Die Sonderstraftat: Eine gesamtsystematische Grundlegung der Lehre vom Verbrechen [2 ed.] 9783428525379, 9783428125371

Das hiermit von Winrich Langer in zweiter Auflage veröffentlichte Werk "Das Sonderverbrechen" trägt nicht nur

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Die Sonderstraftat: Eine gesamtsystematische Grundlegung der Lehre vom Verbrechen [2 ed.]
 9783428525379, 9783428125371

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WINRICH LANGER

Die Sonderstraftat

Strafrechtliche Abhandlungen . Neue Folge Begriindet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (t) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Harnburg

Herausgegeben von Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

in Zusammenarbeit mit den StrafrechtsIehrem der deutschen Universitäten

Band 189

Die Sonderstraftat Eine gesamtsystematische Grundlegung der Lehre vom Verbrechen

2., vollständig neu bearbeitete Auflage des Werks "Das Sonderverbrechen"

Von

Dr. Winrich Langer

o. Professor der Rechte an der Universität Marburg

Duncker & Humblot . Berlin

Aufgenommen von Professor Dr. Eberhard Schmidhäuser, Hamburg.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über hup:/Idnb.d-nb.de abrutbar.

1. Auflage 1972

Alle Rechte vorbehalten

© 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-12537-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Frau

Vorwort Wenn ich unter dem an den heutigen Gesetzestext angepaßten Titel "Die Sonderstraftat" hiermit "Das Sonderverbrechen" in zweiter Auflage veröffentliche, erhält der Leser etwas anderes als die mit einer solchen Benennung üb Iicherweise bezeichnete überarbeitete und erweiterte Fassung der Erstauflage - er erhält ein völlig neues, gegenüber dem Ursprungswerk eigenständiges Buch. Der neue Untertitel beschreibt das Ziel, auf das hin diese tiefgreifende, in der "Eintuhrung" im einzelnen aufgewiesene Umgestaltung vorgenommen worden ist. Unverändert blieben hingegen der Zugang zur untersuchten Problematik sowie die angewandten Methoden, und ebenso konnte an den in der Erstauflage erarbeiteten Ergebnissen in den aus ihr übernommenen Teilen fast ausnahmslos festgehalten werden. Auch hierin kommt die trotz der sprachlichen Abwandlung des Titels insoweit inhaltlich fortbestehende Übereinstimmung des Werkes mit der Erstauflage nachhaltig zum Ausdruck. Das Manuskript wurde im Herbst 2006 abgeschlossen. Schrifttum und Rechtsprechung konnten bis April 2006 berücksichtigt werden. Mein aufrichtiger Dank gilt allen, die durch ihre inhaltlichen Beiträge oder durch technische Unterstützung das Erscheinen dieses Buches gefördert haben. Besonders herzlich danke ich meinen Wissenschaftlichen Mitarbeitern Markus Bender, Dominik Best, Thomas Kröger und Johannes Schrägle tur ihre mit vorbildlichem Einsatz geleistete Hilfe und kritische Begleitung bei dieser Publikation sowie meinen Sekretärinnen Frau Erika Fenderl und Frau Alexandra Paar tur die sorgfliltige Übertragung des Manuskripts. Zugleich bitte ich die große Zahl derjenigen um Nachsicht, die ich hier nicht namentlich auffUhren konnte, obwohl sie auf vielfliltige Weise, wenn auch in deutlich geringerem Umfang, Verbesserungen angeregt oder sonst Wertvolles eingebracht haben. Ich widme das Werk meiner Frau, die die mit seiner Entstehung verbundenen Lasten verständnisvolI mitgetragen hat. Marburg, im Februar 2007 Winrich Langer

Inhaltsverzeichnis Zur Einführung ................................. . ......................................

21

Erster Teil

Systematische Grundlagen der Dogmatik des Sonderverbrechens: Die Lehre von der Straftat

23

Erster Abschnitt

Der allgemeine Straftatbegriff

24

Erstes Kapitel

Das tatbestandsmäßige Unrecht

31

I. Die tatbestandliche Unrechtsbegründung .......... . ....... . ............... . ........

32

I. Der Unrechtsgehalt der Straftat...... .. ......... ...... .......... ........ .. .... ....

33

a) Der Rechtsgutsangriff (Das materielle Unrechtsmoment) ...................

38

aa) Der sachliche Unrechtsaspekt .............................................

40

bb) Der personale Unrechtsaspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

b) Die Rechtsnormwidrigkeit (Das formelle Unrechtsmoment) ................

59

2. Der Unrechtstatbestand ...........................................................

67

a) Die gesetzliche Beschreibung des Rechtsgutsangriffs .......................

71

aa) Vertatbestandlichte Verwirklichungsstadien des Wo liens ...............

73

bb) Vertatbestandlichung der Rechtsgutsverletzung .........................

75

ce) Formen tatbestandlicher Unrechtsstruktur ................................

79

b) Die selbständig-allgemeinen subjektiven Unrechtstatbestandsmerkmale ...

81

aa) Tatbestandliehe Mindestanforderungen an das Unrecht der Vorsatzstraftat: Die Tatumstandskenntnis . ... .... .. .............. .... ......... ... .

87

10

Inhaltsverzeichnis bb) Tatbestandliche Mindestanforderungen an das Unrecht der Fahrlässigkeitsstraftat: Die Erlangbarkeit der Tatumstandskenntnis ...............

89

Il. Der Unrechtsausschluß ..............................................................

94

I. Die Prinzipien der Rechtfertigung. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

a) Die materielle Rechtfertigung .................................................

96

b) Die formelle Rechtfertigung ...................................................

98

2. Die Einteilung der Rechtfertigungsgründe ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Anwendungsschranken für Rechtfertigungsgründe

102

Zweites Kapitel

Die tatbestandsmäßige Schuld

106

I. Die tatbestandliche Schuldbegründung .................. . ....... . ...... . ...........

I 10

I. Der Schuldgehalt der Straftat ............................ . .... . ..................

110

a) Die geistige Wertverfehlung und ihre Formen ...............................

111

b) Die Abwandlungen des Verwerflichkeitsgrades ..............................

112

2. Der Schuldtatbestand .............................................................

113

a) Die Schuldformen "Vorsatz" und "Fahrlässigkeit" ..........................

115

aa) Der Vorsatz als Schuldform ............................................... 117 bb) Die Fahrlässigkeit als Schuldform ........................................

131

b) Die besonderen Schuldtatbestandsmerkmale .................................

133

Il. Der Schuldausschluß .................................................................

137

I. Die Wertstruktur des Schuldausschlusses ........................................ 138 2. Die Einteilung der Schuldausschließungsgründe ................................ 139 Drittes Kapitel

Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit

141

I. Die tatbestandliche Strafwürdigkeitsbegründung ...................................

158

I. Der Strafwürdigkeitsgehalt der Straftat ..........................................

158

a) Der von Unrecht und Schuld abhängige Strafwürdigkeitsgehalt ....... . ....

165

b) Die selbständigen Strafwürdigkeitselemente ............. ....................

168

2. Der Strafwürdigkeitstatbestand ......................... . .... . ......... . .... . .... 171

Inhaltsverzeichnis

11

a) Die den abhängigen Strafwürdigkeitsgehalt vertatbestandlichenden Merkmale ............................................................................. 172 b) Die selbständigen Strafwürdigkeitsmerkmale .... . ............. . .............

175

II. Der Strafwürdigkeitsausschluß ............................. . ........................

177

1. Die Wertstruktur des Strafwürdigkeitsausschlusses .... . ..... . ......... . ........

178

2. Die Einteilung der Straftatausschließungsgründe

181

Zweiter Abschnitt

Die Erscheinungsformen der Straftat

182

Erstes Kapitel Die Begriffsbestimmung der Erscheinungsformen

185

I. Der Gegenstand der Erscheinungsformen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 II. Die Differenzierungsgrundlagen der Erscheinungsformen............. .. ....... ... 190 111. Die Paarmerkmale der Erscheinungsformen...... ................... .. ......... ...

193

Zweites Kapitel Die systematische Bedeutung der Erscheinungsformen I. Die Wahrung der Verbrechensidentität .............................................

198 199

II. Die Rechtsfolgendifferenzierung innerhalb der Verbrechensidentität . . . . . . . . . . . . . 200

Zweiter Teil Begriff und Dogmatik des Sonderverbrechens

206

Erster Abschnitt

Die Bestimmung des Begriffs "Sonderverbrechen"

207

Erstes Kapitel Die Definitionen des Sonderverbrechens in Schrifttum und Rechtsprechung 208 I. Der Vorbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Die Aufgaben des Vorbegriffs .................................................... 208 2. Form und Inhalt des Vorbegriffs ................................................. 209

12

Inhaltsverzeichnis

11. Die Begriffskriterien

212

I. Die gegensätzlichen Definitionsmethoden ....................................... 213 2. Die unselbständigen Begriffsbestimmungen ..................................... 214 a) Scheinbar unselbständige Definitionen ....................................... 214 b) Definitionen mit Bezugnahme auf den Täterbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 c) Definitionen mit Bezugnahme auf den Begriff der Deliktsvollendung ... . .. 221 3. Die selbständigen Begriffsbestimmungen. .. .......... ............. .... ...... .... 222 a) Das Sonderrechtsgut als Sonderdeliktskriterium ............................. 225 b) Die Sondernorm als Sonderdeliktskriterium .................................. 226 c) Der Sondertatbestand als Sonderdeliktskriterium ............................ 230 Zweites Kapitel Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen des Sonderverbrechens I. Auseinandersetzung mit den unselbständigen Begriffsbestimmungen

232 232

I. Die täterschaftsabhängige Definition des Sonderverbrechens .................. 233 a) Kritik des Motivs.... . .. ... .. .. .... .. ....... ...... ....... ..... .. .. ...... .. . ..... 233 b) Kritik der Begründung ......................................................... 237 c) Kritik der Begriffsbildung ..................................................... 243 aa) Auseinandersetzung mit der Grundform. . . . .. . .. .. . . .. . . . . . . .. . . . .. . . . . .. 243 bb) Auseinandersetzung mit den Sonderformen .............................. 247 2. Die vollendungsabhängige Definition des Sonderverbrechens ................. 254 a) Kritik des Motivs. .. ..... ... .. .. ... . .. . .. .. .. .... . ... ........... .. ..... ..... . .. . 254 b) Kritik der Begründung............. ...... . ...... .. ............................. 257 c) Kritik der Begriffsbildung ..................................................... 258 3. Die tätigkeitsabhängige Definition des Sonderverbrechens .. ... .. . .... ... ..... . 261 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . 262

11. Auseinandersetzung mit den selbständigen Begriffsbestimmungen ............... 267 I. Das Sonderrechtsgut als Kriterium der Sonderstraftat .......................... 268 a) Kritik der Lehre vom beschränkt verletzbaren Rechtsgut ............ .. ..... . 269 b) Kritik der Lehre vom doppelten Rechtsgut ................................... 271

Inhaltsverzeichnis

13

2. Die Sondernorm als Kriterium der Sonderstraftat ............................... 273 a) Kritik der Lehre von der außerstrafrechtlichen Sonderpflicht ............... 273 b) Kritik der Lehre von der strafrechtlichen Sonderpflicht ..................... 275 3. Der Sondertatbestand als Kriterium der Sonderstraftat ......................... 283 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Drittes Kapitel Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

287

I. Der Erscheinungsformcharakter des Sonderverbrechens .......... . .... . .... . ..... 287

11. Die Begriffsmerkmale des Sonderverbrechens ..................................... 291 I. Das Sonderunrecht ................................................................ 292 a) Der spezifische Unwertgehalt des Sonderunrechts .. ............ . ............ 301 aa) Die Voraussetzungen der Sonderunwertbegründung .................... 301 bb) Das Wertsubstrat der rechtlich relevanten Sonderbeziehung ...... . . .... 304 cc) Die Merkmale der Überantwortung.............. .............. . . .... . .... 308 dd) Die Arten der relativen Unwertmodifizierung............ . . .... . ......... 315 ee) Die Aspekte des Sonderunrechtsgehaltes ................................. 321 b) Das Spezifische der Rechtsnormwidrigkeit im Sonderunrecht .............. 324 aa) Die Herleitung der Normrelativierung .................................... 325 bb) Die Begriffsmerkmale der Normrelativierung ............................ 327 cc) Die Arten der Norrnrelativierung ......................................... 329 dd) Die Aspekte der Normrelativierung . .......................... .. .......... 332 2. Der Sonderunrechtstatbestand .................................................... 334 a) Der Begriff des Sonderunrechtstatbestandes ................................. 334 b) Die Struktur des Sonderunrechtstatbestandes ................................ 339 aa) Die Individualisierung des absoluten Unrechtselementes ............... 339 bb) Die Individualisierung des relativen Unrechtselementes ................ 340 cc) Das Verhältnis von absolutem und relativem Element im Sonderunrechtstatbestand ......................................................... 342 3. Die spezifische Strafbarkeit....................................................... 346 Zusammenfassung.................................................................... 352

14

Inhaltsverzeichnis

111. Gesetzliche Erstreckung des Sonderverbrechensbereichs .. ....... .. ..... ... ..... . 352 I. Gesetzliche Erweiterung des Anwendungsbereichs der Sonderstraftat durch § 14 ................................................................................ 353 a) Tatbestandliche Voraussetzungen der Anwendungserstreckung ............ 354 aa) Gesetz mit strafbarkeitsbegründenden besonderen persönlichen Merkmalen ....................................................................... 354 bb) Tatbestandsmäßiges Vertretungs- oder Auftragsverhältnis .............. 358 cc) "Handeln als" Organ, Vertreter oder Beauftragter....................... 360 b) Systematische Wirkungen der Anwendungserstreckung ..... . ............... 363 aa) Kriterien der Qualifikationserstreckung .................................. 364 bb) Rechtsfolgen der Qualifikationserstreckung .............................. 366 2. Scheinbare Erweiterung des Sonderstraftatbereichs: Die sog. "faktische Tauglichkeit" ...................................................................... 367 a) Offensichtlich nicht einschlägige Fallgestalten "faktischer Tauglichkeit" .. 368 b) Potentiell einschlägige Fall gestalten "faktischer Tauglichkeit"

369

Viertes Kapitel Die Einteilung der Sonderverbrechen

371

I. Die herkömmlichen Einteilungsarten ............ ................................... 372 I. Echt - unecht ...................................................................... 372 2. Rechtlich - physisch.............................................................. 374 3. Natürlich - positivrechtlich ....................................................... 375 4. Tätergebunden - erfolgsgebunden ............................................... 375 5. Absolut - relativ................................................................... 376 11. Das Verhältnis der herkömmlichen Einteilungsarten zur Begriffsbestimmung... 376

I. Der Vorbegriffsbereich als Einteilungsgrundlage ............................... 377 2. Die Begriffsbestimmung als Einteilungsart ...................................... 378 3. Das Verhältnis von Einteilung und Begriffsbestimmung....................... 379 IIl. Unwertstruktur und Rechtsfolgenrelevanz als sachgemäße Einteilungskriterien .................................................................................. 381

Inhaltsverzeichnis

15

Zweiter Abschnitt Das Sonderverbrechen in den Erscheinungsformen der Straftat

385

Erstes Kapitel Täterschaft und Teilnahme beim Sonderverbrechen

389

I. Beteiligung Intraner beim Sonderverbrechen ....................................... 389 I. Täterschaft Intraner ............................................................... 390 2. Teilnahme Intraner ................................................................ 391 11. Zusammenwirken Intraner und Extraner beim Sonderverbrechen: Der Regelungsbereich des § 28 ................................................................ 392 I. § 28 als "gesetzliche Bestimmung" der Strafbarkeit Extraner .................. 393 a) Der Begriff der "besonderen persönlichen Merkmale" ...................... 394 aa) Miterfassung des relativen Unrechtselementes der Sonderstraftat ...... 396 bb) Identität mit dem relativen Unrechtselement der Sonderstraftat ........ 397 b) Das Verhältnis der Regelungen von § 28 Abs. 2 zu § 28 Abs. I ............ 412 2. Der Regelungsgehalt der Grundvorschrift des § 28 Abs. 2 ..................... 413 a) Teilnahme Extraner am Sonderdelikt ......................................... 414 aa) Sonderdelikte mit strafschärfendem besonderen persönlichen Merkmal 416 bb) Sonderdeliktemit strafminderndem besonderen persönlichen Merkmal 418 b) Teilnahme Intraner am Gemeindelikt ......................................... 419 aa) Sonderdelikte mit strafschärfendem besonderen persönlichen Merkmal 421 bb) Sonderdelikte mit strafminderndem besonderen persönlichen Merkmal 424 3. Der Regelungsgehalt der Ergänzungsvorschrift des § 28 Abs. I

424

Zweites Kapitel Vollendung und Versuch beim Sonderverbrechen

429

I. Vollendung und Versuch Intraner ................................................... 434 I. Vollendung Intraner :. .... .. .. .. .. ...... .. .. .. .... .. .. .. .. ... .. .. .. .. ... .. . .. .. .... 434 2. Versuch Intraner................................................................... 435 11. Vollendung und Versuch Extraner......... . . .................... ................... 436 I. Vollendung Extraner .............................................. . ............... 438 2. Versuch Extraner.................................................................. 438

16

Inhaltsverzeichnis Drittes Kapitel

Handeln und Unterlassen beim Sonderverbrechen

444

I. Handeln und Unterlassen IntraneT ................................................... 445 1. Selbständig positivierte Sonderverbrechen ...................................... 446 a) Das Tätigkeitssonderdelikt .................................................... 446 b) Das Unterlassungssonderdelikt ................................................ 446 2. Abhängig positivierte Sonderverbrechen ........................................ 448 a) Abhängig (über § 14) vertatbestandlichte Tätigkeitssonderdelikte .......... 448 b) Abhängig (über § 13) vertatbestandlichte Unterlassungssonderdelikte ..... 449 aa) Der Regelungsgehalt des § 13 Abs. 1 ..................................... 450 bb) Die Arten des abhängig positivierten Sonderverbrechens ............... 461 cc) Die Begehung des abhängig positivierten Unterlassungssonderdelikts . 463 11. Handeln und Unterlassen Extraner... ...... ....... ...................... .. .. . ... .. . . 466 1. Handeln Extraner beim Unterlassungssonderverbrechen ....................... 467 a) Beteiligung am selbständig positivierten Unterlassungssonderdelikt ....... 467 b) Beteiligung am abhängig positivierten Unterlassungssonderdelikt .......... 468 2. Unterlassen Extraner beim Unterlassungssonderverbrechen .................... 471 a) Beteiligung am selbständig positivierten Unterlassungssonderdelikt ....... 472 b) Beteiligung am abhängig positivierten Unterlassungssonderdelikt .......... 473

Dritter Teil

Das Sonderverbrechen im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches

478

Schrifttumsverzeichnis ................................................................ 497 Sachregister ............................................................................. 517

Abkürzungsverzeichnis a. A.

anderer Ansicht

a. a. O.

am angegebenen Ort

a. F.

alte Fassung (bezeichnet außer Kraft gesetzte §§ des Strafgesetzbuches)

AWG

Abfallwirtschaftsgesetz

Abs.

Absatz

AG

Amtsgericht

AktG

Aktiengesetz

Allg. Teil

Allgemeiner Teil

Anm.

Anmerkung

AO

Abgabenordnung

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

BayObLG

Bayerisches Oberstes Landesgericht

BBG

Bundesbeamtengesetz

Bd.

Band

Bem.

Bemerkung

Bes. Teil

Besonderer Teil

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.1

Bundesgesetzblatt Teil I

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

bpM

besonderes persönliches Merkmal

BRRG

Beamtenrechtsrahmengesetz

BT-Drs.

Bundestags-Drucksache

BtMG

Betäubungsmittelgesetz

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

d. h.

das heißt

Abkürzungsverzeichnis

18

DAR

Deutsches Autorecht

Diss.

Dissertation

DJT

Deutscher Juristentag

DJZ

Deutsche Juristenzeitung

DR

Deutsches Recht

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

DRZ

Deutsche Rechts-Zeitschrift

DStR

Deutsches Strafrecht, Neue Folge

E 1925

Amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches nebst Begründung (Reichsratsvorlage). Nachdruck als Materialien Bd. III (1954).

E 1962

Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962 (mit Begründung) - Bundestagsvorlage - Bonn 1962. Auch als Drucksache des Bundestages 1V/650.

EGOWiG

Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

f.

folgende Seite

ff.

folgende Seiten

Fn.

Fußnote

GA

1880-1933: Archiv für Strafrecht und Strafprozeß, begr. v. Th. Goltdammer 1953 ff.: Goltdammer's Archiv für Strafrecht

Ges.

Gesetz

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GmbHG

Gesetz, betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung

GS

Der Gerichtssaal

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

h. L.

herrschende Lehre

h.M.

herrschende Meinung

HESt.

Höchstrichterliche Entscheidungen

HRR

Höchstrichterliche Rechtsprechung

Hs.

Halbsatz

i. d. F.

in der Fassung

i. E.

im Ergebnis

i. e. S.

im engeren Sinne

Abkiirzungsverzeichnis i. S. v.

im Sinne von

i.V.m.

in Verbindung mit

i.w. S.

im weiteren Sinne

insbes.

insbesondere

JA

Juristische Arbeitsblätter

JGG

Jugendgerichtsgesetz

JR

Juristische Rundschau

Jura

Juristische Ausbildung

JuS

Juristische Schulung

JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristenzeitung

KG

Kammergericht

LG

Landgericht

LK StGB

Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch

MatStrRReform

Materialien zur Strafrechtsreform

MDR

Monatsschrift für deutsches Recht

MonKrimBiol

Monatsschrift flir Kriminalbiologie und Strafrechtsreform (1937-1944)

MonKrimPsych

Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform (1904/05-1936 )

MonSchrKrim

Monatsschrift flir Kriminologie und Strafrechtsreform (seit 1953)

n. F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NJW-RR

NJW -Rechtsprechungs-Report

NK StGB

Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch

Nr.

Nummer

NStZ

Neue Zeitschrift flir Strafrecht

NStZ-RR

NStZ-Rechtsprechungs-Report

OGH

Oberster Gerichtshofflir die Britische Zone

OLG

Oberlandesgericht

OWiG

Ordnungswidrigkeitengesetz

RGBI.I

Reichsgesetzblatt Teil I

RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

Rn.

Randnummer

RStGB

Reichsstrafgesetzbuch

19

20 RVO

Abkürzungsverzeichnis Reichsversicherungsordnung

S.

Seite (nach §: Satz)

SchweizZStr

Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht

SJZ

Süddeutsche Juristenzeitung

SK StOB

Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch

Sp.

Spalte

StOB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozeßordnung

StR

Strafsachen

stratand.

strafanderndes

strafbegr.

strafbegründendes

StVO

Straßenverkehrsgesetz

subj. beschr.

im Subjektskreis eingeschränktes

u. a.

unter anderem

Var.

Variante

vgl.

vergleiche

VO

Verordnung

Vorbem.

Vorbemerkung

VRS

Verkehrsrechts-Sammlung

wistra

Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht

z. B.

zum Beispiel

z. T.

zum Teil

ZAkDR

Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht

ZtL

Zeitschrift für Lebensrecht

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis

zit.

zitiert

ZStaatsW

Zeitschrift für die gesamten Staatswissenschaften

ZStW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

§§ ohne Oesetzesangaben sind solche des StOB.

Zur Einführung Vor mehr als drei Jahrzehnten erschien "Das Sonderverbrechen" als die erste umfassende Darstellung von Begriff und Dogmatik der Sonderstraftat. Die Monographie ging aus von dem bekannten Rechtsphänomen, daß ein größerer Teil der strafgesetzlichen Deliktsbeschreibungen das Subjekt der Tat nicht mit dem jedermann umgreifenden Wort "Wer" vertatbestandlicht, sondern es mittels objektiv-personaler Merkmale (z. B. als "Amtsträger", "Arzt", "Fürsorgepflichtiger" usw.) konkreter kennzeichnet, und von der rur diese Deliktsgruppe überkommenen Benennung als "Sonderverbrechen" . Das Buch enthielt in seinem ersten Teil die anhand neu erarbeiteter Kategorien und Methoden vorgenommene Ordnung und vollständige Wiedergabe dessen, was Schrifttum und Rechtsprechung zuvor zum Begriff der Sonderstraftat geäußert hatten. In dieser Analyse ist der Stand der Sonderdeliktsdogmatik unmittelbar vor dem Beginn einer neuen Epoche des deutschen Strafrechts, nämlich der Gesamtrevision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches zum I. I. 1975, wie in einer Momentaufnahme festgehalten. Sie blieb als Analyse trotz jener gesetzlichen Zäsur uneingeschränkt gültig, zumal sie in der Strafrechtswissenschaft auch nicht ansatzweise erschüttert worden ist. Gleichwohl erscheint insoweit hier die erneute Publikation nur ihrer Ergebnisse als hinreichend, die als Basis auch für die heutige Dogmatik der Sonderstraftat immer noch unverzichtbar sind, während ihre Herleitung mehr von rechtshistorischem Interesse ist, so daß der Leser dazu auf die Vorauflage verwiesen werden darf. Dieser radikale Eingriff in die ursprüngliche Gestalt des Werkes schuf zugleich den rur seine grundlegende Erweiterung im übrigen benötigten Raum. Nicht nur erforderten alle im zweiten Teil der Vorauflage behandelten Rechtsmaterien ("Begriff und Dogmatik des Sonderverbrechens in eigener Sicht") bei ihrer Überarbeitung jeweils spezifische Ergänzungen unterschiedlichen Umfangs, vielmehr war mit der Frage nach dem Sonderverbrechen im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches ein zusätzlicher Sachbereich neu thematisiert: Die Ausführungen zu den Elementen und zu den Erscheinungsformen der Straftat (als dem Fundament der eigenen Begriffsbestimmung und Dogmatik des Sonderverbrechens) bedurften nicht nur wegen der erwähnten Auswechslung des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches, sondern auch im Hinblick auf das zwischenzeitlich hierzu erschienene Schrifttum und die höchstrichterliche Judikatur der Aktualisierung. Hingegen liefert die in der Vorauflage erarbeitete Begriffsbestimmung des Sonderdelikts nach wie vor den Maßstab, an dem sich auch jeder künftige Versuch einer abweichenden Definition messen lassen muß;

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Einführung

hierfUr war der Nachweis zu erbringen, d. h. es war aufzuzeigen, daß Gesetzesrevisionen, Strafrechtswissenschaft und Strafrechtspraxis bis heute keines der seinerzeit herausgearbeiteten Begriffsmerkmale des Sonderverbrechens in Frage gestelJt haben. Im Unterschied dazu ist die Dogmatik des Sonderverbrechens in den Erscheinungsformen nach wie vor zu vielen Einzelfragen, vor alJem in bezug auf die Strafbarkeit des Nichtqualifizierten aus dem Sonderdeliktstatbestand, äußerst kontrovers, nicht zuletzt wegen der Neufassung der einschlägigen Gesetzesbestimmungen. Auch insoweit war daher eine umfängliche Aufarbeitung des gegenwärtigen Meinungs- und Streitstandes erforderlich. Schließlich war der von KolJegen und Studenten immer wieder geäußerte Wunsch zu erfUIlen, wenigstens in einer Übersichtsskizze zum Besonderen Teil des Strafgesetzbuches die fUr eine größere Zahl von Straftaten problematische und noch häufiger umstrittene Frage nach der Sonderdeliktsnatur zu klären. Die gesamtsystematische Behandlung des Sonderverbrechens in der Vorauflage fUhrte - über die Sonderdeliktsdogmatik im engeren Sinne hinaus - zu einer Anzahl völlig neuer und zum Teil grundlegender Einsichten in die Straftatsystematik. Beispielhaft seien hier genannt die Entwicklung einer (nicht nur subjektiven, sondern im Sinne des Wortes) personalen Unrechtslehre, der Aufweis der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit als dem dritten Element im allgemeinen Verbrechensbegriff (ranggleich neben dem tatbestandsmäßigen Unrecht und der tatbestandsmäßigen Schuld) und das Herausarbeiten der Erscheinungsformen des Verbrechens als einer Grundkategorie der Strafrechtssystematik. Die Reaktion der Strafrechtswissenschaft auf diese neuen Erkenntnisse war höchst unterschiedlich. Hier das wissenschaftliche Gespräch nicht abbrechen zu lassen, sondern es nach Kräften zu beleben, ist ein weiteres Anliegen der Neuauflage. So wurde nicht nur Zustimmung, sondern auch Kritik gern aufgegriffen mit dem Ziel, ihre Argumente zu würdigen und nach Möglichkeit zu entkräften, Schwieriges einfacher zu sagen und so dem Leser den Zugang zu erleichtern, sowie schließlich, um auch zu denjenigen Thesen die Auseinandersetzung mit den neuen Gedanken anzuregen oder zu verstärken, bei denen sie bisher noch nicht hinreichend in Gang gekommen ist. Die so nochmals vertiefte und erweiterte gesamtsystematische Fundierung macht die Neuauflage des "Sonderverbrechens" hinsichtlich der thematisierten Materien zu einem Lehrbuch des Strafrechts. Die Lehre von der Straftat als Herzstück des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches wird (wenn auch nicht in sämtlichen Details, so doch) zu den Grundfragen volJständig behandelt. Leitaspekte der DarstelJung sind dabei die strikte Bindung an das Gesetz und der nochmals vennehrte Aufweis der jeweils einschlägigen strafrechtlichen Probleme. Deshalb solJten auch die studentischen Leser gerade bei den andernorts unbeantwortet gebliebenen Fragen die Neuauflage vielfach mit Gewinn zu Rate ziehen können.

Erster Teil

Systematische Grundlagen der Dogmatik des Sonderverbrechens: Die Lehre von der Straftat Begriff und Dogmatik des Sonderverbrechens lassen sich sachgerecht nur gesamtsystematisch bestimmen. Diese Einsicht ist in der Erstauflage als eines ihrer wichtigsten Ergebnisse immer wieder aufgewiesen sowie umfassend begründet worden. Seither hat sie niemand in der Strafrechtswissenschaft auch nur ernsthaft bezweifelt, geschweige denn widerlegt. Sie darf deshalb hier als gesicherte Erkenntnis vorausgesetzt werden. Das Verbrechen (in diesem Buch durchgängig synonym mit den Ausdrücken Straftat und Delikt gebraucht) wird durch die einschlägige Verbrechensart, den allgemeinen Verbrechensbegriff und die jeweilige Erscheinungsformenkombination charakterisiert. Die gesamtsystematischen Bezüge des Sonderverbrechens sind folglich durch sein Verhältnis zu diesen drei Grundkategorien der allgemeinen Strafrechtslehre abschließend bestimmt. Wendet man sich zunächst den Beziehungen zwischen Sonderstraftat und Verbrechensart zu, der Frage also, weIche Verbrechensarten (nur oder auch) im Strafgesetzbuch als Sonderdelikte vertatbestandlicht sind, dann erkennt man sogleich, daß diese Frage in die sog. besonderen Lehren vom Verbrechen gehört. Sie wird im letzten Teil dieses Buches untersucht und beantwortet werden. Hier hingegen sind der allgemeine Begriffund die Erscheinungsformen des Verbrechens zu behandeln und mit dieser umfassenden Darstellung der Lehre von der Straftat die anschließende Begriffsbestimmung und Dogmatik des Sonderverbrechens gesamtsystematisch zu fundieren.

Erster Abschnitt

Der allgemeine Straftatbegriff "Straftat" ist mit Strafe bedrohtes menschliches Verhalten. Im Einklang mit dem Strafgesetzbuch, das als Grundgliederung des Allgemeinen Teils die Regelungsbereiche der "Tat" und der "Rechtsfolgen der Tat" einander gegenüberstellt, sind auch hier die Merkmale des Verbrechensbegriffs, die die angedrohte Strafe betreffen, von jenen zu unterscheiden, die deren Voraussetzungen benennen. Von diesen beiden Momenten der Straftat, dem bestimmt gearteten menschlichen Verhalten und der bestimmt gearteten Rechtsfolge, wird nachstehend aber nur das erste behandelt, soweit die wechselseitige begriffliche Abhängigkeit von Straftat und Strafe eine solche Beschränkung ohne Beeinträchtigung des Verständnisses zuläßt. Die Frage nach dem allgemeinen Straftatbegriff richtet sich damit auf Analyse und Definition der "Tat", während sie sich hinsichtlich der Rechtsfolgen auf das Faktum der Strafandrohung beschränkt (das Inhaltliche des staatlichen Reagierens auf die Straftat ist Gegenstand der Sanktionenlehre als einer selbständigen Teildisziplin der Strafrechtswissenschaft). Für die inhaltliche Bestimmung des allgemeinen Straftatbegriffs ergeben sich mehrere Axiome aus dem positiven Recht: Nach den zwingenden Vorgaben der Verfassung ist Straftat nur das vor der Tatbegehung nach Art und Straffolgen gesetzlich bestimmte Verhalten eines Menschen (Art. 103 Abs. 2 GG). Als solches kann, da die Strafe ein vergeltendes Übel ist, sinnvoll nur eine derartige Verfehlung gesetzlich beschrieben sein, die als unerträgliche Verletzung eines Grundwertes eine Vergeltung durch das Auferlegen eines Übels erfordert. Die Strafbarkeit der Tat setzt also die Strafwürdigkeit der Verfehlung voraus. Strafwürdigkeit wiederum gibt es nach dem ungeschriebenen Verfassungssatz des Schuldprinzips nur auf der Grundlage rechtlicher Verantwortlichkeit des Handelnden. Diese strafrechtliche Schuld ist ihrerseits begriffsnotwendig bezogen auf das Begehen eines Unrechts durch den Täter (§ 17 Satz 1). Der gravierende Unwert eines menschlichen Verhaltens und seine strafgesetzliche Schilderung bilden zusammen die Straftat. Mit dieser Erkenntnis ist zugleich eine Grundgliederung rur eine wissenschaftliche Systematisierung der Elemente des allgemeinen Straftatbegriffs vorgegeben, nämlich die Unterscheidung von Gehalt und Form: Der Gesamtunwert der Straftat baut sich aus den Sachelementen des Unrechts, der Schuld und der Strafwürdigkeit auf, deren jeweilige strafgesetzliche Beschreibungen als Unrechtstatbestand, Schuldtatbe-

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stand und Strafwürdigkeitstatbestand die Formelemente der Straftat sind. Von dieser Grundstruktur des allgemeinen Straftatbegriffs ist bereits die Erstauflage ausgegangen. Bedenkt man weiter, daß die jeweilige Ordnung der Straftatelemente vom Ziel des Systematisierens mitgeprägt wird und daß deshalb die didaktische und die praktische Systematik von einer rein wissenschaftlichen schon hinsichtlich der Grundgliederung divergieren können, dann kann es rur die Zwecke der Strafrechtslehre oder im Interesse erleichterter Akzeptanz durch die Strafrechtspraxis durchaus angebracht sein, rur den allgemeinen Straftatbegriff eine andere Grundgliederung zu wählen als die nach Unwertgehalt und strafgesetzlicher Form. Im Sinne jener Leitaspekte wird daher nachfolgend ein drei stufiger Verbrechensaufbau zugrunde gelegt dergestalt, daß das tatbestandsmäßige Unrecht. die tatbestandsmäßige Schuld und die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit die drei Elemente der Straftat sind, innerhalb derer dann (als nächstwichtiger Untergliederung) zwischen der tatbestand lichen Begründung und dem möglichen Ausschluß des betreffenden Straftatelementes zu unterscheiden ist. Aber nicht nur bei der Frage der Grundgliederung des allgemeinen Straftatbegriffs, sondern auch in der Reihenfolge der Darstellung seiner Elemente wird hier der traditionellen Behandlung der Straftatsystematik in Lehre und Praxis zu Lasten der wissenschaftlich vorzugswürdigen Rangordnung Tribut gezollt: Von der Strafe her gefragt (also unter dem teleologisch gebotenen Aspekt) ist das ihr nächste Element der Straftat die Strafwürdigkeit, erst durch sie vermittelt stößt man auf die Schuld und durch diese ganz zuletzt - nochmals vermittelt - auf das Unrecht. In Anpassung an die in Lehre und Rechtsprechung tradierte Blickrichtung wird nachstehend jedoch, um dem Leser die Lektüre durch die ihm vertraute Darstellungsreihenfolge zu erleichtern, das tatbestandsmäßige Unrecht vor der tatbestandsmäßigen Schuld und der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit behandelt. Gemeinsam ist den drei Elementen der Straftat ihre Struktur als strafgesetzlieh beschriebene gewertete Unwertsachverhalte: Nicht die Unwertsachverhalte als solche, sondern erst die jeweils mit einem anderen Maßstab zum zweiten Male gewerteten Unwertsachverhalte bilden also die Elemente der Straftat. So ist die Tötung eines Menschen durch menschliches Verhalten stets eine Wertverletzung; zum Deliktselement Unrecht wird sie jedoch erst dadurch, daß die Rechtsordnung sie als rechtswidrig wertet, was etwa bei Begehung dieser Tat in Notwehr (§ 32) nicht der Fall ist. Erfolgt die rechtswidrige Tötung durch einen Vollsinnigen im Bewußtsein des dadurch begangenen Unrechts, so verwirklicht er' damit den weiteren Unwertsachverhalt der auch geistigen Verfehlung dieses Gemeinschaftswertes; zum Straftatelement Schuld wird sie aber erst dadurch, daß die Rechtsordnung sie als vorwerfbar wertet, was etwa bei einem Handeln im entschuldigenden Notstand gern. § 35, d. h. zur Rettung aus einer unver-

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schuldeten gegenwärtigen Gefahr rur Leib oder Leben des Täters oder eines seiner Angehörigen, nicht geschieht. Richtet sich die rechtswidrige und vorwerfbare Tötungshandlung gegen einen Dritten, so kommt zu Unrecht und Schuld als weiterer Unwertsachverhalt der gemeinschaftszerstörende Angriff auf die Grundlagen des Zusammenlebens der Menschen im Gemeinwesen hinzu; zum Verbrechenselement Strafwürdigkeit wird er jedoch erst dadurch, daß die Rechtsordnung ihn als strafwürdig wertet, was sie etwa dann nicht macht, wenn jene Tötung die einzige Möglichkeit zur erstrebten und erreichten Rettung einer größeren Zahl von Menschenleben gewesen ist (sog. übergesetzlicher strafausschließender Notstand). Nimmt man nach diesem zunächst nur skizzenhaften Aufweis der Strukturgleichheit von tatbestandsmäßigem Unrecht, tatbestandsmäßiger Schuld und tatbestandsmäßiger Strafwürdigkeit nun die drei Straftatelemente als "gewertete Unwertsachverhalte" genauer in den Blick, so bemerkt man zuerst, daß ihnen voneinander verschiedene Unwertsachverhalte zugrunde liegen. Darüber darf der Umstand nicht hinwegtäuschen, daß die Schuld auf das Unrecht und die Strafwürdigkeit auf die Schuld (und dadurch mittelbar auf das Unrecht) bezogen und deshalb die Schuld und die Strafwürdigkeit insoweit von ihrem jeweiligen Bezugsobjekt abhängig sind; bei beiden gibt es neben diesem abhängigen einen selbständigen Unwertgehalt, der die Eigenständigkeit dieser Straftatelemente hinsichtlich ihres Wertungsobjekts beweist. Gewertete Unwertsachverhalte sind Unrecht, Schuld und Strafwürdigkeit insofern, als der das jeweilige Unwerturteil - Rechtswidrigkeit, Vorwertbarkeit, Strafwürdigkeit - konstituierende Sachverhalt bereits vorher mittels eines anderen Wertmaßes als Verfehlung qualifiziert worden ist. Es handelt sich bei den Straftatelementen also jeweils um doppelt gewertete Sachverhalte, wobei sich beide Wertungen sowohl im Gegenstand der Bewertung als auch im Wertungsmaßstab unterscheiden. Maßstab der ersten Wertung sind die Forderungen der Sozialethik; an ihnen wird das betreffende menschliche Verhalten jedoch nicht in seiner gesamten Wertrelevanz gemessen, sondern Gegenstand der Bewertung ist jeweils nur ein Ausschnitt aus dem Wertzusammenhang, nämlich die Verletzung eines einzelnen Gemeinschaftswertes. Wird über dieses Geschehen bei derart isolierter Betrachtung das Urteil "sozialethisch wertwidrig" gefallt, dann ist der Unwertsachverhalt gegeben, der der zweiten, die Forderungen des Rechts insgesamt zum Maßstab nehmenden Wertung zugrunde liegt. Jener Unwertsachverhalt bleibt als solcher unberührt, wenn die rechtliche Wertung nicht zu einem Negativurteil kommt, weil das Recht sich nur mit den primitiven (oder primären) sittlichen Werten befaßt und selbst deren Achtung nur in dem Rahmen fordert, in dem sie allgemein erbracht werden kann, und weil es auf Grund dieser geringeren Anforderungen nur einen Ausschnitt aus dem Bereich der Sozialethik wertend regelt. Sofern deshalb jener Unwertsachverhalt nicht von

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vornherein als rechtlich irrelevant aus der weiteren Untersuchung ausscheidet, sondern dem vom Recht überhaupt erfaßten Teilbereich der Sozialethik angehört, ist mit seinem Vorliegen noch keineswegs ein rechtliches Unwerturteil gefliHt; denn Grundlage dieser zweiten Wertung ist der gesamte Wertzusammenhang des betreffenden Verhaltens, also neben den - zunächst ausschließlich betrachteten - Rechtswidrigkeit, Vorwerfbarkeit und Strafwürdigkeitsurteil begründenden Momenten auch die Gesamtheit derjenigen Umstände, die, falls sie vorliegen, diese rechtlichen Unwerturteile ausschließen. Erst die in dieser Weise an den Forderungen des Rechts insgesamt als rechtswidrig, vorwerfbar und strafwürdig ennessenen sozialethischen Wertverfehlungen bilden als Unrecht, Schuld und Strafwürdigkeit die Elemente der Straftat. Wenn bisher von einer zweiten Wertung des sozialethischen Unwertsachverhalts am Maßstab des Rechtes gesprochen wurde, dann handelte es sich dabei um eine verkürzende Ausdrucksweise. Das Recht ist nicht nur eine Wert-, sondern auch eine Zweckordnung, und diese beiden Komponenten sind unauflöslich miteinander verbunden. Wertvorstellungen und Zweckerwägungen des Gesetzgebers entscheiden deshalb darüber, ob und wie ein sozialethisch wertwidriges Verhalten auch vom Recht mißbilligt wird. Das gilt fiir jedes der drei Elemente der Straftat, und zwar sowohl fiir die Auswahl der die Urteile rechtswidrig, vorwerfbar und strafwürdig begründenden Momente aus dem Gesamtbereich des sozialethisch wertwidrigen Verhaltens wie auch fiir die Bestimmung derjenigen Umstände, bei deren Vorliegen jene Urteile ausgeschlossen sein sollen und damit die Straftat verneint wird. Als Sachgehalt der Straftat ist damit eine aus drei verschiedenen Unwertarten zusammengesetzte Verfehlung erkannt worden; die nunmehr zu untersuchende Form, in welcher der das einzelne Delikt charakterisierende Unwertgehalt im Strafrecht typisierend zum Ausdruck gebracht worden ist, ist der Deliktstatbestand. Durch ihn wird strafbares Verhalten spezifiziert und sowohl vom andersartig strafbaren als auch vom straflosen Verhalten unterschieden; er ist das individualisierende Moment bei der Verbrechensbestimmung, mag sie nun - wie im geltenden Recht ausschließlich - gesetzlich oder in anderer Weise erfolgen. Logisch-begrifflich erforderlich ist der Tatbestand als die Charakterisierung der Straftat bei der Grundstruktur des geltenden Strafrechts deshalb, weil hier keine Identität zwischen Strafwürdigkeit und Strafbarkeit besteht, sondern nur ein Teil des strafwürdigen Verhaltens auch strafbar ist, so daß eine Auslese des Strafbaren aus dem Strafwürdigen notwendig ist, die nur im Wege der Vertypung erfolgen kann. Diese denknotwendige Individualisierung des Verbrechens genügt der Rechtsordnung jedoch nicht; kraft positiven Verfassungsrechts (Art. 103 Abs. 2 GG) ist eine spezielle Form der Vertatbestandlichung zwingend vorgeschrieben: die gesetzliche Bestimmtheit der Strafbarkeit vor der Tatbegehung.

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Die Individualisierung der ein Verhalten als strafbar charakterisierenden Umstände hat danach unabdingbar der Gesetzgeber selbst vorzunehmen. Das rechtstechnische Mittel, dessen er sich hierbei bedient, ist die anschauliche Schilderung des gesamten wertverletzenden Verhaltens im Gesetz unter Angabe eines bestimmten Strafrahmens, der auf dieses Verhalten Anwendung finden soll. Für die hier zu skizzierende Gliederung der Verbrechenselemente interessiert jedoch nicht so sehr jene Garantiefunktion des Tatbestandes als vielmehr seine systematische Bedeutung. Da die Formelemente fiir den Straftatbegriff wesensnotwendig sind, sind sie in der Systematik seiner Merkmale ebenso zu berücksichtigen wie die Sachelemente. Somit ist im folgenden zu untersuchen, welche Funktion gerade die Form, die Individualisierung der einzelnen Unwertgehalte, bei dem Bemühen um eine widerspruchsfreie Ordnung der Deliktsmerkmale und um deren Einsatz bei der Rechtsanwendung hat. Die primäre, im eigentlichen Sinne systematische Frage in der Tatbestandslehre ist die nach dem Verhältnis von Form und Inhalt. Bevor sie zunächst im grundsätzlichen zu beantworten versucht wird, sei nochmals in das Gedächtnis zurückgerufen, daß beide dem Begriff nach eindeutig unterscheidbar sind und auch stets scharf auseinandergehalten werden müssen. Diese begriffliche Verschiedenheit gilt es im Blick zu behalten, denn sie wird allzu leicht verdunkelt durch die - nur scheinbar kontradiktorische - Feststellung, daß es Form konkret immer nur als "Form von etwas" gibt und daß der Unwert stets nur insoweit Straftatmerkmal ist, wie er typisiert ist. Der Systembegriff des "Sachelementes" wird ebenso durch die jeweils typisierende Form begrenzt wie der Systembegriff des "Formelementes" durch den vertypten Gehalt. Form und Inhalt sind also auch im Verbrechen aufeinander bezogen, und sie bestimmen sich wechselseitig, ohne daß ihre begriffliche Selbständigkeit dadurch berührt würde. Ist somit der Verbrechenstatbestand zwar reine Form, jedoch als Form infolge jenes Beziehungszusammenhanges nicht ohne Besinnung auf seinen Inhalt bestimmbar, so muß er (wie dieser) von seinem Zweck her begriffen werden. Die Systematik erfordert ein teleologisches Verständnis auch des Tatbestandes. 1m Hinblick auf sein Telos, die Strafe, besteht seine Aufgabe darin, jeweils einen Unwertgehalt als Strafvoraussetzung zu individualisieren. Der jeweilige Umfang der Typisierung ist daher sinnvoll nur von diesem Unwertgehalt her zu erfassen. Dieser Unwertgehalt kann, da er unmittelbar Gegenstand der Strafbarkeit ist, nur die Strafwürdigkeit sein. Auf Grund der begrifflichen Selbständigkeit von Form und Inhalt können Typisierung und Unwert inkongruent sein, und zwar auch in der Weise, daß ein nicht strafwürdiges Verhalten gesetzlich als strafbar geschildert ist. Eine solche im Wege der Auslegung als leerlaufend erkannte Form ist nicht als Straftatbestand zu charakterisieren. Die Strafwürdigkeit bildet das Leitprinzip der Tatbestandsbildung und folglich die unmittelbare

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Verstehensgrundlage der Typisierung. Daß auch die Verbrechensfonn auf die Strafe hingeordnet ist und deshalb primär von der Strafwürdigkeit und nicht etwa von Schuld und Unrecht her auszulegen ist, ergibt sich eindeutig daraus, daß zuweilen das gleiche Unrecht (Totschlag, § 212, und Mord aus Habgier, § 211; Hehlerei, § 259, und gewerbsmäßige Hehlerei, § 260 Abs. I Nr. I) verschiedenen Straftatbeständen zugrunde liegt. Damit ist die Basis geschaffen, von der aus nunmehr die systematischen Auswirkungen dieses teleologischen Verständnisses des Tatbestandes im einzelnen dargetan werden können. Die erste dieser Folgerungen besteht in der Unterscheidung mehrerer Tatbestände innerhalb der gesetzlichen Verbrechensbeschreibung. Jede Individualisierung eines bestimmtartigen deliktischen Verhaltens trifft eine begrenzende Auslese aus den Sachelementen des Verbrechens. Teleologisch betrachtet handelt es sich hierbei zuerst um die Vertypung strafwürdigen Verhaltens; der Verbrechenstatbestand ist primär Strafwürdigkeitstatbestand. Die Strafwürdigkeit setzt sich aus einem nur bei manchen Delikten vertypten selbständigen und einem begriffsnotwendigen abhängigen Strafwürdigkeitsgehalt zusammen; dementsprechend bilden die diese Gehalte charakterisierenden Merkmale den selbständigen und den abhängigen Strafwürdigkeitstatbestand der betreffenden Straftat. Abhängig ist der begriffsnotwendige Strafwürdigkeitsgehalt aber von der Tatschuld; nur durch die gesetzliche Vertypung der letzteren kann er individualisiert werden. Dieser Schuldtatbestand wiederum setzt sich seinerseits aus der selbständigen und der abhängigen Schuldtypisierung zusammen, wobei letztere wieder nur durch die gesetzliche Charakterisierung des Unrechts, von dem sie abhängig ist, durch den Unrechtstatbestand, erfolgen kann. So wird ein jedes Verbrechen durch die Fonnelemente Strafwürdigkeits-, Schuld- und Unrechtstatbestand geprägt. Welche Merkmale der gesetzlichen Deliktsbeschreibung welchem Tatbestand angehören, wird noch im einzelnen darzulegen sein; grundsätzlich kann aber schon hier gesagt werden, daß diese Zuordnung nur unter rechtsinhaltlichen Gesichtspunkten, nämlich entsprechend dem von dem jeweiligen Merkmal vertypten Unwertgehalt, vorgenommen werden kann. Aus dieser teleologischen Auffassung des Verbrechenstatbestandes ergeben sich sogleich zwei wichtige Folgerungen: Einmal kann der Tatbestand als die Individualisierung bestimmter Wertverletzungen systematische Bedeutung nur haben jeweils im Zusammenhang mit dem Unwertgehalt, den er fonnt, also als Strafwürdigkeits-, Schuld- oder Unrechtstatbestand. Zum anderen folgt daraus, daß das Gesetz primär einen bestimmtartigen Strafwürdigkeitsgehalt vertatbestandlicht, daß auch der Vertypungsumfang sämtlicher Verbrechenselemente von der Strafwürdigkeit her zu bestimmen ist: Es ist also nicht nur dem Begriff, sondern auch dem Umfang nach die Vertypung der Schuld von der Vertypung der Strafwürdigkeit und die Vertypung des Unrechts von der Vertypung der

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

Schuld abhängig. So besteht beispielsweise zwischen der vorsätzlichen und der fahrlässigen Tötung eines Menschen (§§ 212, 222) ein großer Strafwürdigkeitsunterschied, dem der Gesetzgeber bei der Vertatbestandlichung dieser Delikte durch entsprechend unterschiedliche Strafrahmen Rechnung getragen hat. Da ein selbständiger Strafwürdigkeitsgehalt in keiner der beiden Strafvorschriften mitvertypt ist, der abhängige Strafwürdigkeitsgehalt aber unmittelbar durch die Schuld bestimmt wird, muß die Strafwürdigkeitsdifferenz in einem entsprechenden Schuldunterschied begründet sein. Dieser Schuldunterschied kann nur der von einerseits aktuell und andererseits lediglich potentiell unrechtsbewußtem Verhalten sein. Vorbehaltlich weiterer Untersuchung kann also gesagt werden, daß diese Schuldgrade in den Tatbestandsmerkmalen "vorsätzlich" und "fahrlässig" typisiert sind. Der Umfang dieses Schuldtatbestandes ist somit sachgerecht nur von der Strafwürdigkeit her zu erfassen. In gleicher Weise definiert er seinerseits den Umfang der Unrechtstypisierung: Wenn vorsätzliche Tötung nur eine aktuell unrechtsbewußte ist, dann ist als Unrecht darur die Vernichtung eines Menschenlebens in Tatumstandskenntnis begrifflich vorausgesetzt und damit typisiert, während rur den Schuldtatbestand der fahrlässigen Tötung schon das Verursachen des Todes bei erlangbarer Tatumstandskenntnis als Unrecht hinreichend und daher vertatbestandlicht ist. Der Unrechtstatbestand des § 212 umfaßt also nur einen Teilbereich des Unrechtstatbestandes von § 222, und daran würde sich auch dann nichts ändern, wenn man der gesetzlichen Unrechtsschilderung in bei den Strafvorschriften den gleichen Wortlaut (statt bisher "tötet", "Tod verursacht") geben würde; entscheidend ist eben, daß der Tatbestandsumfang jeweils primär von der Strafwürdigkeit her bestimmt wird. Bei dieser Interpretation des Verbrechenstatbestandes von seinem Strafwürdigkeitsgehalt her werden im Grunde lediglich die Werterwägungen nachvollzogen, die der Gesetzgeber bei der Tatbestandsbildung angestellt hat, wenn er dabei auch nicht jede Deliktsbeschreibung im Wege eigener bewußter oder gar rein rationaler Formung getroffen, sondern vielfach historisch gewachsene und im Volke lebendige Bilder der konkreten Verbrechen direkt in das Gesetz übernommen hat. Wenn man also unmittelbar auf den vertypten Gehalt blickt, so stellen sich die einzelnen Deliktstatbestände als höchst verschiedenartige Ausschnitte aus den Sachelementen und Kombinationen von Unwertmomenten dar, die alle unter dem Leitaspekt der Strafwürdigkeit vorgenommen worden sind. Im Bewußtsein dieser Relation der drei Verbrechenselemente zueinander und der aufgewiesenen StruIcturgleichheit von tatbestandsmäßigem Unrecht, tatbestandsmäßiger Schuld und tatbestandsmäßiger Strafwürdigkeit wird im folgenden deren jeweilige Eigenart herausgearbeitet werden.

I. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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Erstes Kapitel

Das tatbestandsmäßige Unrecht Das Urteil der Rechtswidrigkeit über ein den Unrechtstatbestand eines Strafgesetzes errullendes Verhalten konstituiert das Unrecht als Element der Straftat. I Die Wertung jenes Verhaltens am Maßstab der Anforderungen der Rechtsordnung als Ganzer ist also rur den Begriff des Unrechts letztlich entscheidend. Die Gesamtheit der dieses Unwerturteil beeinflussenden Faktoren läßt sich nach deren gegensätzlicher Wirkung auf das Unrecht in "unrechtsbegründende" und "unrechtsausschließende" gliedern. Diese Einteilung und die ihr entsprechende schrittweise Subsumtion bei der Rechtsanwendung dürfen nicht zu der Annahme verleiten, das Rechtswidrigkeitsurteil sei stets "zunächst" begründet, könne aber "nachträglich" ausgeschlossen werden. Die Wertung am Maßstab des Rechts ist immer eine einheitliche und bezieht sich als solche auf sämtliche dieses Urteil begründenden und ausschließenden Umstände. Beim Vorliegen der Rechtfertigungsvoraussetzungen ist deshalb das betreffende Verhalten rur das Unrecht von vornherein ebenso irrelevant wie ein sonst rechtmäßiges. Jedoch ist diese Einteilung keineswegs nur als tradiert oder wegen ihrer weiten Verbreitung beizubehalten, sondern weil sie die Grundstruktur des tatbestandsmäßigen Unrechts als Element des allgemeinen Verbrechensbegriffs einsichtig macht und in ihrer Relevanz für die Rechtsfalgen kennzeichnet: Die im Wege einer die normwidrige Rechtsgutsverletzung aus dem Gesamtgeschehen isolierenden Betrachtung vom Gesetzgeber im Unrechtstatbestand der jeweiligen Strafvorschrift beschriebene Verfehlung wird - nunmehr das gesamte Geschehen in den Blick nehmend - in einer zweiten Wertung an der Rechtsordnung als Ganzer gemessen und nur bei einer Verneinung der Rechtfertigung als Straftatunrecht beurteilt. Entgegen im Schrifttum vereinzelt geäußerter Meinung ist diese Einteilung sowie die ihr entsprechende Zuordnung der Unrechtsmerkmale in "unrechtsbegründende" und "unrechtsausschließende" ausnahmslos rur alle Straftaten begrifflich exakt möglich. Ihre Unterscheidung ist aber wegen der spezifischen Rechtsfolgen, die das Gesetz an die Zugehörigkeit eines Merkmals zu dem einen oder anderen Funktionsbereich knüpft, auch zwingend geboten: So können beispielsweise die Rechtsfolgen einer erteilten, aber dem

I Zur geschichtlichen Entwicklung in der Bestimmung des Unrechtsbegriffs vgl. Ga/las, ZStW Bd. 67, 3 ff.: Jescheck, ZStW Bd. 73, 185. 192 f., 205 f.; Schmidhäuser, Allg. Teil, 7/3 ff. Daß die nachfolgende Darstellung des Unrechtsbegriffs umfangreicher ausfällt als die Darstellung der übrigen Straftatelemente. ist von der Natur des Sonderverbrechens als Erscheinungsform her zwingend gefordert: Sein Unterschied zum Gemeinverbrechen ist eben im Unrecht angelegt.

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

Handelnden nicht bekannten Einwilligung entscheidend davon abhängen, ob diese Rechtsfigur (zutreffend) als schon die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung entfallenlassend begriffen wird oder aber (mit der überkommenen Ansicht) lediglich als Rechtfertigungsgrund; denn nur nach der zweiten Einordnung kann wegen Fehlens einer Rechtfertigungsvoraussetzung die Vollendungsstratbarkeit in Betracht kommen. - Ein weiteres Beispiel zur Veranschaulichung jener Rechtsfolgenrelevanz bietet die strafgesetzliche Irrtumsregelung: Nimmt der Handelnde irrig die Voraussetzungen einer tatbestandsausschließenden Einwilligung an, so ergeben sich die gesetzlichen Folgen aus § 16 Abs. 1; ist sein Handeln beim Vorliegen der Einwilligung hingegen nur als gerechtfertigt zu beurteilen, so ist die irrige Annahme dieser Voraussetzungen ein Verbotsirrtum (mag dieser auch von manchen rur einzelne Fallgestalten als "Erlaubnistatbestandsirrtum" tituliert werden) mit den möglicherweise völlig anderen Konsequenzen des § 17, jedenfalls bei exakter Gesetzesanwendung.

I. Die tatbestandliehe Unrechtsbegründung Sucht man im strafrechtswissenschaftlichen Schrifttum eine Antwort auf die Frage, welche Faktoren das Unrecht als Element des Verbrechens begründen, so stößt man auf eine verwirrende Vielfalt von zumeist beziehungslos nebeneinander stehenden Begriffspaaren zur systematischen Erfassung jener unrechtskonstitutiven Faktoren. Da ist beispielsweise von objektiver und subjektiver Unrechtsbegründung die Rede, von Unrecht im formellen und im materiellen Sinne, von Handlungs- und Erfolgsunrecht, von sachlichem und personalem Unrecht, von gesellschaftlich und gemeinschaftlich strukturiertem Unrecht. Jede dieser Einteilungskategorien wird wiederum auf mannigfache Weise definiert; so wird etwa die Bestimmung des Unrechts als Rechtsguts- und Pflichtverletzung von den einen identifiziert mit der materiellen und formellen Unrechts bestimmung, von den anderen mit dem Erfolgs- und dem Handlungsunrecht, von den dritten mit dem sachlichen und dem personalen Unrecht, von den vierten als eigenständige Gliederung des Unrechts ausgegeben und von einer letzten Gruppe von Autoren schließlich rur unzutreffend erklärt, weil diese Unterscheidung sich nicht speziell auf das Unrecht beziehe. Schon diese zahlreichen divergierenden Begriffsbestimmungen deuten an, daß es sich bei der Unrechtslehre um ein besonders umstrittenes Gebiet der Strafrechtsdogmatik handelt. Aber weitaus nachteiliger als die unterschiedliche Defmition der Einteilungskategorien wirkt sich auf die Unrechts lehre aus, daß sowohl die gegenseitigen Verhältnisse jener Unrechtsaufgliederungen im Unrechtsbegriff als auch die gesamtsystematischen Folgen derselben regelmäßig ungeklärt bleiben. Daher soll zunächst die mögliche Bedeutung jener Begriffspaare fiir die Begründung des Unrechts als Element der Straftat untersucht werden.

1. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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Nicht aus dem Blick verloren, sondern nur bis zur Klärung jener Frage zurückgestellt wird die Behandlung des Verfassungspostulats, daß ein jedes Verbrechenselement und damit auch das Unrecht strafgesetzlieh vertatbestandlicht zu sein hat (Art. 103 Abs. 2 GG). Wenn damit die Darstellung hier - im Unterschied zu der vorrangig an didaktischen und praktischen Zielsetzungen vorgenommenen Systematisierung in den Lehrbüchern zur allgemeinen Strafrechtslehre - das Sachelement vor dem Formelement in den Blick nimmt, so deshalb, weil man zwar das Unrecht ohne den Unrechtstatbestand, nicht aber den Unrechtstatbestand ohne das Unrecht begrifflich erfassen und im Sinne einer wissenschaftlichen Systematik inhaltlich klären kann. 2 1. Der Unrechtsgehalt der Straftat Grundsätzlich sind im Hinblick auf die Unrechtskonstituierung drei verschiedene Bedeutungsmöglichkeiten der vorstehend genannten Einteilungsarten denkbar: Einmal kann es sich dabei um die Kennzeichnung notwendiger Bestandteile des Unrechts handeln; fehlt eines solcher "Unrechtsmomente", so ist das Unrecht als Sachelement des Verbrechens nicht begründet. Zum anderen können damit unterschiedliche Betrachtungsweisen desselben Unrechtssachverhaltes benannt sein, Ansichten desselben Gegenstandes aus verschiedener Perspektive; die Unterscheidung solcher "Unrechtsaspekte" - die nicht je einzeln vorhanden sein oder fehlen können - ist filr ein umfassendes Verständnis der Unrechtsbegründung erforderlich und ermöglicht überhaupt erst die sachgerechte Lösung einer Vielzahl von dogmatischen Problemen. Und schließlich können jene Einteilungsarten im Hinblick auf die Begründung des Unrechts als Element der Straftat nach geltendem Recht ohne Bedeutung sein. Untersucht man nunmehr, welcher dieser drei Möglichkeiten jene oben aufgefilhrten Gliederungskategorien jeweils zuzuordnen sind, so sind leicht die der letztgenannten Gruppe angehörenden, hier irrelevanten Unterscheidungen zu erkennen: Bedeutungslos ist filr das hier zu lösende Problem einmal die Differenzierung in gesellschaftlich und gemeinschaftlich strukturiertes Unrecht; denn bei dieser Unterscheidung handelt es sich um potentielle Strukturprinzipien des Rechts und damit des Unrechts überhaupt, nicht aber um Momente oder Aspek-

2 Für die praktische Systematik, d. h. rur das prüfende Vorgehen zum Zweck der Gesetzesanwendung, kann hingegen der Beginn mit dem Unrechtstatbestand durchaus sachgerecht sein; denn hier ist zuvor bereits geklärt und deshalb bekannt, was den Begriff des Unrechtstatbestandes ausmacht, so daß die Gesetzesanwendung mit der Frage nach der Erfiillung dieses Merkmals beginnen kann und erst dort, wo das Vorliegen des Unrechts zum Problem wird - wie etwa in den Fällen der scheinbaren Rechtsgutsverletzung und des Tatbestandsausschlusses -, auf die Rechtsgutsverletzung als den Unrechtsgehalt bei der Prüfung eingegangen zu werden braucht.

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

te des Unrechts im Rahmen der geltenden Rechtsordnung. Ohne Bedeutung rur die Begründung des Unrechts als Element der Straftat ist auch die Entgegensetzung von Handlungs- und Erfolgsunrecht. Selbst wenn man einmal unterstel1t, daß diese Unterscheidung als solche sinnvol1 ist, so wird sie doch al1enfal1s dort erheblich, wo es am Erfolgsunrecht fehlt und der Unrechtsgehalt einer Tat sich im Handlungsunrecht erschöpft, wie etwa beim Versuch. Das zeigt aber bereits, daß Handlungs- und Erfolgsunrecht nicht Momente oder Aspekte eines jeden Unrechts sind, weil auch bei alleinigem Vorliegen des Handlungsunrechts bereits das Unrecht als Element des betreffenden Delikts konstituiert ist. Und schließlich bildet das Begriffspaar objektiv-subjektiv keine brauchbare Differenzierung rur die Begründung des Unrechts, weil diese rein äußerliche und unter einem völlig sachfremden Gesichtspunkt vorgenommene Aufteilung weder im Hinblick auf die Unrechtsbegründung noch bezüglich der dogmatischen Konsequenzen erkenntnisfördemd ist und es sich somit auch hierbei nicht um Momente oder Aspekte des Unrechts als Element der Straftat handelt. lm Gegensatz dazu ist die Unterscheidung von formellem und materiellem Unrecht für die Begründung des Unrechts als Element der Straftat im Blick auf dessen vorläufige Uinschreibung als "gewerteter Unwertsachverhalt" offensichtlich von Bedeutung: Das Unrecht wird konstituiert durch die von einer Rechtsnorm untersagte Verletzung eines Rechtsgutes; "sozialethischer Unwertsachverhalt" und "Rechtsnormwidrigkeit" sind also die das Deliktsunrecht begründenden Momente. Fehlt einer dieser bei den notwendigen Bestandteile, so liegt kein Unrecht vor. 3 Zu einer solchen Diskrepanz von formellem und materieIlem Un3 Der Vergleich dieser Auffassung von der Bedeutung des formellen und des materiellen Momentes rur die Begründung des Unrechts als Sachelement des Verbrechens mit den im Schrifttum hierzu vertretenen Auffassungen bereitet insofern Schwierigkeiten, als diese Ausdrücke zum Teil rur andere Sachverhalte verwendet und diese Sachverhalte zum Teil mit anderen Ausdrücken bezeichnet werden; die Möglichkeit einer Fehldeutung ist deshalb nicht in jedem Einzelfall auszuschließen. Vorbehaltlich dessen ergibt sich bei jenem Vergleich folgendes Bild: Wie im Text, so bestimmen das Unrecht im formellen und das Unrecht im materiellen Sinne - wenigstens der Sache nach - als Unrechtsmomente: v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 176 f.; Rohert v. Hippel, Lehrbuch, S. 107; Beling, Grundzüge, S. 14; Sauer, Allg. Strafrechtslehre, S. 53 f., 56, 60; Mezger, Leipziger Kommentar, Band 1 (8. Aufl., 1957), Einleitung III, 1 i. V. Bem. 9 f. vor § 51; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 166 ff.; KohlrauschiLange, StGB, Vorbem. III vor § 1; Welzel, Strafrecht, S. 49 ff.; Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 9. Im Unterschied dazu werden formelles und materielles Unrecht als Unrechtsaspekte begriffen und benannt von Gallas, ZStW Bd. 67, S. 24, 38 Anm. 76, und wohl auch Jescheck, Allg. Teil, S. 209 f. Eine große Zahl von Autoren sieht im formellen und materiellen Unrecht weder Momente noch Aspekte des Unrechts als Sachelement des Verbrechens. So erachten beispielsweise die formelle Rechtswidrigkeit rur letztlich entscheidend: Frank, StGB, S. 3; Kern, ZStW Bd.64, 262; Maurach, Allg. Teil, S.292; hingegen die materielle: Zimmerl, Aufbau des Strafrechts systems, S. 42.

I. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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recht - bei der also das Unrecht als Sachelement des Verbrechens nicht begründet ist - kommt es dann, wenn der Inhaber der Rechtsmacht gravierende Sozialwertverletzungen nicht verbietet oder wenn er sozial ethisch nicht wertwidrige Verhaltensweisen (unter Eingriff in den in unserem Kulturkreis als durch transpositives Recht geschützt begriffenen Kernbereich persönlicher Freiheit) untersagt. Letzteres war beispielsweise bei der Bestrafung der sog. Rassenschande im NS-Staat der Fall; hier mangelte es an einer sozialethischen Wertverfehlung, und Verbot sowie Bestrafung konstituierten nicht Unrecht und Verbrechen, sondern waren lediglich Ausdruck staatlicher Willkür und Zwangsherrschaft. Die umgekehrte Konstellation, nämlich das Fehlen einer Rechtsnorm trotz schwerwiegender Sozialwertverletzung, zeigt sich beispielsweise in manchen der in den Gesetzentwürfen zur Reform des Strafrechts vorgesehenen neuartigen Strafvorschriften; mangels eines rechtlichen Verbots sind diese Taten bisher lediglich sozialethisch verwerflich, aber nicht rechtswidrig. Im geltenden Strafrecht findet sich diese Möglichkeit überall dort, wo ein Deliktstatbestand im Vergleich zu seinem früheren Verständnis deswegen einschränkend interpretiert wird, weil das rechtliche Verbot oder Gebot nur noch in diesem engeren Bereich als geltend erlebt wird, ohne daß sich an dem sozialethischen Unwert des nicht mehr als unerlaubt begriffenen Verhaltens etwas geändert zu haben braucht. Erst das materielle Unrechtsmoment des sozialethischen Unwertsachverhalts und das formelle Unrechtsmoment der Rechtsnormwidrigkeit zusammen begründen also das Unrecht als Element der Straftat.4 Von den einleitend aufgeführten Begriffspaaren, die im Schrifttum zur Gliederung des Unrechts verwendet werden, bleibt nunmehr lediglich die Unterscheidung von sachlichem und personalem Unrecht zu untersuchen: Handelt es sich hier um Momente oder Aspekte des Unrechts i. S. der vorstehenden Defmition oder um keines von bei den? Sichtet man das strafrechtliche Schrifttum auf die Kategorie des "personalen Unrechts" hin, so findet man drei völlig verschiedene Bereiche, für die dieser Begriff verwendet wird: Im entwicklungsgeschichtlichen Ausgangspunkt bezeichnete das "personale Unrecht" die Überwindung der rein objektiven Unrechtsauffassung der sog. klassischen Verbrechenssystematik, d. h. die Einbeziehung subjektiver (täterpsychischer) Elemente in den Unrechtsbegriff. 5 Diese Einsicht, daß man das Straftatunrecht unter Aus4 Wie dominierend der Begriff des materiellen Unrechts von der Strafrechtswissenschaft stets als Problem des Unrechtsausschlusses und nicht der Unrechtsbegründung gesehen wurde, zeigt die Abhandlung von Heinitz, Die Entwicklung der Lehre von der materiellen Rechtswidrigkeit, Festschrift fiir Eberhard Schmidt, S. 266 ff. Aber das Fehlen der materiellen Rechtswidrigkeit kann das Unrecht als Sachelement des Verbrechens eben nur deswegen ausschließen, weil erst deren Vorhandensein es begründet. - Eingehend zur auch materiellen Unrechtsbegründung hingegen Röttger, Unrechtsbegründung, S.247ff. 5 Zur Wiedergabe und Kritik vgl. im einzelnen die Erstauflage, S. 304. - Seither ferner z. B. Armin Kaufmann, Welzel-Festschrift, S. 395 f.; Rudolphi, Maurach-Festschrift,

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

klammerung aller subjektiven Momente nicht sachgerecht erfassen kann, hat sich inzwischen allgemein durchgesetzt; nur begründet sie keine personale, sondern lediglich eine (auch) subjektive Unrechtslehre, so daß die Kennzeichnung als "personal" hier künftig unterbleiben sollte. - Der zweite Bereich, rur den die Kategorie des "personalen Unrechts" im Schrifttum verwendet wird, ist der des Sonderdeliktsunrechts: 6 Personales Unrecht werde dort begründet, wo das Gesetz das betreffende Straftatunrecht mittels sog. objektiv-täterschaftlicher Merkmale beschreibe.? Zum Aufweis der Relevanz rur die Strafrechtspraxis wird in diesem Zusammenhang nicht selten § 28 genannt, wo von "persönlichen Merkmalen" die Rede ist. Bei genauerer Betrachtung erkennt man jedoch, daß es in diesem Bereich nicht um das Personale "des" Unrechts (also a11en Unrechts) geht, sondern um das "Besondere" eines Teils des Unrechts, eben des Sonderunrechts. Auch insoweit weist die Benennung als "personales Unrecht" folglich in die falsche Richtung und sollte deshalb hierfiir nicht mehr verwendet werden. - Eine nochmals grundlegend andere Inhalts bestimmung hat die Kategorie des "personalen Unrechts" durch die hier in der Erstauflage8 entwickelte Lehre erhalten: Begreift man das Unrecht als rechtspflichtwidrige Rechtsgutsverletzung, dann kann diese sowohl im Blick auf den Verletzten als auch im Blick auf den Verletzenden gesehen werden; und nur das kann sinnvoll mit sachlicher und personaler Betrachtungsweise des Unrechts gemeint sein. Das bedeutet aber, daß es sich hierbei nicht um Unrechtsmomente handelt, welche vorhanden sein wie auch fehlen können, denn die doppelte Blickrichtung auf den Verletzten und auf den Verletzenden ist bei jedem unrechten Verhalten möglich. Dieses unrechte Verhalten bildet den einheitlichen Gegenstand, der lediglich aus verschiedener Perspektive betrachtet wird. Die Identität des Gegenstandes von personalem und sachlichem Unrecht schließt nicht nur die Möglichkeit aus, daß einem unrechten Verhalten einer dieser Aspekte fehlt, sondern sie begründet auch das starre Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit, in dem personales und sachliches Unrecht zueinander stehen; einem sachlichen Unrecht bestimmter Größe korrespondiert also immer ein personales Unrecht entsprechender Größe und umgekehrt. Ein Unrechtsmerkmal kann somit niemals nur den sachlichen oder nur den personalen Unrechtsgehalt einer Handlung begründen oder modifizieren. Zwei Taten gleichen sachlichen Unrechts haben notwendig immer auch den gleichen personalen Unrechtsgehalt und umgekehrt. Diese Unveränderlichkeit in der Relation von sachlichem und personalem Unrecht ist begründet in der Einheit ihres Gegenstandes, des Unrechts als Element der Straftat, und kennzeichnet sie als dessen Aspekte i. S. der hier zugrunde ge legS. 51; Gallas, Bockelmann-Festschrift, S. 155; LacknerlKühl, StGB, Rn. 20 vor § 13;

OUo, Allg. Strafrechtslehre, § 8 Rn. 58 ff.

In diesem Sinne wohl auch Seebald, DRiZ 1972, S. 439. V gl. beispielhaft Welzel, Strafrecht, S. 62; JescheckiWeigend, Allg. Teil, S. 241. 8 Vgl. hierzu die Erstauflage, S. 284 f., 305 ff.

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1. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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ten Begriffsbestirnmung. 9 Damit ist die zu erwartende Frage nach dem Sinn und der strafrechtsdogmatischen Berechtigung einer derartigen Unterscheidung von sachlichem und personalem Unrecht trotz völliger "Parallelität" im Gehalt bereits ansatzweise beantwortet. So wie Elementarteilchen sich als Korpuskel wie als Welle beschreiben lassen, so die Straftat als Rechtsgutsverletzung wie als Pflichtverletzung,10 und erst die Zusammenschau beider Modelle ermöglicht die erschöpfende Erfassung und Einordnung aller in diesem Bereich erkannten Phänomene. Die Betrachtung des unerlaubten Verhaltens unter sachlichem und personalem Aspekt ist somit einmal deswegen erforderlich, um seinen gesamten Unrechtsunwert sachgerecht zu erfassen, d. h. um die fraglichen Rechtsphänomene inhaltlich zu verstehen und sie systematisch (als das Unrecht betreffend) einordnen zu können. Das gilt um so mehr, als "Unrecht" seit dem 1.1.1975 ein Merkmal des Strafgesetzbuches ist (vgl. z. B. §§ 17,20,21) und damit wie jedes Gesetzesmerkmal rur die Zwecke der Gesetzesanwendung einer exakten Defmition bedarf. Zum anderen hat diese vertiefte Sacherkenntnis eine erhebliche praktische Bedeutung, weil erst die Unterscheidung des sachlichen und des personalen Unrechtsaspekts die zutreffende, d. h. in der Unrechtsstruktur begründete Lösung einer Fülle dogmatischer Probleme ermöglicht und so auch die Strafbarkeit im Einzelfall von ihr abhängen kann. In diesem Sinn von vornherein falsch war das vorstehend skizzierte Ausgeben einer bloßen Subjektivierung des Unrechts als "personales Unrecht": Die nie begründete, weil nicht begründbare Gleichsetzung des Handlungswillens mit dem strafgesetzlichen Vorsatzmerkmal durch den Finalismus ruhrte zu den bekannten Konsequenzen heilloser Begriffsverwirrung auf allen Gebieten, auf denen das Gesetz die saubere Unterscheidung von Unrechts- und Schuldmerkmalen ausdrücklich vorschreibt, wie z. B. in der Irrtums- oder in der Teilnahmelehre, wie auch rur den Bereich der Fahrlässigkeitsstraftat, deren Dogmatik mit jener Identifizierung ihres eigenen Gegenstandes beraubt war. Das zutreffende Erfassen des personalen Unrechts als eines bloßen Aspekts des Straftatunrechts hätte das Beschreiten aller jener strafrechtsdogmatischen Irrwege verhindert. - Gleichermaßen verhängnisvoll war das fehlende Erfassen von personalem und sachlichem Unrecht als bloßer Unrechtsaspekte bei der falschen Gleichsetzung von personalem Unrecht und Sonderunrecht durch das strafrechtliche Schrifttum: Als erste Beispiele darur seien hier - ohne vorgreifende Widerlegung - die in diesem Buch sehr detailliert als unhaltbar aufgewiesenen Lehren zum sog. "Pflichtdelikt"11 , zum sog.

9 Damit ist nicht nur die Möglichkeit einer Divergenz von personalem und sachlichem Unrecht verneint, sondern zugleich auch die Frage, welches von beiden das der Idee nach Primäre ist, als sinnlos erwiesen: Jegliches Unrecht hat beide Aspekte und ist in seinem Unwertgehalt nur durch die Zusammenschau beider voll zu erfassen. 10 Jescheck/Weigend, Allg. Teil, S. 8, wo jedoch offen bleibt, ob beide Kategorien wie hier als bloße Aspekte desselben Gegenstandes begriffen werden sollen. 11 Vgl. hierzu im einzelnen unten, S. 249 ff.

I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

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"untauglichen Subjekt,,12 und zur Auslegung der besonderen persönlichen Merkmale i. S. v. § 28 als sog. "täterschaftliche Merkmale,"3 genannt, mit ihren jeweiligen Konsequenzen tur die Rechtsfolgen. - Des weiteren erhellt beispielsweise erst der personale Unrechtsaspekt die Notwendigkeit, von mehreren Deliktsbeteiligten jeden nach seinem Unrecht zu bestrafen. Das wirkt sich etwa bei der erfolglosen Anstiftung zu einem Verbrechen (§ 30 Abs. 1) dahin aus, daß, wenn der Deliktscharakter der Tat in der Person des Anstifters und des Angestifteten wegen divergierenden Unrechtsgehalts verschieden ist, der erfolglos Anstiftende sich nur dann gemäß § 30 Abs. I strafbar macht, wenn das Delikt in seiner Person ein Verbrechen im Sinne von § 12 Abs. 1 ist. Die Betrachtung des deliktischen Unrechts sowohl im Blick auf den Verletzten als auch im Blick auf den Verletzenden erweitert also die Erkenntnis von der Natur des Unrechts und hat schwerwiegende praktische Konsequenzen; in den hier zugrunde gelegten Kategorien sind sachliches und personales Unrecht somit Aspekte des Unrechts als Element der Straftat. 14 Erst das materielle und das formelle Unrechtselement zusammen begründen das Unrecht als Sachelement des Verbrechens; in beiden Momenten sind der sachliche und der personale Unrechtsaspekt unterscheidbar. In den folgenden Austuhrungen werden der Gehalt und die dogmatische Bedeutung der Unrechtsaspekte im materiellen und im formellen Unrechtsmoment in ihren Grundzügen dargelegt werden.

a) Der Rechtsgutsangriff (Das materielle Unrechtsmoment) Die Frage nach dem materiellen Moment des Unrechts betrifft den von dem unrechten Verhalten verwirklichten Unwert. Was tur ein Unwert ist gemeint, wenn von Unrecht die Rede ist? Untersucht man einige typische Unrechtstaten - wie etwa das Töten eines Menschen, die Wegnahme einer fremden Sache, das Fälschen einer Urkunde - auf den von ihnen verwirklichten Unwert, so ist unmittelbar einsichtig, daß es sich bei ihnen um sittliche Verfehlungen handelt, um 12 V gl. hierzu im einzelnen unten, S. 254 ff., 43 I ff. 13

Vgl. hierzu im einzelnen unten, S. 247 f., 394 ff.

14 Die im Text vorgenommene Kennzeichnung von sachlichem und personalem Unrecht als Unrechtsaspekte ist, soweit ersichtlich, in gleicher Weise jedenfalls ausdrück-

lich im Schrifttum bisher nicht vertreten worden. Ohne Verwendung der Ausdrücke sachlich/persönlich, aber der Sache nach sehr ähnlich Schmidhäuser, Göttinger Festschrift OLG Celle, S. 236; Arthur Kaufmann, JZ 1962, 782. Erstes Anklingen der Betrachtung des Unrechts unter personalem und sachlichem Aspekt bei Berges, DStR 1935, 448; Schaffstein, Verbrechen als Pflichtverletzung, S. 25; Maurach, DStR 1936, 122 ff. Als Unrechtsmomente werden personaler Aktunwert und sachlicher Erfolgsunwert von Maurach, Allg. Teil, S.226 verstanden, der die "völlige Verselbständigung" des personalen Unrechts verhindert wissen will.

J. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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Verletzungen ethischer Werte. Das Recht als Gemeinschaftsordnung l5 befaßt sich sinnvoll nur mit den Pflichten, die der einzelne als Glied dieser Gemeinschaft gegenüber der Gemeinschaft selbst oder ihren Mitgliedern gegenüber zu erfiillen hat. Dieser auf die Sozialwerte bezogene Ausschnitt aus dem Bereich des Sittlichen bildet die Sozialethik. Aber wiederum nur ein Teilgebiet der sozialethischen, d. h. also dem Menschen als Sozialwesen obliegenden und von ihm wegen der ethisch verhältnismäßig geringen Ranghöhe der zu achtenden Werte grundsätzlich jederzeit erfiillbaren Pflichten ist Gegenstand rechtlicher Regelung: der Unwert des Unrechts ist von dem des bloß Unmoralischen durch das Merkmal der SoziaJschäd/ichkeit unterschieden. Das materielle Moment des Unrechts besteht somit in einem sozial ethisch wertwidrigen und zugleich sozialschädlichen Verhalten. 16 Dieser im Unrecht verwirklichte Unwert, das sozialethisch wertwidrige, sozialschädliche Verhalten, kann, wie schon dargelegt wurde, sowohl im Hinblick auf den Verletzten als auch im Hinblick auf den Verletzenden betrachtet werden. 17 Verletzter ist stets die Rechtsgemeinschaft in den von ihr rur besonders wertvoll erachteten Gütern; unter sachlichem Aspekt erscheint der Unrechtsunwert somit als Rechtsgiitsverletzung l8. Sieht man sodann auf den Täter, so er15 Die geltende deutsche Rechtsordnung ist weder rein "gemeinschaftlich" noch rein "gesellschaftlich" strukturiert i. S. der idealtypischen Begriffsbildung durch Hardwig, ZStW Bd. 68, 17 ff., und Duo, ZStW Bd. 87, 550 ff., wie diese selbst aufgewiesen haben, sondern verbindet Elemente bei der Strukturformen miteinander. Im nachfolgenden Text bezeichnen deshalb die wechselnden Benennungen nicht jeweils jene idealtypischen Strukturformen in ihrer Gegensätzlichkeit, vielmehr soll die alternierende Verwendung beider Ausdrücke jene Verbindung auch terminologisch zur Geltung bringen. 16 Ebenso wie im Text wird das Verhältnis von sozialethischer Wertwidrigkeit und Sozialschädlichkeit bei der Begründung des materiellen Unrechtsmomentes gesehen von Sauer, Allg. Strafrechtslehre, S.53 i. V. m. S.56; Arthur Kaufmann, JZ 1956, 394 Anm. 72; Kohlrauschi Lange. StGB, Vorbem. III I vor § 1; Schultz, SchweizZStr. Bd. 73, 319. Insoweit nur scheinbar abweichend Mezger, Leipziger Kommentar, Band 1 (8. Aufl., 1957), Bem. 9 e, f vor § 51; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 164 ff., der den Begriff der Sozialethik dem "niedersten Bereich der Ethik" vorbehält und damit nur sozialschädliche Pflichtverletzungen als materiell unrechtsbegründend betrachtet; Otto, Allg. Strafrechtslehre, § 7 Rn. 50 ff. - Im Unterschied zu der hier vertretenen Auffassung hält Gallas, ZStW Bd. 67,24 und GA 1957,318 die sozialethische Verwerflichkeit eines Verhaltens zur Begründung des materiellen Unrechts für ausreichend. 17 V gl. auch den ähnlichen Ansatz bei Krnmpelmann, Die Bagatelldelikte, S. 82. Grundlegend anders hingegen Schild, Die "Merkmale" der Straftat, S. 40 ff. 18 Es gibt somit kein Deliktsunrecht ohne Rechtsgutsverletzung (v gl. beispielsweise Schwinge/Zimmer!, Wesensschau, S. 41; Bettiol, ZStW Bd. 72, Mitteilungsblatt 19, 27; Sina, Dogmengeschichte, S. 91; Rudolphi, Honig-Festschrift, S. 167). Die entgegengesetzte Auffassung (vgl. etwa Schaffsein, Verbrechen als Pflichtverletzung, S. 14; Wetzei, ZStW Bd. 58, 511 Anm. 30; Hellmuth Mayer, DStR 1938, S. 78; Schultz, SchweizZStr. Bd. 72, 418 f.) beruht auf einem Verständnis des Rechtsguts, das den sozialethischen Wertgehalt nicht umfaßt und die begriffliche Trennung von Rechtsgut und Verletzungsobjekt noch nicht vollzogen hat.

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

kennt man, daß er seiner Pflicht zur Achtung des von ihm angegriffenen Rechtsgutes nicht nachgekommen ist; unter personalem Aspekt erscheint der Unrechtsunwert somit als Pflichtverletzung.

aa) Der sachliche Unrechtsaspekt Der sachliche Unrechtsaspekt, dem sich die weitere Untersuchung zunächst zuwenden wird, weist schon in seiner Benennung als "Rechtsgutsverletzung" auf die bei den Elemente hin, deren Verständnis die notwendige Voraussetzung fiir das Erfassen des sachlichen Unrechtsaspekts ist: Zuerst wird eine Klärung des Begriffs "Rechtsgut" (hier durchgängig synonym gebraucht: "Gemeinschaftswert", "Sozialwert") versucht und anschließend die Bedeutung dessen zu ermitteln unternommen, was mit "Verletzung" eines solchen Rechtsgutes gemeint ist. Ist Unrecht materiell ein sozialethisch wertwidriges und zugleich sozialschädliches Verhalten, dann kann man den Gegenstand, der durch ein solches Verhalten verletzt wird, vorläufig umschreiben als einen fiir die Gemeinschaft besonders wertvollen Zustand. Diese Definition des Rechtsgutsbegriffsl9durch einige Beispiele wie Leben, körperliche Integrität, Eigentum, Funktionsflihigkeit der Staatsorgane in etwa veranschaulicht - bedarf in allen ihren Merkmalen der Präzisierung. Hierbei betrifft die erste Frage die Existenzform jenes Zustandes: Handelt es sich beim Rechtsgut um einen ideellen oder um einen realen Zustand? Betrachtet man daraufhin etwa das Rechtsgut "Eigentum", so erkennt man, daß damit die im Gemeinwesen geltende Zuordnung von Sachgütern in die umfassende Verfiigungsbefugnis der Rechtssubjekte gemeint ist. Seine Verbindung mit der Wirklichkeit besteht in jenen als in eben dieser Weise wertvoll erlebten Realobjekten, aus denen im Wege gedanklicher Abstraktion der Begriff des betreffenden Rechtsgutes gewonnen worden ist und die man als 19 Zur Dogmengeschichte des Rechtsgutsbegriffs vgl. Schaffstein, DStR 1935, 98 ff.; Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 6-14; Sina, Die Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs "Rechtsgut". - Dogmengeschichtlich von allgemeinerem Interesse sind die positivistische Auffassung Bindings (Normen I, S. 340, 353 f.; besonders deutlich S. 341 f.: " ... positivrechtliche Natur auch des Güterbegriffs"), die naturalistische Auffassung v. Liszts (ZStW Bd. 8, 141 f., 151 f.) und die methodische Auffassung Honigs (Einwilligung, S. 94: " ... der vom Gesetzgeber in den einzelnen Strafrechtssätzen anerkannte Zweck in seiner kürzesten Formel"). Zusammenstellungen von Definitionen des Rechtsgutsbegriffs in der Strafrechtswissenschaft finden sich u. a. bei v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 4 Anm. I; Mezger, Lehrbuch, S. 200; Franzheim, Teilnahme an unvorsätzlicher Haupttat, S. 19 f. - Zum unterschiedlichen Verständnis des Rechtsgutsbegriffs in der neueren Diskussion vgl. in dieser Reihenfolge Bockelmann, ZStW Bd. 74, 313; Welzel, Strafrecht, S. 3, 62 ff.; Gallas, GA 1957, 318; Maurach, Allg. Teil, S. 212 ff.; Würtenberger, Die geistige Situation, S. 58 f.; Schmidhäuser, Göttinger Festschrift OLG Celle, S. 236, und Allg. Teil, 8/29; Dtto, Rechtsgutsbegriff und Deliktstatbestand, S. 2 ff.

I. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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reale Gegenstände des derart rechtsgutsverletzenden Tuns zweckmäßig "Rechtsgutsobjekte" (herkömmlich auch "Verletzungsobjekte", "Tatobjekte" oder "Angriffsobjekte") nennt. 20 Allerdings darf die hier befiirwortete Charakterisierung des Rechtsguts als sozial besonders wertvoller Zustand nicht im Sinne einer absoluten historischen Unveränderlichkeit verstanden werden. So hatte etwa das Eigentum im absolutistischen Staat einen anderen Gehalt und andere Schranken als im liberalistischen und im letzteren wieder andere als im sozialen Rechtsstaat der Gegenwart, ohne daß durch diesen kontinuierlichen Umformungsprozeß seine Rechtsgutsnatur zu irgendeinem Zeitpunkt in Frage gestellt worden wäre. Die Kennzeichnung des Rechtsgutes als Zustand meint also eine relativ statische Gestaltung von etwas Seiendem, eine Kategorie 21 mit einem entsprechend ruhenden Substrat in der realen Wirklichkeit; Rechte, Interessen, Handlungen, im Laufe der Dogmengeschichte sämtlich mit dem Rechtsgut identifiziert, sind keine Zustände im soeben entwickelten Sinne und damit hier von vornherein eindeutig aus dem Bereich des Rechtsgutsbegriffs eliminiert. Ein weiteres Merkmal der vorläufigen Defmition des Rechtsgutes war sein besonderer Wert fiir die Gemeinschaft. 22 Hierbei handelt es sich nie um einen nur relativen Wert oder gar um einen nur momentanen Nützlichkeitswert, sondern um einen situationsunabhängigen "Absolutheitswert,,23, nämlich um den Wert des Sittlichen in seinen Konkretisierungen, den Gütern. 24 Von dem Begriff Rechtsgut werden somit nur diejenigen Zustände umfaßt, die einen ethisch wertvollen Sachverhalt verkörpern. 2s 20 Die Unterscheidung von Rechtsgut und Rechtsgutsobjekt ist der erste Schritt zur Überwindung des Naturalismus in der Rechtsgutslehre. Sie findet sich im Ansatz schon bei v. Liszt, ZStW Bd. 8, 151 f., und ist heute weitgehend anerkannt. Ob sie aber wirklich zum "Allgemeingut der Strafrechtswissenschaft" geworden ist, wie Jäger, Rechtsgüterschutz, s. 15, meint, muß im Hinblick auf einige der in der vorstehenden Anmerkung zitierten Äußerungen aus der neueren Diskussion bezweifelt werden. 21 Der Hinweis auf den kategorialen Charakter des Rechtsgutes bedeutet auch nicht im entferntesten ein Einschwenken auf die methodische Auffassung Honigs (Einwilligung, S. 94), derzufolge das Rechtsgut "diejenige kategoriale Synthese (ist), mit welcher juristisches Denken Sinn und Zweck der einzelnen Strafrechtssätze in komprimiertester Form zu erfassen bestrebt ist". Das Rechtsgut ist nach der hier vertretenen Ansicht nicht die - rur jeden Rechtssatz formulierbare - ratio legis, sondern der vor der strafrechtlichen Regelung vorhandene, rur die Gemeinschaft besonders wertvolle Zustand. 22 Ebenso Hanke, Rechtsgüter bei Sittlichkeitsverbrechen, S. 18. 23 Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 25. 24 Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 207 i. V. m. S. 39. 25 Damit ist zugleich der Ausschnitt aus dem Bereich der sittlichen Werte bezeichnet, der rur die Charakterisierung des Rechtsgutes allein relevant ist: Unterscheidet man bei den ethischen Werten Richtungswerte, die "auf die Verwirklichung eines rur andere objektiv-wertvollen, den sittlichen Wert fundierenden Sachverhalts gehen", wie etwa die Nächstenliebe, und Haltungswerte, "bei denen kein Einsatz rur einen anderen objektiven

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1. Teil, 1. Abschn.: Der al1gemeine Straftatbegriff

Dieser "tUr andere objektiv wertvolle Sachverhalt" des Richtungswertes ist beim Rechtsgut als dem tUr die Gesellschaft besonders wertvollen Zustand auf die Sozietät bezogen. Bereits im historischen Ausgangspunkt der Rechtsgüterlehre und in ihrem ursprünglichen Ziel, der Überwindung der Auffassung vom "subjektiven Recht" als dem Objekt des Verbrechens, war diese Gesellschaftsbezogenheit des Rechtsguts angelegt;26 sie ist im Laufe der dogmatischen Entwicklung zwar vereinzelt in Zweifel gezogen worden, jedoch seit langem außer Streit. 27 Nicht alle sozial relevanten Güterwerte, sondern nur die besonders wertvollen Zustände sind Rechtsgüter i. S. der hier vertretenen Begriffsbestimmung. So ist etwa das gesittete Verhalten in der Öffentlichkeit sozial wertvoll und daher eine allen obliegende sozialethische Pflicht; aber unter den sozialethischen Werten ist dieser ein sittlich verhältnismäßig hoher Wert, d. h. er gehört nicht dem Ausschnitt der im Range niedrigen Gemeinschaftswerte an, mit denen allein sich das Recht befaßt: Wer jene sozialethische Pflicht verletzt, wer also etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln durch seine überlaute Unterhaltung die anderen Fahrgäste stört, sich am Fahrkartenschalter vordrängt, statt sich einzuordnen, oder seinen Wagen so ungeschickt parkt, daß er zwei Abstellplätze blokkiert, der handelt gemeinlästig, aber nicht gemeinschädlich. In der Einleitung dieser AustUhrungen zUm materiellen Unrechtsmoment ist das Verhältnis von sozialethischer Wertwidrigkeit und Sozialschädlichkeit schon in allgemeiner Form erörtert worden; hier, bei der Abgrenzung des Rechtsgutes als des besonders wichtigen Sozialwertes vom Sozialwert überhaupt, geht es um die Gegenstände jener Wertverfehlungen. Nur das Rechtsgut als der tUr die Gesellschaft "besonders" wertvolle Zustand kann Objekt eines nicht nur sozialethisch wertwidrigen, sondern zugleich sozialschädlichen Verhaltens sein, und damit ist es die notwendige Voraussetzung tUr jegliches materielle Unrecht. Das Recht unterscheidet sich von den übrigen Formen der Gemeinschaftsordnung, etwa den Konventionen oder der Moral, durch seinen Charakter als Zwangsordnung;28 die Anwendung von Zwang zur Erhaltung oder Erreichung eines erwünschten Zustandes ist eben nicht schlechthin, sondern nur dann sittlich zu rechtfertigen,

Wert notwendige Voraussetzung rur ihre Verwirklichung ist", sondern "die rur die sittlichen Werte typische Hochachtung und Hochschätzung einer bestimmten Haltung als solcher gezol1t wird", wie etwa die Tapferkeit (vgl. hierzu im einzelnen Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 88 ff.), so ergibt sich aus den bisherigen Darlegungen, daß der im Rechtsgut gemeinte sittliche Wert nur ein Richtungswert sein kann. 26 Ähnlich schon Hellmuth Mayer, DStR 1938, 81. 27 Vgl. etwa Bettiol, ZStW Bd. 72, Mitteilungsblatt 24: "Güter sozialen Charakters und sozialer Bedeutung"; Gallas, Gleichspach-Festschrift, S. 58; Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 21 f.; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S.207 i. v. S. 164 ff.; Kohlrausch/Lange, StGB, Vorbem. III I vor § 1. 28 Siehe hierzu Seelmann, Rechtsphilosophie, § II Rn. 2 ff.

1. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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wenn es sich um einen rur die Gesellschaft besonders wertvollen Zustand, um ein Rechtsgut handelt. Damit ist bereits die Funktion des Rechtsgutes in der Verbrechenssystematik angesprochen: Es ist der Gegenstand des Rechtsschutzes, die Grundlage dessachlich betrachteten - Unrechtsunwertes. Diese Funktion ist im Auge zu behalten, wenn es darum geht, das Rechtsgut von den übrigen Sozialwerten abzugrenzen. Unzweifelhaft sind nur relativ niedrige und deshalb in ihrem Achtungsanspruch jedermann unmittelbar einsichtige Güterwerte hierher zu rechnen, jedoch darf andererseits der Pegel des "besonders" Wertvollen auch nicht zu niedrig angesetzt werden. Der Rechtsgutsbegriff dient ausschließlich der Bestimmung des sachlichen Unrechtsgehalts; die weit verbreitete Übung, als "besonders wertvoll" nur das strafrechtlich geschützte oder doch wenigstens strafschutztahige Sozial gut zu bezeichnen29 und damit Strafwürdigkeitserwägungen in die Definition des Rechtsgutes einzubeziehen, ist deshalb abzulehnen. - Unabhängig davon aber, wo jene Grenze zwischen dem Rechtsgut und den sonstigen sozialrelevanten Güterwerten zu ziehen ist, erhebt sich die Frage, wer darüber entscheidet, ob es sich bei einem Gut um einen solchen besonderen Wert handelt. Maßgebend ist hier das Wertbewußtsein der tonangebenden Schichten der betreffenden Rechtsgesellschaft. 30 Dieses Forum bestimmt auch darüber, welche Anforderungen an das einzelne Rechtsgut zu stellen sind, damit es sich in seiner unverwechselbaren Eigenart eindeutig von den übrigen Rechtsgütem abhebt; es setzt also Schranken gegen eine übertriebene Konkretisierung ebenso wie gegen eine zu weit gehende Abstraktion: Jenes Wertbewußtsein kennt nicht Allgemeinbegriffe wie "Rechtsordnung" oder "Individualsphäre" als Rechtsgüter31 , und ebensowenig "Substanzerhaltung" (§ 303), "Verftlgungsrecht" (§ 246) und "Gewahrsam" (§ 242), also jene Spaltprodukte eines wirklichen Rechtsgutes, wie hier des Eigentums, die von einer einseitig an den unterschiedlichen Straftatbeständen orientierten Betrachtungsweise durch Einbeziehung der tatbestandlichen Verletzungsart in die Frage nach dem geschützten Rechtsgut gebildet werden. 32

29 Vgl. etwa Maurach, Allg. Teil, S. 212 f.; Kohlrausch/Lange, StGB Vorbem. III 1 vor § 1; Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 22, 38; richtig hingegen Reinhard v. Hippel, Rücktritt vom Versuch, S. 15. 30 Maurach, Allg. Teil, S. 212 f. 31 Sehr kritisch gegenüber einer derartigen Entleerung des Rechtsgutsbegriffs auch Maurach, Allg. Teil, S. 215. 32 Für das Ob der Unrechtsbegründung ist der Grad dieser Aufspaltung verhältnismäßig unerheblich; hingegen hat er bedeutende praktische Auswirkungen in anderen systematischen Fragen, wie etwa bei den Konkurrenzen. Kritisch gegenüber einer derartigen "Aufgliederung eines einheitlichen Rechtsgutes" schon Hellmuth Mayer, DStR 1938,86.

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

Durch die soeben erläuterten Begriffsmerkmale ist der Begriff des Rechtsguts abschließend definiert. Nicht zu den Begriffsmerkmalen gehört somit der Schutz des Rechtsgutes durch eine Rechtsnorm. 33 Das ergibt sich zwingend aus der schon mehrfach genannten Funktion des Rechtsgutes: Es ist die Grundlage des sachlichen Aspektes im materiellen Moment des Unrechts. Wenn also das Unrecht als Element des Verbrechens nur begründet ist, sofern das materielle und das formelle Moment deckungsgleich vorliegen, und wenn damit die wechselseitige Unabhängigkeit des materiellen und des formellen Unrechtsmomentes sowie die eigenständige Bedeutung der Normenordnung als der Grundlage des formellen Unrechtsmomentes anerkannt ist, dann gehört das Merkmal "Rechtsschutz durch Androhung von Sanktionen fiir den Fall der Verletzung" eindeutig nicht zum Begriff des Rechtsgutes, sondern zum Begriff der Rechtsnorm. Die hier vorgenommene Begriffsbestimmung wird überdies durch die verwendete Terminologie völlig zwanglos und sehr anschaulich zum Ausdruck gebracht: Das Wort "Rechtsgut" betont die besondere Werthaftigkeit eines Sozialzustandes fiir die Rechtsgesellschaft, der dort zum "Schutzobjekt" wird, wo er Normenschutz durch die Rechtsordnung erhält. Mit der vorstehenden Begriffsbestimmung ist der zutreffenden Kritik des Schrifttums an der Rechtsgüterlehre Rechnung getragen, die unberechtigte Kritik hingegen zurückgewiesen. Im Mittelpunkt jener Auseinandersetzungen mit der Lehre vom Rechtsgut stand von jeher nicht der Rechtsgutsbegriff selbst, sondern seine Verabsolutierung in der Verbrechenslehre;34 die Angriffe richteten sich primär gegen die These, daß der materielle Verbrechensgehalt sich in der kausalen Verletzung eines realgegenständlich verstandenen Rechtsgutes erschöpfe, sowie gegen die Auffassung, die im Rechtsgut "denjenigen Grundbegriff des Strafrechts (sieht), der Ausdruck fiir das leitende Prinzip aller Auslegung und Begriffsbildung ist,,35. Aber auch soweit die Kritik den Rechtsgutsbegriff selbst als die Grundlage des materiellen Unrechts betraf, war sie teilweise berechtigt. Das gilt einmal insofern, als die angegriffenen Auffassungen den sozialethischen Wertgehalt des Rechtsgutes außer acht gelassen hatten; nur liegt 33 Im Gegensatz hierzu bezieht die h. M. das Merkmal des Normenschutzes in die Begriffsbestimmung des Rechtsgutes ein. Soweit sie die Begriffe Rechtsgut und Strafbarkeit miteinander verknüpft, handelt es sich bei jener Definitionsart lediglich um eine notwendige Konsequenz. Aber auch soweit eine solche Voraussetzung nicht besteht und man somit zu einer derartigen Folgerung nicht genötigt ist, wird überwiegend der Rechtsschutz zum Merkmal des Rechtsgutsbegriffs erklärt. So schon durch Binding, Normen I, S. 353: "Kein Rechtsgut darbt des Normenschutzes." Vgl. ferner etwa Hanke, Rechtsgüter, S. 19; Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 21. 34 Dahm, MonKrimPsych. 1931, 766, und ZStW Bd. 57, 233 ff.; Gallas, GleispachFestschrift, S. 51 f.; Schaffitein, Verbrechen als Pflichtverletzung, S.25; DStR 1937, 336,338; GA 1964, 106; Hellmuth Mayer, DStR 1938, 78, 86; Welzel, ZStW Bd. 58, 512; Bettiol, ZStW Bd. 72, Mitteilungsblatt 27; Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 27. 3S Schwinge/Zimmerl, Wesensschau, S. 61.

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der sittliche Unwert des Unrechts nicht neben, sondern in der Rechtsgutsverletzung, mit der Folge, daß es kein Unrecht und damit kein Verbrechen ohne Rechtsgutsverletzung gibt. 36 Begründet ist die Kritik zum anderen an einem solchen Verständnis des Rechtsgutes, das die Trennung von Rechtsgut und Verletzungsobjekt noch nicht vollzogen hat. 37 Und schließlich waren auch die Angriffe auf die rein methodologische Auffassung des Rechtsgutes als "Schutzzweck der Strafnorm" berechtigt.38 Diese begründete Kritik ist bei der hier vorgenommenen Begriffsbestimmung des Rechtsgutes in vollem Umfang berücksichtigt worden. Die Untersuchung wendet sich nunmehr der Frage zu, was unter der Verletzung des Rechtsgutes zu verstehen ist. 39 Zu ihrer Beantwortung ist von der Funktion des Merkmals "Verletzung" auszugehen, nämlich der Bestimmung des sachlichen Unrechtsunwertes. Deshalb können nur diejenigen Elemente eines deliktischen Verhaltens, die gerade diesen Unrechtsunwert - und nicht etwa den spezifischen Schuld- oder Strafwürdigkeitsgehalt - prägen, rur den Begriff der Verletzung überhaupt von Bedeutung sein. Gegenstand der Verletzung ist das Rechtsgut. Wie ihr Gegenstand, so ist auch die "Verletzung" ein hochabstrakter Begriff; in der Wirklichkeit gibt es nur "die einzelnen Verletzungen" von Rechtsgütern. Die Verletzung hat somit - wie das Rechtsgut - kategorialen Charakter. Besteht dasRechtsgut in einern bestimmten ideellen Zustand, dann kann man die Rechtsgutsverletzung vorläufig kennzeichnen als bestimmte ideelle Veränderung eines derartigen Zustandes. Bei der näheren Bestimmung des 36 Ähnlich Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 27; Schmidhäuser, Göttinger Festschrift OLG CeUe, S.236. A. A. Welze!, ZStW Bd. 58, 511 ff. (Anm. 30); Gallas, GA 1957,318; hier wurde die verfehlte Rechtsgutsdefinition von den Kritikern des - nur infolgedessen verfehlten - Unrechtsbegriffs übernommen; die an sich berechtigte Kritik beschränkte sich also auf Symptome. 37 Auch dieser Mangel fUhrt zwangsläufig zu einem unzutreffenden Unrechtsbegriff; die Kritik daran ist somit völlig berechtigt. Von der herrschenden Lehre wurde jedoch das gleiche Phänomen ist schon in der vorigen Anmerkung angesprochen - nicht etwa die Definition des Rechtsgutes reformiert, sondern der Unrechts begriff so umgestaltet und erweitert, daß der "historische Zusammenhang zwischen Rechtsgutsbegriff und Kausaldogma" erhalten blieb und nur in seiner Bedeutung innerhalb der Unrechtslehre durch die Aufnahme anderer - "personaler" - Momente relativiert wurde. V gl. etwa Dahm, ZStW Bd. 57, 231 i. V. m. 233 f.; Schaffstein, DStR 1937, 342 f.; Wetze!, ZStW Bd. 58, 516. 38 Vgl. diese Kritik bei Schaffstein, Verbrechen als Pflichtverletzung, S. 14, und DStR 1937,338,347; Hellmuth Mayer, DStR 1938, 80; Dahm, ZStW Bd. 57,233 f.; Wetze!, ZStW Bd. 58, 511 Anm. 30; Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 14; Sina, Dogmengeschichte, S. 94. 39 Im Schrifttum ist diese Frage bisher kaum erörtert worden; eine umfassende Behandlung fehlt völlig. Die vorhandenen Stellungnahmen beschränken sich zumeist auf AusfUhrungen über die Bedeutung der Kausalität. Neuestens hat jedoch Woh!ers, GA 2002, 17 f., die Angriffsarten fUr die Prüfung der Legitimität von Straftatbeständen in den Vordergrund gerückt.

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Verletzungsbegriffs finden sich sämtliche oben erörterten Merkmale des Rechtsgutes in der Negation als Attribute jener Veränderung wieder: "Verletzung" ist die sozialethisch wertwidrige, sozial schädliche Zustandsveränderung. Sozialethisch wertwidrig ist die Veränderung eines fiir die Gesellschaft besonders wertvollen Zustandes nur dann, wenn sie einem Willensverhalten40 zuzurechnen ist. Kann somit das Rechtsgut nur durch menschliches Verhalten verletzt werden, so ist andererseits aber auch jedes Rechtsgut grundsätzlich durch jedermann verletzbar; weder mit dem Begriff des Rechtsgutes noch mit dem Begriff der Verletzung ist die Beschränkung auf einen Teil der Rechtsgenossen vereinbar. Des weiteren muß ein derart sozialethisch wertwidriges Verhalten sozialschädlich sein, um dem Begriff der Rechtsgutsverletzung zu genügen; lediglich gemeinlästige Verhaltensweisen reichen hierfiir nicht aus. Sind damit Gegenstand und Begriff der Verletzung umrissen, so erhebt sich nunmehr die Frage, wie die Verletzung konkret erfolgt. Da das Rechtsgut in der Wirklichkeit nur in den in der betreffenden Weise als wertvoll erlebten Rechtsgutsobjekten existiert, kann es nur in diesen verletzt werden, nämlich durch ein auf eine sozialschädliche Veränderung bezogenes, sozialethisch wertwidriges Verhalten. 41 Die Rechtsgutsverletzung erfolgt somit stets durch einen Angriff auf ein Rechtsgutsobjekt. "Angriff" ist dabei zu verstehen als ein schadensgeneigtes, d. h. das Rechtsgutsobjekt gefiihrdendes äußeres Verhalten, das einem Willen zuzurechnen ist. 42 Kein Angriff in diesem Sinne ist die bloße Schädi40 Die Darstellung folgt insoweit im wesentlichen der Auffassung von Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 176 ff., dessen Charakterisierung des Unrechts- und des Schuldsachverhalts als sozialethisch wertwidriges Willens- bzw. geistiges Verhalten der Text grundsätzlich übernimmt; die Entgegensetzung von "Willen" und "Wissen" zur Abgrenzung von Unrecht und Schuld (a. a. 0., S. 146 Anm.40) erscheint dort jedoch weder vom Begriff des Willensverhaltens - in seinem Unterschied zum Begriff des geistigen Verhaltens (a. a. 0., S. 87) - noch von seiner Einflihrung in die Unrechtslehre her (a. a. 0., S. 168) als zwingend gefordert. Die Kennzeichnung des Unrechts als Willensverhalten ist daher hier in dem Sinne zu verstehen, daß nur (aber auch alle) diejenigen täterpsychischen Bestandteile (Willensziele und Bewußtseinsinhalte) eines gutsverletzenden Verhaltens, die nicht auf den Wert als Wert, sondern allein auf dessen Wirklichkeitssubstrat bezogen sind, zum Unrecht gehören; hingegen sind die subjektiven Beziehungen des Täters zum verletzten Wert als solchem ein Element der geistigen Wertverfehlung, der Schuld. 41 Gallas, Gleispach-Festschrift, S. 61, hält eine solche Begriffsbildung flir methodisch verfehlt, weil sie "ein unzulässiges Nebeneinander von empirischer und wertender Betrachtungsweise" bedeute. Einen Beweis flir die behauptete Unzulässigkeit erbringt er jedoch nicht. Hingegen ebenso wie im Text schon Hellmuth Mayer, DStR 1938, 83: "Ein Gemeinschaftswert, der als durch verbrecherischen Angriff verletzbar strafrechtlichen Schutzes fähig und bedürftig ist, muß auch schlechterdings auf einen äußeren Zustand bezogen werden, der durch äußere Angriffe verändert wird." 42 Dieses Verhalten kann in einem Tun oder in einem Unterlassen bestehen. Dabei bilden die Rechtsgutsverletzungen durch tätigen Angriff den systematischen Ort desvon der gegenwärtigen Strafrechtsdogmatik z. T. in seiner Bedeutung und Leistungsfahigkeit überbewerteten - allgemeinen Handlungsbegriffs in der Verbrechenslehre. Zu-

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gung eines konkreten Gutes, der die Zurechenbarkeit zu einem willentlichen Verhalten fehlt, wie etwa bei der Schädigung durch Blitzschlag oder Hundebiß, durch eine rein mechanische Übertragung eines äußeren Kraftstoßes durch einen menschlichen Körper oder durch eine sog. Reflexbewegung. EbenfaHs kein Angriff ist die tatsächliche oder rechtliche Verfügung über ein Rechtsgutsobjekt durch den verfügungsberechtigten Rechtsgutsträger. Hier wird nun die Unterscheidung von sog. Indiviual- und sog. Gemeinschaftsrechtsgütern bedeutsam,43 bei der es sich nicht um die Charakterisierung qualitativ verschiedener Rechtsgüterarten handelt,44 sondern lediglich um eine Einteilung gemäß der Verfilgungsbefugnis über das Verletzungsobjekt, also um ein Problem des Merkmals "Verletzung": Bei den sog. Individualrechtsgütern ist das konkrete Tatobjekt ganz oder teilweise in die Disposition eines Individuums, des Rechtsgutsträgers,4S gesteHt, wie etwa bei der körperlichen Integrität oder dem Eigentum; macht der Betreffende nun von dieser Verfiigungsbefugnis Gebrauch, indem er sich rasiert oder frühstückt, so liegt darin nie ein "Angriff" auf das Rechtsgutsobjekt und folglich auch keine Rechtsgutsverletzung. Das gilt in gleicher Weise für die Einwilligung des Rechtsgutsträgers in Eingriffe Dritter in seine Rechtsgutsobjekte,46 denn die Erteilung einer Einwilligung ist nur eine spezieHe Form, in der jene Verfügungsbefugnis ausgeübt wird, und der Dritte, der bei Vorliegen einer solchen Einwilligung dem Einwilligenden etwa als Friseur die Haare kürzt oder als Nachbar beim FäHen eines toten Baumes mit zupackt, begeht keinen "Angriff" auf dessen Rechtsgutsobjekt, sondern er verhilft treffend weist Gallas, ZStW Bd. 67, 15, auf dessen "lediglich negative Funktion" hin: "Mit Hilfe des allgemeinen Handlungsbegrijfs läßt sich von vornherein ausscheiden, was überhaupt nicht ,Handlung' ... sein kann, weil schon deren generelle Merkmale fehlen: sei es die Körperbewegung, sei es (im Fall der Reflexbewegung oder der vis absoluta) deren Willentlichkeit." Ebenso Krauß, ZStW Bd. 76,19. 43 Vgl. dazu Maurach, Allg. Teil, S. 214. 44 Treffend Zimmerl, Aufbau des Strafrechts systems, S. 43: "Genau genommen gibt es nur Rechtsgüter der Gesamtheit; wenn man daneben auch von Rechtsgütern des einzelnen spricht, so ist dies lediglich eine ungenaue Ausdrucksweise." - Andererseits dienen auch die Gemeinschaftsrechtsgüter, etwa des Umweltstrafrechts, mittelbar dem Schutz von Individualinteressen; zutreffend Kuhlen, ZStW Bd. 105, 701 ff. 45 Richtet sich die Straftat gegen den Rechtsgutsträger, so ist er "der Verletzte" i. S. v. § 77. - Zur abweichenden Bestimmung dieses Begriffs gemäß § 172 StPO vgl. Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung, § 172 Rn. 9 ff. 46 Im Ergebnis ebenso, nämlich Fehlen der RechtsgutsverIetzung bei Einwilligung: Nowakowski, ZStW Bd. 63, 327 f. Das Verständnis des sog. Individualrechtsgutes, auf dem seine Begründung basiert, vermag jedoch nicht zu überzeugen und kann daher das an sich zutreffende Ergebnis nicht tragen. Seiner Meinung nach "ist Schutzobjekt in Wahrheit nicht die betreffende Lebenslage, der umschriebene Machtbereich an sich, sondern die Dispositionsgewalt einer Person über ihn." Ein solcher Rechtsgutsbegriff ist - von allen übrigen Mängeln einmal abgesehen - rur die Systematik des Besonderen Teils absolut unbrauchbar. - Derselbe Einwand richtet sich auch gegen die ähnlichen Begründungen durch Schmidhäuser, Allg. Teil, 8/124, und Zipf, Einwilligung, S. 28 ff.

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dem Rechtsgutsträger gerade zur vollen Entfaltung der Nutzungsmöglichkeiten seiner Rechtsgutsobjekte. 47 Zu erörtern bleibt nunmehr die Bedeutung des Merkmals "Angriff" fUr den Begriff der Rechtsgutsverletzung und damit rur den sachlichen Unrechtsunwert. Daß der Angriff auf ein Tatobjekt der einzige Weg48 zur Verletzung eines Rechtsgutes ist, ist bereits dargelegt worden. Es liegt auf der Hand, daß derartige Angriffe sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht von recht unterschiedlicher Intensität sein können. Ebenso wie die Art des angegriffenen Objekts bestimmt dieser Intensitätsgrad des Angriffs den Unwert des Verhaltens. So wie man - gemäß den in der Wirklichkeit artverschiedenen Tatobjekten - eine Vielzahl von Rechtsgütern kennt, so entspricht den verschiedenen Angriffsformen im Ideellen eine Fülle von Verletzungsarten. Nicht nur die Art des tUr die Gemeinschaft besonders wertvollen Zustandes, des Rechtsgutes, sondern erst dieses in Verbindung mit der Art seiner Veränderung, der Verletzung, prägt den sachlichen Unrechtsunwert. 49 Angesichts dieser überragenden Bedeutung der Verletzungsart tUr den Unrechtsbegriff bedarf es einer etwas detaillierteren Betrachtung der jenen unterschiedlichen Verletzungsarten zugrunde liegenden Formen des Angriffs auf ein Tatobjekt. Bisher war nur die Tatsache festgestellt worden, daß diese Angriffsformen die Verletzungsart und damit den Unrechtsgehalt mitbestimmen. Offen ist hingegen noch, welche Merkmale ein solcher Angriff aufweisen muß, um den Charakter einer Rechtsgutsverletzung zu haben, und in welchen Grundformen er erfolgen kann, denen dann ihnen nachgebildete Grundverletzungsarten entsprechen müßten. Zunächst sind somit die Voraussetzungen zu klären, unter denen ein Tatobjektsangriff das betreffende Rechtsgut verletzt. Hierbei geht die primäre Frage dahin, ob ein tatsächlich vorhandenes Objekt tatsächlich angegriffen sein muß oder ob es zur Verletzung des Rechtsgutes ausreicht, wenn das Objekt oder der Angriff, in denen der Täter sein Handeln als wertverletzend erlebt, nur in seiner Vorstellung existieren. Enthält der in Tötungsabsicht abgefeuerte Schuß auf eine Leiche eine Rechtsgutsverletzung? Die Antwort ergibt sich zwanglos aus dem Wesen der Rechtsgutsverletzung als einer speziellen

47 Da auf Grund einer jeden wirksamen Einwilligung des Rechtsgutsträgers der Rechtsgutsangriff entfällt und damit eine Rechtsgutsverletzung von vornherein nicht in Betracht kommt, ist die traditionelle Unterscheidung zwischen "Einverständnis" und "Einwilligung i. e. S." teleologisch entbehrlich. - A. A. Geerds, GA 1954, 263 f.; Dtto, Geerds-Festschrift, S. 621 f. 48 "Weg" ist insofern eine ungenaue Metapher, als in dem Angriff selbst immer schon das Rechtsgut verletzt wird. 49 Die eigenständige Bedeutung der Verletzungsart (neben der des Rechtsgutes) flir den Unrechtsgehalt betonen Schaffstein, DStR 1937,342; Kern, ZStW Bd. 64, 260, 276 ff.; Noll, ZStW Bd. 68, 181, und SchweizZStr. Bd. 80, 169. Das Bestreiten dieser Bedeutung käme einem Rückfall in den Kausalismus in der Unrechtslehre gleich.

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Form sittlichen Unwertes, nämlich des unter sachlichem Aspekt betrachteten materiellen Unrechts: Dieser besondere sittliche Unwert, um den es hier allein geht, wird sowohl durch einen tatsächlichen als auch durch einen nur vermeintlichen, d. h. nur vom Täter derart erlebten Tatobjektsangriff begründet. Der den sachlichen Unrechtsgehalt konstituierende Gegenstand der Verletzung ist eben das Rechtsgut, nicht das Tatobjekt. Jedoch ist jener Unterschied im Tatsächlichen nicht ohne Bedeutung rur den Unrechtsunwert, denn er liefert das Kriterium tUr die Grundeinteilung der Verletzungsarten in Rechtsgutsverletzungen durch tatsächlichen und Rechtsgutsverletzungen durch lediglich vorgestellten Objektsangriff. Innerhalb der Rechtsgutsverletzungen durch tatsächlichen Angriff ist wiederum zunächst das Merkmal "Angriff' zu präzisieren. Der Angriff ist definiert worden als ein das Verletzungsobjekt geflihrdendes äußeres Verhalten, das einem Willen zuzurechnen ist. 50 Die betreffende Veränderung muß sich also außenweltlich, d. h. nicht allein in der Täterpsyche, abspielen. Sie muß ferner ein Objekt gefährden, in dem der jeweilige Wert als wirklich erlebt wird; eine solche Geflihrdung erfolgt dann, wenn bei einem Verhalten die Möglichkeit des Schadenseintritts am Verletzungsobjekt naheliegt. Der Gefahrbegriffkann somit nicht ohne Beziehung auf das menschliche Erkenntnisvermögen gedacht werden. 51 Die Vorstellung einer objektiv absolut unerkennbaren Gefahr ist sinnIOS.52 Weitere notwendige Voraussetzungen ergeben sich aus der Funktion des Merkmals Tatobjektsgeflihrdung, nämlich der Konstituierung der Rechtsgutsverletzung als des sachlichen Unrechtsunwertes: Das Recht als soziale Lebensordnung macht es einmal erforderlich, die Frage der Erkennbarkeit der Gefährdung zeitlich und sachlich auf die konkrete Situation zu beziehen; nur das im Tatzeitpunkt und in der Tatsituation tur Menschen als schadensgeneigt erkennbare Verhalten kann im Hinblick auf diese Funktion sinnvoll als Angriff bezeichnet werden. Zum anderen macht jener Charakter des Rechts als Gemeinschaftsordnung die Objektivierung des Gefährdungsbegriffs erforderlich; das Urteil darüber, ob ein Verletzungsobjekt durch ein Verhalten gefährdet wird, darf nicht von dem individuellen Wissen des Täters um die Geflihrdung durch sein Tun abhängen, sondern es muß durch die Gesamtheit der als gesichert geltenden Erkenntnisse - ein Merkmal, das zwar nicht auf einen Durchschnitt beVgl. oben, S. 46. Der Begriff der Gefährdung verdankt seine Existenz und seine Berechtigung allein der Begrenztheit menschlicher Erkenntnisfiihigkeit; für denjenigen, der alle Kausalfaktoren eines gemeinhin als "gefiihrlich" erachteten physikalischen Zustandes kennt, gibt es keine Gefahr, sondern sein Urteil kann nur auf sicher bevorstehende Schädigung oder sichere Unschädlichkeit lauten. 52 Schon aus dem Gefahrbegriff folgt, daß als Gefiihrdung eines Tatobjekts nur ein solches Verhalten bezeichnet werden kann, bei dem die naheliegende Möglichkeit des Schadenseintritts überhaupt für Menschen erkennbar ist. 50 51

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zogen ist, aber auch nicht an das hervorragende Wissen eines Außenseiters anknüpft - auf der Grundlage der menschenmöglichen Erfassung der Situation bestimmt werden. Eine Tatobjektsgefährdung liegt somit dann vor, wenn ein Mensch mit dem allgemeinen Erfahrungswissen seiner Zeit unter Kenntnis aller Handlungsumstände bei Begehung der Tat die Möglichkeit einer Tatobjektsschädigung als naheliegend bewerten würde. Ist ein derartiges gefährdendes Verhalten, das also eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts rur ein Rechtsgutsobjekt bewirkt oder eine anderweitig bewirkte Schadensgeneigtheit abzuwenden unterläßt, einem menschlichen Willen zuzurechnen, dann stellt es einen "Angriff' auf dieses Tatobjekt dar. Geht man von einem solchen Begriff des Angriffs aus, so erhebt sich sogleich die Frage, welche dieser von einem Willen getragenen Tatobjektsgefährdungen rechtsgutsverletzend sind. Bisher war nämlich nur festgestellt worden, daß der Tatobjektsangriff der einzige Weg zur Rechtsgutsverletzung sei. Aber ebensowenig wie es sich dabei stets um einen Angriff auf ein tatsächlich existierendes Rechtsgutsobjekt handeln muß, ebensowenig braucht von vornherein jeder derartige Angriff rechtsgutsverletzend zu sein. Wo einem solchen Angriff die Eigenschaft der Rechtsgutsverletzung fehlt, das ergibt sich wiederum aus deren Funktion, den sachlichen Unrechtsgehalt zu begründen: dort nämlich, wo einem tatobjektsgefährdenden Willensverhalten der rur die Verletzung des betreffenden Rechtsgutes typische Unwert mangelt. Das ist dann der Fall, wenn ein - isoliert betrachtet - gefährdendes Verhalten eine bereits bestehende Gefahrensituation in der Weise beseitigt, daß die Gefahr rur das Tatobjekt im Vergleich zur Ausgangslage objektiv erkennbar gemindert wird;53 so ist etwa der medizinisch indizierte und lege artis vorgenommene Heileingriff, unabhängig vom Erfolg, der ihm beschieden ist, keine Verletzung des Rechtsgutes der körperlichen Integrität. Damit ist im wesentlichen umrissen, unter welchen Voraussetzungen eine zurechenbare Tatobjektsgefährdung das entsprechende Rechtsgut verletzt. Die Rechtsgutsverletzung durch Tatobjektsangriff ist dadurch in ihren allgemeinen Merkmalen umschrieben. Diese hochabstrakte Begriffsbestimmung bezeichnet aber lediglich die mindeste Gemeinsamkeit aller Rechtsgutsverletzungen und gibt damit nur den äußersten Rahmen möglicher Rechtsgutsverletzungen an. Innerhalb dieses Rahmens sind nunmehr die zwischen den einzelnen Tatobjektsangriffen und den ihnen entsprechenden Rechtsgutsverletzungen bestehenden Unterschiede im verwirklichten Unwert herauszuarbeiten. Bei dieser Kon-

53 Im Unterschied zum Handeln auf Grund einer Einwilligung, wo es bereits am Angriff fehlt, ist hier das objektsgefährdende willentliche Verhalten durchaus vorhanden, nur fehlt infolge des insgesamt gefahrmindernden Charakters der Unwert der Rechtsgutsverletzung. Ähnlich Roxin, Honig-Festschrift, S. 136, und Schmidhäuser, Allg. Teil, 8/120 ff.

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kretisierung des sachlichen Unwertgehaltes im Merkmal "Verletzung" ergibt sich zunächst, daß sich die Fülle denkbarer Tatobjektsangriffe auf wenige artgleiche Grundfonnen des Angriffs reduzieren läßt, denen dann die ihnen nachgebildeten Grundarten der Rechtsgutsverletzung korrespondieren. Da der Tatobjektsangriff als menschliches Verhalten objektive und subjektive Merkmale aufweist, müssen sich seine Grundfonnen entweder in objektiver oder in subjektiver Hinsicht voneinander unterscheiden. 54 Auf dieser Suche nach den grundlegenden Gestaltungen des sachlich betrachteten unrechten Verhaltens, den Verletzungsarten, seien zunächst die unrechtsrelevanten Differenzierungen im Objektiven betrachtet. Dabei erkennt man, daß die unterschiedliche Intensität des Angriffs den Unwert des Verhaltens prägt. Als Grundfonnen des Tatobjektsangriffs wird man daher die (ohne bleibende Schädigung vorübergehende) konkrete Gefährdung und die (eine dauernde Beeinträchtigung bewirkende) Verletzung ansehen können. Innerhalb beider wiederum bestimmen der Grad der Gefährdung bzw. die Tiefe des Eingriffs den Unwertgehalt. Ebenso wie in der Sphäre des Rechtsgutes der Wert des Tatobjekts55 rur den sachlichen Unrechtsgehalt maßgeblich ist,56 liefert im Bereich der Verletzungsart die Schwere des Angriffs das graduierbare Kriterium fiir den verwirklichten Unwert; so ist etwa das sachliche Unrecht der mehrfachen Lebensgetahrdung größer illsdas der einmaligen, das der Lebenszerstörung größer als das der Lebensgefährdung. 57 Die Intensität des Angriffs - und damit auch 54 Daß subjektive Merkmale das sachliche Unrecht prägen, ist angesichts der hier zugrunde gelegten Begriffsbestimmung kein Widerspruch in sich. Sind sachliches und personales Unrecht Aspekte des Unrechts, dann müssen objektive und subjektive Merkmale in beiden in gleicher Weise bedeutsam werden. Die rechtsinhaltliche Unterscheidung des personalen und des sachlichen Unrechtsaspektes ist eben auch nicht im entferntesten mit der formalen Differenzierung objektiver und subjektiver Verhaltensmerkmale gleichzusetzen. 55 Eine Ausnahme bildet insoweit nur das Rechtsgut des menschlichen Lebens, das nach abendländischem Wertverständnis in jeder Person in gleicher Weise einzigartig existiert und deshalb Wertabwägungen unter seinen Rechtsgutsobjekten nicht zugänglich ist. Der entgegengesetzten Auffassung Kerns, ZStW Bd. 64, 277, kann nicht gefolgt werden. 56 In dieser Formulierung ist auch der Fall eingeschlossen, daß ein Realgegenstand gleichzeitig rur mehrere Rechtsgüter das Verletzungsobjekt bildet, wie etwa das zum Gottesdienst bestimmte oder das bewohnte Gebäude; ein Angriff darauf richtet sich nicht nur gegen das Rechtsgut des Eigentums, sondern zugleich gegen die Schutzobjekte des religiösen Empfindens bzw. des menschlichen Lebens. 57 Dagegen ist die "grausame Tötung" eines Menschen selbst in ihren objektiven Merkmalen keine besonders intensive Form des Tatobjektsangriffs bei der Verletzung des Rechtsgutes Leben, sondern eine Kombination aus zwei Rechtsgutsverletzungen; in demselben Tatobjekt wird ein Leben zerstört und zugleich durch eine außergewöhnlich starke Schmerzzurugung in die körperliche Integrität in besonders intensiver Form eingegriffen. In ähnlicher Weise werden sich viele komplexe Unwertsachverhalte bei genauerer Betrachtung in Verletzungen mehrerer Rechtsgüter auflösen.

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der durch sie geprägte Unwertgehalt - wird aber nicht nur durch die Tiefe des Eingriffs, sondern durch die Gesamtheit der für die konkrete Gefährdung oder Verletzung bedeutsamen objektiven Merkmale des unrechten Verhaltens, wie vor allem durch die eingesetzten Angriffsmittel,58 bestimmt; so bilden beispielsweise die Eigentumsverletzungen durch Einbruch, durch Täuschung oder unter Verwendung falscher Schlüssel spezifische Angriffsarten mit einem im Vergleich zur unspezifischen Grundform des Tatobjektsangriffs, der Verletzungsverursachung, jeweils gesteigerten Unwert. Ebenso wie die objektive Intensität des Tatobjektsangriffs für die Rechtsgutsverletzung als den sachlichen Unrechtsgehalt maßgeblich ist, ist es auch die subjektive. Nach den bisherigen Darlegungen war für den Tatobjektsangriff und damit auch für den Begriff des sachlichen Unrechts - an subjektiven Merkmalen nur die WiIIentlichkeit der Geflihrdung, d. h. die Zurechenbarkeit einer Gefahr für ein Verletzungsobjekt zu einem Willensverhalten, vorausgesetzt. Jene hochabstrakte Definition des Tatobjektsangriffs benennt aber nur das subjektive Minimalerfordernis jeglichen Unrechts, die für das Unrecht begriffsnotwendige Beziehung des Verhaltens auf ein Subjekt. Damit ist zwar die gemeinsame subjektive Grundlage allen unrechten Verhaltens bestimmt, aber noch nichts Konkretes über die Bedeutung subjektiver Momente für den Unrechtsunwert ausgesagt. Unter diesem Gesichtspunkt, nämlich zur inhaltlichen Erfassung des verwirklichten Unwertes, sind aber - ebenso wie im objektiven Bereich innerhalb der "Gefährdung" - Differenzierungen innerhalb der unrechtsrelevanten Beziehungen des Subjekts zu seinem Verhalten erforderlich. Das sachliche Unrecht, um dessen Unwertgehaltsbestimmung es hier geht, war defmiert worden als Betrachtung des Unrechts im Blick auf den Verletzten. Der jeweils Verletzte selbst wie auch die Rechtsgemeinschaft aber erlebt sich nicht als durch alle auf einem Willensverhalten beruhenden Beeinträchtigungen gleichmäßig verletzt, sondern differenziert innerhalb der Angriffe nach deren subjektiver Intensität, nämlich in erster Linie danach, ob man sich als das Ziel, als ein mögliches Objekt oder als ein bloßes Unachtsamkeitsopfer des VerletzerwiIIens weiß. Demgemäß sind nach dem Umfang des WiIIens- und des Vorstellungsinhalts als subjektive Grundformen des Angriffs die beabsichtigte, die bewußte und die unbewußt-unbeabsichtigte Tatobjektsgefährdung zu unterscheiden, denen in der Sphäre des Rechtsgutes hiervon abgeleitete Grundverletzungsarten von entsprechend unterschiedlicher Unwertintensität korrespondieren; so bildet beispielsweise die beabsichtigte Körperverletzung ein größeres 58 Gemeint sind hier diejenigen Angriffsmittel, deren Bedeutung rur das Unrecht gerade in der Ausgestaltung einer spezifischen Angriffsart liegt. Soweit hingegen das verwendete Angriffsmittel den Verhaltensunwert deswegen steigert, weil es zugleich andere Rechtsgüter verletzt (z. B. Eigentumsverletzung unter Einsatz gemeingefährlicher Mittel oder mit Waffen), handelt es sich um das in der vorigen Anmerkung erörterte Phänomen.

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sachliches Unrecht als die nur bewußte und diese wiederum ein größeres als die unbewußt-unbeabsichtigte. Ist die Relevanz dieser verschiedenen subjektiven Beziehungen zur Verletzung rur den Verhaltensunwert unmittelbar einsichtig, so soll nunmehr anband der einzelnen Verletzungsarten verdeutlicht werden, daß sie gerade den Unrechtsunwert prägen. Daß auch die ihres Angriffscharakters nicht bewußte (und den Angriff folglich auch nicht beabsichtigende) Tatobjektsgefährdung das Rechtsgut verletzt, ist bereits festgestellt worden. Die Willentlichkeit der Gefährdung, d. h. die Zurechenbarkeit einer Gefahr rur das Rechtsgutsobjekt zu einem willensgetragenen Verhalten, ist die zwar notwendige, aber auch hinreichende subjektive Voraussetzung rur die Begründung des materiellen Unrechts. 59 Allerdings sind die bewußte und die beabsichtigte Tatobjektsgefährdung zwei konkrete Angriffsformen, durch die die Gemeinschaft in den rur sie besonders wertvollen Gütern tiefer verletzt wird als durch eine zwar einem willentlichen Verhalten zurechenbare, dem Verhaltenssubjekt aber nicht bewußte Gefährdung eines Rechtsgutsobjekts. Innerhalb der bewußten Angriffe wiederum werden die Unwertstufen durch die Wahrscheinlichkeit der vorausgesehenen Verletzung bestimmt. . Der beabsichtigte Tatobjektsangriff schließlich begründet die in subjektiver Hinsicht intensivste Form der Rechtsgutsverletzung. 6o Die subjektiv schwerste Art des Unrechts ist diejenige, in der die Rechtsgutsverletzung nicht nur bewirkt und als solche erkannt, sondern sogar erstrebt wird, d. h. das Tatziel bildet. Kommt es dem Täter etwa gerade auf die schweren Folgen einer Körperverletzung an, so ist das von ihm begangene Unrecht größer, als es bei deren unbeabsichtigtem Eintritt wäre. Die Unrechtsbegründung durch einen lediglich vorgestellten Tatobjektsangriff, also etwa durch einen in Tötungsabsicht auf eine Leiche abgefeuerten 59 Sie ist hinreichend, weil die Gefahr fIlr das Tatobjekt nicht nur unabhängig vom Bewußtseinsinhalt und vom Willensziel des Verhaltenssubjekts, sondern sogar entgegen bei den begründet sein kann und deshalb fIlr einen objektiven Betrachter ohne Wissen um diese subjektiven Momente allein aus dem Durchschauen der äußeren Situation erkennbar ist. Diese Unabhängigkeit der Gefahr vom Willensziel zeigt sich deutlich vor allem bei der rechtlich relevanten Unterlassung, bei der eine rein objektiv begründete Gefahr überhaupt erst die Voraussetzung fIlr die normative Anknüpfung eines erwarteten Willensverhaltens bildet. 60 Daß es unzulässig ist, den beabsichtigten und den nur bewußten Tatobjektsangriff unter dem Oberbegriff des "gewollten" zusammenzufassen und den so bestimmten Willen (mit dem Vorsatz gleichzusetzen und ihn) zum subjektiven Unrechtsfaktor zu erklären, hat schon Schmidhäuser, ZStW Bd. 66, 33 ff., nachgewiesen. Es handelt sich hier eben um zwei im Phänomen und im Unwertgehalt verschiedene Arten subjektiver Beziehung des Täters zu seinem Verhalten.

