turkey, No. 23178/94 (25. September 1997) ECHR Reports (1997-VI), Abs. 78 ff.; Fernando v. Raquel Mejia v. Peru, Inter-American Commission on Human Rights, No. 5/96, Case 10970 (1. März 1996), Abs. 182 ff.; Blatt, 19 Rev.L&Soc.Change (1992), 821 ff.; Asward, 84 Geo.L.J. (1996), 1913; Bassiouni, Crimes against Humanity in International Criminal Law, 350. 98 Mehinovic et al. v. Vukovic, 198 F. Supp. 2d (2002), 1322 ff. 99 Prosecutor v. Delalic ´ et al., IT-9-21-T (16. November 1998), Abs. 466. 100 Prosecutor v. Delalic ´ et al., IT-9-21-T (16. November 1998), Abs. 462 mit Berufung auf den „North Ireland Case“, Abs. 167. Rechtliche Grundlage der dortigen Bewertung der Handlung als Folter war Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention. 101 Carboni v. Uruguay (159/1983) Report of the Human Rights Committee, GAOR, 31st Sess., Abs. 4. 102 Report of the UN Special Rapporteur on Torture, UN Doc. E/CN.4/1988/17, Abs. 119 (1988); Report of the Committee against Torture, 55th Sess (2005), 63th Sess. (2006). 96
B. Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit
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von grundlegenden Hygieneartikeln oder medizinischer Versorgung. Die Folterhandlungen sind nicht auf physische Handlungen beschränkt und schließen „psychologische Folter“ mit ein103. Demnach ist die Herbeiführung von völliger Isolation, Sinnesentzug, die Haltung des Opfers in ständiger Ungewissheit bezüglich des Aufenthaltsortes und der Haftdauer, Drohungen, die darauf abzielen, Verwandte des Opfers zu foltern oder zu töten, angedrohte Aussetzung, oder die erzwungene Teilnahme an „Spielen“ mit etwaigem tödlichen Ausgang104 als Folter zu werten. Aus einem Bericht des Komitees gegen Folter aus dem Jahr 2006 geht schließlich explizit hervor, dass auch das von der CIA im Wege des Krieges gegen den Terror an (vermeintlichen) Terroristen durchgeführte „waterboarding“ – mithin das Simulieren des Ertrinkens – als Folter deklarierbar ist105. Die Praktik ist nicht neu; sie wurde schon von japanischen Soldaten an Amerikanern während des Zweiten Weltkrieges als „Verhörmethode“ eingesetzt. Die Amerikaner haben daraufhin die Folterer selbst in Kriegsverbrecherprozessen zum Tode verurteilt. Das ICTY hat bezüglich „Folterhandlungen“ einerseits und „grausamer Behandlung“ (im Wege einer anderen unmenschlichen Handlung) andererseits hervorgehoben, dass letztere Handlung nicht den Schweregrad von „Folter“ erreichen muss106. Die Verurteilung im Wege der „grausamen Behandlung“ käme bei Nichteinschlägigkeit von Folter subsidiär in Betracht. Ob diese Sichtweise auf das ICC Statut übertragbar ist, ist umstritten. Aufgrund ejusdem generis könnte auch bei „grausamer Behandlung“ als andere unmenschliche Handlung eine vergleichbare Schwere zu fordern sein107. Dagegen spricht aber zum einen, dass dann der Foltertatbestand als lex specialis seiner Eigenständigkeit erheblich beraubt wäre. Zum anderen kann die „Grausamkeit“ einer Handlung insbesondere in subjektiver Hinsicht einen selbstständigen Unrechtsgehalt beschrei-
103 Mehinovic et al. v. Vukovic, 198 F. Supp. 2d (2002), 1322 ff. „Mental torture consists of ,prolonged mental harm caused by or resulting from: the intentional infliction or threatened infliction of severe physical pain or suffering; . . . the threat of imminent death; or the threat that another person will immediately be subject to death [or] severe physical pain or suffering‘“; Coker v. Georgia, 433 US (1977), 584 (611 f.) (abweichend Richter Burger); Denno, 63 Fordham L.Rev. (1994), 25 (31); Pendo, 17 Harv. Women’s LJ (1994), 157 (178 f.). 104 In Mehinovic et al. v. Vukovic, 198 F. Supp. 2d (2002), 1322 ff. wurde das erzwungene Spielen von „Russischem Roulette“ als Folter bewertet. 105 UN.Doc. A/61/44 (2006), 71. 106 Prosecutor v. Brdanin, IT-99-36 (1. September 2004), Abs. 483; Prosecutor v. Martic, IT-95-11 (12. Juni 2007), Abs. 75. 107 So Burchard, 6 JInt’l Crim. Just. (2008), 159 (167) „equally high threshold of pain and suffering“.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
ben108. Auch bei Ansetzung eines geringeren Grades an „Schwere“ wäre mithin ejusdem generis nicht verletzt. bb) Gewahrsam oder unter Kontrolle Art. 7 des ICC Statutes wie auch Art. 7 (1)(f) der Elements of Crimes verlangen, dass sich das Opfer in Gewahrsam oder unter Kontrolle des Täters befinden muss. „Gewahrsam“ in diesem Zusammenhang bedeutet jede Art der Inhaftierung und ist somit weiter gefasst als der Begriff des Freiheitsentzuges in Art. 7(1)(e) ICC Statut109. Der Terminus „unter Kontrolle“ beinhaltet jede Form der Einschränkung oder Beherrschung durch einen anderen; es muss damit nicht eine vergleichbare Schwere wie beim Sklavereitatbestand erreicht werden110. Hat der Täter jedoch vice versa eine sklavereiähnliche Handlung, oder Sklaverei begangen, so ist auch das obige Tatbestandsmerkmal der Folter erfüllt. cc) Rechtmäßige Sanktionen Vom Foltertatbestand ausgeschlossen sind hingegen Schmerzen und Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind111. Auszugehen ist von einem international akzeptierten Standard, welcher von den nationalen Autoritäten zu beachten ist112. Allein die Tatsache, dass eine gewisse Praktik in einem Staat geduldet wird, lässt folglich nicht den Schluss zu, dass die Sanktion im Sinne des Foltertatbestandes automatisch rechtmäßig wäre. Das Völkerrecht und nicht das nationale Recht bestimmt primär die Legalität der Praktik113. Dies bedeutet jedoch nicht a contrario, dass die nationale Gesetzgebung eines Staates völlig außer Acht zu lassen wäre. Das macht schon die Entstehungsgeschichte des Tatbestandsmerkmals deutlich. Die Ausklammerung von rechtmäßigen Sanktionen wurde aufgrund der Befürchtungen von mehreren islamischen Staaten, gewisse „islamische Ar108 Siehe etwa BGH, 5 StR 320/06, Beschluss v. 13. März 2007, Rn. 13 „,grausam‘ wird durch eine gefühllose und unbarmherzige Gesinnung des Täters und die Billigung von Tatumständen gekennzeichnet, welche es bedingen, dass dem Opfer [. . .] besondere Schmerzen oder Qualen zugefügt werden.“ (Eigene Hervorhebung.) s. weiter BGHSt 3, 10; BGH NJW 1986, 265 (266). 109 Hall in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, 160 (163). 110 Hall in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, 160 (163) „The term ,under the control of the accused‘ is not synonymous with the term ,other severe deprivation of liberty‘.“ 111 ICC Statut, Art. 7(2)(e) a. E. 112 Hall in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, 160 (164). 113 Report of the UN Special Rapporteur on Torture, UN Doc. E/CN.4/1988/17, Abs. 42 (1988).
B. Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit
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ten“ der Bestrafung könnten als Folter im Sinne des ICC Statuts gewertet werden, in den Tatbestand mit aufgenommen114. Im Endeffekt ist eine – ungleichgewichtige – Gesamtabwägung zu treffen, die sich aus einer Zusammenschau von nationalem und internationalem Recht zusammensetzt. Ist der international noch akzeptable Standard unterschritten, ist die Sanktion freilich per se unrechtmäßig. dd) Keine Notwendigkeit der Ausführung auf Veranlassung des Staates Strittig war, ob die in der Folterkonvention enumerierte Notwendigkeit einer Beteiligung durch den Staat auf den Foltertatbestand als Verbrechen gegen die Menschlichkeit übertragen werden musste. Für eine Begrenzung der Folter auf staatliche Handlungen wurden vornehmlich zwei Argumentationslinien vorgebracht. Erstens stützte man sich auf den Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 der Folterkonvention, der als völkergewohnheitsrechtliche Ausprägung ausdrücklich die Begehung durch einen Staatsbeamten für notwendig erachtet. Zweitens wurde ins Feld geführt, dass die staatliche Begehung notwendig sei, weil das kriminelle Ausmaß bei einer Begehung im Rahmen einer staatlichen Handlung größer wäre;115 und eine klare Aufteilung in internationale und nationale Ebene sowohl aus theoretischer als auch funktionaler Sicht wichtig und notwendig sei, um der Gefahr einer Vermischung beider Ebenen zu begegnen116. Die ad hoc Tribunale lehnen den offerierten Ansatz entgegen früherer Auffassung nunmehr explizit ab. Was den ersten Argumentationsstrang betrifft, wird herausgestellt, dass die Definitionsbestimmung in Art. 1(1) der Folterkonvention – insbesondere mit Hinblick auf das Erfordernis einer Begehung durch einen Staatsbeamten – nicht deckungsgleich mit dem des Foltertatbestandes als Verbrechens gegen die Menschlichkeit sein kann117. Beide Definitionen haben eine unterschiedliche Zwecksetzung. Während Art. 1(1) der Folterkonvention vor allem auf die Verpflichtungen von Staaten abstellt, ziele der Foltertatbestand beim Verbrechen gegen die Menschlichkeit primär auf den Schutz der geistigen und körperlichen Unversehrtheit des Opfers ab. Die Folterkonvention von 1984 wurde zudem zu einer Zeit verfasst, als vermehrt (vor allem südamerikanische) Staaten ihre politischen Gegner folterten. Durch das Folterverbot sollte der Missbrauch der staatlichen Exekutivgewalt 114
Kittichaisaree, International Criminal Law, 111; Arsanjani, 93 AJIL (1999), 22
(31). 115 Rodley in: Mahoney/Mahoney, Human Rights in the Twenty-First Century: A Global Challenge, 297 (298, 301, Fn. 10); Tesón, 33 Va.JInt’l L (1993), 646 (662 f.). 116 Burgers/Danelius, The United Nations Convention against Torture, 119 f. 117 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 342.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
eingeschränkt und die Bürger vor staatlich verübter oder unterstützter Gewalt geschützt werden118. Steht auf der anderen Seite wie beim Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit der primäre Schutz des Individuums vor Folter im Vordergrund, muss die Reichweite der Folterdefinition weiter sein. Dies zeigt sich aus einer Gesamtschau zahlreicher multilateraler Konventionen, die Folterverbote enthalten, welche im Vergleich zur Folterkonvention von 1984 in der Reichweite größer sind119. Die in der Folterkonvention enthaltende Definition ist somit für den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit nur eine „Interpretationshilfe“120. Zusammenfassend stellte die Trial Chamber in Kunarac fest: „The human rights conventions consider torture per se while the Tribunal’s Statute criminalises it as a form of war crime, crime against humanity or grave breach. The characteristic trait of the offence in this context is to be found in the nature of the act committed rather that in the status of the person who committed it. The Trial Chamber concludes that the definition of torture under international humanitarian law does not comprise the same elements as the definition of torture generally applied under human rights law. In particular, the Trial Chamber is of the view that the presence of a state official or of any other authority-wielding person in the torture process is not necessary for the offence to be regarded as torture under international humanitarian law.“121
Gegen das in Kunarac vorgebrachte Argument scheint auf den ersten Blick § 3(b)(1) des U.S. Torture Victims Protection Act (TVPA) zu sprechen. Dort ist die Folterhandlung – basierend auf dem law of nations – nicht auf Grundlage von Staatenobligationen, sondern auf Grundlage einer Verletzung der Menschenrechte definiert122. 118
Byrnes in: Askin/Koenig, Women and International Human Rights Law II, 183
(190). 119
Byrnes in: Askin/Koenig, Women and International Human Rights Law II, 183
(191). 120 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 495; als obiter dictum bestätigt durch die Appeals Chamber in Kunarac; vgl. Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 145 f. „the definition of torture in the Torture Convention reflects customary international law as far as the obligation of States is concerned, must be distinguished from an assertion that this definition wholly reflects customary international law regarding the meaning of the crime of torture generally. The Trial Chamber in the present case was therefore right in taking the position that the public official requirement is not a requirement under customary international law in relation to the criminal responsibility of an individual for torture outside the framework of the torture convention.“ 121 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 495 f. (eigene Hervorhebung). 122 Nach § 3(b) TVPA ist Folter definiert als (1) „any act, directed against an individual in the offender’s custody or physical control, by which severe pain or suffering (other than pain or suffering arising from or inherent in, or incidental to, lawful sanc-
B. Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit
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In Doe v. Karadzˇic´ ist im Rahmen der Interpretation des TVPA vom 2. US Federal District Court festgestellt worden, dass mit Ausnahme der Tatbestände des Völkermordes und der Kriegsverbrechen eine Folterhandlung nur durch einen Staatsbeamten begangen werden kann123. Aus Filartiga v. Peña Irala lassen sich vergleichbare Schlüsse ziehen124. Verwiesen sei schließlich auf einen Bericht des U.S. House of Representatives, in welchem hervorgehoben wurde, dass eine reine private Begehung den im TVPA kodifizierten Tatbestand der Folter regelmäßig nicht erfüllt125. Einer Argumentation, die sich auf § 3 (b)(1) TVPA stützt, kann jedoch in mehrerlei Hinsicht widersprochen werden. Zum einen hat das Gesetz lediglich nationalstaatliche Ausprägung und regelt zivilrechtliche Ansprüche der Opfer gegen ihre Folterer nach dem Alien Tort Claims Act (ATCA)126, nicht aber strafrechtliche Sanktionsmaßnahmen. Zum anderen ist der Verweis auf das „law tions), whether physical or mental, is intentionally inflicted on that individual for such purposes as obtaining from that individual or a third person information or a confession, punishing that individual for an act that individual or third person has committed, or is suspected of having committed, intimidating or coercing that individual or a third person, or for any reason based on discrimination of any kind; and (2) mental pain and suffering renders to prolonged mental harm caused by or resulting from – (A) the intentional infliction or threatened infliction of severe physical pain or suffering; (B) the administration or application, or threatened administration or application, of mind altering substances or other procedures calculated to disrupt profoundly the senses of the personality; (C) the threat of imminent death, or (D) the threat that another individual will immediately be subjected to death, severe physical pain or suffering, or the administration or application of mind altering substances or other procedures calculated to disrupt profoundly the senses or personality.“ 123 Doe v. Karadzˇic ´ und Kadic v. Karadzˇic´ 70 F3d (2nd Cir. 1995), 742 certiorari abgelehnt, vgl. 116 S. Ct 2524 (1996); für das Ausgangsurteil siehe 886 F.Supp.734 (S.D.N.Y 1994). 124 In Filartiga v. Pena-Irala, 630 2 Fd. (1980), 876 (880) wurde eine Folterhandlung, die von einem Staatsbeamten gegen ein Opfer in Gewahrsam verübt wurde, als Verletzung der völkerrechtlichen Menschenrechte und des law of nations bewertet. 125 H.R. Rep. No. 102–367, 4 (1991); s. a. Isenberg, 60 Albany LRev. (1997), 1051 (1070) „The legislative history [of the TVPA] indicates that through this language, Congress intended to ensure at least some state involvement. As the Second Circuit noted, Congress chose the specific language of the TVPA to ,make [. . .] clear that the plaintiff must establish some governmental involvement in torture [. . .] to prove a claim‘ and that the statute ,does not attempt to deal with torture [. . .] by purely private groups‘.“ 126 Eine Klage auf der Grundlage des Alien Tort Claims Act (ATCA) basiert auf § 1350 i.V. m. Torture Victim Protection Act (TVPA) von 1991, Pub.L.No.102–256, 106 Stat. 73 (1992) i.V. m. mit den relevanten Gesetzes des jeweiligem U.S. Staates unter Einbeziehung der nationalstaatlichen Gesetze der Parteien. Auf der Grundlage von Filartiga v. Peña-Irala, 630 F2d (1980), 876 (878) muss der Kläger darlegen, dass (1) ein „Ausländer“ klagt (2) wegen eines Deliktes („tort“), und (3) wegen einer begangenen Verletzung gegen das „law of nations“. Nur federale Gerichte können eine Klage, die auf dem ATCA basiert, entscheiden. Zu der Frage, wann im Sinne des ATCA eine Verletzung des law of nations vorliegt vgl. nunmehr einschränkend Sosa v. Alvarez-Machian et al., 542 U.S. (2004), 692 ff.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
of nations“ irreführend. Nunmehr ist in den Vereinigten Staaten die Anwendungsreichweite des ATCA, und damit auch § 3 (b)(1) TVPA, höchst strittig. Um die Klageflut von Folteropfern vor Amerikanischen Gerichten einzudämmen, wurde in Sosa v. Alvarez-Machian127 hervorgehoben, dass die in Filartiga v. Peña-Irala128 begründeten Grundsätze extrem restriktiv auszulegen sind. Man kann daher bezweifeln, ob die U.S. Rechtsprechung zum ATCA gegenwärtiges Völkergewohnheitsrecht darstellt. Auch der erwähnte Bericht des House of Representatives gibt nicht viel her, da er nationalstaatlich beeinflusst, und veraltet ist. Gegen eine Beschränkung auf „staatliche Folter“ spricht weiter, dass diese gegen die Systematik des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit verstößt. Aus den Verhandlungsprotokollen zur Folterkonvention geht hervor, dass die Vertragsparteien willentlich eine Begrenzung auf Subordinationskonstellationen erreichen wollten; erweiterte Anträge, die ein Handeln Privater einschließen sollten, wurden nicht aufgenommen129. Überträge man diese Begrenzung auf den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, so hätte das zur Folge, dass zumindest für den Foltertatbestand die Begehung durch einen Staat regelmäßig130 erforderlich wäre. Wie allerdings von den internationalen ad hoc Tribunalen herausgearbeitet wurde, soll die Begehung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit gerade nicht nur auf staatliche Handlungen beschränkt sein, sondern zumindest auch nichtstaatliche Organisationen mit de facto Kontrolle mit einschließen131. Die Tatbegehung in Ausführung einer staatlichen Politik ist zudem nicht konstitutives Merkmal des Verbrechenstatbestandes132. Schließlich beruft sich das Gericht in Kunarac auf die Folterdefinition des ICC Statutes, die ebenfalls nicht das Erfordernis einer Handlungsbegehung durch einen Staatsbeamten vorschreibt133.
127 128 129
Sosa v. Alvarez-Machian et al., 542 U.S. (2004), 692 ff. Filartiga v. Peña-Irala, 630 F2d (1980), 876 (878). Byrnes in: Askin/Koenig, Women and International Human Rights Law II, 183
(190). 130 Die Ausführung von „staatlichen“ Folterhandlungen, bei denen der Staat nicht unmittelbar beteiligt ist, ist faktisch nur vorstellbar, wenn das Ausführungsorgan entgegen seinen Anordnungen ultra vires handelt; so auch Burgess/Danelius, A Handbook on the Convention against Torture and Other Cruel, inhumane or Degrading Treatment or Punishment, 119. 131 Dazu siehe Kapitel 4 B.II.3. 132 Dazu siehe Kapitel 4 B.II.3. 133 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 495; Kittichaisaree, International Criminal Law, 111 „The Rome Conference considered that crimes against humanity could be instigated or directed by State or nonState actors; therefore the requirement of official involvement is not included in the definition of torture under Article 7(2)(e) of the ICC Statute.“
B. Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit
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Was obig aufgezeigten zweiten Argumentationsstrang für das Erfordernis einer rein staatlichen Begehungshandlung betrifft – zum einen wurde hier auf die erhöhte kriminelle Energie von staatlichen Handlungen, und zum anderen auf Systematisierungsvorteile durch Einordnung in „staatliche“ und „nicht – staatliche Folter“ verwiesen – so kann eingewendet werden, dass „staatliche kriminelle Energie“ nicht notwendigerweise stärker sein muss, als nicht staatliche. Wie die neuere Geschichte gelehrt hat, können nichtstaatliche Organisationen mit de facto Kontrolle sehr wohl ein vergleichbar (makro-)kriminelles Ausmaß hervorrufen. Auch ist es wohl eher vorteil- als nachteilhaft, die Trennung von nationaler und internationaler Ebene nicht an rein formalen Kriterien, sondern an der faktischen Autoritätsgewalt festzumachen, um eine Missbrauchs- und Umgehungsgefahr auszuschließen, oder zumindest effektiv zu verringern. Hält man an einer formalen Trennung zwischen „staatlicher Folter“ und „nicht-staatlicher Folter“ fest, könnte ein Staatsoberhaupt z. B. seine Folterhandlungen durch privat agierende „Foltersöldner“ ausführen lassen. Fraglich ist dann, wo bei derartigen Fällen der „funktionale Vorteil“ für das Völkerstrafrecht zu sehen ist. Dem ICTY ist demnach zuzustimmen, wenn es im Kunarac Appeal feststellt, dass auch die Begehung durch ein de facto Staatsorgan nichts an der Einschlägigkeit des Foltertatbestandes ändert134. Nach heutigem Kenntnisstand ist das Erfordernis, dass Folter nur durch, oder mit Billigung eines Staatsbeamten verübt werden kann, nicht mehr völkergewohnheitsrechtliche Voraussetzung für den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit135. Auch das ICTR hat sich in Semanza der Sichtweise von Kunarac angeschlossen136. Legt man makrokriminelle Erwägungen zu Grunde, ist vorstellbar, dass nicht nur Organisationen, sondern auch Privatpersonen oder autonom agierende Terrorzellen im Falle sog. ad hoc Makrokriminalität137 eine taugliche Folterhandlung begehen können. Wäre etwa am 11. September 2001 Muhammad ‘Atta¯ asSayyid während des Fluges in die Vereinigten Staaten dazu angewiesen worden, den Co-Piloten des Flugzeugs zu foltern, um an wertvolle Informationen (z. B. zur Flugsicherung) zu gelangen und dadurch die Effektivität des Gesamtangriffs auf das WTC zu steigern, so spricht nichts dagegen, auch diese Folterhandlung als tauglichen Teil des Gesamtangriffs zu werten, um den Hintermann als Befehlsgeber zur Rechenschaft zu ziehen. 134 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 146 ff. 135 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 148. 136 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 342; für die vorherige gegenteilige Auffassung vgl. Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 594. 137 Dazu Kapitel 4 B.II.3.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
ee) Notwendigkeit eines spezifischen Zwecks (verbotener Zweck) Ob das Zweckerfordernis konstitutive Voraussetzung für den Foltertatbestand ist, ist umstritten. Die ad hoc Tribunale gehen von der Begehung im Rahmen eines spezifischen Zweckes aus, welcher jedoch nicht auf die in den Statuten enumerierten Beispiele beschränkt ist138. Der Folterzweck muss nicht vorherrschend sein; sondern nur als Teil der Begehungsmotive nachgewiesen werden139. Enumerierte und völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Zwecke sind das Erlangen von Informationen oder Geständnissen, Bestrafung, Einschüchterung, Ausübung von Zwang gegen das Opfer oder einem Dritten, oder die Diskriminierung des Opfers140. In Furundzˇjia wurde zudem der Zweck der Demütigung oder Erniedrigung erwähnt141. Teilweise wird auch die Ausübung von Folter, die durch reinen Sadismus oder Willkür getrieben ist, als ausreichend erachtet142. Befürwortet man die Notwendigkeit eines Zweckerfordernisses, muss dieses jedoch nicht alleinig auf nur einen der enumerierten Zwecke gestützt sein143. Ein „Zweckbündel“ schadet nicht. Auch muss der Zweck der Folterhandlung nicht dominieren. Ausreichend ist, dass der Zweck Teil der Motivation ist, auf den die Handlung gegründet wurde144. Wie jedoch in Delalic´ festgestellt wurde, reicht eine Motivation, die sich ausschließlich auf private Zwecke stützt, nicht aus, da reine privat motivierte Handlungen unter die nationalstaatliche Jurisdiktion fallen sollen145. Aus der Fußnote 14 der Elements of Crimes geht indessen hervor, dass bei der Interpretation des Foltertatbestandes des ICC Statutes kein spezifischer 138 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 594; Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki und Imanishimwe, ICTR-99-46-T (25. Februar 2004), Abs. 343; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 343; Prosecutor v. Delalic´ et al. IT-96-21-T (16. November 1998), Abs. 470 ff.; Prosecutor v. Kunarac et al. IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 497 „(iii) The act or omission must aim at obtaining information or a confession [. . .] on any ground, against the victim or a third person“ (eigene Hervorhebung); s. a. Mehinovic et al. v. Vukovic, 198 F. Supp. 2d (2002), 1322 ff., Fn. 26 mit Berufung auf Delalic´; restriktiver Prosecutor v. Simic´, IT-95-9-T (17. Oktober 2003), Abs. 79. 139 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (22. Juni 2002); Abs. 155; Prosecutor v. Martic´, IT-95-11-T (12. Juni 2007), Abs. 77. 140 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 485. 141 Prosecutor v. Furundz ˇjia, IT-95-17/1-T (10. Dezember 1998), Abs. 162. 142 Suresh v. Canada (Supreme Court von Kanada) 2002 CarswellNat 7, Abs. 52 „Torture may be meted out indiscriminately or arbitrarily for no particular offence. Torture has as its end the denial of a person’s humanity“; Bassiouni, Crimes against Humanity in International Criminal Law, 353. 143 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 148. 144 Prosecutor v. Delalic ´ et al., IT-9-21-T (16. November 1998), Abs. 470. 145 Prosecutor v. Delalic ´ et al., IT-9-21-T (16. November 1998), Abs. 471.
B. Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit
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Zweck vorliegen muss146. Das ICC Statut verlangt insoweit überhaupt keine Zwecksetzung. Das ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Während der Verhandlungen zum Rom Statut wurde von einigen Delegierten der Vorschlag unterbreitet, das Erfordernis einer speziellen Zweckbegehung in den Tatbestand aufzunehmen. Tatsächlich ist eine solche Voraussetzung auch für den Tatbestand der Kriegsverbrechen enumeriert worden, um einen Einklang mit der bestehenden Rechtsprechung der internationalen Tribunale herzustellen147. Für den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit wurde dieses Erfordernis indes für entbehrlich erachtet, da aus Entscheidungen des ECHR hervor gehe, dass das Vorliegen eines speziellen Zweckes kein konstitutives Element des Foltertatbestandes sei148. Für eine Beibehaltung des Zweckerfordernisses soll allerdings die Gewährleistung einer stringenten Abgrenzung zu anderen Tatbeständen sprechen. Ist ein Zweck nicht konstitutiv, fragt sich Bassiouni, was der Unterschied zwischen Folter und, in Abgrenzung dazu, einer grausamen Behandlung sein soll149. In Delalic´ hat das ICTY das Zweckerfordernis zudem an Art. 1(1) der Folterkonvention festgemacht, in welcher ein „auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhende[r] Grund“ gefordert wird150. Zwar könnte man bezüglich dieses Ansatzes einwenden, eine generelle Berufung auf die Folterkonvention gehe aufgrund der Tatsache, dass diese Konvention und der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit unterschiedliche Zweckrichtungen verfolgen, fehl. Ein solcher Ansatz wäre aber zu grobschnittartig. Wie aus dem Wortlaut des Art. 1(1) hervorgeht, ist das Zweckerfordernis in der Folterkonvention gerade staatsunspezifisch formuliert. Dies geht zum einen aus der kodifizierten Öffnungsklausel „zum Beispiel um“ hervor, und ergibt sich zum anderen aus dem Systematik selbst. So wird in Art. 1(1) unterschieden zwischen der Zweckregelung einerseits – „[. . .] zum Beispiel um . . . [. . .]“ – und staatlicher Ausfüh-
146 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add. 2 (2000), Art. 7 (i)(f), Fn. 14; „It is understood that no specific purpose need to be proved for this crime [gemeint ist das Verbrechen der Folter]“. 147 Vgl. Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add. 2 (2000), Art. 8(2)(a)(ii)-1, Abs. 2. 148 Ireland v. UK, Series A, No. 25 (1976), Separate Opinion of Judge Fitzmaurice, 129; Robinson in: Lee, The International Criminal Court: Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 90 (91). 149 Bassiouni, Crimes against Humanity in International Criminal Law, 351 „Torture requires a secondary purpose behind the acts of injury in order to distinguish it from inhume treatment, which does not require a purpose“; U.S. Restatement 3rd of Foreign Relations Law § 702, Reporters Note 5 (1987); Burgers/Danelius, The United Nations Convention Against Torture, 150 „unlike the definition of torture [. . .] the purpose of the act is irrelevant in determining whether or not the act should be considered to constitute cruel, inhuman or degrading treatment“. 150 Prosecutor v. Delalic ´ et al., IT-9-21-T (16. November 1998), Abs. 470.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
rungshandlung andererseits – „[. . .], wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes [. . .] verursacht wird.“ Wichtig ist hier die Formulierung „wenn [. . .] verursacht“, unterstützt durch ein vorstehendes Komma. Aus dieser Formulierung ergibt sich, dass die staatliche Handlungsbeteiligung lediglich eine Eingrenzungsregelung für die Verursachung ist (nur dann, wenn . . . verursacht) und nicht etwa auch eine Eingrenzung für die Zwecksetzung bereithält. Die staatliche Handlungsverursachung steht somit im Gegensatz zur vorherigen kodifizierten staatsunspezifischen Zwecksetzung. Die Argumentation, dass das Zweckerfordernis aus Art. 1(1) ohne Relevanz sei, weil die Stoßrichtung des Artikels eine andere wäre, greift somit nicht. Das Zweckerfordernis in Art. 1(1) ist gerade nicht durch einen staatlichen Handlungszweck geprägt, sondern wird nur durch eine davon abzugrenzende staatliche Handlungsbegehung begrenzt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Nichteinbeziehung eines speziellen Zwecks zwar die Aburteilung mutmaßlicher Folterer erleichtern wird. Sie könnte aber das Risiko einer Abgrenzungsverwischung mit anderen Tatbeständen bergen. Nach eigener Einschätzung ist das beschriebene Verwischungsrisiko aber nicht offensichtlich. Bassiouni’s Frage nach der dogmatischen Differenz zwischen Folter und „grausamer Behandlung“ bei Wegfall des Zweckerfordernisses läßt sich mit dem Hinweis beantworten, dass bei Letzterer insbesondere der Komponente der „Grausamkeit“ eine besondere Stellung eingeräumt werden kann, welche als Unterscheidungskriterium fungiert. Die in Fußnote 14 der Elements of Crimes angesproche Nichterforderlichkeit eines Zweckes muss somit nicht eo ipso zu einer dogmatischen Schieflage führen. b) Keine Rechtfertigungsmöglichkeit für Folterhandlungen Aus Art. 2 der Folterkonvention geht hervor, dass die Berufung auf (drohende) Kriegsverhältnisse, nationale politische Instabilität oder jedwede andere öffentliche Notlage eine Folterhandlung nicht rechtfertigen kann151. Das schließt die Folterung von Terroristen zum Zwecke der Vorbeugung von zukünftigen Straftaten mit ein, selbst wenn dadurch eine höchst wahrscheinliche Ab151 Vgl. auch Al-Adsani v. UK (Urteil v. 21. November 2001), ECHR Rep. of Judgments and Decisions, 2001-XI, Abs. 59; Chanhal v. UK (Urteil v. 15. November 1996), 1996-V, 1855, Abs. 79; Aksoy v. Turkey (Urteil v. 18. Dezember 1996), Abs. 62; Soering v. UK (Urteil v. 7. Juli 1989), Series A No. 161, 34, Abs. 88; Filartiga v. Peña-Irala, 630 F. 2d (1980) 876, 882; Ireland v. UK (Urteil v. 18. Januar 1978), Series A No. 25, 65, Abs. 163; Pedro Pablo Camargo on behalf of Maria Fanny Suárez de Guerrero v. Colombia (Entscheidung v. 31 März 1982) HRC Committee, Communication No. 045/1979; R v. Bow street Agistrate, ex parte Pinochet (Nr. 3) 1 AC [2000] 147.
C. Sexualisierte Verbrechen
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wendung einer Lebensbedrohung durch unbeteiligte Dritte abgewendet werden kann. Art. 2 schließt damit kategorisch eine Rechtfertigung für Folter aus. Ob dies auch im Falle einer makrosoziologisch-asymmetrischen Ausnahmesituation oder bei Rettungsfolter gelten soll, wird teilweise zwar angezweifelt, konnte sich jedoch (bisher) völkergewohnheitsrechtlich nicht durchsetzen152. 3. Mens rea In subjektiver Hinsicht muss der Täter dem Opfer in vorsätzlicher Art und Weise physische oder psychische Schmerzen zugefügt haben153. Aus Punkt vier der Einleitung zu den ICC Elements of Crimes geht hervor, dass es nicht notwendig ist, dass sich der Täter ein spezifisches Wertungsurteil über der Ernsthaftigkeit seiner Folterhandlung gebildet hat154. Unabhängig vom mens rea Erfordernis bezüglich der spezifischen Folterhandlung muss der Täter in Einklang mit den generellen mens rea Grundsätzen zusätzlich über konstruktives Wissen vom makrokriminellen Gesamtkontext verfügen. Ihm muss zudem nachgewiesen werden, dass ihm bewusst war, dass sich seine Handlung als Teil des Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellt.
C. Sexualisierte Verbrechen („gender crimes“) I. Einleitung Im Altertum wurden Verbrechen gegen Frauen – etwa Vergewaltigungen – vornehmlich als Eigentumsverletzung angesehen155. Dieses Verständnis änderte 152 Vgl. Dershowitz, Why Terrorism Works, mit Wagner, 4 GLJ 5 (2003), 515 ff.; s. a. Jessberger, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 1059 ff.; de Wet, 15 EJIL (2004), 97 ff. 153 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 594; Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki und Imanishimwe, ICTR-99-46-T (25. Februar 2004), Abs. 703; Bassiouni, Crimes against Humanity in International Criminal Law, 353 „,wilfully causing great suffering‘ means ,suffering inflicted without the ends in view for which torture is inflicted as a punishment, in revenge or for some other motive, even pure sadism.‘“ (Hervorhebung im Original.) 154 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add. 2 (2000), General Introduction, Punkt 4 „with respect to mental elements associated with elements involving value judgement, such as those using the terms ,inhumane‘ or ,severe‘, it is not necessary that the perpetrator personally completed a particular value judgement, unless otherwise indicated.“ 155 Wald, 30 CJL&Soc.Probs. (1997), 459 ff.; Askin in: Askin/Koenig, Women and International Human Rights Law I, 41(48). Zu den Gründen vgl. die Erklärung der UN Generalversammlung zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen, U.N. Doc. GA Res. 48/104 (20. Dezember 1993). „Violence against women is a manifestation of historically unequal power relations between men and women, which have led to domination over and discrimination against women by men and to the prevention of the
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
sich im Mittelalter. Bis zum heutigen Tage hat sich jedoch (glücklicherweise nur partiell) die Auffassung gehalten, dass vornehmlich in Kriegszeiten Frauen Teil der rechtmäßigen „Beute“ seien und sexualisierte Verbrechen eine bedauerliche „unausweichliche Ausprägung des Krieges“ oder gar beabsichtigte Kriegstaktik ist, getragen von dem Ziel, die individuellen Opfer, und/oder die gesamte (ethnische) Gruppe zu erniedrigen, zu beschämen oder zu verängstigen. Durch das Erstarken der Menschenrechte156 sind allmählich Gewalthandlungen gegen Frauen, zunächst während des Krieges157, später auch in Friedenszeiten158, krifull advancement of women, and [. . .] violence against women is one of the crucial social mechanisms by which women are forced into a subordinate position compared with men.“ Stains in: Lee, The International Criminal Court, The Making of the Rome Statute, 357 (358); Meron, 87 AJIL (1993), 424 (425). Dieser Beweggrund hat nicht an Aktualität verloren, siehe Prosecutor v. Kunarac et al. IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 583 „the rapes against the Muslim women were one of the many ways in which the Serbs could assert their superiority and victory over the Muslims.“; Waller, 9 JGSPol.&L (2001), 621 (639) „During the [Yugoslav] war, international human rights organizations learned that rape was occurring on a regular basis by factions on all sides as a weapon of war. Serb armies in particular regularly used rape as a strategy of war, both as an attempt to ethnically cleanse certain areas, and to assert Serb domination.“ 156 Boot, Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Court, 510. 157 Vgl. die Besprechung des Hagenbach Falles, oben Kapitel 2 B.I.; Bassiouni, A Draft International Criminal Code and Draft Statute for an International Criminal Tribunal, 8; ders. Crimes against Humanity in International Criminal Law, 346 ff.; ders./ Manikas, The Law of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, 576 ff.; 8; Parks, 61 Mil. L.Rev. (1973), 1 (4 ff.); Instructions for the Government of the United States in the Field by Order of the Secretary of War, Washington, D.C. (24. April 1863); Rules of Land Warfare, War Dept. Doc. No. 469, Office of the Chief of Staff (25. April 1914), G.P.O. 1917, abgedruckt in: Paust/Bassiouni/Scharf/Gurulé/Sadat/Zagaris/Williams, International Criminal Law Documents Supplement, 94 ff. (besser bekannt als Lieber Code oder General Orders No. 100), Art. 44 „all rape[s] [. . .] [are] prohibited under the penalty of death“, Art. 47 „crimes punishable by all penal codes, such as [. . .] rape [. . .] are not only punishable as at home, but in all cases in which death is not inflicted, the severer punishment shall be preferred“; IV Haager Konvention von 1907 (Convention Respecting the Laws and Custom of War on Land (Second Hague, IV) of 18 October 1907), 36 Stat. 2277, T.S. No. 539 „family honour and rights [. . .] must be respected“; Art. XLVI. der 1899 Konvention enthält die gleiche Formulierung; Gemeinsamer Art. 3 der Genfer Konventionen, wonach „[a] violence to life and person, in particular [. . .] mutilation, cruel treatment and torture; [. . .] (c) outrages upon personal dignity, in particular humiliating and degrading treatment“; Art. 27 der IV Genfer Konvention (Geneva Convention (IV) Relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War (12. August 1949), 75 U.N.T.S. 287) „Protected persons are entitled, in all circumstances, to respect for their persons, their honour, their family rights, their religion, convictions and practices, and their manners and customs. They shall at all times be humanely treated, and shall be protected especially against all acts of violence or threats thereof and against insults and public curiosity“; Art. 76(1) des Zusatzprotokolls I (Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and Relating to the Protection of Victims of International Armed Conflicts, 8. Juni 1977), 1125 U.N.T.S. 3 „Women shall be the object of special re-
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minalisiert worden. Die Reichweite der Aburteilung sexueller Gewalt im Rahmen des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit hat im Wege dessen eine zunehmende Konkretisierung und Erweiterung erfahren. Während Artikel 6 (c) des IMT Statuts und Art. 5(c) des IMTFE Statuts (explizit) nur die Verbrechenstatbestände des Mordes, der Ausrottung, Versklavung, „Deportation“, Verfolgung, sowie die Generalklausel „der anderen unmenschlichen Handlungen“ enthielten, wurden in Art. II(1)(c) des CCL No. 10 neben der Folter und des Freiheitsentzuges erstmalig mit dem Tatbestand der Vergewaltigung auch ein sexualisiertes Verbrechen in den Strafkatalog aufgenommen. Zu einer Strafverfolgung von Vergewaltigungshandlungen unter CCL No. 10 ist es indes nicht gekommen. Art. 5 ICTY und Artikel 3 ICTR Statut kodifizierten die Enumerierung des CCL No. 10. Im Wege der Anwendung der Statute sind erstmalig die rechtlichen Grenzen der Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit abgesteckt worden. Durch Art. 7 (1)(g) und (2)(c) ICC Statut ist schließlich das Ausmaß und die Ausprägung an Verbrechen, die in Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt stehen, erheblich erweitert und konkretisiert worden. So sind neben dem etablierten Verbrechen der Vergewaltigung die Verbrechenstatbestände der sexuellen Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungenen Schwangerschaft, Zwangssterilisation und „jede andere Form sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere“ in den Gesamttatbestand neu aufgenommen worden. Das SCSL hat schließlich erstmalig das Verbrechen der Zwangsheirat als Verbrechen gegen die Menschlichkeit deklariert.
spect and shall be protected in particular humiliating and degrading treatment, rape, forced prostitution and any form of indecent assault“; Art. 4(2)(e) des Zusatzprotokolls II (Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and Relating to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts, 8. Juni 1997), 1125 U.N.T.S. 609 verbietet „outrages upon personal dignity, in particular humiliating and degrading treatment, rape, enforced prostitution and any form of indecent assault“; Art. 5 der Declaration on Protection of Women and Children in Emergency and Armed Conflict, U.N. Doc. Res. 3318 (14. Dezember 1974) „All forms of repression and cruel and inhuman treatment of women and children, including imprisonment, torture, shooting, mass arrests, collective punishment, destruction of dwellings and forcible eviction, committed by belligerents in the course of military operations or in occupied territories shall be considered criminal.“ 158 Control Council Law No. 10 Art. II(1)(c), Official Gazette of the Control Council for Germany, enumerierte erstmalig den Tatbestand der Vergewaltigung in Friedenszeiten; Universal Declaration of Human Rights, U.N. Doc. A/810 (1948), Art. 1, 2, 3, 4, 5, 7 und 12; International Covenant on Civil and Political Rights, 999 U.N.T.S. 171 (1966), Art. 6–8, siehe auch Art. 4(2); Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination against Women, 1249 U.N.T.S. 13 (18. Dezember 1979) i.V. m. Committee on the Elimination of Discrimination of Violence Against Women, General Recommendation No. 19, U.N. Doc. A/47/38 (1992); Report of the Secretary General Pursuant to Paragraph 2 of the Security Council Resolution 808, U.N. Doc. S/25704 (1993), Abs. 48; seit der Verabschiedung des Jugoslawien Tribunals ist zumindest das Verbrechen der Vergewaltigung immer Bestandteil der enumerierten Tatbestände gewesen.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
Rückwärtsgewandt159 ist indes die im Zusammenhang mit den sexualisierten Verbrechen vorgenommene Bestimmung von „Geschlecht“ in Art. 7(3) ICC Statut160. „Geschlecht“ ist im Sinne des ICC Statuts definiert als „the two sexes, male and female, within the context of society“. Letztere Formulierung wurde aufgrund des Drucks des Vatikans und einiger Staaten mit katholischer oder arabischer Prägung aufgenommen. Die ratio der Bestimmung ist, die Definierung von Mann und Frau innerhalb „des Kontextes der Gesellschaft“, und damit vom Zustimmungsgrad der Gesellschaft abhängig zu machen. Transsexuelle, Schwule oder Lesben sind aus nicht nachvollziehbaren Gründen gar nicht oder nur eingeschränkt dem Schutzbereich unterworfen worden161. Die Einschränkung ist bedauerlich und bedarf einer Klärung durch die ICC Richter162.
II. Tatbestandsübergreifendes Schutzgut Das Schutzgut der sexualisierten Verbrechen hat im Laufe der Zeit eine grundlegende Wandlung vollzogen. In den Genfer Konventionen und dessen Zusatzprotokollen stand der Schutz der Ehre und Würde des Opfers im Vordergrund163, woraus sich eine Verbindung zu einer Moralverletzung ableiten ließ. Dieser Ansatz hat vielfach Kritik erfahren. Es wurde argumentiert, durch die Abstellung auf Ehre und Würde würde eine Distanz zwischen dem Täter und dem Opfer aufgebaut. Denn die Anklagebehörde könnte sich bei der Aburteilung eines Angeklagten auf eine Würde oder Ehrverletzung versteifen, ohne 159
Dazu Glasius, The International Criminal Court. A Global Civil Society Achieve-
ment. 160 Die Definition des Geschlechts in Art. 7(3) ist nicht lediglich auf Regelungen zum Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit beschränkt, siehe Art. 21(3), 54(1)(b), 68 (1) ICC Statut. 161 Robertson, Crimes against Humanity, 314 „The inclusion of Article 7(3) is a distasteful but realistic reminder that a majority of states in 1998 favoured the withdrawal of human rights on grounds on sexual orientation.“ 162 In diese Richtung auch Moshan, 22 FInt’l LJ (1998), 154 (179) „definition finally elected appears unworkable and impractical.“ 163 Gemeinsamer Art. 3 der Genfer Konventionen, wonach „[a] violence to life and person, in particular [. . .] mutilation, cruel treatment and torture; [. . .] (c) outrages upon personal dignity, in particular humiliating and degrading treatment“; Art. 27 der IV Genfer Konvention (Geneva Convention (IV) Relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War (12. August 1949), 75 U.N.T.S. 287) „Protected persons are entitled, in all circumstances, to respect for their persons, their honour, their family rights, their religion, convictions and practices, and their manners and customs. They shall at all times be humanely treated, and shall be protected especially against all acts of violence or threats thereof and against insults and public curiosity“; Art. 4(2)(e) des Zusatzprotokolls II (Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and Relating to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts, 8. Juni 1997), 1125 U.N.T.S. 609 verbietet „outrages upon personal dignity, in particular humiliating and degrading treatment, rape, enforced prostitution and any form of indecent assault“ (eigene Hervorhebung).
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den Umstand der sexuellen Autonomie zu berücksichtigen. Dementsprechend wird nunmehr vermehrt angenommen, je nach Einschlägigkeit des konkreten Tatbestandes sei primär auf die Beraubung der individuellen Freiheit (vor allem bei Versklavungs- und sklavereiähnlichen Tatbeständen) und auf die Verletzung der körperlichen Integrität (vor allem bei der Vergewaltigung) abzustellen164. Auch die Tatsache, dass sich Vergewaltigung nach allgemeiner Ansicht als eine Form der Folter darstellen kann165, und somit dem Opfer ernsthafte Leiden auferlegt werden, indiziert, dass sexualisierte Verbrechen mehr als nur Ehrverletzungen sind. Die Mehrheit der ICTR Trial Chambers bewertet die Vergewaltigungshandlung allerdings weiterhin primär als „outrage upon personal dignity“.
III. Vergewaltigung 1. Schutzgut Wie bereits angedeutet, ist die konkrete Schutzrichtung des Vergewaltigungstatbestandes umstritten. Das ICTR scheint vornehmlich eine Würde- und Ehrverletzung in den Vordergrund zu stellen. So erklärt es in Akayesu, die Vergewaltigung stelle eine Form der Aggression dar, die darauf abziehlt, die Würde des Menschen zu Zwecken der Einschüchterung, Erniedrigung, Demütigung, Diskriminierung, Bestrafung, Steuerung oder Zerstörung zu verletzen166. Das ICTY hingegen definiert den Tatbestand vorwiegend als physischen Eingriff des Täters in die körperliche Unversehrtheit. Es hat die Vergewaltigung zunächst als einen Eingriff in die körperliche Integrität167 und später übergreifender als Eingriff in die sexuelle Autonomie kategorisiert168. In den ICC Elements of Crimes
164 Boot, Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, 511. 165 Aydin v. Turkey, No. 23178/94 (25. September 1997) ECHR Reports (1997-VI), Abs. 78 ff.; Fernando v. Raquel Mejia v. Peru, Inter-American Commission on Human Rights, No. 5/96, Case 10970 (1. März 1996), Abs. 182 ff.; Blatt, 19 Rev.L&Soc. Change (1992), 821 ff.; Asward, 84 Geo.L.J. (1996), 1913; Bassiouni, Crimes against Humanity in International Criminal Law, 350. 166 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 597 „Like torture, rape is used for such purposes as intimidation, degradation, humiliation, discrimination, punishment, control or destruction of a person. Like torture, rape is a violation of personal dignity [. . .]“. 167 Prosecutor v. Furundz ˇija, IT-95-17/1-T (10. Dezember 1998), Abs. 175, wonach Vergewaltigung eine „most serious manifestation of sexual assault“ ist. 168 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001); vgl. auch M. C. v. Bulgaria, No. 39272/98 (4. Dezember 2003); Pitea, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 447 (457). Auch auf staatlicher Ebene wird unter Aufgabe einer Enumerierung spezifischer Einzelpraktiken zunehmend die Verletzung der sexuellen Autonomie hervorgehoben; siehe De Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, 110.
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wurde im Zuge der Definition des Vergewaltigungstatbestandes ein Mittelweg beschritten. Um die historische Entwicklung des Vergewaltigungstatbestandes nachzuzeichnen und die jeweiligen Unterschiede stärker herauszuarbeiten, soll daher entgegen der in dieser Untersuchung üblichen Praxis nicht zuerst auf die Definition in den Elements of Crimes hingewiesen, sondern nach einer Darstellung der ICTR und ICTY Auffassung der vom ICC verfolgte Ansatz eingeflochten werden. 2. Actus reus Eine einheitliche Definitionsfindung gestaltete sich beim Tatbestand der Vergewaltigung für die internationalen Tribunale als schwierig, da es bei der Verabschiedung der ICTR und ICTY Statute keine völkergewohnheitsrechtliche Definition des Verbrechens gab169. In der Folge sind von beiden internationalen ad hoc Straftribunalen eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Entscheidungen ergangen170. In den Urteilen Akayesu, Furundzˇija und Kunarac haben sich jeweils drei verschiedene Formen der Tatbestandsdefinierung herausgebildet171. In Akayesu ist vom ICTR eine sehr weitgehende Definition entwickelt worden, die auf einer Generalklausel aufbaut; in Furundzˇjia griff das ICTY auf eine mechanische Definitionsbestimmung zurück, die auf dem Vorliegen von Zwang 169 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 596; Final Report of the Special Rapporteur of the Working Group on Contemporary Forms of Slavery, on Systematic rape, Sexual slavery, and Slavery-like Practices During Armed Conflict, U.N. Doc. E/CN.4/Sub.2/1998/13 (1998), Abs. 23 f.; Rape and Sexual Assault: A Legal Study, Final Report of the United Nations Commission of Experts Established Pursuant to Security Council Resolution 780 (1992), U.N. Doc. S/1994/674/ Add.2, Vol. I, Annex II, Abs. 2 „unlike the majority of codified penal law, rape is not precisely defined in international humanitarian law. As a consequence, there is, at present, every reason to interpret this concept broadly as encompassing other sexual assaults.“; De Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, 103, Fn. 86. 170 ICTR Akayesu Trial Chamber Urteil (1998); ICTY C ˇ elebic´i Trial Chamber Urteil (1998); ICTY Furundzˇija Trial Chamber Urteil und ICTY Furundzˇija Appeals Chamber Urteil, die Definition des Trial Chamber Urteils bestätigend (2000); ICTR Musema Trial Chamber Urteil (2000); ICTY Kunarac et al. Trial Chamber Urteil (2001) und ICTY Kunarac et al. Appeals Chamber Urteil, die Definition des Trial Chamber Urteils (mit leichter Abweichung) bestätigend (2002); ICTY Kvocˇka et al. Trial Chamber Urteil (2001); ICTR Semanza Trial Chamber Urteil (2003); ICTR Niyitegeka Trial Chamber Urteil (2003); ICTR Kajelijeli Trial Chamber Urteil (2003); ICTR Kamuhanda Trial Chamber Urteil (2004); ICTR Gacumbitsi Trial Chamber Urteil (2004); ICTR Muhimana Trial Chamber Urteil (2005). 171 Die Rechtmäßigkeit der Tatbestandsdefinierung von Straftatbeständen durch Urteile der Strafgerichte ist nicht unbestritten. Insbesondere wird eine Verletzung des Legalitätsprinzips geltend gemacht, vgl. Haveman, 9 MJECL (2002), 363 ff.; dagegen Amann, 93 AJIL (1999), 195 (199).
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und Gewalt aufbaute; in Kunarac schließlich hat das ICTY die Bestimmung durch eine mechanische Definitionspraktik beibehalten, jedoch das Erfordernis von Zwang und Gewalt durch den Begriff der Nichtzustimmung des Opfers ersetzt. Die Vergewaltigung kann verschiedene Ausprägungen annehmen, die nicht auf den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit beschränkt sein müssen. Vergewaltigung kann sich darstellen: erstens als Folter, Verfolgung, Versklavung und anderen unmenschliche Handlungen; zweitens, als Folter, unmenschliche Handlung, sowie willentliche Auferlegung von ernsthaften körperlichen oder seelischen Verletzungen i. S. eines „grave breaches“, drittens, als Folter, grausame Behandlung, Verbrechen gegen die persönliche Würde durch Erniedrigung und Demütigung, Zwangsprostitution und jegliche andere Form eines ungehörigen Angriffs als Verletzung des humanitären Völkerrechts; und viertens, als die Verursachung von ernsthaften körperlichen oder seelischen Verletzungen i. S. d. Völkermordtatbestandes172. Die Vergewaltigung ist zudem, anders als die Nötigung zur Prostitution oder sexuelle Sklaverei, ein reines Erfolgsdelikt173. a) Handlungspraktik Das ICTR vemied es zunächst, den Vergewaltigungstatbestand durch einzelne, „mechanische“ Handlungspraktiken zu definieren. Eine solche Vorgehensweise träfe zum einen den Kern des Verbrechenstatbestandes nicht174. Zum anderen seien viele Zeugen aufgrund ihres sozio-kulturellen Hintergrundes nur widerwillig bereit, öffentlich über spezifische Sexualpraktiken, die an ihnen vollzogen wurden, Auskunft zu erteilen175. In Akayesu definierte das ICTR – in der völkerstrafrechtlichen Historie erstmalig176 – den Tatbestand mithin als: 172
DeBrouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, 105. Boot, Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, 514. 174 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 597, 687, in welchem das Gericht festellte dass „[. . .] rape is a form of aggression and that the central elements of the crime of rape cannot be captured in a mechanical description of objects and body parts. The Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman and Degrading Treatment or Punishment does not catalogue specific acts in its definition of torture, focusing rather on the conceptual framework [. . .] of state sanctioned violence. This approach is more useful in international law. Like torture, rape is used for such purposes as intimidation, degradation, humiliation, discrimination, punishment, control or destruction of a person. Like torture, rape is a violation of personal dignity [. . .].“; s. a. Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T (27. Januar 2000), Abs. 226. 175 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 687. 176 Askin in Askin/Koenig, Women and International Human Rights Law I, 41 (87) „This judgement [gemeint ist das Akayesu Urteil vom 2. September 1998] is the most important decision on gender-based violence ever rendered“. Die Anklage wegen Ver173
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„a physical invasion of a sexual nature, committed on a person under circumstances which are coercive. The Tribunal considers sexual violence, which includes rape, as any act of a sexual nature which is committed on a person under circumstances which are coercive. Sexual violence is not limited to physical invasion of the human body and may include acts which do not involve penetration or even physical contact.“ 177
Das ICTY war in seiner Rechtsprechung zunächst uneinheitlich. Während in Delalic´ die ICTY Trial Chamber I die Definition von Akayesu übernahm,178 empfand die ICTY Trial Chamber II in Furundzˇija den in Akayesu gewählten Ansatz als zu unspezifisch179 und wertete daher internationale Verträge, Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze aus, um die Elemente des Vergewaltigungstatbestandes zu bestimmen. Das Gericht kam jedoch zu dem Ergebnis, dass es unter Zugrundelegung dieser Rechtsquellen nicht möglich sei, verallgemeinerungsfähige Tatbestandsmerkmale herauszuarbeiten180. Demnach müsse, um zu einer akkuraten Definitionsbestimmung unter Beachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes zu gelangen, eine komparative Analyse der nationalstaatlichen Gesetze vorgenommen werden181. Diese Analyse ergab, dass es weit verbreitet ist, bei der Definitionsbestimmung des Vergewaltigungstatbestandes eine detaillierte Beschreibung der Objekte und Körperteile vorzunehmen, die bzw. mit denen vergewaltigt wird. Aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der Staatengemeinschaft war indes nicht eindeutig, ob die erzwungene orale Penetration des Penis als sexueller Übergriff (sexual assault) oder Vergewaltigung zu werten war. Die Trial Chamber II entschied sich unter Zuhilfenahme der aus den „Menschenrechten“ ableitbaren Grundsätze mit dem Argument, dass auch diese Form der zwanghaften Penetration ein äußerst entwürdigender und erniedrigender Angriff auf die Würde des Opfers ist, für Letz-
gewaltigung wurde nachträglich in die Anklageschrift aufgenommen. Grundlage waren die „nachforschenden Zeugenbefragungen“ von Richterin Navanethem Pillay, der einzigen Richterin im Akayesu-Verfahren; Buss, 10 Fem. Leg. Stud. (2002), 91 (96). 177 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 598, 688; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T (27. Januar 2000), Abs. 220 (eigene Hervorhebung). 178 Prosecutor v. Delalic ´ et al., IT-96-21-T (16. November 1998), Abs. 478 f. 179 De Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, 112. 180 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 437 mit Verweis auf Furundzˇjia. 181 Prosecutor v. Furundz ˇija, IT-95-17/1-T (10. Dezember 1998), Abs. 179 „The Trial Chamber would emphasise at the outset, that a trend can be discerned in the national legislation of a number of States of broadening the definition of rape so that it now embraces acts that were previously classified as comparatively less serious offences, that is sexual or indecent assault. This trend shows that at the national state level States tend to take a stricter attitude towards serious forms of sexual assault; the stigma of rape now attaches to a growing category of sexual offences, provided of course they meet certain requirements, chiefly that of forced physical penetration.“
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teres182. Vergewaltigung wurde dementsprechend von der ICTY Trial Chamber II definiert als: „(i) the sexual penetration, however slight: (a) of the vagina or anus of the victim by the penis of the perpetrator or any other object [183] used by the perpetrator; or (b) of the mouth of the victim by the penis of the perpetrator; (ii) by coercion or force or threat of force against the victim or a third person“.184
Die Trial Chamber I des ICTR unternahm in Musema den Versuch, die differenten Auffassungen der beiden ad hoc Tribunale insoweit abzumildern, als dass es erklärte, all die vom ICTY in Furundzˇija aufgezählten Praktiken seien von der Definition in Akayesu erfasst185, entschied sich aber unter Aufrechterhaltung der Akayesu Rechtsprechung gegen den in Furundzˇija entwickelten Ansatz. Die ICTY Trial Chamber II und die ICTY Appeals Chamber haben indes im darauf folgenden Kunarac Fall die in Furundzˇija gewählte mechanische Definitionspraktik – also die in obiger Definition mit Punkt (i) (a) und (b) betitelten Konkretisierungen – übernommen186. Kurze Anmerkung und Vorwegnahme Furundzˇija und Kunarac unterscheiden sich (unabhängig von der gerade erörterten Handlungspraktik) allerdings insoweit, als dass verschiedene Ansätze bezüglich des Zusammenspiels zwischen Zwang und Gewalt auf der einen, und Nichtzustimmung des Opfers auf der anderen Seite vertreten werden – also Punkt (ii) der obigen Definition –187. Die ICTY Trial Chamber I hat sich in Kvocˇka der Kunarac Rechtsprechung angeschlossen und Delalic´ aufgegeben188.
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Prosecutor v. Furundzija, IT-95-17/1-T (10. Dezember 1998), Abs. 183. Im Fall Cˇesic´ kam die Frage auf, ob auch eine andere Person ein Objekt im Sinne der Definition ist. Hintergrund war die von Cˇesic´ angeordnete Praktik, zwei Inhaftierte gegenseitig Fellatio aneinander vollziehen zu lassen. Richter Orie merkte an, dass ein Mensch gewöhnlich kein „Objekt“ im Sinne der Definition ist. Im vorliegenden Fall aber wurden die Opfer ihres eigenen Willens beraubt, de-personifiziert und damit als Objekt verwendet. Transcript, Prosecutor v. Cˇesic´, IT-95-10/1-S (8. Oktober 2003), 85; s. a. Mundis/Gaynor, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 879 (883 ff.). 184 Prosecutor v. Furundz ˇija, IT-95-17/1-T (10. Dezember 1998), Abs. 180, 181, 185. 185 Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T (27. Januar 2000), Abs. 227. 186 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 438; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 127. 187 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 438. 188 Prosecutor v. Kvoc ˇka et al., IT-98-30/1-T (2. November 2001), Abs. 177. 183
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Auch die ICTY Trial Chamber III ist aufgrund stare decisis an die Rechtsauslegung im Kunarac Appeal gebunden189. Ende der Anmerkung Die Entscheidung im Kunarac Appeal hat die Rechtsauffassung des ICTY zwar geeint, die ICTR Rechtsprechung jedoch nicht zusammengeführt. So bleibt sich die ICTR Trial Chamber I auch nach Kunarac weiterhin seiner in Akayesu begründeten und in Musema weiterentwickelten Definition treu190. Die Auffassung der ICTR Trial Chamber III verblieb lange Zeit ungefestigt. Während sie sich in Semanza191 noch dem Kunarac Appeal angeschlossen hat, war schon in Gacumbitsi eine Rückbesinnung auf Akayesu und Musema erkennbar192. In Muhimana hat sie schließlich die von der ICTR Trial Chamber I in Akayesu aufgestellte Definition unter Auslegung der Rechtsprechung des ICTY und des ICTR übernommen und erweitert; die in Semanza aufgestellte Sichtweise wurde widerrufen. Während dort die Ansätze in Akayesu und Furundzˇija als in sich gegensätzlich und inkompatibel bewertet wurden,193 ist nunmehr die in Akayesu begründete Definition entscheidend, ergänzt durch die in Furundzˇija/Kunarac aufgestellten Elemente194. Die ICTR Trial Chamber II hatte sich schließlich zunächst der „überzeugenden“ komparativen Analyse in Kunarac angeschlossen und war somit der ICTY Rechtsprechung gefolgt195. Seit Muvunji vertritt sie allerdings den obigen von Trial Chamber III herausgearbeiteten Ansatz196. 189
Dazu Prosecutor v. Alekovski, IT-95-14/1-A (24. März 2000), Abs. 113. Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 456. 191 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 345. 192 Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-T (17. Juni 2004), Abs. 32 „The Chamber is of the opinion that any penetration of the victim’s vagina by the rapist with his genitals or with any object constitutes rape, although the definition of rape under Article 3(g) of the Statute is not limited to such acts alone“ (eigene Hervorhebung). 193 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 344 f. „The Akayesu Judgement enunciated a broad definition of rape which included any physical invasion of a sexual nature in coercive circumstance and which was not limited to forcible sexual intercourse. The Appeals Chamber of the ICTY, in contrast, affirmed a narrower interpretation defining the material element of rape as a crime against humanity as the non-consensual penetration, however slight, of the vagina or anus of the victim by the penis of the perpetrator or by any other object used by the perpetrator, or of the mouth of the victim by the penis of the perpetrator.“ (Eigene Hervorhebung.) 194 Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 551 „On the basis of the foregoing analysis, the Chamber endorses the conceptual definition of rape established in Akayesu, which encompasses the elements set out in Kunarac.“ (Hervorhebung im Orginal.) 195 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 915; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 709. 190
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Nach (überwiegender) Ansicht der ICTR Kammern sind die in Furundzˇija/ Kunarac aufgestellten actus reus Merkmale demnach lediglich Indikatoren für das Vorliegen des Vergewaltigungstatbestandes, wirken aber nicht tatbestandsbegrenzend197. Die verschiedenen Definitionsansätze der beiden Tribunale (in Kunarac und Akayesu) seien nicht inkompatibel. Daran ändere sich auch nichts durch der Tatsache, dass im Kunarac Trial Chamber Urteil das Akayesu Urteil erwähnt wurde198. Denn Gegenstand des Kunarac Appeals war (nur) die Bewertung der Definitionsbestimmung des Vergewaltigungstatbestandes durch die ICTY Trial Chamber II und nicht auch die Bewertung der vom ICTR Trial Chamber I in Akayesu entwickelten Definition199. Diese Interpretation ist nach eigener Einschätzung vertretbar. Im Kunarac Appeal ist die frühere Delalic´ Rechtsprechung des ICTY, die den Ansatz in Akayesu befürwortet hatte, nicht erwähnt worden. aa) Reichweite der Definitionen Die Definitionsfindung des ICTY unterscheidet sich grundlegend von der des ICTR dadurch, dass erstere auf die physischen Elemente der Vergewaltigungshandlung begrenzt ist200 und nur unfreiwilligen Geschlechtsverkehr als Vergewaltigung anerkennt. Eine derartige Begrenzung findet sich in der ICTR Definition nicht stricto sensu. Anstatt die Handlungsweise durch eine mechanische Aufzählung zu konkretisieren, beschreibt Akayesu die Handlung der Vergewaltigung an sich: sie sei ein physischer Eingriff („invasion“) von sexueller Natur. Eine Vergewaltigung setze demnach nach Ansicht des ICTR nicht notwendigerweise die zwanghafte Herbeiführung des Geschlechtsverkehrs voraus. Die in Akayesu von der Zeugin KK getätigte Aussage, Mitglieder der Interahamwe hätten ein Stück Holz in die Geschlechtsorgane einer Frau eingeführt, sei demnach als Vergewaltigungshandlung aufzufassen201. Im Fall Muhimana hatte sich 196
Prosecutor v. Muvunji, ICTR-2000-55A-T (12. September 2006), Abs. 520 f. Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 549. 198 Prosecutor v. Kunarac et, al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 437 f. „The specific elements of the crime of rape, which are neither set out in the Statute nor in international humanitarian law or human rights instruments, were the subject of consideration by the Trial Chamber in the Furundz ˇ jia case. There the Trial Chamber noted that in the International Criminal Tribunal for Rwanda judgement in the Akayesu proceedings the Trial Chamber had defined rape as „a physical invasion of a sexual nature, committed under circumstances which are coercive.“ (Eigene Hervorhebung.) 199 Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 543. 200 Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 547. 201 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 686; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T (27. Januar 2000), Abs. 221 „acts of rape may include acts which involve the insertions of objects and/or the use of bodily orifices not consid197
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die ICTR Trial Chamber III mit der Frage zu beschäftigen, ob auch das Abschneiden von Brüsten und Genitalien mit einer Machete (was nicht notwendigerweise mit einer Penetration der Vagina verbunden sein muss) und das „Ausweiden eines Körpers“ als Vergewaltigungshandlung darstellen kann202. Das ICTR hat hier richtigerweise eine Grenze gezogen: „Although the act interferes with the sexual organs, in the Chamber’s opinion, it does not constitute a physical invasion of a sexual nature.“203
Das Abschneiden der Geschlechtsorgane ist demnach (selbst) unter Zugrundelegung von Akayesu keine Vergewaltigungshandlung. Freilich verbleibt die Möglichkeit der Subsumption unter den Begriff der „sexuellen Gewalt“. bb) Bewertung der Definitionsansätze in Akayesu, Furundzˇija, Kunarac und Muhimana Der in Akayesu gewählte Definitionsansatz ist nicht unproblematisch. Der Hinweis des Gerichts, aufgrund der Generalklausel einzelfallabhängiger entscheiden zu können, ist mit Hinblick auf nullum crimen sine lege nicht unangreifbar204. Insbesondere besteht aufgrund der außerordentlichen Weite der Definition die Gefahr, dass sich ohne klare Grenzziehung der Tatbestand der Vergewaltigung mit dem der Folter vermischen kann205. Allerdings ist unverkennbar, dass die Nichtkodifizierung von Einzelpraktiken insoweit vorteilhaft ist, als dass das Opfer nicht dem Zwang unterlegen ist, spezifische Aussagen über die Anatomie der Vergewaltigungshandlung zu machen. In der Gerichtspraxis liegt hier häufig die eigentliche Crux, da viele Opfer aus nachvollziehbarem Schamgefühl keinerlei oder nur oberflächliche Angaben zum konkreten Vergewaltigungsablauf machen wollen oder können. Weiter muss sich die in Furundzˇjia begründete und in Kunarac weiter entwickelte Rechtsprechung den Vorwurf gefallen lassen, dass es den Vergewalered to be intrinsically sexual“; DeBrouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, 106. 202 Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 536. 203 Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 557. 204 McDonald, 15 Nemesis 3 (1999), 77 „the definition is overly vague and unspecific“; dagegen Hunt, 2 JInt’l Crim. Just. (2004), 56 (60). 205 In Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 597 wurde selbst festgestellt: „Like torture, rape is a violation of personal dignity, and rape in fact constitutes torture when inflicted by or at the instigation of or with consent or acquiescence of a public official or person acting in an official capacity“; vgl. auch mit dem Ansatz, dass Vergewaltigung eine Form der Folter darstellen kann: Prosecutor v. Music´ et al., IT-96-21-T (16. November 1998), Abs. 466, 487; Aydin v. Turkey, No. 23178/94 (25. September 1997) ECHR Reports (1997-VI); dagegen M.C. v. Bulgaria, No. 39272/98 (4. Dezember 2003). Siehe weiter Pitea, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 447 (457).
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tigungstatbestand aus einer traditionellen und zu konservativen Sicht definiert, wonach das Opfer „penetriert“ werden muss206. Viele Praktiken, die nicht notwendig mit der Penetration des Opfers verbunden sind, aber dennoch eine vergleichbare Schwere erreichen können – man denke an erzwungene Selbstbefriedigung, oder das Ejakulieren des Täters auf das Gesicht oder den Körper des Opfers – wären dann aus rein dogmatischer Sicht nicht als Vergewaltigung aburteilsfähig207. Um dennoch zu einer Aburteilung bei Fallkonstellationen zu gelangen, die nicht vom Vergewaltigungskatalog erfasst sind, beruft sich Furundzˇjia auf die Menschenrechte208. Diese geschaffene Öffnungsklausel, die faktisch Furundzˇjia an Akayesu annähert, steht jedoch im Widerspruch zu dem ebenfalls in Furundzˇjia erklärten Ziel, dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen zu wollen. Dies führt zu dem seltsamen Ergebnis, dass die Oralpenetration, die nicht im Katalog aufgeführt war, als Vergewaltigung bewertet wird, obwohl, wie das Gericht selbst festgestellt hat, es dafür eigentlich keine dogmatische Grundlage gibt. Eine klare, stringente Leitlinie ist insoweit nicht erkennbar. Dass das Ergebnis des Furundzˇjia Urteils – also die Feststellung, dass erzwungene Oralpenetration eine Vergewaltigungshandlung sein kann – zustimmungswürdig ist, steht außer Frage. Was kritisiert wird, sind dogmatische Indiskrepanzen des ICTY bei der Tatbestandsdefinierung. 206 Tomas/Levi in: Askin/Koenig, Women in International Human Rights Law I, 139 (176); MacKinnon, Toward a Feminist Theory of the State, 180. 207 Die Praktik, bei der der Täter aktiv Fellatio beim Opfer ausübt, wäre bei einer rein dogmatischen Betrachtung nicht vom Tatbestand erfasst, da Kunarac nur die orale Penetration des Mundes vom Opfer durch den Penis des Täters als Vergewaltigung wertet. Wird demnach etwa, wie im Fall Cˇesˇic´ geschehen, ein männliches Opfer gezwungen, an einem anderen männlichen Opfer Fellatio zu vollziehen, so würde dies zu dem merkwürdigen Ergebnis führen, dass die erzwungene Handlung am „passiven“ Opfer eine Vergewaltigung ist, die erzwungene Handlung des „aktiven“ Opfers hingegen nicht. Der in Prosecutor v. Cˇesˇic´, IT-95-10/1-S (11. März 2004), 85 gewählte Ansatz, diese Praktik unter (1) „the sexual penetration, however slight: (a) of the vagina or anus of the victim by the penis of the perpetrator or any other object used by the perpetrator“) für strafwürdig zu erklären, wobei das aktive Opfer das Objekt des Täters ist, und nicht unter (2) „the mouth of the victim by the penis of the perpetrator, where such sexual penetration occurs without the consent of the victim“ zu subsumieren, ist äußerst fragwürdig, weil dadurch impliziert wird, dass Handlungen, die in (1) umschrieben sind, definierte Handlungen in (2) beinhalten. Aus der Dogmatik der Definition lässt sich das nicht herleiten („or“), zumal die Definition zwischen (1) und (2) eine gleichrangige Trennung vollzieht. Wäre dem nicht so, stellt sich die Frage, warum es (2) überhaupt gibt. Vergleichbare Problemstellungen sind die Penetration der weiblichen Geschlechtsorgane mit der Zunge oder dem Finger durch den Täter (die Zunge oder die Finger sind, zumindest solange sie mit dem Körper des Täters verbunden sind, keine Objekte!), sowie die Konstellation im Tongzoen Fall, Niederlande v. T.J v. 21. April 1998, NJ 1998, 781 wo die Praktik des Zungenküssens als Vergewaltigung gewertet wurde. 208 Das Gericht wies den Vorwurf zurück, dass dieser Ansatz gegen das Prinzip nullum crimen sine lege verstößt, weil der Grad des kriminellen Stigmas zwischen dem sexuellem Übergriff und der Vergewaltigung vergleichbar ist; vgl. Prosecutor v. Furundzˇjia, IT-95-17/1-T (10. Dezember 1998), Abs. 184.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
Die Aufzählung von spezifischen Begehungsformen ist zudem im Völkerstrafrecht eine äußerst ungewöhnliche Definitionspraktik; Mord etwa ist definiert durch eine allgemeine Handlungsbegehung des Tötens und nicht durch das Aufzählen von spezifischen Begehungsweisen, wie etwa das Abtrennen von Extremitäten oder das Hervorrufen eines Blutverlustes209. Freilich ließe sich einwenden, dass der actus reus des Vergewaltigungstatbestandes vielschichtiger ist. Auch kann man Furundzˇjia und Kunarac zu Gute halten, im Gegensatz zu Akayesu dogmatisch klarere Leitlinien bei der Bestimmung des Tatbestandes herausgearbeitet zu haben. Gleichwohl verbleibt die Tatsache, dass die aufgestellten Leitlinien der Definitionsbestimmung nicht konsequent umgesetzt werden. Gegen die Auffassung des ICTR in Muhimana können partiell vergleichbare Argumente hervorgebracht werden, die schon gegen Akayesu angeführt wurden, da die in Muhimana gewählte Definition auf Akayesu aufbaut. Zwar kann argumentiert werden, dass Muhimana insoweit gegenüber Akayesu vorzugswürdig ist, als das es die in Furundzˇjia/Kunarac entwickelten Definitionspraktiken als Indikatoren berücksichtigt. Muhimana hat somit der Definition mehr Klarheit gegeben. Allerdings muss Erwähnung finden, dass Muhimana explizit eine Berufung auf die in Furundzˇjia entwickelte Öffnungsklausel billigt210. Die unterschiedliche Definitionsbestimmung der ad hoc Tribunale ist in der alltäglichen Gerichtspraxis weit weniger relevant als man vermuten würde. Oft wird der Ansatz in Furundzˇjia/Kunarac zu vergleichbaren Ergebnissen führen wie der in Akayesu/Muhimana. Akayesu/Muhimana ist schon vom Ansatz her nicht auf feste Definitionsmerkmale festgelegt. Doch auch bei Furundzˇjia/Kunarac besteht durch die Möglichkeit der Berufung auf menschenrechtliche Grundsätze in Grenzfällen eine Art Öffnungsklausel. Beide Definitionen scheinen zudem auf dem Nichtvorhandensein der Zustimmung des Opfers aufzubauen211. Warum sich das ICTR und ICTY überhaupt auf die Öffnungsklausel der Menschenrechte berufen haben, ist aus dogmatischer Sicht allerdings nicht recht verständlich. Stringenter wäre es z. B. beim Fall der Oralpenetration gewesen, im ersten Schritt zu überprüfen, ob die in Frage stehende Handlung unter den Vergewaltigungskatalog subsumierbar ist. War das wie im vorliegenden Fall nicht möglich, hätte man die Einschlägigkeit der subsidiär anwendbaren Gene209 Anschaulich DeBrouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, 108. 210 Im Fall Muhimana wurde diese Passage explizit bei der Auswertung der Rechtsauffassung des ICTY zitiert, vgl. Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 539. 211 Bei der Definitionsbestimmung des ICTR ist dies indes nicht eindeutig, da das Erfordernis nicht explizit in der Generalklausel enthalten ist. Beachte aber Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 546 „Accordingly, the Chamber is persuaded by the Appellate Chamber’s analysis [in Kunarac] that coercion is an element that may obviate the relevance of consent as an evidentiary factor in the crime of rape“ (eigene Hervorhebung).
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ralklausel der „anderen unmenschlichen Handlungen“ prüfen können, welche auch einschlägig gewesen wäre, da unstrittig eine Oralpenetration im Vergleich zu „traditioneller“ erzwungener sexueller Vaginalpenetration in seiner Natur ähnlich, und vom Schweregrad her vergleichbar ist. Eine Berufung auf die „Menschenrechte“ zur Subsumption unter den Straftatbestand der Vergewaltigung war also gar nicht notwendig. Das ICC muss bei analogen Problemstellungen den „weiten“ Schritt zur allgemeinen Generalklausel der anderen unmenschlichen Handlung gar nicht mehr gehen. Denn in Art. 7(1)(g) ICC Statut ist vorgesehen, dass das Gericht berechtigt ist, über „jede andere Form sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere“ zu richten. Im Rückschluss besteht für das ICC die Möglichkeit, den in den Elements of Crimes beschriebenen Konkretisierungen der Vergewaltigungshandlung eine strikte Geltung zuzusprechen. b) Zwang und Gewalt („coercion“ und „force“) Ausgehend von der in Akayesu gebildeten Definition muss nach Ansicht des ICTR die Handlung unter zwangsweisen Umständen vorgenommen werden212. Die Beziehung zwischen Zustimmung und Zwang ist dadurch gekennzeichnet, dass das Vorliegen von Zwang oder Gewalt ein klarer Beweis für die Nichtzustimmung des Opfers ist213. Eine zukünftige Androhung auf Vergeltung gegenüber dem Opfer oder eines Dritten214 ist ein ausreichendes Indiz, wenn vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass der Täter seine Drohung wahrmachen wird215. Dies impliziert, dass es nicht auf die subjektive Sichtweise des Opfers, sondern auf eine objektive, vernünftige Bewertung der Sachlage ankommt216. Weiter ist regelmäßig durch das Vorliegen eines Freiheitsentzuges die Zustimmung des Opfers widerlegt217. Eine Gewaltsausübung ist allerdings kein konstituierendes Merkmal des Verbrechenstatbestandes,218 da sonst der Täter trotz Nichteinwilligung des Opfers 212 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 598; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T (27. Januar 2000), Abs. 220. 213 Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 544, 546; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 129 f.; Boot, Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, 513. 214 So auch das ICTY in Prosecutor v. Furundz ˇija, IT-95-17/1-T (10. Dezember 1998), Abs. 180. 215 Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 544; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 129 f. 216 Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 544 „A threat to retaliate ,in the future against the victim or any other person‘ is a sufficient indicium of force so long as ,there is a reasonable possibility that the perpetrator will execute the threat‘.“ 217 Prosecutor v. Furundz ˇija, IT-95-17/1-T (10. Dezember 1998), Abs. 271.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
einer Bestrafung entgehen würde, wenn er sich nur durch zwangsweise Umstände einen Vorteil verschafft, ohne jedoch physische Gewalt auszuüben219. Im Regelfall ist jedoch davon auszugehen, dass eine Vergewaltigung im Rahmen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit unter Ausübung von Gewalt stattfindet. Das ICTY verfolgt eine vergleichbare Linie. Während in Furundzˇjia der Tatbestand noch insoweit restriktiv definiert wurde, als dass (nur) durch die Ausübung von Gewalt oder Zwang der Tatbestand der Vergewaltigung erfüllt werden kann – siehe Punkt (ii) der Furundzˇjia Definition – hat die ICTY Trial Chamber in Kunarac die Auffassung vertreten, dass der „gemeinsame Nenner“ des Vergewaltigungstatbestandes die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung sei220. Die reine Fokussierung auf das Vorliegen von Gewalt und Zwang ist daher „more narrowly stated than is required by international law“221, da es andere unfreiwillige Handlungspraktiken – insbesondere solche, die ohne die Zustimmung des Opfers vollzogen werden – nicht mit einschließt222. Nach Kunarac gibt es demnach drei Hauptfaktoren, die den relevanten sexuellen Akt als Vergewaltigung klassifizieren: „(i) the sexual activity is accompanied by force or threat of force to the victim of a third party223; (ii) the sexual activity is accompanied by force or a variety of other specified circumstances which made the victim particularly vulnerable or negated her ability to make an informed refusal224; (iii) the sexual activity occurs without consent of the victim225.“
218 Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 544; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 129 f. „Force or threat of force provides clear evidence of non-consent, but force is not an element per se of rape. In particular, the Trial Chamber wished to explain that there are factors [other than force] which would render an act of sexual penetration non-consensual or non-voluntarily on the part of the victim.“ 219 Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 544; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 129 f. 220 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 438, vgl. auch Abs. 440, 457 ff. 221 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 438. 222 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 440 „The matters identified in the Furundzˇjia definition – force, threat of force or coercion – are certainly the relevant considerations in many legal systems but the full range of provisions referred to in that judgement suggest that the true common denominator which unifies the various systems may be a wide or more basic principle of penalising violations of sexual autonomy. The relevance not only to force, threat of force, and coercion but also of absence of consent or voluntary participation is suggested in the Furundz ˇ jia judgement itself where it is observed that [. . .] all jurisdictions surveyed by the Trial Chamber require an element of force, coercion, threat, or acting without the consent of the victim: force is given a broad interpretation and includes rendering the victim helpless.“ (Hervorhebung und Auslassung im Original.)
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Die Rechtsprechung in Kunarac hat die Auffassung in Furundzˇjia insoweit erweitert, als dass es den Terminus „Zwang, Gewalt, und Androhung von Gewalt“ durch den allumfassenden Begriff „ohne Zustimmung des Opfers“ ersetzte. Dementsprechend hat die Trial Chamber den Vergewaltigungstatbestand definiert als: „the sexual penetration, however slight: (a) of the vagina or anus of the victim by the penis of the perpetrator or any other object used by the perpetrator; or (b) of the mouth of the victim by the penis of the perpetrator; where such sexual penetration occurs without the consent of the victim.“226
Die Appeals Chamber hat sich dieser Sichtweise angeschlossen227. c) „Ohne Zustimmung des Opfers“ und Unbeachtlichkeit einer Widerstandshandlung aa) Rechtslage zum äußeren Nichtzustimmungserfordernis Nicht unstrittig war, ob neben der Ausübung von Zwang eine Nichtzustimmung des Opfers konstitutive Voraussetzung für die Begehung einer Vergewaltigung ist. Das ICTY hat in Furundzˇjia erklärt, dass jede Form der Freiheitsberaubung mit einer Nichtzustimmung des Opfers gleichzusetzen ist228. Die Nichtzustimmung des Opfers war daher nach Ansicht der ICTY Trial Chamber zwar konstitutive Voraussetzung für die Erfüllung des Tatbestandes229. Sie konnte jedoch direkt aus der Tatsache, dass dem Opfer die Freiheit beraubt wurde, abgeleitet werden. Der Grundgedanke ist, dass jeder Mensch, der zwanghaft seiner sexuellen Freiheit beraubt wird, kaum darin eingewilligt haben kann; die Handlung also – anders gewendet – ohne seine Zustimmung erfolgte. 223 Vgl. dazu Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 443–445. 224 Vgl. dazu Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 446–452. 225 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 442; bezüglich (iii) vgl. Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 453–456. 226 Dazu Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 460. 227 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 128. „The Appeals Chamber Chamber concurs with the Trial Chamber’s definition of rape.“ 228 Prosecutor v. Furundz ˇija, IT-95-17/1-T (10. Dezember 1998), Abs. 271; vgl. auch Abs. 180. 229 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 460.
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Im Berufungsverfahren ist der von der ICTY Trial Chamber gewählte Ansatz von der Verteidigung angegriffen worden. Zum einen machte sie geltend, dass die Nichtzustimmung des Opfers tatsächlich nachgewiesen werden müsse; zum anderen wurde vorgeschlagen, dass das Opfer eine fortwährende Widerstandshandlung verüben müsse. Bezüglich des ersten Punktes – Nichtzustimmung – hat die Appeals Chamber die Definition der Trial Chamber in Kunarac ausdrücklich gebilligt. Zwar sei die Nichtzustimmung des Opfers eine conditio sine qua non für die Erfüllung des Vergewaltigungstatbestandes. Es sei jedoch nicht notwendig, dass die Nichtzustimmung vom Gericht tatsächlich nachgewiesen werden müsse230. Das ICTY hat insoweit hervorgehoben, dass die Ausübung von Zwang regelmäßig die Nichtzustimmung auf Seiten des Opfers indiziert. Auch nach Ansicht des ICTR sei Zwang ein Element, das die Relevanz der Zustimmung als evidenten Faktor des Vergewaltigungstatbestandes ersetzen kann231. Das fehlende Einverständnis kann mithin aus den objektiven Umständen abgeleitet werden; etwa aus der Inhaftierung des Opfers, oder einer andauernden „Völkermordkampagne“. Falls der Täter dem Opfer im Fall von Widerstand die grausame Tötung androht oder das Vergewaltigungsopfer aufgrund eines Fluchtversuches attackiert, so kann auch dies in zureichender Weise als mangelnde Zustimmung interpretiert werden232. Ausbleiben kann damit die Erforschung, in welcher Beziehung das Opfer zum Täter stand, oder ob das Opfer explizit dem Vorgehen widersprach233. 230 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 129 „With regard to the role of force in the definition of rape, the Appeals Chamber notes that the Trial Chamber appeared to depart from the Tribunal’s prior definitions of rape. (Fn. 158) See eg. Furundzˇjia Trial Judgement, para 185. Prior attention has focused on force as the defining characteristic of rape. Under this line of reasoning, force or threat of force either nullifies the possibility of resistance through physical violence or renders the context so coercive that consent is impossible). However, in explaining its focus on the absence of consent as the condition sine qua non of rape, the Trial Chamber did not disavow the Tribunal’s earlier jurisprudence, but instead sought to explain the relationship between force and consent.“ 231 Prosecutor v. Muhimana, ICTR- ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 546 „Accordingly, the Chamber is persuaded by the Appellate Chamber’s analysis [in Kunarac] that coercion is an element that may obviate the relevance of consent as an evidentiary factor in the crime of rape (eigene Hervorhebung). 232 Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-T (17. Juni 2004), Abs. 325. Vgl. auch Rule 72 der ICC RPE „In cases of sexual violence, the Court shall be guided by and, where appropriate, apply the following principles: (a) Consent cannot be inferred by reason of any words or conduct of a victim where force, threat of force, coercion or taking an advantage of a coercive environment undermined the victim’s ability to give voluntary and genuine consent; (b) Consent cannot be inferred by reason of any words or conduct of a victim where the victim is incapable of giving genuine consent; (c) Consent cannot be inferred by reason of the silence of, or lack of resistance by, a victim to the alleged sexual violence; [. . .].“ 233 Nunmehr auch Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-A (7. Juli 2006), Abs. 155.
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Nichtsdestotrotz ist die Nichtzustimmung als formelles Tatbestandsmerkmal der Vergewaltigung von den Gerichten klar herausgearbeitet worden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Absatz 131 der Kunarac Entscheidung234. Dort wird zwar die Feststellung getroffen: „The absence of consent is not an element of the crime.“
Diese Aussage bezieht sich jedoch alleinig auf die Strafbarkeitsvoraussetzungen des vom ICTY zitierten § 177 des deutschen StGB. Nachdem die Appeals Chamber im nächsten Satz feststellte, dass in zunehmendem Maße nationalstaatliche Regelungen existieren, welche die Verurteilung einer Vergewaltigungshandlung im Falle eines Subordinationsverhältnisses zwischen Staatsbeamten und Gefangenen nicht von der Zustimmung des Opfers (also des Gefangenen) abhängig machen, stellte das Gericht fest: „That such jurisdictions have established these strict liability provisions to protect prisoners who enjoy substantive legal protections, including access to council and the expectation of release after a specific period, highlights the need to presume non-consent here.“235
Das Gericht ging mithin davon aus, dass a contrario in allen anderen Fällen als denen, bei dem der Schutz des Gefangenen im Vordergrund steht, die Nichtzustimmung des Opfers gerade notwendig ist. Im Rahmen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit wird davon indes im Regelfall auszugehen sein.236 Bezüglich des zweiten Punktes des Berufungsverfahrens – der Notwendigkeit einer Widerstandshandlung beim Vergewaltigungsopfer – hat die Appeals Chamber festgestellt, dass eine aktive, fortdauernde Widerstandshandlung des Opfers nicht erforderlich ist237. „Zustimmung“ heißt in diesem Sinne, dass ein Einverständnis vorliegen muss, welches auf freiwilliger Basis Ausprägung des freien Willens ist. Äußere Umstände sind mit einzubeziehen238. Für das ICC ergibt sich Letzteres auch aus Fußnote 16 der Elements of Crimes, in welcher kodifiziert ist, dass eine freiwillige und ernsthafte Zustimmung durch natürliche, altersbezogene, oder veranlasste Umstände beeinflusst sein können239. 234 So aber Meseke, Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, 221 (Fn. 250). 235 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 131 (eigene Hervorhebung). 236 s. a. Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-A (7. Juli 2006), Abs. 151 f. 237 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002). Abs. 128; ähnlich M. C. v. Bulgaria, No. 39272/98 (4. Dezember 2003) (keine aktive Abwehrhandlung des Opfers notwendig); s. a. Bourgon/Cauvin, 3 JInt’l Crim. Just. (2005), 296 (300). 238 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 447 ff. 239 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(g)-1, Nr. 2, Fn. 16.
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In Kunarac wurde diesbezüglich zwar festgestellt, dass selbst die Initiierung des Geschlechtsaktes durch die Frau nicht notwendigerweise eine Zustimmung in den Akt implizieren muss240, obgleich die Initiierung sicherlich Indizwirkung hat. Der Täter kann sich jedenfalls aber nicht generell durch den Hinweis rechtfertigen, er habe keine Vergewaltigung begangen, weil sich das Opfer nicht aktiv wehrte. Dem Ansatz ist vorbehaltlos zuzustimmen. Die Realität zeigt, dass bei sexuellen Handlungen, zumal wenn sie erzwungen sind, das „Schweigen“ nicht als konkludente Zustimmung aufgefasst werden kann. Zwar mögen manche Frauen bei Vergewaltigungen Abwehrmaßnahmen ergreifen. Oft aber wird dies entweder aufgrund des Schockzustandes, aufgrund der Vorstellung, dass dann „das Grauen schneller vorbei“ sei, oder aufgrund der Befürchtung, bei Zuwiderhandlung noch größeres Leid zu erfahren und mitunter sogar getötet zu werden, gerade vermieden. bb) Argumente Für und Gegen das innere Nichtzustimmungserfordernis Ist man sich insoweit nunmehr einig, dass das Opfer notwendigerweise keine „äußere“ Widerstandshandlung ergreifen muss, herrscht obgleich der gerichtlichen Feststelllungen in Kunarac weiterhin Streit, inwieweit auch ein „inneres“ Nichtzustimmungserfordernis konstitutiv nachgewiesen werden muss. Beide Seiten können bei der Frage, ob der Vergewaltigungstatbestand notwendigerweise (auch) an den Nachweis einer inneren Nichtzustimmung des Opfers gekoppelt werden soll, auf beachtliche Argumente zurückgreifen. Gegen ein solches Erfordernis spricht, dass sich erstens im Falle eines inneren Nichtzustimmungserfordernisses Konflikte mit anderen enumerierten Tatbeständen ergäben. Wenn man der herrschenden Ansicht folgt, Folter könne in Form von Vergewaltigungshandlungen begangen werden241, so erscheint es widersprüchlich, dass einerseits eine innere Nichtzustimmung zur Vergewaltigung erforderlich sein soll, zur Folter hingegen nicht. Zweitens untergrabe das Nichtzustimmungserfordernis Rule 96 der ICTY- und ICTR-Verfahrens- und Prozessregeln (RPE), da es das Regel-Ausnahme-Verhältnis in ihr Gegenteil verkehrt. Nach Rule 96 RPE ist im Falle eines sexuellen Angriffs die Berufung auf die Zustimmung des Opfers nur in sehr begrenzten Fällen möglich242. Durch die 240 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 655 f.; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 133, 218. 241 Dazu siehe oben beim Tatbestand der Folter, B.III. 242 ICTR/ICTY RPE, Art. 96 „In cases of sexual assault: (i) Notwithstanding Rule 90 (C), no corroboration of the victim’s testimony shall be required; (ii) Consent shall not be allowed as a defence if the victim: (a) has been subjected to or threatened with or has had reason to fear violence, duress, detention or psychological oppression, or (b) reasonably believed that if the victim did not submit, another might be so subjected, threatened or put in fear; (iii) Before evidence of the victim’s consent is admitted,
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generelle Einführung eines inneren Zustimmungserfordernisses werde die Begrenzung aber faktisch aufgehoben. Schließlich setze drittens das innere Nichtzustimmungserfordernis voraus, dass der Richter explizit nachfragt, ob das Opfer den Handlungen zugestimmt habe. Diese Prozedur verkennt regelmäßig die tatsächlichen Verhältnisse während des Jugoslawien und Ruanda Konfliktes und hinterfragt die Rolle der vergewaltigten Zeugin als Opfer. Für das Nachweiserfordernis einer inneren Nichtzustimmung spricht erstens, dass die Erforschung der Zustimmung durch die korrekte Verfahrensprozedur vorgeschrieben ist, welche voraussetzt, dass eine Verurteilung nicht auf Vermutungen gegründet werden darf (in dubio pro reo). Zweitens ist bei der Herausarbeitung völkergewohnheitsrechtlicher Prinzipien u. a. auf nationalstaatliche Regelungen zurückzugreifen. In vielen nationalen Gesetzen ist das innere „Nichtzustimmungserfordernis“ konstitutive Voraussetzung für die Erfüllung des Tatbestandes243. Drittens führt der Nachweis einer inneren Nichtzustimmung zu mehr Abgrenzungsklarheit in Relation zu anderen sexualisierten Verbrechen, insbesondere der sexuellen Sklaverei. Wenn man die Ansicht vertritt, dass eine Vergewaltigung gleichzeitig eine sexuelle Sklaverei darstellen kann, weil sich das Opfer durch die Handlung die Eigentumsstellung am Körper des Opfers anmaßt, so ist das Zustimmungserfordernis primäres Unterscheidungskriterium, weil eine Einwilligung in die (sexuelle) Sklaverei nicht möglich ist, die Nichteinwilligung bei der Vergewaltigung jedoch gerade konstitutiv wäre. Viertens ist das Nachweiserfordernis einer inneren Nichtzustimmung nicht im Widerspruch zu Rule 96 ICTY RPE. Formal betrachtet gestattet die Regel grundsätzlich die Berufung auf die Zustimmung des Opfers als Verteidigungspraktik und enumeriert nur spezielle Fälle, wann dies unzulässig ist. Daraus folgt, dass Rule 96 RPE grundsätzlich die Zustimmung des Opfers für relevant erachtet. Schließlich fünftens ist es dem Richter möglich, auf die Belange des Opfers hinreichend Rücksicht zu nehmen, indem die Fragen zur inneren Nichtzustimmung in einer sensiblen und nicht kränkenden Weise gestellt werden. Aufgrund der (wohl) schlagkräftigeren Argumente, sowie der überzeugenden Herleitung des Nichtzustimmungserfordernisses in Kunarac schließt sich der Autor der letzteren Ansicht an.
the accused shall satisfy the Trial Chamber in camera that the evidence is relevant and credible; (iv) Prior sexual conduct of the victim shall not be admitted in evidence or as defence. 243 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 453 ff.; vgl. auch Smith/Hogan, Criminal Law, 618 „The critical element of rape remains the absence of consent. Without that, penile penetration is not merely not criminal, it is an explicit expression of intimacy.“
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d) Definition der „Vergewaltigung“ nach den Elements of Crimes In Art. 7 Abs. 2 ICC Statut ist der Tatbestand der Vergewaltigung nicht legaldefiniert. Eine Präzisierung findet sich indes in den Elements of Crimes244: „Art. 7(1)(g)-1 Crime against humanity of rape Elements 1. The perpetrator invaded15 the body of a person by conduct resulting in penetration, however slight, of any part of the body of the victim or of the perpetrator with a sexual organ, or the anal or genital opening of the victim with any object or any other part of the body. 2. The invasion was committed by force, or by threat of force or coercion, such as that caused by fear of violence, duress, detention, psychological oppression or abuse of power, against such person or another person, or by taking advantage of a coercive environment, or the invasion was committed against a person incapable of giving genuine consent.16 3. The conduct was committed as part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. 4. The perpetrator knew that the conduct was part of or intended the conduct to be part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. Fn. 15: The concept of „invasion“ is intended to be broad enough to be gender-neutral. Fn. 16: It is understood that a person may be incapable of giving genuine consent if affected by natural, induced or age-related incapacity. This footnote also applies to the corresponding elements of article 7(1)(g)-3, 5 and 6.“
Die Definition der Vergewaltigung in den Elements of Crimes lehnt sich stark an die Rechtsprechung des ICTR in Akayesu und des ICTY in Furundzˇjia an. Bezüglich der Handlungspraktik des Verbrechens (Nr. 1 der obigen Definition) versucht die ICC Definition Akayesu und Furundzˇjia zu kombinieren, indem es sowohl einen Eingriff („invasion“) als auch eine „Penetration“ verlangt. Im Gegensatz zur Musema Rechtsprechung des ICTR, welche beide Ansätze kombinierte, jedoch die Präferenz auf den weiteren „Eingriff“ legte und die mechanischen enumerierten Penetrationspraktiken nur als (nicht abschließende) Indikatoren wertete, macht die ICC Definition vice versa die Reichweite des Eingriffsbegriffs von der Einschlägigung des Penetrationsbegriffs abhängig („invasion [. . .] resulting in penetration“). Da nach den ICC Elements of Crimes der Eingriffsbegriff allumfänglich im Penetrationsbegriff aufgehen muss, ist fraglich, ob Ersterer überhaupt einen eigenständigen Anwendungsbereich hat. Faktisch ist mithin die Definitionstypik des ICTY unter dem Deckmantel der Definitionstypik des ICTR kodifiziert. Die Handlungspraktiken sind in zwei Gruppen aufgeteilt; entweder der Täter penetriert jegliches Körperteil des Opfers oder des anderen Täters mit einem 244
Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(g)-1.
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Geschlechtsorgan, oder der Täter penetriert die Vagina oder den Anus des Opfers mit jeglichem Objekt oder jeglichen Teil des Körpers. Die Reichweite der Definition ist damit weiter als die in Furundzˇjia/Kunarac245. Strafbar ist nicht nur die Penetration der Vagina, des Anus und des Mundes durch den Penis des Täters und die Penetration der Vagina oder des Anus mit jeglichem Objekt, sondern auch die Penetration eines jeglichen Körperteiles (insb. die Finger) in die Vagina und den Anus, sowie die Penetration der Zunge in die Vagina, in den Anus, und möglicherweise auch in den Mund des Opfers. Der Tatbestand erweitert zudem die Vergewaltigung auf beide Geschlechter246. Während freilich vor allem Frauen und Mädchen vergewaltigt werden, ist die Einbeziehung von männlichen Vergewaltigungsopfern auf Grund der vergleichbaren Schwere und Schutzrichtung zu begrüßen, zumal Vergewaltigung in völkerstrafrechtlichen Konstellationen nicht nur als „sexuelle Befriedigungspraktik“, sondern auch als „Ehr- und Würdeverletzung“ Verwendung findet247. Die Konkretisierung in den ICC Elements of Crimes ist dennoch unvollständig und teilweise verwirrend. So ist inter alia die Strafbarkeit einer Handlung kodifiziert, bei welcher „der Täter ein Körperteil des Täters penetriert“248. Eine wörtliche Auslegung dieser Passage wäre abstrus und relevanzlos, da es, abgesehen von dem Fall, dass der Täter den Penis eines Dritten benutzt, um sich selbst zu penetrieren, keinen Sinn macht, eine Handlung zu bestrafen, bei welcher der „Täter“ sich zwingt, mit seinem eigenen Geschlechtsorgan selbst eine Penetrationshandlung an sich zu vollziehen; zumal dies schon aus anatomischer Sicht unausführbar ist; es sei denn, der „Täter“ würde sich sein eigenes Glied abscheiden, um sich damit dann selbst zu penetrieren oder der „Täter“ wäre in der Lage, sich selbst oral zu befriedigen. Bei derartig zugegebenermaßen abwegigen Gedankenspielen mag man sich zudem fragen, warum er dann überhaupt noch „Täter“ sein soll. Zweckrichtung der Kodifizierung war wohl eher die Einbeziehung von Praktiken, bei denen das Opfer gezwungen wird, am Täter aktiv Penetrationshandlungen durchzuführen. Der „erste“ enumerierte Täter in der Definition ist in diesem Fall in Wirklichkeit das Opfer. Fraglich ist zudem, warum für den Fall einer Penetration durch den Penis obige Handlung für strafbar erklärt wird, für den Fall der Penetration mit einem 245 Das ICTR geht aufgrund seiner weiteren Akayesu/Muhimana Rechtprechung davon aus, dass „rape exists whenever there is sexual penetration of the vagina, anus or mouth of the victim, by the penis of the perpetrator or some other object.“; vgl. Prosecutor v. Muvunji, ICTR-2000-55A-T (26. September 2006), Abs. 522. 246 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(g)-1, Fn. 15. 247 Für ein Beispiel einer Vergewaltigung an Männern vgl. Prosecutor v. C ˇ esˇic´, IT95-10/1-S (11. März 2004). 248 „The perpetrator invaded the body of a person by conduct resulting in penetration [. . .] of any part of the body of the victim or of the perpetrator with a sexual organ.“ (Eigene Hervorhebung.)
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Objekt hingegen nicht. Unklar ist schließlich, ob erzwungene Sodomie unter dem Tatbestand subsumierbar ist. Möglich wäre dies, wenn man den Begriff des Opfers weit auslegt und nicht auf menschliche Opfer beschränkt. Schließlich ist anzuführen, dass durch das Erfordernis einer Penetration viele erzwungene Sexualpraktiken, die eine vergleichbare Schwere erreichen, nicht von der Konkretisierung erfasst sind. Rechtsdogmatisch betrachtet wären etwa weder erzwungene Masturbation noch „bukkake“249 unter den Tatbestand subsumierbar. Wie bereits dargestellt, würde in diesen Fällen aber die Generalklausel der „anderen sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere“ greifen. Was das Zusammenspiel zwischen der Ausübung von Zwang, Gewalt und Nichtzustimmung betrifft (siehe unter Nr. 2 der obigen Konkretisierung), so kombinieren die ICC Elements of Crimes die in Furundzˇija entwickelten Ansätze mit denen in Akayesu. Die Vergewaltigung kann demnach begangen werden durch die Ausübung von „force, or by threat of force or coercion“ (wortgleich mit Furundzˇija), mit Wege eines „taking advantage of a coercive environment“ (Einbeziehung der Akayesu Rechtsprechung), oder wenn „the invasion was committed against a person incapable of giving genuine consent“. Letzterer Verweis auf den Zustimmungsbegriff steht nicht in Verbindung mit der Kunarac Rechtsprechung. Dies war schon aus rein praktischer Sicht nicht möglich, weil die Definition in den Elements of Crimes vor der Kunarac Rechtsprechung verabschiedet wurde. Vielmehr stellt diese Variante klar, dass die Ausübung eines Eingriffs („invasion“) unter den in Fußnote 16 aufgezählten Umständen auch ohne Zustimmung des Opfers möglich ist. Die Definition der Elements of Crimes lehnt sich folglich stark an das Erfordernis einer erzwungenen Begehung an. Im Gegensatz zu Kunarac ist die Nichtzustimmung des Opfers nicht in jedem Fall eine konstitutive Voraussetzung für die Erfüllung des Tatbestandes. Eine problemlose Transplantierung der Kunarac Rechtsprechung in die Rechtsprechung des ICC zum Vergewaltigungstatbestand ist daher nur unter Vorbehalt möglich. 3. Mens rea Aus subjektiver Sicht muss die Vergewaltigung vorsätzlich begangen worden sein, regelmäßig mit dem Wissen, dass die Handlung ohne das Einverständnis des Opfers stattfand250. Ausreichend ist der Nachweis, dass dem Täter klar war, dass seine Handlung in einem kriminellen Umfeld begangen wurde, die eine 249 „Bukkake“ ist eine Praktik des Gruppensex, bei der mehrere Männer auf eine knieende, sitzende oder liegende Person – meistens eine Frau – ejakulieren. Bei dieser Praktik besteht ein starker sadomasochistischer Unterton. 250 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 915; Prosecutor v. Muvunji, ICTR-2000-55A-T (26. September 2006), Abs. 519.
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Zustimmung des Opfers nicht für möglich erscheinen ließ251. Ist allerdings eine direkte Verbindung zwischen einer Vergewaltigungshandlung des Täters und der Person des Opfers nicht nachweisbar, kann der Beschuldigte nicht wegen dieser Vergewaltigungshandlung bestraft werden. Das Aufzeigen von Vergewaltigungstaten kann nichtsdestotrotz insoweit von Relevanz sein, als dass dadurch ein Indiz für einen ausgedehnten oder systematischen Angriff erbracht wird252. Unabhängig vom mens rea Erfordernis der spezifischen Vergewaltigungshandlung muss der Täter in Einklang mit den generellen mens rea Grundsätzen zusätzlich über konstruktives Wissen vom makrokriminellen Gesamtkontext verfügen. Ihm muss zudem nachgewiesen werden, dass er weiß, dass sich seine Handlung als Teil des Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellt.
IV. Sexuelle Sklaverei 1. Schutzgut Die sexuelle Sklaverei stellt eine spezifische Form der Sklaverei dar, welche Elemente von sexualisierter Gewalt beinhalt253. Das Schutzgut des Verbrechens ist demnach eine Mischung aus dem Unrechtsgehalt der Versklavung und der sexuellen Gewalt. Das Verbot der Versklavung soll Personen vor der Beraubung der persönlichen Freiheit schützen. Bei der sexuellen Sklaverei steht vor allem die Beraubung der sexuellen Freiheit, Entwicklungsentfaltung, und Entscheidungsfähigkeit und -möglichkeit im Bereich der Sexualität im Vordergrund254. Die Verübung sexueller Gewalt in Ausprägung der sexuellen Sklaverei ist zudem ein grundlegender Verstoß gegen die persönliche Würde des Opfers255. Beim Entwurf des ICC Tatbestandes wurde von Costa Rica, Ungarn und der Schweiz in diesem Zusammenhang der Vorschlag unterbreitet, das Opfer müsse durch eine Behandlung wie Fahrnis zum Objekt herabgewürdigt werden („chattel slavery“)256. Obwohl dieser Vorschlag nicht übernommen wurde, da 251
Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-A (7. Juli 2006), Abs. 157. Prosecutor v. Gacumbitsi, ICTR-2001-64-T (17. Juni 2004), Abs. 329. 253 Oosterveld, 25 MJInt’l L (2004), 605 (623, 630). 254 Oosterveld, 25 MJInt’l L (2004), 605 (624, 650). „Most crucially, the elements for the crime of sexual slavery reinforce the fact that the crime is one of denial of individual autonomy through sexual means.“ 255 Informal Working Paper on War Crimes, Preparatory Committee on the Establishment of an International Criminal Court, Working Group on Definitions and Elements of Crimes, 4, U.N. Doc. A/AC.249/1997/WG.1/CRP.8 (1997). 256 Proposal submitted by Costa Rica, Hungary & Switzerland on certain provisions of Article 8 para 2(b) of the Rome Statute of the International Criminal Court: (viii), (x), (xiii), (xiv), (xv), (xvi), (xxi), (xxii), (xxvi), Preparatory Comm’n for the International Criminal Court, Working Group on Element of Crimes, 4, U.N. Doc. PCNICC/ 1999/WGEC/DP.8 (1999), „involving treatment of women like chattel“. 252
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die Berufung auf eine bewegliche Sache überholt und unangemessen sei257; insbesondere weil der Terminus der Fahrnis (nur) die Ausübung aller Eigentumsrechte impliziert258, erscheint der Hinweis nichtsdestotrotz insoweit interessant zu sein, als dass er stark an die im deutschen Verfassungsrecht zu Art. 1 GG entwickelten Grundsätze zur Bestimmung des Würdebegriffs mit Hilfe der „Objektformel Dürigs“ erinnert. 2. Abgrenzung zur Versklavung, Vergewaltigung und Nötigung zur Prostitution Auffällig ist zunächst, dass die Verfasser des ICC Statuts und SCSL Statuts sowohl den Begriff der Versklavung („enslavement“) als auch den Begriff der Sklaverei („slavery“) kodifiziert haben. Während man einerseits der Ansicht ist, beide Begriffe besäßen denselben Sinngehalt259, wird andererseits vertreten, dass die „Versklavung“ im Gegensatz zur „Sklaverei“ einen Prozess oder eine Praktik darstellt, durch die eine Person zu einem Sklaven gemacht wird; der Terminus hat daher einen (leicht) weiteren Geltungsbereich als der Begriff der „Sklaverei“260. Askin hält folglich den Begriff der „sexuellen Versklavung“ im Gegensatz zur „sexuellen Sklaverei“ für vorzugswürdiger261. Da jedoch Art. 7(1)(g) ICC Statut den Begriff der „sexuellen Sklaverei“ kodifiziert, soll dieser Begriff im Folgenden Verwendung finden. a) Sexuelle Sklaverei 6 Sklaverei + Vergewaltigung Ähnlich wie das im Folgenden besprochene Verbrechen der Zwangsheirat besteht auch das Verbrechen der sexuellen Sklaverei aus einem Konglomerat von Verbrechenstypiken, namentlich Versklavung, Vergewaltigung und Zwangsprostitution262. Aufgrund dessen ist bis heute strittig, ob das Verbrechen der sexu-
257
Clark in: Politi/Nesi, The Rome Statute of the International Criminal Court, 75
(83). 258 WCGJ, Recommendations and Commentary for the Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 9 ff. (2000). 259 Dafür spricht vor allem, dass sowohl das Übereinkommen über die Sklaverei von 1926 – Convention on Slavery, Servitude, Forced Labour and Similar Institutions and Practices of 1926 –, 60 L.N.T.S. 253, welche die „traditionelle“ Sklaverei behandelt, als auch das Zusatzübereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken von 1956 – Supplementary Convention on the Abolition of Slavery, the Slave Trade, and Institutions and Practices Similar to Slavery – (26 U.N.T.S. 3.), in dem auf „neue“ Formen der Sklaverei eingegangen wird, den Begriff „Slavery“ verwenden. 260 Askin in Askin/Koenig, Women and International Human Rights Law I, 41 (83). 261 Id. 262 Scharf in: 3 AFLA (2005), 77 (93).
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ellen Sklaverei einen eigenständigen Tatbestandscharakter besitzt263. Die Verfasser der relevanten Passage des Rom Statuts haben festgestellt, sexuelle Sklaverei sei mehr als nur Versklavung und Vergewaltigung264. Vergewaltigung beschreibe die sexuelle Gewalt innerhalb der Handlungsweise, aber nicht die Beraubung der persönlichen Freiheit; Versklavung wiederum beschreibe die Beraubung der persönlichen Freiheit, beinhalte aber nicht notwendigerweise das Element der sexuellen Gewalt265. Zudem vermittelle der Begriff der Versklavung den Eindruck, dass es nur eine bestimmte Sorte von Straftätern gäbe, nämlich Händler und Eigentümer. Generell ist es so, dass jemand, der nur Produkte konsumiert, die von „Sklaven“ hergestellt wurden, regelmäßig nicht als „kriminell“ einzustufen ist. Bei der sexuellen Sklaverei ist die Situation jedoch anders. Hier hat der „Konsument“ von sexuellen Handlungen (also der Freier) direkten Kontakt zu seinen Opfern und handelt daher in krimineller Art und Weise266. Weiter wird vertreten, dass eine „Versklavung“ im Einzelfall gerechtfertigt sein kann; insbesondere dann, wenn sie im Rahmen eines Krieges „for the needs of the army of occupation“ durchgeführt wird267. Sexuelle Sklaverei hingegen ist niemals wegen „the needs of the army of occupation“ gerechtfertigt, da die „sexuelle Versorgung der Truppe“ keine „militärische Notwendigkeit“ ist268. Schließlich wird hervorgehoben, dass die Enumerierung von gegenwärtigen Versklavungspraktiken authentischer und realitätsnäher sei und zur Weiterentwicklung des Tatbestandes als internationales Verbrechen beitrage. So sei nicht einzusehen, warum ein Täter, der eine versklavte Person dazu zwingt, sexuelle Handlungen vorzunehmen, sich nicht eines international anerkannten Verbrechens strafbar gemacht haben soll, während dies im Falle anderer zwanghaft 263 De Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, 137; Askin/Koenig in: Askin/Koenig Women and International Human Rights Law II, 3 ff. „It is unclear if sexual slavery is considered an entirely separate crime from enslavement and enforced prostitution.“ Gegen den selbständigen Charakter der sexuellen Sklaverei, Boot, Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, 513. 264 Oosterveld, 25 MJInt’l L (2004), 605 ff. 265 Scharf in: 3 AFLA (2005), 77 (93). 266 Demleitner, 18 FInt’lLJ (1994), 163 (195 f.). 267 Argibay, 21 BJInt’l L (2003), 375 (380 f.); siehe auch die IV Haager Konvention von 1907 und Art. 2(2)(a) und (d) der Konvention bezüglich Zwangsarbeit von 1930 (Convention concerning Forced or Compulsory Labour), 39 U.N.T.S. 55 „Nevertheless, for the purposes of this Convention the term „forced or compulsory labour“ shall not include: (a) Any work or service exacted in virtue of compulsory military service laws for work of a purely military character; [. . .] (d) Any work or service in cases of emergency, that is to say, in the event of war [. . .], and in general any circumstance that would endanger the existence or the well-being of the whole or part of the population.“ 268 Argibay, 21 BJInt’l L (2003), 375 (380 f.); Bassiouni, Crimes against Humanity in International Criminal Law, 344.
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erbrachten Dienstleistungen der Fall wäre269 (,da hier der originäre Versklavungstatbestand einschlägig ist). Die sexuelle Sklaverei sei daher zwar eine spezifische Art der Sklaverei270, jedoch keine Unterkategorie des originären Versklavungstatbestandes271, sondern eine „slave related practice“272. Würde man sexuelle Sklaverei als einen derivativen Tatbestand der originären Versklavung betrachten, hätte das zwar den Vorteil, dass die Ausprägung der sexuellen Sklaverei an den völkergewohnheitsrechtlich anerkannten und mit jus cogens und erga omnes Wirkung ausgestatteten allgemeinen Versklavungstatbestand angehängt werden könnte273. Fraglich ist aber, ob eine solche Auslegung mit der historischen Entwicklung des Versklavungstatbestandes vereinbar wäre. So stellt zwar das Sklavereiübereinkommen von 1926 in Art. 2(b) fest, dass es Ziel des Übereinkommens ist, „in zunehmenden Maße und sobald als möglich auf die vollständige Abschaffung der Sklaverei in allen ihren Formen hinzuarbeiten.“274
Bei Verabschiedung des Übereinkommens hatte man jedoch vorrangig die Versklavungspraxis in den USA, die Anfang des 17. Jahrhunderts begann und 269
Askin in Askin/Koenig, Women and International Human Rights Law I, 41 (83). Oosterveld, 25 MJInt’l L (2004), 605 (608). 271 UN Economic and Social Council, Report of the Special Rapporteur on violence against women, its causes and consequences, Ms. Radhika Coomaraswamy, in accordance with Commission on Human Rights resolution 1994/45 und Report on the mission to the Democratic People’s Republic of Korea, the Republic of Korea and Japan on the issue of military sexual slavery in wartime, UN Doc. E/CN.4/1996/53/ Add.1 (1996), Rn. 6 ff. „The Special Rapporteur would like to clarify at the outset of this report that she considers the case of women forced to render sexual services in wartime by and/or for the use of armed forces a practice of military sexual slavery. In this connection, the Special Rapporteur is aware of the position of the Government of Japan conveyed to her during her visit to Tokyo, which states that the application of the term ,slavery‘ defined as ,the status or condition of a person over whom any or all of the powers attaching to the right of ownership are exercised‘ in accordance with article 1 (1) of the 1926 Slavery Convention, is inaccurate in the case of ,comfort women‘ under existing provisions of international law. The Special Rapporteur, however, holds the opinion that the practice of ,comfort women‘ should be considered a clear case of sexual slavery and a slavery-like practice in accordance with the approach adopted by relevant international human rights bodies and mechanisms.“ 272 Das geht aus der Ablehnung des Vorschlags des Vatikans während der Beratungen zum ICC Statut hervor, welcher sexuelle Sklaverei als eine Form der Versklavung definieren und folglich die Tatbestände der sexuellen Sklaverei, Nötigung zur Prostitution und Zwangsschwangerschaft streichen wollte; Proposal submitted by the Holy See, Preparatory Committee on the Establishment of the International Criminal Court, U.N. Doc. A/AC.249/1997/WG.1/DP.12 (1997). 273 Bassiouni 23 NYUJInt’l L&Pol. (1991), 445 (457, 467) und ders. in: Bassiouni, International Criminal Law I, 663 für den Versklavungstatbestand; Askin in Askin/ Koenig, Women and International Human Rights Law I, 41 (86, Fn. 201) auch für die sexuelle Sklaverei. 274 Übereinkommen über die Sklaverei von 1926, 60 L.N.T.S. 253 (eigene Hervorhebung). 270
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bis zum Ende des Amerikanischen Bürgerkrieges im Jahr 1864 andauerte, vor Augen275. Zudem wäre andernfalls nur schwer erklärbar, warum auf der einen Seite spezifische Handlungspraktiken, die der sexuellen Sklaverei zugeordnet werden, additiv im Zusatzprotokoll von 1956276 kodifiziert wurden, wenn diese auf der anderen Seite schon im 1926 kodifizierten Versklavungstatbestand enthalten gewesen wären. Trotz Verselbständigung vom Sklavereitatbestand hat sich der Tatbestand der sexuellen Sklaverei allerdings etabliert und reflektiert nunmehr nach überwiegender Ansicht Völkergewohnheitsrecht277. Die Forderung nach einer Verbindung zum originären Sklavereitatbestand hat folglich an praktischer Relevanz verloren. Strittig ist schließlich das Verhältnis zwischen sexueller Sklaverei und Vergewaltigung. Da sich der Täter bei einer Vergewaltigung ein partielles oder vollumfängliches Eigentumsrecht am Körper des Opfers anmaßt, wird teilweise vertreten, dass, zumindest aus technischer Sicht, jede Vergewaltigung gleichzeitig eine sexuelle Sklaverei darstellt278. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass die sexuelle Sklaverei mehr als eine Vergewaltigungshandlung ist; in concreto erfordert sie die Erbringung (irgend)einer „Leistung“. Zudem ist für den Tatbestand der sexuellen Sklaverei tatbestandstypisch, dass im Gegensatz zur Vergewaltigung das Opfer zusätzlich in einer Art (zumindest psychologisch geprägter) Haft gefangen ist, die zeitlich über das Maß der Freiheitsberaubung bei einer Vergewaltigung hinausgeht. Schließlich unterscheidet sich der jeweilige Deliktstypus beider Verbrechen. Während es sich bei der Vergewaltigung um ein Erfolgsdelikt handelt, ist die (sexuelle) Sklaverei ein Dauerdelikt279. b) Sexuelle Sklaverei 6 Nötigung zur Prostitution Der Tatbestand der „Nötigung zur Prostitution“ weist mit der sexuellen Sklaverei erhebliche Parallelen auf, weshalb bis heute strittig ist, ob Nötigung zur Prostitution und sexuelle Sklaverei verschiedene Verbrechen darstellen. Einige 275 Dagegen könnte angeführt werden, dass schon 1921, also fünf Jahre vor Verabschiedung der Sklavereikonvention mit dem Internationalen Übereinkommen zur Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels, 9 L.N.T.S. 415, der Versuch unternommen wurde, ein Verbot des Menschenhandels von Frauen und Kindern herbeizuführen. Bis zum Jahre 1926 wurde das Übereinkommen aber nur von einer begrenzten Anzahl von Staaten ratifiziert. 276 Supplementary Convention on the Abolition of Slavery, the Slave Trade, and Institutions and Practices Similar to Slavery, 26 U.N.T.S. 3. 277 Cassese in: Cassese, The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, 353 (374 f.); Oosterveld, 25 MJInt’l L (2004), 605 (608). 278 Askin in: Askin/Koenig, Women and International Human Rights Law I, 83 f. 279 Boot, Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, 514.
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Kommentatoren gehen davon aus, dass der Tatbestand der sexuellen Sklaverei weiter und feinfühliger gefasst, und somit nützlicher ist, und deshalb den Tatbestand der Nötigung zur Prostitution ablösen sollte280. Andere argumentieren, der Tatbestand der Nötigung zur Prostitution sei nicht vollumfänglich im Tatbestand der sexuellen Sklaverei enthalten. Folglich müssten beide Tatbestände existent bleiben. Unterschiede gäbe es insoweit, als dass erstens der Grad an Freiheitsberaubung beim Tatbestand der sexuellen Sklaverei mitunter höher ist281. Zweitens wurde es als unpassend empfunden, sexuell versklavte Opfer in das Licht von „Prostituierten“ zu rücken282. Der Terminus Versklavung hingegen ruft gesellschaftlich weit weniger negative Assoziationen im Bezug auf die Rolle des Opfers hervor283. Drittens erweckt der Tatbestand der Nötigung zur Prostitution den Eindruck der Notwendigkeit einer „Bezahlung“284, sowie den Anschein, dass das Opfer den Beginn der Handlung hervorgerufen hat285. Und schließlich viertens wird Frauen, die in die „Prostitution“ genötigt wurden, oft die Notwendigkeit einer „Rehabilitierung“ unterstellt, während Sklaven eher „Beratung und Hilfe“ bräuchten286. Weil bei Verabschiedung des Rom Statuts unklar war, ob die Nötigung zur Prostitution stets als eine Form der sexuellen Sklaverei angesehen werden kann, hat man sich in dubio für die Enumerierung beider Tatbestände entschieden. Nach hier vertretener Ansicht ist sexuelle Sklaverei etwas anderes als eine Kumulierung von Versklavung, Vergewaltigung oder Nötigung zur Prostitution. Das Opfer erleidet bei sexueller Sklaverei Schmerzen und Qualen, die vom Regelungswerk der anderen Tatbestände nicht hinreichend abgedeckt sind. Die sexuelle Sklaverei beschreibt daher die kriminelle Handlungsweise in einer akkurateren Art und Weise und hat somit Existenzberechtigung287. 280 Oosterveld, 25 MJInt’l L (2004), 605 (618); unentschlossen Fan, 27 Yale JInt’l L (2002), 395 (412 ff.). 281 Askin in: Koenig/Askin, Women and International Human Rights Law I, 41 (48). 282 Argibay, 21 BJInt’lL (2003), 375 (386); Scharf in: 3 AFLA (2005), 77 (93); Report on the Mission to the Democratic People’s Republic of Korea, the Republic of Korea and Japan on the Issue of Military Sexual Slavery in Wartime: Report of the Special Rapporteur on Violence against Women, its Causes and Consequences, U.N. Doc. E/CN.4/1996/53/Add.1 (1996), Abs. 10. 283 Scharf in: 3 AFLA (2005), 77 (93); Demleitner, 18 FInt’lLJ (1994), 163 (195 f.). 284 Askin in: Askin/Koenig, Women and International Human Rights Law I, 41 (85) „The notion is perhaps confused because ,voluntary‘ prostitution often involves the exchange of sex for money, and, with use of the term ,forced prostitution‘, it is often assumed that the women are compensated.“ 285 Boot, Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, 514. 286 Demleitner, 18 FInt’lLJ (1994), 163 (195 f.); Oosterveld, 25 MJInt’l L (2004), 605 (621). 287 So auch Askin in: Koenig/Askin, Women and International Human Rights Law I, 41 (48); Fan, 27 Yale JInt’l L (2002), 395 (412 ff.); Oosterveld, 25 MJInt’l L (2004), 605 (622).