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

Schuß, unterscheidet sich von der soeben behandelten nur insoweit, wie sich das aus ihrem Mangel an realer Verletzung zwangsläufig ergibt. So folgt etwa aus der Natur des nur vermeintlichen Tatobjektsangriffs, daß es eine unbewußte Gefährdung oder Verletzung dieser Art nicht geben kann, sondern nur Rechtsgutsverletzungen durch vorgestellten und durch beabsichtigten Tatobjektsangriff möglich sind. Wird aber der besondere sittliche Unwert auch durch einen vermeintlichen, d. h. nur vom Verhaltenssubjekt derart erlebten Tatobjektsangriff ebenso begründet wie durch einen tatsächlichen,61 so ist jener Mangel an realer Gefährdung oder Verletzung für den sachlichen Unrechtsgehalt doch nicht irrelevant; der Unrechtsunwert des nur vermeintlichen Tatobjektsangriffs ist gegenüber dem realen in einem ähnlichen Verhältnis geringer wie der einer bloßen Gefährdung im Vergleich zu einer effektiven Verletzung des Tatobjekts.

bb) Der personale Unrechtsaspekt Mit den vorstehenden Ausführungen sind der Begriff der Rechtsgutsverletzung und damit das unter sachlichem Aspekt betrachtete materielle Unrecht als systematische Grundlage der Sonderdeliktsdefinition hinreichend geklärt. Will man den von einem :unrechten Verhalten verwirklichten Unwert jedoch voll erfassen, so muß man dieses Verhalten, wie bereits dargelegt, auch im Hinblick auf den die Rechtsgemeinschaft in ihren Gütern Verletzenden sehen. Als Verfehlung erkennt man hier, daß der Täter seiner sittlichen Pflicht zur Achtung des von ihm angegriffenen Rechtsgutes nicht nachgekommen ist; unter persona/em Aspekt erscheint der Unrechtsunwert somit als Pflichtverletzung. Im Gegensatz zum soeben erörterten sachlichen Unrechtsgehalt, der - ungeachtet erheblicher Meinungsverschiedenheiten im einzelnen - in der gegenwärtigen Strafrechtsdogmatik überwiegend als Rechtsgutsverletzung verstanden wird, sind beim personalen Unrecht die Bestimmungen des Gemeinten so grundsätzlich kontrovers, daß eine kurze Beleuchtung der vertretenen Standpunkte zur Erhellung der eigenen Position unumgänglich ist. Am Ursprung der personalen Unrechts/ehre überhaupt stand die Erkenntnis, "daß es schon nach dem bisher geltenden Recht falsch ist, den materiellen Unrechtsgehalt sämtlicher Delikte ausschließlich in einer Rechtsgutsverletzung zu sehen,,62; das Strafrecht muß vielmehr "notwendig ausgehen von der Person des

61 Dem widerspricht nicht, daß die "Sozialschädlichkeit" vorstehend als notwendiges Merkmal jeglichen Unrechts herausgearbeitet worden ist; sie besteht nach der hier getroffenen und zugrunde gelegten Begriffsbestimmung nämlich nicht in der Beeinträchtigung oder Einbuße wertvoller Realobjekte, sondern ist die Kehrseite der "besonderen" Werthaftigkeit des verletzten Sozialzustandes. 62 Schaffstein, Verbrechen als Pflichtverletzung, S. 25.

I. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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Verpflichteten und ihrem konkreten Pflichtenkreis,,63. Der richtige Kern dieser Urform der personalen Unrechtslehre bestand in dem nachdrücklichen Hinweis auf "die selbständige Bedeutung des Pflichtverletzungsmoments für das Unrecht,,64; hingegen kann ihr bei der angestrebten "Akzentverlagerung,,65 innerhalb des Unrechts von der Rechtsgutsverletzung auf die Pflichtverletzung nicht gefolgt werden, da diese zu einer Unterbewertung der Rechtsgutsverletzung führte,66 anstatt die Unrechtslehre um den Aspekt der Pflichtverletzung zu erweitern. Gegenwärtig am weitesten verbreitet ist die dogmengeschichtlich nur wenig jüngere zweite Spielart der personalen Unrechts lehre. In ihrem Ausgangspunkt gleicht sie der ersten: "Nicht die von der Täterperson inhaltlich abgelöste Erfolgsverursachung (Rechtsgüterverletzung) erschöpft das Unrecht.,,67 Im Unterschied zu jener geht es ihr aber nicht primär darum, den Unwertgehalt jedes Verbrechens als Verletzung einer sittlichen Pflicht zu erweisen, sondern darum, den Unrechtsbegriff an der Handlungslehre auszurichten. Die Kennzeichnung als personales Unrecht ist deshalb hier zu verstehen als Subjektivierung des Unrechtsgehaltes,68 als Einbeziehung der subjektiven Merkmale des Handlungsbegriffs in die Bestimmung des Unrechtsunwertes. Dementsprechend werden der personale Handlungsunwert und der Sachverhalts- oder Erfolgsunwert (identifiziert mit der Rechtsgutsverletzung) einander gegenübergestellt: Der durch Zielsetzung, TateinsteIlung, Gesinnung und obliegende Pflichten bestimmte Handlungsunwert wird zum generellen, d. h. für das Unrecht allein begriffsnotwendigen Unwert erklärt,69 zu dem als "unselbständiges Moment bei zahlreichen Delikten,,70 die Rechtsgutsverletzung hinzukomme. Es fragt sich aber, ob dieser aus der Handlungslehre hergeleitete Gegensatz von Handlung und Erfolg zur Grundlage der Unterscheidung von sachlichem und personalem Unrecht gemacht werden darf, ob also eine derartige Gleichsetzung methodisch fundiert und dogmatisch fruchtbar ist. Schon die Identifizierung von Rechtsgutsverletzung und Erfolgsunwert ist unhaltbar; 71 bereits in ihr liegt aber die Ursache dafür, daß auch von dieser Spielart die umfassende Bedeutung der RechtsgutsverSchaffstein, Verbrechen als Pflichtverletzung, S. 11. Schaffstein, Verbrechen als Pflichtverletzung, S. 25 Anm. 16. 65 Schaffstein, Verbrechen als Pflichtverletzung, S. 21; kritisch schon Hellmuth Mayer, DStR 1938, 99. 66 V gl. etwa Schaffstein, Verbrechen als Pflichtverletzung, S. 3 I; überdies fehlte es an einer klaren Unterscheidung von Sonder- und Gemeinpflicht, ohne die die (Gemein)Pflichtverletzung nicht als Aspekt des materiellen Unrechts erkannt werden kann. 67 We!ze!, Strafrecht, S. 62. 68 Würtenberger, Die geistige Situation. S. 48 f., 52 f. 69 We!ze!, Strafrecht, S. 62. 70 We!ze!, Strafrecht, S. 62. 71 Gegen eine derartige Gleichsetzung z. B. schon Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 26. 63

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

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letzung rur das materielle Unrecht verkannt wird und ,jene Verengung des Bereichs der Rechtswidrigkeit durch Überbetonung des subjektiven Moments"n erfolgt. Auf der anderen Seite verliert durch die Einbeziehung sämtlicher subjektiver Handlungselemente in den Unrechtsbegriff - also beispielsweise auch der Motivationen und Gesinnungen, die einen qualitativ völlig andersartigen Unwert begründen als die die Rechtsguts- und Pflichtverletzung konstituierenden subjektiven Merkmale - die Schuldwertung ihren eigenen Gegenstand. Da überdies damit zugleich die Erkenntnis des Aspektcharakters von sachlichem und personalem Unrecht verhindert wird, kann auch diese Bestimmungsart des personalen Unrechts nicht als sachgerecht angesehen werden. Die dritte Grundform der personalen Unrechtslehre schließlich bezeichnet als personalen "den Unrechtsgehalt, der auf der personalen Entscheidung beruht, also nicht bezogen auf die Individualität der Person, sondern auf das Ich der sittlichen Entscheidung. Hier bestände das Unrecht in der Willensäußerung oder Willenseinstellung, die sich gründet auf die Freiheit der Person. Das Unrecht wäre in dieser Sicht Bruch der Gemeinschaftsbeziehung. Deshalb ist Voraussetzung eines personalen Unrechtsgehalts der Tat in diesem Sinn die Verantwortungsfahigkeit der Person.,,73 Auch die "Frage, ob die Größe der Schuld einen Einfluß auf die Bewertung des Unrechts haben kann",74 wird bejaht: Verminderte Schuld vermindere auch das personale Unrecht, fehlende Schuld schließe es völlig aus. "Die Schuld gehört in ihrem ganzen Umfang mit zum Unrecht.'~7s Personales Unrecht und Schuld können nicht voneinander geschieden werden, denn "sie sind nur verschiedene Aspekte ein- und desselben Verhältnisses, nämlich eines ,nicht in Ordnung seienden' Gemeinschaftsverhältnisses"76; hingegen ist -' und das ist der Haupteinwand gegen diese Lehrmeinungnicht versucht worden, den Nachweis zu erbringen, daß das geltende Recht derart strukturiert ist. 77 Auch die letzte der drei bisher im Schrifttum entwickelten·

Würtenberger, Die geistige Situation, S. 49. Hardwig, ZStW Bd.68, 22; ähnlich MonSchrKrim. 1961, 197 f. Neben der im Text wiedergegebenen Begriffsbestimmung definiert Hardwig, ZStW Bd. 68, 21 f., noch einen "personalen Unrechtsgehalt im weiteren Sinne"; er erklärt es jedoch selbst fiir "vorteilhafter, den Ausdruck, ,personaler Unrechtsgehalt' ausschließlich dem Unrechtsgehalt vorzubehalten, der auf der sittlichen Verantwortung basiert" (ZStW Bd. 68, 21 Anm. 11 b). - Dieser Auffassung folgt Otto, ZStW Bd. 83, 46 Anm. 17. 74 Hardwig, MonSchrKrim. 1961, 204. 75 Hardwig, ZStW Bd. 68, 31. 76 Hardwig, MonSchrKrim. 1961, 205. 77 Das notwendige Scheitern dieses Versuches hätte zu einer Rückbesinnung auf die hypothetischen Voraussetzungen dieser Auffassung und zu einer entsprechenden Präzisierung bei ihrer Darstellung gezwungen. So aber wurden die Vermischung von Denkmodell und Rechtswirklichkeit und die aus ihr resultierenden Mißverständnisse zur Ursache der einhelligen Ablehnung dieser Bestimmung des personalen Unrechts. 72

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Hauptarten personaler Unrechtsbestimmung vennag deshalb nicht zu überzeugen. "Personales Unrecht" ist somit weder rechtsgutsunabhängige Pflichtwidrigkeit noch erfolgskupierter Handlungsunwert noch schuldhafter Gemeinschaftsbruch, sondern ein Aspekt des Unrechts, nämlich seine Betrachtung im Blick auf den Verletzenden, dem Unwertgehalt nach Verletzung einer sittlichen Pflicht. Sachliches und personales Unrecht (Rechtsguts- und Pflichtverletzung), deren Zuordnungsverhältnis mit Akzentverlagerung auf die Pflichtverletzung78 , Verabsolutierung des Handlungsunwertes 79 und untrennbarer Durchdringung80 nur unzureichend und zum Teil sogar unzutreffend bestimmt war, sind als bloße Aspekte des gleichen Gegenstandes erkannt worden. 81 Die strafrechtsdogmatische Erforderlichkeit einer derartigen Unterscheidung von sachlichem und personalem Unrecht trotz völligen Korrespondierens im Gehalt ist grundsätzlich bereits aufgezeigt worden. 82 So löst die Erkenntnis, daß es sich bei der Pflichtverletzung um das unter personalem Aspekt betrachtete materielle Unrecht handelt, zwanglos das umstrittene Problem ihrer systematischen Einordnung als Unrechts- oder als Schuldelement: 83 Das so verstandene personale Unrecht ist mit der Unterscheidung von Rechtswidrigkeit und Schuld nicht nur nicht unvereinbar,84 sondern ennöglicht gerade die eindeutige Abgrenzung beider mittels eines rechtsinhaltlichen Kriteriums. 85 Dieser Aspektcharakter des personalen Unrechts, d. h. die strenge "Parallelität" zur Rechtsgutsverletzung als dem sachlichen Unrechtsgehalt, soll abschlie78 Schaffstein, Verbrechen als Pflichtverletzung, S. 21. Das Begnügen mit der unverbindlichen Akzentverlagerung, wo eine präzise Zuordnung erforderlich gewesen wäre, kritisierte schon Hellmuth Mayer, DStR 1938,99; kritisch auch Schwinge/Zimmerl, Wesensschau, S. 55. 79 Welzel, Strafrecht, S. 59 ff.; kritisch Jäger, Rechtsgüterschutz, S. 25 f. 80 Hardwig, MonSchrKrim. 1961, 194. 81 Im Schrifttum ist diese Meinung über das Verhältnis von sachlichem und personalem Unrecht jedenfalls ausdrücklich bisher nicht vertreten worden. Über ähnliche Auffassungen vgl. oben, S. 38 Fn. 14. 82 Vgl. oben, S. 36 ff. 83 Die Pflichtverletzung wird als Schuldmoment gekennzeichnet beispielsweise von Kohlrausch, Bumke-Festschrift, S.48; Richard Lange, JR 1949, S. 167; Kohlrausch/Lange, StGB, § 54 Anm. III; hingegen wird sie zum Unrechtsbestandteil erklärt etwa von Maurach, DStR 1936,125; Kern, ZStW Bd. 64,262; Gallas, GA 1957, 318 f., und Deutsche Beiträge zum VII. Internationalen Strafrechtskongreß, S.37. Die unterschiedliche Einordnung führt zu unterschiedlichen Rechtsfolgen und hat somit eine eminent praktische Bedeutung. 84 Gallas, Deutsche Beiträge zum VII. Internationalen Strafrechtskongreß, S. 37 Anm. 53; a. A. Kohlrausch/Lange, StGB, Vorbem. III 1 vor § 1. 85 Treffend Hellmuth Mayer, DStR 1938, 81: "Wer die Pflichtwidrigkeit schon in den Begriff des Unrechts hineinnimmt, der kommt irgendwie zum Prinzip der Tatschuld zurück."

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

ßend im einzelnen aufgewiesen werden. Im Blick auf den Täter erscheint der sittliche Unwert seines Verhaltens als Pflichtverletzung. Begründet wird dieser personale Unwertgehalt jeglichen Unrechts ebenso wie der der Rechtsgutsverletzung kategorial: Die Pflichtverletzung als personaler Unrechtsaspekt liegt entweder vor oder nicht vor; die konkrete Situation entscheidet allenfalls über das Erlaubtsein aus übergeordneten Gesichtspunkten, und eine spezifische Pflichtenstellung des konkreten Subjekts in der Gemeinschaft mag zwar in Einze!f!il1en fiir die Modifizierung eines anderweitig begründeten Unwertgehaltes bedeutsam sein, sie betrifft aber nicht die Begründung jeglichen Unrechts als Sachelement des Verbrechens. 86 Wer beispielsweise einen Menschen tötet, der verletzt seine Pflicht zur Achtung des Lebens, und diese den personalen Unrechtsgehalt begründenden Voraussetzungen bleiben als solche unberührt, wenn die Tötung infolge Notwehr erlaubt ist und es damit am Unrecht als Sachelement des Verbrechens fehlt; und die in der Tötung enthaltene Pflichtverletzung bildet eine Sinneinheit, die - ungeachtet der unbestreitbaren Unwertbedeutung dieser Unterschiede - nicht dadurch aufgelöst wird, daß etwa einmal ein Deszendent, einmal ein Arzt und einmal ein Kraftfahrer die Tötung begangen hat. Allein diese kategorialen Sinneinheiten, in denen Wertverletzungen von der Rechtsgemeinschaft erlebt werden und die im Blick auf den Verletzten als Rechtsguts-, im Blick auf den Verletzenden als Pflichtverletzung erscheinen, bilden den begriffsnotwendigen materiellen Gehalt eines jeden Unrechts. Betrachtet man ihre innere Struktur unter personalem Aspekt, so fmdet man - nur eben unter anderem Blickwinkel - naturgemäß alle Merkmale wieder, die man bereits bei ihrer Betrachtung als Rechtsgutsverletzung erkannt hat. Diese Entsprechung gilt selbst schon rein äußerlich fiir die Unterscheidbarkeit der "Pflicht" und ihrer "Verletzung" als den Elementen des personal betrachteten Unrechtsunwertes. Jedem Rechtsgut als einem fiir die Gemeinschaft besonders wertvollen Zustand korrespondiert eine jedennann obliegende sittliche Pflicht,87 es zu achten. 88 Sie entsteht mit der Anerkennung eines Sachverhaltes als beson-

86 Bereits Schaffstein, Verbrechen als Pflichtverletzung, S. 21, hat diese Verschiedenheit zwischen den ausschließlich infolge von Unterschieden in den angegriffenen RechtsgOtern unterschiedlichen Pflichtverletzungen und den "Differenzierungsmöglichkeiten, die der Pflichtverletzungsgedanke in sich selbst enthält" - nämlich eben die Verstöße gegen spezielle Pflichtenkreise auf Grund besonderer sozialer Stellungen -, gesehen, er hat sie jedoch eher zu nivellieren versucht anstatt den qualitativen Gegensatz herauszuarbeiten. Auf die Vieldeutigkeit, die der Ausdruck "Pflichtverletzung" dadurch in jener Abhandlung besitzt, hat schon Hellmuth Mayer, DStrR 1938, 95, hingewiesen. 87 Ob Oberdies eine Rechtsnorm für die Nichterfüllung dieser Pflicht Sanktionen androht, ist hier, wo es nur um die Begriffsbestimmung des Unrechtsunwertes unter personalem Aspekt geht, unerheblich, weil es sich dabei um eine Frage des formellen Unrechtsmomentes handelt. 88 Auf den Beziehungszusammenhang zwischen Pflicht und Rechtsgut hatte schon Maurach, DStR 1936, 124, hingewiesen. Im Unterschied zu jener Auffassung Maurachs

l. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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derer Sozialwert, wird in ihrem Inhalt durch diesen charakterisiert und ist in ihrer Dringlichkeit von seiner Werthöhe abhängig. Wird sie verletzt, so wird dadurch personaler Unrechtsunwert begründet. Auch bezüglich der Bedeutung dieser Verletzung rur den Unrechtsgehalt entsprechen personales und sachliches Unrecht einander völlig: Auch der personale Unrechtsgehalt wird nämlich nicht nur von der Art der Pflicht, sondern ebenso durch die Art ihrer Verletzung geprägt. Die Verletzung der Pflicht erfolgt, wie die des Rechtsgutes, durch einen Angriff auf ein Rechtsgutsobjekt,89 und hier wie dort wird die Verletzungsart durch Merkmale dieses objektsgefährdenden Willensverhaltens gestaltet. So ist die Größe des Unrechtsunwertes, auch wenn man ihn im Blick auf den Täter zu erfassen sucht, vom Intensitätsgrad des Angriffs abhängig: Der wirkliche Tatobjektsangriff enthält eine gravierendere Verletzung der Achtungspflicht und damit ein schwereres personales Unrecht als der nur vermeintliche Angriff oder der Angriff auf ein lediglich in der Tätervorstellung existierendes Tatobjekt; der eine Dauerschädigung bewirkende Angriff enthält eine tiefere Verletzung jener Pflicht als der bloß geflihrdende; und der personale Unrechts gehalt einer erstrebten Verletzung ist größer als der einer nur bewußten und dieser wiederum ist größer als der einer unbewußten. Dieses vollkommene Korrespondieren des Unwertes der Rechtsguts- und der Pflichtverletzung ergibt sich, das sei abschließend noch einmal betont, daraus, daß es sich dabei um den sachlichen und den personalen Aspekt des materiellen Unrechtsmomentes handelt: Es ist eben der gleiche Unrechtsgehalt, der einmal im Blick auf den Verletzten und einmal im Blick auf den Verletzenden betrachtet wird.

b) Die Rechtsnormwidrigkeit (Das formelle Unrechtsmoment) Nicht der von einem unrechten Verhalten verwirklichte Unwert allein, sondern erst dieses materielle und das formelle Unrechtsmoment90 zusammen begründen das Unrecht als Sachelement des Verbrechens. Zum Schutz der wird jedoch im Text die Abhängigkeit von Rechtsgut und Pflicht als wechselseitig begriffen. 89 Wo bereits ein solcher Angriff nicht vorliegt, kann folglich auch keine Pflicht verletzt sein, und es fehlt daher am personalen Unrecht ebenso wie am sachlichen. Entsprechendes gilt dort, wo einem Tatobjektsangriff der für die Verletzung der betreffenden Pflicht typische Unwert fehlt (vgl. dazu oben, S. 50). 90 Dieses formelle Unrechtsmoment der Rechtsnormwidrigkeit darf nicht mit der strafgesetzlichen Schilderung der deliktstypischen Unrechtsmerkmale (Unrechtstatbestand), einem Formelement des Verbrechens, verwechselt werden. - Grundlegend anders die Definition des Unrechts als "Verhaltensweisen, die strafbar sein sollen", durch Hoyer, Strafrechtsdogmatik nach Armin Kaufmann, S. 84, der insoweit ohne das Merkmal der Rechtspflicht(verletzung) auszukommen meint.

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

Rechtsgüter erläßt die Rechtsgemeinschaft Vorschriften, die deren Verletzung unter Androhung von Sanktionen untersagen: die Rechtsnonnen. Nicht schon jede bestimmt geartete Wertverfehlung - nämlich jede mit den vorstehend erörterten Merkmalen -, sondern erst eine solche, die zugleich gegen ein derartiges rechtliches Verbot oder Gebot verstößt, konstituiert deliktisches Unrecht. 91 So ist beispielsweise jede unbefugte Benutzung eines fremden Telefons eine Rechtsgutsverletzung; auch rechtlich verboten ist das betreffende Verhalten jedoch nur, wenn es als Erschleichen der Leistung eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsnetzes in der Absicht geschieht, das Entgelt nicht zu entrichten (§ 265 a). Die Frage nach dem fonnellen Moment des Unrechts betrifft also das unrechte Verhalten in seiner Eigenschaft als Rechtsnonnwidrigkeit. 92 Die Erörterung des fonnellen Unrechtsmomentes muß deshalb mit einer Bestimmung der wesentlichen Merkmale des Rechtsnonnbegriffs beginnen. Die Rechtsnormen kann man vorläufig umschreiben als "verbindliche Befehle rechtlichen Inhalts,,93, als rechtliche "Regeln fiir menschliches Verhalten, und zwar allgemeine oder abstrakte Regeln, denn sie beanspruchen Gültigkeit ... fiir einen Komplex gleichartiger Fälle (abstrakte Imperative),,94, als staatliche "Gebote oder Verbote, ... deren Adressat unmittelbar die Gesamtheit der Rechtsgenossen ist,,95, als Bewertungsmaßstäbe und zugleich als Imperative. 96 Alle diese Umschreibungen setzen die Existenz von Rechtsnonnen voraus, die aber ihrerseits zu den besonders umstrittenen Fragen des Strafrechts gehört. 97 Die primäre Aufgabe jeder Nonnentheorie besteht daher in dem Nachweis, daß es die als vorhanden behaupteten Nonnen wirklich gibt. 98 Im Blick auf den Gegenstand dieser Abhandlung kann hier von einer umfassenden Erörterung jener bisher im Schrifttum vorgetragenen Nachweise, der dagegen erhobenen

91 Wertverfehlung oder Normverstoß allein vermag das Unrecht als Sachelement des Verbrechens nicht zu begründen. Die Möglichkeit einer solchen Diskrepanz von materiellem und formellem Unrechts moment ist oben, S. 34 f. erörtert worden. 92 Vgl. dazu die oben, S. 34 Fn. 3, als in der Sache übereinstimmend zitierten Lehrmeinungen. - Im Unterschied hierzu sieht Schmidhäuser, Engisch-Festschrift, S.441, "das Formale an der strafrechtlichen Unrechtsbegrundung" ausschließlich in der strafgesetzlichen Schilderung. 93 Binding, Normen I, S. 45 Anm. 19; Maurach, Allg. Teil, S. 219 ff. 94 Max Ernst Mayer, Rechtsphilosophie, S. 38. 95 v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 106; Frank, StGB, S. 3; Jescheck/Weigend, Allg. Teil, S. 233. 96 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 91 i. V. m. S. 174. 97 Maurach, Allg. Teil, S. 2 I 9 ff. 98 Skeptisch gegenüber der Möglichkeit eines solchen Nachweises Otto, Allg. Strafrechtslehre, § 5 Rn. 26.

I. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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Einwände und der Antikritik abgesehen werden. 99 Es sei nur soviel bemerkt, daß der angebliche Nachweis aus dem "Bedürfuis" des Gesetzgebers lOO ebensowenig zu überzeugen vermag wie die These, die Anerkennung eines das Strafgesetz tragenden Normensystems sei "rechtslogisch wie strafrechts dogmatisch geboten"IOI. Nicht aus ihrer vermeintlichen Erforderlichkeit, sondern nur aus dem geltenden Recht kann die Existenz von Normen erwiesen werden. Ein solcher Nachweis ist aber nur dann eindeutig möglich, wenn man - im Gegensatz zu der in der Normentheorie seit ihren Anfiingen J02 vorherrschenden Meinung l03 - das Faktum einer Rechtsfolgenandrohung J04 rur den Fall der Zuwiderhandlung und damit die relative Durchsetzbarkeit des Normbefehls in den Begriff der Rechtsnorm einbezieht. 105 "Hinter den Normen der Rechtsordnung steht die Zwangsgewalt des Staates. Die Rechtsnormen sind Zwangsnormen.,,106 Als selbständige Rechtssätze können somit die Normen zweifelsfrei nur dort erkannt werden, wo sie rur einen möglichen Verstoß gegen ihre Verbote oder Gebote Rechtsfolgen in Aussicht stellen. Damit ist zugleich auch die früher umstrittene Frage nach ihrer Herkunjtl07 beantwortet: Die Normen werden vom Inhaber der Rechtsrnacht erlassen,108 und

99 V gl. hierzu die eingehende Darstellung und Auseinandersetzung bei Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 3 ff., 41 ff. 100 Binding, Normen I, S. 51, der allerdings selbst nur von einem "Wahrscheinlichkeitsbeweis" spricht. 101 Maurach, Allg. Teil, S. 221; Freund, Allg. Teil, § I Rn. I\. Die Straftatbestände können ohne Verstoß gegen die Logik als unmittelbar auf fundierenden Unwertsachverhalten aufbauend begriffen werden, und strafrechtsdogmatisch können die Normen überhaupt nur dann relevant werden, wenn sie wirklich existieren. 102 Schon Binding, Normen I, S.45, definiert die Norm als "das rechtliche Verbot oder Gebot als solches ohne irgendwelche Hinweisung des Handelnden auf die Rechtsfolgen". 103 Vgl. aus dem neueren Schrifttum etwa Maurach, Allg. Teil, S. 223: "Die Befehlsnorm ist ein unvollkommener Rechtssatz, eine ,lex imperfecta'. Sie ... spricht keine Sanktionen für den Fall des Normungehorsams ... aus." Kritisch wohl auch Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 238: Es sei fraglich, ob diese Einteilung in ein Normenrecht und ein Sanktionsrecht zweckmäßig ist. 104 Hingegen ist die Art der angedrohten Rechtsfolge für den Normbegriffunerheblich. 105 Diesem Erfordernis genügt auch die im neueren Schrifttum verbreitete Differenzierung in "Verhaltensnormen" und "Sanktionsnormen" nicht, derzufolge die Strafvorschriften "Sanktionsnormen in diesem Sinne sind" (Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 59; ähnlich Freund, Allg. Teil, § I Rn. 12), die Verstöße gegen Verhaltensnormen voraussetzen. Deren Charakter als Rechtsnormen ist wegen der voraufgegangenen begrifflichen Abtrennung der Sanktionsandrohung nicht aufweisbar. 106 v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 6. 107 Vgl. Frank, StGB, S. I ff. 108 Bedenklich Maurach, Allg. Teil, S. 221: "Was den Wertvorstellungen der maßgebenden Schichten als allgemein verbindliches Sollen vorschwebt, das ist Rechtsnorm."

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

zwar erfolgt die Nonnierung zusammen mit der Strafbarkeitserklärung, sofern die betreffende Nonn nicht schon vorher positiv erlassen worden war oder gewohnheitsrechtlich galt. lo9 Ihre Aufgabe besteht im Schutz von Rechtsgütern, deren Beeinträchtigung sie verbieten oder deren Erhaltung sie gebieten. 110 "Der Rechtsschutz, den die Rechtsordnung den Lebensinteressen gewährt, ist Normenschutz." III Den gegenständlichen Umfang dieses Schutzes kann man aus der Nonn allein nicht entnehmen; denn die Nonn ist nicht situationsbezogen, sie befiehlt kategorisch und abstrakt, enthält somit nur die den Rechtsschutz begründenden Voraussetzungen, während sich die endgültige Entscheidung über das Handelndürfen (und damit über den Rechtsschutz rur den betroffenen Sozialwert) erst aus einer Gesamtbewertung der konkreten Tatsituation ergibt. So ist beispielsweise die Tötung auch in Notwehr (§ 32) nonnwidrig, aber nicht rechtswidrig. 1l2 Bezüglich jener rechtsschutzbegründenden Voraussetzungen ist in persönlicher Hinsicht der Umfang der Nonnen unbeschränkt: Adressaten der Normen sind alle Rechtsgenossen. 113 In sachlicher Hinsicht ist der Rechtsschutzumfang der Nonnen grundsätzlich zwar gleichfalls unbegrenzt - d. h. ein Sozialwert kann gegen jegliche Verletzung geschützt werden, wie es etwa beim menschlichen Leben der Fall ist -, aber in der Rechtspraxis ist solch ein umfassendes Verletzungsverbot eine seltene Ausnahme. Regelmäßig wird der Nonnumfang auf Grund von Wert- und vor allem Zweckerwägungen des Nonnsetzers so beschränkt, daß nur bestimmte Verletzungsarten 114 rechtlich verboten werden. In diesem Bereich kommt es infolgedessen stets zu einer Divergenz von fonnellem und materieIlem Unrecht, wenn ein sozialethisch besonders wertwidriges Verhalten nicht auch rechtlich verboten ist. Jeder als Sinneinheit erlebte Sozialwert wird durch eine einzige Nonn geschützt, so daß aIle untersagten Es ist sicher kein Rückfall in den Positivismus Bindings, wenn man für den Begriff der Norm als eines Rechtssatzes gewisse Formerfordernisse für unentbehrlich hält. 109 Der Normerlaß geht also der Tatbestandsbildung nur begrifflich, nicht notwendig auch zeitlich voraus. Vgl. Binding, Normen I, S.133; Frank, StGB, S. 1; v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 107 Anm. I. 110 Jescheck/Weigend, Allg. Teil, S. 233. III v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 5. 112 Welzel, Strafrecht, S. 50. Am Unrecht als Sachelement des Verbrechens fehlt es, wenn das materielle oder das formelle Unrechtsmoment nicht vorliegt. Normwidriges Verhalten ist damit formell rechtmäßig, wenn ein Erlaubnisrechtssatz das betreffende Verhalten in der konkreten Situation gestattet. 113 v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 106; Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 132. 114 Maurach, Allg. Teil, S. 221 f.; nicht gefolgt werden kann jedoch der Meinung Maurachs, daß die Beschränkung der Tatbestände auf bestimmte Verletzungsarten durch die Einschaltung der ihrerseits schon ebenso beschränkenden Norm überhaupt erst ermöglicht werde. - Hingegen richtet sich dieselbe Norm gegen die vorsätzliche wie gegen die fahrlässige Verletzung des Rechtsgutes; so zutreffend Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 224 ff., 259.

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Verletzungen dieses Wertes gegen die gleiche Nonn verstoßen;1I5 allerdings sind innerhalb dieser einheitlichen Nonn jeweils an den Grundfonnen der Nonnübertretung ausgerichtete Einzelverbote unterscheidbar, also beispielsweise beim Schutzwert des Eigentums die Befehle, eine Zerstörung oder eine Entziehung oder eine Gebrauchsbeeinträchtigung zu unterlassen. Bei dieser Auffassung von der Einheit der Nonn löst sich zwanglos ein Problem, das sich aus der sachlichen Beschränkung des Nonnumfangs mit der Folge eines nur ausschnitthaften Schutzes der Rechtsgilter ergibt: Gelten die in der Fonnulierung ihrer Verbote und Gebote auf Verletzungen von Realobjekten abstellenden Nonnen auch rur die entsprechenden Getahrdungen? Die Frage ist zu bejahen; in dieser Richtung unterliegt der Nonnumfang keiner Begrenzung. 116 Gleiches gilt rur die Bedeutung jener Normfassungen rur beabsichtigte Schutzwertverletzungen durch nur venneintlichen Tatobjektsangriff. 117 Damit sind die wesentlichen Begriffsmerkmale der Rechtsnonn mit einer Ausnahme erörtert: ihrer Funktion als Bewertungs- oder Bestimmungsnonn. Gerade dieses am stärksten umstrittene Merkmal ist rur die Bestimmung des fonnellen Unrechtsmomentes, um die es hier geht, von entscheidender Bedeutung. Ist die Rechtsnonn ein abstrakter Wertungsmaßstab darur, welches Verhalten unter weIchen Voraussetzungen angemessen ist, oder besteht ihr Wesen in einem an die Rechtsunterworfenen gerichteten Imperativ, sich in einer der Rechtsgemeinschaft erwünschten Weise zu verhalten? Nach der herrschenden 1l8 und auch hier vertretenen Auffassung hat die Rechtsnonn nicht - alternativeine der beiden Funktionen, sondern beide: "Sie wertet, und sie versucht zu bestimmen.,,119 Ihre Bewertungsfunktion zeigt sich in der in jeder Rechtsnonn enthaltenen ,,Erklärung dahin, daß das in der Nonn Verbotene der Rechtsordnung unerträglich, das in ihr Gebotene rur sie unentbehrlich ist,,120. Gegenstand

115 A. A. Heghmanns, Grundzüge, S. 58. 116 Gegen das Tötungsverbot als die das menschliche Leben schützende Norm ver-

stößt also auch, wer das Leben eines Menschen nur gefährdet. Anderer Ansicht wohl Gallas, ZStW Bd. 67,35. 117 Problematisch ist die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs also nicht im Bereich des Unrechts als Sachelement des Verbrechens, der zielgerichtete Rechtsgutsangriff erfiillt stets den Unrechtsunwert der betroffenen Versuchsstraftat. 118 Vgl. beispielsweise Mezger, GS Bd.89, 240 f.; v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 175; Nowakowski, ZStW Bd. 63, 290; Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 74 ff.; Horn, Struktur der Rechtswidrigkeit, S. 56 f.; Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 81; MünchKomm StGBlDuttge, § 15 Rn. 88. - Freund, Allg. Teil, § 1 Rn. 12, bezeichnet die Rechtsnormen als "Verhaltensnormen" und akzentuiert damit deren Bestimmungsfunktion. 119 Maurach, Allg. Teil, S. 223, ähnlich auch S. 290 f. 120 Binding, Normen IV, S. 363.

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dieser rechtlichen Bewertung ist das menschliche Verhalten. 12I Soweit die Rechtsnorm hierbei - ihrer Idee entsprechend - ein rechtsgutsbezogenes Verhalten bewertet, wird das Rechtsgut dadurch zum Schutzobjekt. "Insofern stellt sich das Recht als ein abstrakter Wertmaßstab dar, dessen Anwendungsmöglichkeit ganz unabhängig ist von der Art, wie das zu bewertende Objekt, die menschliche Handlung, zustande gekommen iSt.,,122 Auch diese sog. Bewertungsnorm hat die Form eines Sollenssatzes, da sie nur eine unselbständige Funktion der als Sollenssatz strukturierten Rechtsnorm ist. 123 Ihr korrespondiert die Bestimmungsfunktion der Rechtsnorm, d. h. deren Charakter als an jeden einzelnen Rechtsunterworfenen persönlich gerichteter Imperativ. "Daß das Recht (auch) Bestimmungsnorm ist, ist unbestreitbar; sein einleuchtender Zweck ist es, die Rechtsunterworfenen bestimmend einzufügen in die von ihm gewollte Ordnung des sozialen Daseins.,,124 Gegenstand der Bestimmung ist somit wiederum das menschliche Verhalten. Der Gegenstand der Bewertungsfunktion der Rechtsnorm ist also identisch mit dem ihrer Bestimmungsfunktion. 125 "Es ist dieselbe Verhaltensweise, die sowohl ,rechtsunerträglich ' als auch ,verboten' ist oder die einerseits ,rechtsnotwendig' , andererseits ,geboten' ist.'d26 Zu solchem dem Recht gemäßen Verhalten wird der Rechtsunterworfene durch die Bestimmungsfunktion der Norm verpflichtet. 127 Sofern die Rechtsnorm hierbei - ihrer Idee entsprechend - eine rechtsgutsbezogene Pflicht zu befolgen gebietet, ruft dieser Befehl der Rechtsordnung die Rechtspflicht ins Leben,128 d. h. aus der nur sittlichen wird kraft der Bestimmungsfunktion der Rechtsnorm eine auch rechtliche Pflicht. "Die Rechtspflicht wird durch die Einzelnorm zugleich konkretisiert"J29, und zwar in dem Sinne, daß sowohl ihr In121 A. A. Mezger, Lehrbuch, S. 164 (mit zahlreichen weiteren Nachweisen), der die Bewertungsfunktion der Rechtsnorm auch auf Zustände erstreckt; kritisch dazu Gallas, ZStW Bd. 67, 37. 122 v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 175. 123 Im Ergebnis ebenso auch Mezger (GS Bd. 89,245; Lehrbuch, S. 166 Anm. 7), der allerdings die Bewertungsfunktion als selbständige, wenn auch adressenlose Norm auffaßt; vgl. ferner Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 78. 124 Mezger, GS Bd. 89, 240. 125 Ebenso Goldschmidt, Frank-Festgabe I, S. 437; Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 75; a. A. v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 223 Anm. 3; Mezger. Lehrbuch, S. 256; Heghmanns, Grundzüge, S. 46 f. 126 Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 75. 127 "Verpflichtung" ist hier, wo es um die Ermittlung der unrechtsbegründenden Voraussetzungen und nicht um das abschließende Rechtswidrigkeitsurteil geht, gemeint als die vom Adressaten her betrachtete abstrakte Gebundenheit, nicht als das konkrete Sollen dieses Menschen in dieser Situation. Vgl. dazu im einzelnen Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 130 f. 128 Vgl. Nagler, GS Bd. 111, 97 f., mit scharfer Polemik gegen den antinormativen Charakter der Pflichtverletzungslehre Schaffsteins. 129 Nagler, GS Bd. 111, 97 f.

I. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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halt als auch ihre Grenzen und damit sämtliche rechtspflichtbegrundenden Merkmale durch die Norm selbst festgelegt werden. Diese Wirkung der die Rechtspflicht konstituierenden Voraussetzungen erfolgt rein objektiv; die Geltung der Rechtsnorm und damit auch ihre Funktion als Verhaltensbefehl istentgegen der Auffassung der älteren Imperativentheorie l30 - unabhängig von individueller Kenntnisnahme und der Fähigkeit zur Normbefolgung. 13I In der Rechtspflichtbegrundung liegt also die eigenständige Bedeutung der rechtlichen Verbote und Gebote, und damit erweist sich die rechtsinhaltliche Unterscheidung 132 der Bewertungs- und der Bestimmungsfunktion der Rechtsnorm als dogmatisch erforderlich. Ist die Doppelfunktion der Rechtsnorm als solche in der Strafrechtswissenschaft weitgehend anerkannt, so besteht im Gegensatz dazu hinsichtlich der orystematischen Einordnung der Normübertretung als Bewertungsnormwidrigkeit und als Verstoß gegen die Bestimmungsnorm keine Einigkeit. Nach ursprünglich herrschender Ansicht 133 bildet die "objektive Verletzung der Bewertungsnormen des Rechts,,134 das Unrecht, während die Verletzung der Bestimmungsnormen "rur den Nachweis ... der Schuld von entscheidender Bedeutung,,135 ist. Schon bald aber war diese Auffassung heftiger Kritik ausgesetzt: "Das ,objektive Unrecht' ist nicht nur ein mit dem rechtlichen Unwerturteil belegtes, sondern auch ein gegen einen rechtlichen Imperativ verstoßendes äußeres Verhalten.,,136 "Unbestreitbar läßt sich die Bewertung eines Willensverhaltens als objektiv (schuldlos) rechtswidrig aus dem Recht als Wertkodex ableiten, soweit aber das Recht imperativischer Natur ist (und ob und wieweit es das ist, darüber entscheiden rechtsphilosophische Erwägungen 137), läßt sich jene Bewertung auch

130 Vgl. die Nachweise bei Mezger, GS Bd. 89, 207 ff.; v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 174 Anm. 3. I3I Horn, Struktur der Rechtswidrigkeit, S. 57; Nowakowski, ZStW Bd.63, 291 f.; Oehler, Sauer-Festschrift, S. 278. 132 Es ist also nicht so, daß sich die Bewertungsnorm auf das äußere, die Bestimmungsnorm hingegen auf das innere Verhalten bezieht (so aber v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 223 Anm. 3; ähnlich auch Mezger, GS Bd. 89, 259). Die formalistische Entgegensetzung von Objektivem und Subjektivem ist damit auch hier überwunden. I33 Heinitz, Problem der materiellen Rechtswidrigkeit, S. 13; v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 174 ff.; 222 ff. (bes. Anm. 3); Mezger, Lehrbuch, S. 164 ff.; Sieverts, Subjektive Unrechtselemente, S. 110; Schwinge/Zimmerl, Wesensschau, S.35; Munzinger, Amtsdelikte, S. 51 f. Weitere Nachweise bei Sieverts, Subjektive Unrechtselemente, S. 101 Anm.47. 134 Mezger, Lehrbuch, S. 164. 135 Mezger, Lehrbuch, S. 166. 136 Goldschmidt, Frank-Festgabe I, S. 437. 137 Vgl. Engisch, MonKrimPsych. 1932, 424: "Imperativisch ist das Recht allerdings nur, soweit es menschliches Verhalten regelt", also in dem ganzen hier interessierenden Bereich.

1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

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darauf gründen, daß dem Inhalt eines Imperativs zuwider gehandelt wurde.,,138 Hauptangriffsziel war also die Entleerung des Unrechtsbegriffs durch seine einseitige Beschränkung auf die Bewertungsnormwidrigkeit. 139 Folgerichtig gelangte man deshalb dahin, auch die Bestimmungsfunktion der Rechtsnorm in ihrer Bedeutung filr das Unrecht anzuerkennen: Unrecht ist nach der sich in der Strafrechtswissenschaft mehr und mehr durchsetzenden Auffassung 140 Bewertungsnormwidrigkeit und zugleich Verstoß gegen die Bestimmungsfunktion der Rechtsnorm. Der eigene Standpunkt bezüglich der systematischen Einordnung der Bewertungsnorm- und der Bestimmungsnormübertretung kann nach den vorstehenden Darlegungen nicht mehr zweifelhaft sein: Wenn man, wie es oben geschehen ist, die Bewertungs- und die Bestimmungsnorm als bloße Funktionen der Rechtsnorm und als einheitlich in ihrem Gegenstand begreift 141 - nämlich als schutzobjekts- und rechtspflichtbegründend - dann muß man bei der Rechtsnormwidrigkeit die Einheit des Gegenstandes - die Nichtleistung des gesollten Verhaltens - in der Zweiheit der Normfunktionen - als rechtlich negativ bewertetes und zugleich rechtlich verbotenes Verhalten - anerkennen. Die Bewertungsnormwidrigkeitundder Verstoß gegen die Bestimmungsnorm zusammen begründen also das formelle Unrechtsmoment der Rechtsnormübertretung. Fragt man nunmehr nach der Bedeutung der Bewertungsnorm- und der Bestimmungsnormwidrigkeit innerhalb des formellen Unrechtsmomentes, so ist zur Beantwortung gleichfalls von der zwischen Bewertungs- und Bestimmungsnorm bestehenden völligen Identität des Gegenstandes und des Adressatenkreises auszugehen. Es ist das gleiche normwidrige Verhalten, das einerseits (im Blick auf die in ihren besonders wertvollen Gütern verletzte Rechtsgemeinschaft) vom Recht negativ bewertet und andererseits (im Blick auf den dadurch seine Pflicht zur Achtung der Rechtsgüter verletzenden Täter) vom Recht verboten wird. Der Bewertungsnormwidrigkeit entspricht also im materiellen UnEngisch, MonKrimPsych. 1932, 425. Berges, DStR 1935, 447 f; Oehler, Sauer-Festschrift, S. 263 f; vgl. auch die Antikritik durch Sieverts, Subjektive Unrechtselemente, S. 102 ff. 140 Goldschmidt, Frank-Festgabe I, S. 437 ff., der neben der Rechtsnorm eine selbständige, auch mit Bewertungs- und Bestimmungsfunktion ausgestattete Ptlichtnorm annimmt, deren Übertretung die Schuld begründet (ähnlich Oehler, Sauer-Festschrift, S. 265 ff.); Engisch, MonKrimPsych. 1932, 425 (auch MonKrimBiol. 1938, 141 Anm. 42), der allerdings letztlich einer rein materiellen Begriffsbestimmung zuneigt; Berges, DStR 1935, 448; Nowakowski, ZStW Bd. 63, 290; Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 291; leseheck, ZStW Bd. 73, 208; nicht ganz eindeutig Maurach, Allg. Teil, S. 290 f 141 Genau gesehen, darf man Bewertungs- und Bestimmungsnorm nur dann als bloße Normfunktionen bezeichnen, wenn man die Identität ihres Gegenstandes anerkennt; gegen v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 223 Anm. 3. 138 139

I. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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rechtsmoment die Rechtsgutsverletzung, dem Verstoß gegen die Bestimmungsnorm entspricht als Unwertgehalt die Pflichtverletzung. Damit sind Bewertungsund Bestimmungsnormübertretung als sachlicher und personaler Aspekt im formellen Unrechtsmoment erkannt. Durch den Erlaß von Normen schützt die Rechtsgemeinschaft die Erhaltung der von ihr als tur den Bestand der Gemeinschaft nützlich erachteten Wert- und Pflichtordnung. Materielles und formelles Unrechtsmoment zusammenfassend und unter sachlichem und personalem Aspekt betrachtend, kann man somit sagen: Das Unrecht als Element des Verbrechens wird begründet durch Schutzobjekts- und Rechtspflichtverletzung.

2. Der Unrechtstatbestand Der in diesem Buch zugrunde gelegte Unrechtsbegriff ist vorstehend definiert worden. Bei der Frage nach dem Unrechtstatbestand kann es also nur noch darum gehen, die unabhängig vom geltenden Strafrecht bestimmten (weil auch unabhängig davon existenten) Unrechtsmerkmale in der gesetzlichen Straftatschilderung wiederzuerkennen. Den Unrechtstatbestand bilden somit diejenigen Merkmale eines Strafgesetzes, die die rechtsnormwidrige Gemeinschaftswertverletzung beschreiben. 142 Nun ist allerdings die Normwidrigkeit zwar immer mitvertypt, da stets wenigstens stillschweigend vorausgesetzt, hingegen nur vereinzelt ausdrücklich in den Gesetzeswortlaut aufgenommen (so z. B. beim Hausfriedensbruch, § 123 : "widerrechtlich"). Begrifflich und straftatsystematisch hiervon strikt zu trennen ist die Frage nach einem möglichen Unrechtsausschluß durch Rechtfertigungsgrunde. 143 Bei dieser Unterscheidung zwischen dem Unrechtstatbestand und dem Unrechtsausschluß handelt es sich um eine in der Struktur des tatbestandsmäßigen Unrechts als eines Verbrechenselements angelegte Verschiedenheit, 144 die damit weder tur den Gesetzgeber noch tur den Rechtsanwender verfilgbar ist. 145 Somit besteht der gesetzliche Unrechtstatbe142 In jedem konkreten Delikt können ferner auch nichttypisierte Unrechtsmomente verwirklicht sein; im Rahmen der Verbrechenssystematik interessieren jedoch nur die tatbestand Iichen Unrechtsmerkmale. 143 Anders die Berurworter eines sog. zwei stufigen Verbrechensaufbaus; vgl. beispielhaft Dtto, Allg. Strafrechtslehre, § 5 Rn. 24 ff., mit weiteren Nachweisen. 144 V gl. hierzu schon die Erstauflage, S. 315 ff., und Langer, JR 1993, 2 ff. 145 Dementsprechend beachtet auch der Bundesgerichtshof den systematischen Vorrang der Unrechtstatbestandserrullung vor der Frage nach der Rechtfertigung. Die einzige Fallgestalt, rur die er unter Verstoß gegen die Grundregeln der Gesetzesanwendung diesen sicheren Boden seiner Judikatur verließ und statt dessen maßgebend auf die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges zu einem hypothetischen Geschehen abstellte und auf diese Rechtsfrage auch noch den Zweifelssatz anwendete, betrifft einen Teilbereich der Fahrlässigkeitsstraftaten, rur den hier beispielhaft die Entscheidung BGHSt 11, 1 ff. (sog. Radfahrer-Fall) genannt sei. Richtig hingegen ist auch hier zuerst nach der Errullung des Unrechtstatbestandes (einschließlich der objektiven Zurechnung des Erfolges

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

stand des Delikts im wesentlichen in einer individualisierenden Schilderung einer Gemeinschaftswertverletzung. Wie sind die Merkmale des Unrechtstatbestandes, d. h. der gesetzlichen Beschreibung der Rechtsgutsverletzung der jeweiligen Straftat, sachgerecht zu gliedern? Wie wohl nirgends sonst gleichermaßen spiegelt sich in den Antworten auf diese Frage die dogmengeschichtliche Entwicklung der Straftatsystematik im 20. Jahrhundert: Ausgehend von dem sog. klassischen Verbrechensaufbau und seinem objektiv-wertfrei-regulativen Tatbestandsverständnis 146 über den durch die Entdeckung der subjektiven Unrechts elemente erzwungenen tiefgreifenden Umbau jener Systematik147 und dessen Abschluß in der Erklärung des (mit dem Handlungswillen gleichgesetzten) Vorsatzes zum generellen Unrechtselement durch die finale Handlungslehre 148 bis hin zur teleologischen Straftatsystematik mit ihrer Reduzierung täterpsychischer Unrechtselemente auf das zielgerichtete Wollen 149 ging es stets um die von einem vorstrafgesetzlichen Ansatz her bestimmte Rolle subjektiver Kategorien fur die Gliederung der Merkmale des Unrechtstatbestandes. Abweichend davon wird hier nachfolgend versucht, die maßgebenden Kriterien fur die Gliederung des Unrechtstatbestandes im Gesetz selbst aufzufinden und aus ihm herauszuarbeiten.

Im Gesetz selbst, und zwar im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches und in sonstigen Strafgesetzen, findet sich zum einen die individualisierende Beschreibung des fur die jeweilige Straftat spezifischen Rechtsgutsangriffs: Diese Individualisierung erfolgt in erster Linie durch die Benennung des jeweils geschützten Rechtsgutes, wobei der Gesetzgeber sich auch insoweit des rechtstechnischen Mittels der anschaulichen Umschreibung bedient. So wird etwa der Totschlag (§ 212) durch das Schutzobjekt des menschlichen Lebens, die Sachbeschädigung (§ 303) durch das Schutzobjekt des Eigentums, die Urkundenfälschung (§ 267) durch das Schutzobjekt der Sicherheit des Rechtsverkehrs charakterisiert. Mit der Angabe eines konkreten Rechtsgutes ist jedoch in aller Regel der Unrechtstatbestand eines Deliktes nicht hinreichend individualisiert; so kennzeichnet beispielsweise das Schutzobjekt "Leben" nicht nur das Verbrechen des

als Realisierung der vom Täter geschaffenen Gefahr) zu fragen und erst danach nach der Erfiillung eines Rechtfertigungsgrundes (beispielsweise des verkehrsrichtigen Verhaltens). 146 Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 110 ff. - Vgl. dazu die dogmengeschichtliche und straftatsystematische Würdigung durch Plale, Ernst Beling als Strafrechtsdogmatiker, S. 28 ff., 73 ff., 104 ff. 147 V gl. hierzu beispielhaft Mezger, Strafrecht, S. 89 ff., insbes. S. 168 ff. 148 Zur bleibenden Ausformulierung dieser Position siehe Welzel, Strafrecht, S. 59 ff., insbes. S. 61, 65. 149 Schmidhäuser, Allg. Teil, 617 ff., 7/32 ff., 8/21 ff.

1. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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Totschlags (§ 212), sondern sämtliche Tötungsdelikte (§§ 21 I ff.). Hier wird das deliktische Unrecht erst durch die für das betreffende Verbrechen spezifische Verletzungsart charakterisiert. ISO Im Hinblick auf die Strafbarkeit interessiert somit nicht der Rechtsgutsangriff als solcher, sondern stets ausschließlich die straftatbestandlich individualisierte Rechtsgutsverletzung. Zum Unrechtstatbestand gehören deshalb neben der Benennung des Schutzobjektes alle Merkmale der gesetzlichen Verbrechensschilderung, welche die Verletzungsart kennzeichnen. Mit der strafgesetzlichen Beschreibung des (objektive und subjektive Momente umfassendenISI) Rechtsgutsangriffs erschöpft sich der Unrechtstatbestand jedoch nicht. Damit ist vielmehr nur der Gegenstand der subjektiven Zurechnung zum Unrecht individualisiert. Darüber hinaus unterscheidet und benennt das Strafgesetzbuch im Allgemeinen Teil ihre zwei Formen, deren Merkmale damit jeweils auch Bestandteil des Unrechtstatbestandes sind. Während über dieses Ergebnis heute in der Strafrechtswissenschaft weitestgehend Einigkeit herrscht, ist nach wie vor höchst umstritten, in welchen gesetzlichen Merkmalen jene bei den Formen der subjektiven Zurechnung zum Unrecht individualisiert sind und wie demgemäß die betreffenden Merkmale inhaltlich zu bestimmen sind. Nach wie vor im Schrifttum verbreitet ist die Gleichsetzung von Vorsatz und Handlungswillen unter Zuordnung zum Unrecht. Hiernach vertatbestandlicht das Merkmal "vorsätzlich" das "Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung" im "Unrecht der vorsätzlichen Delikte,,152 als der Form des im Vergleich mit der "fahrlässigen" Begehung schwerer wiegenden Unrechts. Gegen diese 150 Schon deswegen ist die Behauptung unzutreffend, daß die Auffassung, jedem Verbrechen liege eine Rechtsgutsverletzung zugrunde, "nichts anderes ist als das Korrelat des Kausaldogmas auf dem Gebiet der Rechtswidrigkeit" (Welzel, ZStW Bd. 58, 509). Die Bedeutung der Form der Rechtsgutsverletzung für die Strafbarkeit ist auch von der Rechtsprechung anerkannt; vgl. BayObLG, MDR 1964, 1021 f. 151 Aus diesem Grund ist die Aufspaltung des Unrechtstatbestandes in einen "objektiven Tatbestand" und in einen "subjektiven Tatbestand", wie sie Welzel (Strafrecht, S. 62 ff. und S. 64 ff.) und die ihm folgenden Anhänger der finalen Handlungslehre vornehmen, weder erkenntnisfördernd noch widerspruchsfrei mit der Zuordnung durchführbar: ,,Der objekJive Tatbestand umfaßt stets eine Ausführungshandlung (töten, wegnehmen, Unzucht treiben) ... " (Welzel, Strafrecht, S. 560); in dieser Ausführungshandlung aber steckt als notwendiger Bestandteil der sie verwirklichende Wille (Welzel, Strafrecht, S.63). Ob jemand i. S. v. § 292 "dem Wilde nachstellt", läßt sich nur bei Kenntnis vom Inhalt seines Wollens beurteilen, und diese Einsicht gab den Anstoß zur Entdeckung der subjektiven Unrechtselemente und zur Entwicklung der finalen Handlungslehre. Ein in seinem Kern notwendig subjekJiver "objektiver Tatbestand" ist eine als Begriffsbildung wie auch ihrer Benennung nach unhaltbare Einteilungskategorie für die Merkmale des Unrechtstatbestandes. 152 Grundlegend für diese Lehrmeinung und sie bis heute prägend Welzel, Strafrecht, S. 59, 64.

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Inhaltsbestimmung und systematische Verortung des Merkmals "vorsätzlich" sind viele gewichtige Einwände erhoben worden. So ist beispielsweise darauf hingewiesen worden, daß der Handlungswille ein wesentlicher Bestandteil der jeweiligen Tatbestandshandlung ist und nicht aus dieser herausgebrochen und in den Vorsatzbegriff eingerugt werden kann, ohne daß der konkrete Handlungssinn verlorengeht - "nötigen" (§ 240), "vorspiegeln" (§ 263) oder "dem Wilde nachstellen" (§ 292) setzt eben zwingend voraus, daß die jeweilige Rechtsgutsverletzung das Ziel des Täterhandelns ist. Weiter ist z. B. darauf aufmerksam gemacht worden, daß gerade die von der finalen Handlungslehre erarbeiteten Einsichten in die Bedeutung der Finalität menschlichen Handeins rur das Straftatunrecht wieder verschüttet werden, wenn in den Fällen einhellig als geboten erlebter Vorsatzstrafbarkeit auch nicht gewollte Handlungsfolgen als "im Rechtssinne billigend in Kauf genommen" und "damit als gewollt" bezeichnet werden, weil sich so die aus der Gleichsetzung von Vorsatz und Handlungswillen erwachsenden Friktionen scheinbar beheben lassen. Auch ist eingewendet worden, daß die Dogmatik der Fahrlässigkeitsdelikte in der Luft hänge, weil ihr das Fundament des (rur die Vorsatzstraftat reservierten) Handlungswillens entzogen worden ist. Nicht zuletzt ist die gewaltige Strafwürdigkeitsdifferenz zwischen dem vorsätzlichen und dem fahrlässigen Angriff auf dasselbe Rechtsgut unmittelbar Ausdruck des zwischen beiden bestehenden gewaltigen Schuldunterschiedes (und nur mittelbar, nämlich wegen der Bezogenheit der strafrechtlichen Schuld auf das begangene Unrecht, auch von diesem abhängig); dementsprechend kennzeichnet der Bundesgerichtshof in ständiger Judikatur I 53 und im Einklang mit der herkömmlichen Lehre den Vorsatz als Schuldform. Diese Funktion kann er aber in der Straftatsystematik nicht mehr errullen, wenn er bereits zur Individualisierung des Unrechts verwendet und so - als Kennzeichnung der schwerer wiegenden Unrechtsform - besetzt und damit straftatsystematisch "verbraucht" ist. Da keiner dieser Einwände bisher stichhaltig entkräftet worden ist, drängt sich die Frage nach einer vom geltenden Gesetz ausdrücklich angebotenen und von den aufgewiesenen Einwänden nicht berührten Alternative zu jener verfehlten Inhaltsbestimmung und straftatsystematischen Verortung des Merkmals "vorsätzlich" gleichsam von selbst auf. Diese im Gesetzestext enthaltene Alternative findet sich im Wortlaut des § 16 Abs. 1, der die Merkmale des Straftatunrechts in zwei Bereiche gliedert und die zu deren Beschreibung dienenden Gesetzesformeln prägt: Zur Beschreibung des tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs dient jeweils jeder "Umstand, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört". Diesem Inbegriff von Merkmalen wird als erforderliche Voraussetzung rur den Vorsatz gegenübergestellt, daß der Täter bei Begehung der Tat die Gesamtheit dieser den tatbestandlichen Rechtsgutsangriff individualisierenden Umstände 153

Vgl. beispielhaft BGHSt 9, 370, 377; 36, I, 10; 43, 158, 168.

I. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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"kennt". Nicht" Vorsatz", sondern" Tatumstandskenntnis" nennt das Gesetz selbst die schwerer wiegende Form der subjektiven Zurechnung zum Unrecht. Dieses Gesetzesverständnis wird von keinem der vorstehend behandelten, die Einordnung des Vorsatzes als subjektives Unrechtselement widerlegenden Einwände in Frage gestellt: Da die Tatumstandskenntnis kein Willensmoment umfaßt, braucht man dieses der jeweiligen Tatbestandshandlung nicht wegzunehmen, und ebensowenig muß man vom Täter nicht erstrebte Nebenfolgen als "im Rechtssinne billigend in Kauf genommen und damit gewollt" bezeichnen, um sie als vorsätzlich herbeigefilhrte bestrafen zu können; das Merkmal "vorsätzlich" kann weiterhin seine Funktionen im Rahmen des Schuldbegriffs erfUllen, filr die es unverzichtbar ist; und sollte die Tatumstandskenntnis als Unrechtselement und damit als bloße Voraussetzung der Schuldform des Vorsatzes einmal auf Grund eines Irrtums entfallen, dann "bleibt die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung unberührt" (§ 16 Abs. 1 S. 2), d. h. die Bestrafung erfolgt bei ErfUllung ihrer Voraussetzungen, zu denen als Form der subjektiven Zurechnung zum Unrecht der Fahrlässigkeitsstraftat schon die bloße Erkennbarkeit der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstände hinreichend ist. Kenntnis bzW. Erkennbarkeit der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstände sind also die beiden Kategorien, mit deren Hilfe das geltende Strafgesetzbuch die Merkmale des Straftatunrechts als Voraussetzungen tUr die Schuldformen des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit gliedert. a) Die gesetzliche Beschreibung des Rechtsgutsangriffs Den ersten Merkmalskomplex innerhalb des Unrechtstatbestandes einer Straftat bilden die den tUr sie spezifischen Rechtsgutsangriff beschreibenden Merkmale. Sie individualisieren den Gegenstand, auf den sich die Kenntnis bzw. die Erkennbarkeit seitens des Täters zu beziehen hat und den das Strafgesetzbuch als den Inbegriff der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Tatumstände kennzeichnet. Diese Merkmale umschreiben zum einen das durch die jeweilige Straftat angegriffene Rechtsgut und zum anderen den Angriff selbst als ein menschliches Willensverhalten. Die straJgesetzliche Individualisierung des betroffenen Rechtsgutes erfolgt nur ausnahmsweise im Wege direkter Benennung durch ein eigenes Merkmal. Da in der Regel mehrere unterschiedliche Angriffe auf dasselbe Rechtsgut unter Strafandrohung gesteilt worden sind, prägt das Rechtsgut zumeist eine ganze Deliktsgruppe mit der Konsequenz, daß sich seine unmittelbare Benennung im Gesetz am ehesten in den die jeweilige Deliktsgruppe kennzeichnenden Abschnittsüberschriften fmdet, wie z. B. Straftaten gegen "das Leben", "die körperliche Unversehrtheit" oder "die persönliche Freiheit". In den einzelnen Straftatbeständen wird hingegen fast immer anschaulich und unmittelbar nur eine

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Verfehlung geschildert, aus der der jeweils verletzte Rechtswert sich nur indirekt ergibt und nicht selten erst unter Einsatz großen Interpretationsaufwandes herausgearbeitet werden kann. IS4 Erschwert wird hierbei die Gesetzesauslegung zudem dadurch, daß weithin die notwendige Unterscheidung des gesuchten Schutzobjekts vom bloßen Schutzreflex l55 der jeweiligen Strafvorschrift für den Besonderen Teil des Strafgesetzbuches noch nicht vollzogen ist. Mit in dieser nur mittelbaren Umschreibung des Rechtsguts im Unrechtstatbestand ist es daher begründet, daß bei einer Reihe von Straftaten so intensive Kontroversen über das jeweils geschützte Rechtsgut geführt werden: Aus dem Gesetzeswortlaut allein, - beispielsweise des § 164 (Falsche Verdächtigung) -: "Wer einen anderen bei einer Behörde ... wider besseres Wissen einer rechtswidrigen Tat ... in der Absicht verdächtigt, ein behördliches Verfahren gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen, ... " - ergibt sich nämlich direkt weder, ob hier als Schutzobjekt ein Individualgut lS6 oder ein Gemeinschaftsgut lS7 zugrunde liegt oder sogar eine Kombination aus beiden Rechtsgutsangriffen mit der Folge, daß es sich bei dieser Straftat um ein zusammengesetztes Delikt lS8 handelt. Auch der sog. Tatbestandsausschluß in Fällen einer nur scheinbaren Rechtsgutsverietzung lS9 beruht oft auf dieser lediglich mittelbaren Angabe des jeweils geschützten Rechtsgutes im Unrechtstatbestand. Die höchstrichterliche Praxis, unter Ignorieren dieser Rechtsfigur auch den (im Extremfall: sogar den zur Lebensrettung erforderlichen) ärztlichen Heileingriff als tatbestandsmäßige Körperverletzung zu beurteilen, kann das hier liegende Problem nur scheinbar dadurch überspielen, daß sie die Konsequenzen aus dem eigenen Ansatz - z. B. im Hinblick auf die Strafbarkeit wegen des Schwerstverbrechens einer beabsichtigten schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 2) in den Fällen einer ohne wirksa154 Vgl. beispielhaft die Auseinandersetzungen um das Schutzobjekt der Vermögensstraftaten bei Lackner in LK StGB, 10. Aufl., § 263 Rn. 120 ff.; Dtto, Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, S. 34 ff.; Winkler, Der Vermögensbegriffbeim Betrug, S. 23 ff. 155 Vgl. dazu im einzelnen Langer, Die falsche Verdächtigung, S. 48. - Meine Begriffsbildung ist vom Schrifttum allgemein übernommen worden (vgl. etwa Lackner/Kühl, StGB, § 164 Rn. I; Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, § 164 Rn. 2; Rudolphi in SK StGB, § 164 Rn. I; Wessels/Hettinger, Besonderer Teil I, Rn. 687; Vormbaum, Schroeder-Festschrift, S. 650 f.). Noch zu leisten ist die Analyse der meisten Strafvorschriften unter diesem Differenzierungsaspekt. 156 Hirsch, Schröder-Gedächtnisschrift, S.321; Vormbaum in NK StGB, § 164 Rn. 10. - Zur Widerlegung dieser Meinung siehe Langer, Schlüchter-Gedächtnisschrift, S. 365 f., und GA 1987, 292 ff. 157 Zur Begründung dieser sog. Rechtspflegetheorie vgl. im einzelnen Langer, Die falsche Verdächtigung, S. 23 ff., 64 f., und GA 1987,290 ff. - Siehe auch die sehr detaillierte Auseinandersetzung mit dieser Begründung durch Vormbaum, Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils, S. 455 ff. 158 Zu dieser Rechtsfigur siehe Paul, Zusammengesetztes Delikt und Einwilligung, S. 22 ff. 159 Zu dieser Rechtsfigur vgl. Schmidhäuser, Allg. Teil, 8/111 ff.

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me Einwilligung vorgenommenen lebensrettenden Amputation - nicht zieht. Eine weitere Fallgestalt des Tatbestandsausschlusses kann sich daraus ergeben, daß der Handelnde, der die vom Rechtsgutsträger erteilte Einwilligung nicht kennt, deshalb zwar das Rechtsgut gezielt angreift, aber dadurch den vom Rechtsgutsträger mit der Einwilligung erstrebten Zustand herbeifiihrt, so daß der tatbestandsmäßige Erfolgsunwert nicht verwirklicht wird. Die straJgesetzliche Kennzeichnung des Rechtsgutsangrijfs als Willensverhalten ist ausdifferenziert nach den Verwirklichungsstadien des Wollens und der Rechtsgutsverletzung und fUhrt so zu unterschiedlichen Formen tatbestandlicher Unrechts struktur. aa) Vertatbestandlichte Verwirklichungsstadien des Wollens Das menschliche Wollen als der von uns nach wie vor nicht letztlich durchschaute Vorgang, bei dem eine Vorstellung über ein Handeln in eine Veränderung der Außenwelt umgesetzt wird, ist ein notwendiges Begriffsmerkmal einer jeden Straftat. Aber keineswegs alle Stadien dieses Vorgangs sind auch strafrechtlich relevant. Der Wollensprozeß durchläuft von der ersten Idee, einer zumeist noch recht unbestimmten Tatvorstellung, über zunehmende Konkretisierungen des Tatplans und eine sich steigernde Tatgeneigtheit sowie eine Kette von Vorentschließungen, die von immer weniger Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die Phasen der Willensbildung, bis hin zur endgültigen Entscheidung zur Tatbegehung, dem Entschluß. Erst mit ihm beginnt die strafrechtliche Relevanz menschlichen Wollens, während die genannten Vorstadien allenfalls für die ethische Beurteilung des betroffenen Verhaltens eine Rolle spielen können. Dieser Entschluß ist in jeder strafgesetzlichen Deliktsbeschreibung mitvertatbestandlicht. Wo aber das Wollen des Täters über diesen Punkt seiner definitiven Entscheidung und ihrer Betätigung in einem unmittelbaren Ansetzen zur Straftatbegehung hinausgelangt und sich in einer vollendeten Straftat manifestiert, dort tritt das als Durchgangsstadium im Vollendungsunrecht enthaltene Versuchsunrecht strafrechtlich nicht selbständig in Erscheinung, sondern als subsidiär hinter der Strafbarkeit wegen vollendeten Delikts zurück. Zur Markierung des frühestmöglichen Zeitpunktes der Strafbarkeit eines rechtsgutsverletzenden Willensverhaltens ist der Entschluß des Täters als seine definitive Entscheidung zur Straftatbegehung hingegen unverzichtbar, und er wird damit begriffsnotwendig zum Gegenstand selbständiger strafrechtlicher Prüfung bei der Feststellung eines jeden Versuchsunrechts. 160 160 Damit ist keineswegs zugleich die Kritik am traditionellen Beginn jeder Straftatversuchsprüfung mit dem "Entschluß" aufgegeben: Ein solches Vorgehen war bis zum 1.1.1975 eine methodisch korrekte Gesetzesanwendung, weil bis dahin der "Entschluß"

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

Wird der Entschluß betätigt, dann ist mit dieser Handlung das Wollen des Täters in die nächste Entwicklungsstufe getreten, nämlich in die Willensverwirklichung. Vertatbestandlicht ist sie als Handlungswille, der als solcher Element einer jeden Tatbestandshandlung iSt. 161 Keine einzige Tatbestandshandlung läßt sich ohne dieses Willenselement feststellen, und so ist es Täuschung oder Selbsttäuschung, jedenfalls aber falsch, wenn von Schrifttum und Rechtsprechung suggeriert wird, das Wollen des Täters sei für die Feststellung des Tötens, Mißhandeins oder Wegnehmens nicht notwendig, sondern es sei nur ein Element des hierauf bezogenen Vorsatzes. Über die generelle Mitvertatbestandlichung des Handlungswillens hinaus ist bei einem Teil der Stratbestimmungen das Wollen des Täters durch Benennung des rechtsgutsverletzenden Willensziels konkretisiert: Nicht der Handlungswille schlechthin, sondern nur das auf die Rechtsgutsverletzung selbst tatbestandlichzielgerichtete Wollen erfüllt hier die strafgesetzlichen Anforderungen an die Tatbestandshandlung. "Dem Wilde nachstellen" (§ 292) beispielsweise setzt zwingend ein auf Verfolgung des Wildes abzielendes Handeln begrifflich voraus. Schließlich wird bei einigen Strafvorschriften das Willenselement in der gesetzlichen Deliktsbeschreibung auf das tatbestandlich-zielerreichende Wollen konkretisiert: Nur die vom Täter erstrebte und erfolgreich verwirklichte Rechtsgutsverletzung erfüllt hier den Unrechtstatbestand. "Nötigen" (§ 240)162 oder "vorspiegeln" (§ 263) etwa erfordert zwingend ein auf Willensbeugung bzw. Täuschung abzielendes und jeweils diesen Erfolg erreichendes Täterhandeln zur Tatbestandsverwirklichung. Gesetzestechnisch kann diese Eingrenzung des Unrechtstatbestandes auf das zielerreichende Wollen durchaus auch mittels eines zusätzlichen Merkmals geschehen, das den Bereich des weitergreifenden Handein Gesetzesmerkmal der Versuchsvorschrift war, was er gegenwärtig nicht mehr ist und somit nur noch als Untermerkmal des primär zu benennenden und zu prüfenden Merkmals "Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung" in der heute geltenden "Begriffsbestimmung" (§ 22) untersucht werden darf. - Schon unter der alten Gesetzesfassung verfehlt war hingegen die Identifizierung des "Entschlusses" mit dem strafgesetzlichen "Vorsatz"-Merkmal (vgl. beispielhaft Welzel, Strafrecht, S.562), die im Schrifttum weithin bis zum heutigen Tag fortgeschleppt wird, obwohl es den "Entschluß" als Gesetzesmerkmal nicht mehr gibt und gemäß § 15 der Vorsatz auf das "Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung" als seinen Gegenstand bezogen ist, d. h. schon begrifflich nicht mit ihm oder mit einem seiner Bestandteile identisch sein kann. 161 Schon aus diesem Grund ist der Ansatz des Finalismus offensichtlich verfehlt, den strafgesetzlichen Unrechtstatbestand durchgängig in einen "objektiven Tatbestand" und einen "subjektiven Tatbestand" zu gliedern (vgl. beispielhaft Welzel, Strafrecht, S. 62 ff., 560) und sodann die Tatbestandshandlung dem "objektiven Tatbestand" zuzuschlagen. 162 So aufgrund einer sehr fundierten Analyse schon Bergmann, Das Unrecht der Nötigung, S. 61, im Anschluß an BayObLG NJW 1963, 1261, 1262; jetzt auch Paeffgen, Grünwald-Festschrift, S. 438 mit Fn. 20.

I. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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lungsmerkmals auf das streng finale Herbeifilhren des Erfolges einschränkt, wie z. B. durch das Merkmal "absichtlich" bei der schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 2) oder bei der Strafvereitelung (§ 258 Abs. 1).163 In dieser Form wird das zielerreichende Wollen - wie auch in den beiden genannten Beispielen - vom Gesetz immer dann formuliert werden, wenn neben dem erstrebten Herbeifilhren des tatbestandlichen Erfolges auch das nicht erstrebte, sondern nur als sicher vorhergesehene selbständig unter Strafe gestellt wird, das in den zuvor aufgefilhrten Fällen der schon in dem Merkmal der Tatbestandshandlung typisierten Finalität i. e. S. straffrei bleibt. Entgegen verbreiteter Annahme in Schrifttum und Rechtsprechung hat auch dies mit dem Gesetzesmerkmal "vorsätzlich"l64 nicht das mindeste zu tun. 165

bb) Vertatbestandlichung der Rechtsgutsverletzung Der Unrechtstatbestand als die strafgesetzliehe Beschreibung des für das jeweilige Delikt spezifischen rechtsgutsverletzenden Willensverhaltens enthält neben den bisher betrachteten unterschiedlichen Formen der Vertatbestandlichung eines menschlichen Wo liens die Schilderung einer Rechtsgutsverletzung durch ein in die Außenwelt wirkendes Täterverhalten: "körperliches Mißhandeln einer anderen Person" (§ 223), das "Beschädigen einer fremden Sache" 163 Aus der vorstehenden Skizze der unterschiedlichen Formen der Vertatbestandlichung des menschlichen Wo liens als eines Straftatmerkmals ergibt sich zugleich, daß der Wille nicht Element des strafgesetzlichen Vorsatzbegriffs sein kann. Der Wille ist in allen Formen seiner Vertatbestandlichung begriffsnotwendiges Element der Tatbestandshandlung - im Gegensatz zu Tatumstandskenntnis und Unrechtsbewußtsein, die nicht Begriffselemente der Tatbestandshandlung sind und deshalb insoweit als mögliche Vorsatzelemente in Betracht kommen können: "Dem Wilde nachstellen unter Verletzung fremden Jagdrechts" (§ 292) kann man eben mit wie ohne Tatumstandskenntnis (§ 16 Abs. 1 S. 1) bzw. Unrechtseinsicht (§ 17) - man kann es aber nicht "ungewollt"! 164 Der Finalismus mit seiner Gleichsetzung von Handlungswillen und Vorsatz (vgl. beispielhaft Wetze!, Strafrecht, S. 65) wird nur scheinbar von dem in der vorstehenden Fußnote erhobenen Einwand nicht betroffen; denn jene Prämisse widerlegt sich selbst durch ihre zwingende Konsequenz, daß danach die Fahrlässigkeitsstraftat keinen Handlungswillen hätte. 165 Ist nach allem der Wille in den unterschiedlichen Formen seiner Vertatbestandlichung ein begriffsnotwendiges Element der Tatbestandshandlung, die sich nicht durch seine Eliminierung auf einen bloßen Kausalvorgang (so die herkömmliche Lehre) oder auf einen sog. objektiven Tatbestand (so der Finalismus) reduzieren läßt, ohne ihren Sinn zu verlieren (z. B. "dem Wilde nachstellen" gemäß § 292), so erzwingt auch das Verfassungspostulat einer methodisch korrekten Gesetzesanwendung das die Tatbestandshandlung beschreibende Merkmal vollständig, d. h. einschließlich des Willenselementes, festzustellen. Ist das aber geschehen, dann ist schon eine erneute Prüfung als solche methodisch falsch, weil sie die Möglichkeit suggeriert, das bereits als gegeben festgestellte Willenselement hernach (als Bestandteil des Vorsatzbegriffs) wieder verneinen zu können.

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

(§ 303), "unter Verletzung fremden Jagdrechts dem Wilde nachstellen" (§ 292) usw. Gesetzlich beschrieben ist hier jeweils ein Angriff auf das Rechtsgutsobjekt, dessen Schutz die Strafvorschrift dient. Das Gesetz benennt also die Wertverfehlung, um die es bei der Rechtsgutsverletzung einer jeden Straftat geht, nicht direkt als solche, sondern es umschreibt sie durch die Schilderung des realweltlichen Geschehens,166 seiner Objekte und seiner Handlungen, durch die sich in der Wirklichkeit die Verletzung des Rechtswertes vollzieht. So spricht das Gesetz etwa bei der Sachbeschädigung (§ 303) von dem Zerstören fremder Sachen, nicht aber von der Mißachtung fremden Eigentums. Zu diesen realweltlichen Geschehensmomenten, die das Strafgesetz im Unrechtstatbestand beschreibt, gehört neben der Tatbestandshandlung auch der tatbestandliche Erfolg, d. h. eine Schädigung des betroffenen Rechtsgutsobjekts, die von dem sie herbeiruhrenden Handeln begrifflich abgelöst gedacht werden kann. Weil jedes menschliche Handeln eine Vielzahl von Wirkungen zur Folge hat, ist damit zugleich die Frage nach dem spezifischen, d. h. nach dem von dem Strafgesetz gemeinten Zusammenhang zwischen dem tatbestandlichen Handeln und dem tatbestandlichen Erfolg aufgeworfen. Es war die Leistung einer früheren Epoche der deutschen Strafrechtsdogmatik, dieses Problem erkannt und thematisiert zu haben, und ihr Verdienst wird nicht dadurch geschmälert, daß sie jenen Zusammenhang in einer heute als unzulänglich erkannten Weise mit Hilfe von sog. Kausaltheorien zu bestimmen versucht hat. 167 Dieser Lösungsansatz war und ist jedoch falsch, weil rur den vom Gesetz gemeinten Zusammenhang zwischen Tatbestandshandlung und -erfolg die Kausalität weder hinreichend l68 noch erforderlich l69, sie mithin auf ganzer Linie entbehr166 WeIche Schwierigkeiten es oft bereitet, aus der unrechtstatbestandlichen Schilderung des Geschehens die vom Gesetz gemeinte Form des Rechtsgutsangriffs im Wege der Auslegung zu ermitteln, dafür mag hier beispielhaft der Streit zwischen der Behauptungs- und der Beschuldigungsauffassung bei der falschen Verdächtigung (§ 164) stehen. Vgl. dazu Langer, Tröndle-Festschrift, S. 269 ff. 167 Kritikwürdig ist hingegen das noch ein halbes Jahrhundert nach dem Aufweis seiner Überflüssigkeit weithin durch Lehre und Rechtsprechung praktizierte Fortschleppen jenes Ballasts - notdürftig kaschiert mit Formeln wie "Zunächst wird nach der Kausalität der Handlung für den Erfolg gefragt, anschließend, ob er dem Täter objektiv zuzurechnen ist" oder "Normalerweise ist es für die objektive Zurechnung des Erfolges erforderlich, aber auch genügend, daß ihn der Täter mit verursacht hat". - Vgl. hierzu auch den treffenden Aufweis solcher Unzulänglichkeit durch Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten, S. 33 ff.; kritisch auch Koriath, Grundlagen strafrechtlicher Zurechnung, S. 537; hingegen am Kausalitätskriterium festhaltend Hilgendorf, GA 1995, 524 ff. 168 So treffend schon Erik Wolf, Vom Wesen des Täters, S. 24 f. - Vgl. als Beispielsfall OLG Stuttgart, NJW 1982, 295 f.: Das geheilte Unfallopfer stirbt noch im Krankenhaus, weil es sich dort beim Essen verschluckt. 169 Man denke etwa an die klassischen Beispielsfälle tätiger Rettungsverhinderung: Das Opfer kommt ums Leben, weil ein böswilliger Dritter die begonnene Rettung sehe i-

1. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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lieh ist. 170 Immer geht es bei dem tatbestand Ii ehen Zusammenhang zwischen dem Handeln des Täters und dem eingetretenen Erfolg allein um die Frage seiner objektiven Zurechenbarkeit, die - völlig unabhängig von jeglicher Kausalitätsprüfung oder gar -feststellung 171 - dann zu bejahen ist, wenn sich in dem Erfolg die Gefahr realisiert hat, die der Täter mit seinem Handeln geschaffen hatte. 172 Infolge der Typisierung des deliktsspezifischen Rechtsgutsangriffs im Unrechtstatbestand des jeweiligen Strafgesetzes durch Schilderung eines realweltlichen Geschehens kann es insoweit zu einer Divergenz zwischen dem bei einer rein äußerlichen Betrachtung vom Gesetzeswortlaut erfaßten Täterverhalten und der vom Gesetz gemeinten, von diesem Verhalten jedoch nicht verwirklichten Wertverfehlung kommen. Zu denken ist hier zuerst an die bereits behandelten Fälle einer Einwilligung des Rechtsgutsträgers in den Eingriff eines Dritten in das Rechtsgutsobjekt wie auch an die Fälle der optimalen Gefahrenminderung durch den Handelnden. Bei einem solchen sog. Tatbestandsausschluß entsteht lediglich der Anschein eines rechtsgutsverletzenden Verhaltens,173 der sich jedoch sogleich als falsch herausstellt, wenn man die Wertstruktur des Geschehens in die Betrachtung einbezieht: 174 Daß der jeweilige Umfang der Vertypung tern läßt, indem er den Rettungsring zerstört, die Feuerwehrschläuche zerhackt, das vom Schlangenbißopfer benötigte Gegengift verschüttet usw. - Vgl. hierzu im einzelnen Schmidhäuser, Allg. Teil, 8/76. 170 Im Ergebnis ebenso jetzt auch Hoyer, Rudolphi-Festschrift, S. 103. 171 Ähnlich schon Otto, Maurach-Festschrift, S.93, 101 ff., unter Aufweis der Risikoerhöhung als Zurechnungsgrund. - Kritisch gegenüber dem derzeitigen Normativismus in der Strafrechtsdogmatik, insbesondere in bezug auf die Kriterien der objektiven Zurechnung Puppe, GA 1994, 307 ff. 172 Während über diese "Grundformel" rur das Prüfen der objektiven Zurechenbarkeit im Schrifttum weithin Einigkeit herrscht, ist die sich dort oft anschließende "Konkretisierung" anhand von Fallgruppen-Katalogen (vgl. beispielhaft Wessels/ Beulke, Allg. Teil, Rn. 182 ff.), lediglich der von vornherein zum Scheitern verurteilte Versuch, eine in sich vielfältig inkonsistente und auch in der Begründung der einzelnen Entscheidung häufig nicht stichhaltige Judikatur auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Als solcher ist die objektive Zurechnung aber ungeeignet, weil die fraglichen Problemgestaltungen überwiegend nicht hier, sondern an anderer Stelle straftatsystematisch verortet sind: So läßt etwa die "Risikoverringerung" schon den tatbestandlichen Rechtsgutsangriff des Täterhandelns entfallen, der "Schutzzweck der Norm" dient zur inhaltlichen Ausrullung des Gesetzesmerkmals "Fahrlässigkeit" und das "erlaubte Risiko" ist durch die Wertstruktur der Rechtfertigungsgründe charakterisiert. 173 Keine Fallgestalt" des Tatbestandsausschlusses, sondern eine der Rechtfertigung bildet wegen ihrer Wertstruktur die sozial-adäquate Rechtsgutsverletzung, z. B. eine mit dem Wettkampfsport nahezu zwangsläufig verbundene leichte Körperverletzung.A. A. unter Berufung auf das "Prinzip" des Regel/Ausnahme-Verhältnisses zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit, das jedoch bei vielen Straftaten nicht einmal statistische Gültigkeit hat, Rössner, Hirsch-Festschrift, S. 318 f. 174 So schon die Erstauflage, S. 294 f., 297, 353. - Ebenso jetzt auch Sax, 1Z 1975, 144; Schmidhäuser, Allg. Teil, 8/111 ff.; Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung,

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

(nicht nur gesamtdeliktisch von der Strafwürdigkeit her, sondern) auch innerhalb der einzelnen Verbrechenselemente vom typisierten Gegenstand - hier also vom Unrechts unwert der Rechtsgutsverletzung - her zu bestimmen ist, ergibt sich bereits aus der Wertbezogenheit des hier der Verbrechenssystematik zugrunde gelegten Tatbestandsbegriffs. Der Tatbestand als Form des jeweiligen Straftatelements kann nicht weiter reichen als der von ihm beschriebene Unwert, so daß die Form durch den Inhalt begrenzt wird. Die Tragweite der strafgesetzlichen Unrechtsindividualisierung ist also nicht naturalistisch, anhand des äußeren Erscheinungsbildes des anschaulich geschilderten Verhaltens zu ermitteln, sondern an der vertypten Rechtsgutsverletzung zu ermessen. Wo deshalb einem Verhalten, das dem Phänomen nach dem Wortlaut der strafgesetzlichen Unrechtsbeschreibung entspricht, dieser Charakter der Rechtsgutsverletzung fehlt, wie etwa beim Handeln mit EinwiIligung des Rechtsgutsträgers 175 oder unter optimaler Gefahrenminderung, da kann es mangels Rechtsgutsangriffs von vornherein nicht zur Erfiillung des Unrechtstatbestandes kommen (sog. materieller Tatbestandsausschluß). Während in den Fällen eines solchen materiellen Tatbestandsausschlusses die richtige Beurteilung sich ohne und zum Teil sogar gegen eine insoweit vielleicht mißverstehbare Gesetzesregelung (wie § 228) Bahn gebrochen hat, kann das Gesetz auch selbst ausdrücklich einzelne Fallgestalten aus dem Unrechtstatbestand einer Strafvorschrift ausschließen. Ein solcher formeller Tatbestandsausschluß ist dadurch gekennzeichnet, daß zwar der Unrechtsunwert der Rechtsgutsverletzung ganz oder teilweise 176 gegeben sein kann,177 der Gesetzgeber aber - den Rechtsanwender insoweit bindend - gleichwohl diese Fallgestalt mit einer eigenen Ausschlußvorschrift oder durch eine selbständige Pönalisierung (etwa nach Art des § 216) 178 aus dem betroffenen strafgesetzlichen UnS. 141 ff. - Auf abweichender konstruktiver Grundlage auch Rudolphi, ZStW Bd. 86, 87 f.; Kindhäuser, Rudolphi-Festschrift, S. 137 ff., 149. 175 Ob Tatbestandsausschluß oder Rechtfertigung wird ausdrücklich offengehalten durch Stern berg-Lieben, Schranken der Einwilligung, S. 66. - Für Rechtfertigung hingegen Amelung, Willensmängel bei der Einwilligung, S. 9. 176 Als Beispiel hierfiir sei die Tötung auf Verlangen (§ 216) genannt, bei der die im Verlangen enthaltene Einwilligung des Lebensmüden von der Rechtsordnung nicht als wirksam anerkannt wird, weil er kein uneingeschränktes Verfiigungsrecht über sein Leben hat, seine Einwilligung andererseits aber auch nicht als rechtlich irrelevant eingestuft wird, sondern zu einer Unrechtsminderung fUhrt. Ebenso OUo, Bes. Teil, § 6 Rn. I; Lackner/Kühl, StGB, § 216 Rn. I; Schönke/Schröder/Eser, StGB, § 216 Rn. I; Bringewal, ZStW Bd. 87,645; Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 243. 177 Sind somit materieller und formeller Tatbestandsausschluß begrifflich voneinander unabhängig, so werden sie doch oft deckungsgleich gegeben oder eben nicht gegeben sein. 178 Die Herausnahme aus dem Grunddeliktstatbestand erfolgt hier durch die Gesetzeskonkurrenz in der Form der Spezialität.

1. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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rechtstatbestand herausgenommen hat. Eine ganz andere Frage ist die nach der Sachgerechtigkeit des formellen Tatbestandsausschlusses jeweils im konkreten Fall. Hierzu läßt sich allgemein nur sagen, daß insoweit das gesamte Spektrum möglicher Geschehensgestaltung vom historischen Gesetzgeber auch schon zum Gegenstand solch eines formellen Tatbestandsausschlusses gemacht worden ist, von der ausnahmslos anerkannten und demgemäß uneingeschränkt befürworteten Herausnahme aus dem Tatbestand wegen fehlender Strafwürdigkeit bis hin zum legislativen Verfassungsverstoß, mit dem bestimmten Menschengruppen der strafrechtliche Schutz durch das Gesetz selbst entzogen worden ist.

cc) Formen tatbestandlicher Unrechts struktur Welchen Ausschnitt aus der vorstehend in ihren vertatbestandlichten Begriffselementen skizzierten Rechtsgutsverletzung der Gesetzgeber unter welche Strafandrohung stellt, ist genuin seine Entscheidung. Er wird sich dabei vorrangig von seinen Strafwürdigkeitsvorstellungen leiten lassen, aber auch an historisch gewachsenen Deliktsbildern orientieren und die einschlägigen Vorgaben der Verfassung beachten, wie z. B. sich durch eine möglichst anschauliche Tatbeschreibung um ein Höchstmaß an gesetzlicher Bestirnrntheit i. S. v. Art. 103 Abs. 2 GG bemühen. Weil nur das von dieser legislatorischen Formung erfaßte Geschehen eine Straftat ist, kommt in jeder Strafvorschrift als dem Ergebnis jenes gesetzgeberischen HandeIns zugleich die eigenständige systematische Funktion der Vertatbestandlichung als Formelement der Straftat zum Ausdruck. Die rechtstechnischen Mittel, derer sich der Gesetzgeber bei der Tatbestandsbildung bedient, um so den für das jeweilige Delikt spezifischen Unwert auszuwählen und in seine strafgesetzliche Form zu bringen, sind zum einen die Fixierung des Vollendungszeitpunkts und zum anderen die Kombination unterschiedlicher Elemente einer Rechtsgutsverletzung oder die mehrerer Rechtsgutsverletzungen miteinander. In dem kontinuierlichen Prozeß des Rechtsgutsangriffs, der von der allerersten, noch ganz femen Gefährdung (z. B. Studium des Waffenversandhandelskatalogs durch den Täter des hemach begangenen Mordes) über irnrner erfolgsnähere Geflihrdungsstadien sowie schließlich die erfolgsnächste, die "gegenwärtige" Gefahr zu (dauerhaften) Verletzungen, zunächst vielleicht kleineren Ausmaßes, über immer größere Schädigungen bis hin zum vollen Unwertsachverhalt als der schwerstmöglichen und irreversiblen Beeinträchtigung des betroffenen Rechtsgutsobjekts (z. B. Tod des Mordopfers) verläuft, muß der Gesetzgeber an der jeweils ihm als sachgerecht erscheinenden Stelle die Zäsur vornehmen, die die Vollendung der betroffenen Straftat - ferner oder näher dem vollen Unwertsachverhalt der zugrundeliegenden Rechtsgutsverletzung - markiert. Zugleich mit der Beschreibung des bis zu diesem Punkt fortgeschrittenen rechtsgutsverletzenden Geschehens kann der Gesetzge-

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l. Teil, l. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

ber subjektive Intensitätsabstufungen des Rechtsgutsangriffs, wie das insoweit zielgerichtete oder das zielerreichende Wollen, im Unrechtstatbestand schildern und durch eine solche Kombination das filr die jeweilige Straftat spezifische Unrecht individualisieren. Schließlich kann er auch zwei oder sogar noch mehr Rechtsgutsverletzungen ausschnitthaft im Unrechtstatbestand einer Strafvorschrift miteinander kombinieren. Als Ergebnisse des legislatorischen Handeins entstehen unterschiedliche Formen tatbestandlicher Unrechtsstruktur, die die nach ihnen benannten Deliktsgruppen prägen, zu denen sich die durch sie charakterisierten Straftaten zusammenfassen lassen. Gleichsam die entwicklungsgeschichtliche Urform aller Straftaten ist das Verletzungserfolgsdelikt, bei dem die deliktsformende Zäsur quasi im Endstadium des weit fortgeschrittenen Rechtsgutsangriffs vorgenommen wird, wie z. B. beim Totschlag (§ 212). Zu seinen Elementen gehört neben dem tatbestandsmäßig-rechtsgutswidrigen Willensverhalten ein Verletzungserfolg, d. h. ein von dem Verhalten begrifflich ab lösbarer, dem vollen Unwertsachverhalt entsprechender oder zumindest nahekommender Schaden am betroffenen Rechtsgutsobjekt, der sich in einer jeweils der unrechtstatbestandlichen Deliktsbeschreibung gemäßen Weise auf das Täterverhalten zurückfilhren lassen, d. h. ihm objektiv zurechenbar sein muß. Objektiv zurechenbar ist der tatbestandliche Verletzungserfolg, wenn sich in seinem Eintritt gerade die durch das Täterhandeln geschaffene Gefahr realisiert hat. Eine Untergruppe bilden die Verletzungszieldelikte, deren Unrechtstatbestand den Rechtsgutsangriff als zielgerichtetes Herbeifilhren des Verletzungserfolges beschreibt - wie z. B. das "Nötigen" bei der Nötigung (§ 240) und der Erpressung (§ 253) als das erstrebende Bewirken einer Willensbeugung oder das "Vorspiegeln" beim Betrug (§ 263) als absichtliche lrrefilhrung -, und die Strafbarkeit damit auf den Bereich dieser in subjektiver Hinsicht schwerstwiegenden Unrechtsform einschränkt. Wird die die Deliktsart gestaltende Zäsur innerhalb des Rechtsgutsangriffs schon in dem Stadium vor Eintritt des Verletzungserfolges vom Gesetzgeber vorgenommen, so entsteht ein (konkretes) Gefährdungserfolgsdelikt I79 , wie beispielsweise die Aussetzung (§ 221 Abs. I), bei der die vom Täter herbeigefilhrte Gefahr filr Leib oder Leben des Opfers den tatbestandlichen Erfolg bildet. Das Zieldelik/ 80 ist dadurch charakterisiert, daß der tatbestandsmä179 Im Unterschied dazu ist bei den sog. abstrakten Gefährdungsdelikten die generelle Gefährlichkeit des Verhaltens rur weitere ranghohe Rechtsgüter nicht Merkmal des Unrechtstatbestandes, sondern ausschließlich eine massive Strafwürdigkeitssteigerung, die den Gesetzgeber zu einem entsprechenden Verschärfen der Strafandrohung motiviert. Vgl. Langer, Lackner-Festschrift, S.553 Fn.53, und schon die Erstauflage, S. 348. - Eine nur negative Kennzeichnung des abstrakten Gefährdungsdelikts dahingehend, daß sein Tatbestand weder die konkrete Gefährdung noch die Verletzung eines Rechtsgutes erfordere (vgl. beispielhaft Radtke, Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, S. 23), genügt als Begriffsbestimmung nicht. 180 Vgl. Langer, GA 1987, 300.

I. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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ßige Rechtsgutsangriff mit dem Ziel einer weiterreichenden Verletzung eben dieses Rechtsgutes gefiihrt wird, wie etwa bei der Urkundenfiilschung (§ 267) das Herstellen der unechten Urkunde mit dem Ziel, mit ihr im Rechtsverkehr zu täuschen. 181 Strafvorschriften gegen aus mehreren Rechtsgutsverletzungen zusammengesetzte Delikte l82 - wie z. B. gegen die erfolgsqualifizierten Straftaten, etwa gegen Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178) -, erläßt der Gesetzgeber vor allem dort, wo die Strafwürdigkeit der mehreren Rechtsgutsverletzungen in ihrer spezifischen Verbindung von der Rechtsfolgenregelung über die Tateinheit (§ 52) nicht ausgeschöpft werden kann.

b) Die selbständig-al/gemeinen subjektiven Unrechtstatbestandsmerkmale Alle subjektiven Elemente der Rechtsgutsverletzung fmden sich auch in deren Vertatbestandlichung wieder. Für die Beschreibung des deliktsspezifischen Rechtsgutsangriffs im Unrechtstatbestand der jeweiligen Straftat ist das vorstehend anband der WiIIens- und Wissenselemente der Tatbestandshandlung aufgezeigt worden. Deshalb mag die Feststellung überraschen, daß subjektive Begriffselemente der Rechtsgutsverletzung zusätzlich auch noch selbständig vertatbestandlicht sind. Unübersehbar stehen jedoch die "Kenntnis der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstände", die "Wissentlichkeit" und die "Absicht" als Merkmale im geltenden Strafgesetzbuch. 183 Mit gleicher Dringlichkeit wie der Gesetzeswortlaut verlangt die Kemthese der die deutsche Strafrechtsdogmatik im 20. Jahrhundert dominierenden und insoweit bis in die gegenwärtige Diskussion fortwirkenden fmalen Handlungslehre, bei der es vor allem um eben dieses Problemfeld der generellen subjektiven Unrechtsmerkmale geht, eine fundierte Auseinandersetzung mit ihrer Annahme, daß das Gesetzesmerkmal "vorsätzlich" das umfassende subjektive Unrechtstatbestandsmerkmal sei. Soweit diese Kemthese aus der nicht näher begründeten Gleichsetzung des HandlungswiIIens mit dem Vorsatzmerkmal 184 resultiert, ist sie bereits oben einer detaillierten Kritik l85 unterzogen worden: Der Wille als notwendiger Bestandteil der Tatbestandshandlung kann schon begrifflich nicht zugleich der hierauf bezogene Vorsatz sein. Zudem ergäbe sich die seltsame A. A. Freund, Urkundenstraftaten, Rn. 213. Näher hierzu Paul, Zusammengesetztes Delikt und Einwilligung, S. 22 ff. 183 Zur inhaltlichen AusfiiIIung der beiden letztgenannten Merkmale am Beispiel der Verfolgung Unschuldiger (§ 344) siehe Langer, JR 1989,96 t1 184 Welzel, Strafrecht, S. 65. - Vgl. hierzu die fundierte Kritik bei Alwart, Recht und Handlung, S. 124 ff.; siehe ferner die Finalismuskritik durch Hassemer, RudolphiFestschri ft, S. 72 f. 185 Vgl. im einzelnen oben, S. 69 f., sowie meine Widerlegung jener "Grundregel des Finalismus" in GA 1990, 459 f., mit weiteren Nachweisen. 181

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Konsequenz aus dem Vorsatz als Handlungswillen z. 8. des falschen Schwörens beim Meineid (§ 154), daß das falsche Schwören aus Fahrlässigkeit einen Handlungswillen nicht hat und damit die Straftat des Fahrlässigen Falscheids (§ 163 Abs. 1) gar keine Handlung. Aber auch die Inhaltsbestimmung "Vorsatz ist das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung,,186 trägt eine Kennzeichnung des Vorsatzes als generelles subjektives Unrechtstatbestandsmerkmal nicht, und das, obwohl der Entwurf zur derzeit geltenden Fassung des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs in seinen Formulierungen maßgebend von Anhängern des Finalismus und der sog. strengen Schuldtheorie geprägt worden ist: Es gibt zwingende Vorgaben rur die strafrechtsdogmatische Definition des Gesetzesmerkmals "vorsätzlich", zu denen neben dem Wortlaut des Gesetzes und den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers vor allem der Kontext und der Zweck der Regelung gehören 187 sowie die Prinzipien der Begriffsbildung und der Systematisierung, z. 8. Widerspruchsfreiheit und Gegenstandsangemessenheit. 188 Fragt man nun rur die Defmition des strafgesetzlichen Vorsatzmerkmals als "Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung" nach der Beachtung dieser Vorgaben, so sei zuerst die spezifische Differenz zur zuvor zurilckgewiesenen Identifizierung des Vorsatzes mit dem Handlungswillen festgehalten: Weiter greifend bezieht diese zweite Definition sowohl das Wissen des Handelnden als auch,den Inhalt seines Wo lIens in den Vorsatzbegriff ein und konkretisiert beides auf die Verwirklichung des (hier wohl als Beschreibung des Deliktsunrechts gesehenen) Tatbestandes. Damit sind zugleich die drei Bereiche umrissen, in denen diese Vorsatzdefinition den Anforderungen an eine methodisch einwandfreie Gesetzesauslegung nicht genügt. Fragt man zuerst, ob das" Wollen" überhaupt eine Berechtigung als Element in einem als selbständiges subjektives Unrechtstatbestandsmerkmal definierten Vorsatzbegriffhaben kann;89 so genügt zur Bejahung jedenfalls noch nicht die Feststellung, daß im sprach- und rechtshistorischen Rückblick - vom gemeinrechtlichen "Fürsatz" und dem ihm noch immer folgenden Alltagssprachgebrauch über die zivilrechtliche Inhaltsbestimmung dieser Form des "Vertretenmüssens" und die strafrechtlichen Vorsatzdefinitionen seit der sog. klassischen Verbrechenssystematik und dem Finalismus bis in die Umschreibungen des Vorsatzmerkmals durch Schrifttum und Rechtsprechung der Gegenwart - überwiegend die Annahme eines Willenselementes im VorsatzbegriW 90 erkennbar ist. Denn ungeachtet solcher Tradition darf dieses Merkmal eben nur aus seinem

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Welzel, Strafrecht, S. 64.

187 Zu diesen anerkannten Kriterien der Gesetzesauslegung siehe schon Langer, Ri-

chard Lange-Festschrift, S. 258 f., mit weiteren Nachweisen. 188 Hierzu im einzelnen schon Langer, GA 1990, 435 ff. 189 Ausführlich hierzu schon Langer, GA 1990, 460 ff. 190 Siehe im einzelnen die Nachweise bei Langer, GA 1990, 460 ff.

1. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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Funktionszusammenhang innerhalb des heute geltenden Gesetzes definiert werden, und mit dem ist ein solches Willenselement im VorsatzbegrifJunvereinbar: In der ihm zugeschriebenen Funktion als selbständiges subjektives Merkmal des Unrechtstatbestandes müßte das in ihm vertatbestandlichte WoIlen auf das Wollen als Element der Tatbestandshandlung bezogen sein; ein solches WoUen des eigenen WoUens ist aber begrifflich sinnlos.1 91 Sodann würde mit einer solchen Definition - zumindest verbal - die Tatbestandsverwirklichung zum Gegenstand des WoIlens, d. h. zum WiIIensziel des Handelnden, erklärt, während tatsächlich niemand eine derartige genereUe Einschränkung der Vorsatzstrafbarkeit auf absichtliche Tatbestandsverwirklichungen auch nur filr diskussionswürdig hält. Dementsprechend wird das filr den Vorsatzbegriff postulierte WiIIenselement von vornherein reduziert auf die Kümmerfonnen des "Billigens" und "Inkaufnehmens,,192, bei denen es sich in Wahrheit überhaupt nicht mehr um voluntative Elemente handelt, und im kritischen FaIl, filr dessen Beurteilung es gerade auf das Ernstnehmen der eigenen Vorsatzdefinition ankäme, wird selbst auf die FeststeIlung dieser Kümmerfonnen verzichtet, indem bei fehlender Billigung der Tatbestandsverwirklichung durch den Täter seine "BiIIigung im Rechtssinne,,193 fmgiert wird, sofern der Richter die Vorsatzstrafe verhängen will. Schließlich ist das Unterlassungsunrecht gerade durch das Fehlen des Verwirklichungswillens . charakterisiert,194 so daß der Vorsatz der Unterlassungsstraftat schon deswegen zwingend ohne Willens element zu defmieren ist,195 womit sich als Konsequenz aus jener verfehlten Prämisse die durchgängige Spaltung des Vorsatzbegriffs ergibt. Daraus folgt, daß bei Anwendung der aIlgemein anerkannten Grundsätze der Gesetzesauslegung das WoIlen kein Element des als selbständiges subjektives Merkmal des Unrechtstatbestandes begriffenen Vorsatzmerkmals ist. Folgerichtig enthält das Strafgesetzbuch auch keine Vorschrift nach Art des § 16 Abs. 1 S. 1, mit der es vorsätzliches Handeln filr den FaIl fehlenden Wollens verneinen würde. Nimmt man sodann das " Wissen" als Element jener Vorsatzdejinition in den Blick, so richten sich die sich auch insoweit sogleich meldenden Einwände nicht gegen seine Verwendung als solche zur Inhaltsbestimmung des Vorsatzes,

191 Ähnlich schon Spendei, Stock-Festschrift, S. 112. 192 V gl. beispielhaft BGH NStZ 1984, 19; 1988, 175; Wessels/Beulke, Allg. Teil,

Rn. 219,223; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, § 15 Rn. 84. - "Billigen" ist eine emotional positive, "Inkaufnehmen" eine emotional negative Haltung zum vorausgesehenen Effolgseintritt. Die gängige Kombination bei der Kennzeichnungen zum "billigenden Inkaufnehmen" krankt an diesem inneren Widerspruch und offenbart zugleich die Unsinnigkeit dieser Formel. 193 BGHSt 7, 363, 369. 194 V gl. beispielhaft Armin Kaufmann, Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 272 ff.; Welzel, Strafrecht, S. 201. - A. A. Kahla, Die Handlungsform der Unterlassung, S. 268. 195 So zutreffend schon Grünwald, Hellmuth Mayer-Festschrift, S. 302 f.

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

sondern gegen seine Beschränkung auf die Tatbestandsverwirklichung. 196 Da die Fonnulierungen des geltenden Gesetzes auf Vertreter des Finalismus und der sog. strengen Schuldtheorie zurückgehen, verwundert es nicht, wenn diese Meinungen hinsichtlich des Wissenselements des als subjektives Unrechtsmerkmal verstandenen Vorsatzes insoweit zum Gesetz nicht in Widerspruch stehen. Die Fragwürdigkeit dieses Definitionsansatzes zeigt sich vielmehr erst in seinen gesamtsystematischen Konsequenzen: Jene Reduktion des" Wissens" auf die Tatbestandsverwirklichung führt in Teilbereichen vorsätzlicher Straftatbegehung offenbar zu so unerträglichen Ergebnissen bei der Beurteilung vermeidbar irrenden, aber subjektiv rechtstreuen Handeins, daß auch die allenneisten Vertreter der Schuldtheorie auf unterschiedlichen Wegen (deren Konstruktionen jedoch sämtlich mit den anerkannten Grundregeln der Gesetzesanwendung unvereinbar sind) deren Konsequenzen auszuweichen versuchen, indem sie rur die Fälle des sog. Erlaubnistatbestandsirrtums als (der in der Praxis nahezu allein relevanten) Fonn des Verbotsirrtums l97 die Ergebnisse der Vorsatztheorie übernehmen. Keine dieser sog. eingeschränkten Schuldtheorien - wie z. B. die Lehren von den negativen Tatbestandsmerkmalen l98 , von der unmittelbaren Anwendbarkeit oder von der analogen Anwendbarkeit des § 16 auf diesen Verbotsirrtum - verdient in Anbetracht der dogmatisch-konstruktiven Widersprüche, an denen sie alle - wenn auch in unterschiedlicher Weise - kranken, 199 den Namen "Theorie"; und auch, soweit sie die unerträglichen Konsequenzen ihres Ansatzes "nur" im Schuld- oder im Rechtsfolgenbereich zu korrigieren versuchen/ oo haben jene Widersprüche ihren Ursprung in jener verfehlten Definition des Vorsatzbegriffs als eines subjektiven Merkmals des Unrechtstatbestandes. Auch die Aufspaltung des strafgesetzlichen Vorsatzmerkmals 201 in einen "Tatbestandsvorsatz" und einen "Schuldvorsatz" schafft keine tragfähige straftatsystematische Grundlage, weil mit dieser Aufspaltung die Bindung der Systematik an das Gesetz aufgegeben wird, das nur ein einheitliches Vorsatzmerkmal kennt. Ob schließlich die Kennzeichnung des Vorsatzes als doppel-

196 Die nachfolgende Kritik richtet sich damit gegen alle das Wissenserfordernis auf die Tatumstandskenntnis beschränkenden Bestimmungen des Vorsatzbegriffs, d. h. auch gegen diejenigen, die (im Ansatz zutreffend) den Vorsatz ohne ein Willenselement definieren. V gl. beispielhaft Jakobs, Allg. Teil, 8/8 (mit zahlreichen Nachweisen). 197 Zutreffend so schon Wetzet, Strafrecht, S. 168. 198 Vgl. hierzu im einzelnen die Widerlegung durch Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, S. 220 ff. 199 Zur wechselseitigen Kritik der verschiedenen eingeschränkten Schuldtheorien unter Aufweis ihrer Widersprüche vgl. beispielhaft Schönke/Schröder/CrameriSternbergLieben, StGB, § 16 Rn. 18 einerseits und Jescheck/Weigend, Allg. Teil, S. 462 ff. andererseits. 200 Jescheck/Weigend, Allg. Teil, S. 464, mit weiteren Nachweisen. 201 Tröndte, StGB, § 16 Rn. 27.

1. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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funktionelles Merkmal 202, das einen Unrechtsgehalt und einen selbständigen Schuldgehalt umgreifend typisiert, ein gangbarer Weg zu seiner korrekten straftatsystematischen Einordnung wäre, kann hier dahingestellt bleiben, weil eine solche Auffassung in Schrifttum und Rechtsprechung ersichtlich nicht vertreten wird. 203 Zusammengefaßt ergibt sich, daß mit der fmalistischen Einordnung des als "Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung" defmierten Vorsatzes als subjektives Unrechtstatbestandsmerkmal die Anhänger der sog. strengen Schuldtheorie gescheitert sind schon im Hinblick auf das als Vorsatzbestandteil nicht begrundbare und auch deshalb von ihnen selbst letztlich nicht ernstgenommene Wollenselement. Alle übrigen, gleichfalls von jenem dogmatischen Ansatz ausgehenden, ihn aber auf unterschiedliche Weise "einschränkenden" Lehren verschleiern damit lediglich, daß sie in Wahrheit entweder gar keine subsumtionsfiihige Begriffsbestimmung des strafgesetzlichen Vorsatz-Merkmals haben (die Schuld der Vorsatzstraftat als notwendige Strafbarkeitsvoraussetzung ist bei ihnen von keinem Gesetzesmerkmal begrifflich erfaßt) oder aber sich in offenen Widerspruch zu dessen zwingenden Konsequenzen setzen ("rechtsfolgenverweisend"). Nach allem hat sich der vom Finalismus unternommene Versuch, das strafgesetzliche Vorsatzmerkmal als das generelle subjektive Element des Unrechtstatbestandes der Vorsatzdelikte herauszuarbeiten, als mit dem geltenden Strafgesetz unvereinbar erwiesen. 204 Die Hauptaufgabe wissenschaftlicher Strafrechtsdogmatik, durch ihre Begriffsklärung eine in sich widerspruchsfreie, rational kontrolIierbare Gesetzesanwendung zu gewährleisten, bleibt damit insoweit rur diesen straftatsystematisch ganz zentralen Bereich ungelöst.

Ist aber die generell erheblich höhere Strafbarkeit eines vorsätzlichen im Vergleich mit dem entsprechenden fahrlässigen Rechtsgutsangriff Ausdruck der von der schwereren Schuld abhängigen größeren Strafwürdigkeifo5 und setzt diese schwerere Schuld als Relationsbegriff wiederum bei der Vorsatzstraftat 202 Zur Definition und zur straftatsystematischen Bedeutung dieses Begriffs vgl. schon die Erstauflage, S. 346 ff. 203 Trotz gleicher Terminologie inhaltlich anders Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 142 ff.; 425 ff.: Die Doppelfunktion des Vorsatzes umfaßt danach im Bereich der Schuld nur den vom Unrecht abhängigen Schuldgehalt der Tat. Dessen spezifische Differenz zum Unrechtsbewußtsein bleibt begrifflich ungeklärt - hier, wie auch sonst im strafrechtlichen Schrifttum. 204 Von dieser Kritik werden die außerordentlichen Verdienste des frühen Finalismus mit den von ihm erarbeiteten Einsichten in die Finalstruktur menschlichen Handeins (vgl. vor allem Welzel, ZStW Bd. 58, 491 ff.) nicht im mindesten berührt. Hier geht es vielmehr darum, diese Einsichten mehr als bisher für die Strafrechtsdogmatik fruchtbar werden zu lassen und sie vor dem Verschüttetwerden in dem Prokrustes-Sarg einer verfehlten Vorsatzdefinition zu bewahren. 205 Vgl. hierzu im einzelnen schon die Erstauflage, S. 334 ff.

1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

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ein generell größeres Unrecht als bei der gleichen, nur fahrlässig begangenen Rechtsgutsverletzung voraus, auf das sie sich bezieht,206 dann ist es richtig und gesamtsystematisch notwendig, diese spezifische Differenz mit allgemeinen subjektiven Unrechtstatbestandsmerkmalen zu kennzeichnen. Deshalb ist mit jenem negativen Zwischenergebnis zugleich die Frage aufgeworfen, welche anderen Gesetzesmerkmale es gibt, die die vom Finalismus dem Vorsatzmerkmal zugedachte Rolle im Einklang mit dem geltenden Strafgesetzbuch ausfüllen können, so daß jene Fehlvereinnahmung entbehrlich wird. Muß es sich bei den gesuchten generellen subjektiven Unrechtsmerkmalen nach den vorstehend erarbeiteten Erkenntnissen um Merkmale handeln, die nicht schon selbst zu den notwendigen Begriffsmerkmalen des tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs gehören, sondern eine psychische Beziehung des Täters zu diesem selbständig typisieren, und war das Vorsatzmerkmal nicht zuletzt auch deswegen rur diese Aufgabe ungeeignet, weil es sich für den Bereich der Schuld als unverzichtbar erwiesen hatte, so liegt es nahe, nach dem benötigten Begriff in den Regelungen über bloße Voraussetzungen vorsätzlichen Handeins zu suchen; denn in denen ist das Vorsatzmerkmal selbst weder inhaltlich definiert noch straftatsystematisch verortet, d. h. es wird für die Sachanalyse offengehalten. Im geltenden Strafgesetzbuch findet sich als einzige insoweit in Betracht kommende Vorschrift der § 16 Abs. 1: Diese Regelung benennt in § 16 Abs. 1 S. 1 als Voraussetzung vorsätzlichen HandeIns, daß der Täter bei Begehung der Tat alle zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstände kennt. § 16 Abs. 1 S.2 ergänzt das dahin, daß bei fehlender Kenntnis eines zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstandes die Stratbarkeit wegen fahrlässiger Begehung "unberührt bleibt", d. h. die betreffende Fahrlässigkeitsstratbarkeit besteht, sofern deren Voraussetzungen erfüllt sind. Geht es somit in den bei den Sätzen des § 16 Abs. 1 um korrespondierende Benennungen von Mindestvoraussetzungen der jeweiligen Schuldform im Unrechtstatbestand, dann kann mit § 16 Abs. 1 S. 2 als allgemeine subjektive Mindestvoraussetzung fahrlässiger Straftatbegehung nur die Erlangbarkeit der - gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 rur die vorsätzliche Begehung als aktuell vorausgesetzten - Tatumstandskenntnis bezeichnet sein. Diese in den beiden Sätzen des § 16 Abs. 1 bestimmten subjektiven Mindestniveaus hat das Gesetz in etlichen Strafvorschriften mit Hilfe der die täterpsychischen Anforderungen qualifizierenden Merkmale "wissentlich" bzw. "Ieichtfertig" erhöht und so den unrechtstatbestandlieh erfaßten Ausschnitt aus dem zugrunde liegenden Rechtsgutsangriff auf diese schwerer wiegenden Fälle eingeschränkt.

206

Vgl. hierzu im einzelnen schon die Erstauflage, S. 323 f.

l. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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aa) Tatbestandliche Mindestanforderungen an das Unrecht der Vorsatzstraftat: Die Tatumstandskenntnis Als notwendige Voraussetzung vorsätzlichen Handeins nennt § 16 Abs. 1 S. 1, daß der Täter bei Begehung der Tat alle zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstände kennt. In Schrifttum und Rechtsprechung sind zur Bezeichnung des gleichen Gegenstandes andere, von der gesetzlichen Terminologie abweichende Ausdrücke weit verbreitet, wie z. B. "Tatbewußtsein", "Verletzungsbewußtsein" oder "Wissen der Tatbestandsverwirklichung", was unschädlich ist, sofern man sich nur bei der Gesetzesanwendung des synonymen Gebrauchs wieder erinnert. Zutreffend wird die Tatumstandskenntnis ganz überwiegend als ein Merkmal des Unrechtstatbestandes begriffen;207 denn dieses Merkmal beschreibt das Bewußtsein und die Vorstellungen des Täters von seinem rechtsgutswidrigen Willensverhalten, d. h. von den Wirklichkeitsmomenten, die seinen tatbestandsmäßigen Rechtsgutsangriff ausmachen, also von den unrechtsbegründenden Tatsachen des betroffenen Vorsatzdelikts. Das selbständig-allgemeine subjektive Merkmal der Tatumstandskenntnis schneidet hier aus dem tatbestandsmäßigen Rechtsgutsangriff den als Gegenstand rur die Schuldform des Vorsatzes benötigten Bereich heraus und wird so als formgebender Teil dieses Ausschnitts selbst zum Unrechtstatbestandsmerkmal, das die generellen subjektiven Mindestanforderungen an das Unrecht der Vorsatzstraftat typisiert. Fragt man nach dieser Klärung seiner systematischen Funktion nun nach dem Inhalt der "Tatumstandskenntnis" im einzelnen, dann bemerkt man sogleich, daß die sprachliche Fassung dieser Voraussetzung vorsätzlichen Handeins nicht uneingeschränkt als gelungen bezeichnet werden kann: Die "bei Begehung der Tat" als aktuell vorliegend verlangte "Kenntnis" hat sich nach allgemeiner Ansicht eben nicht nur auf die Wahrnehmung der Tatsachen zu beziehen, wie dieses Wort suggeriert, sondern es umfaßt die Vorstellung des Täters von allen relevanten Geschehensmomenten seines tatbestandsmäßig-rechtsgutsverletzenden HandeIns, d. h. über das Wissen um das Gegebensein der tatbestandsmäßigen Situation und das eigene Führen des Rechtsgutsangriffs mit den tatbestandlich genannten Mitteln hinaus auch die Vorstellung vom weiteren Tatablauf einschließlich des künftigen Erfolgseintritts. Muß die in diesem Sinn zu verstehende "Kenntnis" auch aktuell vorhanden sein, so braucht sie doch andererseits nur als sachgedankliche208 vorzuliegen und kann hinsichtlich einzelner Umstände des gesetzlichen Tatbestandes durchaus am Rande des Bewußtseins bleiben,

207 So auch schon von der Erstauflage, S. 301 f., mit detaillierter Begründung. - Als Schuldmerkmal einordnend hingegen Schmidhäuser, Allg. Teil, 10/32. 208 Zur Unterscheidung von Sachdenken und Sprachdenken in ihrer Relevanz rur die Tatumstandskenntnis vgl. im einzelnen Schmidhäuser, Allg. Teil, 10/54.

1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

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muß also nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit des Täters stehen. Im übrigen ist die Tatumstandskenntnis nur dann gegeben, wenn der Handelnde sowohl die Tatsachen als auch deren Bedeutung filr den tatbestandlichen Rechtsgutsangriff erfaßt hat: Wer etwa ein neben zur Abfuhr bereitgestelltem Sperrmüll lehnendes Fahrrad irrtümlich filr auch derelinquiert hält, dem fehlt die Tatumstandskenntnis hinsichtlich des Merkmals "fremd" in § 242, ebenso wie dem, der nach einer wirklichen Dereliktion sich eines anderen besinnt und meint, als ursprünglicher Eigentümer könne er sich die betroffene Sache von deren neuem Inhaber zurücknehmen. Hingegen erfordert die Tatumstandskenntnis nicht, daß der Täter den Schluß auf den Begriff hin zieht oder gar die juristische Definition jenes Merkmals weiß. Gleichfalls nicht gehört zur Tatumstandskenntnis das Wissen um die Rechtswidrigkeit der Tat wie auch um das Fehlen jeglicher Umstände, die solch ein Urteil entfallen ließen/ 09 denn der "gesetzliche Tatbestand", dessen Merkmale nach § 16 Abs. 1 S. 1 sämtlich von der Wahrnehmung oder der Vorstellung des Handelnden umfaßt sein müssen, besteht allein in der Beschreibung der deliktsspezifischen Rechtsgutsverletzung. Die Tatumstandskenntnis ist nicht gegeben bei einem ,Jrrtum über Tatumstände", wie die Überschrift zu § 16 das bei Begehung der Tat fehlende Wissen

des Handelnden von einem zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstand bezeichnet. Diesem Begriff untertallt jedoch nur eine erhebliche Unkenntnis, d. h. eine so wesentliche Abweichung der Tätervorstellung vom wirklichen Geschehen, daß der Handelnde das Spezifische des von ihm gefilhrten Rechtsgutsangriffs nicht mehr erfaßt. Hier wird das Hauptproblern zumeist darin liegen, Kriterien filr die Erheblichkeit der Unkenntnis zu erarbeiten, jedoch wird die Beurteilung vieler Grenzfälle dadurch erleichtert, daß filr eine stattliche Anzahl standardisierter Irrtumssituationen solche Kriterien nicht nur schon bestimmt worden sind, sondern sich in Schrifttum und Rechtsprechung auch bereits weitestgehend oder gar allgemein durchgesetzt haben. So liegt eine erhebliche Unkenntnis und damit ein Tatumstandsirrtum gemäß § 16 vor, wenn der vom Täter gefilhrte Rechtsgutsangriff in seinem Verlauf wesentlich von den Vorstellungen des Handelnden abweicht, wenn ein anderes als das vom Täter in den Blick genommene Rechtsgut verletzt oder - bei sog. höchstpersönlichen Rechtsgütem ein anderes als das von ihm ausersehene Rechtsgutsobjekt getroffen wird (sog. aberratio ictus). Hingegen erfaßt der Täter das Wesentliche seines Rechtsgutsangriffs noch zutreffend und bleibt somit seine Tatumstandskenntnis erhalten, wenn der reale Tatverlauf vom in Aussicht genommenen nur unerheblich abweicht (so z. B., wenn durch das Ausweichen des Opfers aus der beabsichtigten Ohrfeige eine Backpfeife wird) oder wenn der Handelnde sich nur über die Individualität, nicht aber über die Rechtsgutsqualität hinsichtlich des von ihm ver-

209

Ebenso Schmidhäuser, Allg. Teil, \0/38. Entgegengesetzt Rudolphi in SK StGB,

§ 16 Rn. \0.

1. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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letzten Tatobjekts im (sog. error in persona vel in obiecto). Jeder erhebliche Irrtum über einen zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstand aber läßt mit dem selbständig-allgemeinen subjektiven Unrechtstatbestandsmerkmal der Tatumstandskenntnis das Unrecht der Vorsatzstraftat entfallen. Während sich das Gesetz bei der Mehrzahl der Vorsatzstraftaten im Unrechtstatbestand mit einer nur unsicheren Tatumstandskenntnis begnügt, fordert es bei den übrigen - wie z. B. bei dem Vortäuschen einer Straftat (§ 145 d), bei der Falschen Verdächtigung (§ 164) oder bei der Verleumdung (§ 187) - mit den Merkmalen "wider besseres Wissen" oder "wissentlich" zur Tatbestandserfilllung das sichere Wissen des Täters um seine unrechte Tat. Da er ein solches nur auf der Grundlage sicherer Tatumstandskenntnis erlangen kann, werden mit den genannten Gesetzesformeln zugleich die tatbestandlichen Mindestanforderungen an das Unrecht dieser Straftaten auf das Niveau der sicheren Tatumstandskenntnis erhöht.

bb) Tatbestandliche Mindestanforderungen an das Unrecht der Fahrlässigkeitsstraftat: Die Erlangbarkeit der Tatumstandskenntnis Daß auch das Unrecht der Fahrlässigkeitsstraftat in seinen Mindestanforderungen typisiert sein muß, versteht sich von selbst; denn zum einen ist auch die Schuldform der Fahrlässigkeit als Relationsbegriff auf ihr Unrecht bezogen und insoweit von diesem abhängig, und zum anderen ist trotz der hier meist vergleichsweise weiten Gesetzesformulierung auch vom Unrechtstatbestand der Fahrlässigkeitsstraftat stets nur ein Ausschnitt aus dem Gesamtfeld der möglichen Angriffe auf das jeweils geschützte Rechtsgut erfaßt, so daß auch das hier vertatbestandlichte Unrecht immer schon ein in objektiver und subjektiver Hinsicht qualifiziertes Unrecht ist. 2lO Lediglich das eigene, der "Tatumstandskenntnis" des § 16 Abs. I S. I entsprechende Merkmal, das insoweit die generellen Mindestanforderungen an das Unrecht der Fahrlässigkeitsstraftat vertatbestandlicht, findet sich als solches nicht im Gesetzeswortlaut benannt, sondern muß aus den begrifflichen Voraussetzungen der gemäß § 16 Abs. 1 S.2 "unberührt" bleibenden "Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung" herausgearbeitet werden.

Bei unbefangenem Herangehen an die hier somit vorzunehmende begriffliche Klärung steht zu erwarten, daß der Unrechtstatbestand der Fahrlässigkeitsstrajiat in seiner Struktur dem der Vorsatzstrajiat entspricht. Diese Annahme wird noch bestärkt durch die oben gewonnene Einsicht, daß es sich bei beiden nur um unterschiedliche Ausschnitte aus dem gleichen Rechtsgutsangriff handelt, die insoweit lediglich als unrechtstatbestandliehe Voraussetzungen der 210

Ebenso schon die Erstauflage, S. 350 f.

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). Teil, ). Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

beiden Schuldfonnen in ihren Mindestanforderungen divergieren. Hinzu kommt die geradezu unüberschaubare Schrifttumsflut zur Frage der gegenseitigen Abgrenzung von vorsätzlicher und fahrlässiger Begehung des gleichen Rechtsgutsangriffs, die nicht nur überflüssig, sondern geradezu völlig unerklärlich wäre, falls die Unrechtstatbestände von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsstraftat wirklich strukturverschieden wären und deshalb schon begrifflich ein Abgrenzungsproblem gar nicht auftreten könnte. Sichtet man nunmehr in einer solch unbefangenen, d. h. nicht bereits durch das Wissen um den derzeitigen Meinungsstand darauf vorbereiteten Erwartung das vorhandene Schrifttum zum Unrechtstatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, so könnte die Verblüffung nicht größer sein: Selbst Ähnlichkeiten mit dem Aufbau des Unrechtstatbestandes der Vorsatzdelikte sind nicht auszumachen, geschweige denn eine Strukturgleichheit. Zusammengefaßt besagt jener Meinungsstand, bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten bildeten als "Merkmale die Grundlage des Unrechtstatbestandes: die Erfolgsverursachung, die Verletzung der objektiven Sorgfaltspflicht und die objektive Zurechenbarkeit des auf dem Verhaltensfehler beruhenden Erfolges".211 Erst bei der Inhalts bestimmung der genannten Merkmale im einzelnen wird deutlich, wie grundlegend. die damit bezeichnete Strukturverschiedenheit gegenüber dem Unrechtstatbestand der Vorsatzstraftat ist: So soll die Verletzung der objektiven Sorgfaltspflicht in der objektiven Voraussehbarkeit des Erfolgseintritts bei einem Verhaltensfehler unter Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestehen. 212 Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt ergäben sich aus den Anforderungen an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und der sozialen Rolle des Handelnden unter Berücksichtigung seines Sonderwissens und begrenzt durch den sog. Vertrauensgrundsatz. 213 Im Rahmen der objektiven Zurechnung des Erfolges sind danach folgende Zurechnungsgesichtspunkte zu prüfen, die "bei Fahrlässigkeitsdelikten ihre besondere Bedeutung eriangen,,:214 Der Schutzzweckzusammenhang, der Pflichtwidrigkeitszusammenhang, das sog. Eigenverantwortlichkeitsprinzip, das untergeordnete Opferverhalten und die Pflichtverletzung Dritter, jeweils ausdifferenziert in ein breites Spektrum von Meinungsvarianten und in eine unüberschaubare Kasuistik aus der höchstrichterlichen Judikatur. 215 Betrachtet man diese Auflistung genauer, dann bemerkt man rasch, daß sie das kaum entwirrbare Ergebnisknäuel aus zwei Entwicklungslinien bildet, die jede rur sich erkennbar fragwürdig genug ist, um sie nicht weiterzuverfolgen. 211 So beispielhaft Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 664. Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 667. 2\3 Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 669 ff. 214 Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 673. 212

215 Vgl. auch hierzu die breite Darstellung bei Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 674 ff., als Repräsentanten rur den derzeitigen strafrechtsdogmatischen "mainstream" zu diesem Problemfeld.

I. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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Im historischen Längsschnitt geht es darum, daß die gesetzlich " verursachen .. benannte Tatbestandshandlung dieser Fahrlässigkeitsdelikte schon in der Frühphase der Reichsgerichtsjudikatur fälschlich mit dem Ursächlichwerden i. S. der sog. A"quivalenztheorie identifiziert worden ist mit der Folge, daß dieser Fehlansatz bei der Bestimmung des Unrechtstatbestandes der Fahrlässigkeitsdelikte durch einschränkende Kriterien korrigiert werden mußte. So versuchte man, wie es in derartigen Fällen immer wieder geschieht, diese Korrektur unter Begehung eines neuen Fehlers vorzunehmen, nämlich durch die Übernahme der Fahrlässigkeitsdefinition des Bürgerlichen Gesetzbuchs in das Strafgesetzbuch. Diese Begriffsbestimmung des § 276 Abs. 2 BGB, wonach "fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht läßt", ist aber im Strafgesetzbuch in jeder Hinsicht unpassend, weil sie sich auf einen "Verkehr" als ein im Regelfall erlaubtes, oft sogar rechtsgeschäftliches Verhalten bezieht, in dessen Gefolge versehentlich Rechtsgüter verletzt werden. In dem Bereich der vorsätzlichen Straftatbegehung hingegen, etwa in den sog. Abirrungsfällen/ 16 gibt es einen solchen "Verkehr" des Mordens, Körperverletzens, falschen Schwörens oder Brandstiftens überhaupt nicht, auf den sich die zugleich begangene Sorgfaltspflichtverletzung beziehen könnte. Unübersehbar ist die Verfehltheit der Übernahme jener zivilistischen Defmition in das Strafgesetzbuch deshalb z. B. auch rur das Gesamtfeld der sog. erfolgsqualifizierten Delikte, bei denen als "Verkehr" im Sinne der auf den qualifizierenden Erfolg (in der Regel: Tod eines Menschen) bezogenen Fahrlässigkeit jeweils nur die vorsätzlich begangene Grundstraftat in Betracht kommen kann. - Als zweite Entwicklungslinie zeigt sich im Schrifttum durchgängig das Streben nach Harmonisierung einer in sich ganz heterogenen Judikatur zu völlig verschiedenen, inhaltlich unverbundenen Einzelproblemen der Fahrlässigkeitsdogmatik, die ganz überwiegend mit der Kernfrage der objektiven Zurechnung, nämlich der Frage nach der Realisierung der vom Täter geschaffenen Gefahr im eingetretenen Erfolg, unmittelbar nichts zu tun haben. Weil sie straftatsystematisch irgendwo abgehandelt und eingeordnet werden müssen, man ihren richtigen Platz in der Systematik aber nicht erkannte, wurden sie eben unter der scheinbar hinreichend unbestimmten Rubrik "objektive Zurechnung" abgelegt. Nicht nur bei einer unbefangenen Betrachtung, sondern gerade auch bei einer kritisch reflektierenden Analyse der genannten Phänomene und Probleme in ihren gesamtsystematischen Zusammenhängen zeigt sich, daß es auf all das rur den Unrechtstatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts überhaupt nicht ankommt: 217 Nicht auf eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung (in deren Rahmen zudem dann subjektive Momente wie ein Sonderwissen, ein größeres individuelles Lei-

216 217

Vgl. dazu beispielhaft Schmidhäuser, Alig. Teil, 10/45, mit zahlreichen Nachweisen. A. A. Dtto, Schlüchter-Gedächtnisschrift, S. 94 ff.

I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

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stungsvennögen und ein Sonderkönnen des Täters abgehandelt werden 218 ) noch auf einen Vertrauensgrundsatz und auch nicht auf einen Schutzzweck- oder einen Pflichtwidrigkeitszusamrnenhang: 219, Völlig strukturgleich mit dem Unrechtstatbestand des Vorsatz delikts geht es bei dem der Fahrlässigkeitsstraftat um den gesetzlichen Ausschnitt aus dem jeweiligen Rechtsgutsangriff und um ein darauf bezogenes selbständig-allgemeines subjektives Merkmal. Als dieses Merkmal war vorstehend die Erlangbarkeit der Tatumstandskenntnis herausgearbeitet worden, womit zugleich auch die spezifische Differenz zur Vorsatzstraftat hinsichtlich jenes dort, wo aktuelle Tatumstandskenntnis vorausgesetzt ist, sehr viel engeren Ausschnitts aus dem Rechtsgutsangriff defmiert ist. Zu klären bleibt damit nur noch, was die Erlangbarkeit der Tatumstandskenntnis als das allgemeine subjektive Unrechtstatbestandsmerkmal der Fahrlässigkeitsdelikte inhaltlich kennzeichnet. Welcher psychische Befund muß insoweit beim Handelnden gegeben sein, wenn er den Unrechtstatbestand der Fahrlässigkeitsstraftat erfullen können soll? Gefragt ist damit nach den Mindestanforderungen, die auch in einem Mehr an Wissen oder gar aktueller Tatumstandskenntnis enthalten sind, so daß auch letztere insoweit den Unrechtstatbestand der Fahrlässigkeitsstraftat verwirklicht. Immer verfugt der Handelnde über eine partielle Kenntnis von den Tatumständen, so daß das Urteil, daß fur ihn in der Tatsituation die volle Tatumstandskenntnis erlangbar war, zum einen davon abhängt, ob ihm in jenem Teilwissen so viele tatsächliche Anhaltspunkte verfugbar waren, daß er es schlußfolgernd zur aktuellen Tatumstandskenntnis vervollständigen konnte. Zum anderen benötigt er dazu nicht selten besondere Begriffe, die er nur durch entsprechende Lebenserfahrungen erwerben kann. Nur wer über ein solches hinreichendes Erfahrungswissen verfugt, kann die Tatumstandskenntnis erlangen. Wer beispielsweise aus Kriegs- oder Wehrdienstzeiten weiß, wie eine Panzergranate aussieht, auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz einen stark verrosteten Gegenstand von solchem Äußeren fmdet und sich nun im Kreise neugieriger Zuschauer mit Hammer und Meißel daran macht, das Fundstück zu öffuen, der hat die erforderlichen Erfahrungen und Begriffe wie auch die notwendigen tatsächlichen Anhaltspunkte aus der Tatsituation, um die Tatumstandskenntnis in bezug auf die von ihm verwirklichte Tötungs- oder Körperverletzungsstraftat zu erlangen.

Wessels/Beulke, Allg, Teil, Rn. 670. Zur rechtsinhaltlichen Widerlegung der systematischen Verortung dieser Merkmale im Unrechtstatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts vgl. im einzelnen die nach wie vor unübertroffene Analyse durch Schmidhäuser, Schaffstein-Festschrift, S. 129 ff. - Vgl. dortselbst, S, 154 Fn. 75, aber auch unsere fortbestehende Divergenz über die Einordnung der Erlangbarkeit der Tatumstandskenntnis, die ich nur als Unrechtsmerkmal verstehen kann, weil sie sich allein auf das realweltliche Substrat der deliktischen Rechtsgutsverletzung bezieht, nicht aber gegen den Wert als Wert richtet. 218 219

J. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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In etlichen Strafvorschriften, insbesondere gegen schwere erfolgsqualifizierte Delikte wie z. B. gegen die Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178) oder gegen den Raub mit Todesfolge (§ 251), hat das Gesetz die Schuldfonn der Fahrlässigkeit in ihren Mindestanforderungen auf die "Leichtfertigkeit" erhöht. 220 Diese Qualifizierung bedingt eine entsprechende Steigerung im Bereich der Mindestanforderungen dieser Delikte an das allgemeine subjektive Unrechtstatbestandsmerkmal, mit dem hier deshalb so viel Tatsachenkenntnis und Erfahrungswissen des Täters vorausgesetzt wird, daß es ihm besonders leicht möglich gewesen sein muß, die aktuelle Tatumstandskenntnis zu erlangen. Der strafgesetzliche Unrechtstatbestand, so kann man die vorstehenden Überlegungen zusammenfassen, individualisiert einen Unwertgehalt, einen Ausschnitt aus einer rechtsnonnwidrigen Gemeinschaftswertverletzung. Gleichwohl hat gerade dieses Ausschneiden aus dem Gesamtbereich rechtswertverfehlenden Verhaltens eine spezifische Bedeutung für die Verbrechenssystematik; denn nicht an das Unerlaubte als solches, sondern erst an das in dieser Weise gefonnte Unrecht sind (beim Vorliegen weiterer Voraussetzungen) Straffolgen geknüpft. Die Dogmatik hat somit diese eigenständige Rolle der Typisierung zu berücksichtigen. Welches jene systematischen Funktionen gerade der Vertatbestandlichung des Unrechts sind, sei anband einiger willkürlich herausgegriffener Beispiele gezeigt. So ist es etwa, wie schon ausgeführt wurde, eine Wirkung des strafgesetzlichen Unrechtstatbestandes (und nicht des Unrechts als Sachelement des Verbrechens), daß nur wenigstens mit erlangbarer Tatumstandskenntnis begangenes Unrecht Gegenstand der Strafbarkeit sein kann. Die Verhängung von Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff.) setzt nicht unerlaubtes Verhalten schlechthin22l , sondern die Begehung eines bestimmten tatbestand lichen Unrechts voraus. 222 Besonders eindringlich zeigt sich die systematische Bedeutung des Unrechtstatbestandes in den Erscheinungsfonnen des Verbrechens. Sofern man beispielsweise die Existenz der sog. eigenhändigen Delikte überhaupt anerkennt, ist diese Beschränkung der mittelbaren Täterschaft ausschließlich im Unrechtstatbestand der betreffenden Straftaten begründet. Die Strafbarkeit der Teilnahme setzt als Haupttat ein bestimmt geartetes, nämlich in Tatumstandskenntnis begangenes tatbestandliches Unrecht voraus. Die Vollendung der 220 Allgemein für die Erhöhung der subjektiven Anforderungen an die Strafbarkeit wegen erfolgsqualifiziertem Delikts beim Mittäterexzeß Sowada, Schroeder-Festschrift, S. 628 f., 638 f., und Feileke, Der Exzeß eines Mittäters, S. 40 ff. 221 Zum Erfordernis der Tatbezogenheit der Maßregeln vgl. Best, ZStW Bd. 114, 114ff. 222 Konnte etwa ein Geisteskranker bei seiner mit Strafe bedrohten Handlung die Tatumstandskenntnis nicht erlangen, dann hat er keine "rechtswidrige Tat" i. S. v. § 63 begangen, und seine Unterbringung kann deshalb nur nach landesgesetzlichem Unterbringungsrecht erfolgen.