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3. Definition der „sexuellen Sklaverei“ nach den Elements of Crimes In Art. 7 des ICC Statuts ist keine Legaldefinition von „sexueller Sklaverei“ enthalten. In den Elements of Crimes ist das Verbrechen jedoch wie folgt konkretisiert288: „Art. 7(1)(g)-2 Crime against humanity of sexual slavery17 Elements: 1. The perpetrator exercised any or all of the powers attaching to the right of ownership over one or more persons, such as by purchasing, selling, lending or bartering such a person or persons, or by imposing on them a similar deprivation of liberty.18 2. The perpetrator caused such person or persons to engage in one or more acts of a sexual nature. 3. The conduct was committed as part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. 4. The perpetrator knew that the conduct was part of or intended the conduct to be part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. Fn. 17: Given the complex nature of this crime, it is recognized that its commission could involve more than one perpetrator as part of a common criminal purpose. Fn. 18: It is understood that such deprivation of liberty may, in some circumstances, include exacting forced labour or otherwise reducing a person to a servile status as defined in the Supplementary Convention on the Abolition of Slavery, the Slave Trade, and Institutions and Practices Similar to Slavery of 1956. It is also understood that the conduct described in this element includes trafficking in persons, in particular women and children.“
4. Actus reus Der objektive Tatbestand der sexuellen Sklaverei ist vornehmlich durch zwei Hauptmerkmale gekennzeichnet. Zum einen muss sich der Täter eine „eigentumsstellungsähnliche“ Position an dem Opfer angeeignet haben. Zum anderen muss das Opfer durch den Täter veranlasst worden sein, an sexuellen Handlungen teilzunehmen. Wie aus Fußnote 17 der Elements of Crimes hervorgeht, können Täter im Sinne des Tatbestandes sowohl ein Einzeltäter als auch eine Mehrzahl von Tätern sein, welche den gleichen kriminellen Zweck verfolgen. a) Keine Notwendigkeit einer monetären Leistungserbringung Die von den Elements of Crimes vorgeschlagene Definition konkretisiert den Tatbestand durch eine Enumerierung von Regelbeispielen. Das Eigentumsrecht 288 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(g)-2. Eine wortgleiche Definition findet sich in Art. 8(2)(b)(xxii), 8(2)(e)(vi) der Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000) bei den Kriegsverbrechen.
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am Opfer kann demnach durch das „Kaufen, Verkaufen, Leihen oder Tauschen“ des Opfers erlangt werden. Die Einbeziehung dieser konkretisierenden Beispiele geht auf einem Vorschlag der USA zurück, da einige Delegierte den Tatbestand als zu vage und unpräzise ansahen und somit eine Verletzung des nullum crimen sine lege Grundsatzes fürchteten289. Durch die Einbeziehung des Terminus „such as“ ist unstrittig, dass die Aufzählung nicht abschließend ist. Aus der Tatsache, dass allen Regelbeispielen ein gewerbliches Element zu Grunde liegt, und der Begriff „such as“ im Wege des ejusdem generis Grundsatzes290 ausgelegt werden muss, könnte geschlossen werden, der Tatbestand erfasse nur gewerblich geprägte Handlungen291. Durch das Einfügen der obigen Fußnote 18, die innerhalb der Elements of Crimes den gleichen Autoritätsgrad besitzt, wie die Konkretisierung selbst292, ist einer derart einschränkenden Auslegung allerdings entgegengetreten worden293. Die Einfügung von Fußnote 18 ist in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Zum einen sind durch die dort getätigte Berufung auf das Zusatzprotokoll von 1956 je nach Einzelfall die Verbrechen der Schuldknechtschaft („debt bondage“)294, Leibeigenschaft („serfdom“)295, Zwangsheirat („forced marriage“)296 und Kinderarbeit („child exploitation“)297 vom Tatbestand der sexuellen Sklaverei um289 Proposal submitted by the United States of America: Draft Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/1999/DP.4/Add.1 (1999); s. a. La Haye in Lee, The International Criminal Court: Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 184 (191). 290 Der ejusdem generis Grundsatz besagt, dass bei einem Zusammenspiel zwischen einer Generalklausel und Regelbeispielen eine Einbeziehung weiterer Beispiele anhand des gemeinsamen Nenners erfolgen muss. 291 Beachte auch, dass laut Tatbestandsdefinierung eine „similar deprivation of liberty“ gefordert ist (eigene Hervorhebung). Beachte zudem Art. 1(2) der Konvention gegen Sklaverei von 1926; „The slave trade includes all acts involved in the capture, acquisition or disposal of a person with the intent to reduce him to slavery, all acts involved in the acquisition of a slave with a view to selling or exchanging him; all acts of disposal by sale or exchange of a slave acquired with a view to being sold or exchanged, and, in general, every act of trade or transport of slaves.“ (eigene Hervorhebung). Für eine Einbeziehung von nicht gewerblichen Handlungen sprach nach Auffassung einiger Delegierter, dass der Tatbestand der „Leihe“ auch nicht pekuniäre Praktiken einschließe; Oosterveld, 25 MJInt’l L (2004), 605 (633). 292 De Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, 138. 293 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(g)-2 Abs. 1, Fn. 18. Dieselbe Fußnote ist auch beim Tatbestand der Versklavung enthalten; Ibid., Art. 7(1)(c) Abs. 1, Fn. 11. 294 Art. 1(a) Supplementary Convention on the Abolition of Slavery, the Slave Trade, and Institutions and Practices Similar to Slavery, 226 U.N.T.S. 2. 295 Art. 1(b) Supplementary Convention on the Abolition of Slavery, the Slave Trade, and Institutions and Practices Similar to Slavery, 226 U.N.T.S. 2. 296 Art. 1(c)(i) Supplementary Convention on the Abolition of Slavery, the Slave Trade, and Institutions and Practices Similar to Slavery, 226 U.N.T.S. 2. 297 Art. 1(c)(iii) Supplementary Convention on the Abolition of Slavery, the Slave Trade, and Institutions and Practices Similar to Slavery, 226 U.N.T.S. 2.
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fasst. Das in der Fußnote 18 erwähnte Merkmal der „person of servile status“ ist im Zusatzprotokoll definiert als „a person in the condition or status of debt bondage or serfdom“. Zum anderen kann, wie aus Fußnote 18 hervorgeht, der Menschenhandel insbesondere an Frauen und Kindern eine Handlungsweise der sexuellen Sklaverei darstellen. Eine diesbezügliche explizite Erklärung hat zur Klärung der Rechtslage beigetragen, da in den Statuten des ICC und SCSL der Menschenhandel nur in Verbindung mit der Versklavung, nicht aber in Verbindung mit sexueller Sklaverei enumeriert wurde. Der sexuelle Sklavereitatbestand muss daher nicht notwendigerweise mit dem Austausch von Geld oder anderer Vermögensvorteile einhergehen298. Diese Auslegung deckt sich mit der Realität, da vor allem in Kriegszeiten sexuelle Sklaverei verübt wird, die in keinem Zusammenhang mit der Erlangung von pekuniären Vorteilen steht299. Auch in Friedenszeiten wird sexuelle Sklaverei nicht nur aus vermögenswerten, sondern etwa auch aus religiösen Gründen verübt. In der Volta Region in Ghana praktiziert etwa die ethnische Gruppe der Ewe seit nunmehr über 300 Jahren das Trokosi 300 Ritual. Ausgehend von der 298 De Brouwer, Supranational Prosecution of Sexual Violence, 138; U.N. Commission on Human Rights, Contemporary Form of Slavery: Systematic Rape, Sexual Slavery and Slavery-like Practices During Armed Conflict: Final Report Submitted by Gay J. Mc Dougall, Special Rapporteur, E/CN.4/Sub.2/1998/13, Abs. 8, 30. 299 Während des Zweiten Weltkrieges wurden etwa 200.000 Frauen aus dem Pazifischen Raum von Japanern in Vergewaltigungslagern (euphemistisch betitelt als „comfort stations“) gehalten, um unter Zwang an sexuellen Handlungen mit japanischen Soldaten teilzunehmen. Diese unter der euphemistischen Bezeichnung als „comfort women“ bekannt gewordenen Frauen wurden entführt, gezwungen und betrogen, und nur äußerst selten „gekauft“ oder „verkauft“. Wenn die Leistungserbringung doch auf Geld gerichtet war, kam der pekuniäre Vorteil nicht dem Opfer, sondern dem Bordellinhaber zu. Bis zum heutigen Tage ist es nicht zu einer Verurteilung aufgrund der begangen Verbrechen gekommen. Alle seit 1990 beim Tokioer Bezirksgericht und anderen japanischen Gerichten 8 Klagen von Überlebenden aus Korea, China, Taiwan, den Philippinen und Japan wurden abgewiesen. Vom 8. bis 12. Dezember 2000 tagte unter Unterstützung von Internationalen NGO’s das „Women’s International War Crimes Tribunal 2000 for the Trial of Japanese Military Sexual Slavery“, dass Kaiser Hirohito wegen begangener sexueller Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befand. Während das Tribunal und dessen Urteil keinerlei Rechtskraft hat, so war es nichtsdestotrotz für die Aufarbeitung der Verbrechen und als moralisches Eingeständnis von großer Wichtigkeit; vgl. Yoshiaki, Comfort Women: Sexual Slavery in the Japanese Military During World War II; Argibay, 21 BJInt’l L (2003), 375 ff.; Chinkin, 95 AJIL (2001), 335 ff.; Askin, 1 Int’l CrimLRev. (2001), 5 ff.; dies., in: Askin/Koenig, Women and International Human Rights Law I, 41 (71, Fn. 134); UN Economic and Social Council, Report of the Special Rapporteur on violence against women, its causes and consequences, Ms. Radhika Coomaraswamy, in accordance with Commission on Human Rights resolution 1994/45 und Report on the mission to the Democratic People’s Republic of Korea, the Republic of Korea and Japan on the issue of military sexual slavery in wartime, UN Doc. E/CN.4/1996/53/Add.1 (1996). 300 Wörtlich übersetzt bedeutet Trokosi „die Ehefrauen der Götter“. Manchmal werden Trokosis auch Fiashidis genannt.
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Vorstellung, dass den Göttern Opfer erbracht werden müssen, überlassen Familien bei der Verübung eines schwerwiegenden Verbrechens oder sozialer Übertretung durch ein Familienmitglied ihre meist minderjährigen, jungfräulichen Töchter (Trokosi) einem Voodoo Priester als Repräsentant des „Schrein Gottes“ für einen Zeitraum von mehreren Wochen bis zu mehreren Jahren, um die „Sünden“ der Familie zu begleichen301. Offizieller Zweck des Aufenthalts ist das Erlernen der traditionellen Religion des Schreins. Die Priester halten die Mädchen indes regelmäßig als Sklaven und vergewaltigen diese302. Eine 1996 vorgenommene Schätzung ging davon aus, dass in Ghana, Benin, Togo und Nigeria mehr als 35.000 Mädchen als Sex-Sklavinnen von Voodoo Priestern gehalten wurden303. Die Zahl ist seitdem jedoch aufgrund des Wertewandels und der Stellung der Religion in der Gesellschaft zumindest in Ghana merklich zurückgegangen304. Würde man die Erfüllung der sexuellen Sklaverei von pekuniären Vorteilen abhängig machen, wären diese Praktiken, sofern sie ausgedehnt oder systematisch und zielgerichtet gegen einen bestimmten Teil jeglicher Zivilbevölkerung begangen würden, gleichwohl nicht unter dem Tatbestand der sexuellen Sklaverei aburteilsfähig. b) „Ähnlich [. . .] verübte Freiheitsberaubung“ („similar deprivation of liberty“) Neben den in Nr. 1 der Elements of Crimes enthaltenen Konkretisierungsbeispielen des Kaufens, Verkaufens, Leihens oder Tauschens sieht die Definition die Öffnungsklausel der „ähnlich verübten Freiheitsberaubung“ vor. Sowohl das ICTR in Akayesu als auch das ICTY in Kunarac vertreten die Auffassung, eine „ähnlich verübte Freiheitsberaubung“ erfordere nicht das physische Einsperren in einen bestimmten Ort. Ausreichend sei, dass das Opfer, obwohl es ihm „freisteht zu gehen“, faktisch keinen anderen Ort hat, den es aufsuchen könnte und im Falle des Verlassens um das eigene Leben fürchten müsste305. 301
Ben-Ari, 15 AFR 4 (2001), 26. Es ist jedoch nicht nachgewiesen worden, dass körperlicher oder sexueller Missbrauch ein systematischer Teil der Trokosi Praktik ist; U.S. Department of State Annual Report on International Religious Freedom for 2005 – Ghana – November 2005, Sec. III. 303 Zur Trokosi Praktik siehe Bilyeu, 9 Ind. Int’l&Comp.LRev. (1999), 457 ff. 304 U.S. Department of State Annual Report on International Religious Freedom for 2005 – Ghana – November 2005, Sec. III. „According to credible reports from international observers and local leaders, there were not more than 50 girls serving at Trokosi shrines throughout the Volta Region. Reports by local leaders, district authorities, shrine priests, elders, and human rights activists indicated that the incidence of Trokosi was declining considerably.“ 305 La Haye in Lee, The International Criminal Court: Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 184 (191 f.); De Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, 140. 302
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c) Teilnahme an Handlungen sexueller Natur („caused such person [. . .] to engage in one or more acts of a sexual nature“) Die Teilnahme an sexuellen Handlungen auf Seiten des Opfers ist konstitutiv. Durch dieses Tatbestandsmerkmal erfolgt gerade die Abgrenzung zum originären Versklavungstatbestand. Sexuelle Sklaverei kann in unterschiedlichsten Formen begangen werden und ist regelmäßig dann erfüllt, wenn durch sexuelle Handlungen die Person zum Objekt degradiert wird. Konkrete Anhaltspunkte bezüglich der Handlungsausgestaltung geben die in der Fußnote 18 der Elements of Crimes enumerierten Handlungsvarianten. d) Keine Zustimmung des Opfers erforderlich Der Tatbestand ist unabhängig von einer Zustimmung des Opfers erfüllt, da der Schutz der persönlichen menschlichen Würde nicht von einer Einwilligung abhängig gemacht werden kann und darf 306. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Beweislast der Anklägebehörde erheblich von den Tatbeständen der Vergewaltigung, Zwangsheirat, Nötigung zur Prostitution und Zwangssterilisation. Dort muss die Nichtzustimmung des Opfers bewiesen werden. 5. Mens rea Bei den mens rea Erfordernissen ergeben sich keine Besonderheiten. Der Täter muss vorsätzlich eine oder alle Befugnisse über eine oder mehrere Personen ausüben, die aus einem Eigentumsrecht hervorgehen, wie zum Beispiel [„such as“] das Kaufen, Verkaufen, Leihen oder Tauschen dieser Person oder Personen, oder durch eine ähnliche an dieser Person oder diesen Personen verübte Freiheitsberaubung (Elements of Crimes Nr. 1) und vorsätzlich diese Person oder Personen dazu veranlasst haben, an einer oder mehreren Handlungen sexueller Natur teilzunehmen (Elements of Crimes Nr. 2). Unabhängig vom mens rea Erfordernis bezüglich der spezifischen Ausübung der sexuellen Sklaverei muss der Täter in Einklang mit den generellen mens rea Grundsätzen zusätzlich über konstruktives Wissen vom makrokriminellen Gesamtkontext verfügen. Ihm muss zudem nachgewiesen werden, dass weiß, dass sich seine Handlung als Teil des Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellt.
306 Scharf in: 3 AFLA (2005), 77 (99); Oosterveld, 25 MJInt’L (2004), 605 (640); Contemporary Forms of Slavery, Systematic Rape, Sexual Slavery and Slavery-like Practices During Armed Conflict: Update to the Final Report Submitted by Ms. Gay J. McDougall, Special Rapporteur, U.N. Doc. E/CN.4/Sub.2/2000/21 (2000), Abs. 51.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
V. Nötigung zur Prostitution 1. Schutzgut Das Schutzgut der Nötigung zur Prostitution ist aufgrund der engen Verwandtschaft mit dem Tatbestand der sexuellen Sklaverei verbunden (aber nicht identisch). Ähnlich wie bei der sexuellen Sklaverei hat sich der Schwerpunkt des Schutzgutes von der Verübung eines „unmoralischen Angriffs auf die Ehre der Frau“ zu einer „Verletzung der körperlichen Unversehrtheit und individuellen Freiheit“ verschoben307. 2. Abgrenzung zu anderen Tatbeständen Die Abgrenzungsproblematik, insbesondere zwischen der Nötigung zur Prostitution und der sexuellen Sklaverei, ist bereits umfassend behandelt worden308. Ergänzend sei hervorgehoben, dass der Tatbestand der Nötigung zur Prostitution Handlungen umfassen kann, die nicht das Ausmaß einer Versklavung oder sexuellen Sklaverei erreichen, aber dennoch eine Ausübung von Zwang beinhalten, die das Opfer zu Handlungen sexueller Natur veranlasst, um lebensnotwendige Güter zu erhalten oder potenzielle Schädigung von sich abzuwenden. Schwierig ist auch die Abgrenzung zwischen der Nötigung zur Prostitution und der Vergewaltigung. Während die Vergewaltigung ein Erfolgsdelikt und die sexuelle Sklaverei ein Dauerdelikt ist, kann die Nötigung zur Prostitution je nach Fall entweder Erfolgsdelikt oder Dauerdelikt sein. Im Falle eines Dauerdeliktes kann die Prostitution zudem Verbrechenstatbestände der Vergewaltigung oder andere sexualisierte Straftaten beinhalten309. Markantester Unterschied zwischen der Vergewaltigung und der Nötigung zur Prostitution ist jedoch, dass bei Letzterem ein Austausch von Leistungen zwischen dem Freier und dem Zuhälter stattfindet. Liegt dies vor und wird das Opfer durch Zwang, Nötigung oder Gewalt zu einer sexuellen Handlung veranlasst, so wird sich regelmäßig der Täter (Zuhälter) aus actus reus Gesichtspunkten einer Nötigung zur Prostitution strafbar gemacht haben. Eine Bestrafung des Freiers durch Beihilfe zur Nötigung zur Prostitution scheitert wohl an der Voraussetzung, dass der Täter einen geldwerten oder anderen Vorteil in Austausch für die Erbringung einer sexuellen Handlung erlangen muss, oder dies zumindest erwartet. Dies impliziert, das die sexuelle Handlung des Opfers eo ipso nicht der Vorteil sein kann, den der Täter erlangt. Der Freier wird sich vielmehr 307 Boot, Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, 514. 308 Siehe oben, C.4.b.(2). 309 Id.
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einer Vergewaltigung strafbar gemacht haben, wenn die Anklagebehörde die Ausübung von Zwang auf Seiten des Freiers nachweisen kann310. Wie bereits festgestellt, reicht die Ausnutzung einer Zwangslage aus311. Auch lässt sich aus der Tatsache, dass mit dem Zuhälter ein Leistungsaustausch stattgefunden hat, nicht schließen, dass ein Freier keine Vergewaltigung begehen kann312. 3. Definition der Nötigung zur Prostitution nach den Elements of Crimes Das Verbrechen der Nötigung zur Prostitution als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist im ICC Statut als enumerierter Tatbestand aufgenommen, jedoch in Abs. 2 nicht verbindlich legal definiert worden. Im ICTR Statut findet sich die Nötigung zur Prostitution als „outrage upon personal dignity“ in Zusammenhang mit der Verletzung des Gemeinsamen Artikels 3 der Genfer Konventionen von 1949 und dem II. ZP von 1977 wieder. Im Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit ist die „Nötigung zur Prostitution“ allerdings nicht (im ICTR Statut) kodifiziert. Als Anhaltspunkt für eine Konkretisierung des Tatbestandes kann auf die Präzisierungen in den Elements of Crimes zurückgegriffen werden. Eine Nötigung zur Prostitution liegt demnach bei folgenden Voraussetzungen vor313: „Art. 7(1)(g)-3 Crime against humanity of enforced prostitution Elements of Crimes 1. The perpetrator caused one or more persons to engage in one or more acts of a sexual nature by force, or by threat of force or coercion, such as that caused by fear of violence, duress, detention, psychological oppression or abuse of power, against such person or persons or another person, or by taking advantage of a coercive environment or such person’s or persons’ incapacity to give genuine consent. 2. The perpetrator or another person obtained or expected to obtain pecuniary or other advantage in exchange for or in connection with the acts of a sexual nature. 3. The conduct was committed as part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. 310 Es versteht sich von selbst, dass die Anklagebehörde selbstverständlich zusätzlich eine Verbindung zu den Chapeaubestandteilen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit nachweisen muss, also insbesondere, dass der Täter sich bewusst war, dass die Vergewaltigung sich als Teil eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellte. 311 Siehe oben beim Tatbestand der Vergewaltigung, C.III.2.b). 312 Überzeugend führt Askin insoweit aus: „If you rape someone and then give them money or other compensation, it is still rape“; Askin in: Askin/Koenig, Women an International Human Rights Law, 41 (85). 313 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(g)-3.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
4. The perpetrator knew that the conduct was part of or intended the conduct to be part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population.“314
4. Actus reus Die Nötigung zur Prostitution weist viele Parallelen zum Tatbestand der sexuellen Sklaverei auf, weswegen sich analoge Problemkonstellationen ergeben. Strittig sind auch hier vor allem zwei Merkmale; zum einen, ob die Erfüllung des Tatbestandes von einer monetären Leistungserbringung abhängt, und zum anderen, in wieweit „Zwang“ ein konstitutives Merkmal des Tatbestandes ist. a) Keine Notwendigkeit einer monetären Leistungserbringung Wie auch bei der sexuellen Sklaverei war fraglich, ob eine Nötigung zur Zwangprostitution voraussetzt, dass der Täter einen geldwerten Vorteil erlangt. Einige Delegierte beriefen sich insbesondere auf ein Fallbeispiel, wonach auch ein Täter, der mehrere Frauen entführt, gefangen hält und Soldaten oder anderen Personen anbietet ohne eine monetäre oder andere materielle Gegenleistung zu fordern, sich wegen Nötigung zur Prostitution verantworten müsse315. Andere wendeten ein, dass die Erbringung einer monetären Leistung im Austausch für, oder in Verbindung mit der Erbringung einer sexuellen Handlung ein typisches Wesensmerkmal für den Tatbestand der Prostitution sei und sich dadurch von der sexuellen Sklaverei unterscheide316. Letztendlich schloss sich die Mehrheit der Delegierten letzterer Auffassung an, mit der Änderung, dass die Vorteilserlangung nicht notwendigerweise auf monetäre Mittel gerichtet sein muss, sondern jeglichen (geldwerten) Vorteil beinhalten kann. Ausreichend ist damit, dass der Täter materielle Leistungen oder Dienste, gleich welcher Art, erhält, oder dies zumindest erwartet317. 314 Aufgrund der Komplexität sei folgende (nichtamtliche) Übersetzung der ersten beiden das Verbrechen der Nötigung zur Prostitution auszeichnenden Punkte vorgeschlagen: 1. Der Täter verursachte durch Gewalt, oder durch Nötigung oder Zwang, die etwa durch Angst vor Gewalt, Nötigung, Haft, psychologischer Unterdrückung oder Machtmissbrauch gegen diese Person oder Personen, oder gegen einen Dritten, oder durch eine Vorteilsverschaffung durch eine zwanghafte Umgebung, oder Unmöglichkeit oder Unfähigkeit dieser Person oder Personen, eine ernsthafte und aufrichtige Zustimmung zu erteilen, die sexuelle Teilnahme einer Person, oder mehrerer Personen an einer oder mehreren Handlungen von sexueller Natur. 2. Der Täter oder eine andere Person erlangte einen geldwerten oder anderen Vorteil im Austausch für oder in Verbindung mit Handlungen von sexueller Natur, oder erwartete dies zu erlangen. 315 Oosterveld, 25 MJInt’l L (2004), 605 (645). 316 Vgl. De Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, 143. 317 La Haye in: Lee, The International Criminal Court: Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 193.
C. Sexualisierte Verbrechen
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b) Art und Weise der Zwangsausübung („by force, or threat of force or coercion“) Bei den Verhandlungen zum Rom Statut herrschte Streit, wie die Zwangshandlung bei der Nötigung zur Prostitution in concreto ausgestaltet sein sollte. Rückführbar ist das Problem auf zwei unterschiedliche Definitionsansätze. Auf der einen Seite stand der Vorschlag der USA, auf der anderen Seite der Vorschlag von Costa Rica, Ungarn und der Schweiz. Während im USA Vorschlag der Täter das Opfer seiner Freiheit beraubt und gezwungen haben muss, an einem oder mehreren Personen Handlungen von sexueller Natur vorzunehmen318, betonte der Vorschlag von Costa Rica, Ungarn und der Schweiz die Ausübung von Kontrolle auf Seiten des Täters gegenüber dem Opfer319. Nach umfassender Diskussion einigte man sich, dass das Element der Kontrolle im Einklang mit der Rechtsprechung des ICTR in Akayesu und ICTY in Furundzˇija ausgelegt werden soll. Der Zwang muss daher nicht exklusiv physischer Natur sein; ein Zwang, der sich durch Drohungen (gegen das Opfer oder einen Dritten), welche etwa auf Angst vor Gewalt, Nötigung, Haft, psychologischer Unterdrückung, Einschüchterung, Erpressung, Machtmissbrauch oder einer anderen auf Furcht oder Verzweiflung gegründeten Nötigungshandlung beruht, ist ausreichend320. Darüber hinaus wurde das Merkmal der „Unmöglichkeit oder Unfähigkeit des Opfers oder der Opfer, eine ernsthafte und aufrichtige Zustimmung zu erteilen“, welches für den Vergewaltigungstatbestand entwickelt wurde, übernommen. Hingewiesen sei schließlich auf die in der englischen Originalfassung gewählte Formulierung der „enforced prostitution“. Auch hier herrschte Unklarheit, insbesondere mit Hinblick auf den verwandten Tatbestand der „forced pregnancy“. In Art. 76 der IV Genfer Konvention, sowie Art. 4 des ZP II ist der Terminus „enforced prostitution“ kodifiziert. Man einigte sich mithin auf letztere Bezeichnung, zumal sie in stärkerem Maße die Handlungspraktik der Zwangsausübung umschreibe321. 318 Proposal submitted by the United States of America: Draft Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/1999/DP.4/Add.1 (1999), 6. 319 Proposal submitted by Costa Rica, Hungary and Switzerland on certain provisions of Article 8 para. 2(b) of the Rome Statute of the International Criminal Court: (viii), (x), (xiii), (xiv), (xv), (xvi), (xxi), (xxii), (xxvi), 4. 320 Prosecutor v. Furundz ˇija, IT-95-17/1-T (10. Dezember 1998); Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998). Der Vorschlag einiger arabischer Staaten, das Merkmal des Zwanges, der psychologischen Unterdrückung oder des Machtmissbrauchs aus der Definition zu streichen, wurde mehrheitlich abgelehnt; Discussion Paper Proposed by the Coordinator, Preparatory Comm’n for the International Criminal Court, 2, U.N. Doc. PCNICC/1999/WGEC/RT.6 (1999). 321 Askin in: Askin/Koening, Women and International Human Rights Law I, 41 (55, Fn. 58).
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
5. Mens rea Bei den mens rea Erfordernissen ergeben sich keine Besonderheiten. Der Täter muss demnach die in den Elements of Crimes Nr. 1 und Nr. 2 enthaltenen Tatbestandsmerkmale vorsätzlich begangen haben. Unabhängig vom mens rea Erfordernis bezüglich der spezifischen Ausübung der Nötigung zur Prostitution muss der Täter zusätzlich in Einklang mit den generellen mens rea Grundsätzen über konstruktives Wissen vom makrokriminellen Gesamtkontext verfügen. Ihm muss zudem nachgewiesen werden, dass er weiß, dass sich seine Handlung als Teil des Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellt.
VI. Erzwungene Schwangerschaft („Forced Pregnancy“) 1. Schutzgut und Begriffsbestimmung Die Ausarbeitung des Tatbestandes der erzwungenen Schwangerschaft gestaltete sich bei den Verhandlungen in Rom als schwierig; zum einen deshalb, weil er vor der Aufnahme in das ICC Statut im Völkerstrafrecht nicht kodifiziert war, zum anderen, weil es bei den Verhandlungen Unstimmigkeiten gab, wie zwischen dem Vergewaltigungstatbestand und der erzwungenen Schwangerschaft abgegrenzt werden soll. Dementsprechend wurde der Ansatz vertreten, dass die Aufnahme des Tatbestandes der „erzwungen Schwangerschaft“ dogmatisch problembehaftet und unnötig sei, da die in Betracht kommenden Handlungen schon unter dem Tatbestand der Vergewaltigung aburteilsfähig seien322. Dem wurde jedoch entgegengehalten, dass die erzwungene Schwangerschaft eine divergente Zweckrichtung hat323. So sind während der in Bosnien begangenen Grausamkeiten Frauen bis zu dem Zeitpunkt vergewaltigt und ihrer Freiheit beraubt worden, an dem sie die Kinder der Vergewaltiger zur Welt gebracht hatten324. Die erzwungene Schwangerschaft zielte damit neben dem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und sexuelle Autonomie additiv auf eine gesellschaftliche Ächtung und Ausgrenzung ab, um aufgrund bestimmter Moral- und Religionsvorstellungen innerhalb des Lebensumfeldes des Opfers eine Fortpflanzungsmöglichkeit de facto auszuschließen. Folglich wurde die Übereinkunft getroffen, derartige Handlungen separat im ICC Statut zu kodifizieren.
322 Steains in: Lee, The International Criminal Court: The Making of the Rome Statute, 357 (367). 323 Bassiouni/Manikas, The Law of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, 565, Fn. 175. 324 Stiglmayer in: Stiglmayer, Massenvergewaltigung: Krieg gegen die Frauen, 109 (154, 170); Askin, War Crimes against Women, 273.
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Im Wege dessen war allerdings strittig, ob der Begriff der „erzwungenen Schwangerschaft“ die in Betracht kommenden Verbrechenshandlungen akkurat widerspiegelt. So ist während des letzten Treffens des Vorbereitungskomittees zu den Rom Verhandlungen vom Vatikan der Vorschlag unterbreitet worden, den Terminus der „erzwungenen Schwangerschaft“ durch „gewaltsame Schwängerung“ („forcible impregnation“) zu ersetzen325. Dieser Gedanke wurde allerdings abgelehnt. Im Gegensatz zur „gewaltsamen Schwängerung“ umfasse der Begriff der „erzwungenen Schwangerschaft“ nicht nur die Tathandlung des Schwängerns, sondern auch Handlungen während der Schwangerschaft, und sei daher aufgrund des größeren Anwendungsbereiches vorzugswürdiger326. Zudem ergäben sich bei einer Koppelung des Straftatbestandes an den speziellen Akt des Schwängerns Beweislastschwierigkeiten für die Anklagebehörde und das Gericht, da eine Kausalität zwischen der Schwängerungshandlung des Täters und Mutterschaft des Opfers nachgewiesen werden müsse. Faktisch wäre das nur durch einen DNA Test überprüfbar, der jedoch insbesondere von Strafgerichten (als Primäranwender des Statuts), die in medizinisch unterentwickelten Ländern dieser Welt ansässig sind, nur mit erheblichen Schwierigkeiten durchgeführt werden könnte. Fraglich war weiterhin, insoweit vergleichbar mit der Fragestellung beim Tatbestand der Nötigung zur Prostitution (enforced prostitution), ob die ursprünglich gewählte Bezeichnung „enforced pregnancy“, oder aber der Terminus „forced pregnancy“ Verwendung finden sollte. Auf Grund der Bedenken, dass eine Aufnahme des Tatbestandes der erzwungenen Schwangerschaft den Tatbestand der Vergewaltigung verwischen könnte, entschied man sich für letztere Formulierung327. Wie auch beim Tatbestand der „enforced prostitution“ ergeben sich auch hier leichte Unterschiede zwischen den Begriffen „enforced“ und „forced“. Während sich „enforced“ mehr auf eine Handlungspraktik bezieht, impliziert „forced“ die Verwendung von Gewalt, Drohung oder Zwang328. Askin möchte den Tatbestand noch weiter fassen und schlägt statt dem in Rom ausgehandelten Begriff der erzwungenen Schwangerschaft die Verwendung des Terminus der „erzwungenen Mutterschaft“ vor329. Dieser Ansatz ist aber abzulehnen, da der Tatbestand nicht auf die „Mutterschaft“ abstellt, sondern auf die Belastungen, die sich durch Schwangerschaft und Geburt erge325 Proposal submitted by the Holy See, Preparatory Committee on the Establishment of the International Criminal Court, U.N. Doc. A/AC.249/1998//DP.13 (1998). 326 Steains in: Lee, The International Criminal Court: The Making of the Rome Statute, 357 (366). 327 Arsanjani, 93 AJIL (1999), 29 (31). 328 Askin in: Askin/Koening, Women and International Human Rights Law I, 41 (55, Fn. 58) „In general ,enforced‘ connotes a policy of practice; ,forced‘ connotes violence, threats or coercion“. 329 Askin, War Crimes against Women, 402 f. „forced maternity“.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
ben330. Im Ergebnis hat sich insofern der Terminus der erzwungenen Schwangerschaft durchgesetzt. Dies ist auch aus rechtshistorischer Sicht zu begrüßen, da der Begriff schon vor Ausarbeitung des ICC Statutes, allerdings ohne Definitionskonkretisierung, in der Staatengemeinschaft verwendet wurde331. 2. Definition der „erzwungenen Schwangerschaft“ nach dem ICC Statut und den Elements of Crimes Der Tatbestand der erzwungenen Schwangerschaft ist in Art. Art. 7(2)(f) ICC Statut legaldefiniert als: „[. . .] the unlawful confinement of a woman forcibly made pregnant with the intent of affecting the ethnic composition of any population or carrying out other grave violations of international law. This definition shall not in any way be interpreted as affecting national laws relating to pregnancy.“332
In den Elements of Crimes ist zudem die Konkretisierung getroffen333: „Art. 7(1)(g)-4 Crime against humanity of forced pregnancy Elements 1. The perpetrator confined one or more women forcibly made pregnant, with the intent of affecting the ethnic composition of any population or carrying out other grave violations of international law. 2. The conduct was committed as part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. 3. The perpetrator knew that the conduct was part of or intended the conduct to be part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population.“
3. Actus reus Wie aus Nr. 1 der Elements of Crimes hervorgeht, macht sich der Täter des Verbrechens der erzwungenen Schwangerschaft dann strafbar, wenn er die ge330
So auch Burkhardt, Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit,
165. 331 Vienna Declaration and Programme of Action, Abs. 18 und 38 (12. Juli 1993), U.N. Doc. A/Conf.157/23; Beijing Declaration and Platform for Action, 4th World Conference on Women, Abs. 114, 132, 135 (15. September 1995), U.N. Doc. A/Conf. 177/20. Der Tatbestand der erzwungenen Schwangerschaft ist zudem in Art. 8(2) (b)(xxii) und Art. 8(2)(e)(vi) ICC Statut als Kriegsverbrechen kodifiziert. 332 Amtliche UN Übersetzung des Art. 7(2)(f) ICC Statut; UN. Doc. A/Conf.183/9 (17. Juli 1998): [Im Sinne des Absatzes 1] „bedeutet ,erzwungene Schwangerschaft‘ die rechtswidrige Gefangenhaltung einer zwangsweise geschwängerten Frau in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen oder andere schwere Verstöße gegen das Völkerrecht zu begehen. Diese Begriffsbestimmung ist nicht so auszulegen, als berühre sie innerstaatliche Gesetze in Bezug auf Schwangerschaft.“ 333 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(g)-4.
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schwängerte Frau oder die geschwängerten Frauen rechtswidrig gefangen hält. Richtigerweise muss der Täter kumulativ das/die Opfer sowohl geschwängert haben, als auch gefangen halten. Das ergibt sich aus dem Schutzgut des Verbrechens, das die körperliche Unversehrtheit im Verbund mit der sexuellen Selbstbestimmung schützt. Der primäre Schuldvorwurf ist in der erzwungenen Schwangerschaft zu sehen, nicht in der Haltung als Gefangener; letzterer Unrechtsgehalt ist bereits in Art. 7(1)(e) ICC Statut erfasst. Die amtliche deutsche Übersetzung „rechtswidrige Gefangenhaltung einer zwangsweise geschwängerten Frau“ ist somit zu lesen als „rechtswidrige Gefangenenhaltung einer vom Täter selbst geschwängerten Frau“. Der in Nr. 1 enthaltene Zusatz „other grave violations of international law“ wurde eingeführt, um Fälle abzudecken, bei denen Frauen zur Schwangerschaft gezwungen wurden, um ihre Föten für medizinische Experimente zu verwenden334. Aus der Natur des Verbrechens ergibt sich zudem, dass Opfer des Verbrechens nur Frauen sein können. Die Bestimmung bezüglich der Unberührbarkeit nationalstaatlicher Schwangerschaftsregelungen, die sich im zweiten Satz der Art. 7(2)(f) ICC Statut Definition wieder finden lässt, geht aus der während der Rom Konferenz geäußerten Befürchtung hervor, dass mit der Kodifizierung der erzwungenen Schwangerschaft den Staaten eine Verpflichtung zur Abtreibung auferlegt werden könnte335. Denn wenn die erzwungene Schwangerschaft ein Verbrechen ist, und der Staat die Abtreibung nicht legalisiere, würde der Staat zur Aufrechterhaltung des Verbrechens beitragen. Durch die Einbeziehung der erzwungenen Schwangerschaft sollte indes nicht in die nationalstaatlichen Abtreibungsregelungen eingegriffen werden336. Mit der Einbeziehung der Unberührbarkeit nationalstaatlicher Regelungen sollte dieser Argumentationslinie entgegengetreten werden. Der Zusatz ist indes nach eigener Einschätzung unnötig und unsinnig. Das Szenario einer Strafbarkeit wegen zwangsweiser Schwangerschaft durch unterlassene Bereitstellung zur „Abtreibung“ kann vom Tatbestand nicht erfasst sein. Denn eine hinreichende Verbindung zwischen der Aufrechterhaltung der erzwungenen Schwangerschaft durch Nichtgestattung der Abtreibung, und dem „Gefangenhalten“ besteht de facto nicht. Der Staat könnte zwar die Geschwängerte in Haft setzten, weil sie versuchte, die (z. B. durch einen Vergewaltiger verursachte) Zwangsschwangerschaft abzutreiben. Zwischen erzwungener Schwangerschaft (durch den Vergewaltiger) und dem Inhaftsetzen besteht aber 334
Robinson, 93 AJIL (1999), 43 ff., Fn. 63. Bedont/Hall Martinez, VI BJWA (1999), 65 ff.; von Hebel/Robinson in: Lee, The International Criminal Court. The Making of the Rome Statute, 79 (100). 336 Steains in: Lee, The International Criminal Court: The Making of the Rome Statute, 357 (366); Bedont/Hall Martinez, VI BJWA (1999), 65 ff. 335
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kein kumulativer nexus, für den sich „der Staat“ verantworten müsste. Anders wäre das nur, wenn „der Staat“ die Zwangsschwängerung (zumindest) gebilligt hätte, und das Opfer dann in Haft setzt. Dann aber wäre die Subsumption unter den Tatbestand gerechtfertigt. 4. Mens rea Der Täter muss die Tathandlungen – Zwangsschwängerung und Gefangenhalten des/der Opfer – vorsätzlich herbeigeführt haben. Soweit ersichtlich wird diesbezüglich vertreten, dass ein impliziter Vorsatz, also allgemeines Wissen, dass ungeschützter vaginaler Geschlechtsverkehr zu einer Schwangerschaft führen kann, ausreichend sein soll337. Dem Täter muss zusätzlich spezieller Vorsatz nachgewiesen werden, dass er die ethnische Zusammensetzung eines jeglichen Bevölkerungsteils beeinflussen wollte. Dieser Vorsatz, kann unter anderem auch durch die gleichzeitige Verübung eines Völkermordes nachgewiesen werden338. Im Einklang mit den generellen mens rea Grundsätzen muss der Täter schließlich über konstruktives Wissen vom makrokriminellen Gesamtkontext verfügen. Auch muss er wissen, dass sich seine Handlung als Teil eines Gesamtangriffs darstellt, der gegen jegliche Zivilbevölkerung gerichtet ist339.
VII. Zwangssterilisation („Enforced Sterilization“) 1. Schutzgut Der Schutz vor Zwangssterilisation ist eng mit dem Verbot des illegalen Durchführens von Experimenten an Menschen verbunden. Erste Zwangssterilisationen, die das Ausmaß von Verbrechen gegen die Menschlichkeit erreichten, sind im Zuge der medizinischen NS Forschungsprogramme während des Dritten Reiches durchgeführt worden340. Die Reichweite des Verbrechens ist jedoch nicht auf medizinische Versuche beschränkt und schließt die Ausübung von Massenvergewaltigungen an Frauen mit dem Ziel der Unfruchtbarmachung ein. Die erweiterte Anwendungsreichweite rechtfertigt sich durch den Grundsatz primum non nocere.
337
Askin, War Crimes against Women, 399. Salzman, 20 HRQ (1998), 348 (365 f.); Fischer, 46 Duke LJ (1996), 91 ff. 339 ICC Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(g)4, Abs. 3. 340 Vgl. Enloe, 30 Rhode Island Med. J (1947), 801 ff.; Ivy, 139 JAMA (1949), 131 ff.; ders., 108 SCIENCE (1948), 1; Mellanby, 1 Brit. Med. J (1947), 148 ff.; Mulford, 20 Stan. L Rev. (1967), 99 ff.; Lifton, The Nazi Doctors; Mitscherlich/Mielke, Doctors of Infamy: The Story of the Nazi Medical Crimes. 338
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Oberstes Schutzgut des Tatbestandes der Zwangssterilisation ist der Respekt vor der Entscheidungsfreiheit des Gegenübers bezüglich seiner/ihrer körperlichen Unversehrtheit und der Schutz vor Manipulation und Kontrolle341. Ein Arzt ist schon aufgrund des obigen Grundsatzes nicht frei, nach Gutdünken mit dem Patienten verfügen zu dürfen. Grundlage seines Handelns ist zudem der hypokratische Eid342. Wie sich aus Fußnote 19 der folgenden Definition innerhalb der Elements of Crimes ergibt, ist durch den Tatbestand der oder die Erzeuger, nicht der „Fötus“ an sich geschützt. 2. Definition der Zwangssterilisation nach den Elements of Crimes Das Verbrechen der Zwangssterilisation als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist erstmalig in der russischen Besatzungszone nach Ende des Zweiten Weltkrieges abgeurteilt worden343. Der Verbrechenstatbestand an sich wurde erstmalig in Art. 7(1)(g) des ICC Statuts als Katalogstraftat aufgenommen, ohne allerdings in Abs. 2 legaldefiniert zu sein. Konkretisierungen finden sich auch hier in den Elements of Crimes:344 „Art. 7(1)(g)-5 Crime against humanity of enforced sterilization Elements 1. The perpetrator deprived one or more persons of biological reproductive capacity.19 2. The conduct was neither justified by the medical or hospital treatment of the person or persons concerned nor carried out with the genuine consent.20 3. The conduct was committed as part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. 4. The perpetrator knew that the conduct was part of or intended the conduct to be part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. Fn. 19: The deprivation is not intended to include birth – control measures which have a non – permanent effect in practice. Fn. 20: It is understood that „genuine consent“ does not include consent obtained through deception.“
341 Vgl. Young-Anawaty, 10 Case W.J Int’l L (1978), 785 ff.; Daube, 6 Isr. L.Rev. (1971), 1 (8). 342 Curran, 295 New Engl. J. Med. (1976), 1057 ff.; Jonsen, 88 Annals Internal Med. (1978), 827 (828). 343 Meyer-Seitz, 19 Recht & Psychiatrie (2001), 32 ff. 344 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(g)-5.
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3. Actus reus Was den in Nr. 1 der Elements of Crimes angesprochenen Akt der permanenten Beraubung zur Kindeszeugung betrifft („deprived [. . .] of biological reproductive activity“), so ist anzumerken, dass sich das Verbrechen der Zwangssterilisation nicht notwendigerweise auf Frauen beschränken muss, sondern männliche Opfer mit einschließen kann. Relevante Handlungen sind insofern das Entfernen von Körperteilen, die generell zur Kinderzeugung konstitutiv sind; wie etwa die Eierstöcke, der Penis oder der Hodensack. Ob dies zu vermeintlichen „medizinischen Zwecken“ geschieht oder aber im Rahmen einer Kampfhandlung vollzogen wird (zum Beispiel durch eine Machete) ist unerheblich345. Auch eine Aburteilung der Zwangssterilisation als Folter ist möglich346. Ob ferner das Abschneiden der weiblichen Brüste eine Form der Zwangssterilisation darstellt, ist, soweit ersichtlich, noch nicht erörtert worden. Im Fall Muhimana wurde obige Praktik lediglich als „andere Form der sexuellen Gewalt“ gewertet347. Für eine Einbeziehung spricht, dass – falls das Opfer die Tathandlung überlebt – das Kind zwar theoretisch auch mit tierischer Milch aufgezogen werden könnte, ohne dass es lebensbedrohliche Auswirkungen hätte. Allerdings sind Mangelerscheinungen beim Kind wahrscheinlich, da dem Kind durch die Muttermilch Abwehrstoffe u. ä. zugeführt werden. Die Reproduktionsfähigkeit der Mutter ist somit zwar nicht ausgeschlossen, aber doch eingeschränkt. Eine in der Praxis relevantere Verbrechensbegehung ist wohl die Herbeiführung der Zwangssterilisation durch Verübung von Massenvergewaltigungen mit dem Ziel der permanenten Schädigung der weiblichen Geschlechtsorgane. Sowohl im Jahre 1994 in Ruanda als auch im Jahre 2006 im Kongo war dies eine gängige Methode der „Geburtenkontrolle“ und Kriegsführung, die vom Tatbestand der Zwangssterilisation erfasst ist. Die in Fußnote 19 der Elements of Crimes getroffene Einschränkung, Geburtskontrollregulierungen seien außer Acht zu lassen, geht auf die Befürchtung Chinas zurück, eine staatlich verfolgte „ein Kind Politik“ zur Eindämmung des Bevölkerungszuwaches könnte als Zwangssterilisation gewertet werden. Es wurde daher vorgeschlagen, den Tatbestand der Zwangssterilisationen insoweit einzugrenzen, als dass Handlungen, die keinen „lang andauernden Effekt“ zeichnen und nur kurzzeitig wirken, nicht vom Tatbestand erfasst sein sollten348. Deutschland und Kanada legten einen Gegenentwurf vor, in dem die Einschränkung abgelehnt wurde. Als Begründung ist angeführt worden, jede
345 346
Ivy, 139 JAMA (1949), 131 (132). Bassiouni, Crimes against Humanity in International Criminal Law, 338 und
344. 347 348
Prosecutor v. Muhimana, ICTR-95-1B-T (28. April 2005), Abs. 536. Kittichaisaree, International Criminal Law, 115.
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Sterilisation sei eine Art der „Geburtskontrollregulierung“. Die Ausklammerung gewisser Geburtskontrollregulierungspraktiken hätte einen zu stark eingeschränkenten Anwendungsbereich zur Folge349. Im Endeffekt wurde der Kompromiss gefunden, dass die Frage, ob eine Sterilisationshandlung mit „nicht lang andauerndem Effekt“ vom Tatbestand umfasst ist, von der praktischen Auswirkung abhängig zu machen ist. Dem Gericht wurde somit ein flexibles Entscheidungsmittel an die Hand gegeben. Die Einbeziehung der „ernsthaften Zustimmung“, welche in Fußnote 20 konkretisiert ist, ist als Substitut zur erzwungenen Handlungsbegehung in das Statut aufgenommen worden350. Da in der Realität Zwangssterilisationen zumeist mit Hilfe von Massenvergewaltigungen erreicht werden sollen, ist der Nachweis aus praktischer Sicht relativ einfach zu führen. Die diesbezüglich zum Vergewaltigungstatbestand gemachten Aussagen sind auf den Tatbestand der Zwangssterilisation (wohl) überführbar. 4. Mens rea Bei den mens rea Erfordernissen ergeben sich keine Besonderheiten. Neben der mens rea bezüglich der spezifischen Ausübung der Zwangssterilisation muss der Täter im Einklang mit den generellen mens rea Grundsätzen über konstruktives Wissen vom makrokriminellen Gesamtkontext verfügen. Ihm muss zudem nachgewiesen werden, dass er weiß, dass sich seine Handlung als Teil des Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellt.
VIII. Jede andere Form sexueller Gewalt [von vergleichbarer Schwere] („Crime against humanity of sexual violence“) 1. Definition der sexuellen Gewalt nach den Elements of Crimes Die Generalklausel der „jede[n] andere[n] Form sexueller Gewalt“ i. S. d. Art. 7(1)(g) ICC Statut und Art. 2(g) SCSL Statut ist neben der etablierten Generalklausel der „anderen unmenschlichen Handlungen“ aufgrund der intensiven Lobbyarbeit zahlreicher NGO’s351 in den Tatbestand eingeflossen352. Eine Kon349 Proposal submitted by Canada and Germany on Art. 7, U.N. Doc. PCNICC/ 1999/WGEC/DP.36 v. 23. November 1999, 7, Anm. 11. 350 Kittichaisaree, International Criminal Law, 115. 351 De Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, 102. Einer der Haupteinflussnehmer für die erweiterte Aufnahme der sexualisierten Verbrechen war die Women’s Caucus for Gender Justice. 352 Die Elemente der sexualisierten Verbrechen wurden auf der Rom Konferenz zuerst im Zusammenhang mit den Kriegsverbrechen erarbeitet und dann mit ähnlichem
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kretisierung lässt sich zwar nicht dem Absatz 2 des Art. 7 entnehmen, allerdings kann auch hier auf die Elements of Crimes verwiesen werden353: „Article 7(1)(g)-6 Crime against humanity of sexual violence Elements 1. The perpetrator committed an act of a sexual nature against one or more persons or caused such person or persons to engage in an act of a sexual nature by force, or by threat of force or coercion, such as caused by fear of violence, duress, detention, psychological oppression or abuse of power, against such person or persons or another person, or by taking advantage of a coercive environment or such person’s or persons’ incapacity to give genuine consent. 2. Such conduct was of a gravity comparable to the other offences in article 7, paragraph 1(g), of the statute. 3. The perpetrator was aware of the factual circumstances that established the gravity of the conduct. 4. The conduct was committed as part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. 5. The perpetrator knew that the conduct was part of or intended the conduct to be part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population.“354
2. Actus reus Wie aus Nr. 1 der Elements of Crimes ersichtlich ist, kann sexuelle Gewalt in verschiedenen Varianten begangen werden355; entweder begeht der Täter selbst Wortlaut auf den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit transferiert. Eine leichte Abänderung besteht bezüglich der Generalklausel. Während Art. 7 (1)(g) des ICC Statuts eine „gravity comparable to other offences in article 7“ festschreibt, kodifiziert Art. 8(2)(b)(xxii) des ICC Statuts eine „gravity comparable to a grave breach of the Geneva Conventions“. 353 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(g)-6. 354 Mit Hinblick auf die Komplexität der Regelung sei folgende (nichtamtliche) Übersetzung der ersten drei das Verbrechen der sexuellen Gewalt auszeichnenden Punkte vorgeschlagen: 1. Der Täter verübte eine Handlung von sexueller Natur gegen eine oder mehrere Personen, oder er veranlasste diese Person oder Personen durch Gewalt, Nötigung oder Zwang dazu, eine Handlung von sexueller Natur vorzunehmen, die etwa [such as] durch Angst vor Gewalt, Nötigung, Haft, psychologischer Unterdrückung oder Machtmissbrauch gegen diese Person oder Personen, oder gegen einen Dritten, oder durch eine Vorteilsverschaffung durch eine zwanghafte Umgebung, oder durch Unmöglichkeit oder Unfähigkeit dieser Person oder Personen, eine ernsthafte und aufrichtige Zustimmung zu erteilen, hervorgerufen wurde. 2. Diese Handlungsweise erreichte eine mit den anderen in Art. 7(1)(g) enumerierten Verbrechen vergleichbare Schwere. 3. Der Täter war sich bezüglich der tatsächlichen Umstände, die diese Schwere der Handlungsweise begründete, bewusst. 355 Campell, 1 Int’l J Transnat. Just. (2007), 411 (414 f.) „Sexual violence may be charged as a constitutent element of humanitarian crimes, including [. . .] (3) Crimes
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an seinem Opfer oder seinen Opfern eine Handlung von sexueller Natur, oder er setzt Zwang oder Bedrohung ein, damit sein(e) Opfer Handlungen von sexueller Natur vornehmen. Bei der Frage, was in diesem Sinne Zwang oder Bedrohung ist, sei auf die Ausführungen zum Vergewaltigungstatbestand verwiesen356. Zusätzlich verlangt Nr. 2 der Elements of Crimes, dass die Handlungsweise des Täters eine mit den in Art. 7(1)(g) enumerierten Verbrechen vergleichbare Schwere aufweisen muss. Diese Beschränkung ist insbesondere von der WCGJ während der Verhandlungen zum ICC Statut kritisiert worden, da aus einer Zusammenschau der in Art. 7(1)(g) enumerierten Verbrechen (Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft und Zwangssterilisation) gefolgert werden könnte, dass ein gewisses Maß an Penetration notwendig sei. Infolgedessen wurde gefordert, dass sich die Restriktion nicht auf die enumerierten Tatbestände in Art. 7(1)(g), sondern generell auf den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit beziehen sollte. Weiter sei erwähnt, dass das SCSL Statut explizit auf das Erfordernis der vergleichbaren Schwere verzichtet hat. Die von der WCGJ vertretene Position hat sich während der Verhandlungen in Rom nicht durchgesetzt. Zum einen ist die Auslegung, die sich das ejusdem generis Prinzip zu Nutze machen möchte, schon deshalb fragwürdig, weil nicht alle explizit enumerierten sexualisierten Verbrechen eine „Penetration“ voraussetzen. Beim Tatbestand der erzwungenen Sterilisation etwa ist es für die Erfüllung des Tatbestandes ausreichend, dass dem Opfer die Möglichkeit zur biologischen Reproduktion genommen wird. Dies kann sich auch durch Abschneiden, Verstümmelung oder Bestrahlung der Geschlechtsorgane vollziehen. Auch beim Tatbestand der Vergewaltigung ist zumindest nach Ansicht des ICTR die Penetration nicht konstitutive Voraussetzung zur Verwirklichung des Tatbestandes. Im Einklang lehnt das ICTR eine derartig restriktive Auslegung auch beim Tatbestand der sexuellen Gewalt ab. Aus den Ausführungen des Tribunals geht hervor, dass sexuelle Gewalt nicht auf Handlungen beschränkt sind, die die Penetration des Penis oder eines Objektes voraussetzen. Ausgehend von Akayesu ist unter dem Begriff der sexualisierten Gewalt jede Handlung von sexueller Natur zu verstehen, „which is committed on a person under circumstances which are coercive357“. against humanity: systematic or widespread attacks upon civilian population: including murder, extermination, enslavement, deportation, imprisonment, torture, rape, persecutions on political, racial and religious grounds, and other inhumane acts.“ (Hervorhebung im Original, ohne Fussnoten.) 356 Siehe oben C.III.2.b). 357 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 598; Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T (27. Januar 2000), Abs. 220; s. a. Prosecutor v. Kvocˇka et al., IT-98-30/1-T (2. November 2001), Abs. 180 und Fn. 343 „sexual violence is broader than rape and includes such crimes as sexual slavery or molestation. [. . .] Sexual violence would also include such crimes as sexual mutilation, forced marriage,
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Dass dieser „Zwang“ („coercion“) keine Penetrationshandlung sein muss, wird aus den Tatsachenfeststellungen in Akayesu deutlich. Konkret wurden dort die Opfer gezwungen, sich zu entkleiden und anschließend vor dem bureau commericial öffentlich zu marschieren oder öffentlich Sportübungen durchzuführen358. In beiden dieser Fälle ist es zu keiner Geschlechtspenetration der Opfer gekommen. Das Gericht hat aufgrund obiger Anordnungen, die Ausprägungen von sexualisierter Gewalt darstellen, die Begehung von „anderen unmenschlichen Handlungen“ im Rahmen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit bejaht. Eine Verurteilung nach der Generalklausel der „jede[n] andere[n] Form sexueller Gewalt“ fand nur deshalb nicht statt, weil sie im ICTR Statut nicht enthalten ist, und daher die allgemeine Formel der „anderen unmenschlichen Handlungen“ Anwendung finden musste. In Brima et al. hat die SCSL Appeals Chamber zudem klargestellt, dass die in Art. 2(g) SCSL Statut (mit Art. 7(1)(g) ICC Statut fast wortgleiche) enthaltene Kodifizierung der Generalklausel der „jeglichen anderen Form sexueller Gewalt“ die allgemeine Generalklausel der „anderen unmenschlichen Handlungen“ nicht einschränkt359. Insbesondere kann aus der Existenz der Generalklausel der sexuellen Gewalt nicht geschlossen werden, nur „nicht sexualisierte Handlungen“ seien unter die allgemeine Generalklausel aburteilbar360. Denn es seien auch Handlungen – wie etwa „Zwangsheirat“ – denkbar, die als „Mischkategorie“ sowohl in sexualisierter als nicht sexualisierter Form begangen werden können361. Die Tatsache, dass Art. 2(g) SCSL Statut den in Art. 7(1)(g) ICC Statut enthaltenen Zusatz „of comparable gravity“ nicht enthält, verdeutlicht, dass die Schwere des „Mischfaktors“ zwischen dem sexualisierten und nicht sexualisierten Begehungsteil unerheblich ist. Schließlich haben beide Generalklauseln insoweit eine Existenzberechtigung, als dass die Begehung von „anderen unmenschlichen Handlungen“ einerseits völkerstrafrechtlich etabliert, und der Klausel der „jeglichen anderen Form sexueller Gewalt“ eine Klarstellungs-, Weiterentwicklungs- und Leitfunktion zukommt362. Die Aufnahme der Formulierung in das ICC Statut hat den Effekt, and forced abortion as well as the gender related crimes explicitly listed in the ICC Statute as war crimes and crimes against humanity“. 358 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 598; siehe auch Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T (27. Januar 2000), Abs. 697. 359 Prosecutor v. Brima, Kamara und Kanu, SCSL-04-16-A (3. März 2008), Abs. 186. 360 So noch die SCSL Trial Chamber II, Prosecutor v. Brima, Kamara und Kanu, SCSL-04-16-T (20. Juni 2007) Abs. 697. 361 Prosecutor v. Brima, Kamara und Kanu, SCSL-04-16-A (3. März 2008), Abs. 190 ff. 362 Entbehrliche Tatbestände sind überflüssig und bei praktischer juristischer Anwendung sogar schädlich, da sie zeitliche, finanzielle und geistige Ressourcen vergeuden, die Rechtsfindung erschweren und dem Prinzip eines fairen und schnellen Ver-
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dass die Schwere des Verbrechenstypus hervorgehoben und einer Bagatellisierung vorgegriffen wird. Das ist besonders vor dem Hintergrund verständlich, dass es vor Erlass des ICC Statuts auf multilateraler Ebene zwar einen weitläufigen Konsens zur generellen Anprangerung von sexuellen Gewalttaten gab, jedoch eine verbindliche Pflicht der Staatengemeinschaft zur Kriminalisierung dieser Handlungen nicht existierte. Vergewaltigung und erzwungene Prostitution wurden eher als Verletzung der Ehre, Würde und Anerkennung, denn als Verbrechen angesehen363. Durch die explizite Kriminalisierung jeglicher Form der sexuellen Gewalt hat sich diese Sichtweise zu Recht gewandelt. 3. Mens rea Was die mens rea Erfordernisse betrifft, stellt Nr. 3 der Elements of Crimes klar, dass sich der Täter über die tatsächlichen Umstände der vergleichbaren Schwere der mit den anderen in Art. 7(1)(g) ICC Statut enumerierten Taten bewusst gewesen sein musste. Irrtümer über rechtliche Fehlbewertungen helfen ebenso wenig in die Straflosigkeit wie Verweise auf divergierende Kulturvorstellungen. Neben dem mens rea Erfordernis bezüglich der spezifischen sexuellen Gewalthandlung muss der Täter in Einklang mit den generellen mens rea Grundsätzen zudem über konstruktives Wissen vom makrokriminellen Gesamtkontext verfügen. Auch muss ihm nachgewiesen werden, dass er wusste, dass sich seine Handlung als Teil des Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellte.
IX. Exkurs: Das Verbrechen der Zwangsheirat 1. Einleitung Der über zehnjährige Bürgerkrieg in Sierra Leone hat wegen seiner berüchtigten Amputationshandlungen und den Einsatz von Kindersoldaten weltweite Berühmtheit erlangt. Weniger bekannt ist, dass es während des Konfliktes zu ausgeprägten Handlungen von sexueller Gewalt gekommen ist, die prozentual betrachtet das Ausmaß der allgemein bekannten Verbrechen bei weitem übersteigt. So sind schätzungsweise während des Krieges 72% aller Frauen in Sierra fahrens zuwiderlaufen. Die Existenz eines an sich entbehrlichen Tatbestandes kann jedoch dann gerechtfertigt sein, wenn ihm eine (vor allem für den juristischen Laien) besondere „Verdeutlichungsfunktion“ zukommt. 363 De Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, 102; Nowrojee, 18 Harv.Hum.Rts J (2005), 85 (88); vgl. weiter Art. 27 der IV Genfer Konvention von 1949; Art. 75(2)(b) und Art. 76 (1) des ZP I von 1977 und Art. 4(2)(e) des ZP II von 1977; für eine Begründung der Strafbarkeit aufgrund der Ehrverletzung des Opfer Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 597.
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Leone mit Menschenrechtsverletzungen in Berührung gekommen, über 50% aller Frauen wurden Opfer von sexueller Gewalt364. Neben Vergewaltigungen, sexueller Sklaverei und anderen sexualisierten Gewalthandlungen wurden während des Konfliktes tausende von Frauen und Mädchen vornehmlich von den Rebellen der RUF entführt und zwangsverheiratet. Als „bush wives“365 deklariert und erniedrigt, wurden sie gezwungen, häusliche Arbeiten zu verrichten, die Kinder der „angeheirateten“ Männer zu erziehen und als Ehefrauen ihre „sexuellen Pflichten“ zu erfüllen366. Binaifer Nowrojee, Beraterin von Human Rights Watch Afrika, geht davon aus, dass 9% aller Frauen in Sierra Leone auf diese Weise während des Konfliktes zwangsverheiratet wurden367. Um eine Flucht zu erschweren, branntmarkte man die Frauen mit Zeichen. Falls die mit den Rebellen verfeindeten Regierungstruppen diese Male sahen, wurden die Frauen regelmäßig als „Verräter“ deklariert und hingerichtet. Selbst nach der Beendigung der Gewalt in Sierra Leone verweilen aus Scham und Angst viele Frauen bei ihren „angeheirateten“ Männern368. Aufgrund der weitläufigen sexualisierten Verbrechenshandlungen während des Bürgerkrieges legte der (nunmehr ehemalige) Chefankläger des SCSL David Crane auf die Aburteilung dieser Verbrechen besonderen Wert. Am 9. Februar 2004 erbat er das Gericht, seine vor 8 Monaten zuvor eingereichte Anklageschrift in Sesay et al., sowie Brima et al. durch den Anklagepunkt „Zwangsheirat“ als „andere unmenschliche Handlung“ im Rahmen des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit erweitern zu dürfen. Durch die Erweiterung der Anklage, die sich auf alle Angeklagten bezog, ist zum ersten Mal in der Geschichte des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit der Einzeltatbestand der Zwangsheirat praktisch relevant geworden. In Brima et al.369 hat die Appeals Chamber des SCSL erstmalig ausführlich Stellung bezogen.
364 Coomaraswamy, Comm’n on Hum. Rts., 58th Sess., Provisional Agenda Item 12(a), 15, U.N. Doc. E/CN.4/2002/83/Add.2 (2002). 365 Nowrojee, 18 Harv. Hum. Rts. J (2005), 85 (101); Scharf in: 3 AFLA (2005), 77 (81, 91) Der Name resultiert aus der gängigen Praxis während des Bürgerkrieges, Frauen in einen „Busch“ zu zerren, sie darüber in Kenntnis zu setzen, dass sie nunmehr die Ehefrauen der Täter seien, und sie anschließend, oft mehrfach, zu vergewaltigen. 366 Vgl. Fifth Report of the Secretary-General on the United Nations Mission in Sierra Leone, U.N. Doc. S/2000/751 (31. Juli 2000). 367 Nowrojee, 18 Harv. Hum.Rts. J (2005), 85 (90). 368 Vgl. die Rede des ehem. Anklägers David Crane am Georgetown University Law Center, zitiert in Nowrojee, 18 Harv. Hum. Rts. J (2005), 85 (101, Fn. 51): „women were herded like cattle from Freetown in 1999 and made to have children [. . .]. Even now, an unknown number of women remain with their rebel husbands.“ 369 Prosecutor v. Brima, Kamara und Kanu, SCSL-04-16-T (20. Juni 2007), Rn. 701 ff.; Prosecutor v. Brima, Kamara und Kanu, SCSL-04-16-A (3. März 2008), Abs. 190 ff.
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2. Schutzgut Der Tatbestand der Zwangsheirat – nach internationalem Recht anerkannt als Menschenrechtsverletzung370 – basiert vornehmlich auf zwei grundlegenden Schutzgütern; zum einen soll die körperliche und sexuelle Unversehrtheit, Freiheit und Würde des Einzelopfers, und zum anderen die Institution der Ehe an sich geschützt werden. Zwangsverheiratungen missachten die sexuelle, körperliche und geistige (Entscheidungs-)Freiheit des Opfers. Vergleichbar mit dem Tatbestand der sexuellen Sklaverei wird bei der Zwangsheirat vom Opfer unter Zwang regelmäßig erwartet, im Rahmen der ehelichen Pflichten den sexuellen Geschlechtsverkehr (im Wege der Vergewaltigung) über sich ergehen zu lassen. Neben der Aufgabe der sexuellen Autonomie ist darüber hinaus das Opfer auch unfrei in der Wahl eines anderen Ehe- oder Lebenspartners, da gewöhnlich eine monogame Verhaltensweise (zumindest) der Frau gefordert wird. Das Opfer ist zudem gezwungen, verschiedenste eheliche Pflichten zu erfüllen, wie das Erziehen der Kinder oder die Führung des Haushaltes, und verrichtet folglich „Zwangsarbeit“. Es wird als reines Arbeits- und Sexobjekt herabgewürdigt und in fundamentaler Weise das Recht auf Entfaltung, Entscheidung und Persönlichkeitsentwicklung abgesprochen. Das Schutzgut des Zwangsverbrechens beschränkt sich somit nicht auf den Schutz der sexualisierten Selbstbestimmung371. Die Internationale Staatengemeinschaft betont zudem, dass die Ehe die „grundlegendste Gemeinschaftsgruppe der Gesellschaft“372 ist, weil sie regelmäßig als Grundstein für die Gründung einer Familie fungiert und durch die Auferlegung besonderer Rechte und Pflichten für gesellschaftliche Stabilität sorgt. Die internationale Staatengemeinschaft hat demnach ein Interesse daran, das Rechtsinstitut der Ehe zu schützen. Das Verbrechen der Zwangsheirat hingegen höhlt die Institution der Ehe aus und diskreditiert diese, da durch sie der Versuch unternommen wird, schwerwiegende Verbrechen, wie Vergewaltigung oder sexuelle Sklaverei, unter dem Deckmantel des Instituts der Ehe zu rechtfertigen. Während etwa in Sierra Leone die Vergewaltigung einer unverheirateten Jungfrau nach allgemeiner Ansicht ein Verbrechen ist, ist die Moralvorstellung
370 Vgl. Art. 12 ECHR, sowie die Auflistung internationaler Verträge in Early, Marriage: Child Spouses, UNICEF Innocenti Digest 2001, 3; Schubert/Moebius, 2 ZRP (2006), 33. 371 Instruktiv Prosecutor v. Brima, Kamara und Kanu, SCSL-04-16-A (3. März 2008), Abs. 190 „forced marriage is not predominantly a sexual crime“. 372 Vgl. Art. 23(3) ICCPR (23. März 1976) „The family is the natural and fundamental group unit of society and is entitled to protection by society and the State“; Art. 16 UDHR (10. Dezember 1948).
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bei verheirateten Frauen, oder Frauen, die nicht mehr Jungfrauen sind, anders. Hier wird angemommen, die Frauen hätten in die Handlung eingewilligt373. 3. Legalitäts- und Abgrenzungsproblematiken Der objektive Tatbestand der Zwangsheirat ist ein Konglomerat aus sexualisierten und nicht sexualisierten Verbrechenshandlungen und daher komplexer als etwa der Tatbestand des Mordes, der auf den Einzelakt der Tötung eines Menschen fixiert ist. Regelmäßig beinhaltet die Tathandlung der Zwangsheirat Verbrechen, die schon in den Statuten der Internationalen Strafgerichte innerhalb des Verbrechens gegen die Menschlichkeit kodifiziert sind; etwa Vergewaltigung, Folter, Versklavung, sexuelle Sklaverei und erzwungene Schwangerschaft374. Der Vorwurf der Zwangsheirat ist demnach zumeist ein Zusammenschluss und eine Konkretisierung von bereits strafrechtlich anerkannten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die unter dem Deckmantel der Ehe begangen werden. In der erweiterten Anklage in Sesay et al. und Brima et al. wurde unter Beibehaltung aller bereits bestehenden Anklagepunkte der Anklagepunkt der Zwangsheirat zusätzlich ergänzt, da dieser besser den vollen Umfang der Schuld der Angeklagten reflektiere375. Die Verteidigung des Angeklagten Gbao widersprach der Erweiterung. Zum einen sei eine nachträgliche Einführung aus prozessualer Sicht bedenklich. Zum anderen sei eine Erweiterung der Anklageschrift um den Tatbestand der Zwangsheirat deswegen unzulässig, weil der Tatbestand äußerst unklar sei376. Die Verteidigung für den Angeklagten Sesay schloss sich den Argumenten der Verteidigung für den Angeklagten Kanu an und erklärte, die Anklageerweiterung sei abzulehnen, da die Zwangsheirat im Vergleich zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht dieselbe Schwere erreiche und daher das Legalitätsprinzip verletze, sowie der vorgeschlagene Tatbestand zu unbestimmt sei, um eine andere unmenschliche Handlung darstellen zu können377. Das Tribunal hat in seiner Entscheidung zu den Anträgen der Verteidigung nicht substantiell entschieden, ob die Tatbestand der Zwangsheirat unter die Generalklausel der anderen unmenschlichen Handlungen subsumierbar 373 Nowrojee, 18 Harv. Hum. Rts. J (2005), 85(88); Note by Secretary-General, Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights on assistance to Sierra Leone in the field of human rights, U.N.Doc.A/59/340 (9. September 2004), Abs. 30. 374 Karla, 7 U.C. Davis J. Int’l L&Pol’y (2001), 197 (205). 375 Prosecutor v. Sesay, Kallon und Gbao, SCSL-04-15-PT, Decision on Prosecution Request for Leave to Amend the Indictment, Abs. 37 (6. Mai 2004). 376 Prosecutor v. Sesay, Kallon und Gbao, SCSL-04-15-PT, Decision on Prosecution Request for Leave to Amend the Indictment, Abs. 13 (6. Mai 2004). 377 Prosecutor v. Sesay, Kallon und Gbao, SCSL-04-15-PT, Decision on Prosecution Request for Leave to Amend the Indictment, Abs. 14 (6. Mai 2004).
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ist378, ließ die Anklageerweiterung aber zu. Zudem traf das Tribunal die Aussage: „Our immediate reflection on this issue that we have raised is that the count related to forced marriage which the prosecution is seeking our leave to add to the consolidated indictment is as much a sexual, indeed, a gender offence as those that were included in the initial individual indictments. [. . .] We would like to say here that Forced Marriage is in fact what we would like to classify as a ,kindred offence‘ to those that exist in the consolidated indictment in the view of the commonality of the ingredients needed to prove offences of this nature.“379
Das Tribunal schien in Anbetracht des obigen Zitates davon auszugehen, dass die Zwangsheirat eng mit den anderen in Art. 2(g) SCSL Statut sexualisierten Gewalttaten verwandt ist. Das implizierte, dass die Zwangsheirat eine in Relation zu den anderen enumerierten Verbrechen vergleichbare Schwere erreichen kann. Die Entscheidung ist im Rahmen eines Mehrheitsbeschlusses ergangen. Die vom vorsitzenden Richter Thomson verfasste Dissenting Opinion beschäftigte sich vorrangig nur mit prozessualen Bedenken zur Anklageerweiterung und geht nicht explizit auf den Tatbestand der Zwangsheirat ein380. Auch die Ablehnung eines Antrages der Anklagebehörde am 20. Mai 2004 in Fofana, die sich mit der Zulässigkeit einer nachträglichen Erweiterung des Anklagepunktes der sexuellen Gewalt beschäftigte, basierte grundlegend auf prozessualen Erwägungen381. Nach eigener Einschätzung ist das Verbrechen der Zwangsheirat, nur weil bereits die inhärenten Einzeltaten unter anderen Tatbeständen aburteilsfähig sind, nicht entbehrlich. Keines der bereits enumerierten Tatbestände beschreibt in vollem Umfang das Ausmaß des Verbrechens. Der Tatbestand der Sklaverei formuliert den Verlust an individueller Freiheit, sexuelle Sklaverei beschreibt den Ver378 Vgl. Prosecutor v. Brima, Kamara und Kanu, SCSL-04-16-PT, Decision on Prosecution Request for Leave to Amend the Indictment, Abs. 18 (6. Mai 2004), in welcher das Gericht feststellte: „At the outset, we note that the submissions made by Kanu Defence in relation to defects in the form of the indictment can only be brought pursuant to Rule 72(B)(ii) and therefore have no place at this stage of process.“; Pack, 4 LPICT (2005), 171 (191). 379 Decision on Prosecution Request for Leave to Amend the Indictment, SCSL-0415-PT, Abs. 51 (6. Mai 2004) (eigene Hervorhebung). 380 Dissenting Opinion of Judge Bankole Thompson, Presiding Judge of the Trial Chamber on Prosecution’s Motion for Leave to Amend Indictment Against Accused Issa Hassan Sesay, Morris Kallon and Augustine Gbao, SCSL-04-15-PT (6. Mai 2004). 381 Vgl. Prosecutor v. Norman, Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-T, Decision on the Prosecution’ Application for Leave to File an Interlocutory Appeal against the Decision on the Prosecution’s Request for Leave to amend the Indictment against Samuel Hinga Norman, Moinina Fofana and Allieu Kondewa (2. August 2004). Die Ablehung der Trial Chamber wurde von der Appeals Chamber am 17. Januar 2005 aufrechterhalten, vgl. Prosecutor v. Norman, Fofana und Kondewa, Decision on Prosecution Appeal Against the Trial Chamber’s Decision of 2 August 2004 Refusing Leave to File an Interlocutory Appeal (17. Januar 2005).
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lust an individueller Freiheit und sexualisierter Gewalt, beinhaltet aber nicht etwa Zwangsarbeit und den Missbrauch des Instituts der Ehe. Folter, Vergewaltigung und Zwangssterilisation beschreiben primär nicht den Verlust an individueller Freiheit und sind im Einzelfall nicht Teil des Verbrechens der Zwangsheirat382. Der Tatbestand „Verbrechen der Zwangsheirat“ beschreibt daher das Ausmaß und die Schwere der Tat in akkurater und umfassender Weise, verdeutlicht die mitunter größere Schwere der kriminellen Handlung und schützt ausdrücklich das Rechtsinstitut der Ehe an sich. Auch Art. 1 (c) des Zusatzübereinkommens über die Abschaffung der Versklavung, des Sklavenhandels und sklavenähnlicher Einrichtungen und Praktiken von 1956 steht der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Zwar ist dort der Tatbestand der Zwangsheirat normiert383 und somit in den Verbund mit sklavereiähnlichen Handlungen gesetzt, jedoch wird in der Einleitung des Art. 1 festgestellt, dass gegen die im Übereinkommen enumerierten sklavereiähnlichen Einrichtungen und Praktiken384 alle praktikablen und notwendigen legislativen Maßnahmen unternommen werden sollen, „whether or not they are covered by the definition of slavery“. Das im Juni 2007 vom SCSL in Brima verfasste Urteil der Trial Chamber II ging einen sehr restriktiven Weg. Per Mehrheitsentscheidung wurde eine Verurteilung wegen „Zwangsheirat“ als „andere unmenschliche Handlung“ abgelehnt, weil der Tatbestand der Zwangsheirat vollständig im Tatbestand der sexuellen Sklaverei aufginge und die Anklagebehörde zudem nicht hinreichenden Beweis angetreten haben soll, dass in concreto Handlungen begangen wurden, die von denen der „sexuellen Sklaverei“ abgrenzbar wären. Die Wege und Mittel der Beweissichtung durch die Trial Chamber sind nicht ohne Kritik geblieben385. Die SCSL Appeals Chamber hat indes ausdrücklich und umfassend zum Thema Stellung bezogen und die Eigenständigkeit des Verbrechens bejaht386. Diese Entwicklung ist äußerst begrüßenswert und könnte für die im Jahr 2010 abzuhaltende ICC Review Conference Anregungen geben. 382
Scharf in: 3 AFLA (2005), 77 (94). Art. 1(c) Supplementary Convention on the Abolition of Slavery, the Slave Trade, and Institutions and Practices Similar to Slavery, 226 U.N.T.S. 3; „Any institution or practice whereby: (i) A woman, without the right to refuse, is promised or given in marriage on payment of a consideration in money or in kind to her parents, guardian, family or any other person or group; or (ii) The husband of a woman, his family, or his clan, has the right to transfer her to another person for value received or otherwise; or (iii) A woman on the death of her husband is liable to be inherited by another person.“ 384 Art. 1 des Zusatzübereinkommens von 1956 steht innerhalb Section I „Institutions and Practices Similar to Slavery“. 385 Dazu Kelsall/Stepakoff, 1 Int’ J Transnat. Just. (2007), 355 ff. (insb. 367 f.). 386 Prosecutor v. Brima, Kamara und Kanu, SCSL-04-16-A (3. März 2008), Abs. 190 ff. 383
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Bei der Tatbestandsdefinierung des Verbrechens der Zwangsheirat bestehen jedoch weiterhin noch zahlreiche ungelöste Probleme. Insbesondere besteht Klärungsbedarf, wie das Verbrechen der Zwangsheirat vom Verbrechen der sexuellen Sklaverei genau abzugrenzen ist387. Teilweise wird vorgeschlagen, den Tatbestand als Unterkategorie der sexuellen Sklaverei aufzufassen, der, basierend auf Zwang oder Bedrohung, durch einen eheähnlichen oder ehe-typischen Zusammenschluss geprägt ist388. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass im Gegensatz zur sexuellen Sklaverei, die ein Eigentumsrecht am Opfer deklariert, bei der Zwangsheirat das Opfer nicht durch die „Eigentumsstellung“, sondern durch die erzwungene faktische Rechtstellung als „Ehefrau“ an den Täter gebunden ist389. Auch ist das Opfer im Falle der sexuellen Sklaverei intrinsisch durch die Beraubung der Bewegungsfreiheit an den Täter gefesselt, während im Falle der Zwangsheirat das Opfer sowohl intrinsisch als auch extrinsisch aufgrund existierender Moral- und Wertevorstellungen innerhalb der Gesellschaft, Religion und Staatshandlungen gebunden ist. Weiter existiert beim Verbrechen der Zwangsheirat regelmäßig ein „erzwungenes Gegenseitigkeitsverhältnis“; die „Ehefrau“ steht gezwungenermaßen unter dem „Schutz“ des Ehemannes, nur von diesem – wenn überhaupt – nicht aber von anderen Männern vergewaltigt zu werden390. Schließlich muss Erwähnung finden, dass sich bei den Beratungen zum ICC Statut der Vorschlag der arabischen Staaten, die sexuelle Sklaverei innerhalb der Ehe vom Tatbestand auszuschließen, nicht durchsetzen konnte391. Das impliziert, dass die Mehrheit der Verfasser des Statuts auch Handlungen innerhalb der Ehe für strafbar erklären wollte. Insoweit spricht viel dafür, den Tatbestand
387 Nowrojee, 18 Harv.Hum.Rts. J (2005), 85 (102). Für eine Aburteilung der Zwangsheirat im Rahmen des Tatbestandes der sexuellen Sklaverei; Boot, Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, 513. 388 Nowrojee, 18 Harv.Hum.Rts. J (2005), 85 (102). 389 Scharf in: 3 AFLA (2005), 77 (96) „Wives compelled into forced marriages are not „owned“ as the victims of sexual slaves are, but are still inextricably bound to their captor by the ties of matrimony and the obligations flowing from it that the perpetrator foists upon the victim.“ 390 Prosecutor v. Brima, Kamara und Kanu, SCSL-04-16-A (3. März 2008), Abs. 190 „In return, the rebel ,husband‘ was expected to provide food, clothing and protection of his ,wife‘, including protection from rape by other men, acts he did not perform when he used a female for sexual purposes only.“ Siehe auch Abs. 191 „A ,wife‘ was exclusive to a rebel ,husband‘ and any transgression of this exclusivity such as unfaithfulness, was severely punished.“ 391 Proposal submitted by Bahrain, Iraq, Kuwait, Lebanon, the Libyan Arab Jamahiriya, Oman, Qatar, Saudi Arabia, the Sudan, the Syrian Arab Republic and United Emirates concerning the elements of crimes against humanity, Preparatory Comm’n for the International Criminal Court, U.N. Doc. PCNICC/1999/WGEC/DP.39 (1999) „Powers attaching the right of ownership do not include rights, duties and obligations incident to marriage between a man and a woman.“
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
der Zwangsheirat als eigene Tatbestandsalternative aufzufassen, und somit unter die Generalklausel der „sexuellen Gewalt“ abzuurteilen. 4. Actus reus Stimmt man mit der Überlegung überein, dass der Tatbestand der Zwangsheirat einen eigenständigen Tatbestandscharakter hat, folgt als nächster Schritt, die spezifischen Tatbestandsmerkmale des Verbrechens herauszuarbeiten. Die SCSL Appeals Chamber in Brima beschrieb die Tat wie folgt: „In light of the distinctions between forced marriage and sexual slavery, the Appeals Chamber finds that in the context of the Sierra Leone Conflict, forced marriage describes a situation in which the perpetrator through his words or conduct, or those of someone for whose actions he is responsible, compels a person by force, or coercion to serve as a conjugal partner resulting in severe suffering, or physical, mental or psychological injury to the victim“392.
In Anlehnung und Erweiterung an die Definitionsbestimmung von Scharf 393 könnte das Verbrechen der Zwangsheirat wie folgt weiter zu konkretisieren sein: (1) Es besteht oder bestand in faktischer Hinsicht eine Ehe oder ein eheähnlicher Zusammenschluss. (2) Das Recht zur Eheschließung wurde ohne Zustimmung des Opfers, insbesondere durch Gewalt, Nötigung oder Zwang, die durch Angst vor Gewalt, Nötigung, Haft, psychologische Unterdrückung oder Machtmissbrauch gegen diese Person oder Personen, oder gegen einen Dritten, oder durch eine Vorteilsverschaffung unter Ausnutzung einer zwanghaften Umgebung, oder Unmöglichkeit oder Unfähigkeit dieser Person oder Personen, eine ernsthafte und aufrichtige Zustimmung zu erteilen, vollzogen. (3) Der Täter veranlasste das Opfer dazu, zwanghaft unter anderen an einer Handlung oder Handlungen von sexueller Natur teilzunehmen, oder häusliche Zwangsarbeit zu verrichten, oder Kinder zu gebären, oder aufzuziehen, und verursachte ernsthafte Leiden, oder physische oder psychische Verletzungen beim Opfer. (4) Der Täter machte es dem Opfer unmöglich oder erschwerte in erheblicher Weise, sich aus dem Eheverhältnis faktisch zu befreien. (5) Die unrechtmäßige Handlung oder Handlungen innerhalb der Ehe erreichten im Vergleich zu den anderen enumerierten Einzelverbrechen eine vergleichbare Schwere.
392 Prosecutor v. Brima, Kamara und Kanu, SCSL-04-16-A (3. März 2008), Abs. 196; s. a. Abs. 193. 393 Scharf in: 3 AFLA (2005), 77 (98 f.).
C. Sexualisierte Verbrechen
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(6) Die Handlung oder Handlungen wurden als Teil eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs begangen, die gegen jegliche Zivilbevölkerung gerichtet war. (7) Der Täter wusste, oder beabsichtigte, dass die Handlung oder Handlungen Teil eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs waren, der gegen jegliche Zivilbevölkerung gerichtet war. a) „Ehe“ Bei der Verbindung zwischen dem Täter und dem Opfer muss es sich – auf rein faktischer Basis – um eine Ehe oder einen eheähnlichen Zusammenschluss handeln. Die Bestimmung, ob eine Ehe vorliegt, sollte nach international allgemein anerkannten Vorstellungen vorgenommen werden, wobei dem nationalen Rechtsverständnis des Tatortstaates eine gewisse Konkretisierungsfunktion zukommen kann. Die Einbeziehung nationalstaatlicher Vorstellungen gründet sich auf dem Argument, dass das Verständnis vom Institut der Ehe auf jeweilig nationalstaatlichen soziokulturellen Wertevorstellungen basiert, die sich transnational mitunter erheblich unterscheiden. Allgemein anerkannt und Grundlage bei der Bestimmung des Vorliegens einer Ehe ist jedoch, dass zumindest zwei Merkmale vorliegen: – eine Form des Zusammenlebens, gewöhnlich bestimmt durch das Teilen von „Tisch und Bett“; – ein ernsthafter, meist exklusiver Zusammenschlusses auf Dauer; – die Begründung von gegenseitigen (Rechten und) Pflichten aus der Ehe. Im Fall der Zwangsheirat hätte Indizwirkung für die aufgezeigten Merkmale: die Betitelung des Partners als „Ehegatte“ bzw. „Mann“ oder „Frau“, die Dauer und Art des Zusammenlebens, der Statuts der „Exklusivität“ als Ehefrau, die faktische Pflicht zum Vollzug sexueller Aktivitäten, Kindeserziehung oder Haushaltsführung, eingeräumter Schutz. Irrelevant ist, ob die Ehe formal rechtmäßig errichtet wurde oder in rechtmäßiger Weise Rechte und Pflichten begründet, da die Schließung einer Zwangsheirat eo ipso mangels beiderseitigen Einverständnisses rechtlich unwirksam ist. b) „Zwang“ und „mangelndes Einverständnis“ Eines der entscheidenden konstitutiven Merkmale der Zwangsheirat ist das Nichtvorliegen eines Einverständnisses auf Seiten des Opfers zum Eingehen in die Ehe. Im Gegensatz zur sexuellen Sklaverei, bei welcher ein Einverständnis des Opfers irrelevant ist, weil die Abtretung des eigenen Autonomierechts an Dritte nicht übertragbar ist, was dazu führt, dass Sklaverei immer unrechtmäßig
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
ist394, ist die Eingehung eines Zusammenschlusses in Form einer Ehe möglich und dann rechtmäßig, wenn sie in beiderseitigem Einverständnis geschlossen wurde. Ein mangelndes Einverständnis ist damit notwendige Voraussetzung für das Vorliegen einer Zwangsheirat. Die Ausübung von Zwang indiziert grundsätzlich den Mangel an Einverständnis. Die zum Tatbestandsmerkmal des Zwanges diesbezüglich gemachten Ausführungen innerhalb des Tatbestandes der Vergewaltigung werden auf den Tatbestand der Zwangsheirat übertragbar sein395. Konkretisierend kommt hinzu, dass die Ausübung des Zwanges nicht notwendigerweise durch eine aktive Handlung oder Unterlassung aufrechterhalten werden muss. Die Vornahme eines Aktes, durch den die Zwangshandlung effektiv fortwirkt, wie das Setzen von Brandzeichen oder anderen Narben zum Zweck der Erkennung, Zuweisung und Anbindung an den Täter ist ausreichend. Teilexkurs: Die arrangierte Hochzeit als „Zwangsheirat“ im Sinne des Tatbestandes? Weil die Heirat mit der Zustimmung beider zukünftigen Ehepartner erfolgen muss, stellt sich die Frage, warum die Zwangsheirat auf der einen Seite als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bewertet, die Praktik der arrangierten Heirat aber akzeptable Ausprägung eines kulturell gewachsenen Gutes sein soll396. Die Zwangsheirat ist vornehmlich dadurch gekennzeichnet, dass die Frau unter Zuhilfenahme von Gewalt oder Bedrohung in ein auf Dauer angelegtes Zusammenleben gedrängt worden ist, ohne ihre diesbezügliche ernsthafte Zustimmung erteilt zu haben. Die arrangierte Heirat hingegen ist durch die jeweiligen Traditionen und kulturellen Eigenheiten und Vorstellungen der heiratswilligen Ehepartner geprägt, welche mitunter erheblich vom kontinentaleuropäischen Verständnis abweichen. Im Gegensatz zum westlichen Ansatz, der die Heirat von einem formal zu vollziehenden Akt der einzelnen zukünftigen Ehepartner abhängig macht, durchläuft eine in den meisten afrikanischen Staaten anerkannte „Heirat durch Brauch“ einen Prozess von vielen komplexen Stufen und
394 Scharf in: 3 AFLA (2005), 77 (99); Oosterveld, 25 MJInt’L (2004), 605 (640); Contemporary Forms of Slavery, Systematic Rape, Sexual Slavery and Slavery-like Practices During Armed Conflict: Update to the Final Report Submitted by Ms. Gay J. McDougall, Special Rapporteur, U.N. Doc. E/CN.4/Sub.2/2000/21 (2000), Abs. 51. 395 Für diese Ansicht spricht auch die Fußnote 16 innerhalb der Elements of Crimes beim Tatbestand der Vergewaltigung; Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/ 1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(g)-1, Abs. 2, Fn. 16 „[. . .] This footnote also applies to the corresponding elements of article 7(1)(g)-3 [Zwangsprostitution], 5 [erzwungene Schwangerschaft] and 6 [andere Formen sexueller Gewalt]“. 396 Vgl. auch Scharf in: 3 AFLA (2005), 77 (87).
C. Sexualisierte Verbrechen
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Riten. Regelmäßig sind die Familienmitglieder beider zukünftigen Ehepartner stark an der Entscheidung beteiligt397. Tragendes Merkmal einer arrangierten Heirat ist, dass der Auswahlprozess des zukünftigen Ehepartners in die Hände der Familienoberhäupter gelegt wird. Die Einschränkung der Entscheidungsgewalt beider Ehepartner ist auf dem Verständnis gegründet, dass die Heirat nicht nur eine Gemeinschaft zwischen zwei Menschen, sondern primär der Zusammenschluss zweier Familien ist398, deren jeweilige Mitglieder an der Entscheidungsfindung zu beteiligen sind. Im Unterschied zur Zwangsheirat ist jedoch auch hier neben dem Einverständnis der Familienmitglieder zumindest auf rechtlicher Ebene das Einverständnis der zukünftigen Ehepartner erforderlich. Während die Familie insoweit über das „wer“ bezüglich der Heirat entscheidet, treffen die Ehepartner die Entscheidung, „ob“ eine Heirat stattfinden soll. Bei der erzwungenen Hochzeit ist diese Entscheidungsfreiheit hingegen völlig eliminiert. In der Praxis ist freilich vor allem die zukünftige Ehefrau dem Druck der Familie ausgesetzt, was an einem freiverantwortlichen Entscheidungswillen Zweifel aufkommen lassen könnte399. Arrangierte Hochzeiten – insbesondere zwischen Minderjährigen – stehen regelmäßig in Verdacht, internationale Menschenrechtsstandards, wie sie etwa in der CEDAW niedergeschrieben sind, zu verletzen400. Nichtsdestotrotz ist aber selbst bei einer Verletzung menschenrechtlicher Standards die Einwilligung des jeweiligen Familienoberhauptes in die Heirat notwendig, der im allgemeinen Interesse der Familie, der Tradition, dem Ansehen und der finanziellen Absicherung zum Wohle des Ehepartners die Entscheidung trifft. Bei der Zwangsheirat hingegen fehlt es völlig am Merkmal der beidseitigen Einwilligung und dem Verständnis, zum Wohle des Gemeinwohls oder der Familie des jeweiligen Ehegatten zu handeln. (Teilexkurs Ende)
397 Bei der Wirksamkeit einer „Heirat durch Brauch“ vor einem speziellen „Customary Court“ stellt das Gericht gewöhnlich inzidenter darauf ab, ob eine Morgengabe erbracht worden ist und die Entscheidungsträger beider Familien ihre Zustimmung erteilt haben; zur „Heirat durch Brauch“ (customary marriage) Gage/Bledsoe in: Nuptuality in Sub-Saharan Africa, 148 (150 f.). Grundlegend zum Familienrecht in Afrikanischen Staaten, vgl. Pitshandenge in: Nuptuality in Sub-Saharan Africa, 117 ff. 398 Scharf in: 3 AFLA (2005), 77 (79 f.). 399 Daher wird neuerdings bei der Begründung von Rechten alleinig auf die Zustimmung beider zukünftigen Ehepartner abgestellt, vgl. Art. 16 Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Woman (18. Dezember 1979). 400 So auch Prosecutor v. Brima, Kamara und Kanu, SCSL-04-16-A (3. März 2008), Abs. 194.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
c) Handlungsvarianten Weiter muss der Täter das Opfer durch Ausübung von Zwang dazu veranlasst haben, unter anderem an Handlung(en) von sexueller Natur teilzunehmen und/ oder häusliche Zwangsarbeit zu verrichten, Kinder zu gebären und/oder Kinder aufzuziehen. Dieses Kriterium beschreibt die oft wiederkehrende und mehrfache Begehungsweise des Verbrechens und trägt dazu bei, eine kohärente Abgrenzung zu anderen sexualisierten Tatbeständen zu erreichen. Die Aufzählungsvarianten innerhalb der Tatbestandskonkretisierung sind nicht abschließend. Auch wäre eine auf Zwang gegründete Ehe eine Zwangsheirat im Sinne des Tatbestandes, wenn der Mann die Frau (auf nicht sexualisierte Weise) körperlich misshandelt, sie allerdings weder mit der Kindergebärung und Kindererziehung, noch mit der Verrichtung von Arbeiten im Haushalt betraut und auch keine sexuellen Handlungen am Opfer vornimmt (z. B. weil das Opfer an AIDS erkrankt ist). Das Tatbestandsmerkmal ist demnach weit auszulegen. d) Faktische Unauflösbarkeit der Ehe Das Tatbestandsmerkmal der faktischen Unauflösbarkeit der Ehe beschreibt das ernsthafte Ausmaß der Freiheitsberaubung auf Seiten des Opfers. Aus diesem Grund ist es allgemeine Auffassung, dass eine Ehe, die faktisch unauflöslich ist, die fundamentalsten Menschenrechte verletzt401, da es den Gleichbehandlungsgrundsatz von Mann und Frau auf schwerwiegendste Weise verletzt. Indizien für das Vorliegen einer unauflöslichen Ehe ist eine nur schwache oder nicht existente Selbstbestimmungsmöglichkeit des Opfers, eine erschwerte oder faktisch unmögliche Rückintegrationsfähigkeit und -möglichkeit des Opfers in die Gesellschaft, oder das Hervorrufen eines Stigmas, welches signalisiert, dass die Frau mit dem „Feind“ verheiratet war oder vergewaltigt wurde402. Die spezielle gesellschaftliche, rechtliche und politische Umgebung, in der sich das Opfer bewegt, ist zu berücksichtigen. e) Handlung ejusdem generis Die Tat muss sich zudem ejusdem generis eingliedern lassen, was eine vergleichbare kriminelle Schwere und Natur mit den anderen enumerierten Tatbestandsalternativen erfordert. Das Gericht sollte bei der Bestimmung behutsam 401 Art. 23(3) ICCPR (23. März 1976); Art. 16 UDHR (10. Dezember 1948); Art. 6 ECHR (4. November 1950). 402 In Sierra Leone wird gewöhnlich eine Frau, die vergewaltigt wurde, von der Gesellschaft als „heiratsuntauglich“ eingestuft; vgl. Physicians for Human Rigths, „WarRelated Sexual Violence in Sierra Leone: A Population-Based Assessment; Qualitative Comments and Testimonies of Women and Girls (2002), 78 f.
D. Verbrechen gegen die Freiheit
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vorgehen, um nicht den nullum crimen sine lege Grundsatz zu verletzen. Handlungen von nicht schwerwiegendem Ausmaß sind daher nicht unter dem Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit aburteilsfähig. Das Tatbestandsmerkmal der vergleichbaren Schwere ist jedoch erfüllt, wenn innerhalb der Ehe bestimmte Handlungen begangen werden, die selbständig ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen, wie etwa Vergewaltigung, Zwangsschwangerschaft oder sexuelle Sklaverei. Zusätzlich kann das Alter der (mitunter minderjährigen) „Ehefrau“, sowie das Ausmaß des physischen und psychologischen Leides in die Bewertung mit einfließen403. Die Tatsache, dass diese Verbrechen innerhalb der Ehe stattgefunden haben, kann die Schwere der Handlung nicht mildern. Im Gegenteil erscheint vertretbar, dass sich die Schwere der Tat aufgrund der Tatsache, dass die Handlungen innerhalb der Ehe stattgefunden haben, erhöht. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Vergewaltigungen oder sexueller Sklaverei hat der Täter eine Art und Weise der Begehung gewählt, die die Grausamkeit seiner Tat „wegen soziokultureller Gründe“ verdeckt und somit das Opfer der Ergreifung von Gegen- und Abwehrmaßnahmen beraubt. Schließlich muss im Einklang mit Kayishema ein nexus zwischen der Tathandlung und den Verletzungen des Opfers bestehen404. (Exkurs Ende)
D. Verbrechen gegen die Freiheit I. Freiheitsentzug („imprisonment“) oder sonstige schwerwiegende Beraubung der körperlichen Freiheit unter Verstoß gegen die Grundregeln des Völkerrechts Der Tatbestand des Freiheitsentzuges ist erstmalig in Art. II des CCL No. 10 aufgenommen worden. Er ist seitdem in jedem Statut der internationalen oder internationalisierten Straftribunale kodifiziert. In Art. 7 des ICC Statuts ist erstmalig zum Zwecke größerer Anwendungsvielfalt die Erweiterung der „sonstigen schwerwiegender Beraubung der körperlichen Freiheit“ aufgenommen worden, da die Befürchtung geäußert wurde, dass „imprisonment“ nur „gefängnisähnliche Situationen“ erfassen könnte und somit der Tatbestand zu restriktiv ausge-
403 Prosecutor v. Brima, Kamara und Kanu, SCSL-04-16-A (3. März 2008), Abs. 195 und 197 ff. 404 Prosecutor v. Kayishema, ICTR-95-1-A (1. Juni 2001), Abs. 146.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
legt wäre405. Durch die Einführung obiger Generalklausel wurde die Reichweite des Verbrechenstatbestandes erheblich erweitert. 1. Definition „Freiheitsentzug oder sonstige schwerwiegende Beraubung der körperlichen Freiheit“ nach den Elements of Crimes Der Freiheitsentzug oder die sonstige schwerwiegende Beraubung der körperlichen Freiheit ist im ICC Statut nicht legaldefiniert. Eine Tatbestandskonkretisierung findet sich jedoch in Art. 7 (1)(e) der Elements of Crimes. Danach sind für den actus reus folgende Hauptelemente statuiert406: „Art. 7(1)(e) Crime against humanity of imprisonment or other severe deprivation of physical liberty Elements 1. The perpetrator imprisoned one or more persons or otherwise severely deprived one or more persons of physical liberty. 2. The gravity of the conduct was such that it was in violation of fundamental rules of international law. 3. The perpetrator was aware of the factual circumstances that established the gravity of the conduct. 4. The conduct was committed as part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. 5. The perpetrator knew that the conduct was part of or intended the conduct to be part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population.“
2. Actus reus Das ICTR hatte sich mit dem Tatbestand des Freiheitsentzugs erstmalig im Jahre 2004 in Ntagerura407 zu beschäftigen. Bei ihrer Definitionsbestimmung lehnte es sich stark an die Rechtsprechung des ICTY an und definierte den Freiheitsentzug als willkürliche oder andersartige ungesetzliche Inhaftierung oder Entziehung der Freiheit408. Die Definition ist damit im Einklang mit der Konkretisierung innerhalb der Elements of Crimes.
405 Robinson in: Lee: The International Criminal Court. Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 88; Kittichaisaree, International Criminal Law, 110. 406 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(e). 407 Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki und Imanishimwe, ICTR-99-46-T (25. Februar 2004), Abs. 702. 408 Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki und Imanishimwe, ICTR-99-46-T (25. Februar 2004), Abs. 702.
D. Verbrechen gegen die Freiheit
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Der Tatbestand setzt voraus, dass der Täter dem Opfer in schwerwiegender Weise die physische Freiheit entzieht. Das Merkmal der Schwere ist einzelfallabhängig und nicht verallgemeinerungsfähig. In Betracht zu ziehen sind primär die Dauer und der Umfang des Freiheitsentzugs. Die Schwere und die Ernsthaftigkeit der Verletzungshandlung muss jedoch mit der Schwere und Ernsthaftigkeit eines anderen im Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit enumerierten Verbrechens vergleichbar sein409. Eine „unbedeutende“ Beraubung der Freiheit erfüllt damit nicht den Tatbestand. Regelmäßig wird ein Freiheitsentzug dann vorliegen, wenn der Täter in einem umschlossenen Ort eingesperrt ist und gehindert wird, sich zu einem anderen Ort bewegen zu können; dies schließt eine Bewegungsfreiheit innerhalb eines abgegrenzten Komplexes (Ghetto, Konzentrationslager) mit ein410. Auch Hausarrest ist potentiell vom Tatbestand erfasst411. Die Unrechtmäßigkeit des Freiheitsentzugs stellt das zentrale Element des Verbrechens dar. Entgegen des in der Einleitung der Elements of Crimes enthaltenen sechsten Absatzes, in welchem vorgeschrieben ist, dass das Erfordernis der Ungesetzlichkeit („unlawfulness“) allgemein nicht in den einzelnen Tatbeständen wiederholt werden soll412, wurde die Aufnahme in diesem Fall für erforderlich erachtet, da hier als besondere Voraussetzung ein „Verstoß gegen die Grundregeln des Völkerrechts“ nachgewiesen werden muss. Abzustellen ist auf „fundamental“ anerkanntes Völkerrecht. Der Vorschlag einer Gruppe Arabischer Staaten während des Verhandlungsprozesses zum Rom Statut, nur „universell anerkannte Regeln“ in Betracht zu ziehen, wurde zwar abgelehnt413. Der Terminus ist jedoch, wenn man berücksichtigt, dass die Handlungsbegehung nach „den völkerrechtlich als zulässig anerkannten Grundsätzen der „Hauptrechtssysteme der Welt“ bewertet werden muss414, konservativ auszulegen. 409 Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki und Imanishimwe, ICTR-99-46-T (25. Februar 2004), Abs. 702. 410 So Werle, Principles of International Criminal Law, 243; anders aber Iraqi High Tribunal, Case n ë 1/9 First/2005 Al-Dujail Lawsuit, 171, 5 November 2006, CC judgement. 411 Hall in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 7, Rn. 38. 412 Siehe Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), General Introduction, Abs. 6 „The requirement of ,lawfulness‘ found in the Statute or in other parts of international law, in particular international humanitarian law, is generally not specified in the elements of crimes.“ 413 Proposal submitted by Bahrain, Iraq, Kuwait, Lebanon, the Libyan Arab Jamahiriya, Oman, Qatar, Saudi Arabia, the Sudan, the Syrian Arab Republic and the United Arab Emirates concerning the elements of crimes against humanity, PCNICC/1999/ WGEC/DP.39; Robinson in: Lee, The International Criminal Court, Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 88 (89). 414 Siehe Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7, General Introduction, Abs. 1. „Since Art. 7 pertains to international law, its provisions [. . .] must be strictly construed [. . .] and require conduct which is impermissible under
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In Anlehnung an die Rechtsprechung des ICTY ist die Unrechtmäßigkeit anhand eines Straußes von Indizien zu bestimmen; inter alia ob der Freiheitsentzug auf einem rechtskräftigen Haftbefehl bzw. einer richterlichen Anordnung gegründet war, ob der Inhaftierte über die Gründe seiner Inhaftierung informiert wurde, ob gegen den Inhaftierten formal Anklage erhoben wurde, ob der Inhaftierte seiner Rechte belehrt wurde415 und ob die Fortsetzung der Inhaftierung rechtmäßig war416. Allein die Tatsache, dass sich ein nationales Gesetz auf die Rechtfertigung eines Freiheitsentzuges stützt, bedeutet nicht, dass dieses eo ipso im Einklang mit Völkerrecht steht417, da andernfalls Verantwortliche der Legislative und Exekutive durch Verabschiedung und Ausführung von zweifelhaften nationalstaatlichen Rechtsregelungen selbst über die Verwirklichung des völkerrechtlichen Tatbestandes des Freiheitsentzugs entscheiden könnten. Der Zusatz „unter Verstoß gegen die Grundregeln des Völkerrechts“ stellt zudem klar, dass legitime Fälle von Freiheitsentzug, wie etwa Haftstrafen, welche gemessen an völkerrechtlichen Standards auf rechtmäßigen Urteilen basieren, den Tatbestand nicht erfüllen. Ein Freiheitsentzug, der auf reiner Willkür basiert und fundamentale Justizrechte außer Acht lässt, ist indes illegal418. 3. Mens rea Ausgehend von der Konkretisierung der Elements of Crimes müssen dem Täter die tatsächlichen Umstände der Tatbestandselemente, die die Schwere der Handlungsweise hervorrufen, bewusst gewesen sein. Die Anklagebehörde muss dem Beschuldigten nicht nachweisen, dass dieser jegliche rechtliche Bewertungen bezüglich der Recht- und Unrechtmäßigkeit des Freiheitsentzugs vorgenommen hat419. Eine Verantwortlichkeit auch für den Fall, dass der Täter zwar die tatsächlichen Umstände kannte, jedoch kein Bewusstsein bezüglich der Schwere oder Unrechtmäßigkeit der Tathandlung besaß, ist jedoch als zu strikt empfunden worden. Hintergrund war, dass aufgrund der Anschläge vom 11. September 2001 viele Staaten in Notsituationen – man denke hier vornehmlich an Terrorangriffe – besondere Regeln zum Schutze des Staates verabschiedet haben, so dass mitungenerally applicable international law, as recognized by principle legal systems of the world.“ (Eigene Hervorhebung.) 415 Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-T (15. März 2002), Abs. 119 ff.; Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 302 f. 416 Siehe auch Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki und Imanishimwe, ICTR-99-46T (25. Februar 2004), Abs. 702. 417 Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-T (15. März 2002), Abs. 114. 418 Prosecutor v. Ntagerura, Bagambiki und Imanishimwe, ICTR-99-46-T (25. Februar 2004), Abs. 702. Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-T (15. März 2002), Abs. 113. 419 Kittichaisaree, International Criminal Law, 110.
D. Verbrechen gegen die Freiheit
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ter Unklarheit herrschte, ob der (durch nationales Recht gebilligte) Freiheitsentzug im konkreten Fall den internationalen Standards entspricht. Daraus wurde gefolgert, dass von einem juristischen Laien eine fundiert getroffene Evaluierung auf Grundlage völkerrechtlicher Regeln nicht erwartet werden kann, was dazu führt, dass bezüglich der Verletzung fundamentaler Regeln des Völkerrechts, sowie der tatsächlichen Umstände, welche die Schwere der Handlungsweise hervorgerufen haben, tatbestandliches Wissen erforderlich sei420. Die Gegenseite ging indes davon aus, dass sich streng am Wortlaut der Elements of Crimes orientiert werden müsse, sodass ein „Bewusstsein“ der diesbezüglichen Umstände ausreiche421. Unabhängig vom mens rea Erfordernis bezüglich der spezifischen Freiheitsentzugshandlung muss der Täter in Einklang mit den generellen mens rea Grundsätzen zusätzlich über konstruktives Wissen vom makrokriminellen Gesamtkontext verfügen. Ihm muss zudem nachgewiesen werden, dass er weiß, dass sich seine Handlung als Teil des Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellt.
II. Versklavung 1. Einleitung Das Verbrechen der Sklaverei hat sich im Laufe der Zeit von einer nicht nur gesetzlichen, sondern auch ökonomisch wünschenswerten Praktik im 17. Jahrhundert über die Verurteilung als „unmoralische Handlung“ hin zu einem Internationalen Verbrechen entwickelt422, welches nunmehr jus cogens Charakter 420 Robinson in: Lee, The International Criminal Court, Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 88 (89); Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-T (15. März 2002), Abs. 115 „intent to deprive the individual arbitrarily of his or her liberty or in the reasonable knowledge that his or her act or omission is likely to cause arbitrary deprivation of physical liberty“. 421 Kittichaisaree, International Criminal Law, 100 „all that needs to be proved is his [Anm: gemeint ist der Täter] awareness of the factual circumstances“, unter Berufung auf eine während der Verhandlungen zum ICC Statut getätigte Aussage von Prof. Roger Clark, Mitglied der Delegation von Samoa; Informal Consultation on Elements of Crimes, 5th Sess. of the PCNICC, 16. Juni 2000. 422 Sommersett v. Steward, 99 Eng. Rep. 499, 310 (K.B. 1772) „The state of slavery is of such a nature, that it is incapable of being introduced on any reasons, moral or political, but only [by] positive law, which preserves its force long after the reasons, occasion, and time itself from whence it was created, is erased from memory; it’s so odious, that nothing can be suffered to support it, but positive law. Whatever inconveniences therefore, may follow from [this] decision, I cannot say this case is allowed or approved by the law of England; and therefore the black must be discharged“; Treaty for the Suppression of the African Slave Trade (Treaty of London) vom 20. Dezember 1841, Art. I „Their Majesties the Emperor of Austria, the King of Hungary and Bohemia, the King of Prussia and the Emperor of all the Russians, engage to prohibit all trade in slaves, either by their respective subjects, or under their respective flags, or
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
besitzt und erga omnes Wirkung beanspruchen kann423. Die originäre Versklavungspraktik („chattel slavery“) hat indes in der Gerichtspraxis an Bedeutung verloren, da sie weitgehend nicht mehr existiert424. Das ICTR hat bisherig im Laufe seines Bestehens keinen einzigen Angeklagten auf Grundlage originärer Sklaverei verurteilt und dementsprechend keine diesbezüglichen rechtsverbindlichen Konkretisierungen vorgenommen. Das ICTY hat sich als erstes internationales Tribunal überhaupt mit dem Sklavereitatbestand in Kunarac beschäftigt. An Bedeutung gewonnen haben indes die ebenfalls im Art. 7 des ICC Statuts enumerierten „sklavereiähnlichen“ Praktiken425. Neben den im ICC Statut und
by means of capital belonging to their respective subjects; and to declare such traffic piracy [. . .]“, Art. X „Proceedings shall be immediately taken against the vessel detained, as above stated, her master, her crew, and her cargo, before the competent Tribunals of the countries to which she belongs; and they shall be tried and adjudged according to the established forms and laws in force in that country; and if it results form the proceedings, that the said vessel was employed in Slave Trade, or fitted out for that traffic, the vessel, her fittings and her cargo of merchandise, shall be confiscated; and the master, the crew, and their accomplices, shall be dealt with, conformably to the laws by which they shall have been tried. [. . .]“ (eigene Hervorhebung); General Act of the Conference Respecting the Congo (General Act of Berlin) vom 26. Februar 1885, Chapter II, Art. 9; Convention Relative to the Slave Trade and Importation into Africa of Firearms, Ammunition, and Spirituous Liquors (General Act of Brussels) vom 2. Juli 1890, Art. I, II, III, V, VIII, IX, XV, VII, XIX, XX, XXV, XXVI, XL, XLV, LIX, LXII, LXVI, LXVII, LXX, LXXI, LXXXVII, LXXXIX, und sec. II.; International Agreement for the Suppression of the „White Slave Traffic“ (18. Mai 1904), Art. 1–3; International Convention for the Suppression of the White Slave Traffic (4. Mai 1910), Art. I, II, III; V, VI, VII und Art. I, II des Closing Protocols; Convention Revising the General Act of Berlin, 26. Februar 1885 and the General Act and Declaration of Brussels, 2. July 1890 (10. September 1919), Art. 11, 12. Alle Dokumente abgedruckt in: Bassiouni, International Criminal Law Conventions and Their Penal Provisions. 423 Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgium v. Spain), Urteil v. 5. Februar 1970, ICJ Rep. 1970, 3 (32); Restatement 3rd, § 702(b); Bassiouni in: Bassiouni, International Criminal Law I, 663 (665 und 669). 424 Es wird davon ausgegangen, dass von der Gründung der ersten Siedlung in den Vereinigten Staaten von Amerika (Jamestown im Jahre 1607) bis zum Ende des amerikanischen Bürgerkrieges im Jahre 1864 schätzungsweise über 15.000.000 Sklaven in die „Neue Welt“ transferiert wurden. In Amerika wurde die Sklaverei durch Präsident Lincolns „Emancipation Proclamation“ für abgeschafft erklärt, vgl. Umozurike, 16 How.LJ (1971), 334 ff.; Alpert, 14 AJLeg.Hist. (1970), 189 ff. In der heutigen Zeit gibt es nur noch vereinzelt im asiatischen Raum und im Mittleren Osten traditionelle Versklavungspraktiken, Lador-Lederer, 3 Isr.LRev. (1968), 245 ff.; Bassiouni in Bassiouni, International Criminal Law, 663 (668) „slavery [. . .] has almost been totally eradicated since the beginning of the 1900s without reliance on an international enforcement machinery. The primary reason for this was that „the commonly shared values of the world community had coalesced, and concurred with the political will of states“. 425 Kempadoo in: Price/Sokoloff, The Criminal Justice System and Women, 147 f. „Sex trafficking is the third most lucrative criminal activity in the world (after smuggling arms and narcotics), according to the officials at the Second Word Congress against Commercial Sexual Exploitation of Children held in 2001.“
D. Verbrechen gegen die Freiheit
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SCSL Statut festgeschriebenen sexualisierten Straftatbeständen der sexuellen Sklaverei und Zwangsprostitution, die einen eigenen Tatbestandsstatus innehaben, ist nunmehr der insbesondere auf Frauen und Kindern ausgerichtete Menschenhandel als sklavereiähnliche Handlung im Tatbestand der Versklavung kodifiziert worden. 2. Definition der Versklavung nach dem ICC Statut und den Elements of Crimes In Art. 7(2)(c) des ICC Statuts ist „Versklavung“ legaldefiniert als: „the exercise of any or all of the powers attaching to the right of ownership over a person and includes the exercise of such power in the course of trafficking in persons, in particular women and children.“426
In den Elements of Crimes sind weitere Konkretisierungen des Versklavungstatbestandes enthalten. Interessant sind insbesondere die in Nr. 1 enthaltene Regelbeispielaufzählung, sowie die sich aus Fußnote 11 ergebende Anwendungsreichweite des Tatbestandes427: „Article 7(1)(c) Crime against humanity of enslavement Elements 1. The perpetrator exercised any or all of the powers attaching to the right of ownership over one or more persons, such as by purchasing, selling lending or bartering such a person or persons, or by imposing on them a similar deprivation of liberty.11 2. The conduct was committed as part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. 3. The perpetrator knew that the conduct was part of or intended the conduct to be part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. Fn. 11: It is understood that such deprivation of liberty may, in some circumstances, include exacting forced labor or otherwise reducing a person to a servile status as defined in the Supplementary Convention on the Abolition of Slavery, the Slave Trade, and Institutions and Practices Similar to Slavery of 1956. It is also understood that the conduct described in this element includes trafficking in persons, in particular women and children.“
3. Actus reus Der Ursprung der in Art. 7(2)(c) ICC Statut enthaltenen Tatbestandsdefinition ist die in Art. 1(1) der Sklavereikonvention von 1926428 enthaltende Definition, 426 Amtliche UN Übersetzung des Art. 7(2)(c), UN. Doc. A/Conf.183/9 (17. Juli 1998) [Im Sinne des Absatzes 1] „bedeutet ,Versklavung‘ die Ausübung aller oder einzelner mit einem Eigentumsrecht an einer Person verbundenen Befugnisse und umfasst die Ausübung dieser Befugnisse im Rahmen des Handels mit Menschen, insbesondere mit Frauen und Kindern.“ 427 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(c). 428 Slavery Convention vom 25. September 1926, 60 L.N.T.S. 253.
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die den Tatbestand der „Sklaverei“ erstmalig legal definierte429. Jene Definition setzt sich aus einer „Grunddefinition“ (Art. 1(1)) und einer Anwendungskonkretisierung (Art. 2(2)) zusammen. Beim Tatbestand der Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde diese Systematik kopiert. a) Überwirkung des Artikel 1 der Sklavereikonvention von 1926 auf die derzeitigen actus reus Voraussetzungen Aus Artikel 1(1) des Sklavereiübereinkommens von 1926 geht hervor, dass: „Slavery is the status or condition of a person over whom any or all of the powers attaching to the right of ownership are exercised.“430
Art. 1(2) sieht zusätzlich ein Verbot des Sklavenhandels vor und legal definiert den Terminus wie folgt: „The slave trade includes all acts involved in the capture, acquisition or disposal of a person with the intent to reduce him to slavery; all acts involved in the acquisition of a slave with a view of selling or exchanging him; all acts of disposal by sale or exchange of a slave acquired with a view to being sold or exchanged, and, in general, every act of trade or transport of slaves.“431
Die griffige Definition aus Art. 1(1) ist durchgängig in verschiedenste multilaterale Verträge übernommen worden und hat seinen Weg in Art. 7(2)(c) des ICC Statuts gefunden. In den Elements of Crimes ist zusätzlich eine Konkretisierung bezüglich der Art und Weise des Eigentumserwerbs kodifiziert, die sich in einer allgemeineren Form schon in Art. 1(2) der Sklavereikonvention von 1926 wieder finden lässt. Der dort verwendete Terminus „by sale or exchange“ wurde präzisiert durch die Regelbeispiele „such as purchasing, selling, lending or bartering“432. Die in den Elements of Crimes festgeschriebene Konkretisierung ist nicht in der Legaldefinition des Versklavungstatbestandes innerhalb des 429 Prosecutor v. Kunarac et al. IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 519. 430 Slavery Convention vom 25. September 1926, 60 L.N.T.S. 253, Art. 1(1); RGBl. 1929 II, 63; Übersetzung Art. 1(1): „Sklaverei ist der Zustand oder die Stellung einer Person, an der die mit dem Eigentumsrechte verbundenen Befugnisse oder einzelne davon ausgeübt werden.“ 431 RGBl. 1929 II, 63 Übersetzung Art. 1(2): „Sklavenhandel umfasst jeden Akt der Festnahme, des Erwerbs und der Abtretung einer Person, in der Absicht, sie in den Zustand der Sklaverei zu versetzen; jede Handlung zum Erwerb eines Sklaven, in der Absicht, ihn zu verkaufen oder zu vertauschen; jede Handlung zur Abtretung eines zum Verkauf oder Tausch erworbenen Sklaven durch Verkauf oder Tausch und überhaupt jede Handlung des Handels mit Sklaven oder der Beförderung von Sklaven.“ 432 Bei der Definierung der sexuellen Sklaverei innerhalb der Elements of Crimes sind die gleichen Beispiele verwendet worden; vgl. Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(c) Abs. 1 und Art. 7(1)(g)-2. Auch die nachfolgende Fußnote, die u. a. auf das Zusatzübereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken von
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ICC Statuts enthalten. Wie auch beim Tatbestand der sexuellen Sklaverei war unklar, ob aus der Konkretisierung der Handlungspraktiken hervorgeht, dass nur monetäre Handlungsweisen vom Tatbestand erfasst sind. Fußnote 11 der Elements of Crimes stellt klar, dass es darauf nicht ankommt433. Das in Art. 1(2) der Sklavereikonvention von 1926 statuierte Verbot des Sklavenhandels wurde ebenfalls im ICC Statut kodifiziert und insoweit konkretisiert, als dass insbesondere der Menschenhandel mit Frauen und Kindern eine Versklavungspraxis darstellt434. Dieser Zusatz ist unter Zuhilfenahme der Fußnote 18 der Elements of Crimes auf den Tatbestand der sexuellen Sklaverei übertragbar435. b) Auswirkung der ICTY Kunarac Rechtsprechung auf den Sklavereitatbestand Kunarac et al.436 war der erste Fall, in dem sich ein internationales Straftribunal mit dem Tatbestand der Versklavung auseinandersetzte; die Entscheidung erging nach den Verhandlungen zu den Elements of Crimes437. Grundlage der Anklage gegen Kunarac und Kovac´ – beide dienten in der serbischen Armee – waren begangene Misshandlungen an Frauen und Kindern in verschiedenster Form. Die Trial Chamber führte aus: „Men and women were separated, with many of the men detained in the former KP Dom Prison. The women were kept in various detention centres where they had to live in intolerably unhygienic conditions, where they were mistreated in many ways including, for many of them, being raped repeatedly. Serb soldiers or policemen would come to these detention centres, select one or more women take them out and rape them. Many women and girls, including 16 of the Prosecution witnesses, were raped in that way. Some of these women were taken out of these detention centres to privately owned apartments and houses where they had to cook, clean
1956 verweist, ist die gleiche, die bei der sexuellen Sklaverei verwendet wurde, vgl. Fn. 11 und Fn. 18 der Elements of Crimes. 433 Vergleiche dazu auch die Ausführungen innerhalb des Tatbestandes der sexuellen Sklaverei Kapitel 5 C.IV. 434 Obokata, 54 ICLQ (2005), 445 (449) „Trafficking [. . .] may be treated as slavery when the traffickers themselves continue to exploit their victims. If the continuous exercise of ownership on the part of the traffickers is terminated (i. e. people being exploited by those other than the traffickers) when they reach their destination, trafficking cannot be regarded as slavery.“ 435 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(g)-2 Crime against humanity of sexual slavery, Abs. 1, Fn. 18, S. 2 „It is also understood that the conduct described in this element includes trafficking in persons, in particular women and children.“ 436 Im Fall Kunarac gab es drei Angeklagte: Dragoljub Kunarac, Radomir Kovac ´ und Zoran Vukovic´. 437 Oosterveld, 25 MJInt’l L (2004), 605 (647).
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and serve the residents, who were Serb soldiers. They were also subject to sexual assaults.“438
Bei der Frage, inwieweit die beschriebenen Handlungen unter dem Tatbestand der Versklavung subsumierbar sind, wertete die Trial Chamber verschiedenste Völkerrechtsquellen aus439 und legte besonderes Gewicht auf die Definition der Sklaverei Konvention von 1926. Weiter stellte es fest, dass die in der im ILC Draft Code von 1996 enthaltene Definition: „establishing or maintaining over persons a status or slavery, servitude or forced labour contrary to well-established and widely recognized standards of international law, such as: the 1926 Slavery Convention; the 1956 Supplementary Slavery Convention, the ICCPR and the 1957 Forced Labour Convention“ als Versklavung deklarierbar und völkergewohnheitsrechtlich anerkannt sei440. Indizien für die Erfüllung des Tatbestandes sind nach Ansicht des ICTY inter alia die Kontrolle und das de facto Besitzrecht des „Eigentümers“, Einschränkungen in der Entscheidungsfreiheit, Bewegungsfreiheit und Autonomie des Opfers, Ausbeutung, unternommene Maßnahmen zur Fluchtverhinderung, Ausübung von Zwang, Drohungen und Nötigungen, die Dauer der Versklavungshandlung441, die Auferlegung von (regelmäßig unentgeltlicher) Zwangsarbeit, welche oft mit Misshandlung, Prostitution und 438 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 573 f. 439 Unter anderem wurden folgende Quellen berücksichtigt: Art. 1 der Slavery Convention von 1926, Art. 7 der Supplementary Slavery Convention von 1956, die Forced or Compulsory Labour Convention von 1930, Art. 1 der Convention Concerning the Abolition of Forced Labour von 1957, Art. 4 der Universal Declaration of Human Rights von 1948, Art. 4(2) der International Covenant on Civil and Political Rights von 1966, Art. 4 der European Convention on Human Rights von 1950, Art. 6 der American Convention on Human Rights von 1966, Art. 5 der African Charter on Human and Peoples’ Rights von 1981, Art. 6 der Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Woman von 1979, Art. 11(1) der Convention on the Rights of the Child von 1989, Art. 21 des Draft Code of Crimes against Peace and Security of Mankind von 1991, Art. 18 des Draft Code of Crimes against Peace and Security of Mankind von 1996, Gemeinsamer Art. 3 und Art. 24, 27, 32, 40, 42, 51 und 95 der Geneva Convention IV von 1949, Art. 75, 76(1) und 77 des Additional Protocol I to the 1949 Geneva Conventions von 1977, Art. 4, 5, 17 des Additional Protocol II to the 1949 Geneva Conventions von 1977. 440 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 537 „As a body consisting of experts in international law, including government legal advisers, elected by the General Assembly, the work of the ILC, at least to this issue, may be considered as evidence of customary international law.“ 441 Nach Ansicht des Tribunals ist die Wichtigkeit dieses Indikators gekoppelt an die Ausprägung des Vorliegens des Besitzrechtes; Prosecutor v. Kunarac et al., IT-9623 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 542. Vertritt man die Ansicht, dass Menschenhandel notwendigerweise die Überquerung einer internationalen Grenze erfordert [dazu siehe unten D.III.1.] so liegt etwa keine Sklaverei in der Form des Menschenhandels vor, wenn der Täter, der nicht gleichzeitig ein Menschenhändler ist, es vor Überquerung der Grenze dauerhaft unterlässt, sich ein Eigentumsrecht am Opfer anzumaßen und dieses auszunutzen; vgl. Obokata, 54 ICLQ (2005), 445 (449).