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

Straftat erfordert vom Unrechtstatbestand her stets eine gewisse reale Mindestgefährdung des Tatobjektes; während auch schon die nur beabsichtigte vermeintliche Gefährdung Unrecht ist, ist rur die Deliktsvollendung als spezifisch tatbestandliches Erfordernis immer eine wirkliche Gefährdung notwendig. Die Abgrenzung des Versuches von der Vollendung ist nur anhand des Unrechtstatbestandes möglich. Diese hier nur beispielhaft angedeutete Fülle dogmatischer Funktionen des Unrechtstatbestandes widerlegt jeden Zweifel an seiner Rolle als Grundbegriff der Verbrechenssystematik.

11. Der Unrechtsausschluß Das Straftatelement des Unrechts wird begründet durch eine tatbestandsmäßige Verletzung des Rechtsgutes (materielles Unrechtsmoment) unter Verstoß gegen die das Rechtsgut schützende Rechtsnorm (formelles Unrechtsmoment).223 Bei einer solchen normwidrigen Rechtsgutsverletzung kann sich die Frage nach ihrer Rechtswidrigkeit nur noch im negativen Sinne stellen, d. h. als Frage nach einem möglichen Ausschluß des Rechtswidrigkeitsurteils. 224 Die Möglichkeit eines derartigen Ausschlusses ergibt sich daraus, daß bei der Bestimmung der unrechtsbegrundenden Voraussetzungen die tatbestandsmäßige Rechtsgutsverletzung aus dem Gesamtgeschehen herausgegriffen und rur sich betrachtet wird, während die Frage, ob sie zur Rechtsordnung als Ganzer im Widerspruch steht, erst unter Berücksichtigung aller Umstände des Geschehens in der konkreten Tatsituation defmitiv beurteilt werden kann. Welches sind diese Umstände, die das Rechtswidrigkeitsurteil über ein materiell und formell unrechtsbegründendes Verhalten ausschließen und damit trotz normwidriger RechtsgutsverIetzung das Unrecht als Straftatelement entfallen lassen? Hier muß man sich der isolierenden Betrachtungsweise erinnern, auf der die obige Darstellung der Unrechtsbegründung - dem Vorgehen des Gesetzgebers bei der Tatbestandsbildung folgend - methodisch autbaut: Die Erörterung be223 Eingehend dazu schon die Erstauflage, S. 281 ff. - Bei z. T. abweichender Terminologie in der Sache nahezu einhellige Auffassung, vgl. beispielhaft v. List/Schmidt, Lehrbuch, S. 144; Welzel, Strafrecht, S. 49 ff.; Duo, Allg. Strafrechtslehre, § 8 Rn. 2 ff.; Freund, Allg. Teil, § 2 Rn. 10 ff.; Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 15. 224 Andererseits stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung auch nur beim Vorliegen einer normwidrigen· Rechtsgutsverletzung. Wie oben gezeigt, lassen etwa die Einwilligung des Rechtsgutsträgers wie auch ein optimal gefahrminderndes Handeln schon die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung entfallen. Die im Text vorgenommene Unterscheidung zwischen unrechtsbegründenden und unrechtsausschließenden Tatumständen ist sachlich und logisch notwendig: Die Zugehörigkeit eines jeden Geschehensmerkmals zu dem einen oder anderen Bereich ist stets nach rechtsinhaltlichen Kriterien eindeutig vorgegeben und kann nicht durch eine entsprechende Fassung des Gesetzes geändert werden.

1. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

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schränkte sich jeweils auf die Verletzung eines einzelnen Gemeinschaftswertes, auf die Übertretung einer einzelnen Rechtsnorm durch menschliches Verhalten. Für die Frage der Unrechtskonstituierung ist diese abstrahierende Behandlung hinreichend, weil eben jede einzelne rechtsnormwidrige Gemeinschaftswertverletzung bereits al1e unrechtsbegrtindenden Voraussetzungen enthält. Das endgültige Rechtswidrigkeitsurteil hingegen kann nur auf der Grundlage des gesamten Wert- und Rechtssatzzusammenhanges, in dem das konkrete Verhalten dieses Menschen in diesem Zeitpunkt und dieser Situation steht, geflillt werden. An die Stel1e der bisherigen isolierenden Betrachtung hat somit nunmehr eine umfassende zu treten, die alle außerhalb der Einzelwertverletzung und Einzelnormübertretung gelegenen Umstände der Tatsituation, welche die Widerrechtlichkeit ausschließen könnten, in die Wertungsvoraussetzungen einbezieht. Diese Umstände, die zum Ausschluß des Rechtswidrigkeitsurteils über ein schutzobjekts- und rechtspflichtverletzendes Verhalten fUhren, werden herkömmlich als "Rechtfertigungsgrtinde" bezeichnet.

1. Die Prinzipien der Rechtfertigung

Der innere Grund,: aus dem beim Vorliegen von Rechtfertigungsgrtinden eine rechtsnormwidrige Gemeinschaftswertverletzung rechtlich erlaubt ist, ist von ihrer Funktion her unmittelbar einsichtig: Sie heben das durch die rechtsnormwidrige Gemeinschaftswertverletzung in al1en positiven Voraussetzungen bereits begrtindete Rechtswidrigkeitsurteil auf, wobei der Ausschluß nach den gleichen Kriterien erfolgt wie die Begründung, nur eben spiegelbildlich, durch Negation der fUr die Unrechtsbegründung maßgeblichen Gesichtspunkte. Wird das Unrecht als Sachelement des Verbrechens begründet durch das kongruente Vorliegen des materiel1en Unrechtsmomentes (der Gemeinschaftswertverletzung) und des formel1en Unrechtsmomentes (der Rechtsnormwidrigkeit), so wird es ganz entsprechend ausgeschlossen, entweder materiell - dadurch nämlich, daß ein schutzobjektsverletzendes Verhalten ein wertvol1eres Gut vor einer drohenden Verletzung bewahrt - oder formell- dadurch, daß die Rechtsgemeinschaft eine Normübertretung unter gewissen Voraussetzungen durch einen Erlaubnissatz ausdrücklich gestattet. Ein derart gerechtfertigtes Verhalten verletzt zwar einen einzelnen Rechtswert und es verstößt gegen eine einzelne Rechtsnorm, es widerspricht aber nicht der hierarchisch gegliederten Einheit der Rechtswerte und Rechtssätze, der Rechtsordnung als Ganzer.

Im Unterschied zur Unrechtsbegründung durch das materiel1e und das formel1e Unrechtsmoment erfolgt der Ausschluß des Rechtswidrigkeitsurteils materiel1 oder formel1, d. h. es ist hinreichend, wenn eines der beiden unrechtsbegründenden Momente durch das Vorliegen der tatbestand lichen Voraussetzun-

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gen eines Erlaubnisrechtssatzes oder durch die Rettung eines wertvolleren Gutes in seiner unrechtskonstituierenden Wirkung neutralisiert wird. 225 Zwar besteht der Idee nach und weitgehend auch in der Rechtswirklichkeit Kongruenz zwischen dem materiellen und dem formellen Element der Rechtfertigungsgründe, so daß die Erhaltung des höherrangigen Gutes ausdrücklich erlaubt ist und die ausdrücklich erlaubte rechtsnormwidrige Gemeinschaftswertverletzung der Erhaltung eines höherrangigen Gutes dient, aber erforderlich ist eine solche Kongruenz zum Ausschluß des Rechtswidrigkeitsurteils nicht: Auch wo die vom Handelnden erstrebte Wahrung des vorgehenden Interesses zu Lasten des nachrangigen durch keinen positivrechtlichen Erlaubnisrechtssatz gestattet wird, kann der Ausschluß des Rechtswidrigkeitsurteils nach dem allgemeinen Prinzip der materiellen Rechtfertigung in Betracht kommen. 226 Im folgenden sollen nun der materielle und der formelle Unrechtsausschluß kurz beleuchtet werden. 227 a) Die materielle Rechtfertigung Materiell gerechtfertigt ist eine rechtsnormwidrige Gemeinschaftswertverletzung, die der Rettung eines wertvolleren Sozialgutes oder der Befolgung einer dringlicheren sozialethischen Pflicht dient,228 d. h. bei einer auf andere Weise nicht möglichen Wahrung des vorgehenden Interesses. Die Bestimmung der Rangordnung der einzelnen Sozialwerte - die "Güterabwägung", wie dieses Rechtfertigungsprinzip verkürzend genannt wird229 - nimmt die Rechtsgemeinschaft VOr. 230 Aber nicht ausschließlich der Wertrang der Rechtsgüter, sondern 225 Diese Tatsache steht nur scheinbar im Gegensatz zur Unrechtsbegründung: Wird eines der beiden Unrechtsmomente neutralisiert, so ist der Effekt im Hinblick auf das Rechtswidrigkeitsurteil der gleiche, wie wenn es von vornherein fehlte. 226 BGHSt 27,260,262. 227 Da es hier nur um eine Skizzierung der Rechtfertigungslehre in dem Rahmen geht, in dem sie fUr die Sonderdeliktsdefinition wertvolle Sacheinsichten zu vermitteln vermag, kann von einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Schrifttum zum Unrechtsausschluß abgesehen werden. Zum Meinungsstand vgl. Langer, JR 1993, 3 Fn. 19. Eine einheitliche systematische Grundlegung fehlt zuweilen. Skeptisch gegenüber jeder derartigen Systematisierung der Rechtfertigungsgründe Waider, Subjektive Rechtfertigungselemente, S. 107 ff. Im praktischen Ergebnis bestehen keine wesentlichen Unterschiede zu der im Text vertretenen Auffassung. 228 Maßgeblich sind also nicht die naturalistischen Kategorien des "Erfolges" und der "Handlungsmodalitäten" (so noch Zimmer!, Aufbau des Strafrechtssystems, S. 88), sondern die normativen der Werte- und Ptlichtenrelation. 229 Dieser Ausdruck ist unschädlich, solange man sich bewußt bleibt, daß es sich hierbei nicht um eine vom Täter vorzunehmende Abwägung, sondern um ein objektives Wertverhältnis handelt. 230 Die Güterabwägung als Rechtfertigungsprinzip setzt einen (auch) materiellen Unrechts begriff logisch voraus; so schon Schwinge/Zimmer!, Wesensschau, S. 56. Andererseits zwingt ein rein materieller Unrechtsbegriff dazu, alle Rechtfertigungsgründe auf

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auch die jeweilige Dringlichkeit des Ptlichtanrufs in der konkreten Situation ist in die Abwägung einbezogen; sie ist abhängig vom Grad der Gefahr filr das geopferte und das gerettete Rechtsguf31 und von der Wahrscheinlichkeit der Rettung. 232 Die Verletzung des zurücktretenden Rechtsgutes "dient" dann der Erhaltung des höherwertigen, wenn sie das am wenigsten beeinträchtigende Mittel zur Erreichung dieses Zieles ist. Entscheidend filr den Unrechtsausschluß ist allein die filr einen objektiven Beobachter ex ante erkennbare Minderung der Gefahr; bestand eine derartige Rettungschance, dann ist ein eventuell nachträglich eintretender Schaden filr die Frage der Rechtfertigung unerheblich. Beim Ausschluß des Rechtswidrigkeitsurteils fmden sich somit die leitenden Werterwägungen der Unrechtsbegründung sämtlich unter umgekehrten Vorzeichen wieder. In Rechtsprechung und Rechtslehre war dieses allgemeine Prinzip der materiellen Rechtfertigung jahrzehntelang unter der Bezeichnung "übergesetzlicher Notstand" anerkannt, bevor es nahezu vollständig in § 34 als "Rechtfertigender Notstand" gesetzlich ausformuliert wurde, so daß insoweit heute weitestgehende Kongruenz zwischen formeller und materieller Rechtfertigung besteht. 233 liegen seine Voraussetzungen vor, dann ist die betreffende rechtsnormwidrige Gemeinschaftswertverletzung - obwohl sie als Sinneinheit sozialethischen Unwerts erhalten bleibf34 ~ auf Grund des positiven Wertsaldos der Tat materiell gerechtfertigt. Hingegen wird sie auch dann als rechtswidrig beurteilt, wenn sie zwar eine Ptlicht befolgt und die Rettung eines Sozialgutes bewirkt, aber diese positive Wertigkeit den Wertpegel des verletzten Rechtsgutes oder der verletzten Pflicht nicht erreicht. 235 Das wäre in der Notstandssituation etwa der Fall, wenn die Gefahr durch einen weniger gravierenden Eingriff hätte beseitigt werden können, so daß hier "nur ein Teil der zur vollständigen Rechtfertigung der dieses Prinzip zurückzufiihren; vgl. beispielhaft Schmidhäuser, Allg. Teil, 9/4, und Honig-Festschrift, S. 185 ff. 231 Auch hier handelt es sich um eine verkürzende Redeweise; "geopfert" oder "gerettet" ist jeweils das betroffene Rechtsgutsobjekt. 232 Treffend bemerkt Gal/as, Mezger-Festschrift, S. 314 f., daß eine derartige Pflichtenkollision erst dann entsteht, "wenn sich konkretisierte, auf eine individuelle Lebenssituation bezogene Pflichten gegenübertreten". Hingegen kann die behauptete Existenz "unlösbarer Kollisionsfälle" nicht anerkannt werden: Unterlassungspflichten sind stets gleichzeitig erfiillbar, und Handlungspflichten werden als Rechtspflichten nur im Rahmen der Erfiillbarkeit begründet. - Für existentielle Pflichtenkollisionen differenzierend Dtto, Pflichtenkollission und Rechtswidrigkeitsurteil, S. III f. 233 Zum Divergenzb~reich vgl. beispielhaft BGHSt 27, 260 ff. 234 Vgl. Welzel, Vom Bleibenden, S. 12 f. 235 Eine derartige Unrechtsminderung ist nur durch einen - wenn auch zum Ausschluß des Rechtswidrigkeitsurteils nicht hinreichenden - positiven Wertgehalt der Handlung möglich. Der Meinung Kerns, ZStW Bd. 64, 285 ff., daß auch die bloße Provokation durch den Verletzten das Unrecht der Verletzung verringert, kann deshalb nicht gefolgt werden.

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Handlung erforderlichen Rechtfertigungselemente vorliegt und die Waage sich nicht vollständig im Gleichgewicht befmdet, sondern sich noch leicht zur Seite des Unrechts neigt".236 Ein solches Verhalten ist rechtswidrig, es verwirklicht das Unrecht als Element des Verbrechens; daß das Phänomen der Unrechtsminderung - eine Folge der Graduierbarkeit des materiellen Unrechts - dennoch tUr die Straftatsystematik ein nicht unerhebliches Gewicht besitzt, wird sich bei der Erörterung der Strafwürdigkeit erweisen. Vor allem aber wegen ihrer hervorragenden Bedeutung rur die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens verdient die Möglichkeit des partiell, d. h. nicht bis zum völligen Ausschluß verringerten Unrechts, besondere Beachtung.

b) Die formelle Rechtfertigung Formell gerechtfertigt ist eine rechtsnormwidrige Gemeinschaftswertverletzung, wenn ein (positivierter oder gewohnheitsrechtlicher) Erlaubnisrechtssatz sie ausdrücklich gestattet. Das ist beispielsweise bei den in Notwehr begangenen Verteidigungshandlungen der Fall (§ 32), wenngleich über die Reichweite dieser Vorschrift zwischen der sog. individualistischen und der sog. überindividualistischen Notwehrauffassung ein lebhafter Meinungsstreit ausgetragen wird. 237 Neben solchen allgemeinen Erlaubnissätzen, unter deren Vorbehalt alle Normen stehen, gibt es auch spezielle, die auf eine einzelne Norm beschränkt sind;238 so wird etwa nur das Unrecht der Ehrverletzung durch Äußerungen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen formell ausgeschlossen (§ 193). Auch aufgrund einer verwaltungsrechtlichen Genehmigung kann eine solche formelle Rechtfertigung erfolgen. 239 Die Wertabwägungen, die zur materiellen Begründung des Unrechtsausschlusses bei der Rechtsanwendung vorgenommen werden müssen, sind,hier bei der Rechtssetzung getroffen worden;formalisiert und im Erlaubnisrechtssatz verselbständigt, sind sie der Nachprüfung bei der Rechtsanwendung entzogen: Das Verhalten ist rechtmäßig, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des Erlaubnisrechtssatzes vorliegen. Kann somit 236 Noll, SchweizZStr Bd. 80, 170; ähnlich ZStW Bd. 68, 184 ff.; in der Sache übereinstimmend schon die betreffenden Darlegungen Zimmer/s, Aufbau des Strafrechtssystems, S. 72 f. 237 Vgl. hierzu die Nachweise bei Pawlik, ZStW Bd. 114, 259 ff., der es in seiner tiefgründigen Analyse unternommen hat, unter Rückbesinnung auf die Notwehrkonzeptionen von Kant und Hegel einen Ausweg aus der dogmatischen Sackgasse aufzuweisen. 238 So schon Binding, Normen I, S. 130; Zaczyk, Hirsch-Festschrift, S. 827. - Unvereinbar damit Eser, Wahrnehmung berechtigter Interessen, S. 67, der § 193 StGB rur "generalisierungsfähig" erklärt. 239 Hier zeigt sich der Charakter als formelIe Rechtfertigung darin, daß die Rechtfertigungswirkung im EinzelfalI auch bei materielIer Widerrechtlichkeit der Genehmigung selbst eintreten kann. Zutreffend Schmitz, Verwaltungshandeln und Strafrecht, S. 52 ff.

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der Ausschluß des Rechtswidrigkeitsurteils formell ebenso wie materiell erfolgen, so fehlt diese Entsprechung im Bereich der Unrechtsminderung. Grade des Unrechts gibt es nur im materiellen Moment,z4o im formellen gibt es nur die aIlerdings nach dem Gewicht der jeweiligen Sanktion differenzierte - Verschiedenheit. 241 Formell kann ein Verhalten nur entweder erlaubt oder verboten sein. Der Idee nach steht auch hinter jedem Erlaubnisrechtssatz des positiven Rechts das Prinzip der materieIlen Rechtfertigung, wobei die Abwägung zwischen den beeinträchtigten und dem zu schützenden Interesse schon bei dem Erlaß des Erlaubnisrechtssatzes vom Gesetzgeber vorgenommen worden ist. Hat er sich dabei im Rahmen der Verfassung gehalten, so ist die von ihm getroffene Entscheidung jedoch auch dann für den Unrechtsausschluß maßgebend, wenn sie inhaltlich nicht vom Prinzip der materiellen Rechtfertigung gedeckt ist, und gerade hierin erweist sich die Selbständigkeit des Prinzips der formeIlen Rechtfertigung. Um eine Rechtfertigung kraft positivrechtlicher Gestaltung handelt es sich auch dort, wo in einem Erlaubnisrechtssatz der Ausschluß des Rechtswidrigkeitsurteils ausdrücklich von einer - in ihren Voraussetzungen mehr oder minder spezifizierten - Interessenabwägung i. S. des materiellen Rechtfertigungsprinzips abhängig gemacht wird (wie etwa in § 34), die bei der Gesetzesanwendung nachvollzogen werden muß. Auch insoweit bleibt die wechselseitige begriffliche Unabhängigkeit beider Rechtfertigungsprinzipien voneinander unberührt. Hängt somit die formelle Rechtfertigung von der Gültigkeit des Erlaubnisrechtssatzes, also zuallererst davon ab, ob bei seinem Erlaß die Vorgaben der Verfassung eingehalten worden sind,242 dann ist vorrangig die Frage zu beantworten, welches diese vom Gesetzgeber zu beachtenden und ihn bindenden Vorgaben sind. Da die Funktion des Rechtfertigungsgrundes darin besteht, die Verletzung von (durch Rechtsnormen geschützten) Rechtsgütem zu gestatten, endet die Macht des Gesetzgebers dort, wo die den einfachen Gesetzen im Rang vorgehende Verfassung selbst ein Rechtsgut unter ihren besonderen Schutz gesteIlt hat, ohne durch einen GesetzesvorbehaIt dem Gesetzgeber die Kompetenz zu Eingriffsregelungen zu verleihen. Dies ist insbesondere bei den existentiellen Grundrechten der Fall. Soweit die Verfassung selbst vorbehaltlose Achtungspflichten begründet, d. h. der staatlichen Gewalt jeglichen Eingriff in das Schutzgut untersagt (wie es in Art. 1 Abs. 1 GG in bezug auf die "unantastbare Würde des Menschen" geSchwinge/Zimmert, Wesensschau, S. 56; Noll, ZStW Bd. 68,182. A. A. Kern, ZStW Bd. 64,262 f. 242 Zu diesen Verfassungsvorgaben rur Rechtfertigungsgründe vgl. im einzelnen Langer, IR 1993, 1 tf. 240

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schieht), kann folglich auch der Gesetzgeber die Erlaubnis zu einem solchen Eingriff nicht erteilen (also z. B. nicht Verletzungen der Menschenwürde durch die Staatsorgane rur "nicht rechtswidrig" erklären). Soweit die Verfassung selbst vorbehaltlose Schutzpflichten begründet, d. h. der staatlichen Gewalt den tätigen Schutz eines Grundwertes auch gegen mögliche Verletzungen durch Dritte gebietet (wie gleichfalls hinsichtlich der Menschenwürde in Art. I Abs. I GG), haben sich an diesem Gebot alle Bereiche der Rechtsordnung je nach ihrer besonderen AufgabensteIlung auszurichten. 243 Wo also das Grundgesetz dem Staat uneingeschränkt den Schutz eines Rechtsgutes befiehlt, kann nicht der Gesetzgeber Dritten die gezielte Verletzung erlauben (so kann er z. B. wegen der hierin liegenden Mißachtung der Menschenwürde nicht die Tötung von unheilbar Kranken oder Schwerbehinderten durch "Euthanasie" -Organisationen 244 fiir "nicht rechtswidrig" erklären). "Der Verstoß wiegt hier so schwer, daß er die allen Völkern gemeinsamen, auf Wert und WUrde des Menschen bezogenen Rechtsüberzeugungen verletzt; in einem solchen Fall muß das positive Recht der Gerechtigkeit weichen (sog. Radbruch'sche Formel) ... Denn der Rechtfertigungsgrund hätte wegen der Offensichtlichkeit des in ihm verkörperten Unrechts niemals Wirksamkeit erlangt.,,245 Ebensowenig kann der Gesetzgeber, soweit er den vorbehaltlos zu erbringenden Schutz gegenüber einem rechtswidrig angreifenden Dritten selbst nicht zu leisten vermag, dem rechtwidrig Angegriffenen sein insoweit durch die Verfassung als Menschenrecht garantiertes Notwehr- und Nothilferecht vorenthalten oder einschränken. 246 Auch die punktuelle Rücknahme kann nur im Rahmen der grundgesetzlichen Vorgaben erfolgen. Soweit Grundrechte - und damit Eingriffsverbote und Schutzpflichten des Staates - in der Verfassung unter einen Gesetzesvorbehalt gestellt sind (wie selbst das Recht auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 GG), besteht zwar ein Legislativermessen, das aber auch diesseits der Schranke des Art. 19 Abs. 2 GG verfassungs-, insbesondere grundrechtsgebunden bleibt: Eingriffe in fremde Rechtsgüter darf der Gesetzgeber nur nach dem Prinzip des schonendsten Ausgleichs konkurrierender grundgesetzlich geschützter Positionen247 (Grundrechte oder Verfassungsprinzipien) gestatten. Wie weit er dabei den rechtlichen Schutz BVerfGE 39, 1,42. Zur hier unverzichtbaren Klärung der Begriffe Sterbehilfe, Euthanasie und Unterlassen sog. lebensverlängernder Maßnahmen siehe Langer, Rechtliche Aspekte der Sterbehilfe, S. 103 ff., sowie JR 1993, 133 ff. 245 BGHSt 41, 10 I, 105. - Auch durch Art. \03 Abs. 2 GG ändert sich hieran nichts. Diese Vorschrift schützt nicht das Vertrauen in den Fortbestand einer kriminel1en, die Menschenwürde verletzenden Staats- und Auslegungspraxis. So überzeugend BGH, a. a. 0., 111. 246 Überzeugend Erb, NStZ 2005, 595 ff., 602. 247 BVerfGE 39, 1,43. 243

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zurücknehmen darf, richtet sich primär nach dem Verfassungsrang des betroffenen Gutes. Schließlich können sich unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG Schranken rur einfachgesetzliche Rechtfertigungsregelungen ergeben: Wird unter offensichtlicher Mißachtung der Rechtfertigungsstruktur um eines gesellschaftspolitisch erwünschten Zieles willen die Verletzung eines Verfassungsgrundwertes vom Gesetzgeber erlaubt, dann wird die Funktion des rechtsstaatlichen Gesetzes verfehlt. 248 Nur wenn alle diese Vorgaben der Verfassung rur die Wirksamkeit des betroffenen Erlaubnisrechtssatzes eingehalten und dessen tatbestandliche Voraussetzungen bei der Tat erfiillt sind, ist die begangene Rechtsgutsverletzung formell gerechtfertigt.

2. Die Einteilung der Rechtfertigungsgründe Auch die Rechtfertigungslehre des Strafrechts steht unter dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung: Ein in seinen Voraussetzungen erfiillter Rechtfertigungsgrund rechtfertjgt- welcher Rechtsquelle und welchem Rechtsgebiet er auch entstammen mag - die betroffene Rechtsgutsverletzung rur den Gesamtbereich der Rechtsordnung. Es liegt auf der Hand, daß diese nach Art und Rechtsquelle unüberschaubare Vielfalt der RechtfertigungsgrUnde in eine systematische Ordnung gebracht werden muß, wenn eine unverkürzte Rechtsanwendung gewährleistet sein soll. Auch hier hat die Begriffsbildung teleologisch zu erfolgen, d. h. die Grundgliederung ist mit solchen Einteilungskategorien vorzunehmen, an die sich unterschiedliche Rechtsfolgen anknüpfen können. Diese Überlegung mag im gerade behandelten Zusammenhang überraschen, weil die Wirkung des Rechtfertigungsgrundes eben stets im Unrechtsausschluß und damit im Ausschluß der Unrechtsfolgen besteht. Ob es aber zur Rechtfertigung kommt, hängt jeweils von höchst verschiedenartigen Voraussetzungen ab, so etwa von der Frage, ob die Rechtfertigung ein sog. subjektives Rechtfertigungselement erfordert,249 d. h. ob der Täter bei seiner Schutzobjektsverletzung mit dem Ziel handeln muß, eine ihm vom Recht verliehene Befugnis zur Erhaltung des gefährdeten Interesses auszuüben. 250 248 BVerfDE 39, 1,59. 249 Ausnahmslos verneint wurde die Frage noch von Hegler, Frank-Festgabe I, S.258. 250 Bei bestehender Rechtfertigungslage nicht rur die Rechtfertigung vorausgesetzt ist

die "gewissenhafte Prüfung" durch den Täter; so zutreffend Lenckner, Hellmuth MayerFestschrift, S. 173 ff.

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

Sachgerecht muß man insoweit innerhalb der Rechtfertigungsgrunde differenzieren: Bei einem Teil von ihnen nennt das Gesetz selbst ausdrücklich ein solches subjektives Element als Voraussetzung für den Eintritt der Rechtfertigung. So verlangt etwa die Notwehrvorschrift (§ 32) für die Rechtfertigung die erforderliche Verteidigung, "um einen ... Angriff ... abzuwenden", der rechtfertigende Notstand (§ 34) bei einer nicht anders abwendbaren Gefahr für ein Rechtsgut eine Tat, "um die Gefahr ... abzuwenden", oder die Selbsthilfe (§ 229 BGB) einen Sacheingriff oder eine Festnahme "zum Zweck der Selbsthilfe". Diese Gruppe der Unrechtsausschließungsgründe ist gekennzeichnet durch die Rechtfertigung aus individueller Zweckverjolgung251 , bei denen erst die Begehung in der im Erlaubnisrechtssatz genannten Rechtfertigungsabsicht252 den Widerspruch der tatbestandsmäßigen Schutzobjektsverletzung zur Rechtsordnung als Ganzer entfallen läßt. 253 Bei den Rechtfertigungsgründen der anderen Gruppe tritt der Unrechtsausschluß allein schon auf Grund des äußeren Geschehenszusammenhangs ein, ohne daß es auf eine individuelle Zielsetzung des Handelnden ankäme. So hängt etwa die Rechtmäßigkeit der Teilnahme am Straßenverkehr ausschließlich von der Einhaltung seiner Rechtsregeln/ 54 die des pflichtgemäßen Handelns staatlicher Amtsträger nur von der Beachtung seiner gesetzlichen Voraussetzungen und die der Erstattung parlamentarischer Berichte (§ 37) allein von deren Wahrheitstreue ab, ohne daß insoweit die Absicht des Handelnden jeweils irgendeine Rolle spielte. Des subjektiven Rechtfertigungselements bedarf es also in diesen Fällen einer Rechtfertigung aus überindividueller Zweckhajtigkeir 55 nicht. 3. Anwendungsschranken für Rechtfertigungsgründe Jeder Rechtfertigungsgrund benennt die Merkmale, von deren Erfüllung er den Eintritt der Rechtfertigungswirkung abhängig macht. Soweit er selbst nicht in Widerspruch zu den Vorgaben der Verfassung steht, ist die von ihm gedeckte

So die Benennung durch Schmidhäuser, Allg. Teil, 9/16. A. A. Laos, Oehler-Festschrift, S. 235, der bei den Notrechten einen "Rechtfertigungsvorsatz" für hinreichend hält. 253 Das gilt z. B. auch für den Erziehungszweck beim elterlichen Recht zur körperlichen Züchtigung ihrer Kinder, das durch die Neufassung des § 1631 Abs. 2 BGB nicht berührt worden ist. Ebenso Otto, Jura 2001,671; Beulke, Schreiber-Festschrift, S. 33 ff., 40 f., mit zahlreichen Nachweisen. 254 Entgegen der Mehrheitsmeinung wird diese Rechtsfigur durch Roeder, Die Einhaltung des sozialadäquaten Risikos, S. 94, straftatsystematisch als Schuldausschließungsgrund verortet. - Kienapfel, Das erlaubte Risiko, S. 28, erklärt sie für entbehrlich. 255 So die Benennung durch Schmidhäuser, Allg. Teil, 9/16. 251

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1. Kap.: Das tatbestandsmäßige Unrecht

Rechtsgutsverletzung damit gerechtfertigt. Sichtet man jedoch Schrifttum und Rechtsprechung zu den RechtfertigungsgrUnden, drängt sich sogleich der Eindruck auf, daß es eine Vielzahl weiterer Sachverhalte gibt, bei deren Vorliegen der in seinen Voraussetzungen erfullte Unrechtsausschließungsgrund nicht zur Anwendung kommt. Damit stellt sich die Frage, ob im geltenden Recht unterhalb der Verfassung solche Anwendungsschranken für Rechtfertigungsgründe existieren. Da insbesondere tUr die Notwehr (§ 32) die Frage häufig bejaht wird, soll sie nachfolgend anhand dieses Beispiels geklärt werden. In regelmäßigen Abständen wird anläßlich spektakulärer Kriminalfälle in der Öffentlichkeit neu darüber diskutiert, ob auch den staatlichen Amtsträgern während der Ausübung ihres Amtes die Notwehr- und insbesondere die Nothilfebefugnis zusteht. 256 Bejahendenfalls wird zum Teil weiter gefragt, ob sie dann den tUr hoheitliches Handeln geltenden gesetzlichen Einschränkungen, vor allem in bezug auf den Schußwaffengebrauch, unterliegt. Solche partiellen Rücknahmen formeller Rechtfertigung sind zwar möglich, jedoch bedarf eine solche Rücknahme einer Rechtsquelle gleichen Ranges. Die Notwehrvorschrift des § 32 kann also nur durch ein Bundesgesetz eingeschränkt werden. 257 Eine solche Teilrücknahme gibt es - soweit ersichtlich - derzeit nicht. Auch dem Po lizeibeamten im Dienst stehen deshalb die Befugnisse aus § 32 zur Selbstverteidigung wie zur Nothilfe uneingeschränkt zu. 258 Auch die übrigen außergesetzlichen Einschränkungen der Notwehrrechtfertigung, die im Schrifttum vertreten werden und zum Teil eine stattliche Zahl von Anhängern gefunden haben, halten einer näheren Betrachtung nicht stand. Außer den jeweils spezifischen Einwänden, denen sie ausgesetzt sind, spricht ganz allgemein gegen sie, daß die außergesetzliche Einschränkung der formellen Rechtfertigung zur außergesetzlichen Strafbarkeitsausweitung in bezug auf den Handelnden tUhrt, dem die von der Rechtsordnung eingeräumte Rechtfertigung außergesetzlich versagt wird. Aber nicht nur dieser Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG steht einer solchen wortlautwidrigen Rechtfertigungsverneinung zwingend entgegen,259 sondern auch die tUr die NichtertUllung des betroffenen Notwehrmerkmals jeweils vorgetragenen Argumente können nicht überzeugen: Das gilt zuerst tUr den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz,260 soweit er 256

Zum

Rn. 42 b.

Meinungsstand vgl. SchönkelSchröderiLenckneriPerron,

StGB,

§ 32

So zutreffend SchönkelSchröderlLenckneriPerron, StGB, § 32 Rn. 42 b. SchönkelSchröderlLencknerlPerron, StGB, § 32 Rn. 42 b, c; Tröndle, StGB, Rn. 6 vor § 32; LacknerlKühl, StGB, § 32 Rn. 17; Dtto, Allg. Strafrechtslehre, § 8 Rn. 57 f.; Erb, NStZ 2005, 594; jeweils mit weiteren Nachweisen. 259 Ohne Begründung anders Jescheck/Weigend, Allg. Teil, S. 344. 260 Danach soll ein "krasses Mißverhältnis" zwischen dem Wert des verteidigten und dem des bei der Verteidigung gefährdeten Gutes des Angreifers die Rechtfertigung ausschließen. Zusätzlich zur prinzipiellen Sachwidrigkeit dieser Notwehreinschränkung 257

258

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

außergesetzlich der Relation von angegriffenem und - durch die Verteidigung gefiihrdetem Gut übergestülpt wird?61 Ein solches Vorgehen ist mit der Wertstruktur der Notwehr unvereinbar, und zwar unabhängig davon, ob man ihr Wesen - individualrechtlieh - in der Selbstschutzbefugnis oder - kollektivrechtlich - in der Verteidigung der Rechtsordnung durch den Angegriffenen sieht. Daß jede Sicht der Notwehr einen Bereich hat, in dem ihre Ergebnisse als schwer erträglich erlebt werden, sei sofort eingeräumt; nur kann man diesen Befund nicht dadurch beheben, daß man zusätzlich auch noch konstruktive Widersprüche im eigenen Lösungsansatz in Kauf nimmt. - Gleichfalls nicht mit dem Gesetz in Einklang zu bringen ist die generelle Verneinung des Notwehrrechts gegenüber Angriffen von Kindern, Betrunkenen, Geisteskranken und im Irrtum Handelnden. 262 Ebenso verfehlt ist es, diese Fallgestalt mit ihrer Problematik in der Weise zu "Iösen", daß sowohl die Selbstschutzbefugnis als auch die Rechtsbewährung als die Grundgedanken der Notwehr ausgegeben werden, um dann zur Erzielung des gewünschten Ergebnisses nach Belieben jeweils die andere Karte aus der Tasche zu ziehen, wenn die eine nicht sticht - hier also das Notwehrrecht im Rahmen des zum Selbstschutz Notwendigen bestehen zu lassen. 263 Die insoweit zutreffenden Ergebnisse folgen, wie die angefiihrten Beispiele zeigen, sämtlich bereits aus der richtigen Auslegung des Merkmals "erforderlieh". - Entgegen verbreiteter Annahme lassen auch die (differenziert zu beurteilenden) Fälle der sog. Notwehrprovokation das gesetzliche Notwehrrecht gänzlich unberührt: Während bei der sog. Absichtsprovokation in Wahrheit der Provokateur der rechtswidrig Angreifende ist,264 der insoweit schon deshalb selbst kein Notwehrrecht hat, ist in den übrigen Fällen sogenannter Provokation kein stichhaltiger Grund erkennbar, dem rechtswidrig Angegriffenen das ihm vom Gesetz gegebene Notwehrrecht abzusprechen. - Nur im Ergebnis anders ist die Beurteilung der Fälle von Notwehr unter engsten Angehörigen: Auch hier bleibt das Notwehrrecht des Angegriffenen als solches unberührt, jedoch gerät es in eine KolIisionslage mit den Obhutsptlichten zugunsten des Angehörigen,

bleibt nahezu immer in Schrifttum und Rechtsprechung ungeklärt, ob ein solches Mißverhältnis objektiv bestanden haben muß oder ob diesbezügliche Vorstellungen des Angegriffenen den Ausschlag geben sollen: Wie, wenn der den Dieb verfolgende Verteidiger den Wert der Beute überhaupt nicht kennt? Wie, wenn er irrig das Bestehen eines solchen Mißverhältnisses annimmt oder aber verkennt? 261 Vgl. beispielhaft Jescheck/Weigend, Allg. Teil, S. 348: Nicht erlaubt sei die Notwehr bei einem unerträglichen Mißverhältnis. - Siehe auch die treffende Kritik an diesem Fehlansatz durch Schmidhäuser, Allg. Teil, 9/91, und Freund, Allg. Teil, § 3

Rn. 120.

262 Anders Schmidhäuser, Allg. Teil, 9/86, der die Rechtswidrigkeit des von diesen Personen gefiihrten Angriffs meint verneinen zu können. 263 So Jescheck/Weigend, Allg. Teil, S. 345 f. 264 Zutreffend Otto, Allg. Strafrechtslehre, § 8 Rn. 84; Welzel, Strafrecht, S. 88; Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 347.

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in der es - soweit die existentiellen Güter des Angehörigen betroffen sind - je nach deren Werthöhe und dem Grad der wechselseitigen Gefährdungen ggf. als das nachrangige Interesse zurückzutreten hat, mit der Folge, daß der Angegriffene auszuweichen versuchen muß. 265 Sind unrechtsausschließende Umstände - positive Gesamtwertigkeit des Verhaltens oder Anwendbarkeit eines Erlaubnisrechtssatzes - nicht vorhanden, dann wird über die Schutzobjektsverletzung das Urteil der Rechtswidrigkeit gefällt. Damit liegt das Unrecht als Straftatelement vor.

265 Zutreffend Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 345. - Nur im Ergebnis übereinstimmend BGH NJW 1975, 62 f., und NJW 1984, 986 f., wo die Lösung jedoch über eine Einschränkung des Merkmals "erforderlich" gesucht wird.

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

Zweites Kapitel

Die tatbestandsmäßige Schuld Das geltende deutsche Strafrecht steht uneingeschränkt unter der Herrschaft des Schuldgrundsatzes: Staatliche Strafe gibt es nur auf der Grundlage von Schuld. In diesem seinem Kembereich ist das Schuldprinzip vom Bundesverfassungsgeriche herausgearbeitet und durchgesetzt worden und heute im Schrifttum allgemein anerkannt. 2 Schließlich wurde es vom Gesetzgeber im Strafgesetzbuch verankert und dort in mehreren Vorschriften (z. B. in den §§ 17 S. 1,20,29,46 Abs. 1 S. 1) konkretisiert. Die "Schuld' als Element der Straf tat, jetzt seit über drei Jahrzehnten Gesetzesmerkmal, bedarf damit - wie alle Gesetzesmerkmale - der Auslegung und Inhaltsbestimmung. Wie das Unrecht, so ist auch die Schuld einleitend als "gewerteter Unwertsachverhalt" gekennzeichnet worden. Setzt der Täter sich auch geistig über den in seiner unrechten Tat verletzten Wert hinweg, so vertieft er dadurch den sozialethischen Unwert seines Verhaltens. Dies macht ihm die Rechtsgemeinschaft unter bestimmten Voraussetzungen zum Vorwurf. Das Urteil der Vorwerfbarkeit über eine auch geistige Gemeinschaftswertverfehlung konstituiert die Schuld als Element des Verbrechens. 3 Der sozialethisch-wertwidrige Sachverhalt, weIcher die das rechtliche Urteil der Vorwerfbarkeit begründenden Umstände enthält, ist einleitend als "geistige Wertverfehlung" gekennzeichnet worden. Der schuldhaft handelnde Täter setzt sich über den Wert, den er im verwirklichten Unrechtssachverhalt willentlich verletzt hat, auch geistig hinweg. 4 "Zum sozialethisch-wertwidrigen Sachverhalt des Unrechts tritt damit in der Schuld ... der weitere wertwidrige Sachverhalt der unrechtlichen Gesinnung"S; "auf den sittlichen Unwert der unrechten Tat bezogen, kann ,Schuld' nur diese unrechtliche Gesinnung des Täters meinen.,,6 In seinem schuldhaften Verhalten offenbart der Täter als geistiges Wesen eine

Vgl. beispielhaft BVerfDE 9,167,169; 20, 323, 331; 23,127,132. Vgl. beispielhaft Schmidhäuser, Allg. Teil, 5136; Hirsch, ZStW Bd. \06, 746 ff.; Lackner/Kühl, StGB, vor § 13 Rn. 22; jeweils mit weiteren Nachweisen. 3 Zur geschichtlichen Entwicklung in der Bestimmung des Schuldbegriffs vgl. Jescheck, ZStW Bd. 73, 185 f., 194, 206. 4 V gl. hierzu im einzelnen die umfassende Grundlegung dieses Schuldbegriffs durch Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 168 ff., und Strafrecht, 10/1 ff., sowie Jescheck-Festschrift, S. 485 ff., die hier - soweit nicht ausdrücklich anders vermerktübernommen und für die weiteren Darlegungen vorausgesetzt wird. 5 Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 178. 6 Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 177. I

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im konkreten Fall fehlerhafte Einstellung zum verletzten Wert; sie ist im Wege geistigen Verstehens erfahrbar. 7 Die derart in einer unerlaubten Tat zum Ausdruck gekommene unrechtliche Gesinnung wird dem Täter unter gewissen Voraussetzungen von der Rechtsgemeinschaft vorgeworfen. 8 Die von diesem normativ-materialen, die unrechtliche Gesinnung als Schuldsachverhalt und ihre Vorwerfbarkeit als Schuldurteil umfassenden Verständnis des strafrechtlichen Schuldbegriffs abweichenden Meinungen im neueren Schrifttum9 sind - bei Divergenzen untereinander im übrigen - dadurch gekennzeichnet, daß Aspekte der Prävention in den Schuldbegriff einbezogen werden. Nach der funktionalen Schuldauffassung geht es bei der Schuld um einen "Begriff, der eine Regelungsleistung nach einer bestimmten Regelungsmaxime (nach den Erfordernissen des Strafzwecks) rur eine Gesellschaft bestimmter Verfassung erbringt,,,10 wobei hier von der Generalprävention als Strafzweck ausgegangen wird. Treffend ist diese Meinung als eine "Reduzierung der Schuld auf ein rein generalpräventives Derivat" 11 charakterisiert worden. G leichermaßen verfehlt ist die Lehrmeinung, die das gesetzliche Straftatelement der Schuld zu einem Untermerkmal herab stuft und aufgehen läßt in einer außergesetzlichen Systemkategorie "Verantwortlichkeit", die außerdem die "präventive Notwendigkeit strafrechtlicher Ahndung,,12 umfaßt. "Solche inneren Verknüpfungen von Schuld und Prävention bergen ... die Gefahr, daß der in der Freiheitsidee verwurzelte Schuldbegriff, der im Verhältnis zu präventiver Zweckverfolgung auf einer anderen Ebene liegt, über seine immanenten Schranken hinaus durch utilitaristische Elemente verwässert wird.,,13 Diese in Schrifttum ganz überwiegend an solchen Vermengungen von Schuld und Prävention geübte Kritik l4 ist begründet, jedoch bewegt sie sich fast ausnahmslos im Bereich der 7 Vgl. dazu im einzelnen Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 77 f., 176 ff., 190 f. 8 Rechtlich mißbilligt wird also die betätigte sozialethisch-wertwidrige Gesinnung. Sie bildet die primäre Verfehlung, die unrechte Tat hingegen, in der sie sich äußert, nur die mittelbare. Die fehlerhafte Einstellung zum verletzten Wert ist das, wofür der Täter unmittelbar "etwas kann". Vorwerfbar ist somit der Ausdruck unrechtlicher (Einzeltat-) Gesinnung in einem unerlaubten Verhalten. Ähnlich Gallas, ZStW Bd. 67, 30, entgegengesetzt Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 190. 9 Zum Meinungsstand im neueren Schrifttum und zur Grundsatzkritik an den abweichenden Auffassungen zum strafrechtlichen Schuldbegriff vgl. im einzelnen Schmidhäuser, Jescheck-Festschrift, S. 497 ff. - Zu den Konsequenzen dieser Auffassungen rur die Strafbarkeit von Unternehmen vgl. Dito, Strafbarkeit von Unternehmen, S. 15 ff. 10 Jakobs, Allg. Teil, 17/22. 11 Lackner/Kühl, StGB, vor § 13 Rn. 25. 12 Roxin, Allg. Teil I, § 19 Rn. 3. 13 LacknerlKühl, StGB, vor § 13 Rn. 25, mit weiteren Nachweisen. - Noch schärfer die Kritik durch Hirsch, ZStW Bd. 106, 756: "Auch hier ist also verdeckt ein Vorrang der Prävention konzipiert." 14 Vgl. hierzu die zahlreichen Nachweise bei Hirsch, ZStW Bd. 106,754 Fn. 44.

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

Folgen für das Schuldprinzip. Mit einer solchen Verkürzung der Auseinandersetzung auf die Symptome jener Fehldeutung wird deren tiefer liegende Ursache übergangen, nämlich die Lücke in den tradierten Aufbauschemata der Straftat nicht geschlossen, die von den Befürwortem solcher Verknüpfung von Schuld und Prävention vielleicht erahnt, aber nicht erfaßt und auf den Begriff gebracht worden ist: die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit (als das neben dem tatbestandsmäßigen Unrecht und der tatbestandsmäßigen Schuld dritte Element der Straftat). In ihr haben die Präventionsaspekte ihren genuinen Platz, dort sind sie begriffsnotwendig und zudem seit über drei Jahrzehnten strafrechtswissenschaftlich begründet verortet. 15 Die strafgesetzliche Kategorie "Schuld" hingegen ist - wie unter anderem auch die Vorschriften über die Voraussetzungen der Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59) und über das Absehen von Strafe (§ 60) zeigen - begrifflich unabhängig von den Merkmalen Strafe und Prävention und kann, wenn sie gleichwohl mit deren Gehalten überfrachtet wird, in jener sachwidrigen Verschmelzung ihre gesetzliche Funktion als Element der Straftat nicht mehr erfüllen. Sind vorstehend Unrecht und Schuld damit als unterschiedliche Unwerts achverhalte allgemein bestimmt und durch ihren verschiedenen Gehalt grundsätzlich voneinander abgehoben, so kann doch ihre konkrete Abgrenzung, nämlich die Zuordnung einzelner subjektiver Verhaltensmerkmale zum einen oder anderen Bereich, deswegen Schwierigkeiten bereiten, weil die im Willensverhalten das Unrecht prägende Täterpsyche zugleich der "Ort" der unrechtlichen Gesinnung ist. 16 Nach der hier vertretenen Ansicht umfaßt das Unrecht als rechtsnormwidrige Gemeinschaftswertverletzung die psychischen Beziehungen des Täters zum Unwertsachverhalt in seiner tatsächlichen Seite, während die Elemente geistiger, d. h. gegen den Wert als Wert gerichteter Verfehlung im Unwertsachverhalt zur Schuld als dem sozialethisch-wertwidrigen geistigen Verhalten 17 gehören.

Vgl. dazu die Erstauflage, S. 327 ff., 360 ff. V gl. Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 174: In der Schuld dürften wir "nicht etwa einen seelischen Sachverhalt (als solchen) sehen, sondern könnten sie nur begreifen als sittlich-wertwidriges geistiges Verhalten, das wir in den seelischen Gegebenheiten als seinem Ort vorfinden". "Solche sittlich-wertwidrige Gesinnung ist - wie auch die auf sittliche Werte gerichtete - ein rein geistiges Phänomen, nicht ein seelisches. Der seelische Ort ist ebenso wie dort komplex, das Ganze des seelischen Erlebens umfassend: Vorstellungen, Geflihle, Wollens- und Strebenserlebnisse." (a. a. 0., S. 72). 17 Dieser Schuldbegriff ist von Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 138 ff., erarbeitet worden und hier in seinen Grundlagen nahezu unverändert übernommen. Dort findet sich auch eine subtile Kritik abweichender (a. a. 0., S. 140 ff.) und ein umfassender Vergleich mit ähnlichen (a. a. 0., S. 188 ff.) Begriffsbestimmungen; aufbeides kann hier uneingeschränkt verwiesen werden. Vgl. ergänzend aus dem seither erschienenen Schrifttum: Gallas, Dt. Beiträge zum VII. Internationalen Strafrechtskongreß, S. 32 Anm. 45: "Schuld ist Vorwerfbarkeit der 15

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Die Schuld als Element des Verbrechens ist ein gewerteter Unwertsachverhalt. Im Hinblick auf das abschließende Rechtsschuldurteil "Vorwerfbarkeit" sind in der Tat alle dieses Urteil konstituierenden Merkmale gleichermaßen "Schuldvoraussetzungen" 18. Wer die Existenz eines eigenständigen Schuldsachverhalts verkennt, der wird in der Schuldlehre bloße Voraussetzungen und echte Elemente der Schuld derart zu "Prämissen der Vorwertbarkeit" nivellieren. 19

Sieht man hingegen, daß der Schuldwertung ein eigener, nämlich der vom Unrecht verschiedene Unwertsachverhalt der geistigen Wertverfehlung zugrunde liegt, so hat man folgerichtig zwischen Schuldvoraussetzungen (den Prämissen jenes Unwertsachverhalts) und Schuldelementen (den Bestandteilen jenes Sachverhalts selbst) zu unterscheiden.

Voraussetzung fUr die Begründung der Schuld als "unrechtlicher Gesinnung" ist das unrechte Verhalten eines schuldfähigen Täters. Die sittliche Schuld kann nur dort Rechtsschuld konstituieren, wo sie sich auf ein Unrecht bezieht. Deshalb ist das Vorliegen einer rechtswidrigen Tat notwendiges Erfordernis der Schuldbegründung. Die zweite Art von Voraussetzungen der rechtlich mißbilligten geistigen Wertverfehlung läßt sich zusammenfassend als Schuldfähigkeit umschreiben. Begriffsmerkmal der Schuldfähigkeit ist einmal die Teilhabe am verletzten Wert;20 sie ist bei geistig reifen Angehörigen der den Vorwurf erhebenden Rechtsgemeinschaft regelmäßig vorhanden. Zum anderen erfordert die Schuldfähigkeit geistige Gesundheit des Täters: die Fähigkeit, seinen Willen generell in der vom verletzten Wert und von der übertretenen Norm geforderten Weise bestimmen zu können. Abnorme psychische Zustände fUhren zum partiellen oder völligen Ausschluß der Fähigkeit, "das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln" (§§ 20,21), und damit fehlt es insoweit schon an der Schuldfähigkeit. 21

Tat im Hinblick auf die darin betätigte verwerfliche Gesinnung"; Jescheck, ZStW Bd. 73, 208 f.: "Gegenstand des Schuldvorwurfs ist die Gesinnung ... als aktuelle Einstellung zu der in Frage stehenden Rechtsnorm." 18 Ebenso schon Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 153 f. 19 Besonders deutlich Welzel, Strafrecht, S. 141; wohl auch Stratenwerth, v. WeberFestschrift, S. 182, denn nur auf Grund dieses Ausgangspunktes ist seine Ansicht erklärlich, bei der als unrechtliche Gesinnung verstandenen Schuld sei das Unrecht ein "Schuldmerkmal": Voraussetzung der Vorwerfbarkeit ist das Unrecht zweifellos, Element der Schuld ist es hingegen eindeutig nicht. 20 Vgl. Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 86. 21 Daß die verminderte Zurechnungsfähigkeit nicht die Verwerflichkeit der EinzeItatgesinnung zu berühren brauche, ist daher - entgegen Stratenwerth, v. Weber-Festschrift, S. 186 f. - kein Einwand gegen die Kennzeichnung der Schuld als unrechtliehe Gesinnung: Es ist eben deutlich zwischen bloßen Schuldvoraussetzungen und dem Schuldsachverhalt selbst zu unterscheiden.

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

Nur wenn diese Voraussetzungen rur das Urteil der Vorwerfbarkeit über die unrechtliche Gesinnung des Täters vorliegen, stellt sich die Frage nach seiner Schuld selbst. Die dieses Urteil beeinflussenden Faktoren lassen sich nach ihrer gegensätzlichen Wirkung auf die Schuld in "schuldbegründende" und "schuldausschließende" gliedern.

I. Die tatbestand liehe Schuldbegründung

Erst auf der Grundlage des rechtswidrigen Verhaltens seitens eines Schuldflihigen ist der rur die Rechtsschuld vorausgesetzte Unwertsachverhalt - die unrechtliche Gesinnung als geistige Wertverfehlung - begrifflich möglich. Als Element der Straftat bedarf diese unrechtliche Gesinnung darüber hinaus der Vertatbestandlichung im Strafgesetz. Beide Gegenstände, also sowohl der Schuldgehalt als auch seine gesetzliche Form, sollen nachfolgend im einzelnen betrachtet werden.

1. Der SehuldgehaIt der Straftat

Der Schuldsachverhalt, d. h. die unrechtliche Gesinnung als geistige Verfehlung des verletzten Rechtswertes, konstituiert den jeweiligen Schuldgrad: Die Schuld als rechtlich mißbilligte Gesinnung ist ein quantifizierbarer Begriff;22 ihr Maß läßt sich am adäquatesten mit Gewichtsbezeichnungen wie "schwer" und "leicht" umschreiben. 23 In seinem Gewicht bestimmt wird der Schuldgehalt einer Tat durch den Verwerflichkeitsgrad der unrechtlichen Gesinnung?4 Im einzelnen sind im Schuldsachverhalt der geistigen Wertverfehlung zwei hinsichtlich der Charakterisierung jenes Verwerflichkeitsgrades verschiedene Arten von schuldbegründenden Faktoren erkennbar: Da sind einmal die unmittelbar vom Unrecht abhängigen Schuldelemente, nämlich die Möglichkeit des Wissens oder gar das aktualisierte Wissen des Täters um das Unerlaubte seines Tuns ("Unrechtseinsicht" gern. §§ 17, 20; synonym: Unrechtsbewußtsein), und da sind zum anderen die selbständigen, zum Unrecht nur in mittelbarer Beziehung stehenden Schuldelemente, nämlich - möglicherweise - die geistige Verletzung anderer als der von dem betreffenden Unrecht verletzten Werte (z. B. unrechtes Tun "aus Habgier" beim Mord, § 211: geistige Verletzung des sittlichen Wertes des Maßhaltens2s ), jedenfalls aber geistiges Verhalten, das in Verbindung mit

Gallas, ZStW Bd. 67, 45 f. Hardwig, MonSchrKrim 1961, 209. 24 Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 197. 25 Vgl. hierzu im einzelnen Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 223 ff. 22 23

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der jeweiligen unrechtlichen Gesinnung deren Verwerflichkeitsgrad steigert (z. B. bewußt unrechtes Tun "in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen", beim Betrug, § 263).

a) Die geistige Wertverfehlung und ihre Formen

Als vom Unrecht abhängige Schuldelemente sind soeben die Erlangbarkeit des Unrechts bewußtseins und das aktuelle Unrechts bewußtsein genannt worden. 26 Vom Unrecht abhängig sind diese Schuldelemente insofern, als das Gewicht der durch sie begründeten Schuld durch die Art des Unrechts bestimmt wird, dessen sich der Täter bewußt sein könnte oder bewußt ist. So ist etwa der Verwerflichkeitsgrad der unrechtlichen Gesinnung bei der unrechtsbewußten Tötung eines Menschen höher als bei der unrechtsbewußten Zerstörung einer fremden Sache. In dieser Abhängigkeit vom Unrecht zeigt sich der Charakter der Schuld als Relationsbegriff. 27 Dabei bezeichnet "Potentialität des Unrechtsbewußtseins" diejenige Form unrechtlicher Gesinnung, die ein Täter äußert, der die unerlaubte Verletzung eines Gemeinschaftswertes durch sein Willensverhalten in der konkreten Situation mit seinen konkreten Fähigkeiten hätte erkennen können. Für diese Grundform geistiger Wertverfehlung, die zugleich notwendiger Bestandteil jeglicher Rechtsschuld überhaupt ist/8 ist an psychischem Material zunächst die Erlangbarkeit der Tatumstandskenntnis erforderlich, ein seelischer Sachverhalt, auf Grund dessen der konkrete Täter in der konkreten Situation die Wertverletzung in ihrer rein tatsächlichen, äußeren Seite hätte erkennen können. Dieser psychische Sachverhalt ist Unrechtsbestandteil und als solcher Voraussetzung der Schuld, nicht aber ist er selbst Schuldelement. Des weiteren ist rur die Erlangbarkeit der Unrechtseinsicht nötig, daß der Täter das von ihm verletzte Rechtsgut als Wert kennt und in seinem Unbewußten im Verlaufseiner sittlich-geistigen Entwicklung unwertbehaftete Bilder von Verletzungen dieses Rechtsgutes abgespeichert hat - etwa aus dem Miterleben eines vermeidbaren Verkehrs- oder Arbeitsunfalls, leichtfertigen Umgangs mit Feuer oder mangel-

Vgl. hierzu im einzelnen Schmidhäuser, Hellmuth Mayer-Festschrift, S. 317 ff. Hardwig, MonSchrKrim 1961, 203 f. - Inhalt des Unrechtsbewußtseins ist dementsprechend die unerlaubte Gemeinschajtswertverletzung; so zutreffend Rudolphi, Unrechtsbewußtsein, S. 53 f. 28 Aus diesem Grund ist die verbreitete Kennzeichnung der Schuld als Vorwurf gegenüber dem Täter, daß er habe rechtmäßig handeln "können" (vgl. Brauneck, GA 1959, 261 ff., mit zahlreichen Nachweisen), zur inhaltlichen Differenzierung innerhalb des Schuldbegriffs unbrauchbar. Denn dieses Können ist bereits bei Potentialität des Unrechtsbewußtseins stets gegeben, ohne daß die übrigen Schuldelemente damit in ihrem Gehalt erklärt wären oder auch nur erklärt werden könnten. - Zur Möglichkeit der Verbotskenntnis als Mindestvoraussetzung von Schuld vgl. Müller-Dietz, Grenzen des Schuldgedankens, S. 69. 26

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l. Teil, l. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

hafter Beaufsichtigung von Kindern -, die ihm im Wiedererleben einer ähnlichen Tatsituation vor Augen treten können. Hinzu kommt der höchstpersönliche Fundus an Kenntnissen und Fähigkeiten, den der Täter durch Vorbildung und Beruf erworben hat, und zwar nicht nur in bezug auf die Tatsachen seiner Lebenswelt und den Umgang mit ihnen, sondern gerade auch im Hinblick auf sein geistiges, die Werte als Werte betreffendes Verhalten: So weiß etwa der Taxifahrer besser als die Mehrzahl der übrigen Verkehrsteilnehmer, wo in seiner Stadt er sich verstärkt auf verkehrswidriges Verhalten von Kindern einstellen muß. An diesen täterpsychischen Sachverhalt legt die Rechtsordnung die Meßlatte ihrer an jeden ihrer Rechtsunterworfenen gerichteten Erwartungen an, das eigene Verhalten an den Normen des Rechts auszurichten, d. h. rechtswidrige Taten dadurch zu vermeiden, daß man sein Verhalten unter bestmöglichem Einsatz seiner Erkenntniskräfte gewissenhaft auf dessen Rechtmäßigkeit hin überprüft. Führt diese Beurteilung (gleichsam als die normative Komponente der hier zu bestimmenden Schuldform) des täterpsychischen Sachverhalts zu dem Ergebnis, daß der Handelnde sich das Unerlaubte seines Verhaltens hätte bewußt machen können, dann ist damit die Erlangbarkeit der Unrechtseinsicht als die gesetzliche Mindestform strafrechtlicher Schuld festgestellt. Ganz entsprechend ist unter "aktuellem Unrechtsbewußtsein" die erheblich verwerflichere Form geistiger Wertverfehlung zu verstehen, in der der Täter jene Möglichkeit der Unrechtseinsicht aktualisiert hat und sich gleichwohl nicht von seinem unerlaubten Handeln hat abhalten lassen; eine solche Aktualisierung ist nur bei aktueller Tatumstandskenntnis möglich, so daß die bloße Erkennbarkeit der Wertverletzung in ihrer tatsächlichen Seite niemals diese schwerere Schuldform begründen kann.

b) Die Abwandlungen des Verwerflichkeitsgrades

Neben unrechtsabhängigen gibt es selbständige Schuldelemente, Bestandteile des sozialethisch-wertwidrigen geistigen Verhaltens, welche dessen Verwerflichkeitsgrad im Vergleich zur Schuldform des bloßen Unrechtsbewußtseins steigern. 29 "Selbständig" sind diese zusätzliche Verwerflichkeit begründenden Gesinnungsmomente insofern, als der durch sie konstituierte Schuldgehalt nicht unmittelbar von der Art und der Größe des begangenen Unrechts bestimmt wird. Es besteht jedoch eine mittelbare Abhängigkeit dieser selbständigen Schuldelemente vom Unrecht dergestalt, daß sie ihrerseits das Vorhandensein der unrechtsabhängigen . Schuldelemente voraussetzen und nur den durch jene begründeten Schuldgehalt zu modifizieren vermögen, sofern sie vorliegen: Die29 Die inhaltlich völlig gleichartigen, den Verwerflichkeitsgrad mindernden Bestandteile des geistigen Verhaltens führen zu einem partielIen Schuldausschluß und werden deshalb in jenem Zusammenhang erörtert.

2. Kap.: Die tatbestandsmäßige Schuld

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se sind also nur mögliche, jene hingegen sind die begriffsnotwendigen Schuldelernente. Die selbständigen Schuldelemente begründen somit Rechtsschuld erst in Verbindung mit der unrechtlichen Gesinnung, auf die sie sich beziehen. Hinsichtlich dieser Begründung lassen sich innerhalb der selbständigen Schuldelemente zwei Arten unterscheiden: Der Täter kann sich geistig über andere als die durch sein unrechtes Verhalten verletzten Werte hinwegsetzen,30 so etwa beim Handeln aus Habgier beim Mord, § 211, über den sittlichen Wert des Maßhaltens; oder sein Motiv3! ist - isoliert betrachtet - wertneutral, wie beispielsweise das Erstreben einer Bereicherung, aber als Antriebsmoment zur geistigen Verletzung des rechtlich geschützten Gemeinschaftswertes erhöht es deren Gewicht, so etwa bei der in Bereicherungsabsicht begangenen Perpetuierung eines rechtswidrigen Vermögenszustandes hinsichtlich einer gestohlenen Sache bei der Hehlerei (§ 259). Stets gewinnt das additive Schuldelement seine rechtsschuldbegründende Wirkung erst aus seinem Bezug auf die unrechtliche Gesinnung, deren Verwerflichkeit es steigert.

2. Der Schuldtatbestand Die Abhängigkeit der Strafwürdigkeit vom tatbestandlichen Unrecht ist keine direkte, sondern sie wird vermittelt durch die deliktstypische Schuld. Wie bei der Begriffsbestimmung des Unrechtstatbestandes ist auch hinsichtlich des Schuldtatbestandes32 zunächst zu fragen, weIche Merkmale der gesetzlichen 30 Hierbei kann es sich um Richtungs- oder Haltungswerte handeln; vgl. Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 217. 31 In seiner Finalstruktur unterscheidet sich das Motiv (als Schuldelernent) nicht von der Verletzungsabsicht (als Unrechtsbestandteil). Treffend Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 227 f.: "Sittliche Werte wenden sich an den Willen ... Ob daher im Strafrecht von ,Absicht' oder von ,Beweggrund' die Rede ist, bleibt sich in der Sache schließlich immer gleich, denn auch als ,Beweggrund' kommt immer nur in Betracht, was sich zugleich als Willens- und Handlungsziel erfassen läßt." "Wo aber dieses besondere Willensziel nicht zur Schilderung der unrechten Tat gehört, da kann sich ein derartiges Merkmal nur auf das geistige Verhalten des Täters beziehen" (a. a. 0., S. 201). - Auch hier zeigt sich also wieder, daß fiir die Zugehörigkeit eines subjektiven Verhaltensmerkmals zu Unrecht oder Schuld nicht entscheidend ist, ob es den Willen oder das Wissen des Täters charakterisiert, sondern ob es die Rechtsgutsverletzung in ihrer tatsächlichen Seite oder eine Wertverfehlung in ihrem geistigen, d. h. gegen den Wert als Wert gerichteten Gehalt kennzeichnet. 32 In der Strafrechtswissenschaft ist bisher die Existenz eines eigenständigen Schuldtatbestandes in der gesetzlichen Verbrechensbeschreibung vor allem durch Gallas, ZStW Bd.67, 31, Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S.212, und Engisch, DJTFestschrift, S. 431, herausgearbeitet worden; eine solche Begriffsbildung setzt eben die Erkenntnis von der Existenz eines selbständigen, d. h. im Gegenstand vom Unrechtssachverhalt verschiedenen Schuldsachverhalts zwingend voraus. Bei dem Inkrafttreten des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches i. d. F. des 2. Strafrechtsreformgesetzes am

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

Verbrechensbeschreibung ihn bilden, und sodann, welche systematische Funktion ihm zukommt. Die Definition des Schuldtatbestandes hat somit wiederum in der Weise zu erfolgen, daß man die Merkmale des Schuldbegriffs in der gesetzlichen Deliktsschilderung aufzufinden trachtet: Der Schuldtatbestand eines Verbrechens besteht aus denjenigen Merkmalen eines Strafgesetzes, welche die deliktstypische geistige Wertverfehlung charakterisieren. Die primäre Frage bei der nunmehr im einzelnen vorzunehmenden Fixierung des Schuldtatbestandes anband des Schuldgehaltes geht dahin, wie die bei der Bestimmung der Schuld als Element des Verbrechens herausgearbeitete und mit der ihrer Bedeutung angemessenen Schärfe akzentuierte Unterscheidung von "Schuldvoraussetzungen" und "Schuldelementen" in der strafgesetzlichen Individualisierung der Schuld, dem Schuldtatbestand, zum Ausdruck kommt. Hierzu sei unter Vorwegnahme des Ergebnisses sogleich mit besonderem Nachdruck betont, daß die Schuldvoraussetzungen nicht zum Schuldtatbestand gehören; der Schuldtatbestand als systematischer Grundbegriff um/aßt vielmehr ausschließlich die typisierten Schuldelemente. Bezüglich der die Schuldfähigkeit ausmachenden Schuldvoraussetzungen ist diese Feststellung unmittelbar einsichtig; denn sowohl die "geistige Wertteilhabe" wie auch die als "Zurechnungsfähigkeit" zusammengefaßten Schuldvoraussetzungen betreffen den Gesamtbereich schuldhaften Handeins, ihnen fehlt also der den Schuldgehalt des einzelnen Delikts individualisierende Charakter und damit das spezifisch Tatbestandliche. Weniger offenkundig ist die Richtigkeit des hier vertretenen Ergebnisses hinsichtlich der zweiten Art von Schuldvoraussetzungen, nämlich des tatbestandsmäßigen Unrechts. Daß zwar der Unrechtstatbestand nicht "zum Schuldtatbestand gehören" kann, wenn beide Begriffe systematische Eigenbedeutung haben sollen, ist evident. Aber andererseits sind die Potentialität des Unrechtsbewußtseins und das aktuelle Unrechtsbewußtsein - beide als vom Unrechtsunwert begrifflich verschiedene Unwertsachverhalte33 und als Schuldelemente unbestritten, wie auch immer ihr Verhältnis zum Deliktstatbestand jeweils gesehen wer2. I. 1975 dürfte der Begriff des Schuldtatbestandes im strafrechtlichen Schrifttum bereits überwiegend anerkannt gewesen sein (vgl. außer den bereits genannten Autoren etwa Mezger, NJW 1953, 2; Jescheck, Allg. Teil, 2. Aufl., S. 352 ff.; Schmidhäuser, Allg. Teil, 10/2; Wesseis, Allg. Teil, 3. Aufl. 1973, S.20). Mit der 18. Auflage des StGBKommentars von SchönkelSchröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 123, in der Bearbeitung durch Lenckner, war im Jahr 1976 auch im kommentierenden Schrifttum der Durchbruch erreicht. Heute hat sich diese Kategorie weitestgehend durchgesetzt (vgl. zusätzlich etwa Jescheck in LK StGB, Bd. I, 11. Aufl., Rn. 79 vor § 13; LacknerlKühl, StGB, Rn. 15 vor § 13; DUo, Allg. Strafrechtslehre, § 5 Rn. 20); inzwischen arbeitet auch die höchstrichterliche Rechtsprechung mit ihr (siehe etwa BGHSt 42, 235, 240). 33 V gl. hierzu oben, S. 25 f, 106 f.

2. Kap.: Die tatbestandsmäßige Schuld

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den mag - nur von ihrem Bezugsgegenstand, dem tatbestandsmäßigen Unrecht, her begreifbar. Das Unrecht als Straftatelement ist Bezugsobjekt und zugleich Verstehensgrundlage der Schuld als Straftatelement, und diese Abhängigkeit muß sich zwangsläufig in der Tatbestandsebene wiederfinden, also auch zwischen der gesetzlichen Unrechts- und der gesetzlichen Schuldindividualisierung bestehen. Der Schuldtatbestand eines Verbrechens kann sich beispielsweise nicht in dem Merkmal erschöpfen, in dem das Erfordernis unrechtsbewußten Verhaltens gesetzlich zum Ausdruck gebracht wird ("vorsätzlich"); denn dieses Merkmal sagt nicht schon fiir sich, sondern erst in Verbindung mit den Merkmalen der gesetzlichen Unrechtscharakterisierung, welchen Unrechts der Täter sich bewußt ist, also etwa desjenigen einer Körperverletzung (§ 223), einer Urkundenfälschung (§ 267) oder einer Sachbeschädigung (§ 303). So sind es zwar die gleichen gesetzlichen Merkmale, die einerseits den Unrechtsgehalt und andererseits die Verstehensgrundlage des abhängigen Schuldgehaltes eines Verbrechens charakterisieren,34 aber durch diese logische Konsequenz aus dem Begriff des abhängigen Schuldgehaltes wird nicht der Unrechtstatbestand selbst zu einem Bestandteil des Schuldtatbestandes. 35

a) Die Schuldformen "Vorsatz" und "Fahrlässigkeit" Den Schuldtatbestand bilden ausschließlich die Typisierungen der Schuldelemente. Die deliktstypischen Schuldelemente bedürfen nämlich der ausdrücklichen gesetzlichen Charakterisierung; denn es wäre sonderbar, wenn das Schuldstrafrecht ausgerechnet den Schuldgehalt des Verbrechens nicht dem Erfordernis und der Garantiefunktion gesetzlicher Bestimmtheit unterstellte. Dieses Bedürfnis nach einer unmittelbaren Kennzeichnung durch ein eigenes Merkmal in der gesetzlichen Verbrechensbeschreibung besteht primär hinsichtlich der fiir die Straftat begriffsnotwendigen abhängigen Schuldelemente, näm34 Die Redeweise, insoweit sei der Unrechtstypus zugleich mittelbarer Schuldtypus (so Ga/las, ZStW Bd. 67, 30), ist unschädlich, solange man sich bewußt bleibt, daß trotz der partiell gleichen gesetzlichen Merkmale der Unrechtstatbestand schon rein begrifflich nicht Bestandteil des Schuldtatbestandes sein kann. 35 Der Unrechtstabestand gehört ebensowenig zum Schuldtatbestand wie das Unrecht zur Schuld. Wenn Stratenwerth, v. Weber-Festschrift, S. 182, ausführt: "Unter dem Blickwinkel der Gesinnung aber gehört das Unrecht zur Schuld wie andere Daten auch, ohne in irgendeiner Weise ausgezeichnet zu sein", und ferner: "In den Kategorien der Dogmatik formuliert, bedeutet das: Auch das Unrecht ist ein Schuldmerkmal", so beruhen diese Irrtümer auf dem Fehlen der Begriffspaare "Schuldvoraussetzungen" und "Schuldelemente" einerseits und "Schuld als Sachelement" und "Schuldtatbestand" andererseits. Erst die Auffassung der Schuld als unrechtliche Gesinnung eröffnet nämlich die Möglichkeit, zwischen Schuldvoraussetzungen und -elementen zu unterscheiden, und da das tatbestandsmäßige Unrecht eindeutig zu den ersten gehört, kann es - wie im Text gezeigt - gerade nicht Schuldtatbestandsmerkmal sein.

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

lieh hinsichtlich der Erlangbarkeit des Unrechtsbewußtseins und des aktuellen Unrechtsbewußtseins. Da nun aber andere Merkmale nicht ersichtlich sind, die - weil in sämtlichen Deliktsschilderungen auftretend - als Vertypung dieser Schuldelemente überhaupt in Betracht kommen könnten, werden im Einklang mit einer sehr alten Tradition in der Rechtsprechung36 und in der Rechtslehre 37 die Tatbestandsmerkmale "fahrlässig" und "vorsätzlich" als Typisierungen der abhängigen Schuldelemente erkannt. 38 Fahrlässig handelt, wer die Möglichkeit hat, das Unerlaubte seines unrechtstatbestandsmäßigen Verhaltens zu erkennen,39 vorsätzlich handelt, wer die Möglichkeit der Unrechtseinsicht zum Unrechtsbewußtsein aktualisiert hat und sich auch dadurch nicht von seinem unrechtstatbestandsmäßigen Verhalten abhalten läßt. 4o Es ist also in den Tatbestandsmerkmalen "fahrlässig" und "vorsätzlich" unmittelbar die das betreffende Delikt kennzeichnende unrechtliehe Gesinnung in den Formen der Erlangbarkeit des Unrechtsbewußtseins und des aktuellen Unrechtsbewußtseins charakterisiert. 41 36 In ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung werden "Vorsatz" und "Fahrlässigkeit" als Schuld/armen charakterisiert; vgl. beispielhaft RGSt 64, 30, 31; BGHSt 9, 370,377; 36, I, 10; 43, 158, 168. 37 Reling, Lehre vom Verbrechen, S. 45 f.; v. Liszt, Lehrbuch, S. 163; Mezger, Strafrecht, S. 301 ff.; Engisch, DlT-Festschrift, S. 431. 38 Treffend insoweit schon v. Liszt, Lehrbuch, S. 163 Fn. 2: Die "anti soziale Gesinnung des Täters" bildet "den materiellen Inhalt des Schuldbegriffs, den das Gesetz nicht schafft, sondern vorfindet." 39 So wie die abhängigen Schuldelemente ein bestimmt geartetes Unrecht begrifflich voraussetzen - eben darin besteht ihre Abhängigkeit -, so beziehen sich die abhängigen Schuldtatbestandsmerkmale auf tatbestandsmäßiges Unrecht als' Voraussetzung. "Fahrlässig" beispielsweise meint nicht die Möglichkeit des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit überhaupt, sondern die Möglichkeit des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit bezüglich eines konkreten unrechtstatbestandsmäßigen Verhaltens, also etwa einer Tötung (§ 222) oder einer Körperverletzung (§ 229): Tötet der Täter einen Menschen durch ein Verhalten, dessen körperverletzende, nicht aber dessen tötende Wirkung er hätte erkennen und dessen Widerrechtlichkeit er sich insoweit hätte bewußt machen können, so erfüllt er damit nicht den Schuldtatbestand der fahrlässigen Tötung, nämlich Erlangbarkeit des Unrechtsbewußtseins bezüglich seiner Todesverursachung. 40 Im Ergebnis - Vorsatzstrafe nur bei unrechtsbewußter Tat - ebenso die Anhänger der sog. Vorsatztheorie (vgl. die Nachweise bei Schmidhäuser, Hellmuth MayerFestschrift, S. 317 Anm. I), die jedoch ausnahmslos auf einer anderen begrifflichsystematischen Grundlage zu diesem Ergebnis gelangen, nämlich unter Einbeziehung der Tatumstandskenntnis und ganz überwiegend auch des Tatwillens in den Vorsatzbegriff. . 41 Die Merkmale "fahrlässig" und "vorsätzlich" bringen in Verbindung mit den das jeweilige tatbestandsmäßige Unrecht individualisierenden Merkmalen die unrechtliche Gesinnung ebenso unmittelbar zum Ausdruck wie die Gesinnungsmerkmale die besondere sittlich-wertwidrige Gesinnung (insoweit im Gegensatz zu Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 178, 198). Hier wie dort ist bei der Gesetzesanwendung die sittlichwertwidrige Gesinnung des Täters nicht im direkten Zugriff, sondern nur im Wege geistigen Verstehens zu ermitteln. Zwar ist der Sachverhalt, auf den die unrechtliche Ge-

2. Kap.: Die tatbestandsmäßige Schuld

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aa) Der Vorsatz als Schuldform Vorsatz ist das Wissen des Täters um seine unrechte Tat, d. h. die bei Begehung der rechtswidrigen Tat vorhandene Einsicht in das von ihm verwirklichte tatbestandsmäßige Unrecht. Diese Einsicht setzt das subjektive Unrechtstatbestandsmerkmal der Tatumstandskenntnis begrifflich voraus. 42 Die Unrechtseinsicht als Straftatmerkmal erfordert aktuelles Bewußtsein, d. h. der Täter muß im Augenblick seines Handelns das Spezifische der von ihm begangenen Rechtsgutsverletzung43 und deren Rechtswidrigkeit44 erfaßt haben. Jedoch genügt insoweit das Rechnen mit der bloßen Möglichkeit, rechtswidrig zu handeln; eine solche unsichere Unrechtseinsicht reicht nur dort zur Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Tat nicht aus, wo das Gesetz - wie etwa beim wissentlichen Mißbrauch von Notrufen gern. § 145 - ausdrücklich sicheres Wissen verlangt. Immer genügt ein nur sachgedanklich dem Täter präsentes Unrechtsbewußtsein. 45 Die vorstehende Inhaltsbestimmung vorsätzlichen Handeins dürfte der Praxis der staatlichen Strafverfolgungstätigkeit ganz überwiegend zugrunde liegen, was kaum jemand leugnen wird, der schon einmal unbefangen die Alltagsarbeit der Staatsanwaltschaften und der Instanzgerichte unter diesem Aspekt in den Blick genommen hat. Sie ist jedoch im Schrifttum und in der höchstrichterlichen Judikatur keineswegs allgemein anerkannt. Dieses Schicksal teilt sie aber mit allen übrigen Definitionen des Vorsatzbegrijfs, ist doch die Problematik seiner Inhaltsbestirnmung wohl die am stärksten umstrittene Frage der Strafrechtswissenschaft überhaupt. Konsens wird sich noch darüber herstellen lassen, daß es sich um eine Frage der Gesetzesauslegung handelt, so daß zu ihrer Beantwortung die anerkannten Kriterien der Gesetzesinterpretation heranzuziehen sind. 46 Dabei beschränkt sich der hier zu klärende Meinungsstreit auf das besinnung bezogen ist, gesetzlich fixiert, hingegen der Sachverhalt, auf den die besondere verwerfliche Gesinnung bezogen ist, erst vom Richter zu suchen; aber dieser Unterschied berührt nicht die Unmittelbarkeit der gesetzlichen Gesinnungstypisierungen. 42 Nur diese begriffliche Voraussetzung der Tatumstandskenntnis für den Vorsatz ergibt sich zwingend aus der Negation des § 16 Abs. 1 S. 1, entgegen MünchKommStGB/Joecks-, § 16 Rn. I nicht jedoch eine indirekte Definition dahingehend, daß "das Wissen um Tatumstände ein konstitutives Element des Vorsatzes" sei. 43 Eine Konsequenz aus diesem Erfordernis der Tatbestandsbezogenheit der Unrechtseinsicht ist die sog. Teilbarkeit des Unrechtsbewußtseins; vgl. dazu schon BGHSt 10, 35. Ob sich aber die sog. Schuldtheorie mit der Lehre von der Teilbarkeit des Unrechtsbewußtseins in Einklang bringen läßt, ist mehr als fraglich. 44 Das Erfassen des eigenen HandeIns selbst als schwerstwiegend unmoralisch genügt fiir das Unrechtsbewußtsein nicht; siehe BGH GA 1969, 61. - Anders noch Engisch, Untersuchungen, S. 236 ff. 45 Näher dazu Schmidhäuser, Allg. Teil, 10/74. 46 Eine sehr komplexe Neudefinition des Vorsatzbegriffs ohne Rückbindung an das geltende Gesetz - mit dem Ziel, die sog. Abirrungsfalle mit der Vorsatzstrafe zu belegen - hat Puppe, Vorsatz und Zurechnung, S. 63, fonnuliert.

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l. Teil, l. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

griffliche Verhältnis von Vorsatz und Unrechtsbewußtsein; denn die in Schrifttum und Rechtsprechung außerdem geruhrten Kontroversen über das begriffliche Verhältnis von Vorsatz und Willen sowie über das von Vorsatz und Tatumstandskenntnis sind bereits an ihrem systematischen Ort, nämlich im Rahmen der Bestimmung des tatbestandsmäßigen Unrechts, dahingehend geklärt worden, daß der Wille ein Element der Tatbestandshandlung, 47 die Tatumstandskenntnis hingegen ein eigenständiges subjektives Tatbestandsmerkmal ist. 48 Hinter der somit allein verbleibenden systematischen Frage, ob die Unrechtseinsicht vom strafgesetzlichen Vorsatzmerkmal umfaßt ist (so die sog. Vorsatztheorie49), steht die grundlegende Wertungskontroverse darüber, ob die (nahezu immer massiv höhere) Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Tat nur bei dem mit Unrechtsbewußtsein geruhrten Rechtsgutsangriff in Betracht kommt, bei einem subjektiv rechtstreuen Handeln hingegen nicht. Zwar könnte ein solches Ergebnis auch nach dem Auseinanderreißen von Vorsatz und Unrechtseinsicht, also vom Boden der sog. Schuldtheorie aus, vertreten werden, aber - soweit ersichtlich - vertritt niemand eine solche Position; die begriffliche Trennung von Vorsatz und Unrechtseinsicht dient folglich ihren Berurwortern ausschließlich zu dem Zweck, die Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Tat auch rur das Handeln ohne Unrechts bewußtsein zu eröffnen. Damit darf sich die folgende Untersuchung insoweit auf die Frage beschränken, ob nach dem geltenden Strafgesetzbuch das Vorsatzmerkmal die Unrechtseinsicht umfaßt. 50 Zwar sind rechtsdogmatisch so unbedarfte Antworten hierauf wie z. 8., der Gesetzgeber hätte die Schuldtheorie legislatorisch festgeschrieben, oder auch, das Bundesverfassungsgericht hätte die Gesetzesanwendung im Sinne der Vorsatztheorie rur verfassungswidrig erklärt, ungeachtet ihrer Verbreitung keiner Auseinandersetzung wert. Aber eine jahrzehntelange gegenläufige Tradition in Schrifttum und höchstrichterlicher Judikatur hat ein gewaltiges Eigengewicht5l und bildet ein kaum überwindbares Hindernis bei dem Bemühen, einen unbefangenen Blick auf das Gesetz selbst zu werfen und Grün-

Vgl. oben, S. 70, 73 ff. Vgl. oben, S. 87 ff. 49 Eine Auflistung ihrer Vertreter im Schrifttum zur geltenden Fassung des Strafgesetzbuches siehe bei Schönke/SchröderiCramer/Sternberg-Lieben, StGB, § 15 Rn. 104. 50 Die diese Frage bejahende sog. Vorsatztheorie haben rur die geltende Fassung des Strafgesetzbuches nach meiner eigenen Abhandlung hierzu (GA 1976, 193 ff.) als die überlegene Gesetzesinterpretation aufgewiesen: Schmidhäuser, JZ 1979, 361 ff.; Otto, Allg. Strafrechtslehre, § 15 Rn. 5 ff.; Freund, Strafrecht, Allg. Teil, § 7 Rn. 90 f.; Wilhelm Schünemann, NJW 1980, 738; Detlev Geerds, Jura 1990, 430; Koriath, Jura 1996, 115ff. 5l Zur Rolle der "herrschenden Meinung" in der studentischen Gesetzesanwendung vgl. Langer, Meurer-Gedächtnisschrift, S. 28 ff. 47

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2. Kap.: Die tatbestandsmäßige Schuld

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de fiir die tradierte Ansicht einzufordern. Gleichwohl sei dieser Versuch gewagt.

Der Wortlaut des Gesetzes, das in den §§ 15 und 16 von vorsätzlichem Handeln und in § 17 von der Unrechtseinsicht spricht, 52 ist im Hinblick auf das hier zu klärende Problem aussagelos: § 15 trifft insoweit keinerlei Feststellung, während die §§ 16 und 17 nur Verneinungen zum Vorsatz bzw. zur Unrechtseinsicht enthalten, so daß ihnen nichts Positives über deren Begriffsverhältnis entnommen werden kann, während sie - umgekehrt - auch gerade nicht verneinen, daß die Unrechtseinsicht vom Vorsatz umfaßt ist. Unverständlich ist jedoch, daß die höchstrichterliche Rechtsprechung diese tiefgreifende Gesetzesrevision zum 1.1.1975 - die den Gesetzeswortlaut durch die radikale Umgestaltung des § 59 a. F. zum § 16 Abs. 1 und durch die Neuaufnahme von Legaldefinition und Rechtsfolgenregelung des Verbots irrtums durch § 17 fundamental verändert hat - mit keinem Wort thematisierte,53 sondern ihre überkommene Judikatur zum Verhältnis von Vorsatzmerkmal und Unrechtseinsicht ohne Aufweis ihrer Berechtigung unter der neuen Gesetzesfassung unverändert fortsetzte 54 und sie bis in die Gegenwart auf ihre Erkenntnisse zu einem vom geltenden total verschiedenen Gesetzeswortlaut stützt. 55 Während also der. Wortlaut des geltenden Gesetzes insoweit nicht weiterfUhrt, ist seine Entstehungsgeschichte56 zu diesem Punkt durchaus aussagekräftig: Während der Entwurf 1962 in § 16 eine Legaldefmition des Vorsatzes enthielt, mit deren Hilfe die Schuldtheorie im Gesetz verankert werden sollte und im Falle des Inkrafttretens verankert worden wäre, ist diese Legaldefinition vom Gesetzgeber bewußt und mit überzeugender Begründung aus dem Entwurf herausgestrichen worden: "Bereits die Mehrheit der Großen Strafrechtskommission hatte sich gegen die Aufnahme von Defmitionen der Begriffe , Vorsatz', ,Absicht und Wissentlichkeit' sowie ,Fahrlässigkeit und Leichtfertigkeit' ausgesprochen. Zur Begründung war hier angefiihrt worden, das Fehlen solcher Begriffsumschreibungen hätte im geltenden Recht nicht zu ernsthaften Schwierig52 Die Kritik an meiner Wortsinnauslegung der strafgesetzlichen Irrtumsregelung durch Kuhlen, Die Unterscheidung von vorsatzausschließendem und nichtvorsatzausschließendem Irrtum, S. 277 ff., gründet sich auf die eindeutig unzutreffende Behauptung, ich hätte ,,§ 17 Satz 1" in GA 1976, 214 f. "nur als Regelung tUr fahrlässige Taten" aufgefaßt. 53 Der gleiche Einwand richtet sich gegen das entsprechende Übergehen der Änderung des Gesetzeswortlauts seitens des Schrifttums, das seinerseits überholt ist, soweit es sich auf die bis zum 1. 1. 1975 geltende Gesetzesfassung bezieht, wie z. B. Schaffstein, OLG Celle-Festschrift, S. 178 ff. 54BGH, Urteil vom 20.5.1976- 4 StR 671/75-, zitiert in BGH NStZ 1983,500, sowie Urteil vom 5.7.1983 - 1 StR 337/83 -, BGH Strafverteidiger 1983, 456. 55 Vgl. beispielhaft BGH NJW 2000,885,887. 56 Loos, Wassermann-Festschrift, S. 130 ff., sieht ein gegenwärtig zunehmendes Verständnis tUr dieses Auslegungskriterium.

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keiten geruhrt. Demgegenüber berge ihre gesetzliche Fixierung die Gefahr einer gewissen Erstarrung der weiteren dogmatischen Entwicklung in sich. Schließlich sei die defmierende Ausrullung dieser Begriffe aber auch nicht so sehr Aufgabe des Gesetzgebers als vielmehr der Rechtslehre ... Der Ausschuß kam deshalb überein, auf die Gesamtheit der in jenen Vorschriften enthaltenen Definitionen zu verzichten.,,57 Der Gesetzgeber wollte also gerade nicht,58 daß die Schuldtheorie legislatorisch festgeschrieben wird, und hat dieses Unterfangen deshalb gezielt verhindert. 59 Nimmt man sodann den systematischen Zusammenhang der einschlägigen Gesetzesbestimmungen in den Blick und befragt ihn nach dem begrifflichen Verhältnis von Vorsatz und Unrechtseinsicht, so wird man eine klärende Antwort am ehesten aus der Irrtumsregelung des Strafgesetzbuches erwarten. Aber auch in ihr ist kein Argument rur die Schuldtheorie, d. h. darur zu entdecken, daß die Unrechtseinsicht nicht vom strafgesetzlichen Vorsatzmerkmal umfaßt sei. Von den drei hier im Gesetz ausdrücklich genannten Irrtümern sind zwei hinsichtlich ihrer Folgen so eindeutig geregelt, daß darüber vernünftigerweise nicht gestritten werden kann und deshalb auch nicht gestritten wird: Fehlende Tatumstandskeruitnis läßt gemäß § 16 Abs. I Satz 1 vorsätzliches Handeln entfallen, ein unvermeidbarer Verbotsirrtum gemäß § 17 Satz 160 die Schuld. Kontrovers ist insoweit allein der vermeidbare Verbotsirrtum, den der Gesetzgeber in seinen Voraussetzungen, nämlich durch das Herausstreichen der Legaldefmition des Vorsatzes aus dem Gesetzesentwurf, wie auch in seinen Folgen beWUßt61 offengehalten hat, nämlich in bezug auf die Frage, welche Strafbarkeit gemäß § 49 Abs. 1 gemildert werden kann, die aus dem Vorsatz- oder die aus dem Fahrlässigkeitstatbestand. Entgegen weit verbreiteter Annahme ergibt sich also aus der Gesetzessystematik als solcher nichts rur die begriffliche Trennung von Vorsatz und Unrechtseinsicht. Sehr deutlich aber gegen eine solche Tren57 Bericht des Sonderausschusses rur die Strafrechtsreform, Bundestagsdrucksache V/4095, S. 8 f. 58 Ohne eigenen Aufweis gegenteilig Neumann in NK StGB, § 17 Rn. 2. - Hingegen mit vorbildlich detaillierter Analyse a. A. Kuhlen, Die Unterscheidung von vorsatzausschließendem und nichtvorsatzausschließendem Irrtum, S. 280 ff., insbes. S. 283 ff., der aber nur zu durchschaubar die rur die Ermittlung des Willens des Gesetzgebers maßgebenden Gesichtspunkte herunterzuspielen versucht, nämlich das gezielte Herausstreichen der die Schuldtheorie legislatorisch festschreibenden Legaldefinition des Vorsatzes aus dem Gesetzentwurf durch den Gesetzgeber selbst und die Erklärung des insoweit federfiihrenden Sonderausschusses, dadurch das Gesetz rur die Auslegung durch die Rechtslehre offenhalten zu wollen. 59 Unrichtig daher Roxin, Allg. Teil, § 21 Rn. 11; Schroth, Vorsatz und Irrtum, S. 44. 60 In Anbetracht der entgegengesetzten Rechtsprechung des Reichsgerichts war die Aufnahme dieser Vorschrift in das Gesetz sachgerecht und nicht - wie Jakobs, Allg. Teil, 19/15, meint - "redundant". 61 Bericht des Sonderausschusses rur die Strafrechtsreform, Bundestagsdrucksache V/4095, S. 9.

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nung fällt die Entscheidung aus, sobald man die Rezeptionsgeschichte der gesetzlichen Regelung des vermeidbaren Verbotsirrtums in die Auslegung einbezieht: Für die in der Strafrechtspraxis nahezu allein vorkommende Fallgestalt dieses Irrtums - die irrige Annahme der tatsächlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes62 - distanzieren sich nämlich die höchstrichterliche Rechtsprechung63 und die überwältigende Mehrheit im Schrifttum64 von den zwingenden Konsequenzen ihres eigenen, sog. schuldtheoretischen Ansatzes, indem die Unrechtseinsicht hier eben doch als elementares Erfordernis der Vorsatzstrafbarkeit anerkannt wird. Wieder einmal hat sich damit weitestgehend die Sache selbst, nämlich die dem Schuldprinzip und der Gerechtigkeit entsprechende Strafbarkeit im Irrtumsfall, gegen alle begriffsjuristischen Verbiegungsversuche durchgesetzt - wenn auch um den Preis einer methodisch unhaltbaren65 und in sich widersprüchlichen66 Gesetzesanwendung. Im Hinblick auf die allgemein anerkannten Kriterien der Gesetzesauslegung bleibt damit nur noch zu klären, wie die Regelung des Strafgesetzbuches (na62 Dieser sog. Erlaubnistatbestandsirrtum ist ein Verbotsirrtum (so schon Jescheck, Allg. Teil, 2. Aufl., S. 347; Sax, JZ 1976,430 Fn. 5; Gal/as, Bockelmann-Festschrift, S. 169; Schroeder in LK StOB, § 16 Rn. 49, 52; Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 469). Diese Einsicht läßt sich auch nicht dadurch überspielen, daß man ihn als "Quelle eines Verbotsirrtums" bezeichnet (Lackner/Kühl, StOB, § 17 Rn. 15); denn ein Tatbestandsirrtum ist er jedenfalls nicht und auch nicht "Quelle" eines solchen! 63 Vgl. beispielhaft BOHSt 31, 264, 286 f.; 32, 243, 248. - Die unbekümmerte Abstützung auf Entscheidungen, die zu einer völlig anderen, seit Jahrzehnten außer Kraft getretenen Oesetzeslage ergangen sind, offenbart ein seltsames Verständnis von der richterlichen Bindung an das Oesetz (Art. 97 Abs. 1 00). 64 Siehe hierzu z. B. die zahlreichen Nachweise bei Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, StOB, § 16 Rn. 17. - Differenzierend insoweit Paeffgen, Der Verrat, S. 93 ff., 100 ff., für den sich die Frage der Einschränkung der strengen Schuldtheorie als Problem der Folgen einer nur teilweisen Erfüllung von Rechtfertigungsvoraussetzungen darstellt. 65 Da keine der sog. eingeschränkten Schuldtheorien nach den anerkannten Regeln der Oesetzesauslegung mit der geltenden Fassung des Strafgesetzbuches in Einklang zu bringen ist, "fühlen sich alle wissenschaftlichen Lehrmeinungen in irgendeiner Weise bestritten" (Sonderausschuß, Bundestagsdrucksache V/4095, S. 9). Dieser Zustand beunruhigt nur deswegen offenbar niemanden, weil das Wissen um die Richtigkeit des so (für die in der Strafrechtspraxis allein relevante Fallgestalt des vermeidbaren Verbotsirrtums) gewonnenen Ergebnisses die Vertreter der divergierenden Auffassungen wieder vereint. Verschwiegen wird, daß es sich dabei um eben das Ergebnis handelt, zu dem die Vorsatztheorie uneingeschränkt in Anwendung jener anerkannten Regeln der Gesetzesauslegung gelangt. 66 Dieser Einwand richtet sich nicht gegen diejenige Spielart der eingeschränkten Schuldtheorie, die als "Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen" bezeichnet wird (vgl. BaumannIWeber, Allg. Teil, S. 278, mit zahlreichen Nachweisen), derzufolge der sog. Erlaubnistatbestandsirrtum bereits das Unrecht der Vorsatzstraftat entfallen läßt. Dieses Konstrukt ist jedoch als aus anderen Gründen unhaltbar aufgewiesen worden und bedarf hier keiner erneuten Widerlegung (vgl. Duo, Allg. Strafrechtslehre, § 5 Rn. 17 ff.; JescheckiWeigend, Allg. Teil, S. 463).

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

mentIich über den vermeidbaren Verbotsirrtum) bezüglich des Erfordernisses aktuellen Unrechtsbewußtseins rur die Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Tat und damit rur die Inhaltsbestimmung des strafgesetzlichen Vorsatzmerkmals teleologisch richtig zu verstehen ist. 67 Die gesuchte Gesetzesauslegung muß also gesamtsystematisch widerspruchsfrei sein68 und den Verfassungspostulaten der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit und des Schuldprinzips in praktischer Konkordanz bestmöglich entsprechen. Vor allem anderen geht es damit um die Frage, welche Rechtsfolge der Schuld des im vermeidbaren Verbotsirrtum handelnden Täters optimal angemessen ist: 69 Die schwerstmögliche, nämlich die auf die Vorsatzstraftat angedrohte, wie die Anhänger der sog. Schuldtheorien meinen, kann es ohne eine stichhaltige Begründung angesichts der massiven Schuldmilderung jedenfalls nicht sein. Hierzu aber haben die Schuldtheorien auf die Kernfrage, warum die grundlegende Wertdifferenz nicht zwischen dem rechtsfeindlichen und dem subjektiv rechtstreuen Verhalten, sondern innerhalb des subjektiv rechtstreuen Verhaltens, und zwar zwischen dem (mehr oder minder70) sachverhaltsbewußten und dem sachverhaltsunbewußten Verhalten bestehen soll, bisher keine Erklärung zu geben vermocht, die die Bindingsche Fundierung der Vorsatztheorie 71 erschüttert hätte. 72 Überprüft man sodann im einzelnen anhand der vorstehend genannten teleologischen Kriterien die Vereinbarkeit der sog. Schuldtheorien mit der geltenden strafgesetzlichen Irrtumsregelung, zeigt sich unübersehbar, daß sie (vielleicht als "Rechtsfortbildung" oder als "außergesetzlicher Lösungsvorschlag", aber) jedenfalls nicht als Gesetzesauslegung gekennzeichnet werden können: Das ergibt sich zuallererst schon aus dem offenen Widerspruch aller sog. Schuldtheorien zur Vorschrift des § 17 Satz 2. Besteht der kleinste gemeinsame Nenner der 67 Grundlegend zu diesem Kriterium schon Schwinge, Teleologische Begriffsbildung im Strafrecht, S. 8 ff.; Grünhut, Frank-Festgabe I, S. 8 ff. 68 Wird "mit § 17 ... klargestellt", daß "volle Schuld das Unrechtsbewußtsein des Täters voraussetzt" (so zutreffend MünchKommStGB/Joecks, § 17 Rn. 2), dann läßt sich hierzu widerspruchsfrei bei fehlendem Unrechtsbewußtsein die ungemilderte Vorsatzstrafbarkeit nicht begründen. - Zum Gebot der Vermeidung von Wertungswidersprüchen bei der Gesetzesauslegung siehe Renzikowski, GA 1992, 172 ff. 69 V gl. hierzu schon Langer, GA 1976, 211. 70 Um diese Kontroverse geht es bei dem Streit zwischen der sog. strengen und den sog. eingeschränkten Schuldtheorien; näher dazu bei Langer, GA 1976, 209 f. 71 Binding, Die Schuld im deutschen Strafrecht, S. 18; vgl. im einzelnen bei Langer, GA 1976, 208. 72 Das verbreitete Argument, wer bewußt handele, der sei "zur verantwortlichen Prüfung aufgerufen" (vgl. beispielhaft Welzel, ZStW Bd. 67, 218), ist deswegen kein stichhaltiger Grund rur die Schuldtheorien, weil es aufjeden Täter zutrifft, der erkennbar zur Gefährdung eines Rechtsgutsobjekts ansetzt; auch der Fahrlässigkeitstäter, der noch keine Tatumstandskenntnis hat, ist durch den von dem betroffenen Rechtsgut ausgehenden Achtungsanspruch dazu aufgerufen, die Situation verantwortlich zu prüfen mit dem Ziel, sich die Tatumstandskenntnis zu verschaffen.

2. Kap.: Die tatbestandsmäßige Schuld

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(im übrigen nach allen Richtungen hin divergierenden) Schuldtheorien in der These, daß die Unrechtseinsicht ein nicht vom Vorsatz umfaßtes selbständiges Schuldmerkmal und damit Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Tat auch ohne ihr Vorliegen möglich sei, dann folgt daraus zwingend, daß ein dieses Schuldmerkmal bei Begehung der Tat nicht erfiillender Vorsatztäter wegen seiner geringeren Schuld milder zu bestrafen ist als einer, der unter im übrigen gleichen Voraussetzungen mit Unrechtseinsicht gehandelt hat; denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts73 folgt aus dem Schuldprinzip und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, daß "die Schwere einer Straftat und das Verschulden des Täters zu der Strafe in einem gerechten Verhältnis stehen müssen,,74, was nicht gewahrt ist, wenn zwei im übrigen identische, aber um den gravierenden Schuldgehalt der Unrechtseinsicht divergierende Fälle gleich bestraft würden. Im Gegensatz dazu geht § 17 Satz 2 davon aus, daß die Strafe des vermeidbar ohne Unrechtseinsicht Handelnden lediglich gemildert werden "kann", d. h. im Regelfall ungemildert bleibt. Zwingend aber ist vom Gesetz mit dieser nur fakultativen Strafmilderung mindestens die Möglichkeit von Fällen ungemilderter Strafbarkeit trotz fehlender Unrechtseinsicht vorausgesetzt, die es jedoch von den Prämissen sämtlicher Schuldtheorien her nicht geben kann, weil die Schuld des im Verbotsirrtum handelnden Täters begriffsnotwendig um dieses angeblich "selbständige Schuldelernent" geringer ist als die eines unter im übrigen gleichen Voraussetzungen unrechtsbewußt handelnden. Dementsprechend findet sich in der höchstrichterlichen Judikatur kein Fall, in dem trotz HandeIns im vermeidbaren Verbotsirrtum die ungemilderte Vorsatzstrafe verhängt worden wäre. Diese Unvereinbarkeit der Schuldtheorien mit dem geltenden Gesetz (wegen der nur fakultativen Strafmilderung gemäß § 17 Satz 2, entgegen der begriffsnotwendig und damit ausnahmslos bei fehlendem Unrechtsbewußtsein relativ verringerten Schuld) wird von ihren Anhängern nahezu immer mit der Floskel verschleiert, das Unrechts bewußtsein sei kein Element des Vorsatzes, sondern ein selbständiges Schuldmerkmal. Gerade diese Grundannahme der sog. Schuldtheorien aber erweist ihren Widerspruch zur gesetzlichen Regelung des § 17 Satz 2. Nur das Eingeständnis, daß entgegen jener Grundannahme das Unrechtsbewußtsein überhaupt kein Begriffsmerkmal der Vorsatzstraftat ist, also auch kein notwendiges Schuldelement derselben, sondern daß es rur sie begrifflich völlig irrelevant ist, würde jenen Widerspruch beheben und die sog. Schuldtheorien als mögliche Auslegungen der strafgesetzlichen Irrtumsregelung erscheinen lassen. Selbstverständlich findet sich ein solches Eingeständnis fast

73 74

BVerfDE 45, 187,228; 54, 100, 108. So wörtlich BVerfD NJW 1997, 1910.

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

nirgends,75 weil es zugleich die so verstandenen Schuldtheorien als mit dem Schuldgrundsatz der Verfassung unvereinbar aufweisen würde. 76 Widerlegt diese ihre Unvereinbarkeit mit § 17 Satz 2 den Anspruch aHer Schuldtheorien, als Auslegung der derzeitigen strafgesetzlichen Irrtumsregelung zu gelten, so betreffen weitere Einwände gegen die rechtsdogmatische Konstruktion nur das Gesamtfeld der sog. eingeschränkten Schuldtheorien: 77 Hinter dieser Sarnmelbezeichnung verbirgt sich ein Kunterbunt völlig heterogener Auffassungen/ 8 deren gemeinsamer Nenner nach ihrer zumeist unreflektierten Übernahme der verfehlten Prämisse, auch der subjektiv rechtstreu Handelnde könne mit der vollen Vorsatzstrafe belegt werden, ausschließlich darin besteht, daß sie rur die in der Strafrechtspraxis aHein gewichtige Fallgruppe79 des vermeidbaren Verbotsirrtums, des sog. Erlaubnistatbestandsirrtums, die Ergebnisse der Vorsatztheorie vertreten und so den Konsequenzen ihres Fehlansatzes auszuweichen versuchen, während sie sich im übrigen wechselseitig die Unhaltbarkeit ihrer jeweiligen dogmatischen Konstruktion aufgewiesen haben. Die inneren Widersprüche der sog. eingeschränkten Schuldtheorien sind auch vom Verfasser bereits an anderer SteHe im einzelnen aufgezeigt worden,80 ohne daß die teils bekannten, teils neuen Argumente seither im Schrifttum entkräftet worden wären. Deshalb kann hier auf jene unverändert gültigen Widerlegungen Bezug genommen werden. Ergänzend bleibt jedoch anzumerken, daß über die methodische Unhaltbarkeit hinaus auch die Selbstbenennung einer Spielart als "rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie,,81 grob irreruhrend ist: Übernommen 75 Zu einer Ausnahme vgl. bei Langer, GA 1976,217 Fn. 157.

76 Daß das Bundesverfassungsgericht seinerzeit ohne Begründung (näher dazu bei Langer, GA 1976, 203) von der gegenteiligen Auffassung ausgegangen ist, wird von der Bindungswirkung seiner Entscheidung nicht umfaßt; vgl. im einzelnen Langer, GA 1976, 205 f. - Weil die Reichweite der Bindungswirkung maßgeblich auf der Autorität und der Kontinuität der verfassungsgerichtlichen Judikatur mitberuht, dürfte sie durch das 2. Fristenregelungsurteil (BVerfGE 88, 203 ff.), mit dem das Gericht seine Selbstbindung sogar hinsichtlich der sog. Unantastbarkeiten der Verfassung verneint hat, zusätzlich stark eingeschränkt worden sein. 77 Einen Mittelweg zwischen der strengen Schuldtheorie und ihren eingeschränkten Spielarten meint Heuchemer, Der Erlaubnistatbestandsirrtum, S. 348 f., gefunden zu haben, der den Vertretern der Vorsatztheorie "radikalen Psychologismus" (S. 158) vorhält und seinerseits "Vorsatz und Vorsatzschuld nicht in Abhängigkeit von psychischen Prozessen, sondern als Zuschreibung nach normativen Regeln unter dem Leitmaßstab der Rechtstreue" definiert (Hervorhebung auch im Original). 78 Siehe im einzelnen bei Langer, GA 1976, 209 f. - Kritisch gegenüber der verbreiteten Unsitte, ,jedes neu gefundene Argument zu einer eigenständigen ,Theorie' hochzustilisieren", schon Erb, ZStW Bd. 113, 20. 79 Vgl. hierzu schon Langer, GA 1976, 209 (mit weiteren Nachweisen). 80 Vgl. hierzu Langer, GA 1976, 211 f. 81 Vgl. beispielhaft Jescheck/Weigend, Allg. Teil, S.464, mit zahlreichen Nachweisen. - Siehe auch die Kritik dieser Auffassung durch Gallas, Bockelmann-Festschrift, S. 171.

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werden - gerade ohne Verweisung - rur den in der Strafrechtspraxis allein relevanten Bereich die Ergebnisse der Vorsatztheorie, so daß die Rechtsfolgen der Schuldtheorie, deretwegen allein dieses fragwürdige Konstrukt ursprünglich überhaupt einmal ersonnen worden ist, praxisgerecht (wenn auch nicht richtig) wieder ausgehebelt werden. Treffender wäre diese Spielart somit als "rechtsfolgenunterlaufende Schuldtheorie" zu kennzeichnen. Sind also die Schuldtheorien wegen ihrer inneren Widersprüche und methodischen Unzulänglichkeiten in strafrechtsdogmatisch-konstruktiver Hinsicht mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen, so erweisen sie sich bei genauerer Betrachtung rasch auch unter kriminalpolitischen Aspekten (die bei der Gesetzesauslegung unterstützend herangezogen werden könnten und von den Anhängern der Schuldtheorien als tragendes Argument seit seiner Inanspruchnahme durch die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofes82 gern in den Vordergrund gerückt werden 83 ) als der Vorsatztheorie unterlegen. Insbesondere wegen der ihnen immanenten Tendenz, die Erlangbarkeit des Unrechtsbewußtseins dort zu fmgieren, wo das Unrechts bewußtsein selbst nicht festgestellt werden kann, 84 oder auf die Fiktion eines unvermeidbaren Verbots irrtums auszuweichen, wo wegen vollständig vorhandener Tatumstandskenntnis nach der Schuldtheorie sich die Feststellung der an sich begründeten Fahrlässigkeitsstrafbarkeit verbietet,8S bilden sie eine allgegenwärtige Gefahr rur die Gerechtigkeit wie rur die Rechtssicherheit der instanzgerichtlichen Judikatur. 86 Die kritische Analyse der Schuldtheorien vor dem Hintergrund der heute geltenden Fassung des Strafgesetzbuches fiihrte zusammengefaßt zu dem Ergebnis, daß sie nicht als Auslegung dieses Gesetzes charakterisiert werden können und inhaltlich eine Wiedergeburt der Verdachtsstraje 87 in neuer Gestalt darstellen. Die Herausnahme der Unrechtseinsicht aus dem Vorsatzmerkmal des § 15 wäre unter dem zuletzt genannten Aspekt auch de lege ferenda problematisch - mit dem derzeit geltenden Gesetz ist sie jedenfalls unvereinbar. Wegen der nur fakultativen Strafinilderung des § 17 Satz 2 läßt es sich widerspruchsfrei allein im Sinne der Vorsatztheorie verstehen. An diesem Urteil ändert sich auch dann nichts, wenn man abschließend die gegenwärtig im Vordringen begriffene Lehre von der Doppelfunktion des Vor-

82 83

BGHSt 2, 194, 208 f. V gl. beispielhaft Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 464 f.; LacknerlKühl, StGB, § 15

Rn. 33.

84 Zu den Ausstrahlungen dieser Fiktionen der Schuldtheorien bis in das Jugendstrafrecht vgl. WalteriKubink, GA 1995, 51 ff. 8S V gl. beispielhaft AG Kleve, NJW 1978, 2405 f. 86 Den umfassenden Nachweis hierzu siehe bei Langer, GA 1976,212 f. 87 Langer, GA 1976, 213; Freund, Allg. Teil, § 4 Rn. 84.

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

satzes als Unrechts- und als Schuldmerkmal88 in die Betrachtung einbezieht, die den Schuldtheorien entgegen ihren Erwartungen aber keinen "Ausweg aus diesem Dilemma eröffnet',89. Sie wurde bei der vorstehenden Analyse zurückgestellt, weil sie bisher in vollständig ausgearbeiteter Form nicht vorliegt und der dadurch begründete Zwang zu einer Ergänzung der bruchstückhaften Äußerungen leicht zu Fehlinterpretationen ruhren kann. Daß es doppelfunktionelle Tatbestandsmerkmale gibt, also solche, die außer einem Unrechts- zugleich einen selbständigen Schuld- oder Strafwürdigkeitsgehalt individualisieren, ist vom Verfasser schon in der Erstauflage dieses Buches auf der Grundlage voraufgegangener Untersuchungen 90 im einzelnen aufgewiesen und begründet worden. 91 Fraglich ist jedoch - und in seinem Problemgehalt bisher noch überhaupt nicht thematisiert, geschweige denn geklärt -, ob auch ein straftatsystematischer Grundbegriff wie "Vorsatz" ein doppelfunktione\les Merkmal sein kann. Zweifel drängen sich insoweit schon im Hinblick auf die ungeheuere Komplizierung auf, die der Straftatautbau und insbesondere seine Handhabung bei der Strafrechtsanwendung in der Praxis hierdurch erleiden würde. Die bisherigen Erfahrungen in der universitären Ausbildungspraxis jedenfalls könnten negativer nicht sein: In etlichen tausend studentischen Übungs- und Examensarbeiten aus mehr als drei Jahrzehnten hat der Verfasser nicht ein einziges Beispiel zu Gesicht bekommen, in dem ein solcher Vorsatzbegriff korrekt untersucht worden, d. h. vorsätzliches Handeln noch nicht mit der Feststellung des sog. Tatbestandsvorsatzes, sondern erst nach einer (über eine lediglich formelhafte Behauptung ihres Vorliegens hinausreichenden) inhaltlichen Prüfung der sog. Vorsatzschuld, also nach der zusätzlichen Feststellung des "rur die dolose Tatbestandverwirklichung typischen Gesinnungsunwerts der Rechtsmißachtung,,92, bejaht worden wäre. - Des weiteren sind die Berurworter der Lehre von der Doppelfunktion des Vorsatzes, die - soweit ersichtlich - bisher ausnahmslos zugleich den Schuldtheorien folgen, auch allen diese widerlegenden Einwänden ausgesetzt. Kann ihr also schon deshalb nicht gefolgt werden, so ist zudem nicht erkennbar, wie überhaupt die Lehre von der Doppelfunktion des Vorsatzes sich widerspruchsfrei mit der Schuldtheorie sollte verbinden lassen können; denn ist die Unrechtseinsicht - so die Grundannahme aller Schuldtheorien - nicht vom Vorsatz umfaßt, dann bedarf es insoweit straftatsystematisch auch keiner Dop-

SS Im Anschluß an Gallas, ZStW Bd. 67, 45 f., und Bockelmann-Festschrift, S. 170 ff., vgl. beispielhaft Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 142 ff., und Lackner/Kühl, StGB, § 15 Rn. 34, jeweils mit zahlreichen Nachweisen. - Zur Kritik dieser Lehre vgl. Röttger, Unrechtsbegründung, S. 241 ff. S9 Gallas, Bockelmann-Festschrift, S. 170. 90 Schaffstein, ZStW Bd. 57, 309; Stratenwerth, v. Weber-Festschrift, S. 188; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 204 f., 217 ff., 257 f. 91 Siehe hierzu die Erstautlage, S. 346 ff. 92 Gallas, Bockelmann-Festschrift, S. 170.

2. Kap.: Die tatbestandsmäßige Schuld

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pelfunktion des gesetzlichen Vorsatzmerkmals. Ist das Unrechtsbewußtsein samt seiner Erlangbarkeit ein selbständiges Schuldelement außerhalb des Vorsatzes, dann muß sich die Frage aufdrängen, worin der von einem so und gleichwohl doppelfunktionell verstandenen Vorsatzbegriff in seiner Schuldfunktion typisierte Schuldgehalt exakt besteht. Was bleibt nach Abzug der "Unrechtseinsicht" (bzw. der "Erlangbarkeit der Unrechtseinsicht" bei den Anhängern der Schuldtheorie) als Inhalt der "Vorsatzschuld" übrig? Bezeichnenderweise findet sich hierzu in Schrifttum und Rechtsprechung bis auf eine einzige Aussage nichts, was sich - nach der von der Schuldtheorie verlangten Herausnahme des Unrechtsbewußtseins - als subsumtionsflihiger Begriff von Vorsatzschuld kennzeichnen ließe,93 und in jener Ausnahme wird - wiederum charakteristisch - die eigene Herkunft von der Schuldtheorie und deren Fundamentalprämisse verleugnet, wenn fiir jene Vorsatzschuld auf die "Rechtsrnißachtung" als den "typischen Gesinnungsunwert der Vorsatztat',94 abgestellt wird: Diese (isoliert betrachtet) inhaltlich überzeugende Aussage zur Vorsatzschuld ist die Position der Vorsatztheorie und verfehlt damit zwingend die Ergebnisse, deretwegen das Konstrukt "Schuldtheorie" ursprünglich einmal kreiert worden ist. 95 Ist damit auch die Lehre von der Doppelfunktion des Vorsatzes in ihrer überkommenen Gestalt als nicht stichhaltig erwiesen und das Vorsatzmerkmal des § 15 als reine, die Unrechtseinsicht umfassende Schuldfonn erkannt worden, so braucht hier auf die historischen Einwände gegen diese Auffassung der sog. Vorsatztheorie nicht erneut eingegangen zu werden; denn die fundierte Widerlegung dieser Einwände96 ist bisher durch Schrifttum97 und Rechtsprechung auch nicht ansatzweise entkräftet worden. Vom Meinungsstreit von vornherein überhaupt nicht betroffen sind der Überzeugungstäter und der "Rechtsfeind", die beide mit dem fiir die Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Tat erforderlichen Unrechtsbewußtseins handeln. Der "Rechtsblinde" ist ein Geschöpf der sog. Lehrbuchkriminalität, ein - besonders seltener - entfernter Verwandter des Yeti. In der StratTechtspraxis ist er bisher noch nicht gesichtet worden, und sollte er je dort auftauchen, wäre problemlos seine Schuldfähigkeit zu verneinen, 93 Vgl. beispielhaft Wesse/s/Beu/ke, Allg. Teil, Rn. 425: "Rechtsfeindliche oder gleichgültige Einstellung des Täters gegenüber den Verhaltensnonnen des Rechts". 94 Gallas, Bockelmann-Festschrift, S. 170: Die Vorsatzschuld fehlt auch beim vermeidbaren unmittelbaren Verbotsirrtum. 95 Gallas selbst äußert in der Bockelmann-Festschrift, S. 170 f., unüberhörbar sein Bedauern, daß seine Einsichten über die Vorsatzschuld von der positivrechtlichen Regelung des § 17 überspielt würden, meint sie aber gleichwohl im Sinne der sog. Schuldtheorie anwenden zu müssen. 96 Vgl. hierzu im einzelnen Schmidhäuser, Hellmuth Mayer-Festschrift, S. 317 ff., und Allg. Teil, 10/56 ff.; Langer, GA 1976, 210 f. 97 Die Kritik durch Hruschka, Strafrecht, S. 194 f., ausdrücklich auf andere Spielarten der Vorsatztheorie beschränkt, berührt diese Theorie in ihrer hier zugrunde gelegten Fassung nicht.

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

und zwar entweder wegen fehlender geistiger Teilhabe am verletzten Rechtswert oder gemäß § 20 wegen seelischer Störung, zugleich aber wäre seiner hierdurch bedingten besonderen Gefahrlichkeit mit den notwendigen Präventionsmaßnahmen zu begegnen. - Als relativ neuer und damit erst noch zu würdigender Einwand gegen die Vorsatztheorie bleibt damit die Behauptung, rur sie werde jede Unterscheidung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum entbehrlich, gebe es also "überhaupt nur ,einen' beachtlichen Irrtum, nämlich die Annahme, nicht rechtswidrig zu handeln,m, oder - genau entgegengesetzt - sie beurteile auch den Verbotsirrtum als Tatbestandsirrtum. 99 Beides ist offensichtlich unzutreffend; gerade auf der Basis der Vorsatztheorie wird in exakter Gesetzesanwendung zwischen dem Irrtum über Tatumstände (§ 16 Abs.l) und dem Verbotsirrtum (§ 17) strikt unterschieden. lOo Weil mit dem Fehlen der Unrechtseinsicht zwingend die Vorsatzstraftat entfällt, kann sich die Strafmilderungsmöglichkeit des § 17 Satz 2 nur auf die sog. Rechtsfahrlässigkeit beziehen, rur die sie aber auch erforderlich ist. 101 Allein diese Anwendung des § 17 Satz 2 auf der Grundlage der Vorsatztheorie als Voraussetzung gewährleistet aber nicht nur eine dem Maß der Täterschuld in den Fällen der Rechtsfahrlässigkeit entsprechende Strafbarkeitsabstufung, sondern sie allein garantiert darüber hinaus, daß der vom Schuldprinzip verlangte sowie ausdrücklich auch vom Gesetz bestimmte Zeitpunkt rur das Vorliegen der Schuld, nämlich "bei Begehung der Tat", auch fiir die Fallgestalt des vermeidbaren Verbotsirrtums gewahrt wird. Denn von der Basis der Schuldtheorie her wird diese Vermeidbarkeit allenfalls ausnahmsweise und zufällig einmal rur den Tatzeitpunkt festgestellt, regelmäßig hingegen aus weit im Vorfeld liegenden Unterlassungen hergeleitet werden, sich mit den Forderungen des Rechts vertraut zu machen. Die gleiche gesetzwidrige Praxis ist jüngst rur die unsägliche Figur der sog. actio libera in causa durch eine überfallige Entscheidung des Bundesgerichtshofes abgeschafft worden, 102 was auf ein höchstrichterliches Überdenken der strukturell ebenso gelagerten Problematik der Vermeidbarkeitsschuld im Rahmen des § 17 Satz 2 hoffen läßt. Erkennt man nämlich mit der Vorsatztheorie zutreffend, daß es dabei um die Fahrlässigkeitsschuld geht, dann wird zugleich deutlich, warum hier wie dort rur ein solches Verschulden problemlos auf ein schon vor dem erfolgsnächsten TäWesselslBeulke, Allg. Teil, Rn. 463. Roxin, Allg. Teil I, § 21 Rn. 1 I. 100 Vereinzelt mißverstanden Schmidhäuser, Studienbuch Allg. Teil, 7/90, der lediglich das "gemeinte Prinzip" der Vorsatztheorie akzentuiert, daß auch der Verbotsirrtum die vorsätzliche Straftat ausschließt. 101 Vgl. hierzu im einzelnen Langer, GA 1976,216 f. - Entgegen Jakobs, Allg. Teil, 19/15, geht es in dieser Vorschrift nicht darum, ob "Fahrlässigkeit in jeder Form bis zum Bagatellhaften minimalisiert werden" kann, sondern um die Frage, rur welche Fallgestalt der Fahrlässigkeit das Gesetz die Möglichkeit der StraJrahmenherabsetzung eröfthet hat. 102 BGHSt 42, 235 ff. 98

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2. Kap.: Die tatbestandsmäßige Schuld

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tigkeitsakt liegendes Täterverhalten nahezu immer zurückgegriffen werden darf: Weil mit der Fassung der Tatbestandshandlung fast aller Fahrlässigkeitsdelikte auch jenes frühere Unrechtsgeschehen in die gesetzliche Beschreibung der "Begehung der Tat" einbezogen worden ist, dessen schuldhafte Verwirklichung deshalb (anders als bei dem stets erfolgsnah eng gefaßten Vorsatzdelikt) bereits zur Tatbestandserrullung hinreicht, ohne daß es hier solcher Konstrukte wie der actio libera in causa oder der Schuldtheorien bedürfte. Ist also die "Unrechtseinsicht bei Begehung der Tat' notwendiger Inhalt des straJgesetzlichen Vorsatzmerkmals des § 15, wie es von der Vorsatztheorie seit jeher gelehrt worden ist, so bleibt zu klären, was von diesem als reine Schuldform verstandenen Vorsatzmerkmal außerdem noch umfaßt wird. Die herkömmlich im Vorsatz verorteten subjektiven Merkmale des Handlungswillens und der Tatumstandskenntnis können es jedenfalls nicht sein, da sie oben bereits als Unrechtsbestandteile, nämlich als Element der jeweiligen Tatbestandshandiung lO3 bzw. als generelles subjektives Unrechtselement lO4, erkannt worden sind. Somit kann es sich bei dem gesuchten weiteren Bestandteil des Vorsatzes als Schuldform nur um ein generelles Merkmal handeln, das - wie die Unrechtseinsicht als umechtIiche Einzeltatgesinnung - das tatbestandlieh geschützte Rechtsgut als Wert durch geistiges Verhalten verletzt und erst so bei allen Vorsatzstraftaten zusanimen mit der Unrechtseinsicht die tatbestandsmäßige Vorsatzschuld begründet. Ein solches weiteres Vorsatzelement gibt es nicht. Weder ist es im Schrifttum oder in der Rechtsprechung je aufgewiesen worden noch gibt es sonst auch nur das geringste Anzeichen rur seine Existenz. Das aber heißt: Vorsatz ist die bei Begehung der rechtswidrigen Tat vorhandene Unrechtseinsicht, oder - mit anderen Worten - Vorsatz ist das Wissen des Täters um seine unrechte Tat. Gegen diese Erkenntnis und die aus ihr resultierende Definition des strafgesetzlichen Vorsatzmerkmals drängt sich sogleich ein Einwand auf, von dem daher zu erwarten ist, daß er alsbald auch im Schrifttum erhoben werden wird, und der deshalb hier schon im Vorgriff als nicht stichhaltig erwiesen werden soll. Es geht um den Einwand, daß das Gesetz die Merkmale Vorsatz und Unrechtseinsicht nebeneinander gebraucht und daher davon ausgegangen werden müsse, daß mit den unterschiedlichen Wörtern auch unterschiedliche Inhalte gemeint seien. Der Wechsel im Ausdruck durch das Gesetz spreche gegen die Gleichsetzung von Vorsatz und Unrechtseinsicht. Dazu sei zunächst der Hinweis erlaubt, daß entsprechende Identifizierungen unterschiedlicher Merkmale sich bei allen Lehrmeinungen zum strafrechtlichen Vorsatzbegriff fmden, also etwa die Gleichsetzung von Vorsatz und Handlungswillen durch den Finalismus, von Vorsatz und Tatumstandskenntnis durch die Anhänger der sog. Wahrscheinlichkeitstheorie usw. Im übrigen ist der Gebrauch un103 104

V gl. oben, S. 70, 73 ff. V gl. oben, S. 87 ff.

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

terschiedlicher Ausdrücke zur Benennung eines und desselben Gegenstandes in der Gesetzessprache durchaus üblich. So wird beispielsweise das Merkmal "absichtlich" legislatorisch zur Kennzeichnung des zielgerichteten Wollens eingesetzt, das in anderen Vorschriften inhaltsgleich mit Wendungen wie "handeln, um zu" oder "wenn es dem Täter darauf ankommt, daß" gekennzeichnet wird. Fehl geht jener Einwand aber vor allem deswegen, weil der Gesetzgeber nach eigenem Bekunden lO5 die zugrunde liegende Kontroverse gerade rur die wissenschaftliche Diskussion offenhalten wollte und das gar nicht anders machen konnte als durch die Verwendung mehrerer Ausdrücke im Gesetz,106 wodurch es jeder Position möglich wurde, die eigene Auffassung in der Regelung wiederzufinden. Nur wenn der Gesetzgeber die Schuldtheorien als Auslegung so hätte ausschließen wollen, wie es die Verfasser des Entwurfs in diesem mit der Aufnahme der Legaldefmitionen von Vorsatz und Fahrlässigkeit rur die Vorsatztheorie getan (und in bezug auf das Gesetz versucht) haben, nur dann hätte er die Merkmale Vorsatz und Unrechtseinsicht nicht ohne identifizierende Legaldefinition nebeneinander verwenden dürfen. - Des weiteren. spricht rur die Verwendung von zwei verschiedenen Ausdrücken durch das Gesetz, daß sich so die andere Schuldform ("Fahrlässigkeit") sprachlich sehr viel einfacher vertatbestandlichen läßt als bei einer Reduzierung des Gesetzeswortlauts auf die Unrechtseinsicht ("Erlangbarkeit der Unrechtseinsicht bei nicht aktualisierter Unrechtseinsicht"). Schließlich ist ein Recht zur Erhebung dieses Einwandes überhaupt nur dem zuzuerkennen, der seinerseits die damit behauptete spezifische Differenz zwischen Vorsatzschuld und Unrechtseinsicht zuvor auf einen subsumtionsfahigen Begriff gebracht hat, was - wie gezeigt - bisher noch nie geleistet worden ist.

Vorsatz ist das Wissen des Täters um seine unrechte Tat, auf eine Kurzformel gebracht: Vorsatz ist Unrechtseinsicht. Nach dieser Klärung des begrifflichen Verhältnisses von Unrechtseinsicht und Vorsatz i. S. v. § 15 sollen ihre Merkmale im einzelnen kurz betrachtet werden. Die vom Gesetz (etwa in den §§ 17,20,21) als "bei Begehung der Tat" vorliegend lO7 verlangte Unrechtseinsicht (synonym: Unrechtsbewußtsein) besteht im aktuellen Wissen des Täters 105 Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, Bundestagsdrucksache V 14095, S. 8 f. 106 Erweist sich das Vorsatzmerkmal unter diesem Aspekt im Rahmen der "Schuld" als unverzichtbar, so wird es zur sachgerechten Erfassung des "Unrechts" hingegen nicht benötigt, weil auch bei Zugrundelegung der Schuldtheorien alle täterpsychischen Unrechtselemente durch andere Gesetzesmerkmale vollständig abgedeckt werden können. Für die dezisionistische Gleichsetzung von Vorsatz und Handlungswillen durch den Finalismus gibt es also nicht nur keine Begründung, sondern nicht einmal ein Bedürfnis. 107 Überzeugend daher die Widerlegung der actio libera in causa durch Hettinger, Die "actio libera in causa", S. 179 ff., 460 ff.; BGHSt 42, 235 ff. - Zur voraufgegangenen Gesetzesfassung hingegen "als Ausnahme" akzeptierend Hruschka, JuS 1968, 559.

2. Kap.: Die tatbestandsmäßige Schuld

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um die von ihm begangene Rechtsgutsverletzung und deren rechtliches Verbotensein. Auch insoweit ist ein unsicheres Wissen hinreichend, so daß sich wegen vorsätzlicher Begehung auch strafbar macht, wer seine rechtswidrige Tat nur rur möglicherweise unerlaubt hält. Schließlich genügt es zur Erfiillung dieses Merkmals, daß der Täter im Handlungszeitpunkt sich sachgedanklich des Unrechtmäßigen seines Verhaltens bewußt ist. 108 Die vom Gesetz genannte "Einsicht" des Unrechts verlangt also weder ein vertieftes Erkennen im Sinne eines sprachgedanklichen Reflektierens über das Unerlaubte, so daß bei den sog. raschen Taten das Unrechtsbewußtsein nicht etwa unter diesem Aspekt von vornherein entfiele,109 noch setzt diese "Einsicht" eine emotional positive Haltung gegenüber der rechtlichen Regelung voraus, so daß beispielsweise bei dem ohne eine solche Zustimmung handelnden Überzeugungstäter das bloße Wissen um das rechtliche Verbotensein der Tat rur die Begründung des Unrechtsbewußtseins und damit rur die Vorsatzstrafbarkeit ausreicht.

bb) Die Fahrlässigkeit als Schuldform In der Schuldform der Fahrlässigkeie 10 handelt, wer bei Begehung der Tat die Möglichkeit hat, das Unerlaubte seines unrechtstatbestandsmäßigen Verhaltens zu erkennen. Fahrlässigkeit ist die Erlangbarkeit des Wissens um seine unrechte Tat durch den Täter, auf eine Kurzformel gebracht: Fahrlässigkeit ist die Erlangbarkeit der Unrechtseinsicht. So verbreitet die Anerkennung der Fahrlässigkeit als Schuldform 111 - weit über die ständige Rechtsprechung I 12 hinaus - auch ist, so umstritten ist andererseits der Inhalt, der von diesem Merkmal des § 15 vertatbestandlicht wird. I 13 Das kann in Anbetracht der im vorigen Kapitel skizzierten tiefgreifenden Auseinandersetzungen, die im Schrifttum über das Unrecht der Fahrlässigkeitsstraftat geruhrt werden,114 auch gar nicht anders sein, spiegelt sich doch im Relationsbegriff der Schuld zwangsläufig auch jede Kontroverse über ihren Bezugsgegenstand, das tatbestandsmäßige Unrecht, wider. Wie dazu oben im einzelnen Grundlegend hierzu schon Schmidhäuser, Hellmuth Mayer-Festschrift, S. 325 ff. Unzutreffend insoweit daher BGHSt 2, 194, 206. 110 Unter dem Aspekt des Art. \03 Abs. 2 GG an der Verfassungsmäßigkeit des Fahrlässigkeitsmerkmals in allen seinen tradierten Auslegungen zweifelnd Duttge, Zur Bestimmtheit des HandlungsUnwerts von Fahrlässigkeitsdelikten, S. 134. 111 Siehe beispielhaft Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 45 f.; v. Liszt, Lehrbuch, S. 163; Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 657; Tröndle/Fischer, StGB, § 15 Rn. I a. 112 V gl. etwa BGHSt 36, I, 10; 43, 158, 168. I I3 MünchKommStGBlDuttge, § 15 Rn. 199 ff., meint auf eine Inhaltsbestimmung dieser Schuldform gänzlich verzichten zu können. 114 V gl. oben, S. 89 ff. 108

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

herausgearbeitet worden ist,115 unterscheidet sich das tatbestandsmäßige Unrecht der Fahrlässigkeitsstraftat nur dadurch von dem der korrespondierenden Vorsatzstraftat, daß schon die Erlangbarkeit der Tatumstandskenntnis als generelles subjektives Unrechtsmerkmal zur Tatbestandserfüllung hinreicht mit der Folge, daß hier ein sehr viel weiterer Ausschnitt aus dem zugrunde liegenden Rechtsgutsangriff tatbestandlich erfaßt wird als bei der Vorsatzstraftat. Auf diesen relativ weit gespannten Unrechtsbereich bezieht sich die Schuld der Fahrlässigkeitsstraftat, die oben in der Erlangbarkeit der Unrechtseinsicht erkannt und inhaltlich im einzelnen bestimmt worden ist. 116 Diese bei Begehung der Tat ftir den Täter bestehende Möglichkeit, die Unrechtseinsicht zu erlangen, vertatbestandlicht das Strafgesetzbuch mit dem Merkmal "Fahrlässigkeit". Fahrlässigkeit als die weniger schwere Form strafrechtlicher Schuld kennzeichnet also die unrechtliche Gesinnung des Täters dahingehend, daß er bei Begehung der Tat sich das Unerlaubte seines Verhaltens hätte bewußt machen können, was die Rechtsordnung in Anbetracht der ihm verrugbaren Kenntnisse und seelischgeistigen Fähigkeiten von ihm erwartete. Von den Begriffspaaren, mit deren Hilfe von Schrifttum und Rechtsprechung traditionell innerhalb der Fahrlässigkeitsstraftaten differenziert wird, ist die Unterscheidung der sog. bewußten von der sog. unbewußten Fahrlässigkeit teleologisch ohne Belang: Nur im Phänomen weist die Fallgestalt der sog. bewußten Fahrlässigkeit die Besonderheit auf, daß der Handelnde im Vorfeld seiner Tat einmal zum Unrechtsbewußtsein gelangt war, bei deren Begehung selbst aber den eigenen Rechtsgutsangriff (wegen irriger Vemeinung der Fremdgefährdung oder wegen irriger Annahme ihrer Beherrschbarkeit l17) oder dessen Widerrechtlichkeit vermeidbar unzutreffend verneint. - Hingegen ist die Unterscheidung von Tatfahrlässigkeit - d. h. infolge unvollständiger Tatumstandskenntnis gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 bloße Erlangbarkeit der Unrechtseinsicht bei Begehung der Tat - und Rechtsfahrlässigkeit auch teleologisch relevant, weil (wie oben im einzelnen aufgewiesen 118) nur bei der Rechtsfahrlässigkeit - d. h. beim Handeln im vermeidbaren Verbotsirrtum auf der Grundlage uneingeschränkter Tatumstandskenntnis - die fakultative Strafinilderung gemäß § 17 Satz 2 überhaupt in Betracht kommen kann, in weitem Umfang aber auch sachlich geboten sein wird. 119 - Ein drittes Begriffspaar schließlich ist (insbesondere im Bereich der sog. erfolgsqualifizierten Delikte, wie etwa bei der Vergewaltigung mit Todesfolge, § 178, oder beim Raub mit Todesfolge, § 251) in den Gesetzestext selbst aufgenommen und so in seiner Bedeutung rur die Rechtsfolgen legislatorisch 115 Ygl. oben, S. 92. 116 Ygl. oben, S. 111 f. 117 Näher hierzu Schmidhäuser, Allg. Teil, 10/86 f., 96. 118 ygl. oben, S. 128f. 119 Siehe dazu im einzelnen schon Langer, GA 1976, 216 f.