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Menschenhandel verbunden ist, sowie die Existenz eines Vorteils auf Seiten des Täters und die regelmäßige Nichtzustimmung des Opfers. Das ICTY hat bezüglich beider letzterer Punkte klargestellt, dass diese nicht als konstitutive Voraussetzung für die Erfüllung des Tatbestandes betrachtet werden dürfen442. Das „Zur Verfügung Stellen“ einer Person als Austausch für einen pekuniären Vorteil ist ebenso wenig notwendig wie das Vorliegen einer Zustimmung durch das Opfer443. Allein die Möglichkeit, dass eine Person gekauft, verkauft oder getauscht werden kann, ist allerdings gewöhnlich kein ausreichendes Indiz eo ipso für die Erfüllung des Tatbestandes444. Vielmehr muss eine Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung aller relevanten Indizien vorgenommen werden445. Die ICTY Trial Chamber hat in Kunarac bei der Aburteilung der begangenen Versklavungshandlungen auf den Tatbestand der Sklaverei abgestellt und keinen konstitutiven nexus zu Handlungen von sexueller Gewalt gefordert. Vielmehr sei sexuelle Gewalt nur einer der Faktoren für die Frage, ob eine Versklavungshandlung vorliegt. Die Appeals Chamber hat in diesem Zusammenhang erklärt, dass sexuelle Sklaverei und Sklaverei zwei unterschiedliche Tatbestände sind446. Legt man die von den Tätern begangenen Praktiken und Hauptzwecke zu Grunde, so wäre nach eigener Einschätzung eine Verurteilung wegen sexueller Sklaverei akkurater gewesen447. Weil jedoch der Tatbestand nicht explizit in Art. 5 des ICTY Statutes enumeriert ist, hat das Gericht auf den gewöhnlichen Sklavereitatbestand zurückgegriffen. Dadurch hat das Gericht zu erkennen gegeben, dass Sklaverei sowohl sexuelle Sklaverei als auch Zwangsarbeit darstellen kann. Ob die Zwangsheirat eo ipso Sklaverei, sexuelle Sklaverei oder ein (neuer) eigener Tatbestand ist, ist höchst umstritten und an anderer Stelle erörtert448. 442
Prosecutor v. Kunarac, et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 120. Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 540 ff.; Prosecutor v. Kunarac, et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 120. 444 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 543 „[. . .] the mere ability to buy, sell, trade or inherit a person or his or her labours or services [. . .] is not sufficient“. 445 Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 542; Prosecutor v. Kunarac, et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 121. 446 Prosecutor v. Kunarac, et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-A (12. Juni 2002), Abs. 1117; Oosterveld, 25 MJInt’l L (2004), 605 (648) „The Appeals Chamber also clarified that the definition of contemporary forms of slavery is different from the traditional definition of chattel slavery. Therefore, the victim does not need to be subjected to the more extreme rights of ownership associated with ,chattel slavery‘ in order to qualify as sexual slavery.“ 447 Vgl. auch Oosterveld, 25 MJInt’l L (2004), 605 (647) „The women were personally raped by the three accused, and were also lent, ,rented out‘ and sold to soldiers for the purpose of being raped. Two of the accused were found by the Tribunal to have treated the women as their personal property. One accused forced two of the women to dance naked on a table while watching them.“ 443
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4. Mens rea Unter mens rea Gesichtspunkten muss sich der Täter mit Absicht oder Wissen die Ausübung aller oder einzelner mit einem Eigentumsrecht an einer Person verbundenen Befugnisse angemaßt haben449. Unabhängig vom mens rea Erfordernis bezüglich der spezifischen Versklavungshandlung muss der Täter in Einklang mit den generellen mens rea Grundsätzen zusätzlich über konstruktives Wissen vom makrokriminellen Gesamtkontext verfügen. Ihm muss zudem nachgewiesen werden, dass er weiß, dass sich seine Handlung als Teil des Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellt.
III. [Nicht sexualisierte] Sklavereiähnliche Praktiken („slavery related practices“) Aus dem 1984 veröffentlichten Whitaker Report of Slavery geht hervor, dass die originäre Versklavung in vielfältigen Ausprägungen auf die heutige Zeit adaptiert worden ist. „sklavereiähnliche Praktiken“ schließen demnach Apartheid, Kolonialismus, Schuldknechtschaft, Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Menschenhandel mit Frauen, Kindern und Arbeitern, die Ausnutzung von Drogenabhängigen und andere vergleichbare Praktiken ein450. Während Schuldknechtschaft, Zwangsarbeit und nunmehr auch Menschenhandel einen anerkannten internationalen Verbrechensstatus erreicht haben, ist bei anderen ähnlichen Praktiken unklar, ob sie aus völkergewohnheitsrechtlicher Sicht unter dem Tatbestand der „sklavereiähnlichen Praktiken“ subsumierbar sind. 1. Menschenhandel („trafficking in persons“) Das dogmatische Konzept des Menschenhandels hat sich zwar im Laufe der Zeit zunehmend konkretisiert, ist allerdings weiterhin relativ wage. Der Begriff „Handel“ („traffic“) wurde erstmalig in Verbindung mit dem „Weißen Sklavenhandel“ um 1900 verwendet und kennzeichnete vornehmlich die Verschleppung von weißen Frauen nach Arabien und in die Oststaaten, um sie dort als „Konkubinen“ und Sklaven zu halten451. Dementsprechend wurden 1904 und 1910 internationale Vereinbarungen zur Bekämpfung des Menschenhandels getroffen. 448
Dazu siehe oben C.IX. Prosecutor v. Kunarac et al., IT-96-23 und IT-96-23/1-T (22. Februar 2001), Abs. 781. 450 Slavery: Report prepared by Benjamin Whitaker, Special Rapporteur of the SubCommission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, updating the Report on Slavery submitted to the Sub-Commission in 1966, U.N. Doc. E/CN.4/ Sub.2/1982/20/Rev.1 (1984). 451 Pearson, Human Rights and Trafficking in Persons: A Handbook, 20. 449
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Das erste völkerrechtliche Instrumentarium, welches explizit ein Verbot des Menschenhandels kodifizierte, war die Internationale Übereinkunft zur Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels vom 30. September 1921452. Gemäß Art. 1 verpflichteten sich die Mitgliedsstaaten, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um Personen, die sich des Menschenhandels mit Kindern strafbar gemacht haben, sowie ein Verbrechen im Sinne des Artikel 1 der Konvention von 1910453 begangen haben, aufzuspüren und abzuurteilen. Art. 2 setzte vergleichbare Verpflichtungen für den Versuch des Menschenhandels fest. Art. 4 kodifizierte eine Auslieferungsverpflichtung für den Fall, dass das Verbrechen unter Art. 1 der Konvention von 1910 fiel. Seitdem hat der Tatbestand eine zunehmende Kodifizierung erfahren454. 452 International Convention for the Suppression of the Traffic in Women and Children, 9 L.N.T.S. 415 (1921). 453 International Convention for the Suppression of the White Slave Traffic v. 4. Mai 1910, 211Consol.T.S. 45 (1912), s. a. Art. II und III; Abgedruckt in Bassiouni, International Criminal Law Conventions and Their Penal Provisions, 665. 454 Die International Convention for the Suppression of the Traffic in Women of Full Age von 1933, 150 L.N.T.S. 431; Protocol to Amend the Convention for the Suppression of the Traffic in Women and Children, Concluded at Geneva on 30 September 1921, and the Convention for the Suppression of Traffic in Women of Full Age, Concluded on October 1933, and (a) Annex to the Protocol to Amend the Convention for the Suppression of the Traffic in Women and Children, Concluded at Geneva on 30 September 1921, and the Convention for the Suppression of Traffic in Women of Full Age, Concluded at Geneva on 11 October 1933 vom 12. November 1947; International Convention for the Suppression of the Traffic in Women and Children, Concluded at Geneva on 30 September 1921, as Amended by the Protocol Signed at Lake Success, New York vom 12 November 1947; International Convention for the Suppression of the Traffic in Women of Full Age, Concluded at Geneva on 11 October 1933, as Amended by the Protocol Signed at Lake Success, New York vom 12 November 1947; Protocol amending the International Agreement for the Suppression of White Slave Traffic, Signed at Paris on May 18, 1904, and the International Convention for the Suppression of White Slave Traffic, Signed at Paris on May 4, 1910, and (a) Annex to the Protocol Amending the International Agreement for the Suppression of the White Slave Traffic, Signed at Paris, on May 18, 1904, and the International Convention for the Suppression of the White Slave Traffic, Signed at Paris on May 4, 1910 vom 4. Mai 1949; International Agreement for the Suppression of the White Slave Traffic Signed at Paris on 18 May 1904, as Amended by the Protocol Signed at Lake Success, New York vom 4. Mai 1949; International Convention for the Suppression of the White Slave Traffic, Signed at Paris on 4 May 1910, and as Amended by the Protocol Signed at Lake Success New York vom 4. May 1949; Convention for the Suppression of the Traffic in Persons and of the Exploitation of the Prostitution of Others, vom 21. März 1950; Protocol Amending the Slavery Convention Signed at Geneva on September 25, 1926 and (a) Annex to the Protocol Amending the Slavery Convention Signed at Geneva on September 1926, vom 7. Dezember 1953; Slavery Convention Signed at Geneva on September 25, 1926 and Amended by the Protocol Opened for Signature or Acceptance at the Headquarters of the United Nations, New York on December 7, 1953 vom 7. Dezember 1953; Supplementary Convention on the Abolition of Slavery, the Slave Trade and Institutions and Practices Similar to Slavery, vom 7. September 1956; alle Verträge und Protokolle abgedruckt in Bassiouni, International Criminal Law Conventions and Their Penal Provisions. Neuere Völkerrechts-
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Bevor der Tatbestand des Menschenhandels explizit als Versklavungsvariante in das Rom Statut aufgenommen wurde, war jedoch aufgrund der geringen Ratifikationsbereitschaft innerhalb der Staatengemeinschaft unklar, ob der Tatbestand (völkergewohnheitsrechtlich) als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeordnet werden konnte455. Was die konkrete Definition betrifft, ergeben sich Schwierigkeiten, da Konkretisierungen weder in den Elements of Crimes, noch im ICC Statut selbst enthalten sind. Insofern wird vorgeschlagen, als Leitlinie auf Art. 3 des U.N. Zusatzprotokolls zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels gegen die grenzüberschreitende Kriminalität vom 15. November 2000 zurückzugreifen. Danach soll gemäß Abs. (a) „Trafficking in persons „shall mean the recruitment, transportation, transfer, harbouring or receipt of persons, by means of threat or use of force or other forms of coercion, of abduction, of fraud, of deception, of the abuse of power or of a position of vulnerability[63] or of the giving or receiving of payments or benefits to achieve the consent of a person having control over another person, for the purpose of exploitation. Exploitation shall include, at a minimum, the exploitation of the prostitution of others or other forms of sexual exploitation[64], forced labour or services, slavery or practices similar to slavery[65], servitude or the removal of organs.[66] Fn. 63: The trauvaux préparatoires should indicate that the reference to the abuse of a position of vulnerability is understood to refer to any situation in which the person involved has no real and acceptable alternative but to submit to the abuse involved. Fn. 64: The trauvaux préparatoires should indicate that this protocol addresses the exploitation of prostitution and other forms of sexual exploitation only in the context of trafficking in persons. The terms ,exploitation of prostitution of other‘ or ,other forms of sexual exploitation‘ are not defined in the Protocol. The Protocol is therefore without prejudice to how State Parties address prostitution in their respective domestic laws. Fn. 65: The travaux préparatoires should indicate that the removal of organs from children with the consent of a parent or guardian for legitimate legal or therapeutic reasons should not be considered exploitation. Fn. 66: The travaux préparatoires should indicate that where illegal adoption amounts to a practise similar to slavery as defined in article 1, paragraph (d) of the Supplementary Convention on the Abolition of Slavery, the Slave Trade, and Institutions and Practices Similar to Slavery, 2it will also fall within the scope of the Protocol.“
In Art. 3(b)–(d) wird weiter konkretisiert: „(b) The consent of a victim of trafficking in persons to the intended exploitation set forth in subparagraph (a) of this article shall be irrelevant where any of the means set forth in subparagraph (a) are established;[67] [68] quellen sind: Protocol to Prevent, Suppress and Punish Trafficking in Persons, Especially Women and Children, supplementing the United Nations Convention against Transnational Organized Crime vom 15. November 2000; Protocol against the Smuggling of Migrants by Land, Sea and Air, supplementing the United Nations Convention against Transnational Organized Crime vom 15. November 2000; EU Council Framework Decision on Combating Trafficking in Human Beings vom 19. Juli 2002; EU Council Framework Decision on the Strengthening of the Penal Framework to Prevent the Facilitation of Unauthorised Entry, Transit and Residence vom 28. November 2002; abgedruckt in: Van den Wyngaert, International Criminal Law, 969 ff. 455 Vor der Aufnahme in das Rom Statut war der Tatbestand des Menschenhandels in keinem Statut einer internationalen Tribunals enthalten.
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(c) The recruitment, transportation, transfer, harbouring or receipt of a child for the purpose of exploitation shall be considered „trafficking in persons“ even if this does not involve any of the means set forth in subparagraph (a) of this article; (d) ,Child‘ shall mean any person under eighteen years of age.456 Fn. 67: The travaux préparatoires should indicate that this subparagraph should not be interpreted as restricting the application of mutual legal assistance in accordance with article 18 of the Convention. Fn. 68: The travaux préparatoires should indicate that subparagraph (b) should not be interpreted as imposing any restriction on the right of accused persons to a full defence and to the presumption of innocence. [. . .].“457
Art. 3 des Zusatzprotokolls zur Konvention gegen das Transnationale organisierte Verbrechen beinhaltet eine der ersten Legaldefinitionen des Menschenhandels458. Aufgrund des weit reichenden Ratifikationsstatuts ist ihr ein starkes rechtliches Gewicht beizumessen459, zumal sich eine gleichlautende Definition in Art. 4 der am 26. Mai 2005 verabschiedeten Council of Europe Convention on Action against Trafficking in Human Beings finden läßt. Nicht verwechselt werden sollte der Tatbestand des Menschenhandels mit dem des „Schmuggelns von Personen“460. Erstens ist beim Menschenhandel erforderlich, dass der Täter Gewalt anwendet oder täuscht. Im Gegensatz zum Schmuggeln von Personen gibt es demnach keinen freiwilligen Menschenhandel. Die Existenz einer ökonomischen Zwangslage, die unabhängig von der Kontrolle des Menschenhändlers vorherrscht, wird teilweise als ausreichend erachtet461. Zweitens setzt der Tatbestand in Abgrenzung zum Schmuggeln von Personen voraus, dass der Täter auch nach Beendigung der „Transporthandlung“ zumindest die Absicht haben muss, das Opfer auszunutzen462. Während in frü456 Protocol to Prevent, Suppress and Punish Trafficking in Persons, Especially Women and Children, supplementing the United Nations Convention against Transnational Organized Crime vom 15. November 2000, Art. 3; U.N. Doc. GA Res. 55/25, 8. Juni 2001, Annex I und II; abgedruckt in: Van den Wyngaert, International Criminal Law, 971. 457 Zu den Interpretationsnotizen siehe den Report of the Ad Hoc Committee on the Elaboration on the Convention against Transnational Organized Crime, Interpretative Notes for the Official Records, U.N. Doc. A/55383/Add.1 (3. November 2000). 458 Obokata, 54 ICLQ (2005), 445 (446); für eine Analyse des Verhandlungsprozesses des Protokolls vgl. Gallagher, 23 HRQ (2001), 975 ff. 459 Derzeitig sind 95 Staaten dem Protokoll beigetreten (Stand: 29. Dezember 2005). 460 Im „Protocol against the Smuggling of Migrants by Land, Sea and Air, Supplementing the United Nations Convention against Transnational Organized Crime“ ist in Art. 3(a) das „smuggling of migrants“ definiert als „the procurement, in order to obtain, directly or indirectly, a financial or material benefit, of illegal entry of a person into a State party of which the person is not a national or permanent resident“. 461 Malone, 25 FInt’LJ (2001), 54 (89 ff.); Chuang, 11 Harv. Hum.Rts.J (1998), 65 (93 f.). 462 Ob eine tatsächliche Ausnutzungshandlung und nicht nur Ausnutzungsvorsatz notwendig ist, ist umstritten, dafür: Piotrowicz, 14 IJRL (2002), 263 (266); dagegen Chuang, 11 Harv.Hum.Rts.J (1998), 65; Obokata, 54 ICLQ (2005), 445 (450). Das
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heren Konventionen das Schwergewicht auf Prostitutionshandlungen und sexuelle Ausbeutung gelegt wurde, geht aus den obigen travaux préparatoires Interpretationsnotizen zu Art. 3 hervor, dass jede Form der Ausbeutung, also mitunter auch die Auferlegung von (nicht sexueller) Zwangsarbeit, ausreichend ist463. Drittens ist regelmäßig zur Erfüllung des Tatbestandes des Menschenhandels die Überquerung einer nationalen Grenze notwendig. Nach Ansicht vieler Delegierter musste ein internationaler Bezug vorliegen, um das Protokoll an die Konvention zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels gegen die grenzüberschreitende Kriminalität angleichen zu können464. Letztendlich hat sich zwar die Auffassung durchgesetzt, dass Menschenhandel auch innerhalb einer nationalen Grenze begangen werden kann465, sodass die Restriktion der Internationalität in Art. 3 gestrichen wurde. Allerdings ist aufgrund des Art. 4 eine Aburteilung von nationalem Menschenhandel nicht möglich, weil ein Anwendungsgleichlauf zwischen dem Protokoll und der Konvention gewährleistet sein soll. Fraglich ist aber, ob letztere Restriktion auf den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit übertragbar ist, da die Konvention gegen das Transnationale Organisierte Verbrechen und der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit eine unterschiedliche Schutzrichtung und Zwecksetzung verfolgen. Der Lösungsansatz bezüglich des Problems, ob der Tatbestand der Folter aufgrund der restriktiven Definition in der Folgerkonvention von 1984 auch bei einer Folterhandlung im Rahmen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit nur durch einen Staatsbeamten ausgeübt werden kann466, scheint hier analog anwendbar zu sein. Viertens muss das Opfer im Gegensatz zum Schmuggeln von Personen nicht notwendigerweise illegal in den Staat eingereist sein. Vorstellbar ist, dass der Täter (etwa aufgrund von Bestechungen) formal legale Dokumente bei der Einreise vorweisen kann. Und schließlich fünftens setzt aus einer Zusammenschau zwischen dem Tatbestand des Menschenhandels und des Schmuggeln von Personen letzterer Tatbestand im Gegensatz zum Menschenhandel notwendigerweise die Erbringung einer pekuniären oder sonstigen Gegenleistung voraus.
Problem dreht sich um die Frage, wie der Begriff „for the purpose“ auszulegen ist. Geht man mit der hier vertretenen Ansicht davon aus, dass die reine Absicht zur nachträglichen Ausnutzung ausreichend ist, so ist dieses Element Teil der notwendigen mens rea Voraussetzungen auf Seiten des Täters. 463 Potts, 35 GWInt’l LRev. (2003), 227 (238 f.); Gallagher, 23 HRQ (2001), 975 ff. 464 U.N. Doc. A/AC/254/4/Add.3/Rev.5, 18. In den Drafts zum Protokoll (d.h. vom 1. bis zum 7. Draft) wurde zudem durchgängig der Terminus „international trafficking“ verwendet; U.N. Doc. A/AC 254/Add.3/Rev. 1–7. 465 Pearson, Human Rights and Trafficking in Persons: A Handbook, 20: siehe auch Council of Europe Convention on Action against Trafficking in Human Beings, Art. 2. 466 Dazu siehe oben B.III.2.a)dd).
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2. Schuldknechtschaft („debt bondage“) und Leibeigenschaft („serfdom“) Aufgrund des Verweises der Fußnote 11 (und 18) der Elements of Crimes auf das Zusatzübereinkommen vom 7. September 1956 über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken467 kann direkt auf die dort festgeschriebenen Legaldefinitionen zurückgegriffen werden. Schuldknechtschaft ist in Art. 1(a) definiert als: „eine Rechtsstellung oder eine Lage, die dadurch entsteht, dass ein Schuldner als Sicherheit für eine Schuld seine persönlichen Dienstleistungen oder diejenigen einer von ihm abhängigen Person verpfändet, wenn der in angemessener Weise festgesetzte Wert dieser Dienstleistungen nicht zur Tilgung der Schuld dient oder wenn diese Dienstleistungen nicht sowohl nach ihrer Dauer wie auch nach ihrer Art begrenzt und bestimmt sind.“
Leibeigenschaft ist in Art. 1(b) legaldefiniert als: „die Stellung einer Person, die durch Gesetz, Gewohnheitsrecht oder Vereinbarung verpflichtet ist, auf einem einer anderen Person gehörenden Grundstück zu leben und zu arbeiten und dieser Person bestimmte entgeltliche oder unentgeltliche Dienste zu leisten, ohne seine Stellung selbständig ändern zu können.“
3. Zwangsarbeit Moderne Formen der Zwangsarbeit sind auch heute noch transnational verbreitet; so etwa in der Dominikanischen Republik (bzgl. Haitianischen Migranten), China (sog. „sweat shop“ Praktiken) und Indien. Vor allem soziale und ökonomische Faktoren in manchen Teilen der Welt haben die völlige Abschaffung der Zwangsarbeit unmöglich werden lassen468. Insoweit unterscheidet auch Art. 5 des Übereinkommens gegen Sklaverei von 1926 ausdrücklich zwischen Zwangsarbeit auf der einen und Sklaverei auf der anderen Seite. Lange Zeit war nach Ansicht der Staatengemeinschaft letztere Handlungsweise völlig inakzeptabel, während die erstere (nur) als nicht wünschenswert angesehen wurde469. Ein diesbezügliches Indiz war etwa die geringe Anzahl an Beitrittsstaaten zur Konvention gegen Zwangsarbeit von 1930, in welcher die „Zwangsarbeit“ als strafrechtlicher Tatbestand eingeführt wurde470. 467 Supplementary Convention on the Abolition of Slavery, the Slave Trade and Institution and Practices Similar to Slavery von 1956, 266 U.N.T.S. 3; deutsche Übersetzung in: BGBl. 1958 II, 203. 468 Freilich kann das keine juristische Rechtfertigung für die Ausübung der Zwangarbeit darstellen, da fundamentale Grundwerte der Freiheit und Würde ökonomischen Interessen vorgehen, Oppenheim, International Law: A Treatise, 73. 469 Bassiouni in Bassiouni, International Criminal Law I, 663 (677). 470 Convention Concerning Forced or Compulsory Labour vom 28. Juni 1930, 39 L.N.T.S. 55 (1930), vgl. insb. Art. 25 „The illegal exaction of forced or compulsory
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
Durch das ICC Statut ist die Zwangsarbeit nunmehr kriminalisiert worden. Zwar ist der Tatbestand nicht explizit im Statut enummeriert, jedoch geht aus zwei wortgleichen Fußnoten der Elements of Crimes hervor, dass Zwangsarbeit sowohl Versklavung als auch sexuelle Sklaverei darstellen kann471. Auch die Zwangsarbeit innerhalb der Ehe ist vom Tatbestand umfasst472. In Iwanowa v. Ford Motor Company ist Zwangsarbeit schließlich explizit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit deklariert worden473. a) Schutzgut Das Verbot der Zwangsarbeit schützt zum einen die Würde und körperliche Unversehrtheit des Opfers, seinen Lebensunterhalt nach den eigenen Vorstellungen und Wünschen unter Achtung der körperlichen Gesundheit zu verdienen, und zum anderen, durch die Gewährung des gerechten Aushandelns und Eingehens von Arbeitsbedingungen, die Entscheidungsfreiheit bezüglich des Ausmaßes der Eingehung von Rechten und Pflichten innerhalb des Rechtsverkehrs. Grundlegendes Schutzgut des Tatbestandes ist die Wahrung der Freiheit. b) Actus reus Grundelement des Tatbestandes ist der „Zwang“ zur Arbeit. In diesem Zusammenhang wird von der Arbeitgeberseite regelmäßig geltend gemacht, der actus reus der Zwangsarbeit sei schon deshalb nicht erfüllt, weil der „Arbeitnehmer“ in die Arbeitsbedingungen freiwillig eingewilligt habe und es ihm prinzipiell freistehe, die Vertragsbeziehung jederzeit zu beenden474. Die Verbindung zwischen ihm und dem Arbeitnehmer basiere lediglich auf freier Wahl, Zustimmung und Freiheit. Diese Argumentationsweise ist freilich zum einen in den meisten Fällen weltfremd und verkennt die realen Subordinationsverhältnisse; insbesondere wenn Kinder zur Arbeit gezwungen werden. Zum anderen kommt es auf die Vorstellung des Arbeitnehmers gar nicht an, da auf den Willen des Opfers abzustellen ist.
labour shall be punishable as a penal offence, and it shall be an obligation on any Member ratifying this Convention to ensure that the penalties imposed by law are really adequate and are strictly enforced. (Eigene Hervorhebung.) Nur 15 Staaten sind der Konvention beigetreten; die Konvention richtete sich jedoch vorwiegend an Kolonialstaaten. 471 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(c), Fn. 11; Art. 7(1)(g)-2, Fn. 18. 472 DeBrouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, 89. 473 Iwanowa v. Ford Motor Company (13. September 1999), 67 F. Supp.2d (1999), 424 mit Berufung auf die Nürnberger Prinzipien. 474 Bassiouni in Bassiouni, International Criminal Law I, 663 (671).
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In Milch wurde festgestellt, dass die Verwendung eines üblichen Arbeitsvertrages eine fiktive Methode darstellen kann, mit der das Nichtvorhandensein von wirklicher Zustimmung verschleiert werden soll475. Selbst die Tatsache, dass dem Arbeiter theoretisch erlaubt war, seine Ersparnisse in ein anderes Land zu transferieren, muss nicht notwendigerweise zu der Annahme führen, dass Zustimmung vorlag476. Die Zwangsarbeit muss unter Zugrundelegung der Regelungen zum Versklavungstatbestand zudem nicht notwendigerweise auf einem pekuniären Vorteil basieren (gedacht sei an den Fall, dass Zwangsarbeit als Strafsanktion erlassen wird). Anzumerken sei jedoch, dass die Ausübung von Zwangsarbeit gerechtfertigt sein kann; insbesondere dann, wenn sie in einem außerordentlichen, direkten Interesse für die Allgemeinheit angeordnet ist, die sofortige und immanente Ausführung notwendig ist, es unmöglich ist, auf freiwilliger Basis zu angemessener Bezahlung und Arbeitsbedingungen die Arbeit verrichten zu lassen, die Zwangsarbeit kein überproportional schweres Opfer für die Betroffenen darstellt, den Betroffenen ihren derzeitigen örtlichen Lebensmittelpunkt belässt, sowie in Einklang mit Religionsvorstellungen, dem Gesellschaftsleben und der Landwirtschaft ist477. Weitere Einschränkungen sehen Art. 16 und Art. 18 der Konvention gegen Zwangsarbeit vor, wonach inter alia der Arbeiter vor Arbeitsantritt medizinisch untersucht oder, falls dies unmöglich ist, in anderer Art und Weise sichergestellt werden muss, dass körperliche Fitness gegeben ist, und während der Arbeit aufrechterhalten bleibt. Zudem sind ein Maximum an Dauer und Länge der Arbeitszeit sowie der Anteil der abberufenen männlichen Erwachsenen, die in der Gesellschaft leben, vorgeschrieben. Das Abtransportieren von Waren oder Personen mit Hilfe von Zwangarbeit ist nur im Ausnahmefall zulässig. c) Mens rea Bei den mens rea Erfordernissen ergeben sich keine Besonderheiten. Neben dem mens rea Erfordernis bezüglich der spezifischen Ausübung der Zwangsarbeit muss der Täter in Einklang mit den generellen mens rea Grundsätzen über konstruktives Wissen vom makrokriminellen Gesamtkontext verfügen. Ihm muss zudem nachgewiesen werden, dass er weiß, dass sich seine Handlung als Teil des Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellt.
475 US Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 17. April 1947 [Milch], Trials of War Criminals, Bd. 2, 773 (789). 476 IMT-Mat. Bd. I, 246. 477 Convention Concerning Forced and Compulsatory Labor vom 28. Juni 1930, 39 L.N.T.S. 55, Art. 10 Abs. 2.
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4. Kinderarbeit Nicht unumstritten ist, ob der Tatbestand der Kinderarbeit eine „sklavereiähnliche Handlung“ ist, die delicta iuris gentium Status erreicht hat. So wird darauf hingewiesen, dass Kinderarbeit (vor allem in Entwicklungsländern) aufgrund der Verdienstmöglichkeit für das Kind vorteilhaft sei und mit Zustimmung und Überwachung der Eltern oder des Betreuers stattfände. Zudem sei aus actus reus Gesichtspunkten die Kindesarbeit keine Sklaverei, da sich der Arbeitnehmer kein volles Eigentumsrecht an dem Kind anmaßen wolle und der Zeitraum der Arbeitsverrichtung im Gegensatz zur traditionellen Sklaverei begrenzt(er) ist478. Unter Anwendung des ejusdem generis Grundsatzes könne die Handlung demnach (mangels vergleichbarer Schwere) keine „sklavereiähnliche Handlung“ darstellen. Gegen obige Auffassung spricht jedoch, dass das Kind dem erwachsenen Arbeitgeber aus tatsächlicher Sicht physisch unterlegen ist, und aus rechtlicher Sicht aufgrund beschränkter Mündigkeit oft keine oder nur eingeschränkte Kontrolle über seine Behandlung hat. De facto ist Kinderarbeit eine „sklavereiähnliche Handlung“479. Die Elements of Crimes haben sich durch die Einbeziehung des Zusatzübereinkommen vom 7. September 1956 über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken480 letzterer Ansicht angeschlossen. Denn in Art. 1(d) des Übereinkommens ist Kinderarbeit als sklavereiähnliche Praktik explizit aufgeführt481.
IV. Zwangsweises Verschwindenlassen von Personen („enforced disappearance“) 1. Schutzgut Die Tathandlung des zwangsweisen Verschwindenlassens von Personen geht auf die in den sechziger und Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts vornehmlich in Südamerika (etwa von Auguste Pinochet) verübte Politik 478
Zum Ganzen Bassiouni in Bassiouni, International Criminal Law I, 663 (671). Vgl. Bassiouni in Bassiouni, International Criminal Law I, 663 (671). 480 Supplementary Convention on the Abolition of Slavery, the Slave Trade and Institution and Practices Similar to Slavery von 1956, 266 U.N.T.S. 3; deutsche Übersetzung in: BGBl. 1958 II S. 203. Siehe auch Fn. 11 und Fn. 18 der Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(c) und Art. 7(1)(g)-2. 481 Nach Art. 1(d) der Supplementary Convention on the Abolition of Slavery, the Slave Trade and Institution and Practices Similar to Slavery von 1956 ist Kinderarbeit zu definieren als „any institution or practice whereby a child or young person under the age of 18 years, is delivered by either or both of his natural parents or by his guardian to another person, whether for reward or not, with a view to the exploitation of the child or young person of his labour.“ 479
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zurück, Oppositionelle und Gegner des Staates ohne Rechtsgrundlage zu verhaften und ohne Auskunftserteilung über den Zielort und Grund der Verhaftung in permanenten Gewahrsam zu nehmen482. Obwohl vergleichbare Tathandlungen schon durch das IMT Statut im Rahmen der „anderen unmenschlichen Handlungen“ aburteilsfähig waren483, ist bis zu Beginn der neunziger Jahre der Tatbestand nicht kodifiziert worden. Im Jahre 1979 hat sich die UN Generalversammlung in Resolution 33/173 mit „verschwundenen Personen“ beschäftigt484 und festgestellt, dass diese bisherig nicht durch das Völkerrecht geschützt sind. Im Jahr 1980 ist daraufhin von der Kommission der Menschenrechte eine Arbeitsgruppe für zwangsweises und unfreiwilliges Verschwindenlassen eingerichtet worden. Auf Grundlage ihrer Arbeit wurde am 18. Dezember 1992 von der UN Generalversammlung die „Declaration on the Protection of all Persons from Enforced Disappearance“ verabschiedet. In der Präambel finden sich erste Ansätze einer Definition. In Art. 1 ist zudem die Schutzrichtung485 des Verbre482 Leh, 20 NYUJInt’l L&Pol. (1987), 405 (409). Freilich gab es schon zuvor staatlich begangene Tathandlungen, welche als zwangsweises Verschwindenlassen von Personen klassifizierbar sind; etwa Stalins Gulag Politik oder die „Nacht und Nebel“ Dekrete Hitlers; Clark in: Politi/Nesi, The Rome Statute of the International Criminal Court, 75 (87); Robinson, 93 AJIL (1999), 43 (58, Fn. 76). 483 Kittichaisaree, International Criminal Law, 122; Robinson, 93 AJIL (1999), 43 (58, Fn. 76). 484 Vor der Resolution 33/173 wurden „verschwundene Personen“ (disappeared persons) als „vermisste Personen“ (missing persons) bezeichnet. 485 Für eine Einordnung des Schutzgutes des Verbrechens vgl. Office of the High Commissioner for Human Rights, Fact Sheet No. 6 (Rev. 2), Enforced or Involuntary Disappearances „A disappearance is a doubly paralyzing form of suffering: for the victims, frequently tortured and in constant fear for their lives, and for their family members, ignorant of the fate of their loved ones, their emotions alternating between hope and despair, wondering and waiting, sometimes for years, for news that may never come. The victims are well aware that their families don’t know what has become of them and that the chances are slim that anyone will come to their aid. Having been removed from the protective precinct of the law and „disappeared“ from society, they are in fact deprived of all their rights and are at the mercy of their captors. If death is not the final outcome and they are eventually released from the nightmare, the victims may suffer a long time from the physical and psychological consequences of this form of dehumanization and from the brutality and torture which often accompany it. The family and friends of disappeared persons experience slow mental torture, not knowing whether the victim is still alive and, if so, where he or she is being held, under what conditions, and in what state of health. Aware, furthermore, that they too are threatened; that they may suffer the same fate themselves, and that to search for the truth may expose them to even greater danger. The family’s distress is frequently compounded by the material consequences resulting from the disappearance. The missing person is often the mainstay of the family’s finances. [. . .] In same cases, national legislation may make it impossible to receive pensions or other means of support in the absence of a certificate of death. Economic and social marginalizations are frequently the result. I. Rights violated by the practice of disappearance. The practice of enforced disappearance of persons infringes upon an entire range of human rights embodied in the Universal Declaration of Human Rights and set out in both International Covenants on Human Rights as well as in other major international human rights in-
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chens präzisiert. Das zwangsweise Verschwindenlassen ist demnach ein fundamentaler Angriff auf die Würde und Freiheit, da es ernsthafte Leiden für die Opfer und ihre Familien verursacht486. Die Deklaration hatte jedoch keine rechtsverbindliche Wirkung und veranlasste nur wenige Staaten, spezifische Maßnahmen zu ergreifen, um den dort festgelegten Standards zu entsprechen. 2. Definitionsbestimmung des „zwangsweisen Verschwindenlassens“ von Personen In Art. II der Inter-American Convention on Forced Disappearance of Persons von 1994 findet sich erstmals eine rechtsverbindliche Definition der Tathandlung. Zwangsweises Verschwindenlassen ist (für den Zweck dieser Konvention) definiert als: „the act of depriving a person or persons of his or their freedom, in whatever way, perpetrated by agents of the state or by persons or groups of persons acting with the authorization, support, or acquiescence of the state, followed by an absence of information or refusal to acknowledge that deprivation of freedom or to give information on the whereabouts of that person, thereby impeding his or her recourse to the applicable remedies and procedural guarantees.“487
Nach der Verabschiedung des Art. 7(2)(h) des ICC Statuts hat zudem die Arbeitsgruppe für zwangsweises und unfreiwilliges Verschwindenlassen am 23. September 2005 einen endgültigen Entwurf für eine „Internationale Konvention für den Schutz aller Personen vor zwangsweises Verschwinden“ vorgelegt. Der Text wurde am 20. Dezember 2006 von der UN Generalversammlung angenommen und liegt seit Februar 2007 zur Ratifikation aus488. In Art. 2 ist der Tatbestand des zwangsweisen Verschwindenlassens von Personen, der – wie Art. 5 struments. Disappearances can also involve serious violations of the Standard Minimum Rules for the Treatment of Prisoners, approved by the United Nations Economic and Social Council in 1957, as well as in the Code of Conduct for Law Enforcement Officials and the Body of Principles for the Protection of All Persons under Any Form of Detention or Imprisonment, adopted by the General Assembly in 1979 and 1988 respectively. The following individual rights may also be infringed upon in the course of a disappearance: The right to recognition as a person before the law; the right to liberty and the security of the person; the right not to be subjected to torture and other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment; the right to life; Disappearances generally violate the right to a family life as well as various economic, social and cultural rights such as the right to an adequate standard of living and the right to education. In fact, it has been found that the disappearance of the family’s main economic support, particularly in less affluent societies, frequently leaves the family in a desperate socio-economic situation in which the majority of the rights enumerated in the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights cannot be realized [. . .].“ 486 Declaration on the Protection of all Persons from Enforced Disappearance, U.N. Doc. A/Res/47/133 (1992). 487 Inter-American Convention on Forced Disappearance of Persons (6. September 1994), abgedruckt in: Van den Wyngaert, International Criminal Law, 561.
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der Konvention feststellt – bei ausgedehnter oder systematischer Praktik ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt, definiert als: „the arrest detention, abduction or any other form of deprivation of liberty [committed489] by agents of the State or by persons or groups or persons acting with the authorization, support or acquiescence of the State, followed by the refusal to acknowledge the deprivation of liberty, or by concealment of the fate or whereabouts of the disappeared person, which place such a person outside the protection of law.“490
Schließlich wurde in Forti v. Suarez Mason ein Verschwindenlassen, welches in Verletzung zum Völkergewohnheitsrecht steht, anhand zweier Elemente definiert: erstens, der Entführung durch einen Staatsbeamten; gefolgt von zweitens, einer offiziellen Weigerung, die Entführung anzuerkennen, oder das Schicksal des Gefangenen bekannt zu geben491. Was die Definition innerhalb des ICC Statuts betrifft, so ist der Tatbestand des zwangsweisen Verschwindenlassens eines der komplexesten Katalogstraftaten innerhalb des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Er ist erstmalig explizit im Rahmen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Art. 7(2)(h) des ICC Statutes völkerstrafrechtlich legaldefiniert worden als: „the arrest, detention or abduction of persons by, or with the authorization, support or acquiescence of, a State or a political organization, followed by a refusal to acknowledge that deprivation of freedom or to give information on the fate or whereabouts of those persons, with the intention of removing them from the protection of the law for a prolonged period of time.“492 488 Derzeitig haben 57 Staaten die Konvention unterzeichnet, allerdings noch nicht ratifiziert (Stand Februar 2007). Die USA lehnen eine Unterzeichnung mit dem Hinweis ab, dass ihre Erwartungen nicht erfüllt worden seien: zur Konvention siehe Heinz, Das neue internationale Ûbereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen, 2008, abrufbar unter: www.institut-fuer-menschenrechte.de (letzter Besuch 1. August 2008). 489 Von der Endversion der Internationalen Konvention für den Schutz aller Personen vor zwangsweisen Verschwinden nicht übernommen. 490 International Convention for the Protection of All Persons from Enforced Disappearance, E/CN.4/2005/WG.22/WP.1/Rev. 4 (2005) 491 Forti v. Suarez Mason (Forti II), Ca. No. C-87-2058-DLJ (N.D. Cal. 6. Juli 1988), 710 ff.; für das Ausgangsurteil Forti v. Suarez Mason (Forti I), 672 F. Supp. 1531; Grundlage der Entscheidung war Rodriguez v. Wilkinson, 505 F. Supp. (1980), 787 (795 ff.) (bestätigt durch andere Gründe 654 F.2d 1382 ff. [1981]) Einen umfassende Analyse des Forti Falles gibt Leh, 20 NYUJInt’lL&Pol. (1987), 405 ff.; vgl. weiter 3rd Restatement, § 702 (c), Reporters Note 11 mit dem Hinweis, dass zwangsweises Verschwindenlassen eine jus cogens Verletzung darstellt; so auch H.R. Comm., General Comment No. 29, States of Emergency (Artikel 4), Abs. 13 (b), U.N. Doc. CCPR/C21/Rev.1/Add.11 (2001); für eine Bewertung der Existenz des Tatbestandes als völkergewohnheitsrechtliche Ausprägung vgl. Abebe-Jira v. Negewo, 72 F.3d (1996), 844 (845 f.); Rodriguez-Fernandez v. Wilkinson, 505 F. Supp. (1980), 787 ff. (bestätigt durch andere Gründe; 654 F.2d 1382 [1981]).
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Art. 7 (1)(i) der Elements of Crimes gibt eine weitere Konkretisierung des Tatbestandes vor. Ein zwangsweises Verschwindenlassen von Personen liegt unter folgenden Voraussetzungen vor: „Article 7(1)(i) Crime against humanity of enforced disappearance of persons23,
24
Elements 1. The perpetrator: (a) Arrested, detained25,
26
or abducted one or more persons; or
(b) Refused to acknowledge the arrest, detention or abduction, or to give information on the fate or whereabouts of such persons. 2. (a) Such arrest, detention or abduction was followed or accompanied by a refusal to acknowledge that deprivation of freedom or to give information on the fate or whereabouts of such person or persons; or (b) Such refusal was preceded or accompanied by that deprivation of freedom. 3. The perpetrator was aware that:27 (a) Such arrest, detention or abduction would be followed in the ordinary course of events by a refusal to acknowledge that deprivation of freedom or to give information on the fate or whereabouts of such person or persons;28 or (b) Such refusal was preceded or accompanied by that deprivation of freedom. 4. Such arrest, detention or abduction was carried out by, or with the authorization, support or acquiescence of, a State or a political organization. 5. Such refusal to acknowledge that deprivation of freedom or to give information on the fate or whereabouts of such person or persons was carried out by, or with the authorization or support of, such State or political organization. 6. The perpetrator intended to remove such person or persons from the protection of the law for a prolonged period of time. Fn. 23: Given the complex nature of this crime, it is recognized that its commission will normally involve more than one perpetrator as a part of a common criminal purpose. Fn. 24: This crime falls under the jurisdiction of the Court only if the attack referred to in elements 7 and 8 occurs after the entry into force of the Statute. Fn. 25: The word ,detained‘ would include a perpetrator who maintained an existing detention. Fn. 26: It is understood that under certain circumstances an arrest or detention may have been lawful. Fn. 27: This element, inserted because of the complexity of this crime, is without prejudice to the General Introduction to the Elements of Crimes. Fn. 28: It is understood that, in the case of a perpetrator who maintained an existing detention, this element would be satisfied if the perpetrator was aware that such a refusal had already taken place.“
492 Vgl. auch die amtliche UN Übersetzung des Art. 7(2)(i), UN. Doc. A/Conf.183/ 9 (17. Juli 1998) [Im Sinne des Absatzes 1] „bedeutet ,Zwangsweises Verschwinden von Personen‘ die Festnahme, den Entzug der Freiheit oder die Entführung von Personen durch einen Staat oder eine politische Organisation oder mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates oder der Organisation, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen oder Auskunft über das Schicksal oder den Verbleib dieser Personen zu erteilen, in der Absicht, sie für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen.“
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3. Actus reus Der Tatbestand des zwangsweisen Verschwindenlassens von Personen hat aufgrund der durchgeführten Anti – Terrorpraktiken der USA, welche die illegale Verschleppung von Terroristen nach Guantanamo und „rendition“493 beinhalteten, zunehmend an praktischer Bedeutung gewonnen494. Das Verbrechen ist als „Oktopus Verbrechen“ sowie „permanentes Verbrechen“ bezeichnet worden495. Zurückführen lassen sich diese Beschreibungen auf die Möglichkeit, verschiedene Täter innerhalb verschiedener Stufen des Verschwindenlassens verurteilen zu können, ohne dass sie notwendigerweise mit Handlungen anderer Täter innerhalb der Handlungskette verbunden sind496. 493 Amnesty International, 5 April 2006, AMR 51/051/2006 USA: Below the radar – Secret flights to torture and ,disappearance‘, 2. „Rendition“ beschreibt „the transfer of individuals from one country to another, by means that bypass all judicial and administrative due process. In the ,war on terror‘ context, the practice is mainly – although not exclusively – initiated by the USA, and carried out with the collaboration, complicity or acquiescence of other governments“. 494 Amnesty International, 5 April 2006, AMR 51/051/2006 USA: Below the radar – Secret flights to torture and ,disappearance‘, 2; Paust, 50 Wayne LRev. (2004), 79 (83) „Since 9/11, we have also experienced roundups of hundreds of foreign persons within the United States and their disappearance for weeks or months in a gulag operated in the name of antiterror“ (84) „After September 11th, the Executive branch has also refused to release names and whereabouts of thousands of persons detained as ,special interest‘ immigration detainees (so-called ,special interest‘ INS detainees), as material witnesses, and as persons detained without trial as alleged security threats here at Guantanamo Bay, Cuba and elsewhere“, und (85) „The secret detention and processing of various detainees engaged in by the Executive branch after 9/11 fits within the definition of forced disappearance of persons that is proscribed by international law in all circumstances.“; Urteile, die Aufgrund der INS Gefangenenproblematik ergangen sind und eine Verletzung des First Amendment der Amerikanischen Verfassung (U.S. Const. amend. I.) und des Freddom of Information Act (5 U.S.C. § 552 [2000]) rügen, zeichnen ein gemischtes Bild; Detroit Free Press v. Ashcroft, 303 F.3d (6th Circ. 2002), 681 (generelle Nichtveröffentlichung von INS Vernehmungen verletzt das First Amendment); North Jersey Media Corp, Inc. v. Ashcroft, 308 F.3d (3. Circ. 2002), 198 (das First Amendment verbietet nicht die generelle Nichtveröffentlichung von Vernehmungen von Gefangenen, die beschuldigt werden, in Verbindung zu terroristischen Aktivitäten zu stehen) (certioriari abgelehnt 538 U.S. (2003), 1056); s. a. Center for National Security Studies v. United States Dep. Of Justice, 331 F. 3d (D.C. Circ. 2003), 918, bei welchem die Verletzung von einem „rational link“ abhängig gemacht wird. Die Exekutive konnte dieses Erfordernis nicht erfüllen „because its declarations provided no evidence that the detainees actually have any connection to, or knowledge of, terrorist activity“. Das Gericht hob aber auch hervor, dass die Namensveröffentlichung ein „national security issue“ sei, und dass „the government’s expectation that the disclosure of the detainees’ names would enable al Quaida or other terrorist groups to map the course of the investigation and thus develop the means to impede is reasonable“. 495 Kittichaisaree, International Criminal Law, 123. 496 Diese Erkenntnis ist das Ergebnis einer während der Verhandlungen zum ICC Statut kontrovers geführten Debatte. So wurde etwa von den Vereinigten Staaten vorgeschlagen, dass der actus reus nur aus der ersten Tatbestandsalternative bestehen soll,
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
Grundlegend wird zwischen zwei selbständigen Handlungsalternativen unterschieden; erstens, dem Freiheitsentzug als erste, und zweitens, der Nichtanerkennung oder Auskunftsverweigerung als zweite Stufe. Die alleinige Erfüllung entweder der ersten oder der zweiten Stufe ist ausreichend, um die Erfüllung des Tatbestandes zu bejahen; sie sind „alternative Säulen des Tatbestandes“497, die jedoch miteinander verbunden bleiben müssen, um die erforderliche Schwere der Verbrechens zu zeichnen. Ein alleiniger Arrest ohne Nichtanerkennung oder Auskunftsverweigerung (z. B. eines anderen Täters) kann daher nicht den Tatbestand zur Geltung gelangen lassen. a) Freiheitsentzug Innerhalb der Freiheitsentzugsalternative muss dem Täter nachgewiesen werden, dass: erstens der Täter das „Verschwinden“ herbeigeführt hat oder aufrechterhält, entweder durch Verhaftung, durch das Nehmen oder Halten des Opfers in Gewahrsam, oder durch Verschleppung; und zweitens dass die Handlung mit Ermächtigung, Unterstützung oder Billigung des Staates oder einer Organisation erfolgte (und drittens als mens rea Element, dass der Täter die Absicht hatte, das Opfer für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen). Aufgrund der Bifurkationsstruktur des Einzeltatbestandes muss der Freiheitsentzug nach oder während der Aussageverweigerung stattgefunden haben (und der Täter muss sich dessen bewusst gewesen sein). Faktisch bedeutet dies zweierlei; zum einen, dass ein Freiheitsentzug ohne Auskunftsverweigerung (einer anderen oder derselben Person) nicht vom Tatbestand erfasst ist; zum anderen, dass innerhalb
während von einer Gruppe arabischer Staaten der Vorschlag unterbreitet wurde, dass der Täter zumindest beide Stufen des Verbrechens begangen haben muss. Nach dieser Ansicht musste der Täter sowohl das Opfer verhaftet, als auch kumulativ eine Auskunftsverweigerung begangen haben; Witschel/Rückert in: Lee, The International Criminal Court. Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 98 (99 f.); Proposal submitted by the United States of America, Draft Elements of Crimes, Addendum IV Crimes against Humanity, PCNICC/1999/DP.4/Add.1; Proposal submitted by Bahrain, Iraq, Kuwait, Lebanon, the Libyan Arab Jamahiriya, Oman, Qatar, Saudi Arabia, the Sudan, the Syrian Arab Republic and the United Arab Emirates concerning the elements of crimes against humanity, PCNICC/1999/WGEC/DP.39. 497 Witschel/Rückert in: Lee, The International Criminal Court. Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 98 (100); siehe auch Forti v. Suarez Mason (Forti II), Ca. No. C-87-2058-DLJ (N.D. Cal. 6 Juli 1988), 710 ff.; für das Ausgangsurteil Forti v. Suarez Mason (Forti I), 672 F. Supp. 1531. Während in Forti I das Gericht den Tatbestand des zwangsweisen Verschwindenlassens definierte als „(1) taking the individual into custody; and (2) committing a wrongful tortuous act in excess of his authority over that person“ und damit die Klage abwies, weil nur die erste Voraussetzung erfüllt war, wurde in Forti II der Tatbestand definiert als „(1) abduction by state official or their agents; followed by (2) official refusal to acknowledge the abduction or to disclose the detainee’s fate“ und ließ somit die Klage in diesem Punkt zu.
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des Freiheitsentzugs inzident geprüft werden muss, ob eine Auskunftsverweigerung stattfand. Bei dem Begriff des Freiheitsentzugs kann auf die Ausgestaltung und Rechtsprechung zu Art. 7(2)(i) der ICCPR zurückgegriffen werden498. Wie aus der Fußnote 25 der Elements of Crimes hervorgeht, ist die Aufrechterhaltung einer Ingewahrsamnahme ausreichend499. Aus der Fußnote 26 geht hervor, dass auch ein Freiheitsentzug, welcher mit legalen Mitteln herbeigeführt wurde, etwa unter Zuhilfenahme eines Haftbefehles, dennoch unrechtmäßig sein kann, wenn die restlichen Tatbestandsvoraussetzungen (insbesondere mens rea) erfüllt sind. Praktisch bedeutet das, dass sich ein Täter nicht allein dadurch exkulpieren kann, dass der Freiheitsentzug nationalstaatlich „rechtmäßig“ gewesen sei. Von manchen Delegierten wurde dieses Problem generell als Scheindebatte angesehen, da ein Freiheitsentzug, der zu einem zwangsweisen Verschwinden von Personen führt, niemals rechtmäßig sein kann. Andere argumentierten indes, dass es Fälle gegeben hat, bei denen eine legale Verhaftung zu einem zwangsweisen Verschwinden von Personen führte. Durch die Einbeziehung von „rechtmäßigen und unrechtmäßigen“ Handlungen in Fußnote 26 wurde ein Kompromiss gefunden. b) Nichtanerkennung/Auskunftsverweigerung Die zweite Handlungsalternative des Tatbestandes ist nicht nur ein „Umstand“ mit der Konsequenz, dass der Täter sich in jedem Fall zumindest einer Auskunftsverweigerung bewusst gewesen sein muss, sondern selbständige Tatbestandsalternative. Sie greift für den Fall, dass das Opfer sich bereits in Gewahrsam befindet und bildet somit das Spiegelbild zur ersten Variante. In concreto muss sich der Täter geweigert haben, einen vorweggenommenen (korrespondierenden) Freiheitsentzug anzuerkennen oder Auskunft über das Schicksal oder den Verbleib dieser Personen zu erteilen. Die Handlung muss weiter mit Ermächtigung oder Unterstützung des Staates begangen worden sein, und der Täter muss die Absicht gehabt haben, durch die Auskunftsverweigerung dem Opfer für längere Zeit den Schutz des Gesetzes zu entziehen.
498
Pocar in: Politi/Nesi, The Rome Statute of the International Criminal Court, 67
(69). 499 Witschel/Rückert in: Lee, The International Criminal Court. Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 98 (101) „a director of a detention facility knowingly accepting control over a victim who had already been made to „disappear“ by another person, may be held responsible because he/she continues an existing deprivation of freedom“.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
c) Beteiligung des Staates Aus dem Zusammenspiel zwischen Punkt 5 und 6 innerhalb des Art. 7 (1)(i) der Elements of Crimes geht hervor, dass die Voraussetzung bezüglich der Staatenbeteiligung bei dem Freiheitsentzug und der Nichtanerkennung/Auskunftsverweigerung differieren. Während bei ersterer die reine Billigung des Staates genügt, ist bei der Nichtanerkennung/Auskunftserteilung die reine Duldung des Staates nicht ausreichend500. Zurückführen lässt sich dies auf eine Angleichung des englischen Entwurfs an den Französischen501. Aus den Elements of Crimes geht indes nicht explizit hervor, ob neben der Beteiligung des Staates bezüglich des Freiheitsentzugs zusätzlich auch (im Rahmen der Inzidentprüfung) die Beteiligung des Staates für die vorherige Auskunftsverweigerung nachgewiesen werden müsste (oder vice versa). In Forti v. Suarez Mason wurde hingegen eine staatliche Begehung für beide Begehungsalternativen als „völkergewohnheitsrechtliches“ Erfordernis deklariert502. Folgt man dem, ist fraglich, ob die Existenz einer Beteiligung des Staates auch bei der Freiheitsentzugsalternative durch Indizien, „indirekten Beweis“ und logische Schlussfolgerung belegt werden kann. In Velasquez v. Rodriquez hat der Inter-American Court of Human Rights diese Beweiserleichterung zugelassen, unter der Voraussetzung dass „this type of repression is characterized by an attempt to suppress any information about the kidnapping or the whereabouts and fate of the victim“503. Bei der Tatbestandsalternative der Auskunftsverweigerung greift die Beweiserleichterung zweifellos. Da jedoch auch bei einem Freiheitsentzug im Endeffekt Informationen unterdrückt werden und dem Täter Bewusstsein bezüglich der vorangegangenen Nichtanerkennung oder Auskunftsverweigerung nachgewiesen werden muss, erscheint es gut vertretbar, auch für diesen Fall die Beweiserleichterung greifen zu lassen.
500 Rodriguez v. Wilkinson, 505 F. Supp. (1980), 787 ff. (bestätigt durch andere Gründe 654 F.2d 1382 ff. [1981]). 501 Rome Statute of the International Criminal Court Adopted at Rome on 17 July 1998 – Note by the Secretariat, PCNICC/1999/INF3 (17. August 1999) „Par ces disparitions forcées des personnes, on entend les cas o des personnes sont arretées [. . .] par un État ou une organisation politique ou avec l’autorisation, l’appui ou l’assentiment de cet État ou de cette organisation, qui refuse ensuite d’admettre que ces personnes sont privées de liberté.“ Aus der Beziehung des Wortes „qui“ wurde abgeleitet, dass eine Duldung ausgeschlossen ist. 502 Paust, 50 Wayne LRev. (2004) 79 (86). 503 Velasquez v. Rodriquez, Inter-American Court of Human Rights, 1988, Ser. C, No. 4 (1988).
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d) Andauernder Zeitraum Bezüglich der erforderlichen Dauer der Gefangenschaft gibt es keine strikten Grenzen, so dass auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen ist. In Forti v. Suarez Mason wurde eine Dauer von 4 Jahren als ausreichend erachtet504. Generell dürften jedoch weit geringere Zeiträume ausreichend sein. Verwiesen sei auch auf Rodriguez v. Wilkinson505, wo festgestellt wurde, dass ein Festhalten auf unbestimmte Zeit unrechtmäßig ist und die Freilassung (in diesem Fall Abschiebung) innerhalb eines angemessen Zeitraums nach Abschluss der Abschiebungsermittlungen vollzogen werden muss. e) Keine Rechtfertigung für zwangsweises Verschwindenlassen Aus Art. 10 der Inter-American Convention on Forced Disappearance geht hervor, dass selbst Ausnahmesituationen wie etwa die Bedrohung oder Existenz eines Krieges, innenpolitische Instabilität oder ein anderer öffentlicher Notfall die Begehung des Tatbestandes nicht rechtfertigen können506. Wenn das zwangsweise Verschwindenlassen von Personen jedoch zum Zwecke einer Auslieferungshandlung begangen wird, so soll der Tatbestand nicht erfüllt sein (Artikel 5). Jedoch erscheint fraglich, ob die Einschränkung aufgrund der unterschiedlichen Schutzrichtung und Zwecksetzung zwischen der Inter-American Convention einerseits und des Verbrechens gegen die Menschlichkeit andererseits, die im Gegensatz zur Konvention nicht auf Staatenverpflichtungen, sondern primär auf den Schutz des Individuums abzielt, analogiefähig ist. Dagegen spricht auch Art. 1 i.V. m. Art. 5 der neuen „Disappearance Convention“, in welcher niedergeschrieben ist, dass unter keinen Umständen das Verbrechen der Menschlichkeit in Form des zwangsweisen Verschwindenlassens gerechtfertigt werden kann507.
504 Forti v. Suarez Mason (Forti II), Ca. No. C-87-2058-DLJ (N.D. Cal. 6 Juli 1988), 710 ff.; für das Ausgangsurteil Forti v. Suarez Mason (Forti I), 672 F. Supp. 1531. 505 Rodriguez v. Wilkinson, 505 F. Supp. (1980), 787 (798); (bestätigt durch andere Gründe 654 F.2d 1382 ff. [1981]). 506 Inter American Convention on Forced Disappearance of Persons, Art. X: „In no case may exceptional circumstances such as state of war, the threat of war, internal political instability, or any other public emergency be invoked to justify the forced disappearance of persons.“ 507 Nach eingehender Analyse so auch Lavers, 16 MState J Int’l L (2007), 385 ff. in Bezug auf verschiedentliche Rechtfertigungsansätze der US Regierung zur Rechtmäßigkeit von Rendition.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
4. Mens rea Die mens rea Voraussetzung des zwangsweisen Verschwindenlassens von Personen setzt sich aus vier Elementen zusammen. Erstens muss der Täter bezüglich seiner begangenen Tatbestandsalternative vorsätzlich gehandelt haben. Zweitens muss er, wie bereits innerhalb der Tatbestandsalternativen verdeutlicht wurde, ein gewisses Maß an Bewusstsein an den Tag gelegt haben, dass seine Tatbestandsalternative an die jeweilig andere Tatbestandsalternative gekoppelt ist. Drittens muss er die Absicht besessen haben, das Opfer für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen. Und viertens muss er die mens rea Erfordernisse bezüglich der chapeau Elemente des Verbrechens gegen die Menschlichkeit verwirklicht haben. Bezüglich der zweiten mens rea Voraussetzung war strittig, welches genaue Maß an Bewusstsein („awareness“) notwendig ist. Der geäußerte Vorschlag, dass der Täter sich „der Verweigerung bewusst sein muss“, wurde letztendlich abgelehnt. Das Beweiserfordernis, dem Täter eine spezifische Verweigerung nachweisen zu müssen, wurde als zu hoch empfunden. Als Kompromiss ist festgeschrieben worden, dass sich der Täter lediglich über die Beraubung der Freiheit bewusst gewesen sein muss, die ein gewöhnlicher Handlungsablauf bei einer Verweigerung nach sich zieht. Man hat sich demnach der Festschreibung aus Art. 30(2) ICC Statut bedient. Praktisch bedeutet das, dass die Handlung eines Täters, der gutgläubig handelt, nicht vom Tatbestand erfasst ist, während ein Täter, der ein Verschwindenlassen für möglich hält und sich dessen bewusst ist, ohne jedoch die genauen Hintergründe zu kennen, sich eines zwangsweisen Verschwindenlassens von Personen strafbar macht. Während teilweise argumentiert wurde, dass diese Regel schon in Art. 30 ICC Statut kodifiziert ist und daher nicht erneut aufgenommen werden müsste, wurde die Klarstellung von der Mehrheit der Delegierten aufgrund der Komplexität des Verbrechens befürwortet. Wiederfinden lässt sich dieser Beweggrund in Fußnote 27 der Elements of Crimes508. Welchen Schweregrad der Täter bei dem Vorsatz, dem Opfer den Schutz des Gesetzes zu entziehen, besitzen muss, blieb indes unklar. Fraglich ist insbesondere, ob „Premeditation“ erforderlich ist. In der Literatur wird bei der Auslegung dieser mens rea Voraussetzung vorgeschlagen, sich eines Rückgriffs auf Art. 16 der ICCPR zu bedienen509. 508 Zum Ganzen vgl. Witschel/Rückert in: Lee, The International Criminal Court. Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 98 (102 f.) 509 Pocar in: Politi/Nesi, The Rome Statute of the International Criminal Court, 67 (69) „The reference to the „intention of removing“ such persons „from the protection of the law for a prolonged period of time“ may be regarded as an interesting element to be taken into account for the classification of disappearances under the provisions of another Convention under which the same violation is to be considered. This ele-
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Neben dem mens rea Erfordernis bezüglich der spezifischen Ausübung des zwangsweisen Verschwindenlassens muss der Täter schließlich in Einklang mit den generellen mens rea Grundsätzen über konstruktives Wissen vom makrokriminellen Gesamtkontext verfügen. Ihm muss zudem nachgewiesen werden, dass er weiß, dass sich seine Handlung als Teil des Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellt.
V. Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung („Deportation“) Der Tatbestand der Vertreibung („Deportation“) ist im Wege der Definierung des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit durchgängig in allen Statuten der internationalen Tribunale kodifiziert worden510. Seit der Festschreibung in Art. 7(1)(d) des ICC Statuts ist die Tatbestandsalternative der „zwangsweisen Überführung der Bevölkerung“ hinzugetreten. Erste Überlegungen zur Eingliederung dieser Alternative finden sich indes schon in Art. 21 (d) des ILC Draft Codes von 1991. 1. Definitionsbestimmung der „Vertreibung und zwangsweisen Überführung der Bevölkerung“ nach dem ICC Statut und den Elements of Crimes In Art. 7(2)(d) ICC Statut ist Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung legaldefiniert als: „forced displacement of the persons concerned by expulsion or other coercive acts from the area in which they are lawfully present, without grounds permitted under international law.“511
Art. 7(1)(d) der Elements of Crimes präzisiert zusätzlich, dass der Tatbestand unter folgenden Voraussetzungen erfüllt ist512:
ment may help e. g., to classify disappearances as violations of Art. 16 of the International Covenant on Civil and Political Rights, which affirms the absolute right of everyone to be recognized as a person in any circumstance.“ 510 Art. 6(c) IMT Statut; Art. II CCL No. 10; Art. 5 (d) ICTY Statut, Art. 3 (d) ICTR Statut, Art. 7(1)(d) i.V. m. (2)(d) ICC Statut; Art. 2 (d) SCSL Statut. 511 Das ICTY hat in Prosecutor v. Blasˇkic ´ , IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 234 die in Art. 7(2)(d) ICC Statut enthaltende Definition wortgleich übernommen. Vgl. auch die amtliche UN Übersetzung des Art. 7(2)(d), U.N. Doc. A/Conf.183/9 (17. Juli 1998) [Im Sinne des Absatzes 1] „bedeutet ,Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung‘ die erzwungene, völkerrechtlich unzulässige Verbringung der betroffenen Person durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen aus dem Gebiet, in dem sie sich rechtmäßig aufhalten“. 512 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(d).
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„Article 7(1)(d) Crime against humanity of deportation or forcible transfer of population Elements 1. The perpetrator deported or forcibly12 transferred,13 without grounds permitted under international law, one or more persons to another State or location, by expulsion or other coercive acts. 2. Such person or persons were lawfully present in the area from which they were so deported or transferred. 3. The perpetrator was aware of the factual circumstances that established the lawfulness of such presence. 4. The conduct was committed as part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. 5. The perpetrator knew that the conduct was part of or intended the conduct to be part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. Fn. 12: The term ,forcibly‘ is not restricted to physical force, but may include threat of force or coercion, such as that caused by fear of violence, duress, detention, psychological oppression or abuse of power against such person or persons or another person, or by taking advantage of a coercive environment. Fn. 13: ,Deported or forcibly transferred‘ is interchangeable with ,forcibly displaced‘.“
2. Actus reus Das erste Element der Elements of Crimes wiederholt mit leichter Abweichung die Tatbestandsmerkmale der in Art. 7(2)(d) ICC Statut enumerierten Legaldefinition. Unter „Vertreibung“ in diesem Sinne versteht man generell die erzwungene Verbringung von Personen in einen anderen (de facto513) Staat514. „Zwangsweise Überführung“ hingegen umschreibt den erzwungenen innerstaatlichen Personentransfer515. Beide Handlungsalternativen erfordern die Verbringung von einem Ort an einen anderen516.
513 Prosecutor v. Stakic ´ , IT-97-24-A (22. März 2006), Abs. 300; Prosecutor v. Martic´, IT-95-11-T (12. Juni 2007), Abs. 110 und Fn. 208. 514 Prosecutor v. Krstic ´ , IT-98-33-T (2. August 2001), Abs. 521; Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-T (15. März 2002), Abs. 474; Kommentar zu Art. 18 des Draft Codes v. 1996, Abs. 13; Bassiouni, Crimes against Humanity, 312; Hall in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 7, Nr. 31 und 34; Henckaerts, 26 Vand. JTransn’l L (1993), 269 (472). 515 Prosecutor v. Krstic ´, IT-98-33-T (2. August 2001), Abs. 521; Kommentar zu Art. 18 des Draft Codes v. 1996, Abs. 13; Bassiouni, Crimes against Humanity, 312; Hall in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 7, Nr. 31 und 34; Henckaerts, 26 Vand. JTransn’l L (1993), 269 (472); Kittichaisaree, International Criminal Law, 109; Proposal submitted by Canada and Germany on Art. 7 of the ICC Statute vom 23. November 1999, U.N. Doc. PCNICC/ 1999/WGEC/DP.36. 516 Werle, Principles of International Criminal Law, 240.
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Dass sowohl innerstaatliche als auch grenzübergreifende Tathandlungen vom Tatbestand erfasst sein sollen, ist neben der Unterscheidung zwischen „Vertreibung“ und „zwangsweiser Überführung“ zusätzlich aufgrund einer in den Elements of Crimes enthaltenen Konkretisierung des Begriffs „Gebiet“ („area“), welcher sich in Art. 7(1)(d) ICC Statut wiederfindet, ableitbar. In Nr. 1 der Elements of Crimes wird „Gebiet“ („area“) mit „another State or location“ präzisiert. Die Verbringung in ein anderes „Gebiet“ umfasst damit einerseits die Vertreibung in einen „anderen Staat“, oder andererseits die Überführung an einen anderen (innerstaatlichen) „Ort“517. Art. 7(1)(d) Nr. 1 der Elements of Crimes sieht explizit vor, dass bereits die zwanghafte Verbringung einer Person ausreicht, um eine taugliche Tatbestandshandlung zu bejahen518. Fußnote 13 spezifiziert weiter, dass die Termini „vertrieben“ („deported“) und „zwangsweise verbracht“ („forcibly transferred“) mit dem Begriff des „zwangsweisen Verbschleppens“ („forcibly displaced“) austauschbar sind. Der Grund dieser Regelung geht auf einen Kompromiss bezüglich der verschiedenen Auffassungen zurück, wie der in Art. 7(2)(d) ICC Statut enthaltende Überbegriff der „zwangsweisen Verbringung“ zu konkretisieren ist. Während einerseits gefordert wurde, dass die Tathandlung aus einer „Vertreibung oder zwangsweisen Überführung“ bestehen sollte, befürworteten andere den singulären Begriff der „zwangsweisen Verschleppung“. Ein Kompromiss konnte in derart erzielt werden, dass die separaten Handlungsalternativen der „Vertreibung“ und „zwangsweisen Überführung“ zwar bestehen bleiben, allerdings durch den Überbegriff der „zwangsweisen Verschleppung“ zusammengefasst werden. Die Subsumierung beider Begriffe unter dem Überbegriff der „zwangsweisen Verschleppung“ hat Einfluss auf das Tatbestandsmerkmal des „Zwangs“. Während man aus Art. 7(1)(d) Nr. 1 der Elements of Crimes herauslesen könnte, dass im Gegensatz zur Alternative der „zwangsweisen Überführung“ bei der „Vertreibung“ nicht notwendigerweise Zwang erforderlich ist („perpetrator deported or forcibly transferred“), macht der Überbegriff der „zwangsweisen Verschleppung“, der beide Tatbestandsalternativen umfasst, deutlich, dass auch bei der Vertreibung „Zwang“ vorliegen muss519. Die in den Elements of Crimes eingefügte Fußnote 12, die das Merkmal des „Zwangs“ konkretisiert, ist eine Standarderläuterung, die wortgleich in Art. 6(e) 517 N.B. in: Lee, The International Criminal Court: Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 86 (87). 518 So auch Werle, Principles of International Criminal Law, 240. 519 So auch Kittichaisaree, International Criminal Law, 109 „Deportation is generally understood as the forcible removal of persons to the territory of another State, whereas forcible transfer refers to the forcible transfer of persons to another location within the same State. They involve an act of expulsion or other types of coercive acts.“ (Eigene Hervorhebung.)
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
des Elements of Crimes („genocide by forcibly transferring children“) verwendet wurde. Die von Frankreich verfasste Fußnote geht auf die Rechtsprechung in Akayesu zurück520. Insoweit kann auf die diesbezüglich bereits getätigten Ausführungen zum „Zwang“ verwiesen werden521. Weiter wird innerhalb des Tatbestandes zwischen „erzwungene[r], völkerrechtlich unzulässige[r] Verbringung“ einerseits und „rechtmäßigem Aufenthalt“ andererseits unterschieden. Während sich ersteres Merkmal auf die Handlungsweise des Täters bezieht, beschreibt Letzteres den Zustand, in dem sich der Vertriebene oder Überführte im Territorium wiederfindet522. Die Kodifizierung der „völkerrechtlichen Unzulässigkeit“ der Tat in Art. 7(1)(d) Nr. 1 der Elements of Crimes mag auf den ersten Blick unter Einbeziehung von Nr. 6 der General Introduction der Elements of Crimes, in welcher enumeriert ist, dass die Unrechtmäßigkeit allgemein kein Tatbestandsmerkmal der Verbrechenstatbestände ist, überflüssig erscheinen523. Dem ist aber nicht so. Denn der in Art. 7(2)(d) ICC Statut enumerierte Bewertungsstandard ist im Vergleich zu den allgemeinen in Art. 21 ICC Statut enumerierten Bewertungsregeln zur Rechtmäßigkeit524 sowohl spezieller als auch im Anwendungsbereich restriktiver. Die Kodifizierung ist somit gerechtfertigt.
520 Garraway in: Lee, The International Criminal Court: Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 54 (55). 521 Siehe auch Prosecutor v. Krstic ´, IT-98-33-T (2. August 2001), Abs. 528; de Zayas, 16 Harv. Int’l LJ (1975), 207 (246 ff.). 522 Kittichaisaree, International Criminal Law, 109. 523 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), General Introduction, Nr. 6 „The requirement of ,unlawfulness‘ found in the Statute or in other parts of international law, in particular humanitarian law, is generally not specified in the elements of crimes.“ 524 Art. 21 ICC Statut „Art. 21 – Anwendbares Recht (1) der Gerichtshof wendet Folgendes an: (a) an erster Stelle dieses Statut, die ,Verbrechenselemente‘ [Anm. Elements of Crimes] sowie seine Verfahrens- und Beweisordnung; (b) an zweiter Stelle, soweit angebracht, anwendbare Verträge sowie Grundsätze und Regeln des Völkerrechts, einschließlich der anerkannten Grundsätze des internationalen Rechts des bewaffneten Konflikts; (c) soweit solche fehlen, allgemeine Rechtsgrundsätze, die der Gerichtshof aus einzelstaatlichen Rechtsvorschriften der Rechtssysteme der Welt, einschließlich, soweit angebracht, der innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Staaten, die im Regelfall Gerichtsbarkeit über das Verbrechen ausüben würden, abgeleitet hat, sofern diese Grundsätze nicht mit diesem Statut, dem Völkerrecht und den international anerkannten Regeln und Normen unvereinbar sind. (2) Der Gerichtshof kann Rechtsgrundsätze und Rechtsnormen entsprechend seiner Auslegung in früheren Entscheidungen anwenden. (3) Die Anwendung und Auslegung des Rechts und diesem Artikel muss mit den internationalen anerkannten Menschenrechten vereinbar sein und darf keine benachteiligende Unterscheidung etwa aufgrund des Geschlechts im Sinne des Artikel 7 Absatz 3, des Alters, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion oder Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status machen.“
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Weil viele Staaten rechtmäßige Zwangsverbringungen vornehmen (z. B. Ausweisungen oder Auslieferungen), war man bei der Definierung der Merkmale zurückhaltend und vorsichtig. So sollte etwa die „Vertreibung“ bzw. „zwangsweise Überführung“ von illegalen Einwanderern525, sowie rechtmäßige Evakuierungs-526 und Umsiedlungshandlungen zum Wohl der öffentlichen Sicherheit oder Gesundheit nicht vom Tatbestand erfasst sein527, wenn den betroffenen Personen akzeptable Grundbedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft bereit gestellt werden und für Rücktransport gesorgt ist528. Das Tatbestandselement des „rechtmäßigen Aufenthalts“ (Elements of Crimes Nr. 2) wurde höchst kontrovers diskutiert, da es unterschiedliche Auffassungen bezüglich des rechtlichen Bezugspunktes gab. Während von einer Seite favorisiert wurde, primär auf nationales Recht abzustellen, argumentierten andere, dass eine solche Interpretation eine große Missbrauchsgefahr in sich berge, da eine Vertreibung schon dann nicht unter den Tatbestand fallen würde, wenn sie, obgleich des Grades an legislativer Willkür, von nationalem Recht gebilligt ist. Unter Berücksichtigung der Nürnberger Prinzipien sei eine solche Auslegung indes nicht vertretbar529. Als Mittelweg wurde vorgeschlagen, dem nationalstaatlichem Recht Anwendungsvorrang einzuräumen und im Konfliktfalle mit internationalem Recht Letzteres für entscheidungserheblich zu erklären. Letztendlich konnte man in dieser Frage aber keine Einigung erzielen, sodass die Auslegung der richterlichen Rechtsprechung überlassen bleibt530. 3. Mens rea Nr. 3 der Elements of Crimes macht die Erfüllung der erforderlichen mens rea davon abhängig, dass „the perpetrator was aware of the factual circum525 Dazu Art. 13 ICCPR; Art. 22(6) African Convention on Human Rights; Art. 12(4) African Charter on Human and Peoples’ Rights. 526 Prosecutor v. Krstic ´, IT-98-33-T (2. August 2001), Abs. 524. 527 Kittichaisaree, International Criminal Law, 109; Werle, Principles of International Criminal Law, 241 mit Berufung auf Art. 12(3) ICCPR, Art. 2(3) Protokoll Nr. 4 des ECHR, Art. 22(3) und (4) der ACHR und Art. 12(2) der African Charter on Human and Peoples’ Rights. 528 Werle, Principles of International Criminal Law, 241 f.; siehe auch Prosecutor v. Stakic´, IT-97-24-T (31. Juli 2003), Abs. 683. 529 N.B. in: Lee, The International Criminal Court: Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 86 (87); so ausdrücklich Kittichaisaree, International Criminal Law, 109 „In other words, lawful presence cannot be terminated by national law in violation of applicable rules of international law.“ 530 Als Beispiel einer illegalen zwangsweisen Überführungshandlung kann der Fall Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 549 f. angeführt werden. Dort wurden 247 muslimische Zivilisten von einer paramilitärischen Einheit gezwungen, von einer Stadt zu einer anderen zu marschieren, um sie als menschliches Schutzschild zu missbrauchen.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
stances that established the lawfulness of such presence.“ Der Täter muss insoweit im Einklang mit Nr. 4 der General Introduction der Elements of Crimes531 keine rechtlichen Bewertungen angestellt haben, ob der Aufenthalt juristisch „rechtmäßig“ gewesen ist. Ausreichend ist vielmehr, dass dem Täter die tatsächlichen Umstände, welche die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes konstituierten, bewusst waren. Weiter muss er mens rea besitzen, dass das Opfer mittelfristig nicht an seinen Ausgangsort zurückkehren wird532. Erforderlich ist allerdings nicht die Absicht, eine permanente Vertreibung oder Überführung erwirken zu wollen.533 Schließlich muss der Täter in Einklang mit den generellen mens rea Grundsätzen über konstruktives Wissen vom makrokriminellen Gesamtkontext verfügen. Ihm muss zudem nachgewiesen werden, dass er weiß, dass sich seine Handlung als Teil des Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellt.
E. Diskriminierungsverbrechen Das Verbot der Diskriminierung lässt sich in einer Vielzahl bedeutender Menschenrechtsverträge wiederfinden534 und ist universal als völkergewohnheitsrechtliche Regel anerkannt535. Unrechtmäßige Eingriffe sind auch in Zeiten des Krieges und nationalen Notstandes unzulässig536. Systematische Diskriminierung (wie etwa im Falle der Apartheid) stellt zudem eine jus cogens Verletzung dar537, mit der Folge, dass kein Staat durch Vertrag oder auf eine andere Art systematische Diskriminierungen legalisieren kann. Vom Grundsatz her sind 531 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), General Introduction, Nr. 4 „With respect to mental elements associated with elements involving value judgement, such as those using ,inhumane‘ or ,severe‘, it is not necessary that the perpetrator personally completed a particular value judgement, unless otherwise indicated.“ 532 Prosecutor v. Naletilic ´ und Martinovic´, IT-98-34-T (31. März 2003), Abs. 520 und 1362. 533 Prosecutor v. Stakic ´ , IT-97-24-A (22. März 2006), Abs. 278, 317; Prosecutor v. Martic´, IT-95-11-T (12. Juni 2007), Abs. 111. 534 ICECR Art. 2(2), 993 U.N.T.S. 3 (4); ICCPR, Art. 2(1), 999 U.N.T.S. 171 (172); Convention on the Rights of the Child, Art. 2(1), U.N. Doc. A/44/49 in: 28 ILM 1448 (1450); International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination, 660 U.N.T.S. 195; African Charter on Human and Peoples’ Rights, Art. 2, O.A.U. Doc. CAB/LEG/67/3 Rev.5 (1981) in: 21 ILM 59; American Convention on Human Rights, Art. 1(1), 1144 U.N.T.S. 123 (144); European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, Art. 14, 213 U.N.T.S. 221 (222), vgl. auch die dazugehörigen Protokolle Nr. 3, 5 und 8. 535 Restatement 3rd, § 702(f) (1987). 536 International Covenant on Civil and Political Rights, Art. 4(1), 999 U.N.T.S. 171 (172); American Convention on Human Rights, Art. 27(1), 1144 U.N.T.S. 123 (144). 537 Siehe Restatement 3rd, § 702(f) (1987), welche die Rassendiskriminierung als eine Verletzung von jus cogens bewertet.
E. Diskriminierungsverbrechen
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elementare Diskriminierungshandlungen Verletzungen der menschlichen Würde und Freiheit, da sie den Unterschiedlichkeitsanspruch des Individuums einerseits und der Gruppe, dem das Individuum angehört andererseits, aberkennen. Der diskriminierte Mensch wird zudem regelmäßig zur Person zweiter Klasse herabgewürdigt und die Freiheit zur eigenverantwortlichen Persönlichkeitsentwicklung versagt. Elementare Diskriminierungen sind folglich als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ klassifizierbar.
I. Verfolgung („persecution“) 1. Definitionsbestimmung des Verbrechens der Verfolgung Das Verbrechen der Verfolgung ist seit Beginn der Kodifizierung des Verbrechens gegen die Menschlichkeit durchgängig in den Katalog der enumerierten Einzeltatbestände aufgenommen worden538. Das Tadic´ Urteil des ICTY definierte erstmalig den Tatbestand und hatte damit in signifikanter Weise Anteil an der Konkretisierung. Durch die Urteile in Kupresˇkic´, Blasˇkic´ und Todorovic´ ist eine weitere Präzisierung erreicht worden. Art. 7 des ICC Statuts schließlich offeriert eine Legaldefinition des Verbrechens der Verfolgung. Die Systematik der ICC Definition erscheint jedoch aufgrund ihrer Atypik etwas gewöhnungsbedürftig. Bei allen anderen Katalogstraftaten außer der der Verfolgung wurde in derart vorgegangen, dass sich in Art. 7(1) ICC Statut die Verbrechensbezeichnung an sich – also Mord, Folter et cetera –, und in Art. 7(2) ICC Statut etwaig eine konkretisierende Legaldefinition unter Verweis auf Absatz 1 wiederfindet. Beim Verfolgungstatbestand hingegen sind konkretisierende Elemente sowohl in Art. 7(1)(h) als auch in Art. 7(2)(g) ICC Statut enthalten. Beide Absätze sind folglich bei der Konkretisierung des Verfolgungstatbestandes einzubeziehen. Zurückführen lässt sich die Atypik der Definitionsbestimmung auf die Rechtshistorie des Tatbestandes. Schon in Art. 6 (c) IMT Statut, in welchem „Verfolgung“ erstmalig als Ausprägung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit kodifiziert wurde, ist einschränkend statuiert, dass nicht jede „Verfolgung“ eo ipso ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist, sondern von verschiedenen Tatbestandsvoraussetzungen abhängig ist539. Das ICC Statut hat den 538 Art. 6 (c) IMT Statut; Art. II(1)(c) CCL 10; Art. 5(h) ICTY Statut, Art. 3(h) ICTR Statut, Art. 2 SCSL Statut, Sec. 5 UNTAET, Art. 12 IHT Statut. 539 Art. 6(c) IMT Statut: „[. . .] Der Täter solcher Verbrechen ist persönlich verantwortlich: [. . .] (c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Nämlich: Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation oder andere unmenschliche Handlungen, begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung vor oder während des Krieges, Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, begangen in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist, und zwar
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
Ansatz in die Systematik des Artikels 7 eingeflochten. Stringenter wäre es indes gewesen, die historische Verfolgungsdefinition in Verbrechensbezeichnung und Verbrechensdefinition aufzuspalten und an die Systematik des Art. 7 anzupassen. Wie bereits angedeutet ist nicht jede „Verfolgung“ vom Tatbestand erfasst. Nach Art. 7(1)(h) ICC Statut soll nur folgende Handlungsbegehung „Verfolgung“ im Sinne des Tatbestandes sein: „Persecution against any identifiable group or collectivity on political, racial, national, ethnic, cultural, religious, gender as defined in paragraph 3 [of Art. 7 ICC Statute], or other grounds that are universally recognized as impermissible under customary international law, in connection with any act referred to in this paragraph or any crime within the jurisdiction of the Court.“540
In Art. 7(2)(g) ICC Statut ist zusätzlich präzisiert worden, dass „,Persecution‘ means the intentional and severe deprivation of fundamental rights contrary to international law by reason of the identity of the group or collectivity.“541
Schließlich sei auf die Tatbestandskonkretisierung in den Elements of Crimes verwiesen. Danach setzt der Tatbestand der Verfolgung Folgendes voraus542: „Article 7(1)(h) Crime against humanity of persecution Elements 1. The perpetrator severely deprived, contrary to international law,21 one or more persons of fundamental rights. 2. The perpetrator targeted such person or persons by reason of the identity of a group or collectivitiy or targeted the group or collectivity as such. 3. Such targeting was based on political, racial, national, ethnic, cultural, religious, gender as defined in article 7, paragraph 3 of the Statute, or other grounds that are universally recognized as impermissible under international law.
unabhängig davon, ob die Handlung gegen das Recht des Landes verstieß, in dem sie begangen wurde, oder nicht“ (eigene Hervorhebung). Abgedruckt in: Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit, Anhang III (401 ff.). 540 Vgl. auch die amtliche UN Übersetzung des Art. 7(1)(h), UN. Doc. A/Conf. 183/9 (17. Juli 1998) „Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaft aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, Gründen des Geschlechts im Sinne des Absatzes 3 [Art. 7 ICC Statut] oder aus anderen nach dem Völkerrecht universell als unzulässig anerkannten Gründen im Zusammenhang mit einer in diesem Absatz genannten Handlung oder einem der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes unterliegenden Verbrechen.“ 541 Vgl. auch die amtliche UN Übersetzung des Art. 7(2)(g), UN. Doc. A/Conf. 183/9 (17. Juli 1998) „[Im Sinne des Absatz 1] bedeutet ,Verfolgung‘ den völkerrechtswidrigen, vorsätzlichen und schwer wiegenden Entzug von Grundrechten wegen der Identität einer Gruppe oder Gemeinschaft.“ 542 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(h).
E. Diskriminierungsverbrechen
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4. The conduct was committed in connection with any act referred to in article 7, paragraph 1, of the Statute or any crime within the jurisdiction of the Court.22 5. The conduct was committed as part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. 6. The perpetrator knew that the conduct was part of or intended the conduct to be part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. Fn. 21: This requirement is without prejudice to paragraph 6 of the General Introduction of the Elements of Crimes. Fn. 22: It is understood that no additional mental element is necessary for this element other than that inherent in element 6.“
2. Actus reus Erste Präzisierungen des actus reus sind von den internationalen ad hoc Tribunalen vorgenommen worden. Das ICTY hat im Tadic´ Urteil den Tatbestand wie folgt definiert: „What is necessary is some form of discrimination that is intended to be and results in an infringement of an individual’s fundamental rights. Additionally, this discrimination must be on specific grounds, namely race, religion or politics.“543
In Kupresˇkic´ konkretisierte das ICTY „Verfolgung“ als „a gross or blatant denial of fundamental rights reaching the same level of gravity as other acts prohibited under Article 5 [Verbrechen gegen die Menschlichkeit]“ auf Grundlage von „discriminatory grounds“544. Das ICTR beschäftigte sich erstmalig in Ruggiu mit dem Verbrechen der Verfolgung545. Bei der Definierung des Tatbestandes griff das Gericht auf die Feststellungen des ICTY in Tadic´ und Kupresˇkic´ zurück. Insoweit besteht Konformität zwischen den Definitionsansätzen beider ad hoc Straftribunale. Tadic´ und Kupresˇkic´ sind zudem zum Großteil mit der Definition der Elements of Crimes vereinbar. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man berücksichtigt, dass die Tadic´ Definition bei den Verhandlungen zur Definierung des Verfolgungstatbestandes im ICC Statut Berücksichtigung fand und Leitlinie war. Der actus reus des Tatbestandes setzt sich aus zwei Basiskomponenten zusammen. Zum einen muss durch die Tathandlung das Opfer seiner fundamentalen Rechte beraubt worden sein. Zum anderen muss diese Beraubung deswegen
543
Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 697, 715. Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., IT-96-16-T (14. Januar 2000), Abs. 593 ff., 621, 627. Vorgeschlagene Übersetzung: „eine grobe oder offensichtliche Leugnung der fundamentalen Rechte aus diskriminierenden Gründen, die auf Völkergewohnheitsrecht oder Vertragsrecht basieren und die, verglichen mit den anderen verbotenen Handlungen aus Art. 5 [ICTY Statut], ein vergleichbares Ausmaß an Schwere erreicht hat.“ 545 Prosecutor v. Ruggiu, ICTR-97-31-I (1. Juni 2000), Abs. 21; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 347. 544
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
stattgefunden haben, weil das Opfer Mitglied einer bestimmten Gruppe ist oder die Gruppe an sich attackiert werden soll. a) Beraubung fundamentaler Rechte Wie aus Nr. 1 der Elements of Crimes hervorgeht setzt der actus reus des Verfolgungstatbestandes zunächst voraus, dass das Opfer seiner „fundamentalen Rechte“ beraubt worden sein muss546. Ähnlich wie auch beim Tatbestand des Freiheitsentzuges war strittig, welcher diesbezüglicher Grad an internationaler Anerkennung erforderlich ist. So wurde während der Verhandlungen zum ICC Statut der Vorschlag unterbreitet, nur „universell anerkannte“ Rechte seien unter den Begriff der „fundamentale Rechte“ im Sinne des Tatbestandes zu fassen547. Aufgrund vergleichbarer Erwägungen, die im Rahmen des Tatbestandes des „Freiheitsentzuges“ angestellt wurden, ist die Restriktion abgelehnt worden548. Allerdings sollte (auch hier) Erwähnung finden, dass nichtsdestotrotz der Terminus der „fundamentalen Rechte“ konservativ auszulegen ist549. Bezüglich der Frage, wann konkret eine Handlung eine Beraubung der fundamentalen Rechte darstellt, hat das ICTY in Kupresˇkic´ festgestellt, dass bei der Bestimmung auf multilaterale Verträge, welche die Wahrung der Menschenrechte zum Gegenstand haben, zurückgegriffen werden kann – man denke etwa an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte oder die Bürgerrechtspakte von 1966 (ICCPR und ICECR). Das ICTY lehnte es jedoch ab, eine Enumerierung von speziellen Rechten vorzunehmen, da sonst die Gefahr bestünde, dass aufgrund des Prinzips expressio unius est exclusio alterius – „eine ausdrückliche Erwähnung schließt alle anderen aus“ – der Anwendungsbereich zu restriktiv ausgelegt werden könnte550. Fundamentale Rechte sind zumindest solche, die jus cogens Statuts erreicht haben, da hier eine nationalstaatliche Abweichung oder Nichtanerkennung dieser Rechte nicht möglich ist. Grundlage bei der Bestimmung, ob eine taugliche Handlungsbegehung vorliegt, muss aufgrund des ejusdem generis Prinzips die Frage sein, ob die fundamentalen Rechte in einer derart groben und offensichtlichen Weise verletzt wurden, dass sie in ihrer Schwere ein im Vergleich zu den anderen enumerierten Katalogstraftaten innerhalb des Verbrechens gegen die Menschlichkeit vergleichbares Ausmaß erreicht haben551. 546
So auch Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 697. Witschel/Rückert in: Lee: The International Criminal Court. Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 94 (96). 548 Siehe oben D.I.2. 549 Id. 550 Prosecutor v. Kupresˇkic ´ et al., IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 621, 623. 551 Prosecutor v. Kupresˇkic ´ et al., IT-96-16-T (14. Januar 2000), Abs. 593 ff., 621, 627. 547
E. Diskriminierungsverbrechen
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Aufgrund des Zusammenspiels zwischen der spezifischen Verfolgungspraktik und der Beraubung fundamentaler Rechte kann die Verfolgungshandlung vielfältige Formen annehmen552 und muss im Kontext unter Einbeziehung aller kumulativen Auswirkungen betrachtet werden553. Man spricht deshalb bei der Verfolgung von einem Verbrechen mit „kumulativem Effekt“554, oder von einem „Regenschirm Verbrechen“555. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Vielzahl von Tathandlungen begangen werden müssten; bereits ein singulärer Akt kann eine taugliche Verfolgungshandlung sein556. In Kupresˇkic´ wurde festgestellt, dass jedes enumerierte Verbrechen innerhalb des Verbrechens gegen die Menschlichkeit potentiell gleichzeitig eine Verfolgung darstellen könne557. Daher wird es oft zwischen der Verfolgung und anderen im Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit enumerierten Straftaten zu Überschneidungen kommen558. Ein Mord oder eine zwangsweise Überführung der Bevölkerung kann auch eine Verfolgung sein, wenn sie mit diskriminierender Absicht begangen wird559. Eine taugliche Handlungsform ist jedoch nicht auf den Schweregrad der Einzelverbrechen innerhalb des Verbrechens gegen die Menschlichkeit beschränkt. Ebenso kann eine Begehung von Kriegsverbrechen oder schwerwiegenden Verletzungen („grave breaches“) gleichzeitig eine Verfolgung sein560. Die Verfolgungstat bedarf zudem nicht konstitutiv einer „strikt physischen Handlung“561.
552 Vgl. Prosecutor v. Kordic ´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-A (17. Dezember 2004), Abs. 672 „The underlying acts include killings, beatings, unlawful attacks on civilians and civilian objects, the unlawful imprisonment of civilians, destruction of civilian objects, and looting. All of them, considered in conjunction, amount to a criminal conduct of gravity equal to crimes enlisted in Article 5 of the statute.“; Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 198 (beachte auch den Verweis auf Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 233 „In Blaskic, the Trial Chamber found that the crime of persecution encompasses both bodily and mental harm and infringements upon individual freedom“; Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., IT-96-16-T (14. Januar 2000), Abs. 571, 615 f. 553 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 349. 554 Prosecutor v. Kordic ´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 198. 555 Prosecutor v. Kupres ˇkic´ et al., IT-96-16-A (12. Juni 2002), Abs. 98 „,umbrella‘ crime“. 556 Prosecutor v. Kupresˇkic ´ et al., IT-96-16-A (12. Juni 2002), Abs. 97 u. Fn. 157. 557 Prosecutor v. Kupresˇkic ´ et al., IT-96-16-T (14. Januar 2000), 571, 615 f.; Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., IT-96-16-T (14. Januar 2000), Abs. 571, 615 f. [Persecution] „included acts such as murder, extermination, torture and other serious acts on the person such as those presently enumerated in Art. 5 [ICTY Statut].“ (Eigene Hervorhebung.) Freilich entbehrt dies nicht den Nachweis einer Begehung aufgrund eines diskriminierenden Grundes. 558 Prosecutor v. Kupresˇkic ´ et al., IT-96-16-T (14. Januar 2000), Abs. 593 ff., 615. 559 Prosecutor v. Kupresˇkic ´ et al., IT-96-16-T (14. Januar 2000), Abs. 607, 615; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 349. 560 Prosecutor v. Tadic ´ , IT- IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 700.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
Schließlich darf die Tatsache, dass es sich beim Verfolgungstatbestand um ein Verbrechen mit kumulativem Effekt handelt, nicht zu der Annahme führen, dass ein geringerer Grad an Detailnachweis bezüglich der Verbrechensbegehung notwendig ist als bei anderen Verbrechen. So wurde in Kupresˇkic´ festgestellt: „[. . .] the fact that the offence of persecution is a so-called „umbrella“ crime does not mean that an indictment need not specifically plead the material aspects of the Prosecution case with the same detail as other crimes. Persecution cannot, because of its nebulous character, be used as a catch-all charge.“562
Als konkretisierender Anhaltspunkt, wann eine fundamentale Rechtsverletzung vorliegt, soll auf den Kommentar Nr. 24 des UN Menschenrechtsausschusses zum ICCPR verwiesen werden, in welchem eine Enumerierung von jus cogens Rechten aufgelistet ist563. Aus dem Kommentar geht hervor, dass: „[. . .] a State may not reserve the right to engage in slavery, to torture, to subject persons to cruel, inhuman or degrading treatment or punishment, to arbitrarily deprive persons of their lives, to arbitrarily arrest and detain persons, to deny freedom of thought, conscience and religion, to presume a person guilty unless he proves his innocence, to execute pregnant women or children, to permit the advocacy of national, racial or religious hatred, to deny to persons of marriageable age the right to marry, or to deny minorities the right to enjoy their own culture, profess their own religion, or use their own language.“564
In Blaskic´ hat das ICTY zudem angenommen, dass eine Rechtsverletzung, die das Ausmaß von Sklaverei, Knechtschaft, Folter oder grausamer, unmensch561 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 707; Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 568; Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai 2003), Abs. 348. 562 Prosecutor v. Kupresˇkic ´ et al., IT-96-16-A (12. Juni 2002), Abs. 98. Das Problem bezüglich der notwendigen Detailliertheit der Anklagepunkte in der Anklageschrift (und etwa der nachträglichen Möglichkeit der Einführung neuer Beweise durch Zeugenaussagen) ist nicht Teil dieser Arbeit; grundlegend Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., IT-96-16-A (12. Juni 2002), Abs. 79 ff. Für jüngere Entscheidungen zu diesem aus praktischer Sicht äußerst wichtigem Problem siehe: Prosecutor v. Bizimungu et al., ICTR-00-56-T, Decision on Ndindiliyimana’s Extremely Urgent Motion to Prohibit the Prosecution From Leading Evidence on Important Material Facts not Pleaded in the Indictment Through Witness ANF, 15. Juni 2006; Prosecutor v. Naletilic´ und Martinovic´, IT-98-34-A (3. Mai 2006), Abs. 26; Prosecutor v. Nyiramasuhuko et al. ICTR-9842-T, Decision on Ndayambaje’s Motion for the Exclusion of Evidence (1. September 2006). 563 General Comment adopted by the Human Rights Committee under Article 40, paragraph 4, of the ICCPR, N. 24, CCPR/C/21/Rev.1/Add.6,11 (1994), Abs. 8; Report of the ILC on its Work of its forty eight session, 98 „The inhumane act of persecution may take many forms with its common characteristic being the denial of human rights and fundamental freedoms to which every individual is entitled without distinction as recognized in the Charter of the United Nations (Articles 1 and 55) and the ICCPR (Art. 2).“ 564 Vgl. auch U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 12. Dezember 1949 [Weizsäcker], Kempner/Haensel, das Urteil im Wilhelmstraßen Prozess, wo weitere Beispiele enumeriert sind.
E. Diskriminierungsverbrechen
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licher oder entwürdigender Behandlung oder Bestrafung, einer Verletzung des persönlichen Rechtes auf Leben, Freiheit und Sicherheit, sowie willkürlicher Verhaftung, Ingewahrsamnahme oder Verstoßung („exile“) erreicht hat, als fundamentale Rechtsverletzung im Sinne des Verfolgungstatbestandes klassifiziert werden kann, falls diese aus diskriminierenden Gründen begangen werden565. Das ICTR hat explizit eine Verletzung des Rechtes auf Leben, der Freiheit, grundlegende Verletzung der Menschlichkeit566 und eine Verletzung der grundlegenden Menschenrechte567 als fundamentale Rechtsverletzungen anerkannt. Im Wege der Aburteilung der Nazi Verbrechen sind als taugliche Verfolgungshandlungen im Sinne des Verbrechens gegen die Menschlichkeit anerkannt: das Fördern und Aufstacheln zur Gewalt gegen Juden; das Autorisieren von Einsätzen sog. „Brand Einheiten“, um Angehörige von vermuteten Saboteuren zu bestrafen; das Unterschreiben von Dekreten, das die geheime „Deportation“, Freiheitsentzug und Massenverurteilungen für Widerstandskämpfer der Deutschen Besatzung vorsahen; sowie die Anti-Jüdische Gesetzgebung auf die neu besetzten Gebiete ausweitete; das Verfassen und Ausführen verschiedenster Dekrete, die Juden von sozialen und wirtschaftlichen Teilen der Deutschen Gesellschaft ausgrenzte568; das Fungieren als Richter, um das Verfolgungs- und Ausrottungsprogramm der Nazi Führungselite zu unterstützen; sowie die Autorisierung einer Anzahl von Dekreten, die das Erfordernis der Registrierung, Ghettoisierung, das Tragen des David Sterns und die Deportation von Juden aus besetzten Gebieten vorsahen569. Auch bestimmte Taten, die eine wirtschaftliche Diskriminierung oder Beraubung darstellen, können dann ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein, wenn darin eine Beraubung der menschlichen Grundbedürfnisse zu sehen ist570. b) Zielgerichtetheit der Rechtsberaubung Gemäß Nr. 2 der Elements of Crimes ist erforderlich, dass „the perpetrator targeted such person or persons by reason of the identity of a group or collectivitiy or targeted the group or collectivity as such.“ Die Formel geht auf einen während der Rom Konferenz entbrannten Streit zurück, zu wessen Zweck der 565
Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (3. März 2000), Abs. 220. Prosecutor v. Ruggiu, ICTR-97-31-I (1. Juni 2000), Abs. 22. 567 Prosecutor v. Semanza, ICTR-97-20-T (15. Mai. 2003), Abs. 349. 568 Vgl. Banco National de Cuba v. Sabbatino, 376 US 398 (1964). 569 IMT-Mat., Bd. I, 247 ff.; Prosecutor v. Kupres ˇkic´ et al., IT-96-16-T (14. Januar 2000), Abs. 595 ff. 570 Prosecutor v. Tadic ´ , IT- IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 710; vgl. aber Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., IT-96-16-T (14. Januar 2000), Abs. 619, Fn. 897 zitierend Flick (Flick et al., in NMT Vol. VI, p. 1215) und Krauch (US v. Krauch et al. (Farben case)) (NMT Vol. VIII pp. 1129–1130). 566
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
Täter die fundamentale Rechtsberaubung vornehmen muss, um von einer „Verfolgung“ sprechen zu können. Einerseits wurde vertreten, der Täter müsse dem Opfer deshalb seiner Rechte berauben, weil das spezifische Opfer Mitglied einer bestimmten Gruppe ist. Andere wollten es ausreichen lassen, dass sich die Schädigung gegen die Gruppe als Ganzes richtet. Bei den Verhandlungen zum ICC Statut fand sich der Kompromiss, in beiden Zwecke eine taugliche Handlungsbegehung zu sehen. Gemäß Nr. 2 der Elements of Crimes ist daher ausreichend, wenn sich die Verfolgung gegen das spezifische Opfer und/oder gegen die Gruppe richtet571. Das ICTY geht hingegen davon aus, dass nur die Gerichtetheit gegen die Gruppe eine taugliche Begehung konstituiert572. Die Gruppe oder Gemeinschaft muss in jedem Fall „identifizierbar“ sein. Dies kann sowohl anhand objektiver Kriterien als auch anhand der subjektiven Vorstellung des Täters ermittelt werden573. c) Aus diskriminierenden Gründen („discriminatory grounds“) Völkergewohnheitsrechtlich ist anerkannt, dass der Täter beim Verfolgungstatbestand (und beim Tatbestand der Apartheid) auf der Grundlage eines diskriminierenden Grundes gehandelt haben muss574. Umstritten war indes seit jeher die Anwendungsreichweite. Fragliche Gründe waren insbesondere politische, rassische und religiöse Gründe575. Durch Art. 7 (1)(h) ICC Statut sind nunmehr auch kulturelle, nationale, ethnische und sexistische Gründe kodifiziert worden. Zudem enthält die relevante Passage eine Öffnungsklausel, wonach alle Gründe eingeschlossen sind, die „nach Völkerrecht als universell unzulässig[e]“ Gründe anzusehen sind576. Entgegen weitläufiger Annahme war die Einführung der Öffnungsklausel indes kein Novum, sondern galt faktisch schon vor Verabschiedung des ICC Statuts. So ist in Tadic´ vom ICTY im Trial Chamber-Verfahren577 festgestellt und von der Appeals Chamber578 bestätigt worden, dass die Tauglichkeit eines Dis571 Witschel/Rückert in: Lee, The International Criminal Court. Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 94 (95 f.). 572 Prosecutor v. Martic ´ , IT-95-11-T (12. Juni 2007), Abs. 120. 573 Boot, Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, 520. 574 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 879; Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza und Ngeze, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 1071; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 674. 575 Art. 6(c) IMT Statut, Art. 2 CCL 10, Art. 5(h) ICTY Statut, Art. 3(h) ICTR Statut, Art. 7(1)(h) ICC Statut; Art. 2 SCSL Statut, Art. 12 IST Statut. 576 Art. 8(1) ICC Statut, Art. 12(8) IST Statut „[. . .] or other grounds that are universally recognized as impermissible under international law“. 577 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 711. 578 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 285.
E. Diskriminierungsverbrechen
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kriminierungsgrundes nicht auf die Frage beschränkt bleiben darf, ob dieser unter die enumerierten Gründe fällt oder nicht, sondern vielmehr anhand der vergleichbaren Schwere zu bestimmten ist. Begründet wurde die Ablehnung einer restriktiven Interpretation, die nur die enumerierten Gründe für beachtlich hält, mit dem Argument dass „such an interpretation of Article 5 [ICTY Statute] would create significant lacunae by failing to protect victim groups not covered by the listed discriminatory grounds. The experience of Nazi Germany demonstrated that crimes against humanity may be committed on discriminatory grounds other than those enumerated in Article 5(h), such as physical or mental disability, age or infirmity, or sexual preference.“579
Ob die vom Gericht getroffene Entscheidung, nicht enumerierte Diskriminierungsgründe unter den Verfolgungstatbestand fallen zu lassen, aus rechtsdogmatischer Sicht überzeugen kann, erscheint nicht unzweifelhaft. Das Argument, nicht enumerierte Beweggründe müssten deswegen einbezogen werden, weil sonst Straffreiheit drohe, ist zwar aus praktischer Sicht verständlich. Ein derartiger Ansatz setzt sich allerdings dem Vorwurf aus, das nullum crimen sine lege Prinzip zu verletzen. Auch ist anführbar, dass Art. 5 ICTY Statut in Abs. (i) eine allgemeine Generalklausel enumeriert und damit verlangt, dass eine Täterbestrafung (zumindest über den Umweg einer Generalklausel) auf kodifizierte Verbrechensmerkmale gestützt werden muss. Im Umkehrschluss heißt das, dass das Gericht die Entscheidung des Gesetzgebers akzeptieren muss und nicht dort Öffnungsklauseln „erfinden“ kann, wo es keine geben soll. Warum das ICTY überhaupt den eingeschlagenen Weg beschritten hat, ist nach eigener Einschätzung sowieso nicht recht nachvollziehbar, da es Alternativlösungen gab, die zum selben Ziel geführt hätten. Wenn das ICTY den Anwendungsbereich des Verfolgungstatbestandes hätte erweitern wollen, wäre es klüger gewesen, nicht mit der Effektivität der Strafverfolgung, sondern mit dem Sinn und Zweck des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu argumentieren. Der Schutz vor „unmenschlichen Handlungen“ kann wohl kaum daran festzumachen sein, ob der Täter wegen seiner Rasse, oder wegen seiner sexuellen Orientierung verfolgt wird. Was letztendlich entscheidungserheblich sein muss, ist nicht die formale Kodifizierung des diskriminierenden Grundes der Verfolgung, sondern die Frage, ob der Grund in sich „unmenschlich“ ist, weil er sich gegen die menschliche Würde und die Freiheit richtet. Dogmatisch stringenter wäre es dann gewesen, Diskriminierungshandlungen, die nicht auf eine der enumerierten Gründe gestützt wurden, nicht in den Tatbe579 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 285; in diese Richtung auch Askin in: Askin/Koening, Women and International Human Rights Law I, 41 (71) „it makes no sense whatsoever to require that the crime be committed on these five somewhat arbitrarily enunciated grounds, while ignoring persecution on other pertinent grounds such as gender, social group or standing, or sexual orientation.“
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
stand der Verfolgung hineinzulesen, sondern unter der Generalklausel der „anderen unmenschlichen Handlungen“ abzuurteilen. Das ICC muss den hier aufgezeigten Weg indes nicht mehr gehen, da eine Öffnungsklausel innerhalb der Diskriminierungshandlungen in das ICC Statut Eingang gefunden hat. Fraglich und zumindest in der Fachliteratur umstritten bleibt indes weiterhin, welche Diskriminierungsgründe in concreto tauglich sein sollen. Das ICC Statut selbst hält zumindest die neu enumerierten „kulturellen, nationalen, ethnischen oder sexistischen Beweggründe“ für völkergewohnheitsrechtlich anerkannt580. Während diese Auffassung von Witschel und Rückert geteilt wird, meint Cassese, die neu enumerierten Diskriminierungsgründe stellten (noch) nicht Ausprägungen eines völkergewohnheitsrechtlichen Standards dar581. Gegen letztere Ansicht spricht indes, dass das Tatbestandsmerkmal des diskriminierenden Grundes eher weit auszulegen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des ICTY muss sich etwa die Handlung nicht gegen eine spezifische Gruppe richten (z. B. Nicht-Serben)582. Auch ist es nach mehrheitlicher Ansicht nicht notwendig, dass die Verfolgung im Rahmen einer speziellen Politik begangen werden muss583. Das ICTR ist sich zwar der Auslegung des ICTY bewusst, hat jedoch bisher in dieser Frage soweit ersichtlich mangels Erheblichkeit noch keine Stellung bezogen584. Unstrittig ist indes, dass die Erfüllung einer der Gründe ausreichend ist. Zwar wurde entgegen der Definitionen im ICC Statut in Art. 5 des ICTY Statuts und Art. 3 des ICTR Statuts kodifiziert, die Verfolgung müsse „on political, racial 580 Art. 7(1)(h) ICC Statut, „Persecution on [. . .] ethnic, cultural, religious, gender [. . .] or other grounds, that are universally recognized as impermissible under international law“. Eine Interpretation, die davon ausginge, dass sich der Definitionsteil „that are universally recognized as impermissible under international law“ ausschließlich auf die Generalklausel im letzten Abschnitt bezieht und nicht auf die vorherig genannten neuen diskriminierenden Gründe angewendet werden kann, ist aufgrund des Verstoßes gegen das ejusdem generis Prinzip problematisch. 581 Cassese in: Cassese/Gaeta/Jones, The Rome Statut of the International Criminal Court I, 353 (376); dafür mit Berufung auf den Verhandlungsprozess zum ICC Statut Witschel/Rückert in: Lee, The International Criminal Court. Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 94 (95). Siehe auch Akhavan, 94 A.Soc’y Int’l LProc. (2000), 279 (281). 582 Prosecutor v. Tadic ´ , IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 652; Prosecutor v. Tadic´, IT94-1-A (15. Juli 1999), Abs. 249; Prosecutor v. Todorovic´, IT-95-9/1-S (31. Juli 2001), Abs. 12, 236; Prosecutor v. Krnojelac, IT-97-25-A (17. September 2003), Abs. 187. [The accused] „had sufficient information to alert him to the risk that inhuman acts and cruel treatment were being committed against the non-Serb detainees because of their political or religious affiliation“. 583 Bassiouni/Manikas, The Law of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, 548; Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., IT-96-16-T (14. Januar 2000), Abs. 625. 584 Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza und Ngeze, ICTR-99-52-T (3. Dezember 2003), Abs. 1071.
E. Diskriminierungsverbrechen
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and religious grounds“ begangen werden. Das ICTY hat allerdings in Tadic´ klar gestellt, dass contra verba sed secundum rationem legis jeder Grund eo ipso die Erfüllung des Verfolgungstatbestandes hervorrufen kann585. Auch die Tatsache, dass innerhalb des Art. 3 ICTR Statut im Rahmen des chapeaus der Gesamtangriff „on national, political, ethnic, racial or religious grounds“ begangen werden kann, während beim Verfolgungstatbetand eine Begehung „on political, racial and religious grounds“ gefordert ist, ändert daran nichts586. d) Tatbestandsnexus zu anderen Verbrechen Höchst strittig wiederum, ob der Tatbestand der Verfolgung die Begehung in Zusammenhang mit einem anderen im jeweiligen Statut enumerierten Akt verlangt. Sowohl das IMT Statut587, das IMTFE Statut, als auch das ICC Statut sehen eine solche Begrenzung vor – vgl. Art. 7(1)(h) ICC Statut, Elements of Crimes Nr. 4 –. Insofern ist statuiert, die Verfolgung müsse in Zusammenhang mit einem anderen unmenschlichen Akt, Völkermord oder Kriegsverbrechen (oder evtl. zukünftig Aggressionsverbrechen), begangen werden. Sowohl das ICTR als auch das ICTY gehen hingegen davon aus, dass der in den Statuten vorgeschriebene nexus nicht Völkergewohnheitsrecht widerspiegelt, sodass eine „offensichtliche Leugnung fundamentaler Rechte“ ausreichend ist588. Um jedoch das ejusdem generis Prinzip nicht zu verletzen, muss die ein585 Prosecutor v. Tadic ´, IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 712 f. „The use of the word ,and‘ most likely results from the fact that the Statute attempts to define, in a cumulative sense, the International Tribunal’s adjudicatory powers under Article 5 [. . .] and, since there is no clear indication of an intention to deviate from customary international law, it is highly unlikely that the Statute’s drafters intended the word ,and‘ to require all three grounds to be present.“ 586 Zur Sinnigkeit der doppelten Kodifizierung des „ground“ Erfordernisses innerhalb des ICTR Statuts, siehe Kapitel 3 F. 587 Vgl. die diesbezügliche Analyse in Polyukhovic v. Commonwealth, 172 CLR (1991), 501 (669 ff.). 588 Vgl. Prosecutor v. Kordic ´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 197 mit Verweis auf Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 578 ff. „The Kupreskic Trial Chamber found this provision [Art. 7 (1)(h) ICC Statut] to be more restrictive than is necessary under customary international law“; vgl. auch Abs. 580 „to the extent that it is required that persecution be connected with war crimes or the crime of aggression, this requirement is especially striking in light of the fact that the ICC Statute reflects customary international law in abolishing the nexus between crimes against humanity and armed conflict. Furthermore this restriction might easily be circumvented by charging persecution in connection with ,other inhumane acts of a similar character intentionally causing great suffering, or serious injury to body or mental or physical health‘ under Article 7(1)(k). [. . .] The application of the provisions contained in Part II of the Statute [. . .], including Article 7 on crimes against humanity, is restricted by Article 10 of the same Statute which provides that ,Nothing in the Statute shall be interpreted as limiting or prejudicing in any way existing or developing rules of international law for purposes other than this Statute‘.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
zelne Handlung in sich, oder die kumulative Ansammlung von mehreren Verfolgungshandlungen einen Schweregrad erreicht haben, der in seinem Ausmaß mit den anderen enumerierten Einzelverbrechen vergleichbar ist. Das ICC könnte sich dem Problem dadurch entziehen, dass es neben dem Verfolgungstatbestand quasi als „Doppelanklage“ für ein und dieselbe Handlung auch eine Verletzung der Generalklausel der „anderen unmenschlichen Handlungen“ für einschlägig erachtet. Freilich ist ein solches Vorgehen nicht unproblematisch. Denn die Generalklausel ist subsidiär nur dann einschlägig, wenn die Handlung nicht unter eine enumerierte Katalogstraftat subsumierbar ist. Im Ergebnis wird man wohl der einschränkenden Kodifizierung der IMT, IMTFE und ICC Statute Geltung verschaffen und folglich der Forderung nach einen expliziten Tatbestandsnexus nachgeben müssen. 3. Mens rea Bezüglich der erforderlichen mens rea muss neben dem Nachweis eines „intent“ bezüglich der Verfolgungshandlung zusätzlich nachgewiesen werden, dass der Täter die Handlung mit „diskriminierendem animus“ begangen hat (dolus specialis)589. Das mens rea Erfordernis ist somit beim Verfolgungstatbestand im Vergleich zu den anderen enumerierten Verbrechen stärker, jedoch im Vergleich zur mens rea des Völkermordes schwächer. Während beim Völkermord ein spezifischer Vorsatz (Absicht) erforderlich ist, „eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören bzw. zu vernichten“590, bezieht sich die mens rea beim Verfolgungstatbestand auf die Diskriminierung gegen Mitglieder einer Gruppe (oder eine Gruppe als solche), durch die schwerwiegende und systematische Verletzungen von fundamentalen Menschenrechten herbeigeführt werden591. Die mens rea des Völkermordes ist daher schwergewichtiger592, weil sie nicht nur auf grundlegenden Menschenrechtsverletzungen, sondern auf einer Vernichtungsabsicht basiert. Der „discriminatory intent“ ist durch objektive Kriterien nachweisbar. Das ICTY erachtet es (auch) für möglich, aus der Natur des Angriffs – quasi substituierend – einen Diskriminierungsvorsatz herleiten zu können, wenn aus dem Angriff konkrete Verstärkungswirkungen für eine diskriminierende Begehung ableitbar sind; der Verweis auf die allgemeine diskriminierende Natur des AnThis provision clearly conveys the idea that the framers of the Statute did not intend to affect, amongst other things, lex lata as regards such matters as the definition of war crimes, crimes against humanity and genocide.“ 589 Cassese in Cassese/Gaeta/Jones, The Rome Statut of the International Criminal Court, 353 (364). 590 Vgl. Art. 6 ICC Statut. 591 Prosecutor v. Kupres ˇkic´ et al., IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 751. 592 Prosecutor v. Kupres ˇkic´ et al., IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 636.
E. Diskriminierungsverbrechen
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griffs reicht freilich nicht aus593. Richtig kann das nicht sein. Denn obgleich objektive Kriterien die mens rea des Täters belegen können, muss weiterhin Ausgangspunkt der Betrachtung die mens rea des Täters sein; diese ist anhand seiner subjektiven Vorstellungen von der von ihm begangenen Einzeltat im Verbund zum Gesamtkontext zu ermitteln. Es wurde bereits dargelegt, dass eine „Verstärkungswirkung“ der Täterhandlung – ganz gleich ob mit Hinblick auf actus reus oder mens rea – nicht aus dem chapeau herausgelesen werden darf, um die (eigentliche) Nichteinschlägigkeit eines Einzeltatbestandsmerkmals für einschlägig zu erklären594. Hingewiesen sei noch auf folgende Tatsache: Fordert man (im Gegensatz zur obigen Auffassung des ICTY und ICTR jedoch im Einklang mit dem ICC Statut) einen nexus zu einem anderen Verbrechen von vergleichbarer Schwere, so geht aus Fußnote 22 der Elements of Crimes hervor, dass für das Nexusverbrechen keine zusätzliche mens rea nachgewiesen werden muss595. Die mens rea Anforderungen bleiben in beiden Fällen gleich. Neben der mens rea bezüglich der spezifischen Verfolgungshandlung muss der Täter in Einklang mit den generellen mens rea Grundsätzen zusätzlich über konstruktives Wissen vom makrokriminellen Gesamtkontext verfügen596. Er muss zudem wissen, dass sich seine Handlung als Teil des Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellt. 4. Die Hasspredigt („hate speech“) als Verfolgung im Rahmen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit? Mit dem derzeit wohl relevantesten597 und umstrittensten Fall der Verfolgung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit – das Halten von Hasspredigten – hatte sich das ICTR (Trial Chamber I) erstmalig in Ruggiu598 zu beschäftigen. Im genannten Fall war der Beschuldigte, ein belgischer Staatsangehöriger, als Journalist und Rundfunksprecher bei der Radiostation RTLM beschäftigt. RTML rief landesweit mit Unterstützung der Regierung in propagandistischer
593 Prosecutor v. Kvocka et al, IT-98-30/1-A (28. Februar 2005), Abs. 460; Prosecutor v. Martic´, IT-95-11-T (12. Juni 2007), Abs. 121 f. 594 Siehe oben Kapitel 3 G. 595 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(h), Fn. 22 „It is understood that no additional mental element is necessary for this element other than that inherent in element 6“; Witschel/Rückert in: Lee, The International Criminal Court. Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 95. 596 Siehe Prosecutor v. Serugendo, ICTR-2005-84-I (12. Juni 2006), Abs. 10. 597 Vgl. etwa Prosecutor v. Ruggiu, ICTR-97-32-I (18. Dezember 1998), Abs. 44 ff.; Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza und Ngeze, ICTR-99-52-T (3. Dezember 2003), Abs. 1072; Mugesera v. Canada, 2 S.C.R. (2005), 100 ff. 598 Prosecutor v. Ruggiu, ICTR-97-32-I (1. Juni 2000).
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
Art und Weise zur Tötung und Ausrottung der Tutsis und gegen den im Arusha Abkommen vereinbarten Friedensprozess auf. Gorges Henri Yvon Joseph Ruggiu nahm aktiv an den Aufrufen zur Tötung der Tutsis teil599. Das Gericht bewertete diese Handlungen als Verfolgung im Rahmen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Weil sich Ruggiu schuldig bekannte, wurden jedoch langatmige Ausführungen zum Verfolgungstatbestand vermieden. Konkrete Begründungen folgten in Nahimana600. a) Ruggiu und Nahimana In Nahimana hat die ICTR Trial Chamber I erstmalig den Versuch unternommen, für ihren in Ruggiu eingeschlagenen Weg eine umfassende Begründung aufzuzeigen. Vom Grundsatz her ging es um zwei Hauptfragen: Problematisch war erstens, wie zwischen der Hasspredigt in Form der Verfolgung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einerseits, und die in Art. 2(3)(c) ICTR Statut enumerierte „unmittelbare und öffentliche Anreizung zur Begehung von Völkermord“ („direct and public incitement to commit genocide“)601 andererseits abzugrenzen ist. Das ICTR traf diesbezüglich die Aussage, dass sich im Gegensatz zur „unmittelbare[n] und öffentliches[n] Anreizung zur Begehung von Völkermord“ die Hasspredigt i. S. d. Verfolgungstatbestandes vor allem dadurch unterscheide, dass nicht explizit zur „Gewalt“ aufgerufen werden müsse602. Im Gegensatz zum „Verbrechen der Anreizung“, die durch das Definitionsmerkmal des Vorsatzes geprägt ist, sei das Verbrechen der Verfolgung durch das „Ausmaß“ definiert. Es sei keine Provokation zur Schädigung, sondern die Schädigung selbst603. Daraus wird vom ICTR gefolgert, dass ein Appell zur gewaltsamen Begehung von Handlungen nicht konstitutive Voraussetzung für taugliches Predigen von Hass ist604. Für die Begehung einer „Verfolgung“ in Form des Haltens einer Hasspredigt reiche der Aufruf zur rassischen Diskriminierung aus605, weil schon darin die Schädigung zu sehen sei606. 599 Indictment, Prosecutor v. Ruggiu, ICTR-97-32-I (18. Dezember 1998), Abs. 5.8 f.; Prosecutor v. Ruggiu, ICTR-97-32-I (1. Juni 2000), Abs. 44 f. 600 Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza und Ngeze, ICTR-99-52-T (3. Dezember 2003). 601 Zur „unmittelbaren und öffentlichen Anreizung zur Begehung von Völkermord“ und ihre Verbindung zur Tatausführung der „Aufstachelung“ (instigation), siehe oben Kapitel 3 C.I.2. 602 Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza und Ngeze, ICTR-99-52-T (3. Dezember 2003), Abs. 1073. 603 Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza und Ngeze, ICTR-99-52-T (3. Dezember 2003), Abs. 1073. 604 Orentlicher, 13 Hum. Rts. Brief 1 (2005), 1.