2. Kap.: Die tatbestandsmäßige Schuld

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festgeschrieben worden: Nach dem Gewicht der Schuld differenziert das Gesetz und hebt vom Durchschnittsfall "fahrlässigen" Handeins die Fälle besonders schwerer Fahrlässigkeitsschuld ab und stellt sie als die Fälle, in denen der Täter die tatbestandsmäßige Unrechtseinsicht besonders leicht hätte erlangen können, unter Verwendung des Merkmals "leichtfertig" zur Kennzeichnung dieses hohen Grades an Verschulden unter eine gesteigerte Strafandrohung.

b) Die besonderen Schuldtatbestandsmerkmale Während sich in jeder Strafvorschrift in Verbindung mit § 15 die jeweilige Schuldform als allgemeines Schuldtatbestandsmerkmal genannt findet, enthält nur ein Teil von ihnen außerdem besondere (synonym: spezielle, selbständige) Schuldtatbestandsmerkmale, d h. Typisierungen der oben im einzelnen herausgearbeiteten selbständigen Schuldelemente l2 O, also solcher Bestandteile im geistig-wertwidrigen Täterverhalten, die dessen Verwerflichkeitsgrad über das durch die Unrechtseinsicht oder deren Erlangbarkeit begründete Maß hinaus steigern, wie z. B. das Töten eines Menschen "aus Habgier" beim Mord (§ 211). Der straftatsystematische Charakter dieser Merkmale als Schuldmerkmale ist bereits viel länger erkannt l21 und diese Einsicht im strafrechtlichen Schrifttum noch weitaus stärker verbreitet als die - erst in neuerer Zeit mehrheitlich erfolgte - Anerkennung der Kategorie "Schuldtatbestand" als eines allgemeinen Straftatmerkmals. 122 Mit noch höherer Evidenz als die Schuldformen bedürfen die selbständigen Schuldelemente der Vertatbestandlichung. Denn da der durch sie mitgeprägte Schuldgehalt nicht unmittelbar von der Art und der Größe des begangenen Unrechts bestimmt wird, sind sie für die Straftat nicht begriffsnotwendig, sondern sie bilden nur eine Möglichkeit zur Modifizierung des vom Unrecht abhängigen Schuldgehaltes. Zwar ist die legislatorische Verwendung selbständiger Schuldelemente bei jedem Delikt denkbar; aber nur dort, wo der Gesetzgeber bei der Tatbestandsbildung von jener Abwandlungsmöglichkeit Gebrauch macht und den deliktstypischen Schuldgehalt unter Einbeziehung selbständiger Schuldelemente gesetzlich festschreibt, nur dort handelt es sich bei den dazu verwendeten Merkmalen um besondere Schuldtatbestandsmerkmale. Innerhalb dieser Schuldtatbestandsmerkmale sind - nach dem Inhalt der Vertatbestandlichung - zwei Arten unterscheidbar, nämlich einmal solche, die direkt den Verwerflichkeiisgrad der unrechtlichen Gesinnung modifizierende (also den Rechtsschuldgehalt steigernde oder mindernde) Schuldelemente kennVgl. oben, S. 112 f. Vgl. etwa schon Gallas, ZStW Bd. 67,45. 122 Siehe hierzu im einzelnen oben, S. 113 Fn. 32. 120

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

zeichnen, und zum anderen solche, die unmittelbar eine Schuldsteigerung von der Art einer besonderen sittlich-wertwidrigen Gesinnung zum Ausdruck bringen. 123 Die Merkmale der ersten Gruppe werden erst aus ihrer Beziehung auf die unrechtliche Gesinnung in ihrer schuldmodifizierenden Wirkung überhaupt verstehbar: Daß etwa jemand einen Vorteil rur sich erstrebt, ist als solches ebensowenig sittlich wertwidrig wie ein Handeln zur Überwindung einer Notlage als solches sittlich wertvoll ist; aber als Motivation zu einer unrechten Tat beeinflussen diese Umstände die Verwerflichkeit der geistigen Verfehlung, mit der Folge, daß erst die Typisierungen dieser Momente ("seines Vorteils wegen"; "aus Not") die Straftatbestände der Hehlerei (§ 259) bzw. der Notentwendung (§ 248 a a. F.) prägen. - Neben diesen den Unwertgehalt der unrechtlichen Gesinnung spezifizierenden Merkmalen des Schuldtatbestandes gibt es die sog. Gesinnungsmerkmale l24 , wie etwa die Merkmale "aus Habgier" oder "grausam" beim Mord (§ 211). Sie benennen ein besonderes, bereits rur sich sittlichwertwidriges geistiges Verhalten und kennzeichnen so stets eine Erhöhung des in der unrechtlichen Gesinnung begründeten deliktischen Schuldgehaltes. Als Vertypungen eigenständiger sittlich-wertwidriger Gesinnungen charakterisieren die Gesinnungsmerkmale gemäß ihrer Begriffsbestimmung ausnahmslos die jeweilige Deliktsschuld; soweit es sich bei ihnen um reine Schuldmerkmale handelt, wie etwa "aus Habgier", gehören sie ausschließlich zum Schuldtatbestand. Es gibt jedoch in etlichen strafgesetzlichen Verbrechens beschreibungen Merkmale, die sich nicht in die Typisierung eines einzelnen Verbrechenselementes mit dem von ihnen individualisierten Unwertgehalt erschöpfend eingliedern lassen. Der Gesetzgeber hat nämlich, als er die Deliktstatbestände prägte, zuweilen bei der Kombination von Unwerten unter dem Gesichtspunkt der Strafwürdigkeit mehrere selbständige Gehalte verschiedener Verbrechens elemente in einem Straftatmerkmal vertypt. So charakterisieren beispielsweise gewisse Gesinnungsmerkmale unmittelbar nicht nur einen selbständigen Schuldgehalt, sondern auch den Unrechtsgehalt des betreffenden Delikts; z. B. individualisiert das Merkmal "grausam" (§ 211) das Unrecht eines solchen Mordes dahin, daß das Opfer besonders qualvoll getötet wird, und es kennzeichnet zugleich das besondere Schulderfordernis, daß der Täter aus einer außerordentlich 123 Den Ausdruck "objektive Schuldmerkmale" (so Hegter, Reichsgerichtsfestgabe V, S. 314 f.; Schwinge/Zimmert, Wesens schau, S. 35; Gallas, ZStW Bd. 67,30: Maurach, Allg. Teil, S. 153; Maihofer, Hellmuth Mayer-Festschrift, S. 185 ff.) sollte man besser vermeiden, da er suggeriert, der Unterscheidung von "objektiv" und "subjektiv" könnte irgendeine systematische Bedeutung zukommen. Rechtsinhaltlich begründet ist allein die Differenzierung zwischen abhängigen und selbständigen Schuldtatbestandsmerkmalen sowie innerhalb der letzteren die soeben im Text aufgewiesene Unterscheidung. 124 Zur Begriffsbestimmung vgl. im einzelnen Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 202 ff. - Ohne Begründung die Gesinnungsmerkmale als Unrechtsmerkmale einstufend Kindhäuser, Besonderer Teil I, § 2 Rn. 3.

2. Kap.: Die tatbestandsmäßige Schuld

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unbarmherzigen und gefilhllosen Gesinnung gehandelt haben muß. Diese Merkmale haben also tatbestandlich eine Doppelfunktion. Gesinnungsmerkmale und doppelfunktionelle Tatbestandsmerkmale decken sich jedoch keineswegs; 125 es gibt vielmehr auch Gesinnungsmerkmale, die nicht doppelfunktionelle Tatbestandsmerkmale sind, wie etwa die "Habgier" (§ 211) als reines Schuldtatbestandsmerkmal, und es gibt doppelfunktionelle Tatbestandsmerkmale, die nicht Gesinnungsmerkmale sind, wie z. B. die Zueignungsabsicht beim Diebstahl (§ 242).126 Auch ein Unrechts- und ein selbständiger Strafwürdigkeitsgehalt können im gleichen Merkmal vertypt sein, wie es vor allem bei den sog. abstrakten Geflihrdungsdelikten der Fall ist, deren Strafdrohung das von Unrecht und Schuld abhängige Strafwürdigkeitsmaß bei weitem übersteigt und nur auf Grund des selbständigen Strafwürdigkeitsgehaltes der abstrakten Getahrlichkeit überhaupt verstehbar iSt. 127 Man kann also nicht sagen, dass die doppelfunktionellen Tatbestandsmerkmale zum Unrechtstatbestand, zum Schuldtatbestand oder zum selbständigen Strafwürdigkeitstatbestand "gehören". Vielmehr muß man sie aufschlüsseln und jeden der ungetrennt in dem gemeinsamen Merkmal vertatbestandlichten Unwertgehalte seinemVerbrechenselement zuweisen, sobald eine solche Aufgliederung systematisch erforderlich wird; man hat also etwa zu fragen, welche 125 Genau das aber scheint die Ansicht Stratenwerths zu sein: "Denn gerade das macht die Besonderheit der Gesinnungsmerkmale aus, daß sie auf eine die Unrechtsund Schuldmerkmale übergreifende Wertung abzielen" (v. Weber-Festschrift, S. 188). Damit ist - ganz abgesehen davon, daß es sich selbst bei den doppelfunktionellen Gesinnungsmerkmalen richtigerweise um eine die bei den Gehalte umgreifende Charakterisierung handelt - weder das Wesen der Gesinnungsmerkmale noch der Umfang der doppelfunktionellen Tatbestandsmerkmale zutreffend bestimmt: Die "Besonderheit der Gesinnungsmerkmale" ist nicht, daß sie auf eine Unrecht und Schuld übergreifende Wertung abzielen, denn das könnte, wie gesagt, allenfalls rur die doppelfunktionellen unter ihnen gelten; das Wesen des Gesinnungsmerkmals liegt - wie Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 204 f., 217 ff., 257 f., überzeugend nachgewiesen hat- vielmehr darin, dass ein solches Tatbestandsmerkmal selbst unmittelbar eine besondere sittlichwertwidrige Gesinnung charakterisiert und dadurch gesteigerte Schuld anzeigt. Auf der anderen Seite ist die Doppelfunktion, das Individualisieren mehrerer Unwertgehalte durch ein Merkmal, keine "Besonderheit der Gesinnungsmerkmale". 126 Vgl. hierzu im einzelnen Stefan Meister, Die Zueignungsabsicht beim Diebstahl, S. 276 ff. 127 So ist etwa in der Strafvorschrift gegen das Inbrandsetzen eines "Gebäudes, welches zur Wohnung von Menschen dient" (§ 306 a Abs. 1) neben dem Unrecht des Anzündens bestimmter Gebäude auch die abstrakte Gefährlichkeit solchen Tuns rur Menschenleben als selbständiger Strafwürdigkeitsgehalt in diesem - somit doppelfunktionellen - Tatbestandsmerkmal mitvertypt; es ist daher nur folgerichtig (und beweist umgekehrt die soeben aufgewiesene Doppelfunktion dieses Merkmals), daß sich das deliktstypische Unrechtsbewußtsein nicht auf die abstrakte Gefährlichkeit des Verhaltens rur Menschenleben zu beziehen braucht, ja daß es sogar durch das positive Wissen um die konkrete Ungefährlichkeit nicht ausgeschlossen wird. So auch Schönke/Schröder/Heine, StGB, § 306 a Rn. 14.

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

Sachverhaltsmomente der "grausamen" Tötung den Unrechtstatbestand des Mordes mitprägen und deshalb vom Täter verwirklicht sein müssen, damit sich der Teilnehmer wegen Mordes (§§ 211; 26, 27) strafbar machen kann. Den Schuldtatbestand bilden somit die die Schuldelemente individualisierenden Merkmale der gesetzlichen Verbrechensbeschreibung. Seine systematische Bedeutung besteht in erster Linie darin, daß seine Errullung durch ein Verhalten die unabdingbare Voraussetzung rur dessen Strafbarkeit ist; was nicht auch schuldtatbestandsmäßig ist, ist straflos. Die Existenz strafbegründender Schuldmerkmale ist daher keine seltene Ausnahme, sondern es gibt kein Schuldtatbestandsmerkmal, das nicht stratbegTÜndend wäre, d. h. das nicht eine gerade rur diese Schuld spezifische Strafbarkeit konstituierte. Diese Erkenntnis ist wichtig in Anbetracht der im Schrifttum noch immer verbreiteten Dift'erenzierung in "straftatbegründende" und "straftatändernde" besondere Schuldmerkmale: 128 StraftatbegTÜndend sind danach diejenigen Merkmale, die die unrechte und vorsätzlich oder fahrlässig begangene Tat überhaupt erst zur Straftat machen, So ist etwa das vorsätzliche Ankaufen einer gestohlenen Sache noch keine Hehlerei (§ 259) und als solches auch sonst nicht strafbar. Erst wenn es geschieht, "um sich oder einen Dritten zu bereichern" (§ 259), erst wenn es also in dieser allein üblichen und damit allein kriminalpolitisch unerträglich gefahrlichen Begehungsform erfolgt, ist die Tat so strafwürdig, daß sie zum Delikt der Hehlerei vertatbestandlicht wird. Straftatändernd werden diejenigen besonderen Schuldmerkmale genannt, die die Strafbarkeit eines bereits ohne das betreffende Merkmal stratbaren Verhaltens steigern (so etwa die "Gewerbsmäßigkeit" der Begehung bei der gewerbsmäßigen Hehlerei gern. § 260 im Verhältnis zur einfachen Hehlerei gern. § 259). Auf diese Unterscheidung kommt es jedoch letztlich nicht an,129 weil dort, wo sie rur die Rechtsfolgen relevant werden könnte, nämlich bei der Teilnehmerstrafbarkeit, § 29 die insoweit keinerlei Differenzierung duldende Regelung trifft, \30 daß von mehreren Beteiligten jeder nach seiner Schuld zu bestrafen ist. Ein besonderes Schuldmerkmal ist also ausnahmslos nur dem Beteiligten zuzurechnen, der es in eigener Person ertUllt, und wirkt damit tUr ihn immer strafbegTÜndend.

128 Eingehend zu dieser Differenzierung Küper, ZStW Bd. 104, 562 ff., mit zahlreichen Nachweisen. 129 Selbst für die Schuldmerkmale des Mordtatbestandes (§ 211) schon im Ansatz völlig verfehlt war daher die Weichenstellung durch BGHSt 22, 375 ff., durch die diese Merkmale in das Prokrustesbett der Vorgängervorschrift des § 28 gezwängt wurden und so die vom Gesetz für einen ganz anderen Regelungsbereich an jenes Begriffspaar geknüpften Rechtsfolgenunterschiede übergestülpt bekamen. - Zur Kritik jener Entscheidung und zur (seit drei Jahrzehnten leider auf ganzer Linie bestätigten) Prognose ihrer verhängnisvollen Folgen durch den Verfasser vgl. Langer, Richard Lange-Festschrift, S.250. 130 Im Ergebnis ebenso Küper, ZStW Bd. 104,574,576,590.

2. Kap.: Die tatbestandsmäßige Schuld

137

Die eigenständige Rolle speziell der Vertatbestandlichung der Schuld in der Verbrechens systematik sei abschließend anhand eines besonders wichtigen und in der Strafrechtswissenschaft keineswegs einheitlich beurteilten Beispiels aufgezeigt. Nach § 29 ist von mehreren Tatbeteiligten ,jeder ohne Rücksicht auf die Schuld des anderen nach seiner Schuld strafbar". Da nicht Schuld schlechthin, sondern tatbestandsmäßige Schuld Voraussetzung der Strafbarkeit ist, kann diese Vorschrift nur so verstanden werden, daß jeder Tatbeteiligte nur gemäß dem von ihm selbst erfiillten Schuldtatbestand bestraft werden kann. 131 Bezüglich der Vertatbestandlichung der Schuldformen ist dies gegenwärtig im Ergebnis nahezu einhellig anerkannt: Da nach geltendem Recht nur die vorsätzliche Teilnahme strafbar ist, muß der Teilnehmer vorsätzlich (i. S. der hier zugrunde gelegten Begriffsbestimmung) handeln, während die Schuld des Täters im Hinblick auf die Strafbarkeit des Teilnehmers irrelevant ist. Der Grundsatz: "Jeder nach seiner tatbestandsmäßigen Schuld!" gilt aber - und hier hört die Einmütigkeit in der Strafrechtswissenschaft aue 32 - in gleicher Weise auch fiir die selbständige Schuldelemente individualisierenden Schuldmerkmale: Wegen Hehlerei etwa kann sich auch als Teilnehmer nur strafbar machen, wer selbst "um sich oder einen Dritten zu bereichern" und damit schuldtatbestandsmäßig handelt (§§ 259; 26, 27, 29).

11. Der Schuldausschluß Auch beim Vorliegen aller die Schuld als Element der Straftat begründenden Momente, also bei Erfiillung des Schuldtatbestandes durch einen schuldfiihigen Täter, erhebt die Rechtsordnung gegenüber diesem Täter nicht notwendig auch den Schuldvorwurf. Die Geschehensmomente, die das Rechtsschuldurteil ausschließen, werden Schuldausschließungsgrilnde (hier synonym: Entschuldigungsgründe 133) genannt.

131 Nicht mit dem geltenden Gesetz vereinbar ist daher die gegenteilige Ansicht von Lüderssen, Strafgrund der Teilnahme, S. 213. 132 Vgl. auch hierzu die umfassende Darstellung des Streitstandes durch Küper, ZStW Bd. 104,574 ff., 583 ff. 133 Zur Terminologie ist anzumerken, daß sich vor allem im älteren Schrifttum eine Unterscheidung von Schuldausschließungsgründen und bloßen Entschuldigungsgründen findet: Schuldausschließungsgründe sollen danach alle Momente sein, die schon die Schuldflihigkeit oder aber den Schuldtatbestand entfallen lassen, während der Ausdruck Entschuldigungsgründe in gleicher Weise verwendet wird wie hier im Text. Eine solche Differenzierung wird überflüssig und so der synonyme Gebrauch bei der Benennungen möglich, wenn man die im Text aufgewiesene Struktur des Schuldbegriffs erfaßt hat.

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

1.

Die Wertstruktur des Schuldausschlusses

Bei einer näheren Betrachtung dieser Umstände bemerkt man sogleich die strukturelle Ähnlichkeit zwischen Schuld- und Unrechtsausschluß: Hier wie dort ergibt sich aus dem gesamten Wertzusammenhang des betreffenden Verhaltens die Möglichkeit, daß das rechtliche Unwerturteil entfällt. Zur Analyse der Schuldbegründung war ausschließlich nach der Verletzung des angegriffenen Rechtsgutes im geistigen Verhalten, d. h. nach der unrechtlichen Gesinnung und möglicher weiterer, deren Verwerflichkeit steigernder Schuldelemente, gefragt worden. Geht man nunmehr von dieser die Verfehlung isolierenden Sicht zu einer umfassenden Betrachtung des zu bewertenden geistigen Verhaltens über, wie sie der Vorwurf der Rechtsgemeinschaft vernünftigerweise voraussetzt, so erkennt man, daß ein derart geistig wertwidriges Verhalten zugleich auf sittliche Werte gerichtet sein kann. Zur Veranschaulichung sei der klassische Beispielsfall, das Brett des Karneades, herangezogen: Ein Schiffbrüchiger hat sich auf eine Planke gerettet, die nur einen Menschen trägt; ein anderer Schiffbrüchiger schwimmt hinzu, stößt den ersten von der Planke und gibt ihm damit den Tod, um sich selbst zu retten. Hier durfte der Täter den sich zuerst auf der Planke befindenden Schiffbrüchigen nicht töten, und er wird sich im Regelfall auch dessen bewusst gewesen sein. Aber sein Tun war auf die Rettung eines ranghohen Rechtswertes gerichtet, nämlich auf die Rettung des eigenen Lebens. Diese "im Ansatz sittlich zu bejahende Seite im Handlungsentschluß des Täters,d34 mindert als moralischer Anreiz zur Tat die Schuld. 135 Der Schuldsachverhalt, die geistige Wertverfehlung, bleibt bestehen, lediglich die Verwerflichkeit ist durch dieses (im Ansatz sittlich zu bejahende) Verhaltensmoment erheblich gemindert und die Bewertung durch die Rechtsgemeinschaft infolgedessen so modifiziert, daß kein Rechtsschuldvorwurf erhoben wird. So ist für die Rechtsschuld wenigstens der Idee nach immer die moralische Schuld vorausgesetzt; in ihrem Umfang ist die Rechtsschuld aber auf einen Teilbereich der moralischen Schuld beschränkt. Der Schiffbrüchige im vorgenannten Beispiel, der einen anderen Menschen tötet, um sich selbst zu retten, handelt sozial-ethisch schuldhaft. Daß ihm aber gleichwohl von der Rechtsordnung kein Vorwurf gemacht wird, ist zum einen in der soeben aufgewiesenen Wertstruktur begründet, die ein solches Täterverhalten als moralisch verständlich erscheinen läßt; zum anderen erscheint ein Vorwurf in derartigen Fällen auch teleologisch als verfehlt, weil eben rur jedermann nachvollziehbar ist, daß er sich in der gleichen Situation vielleicht ebenso verhalten hätte, der Vorwurf also von vornherein sein Ziel nicht erreichen kann, dahingehend zu motivieren, daß in solchen Situationen solche Taten nicht begangen werden.

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Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 200. Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 200.

2. Kap.: Die tatbestandsmäßige Schuld

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2. Die Einteilung der Scbuldausscbließungsgründe Der Schuldausschluß ist die Negation der Schuldbegrundung; beide erfolgen nach den gleichen Kriterien. So wie bei der Schuldbegründung unrechtsabhängige und selbständige Schuldelemente unterschieden worden sind, so gibt es auch einen unrechtsabhängigen und einen selbständigen Schuldausschluß. Im ersten Fall wird eine Unrechtsminderung rur den Schuldausschluß entscheidend, derzufolge die unrechtliehe Gesinnung als in ihrer Verwerflichkeit gemindert erscheint, wie etwa beim sog. Notwehrexzeß gemäß § 33. "Wesentlich ist in diesen Fällen nicht so sehr das Triebbedingte oder der Affekt als solcher, sondern, daß die ,Kontrollinstanz' der Personschicht überrannt wird bezüglich eines im Ansatz rechtlich erlaubten oder gar sittlich-wertvollen Tuns. Der sog. Notwehrexzeß setzt die als Notwehr erlaubte Handlung voraus, außerdem den asthenischen Affekt, d. h. schließlich: einen im Hinblick auf die Handlungsziele sittlich nicht verwerflichen Affekt.,,136 Wer also im Notwehrexzeß einen Menschen tötet, der handelt rechtswidrig und - bei Vorliegen der übrigen Schuldvoraussetzungen - in unrechtlicher Gesinnung; aber weil er sich im Ansatz erlaubt verhalten hat, ist sein Unrecht gemindert und entsprechend die Verwerflichkeit seiner unrechten Gesinnung. Um einen selbständigen Schuldausschluß handelt es sich dann, wenn zwar nicht schon im Willensverhalten des Täters auch ein - isoliert betrachtetrechtlich erlaubtes oder sogar gefordertes Tun vorliegt und das Tatunrecht somit nicht verringert ist, das betreffende Verhalten aber geistig auf sonstige sittliche Werte gerichtet und deshalb weniger verwerflich ist, wie etwa beim Streben nach persönlicher Ehrenhaftigkeit; "ginge es hier nicht zugleich um einen sittlichen Wert, so wäre die Schuldminderung unverständlich, die auf verletztes Ehrgeruhl oder doch auf Furcht davor zurückgeht" (so etwa, wenn der Totschläger ohne eigene Schuld durch schwere Beleidigung gereizt worden war, § 2l3).137 So wie die zusätzliche Verletzung weiterer sittlicher Werte die Verwerflichkeit der unrechtlichen Gesinnung steigert, so setzt die (rechtlich mißbilligte) Unterordnung der unrechtlichen Gesinnung unter einen sittlichen Wert deren Verwerflichkeit herab. Hinsichtlich der Rechtsfolgen eines solchen (völligen oder teilweisen) Schuldausschlusses gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Verwerflichkeit des betreffenden Verhaltens ist so weit gemindert, daß die Rechtsgemeinschaft keinen Vorwurf gegenüber dem Täter erhebt (sog. Schuldausschließungsgründe, z. B. der entschuldigende Notstand des § 35); dann fehlt es an der Schuld als Element des Verbrechens. Oder das Verhalten bleibt trotz der Schuldminderung

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Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 180. Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 200.

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

so verwerflich, daß es die Rechtsgemeinschaft als vorwerfbar bewertet und die geringere Schuld nur in einer entsprechend verminderten Strafbarkeit zum Ausdruck kommt (z. B. die Schuldmilderung des § 213); damit liegt hier - wie auch bei allen Betätigungen unrechtlicher Gesinnung, bei denen es an schuldausschließenden Umständen gänzlich mangelt - die Schuld als Element des Verbrechens vor.

3. Kap.: Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit

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Drittes Kapitel

Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit Als das dritte Element des allgemeinen Verbrechensbegriffs (neben dem tatbestandsmäßigen Unrecht und der tatbestandsmäßigen Schuld) hatte ich die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit erkannt, inhaltlich bestimmt und mit der Erstauflage in das strafrechtswissenschaftliche Gespräch eingeruhrt. 1 Während Unrecht und Schuld inzwischen - ein Jahrhundert nach ihrer entsprechenden Herausarbeitung und begrifflichen Fassung durch das strafrechtliche Schrifttummit ihrer Aufnahme in den Gesetzeswortlaut in ihrer straftatsystematischen Funktion allgemeine Anerkennung gefunden haben, wäre es verfrüht, dies auch bereits rur das Straftatelement der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit zu erwarten. Insoweit ist heute lediglich eine Zwischenbilanz möglich; sie ist aber auch notwendig. Den Anstoß zu dieser grundlegenden Neuausrichtung der Strafiatsystematik gab das Vorhandensein einer Fülle von Merkmalen, die offensichtlich zur jeweiligen Straftat gehörten, aber von den tradierten Lehren nicht in den von ihnen vertretenen Straftatautbau integriert werden konnten 2 und daher - strafrechtsdogmatisch verschämt oder etwas hilflos - als "Annex", "objektive" und "subjektive Bedingungen der Stratbarkeit", "zusätzliche Straftatmerkmale" o. ä. bezeichnet und als die Verbrechenssystematik eher störende Fremdkörper mehr oder minder widerwillig mitgeschleppt wurden. Auch in eine hochdifferenzierte Entfaltung der Verbrechenselemente des tatbestandsmäßigen Unrechts und der tatbestandsmäßigen Schuld, bei der nahezu alle wesentlichen strafrechtsdogmatischen Erkenntnisse zu diesen beiden Problemfeldem systematisch vom Verfasser hatten verortet werden können,3 ließen sie sich nicht einbeziehen. Zum anderen ergaben sich bei dieser Analyse weitere Rechtsfiguren (wie z. B. die abstrakten Gefährdungsdelikte, die gewohnheitsmäßig wie auch die bandenmäßig begangenen Verbrechen oder die im Rückfall begangenen Straftaten), rur die sich die überkommenen Zuordnungen zum tatbestandsmäßigen Unrecht bzw. zur tatbestandsmäßigen Schuld als wahre Prokrustes-Betten erwiesen. Befreite man sie daraus, bedurften auch sie eines neuen Platzes in der Straftatsystematik. Bei eingehender Betrachtung des betroffenen Problemfeldes kamen nochmals andere Rechtsphänomene in den Blick, über deren systematisch richtige Einordnung man sich zuvor offenbar noch keine Gedanken gemacht hatte und die selbst bei einer sehr detaillierten Begriffsklärung des tatbestandsmäßi-

Vgl. dazu die Erstauflage, S. 274 ff., 327 ff., 360 ff. V gl. dazu die Erstauflage. S. 332 ff. 3 Vgl. dazu die Erstauflage, S. 280 ff.• 320 ff., 349 ff.• 354 ff. I

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

gen Unrechts und der tatbestandsmäßigen Schuld in die Verbrechenssystematik nicht widerspruchsfrei zu integrieren waren (wie z. B. die Geringfügigkeitsfiille, die trotz Erfüllung jener Merkmale allgemein nicht als Straftat beurteilt wurden). Zugleich war unübersehbar, daß die Begehung schuldhaften Unrechts in der bei weitem überwiegenden Zahl der Fälle von vornherein straffrei blieb, Unrecht und Schuld in ihrem Wesen also offenbar ohne einen Bezug auf die staatliche Strafe zu erfassen waren 4 und vom Gesetzgeber dementsprechend in der Regel allenfalls mit sonstigen Sanktionen belegt wurden. Wo er ausnahmsweise doch einmal zum Mittel der Strafandrohung griff, mußte folglich etwas zu Unrecht und Schuld Hinzukommendes, qualitativ von jenen beiden Elementen Verschiedenes den Ausschlag gegeben haben. Zudem wäre es bei unbefangener Betrachtung auch kaum vorstellbar gewesen, daß sich der Unwertgehalt der Straftat ohne jeglichen Bezug auf den Begriff der Strafe hätte erschöpfend erfassen lassen sollen. Daß der modeme Gesetzgeber vergleichsweise häufig neue Strafvorschriften schafft und bestehende aufhebt, ohne daß Unrecht und Schuld der betroffenen Taten dadurch unmittelbar berührt würden, machte die Suche nach der spezifischen Differenz und damit nach dem in der Straftat zum tatbestandsmäßigen Unrecht und zur tatbestandsmäßigen Schuld hinzukommenden Kriterium und seiner Inhaltsbestimmung nur um so dringlicher. Aber nicht nur das laufende Aufheben zahlloser Strafvorschriften durch sog. Strafrechtsreformgesetze, sondern mehr noch die bei vielen Deliktsbegehungen gegebene Möglichkeit, daß trotz Fortbestehens von Unrecht und Schuld kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung die Strafbarkeit entfiillt (wie z. B. beim Rücktritt vom Versuch, § 24, oder beim Gelingen des Wahrheitsbeweises hinsichtlich einer ehrenrührigen Behauptung bei der üblen Nachrede, § 186), drängte die Frage nach dem Gegenstand des Ausschlusses5 auf, mit dessen Entfallen dann zugleich die Strafbarkeit zu verneinen war. Diese Suche nach einer vollständigen und in sich widerspruchsfreien Verbrechenssystematik, in der alle vorstehend skizzierten Probleme lösbar und eindeutig zu verorten waren, führte schließlich zu der Erkenntnis, daß der allgemeine Straftatbegriff neben dem tatbestandsmäßigen Unrecht und der tatbestandsmäßigen Schuld ein drittes Element enthalten müsse, das sich vorläufig als "die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit" umschreiben ließ. 6 Damit sind zugleich auch schon die Leitlinien vorgezeichnet, an denen sich in der Erstauflage die Neufundierung der Straftatsystematik und die Inhaltsbestimmung des als ranggleich (neben dem tatbestandsmäßigen Unrecht und der Vgl. hierzu die Erstauflage, S. 329. Vgl. hierzu die Erstauflage, S 336 ff. 6 Ansatzweise ähnlich Lackner, StOB, § 28 Rn. I. 4

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3. Kap.: Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit

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tatbestandsmäßigen Schuld) in ihr erkannten dritten Elements des alIgemeinen Verbrechensbegriffs, der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit, auszurichten hatten: Nach dem Aufweis der Notwendigkeit dieses dritten Straftatelements (und zwar sowohl im Hinblick auf die Erfordernisse der Strafrechtswissenschaft als auch auf die Bedürfuisse der Strafrechtspraxis) war es seinem Gehalt nach auf den Begriff zu bringen. Als hilfreich erwies sich dabei die Erkenntnis, daß man die tradierte Blickrichtung umkehren mußte/ wenn man den primären Unwert der Straftat zutreffend erfassen wolIte; man durfte also nicht vom Unrecht, sondern man mußte von der Strafe ausgehen und nach der Art der Verfehlung fragen, auf die mit dieser ultima ratio der staatlichen Sanktionen zu reagieren war, weil es ihres Einsatzes zur Selbsterhaltung der Rechtsordnung bedurfte und deswegen die Legitimität dieses Einsatzes im Bewußtsein der RechtsgeselIschaft unangefochten feststand. Eine solche Verfehlung, in deren Gehalt schwerwiegende Unwertmomente und die Zweckaspekte der Repressionsbedürftigkeit zur Erhaltung der Rechtsordnung miteinander in unauflöslicher Durchdringung verbunden sind, wurde in erster Annäherung dann als "strafwürdig" umschrieben, wenn sie "die Grundlagen des Zusammenlebens angreift und deshalb zurückgedrängt werden muß, und zwar in dem Maße, in dem sie jene Grundlagen verletzt und deshalb der Zurückdrängung bedarf."s Soweit die betroffene Verfehlung in einem Strafgesetz beschrieben und damit als Verbrechenselement tatbestandlich gefaßt war, war ihre Strafwürdigkeit unübersehbar auch von der tatbestandsmäßigen Schuld und so mittelbar vom tatbestandsmäßigen Unrecht abhängig,9 womit insofern auch ihr begriffliches Verhältnis zu den anderen Straftatelementen geklärt war. Damit ließen sich dann auch alIe straftatrelevanten, jedoch Unrecht und Schuld nicht berührenden Gesetzesmerkmale und Rechtsfiguren im Deliktsaufbau eindeutig verorten, bei denen eine solche Einordnung zuvor überhaupt nicht möglich gewesen war, und die schon dadurch die Unzulänglichkeit der überkommenen Systematisierungen bloßgelegt hatten. Die Reaktionen des strafrechtlichen Schrifttums auf die neue Verbrechenssystematik beschränkten sich überwiegend auf eine Erwähnung. IO Ihrer sei hiermit in gleicher Weise gedacht. - Intensive Zuwendung solI hingegen den substantiierten Stellungnahmen aus Schrifttum und Rechtsprechung zuteil werden, die Vgl. hierzu die Erstauflage, S. 329 f. Vgl. die Erstauflage; S. 330. 9 Vgl. dazu die Erstauflage, S. 334 f. 10 Soweit die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit als drittes Straftatelement aus der Straftatsystematik völlig ausgeblendet wird, ist der vom Strafgesetz gemeinte Zusammenhang zwischen Straftat und Strafe nicht zutreffend erfaßt; so etwa - ungeachtet vieler überzeugender Gedanken - bei Hörnte, Tatproportionale Strafzumessung, S. 195 ff., 306 ff., wo die inhaltliche Ausrullung des Zentral begriffs "Tatschwere" auf seine Ableitung aus Unrecht und Schuld reduziert wird. 7

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

sich zu drei Gruppen zusammenfassen lassen: in diejenigen, die der neuen Systematik mit der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit als drittem Straftatelement zustimmen oder sie übernehmen, in diejenigen, die sie auf der Grundlage einer inhaltlichen Auseinandersetzung ablehnen, und endlich in diejenigen, die sich ihrer zwar nicht angeschlossen, aber einen methodisch und der Sache nach verwandten Versuch unternommen haben, die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit in ihrer Neugliederung des allgemeinen Verbrechensbegriffs systematisch unterzubringen. Soweit die Neufundierung der Verbrechenslehre mit der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit als dem dritten Element des allgemeinen Verbrechens begriffs im strafrechtlichen Schrifttum bisher übernommen worden ist, ging es den Autoren jeweils um die gesamtsystematische Einbettung der von ihnen behandelten Problemfelder, wie z. B. der Beteiligung an fremder Selbsttötung, I I der sog. Kettenanstiftung l2 oder der Einwilligung bei zusammengesetzten Delikten lJ . Anders als bei den beiden hernach zu behandelnden Gruppen strafrechtsdogmatischer Untersuchungen war hier das Ziel also nicht eine nochmals vertiefende Analyse des dritten Straftatelements, die dementsprechend auch nicht erfolgte. Der Wert jener Abhandlungen tUr die Rezeption dieser Begriffsbildung liegt vielmehr in dem beispielhaften Veranschaulichen der straftatsystematischen Neufundierung als Grundlage tUr die Lösung zahlreicher Probleme aus ganz unterschiedlichen Gebieten des materiellen Strafrechts. Sichtet man sodann die kritischen Auseinandersetzungen mit der vorstehend skizzierten Neugliederung des Straftataufbaus, so ist als zeitlich erste die Kritik an der ZusammentUhrung von Strafwürdigkeit und Stratbedürftigkeit in einer eigenständigen Deliktskategorie zu nennen. 14 Richtig sei vielmehr eine "Differenzierung zwischen der Wertebene (Strafwürdigkeitsurteil) und dem Zweckbereich (Strafbedürftigkeitsurteil),,15. "Der Begriff der Strafwürdigkeit findet seinen unmittelbaren Bezug im Begriff der Strafe ... Sie enthält - unabhängig von general- oder spezialpräventiven Aspekten - ein sozialethisches Unwerturteil.,,16 Die verfassungsrechtIiche Legitimierbarkeit eines solchen Unwerturteils über menschliches Verhalten als "strafwürdig" ist nur dann gegeben, wenn es sich um "gravierende Rechtsgutsverletzungen"17 handelt. "Insofern bestimmen Handlungs- und Erfolgsunwert die Strafwürdigkeit einer Verhaltensweise."ls Bringewat, ZStW Bd. 87, 645 ff. Sippel, Zur Strafbarkeit der "Kettenanstiftung", S. 23 ff. 13 Paul, Zusammengesetztes Delikt und Einwilligung, S. 3 I ff. 14 Otto, Schröder-Gedächtnisschrift, S. 53 ff. 15 Otto, Schröder-Gedächtnisschrift, S. 68. 160UO, Schröder-Gedächtnisschrift, S. 54. 17 Otto, Schröder-Gedächtnisschrift, S. 54 f. 18 Otto, Schröder-Gedächtnisschrift, S. 56. II

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3. Kap.: Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit

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"Der Tatbestand beschreibt die strafwürdige Rechtsgutsverletzung.,,19 Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld erfaßten erschöpfend den sachlichen Gehalt des Verbrechens als "strafwürdiges schuldhaftes Unrecht"20; einer weiteren eigenständigen Deliktskategorie der "Strafwürdigkeit" bedilrfe es daher nicht. Den Prüfstein rur die Stichhaltigkeit dieser tradierten Sicht des Verbrechensaufbaus bildeten - wie zutreffend eingeräumt wird21 - die sog. objektiven Bedingungen der Strafbarkeit. Auch rur ihre systematische Verortung benötige man jedoch die "Strafwürdigkeit" als eigenständiges Verbrechenselement nicht: "Die sog. objektiven Bedingungen der Strafbarkeit sind Elemente des Unrechtstatbestandes.,,22 Sie kennzeichneten einen besonderen, nicht vom Vorsatz umfaßten Erfolgsunwert, der erst "dem Unrechtssachverhalt die Strafwürdigkeit verleiht.,,23 - Ob diese Kritik den Aufweis der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit als eines eigenständigen Straftatelementes (neben Unrecht und Schuld) überhaupt erschüttern kann, ist schon deswegen zweifelhaft, weil sie sich auf den Bereich der sog. objektiven Bedingungen der Strafbarkeit beschränkt, die ihrerseits nur ein einziges von vielen Problemfeldern bildeten, die in den überkommenen Gliederungen des allgemeinen Verbrechensbegriffs keinen Platz gefunden hatten und mit der Neusystematisierung nunmehr in der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit ihrem Regelungsgehalt entsprechend verortet waren. Aber selbst diese nur punktuelle Kritik mit ihrer Einordnung der objektiven Bedingungen der Strafbarkeit als Unrechtstatbestandsmerkmale fordert Nachfragen zur Struktur ihres Unrechtsbegriffs und zu ihrer Vereinbarkeit mit dem geltenden Gesetz heraus: Wenn die Art und die Ranghöhe des geschützten Rechtsgutes sowie die vertatbestandlichte Art des Angriffs auf dieses Schutzobjekt in allen übrigen Fällen den Unrechtsgehalt der Straftat ausmachen, inwiefern ist dann der "besondere Erfolgsunwert" der sog. objektiven Strafbarkeitsbedingungen, der inhaltlich damit überhaupt nichts zu tun hat, ein Unrechtsbestandteil? Und wenn das Unrecht der Straftat im rechtswidrigen Verhalten und seinen zurechenbaren Folgen besteht, inwiefern kann dann die objektive Strafbarkeitsbedingung, deren Eintritt dem Täter weder subjektiv noch objektiv zurechenbar zu sein braucht (wie z. B. die Eröffuung des Insolvenzverfahrens bei den Insolvenzstraftaten gemäß §§ 283 ff.), ein Teil des Unrechts der betreffenden Straftat sein? Und ist nicht - ungeachtet aller Kontroversen hierzu im übrigen - der Unrechtstatbestand einer Straftat als Begriff jedenfalls nicht weiter als ihr "gesetzlicher Tatbestand" i. S. v. § 16 Abs. 1 S. 1, so daß sich der Vorsatz \9

Duo, Schröder-Gedächtnisschrift, S. 62.

20 Duo, Schröder-Gedächtnisschrift, S. 57 f.

Duo, Schröder-Gedächtnisschrift, S. 63. Duo, Schröder-Gedächtnisschrift, S. 64; ebenso auch schon Engisch, Mezger-Festschrift, S. 132. 23 Duo, Schröder-Gedächtnisschrift, S. 64; ähnlich schon Sauer, Mezger-Festschrift, 2\

22

S.120.

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

zwingend auf alle Merkmale des Unrechtstatbestandes beziehen muß - also auch auf die sog. objektiven Bedingungen der Strafbarkeit, wenn sie denn wirklich zum Unrechtstatbestand gehörten? Eine zweite Kritik erkennt zwar "die ausführlichste Begründung für eine eigenständige Kategorie der Strafwürdigkeit,,24 an, greift aber die Neufundierung der Straftatsystematik durch Aufnahme der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit als drittes Element in den allgemeinen Verbrechensbegriff mit einem methodischen und einem inhaltlichen Einwand dagegen an, daß dann ja "gerade die Strafwürdigkeit das spezifisch Strafrechtliche der Straftat,,25 darstellen würde: "Das ist, gemessen an dem Anspruch, ein teleologisches Straftatsystem zu entwerfen, einigennaßen befremdlich. Teleologie findet nur auf der vierten Stufe statt. Unrecht und Schuld sind aus ihrer Beziehung auf die Rechtsfolge Strafe gelöst. Es ist aber nicht so sehr die methodische Inkonsequenz, die hier stört, sondern vielmehr der ideengeschichtliche Rückschritt. Die Kategorie Strafwürdigkeit wird mit den Inhalten aufgefüllt, die man bei Unrecht und Schuld abgezogen hat. Mit diesem Transfer ist nichts gewonnen.,,26 Jeder der beiden Einwände hätte für sich allein schon das nötige Gewicht, die Neugliederung des Strafiatbegriffs als verfehlt zu erweisen - wenn er denn zuträfe. Daß dem Straftatunrecht und der Straftatschuld in dieser Neugliederung der teleologische Bezug zur Strafe fehlten, ist falsch; diese Beziehung besteht und ist als begriffsnotwendig herausgearbeitet/7 aber vielleicht deswegen von der Kritik übersehen worden, weil sie (zum Unrecht) eine doppelt bzw. (zur Schuld) eine einfach vennittelte ist: 28 Unmittelbar bezogen ist die Strafe auf die Strafwürdigkeit/9 diese wiederum ist maßgebend mit von der Schuld und die ihrerseits als Relationsbegriff vom Unrecht der betroffenen Straftat abhängig. 30 Zudem sind nicht die drei genannten Unwertgehalte als solche, sondern die durch den gesetzlichen Tatbestand gefonnten Unwertgehalte - das tatbestandsmäßige Unrecht, die tatbestandsmäßige Schuld und die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit - sind die drei Elemente des allgemeinen Verbrechens begriffs: "Die Systematik erfordert ein teleologisches Verständnis auch des Tatbestandes. Im Hinblick auf sein Telos, die Strafe, besteht seine Aufgabe darin, jeweils einen Unwertgehalt als Strafvoraussetzung zu individualisieren. Der jeweilige Umfang der Typisierung ist daher sinnvoll nur von diesem Unwertgehalt her zu erfassen.,,3! "Aus dieser Volk., ZStW Bd. 97, 876. So die Erstauflage, S. 33). 26 Volk, ZStW Bd. 97, 878. 27 Vgl. hierzu die Erstauflage, 28 Vgl. hierzu die Erstauflage, 29 Vgl. hierzu die Erstauflage, 30 Vgl. hierzu die Erstauflage, J I So die Erstauflage, S. 34). 24

25

S. 274 ff., 338 ff., 341 ff. S. 327 ff. S. 329. S. 335.

3. Kap.: Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit

147

teleologischen Auffassung des Verbrechenstatbestandes ergeben sich sogleich zwei wichtige Folgerungen: Einmal kann der Tatbestand als Individualisierung bestimmter Wertverletzungen systematische Bedeutung nur haben jeweils im Zusammenhang mit dem Unwertgehalt, den er formt, also als Strafwürdigkeits-, Schuld- oder Unrechtstatbestand. Zum anderen folgt daraus, daß das Gesetz primär einen bestimmtartigen Strafwürdigkeitsgehalt charakterisiert, daß auch der Vertypungsumfang sämtlicher Verbrechenselemente von der Strafwürdigkeit her zu bestimmen ist: Es ist also nicht nur dem Begriff, sondern auch dem Umfang nach die Vertypung der Schuld von der Vertypung der Strafwürdigkeit und die Vertypung des Unrechts von der Vertypung der Schuld abhängig. ,,32 Schon ein einziger Blick auf diese Darlegungen erweist die Unhaltbarkeit des Vorwurfs methodischer Inkonsequenz bei der teleologischen Neufundierung der Straftatsystematik. - Ungleich schwieriger ist die Widerlegung des inhaltlichen Einwandes gegen die Anerkennung der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit als drittes Element des aIlgemeinen Verbrechensbegriffs nur deshalb, weil sich dieser Einwand in einer schwerwiegenden, aber nicht konkretisierten Behauptung erschöpft: Die Kategorie "Strafwürdigkeit" werde "mit den Inhalten aufgefüIlt, die man bei Unrecht und Schuld abgezogen hat." Welche Inhalte das seien, verrät der Kritiker dem Leser nicht. Auch im übrigen Schrifttum findet sich hierzu nichts. Die Behauptung des Abzugs von Bestandteilen aus dem Unrecht und der Schuld ist schlicht falsch. Die drei Elemente des aIlgemeinen Straftatbegriffs haben in der Neusystematisierung ihr jeweils eigenes, exakt defmiertes Unwertsubstrat, wobei etwa aus dem Unrecht bei seiner sehr detaillierten Inhalts bestimmung33 absolut nichts von dem in ein anderes Straftatelement "transferiert" worden ist, was die tradierten Definitionen als Bestandteile des Straftatunrechts umfassen. Ein solches Verschieben von Inhalten zwischen den Straftatelementen wäre in der Neusystematisierung - anders als vieIleicht in manchen überkommenen Gliederungen der Deliktsmerkmale34 - auch überhaupt nicht möglich, ohne sofort als Systemfehler ins Auge zu springen. Noch besser läßt sich die Haltlosigkeit jenes Einwandes vieIleicht anhand eines Beispiels veranschaulichen, indem man die Blickrichtung umkehrt und der Kritik den "Abzug und Rücktransfer" der angeblich fehlverorteten Inhalte aus der Strafwürdigkeit nach Unrecht und Schuld gestattet: Auch dann ist etwa mit der FeststeIlung, daß (vollständig wieder "aufgefüllt") Unrecht und Schuld eines versuchten Bankrotts nach §§ 283 Abs. 1 Nr. 1 und Abs.3; 22 vorliegen, über Unrecht und Schuld dieser Tat alles, über ihre Strafwürdigkeit und ihre Strafbarkeit hingegen So die Erstauflage, S. 343. Vgl. hierzu die Erstauflage, S. 280 ff., 315 ff., 349 ff. 34 So wird man eine Antwort auf die Frage, warum ein bestimmtes Gesetzesmerkmal als Unrechts- oder aber als Schuldmerkmal eingeordnet werde, dort meist vergeblich suchen. Dementsprechend sind die Studenten fast einhellig der Ansicht, die jeweilige Einordnung müsse nach Art eines Glaubenssatzes erlernt werden. 32 33

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

noch nichts ausgesagt; ihr Vorliegen hängt entscheidend von den Strafwürdigkeitsmerkmalen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder der Zahlungseinstellung sowie von der Nichterfüllung der Rücktrittsvoraussetzungen gemäß § 24 durch den Täter ab, also von Geschehensmomenten, die nach fast einhelliger Auffassung mit den Inhalten von Unrecht und Schuld nichts zu tun haben. Eine dritte Auseinandersetzung35 mit der neufundierten Straftatsystematik zeichnet sich durch ihr intensives Bemühen um das Verstehen des Neuansatzes und seiner argumentativen Entfaltung wie um die Würdigung ihrer Ergebnisse aus. Leider unterläuft ihr bereits bei der Darstellung der Neugliederung ein gravierender Fehler, der allein schon ihr durchgängig die Stichhaltigkeit nimmt: "Es muß in diesem Zusammenhang jedoch angemerkt werden, daß Langer, anders als Schmidhäuser, die Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe gerade nicht auf der Ebene der Strafwürdigkeit einordnet, ihnen die Eigenschaft als eigenständige Gruppe von Bestrafungshindernissen vielmehr abspricht.,,36 Genau das Gegenteil ist der Fall. In einem eigenen Abschnitt unter der Überschrift "Der Strafwürdigkeitsausschluß,,37 sind seine Unwertstruktur und seine Kriterien im einzelnen aufgewiesen und namentlich die Strafaufhebungsgründe (wie etwa der Rücktritt vom Versuch) und die Strafausschließungsgründe (wie etwa die Widerrechtlichkeit der Diensthandlung beim Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) als Beispiele angeführt. Die als Beleg für jene unrichtige Behauptung von der Kritik zitierten FundsteIlen betreffen sämtlich eine scheinbare Ausnahme, nämlich die inzwischen aufgehobene Vorschrift über den Diebstahl unter Ehegatten (§ 247 Abs. 2 a. F.), bei der es sich jedoch entgegen überkommener Einordnung gerade nicht um einen Strafausschließungsgrund gehandelt hatte, sondern - wie an den zitierten Stellen im einzelnen gezeigt worden ist - um ein sog. Sonderrechtsdelikt. Ungeachtet dieses Fehlers bedarf die Kritik hinsichtlich ihrer weiteren Einwände einer auf den Grund gehenden Überprüfung. Soweit die von der Neugliederung postulierte Eigenständigkeit der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit als drittem Straftatelement neben dem tatbestandsmäßigen Unrecht und der tatbestandsmäßigen Schuld von der Kritik angegriffen wird/ 8 sollte zunächst geklärt werden, was das bildhafte "neben" zum Ausdruck bringt und was nicht: Gemeint ist ein gleiches Verhältnis dieses Straftatelements mit den übrigen wie das von Schuld und Unrecht, mit denen es zudem die gleiche Wertstruktur aufweist;39 es geht also nicht um eine Addition unverbunden in derselben Ebene 35 36

Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 230 ff. Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 230 (Hervorhebung

auch im Original). 37 Vgl. hierzu die Erstauflage, S. 336 ff. 38 Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 232 f. 39 Vgl. hierzu die Erstauflage, S. 275 ff., 327.

3. Kap.: Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit

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stehender Elemente, sondern um die Hintereinanderstaffelung von Relationsbegriffen, bei der die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit maßgebend auch von der tatbestandsmäßigen Schuld (und damit mittelbar auch vom tatbestandsmäßigen Unrecht) abhängig ist wie die tatbestandsmäßige Schuld ihrerseits maßgebend auch vom tatbestandsmäßigen Unrecht. 40 Für die Bedürfuisse der Strafrechtspraxis bei der Feststellung einer konkreten Straftat hat sich die umgekehrte Prüfungsreihenfolge bewährt, nämlich der Beginn mit dem tatbestandsmäßigen Unrecht, weil uns das unmittelbare Erfassen der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit (d. h. ohne die vorherige Feststellung der tatbestandsmäßigen Schuld und des tatbestandsmäßigen Unrechts, die im Strafgesetz immer sehr viel konkreter individualisiert sind) kaum möglich ist. Damit erledigt sich der von der Kritik erhobene Einwand, in der Neugliederung bezeichne das Strafwürdigkeitsurteil "gleichzeitig die Bewertung der Tat unter einem einzelnen Aspekt und in ihrer Gesamtheit. Damit werden der Strafwürdigkeit zwei untereinander unvereinbare Bedeutungen zugewiesen, denn ein Begriff kann nicht zugleich das Ganze und eins von dessen Teilen bezeichnen.,,41 Die zuletzt genannte These ist richtig;42 sie hat aber zur Voraussetzung, daß man innerhalb desselben Bezugssystems bleibt. Wenn man etwa "Auto" definiert als motorgetriebene, mindestens zweispurige, nicht schienengebundene Landfahrzeuge, dann umfaßt dieser Begriff das Ganze dieser Kraftwagen; stellt man sodann außerdem eine klassifikatorische Systematik der "Fahrzeuge" auf, nimmt das "Auto" nur einen Teilbereich ein. Entsprechend ist die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit (ihr Unwertgehalt, in der gesetzlichen Form gefaßt und mit dem Urteil versehen, daß kein Straftatausschließungsgrund erfiillt ist) das Ganze der Straftat, was nicht ausschließt, daß sie in einer auf die Bedürfnisse der Strafrechtspraxis zugeschnittenen, vertikal gestaffelten Verbrechenssystematik - nach dem tatbestandsmäßigen Unrecht und der tatbestandsmäßigen Schuld, von denen sie (obwohl von eigenständigem Unwertgehalt) in der vorstehend beschriebenen Weise maßgebend mit abhängt - die dritte Prüfungs stufe bildet. Ein letzter Einwand intendiert die Ersetzung der (Unwertmomente und Zweckerwägungen umgreifenden43 ) Kategorie "Strafwürdigkeit" durch die der "Strafbedürftigkeit", "d. h. der Notwendigkeit, mit den Mitteln staatlichen Strafens korrigierend einzugreifen, ... wesentlich eine Zweckmäßigkeitsfrage.,,44 Den Weg dorthin eröffuet die Umdeutung der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit als des dritten Elements des alJgemeinen Verbrechensbegriffs in eine rein Vgl. hierzu die Erstauflage, S. 329 ff., 335. Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 233. 42 Richtig ist die These übrigens nur rur den Begriff selbst und gerade nicht rur die Bezeichnung, wie die Sprachfigur des "pars pro toto" zeigt: "Ente" bezeichnet sowohl die Tierart wie auch ihre weibliche Form. 43 Vgl. hierzu die Erstauflage, S. 330. 44 Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 235. 40

41

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

quantitative Bestimmung darüber, an welcher Grenze schweres Unrecht und schwere Schuld zum Verbrechen werden. 4s Weil dieses "Kriterium der Schwere nämlich im Unrechts- und Schuldbegriff bereits enthalten,,46 sei, benötige man kein drittes Unwert-Element im allgemeinen Verbrechensbegriff: "Dies ist nur der Fall, wenn das Auswahlkriterium heteronom ist, nicht aber wenn es in einem dem Unrecht immanenten Kriterium, wie z. B. dessen Quantität, besteht.,,47 Glaubt die Kritik damit den Nachweis erbracht zu haben, daß "neben Unrecht und Schuld ein drittes eigenständiges Verbrechenselement nicht notwendig existieren muß,,48, so bedürfen trotz dieser vorbildlichen Behutsamkeit bei der Formulierung des Ergebnisses die Prämissen des zugrunde liegenden Einwandes noch einmal genauerer Betrachtung: Ist es wirklich nur die "immanentquantitative" Größe des Gewichts von Unrecht und Schuld, die jeweils über die Strafwürdigkeit entscheidet? Offenbar besteht eine solche, "quasi-lineare" Abhängigkeit gerade nicht. So ist beispielsweise der bewußte Vertragsbruch zum Zwecke schwerer wirtschaftlicher Schädigung mit der Folge des Verlustes von Tausenden von Arbeitsplätzen als solcher nach gegenwärtiger Auffassung und Gesetzeslage nicht strafwürdig, während ein in Unrecht und Schuld unbedeutender Diebstahl einer geringwertigen Sache rur strafwürdig erachtet wird. "Über das Ob der Strafwürdigkeit entscheidet somit nicht das Gewicht, sondern die Art von Schuld und Unrecht im Rahmen einer Vielzahl von (häufig historisch bedingten) Werterwägungen und Zweckaspekten.,,49 Am adäquatesten veranschaulicht man sich das (ungewohnt neue und daher Nachfragen ausgesetzte) begriffliche Verhältnis von tatbestandsmäßiger Strafwürdigkeit zu tatbestandsmäßiger Schuld und tatbestandsmäßigem Unrecht durch einen Blick auf das (seit vielen Jahrzehnten vertraute) begriffliche Verhältnis der tatbestandsmäßigen Schuld zum tatbestandsmäßigen Unrecht: Auch hier wird das Gewicht der Schuld unter anderem durch die Größe des Unrechts mitbestimmt, auf das sie sich bezieht, und trotzdem hat dieses zweite Straftatelement in der "unrechtlichen Gesinnung" sein eigenes materielles Substrat, in den Schuldformen und den selbständigen Schuldmerkmalen seine gesetzliche Fassung und im Vorwertbarkeitsurteil die Feststellung, daß kein Schuldausschließungsgrund errullt ist. Während einige weitere Ansätze zu einer Kritik an der straftatsystematischen Neufundierung hier keiner Auseinandersetzung bedürfen, weil sie die Anerkennung der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit als selbständiges Verbrechenselement neben Unrecht und Schuld als mit der eigenen Systematisierung "nicht Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, 47 Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, 48 Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, 49 So schon die Erstauflage, S. 335. 45

46

S. S. S. S.

234. 235. 235. 235.

3. Kap.: Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit

151

unvereinbar"so ansehen, pauschal die Strafwürdigkeit "regelmäßig" mit Unrecht und Schuld als gegeben und in den sonstigen Fällen die nur sie betreffenden Merkmale als "zu heterogen" filr die Vereinigung in einem selbständigen allgemeinen Strafbarkeitselement bezeichnen,sl oder lediglich FehlzitateS2 , jedoch keinen über die vorstehend widerlegte Kritik hinausreichenden eigenen Einwand vorbringen, gibt es ein breiteres Spektrum von Stellungnahmen im strafrechtlichen Schrifttum, die ohne spezifische Auseinandersetzung mit ihr Grundgedanken der Neusystematisierung unter partieller Übernahme aufgegriffen und im übrigen abgewandelt oder weiterzufilhren versucht haben. Die wichtigsten von ihnen seien nachfolgend skizziert und gewürdigt. Trotz enger Verwandtschaft mit der in der Erstauflage entwickelten Neusystematisierung des allgemeinen Verbrechensbegriffs unterscheidet sich von ihr wesentlich die Lehrmeinung, die die "Strafwürdigkeit" nicht als drittes Straftatelement neben Unrecht und Schuld versteht, sondern als "ein äußerst vielschichtiges Phänomen, das sowohl das Tatgeschehen selbst als auch außerhalb des Tatgeschehens liegende Momente betrifft"S\ und in einem Urteil besteht, das "als Wertmaßstab die innerhalb der rechts- und sozial staatlichen Verfassung bestehende Strafrechtsordnung" voraussetzt. Dieses Urteil hat sich vor allem an den Verfassungspostulaten der Achtung und des Schutzes der Menschenwürde, des Schuld- und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie des Subsidiaritätsund des Toleranzgebotes auszurichten, aber auch kriminalpolitische Notwendigkeiten zu berücksichtigen. "Diese Andeutungen mögen zunächst wie ein ungeordnetes Sammelsurium erscheinen (tatsächlich überschneiden sich einzelne Aspekte, andere gehen aus wiederum weiteren hervor); sie erweisen jedoch den unentbehrlichen Begriff der Strafwürdigkeit eben als eine Zusammenfassung der verschiedensten Momente, bei deren Betrachtung jeweils das eine oder andere stärker hervortritt." Daneben wird der Ausdruck "Strafwürdigkeit" als Sarnmelbezeichnung filr die nur "in einzelnen Straftatbeständen" auf einer weiteren Stufe nach Unrecht und Schuld - als den "Grundmerkmalen jeder Straftat"S4 - zu prüfenden Rechtsfiguren der "zusätzlichen Straftatmerkmale"ss und der "Straftatausschließungsgründe"s6 verwendet. - Die damit umrissene Vor-

Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 33. Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht, AlIg.Teii 11, § 42 Rn. 42. 52 Vgl. Altpeter, Strafwürdigkeit und Straftatsystem, S. 214 ff.; als Fehlzitate vgl. beispielhaft: Langer "weist der Strafwürdigkeit keine völlig neuartige, eigene Deliktsstufe zu" (S. 214), und S. 214 Fn. 4. 53 Schmidhäuser, Allg. Teil, 2/14 (dort auch die im Text folgenden wörtlichen Zitate). - Ähnlich Lackner, StOB, vor § 13 Rn. 3. 54 Schmidhäuser, Allg. Teil, 6/5. 55 Schmidhäuser, Allg. Teil, 12/1 ff. 56 Schmidhäuser, Allg. Teil, 13/1 ff. - Ebert, Allg. Teil, S. 111, spricht insoweit von "Strafbedürfnismerkmalen", während die "Strafwürdigkeit" mit jeder tatbestandsmäßi50 51

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

stellung von "Strafwürdigkeit" ist teils weiter, teils enger als die, die der in der Erstauflage filr die Neugliederung des Straftatbegriffs entwickelten Kategorie zugrunde liegt, sie beschränkt sich auf das Strafwürdigkeitsurteil, ohne zugleich auch das Substrat, auf das sich dieses Urteil bezieht, mit einer Inhaltsbestimmung begrifflich zu fassen, und verzichtet dementsprechend auf die Charakterisierung der Strafwürdigkeit als drittes Element des allgemeinen Verbrechensbegriffs. Gemeinsame Ansätze fmden sich des weiteren bei der Schrifttumsmeinung, die eine eigene Ebene im Straftatautbau herausarbeitet, in Verbindung mit der von ihr die Kategorie "Strafwürdigkeit" verwendet wird. s7 Diese ist danach sowohl filr den Straftatunwert (als "strafwürdige Rechtsgutsverletzung"s8) wie filr dessen Beschreibung im Gesetz (als "Tatbestand"s9) relevant. Dabei müssen die Beschreibung des Gegenstandes, auf den sich der Vorsatz jeweils zu beziehen hat60 , und die Beschreibung des deliktischen Gesamtunwerts, der auch die strafwürdige Rechtsgutsverletzung61 und die sog. objektiven Bedingungen der Stratbarkeit62 umfaßt, unterschieden werden, wobei es in bei den Bereichen der Vertatbestandlichung im konkreten Fall zum Tatbestandsausschluß kommen kann. 63 Weithin grob irrefilhrend ist hingegen die Terminologie dieser Lehrmeinung, so etwa, wenn der Ausdruck "Unrechtstatbestand" auf die Beschreibung von Geschehensmomenten erstreckt wird, die - wie die sog. objektiven Bedingungen der Stratbarkeit - gerade nicht Bestandteile des Tatunrechts sind,64 oder wenn gesagt wird, daß die Erfililung des "gesetzlichen Tatbestandes" (die doch in nichts anderem als dem dort beschriebenen Rechtsgutsangriff besteht) "die strafwürdige Rechtsgutsverletzung ... im Gefolge haben,,6s könne. Aber auch rechtsinhaltlich bleibt eine Vielzahl von Problemen ungeklärt, so daß sich Nachfragen hierzu gleichsam von selbst aufdrängen: Wie kann die "strafwürdige Rechtsgutsverletzung" ein additives Element zum "gesetzlichen Tatbestand" sein, wenn schon bei seiner Erfilllung allein die strafwürdige Rechtsgutsverlet-

gen, rechtswidrigen und schuld haften Handlung gegeben sei. Eine Inhaltsbestimmung wird nicht gegeben. Ungeklärt bleibt daher auch, warum das Gesetz etwa im Bereich des Vollrauschs (§ 323 a) die angeblich strafwürdigen Handlungen nahezu ausnahmslos straffrei läßt. 57 Sax, JZ 1976, 9 ff. 58 Sax, JZ 1976, 11. 59 Sax, JZ 1976,10 ff. 60Sax,JZ 1976, 13. 61 Sax, JZ 1976, 11. 62 Sax, JZ 1976, 12. 63 Sax, 1Z 1976, 9 ff. 64 Sax, 1Z 1976,12. 65 Sax, 1Z 1976, 11.

3. Kap.: Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit

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zung "möglich ist,,66? In welchem Verhältnis stehen die Begriffe "Rechtsgutsverletzung" und "Strafwürdigkeit" zueinander, die von dieser Schrifttumsmeinung immer nur in der formelhaften Kombination, nämlich als "strafwürdige Rechtsgutsverletzung,,67, genannt werden? Und wie soll man es sich zu denken haben, daß die Merkmale der Schuld durch Subtraktion der der strafwürdigen Rechtsgutsverletzung zuzuordnenden Merkmale von den subjektiven Tatbestandselementen zu gewinnen seien,68 womit die Strafwürdigkeit von der Schuld unabhängig wäre, und das in einem aufgrund der Verfassung uneingeschränkt unter der Herrschaft des Schuldprinzips stehenden Schuldstrafrecht? Eine dritte, im Schrifttum vertretene Position69 stimmt mit der in der Erstauflage entwickelten Neusystematisierung des allgemeinen Verbrechens begriffs insofern überein, als von ihr der Kategorie der Strafwürdigkeit eine herausragende Bedeutung beigemessen wird. Diese Einsicht fußt auf der Erkenntnis, daß der Rechtsgüterschutz - entgegen verbreiteter Annahme in der Literatur - nicht das Spezifische des Strafrechts sein könne, weil ihn alle Rechtsgebiete bezwekken. 70 Das spezifisch Strafrechtliche ist die Rechtsfolge "Strafe", und deshalb müssen Begriffsbildung und Systematisierung der Verbrechensmerkmale von diesem" Telos als Leitaspekt her vorgenommen werden: "Diese Folgenorientierung der Strafrechtsfindung dokumentiert sich im Begriff der ,Strafwürdigkeit,.,,71 Grundlegend anders hingegen werden der Inhalt der Strafwürdigkeit und ihre Funktion im Straftatsystem bestimmt: "Die ,Strafwürdigkeit' ist als strafrechtliche Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Gebotes der Verhältnismäßigkeit der Mittel zu verstehen, in der sich alle Strafrechtszwecke bündeln. Sie fließt in einem teleologischen Straftatsystem in alle Straftatmerkmale und Strafrechtsbegriffe ein (Ubiquität der Strafwürdigkeit),,72. "Dieser Ubiquität der Strafwürdigkeit werden Versuche nicht gerecht, die der Strafwürdigkeit einen speziellen, eigenständigen straftatsystematischen Standort zuweisen".73 Hier dürfte wohl die begriffliche Abhängigkeit der Strafwürdigkeit von den anderen Straftatelementen verwechselt worden sein mit ihrem angeblich ubiquitären Enthaltensein in jenen Elementen: Ebensowenig wie die tatbeSax, JZ 1976, 9 ff. Sax, JZ 1976, 13. 68 Sax, JZ 1976, 13. 69 Hans-Ludwig Günther, 70 Hans-Ludwig Günther, 71 Hans-Ludwig Günther, 72 Hans-Ludwig Günther, 66 67

Strafrechtswidrigkeit, S. 165, 236 ff., 240 ff., 394. Strafrechtswidrigkeit, S. 153. Strafrechtswidrigkeit, S. 165. Strafrechtswidrigkeit, S. 394. - Anknüpfend Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 42 ff., 476 f., wo jedoch wegen des Fehlens eines inhaltlich bestimmten Strafwürdigkeitsbegriffs dessen Verhältnis zu den Vorgaben der Verfassung letztlich ungeklärt bleibt. 73 Hans-Ludwig Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 241. - Ähnlich jetzt auch Bloy, Beteiligungsfonn als Zurechnungstypus, S. 30 ff.

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

standsmäßige Schuld, die auf das tatbestandsmäßige Umecht bezogen ist und als Relationsbegriff damit maßgebend auch von diesem abhängt, a1\ein dadurch zu einem Bestandteil des Umechts oder gar "umechtsubiquitär" würde, ebensowenig geschieht das mit der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit, die primär maßgebend von der tatbestandsmäßigen Schuld und mittelbar vom tatbestandsmäßigen Umecht abhängt. Macht man sich gleichwohl auf die Suche nach der vorgeblichen Ubiquität der Strafwürdigkeit "in a1\en Strafrechtsbegriffen", so ist sie in zahllosen Regelungen überhaupt nicht auffindbar. Welche Strafwürdigkeit so1\te es mitprägen, daß § 2 Abs. 2 i. V. m. § 2 Abs. 5 tUr Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung bei Gesetzesänderungen während der Begehung der Tat die Anwendung des bei deren Beendigung geltenden Gesetzes vorschreibt, oder daß § 17 Satz I tUr das Handeln im unvermeidbaren Verbotsirrtum die Schuld zwingend verneint (in einer vor a1\er Strafwürdigkeitsprüfung ansetzenden und in ihren Konsequenzen weit über diese hinausgreifenden Regelung)? Aber auch tUr die behauptete Ubiquität der Strafwürdigkeit "in allen Straftatelementen" gilt nichts anderes: Mit der Festste1\ung etwa, daß jemand eine fremde Sache beschädigt hat, ist über die Strafwürdigkeit dieses Verhaltens - entgegen a1\er angeblichen Ubiquität - nicht das mindeste ausgesagt. Der Gesetzgeber könnte die Strafvorschrift gegen die Sachbeschädigung (§ 303), ja er könnte das gesamte Strafrecht abschaffen, ohne daß sich an jener Feststellung über das begangene Umecht einer Sachbeschädigung irgend etwas ändern würde. Schon die Prämisse jener Lehrmeinung, daß die sog. Strafrechtswidrigkeit zur allgemeinen Rechtswidrigkeit, also das Straftatumecht zu dem gleichen, aber nicht unter Strafe gestellten Umecht "in einem Stufenverhältnis des Mehr zum Weniger,,74 stünde, ist in Anbetracht der fragmentarischen Natur des Strafrechts nicht haltbar; die Straftat hat nicht zwingend einen höheren Umechtsgrad, vielmehr bleibt aufgrund von Art. 103 Abs. 2 GG oft schwereres Umecht straffrei, während leichteres unter Strafandrohung steht. Die Strafwürdigkeit ist eben nicht ein bloßer Bestandteil auch des Straftatumechts - im Beispielsfall ist es das gleiche Umecht, das bei umechtsbewußter Begehung nach § 303 strafbar, bei nicht umechtsbewußter (nach richtiger Auffassung) hingegen straflos ist -, sondern die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit ist ihrerseits maßgebend auch von der tatbestandsmäßigen Schuld und so mittelbar maßgebend auch vom tatbestandsmäßigen Umecht abhängig. Nur in diesem, der Position jener Meinung entgegengesetzten Sinn - nämlich gerade wegen des notwendig teleologischen Verständnisses auch der Vertatbestandlichung75 - bestimmt die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit den tUr sie an tatbestandsmäßiger Schuld und so mittelbar an tatbestandsmäßigem Unrecht vorausgesetzten Ausschnitt aus der deliktsspezifischen Rechtsgutsverletzung. Und schließlich trägt auch die Reduk74 Hans-Ludwig Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 394. 75 Vgl. hierzu die Erstauflage, S. 341 ff., 360 ff. - Fehlzitat insofern bei Günther,

Strafrechtswidrigkeit, S. 242 Fn. 47.