E. Diskriminierungsverbrechen
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Was das ICTR in diesem Zusammenhang unter „Hass“ verstehen will, bleibt unklar. Als Hilfestellung hätte nach eigener Einschätzung Regina v. Keegstra herangezogen werden können. „Hass“ ist dort definiert als „eine ihrer Natur nach intensive und extreme Emotion, die in klarer Weise mit einer Herabwürdigung und Verabscheuung verbunden ist“607. Zur weiteren Untermauerung, dass das Predigen von Hass eine Schädigung an sich und nicht nur eine Provokation zur Schädigung ist, zitiert die ICTR Trial Chamber I im Folgenden Streicher608. In diesem vom IMT entschiedenen Fall sei das Tribunal zu einer vergleichbaren Bewertung gekommen und habe den Beschuldigten, Julius Streicher, als Herausgeber des „Stürmer“ (schon deswegen) wegen „Verfolgung“ als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt, weil er antisemitischen Schriften verfasste, die in signifikanter Weise zur Ausrottung der Juden in den 1940er Jahren beitrugen609. Der Einwand von Julius Streicher, dass er von der tatsächlichen Judenverfolgung keine Kenntnis erlangt habe, wurde vom IMT nicht berücksichtigt. Insofern sei nur konsequent, sowohl 605 Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza und Ngeze, ICTR-99-52-T (3. Dezember 2003), Abs. 1072 ff. 606 Im Fall Nahimana et al. war die Frage nach der Erforderlichkeit eines Gewaltaufrufs auch entscheidungserheblich, weil in der von Hassan Ngeze publizierten Kangura-Zeitschrift Artikel wie „A Cockroach Cannot Give Birth to a Butterfly“ erschienen sind, die zwar mit ethnischen Hass gegen Tutsis durchsetzt waren und zum Hass anreizten, jedoch nicht direkt zu Gewalthandlungen aufriefen; Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza und Ngeze, ICTR-99-52-T (3. Dezember 2003), Abs. 344, 1037; vgl. weiter MacKinnon, 98 AJIL 2 (2004), 325 (326). 607 R. v. Keegstra, 2 S.C.R. (1990), 697 (777). 608 In der Tat finden sich zwischen den Vorgängen während des Dritten Reiches und Ruanda Parallelen. So wurde erstens unter Präsident Habyarimana unter Einbeziehung der engsten Vertrauten (sog. Akazu) eine Ideologie des Hasses gegen die Tutsis entwickelt, wobei der Hauptfeind bezeichnet wurde als „The Tutsi from inside or outside the country, who are extremists and nostalgic for power, who do not recognize and have never recognized the realities of the Social Revolution of 1959, and are seeking to regain power in Rwanda by any means, including taking up arms“ (Brief vom 21. September 1992 an die RAF, zitiert in: Indictment, Prosecutor v. Ruggiu, ICTR97-32-I (18. Dezember 1998), Abs. 1.17); zweitens eine dem Stürmer vergleichbare Propaganda Zeitschrift kostenlos veröffentlicht und vertrieben (Kangura Newspaper); drittens eine private Radiostation mit Regierungsunterstützung gegründet (RTLM), um massenmedial Hass und Zerstörungswut innerhalb der Bevölkerung zu schüren; viertens Jugendorganisationen der MRND und CDR gegründet („interahamwe“ und „impuzamugambi“); fünftens weitläufige Brandstiftungen begangen und sechstens ca. 800.000 Personen, hauptsächlich Tutsis, ermordet; siehe Indictment, Prosecutor v. Bisengimana ICTR-2000-60-I (10. Juli 2000). 609 Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza und Ngeze, ICTR-99-52-T (3. Dezember 2003), Abs. 1073. Die Originalpassage lautet: „The Chamber notes that Julius Streicher was convicted by the International Military Tribunal at Nuremberg of persecution as a crime against humanity for anti-semitic writings that significantly predated the extermination of the Jews in the 1940s. Yet they were understood to be like a poison that infected the minds of the German people and conditioned them to follow the lead of the National Socialists in persecuting the Jewish people.“
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
die Gerichtetheit der Hasspredigt auf ein Handeln, als auch einen etwaigen Nachweis eines nexus zwischen Verfolgungshandlung und Gewalthandlung für entbehrlich zu halten610. Nachdem die Trial Chamber I geklärt hatte, was eine Hasspredigt konstituiert und wie sie sich von der „unmittelbaren und öffentlichen Anreizung zur Begehung von Völkermord“ unterscheidet, beantwortete sie zweitens die daran anschließende Frage, warum Hasspredigten als „Verfolgung“ bewertbar sind. Das ICTR führt aus: „Essentially, there are two sorts of injury caused by hate propaganda. First, there is harm done to members of the target group. It is indisputable that the emotional damage caused by words may be of grave psychological and social consequence. [. . .] In a similar manner, words and writings that wilfully promote hatred can constitute a serious attack on persons belonging to a racial or religious group [. . .]. A second harmful effect of hate propaganda which is of pressing and substantial concern is its influence upon society at large.“611
Unter Einbeziehung obiger Aussage gründete sich der Gedankengang in Nahimana und Ruggiu vor allem auf zwei Argumente. Zum einen sollen Hasspredigten eine diskriminierende Form der Aggression darstellen und die Würde der angegriffenen Mitglieder der Gruppe in weit reichender Form verletzen. Zum anderen seien Hasspredigten nicht nur gewöhnliche „Beleidigungen“, sondern kreierten durch ihre Intensität ein geringeres Statusverständnis beim Opfer. Die einzelne Person innerhalb der Gruppe sei genauso in seinem Selbstwertverständnis verletzt wie die Gruppe an sich. Hasspredigten wirkten zudem additiv aufgrund der Intension zur Publikmachung des Gesagten auf die Moralvorstellungen der Hörer und letztendlich auf ganze Gesellschaftsvorstellungen einer Gesamtbevölkerung über. Sie seien folglich nicht nur isolierte „Würdeverletzungen“, sondern zielten gerade darauf ab, gesellschaftliche Wirkungen hervorzurufen. Wie die Erfahrungen im dritten Reich und in Ruanda gezeigt haben, seien sie regelmäßig ein wichtiger Teil zur Erreichung einer Kriminalität im Großformat, da sie als Steuerungs- und Entscheidungsmedium fungieren. b) Unklarheiten in der völkerrechtlichen Bewertung von Hasspredigten Kriminologisch betrachtet mag man den Ausführungen des ICTR sicherlich zustimmen. Problematisch ist indes, dass die Entscheidungen des Tribunals an dogmatischen Schwächen kranken; die juristische Urteilsbegründung lässt die notwendige Schlagkraft vermissen und basiert teilweise – so mag man meinen – 610 Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza und Ngeze, ICTR-99-52-T (3. Dezember 2003), Abs. 1073. 611 Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza und Ngeze, ICTR-99-52-T (3. Dezember 2003), Abs. 1072; vgl. auch R. v. Keegstra, 2 S.C.R. (1990), 697 (746 f.).
E. Diskriminierungsverbrechen
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auf billigend in Kauf genommenen Fehlinterpretationen. Wie bereits ausgeführt, gründen sowohl Ruggiu612 als auch Nahimana613 bei der Frage, ob Hasspredigten „Verfolgungen“ sein können, ihre Bewertung auf die vom IMT getätigten Ausführungen in Streicher. Streicher ist aber, wie sogleich ausgeführt wird, von der ICTR Trial Chamber I sowohl in Ruggiu, als auch in Nahimana missinterpretiert worden. Auch sind die Urteile untereinander unschlüssig. Wie es scheint, hat Nahimana zuviel in Ruggiu hinein lesen wollen. Die Entscheidungsfindung des ICTR in Ruggiu und Nahimana sollten daher nicht dazu verleiten, unkritisch davon auszugehen, dass völkergewohnheitsrechtlich betrachtet Hasspredigten in den Anwendungsbereich des Verfolgungstatbestandes fielen. Die diesbezügliche Rechtslage ist derzeitig höchst umstritten und unklar. So hat einerseits zwar die ICTR Trial Chamber I in einer Entscheidung bezüglich der Anträge für ein Urteil auf Freispruch in Bagosora mit Verweis auf Nahimana festgestellt, dass Hasspredigten unter den Verfolgungstatbestand subsumierbar seien614. Die Trial Chamber I scheint damit auf der einen Seite den eingeschlagenen Weg weitergehen zu wollen. Auf der anderen Seite erklärte indes das ICTY in Kordic´, Hasspredigten seien nicht als Verfolgung i. S. eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit abzuurteilen615. Es stützt sich vornehmlich auf eine sonstige Verletzung von nullum crimen sine lege. In eine gegenteilige Richtung scheint wiederum der kanadischen Supreme Court in Canada v. Mugesera zu tendieren. In diesem Fall wurde der Verfolgungstatbestand im Rahmen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit zwar bejaht, weil die Hasspredigt des Beschuldigten anreizte und Ermutigungen enthielt, Handlungen von extremer Gewalt, wie etwa Ausrottungen, zu begehen616. Auf die kritische Frage, ob ein Verbrechen in Form der Verfolgung durch das Predigen von Hass auch dann vorliegen kann, wenn der Täter nur zur rassischen Diskriminierung, nicht aber zur Gewalt aufruft, kam es daher nicht an. Das Gericht stellte aber in einem bemerkenswerten obiter dictum in Anlehnung an Ruggiu und mit Wissen617 von der gegenteiligen Rechtsprechung des ICTY in Kordic´ fest: „In Keegstra, this Court found that the harm in hate speech lies not only in the injury to the self dignity of target group members, but also in the credence that may be given to the speech, which may promote discrimination and even violence [. . .]. This finding suggests that hate speech always denies fundamental rights [618]. 612
Prosecutor v. Ruggiu, ICTR-97-32-I (1. Juni 2000), Abs. 18 f. Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza und Ngeze, ICTR-99-52-T (3. Dezember 2003), Abs. 981. 614 Prosecutor v. Bagosora, Kabiligi, Ntabakuze und Nsengiyumva, ICTR-98-41-T, Decision on Motions for Judgement of Acquittal (2. Februar 2005), Abs. 32. 615 Dazu gleich, siehe unten E.I.4.c). 616 Mugesera v. Canada, 2 S.C.R. (2005), Abs. 148. 617 Mugesera v. Canada, 2 S.C.R. (2005), Abs. 146. 618 Ob man diese Schlussfolgerung aus Keegstra herauslesen kann, erscheint zweifelhaft. So hat das Gericht in der relevanten Passage nur festgestellt, dass auch bei 613
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
The equality and the life, liberty and security of the person and target group members cannot but be affected. [Verweis auf Ruggiu, Abs. 22] This denial of fundamental rights may, in particular instances, reach a level of gross and blatant denial equal in gravity to the other acts enumerated in s. 7(3.76). This is particularly likely if the speech openly advocates extreme violence (such as murder or extermination) against the target group, but it may not be limited to such circumstances. In contrast to the case of counselling an enumerated violent act, whether the persecution actually results in the commission of acts of violence is irrelevant [Verweis auf Nahimana, Abs. 1073].“619
c) Bewertung der Urteilsgründe in Ruggiu und Nahimana Ob der in Ruggiu, Nahimana und Mugesera eingeschlagene Weg, wonach eine Verfolgung in Form des Predigens von Hass schon dann anzunehmen ist, wenn der Täter einen Aufruf zur Diskriminierung tätigte, sinnig ist, erscheint fraglich. Gegen die Ansicht der ICTR Trial Chamber I kann ins Feld geführt werden, dass Hasspredigten im Rahmen ihrer Aburteilung nach dem Völkermordbestand regelmäßig unter Art. 3(c) der Völkermordkonvention fallen. Dort ist aber „unmittelbares und öffentliches Anreizen zur Begehung von Völkermord“ explizit gefordert620. Eine Umgehung des restriktiven Völkermordtatbestandes durch eine Aburteilung im Rahmen des Verfolgungstatbestandes ohne Notwendigkeit des Nachweises einer Anreizungshandlung zur Gewalt setzt sich daher in Konflikt mit dem Legalitätsprinzip. Auch die von der Trial Chamber I ins Feld geführten Aussagen in Streicher erlauben kein gegenteiliges Urteil. Die dort vom Gericht zitierten Passagen erzählen nur die halbe Wahrheit, da das Gericht entscheidende Stellen des Zitates „übersehen“ hat. Entgegen der Annahme in Nahimana wurde Streicher als Herausgeber des Stürmer vom IMT wegen Verfolgung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgrund seiner Anreizung zu Mord und Ausrottung verurteilt,621 und nicht (nur) aufgrund des Vertreibens von Hetzschriften, die in keinem Zusammenhang zu solchen Handlungen standen622. Wenn aber Julius Streicher wegen Anreizung zum Mord und Ausrottung abgeurteilt wurde, ist nicht nachvollziehbar, warum – basierend und sich aus dem Streicher Urteil ergebend – eine Hasspredigt keinen expliziten Gewaltaufruf erfordern soll.
Nichtvorliegen einer Krisensituation Hasspropaganda dazu führen kann, dass in unkalkulierbarer Weise die Opfer potentiell psychologischen und sozialen Schaden nehmen, die Mehrheit der Gesellschaft bezüglich der getätigten Äußerungen abstumpft oder die Minderheit empfindlich reagieren kann; vgl. R. v. Keegstra, 2 S.C.R. (1990), 697 (748). 619 Mugesera v. Canada, 2 S.C.R. (2005), Abs. 147. 620 Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, GA/ Res. 260 (III) A (9. Dezember 1948). 621 IMT-Mat. Bd. I, 131 ff. 622 Vgl. Orentlicher, 13 Hum.Rts.Brief 1 (2005), 3.
E. Diskriminierungsverbrechen
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Die Fehlinterpretationen in Nahimana lassen sich konkret in Streicher festmachen. Das ICTR zitiert zwar eine existente Stelle aus Streicher. Die relevante Passage im Streicher Urteil lautet allerdings im Originalwortlaut: „[. . .] such was the poison Streicher injected into the minds of thousands of Germans which caused them to follow the National socialist policy of Jewish persecution and extermination.“623
Die letzten beiden Worte des Zitats sind in Nahimana nicht zitiert worden. Sie sind aber von besonderer Relevanz, da sie ein klarer Indikator dafür sind, dass Streicher wegen seiner aktiven Anreizungshandlung zur Ausrottung der Juden verurteilt worden ist624. Julius Streicher wurde auch nicht, wie das ICTR annimmt, für das Verfassen von antisemitischen Schriften, die in signifikanter Weise die Ausrottung der Juden in den 1940er Jahren vorbereiteten – also für kriminelle Vorkriegshandlungen – verurteilt. Die Verurteilung bezog sich vielmehr (nur) auf Gewaltaufrufe während des Zweiten Weltkrieges. So stellte das IMT fest dass „[. . .] his [Streicher’s] incitement to murder and extermination at the time when Jews in the East were being killed under the most horrible conditions clearly constitutes persecution on political and racial grounds in connection with war crimes, as defined by the [IMT] Charter and constitutes a crime against humanity.“625
Merkwürdig erscheint weiter, dass das ICTR das ebenfalls vom IMT erlassene Fritsche Urteil nicht berücksichtigte, obwohl vieles darauf hindeutet, dass das Gericht das Urteil kannte626. Dort stellte das IMT fest, dass, obwohl Fritsche starke propagandistische Aussagen getätigt hatte, „[the IMT is] not prepared to hold that they were intended to incite German people to commit atrocities on conquered peoples, and he cannot be held to have been a participant in the crime charged.“627
Folgerichtig wurde Fritsche vom Vorwurf der Verfolgung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit freigesprochen.
623
IMT-Mat. Bd. I, 131 ff. (eigene Hervorhebung). So auch Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 209, Fn. 272; Open Socity Justice Initiative, Amicus Curiae Brief on Ferdinand Nahimana, 28 ff.; von der ICTR Appeals Chamber angenommen, Prosecutor v. Nahimana, Barayagwaza, Ngeze, ICTR-99-52-A, Entscheidung v. 12. Januar 2007, Decision on the Admissibility of the AMICUS CURIAE brief filed by the „Open Society Justice Initiative“ and on its request to be heard at the appeals hearing. 625 IMT-Mat. Bd. I, S. 131 ff. (eigene Hervorhebung). 626 Bei den Ausführungen zu „direct and public incitement to commit genocide“ wurde in einem eigenen Absatz des Nahimana Urteils, der mit „Fritsche“ betitelt ist, explizit auf das Fritsche Urteil des IMT eingegangen. Beim Verfolgungstatbestand findet das Urteil indes trotz Relevanz seltsamerweise keine Erwähnung; vgl. Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza und Ngeze, ICTR-99-52-T (3. Dezember 2003), Abs. 982. 627 IMT-Mat. Bd. I, 163 (eigene Hervorhebung). 624
432
Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
Nahimana berücksichtigt auch nicht die vom ICTY zu diesem Problem bereits getätigten Feststellungen in Kordic´. Das ICTY stellte fest, dass Kordic´ der erste Fall war, in dem der Beschuldigte aufgrund „encouraging and promoting hatred on political etc. grounds“ wegen Verfolgung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem ICTY angeklagt wurde628. Im Kordic´ Appeal hat die Appeals Chamber der Feststellung der Trial Chamber, wonach die Predigung von Hass keine „Verfolgung“ im Sinne des Verbrechens gegen die Menschlichkeit ist, nicht widersprochen629. Zwar ist nicht daraus ableitbar, dass das ICTY grundsätzlich davon ausginge, dass das Predigen von Hass nicht als Verfolgung bewertbar ist. Denn insoweit muss Beachtung finden, dass die Aussage der ICTY Trial Chamber einzelfallabhängig getroffen wurde und strikt an die Schwere der Vorwürfe aus der Anklage gekoppelt war630. A contrario könnte gar daraus geschlossen werden, dass die Trial Chamber nicht generell ausschließt, dass eine Hasspredigt eine Schwere an fundamentaler Rechtsverletzung erreichen kann. Oder anders formuliert: Eine Aburteilung unter den Verfolgungstatbestand käme allgemeinhin dann in Betracht, wenn das Ausmaß der Predigt einen gewissen Schwergrad erreicht, was jedoch im vorliegenden Fall nicht zutraf631. Das aufgezeigte Argumentationskonstrukt greift allerdings fehl. Denn obgleich die ICTY Trial Chamber zuvorderst einzelfallspezifische Feststellungen zum erörterten Problem traf, trifft sie in der in Absatz 209 angehängten Fußnote 272 eine bemerkenswerte allgemeingültige Feststellung: „Furthermore, the only speech act explicitly criminalised under the statutes of the International Military Tribunal, Control Council Law No. 10, the ICTY, ICTR and ICC Statute, is the direct and public incitement to commit genocide. The sharp split over treaty law in this area is indicative that such speech may not be regarded a crime under customary international law.“632
In eine ähnliche Richtung geht die von der ICTY Trial Chamber in Abgrenzung zu obiger Einzelfallbewertung getätigte Feststellung: 628 629
Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 59. Prosecutor v. Kordic´ und Cˇerkez, IT-95/2-A (17. Dezember 2004), Abs. 661,
676. 630 Prosecutor v. Kordic ´ und Cˇerkez, IT-95/2-A (17. Dezember 2004), Abs. 661 „The Trial Chamber has already held that the allegations relating to the encouragement and promotion of hatred, etc, and the dismissal of Bosnian Muslims from employment do not amount to persecution for the purposes of this case or, in the case of the latter allegation, at all.“ (Eigene Hervorhebung.) 631 Vgl. Prosecutor v. Kordic ´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 209 „The Trial Chamber [. . .] finds that this act, as alleged in the Indictment, does not by itself constitute persecution as a crime against humanity. It [. . .] does not rise to the same level of gravity as the other acts enumerated in Article 5.“; so auch verstehend Mugesera v. Canada, 2 S.C.R. (2005), Abs. 146. 632 Prosecutor v. Kordic ´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 209, Fn. 272 (Hervorhebung im Original).
E. Diskriminierungsverbrechen
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„Furthermore, the criminal prohibition of this act has not attained the status of customary international law. Thus to convict the accused for such an act as is alleged as persecution would violate the principle of legality.“633
Aus beiden Zitaten ergibt sich, dass das ICTY generell die Hasspredigt nicht als „Verfolgung“ i. S. eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit für aburteilbar hält. Denn aus den völkergewohnheitsrechtlichen Quellen gehe hervor, nur die unmittelbare und öffentliche Anreizung zum Begehen von Völkermord, nicht aber auch das Predigen von Hass sei ein internationales Verbrechen. Eine Aburteilung scheitere somit am Legalitätsprinzip. Auch die vom ICTY getätigten Ausführungen zu Streicher legen diese Schlussfolgerungen nahe. Streicher ist in Kordic´ richtigerweise so interpretiert worden, dass der Beschuldigte aufgrund seiner Anreizung der Deutschen zur aktiven Verfolgung, welche das Ausmaß der Anreizung zu Mord und Ausrottung erreichte, verurteilt worden ist, und nicht etwa weil er Hass gepredigt hätte. Streicher spricht folglich eher gegen als für eine Subsumierung der Hasspredigt unter den Tatbestand der Verfolgung. Die ICTR Trial Chamber I in Nahimana beruft sich schließlich auf die von ihr im Fall Ruggiu getätigten Aussagen. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Handlungen Ruggius unter dem Verfolgungstatbestand subsumierbar seien, tätigte das Gericht zwei Feststellungen. Zum einen, losgelöst vom Einzelfall, dass in Anlehnung an Kupresˇkic´ das Verbrechen der Verfolgung eine grobe oder offensichtliche Leugnung der fundamentalen Rechte voraussetzt, die eine Schwere erreichen muss, welche mit den anderen im Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit enumerierten Verbrechen vergleichbar ist634. Zum anderen, auf den konkreten Fall subsumierend, dass in Ruggiu „those acts were direct and public radio broadcasts all aimed at singling out and attacking the Tutsi ethnic group and Belgians on discriminatory grounds, by depriving them of the fundamental rights to life, liberty and basic humanity enjoyed by member of wider society.“635
Aus dem Zusammenspiel der beiden Aussagen wird in Nahimana abgeleitet, Hasspredigten seien eo ipso unter dem Tatbestand der Verfolgung subsumierbar, da sie die Würde der attackierten Gruppe verletzten. Dieser in Nahimana gezogene Schluss ist indes nicht auf Ruggiu rückführbar und beruht auf einer Fehlinterpretation des Urteils. Die Trial Chamber I in Nahimana verschweigt nämlich den darauf folgenden Satz im angeführten Ruggiu Zitat. Dort heißt es:
633 Prosecutor v. Kordic ´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 209, beachte auch insbesondere Fn. 272. 634 Prosecutor v. Ruggiu, ICTR-97-32-I (1. Juni 2000), Abs. 21. 635 Prosecutor v. Ruggiu, ICTR-97-32-I (1. Juni 2000), Abs. 22.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
„The deprivation of these rights can be said to have as its aim the death and removal of persons from the society in which they live alongside the perpetrators [. . .].“636
Aus Ruggiu kann demnach nicht explizit abgeleitet werden, (nur) das Schüren von Rassenhass, im Unterschied zum Schüren von rassistischen Gewalthandlungen, stelle sich als Grundlage für eine Aburteilung durch den Verfolgungstatbestand dar637. Mit Urteil vom 28. November 2007 hat die ICTR Appeals Chamber nunmehr offen gelassen, ob Hasspredigten, die nicht direkt zur Gewalt aufrufen, die Schwere eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit erreichen können. Im konkreten Fall war die Frage belanglos, da nach Ansicht des Gerichts die „Hasspredigten“ in Verbindung mit Aufrufen zum Genozid verübt worden sein sollen638. Als Resümee lässt sich festhalten, dass die Weiterentwicklung des Verfolgungstatbestandes in Nahimana auf völkerstrafrechtlich schwachen Füßen steht und Angriffsfläche bietet. Vor dem Hintergrund, dass sich die Tribunale verpflichteten, dass Recht so auszulegen, wie es sich zum Zeitpunkt der Tatbegehung konstituierte639, ist eine mögliche Verletzung des Legalitätsprinzips nicht von der Hand zu weisen. Auf der anderen Seite ist unbestritten, dass die Angeklagten wussten, dass das, was sie taten, malum in se war. Eine Nichtverurteilung wäre, wie auch bei den NS Kriegsverbrechen im Dritten Reich, aus grundlegenden Gerechtigkeitsgesichtspunkten kaum haltbar gewesen. Die Begründung hätte dann freilich anders formuliert werden müssen. d) Die Hasspredigt und Meinungsfreiheit – ein Widerspruch? Im Überblick sei schließlich auf den Einwand eingegangen, dass das Predigen von Hass eine, wenn auch extreme, Ausformung des Rechtes auf Meinungsäußerung sei. Aus deutscher Sicht erscheint die Argumentation – auch mit Hinblick auf die durch die deutsche Historie geprägten Strafregelungen im StGB – kaum nachvollziehbar zu sein. Bekanntlich sind die Reglungen in anderen Staaten partiell divergent. In Handyside v. United Kingdom hat der ECHR zumindest bestätigt, dass Meinungsfreiheit „is applicable not only to ,information‘ or ,ideas‘ that are favourably received or regarded as inoffensive or as a matter of indifference, but also to those that offend, shock or disturb the State or any sector of the population. Such are the demands of 636 Prosecutor v. Ruggiu, ICTR-97-32-I (1. Juni 2000), Abs. 22 (eigene Hervorhebung). 637 In diese Richtung auch Orentlicher, 13 Hum.Rts.Brief 1 (2005), 4. 638 Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza, Ngeze, ICTR-99-52-A (28. November 2007), 28. 639 So explizit das ICTY in Prosecutor v. Kordic ´ und Cˇerkez, IT-95-14/2-T (26. Februar 2001), Abs. 192.
E. Diskriminierungsverbrechen
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that pluralism, tolerance and broadmindedness without which there would be no democratic society.“640
Mit der Aussage des ECHR ist indes nicht die konkrete Reichweite der Meinungsfreiheit in Fall von Hasspredigten geklärt. Festgestellt ist nur, dass es zulässig ist, „unangenehme Meinungen“ kundzutun, die nicht im Einklang mit dem mehrheitlichen Meinungsbild der Gesellschaft stehen und gar provozierend oder schockierend wirken. Für die Zulässigkeit von Hasspredigten sind dem gegenüber insbesondere Art. 20 i.V. m. Art. 19 der ICCPR relevant, welche bei „any advocacy of national, racial or religious hatred that constitutes incitement to discrimination, hostility or violence“ ein Verbot zur Meinungsäußerung aussprechen, da das Recht auf Meinungsfreiheit auch spezielle Verpflichtungen und Verantwortungen impliziert641. Weiter fordert Art. 4 der ICERD642 „to declare an offence punishable by law all dissemination of ideas based on racial superiority or hatred, incitement to racial discrimination, as well as all acts of violence or incitement to such acts against any race or group of another colour or ethnic origin“643. Schließlich hat der ECHR in gefestigter Rechtsprechung klargestellt, dass rassistisch motivierte Handlungen nicht vom Schutz der Meinungsfreiheit umfasst sind644. Dementsprechend hat das ICTR in Nahimana insoweit zu Recht unter Einbeziehung internationaler Verträge und nationalstaatlicher Gesetzgebung entschieden, dass Hasspredigten im Völkerrecht keine geschützte Meinungsäußerung darstellen645.
640
Handyside v. United Kingdom, Series A, No. 24, Abs. 49 (1976). Vgl. Faurisson v. France, Communication No. 550/1993 (8. November 1996), Abs. 9.6; W.G. Party v. Canada, Communication No. 104/1981 (6. April 1983), Abs. 8(b); UN Human Rights Committee, General Comment 11 (Abs. 2). 642 Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination, Art. 4(a) „States Parties condemn all propaganda and all organizations which are based on ideas or theories of superiority of one race or group of persons of one colour or ethnic origin, or which attempt to justify or promote racial hatred and discrimination in any form, and undertake to adopt immediate and positive measures designed to eradicate all incitement to, or acts of, such discrimination and, to this end with due regard to the principles embodied in the Universal Declaration of Human Rights and the rights expressly set forth in article 5 of this convention.“ In Art. 5(d)(viii) ist das Recht auf Meinungsfreiheit verankert. 643 Zur genauen Abgrenzung zwischen Art. 4(a) und Art. 10 ICERD (Meinungsfreiheit), siehe Jersild v. Denmark, Series A, No. 298 (23. September 1994), Abs. 21, 28 ff. 644 Glimmerveen&Hagenbeek v. Netherlands, Appn. Nos. 8348/78 und 8406/78, 18 DR 187; Feldek v. Slovakia (12. Juli 2001), Abs. 86. 645 Prosecutor v. Nahimana, Barayagwiza und Ngeze, ICTR-99-52-T (3. Dezember 2003), Abs. 1074, 1076. 641
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
II. Das Verbrechen der Apartheid 1. Einleitung Das Verbrechen der Apartheid (afrikaans für „apartness“646) ist erstmalig in Art. 7(1)(j) des ICC Statuts völkerstrafrechtlich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit innerhalb eines Statutes kodifiziert worden. Da es nicht in den Statuten des IMT, IMTFE, ICTY und ICTR enthalten war, gab es einige Zurückhaltung während der Rom Verhandlungen, den Apartheidstatbestand in den Einzeltatbestandskatalog aufzunehmen647. Die Bedenken konnten sich allerdings nicht durchsetzen, da der Tatbestand der Apartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit trotz Nichtkodifizierung etabliert war. Schon seit Beginn der 1960er Jahre ist die Praktik der Apartheid aufgrund der Vorfälle in Südafrika648 explizit von der UN angeprangert649 und seit 1965 als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet worden650. Im Jahr 1969 wurde die Konvention über die Nichtanwendbarkeit von Verjährungsvorschriften auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verabschiedet, die in Art. 1(b) den Tatbestand der Apartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und „unmenschliche Handlung“ charakterisiert651. Vier Jahre später wurde die Apartheid Konvention von der UN Generalversammlung angenommen652. Dort ist in Art. 1(1) statuiert, dass Apartheid ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei,653 dessen Begehung internationale strafrechtliche Folgen nach sich ziehe 646
Clark in: Bassiouni, International Criminal Law I, 643. Von Hebel/Robinson in: Lee, The International Criminal Court, The Making of the Rome Statute, 79 ff. 648 Clark in: Bassiouni, International Criminal Law I, 643. 649 U.N. Doc. A/1881 (1963); U.N. Doc. S/5386 (1963); U.N. Doc. S/5471 (1963); UN. Doc. S/5761 (1964), 1 „1. Urges the South African Government: (a) to renounce the execution of the persons sentenced to death for acts resulting from their opposition to the policy of apartheid; (b) to end forthwith the trial in progress, instituted within the framework of the arbitrary laws of apartheid; and (c) to grant an amnesty to all persons already imprisoned, interned or subjected to other restrictions for having opposed the policy of apartheid, and particularly to the defendants in the Rivonia trial [. . .].“ (Hervorhebung im Original.) 650 U.N. Doc. A/2054 (1965). 651 Convention on the Non-Applicability of Statutory Limitations to War Crimes and Crimes Against Humanity, G.A. Res. 2391 (XXIII), annex 23, U.N. Doc. A/7218 (1968). 652 International Convention on the Suppression and Punishment of the Crime of Apartheid, U.N. Doc. A/3068 (1973). Die Kodifizierung der Konvention wurde primär von Guinea und der ehemaligen UDSSR voran getrieben, vgl. Guinea and Union of Soviet Socialist Republics: draft of a convention on the suppression and punishment of the Crime of Apartheid, U.N. Doc. A/C.3/L.1971 (1971). 653 Art. I(1) der Apartheid Konvention schreibt fest: „The States Parties to this Convention reaffirm that apartheid is a crime against humanity, which is a flagrant violation of the purposes and principles of the Charter of the United Nations and of the 647
E. Diskriminierungsverbrechen
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(Art. III). In Art. II der Konvention ist der Tatbestand explizit definiert654. Im Jahr 1984 erließ schließlich der Weltsicherheitsrat eine Resolution, welche ausdrücklich das Verbrechen der Apartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit kategorisierte655. Art. 20 des ILC Draft Code von 1991 übernahm große Teile der Apartheid Konvention und fasste den Tatbestand als einen eigenständigen völkerstrafrecht-
universally recognized principles of international law, and which constitutes a serious threat to the peace and security of the peoples“; vgl. auch Art. 85(4)(c) des Zusatzprotokolls I der Genfer Konventionen, die Apartheidspraktiken als „graves breaches of this protocol, where committed wilfully and in violation of the conventions or the protocol“ bezeichnet; s. a. Slye, 20 MJIL (1999), 269 (293) „The classification of apartheid as a crime against humanity was generally not at issue.“ 654 Art. II der Apartheid Konvention (in der deutschen Übersetzung lautet): „Im Sinne dieser Konvention bezeichnet der Ausdruck ,das Verbrechen der Apartheid‘, der die damit verwandte Politik und Praxis der Rassentrennung und -diskriminierung, wie sie im südlichen Afrika betrieben werden, mit einschließt, die folgenden unmenschlichen Handlungen, die zu dem Zweck begangen werden, die Herrschaft einer rassischen Gruppe über eine andere rassische Gruppe zu errichten und aufrechtzuerhalten und diese systematisch zu unterdrücken: (a) Verweigerung des Rechts auf Leben und Freiheit der Person gegenüber einem oder mehreren Angehörigen einer rassischen Gruppe: (i) durch Ermordung von Angehörigen einer rassischen Gruppe; (ii) indem den Angehörigen einer rassischen Gruppe durch Verletzung ihrer Freiheit oder Würde oder dadurch, dass sie der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen werden, schwerer körperlicher oder geistiger Schaden zugefügt wird; (iii) indem Angehörige einer rassischen Gruppe willkürlich verhaftet oder rechtswidrig der Strafgefangenschaft unterworfen werden; (b) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die rassische Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; (c) gesetzgeberische oder sonstige Maßnahmen, die geeignet sind, einer rassischen Gruppe die Teilnahme am politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben des Landes zu verwehren, sowie die vorsätzliche Schaffung von Bedingungen, welche den Angehörigen einer rassischen Gruppe verhindern, insbesondere dadurch, dass den Angehörigen einer rassischen Gruppe grundlegende Menschenrechte und Freiheiten, einschließlich des Rechtes auf Arbeit, des Rechtes, anerkannte Gewerkschaften zu bilden, des Rechtes auf Bildung, des Rechtes ihr Land zu verlassen und dorthin zurückzukehren, des Rechtes auf eine Staatsangehörigkeit, des Rechtes auf Bewegungsfreiheit und die freie Wahl des Wohnsitzes, des Rechtes auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung und des Rechtes, sich friedlich zu versammeln und zu Vereinigungen zusammenzuschließen, verweigert werden; (d) Maßnahmen, einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen, durch welche die Bevölkerung nach rassischen Gesichtspunkten gespalten werden soll, durch die Schaffung getrennter Reservate und Ghettos für die Angehörigen einer rassischen Gruppe, das Verbot von Mischehen zwischen Angehörigen verschiedener rassischer Gruppen oder die Enteignung von Grundbesitz, der einer rassischen Gruppe oder deren Angehörigen angehört; (e) Ausbeutung der Arbeitskraft der Angehörigen einer rassischen Gruppe, insbesondere durch die Verpflichtung von Zwangsarbeit; (f) Verfolgung von Organisationen und Personen durch den Entzug von Grundrechten und -freiheiten wegen ihres Widerstandes gegen die Apartheid.“ 655 U.N. Doc. S/RES/556 (1984). Alle Mitglieder des Weltsicherheitsrates, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten von Amerika, welche sich der Stimme enthielt, stimmten der Resolution zu.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
lichen Tatbestand656. Nicht adaptiert wurde jedoch der in der Apartheid Konvention kodifizierte Hinweis auf die „unmenschlichen Handlungen“. Stattdessen ist auf den Begriff „Taten“ (acts) zurückgegriffen worden. Die größte Weiterentwicklung des Tatbestandes ist wohl durch Kodifizierung des Art. 18 (f) des ILC Draft Codes von 1996 vollzogen worden. Dort sind nicht nur rassische, sondern weitere bestimmte Arten der institutionellen Diskriminierung als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet. Die ILC wollte insoweit den Schritt vollziehen, das geschichtlich durch rassische Diskriminierung (einseitig) belastete Verbrechen der Apartheid in die allgemeinere Form der „institutionalisierten Diskriminierung“ zu gießen657. Dieser Ansatz hat sich während der Rom Verhandlungen allerdings nicht durchsetzen können. 2. Schutzgut Grundlegendes Schutzgut des Tatbestandes des Apartheidsverbrechens ist das Recht auf rassische Nichtdiskriminierung. So stellt Art. 1 der UNESCO Erklärung über Rasse und Rassenvorteile vom 27.11.1978 fest, dass alle Menschen zu einer Spezies gehören und einen gemeinsamen Ursprung haben. Alle Menschen sind von Geburt an gleich bezüglich ihrer Würde und ihrer Rechte und formen einen Teil der Menschlichkeit658. In mehreren Resolutionen des Weltsicherheitsrates ist festgestellt worden, dass „apartheid is a crime against the conscience and dignity of mankind“659. 656 Kommentar zum Draft Code 1991, Art. 20 „Apartheid is nowadays so deeply condemned by the world’s conscience that it was inconceivable for the Commission to exclude it from a code which punishes the most abominable crimes that jeopardize the peace and security of mankind.“ 657 Art. 18 (f) Draft Code 1996 „institutionalized discrimination on racial, ethnic or religious grounds involving the violation of fundamental human rights and freedoms and resulting in seriously disadvantaging a part of the population“; Slye, 20 MJInt’lL (1999), 273 (279) „The category of ,institutionalized discrimination on [. . .] racial grounds‘ was explicitly included in the definition to reflect the opinion of the ILC that apartheid by definition is a crime against humanity.“ 658 Art. 1 Declaration on Race and Racial Prejudice, E/CN.4/Sub.2/1982/Add.1 annex V (1982), „1. All human beings belong to a single species and are descended from a common stock. They are born in dignity and rights and all form an integral part of humanity. 2. All individuals and groups have the right to be different, to consider themselves as different and to be regarded as such. However, the diversity of life styles and the right to be different may not, in any circumstances, serve as a pretext for racial prejudice; they may not justify either in law or in fact any discriminatory practice whatsoever, nor provide a ground for the policy of apartheid, which is the extreme form of racism. 3. Identity of origin in no way affects the fact that human beings can and may live differently, nor does it preclude the existence of differences based on cultural, environmental and historical diversity nor the right to maintain cultural identity.[. . .].“ (Eigene Hervorhebung.) 659 U.N. Doc. S/RES/392 (1976); U.N. Doc. S/RES/473 (1980); vgl. auch, sich darauf beziehend: U.N. Doc. S/RES/417 (1977); U.N. Doc. S/RES/418 (1977); U.N. Doc. S/RES/421 (1977); U.N. Doc. S/RES/591 (1986).
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3. Definitionsbestimmung des Verbrechens der Apartheid nach dem ICC Statut und den Elements of Crimes Unter Zugrundelegung der Legaldefinition in Art. 7(2)(h) ICC Statut ist unter dem ,Verbrechen der Apartheid‘ zu verstehen: „inhumane acts of a character similar to those referred to in paragraph 1, committed in the context of an institutionalized regime of systematic oppression and domination by one racial group over any other racial group or groups and committed with the intention of maintaining that regime.“660
Nach den Elements of Crimes setzt das Verbrechen der Apartheid folgende sieben Merkmale voraus661: „Article 7(1)(j) Crime against humanity of apartheid Elements 1. The perpetrator committed an inhumane act against one or more persons. 2. Such act was an act referred to in article 7, paragraph 1, of the Statute, or was an act of a character similar to any of those acts.29 3. The perpetrator was aware of the factual circumstances that established the character of the act. 4. The conduct was committed in the context of an institutional regime of systematic oppression and domination by one racial group over any other racial group or groups. 5. The perpetrator intended to maintain such regime by that conduct. 6. The conduct was committed as part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. 7. The perpetrator knew that the conduct was part of or intended the conduct to be part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. Fn. 29: It is understood that ,character‘ refers to the nature and gravity of the act.“
4. Actus reus Aufgrund der Tatsache, dass der Apartheidtatbestand noch keine konkrete Anwendung in der Gerichtspraxis gefunden hat, fristet er bis heute ein Schattendasein. Eine Beschäftigung lohnt indes sehr. Auffällig ist, dass er sehr viele Unklarheiten enthält. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Am plausi660 Vgl. auch die amtliche UN Übersetzung des Art. 7(2)(h), UN. Doc. A/Conf. 183/9 (17.Juli 1998) „[Im Sinne des Absatz 1] bedeutet ,Verbrechen der Apartheid‘ unmenschliche Handlungen ähnlicher Art wie die in Absatz 1 genannten, die von einer rassischen Gruppe im Zusammenhang mit einem institutionalisierten Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer anderer rassischer Gruppen in der Absicht begangen werden, dieses Regime aufrechtzuerhalten.“ 661 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(j).
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belsten erscheint wohl die Annahme, dass die unüberlegte Transplantierung662 des Tatbestandes aus Art. II der Apartheidskonvention663 in Art. 7(2)(h) ICC Statut wesentlich dazu beigetragen hat, den Tatbestand der Apartheid aus rechtsdogmatischer Sicht zu einem der unsystematischsten und am wenigsten nachvollziehbarsten Katalogstraftaten aller im Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit enthalten enumerierten Straftaten werden zu lassen. Das weitläufige „Abschreiben“ hat dazu geführt, dass übersehen worden ist, dass bei der Tatbestandsdefinierung in Art. II der Apartheidkonvention innerhalb des (Einzel)Tatbestandes bereits bestimmte chapeau Elemente des Verbrechens gegen die Menschlichkeit enthalten sind, die bei der Kodifizierung des Apartheidsverbrechens im Rahmen des Art. 7(2)(h) ICC Statut hätten herausgefiltert werden müssen. In der Folge sind Tatbestandsmerkmale – zumindest auf den ersten (und wohl auch zweiten) Blick – doppelt vertreten, haben teilweise an Klarheit verloren, oder eröffnen weit reichende Auslegungsprobleme. Obwohl Art. 7(1)(j) i.V. m. (2)(h) ICC Statut auf der Definition in Art. II der Apartheid Konvention aufbaut, ergeben sich mithin nicht unerhebliche Diskrepanzen. Vorweg sei auf folgenden wichtigen Punkt hingewiesen: Die dem Apartheidsverbrechen innewohnende Systematik gliedert sich interessanterweise nicht in zwei Kriminalitätsebenen – rein mikro- und makrokriminelle Ebene – sondern in drei Ebenen. Erstens, muss der Einzeltäter ein im Strafkatalog enumeriertes mikrokriminelles Verbrechen, oder ein vergleichbar schweres Verbrechen begehen. Zweitens, muss die Tat im Kontext eines systematischen Unterdrückungsund Beherrschungssystems begangen werden; dieses ist regelmäßig makrokriminell. Das Apartheidsverbrechen ist mithin – systemwidrig zu allen anderen Katalogstraftaten – in Art. 7(1) ICC Statut als makrokriminelle „Straftat“ festgeschrieben. Drittens, muss der apartheidsrelevante Kontext selbst Teil664 eines Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung sein, etwa im Verbund mit einer systematischen Massenvergewaltigungpraktik. Der Gesamtangriff ist damit kriminologisch betrachtet als ein „additiver“ makrokrimineller Gesamtkontext aufzufassen.
662 Witschel/Rückert in: Lee, The International Criminal Court, Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 103 (105) „the negotiations on the material elements of apartheid were possibly the least controversial of all, probably because they could widely be drawn from the statutory provisions.“ 663 Die darauf folgenden Kodifizierungen in den ILC Draft Codes bauen wesentlich auf Art. II der Apartheidskonvention auf. 664 Vgl. Art. 7(1) ICC Statut „as part of the attack“. Anders aber die deutsche Übersetzung „im Rahmen“.
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a) Tauglicher Täterkreis Bezüglich des tauglichen Täterkreises ergibt sich das Problem, ob die Handlung nur durch eine rassische Gruppe begehbar ist. Die amtliche deutsche Übersetzung des Art. 7(2)(h) ICC Statut schreibt die Begehung durch eine „rassische Gruppe“ fest: „[. . .] bedeutet ,Verbrechen der Apartheid‘ unmenschliche Handlungen ähnlicher Art wie die in Absatz 1 genannten, die von einer rassischen Gruppe im Zusammenhang mit einem institutionalisierten Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer Gruppen in der Absicht begangen werden, dieses Regime aufrechtzuerhalten.“
Die amtliche deutsche Übersetzung des ICC Statuts leidet an einem erheblichen Übersetzungsfehler. Die englische Version sieht nicht vor, dass die Tathandlung durch eine Gruppe begangen werden müsste. Das Missverständnis gründet sich (wohl) auf der falschen Lesung des Wortes „committed“. Die deutsche Übersetzung las den Wortlaut des Statuts als „committed [. . .] by one racial group“, anstatt „systematic oppression and domination by one racial group“. Gegen erstere Variante sprach schon die lexalische Verbindung „committed in the context of“. Insbesondere ist durch die Elements of Crimes festgestellt, dass „the perpetrator“ (Singular!) das Verbrechen der Apartheid „begeht“665. Die Divergenz des Wortlautes ist kein akademisches Glasperlenspiel. Denn hält man eine mikrokriminelle Begehung (nur) durch „eine Gruppe“ für erforderlich, wäre die Begehung eine Art „Bandenverbrechen“. Richtig kann das nicht sein. Es besteht kein Anlass dafür, warum Täter, die nicht in Gruppen organisiert sind, aber dennoch ihren Teil zur Stärkung des Apartheidsregimes leisten, vom Straftatbestand ausgeschlossen sein sollen. Insoweit konsequent ist, dass in § 7(5) VStGB die Einzeltäterbegehung festgeschrieben ist: „Wer ein Verbrechen nach Absatz 1 in der Absicht begeht, ein institutionalisiertes Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer rassischen Gruppe durch eine andere aufrecht zu erhalten, wird [. . .] bestraft.“
Entgegen Art. 20 des ILC Draft von 1991, der statuierte, dass die Handlung von einem „leader or organizer“ begangen werden müsste, sieht das ICC Statut richtigerweise eine derartige Restriktion nicht vor. Apartheidsverbrechen können mit nicht größerer Wahrscheinlichkeit von Führungspersönlichkeiten begangen werden, als das bei bei anderen Einzeltatbeständen der Fall ist666. Denn zum einen ist zwischen der spezifischen Tathandlung und der Errichtung oder „aktiven“ Aufrechterhaltung des Apartheidssystems an sich keine causa vorge665
Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(j)
Nr. 1. 666 Andere Ansicht Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 746; Meseke, Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, 265.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
schrieben. Es reicht, dass der Täter die Tat „im Kontext“ des Apartheidssystems begeht und beabsichtigte, seine Tat trage zur Aufrechterhaltung bei. Zum anderen verdeutlicht der weitschweifige Verweis auf „Absatz 1“ des Art. 7 ICC Statuts, dass potentiell jedes begangene Straftatkatalogverbrechen, einschließlich einer „anderen unmenschlichen Handlung“, sich zum „Apartheidsverbrechen“ aufschwingen kann. b) Tatbegehung Unter Zugrundelegung des ILC Draft Code von 1996 stellen sich taugliche Tathandlungen einer Apartheid dar als „a series of legislative measures denying individuals who are members of a particular racial [. . .] group of their human rights or freedoms“. Art. 7(2)(h) ICC Statut spricht hingegen lediglich von „unmenschlichen Handlungen“, die in ihrer Ausprägung ähnlich sein müssen wie Handlungen, die in Art. 7(1) ICC Statut enumeriert sind. Als Orientierungsrichtlinie kann Art. II der Apartheidkonvention herangezogen werden, in welchem verschiedenste taugliche Formen enumeriert sind. Festzuhalten bleibt, dass der Täter streng dogmatisch betrachtet kein Apartheidsverbrechen „begehen“ kann. Vielmehr ist die Begehung eines anderen in Art. 7(1) ICC Statut enumerierten Verbrechens, oder eine ähnliche Tathandlung, vorausgesetzt. Die Begehung innerhalb des Apartheidskontextes setzt die Handlung lediglich auf eine neue Stufe. Der deutsche Gesetzgeber hat das erkannt und begrüßenswerterweise den Apartheidstatbestand in § 7(5) VStGB als reinen Qualifikationstatbestand kodifiziert. Unsinnig ist daher auch anzunehmen, Art. 7(1)(j) ICC Statut könne – quasi durch sich selbst – Anwendung finden. Der in Art. 7(2)(h) enthaltende (umfassende) Verweis auf „Absatz 1“ ist einzuschränken; die primäre und gleichzeitig sekundäre Anwendung des Art. 7(1)(j) ist denklogisch ausgeschlossen. Ein Apartheidsverbrechen kann nicht durch ein Apartheidsverbrechen begangen werden. aa) „Ähnliche Handlungen“ („acts of a character similar to those referred to in paragraph 1“) Nr. 2 der Elements of Crimes konkretisiert, dass sowohl eine Tathandlung, die explizit unter eine der in Art. 7(1) ICC Statut enumerierten Katalogstraftaten fällt, als auch eine Handlung, die in ihrer Ausprägung mit einer in Art. 7(1) ICC Statut enumerierten Katalogstraftaten „ähnlich“ ist, ein taugliches Apartheidsverbrechen darstellen kann. Bezüglich letzterer Begehungsalternative herrschte bei den Verhandlungen zum Rom Statut Streit, da befürchtet wurde, dass der Zusatz der „ähnlichen Handlungen“ gegen die in Art. 22 ICC Statut kodifizierte Maxime nullum crimen sine lege verstoßen könnte. Dieser Einwand wurde jedoch unter dem Hinweis, dass sich die Formulierung schon in Art. II
E. Diskriminierungsverbrechen
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der Apartheid Konvention finden lässt, zurückgewiesen. Weiter schien unklar, ob das Erfordernis einer „ähnlichen Handlung“ so zu verstehen ist, dass begangene Handlungen, welche nicht nur mit den in Art. 7 enumerierten Verbrechen ähnlich sind, sondern eine direkte Einschlägigkeit hervorrufen, nicht vom Tatbestand der Apartheid umfasst seien. Durch den in den Elements of Crimes aufgenommenen Zusatz „such act was an act referred to in article 7, paragraph 1, of the Statute, or“ ist klargestellt, dass das Apartheidsverbrechen auch die direkte Einschlägigkeit eines in Art. 7 (1) ICC Statuts kodifizierten Tatbestandes mit einschließt. Fußnote 29 nimmt, wie auch beim Tatbestand der „anderen unmenschlichen Handlungen“667, primär eine Klarstellungsfunktion ein. Eine ähnliche Handlung ist folglich nur dann „ähnlich“, wenn sie sowohl aufgrund ihrer Schwere als auch aufgrund ihrer „Natur“ mit denen in Art. 7(1) ICC Statut enumerierten Katalogstraftaten vergleichbar ist. bb) „Systematische Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer rassischer Gruppen“ Weitere Fragen ergeben sich bei dem in Nr. 4 der Elements of Crimes enumerierten Tatbestandsmerkmal der „systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer anderer rassischer Gruppen“. Klar ist zunächst, dass wie auch beim Verfolgungstatbestand, ein diskriminierender Grund bestehen muss. Jedoch findet sich im Vergleich zum Verfolgungstatbestand eine nicht unerhebliche Einschränkung. Geht man vom Wortlaut des Statuts aus, so ist notwendig, dass eine rassische Gruppe oder mehrere rassische Gruppen unterdrückt werden müssen. A contrario bedeutet dies, dass systematische Handlungsunterdrückungen, welche sich nicht auf Rasse, sondern etwa auf Geschlecht668, der sexuellen Orientierung, des Status oder der Religion gründen, nicht vom Tatbestand erfasst wären. Das Merkmal „Rasse“ ist vom ICTR definiert worden669. 667 Die Anmerkung in Fußnote 29 innerhalb des Verbrechens der Apartheid findet sich wortgleich in Fußnote 30 innerhalb der „anderen unmenschlichen Handlungen“ wieder (Art. 7(1)(k) 2. Fn. 30). 668 So genannte „gender apartheid“, vgl. Andrews, N.C. JInt’l&Comm. Reg. (2000), 693 ff.; Eskridge, 25 Hofstra LRev. (1996), 817 ff.; praktisch relevant ist etwa die vor der Führung des Afghanistan Krieges vollzogene Unterdrückung der Frau durch die Taliban mit Hilfe eines institutionalisierten Regimes der systematischen Unterdrückung; dazu Ayoub, 7 TJComp.&Int’l L (1999), 513 ff. 669 Zum Begriff der „Rasse“ vgl. Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 514 „The conventional definition of racial group is based on the hereditary physical traits often identified with a geographical region, irrespective of linguistic, cultural national or religious factors“, Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 98; vgl. auch Art. 1 der International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination, U.N. Doc. A/6014 (1966) „In this Convention, the term ,racial discrimination‘ shall mean any distinction, exclusion, restriction or preference based on race, color, descent, or national or ethnic origin which has the purpose or effect of nullifying or impairing the recognition, enjoy-
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
Würde man die Restriktion formell aufrechterhalten, hätte das die merkwürdige Konsequenz, dass zwar – im Wege eines Gesamtangriffs gegen jegliche Zivilbevölkerung – die diskriminierende Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaft aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit wäre (Art. 7(1)(h) ICC Statut), die diskriminierende institutionalisierte Unterdrückung oder Beherrschung einer nicht rassischen Gruppe mitunter jedoch nicht. Die in Nr. 2 der Elements of Crime enthaltene Öffnungsklausel „act of a character similar to any of those acts“ hilft nicht; sie bezieht sich nur auf die Tatbegehung des Einzeltäters, und nicht auf „den Kontext“ in dem die Tat begangen werden muss. Ob die vom Gesetz vorgenommene Restriktion mit dem Sinn und Zweck des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, sowie dem ejusdem generis Prinzip noch vereinbar ist, erscheint somit mehr als fraglich. Es liegt nach eigener Einschätzung eine erhebliche „Wertungsschieflage“670 vor, die einer Korrektur bedarf. Denn die „Unterdrückung und Beherrschung“ einer nichtrassischen Gruppe ist zweifellos auch – wie es der Verfolgungstatbestand formuliert – eine „deprivation of fundamental rights contrary to international law“. Erwähnung muss allerdings finden, dass die Erweiterung der diskriminierenden Gründe auf andere als rassische Beweggründe zwar vom ILC 1996 vorgeschlagen, allerdings nicht von der Staatengemeinschaft bei den Verhandlungen zum Rom Statut umgesetzt wurde. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die Staatengemeinschaft gerade keine Verallgemeinerung des Apartheidtatbestandes kodifizieren wollte. Die historische Auslegung spricht somit gegen eine Erweiterung des Anwendungsbereichs. cc) „Systematische Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer rassischer Gruppen“ Darüber hinaus besteht Unsicherheit bezüglich des Tatbestandmerkmals der systematischen Unterdrückung und Beherrschung. Namhafte Stimmen in der Literatur vertreten, dass die doppelte Enumerierung des Systematik Elements – einerseits im Rahmen des Gesamtangriffs und andererseits innerhalb des Apartheidtatbestandes – keinen Sinn mache und unnötig sei671. Für diese Auffassung spricht, dass in Art. II der Apartheidkonvention nicht zwischen Einzeltatbement or exercise, on an equal footing, of human rights and fundamental freedoms in the political, economic, social, cultural or any other field of public life“. Zur Unterscheidung zwischen Rasse und Ethnischer Gruppe siehe Montagau, Race, Science and Humanity, 61 ff. 670 Vgl. auch U.N. Doc. A/36/684 (1981). 671 Hall in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Art. 7, Rn. 119 „a double requirement of systematic does not make sense“.
E. Diskriminierungsverbrechen
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stands- und chapeau Merkmalen unterschieden wurde und somit das Tatbestandsmerkmal der Systematik makrokriminell aufgefasst werden kann. Diese Einordnung lässt sich auch durch die Tatsache rechtfertigen, dass in allen anderen Einzeltatbeständen innerhalb des Verbrechens gegen die Menschlichkeit keine Elemente kodifiziert sind, die sich auch im chapeau des Verbrechenstatbestandes wiederfinden lassen. Dennoch kann obige Bewertung nach eigener Einschätzung nicht überzeugen. Der Apartheidstatbestand besitzt eine besondere dreigliedrige Ausgestaltungsnatur, welche unabhängig vom Gesamtangriff eine gewisse Planung und Systematik voraussetzt („institutionalisierte Diskriminierung“672). Die doppelte Enumerierung ist insofern nicht unsinnig, weil das Tatbestandsmerkmal der Systematik jeweils an einer unterschiedlichen Stufe ansetzt. Während es sich im Rahmen des chapeaus unabhängig von der „additiven“ makrokriminellen Katalogstraftat auf den Gesamtangriff bezieht, schreibt Art. 7(2)(h) ICC Statut vor, auch das Apartheidsverbrechen müsse systematisch begangen werden. Der Bezugspunkt ist mithin ein völlig anderer. 5. Mens rea Die mens rea des Tatbestandes setzt sich konsequent auf Grund der drei Kriminalitätsstufen aus drei Elementen zusammen. So muss, ausgehend von den Elements of Crimes, nachgewiesen werden, dass „3. The perpetrator was aware of the factual circumstances that established the character of the act.“
– hier ist die mens rea Voraussetzung in Bezug auf die mikrokriminelle Tathandlung beschrieben. – „5. The perpetrator intended to maintain such regime by that conduct.“
– hier ist die mens rea Verbindung zum makrokriminellen Kontext des Apartheidsystemes statuiert. – „7. The perpetrator knew that the conduct was part of or intended the conduct to be part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population.“673
– hier wird schließlich die mens rea Verbindung zum makrokriminellen Kontext des Gesamtangriffs vorausgesetzt. – Bezüglich der Nr. 3 der Elements of Crimes gab es im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal „character“ verschiedene Ansätze. Teilweise wurde vertreten, dass das im actus reus enumerierte „character“ Erfordernis – vgl. 672 Vgl. Art. 18 (f) ILC Draft Code v. 1996 und Syle, 20 MJInt’L (1998), 267 (280) „state wide system of racial discrimination“. 673 Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(j).
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
diesbezüglich die in Art. 7(2)(h) kodifizierte Legaldefinition: „,The crime of apartheid‘ means inhumane acts of a character [. . .]“ – ein rein juristisches Element darstelle und kein mens rea Erfordernis wäre. Andere waren der Ansicht, ein diesbezüglicher gewisser Grad an mens rea sei erforderlich. Weiter war der Umfang innerhalb der letzteren Ansicht strittig. Während sich eine Gruppe auf die allgemeinen mens rea Grundsätze berief, wurde von einer anderen Gruppe die Befürchtung geäußert, dass bei Anwendung der allgemeinen Grundregeln die Möglichkeit bestünde, dass dem Täter „Wissen“ oder sogar eine rechtliche Bewertung des Verbrechens nachgewiesen werden müsse. Letzteres hätte aber eine zu große Beweislast nach sich gezogen. Als Lösung hat man sich für den klassischen Mittelweg entschieden. Wie aus Nr. 3 der Elements of Crimes hervorgeht, ist weder gar keine mens rea erforderlich, noch der Nachweis spezifischen „Wissens“ notwendig, sondern vielmehr tatbestandliches „Bewusstsein“ ausreichend674. Das „intent“ Erfordernis, welches in Nr. 5 der Elements of Crimes kodifiziert ist, ist als Diskriminierungsabsicht aufzufassen. Das Verbrechen der Apartheid nimmt insoweit eine dogmatische Sonderstellung ein, weil es das diskriminierende Element sowohl im actus reus als auch in der mens rea festschreibt. Nach den allgemeinen Regeln (Introduction in den Elements of Crimes, Abs. 3) kann die mens rea durch circumstantial evidence belegt werden. Durch den in Nr. 5 der Elements of Crimes enthaltenen Zusatz „intendend to maintain such regime by that conduct“ ist klargestellt, dass der Täter die mikrokriminelle Einzeltat begangen haben muss, um beabsichtigterweise das Apartheidssystem aufrechtzuerhalten. Die Einschränkung ist sinnig. Ansonsten würde es an einem hinreichenden nexus zwischen der Einzeltatbegehung und dem Schuldvorwurf, ein Verbrechen der Apartheid begangen zu haben, fehlen. Im Einklang mit Nr. 7 der Elements of Crimes muss der Täter zusätzlich über konstruktives Wissen besitzen, dass die Begehung im Kontext des Apartheidssystems selbst makrokriminell – also beabsichtigter Teil eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs war (mens rea bezüglich des makrokriminellen Gesamtkontextes). Ihm muss zudem nachgewiesen werden, dass er weiß, dass sich seine Handlung als Teil des Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellt. Schließlich ist als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu fordern, dass zwischen allen dreien mens rea Stufen eine hinreichende Verbindung besteht. Das ist im Gesamttatbestand selbst angelegt: die Einzeltat muss „im Kontext“ des Apartheidskontextes begangen werden. Das Apartheidsverbrechen muss sich für den Täter „als Teil“ des Gesamtangriffs darstellen.
674 Zum Ganzen Witschel/Rückert in: Lee, The International Criminal Court: Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, 106.
F. Andere unmenschliche Handlungen
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F. Der Auffangtatbestand „andere unmenschliche Handlungen“ Die in den jeweiligen Statuten innerhalb des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit aufgezählten Einzelverbrechen sind nicht abschließend geregelt worden675. Vielmehr wurde erstmalig in Art. 6 (c) des IMT Statuts der Auffangtatbestand der „anderen unmenschlichen Handlungen“ in den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit eingeführt, und wurde seitdem durchgängig übernommen676. Durch Art. 7 (1) (k) ICC Statut ist erstmalig eine Präzisierung kodifiziert. Aufgrund der Entstehungsgeschichte ist die „Generalklausel“ anerkannt. Der Vorwurf, der Tatbestand der „anderen unmenschlichen Handlungen“ verletze generell das nullum crimen sine lege Prinzip, soll insoweit nicht durchgreifen677.
I. Schutzgut Die Bestimmung eines konkreten Schutzgutes gestaltet sich bei dem Tatbestand der „anderen unmenschlichen Handlungen“ aufgrund seiner weit reichenden Ausgestaltung als schwierig. Der Tatbestand ist infolge dessen wie bereits erläutert als „spanning type“678 (übergreifender Verbrechenstypus) kategorisierbar. Er nimmt eine generelle Auffangfunktion wahr und kann, je nach Einzelfall, eine Vielzahl von verschiedenen Schutzrichtungen entfalten. Die primäre Zwecksetzung des Tatbestandes ist eindeutig und gründet sich auf dem Gedanken der effektiven Strafverfolgung. Die Aburteilung eines Verbrechens, welches ein vergleichbar schwerwiegendes Ausmaß erreicht hat, soll nicht allein daran scheitern, dass die spezielle Handlungspraktik des Täters nicht im Statut enumeriert ist. Der Tatbestand nimmt damit eine „catch all“ Funktion ein679. Der raison d’être der „anderen unmenschlichen Handlungen“ 675 Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13 (27. Januar 2000), Abs. 212 u. 230 für das Art. 3 ICTR Statut. 676 Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 91. 677 Prosecutor v. Muvunji, ICTR-2000-55A-T (26. September 2006), Abs. 527. 678 Siehe oben Kapitel 3 B. 679 Luban, 85 YJInt’lL (2004), 85 (100) „[. . .] human beings will always come up with novel atrocities, and for that reason, all the statutes include the ,other inhumane acts‘ catch-all provision – or, in the case of the Rome Statute, the more developed category of ,other inhumane acts of a similar character intentionally causing great suffering, or serious injury to body or to mental or physical health“. Freilich bedeutet „catch all“ nicht, dass losgelöst von der allgemeinen Rechtsdogmatik des Gesamttatbestandes eine jegliche Handlung unter den Begriff „andere unmenschliche Handlung“ subsumierbar wäre. Die historisch gefestige Rechtsprechung geht seit jeher davon aus, dass – auch unter Verwendung des Terminus „catch all“ – es sich bei „anderen unmenschlichen Handlungen“ (nur) um einen Auffangtatbestand handelt. Die Ansicht der ICC Pre-Trial Chamber I, Decision on the Confirmation of Charges, ICC-01/04-01/
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
lässt sich anschaulich anhand einer Feststellung im ICRC Kommentar zum Foltertatbestand verdeutlichen, welche sinngemäß auf die hier relevante Tatbestandsklausel übertragbar ist. „[. . .] it is always dangerous to try to go into too much detail – especially in this domain. However if much care were taken in establishing a list of all the various forms of infliction, one would never be able to catch up with the imagination of future torturers who wished to satisfy their bestial instincts; and the more specific and complete a list tries to be, the more restrictive it becomes.“680
In Kayishema und Ruzindana hat das ICTR die Aussage getroffen, dass „In relation to the Statute, other inhumane acts include acts that are of similar gravity and seriousness to the enumerated acts or murder, extermination, enslavement, deportation, imprisonment, torture, rape, or persecution on political, racial and religious grounds. These will be acts or omissions that deliberately cause serious mental or physical suffering or injury or constitute a serious attack on human dignity.“681
II. Definitionsbestimmung nach dem ICC Statut und den Elements of Crimes Durch Art. 7(1)(k) ICC Statut sind erstmalig die von den Gerichten herausgearbeiteten Konkretisierungen zur Generalklausel der „anderen unmenschlichen Handlungen“ kodifiziert worden. Nicht alle unmenschlichen Handlungen sollen erfasst sein, sondern nur solche „of a similar character intentionally causing great suffering, or serious injury to body or to mental or physical health.“682
07-717, Abs. 445 ff., der Tatbestand „andere unmenschliche Handlung“ hätte keine „catch all“ Funktion, weil im ICC Statut ein „other inhumane act“ gefordert ist, ist schon deswegen zweifelhaft, weil die Restriktion „other“ – unter Anwendung der „catch call“ Funktion und seit jeher, mithin seit Kodifizierung des Art. 6(c) IMT Statut – gefordert war. Aus dem Merkmal „other“ lässt sich mithin keine verstärkte Anwendungsrestriktion herleiten. 680 Pictet, Commentary on the 1st Geneva Convention of 12 August 1949, 54. 681 Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 151; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 91; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (27. Mai 2005), Abs. 240 ff.; Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-T (2. August 2007) Abs. 153; Art. 18(k) des ICL Draft Code of Crimes Against the Peace and Security of Mankind; und Kommentar zum ILC Draft Code 1996, ILC 1996 Report, 103. 682 Vgl. auch die amtliche UN Übersetzung des Art. 7(1)(k), UN. Doc. A/Conf. 183/9 (17.Juli 1998) „[Im Sinne des Statuts bedeutet Verbrechen gegen die Menschlichkeit [. . .]] andere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art, mit denen vorsätzlich große Leiden oder eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der geistigen oder körperlichen Gesundheit verursacht werden.“
F. Andere unmenschliche Handlungen
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Die Ausführungen in den Elements of Crimes bringen nicht wirklich neue Erkenntnisgewinne. Vollständigkeitshalber seien jedoch auch sie angesprochen683: „Article 7(1)(k) Crime against humanity of other inhumane acts Elements 1. The perpetrator inflicted great suffering, or serious injury to body or to mental or physical health by means of an inhumane act. 2. Such act was a character similar to any other act referred to in article 7, paragraph 1, of the Statute.30 3. The perpetrator was aware of the factual circumstances that established the character of the act. 4. The conduct was committed as part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. 5. The perpetrator knew that the conduct was part of or intended the conduct to be part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population. Fn. 30: It is understood that ,character‘ refers to the nature and gravity of the act.“
III. Actus reus Während geklärt ist, dass der Tatbestand der „anderen unmenschlichen Handlungen“ als Terminus völkergewohnheitsrechtlich etabliert ist, besteht weiterhin Unklarheit bezüglich der Frage, welche Einzelhandlungen unter den Tatbestand subsumiert werden können684. Durchgängige Ansicht ist, dass bei der Frage, ob eine gewisse Handlung in den Tatbestand der „anderen unmenschlichen Handlungen“ fällt, regelmäßig auf den Einzelfall abzustellen sei und sich Verallgemeinerungen verböten685. So stellte inter alia die SCSL Trial Chamber I fest: „In order to assess the seriousness of an act or omission [of other inhumane acts], consideration must be given to all the factual circumstances of the case which may include the nature of the act or omission, the context in which it occurred, the personal circumstances including the age, gender and health of the victim, and the physical, mental and moral effects of the act or omission on the victim.“686
683
Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7(1)(k). Prosecutor v. Kupresˇkic´ et al., IT-95-16-T (14. Januar 2000), Abs. 563. 685 Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T (27. Januar 2000), Abs. 233; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 92; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 932; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 717. 686 Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-T (2. August 2007) Abs. 151; Prosecutor v. Galic´, IT-98-29-T (5. Dezember 2003), Abs. 153; Prosecutor v. Vasiljevic´, IT-98-32-T (29. November 2002), Abs. 234. 684
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
Obig getroffene Feststellung spiegelt das eigentliche Problem der Generalklausel wider – die gefühlte Unmöglichkeit einer Konkretisierbarkeit –. Das Dilemma ist auch an der Kodifizierung des Gesamttatbestandes festzumachen. Seit Nürnberg wurde durchweg in die Statute aufgenommen, dass „andere unmenschliche Handlungen“ Ausprägungen von Verbrechen gegen die „Menschlichkeit“ sind. Dogmatisch betrachtet ist das nicht nur reine Tautologie, sondern aus systematischer Sicht schlichtweg verwirrend. Die auf mikrokrimineller Ebene begangene Einzeltat ist nicht eo ipso „unmenschlich“; sondern nur dann, wenn sie Teil des makrokriminellen Kontextes ist. Das ICTR hat, wie auch Fußnote 30 der Elements of Crimes vorsieht, hervorgehoben, dass das Tatbestandsmerkmal der „ähnlichen Art“ so auszulegen ist, dass die Handlung oder Unterlassung ihrer Natur, ihres Charakters, ihrer Schwere und ihrer Ernsthaftigkeit nach mit den enumerierten Straftatbeständen innerhalb des Tatbestandes vergleichbar sein muss687. Erforderlich sei weiter, dass ein nexus zwischen der unmenschlichen Handlung und dem großen Leiden oder der schweren Beeinträchtigung der geistigen oder körperlichen Gesundheit besteht688. Voraussetzung dafür ist, dass es zu einer eigentlichen „Verletzung“ des Opfers gekommen ist689. Die Hervorhebung ist als ejusdem generis Grundsatz zusammenzufassen. Die in Art. 7(1)(k) „neu“ aufgenommene „Konkretisierung“ verwirrt jedoch diesbezüglich. Zwar ist positiv hervorzuheben, dass der – schon seit Nürnberg im Rahmen der Generalklausel angewandte ejusdem generis Grundsatz – nunmehr erstmals schriftlich kodifiziert worden ist. Der zuvor als ejusdem generis Grundsatz bestimmte Zusatz „unmenschliche“ – ist somit innerhalb Art. 7 ICC Statuts entbehrlich geworden und bedürfte der klarstellenden Streichung. Die „Konkretisierung“ „causing great suffering, or serious injury to body or to mental or physical health“, impliziert allerdings, dass nur ein verursachtes großes Leiden, welches ernsthafte Verletzungen der geistigen oder körperlichen Gesundheit herbeiführt, von der Generalklausel erfasst sein soll. In Kayishema und Ruzindana ist dem gegenüber festgestellt, dass „these will be acts or omissions that deliberately cause serious mental or physical suffering or injury or constitute a serious attack on human dignity.“690 687 Prosecutor v. Musema, ICTR-96-13-T (27. Januar 2000), Abs. 232; Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 460; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 931. 688 Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 151; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 932; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 717. 689 Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 91 f. in Anlehnung an den Commentary des Art. 18 des ILC Draft Codes von 1996 „the act must in fact cause an injury to a human being in terms of physical or mental integrity, health or human dignity“; Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 717.
F. Andere unmenschliche Handlungen
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Aus der Gesamtschau beider Definitionen könnte geschlossen werden, dass das ICC Statut einen „ernsthaften Angriff auf die menschliche Würde“ nicht unter die Generalklausel fasst. Die ICC Pre-Trial Chamber I hat in Katanga/ Chui dieser Sichtweise einigen Auftrieb gegeben, indem sie mit Hinblick auf die Auslegung der Generalklausel erklärte: „The Chamber notes, however, that the Statute has given to ,other inhumane acts‘ a different scope than its antecedents like the Nuremberg Charter and the ICTR and ICTY Statutes. The latter conceived ,other inhumane acts‘ as a ,catch all provision‘, leaving a broad margin for the jurisprudence to determine its limits. In contrast, the Rome Statute contains certain limitations, as regards to the action constituting an inhumane act and the consequence required as a result of that action.“691
Ob eine formelle Restriktion auf körperliche und seelische Leiden unter Ausklammerung einer Würdeverletzung richtig ist, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Denn im Straftatkatalog ist mit dem Verbrechen der Apartheid ein Tatbestand inkorporiert, der ausschließlich die menschliche Würde durch Verbot von institutionalisierter Rassendiskriminierung schützt. Als Konkretisierungshilfe ist demnach Nr. 1 der Elements of Crimes so auszulegen, dass durch den Zusatz „1. The perpetrator inflicted great suffering, or serious injury to body or to mental or physical health by means of an inhumane act.“
auch eine schwere Verletzung der Würde unter die Generalklausel der „anderen unmenschlichen Handlungen“ erfasst ist. Weitere Konkretisierungen gestalten sich als schwierig. Hingewiesen sei jedoch zum einen, dass die Ansicht der SCSL Trial Chamber II, die in Art. 2(g) SCSL Statut enthaltende (und zu Art. 7(1)(g) ICC Statut fast wortgleiche) konkretisierende Generalklausel der „any other form of sexual violence“, schließe eine Einbeziehung von anderen Handlungen mit sexueller oder geschlechtlicher Komponente unter die allgemeine Generalklausel aus, explizit von der SCSL Appeals Chamber verworfen wurde692. Zum anderen hat die ICC Pre-Trial Chamber I mit Berufung auf Blaskic festgestellt, dass
690 Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 151; Prosecutor v. Bagilishema, ICTR-95-1A-T (7. Juni 2001), Abs. 91; Prosecutor v. Blasˇkic´, IT-95-14-T (27. Mai 2005), Abs. 240 ff.; Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-T (2. August 2007) Abs. 153; Art. 18(k) des ICL Draft Code of Crimes Against the Peace and Security of Mankind; und Kommentar zum ILC Draft Code 1996, ILC 1996 Report, 103. 691 ICC Pre-Trial Chamber I, Decision on the Confirmation of Charges, ICC-01/0401/07-717, Abs. 450. 692 Prosecutor v. Brima, Kamara und Kanu, SCSL-04-16-A (3. März 2008), Abs. 186.
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
„the conduct of intentionally causing serious physical or mental injury constitutes a serious violation of international customary law and of human rights of a similar nature and gravity to the crimes referred to in article 7(1) of the Statute.“693
Für die konkrete Fallanwendung ergibt sich aus letzteren Feststellungen indes nicht viel. Insofern kommt insbesondere dem zur Generalklausel entwickelten Fallrecht eine hohe Bedeutung zu. Es besteht Einigkeit, dass zumindest das Durchführen medizinischer Experimente, die Verübung schwerer und unmittelbarer Verletzungen für den Körper oder die Gesundheit, Verstümmelung, Folter, Vergewaltigung, willkürliche Inhaftierung, die Vorenthaltung von Lebensmitteln, Sterilisierung und andere „ungeheuerliche körperliche Angriffe“ unter die Generalklausel subsumierbar sind694. Das ICTR hat zudem das Schließen eines „Medizingeschäftes“ und Verweigern von medizinischer Behandlung, wodurch den Opfern nicht mehr die notwendige Vorsorge zuteil wurde695, die Zufügung sexueller Gewalt, insbesondere Verstümmelungshandlungen und Leichenschändung696, sowie erzwungene exhibitionistische Handlungen, wie der Befehl, das Opfer solle nackt in aller Öffentlichkeit marschieren oder Sportübungen durchführen697 (weil dies einen ernsthaften Angriff auf die Würde der ganzen Tutsi Gemeinschaft darstellt698) als tatbestandstauglich erachtet. Die Erfüllung des Tatbestandes verlangt nicht notwendigerweise, dass ein physischer Kontakt zwischen Täter und Opfer besteht; aus Fußnote 30 der Elements of Crimes geht hervor, dass die Handlung lediglich ein zu den anderen enumerierten Einzelverbrechen vergleichbares Ausmaß und eine vergleichbare Schwere erreicht haben muss. Geht man im Einklang mit den Elements of Crimes davon aus, dass für die Erfüllung des Foltertatbestandes kein spezieller Zweck erforderlich ist, lässt sich bezüglich der Unterscheidung zwischen Folter und „anderer unmenschlicher 693 ICC Pre-Trial Chamber I, Decision on the Confirmation of Charges, ICC-01/0401/07-717, Abs. 449. 694 Prosecutor v. Brima, Kamara und Kanu, SCSL-04-16-A (3. März 2008), Abs. 184 f.; Prosecutor v. Tadic´, IT-94-1-T (7. Mai 1997), Abs. 730; U.S. Military Tribunal Nürnberg, Urteil v. 20. August 1947 [Brandt], Trials of War Criminals, Bd. 2, S. 171 ff.; Regina v. Finta, 1 R.C.S. (1994) 701 ff.; Pella, Memorandum presente par le Secretariat, U.N. Doc. A/CN 4/39 (1950); Graven, 76 Recueil des Cours (1950), 427, 548 ff.; Lippman, 17 B.C. Third World L.J. (1997), 171 (201); Scharf in: 3 AFLA (2005), 77 (83) auch bezüglich (unrechtmäßiger) Enteignung, Brandschatzung und Plünderung von Eigentum. 695 Prosecutor v. Ntakirutimana und Ntakirutimana, ICTR-96-10 und ICTR-96-17-T (21. Februar 2003), Abs. 817. Die Handlung konnte jedoch nicht vom Gericht nachgewiesen werden. Eine mögliche Verurteilung wegen Ausrottung scheiterte an der erforderlichen Anzahl der Opfer. 696 Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 459 ff.; Prosecutor v. Muvunji, ICTR-2000-55A-T (26. September 2006), Abs. 527. 697 Prosecutor v. Akayesu, ICTR-96-4-T (2. September 1998), Abs. 697. 698 Prosecutor v. Niyitegeka, ICTR-96-14-T (16. Mai 2003), Abs. 465 ff.; Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 933.
F. Andere unmenschliche Handlungen
453
Handlungen“ folgender Grundsatz aufstellen: Während die Folter die Zufügung von ernsthaftem Schmerz und Leiden („severe pain and suffering“) voraussetzt, verlangt eine „andere unmenschliche Handlung“ einen Akt, der zu großen Leiden oder ernsthaften Verletzungen („great suffering or serious injury“) führt699.
IV. Mens rea Der Täter muss die erforderliche mens rea besitzen, „andere unmenschliche Handlungen“ begangen zu haben. Art. 7(1)(k) ICC Statut stellt diesbezüglich klar, dass der Täter Vorsatz („deliberately“700) besitzen muss, dass seine Handlung oder Unterlassung eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der geistigen oder körperlichen Unversehrtheit verursachen wird, oder sich als ernsthafter Angriff auf die menschliche Würde darstellt701. Bezüglich der Verursachung einer schweren Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit ist unklar, ob auf subjektiver Ebene zwischen dem Täter und dem Opfer eine direkte Beziehung bestehen muss,702 oder ob der reine Anblick von Gräueltaten ausreichend ist703. Das ICTR wählte in Kayishema und Ruzindana eine vermittelnde Ansicht. Zwar ist eine Täter-Opfer-Beziehung nicht notwendigerweise Voraussetzung, jedoch muss der Täter gewusst haben, dass er dem Opfer schwere geistige Leiden auferlegt, oder wissen, dass seine Tat mit Wahrscheinlichkeit ein solches Leiden hervorrufen kann oder sorglos war, ob dieses Leiden eintreten würde704. War dem Täter demnach (in nicht sorgloser Weise) unklar, dass seine Tat von Dritten beobachtet wird, so fehlt es ihm an der notwendigen mens rea705. 699
De Brouwer, Supranational Criminal Prosecution of Sexual Violence, 163. Prosecutor v. Muvunji, ICTR-2000-55A-T (26. September 2006), Abs. 529. 701 Prosecutor v. Martic ´ , IT-95-11-T (12. Juni 2007), Abs. 85. 702 Vgl. das Schlussplädoyer der Verteidigung in Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, Defence Closing Arguments, 38 ff. 703 Vgl. das Schlussplädoyer der Anklage in Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, Prosecutor’s Closing Brief, 80 und 93, 101, 105, 134. 704 Prosecutor v. Kayisehma und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 153 „The Chamber is in no doubt that a third party could suffer serious mental harm by witnessing acts committed against others, particularly against family or friends. However, to find an accused responsible for such harm under crimes against humanity, it is incumbent on the Prosecution to prove the mens rea on the part of the accused. Indeed, as stated above, inhumane acts are, inter alia, those which deliberately cause serious mental suffering. The Chamber considers that an accused may be held liable under these circumstances only where, at the time of the act, the accused knew that his act was likely to cause serious mental suffering on the third party, or where the accused knew that his act was likely to cause serious mental suffering and was reckless as to whether such suffering would result. Accordingly, if at the time of the act, the accused was unaware of the third party bearing witness to his act, he cannot be held responsible for the mental suffering of the third party.“ (Hervorhebung im Orginal.) 700
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Kap. 5: Enumerierte Einzeltatbestände
Während die Ausführungen in Kayishema und Ruzindana stringent sind, ist (wohl aus Unachtsamkeit) die Aussage in neueren Entscheidungen des ICTR in widersprüchlicher Weise verstümmelt worden. So findet sich im Fall Kajelijeli das Statement: „Inhumane Acts are only those which deliberately cause suffering. Therefore, where third parties observe acts committed against others, in circumstances in which the Accused may not have had an intention to injure third parties by their observation of these acts, the Accused may be held accountable for their mental suffering.“706
Das Gericht beruft sich in der darauf folgenden Fußnote auf Kayishema und Ruzindana. In Kamuhanda ist das schon in Kajelijeli enthaltene Statement, wiederum in rein isolierter Form, wiederholt und der letzte Teil durch den Zusatz „the Accused may still be held accountable for their mental suffering“707 erweitert worden. Ein expliziter Verweis auf Kayishema und Ruzindana fehlt zwar in diesem Absatz, die Entscheidung wird aber im darauf folgenden Satz zitiert. Die Aussage in Kajelijeli, welche in Kamuhanda wiederholt und „präzisiert“ wird, ist widersprüchlich und unklar. So sagt das Gericht, dass nur vorsätzliches Handeln („deliberately“) vom Tatbestand erfasst sein soll. Daraus („therefore“) wird der merkwürdige Schluss gezogen, dass auch der Täter, der keinen Vorsatz hat, Dritte „mental“ zu verletzen, nichtsdestotrotz („still“) zur Verantwortung gezogen werden kann. Die Unschlüssigkeit der Aussage resultiert aus einer schlechten Zitierung des Vorgängerurteils. So wurde in Kayishema und Ruzindana erklärt, dass „inhumane acts are, inter alia, those which deliberately cause serious mental suffering“708. Durch die Hervorhebung der Begriffe „inter alia“ und „deliberately“ gab das Gericht zu verstehen, dass auch ein nicht vorsätzliches Handeln vom Tatbestand umfasst ist. In Kajelijeli und Kamuhanda wurde das „inter alia“ durch ein „only“ ersetzt. Jenes „only“ findet sich bei Kayishema und Ruzindana jedoch erst erklärend im nächsten Satz des relevanten Absatzes. Man sollte deshalb Kajelijeli und Kamuhanda im Lichte von Kayishema und Ruzindana interpretieren. Die Aussage „only [. . .] deliberately cause suffering“ muss in diesem speziellen Fall untechnisch verstanden werden. Sowohl vorsätzliches als auch sorgloses Handeln ist erfasst709. 705 Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 153; sich dem anschließend Prosecutor v. Fofana und Kondewa, SCSL-04-14-T (2. August 2007) Abs. 153. 706 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 932 (eigene Hervorhebung). 707 Prosecutor v. Kamuhanda, ICTR-95-54A-T (22. Januar 2004), Abs. 717 (eigene Hervorhebung). 708 Prosecutor v. Kajelijeli, ICTR-98-44A-T (1. Dezember 2003), Abs. 932. 709 In diese Richtung auch Prosecutor v. Muvunji, ICTR-2000-55A-T (26. September 2006), Abs. 529 mit Verweis auf Prosecutor v. Kayishema und Ruzindana, ICTR-
F. Andere unmenschliche Handlungen
455
Unabhängig vom mens rea Erfordernis bezüglich der spezifischen im Tatbestand enumerierten Handlung muss der Täter im Einklang mit den generellen mens rea Grundsätzen zusätzlich über konstruktives Wissen vom makrokriminellen Gesamtkontext verfügen. Ihm muss zudem nachgewiesen werden, dass er weiß, dass sich seine Handlung als Teil des Gesamtangriffs gegen die Zivilbevölkerung darstellt.
95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 151, sowie lediglichem Zitierhinweis bei Kamuhanda und Kajelijeli.
Kapitel 6
Ausblick Durch die Weiterentwicklung, Erweiterung und regelmäßige Anwendung des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit im völkerstrafrechtlichen Milieu ist der Terminus „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zunehmend in das Bewusstsein der allgemeinen Bevölkerung getreten und wird verstärkt als Mittel zur Bildung politischer Meinungen verwendet. Die weltweite Apathie gegen Aids1, internationale Korruption2 und staatliche Integrationsbzw. Assimilierungsbestrebungen für ausländische Mitbürger3 sind ebenso als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ deklariert worden wie die durch Tabakverwendung hervorgerufene Todesrate4, oder die vermehrte Verwendung von Getreide als Biokraftstoff 5. Im Wege der hier vorgenommenen Analyse wurde versucht, ein umfassendes und klareres Bild zu zeichnen und somit einer rechtlichen Entleerung dieses Begriffs entgegenzutreten. Gleichwohl können obige Einordnungen zumindest partiell Denkanstöße geben. Das gilt besonders für die Frage, ob eines der fundamentalsten globalen Probleme der nächsten Jahrzehnte – die schwerwiegende und weit reichende Zerstörung unserer Umwelt – als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeordnet werden könnte.
1 Hogg/Cahn/Katabira/Lange/Samuel/O’Schaughnessy/Vella/Wainberg/Montaner, 360 The Lancet (2002), 1710 f. 2 Acquaah-Gaisie, Grand Corruption a Crime against Humanity, 1 ff. 3 Erklärung vom Türkischen Ministerpräsidenten Taylip Erdogan, N.B., 36 Süddeutsche Zeitung, 11. Februar 2008, 1. 4 Francey, 8 Tobacco Control (1999), 221 mit expliziter „Subsumption“ unter die in Art. 7(1)(k) ICC Statut festgeschriebene Generalklausel der „anderen unmenschlichen Handlungen“. 5 Erklärung von Jan Ziegler, Sonderberichterstatter der UN für das Recht auf Nahrung, abrufbar unter http://www.un.org (26. Oktober 2007). „Noting that the price of wheat has doubled in one year, Mr. Ziegler warned that if the prices of food crops continued to rise, the poorest countries will not be able to import enough food for their people. While the arguments for biofuels is legitimate in terms of energy efficiency and combating climate change the effect of transforming food crops such as wheat and maize into agricultural fuel is ,absolutely catastrophic‘ for hungry people and will negatively impact the realization of the right to food, he said. It is a crime against humanity to convert agricultural productive soil into soil which produces food stuff that will be burned into biofuel.“ (Eigene Hervorhebung.)
Kap. 6: Ausblick
457
Unter Zugrundelegung der rechtsdogmatischen Voraussetzungen des Gesamttatbestandes wäre vordergründig eine Einordnung unter der Generalklausel der „anderen unmenschlichen Handlungen“ vorstellbar, sofern die Umweltzerstörung als Teil eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen jegliche Zivilbevölkerung „verübt“ wird. Würde sich der Angriff exklusiv aus Umweltzerstörungshandlungen zusammensetzen, wäre der makrokriminelle Kontext regelmäßig erfüllt, da unstrittigerweise eine schwerwiegende Umweltzerstörung in Form von globaler Erwärmung, Meerverschmutzung, der Auflösung der Ozonschicht oder die Verwendung von nuklearen oder anderen besonders gefährlichen Stoffen als Problem von „internationaler Dimension“ klassifizierbar ist6. Einer Einbeziehung steht man jedoch bis heute (zur Recht) sehr skeptisch gegenüber, zumal schon fraglich erscheint, ob das Recht auf eine „saubere Umwelt“ Menschenrechtsstatus innehat7. Gegen eine Subsumierung unter den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit spricht zum einen, dass sich bisher innerhalb der Staatengemeinschaft weder eine opinio juris, noch Staatenpraxis herausbildete, die eine solche Bewertung nahe legen würde. Im Gegenteil spricht die Entstehungsgeschichte des Gesamttatbestandes gegen eine Einbeziehung unter die Generalklausel8. Zum anderen entstehen bei näherer Betrachtung rechtsdogmatische Hindernisse. Als eines der fundamentalsten Grundsätze der Strafrechtsdogmatik gilt, dass ein Beschuldigter sich erst dann
6
Shaw, International Law, 754. Beyerlin, 65 ZaöRV (2005), 525; Pallemaerts in: Sands, Greening International Law, 1 (8); Alfredsson/Ovsiouk, 60 NJIL (1991), 19; Gormley, Human Rights and Environment; Shelton, 3 Y Int’l Env’l L (1992), 75; Birnie/Boyle, International Law and the Environment; siehe auch Reichart, Umweltschutz durch völkerrechtliches Strafrecht, 375, der bei einer lediglich mittelbaren Schädigung auf den Menschen durch Umweltstraftaten von einem „Reflex des Menschenrechtsschutzes“ spricht. 8 Aufgrund der Tatsache, dass mittlerweile eine große Anzahl an Konventionen und Deklarationen zum Schutz der Umwelt existieren und eine derartige Handlung mitunter als „internationales Verbrechen“ deklariert wurde, kam die ILC 1984 auf ihrer 36. Tagung zu dem Schluss, dass zumindest die Verursachung schwerster Umweltschäden in den Strafkatalog des ILC Draft Codes von 1984 aufgenommen werden müsse. Insofern brachte der Sonderberichterstatter der ILC sowohl 1986 in Art. 12, als auch 1989 in Art. 14 des Entwurfs Vorschläge zur Kodifizierung des Tatbestandes innerhalb des Gesamttatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit ein, die jedoch im späteren Verlauf nicht übernommen worden sind. ILC Entwurf 1986 Article 12. „Acts constituting crimes against humanity. The following constitute crimes against humanity: [. . .] 4. Any serious breach of an international obligation of essential importance for the safeguarding and preservation of the human environment.“; UN Doc.A/CN.4/ 398 and Corr. 1 – 3. ILC Entwurf 1989, Article 14. „Crimes against humanity. The following constitute crimes against humanity 6. [. . .] Any serious and intentional harm to a vital asset, such as the human environment.“; UN Doc.A/CN.4/419 and Add.1; Doc. A/44/10. Vergleiche schließlich die Darstellung von Reichart in: Umweltschutz durch völkerrechtliches Strafrecht, 526 ff., wo die Entwicklung der Umweltverbrechen als etwaiges Verbrechen gegen die Menschlichkeit präzise nachgezeichnet wird; für Umweltverbrechen als Kriegsverbrechen siehe Art. 35 Abs. 3 und Art. 55 Abs. 1 ZP I. 7
458
Kap. 6: Ausblick
eines Verbrechens strafbar gemacht hat, wenn zwischen der Tathandlung und dem eingetretenem Schaden hinreichende Kausalität und Adäquanz besteht. Bei Straftaten gegen die Umwelt ist ein solcher hinreichender Kausalitätsnachweis zwischen Schadensverursachung und beim Opfer eingetretener (spezifischer) Schadensverletzung schon deshalb schwierig, weil die Unrechtshandlung regelmäßig nicht unmittelbar kausal für die etwaige eingetretene Verletzung des Körpers ist. Werden etwa Schadstoffe emittiert, um vorsätzlich große Teile der Zivilbevölkerung zu schädigen, ist allein dadurch der Mensch in seiner körperlichen Konstitution nicht unmittelbar verletzt. Erst durch die Folgen der Umweltzerstörungshandlung – unter Zugrundelegung des obigen Beispiels, etwa das allmähliche Auftreten von schwerwiegenden Atemwegserkrankungen aufgrund der durch die schädlichen Emissionen verursachten eingetretenen Verschlechterungen der Luftqualität – tritt die Körperverletzungshandlung ein. Verstärkt wird die Schwierigkeit eines hinreichenden Kausalitätsnachweises durch die Problematik, dass sich die Auswirkungen einer Umweltzerstörung regelmäßig nicht auf ein abgrenzbares Territorium begrenzen lassen9. Luftemissionen, Wasserverschmutzungen oder die Schädigung der Ozonschicht durch FCKW Produktion mögen zwar einen Schadensschwerpunkt in einem bestimmten Territorium haben; die Folgen dieser Handlungen wirken jedoch unstrittig auch global. Dementsprechend schwierig ist der mens rea Nachweis, dass der Ausbruch von Krankheiten in vorhersehbarer Weise auf die umweltschädliche Produktion von denjenigen Gegenständen rückführbar ist, die der Täter produziert hat. Ein Sonderfall könnte allerdings die nukleare Verseuchung eines bevölkerten Gebietes darstellen. Hier kann die Zerstörung der Umwelt unmittelbar Hand in Hand gehen mit einer fundamentalen Beeinträchtigung der körperlichen Konstitution. Auch ist in diesem Fall der Kausalitätsnachweis zwischen Verursachung und schädigender Wirkung relativ leicht zu erbringen, da die nukleare Verstrahlung im Körper des Opfers nachzuweisen ist, da die Schädigung nur durch „unnatürlichen“ direkten Kontakt mit nuklearem Material entsteht. Ähnliches könnte bei der Verseuchung eines Flusses gelten, der von einem bestimmten Teil der Zivilbevölkerung als Trinkwasserreservoir genutzt wird. In derartigen Fällen, wo eine unmittelbare Verbindung zwischen Umweltzerstörung und körperlicher Beeinträchtigung besteht, wird insofern nunmehr teilweise vertreten, dass die fundamentale Umweltzerstörung als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu werten ist10. Für eine derartige Fortentwicklung spricht trotz des 9
Shaw, International Law, 754. Weinstein, 17 Geo Int’l Env’l LRev 4 (2005), 697 ff. „Environmental destruction when considered in the humanitarian context can also be a crime against humanity. Under Article 12 of the Iraqi Statute and Article 7 of the Rome Statute, an individual can be convicted of crimes against humanity for committing acts ,as part of a wide10
Kap. 6: Ausblick
459
Entgegenstehens der tatbestandlichen Entstehungsgeschichte der Sonderstatus der umweltzerstörenden Tathandlung: Klassische Strafhandlungskonstellationen – etwa Mord, Folter oder Vergewaltigung – lassen sich durch zwei Handlungsfolgen charakterisieren: 1.
die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit tritt unmittelbar oder in zeitlicher Nähe als Folge der Verletzungshandlung ein; und
2.
die Verletzungshandlung ist auf das bzw. die angegriffene(n) Opfer beschränkt.
Wenn mithin der Täter ein Opfer durch einen Messerstich tötet, stirbt stets (nur) das Opfer zeitnah in Folge des Messerstichs. Sich nicht am Tatort befindliche Personen sind nicht in fundamentaler Weise körperlich von der Tötungshandlung betroffen. Freilich können z. B. Verwandte des Opfers aufgrund der Verlustmiteilung Schockzustände und Traumata erleiden. Nach allgemeiner und richtiger strafrechtlicher Würdigung reicht die unmittelbare Verletzungshandlung gegen das Opfer aber nicht aus, den Täter auch für die im sozialen Umfeld des Opfers regelmäßig existierenden und mitunter schmerzhaften Verarbeitungsprozesse bestrafen zu können11. Denn obwohl die Angehörigen und Kinder des Opfers infolge des Verlustes traumatisiert und geschockt sein können12, was sicherlich auch vom Täter vorhersehbar war; richtigerweise muss hier – wie dies etwa im deutschen Strafrecht etabliert ist – bei der Strafbarkeitsfeststellung die Kausalitätsbewertung durch eine angemessene Adäquanzwürdigung begrenzt werden, was eine Erweiterung auf obigen „mittelbaren“ Opferkreis ausschließt. spread or systematic attack directed against any civilian population, with knowledge of the attack.‘ Unlike the ICC and Iraqi Statute environmental war crimes provision, Article 12 (like Article 7 of the Rome Statute) requires no nexus to armed conflict. The statute enumerates ten crimes, including ,[o]ther inhumane acts of a similar character intentionally causing great suffering, or serious injury to body or to mental or physical health.‘ This provision requires the commission of an act intended to cause suffering in a widespread or systematic way or pursuant to a State policy. Thus environmental destruction could be considered a crime against humanity when conducted with the intent to cause great suffering in a systematic or widespread manner, or pursuant to a State policy. The destruction becomes a crime because of its humanitarian consequences.“ (Eigene Hervorhebung.) Diese Ansicht betont, dass die Kopplung der Umweltzerstörung an die unmittelbare Körperschädigung des Opfers allerdings nur als Zwischenschritt gesehen wird. Gewollt sei im Endstadium die Behandlung der Umweltzerstörung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit per se, welche losgelöst von jeglichem Nachweis einer unmittelbaren körperlichen Schädigung schon deshalb strafbar sei, weil das indirekte Ausmaß der Handlung in schwerwiegendstem Maße die gesamte Menschheit bedroht. Zumindest die „Endvision“ dieses (in dieser Untersuchung abgelehnten) Ansatzes ist unstrittig lediglich lex ferenda. 11 Mitunter erfasst sein können jedoch „schwere Beeinträchtigungen der geistigen Gesundheit“ aufgrund direkten Zusehens des Verbrechens, dazu Prosecutor v. Kayisehma und Ruzindana, ICTR-95-1-T (21. Mai 1999), Abs. 153; und Kapitel 5.F. 12 Reinke in: Böllinger/Lautmann, Vom Guten, das noch stets das Böse schafft, 33 ff.
460
Kap. 6: Ausblick
Fraglich ist aber, ob sich aufgrund der Atypik fundamentaler Umweltschädigungen etwas anderes ergeben könnte. Im Gegensatz zur klassischen Handlungskonstellation existieren hier zwei Besonderheiten: 1.
Die Tathandlung der schwerwiegenden Umweltzerstörung wirkt (zumindest mittelbar) aufgrund ihrer globalen Folgen auf die gesamte Menschheit, also auf alle sich auf der Erde befindlichen Menschen. Der etwaige Opferkreis ist dementsprechend nur schwer eingrenzbar, überproportional groß, oder gar allumfassend.
2.
Bei vielen schwerwiegenden Umweltzerstörungen sind die Folgen der Zerstörung nicht vorhersehbar, dauerhaft und kumulieren sich von Zerstörungshandlung zu Zerstörungshandlung („die Umwelt vergisst nicht“). Fundamentale Umweltverbrechen sind insoweit Dauerdelikte, die faktisch keine, oder zumindest eine sehr lang anhaltende Beendigungswirkung entfalten können; man denke etwa an die Strahlungsdauer von Plutonium13.
Festzuhalten ist insoweit, dass makrokriminelle Umweltverbrechen in der Strafrechtsdogmatik eine besondere Rechtsfolgenstellung innehaben. Im Gegensatz zur klassischen Tatbegehung können die Schädigungen unwiederbringlich auf die Überlebensbedingungen aller menschlichen Nachfolgegenerationen nachwirken14. Auch ist als Folge des Angriffs auf die Umwelt nicht nur die Menschheit in ihren ethischen Werten, sondern – und hier liegt der entscheidende Unterschied zu allen anderen Makrokriminalitätsverbrechen – auch in ihrem Grundbedürfnis auf Wahrung der körperlichen Existenz betroffen. Ob man daraus die Aufweichung des strafrechtlichen Kausalitätsnachweises (z. B. mit Hilfe des im Umweltrecht etablierten „Vorsorgeprinzips“15) ableiten 13 Farnan/Cho/Weber, 445 Nature (2007), 190 ff., gehen davon aus, dass die typische Strahlungsdauer von Plutonium 239 im Falle idealer Immobilisierung bei 241.000 Jahren liegt. 14 ICJ, Advisory Opinion on the Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, 35 ILM (1996), 809 (821), wo das Gericht erklärte, „that the environment is not an abstraction but represents the living space, the quality of life and the very health of human beings, including generations unborn.“ 15 Prinzip 15 der Rio Deklaration und § 17 der Agenda 21 werten das Vorsorgeprinzip („precautionary principle“) als eine legale Praktik für die Regulierung des Handels zum Schutz der Umwelt. Die Agenda 21 ist eine von der UNCED angenommene Erklärung, welche die Prioritäten und Ziele für die Internationale Gemeinschaft für die Jahre bis zur Jahrtausendwende (2000) und darüber hinaus herausgearbeitet hat; siehe auch D’Amato/Engel, International Environmental Law Anthology, 22, die davon ausgehen, dass das Vorsorgeprinzip [is] „broadly accepted for international action, even if the consequence of its application in a given situation remains open to interpretation“; anders aber Separate Opinion of Judge ad hoc Shearer in: Southern Bluefin Tuna Cases (New Zealand v. Japan; Australia v. Japan), abgedruckt in: August, International Business Law, 106 „There is a considerable literature devoted to the emergence of the precautionary principle in international law generally, but whether that principle can of itself be a mandate for action, or provide definitive answers to
Kap. 6: Ausblick
461
kann, ist freilich eine andere Frage16. Vorzugswürdiger erscheint, Umweltverbrechen nicht in den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit einzugliedern, sondern stattdessen die Verhandlungen zur Einführung eines eigenständigen Straftatbestandes wieder aufzunehmen17. Ist jedoch, wie im Falle der zielgerichteten atomaren Verseuchung eines bevölkerten Gebietes, der Kausalitätsnachweis direkt erbringbar, erscheint eine Aburteilung unter den Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit geboten. Anknüpfungspunkt der Schädigung wäre hier allerdings primär die direkte körperliche Beeinträchtigung der Opfer, und nicht etwa die Tathandlung der Umweltzerstörung an sich. In Fällen mittelbarer Kausalität fehlt es dagegen regelmäßig an der hinreichenden Verbindung zwischen Handlung und Schädigung, um von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausgehen zu können. Aufgrund des differenten primären Anknüpfungspunktes an die Verbrechensbegehung sind Umweltverbrechen insoweit nicht mit den Charakteristika der übrigen kodifizierten Tatbegehungsvarianten hinreichend vergleichbar18. Am Beispiel der Umweltzerstörung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit wird deutlich, dass einer Einbeziehung neuer Straftatbestände gründliche rechtliche wie interdisziplinäre Überlegungen vorausgehen sollten. Der in Rom gefundene Kompromiss mit seinen umfassenden Erweiterungen und Konkretisierungen zog seine Weiterentwicklungsberechtigung auch daraus, dass die Staatengemeinschaft bei der Definierung auf eine über 50-jährige Entwicklungsgeschichte zurückblicken konnte, in denen der Gesamttatbestand sich fortwährend an die neuen Gegebenheiten adaptierte. Die dogmatische Weiterentwicklung sollte daher gezielt und selektiv erfolgen, um bei dessen Fortentwicklung nicht die mehrheitliche Auffassung der Internationalen Gemeinschaft aus den Augen zu verlieren. Wie in dieser Untersuchung dargelegt, besteht vielfältiges Entwicklungspotential.
all questions of environmental policy, must be doubted.“ Vgl. weiter Europäische Kommission, Guide to the implementation of directives based on the new approach and global approach; kritisch Kogan, Unscientific „Precaution“: Europe’s Campaign to Erect New Foreign Trade Barriers, 3. Vorstellbar wäre auch eine (analoge?) Abstellung auf bon voisinage („Gute Nachbarschaft Prinzip“), dazu Goldie in: Hargrove, Law, Institutions & The Global Environment, 104 [129]). 16 Kritisch insoweit Kunz, Kriminologie, 398, Rn. 13 „Die Akzeptanz neuer Gesetze gegen Makrokriminalität ist an ihrer Verträglichkeit mit traditionell rechtsstaatlichen Prinzipien des gemeinen Strafrechts zu messen.“ 17 So auch Reichart, Umweltschutz durch völkerrechtliches Strafrecht, 387. 18 Siehe Elements of Crimes, U.N. Doc. PCNICC/2000/1/Add.2 (2000), Art. 7, 17 Nr. 2, wonach eine spezifische Handlung nur dann eine „andere unmenschlichen Handlung“ ist, wenn „such act was of a character similar to any other act referred to in Art. 7 paragraph, of the Statute.“ Den Elements of crimes zufolge bezieht sich der Begriff „character“ sowohl auf die Schwere, als auch auf die vergleichbare Natur der Tathandlung.
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Kap. 6: Ausblick
Allerdings ist aus praktischer Sicht in der nächsten Zeit nicht mit einer fundamentalen dogmatischen Veränderung des Tatbestandes zu rechnen. Die gem. Art. 123 ICC Statut anzusetzende Review Conference19 strebt in Bezug auf Veränderungen des ICC Statuts im materiell-rechtlichen Bereich vornehmlich eine Tatbestandsdefinierung des Aggressionsverbrechens an20. Angedacht ist zudem, die Atom- und Chemiewaffenverwendung in das ICC Statut einzugliedern21, sowie einen erneuten Anstoß in Bezug auf Verbrechen des Terrorismus und des internationalen Drogenhandels zu geben. Bezüglich letzterer Punkte kann mit Spannung erwartet werden, in wieweit der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit Einbindung erfahren wird.
19
Vgl. Art. 121, 123 ICC Statut. Vgl. Art. 5(1)(d) (2) ICC Statut. 21 Dazu während der Verhandlungen in Rom, Glasius, The International Criminal Court, A Global Civil Society Achievement, 94 ff. 20
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Personen- und Sachverzeichnis Abtreibung 357 Actus reus 159 ff., 167 ff. Ad Hoc – Straftribunale siehe Jugoslawien Tribunal und Ruanda Tribunal – Makrokriminalität 208, 218, 224 ff., 252 ff., 311 Al-Dujail siehe Hussein Alien Tort Claims Act 103, 309 f. Alltagskriminalität 243 Amnestie 107 f., 115, 117, 148 ff. andere unmenschliche Handlungen siehe Generalklausel Angriff siehe Chapeau Anstifter 181 ff. (siehe auch Begehungsalternativen) Apartheidverbrechen 29, 86, 96, 99 ff., 113, 123, 165, 213 ff., 221 f., 237, 278, 282, 388, 412, 420, 436 ff., 451 arrangierte Hochzeit 374 f. Assassinat 285 ff. (siehe auch Mord) ausgedehnt siehe Chapeau Ausrottung 42, 89, 92, 99, 108, 116, 165, 198, 213, 216, 291 ff., 419, 426 ff., 430 ff. Aussaresses, Paul 28, 135, 151, 154 ff. B- und C-Klasse-Verfahren siehe Nachfolgeprozesse Barbie, Klaus 28, 133, 146 ff., 201, 232, 254, 272 Begehungsvarianten 28, 167 ff., 179 ff. – Täterschaft 167 ff., 171 ff. – „Teilnahme“ 167 ff., 171, 181 ff. bewaffneter Konflikt 217, 219 f., 227, 261 ff., 277 ff. Bouterse, D. 132, 135 „Busch-Frauen“ 366
CCL No. 10 siehe Kontrollratsgesetz Chapeau 28, 50, 85, 93, 106, 111, 119, 125, 162 f., 180, 198, 210 ff., 217 ff., 406, 423, 425, 440, 445 – Angriff 28, 63, 93, 97, 99, 102, 111 f., 125, 144, 162 ff., 166 f., 198 f., 206 f., 213, 215 f., 218 ff., 259 ff., 264, 270 ff., 282, 291, 293 ff., 299, 311, 315, 339, 381, 424, 440, 444 ff., 457, 460 – As part of 111 f., 113, 119, 162, 210, 215, 229 f., 259 – Ausgedehntheit 61, 85, 94, 97, 104, 112, 116, 162 f., 216, 218, 223 f., 226, 229 f., 231 ff., 257, 259, 270, 273, 282, 339, 348, 399, 446, 457 – bewaffneter Konflikt 90, 93, 97, 126 ff., 132, 140, 217, 219, 222, 227, 261, 263, 266 ff., 277 ff. – diskriminierender Grund 166, 210 ff. – Gerichtet gegen 257 ff., 270, 348 – Gesamtkontext 28, 97, 162 ff., 201 ff., 210, 212 f., 215 f., 225, 252 ff., 273, 291, 425, 440, 446 – jegliche 28, 163, 207, 218, 236, 257 ff., 260 f., 262, 270, 282, 292, 295, 358, 373, 444, 457 – Politik 28, 50, 108, 111, 116, 139, 142, 145, 149, 153, 203, 206 f., 216, 218, 223, 231, 233, 234 ff., 259, 271, 281, 310, 360, 396, 422 – Systematik 45, 61, 63, 85, 93, 97, 104, 112, 116, 144, 162 f., 206 f., 215 f., 221, 223 f., 226, 229 ff., 232 ff., 253, 257, 259, 270 f., 275, 282, 339, 348, 399, 412, 438 ff., 457 – Zivilbevölkerung 28, 30, 32, 50, 63, 70, 89, 99, 104, 108, 111, 116, 122, 135, 144, 163 ff., 198, 207, 216, 218,
Personen- und Sachverzeichnis 224, 229, 236, 242, 262 ff., 282, 295, 348, 440, 444, 446, 457 f. Charming Betsy 39 Commission siehe Begehungsvarianten Command Responsibility 169, 195 Conditio sine qua non 174, 182 f., 332 Crimes against Humanity and War Crimes Act 143, 157, 202 De Longchamps siehe Naturrecht Deportation siehe Vertreibung oder zwangsweise Überführung Diskriminierung 166, 214, 255, 319, 412 ff. – Grund 210 ff., 300 f., 312 f., 421 ff. – Institutionalisierung / Politik 86, 237, 424, 438, 445 Dönitz 49, 68 Dreißigjähriger Krieg 30 Ehe (als Schutzgut) 367 (siehe auch Zwangsheirat) Ehre (als Schutzgut) 318 ff., 350, 365 (siehe auch Würde) Eichmann, Adolf 133, 135, 137 ff., 192, 246 Ejusdem generis 196, 216, 305 f., 346, 363, 376, 396, 416, 422 f., 444, 450 Elements of Crimes 164, 207, 225, 255, 283, 288 f. Elfter September 2001 27, 224 ff., 253, 271, 311, 380, 401 Erga Omnes 342, 382 Erklärung von St. James 45 Error in Persona 290 erzwungene Schwangerschaft 99 f., 166, 317, 342, 354 ff., 363, 368, 374, 377 Ex Post Facto 27, 55 ff., 72, 112, 125 ff., 134, 138, 140, 143, 154 f., 161 fair trial 55, 66 ff., 127, 129 ff., 170 Finta, Imre 28, 55, 60 f., 65 ff., 135, 139 ff., 143, 145, 198, 199, 201 f., 232, 254, 281, 452
499
Fötus 285, 359 (siehe auch Mordtatbestand) Folter 25, 39, 76, 99, 103, 116 ff., 120, 124, 126, 129, 132, 146, 154, 161, 163, 166, 193, 213, 277, 282, 299 ff., 321, 326, 334, 360, 368, 370, 392, 413, 418, 437, 448, 452 f., 459 Freiheitsberaubung 75 f., 100, 108, 138, 147, 277, 331, 343 f., 348 ff., 376, 400 Freiheitsentzug 99 f., 124, 153, 166, 196, 282, 306, 317, 329, 377 ff., 402 ff., 416, 419 Gehilfe 182 (siehe auch Begehungsvarianten) Generalklausel 211, 282, 290, 320, 326 – andere unmenschliche Handlung 83 f., 162, 166, 196, 282 f., 317, 329, 317, 364, 368, 421 f., 424, 447 ff., 456 f. – jede andere Form sexueller Gewalt 29, 86, 106, 338, 361 ff., 372 – sonstige schwerwiegende Freiheitsberaubung 99, 283, 377 ff., 422 Gesamttatbestand 161 ff. – Gesamtkontext 161 ff. (siehe auch Chapeau) – Systematik 161 ff. (siehe auch Chapeau) Geschlecht 99 f., 318, 337, 410, 414, 434, 451 Gewalt 221 f., 248, 254, 323, 329 ff., 338 (siehe auch sexualisierte Verbrechen) gewaltsame Schwängerung 355 (siehe auch erzwungene Schwangerschaft) grausame Behandlung 305, 321 (siehe auch Folter) Grausamkeit (als Tatbestandselement) 142, 305 f. Guantanamo 401 Hagenbach, Peter (von) 34 ff., 57, 316 Hass 427 – als Tatbestandselement 148
500
Personen- und Sachverzeichnis
– Predigten von 29, 168, 175, 425 ff. (siehe auch Verfolgung) höherer Befehl 35 Hussein, Saddam 25, 27 f., 62, 121 ff., 194, 228, 231, 238, 285, 290, 379
Joint Criminal Enterprise 168, 171, 175, 180, 187, 237 Jugoslawien Tribunal 26, 87 ff., 110, 132, 145, 170, 224, 317 Jus Cogens 342, 381, 399, 412, 416, 418
individuelle Strafbarkeit 34 ff., 55, 57, 61, 74, 160, 169, 182, 186, 194 f. Intent siehe Vorsatz Interahamwe 204, 325, 427 International Criminal Tribunal for Rwanda siehe Ruanda Tribunal International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia siehe Jugoslawien Tribunal Internationaler Strafgerichtshof 95 ff. International Law Commission 78 f. – ILC Draft Code v. 1951 56, 79 ff., 86, 95 f., 152, 278 – ILC Draft Code v. 1954 80 ff., 96, 132, 152 – ILC Draft Code v. 1988 82 f., 152 – ILC Draft Code v. 1991 82 ff., 152, 240, 386, 407, 437 f., 441 – ILC Draft Code v. 1996 84 ff., 161, 169, 198, 232, 235, 240, 242, 254 f., 289, 386, 408, 438, 442, 444 f., 448, 450 f. International Military Tribunal siehe Nürnberg International Military Tribunal for the Far East siehe Tokio Iraqi High Tribunal 26, 62, 121 ff. – Al-Dujail Urteil siehe Hussein – Anfal Urteil 124
Kambodscha, Spezialkammern 26, 87, 109, 115 ff. Karadzic, Radovan 25, 90, 201 Killing Fields 116 (siehe auch Kambodscha) Kinderarbeit 346, 388, 396 Knowledge siehe Vorsatz Kollateralschaden 258, 260 Kollektivschuld 46, 50 ff., 209 – Arendt, Hannah 51, 245 – Haffner, Sebastian 51 – und Morgenthau-Plan 51 Kombattant 70, 148, 263, 264 ff. (siehe auch Chapeau) Kontrollratsgesetz Nr. 10 36, 74 ff., 199, 277, 317, 432 Konvention über die Nichtanwendbarkeit von Verjährungsvorschriften 40, 193 f., 278, 436
Jackson, Robert 41, 47 ff., 52 f., 57, 61, 66 f. Jäger, Herbert 52, 243 ff. Jakarta Menschenrechtsgericht 108 ff. jede andere Form sexueller Gewalt (von vergleichbarer Schwere) 99, 166, 317, 329, 338, 361
Law of Nations 37 ff., 58, 308 f. Legalitätsprinzip 47, 55, 58 f., 86, 125 ff., 320, 368, 430, 433 f. Leibeigenschaft 83, 346, 393 Leipziger Verfahren 40 ff., 44, 67 Lome Friedensabkommen 104, 107 Makrokriminalität 81, 164 ff., 207 f., 218, 224 ff., 229, 234, 237, 242, 243 ff., 311, 460 f. (siehe auch Ad Hoc) Martens’sche Klausel 58 Massenvernichtung 292 ff. (siehe auch Ausrottung) Menschenhandel 343, 347, 383, 385 ff., 388 ff. Mens Rea (als Begriff) 102, 106, 112, 141 f., 145, 159 ff., 197 ff., 211,
Personen- und Sachverzeichnis 213 ff., 252, 280 ff., 458 (siehe auch Vorsatz) Menten, Pieter M. 135 f., 259 Mikrokriminalität 50, 161 ff., 207, 215 f., 224 f., 243, 252, 440 f., 446, 450 Milosevic, Slobodan 25 f. Mord (als Begriff) 283 ff., 328, 368, 413, 417, 430, 459 Mugesera, Léon 28, 135, 143 ff., 425, 429 ff. Nachfolgeprozesse – von Nürnberg 73 ff., 128, 132, 192, 239, 277 – von Tokio 73 ff., 347 Naturrecht 32 ff., 36, 49, 60 – Malum in Se 60 f., 63 f., 434 – Nürnberger Verfahren 33, 49, 60 – Radbruchsche Formel 33, 60, 62, 63 ff., 127 – Respublica v. De Longchamps 36 ff., 125 – Sosa v. Alvarez-Machain 37, 40, 59 f., 309 f. ne bis in idem 118 Nexus – bei Verfolgung 423 ff. – zum Aburteilungsstaat 140 (siehe auch Weltrechtsprinzip) – zum Kriegsverbrechen / bewaffneten Konflikt 28, 54 f., 70, 75, 81, 97, 126, 132 f., 138, 139, 212, 217, 269, 277 ff. – zwischen Einzeltat und Gesamtkontext 29, 163, 199, 204 ff., 447, 459 Nötigung zur Prostitution 166, 282, 317, 321, 340 ff., 345, 350 ff., 363 Nürnberger – Militärtribunal 44, 48 ff., 67 – Prinzipien 70, 78 ff., 126, 204, 394, 411 – Statut 25, 47 f., 50 ff., 61, 66, 69 f., 75, 77, 239, 277, 397, 423 – Verfahren 48 ff.
501
Nullum Crimen sine Lege 55, 57, 63, 65 ff., 72, 89, 112, 125, 127, 139, 159, 161, 270, 326 f., 346, 377, 421, 429, 442, 447 Ordinary Crimes 244 (siehe auch Makrokriminalität) Ost Timoresische Serious Crime Unit 108 ff. Papon, Maurice 133, 135, 152 ff., 202 Pinochet, Auguste 314, 396 Politik-Element siehe Chapeau Polizisten 191, 266 ff. (siehe auch Kombattanten) Polyukhovic, Ivan T. 55, 135, 160, 165 f., 228, 232, 254, 423 Quirin (Ex parte) 39, 52 f., 57, 72, 74 Radbruch, Gustav siehe Naturrecht Rendition 401, 405 Rote Khmer siehe Kambodscha Royal Warrant 77 Ruanda Tribunal 26, 67, 87, 90 ff., 105, 107, 110, 132, 145, 170 Schmuggeln von Personen 391 f. Schuldknechtschaft 346, 388, 393 Scilingo, Adolfo 135 f., 276 sexualisierte Verbrechen 166, 315 ff. Siegerjustiz 56, 66 ff., 72, 95, 127 ff., 138 Sierra Leone, Spezialgericht 26, 87, 104 ff., 208, 365 ff. Sklaverei (und Versklavung) 83, 99 f., 166, 282, 306, 317, 319, 321, 339 ff., 346 f., 349 f., 368 ff., 381 ff., 393 f., 396, 413, 418 – ähnliche Praktiken 306, 319, 370, 382 ff., 388 ff., 442 – sexuelle 317, 321, 335, 339 ff., 382, 384 f., 387, 394
502
Personen- und Sachverzeichnis
sonstige schwerwiegende Beraubung der körperlichen Freiheit 99 f., 377 ff. Souveränität 30, 47, 53, 56, 97 f., 162 Tadic, Dusco 28, 55, 89, 127 f., 133, 141, 145, 165 f., 179 f., 183 ff., 187, 189 f., 192, 198 f., 202, 204, 211 f., 214, 219, 222, 229 f., 234, 236, 240 f., 256, 259, 262, 266 f., 272 ff., 276, 279, 413, 415 ff., 420 ff., 452 Tätergruppen und Täterkreis 53, 76, 202, 204 ff., 245 f., 252, 441 Taylor, Charles 25 (siehe auch Sierra Leone) Terroristen 122, 170, 217, 224, 239, 241, 253, 270 ff., 305, 314, 401 (siehe auch Elfter September 2001) Tokio 347 – Statut 25, 69 ff., 270, 317, 423 f., 436 – Tribunal 44, 69, 73 f., 96, 139, 214 – Verfahren 67, 71 ff., 133 Torture Victims Protection Act 308 ff. Touvier, Paul 28, 133, 135, 149 ff., 155 Trokosi 347 ff. Tu-quoque 56, 66 ff., 72, 128, 148 Umweltzerstörung 29, 248, 252, 283, 456 ff. United Nations War Crimes Commission 46 f., 58, 76, 79, 81, 165, 227 Unmenschlichkeit 142 – als Begriff 35, 447 ff. – und andere unmenschliche Handlungen siehe Generalklausel – und Katalogstraftaten 161 f. (siehe auch Ejusdem Generis) Unterlassen 28, 186 ff., 255, 302, 357 Verbrechenswellen 232, 253, 256 (siehe auch Chapeau) Verfolgung 26, 29, 50, 54, 69 f., 75, 80, 83, 84, 89, 93, 99 f., 111 ff., 116, 138, 145, 152 f., 165 f., 175, 185, 210 ff.,
225, 237, 244, 282, 317, 321, 413 ff., 437, 443 f. (siehe auch Hass) Vergewaltigung 36, 75 f., 89, 93, 99, 106, 109, 138, 166, 201, 213, 282, 315, 317, 319 ff., 365 ff., 452 – Handlungspraktik 104, 108, 302, 304, 321 ff., 347, 350, 358, 361, 367, 377, 440, 459 – Zustimmung des Opfers und Widerstandshandlung 331 ff., 349, 353, 370 – Zwang und Gewalt 339 ff., 354 f., 363, 374 Versklavung siehe Sklaverei Verstoß gegen Grundregeln des Völkerrechts 99, 160, 166, 377 ff. Versuch 170, 216, 221, 252, 389 Vertreibung oder zwangsweise Überführung 83, 99, 165 f., 277, 282, 407 ff., 417 Vorsatz 42, 99 f., 123, 131, 145, 173, 178 f., 184 ff., 198 ff., 211 f., 254, 280, 283 ff., 297 ff., 315, 338, 349, 354, 358, 391, 406, 414, 424 ff., 437, 448, 453 ff., 458 (siehe auch Mens Rea) – Awareness 179, 185, 201, 381, 406 – Intent 100 f., 162, 169, 184 f., 189, 198, 200, 211, 213 ff., 252, 286, 290 f., 295, 297 ff., 305, 309, 356, 381, 384, 400, 406, 414, 423 f., 439, 446 f., 448, 452, 454, 457, 459 – Knowledge 100, 106, 110, 184, 198 ff., 201 ff., 280, 290, 381, 459 – Premeditation 185 f., 285 ff., 406 War Crimes Trials siehe Nachfolgeprozesse Waterboarding 305 (siehe auch Folter) Weller Fall 207, 254 Weltrechtsprinzip 39 f. Würde 64, 80, 318 ff., 337, 339 f., 342, 349, 365, 367, 393 f., 398, 413, 421, 428, 433, 437 f., 451 ff. (siehe auch Ehre)
Personen- und Sachverzeichnis Yamashita, Tomouki (In Re) 72 ff. Zivilbevölkerung siehe Chapeau Zwangsarbeit 46, 83, 341, 367, 370, 372, 376, 386 f., 388, 392, 393 ff. Zwangsheirat 29, 317, 340, 346, 349, 363 f., 366 ff., 387
503
Zwangssterilisation 78, 99, 166, 282, 285, 317, 349, 358 ff., 363, 370 zwangsweise Überführung siehe Vertreibung zwangsweises Verschwindenlassen von Personen 86, 99 f., 124, 166, 282, 396 ff.
SUMMARY The legal provisions of crimes against humanity have left a considerable mark in the field of international criminal law. Due to its legal history, which is mainly grounded on customary international law, as well as its multiple modifications over the years, the problem of dogmatic interpretation has nevertheless remained to be a big issue. The present study sees itself as a comprehensive analysis of the legal elements of the ‘crime against humanity’, which intents to display critical positions and chances for development, rather than simply reproducing the current status quo. The author inter alia discusses the dogmatic differences between the overall corpus delicti of the crime (“Gesamttatbestand”), its overall context (“Gesamtkontext”) and the respective catalogue crime (“Einzeltatbestand”). Efforts were made to establish that the provision “multiple commission of acts” as stipulated in the chapeau elements of Article 7 ICC Statute does not hinder a conviction for a singular commission, if done via a so called “ad hoc macro-criminal perpetration”. The author has also put a priority on analysing the respective catalogue crimes – particularly gender crimes –, and has included concrete suggestions of how the crime of forced marriage may be defined. As for the crime of apartheid, the dogmatic problem of mixed macro-criminal levels within the catalogue crime has been discussed for the first time. From this finding, the author comes to concrete suggestions of how this crime could be legally interpreted.
RÉSUMÉ Les dispositions juridiques relatives aux crimes contre l’humanité ont considérablement marquées le droit pénal international. Cependant, en raison de l’histoire juridique de cette notion principalement basée sur le droit international coutumier et des multiples modifications qu’elle a connu au fil des années, la question de son interprétation doctrinale est restée problématique. La présente étude se veut être une analyse complète des éléments juridiques du crime contre l’humanité. Elle tente d’exposer des positions critiques et des pistes de développement, plutôt que de se cantonner à reproduire le statu quo actuel. L’auteur s’intéresse notamment aux différences doctrinales entre le « corpus delicti » de ce crime, («Gesamttatbestand»), son contexte d’ensemble («Gesamtkontext»)et le catalogue respectif de crime («Einzeltatbestand»). Des efforts ont été fait pour établir que la notion de «commission multiple d’actes» contenue dans les éléments chapeaux de l’article 7 des statuts de la CPI ne fait pas obstacle à une condamnation pour une commission «simple» si elle est réalisée par l’intermédiaire de ce que l’on peut qualifier de «perpétration macro-criminelle ad hoc» . Par ailleurs, l’auteur a accordé une grande importance à l’analyse des catalogues respectifs de crime – particulièrement les crimes sexistes –, et a inclus des suggestions concrètes pour la définition du crime de mariage forcé. Concernant le crime d’apartheid, le problème doctrinal des interférences entre les niveaux macro-criminels dans le catalogue de crime sont discutées pour la première fois. Sur cette base, l’auteur amène des suggestions sur la manière d’interpréter juridiquement ce crime.