3. Kap.: Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit

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tion der "Strafwürdigkeit" auf eine "strafrechtliche Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Gebotes der Verhältnismäßigkeit der Mittel" nicht: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gehört zu den verfassungsrechtlichen Selbstbeschränkungen der staatlichen Strafgewalt. Mit seinen Kriterien der Eignung, der ErforderIichkeit und der Proportionalität gibt er den Rahmen filr staatliche Reaktionen auf das Verhalten, insbesondere auf rechtswidriges Verhalten der Rechtsunterworfenen vor. Über den Realgrund filr die spezifische Art der Reaktion, so auch filr die Androhung von staatlicher Strafe, sagt er nichts, sondern er setzt diese Vorfrage als beantwortet voraus. Ohne eine materiale Bestimmung der Strafwürdigkeit fehlt das entscheidende Kriterium, ohne das das Messen einer Strafvorschrift am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keine abschließende Aussage über deren Vereinbarkeit mit der Verfassung liefern kann. Ob es sich bei dem verbotenen Verhalten um einen Angriff auf die Grundlagen des Zusammenlebens in der Rechtsgemeinschaft oder um eine Mißachtung des GesslerHutes handelt, vermag uns der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allein nicht ZU beantworten. Bedenkt man zudem, daß die von jener Meinung vorgenommene Verschmelzung von Rechtswidrigkeit und Strafwürdigkeit zur Figur der "Strafrechtswidrigkeit" mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung unvereinbar und daher nur um den Preis seiner Aufgabe durch Anerkennung von spezifischen Rechtswidrigkeiten der jeweiligen Rechtsgebiete 76 zu haben ist, kann auch dieser Abwandlung der in der Erstauflage entwickelten Neufundierung der Straftatsystematik nicht gefolgt werden, sondern es ist nachdrücklich an der herausgearbeiteten Eigenständigkeit der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit als drittem Element des allgemeinen Verbrechens begriffs festzuhalten. Weder Kritik noch Abwandlung der mit der Erstauflage vorgenommenen Neufundierung der Straftatsystematik, sondern deren zumindest partielle Bestätigung bringt ein Blick auf die japanische Strafrechtswissenschaft,77 bei dem sich aus rechtsvergleichender Perspektive zumindest im Ansatz bemerkenswerte Gemeinsamkeiten ergeben. Ausgangspunkt filr die Aufnahme des Strafwürdigkeitsgedankens in die Gliederung der Verbrechensmerkmale war eine vor etwa einem Jahrhundert ergangene Entscheidung des japanischen Reichsgerichts, mit der eine Straftat trotz Erfilllung sämtlicher Merkmale im übrigen wegen Geringfilgigkeit verneint wurde. 78 In der japanischen Strafrechtswissenschaft der Zwischenkriegszeit wurde auf dieser Grundlage die Strafwürdigkeit erstmals zu einem selbständigen Straftatmerkmal erklärt,79 das der durch die Imperativentheorie fundierten subjektiven Rechtswidrigkeit folge und durch Geringfilgigkeit sowie durch Unzumutbarkeit ausgeschlossen werde. Mit dieser Anerkennung Hans-Ludwig Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 394. Ausfiihrlieh dazu Asada, ZStW Bd. 97,465 ff. 78 Vgl. hierzu im einzelnen Asada, ZStW Bd. 97, 466. 79 Asada, ZStW Bd. 97, 466 f. 76

77

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

der Strafwürdigkeit als Systemkategorie und mit ihrem Entfallen bei Geringfilgigkeit hatte die japanische Strafrechtsdogmatik sehr wichtige Einsichten erarbeitet. Zugleich hatte sie damit aber in diesem Bereich auch ihr Höchstniveau erreicht, das in der Folgezeit nicht gehalten werden konnte. In der Weiterentwicklung zur Lehre von der "strafwürdigen Rechtswidrigkeit" schon vor dem Zweiten Weltkrieg verlor die Strafwürdigkeit wieder ihren Rang als selbständiges Straftatmerkmal 80 und wurde zu einem bloßen Attribut nunmehr der objektiven Rechtswidrigkeit. In der Form wurde diese Auffassung zur herrschenden Meinung im Schrifttum und zeitweilig auch zur Position der Rechtsprechung. 81 Die Funktion der "strafwürdigen Rechtswidrigkeit" besteht danach ausschließlich darin, bei ihrer Verneinung die Tatbestandsmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit entfallen zu lassen,82 während vereinzelt eine solche Funktion auch filr den Bereich der Schuld gefordert wird. 83 Nach allem kann als Ergebnis der vorstehend gezogenen Zwischenbilanz zu den strafrechtswissenschaftlichen Wirkungen der in der Erstauflage vorgenommenen straftatsystematischen Neuausrichtung mit ihrer Erfassung der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit als eigenständigem dritten Element des allgemeinen Verbrecherisbegriffs festgehalten werden: Die hiergegen vorgebrachte Kritik hat sich als nicht stichhaltig erwiesen, die Abwandlung übernommener Teilaspekte durch das Schrifttum als nicht weiterfilhrend, die herausgearbeitete Sachstruktur hingegen als so eindeutig, daß sie sich (zumindest partiell und zeitweilig) sogar unter den abweichenden Voraussetzungen der japanischen Strafrechtsordnung als evident durchgesetzt hat. Ein solcher Befund verpflichtet und ermutigt, von jener straftatsystematischen Neufundierung auch künftig auszugehen und sie im folgenden mit zusätzlichen Argumenten weiter abzusichern sowie ihre Vorzugswürdigkeit allseits einsichtig zu machen. Danach ist also die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit das (von der Rechtsfolge "Strafe" her gesehen primäre, in der tradierten Blickrichtung des prüfenden Vorgehens hingegen) dritte Element des allgemeinen Verbrechensbegriffs. Mit dem tatbestandsmäßigen Unrecht und der tatbestandsmäßigen Schuld stimmt sie in ihrer Struktur als "gewerteter Unwertsachverhalt" überein: Nicht jedes rechtswidrig-schuldhafte Verhalten wird von der Rechtsordnung filr strafbar erklärt, d. h. vertatbestandlicht und unter Strafan drohung gestellt. Das geschieht vielmehr nur dann, wenn ein solches Verhalten zugleich einen Angriff auf die Grundlagen des Zusammenlebens im staatlichen Gemeinwesen enthält, wenn also der sozialethische Unwert des widerrechtlich-vorwerfbaren Handeins durch diesen weiteren' Unwertsachverhalt so vertieft wird, daß er filr die 80

Asada, ZStW Bd. 97, 467.

81 Asada, ZStW Bd. 97,468. 82 Asada, ZStW Bd. 97,472 ff. 83 Asada, ZStW Bd. 97, 477 f

3. Kap.: Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit

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Rechtsgemeinschaft unerträglich ist. Das durch die Rechtsordnung gefällte Urteil der Strafwürdigkeit über einen derartigen Angriff auf die Gemeinschaftsgrundlagen konstituiert die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit als drittes Element des allgemeinen Verbrechensbegriffs. Aus der Erkenntnis, daß auch die Strafwürdigkeit als Straftatelement ein gewerteter Unwertsachverhalt und damit ebenso strukturiert wie Unrecht und Schuld ist, daß also dem Strafwürdigkeitsurteil mit dem Angriff auf die Grundlagen des Zusammenlebens ein eigener, von Schuld und Unrecht verschiedener Strafwürdigkeitssachverhalt zugrunde liegt, ergibt sich, daß man zur Analyse auch dieses Straftatelementes folgerichtig zwischen den Strafwürdigkeitsvoraussetzungen (den Prämissen jenes Unwertsachverhalts) und den Strafwürdigkeitselementen (den Bestandteilen jenes Sachverhalts selbst) zu unterscheiden hat. Fragt man dementsprechend zunächst nach den Voraussetzungen der Strafwürdigkeit, dann kommt zuallererst das Schuldprinzip in den Blick, unter dessen Herrschaft das geltende deutsche Strafrecht uneingeschränkt steht: Staatliche Strafe gibt es nur auf der Grundlage von Schuld. Da die Schuld als Straftatelement ihrerseits begrifflich das Unrecht voraussetzt, auf das sie sich bezieht, gehört deshalb zu den Prämissen der Strafwürdigkeit notwendig die Begehung einer rechtswidrigen und schuldhaften Tat. - Die zweite Voraussetzung der Strafwürdigkeit betrifft: den Täter jener Tat und läßt sich zusammenfassend umschreiben als Strafwürdigkeitsfähigkeit, d. h. als die Fähigkeit, strafwürdig zu handeln. Nach geltendem deutschen Strafrecht fällt diese Fähigkeit weitgehend mit der Schuldfähigkeit zusammen und ist deshalb in ihrer Eigenständigkeit nicht sogleich zu erkennen. Begrifflich ist diese Kongruenz jedoch eine rein zufällige: So wäre es beispielsweise denkbar, die rechtliche Verantwortlichkeit des Jugendlichen wie bisher mit vierzehn Jahren beginnen zu lassen, künftig aber auf eine in diesem Alter begangene mit Strafe bedrohte Handlung außer mit dem Schuldspruch nur mit Erziehungsmaßregeln zu reagieren und die Straffähigkeit erst an das Erreichen des sechzehnten Lebensjahres zu knüpfen. Auch die bereits geltenden Beschränkungen im Höchstmaß der Jugendstrafe nach § 18 JGG sind Ausdruck der den Jugendlichen auch bei schwerster Schuld nur eingeschränkt zuerkannten Fähigkeit, strafwürdig zu handeln. Erst wenn mit dem Vorliegen einer schuldhaft-rechtswidrigen Tat eines strafwürdigkeitsfähigen Täters die Prämissen des dritten Straftatelements gegeben sind, stellt sich die Frage nach der Strafwürdigkeit selbst. Die dieses rechtliche Unwerturteil beeinflussenden Faktoren lassen sich in "strafwürdigkeitsbegrUndende" und "strafwürdigkeitsausschließende" gliedern.

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

I. Die tatbestandliehe Strafwürdigkeitsbegründung Das in der jeweiligen Strafbestimmung beschriebene Substrat, auf das sich das Strafwürdigkeitsurteil bezieht, ist die Gemeinschaftszerstörung, der durch das Täterverhalten gefUhrte Angriff auf die Grundlagen des Zusammenlebens. Dieses Geschehen ist nachfolgend sowohl hinsichtlich des von ihm verwirklichten Unwertes als auch hinsichtlich seiner Form, der Vertatbestandlichung im Strafgesetz, in den Blick zu nehmen und auf den Begriff zu bringen.

1. Der Strafwürdigkeitsgehalt der Straftat

Der Ausdruck "Strafwürdigkeit" fmdet sich seit etwa einem Jahrhundert im strafrechtlichen Schrifttum bei der Umschreibung des Straftatunwertes; jedoch bleibt das Gemeinte zunächst weithin diffus, fuhrt jedenfalls nicht über den umgangssprachlichen Wortsinn hinaus. Alsbald gibt es dann jedoch erste Ansätze, diese Kategorie auch fUr die Straftatsystematik fruchtbar zu machen, die aber nicht weiter verfolgt werden. 84 Zwei Jahrzehnte später beginnt dann das Bemühen um eine inhaltliche Konkretisierung dessen, was mit diesem Wort bezeichnet sein soll, wobei man sich zunächst auf Einzelaspekte - wie etwa das begriffliche Verhältnis der Strafwürdigkeit zu den überkommenen Deliktsmerkmalen der Tatbestandsmäßigkeit, des Unrechts und der Schuld - beschränkt. 85 84 Die wohl ältesten und zugleich überzeugendsten Ausruhrungen zur Strafwürdigkeit als Systembegriff finden sich bei Schaffstein, Zur Problematik der teleologischen Begriffsbildung, S. 18 f., und dann vor allem in ZStW Bd. 57,297: "Da schuldhaftes Unrecht rur sich allein noch nicht strafbar ist und deshalb die Zurückfiihrung der Strafausschließungsgründe auf die Alternative: Unrechtsausschluß oder Schuldausschluß keineswegs zwingend ist, hätte es an sich nahegelegen, im teleologischen System auch die Tatbestandsmäßigkeit zu einer ,materiellen Strafwürdigkeit' weiterzubilden!" Bedauerlicherweise hat Schaffstein seinen Gedanken nicht weiter verfolgt, sondern im Interesse konsequenter "Ganzheitsbetrachtung" diesen zutreffenden systematischen Ansatz von vornherein verworfen. - Von Sauer, Allg. Strafrechtslehre, S. 19, wird die Strafwürdig· keit als gesetzgeberisches Motiv rur die Tatbestandsbildung und als richterliche Leitlinie rur die Strafzumessung verstanden. 85 Für Gallas, ZStW Bd. 67, 16 ff, ist die Strafwürdigkeit die "allgemeine Richtschnur", anhand welcher der Gesetzgeber die einzelnen Verbrechen durch Aufstellung von Typen aus dem Gesamtbereich schuldhaften Unrechts ausgelesen hat. Da alle den Unrechts- oder Schuldcharakter der Tat nicht berührenden Strafbarkeitsvoraussetzungen aus dem Verbrechensbegriff eliminiert worden sind, kann der Strafwürdigkeitsgehalt des einzelnen Verbrechens sachlich nur entweder Unrechts- oder Schuldgehalt sein (Dt. Beiträge zum VII. Internationalen Strafrechtskongreß, S. 32 Anm. 45). Ähnlich auch Schultz, SchweizZStr Bd.73, 319. - Vgl. auch Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 210: "Die Strafwürdigkeit eines Verstoßes gegen die Gemeinschaftsordnung beruht eben nicht nur auf dem sittlichen Unwert der Tat, sondern ist - diesen Unwert umfassend - als Grundlage praktischen staatlichen Strafens bedingt durch die Zwecke dieses Strafens."

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Bei diesem Entwicklungsstand der Lehre vom Verbrechen setzte die Erstauflage mit der Neufundierung der Straftatsystematik durch die Inhaltsbestimmung der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit und ihren Aufweis als eigenständiges, drittes Straftatelement ein. In erster Näherung als "gemeinschaftszerstörender Angriff auf die Grundlagen des Zusammenlebens" umschrieben, erwächst die Strafwürdigkeit als Straftatelement immer nur auf der Grundlage von tatbestandsmäßigem Unrecht und tatbestandsmäßiger Schuld. Das Vorliegen dieser beiden Straftatelemente ist damit offenbar notwendige Bedingung rur das Entstehen der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit. Ihrem Unwertgehalt nach existiert die Strafwürdigkeit des betroffenen rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens immer schon vor ihrer Vertatbestandlichung86 und gibt damit überhaupt den Anstoß rur den Gesetzgeber zur Prüfung der Frage, ob er dieses Verhalten unter eine Strafandrohung stellen soll. Zum Straftatelement wird dieser Unwert aber erst mit seiner strafgesetzlichen Fassung zur tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit. Auch in dieser Ausformung durch das Strafgesetz folgt die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit jedoch keineswegs zwingend allein schon aus dem Gegebensein von tatbestandsmäßigem Unrecht und tatbestandsmäßiger Schuld. 87 Vielmehr ist, "da nicht jedes, sondern nur das ,strafwürdige' schuldhafte Unrecht Verbrechen ist",88 im Gesamtunwert einer jeden Straftat ein eigenständiger, zu Unrecht und Schuld hinzukommender und durch deren Unwertgehalte als solche allein eben noch nicht erklärter sozial ethischer Unwertsachverhalt vorhanden: der "Strafwürdigkeitsgehalt der Tat, durch den sich überhaupt erst das verbrecherische vom sonstigen Unrecht unterscheidet.,,89 Finden sich auch derartige Hinweise, daß nur strafwürdiges Verhalten zu bestrafen sei, im strafrechtlichen Schrifttum in großer Zahl, und sind sie als solche unbestritten, so bleibt doch fast ausnahmslos offen, nach welchen Kriterien es sich richten soll, daß ein Verhalten als strafwürdig zu beurteilen sei. Der Umstand, daß in vielen Strafvorschriften über die Unrecht und Schuld individualisierenden Merkmale 86 So jetzt auch Schlehofer, Vorsatz und Tatabweichung, S. 10. 87 Anders Jescheck, Alig. Teil, S. 44 f., demzufolge "die Strafwürdigkeit von drei Va-

riablen (Wert des Rechtsguts, Gefährlichkeit des Angriffs und Verwerflichkeit der Tätergesinnung) abhängt". Diese drei Variablen charakterisieren jedoch wiederum nur den jeweiligen Unrechts- und den Schuldgehalt der Tat, nicht hingegen ihren Strafwürdigkeitsgehalt als einen eigenständigen Unwert. Der aber kann trotz größten Unrechts und schwerster Schuld i. S. der drei Variablen aus strafwürdigkeitsspezifischen Gründen ausgeschlossen sein, wie z. B. beim strafbefreienden Rilcktritt vom Mordversuch gern. §§ 211,22,24 Abs. 1 S. 1. - Entsprechend anders auch Krümpelmann, Bagatelldelikte, S. 62 ff., der wegen des ihm fehlenden Strafwilrdigkeitsbegriffs den Bagatellcharakter einer Tat nur in der Geringfiigigkeit von Unrecht oder Schuld zu finden vermag. 88 Gallas, ZStW Bd. 67, 16. 89 Gallas, ZStW Bd. 67,23.

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hinaus weitere nicht ersichtlich sind, hat zu der verbreiteten Fehlannahme gefUhrt, daß der Strafwürdigkeitsgehalt der Tat dann nur aus der Summe von Unrechts- und Schuldgehalt bestehen könne. Die Unhaltbarkeit dieser Meinung zeigt sich aber bereits in der Existenz zahlreicher Straftaten, bei denen (wie z. B. beim Bankrott gemäß § 283 Abs. I) erst das Hinzukommen eines weiteren, von Unrecht und Schuld begrifflich unabhängigen Unwertsachverhalts (hier: gemäß § 283 Abs. 6 die Zahlungseinstellung, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Ablehnung des Eröffnungsantrags mangels Masse) die betroffene Straftat begründet. Bestünde nämlich bei den zuvor genannten Straftaten der Strafwürdigkeitsgehalt aus der bloßen Summe von Unrechtsgehalt und Schuldgehalt, so käme bei der zuletzt genannten Deliktsgruppe etwas qualitativ anderes hinzu mit der Folge, daß sich diese völlig heterogenen Unwertgehalte nicht in einem Begriff der Strafwürdigkeit vereinen ließen. Besteht der Strafwürdigkeitsgehalt hingegen auch bei den zuerst genannten Straftaten nicht in der bloßen Summe von Unrechts- und Schuldgehalt, sondern hat er ein eigenes, zwar aus der Grundlage von Schuld und Unrecht erwachsendes, von diesen aber begrifflich verschiedenes Substrat, dann kann dieses zwanglos - wie in der zuletzt genannten Deliktsgruppe geschehen - um ein substratgleiches Element in einem und demselben Begriff der Strafwürdigkeit erweitert werden: Der durch das Beiseiteschaffen von Vermögensbestandteilen in der Krise gefUhrte Angriff auf die Grundlagen des Zusammenlebens erschüttert diese nochmals stärker, wenn tatsächlich das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Bei einer wiederum anderen Deliktsgruppe entfällt unter bestimmten Voraussetzungen, die ihrerseits Unrecht und Schuld der Tat unberührt lassen, die Strafwürdigkeit, so daß deren Unwertgehalt schon deshalb nicht aus der Summe von Unrechts- und Schuldunwert bestehen kann. Als Beispiel dafUr sei die fahrlässige Brandstiftung (§ 306 d) unter den Voraussetzungen der tätigen Reue gemäß § 306 e Abs.2 genannt. Bei dem Strafwürdigkeitsgehalt der Straftat muß es sich also um etwas anderes handeln als um die bloße Addition von Unrechts- und Schuldgehalt der betreffenden Tat. Zudem sind Unrecht und Schuld, wie die Straflosigkeit des meisten schuldhaften Unrechts zeigt, ohne Bezug auf Strafe erschöpfend erklärbar, und umgekehrt ist auch die Strafwürdigkeit zwar nur auf der Grundlage schuldhaften Unrechts möglich, jedoch ihrem Begriff nach qualitativ von Unrecht und Schuld verschieden und in ihrem Gewicht von beiden gleichermaßen potentiell unabhängig wie die Schuld vom Unrecht, d. h. das Gewicht der Strafwürdigkeit einer Tat kann überwiegend durch Faktoren bestimmt werden, die mit Schuld und Unrecht dieser Tat nichts zu tun haben: Was ändert sich an Schuld und Unrecht eines Diebstahls von einem Stück Käse im Wert von 79 Pfennig,90 wenn 90 Vgl. hierzu den Vorlagebeschluß des Amtsgerichts Herford und die Bestätigung der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung durch das Bundesverfassungsgericht (unter Berufung auf seine ständige Rechtsprechung) in BVerfDE 65, 179 ff.

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diese Tat in dem einen Fall von einem Ersttäter, in dem anderen Fall hingegen von einem Täter begangen wird, der bereits mehrfach wegen vorsätzlicher DeliIete zu Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, mindestens drei Monate davon verbüßt hat und sich die Vorverurteilungen vorwertbar nicht hat zur Warnung dienen lassen (Rückfall gern. § 48 in der bis zum Inkrafttreten des 23. StrÄndG vom 13.4.1986, BGBI. I, 393, geltenden Fassung)? Nichts! Vielmehr weist die Bestätigung der extremen gesetzlichen Strafverschärfung filr den Rückfalltäter durch das Bundesverfassungsgericht auf, daß der innere Grund rur die so massiv höhere Strafe gerade nicht in Unrecht und Schuld liegen kann, die in bei den Fällen gleich sind, sondern daß die unverhältnismäßig höhere Stratbarkeit in einer gegenüber Schuld und Unrecht begrifflich selbständigen Steigerung des deliktischen Unwertgehaltes begründet sein muß, eben: in der Steigerung der Strafwürdigkeit. 91 Das Vorhandensein eines solchen - nur vom Begriff der Strafe her verstehbaren - Unwertgehaltes im Verbrechensunwert kann nicht überraschen; denn bei unbefangener Betrachtung ist es von vornherein kaum vorstellbar, daß man den Unwertgehalt der Straftat ohne Berücksichtigung des Stratbegriffs sollte sachgerecht und erschöpfend erfassen können. Auch der Gesetzgeber geht, wenn er die Straftat "schafft", seinerseits vom Stratbegriff aus bei der Bestimmung desjenigen wertwidrigen Verhaltens, auf das mit Strafe reagiert werden soll. Er wählt aus dem Gesamtbereich des sozialethisch verwerflichen Tuns das strafwürdige aus, und folglich muß sich dieser spezifische Unwertgehalt, der den Gesetzgeber zur Androhung der Strafe motiviert hat, in der Straftat selbst wiederfinden. Die Inhaltsbestimmung dieses rur den Verbrechensbegriff spezifischen, zum Unrechts- und zum Schuldgehalt hinzukommenden Unwertsachverhaltes der Strafwürdigkeit92 muß danach also von einer Besinnung auf den Begriff der Strafe ausgehen. 93 Sie ergibt, "daß die Strafe als Vergeltung in malam partem der Idee nach ein Übel auferlegt in einem höheren geistigen Zusammenhang, der begründet wird durch die sittlich mißbilligenswerte Tat, auf die reagiert wird, und durch die in Form und Inhalt sittlich billigenswerte Art, in der reagiert wird.,,94 Damit ist auch der Unwertgehalt der Straftat bereits ansatzweise umschrieben; denn die vergeltende Auferlegung eines Übels kann überhaupt nur dann sittlich billigenswert sein, wenn sie zur Erhaltung eines sehr hohen Wertes unumgänglich ist. "Es geht hier um den Wert des gedeihlichen Gemeinschaftslebens, also um ein vitales Gut rur uns alle, die wir in der und von der Gemein91 Die zwischenzeitlich erfolgte Aufhebung der Rückfallvorschrift des § 48 durch den Gesetzgeber ändert an dieser Einsicht nichts, sondern bestätigt nur die triviale Erkenntnis des fortlaufenden Wandels seiner Strafwürdigkeitseinschätzungen. 92 Gegenüber jeglichem materialen Strafwürdigkeitsbegriff ablehnend hingegen Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 75. 93 Vgl. hierzu im einzelnen Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, S. 30 ff. 94 Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, S. 34.

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schaft leben.,,9s "Es sollen also durch das Strafen unerträgliche Störungen des Gemeinschaftslebens möglichst verhütet werden, d. h. jedenfalls soll sich das durch die Strafdrohung als verbrecherisches Verhalten gekennzeichnete Tun nicht offen behaupten können.,,96 So sind im Begriff der Strafe Wert- und Zweckmomente97 in untrennbarer Verschmelzung vorhanden (und je nachdem, welche von beiden gerade im Blickpunkt stehen, spricht man daher von "Strafwürdigkeit" oder von "Strafbedürftigkeit" des betreffenden Verhaltens): Die Strafe schützt die Grundlagen des Zusammenlebens in der Rechtsgemeinschaft und wird deshalb als sittlich wertvoll erlebt. "Und sie erfüllt ihren Zweck, wenn sie das Verbrechen auf einen Umfang zurückdrängt, der das Ganze des Gemeinschaftslebens nicht mehr sonderlich beunruhigt.,,98 Strafwürdig ist daher dasjenige Verhalten, welches jene Grundlagen angreift und deshalb zurückgedrängt werden muß, und zwar in dem Maße, in dem es jene Grundlagen erschüttert und deshalb zu ihrer Restabilisierung der Zurückdrängung bedarf. Für diesen Unwert und den Grad seiner Unerträglichkeit sind zwar auch Schuld und Unrecht der Tat mitprägend; wie jedoch die angefiihrten Beispiele - etwa zu den Insolvenzdelikten und zu den im Rückfall begangenen Straftaten - gezeigt haben, können die Gemeinschaftsgrundlagen stärker erschüttert und kann die Beunruhigung größer sein, als Unrecht und Schuld allein es zu erklären vennögen. Gerade dieses Fehlen einer völligen Entsprechung von Unrecht und Schuld einer Straftat einerseits und ihrer Strafwürdigkeit andererseits erweist erneut das Vorhandensein dieses dritten, nur vom Stratbegriff her erfaßbaren Unwertelementes des Verbrechens und widerlegt zugleich die entgegengesetzten Meinungen, denen zufolge die Strafwürdigkeit nichts anderes sei als die Summe aus deliktischem Unrechts- und Schuldgehalt. Da der Nachvollzug dieser Einsicht manchen doch Schwierigkeiten zu bereiten schien, wurde zur Veranschaulichung vorstehend bereits auf das begriffliche Verhältnis der Schuld zum Unrecht verwiesen, das völlig dem Verhältnis der Strafwürdigkeit zur Schuld (und mittelbar zum Unrecht) korrespondiert; auch das Straftatelement der Schuld verliert durch sein Bezogensein auf das zugrunde liegende Unrecht und seine dadurch bedingte Mitprägung nicht seinen Charakter als vom Unrecht begrifflich verschiedener Unwertgehalt. Daß es sich ganz entsprechend auch bei der Strafwürdigkeit um einen qualitativ anderen und damit begrifflich eigenständigen, wenngleich durch sein Bezogensein auf Schuld und Unrecht auch aus diesen erwachsenden Unwert handelt, sei abschließend nochmals, und zwar durch 9S Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, S. 65, demzufolge allerdings das Strafen auch zur Erhaltung dieses Wertes nicht als sittlich geboten erscheint und damit gemäß seiner Begriffsbestimmung "sinnlos" ist. 96 Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, S. 62; ähnlich schon Hellmuth Mayer, DStR 1938, 84, der als Strafwürdigkeitskriterium das "unerträgliche Beispiel" anfUhrt. 97 Freund, GA 1995, 9 Fn. 19. 98 Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, S. 64.

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ein außerstrafrechtliches Vergleichsbeispiel, zu erhellen versucht. Wenn ein zuvor guter Schüler ein ganzes Jahr lang nur mangelhafte Klassenarbeiten schreibt und sich dann herausstellt, daß er durchgängig faul gewesen ist, dann werden das Leistungsdefizit und seine Vorwerfbarkeit in der Regel dazu filhren, ihm die Versetzung zu versagen. Die Versetzungsunflihigkeit - als drittes Negativumhat (filr sie begriffsnotwendige) Entstehungsgrilnde in der Faulheit und dem objektiviertem Versagen des Schülers, ist jedoch ein qualitativ davon verschiedener, selbständiger Sachverhalt mit dem darauf gestützten Urteil. Dieser nur von der Folge des Sitzenbleibenmüssens her verstehbare Unwert wird zusätzlich auch durch ganz andere Faktoren mitgeprägt, wie z. B. durch bevorstehende Veränderungen in den Lebensumständen des Schillers, durch seinen Entschluß, künftig wieder gute Leistungen zu erbringen, durch die Einschätzung des Lehrers hierzu wie auch zu der Frage, ob der Schüler trotz der entstandenen Wissens lücken in der nächsten Klasse mit Aussicht auf Erfolg wird mitarbeiten können, und dergleichen mehr. Nicht nur die Beurteilungsgrundlage reicht somit weit über das vorwerfbare Versagen des Schillers in der Vergangenheit hinaus, sondern der Beurteilungsgegenstand ist ein qualitativ anderer. Hat nach allem die Strafwürdigkeit einen eigenen, von dem der Schuld und dem des Unrechts verschiedenen Unwertgehalt, so zeigt sich ihre Eigenständigkeit als Straftatelement überall dort, wo filr sie spezifische, durch Schuld und Unrecht gerade nicht erklärbare Rechtsfolgen an sie anknüpfen. 99 In ersten Beispielen ist das vorstehend unter anderem filr den Rückfall (§ 48 a. F.), die Insolvenzstraftaten (§§ 283 ff.) oder den Vollrausch (§ 323 a) bereits aufgewiesen worden. Weiterhin offenbart sich die Rechtsfolgenrelevanz der Strafwürdigkeit im Bereich der Strafzumessung: Daß etwa die "gewohnheitsmäßig" begangene Jagdwilderei (§ 292 Abs. 1,2 Nr. 1) in der Regel als besonders schwerer Fall erheblich schärfer bestraft wird, ergibt sich nicht aus dem Unrecht (die einzelne Hang-Tat ist filr das betroffene Rechtsgut nicht konkret geflihrlicher) und schon gar nicht aus der Schuld dieser Einzeltat (die sogar infolge der hangbedingt abgebauten Hemmungen des Täters geringer sein kann als bei einer ohne einen solchen Hang begangenen Vergleichstat), sondern allein aus der stärkeren Erschütterung der Gemeinschaftsgrundlagen durch einen solchen Angriff aus einem Hang heraus, der aus der wiederholten Begehung derartiger Straftaten erwachsen ist. Und natürlich zeigt sich der Zusammenhang von Strafwürdigkeit und Straffolgen auch im Reagieren des Gesetzgebers auf einschlägige Entwicklungen im Verhalten der Rechtsgesellschaft: So fUhrt etwa das Überhandnehmen eines Verbrechens regelmäßig zu einer Erhöhung zunächst der verhängten Strafen und nach einer gewissen Zeit auch der Strafdrohung; Unrecht und Schuld der jeweiligen Einzeltat werden durch die Häufung ihrer Begehung nicht 99 Eine strafrahmenorientierte Gesetzesauslegung, deren inhaltliche Berechtigung Kudlich, ZStW Bd. 115, 15 ff., aufgewiesen hat, kann sie deshalb nicht übergehen.

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im mindesten berührt, und doch tangieren diese Taten durch ihr massives Auftreten das Fundament des gedeihlichen Zusammenlebens stärker als zuvor, der Strafwürdigkeitsunwert der einzelnen Tat ist infolgedessen höher und erfordert deshalb eine schärfere Ahndung. Gibt es also staatliche Strafe immer nur auf der Grundlage von Schuld und Unrecht, so sind doch nicht deren Unwertgehalte als solche letztlich maßgebend rur diese Rechtsfolge, sondern entscheidend ist allein der Unwertgehalt der Strafwürdigkeit, die gerade hierin ihre Eigenständigkeit als drittes Element des allgemeinen Verbrechens begriffs erweist. Gewisse Einwendungen gegen dieses Ergebnis sind voraussehbar und sollen deshalb sogleich diskutiert werden. So könnte etwa bestritten werden, daß es eines die Strafwürdigkeit mitumfassenden Straftatbegriffs überhaupt bedarf. Hierauf wäre zu erwidern, daß beispielsweise Art. 103 Abs. 2 GG einen solchen Straftatbegriff voraussetzt; in den Merkmalen, die den Unwertgehalt betreffen, muß die Tat vor ihrer Begehung gesetzlich bestimmt sein. Aus welchem Grund der Verbrechensbegriff auf einen Teil der materiell-rechtlichen Stratbarkeitsvoraussetzungen beschränkt werden und gerade das spezifisch Strafrechtliche der Straftat, das Element der Strafwürdigkeit, herausgebrochen werden sollte, ist unerfindlich. - Des weiteren könnte eingewendet werden, daß die Strafwürdigkeit kein Element des Verbrechens, sondern lediglich ein Ausleseprinzip rur die Tatbestandsbildung sei. Wenn aber aus dem schuldhaften Unrecht unter einem sachlichen Gesichtspunkt ausgewählt wird, dann muß dieses Auswablkriterium logisch zwingend einmal von Unrecht und Schuld selbst verschieden sein und zum anderen im ausgewählten Gegenstand, dem Verbrechen, sich als Element wiederfinden. 100 - Schließlich könnte die überlieferte und deshalb - weil "bewährt" - vermeintlich richtige Einordnung der selbständigen Strafwürdigkeitselemente unter anderen Systemkategorien der hier skizzierten Systematik entgegengehalten werden. Wird die Eigenständigkeit der Strafwürdigkeit als Verbrechenselement verkannt, so sind primär die selbständigen Strafwürdigkeitselemente in der Verbrechenssystematik heimatlos, und man ist zu einer sachwidrigen systematischen Einordnung derselben genötigt: 101 So sind die selbständigen Strafwürdigkeitsmerkmale im Schrifttum beim Unrecht, bei der Schuld wie auch - in einer Fülle von Spielarten - außerhalb der Verbrechenselemente in einer Zwischenzone zwischen den materiellen und den prozessualen

100 Die treffenden Ausfiihrungen von Gallas, ZStW Bd. 67, 16 ff., zum Verhältnis von Strafwürdigkeit und Typus gelten in gleicher Weise fiir das Verhältnis von Unrecht bzw. Schuld und Typus und sprechen daher nicht gegen die Anerkennung der Strafwürdigkeit als eigenständiges Sachelement des Verbrechens. 101 Vgl. fiir andere Bemmann, Objektive Bedingungen der Strafbarkeit, S. 28 ff. - In ähnlicher Weise wurden die selbständigen Schuldelemente (wenn auch nicht auf Grund eines fehlenden, so doch) auf Grund eines verfehlten Schuldbegriffs als Unrechtsbestandteile angesehen, bis man diese Qualifizierung als falsch erkannte und sich infolgedessen zu einer Revision jenes Schuldbegriffs gezwungen sah.

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Strafbarkeitsvoraussetzungen eingeordnet worden. Beispielsweise wurde die Ansicht vertreten, daß erst die Nichterweislichkeit der Wahrheit einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung die Tatbestandsmäßigkeit (und damit das Unrecht) der betreffenden Ehrverletzung begründe; 102 daß die gewohnheitsmäßig begangene Tat einen erhöhten Schuldgrad aufweise; 103 daß die sog. objektiven Bedingungen der Strafbarkeit, wie etwa die Scheidung der Ehe wegen Ehebruchs (§ 172 a. F.), "mit der verbrecherischen Handlung selbst und deren Bestandteilen nichts zu tun haben, vielmehr getrennt von dieser ins Auge gefaßt werden müssen."I04 Dieses Zerreißen von inhaltlich Zusammengehörendem ist ein Ausdruck der Verlegenheit, in der man sich infolge fehlender Anerkennung der Systernkategorie "Strafwürdigkeit" befand und weithin immer noch befmdet. Die verstreute Einordnung der selbständigen Strafwürdigkeitsmomente innerhalb und außerhalb der Verbrechenselemente hält jedoch einer kritischen Überprüfung nicht stand: Ihre Kennzeichnung als Unrechts- und als Schuldbestandteile ist mit einem auch materiell verstandenen Unrechts- bzw. Schuldbegriff unvereinbar. Die Zusammenfassung der offensichtlich weder dem Unrecht noch der Schuld zuzuordnenden Strafwürdigkeitselemente als "objektive Bedingungen der Strafbarkeit" schafft keinen positiv bestimmten Systembegriff, sondern nur einen Sammelnamen für diejenigen Merkmale, deren anderweitige Einordnung mit Hilfe der überkommenen Kategorien unmöglich ist und über die inhaltlich nichts ausgesagt wird, als "daß sie unter sich wenig einheitlichen Charakter tragen,,105 und sich daher angeblich nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. Erst die Anerkennung der Strafwürdigkeit als eigenständiges Verbrechenselement neben Unrecht und Schuld ermöglicht die systematisch richtige und von der Natur dieser Merkmale her geforderte Integration in den Verbrechensbegriff; erst dadurch sind die das Verbrechen als Gegenstand des Strafverfahrens betreffenden gesetzlichen Merkmale rechts inhaltlich und eindeutig von den lediglich das Verfahren selbst betreffenden abgegrenzt.

a) Der von Unrecht und Schuld abhängige Strafwürdigkeitsgehalt

Begriffsnotwendige Voraussetzungen der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit als drittem Element des allgemeinen Verbrechens begriffs sind, wie vorstehend gezeigt, die tatbestandsmäßige Schuld und das tatbestandsmäßige Unrecht. Ob ein Verhalten die Grundlagen des Zusammenlebens in der Rechtsgemeinschaft angreift und damit so unerträglich ist, daß sein offenes Sichbehaupten unWelzel, Strafrecht, S. 313 f. Schönke/Schröder, StGB, Vorbern. 53 vor § 73. 104 v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 294, als Beispiel rur die seinerzeit herrschende Meinung. 105 Mezger, Lehrbuch, S. 179. 102 103

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ter Einsatz der Strafe (als ultima ratio unter den staatlichen Sanktionsmitteln) verhindert werden muß, richtet sich primär nach der Verwerflichkeit der unrechtlichen Gesinnung des Täters und damit mittelbar nach der Schwere des von ihm. begangenen Unrechts. Der Unrechtsgehalt und der Schuldgehalt einer Straftat sind als solche nicht rur die Frage der Strafbarkeit entscheidend (mit der Feststellung, daß beide vorliegen, ist entgegen dem äußeren Anschein niemals auch schon die Strafbarkeit festgestellt), sondern nur in ihrer Funktion rur die Mitbegründung des Strafwürdigkeitsgehaltes der Tat haben sie (insoweit dann aber auch maßgebend) Relevanz rur die Strafbarkeit. Auch der Unwertgehalt der Strafwürdigkeit ist - wie der von Unrecht und Schuld - ein quantifizierbarer Begriff. Sein Gewicht richtet sich nach dem Grad der vergeltungs bedürftigen Erschütterung der Gemeinschaftsgrundlagen durch die Tat und bestimmt damit auch das Maß der zur Restabilisierung erforderlichen staatlichen Reaktion. Inwiefern ist die Strafwürdigkeit "abhängig von Schuld und Unrecht" der Tat? Zur Beantwortung dieser Frage ist zuerst daran zu erinnern, daß jedenfalls im Ergebnis darüber weitestgehend Konsens besteht, daß Unrecht und Schuld einer Tat ihre Strafwürdigkeit maßgebend mitbestimmen, jedoch kontrovers ist, ob dies durch eine bloße Aufsummierung ihrer Unwertgehalte geschieht oder durch Genese eines weiteren, begrifflich eigenständigen Unwerts. Die Argumente rur die Richtigkeit der zuletzt genannten Auffassung sind vorstehend aufgewiesen worden. Als weiterer Grund rur die begriffliche Eigenständigkeit der Strafwürdigkeit ist zu nennen, daß ohne sie die gesetzlichen Strafandrohungen sich strikt am Gewicht von Unrecht und Schuld der jeweiligen Tat auszurichten hätten und darüber hinaus der Gesetzgeber im Hinblick auf die Verfassungspostulate des Schuldprinzips und des Gleichheitssatzes gezwungen wäre, alles schuldhaft begangene Unrecht von gleichem Gewicht unter die gleiche Strafandrohung zu stellen. Nichts davon ist der Fall. Statt dessen richtet sich die Strafandrohung de lege lata wie de lege ferenda nach der Strafwürdigkeit. Diese ist zwar wesentlich auch von Schuld und Unrecht abhängig, aber abhängig vom Maß der Schuld (und indirekt von dem des Unrechts) ist nicht das Ob, sondern lediglich der Grad der Strafwürdigkeit. Das gedeihliche Zusammenleben wird zwar durch jede rechtswidrige und schuldhafte Handlung gestört, jedoch keineswegs immer auch in seinen Grundlagen angegriffen. Ob eine solche vergeltungsbedürftige Erschütterung der Gemeinschaftsgrundlagen erfolgt, d. h. ob die Tat strafwürdig ist, das hängt eben nicht allein von dem Gewicht der Schuld und der Größe des begangenen Unrechts ab. So ist z. B. der bewußte Vertragsbruch zum Zweck schwerer wirtschaftlicher Schädigung als solcher nach Auffassung des Gesetzgebers nicht strafwürdig, während ein in Unrecht und Schuld vergleichsweise unbedeutender Diebstahl einer geringwertigen Sache als strafwürdig erachtet wird. Über das Ob der Strafwürdigkeit entscheidet somit nicht das Gewicht, sondern die Art von Schuld und Unrecht im Rahmen einer Vielzahl von (häufig historisch bedingten) Werterwägungen und Zweckaspekten. So

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werden vielfach einzelne Arten der Verletzung eines Rechtsgutes als Angriff auf die Gemeinschaftsgrundlagen gewertet, andere gleich schweren Unrechts hingegen nicht. Beispielsweise werden von den Eigentumsverletzungen, die durch einen unbefugten Gebrauch fremder Sachen begangen werden, nur Gebrauchsanmaßungen von Fahrzeugen (§ 248 b) und von Pfandsachen (§ 290) als strafwürdig eingeschätzt, hinsichtlich der Fahrzeuge nochmals eingeschränkt auf nicht schienengebundene Kraftfahrzeuge und Fahrräder, also innerhalb der gleichen Verletzungsart nach Tatobjektsgruppen, während der unbefugte Gebrauch anderer, im Einzelfall auch viel höherwertiger Sachen nicht als strafwürdig erachtet wird. Nicht selten erscheint der Rechtsgemeinschaft eine unerlaubte und mit Vorsatzschuld ausgeführte Tat als solche noch ertragbar, während das gleiche Handeln im Falle einer Schuldsteigerung durch die zusätzliche Erfüllung eines besonderen Schuldmerkmals als strafwürdig erlebt wird. So ist etwa ein als Hehlerei (§ 259) in der Begehungsform des Sichverschaffens eingestufter Angriff auf die Grundlagen des Zusammenlebens keineswegs jeder kollusiv erfolgende Erwerb eigener VerfUgungsmacht über eine durch eine Vermögensstraftat erlangte Sache (Hehlereiunrecht), und zwar auch nicht, wenn er mit Unrechtsbewußtsein, also in der Schuldform des Vorsatzes geschieht - mag das Gewicht dieses Unrechts und dieser Schuld auch noch so hoch sein -, sondern erst eine ein solches Handeln motivierende Bereicherungsabsicht (d. h. ein subjektives Merkmal, das kein Unrechtsbestandteil ist, nämlich nicht zur tatbestandsmäßigen Rechtsgutsverletzung gehört, sondern ein selbständiges Schuldelernent, das ausschließlich die Verwerflichkeit der unrechtlichen Gesinnung erhöht) hebt den Gesamtunwert über die Strafwürdigkeitsschwelle und macht es zur Straftat der Hehlerei. Wo aber durch eine schuldhaft begangene rechtswidrige Tat diese kritische Schwelle von der bloßen Störung des gedeihlichen Zusammenlebens zur Erschütterung der Gemeinschaftsgrundlagen erst einmal überschritten ist, da besteht (zwar kein ausschließliches, aber) ein unmittelbares Abhängigkeitsverhältnis der Strafwürdigkeit vom Schuld- und Unrechtsgehalt der Tat: Bei verbleibender Möglichkeit einer Abwandlung durch selbständige Strafwürdigkeitselemente ist die gefiihrliche Körperverletzung (§ 224) höher strafwürdig als die einfache (§ 223), unter den folgenschweren Körperverletzungen ist die die schwere Folge absichtlich herbeiführende (§ 226 Abs. 2) höher strafwürdig als die, bei der diese Folge unbeabsichtigt und ohne sichere Voraussicht bewirkt wird (§ 226 Abs. 1), und die mit aktuellem Unrechtsbewußtsein vorgenommene Körperverletzung (§§ 223 ff.) ist jeweils höher strafwürdig als diejenige, bei der der Täter die fiir ihn bestehende Möglichkeit zur Unrechtseinsicht nicht aktualisiert hatte (§ 229). Auch bei dieser Auffassung des Straftatunwertes primär als Strafwürdigkeitsgehalt und der damit verbundenen Anerkennung und Einordnung der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit als eigenständiges Element im allgemeinen

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

Verbrechensbegriff behalten Schuld und Unrecht ihre genuin teleologische Funktion in der Straftatsystematik. Lediglich die tradierte Blickrichtung muß umgekehrt werden l06 , um zu sehen, wie die Strafe durch den Strafwürdigkeitsunwert, dieser primär durch den Schuldgehalt und der wiederum primär durch das Unrecht bestimmt wird, auf das er sich bezieht. In dieser Abhängigkeitskette also ist der Straftatunwert durchgängig teleologisch gegliedert, gleichsam vertikal, nicht hingegen als bloße Summe von nebeneinander stehenden Einzelunwerten. Ein Gespür rur diesen zur sachgerechten Erfassung der Strafwürdigkeit notwendigen Wechsel der Perspektive scheint auch in der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Ausdruck zu kommen. Es flilIt auf, daß durchgängig mit der Nennung der Strafwürdigkeit deren Abhängigkeit von der Schuld herausgearbeitet wird. So wird etwa festgestellt, daß mit der verminderten Schuldfähigkeit auch der SchuldgehaIt und damit die Strafwürdigkeit der Tat verringert ist. 107 Ist bei einem qualifizierten Delikt die mit der Qualifikation typisierte Schuldsteigerung im konkreten Fall nicht gegeben, dann ist auch die Strafwürdigkeit nicht erhöht. 108 Wird umgekehrt die unrechtliche Gesinnung einer vorsätzlichen Tötung durch die Erfiillung eines Mordmerkmals in ihrer Verwerflichkeit gesteigert, ist mit dieser schwereren Schuld auch die Strafwürdigkeit erhöht. l09 Entsprechendes gilt, wenn das größere Gewicht der Schuld sich aus ihrem Bezug auf eine schwerer wiegende Form des Rechtsgutsangriffs herleitet I \0 oder aber aus dem Mißbrauch von Kindern zur Durchruhrung des Verbrechensvorhabens. 111

b) Die selbständigen Strafwürdigkeitselemente

Der StrafwürdigkeitsgehaIt der Straftat ist, wie vorstehend aufgewiesen, unmittelbar von deren Schuldgehalt und dadurch mittelbar von ihrem Unrechtsgehalt abhängig, als Angriff auf die Grundlagen des Zusammenlebens hingegen in

106 Obwohl trivial, sei nochmals daran erinnert, daß die wissenschaftlich sachgerechte Blickrichtung bei der Analyse des allgemeinen Verbrechensbegriffs nicht die Reihenfolge der Prüfungsschritte bei der (vornehmlich der Arbeitsökonomie und ähnlichen Zweckmäßigkeitserwägungen verpflichteten) Fallbegutachtung in Ausbildung und Strafrechtspraxis präjudiziert, deren Erfordernisse durchaus das Beibehalten der überkommenen, mit der Frage nach dem tatbestandsmäßigen Unrecht beginnenden Prüfungsreihenfolge als geboten erscheinen lassen kann. 107 BGH bei Holtz, MDR 1993, 6. 108 BGHSt 40, 251, 255. 109 BGHSt 39, 159, 161. 110 BGHSt 44, 361, 366. 111 BGHSt45, 373, 375.

3. Kap.: Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit

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seiner Unwertqualität vom Schuld- und vom Unrechtsunwert verschieden und begrifflich eigenständig. Bestimmen also immer primär Schuld und Unrecht den deliktischen Strafwürdigkeitsgehalt, d. h. ist nur auf dieser Basis eine strafwürdige Tat überhaupt möglich, so gibt es außer diesen rur jede Straftat begriffsnotwendigen sog. abhängigen Strafwürdigkeitselementen die sog. selbständigen Strafwürdigkeitselemente. Das sind Geschehensmomente, die unabhängig von Unrecht und Schuld die durch diese bewirkte Erschütterung der Gemeinschaftsgrundlagen noch intensivieren. 112 Die selbständigen Strafwürdigkeitselemente begründen Strafwürdigkeit also immer nur in Verbindung mit dem von Schuld und Unrecht abhängigen Strafwürdigkeitsgehalt, indem sie entweder den Unwert eines das gedeihliche Zusammenleben zunächst lediglich störenden rechtswidrig-schuldhaften Verhaltens über die Strafwürdigkeitsschwelle hinaus steigern (so z. B. gemäß § 283 die Eröffuung des Insolvenzverfahrens nach der Vornahme einer Bankrotthandlung) oder indem sie die schon vom rechtswidrigschuldhaften Verhalten bewirkte Erschütterung der Gemeinschaftsgrundlagen noch weiter verstärken (so z. B. die Bandenmäßigkeit der Begehung bei der Bandenhehlerei gemäß § 260 Abs. 1 Nr. I). Die Gründe, aus denen das Vorliegen selbständiger Strafwürdigkeitselemente jeweils zur Steigerung des aus Schuld und Unrecht erwachsenden Strafwürdigkeitsunwerts filhrt, sind unterschiedlich. Lediglich als Beispiele seien hier genannt etwa eine erhöhte abstrakte Gefährlichkeit l13 über das Unrecht der begangenen Einzeltat hinaus rur den Gesamtbereich des tatbestandlich geschützten Rechtsgutes, so durch die Bandenmäßigkeit der Begehung wie bei der zuvor erwähnten Bandenhehlerei (§ 260 Abs. 1 Nr. 1) oder durch das Handeln aus einem infolge wiederholter Begehung gerade dieser Straftat entwickelten Hang zur künftigen Begehung eben dieser Straftaten heraus, wie beispielsweise bei der gewohnheitsmäßigen Jagdwilderei (§ 292 Abs. 1 und 2 S.2 Nr. 1 Var.2). Als selbständiges Strafwürdigkeitselement liegt jenseits des tatbestandlichen Unrechts auch das Schaffen einer abstrakten Gefahr rur besonders wichtige Rechtsgüter, vor allem rur das menschliche Leben, wie z. B. bei der schweren Brandstiftung (§ 306 a Abs. 1 Nr. 1) durch Inbrandsetzen eines Gebäudes, welches zur Wohnung von Menschen dient; im Gegensatz zur konkreten Gefahrdung, die die tatbestandsmäßige Form des Angriffs auf das geschützte Rechtsgutsobjekt beschreibt, benennt der Unbegriff der "abstrakten Gefahr" keinen Unrechtsbestandteil, 114 sondern nur das im Wissen des Gesetzgebers um das ty112 Die inhaltlich gleichartigen, die Erschütterung der Gemeinschaftsgrundlagen mindernden Geschehensmomente fuhren zu einem partiellen Ausschluß der Strafwürdigkeit und werden deshalb dort erörtert. 113 Überzeugend die Zurückweisung der pauschalen Kritik an den abstrakten Gefährdungsdelikten durch Kuhlen, GA 1994, 362 ff. 114 Ein solches selbständiges Strafwürdigkeitselement wie die "abstrakte Gefährlichkeit" verändert seine straftatsystematische Funktion nicht dadurch, daß der Gesetzgeber

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

pischerweise gerade mit solchem Unrecht häufiger verbundene Entstehen derartiger Gefahren begründete und in der Strafvorschrift zum Ausdruck gebrachte Motiv, diese Taten durch eine höhere als der einer allein durch Unrecht und Schuld fundierten Strafwürdigkeit entsprechenden Strafandrohung zurückzudrängen. Wieder eine andere Fallgruppe selbständiger Strafwürdigkeitselemente ist gekennzeichnet durch den über die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung hinausreichenden l15 , subjektiv nicht zurechenbaren Eintritt typischer schwerer Tatfolgen, wie z. B. den Tod eines Menschen bei der Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231) oder der Begehung einer wegen fehlender Schuldfahigkeit nicht strafbaren rechtswidrigen Tat im Vollrausch (§ 323 a).116 Als nochmals andere Fallgruppe selbständiger Strafwürdigkeitssteigerung ist die erwiesene Unempfindlichkeit des Täters gegenüber milderen Strafen zu nennen (vgl. die aufgehobene Vorschrift über die Strafverschärfung beim Rückfall, § 48 a. F.). Allen diesen hier beispielhaft aufgeführten Gesichtspunkten, unter denen sich selbständige Strafwürdigkeitselemente inhaltlich zusammenfassen lassen, ist gemeinsam, daß sie weder Bestandteile der tatbestandlichen Rechtsgutsverletzung, d. h. des Unrechts der betroffenen Straftat sind, noch zur unrechtlichen Gesinnung als der geistigen Wertverfehlung, d. h. der Schuld eben dieser Straftat gehören, sondern ausschließlich ihren nur vom Sinn und Zweck der Strafe her versteh baren StrafwürdigkeitsgehaIt mitprägen. 117

es mit dem Unrechtselement einer konkreten Gefahrerhöhung in einer Strafvorschrift zusammen vertatbestandlicht, wie es etwa beim Bandendiebstahl (§ 244 Abs. 1 Nr. 2) geschehen ist, wo das Gesetz die Steigerung der konkreten Gefahr fiir das betroffene Rechtsgutsobjekt durch die Formel vom erforderlichen Zusammenwirken von mindestens zwei Bandenmitgliedem bei der Diebstahlsbegehung zum Ausdruck bringt. Im Ergebnis ebenso Zopfs, GA 1995, 327 f. - Vgl. auch BGHSt 46, 120, 124. 115 Ohne eigene Klärung des vorausgesetzten Unrechtsbegriffs dieses verkennend Geisler, GA 2000, 168 f. 116 Vielfliltig kritisch gegenüber dieser gesetzlichen Konstruktion Tröndle, Antworten auf Grundfragen, S. 170 f. Seine Einwände dürften jedoch durch die hier entwickelte Lehre von der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit als dem dritten Element der Straftat entkräftet sein. 117 Mit dem inhaltlichen Erfassen und der straftatsystematischen Verortung der selbständigen Strafwürdigkeitselemente erscheint eine Aufgabe als gelöst, die schon Radbruch, Frank-Festgabe I, S. 170, formuliert hatte: "Zur Durchführung des teleologischen Systems der Verbrechenslehre ist aber noch ein weiteres unumgänglich: die teleologische Einordnung jener durchaus zweckverschiedenen Rechtserscheinungen, die heute als Bedingungen der Strafbarkeit und als persönliche Strafausschließungsgründe rein kategorial zusammengefaßt werden und eben deshalb bisher ihren Platz in der Verbrechenslehre nicht gefunden haben." - Eine ähnliche Begriffsbildung findet sich bei Schmidhäuser, Radbruch-Gedächtnisschrift, S. 280.

3. Kap.: Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit

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2. Der Strafwürdigkeitstatbestand Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit ist als das neben dem tatbestandsmäßigen Unrecht und der tatbestandsmäßigen Schuld dritte Element des allgemeinen Verbrechensbegriffs aufgewiesen und in seinem Unwertgehalt vorstehend bestimmt worden. Zu klären bleibt damit, welche strafgesetzlichen Merkmale den Strafwürdigkeitstatbestand bilden und welche straftatsystematische Funktion ihm zukommt. Der Strafwürdigkeitsgehalt der Straftat war oben herausgearbeitet worden als gemeinschaftszerstörender Angriff auf die Grundlagen des Zusammenlebens; diesen Unwertsachverhalt gilt es nunmehr in den strafgesetzlichen Verbrechensbeschreibungen wiederzuerkennen. Auch hier ist zunächst zu fragen, wie sich die (bei der Erörterung des deliktischen Strafwürdigkeitsgehalts als notwendig erwiesene) Unterscheidung von Voraussetzungen und Elementen der Strafwürdigkeit auf die Begriffsbestimmung des Strafwürdigkeitstatbestandes auswirkt. Wie bei der Schuld sind auch bei der Strafwürdigkeit nur die Elemente typisiert, während die Voraussetzungen außerhalb der Vertatbestandlichung bleiben. Indem dieStraffiihigkeit nach geltendem deutschen Strafrecht mit der Schuldfähigkeit zusammenfällt, fehlt dieser Art von Strafwürdigkeitsvoraussetzungen, die ebenso wie die Schuldtahigkeit den Gesamtbereich deliktischen Verhaltens betriffi, die Eigenschaft, den Strafwürdigkeitsgehalt des einzelnen Verbrechens zu individualisieren, d. h. es fehlt der Charakter der VertatbestandIichung. Desgleichen gehört auch die zweite Art von Strafwürdigkeitsvoraussetzungen, nämlich tatbestandsmäßiges Unrecht und tatbestandsmäßige Schuld, nicht zum Strafwürdigkeitstatbestand. Auch insoweit gilt, daß zwar die gleichen gesetzlichen Merkmale sowohl den Unrechts- und Schuldgehalt als auch den abhängigen Strafwürdigkeitsgehalt eines Verbrechens charakterisieren, aber dadurch werden Unrechts- und Schuldtatbestand nicht zu Bestandteilen des Strafwürdigkeitstatbestandes. Sie bleiben vielmehr von diesem - ganz entsprechend, wie es im Verhältnis des Unrechtstatbestandes zum Schuldtatbestand giltqualitativ unterschieden und behalten ihre begriffliche und systematische Eigenständigkeit. Allein die Typisierungen der Strafwürdigkeitselemente bilden somit den Strafwürdigkeitstatbestand. Hieraus ergibt sich zwanglos die systematische Funktion des Strafwürdigkeitstatbestandes: Da er alle unwerttypisierenden Merkmale der strafgesetzlichen Verbrechens beschreibung umfaßt, besteht diese Funktion darin, mit dem Strafwürdigkeitsgehalt denjenigen Unwert i. S. v. Art. 103 Abs. 2 GG II8 "gesetzlich zu bestimmen", an den vom Gesetz die jeweilige Strafe geknüpft wird. Er umgrenzt das nach der jeweiligen Strafvorschrift allein rur strafbar erklärte 118 Die Reichweite des Art. 103 Abs. 2 GG hingegen differenziert in den strafprozessualen Bereich erstreckend Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, S. 318 ff.

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1. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

Geschehen und legt damit zugleich fest, daß kein anderes - außergesetzlich, durch Analogie oder im Wege rückwirkender Gesetzeserstreckung - zum Gegenstand dieser Strafbarkeit gemacht werden darf.

a) Die den abhängigen Strafwürdigkeitsgehalt vertatbestandlichenden Merkmale

Der Strafwürdigkeitstatbestand individualisiert den deliktstypischen Strafwürdigkeitsgehalt und legt damit zugleich den Mindestumfang rur die gesetzliche Bestimmtheit der Strafbarkeitsvoraussetzungen i. S. v. Art. 103 Abs.2 GG fest. Deshalb muß er in der jeweiligen Strafvorschrift unmittelbar zum Ausdruck kommen. Ob eben dies tatsächlich der Fal1 ist, könnte hinsichtlich der Vertatbestandlichung des rur die Straftat begriffsnotwendigen, von Schuld und Unrecht abhängigen Strafwürdigkeitsgehaltes fraglich sein; denn in den gesetzlichen Straftatbeschreibungen ist kein rur die Strafwürdigkeit spezifisches Merkmal auffindbar, das den abhängigen Strafwürdigkeitsgehalt ebenso unmittelbar kennzeichnete wie die Merkmale des Unrechts- und des Schuldtatbestandes jeweils die durch sie individualisierten Unwertgehalte. Dieses Scheinproblem löst sich jedoch auf, wenn man zweierlei bedenkt: Jede Straftat ist erst durch die gesetzliche Verhaltensschilderung und die Strafandrohung zusammen vol1ständig charakterisiert; diese unauflösliche Einheit nötigt dazu, den StrafWÜTdigkeitstatbestand von der Rechtsfolgenanordnung ("wird ... bestraft") her zu begreifen und infolgedessen al1e strafgesetzlichen Deliktsbeschreibungen als ausdrückliche Kennzeichnungen strafwürdigen Verhaltens zu erkennen. Diejenigen Vertypungen schuldhaften Unrechts, die nicht straf-, sondern nur bußgeldWÜTdig sind, sind vom Gesetzgeber eben als Ordnungswidrigkeiten vertatbestandlicht worden. Auch ohne ein weiteres Merkmal in der gesetzlichen Verhaltensschilderung ist deshalb in jeder Strafvorschrift neben dem Unrechts- und dem Schuld- auch der Strafwürdigkeitstatbestand ausdrücklich im Gesetz typisiert,119 nämlich durch das rur ihn spezifische Merkmal auf der Rechtsfolgenseite. Im übrigen ist auch der abhängige Schuldgehalt nur deshalb auf der sog. Tatbestandsseite jeweils durch ein eigenes gesetzliches Merkmal charakterisiert, weil das Strafgesetzbuch zwei Schuldformen kennt, nämlich zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Begehung unterscheidet. Schon de lege lata findet sich in den Strafvorschriften des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches nur bei den Fahrlässigkeitsstraftaten ein eigenes Merkmal zur Vertatbestandlichung des abhängigen Schuldgehaltes. Würde der Gesetzgeber künftig ausnahmslos nur vorsätzliches Handeln unter Strafandrohung stellen, so brauchte dieses Merkmal wie es im geltenden Recht schon hinsichtlich des Merkmals "strafwürdig" der

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Ohne Begründung verneinend Walter, GA-Festschrift, S. 319.

3. Kap.: Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit

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Fall ist - zur Vertatbestandlichung des abhängigen Schuldgehalts in keiner Strafvorschrift des Besonderen Teils mehr genannt zu werden, ohne daß diese Verbrechensbeschreibungen dadurch ihren Schuldtatbestand verlören. Auch unter diesem Aspekt ergibt sich also kein Einwand gegen die Existenz eines den abhängigen Strafwürdigkeitsgehalt individualisierenden Strafwürdigkeitstatbestandes, d. h. gegen das Vorhandensein der "Vertatbestandlichung eines gemein schafts zerstörenden Angriffs auf die Grundlagen des Zusammenlebens" in der jeweiligen Strafvorschrifl:. Immer vertatbestandlicht das Strafgesetz primär diesen rur die jeweilige Straftat spezifischen Strafwürdigkeitsunwert, zu dessen Individualisierung seine Abhängigkeit von der Tatschuld und zu deren Individualisierung wiederum ihre Abhängigkeit vom Tatunrecht mitvertatbestandlicht werden. So beschreibt etwa § 223 mit dem vorsätzlichen Mißhandeln einer anderen Person als Voraussetzung der Stratbarkeit wegen Körperverletzung unmittelbar den rur diese Strafbestimmung charakteristischen Strafwürdigkeitsunwert, die deliktsspezifische Gestalt des gemeinschaftszerstörenden Angriffs auf die Grundlagen des Zusammenlebens, wie er aus der (mitbeschriebenen) Schuld vorsätzlicher, d. h. sich ihrer Unrechtsbegehung bewußter Verletzung fremder Körperintegrität erwächst. Diese Sicht von Unwertgehalt und Fonn der Straftat wird den an der Blickrichtung des tradierten Autbauschemas geschulten Leser überraschen, vennutlich befremden, vielleicht sogar ihm sogleich als falsch erscheinen. Deswegen sollen im folgenden weitere Belege rur ihre Sachgerechtigkeit angeruhrt werden, darur also, daß gerade diese Umkehr der Blickrichtung die ihrem Gegenstand gemäße Methode des Herangehens zu seiner richtigen Erfassung ist. Den Zugang erleichtern könnte hierbei die Erkenntnis, daß mit dem Wechsel der Perspektive bei der wissenschaftlichen Analyse der Straftat sich nicht zwingend auch das überkommene Prüfungsschema bei der Fallbegutachtung ändern muß; wie bereits aufgewiesen, können die wissenschaftliche und die praktische Systematik durchaus divergieren, so daß aus Zweckmäßigkeitsgründen auch weiterhin jede Straftatprüfung mit der Frage nach der Erfiillung des Unrechtstatbestandes zu beginnen ist. Jedoch ist - entgegen dem äußeren Anschein nach herkömmlicher Betrachtung - noch niemals allein schon mit der Feststellung des tatbestandsmäßigen Unrechts und der tatbestandsmäßigen Schuld auch bereits die Straftat als verwirklicht festgestellt, also auch dort nicht, wo der Tatbestand keine weiteren, selbständige Strafwürdigkeitselemente typisierenden Merkmale enthält. Vielmehr entscheidet auch hier stets erst das Vorliegen des (von Schuld und Unrecht abhängigen) Strafwürdigkeitsgehaltes über die Strafbarkeit, auch wenn dieser Strafwürdigkeitsgehalt im Regelfall als inzident mitbejaht behandelt und nur dann gesondert thematisiert wird, wenn sich auf Grund des zu begutachtenden Sachverhalts Zweifel an seiner Verwirklichung einstellen - ganz entsprechend etwa, wie auch der moderne Mensch rur mehr als neunundneunzig Prozent seiner Lebensvorgänge mit seiner Erfahrung zurechtkommt, daß die Sonne morgens im Osten auf- und abends im Westen untergeht,

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1. Teil, 1. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

während ein anderes Weltbild die Wirklichkeit eben nicht nur im verbleibenden Promillebereich, sondern insgesamt realitätsnäher wiedergibt, ohne daß über dieses besser treffende Modell in der Alltagspraxis auch dort jeweils reflektiert würde, wo man seiner für diese Praxis nicht bedarf. Als unverzichtbar hingegen erweist sich ein solches Nachdenken überall dort, wo es trotz tatbestandlichen Unrechts und tatbestandlicher Schuld an der zur Tatbestandserfüllung erforderlichen Strafwürdigkeit fehlt. Das gilt beispielsweise für das Gesamtfeld der Geringfügigkeitsfälle: Im Ergebnis besteht in Schrifttum und Rechtsprechung weitestgehend Konsens, "daß ganz geringfügige Rechtsgutsbeeinträchtigungen materiell schon den Tatbestand einer Strafnorm nicht erfüllen, auch wenn sie von dessen Wortlaut formell mit umfaßt werden.,,120 Das extrem breite Meinungsspektrum zur Begründung dieses Ergebnisses 121 deutet an, daß eine tragfähige Erklärung dafür bisher noch nicht gegeben worden ist. Das Problem entsteht ja als solches überhaupt erst dadurch, daß hier mit dem tatbestandsmäßigen Rechtsgutsangriff und dem darauf bezogenen Vorsatz Unrecht und Schuld des betroffenen Delikts durchaus vorliegen, womit sich unabweisbar die Frage stellt, was in diesen Fällen zur Straftat noch fehlt mit der Folge, daß die Strafbarkeit beispielsweise wegen Körperverletzung (§ 223)122, Sachbeschädigung (§ 303)123, Geldwäsche (§ 261)124, Betrugs (§ 263)125 oder Verstrickungsbruchs (§ 136)126 zu verneinen ist. Wegen ihrer Geringfügigkeit erschüttert eine solche Tat die Grundlagen des Zusammenlebens eben nicht so, daß zu ihrer Restabilisierung der Einsatz der staatlichen Strafe erforderlich wäre. Mangels tatbestandsmäßiger Strafwürdigkeit entfällt hier also die Strafbarkeit. Darin zeigt sich, daß die Strafwürdigkeit auch in den Strafvorschriften unmittelbar vertatbestandlicht ist, die keine selbständigen, d. h. über die Typisierungen von Unrecht und Schuld hinausreichenden Strafwürdigkeitsmerkmale enthalten. Eine weitere einschlägige Fallgestalt, deren Problematik bisher von Schrifttum 127 und Rechtsprechung 128 noch nicht widerspruchs frei gelöst ist, ist die sog. 1200LG Hamm, NJW 1980, 2537; BayObLG NJW 1994, 208; SchönkelSchröderiEser, StGB, § 223 Rn. 4 a. 121 Vgl. beispielhaft Welzel, Strafrecht, S.56; Krümpelmann, Bagatelldelikte, S. 111 ff.; Kunz, Bagatellprinzip, S. 124 ff.; Ostendorf, GA 1982, 337 ff.; Frisch, Stree/Wessels-Festschrift, S. 69 ff. 122 Schönke/Schröder/Eser, StGB, § 223 Rn. 4 a. 123 Lackner/Kühl, StGB, § 303 Rn. 5 (mit zahlreichen Nachweisen). 124 BGHSt 43, 158, 167. 125 BayObLG NJW 1994, 208. 126 OLG Hamm, NJW 1980,2537. 127 Vgl. beispielhaft Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 187; Jescheck/Weigend, Allg. Teil, S. 574. 128 Seit BGHSt 32, 262 ff.

3. Kap.: Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit

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eigenverantwortliche Selbstgefährdung. 129 Für sie ist mit der Erkenntnis, daß jede Strafvorschrift unmittelbar einen von Schuld und Unrecht abhängigen Strafwürdigkeitsgehalt vertatbestandlicht, der Weg zu einer konstruktiv folgerichtigen Beurteilung eröffnet, ohne daß damit zugleich auch die von der Mehrheitsmeinung betUrworteten Ergebnisse in ihrer Gesamtheit übernommen werden müßten. Kreiert zum Zweck der Strafbarkeitseinschränkung tUr die Mitwirkung Dritter bei Angriffen des Rechtsgutsträgers auf das eigene Leben (über das auch er keine volle Verfiigungsbefugnis hat und deshalb durch seine Einwilligung das Unrecht des fremden Angriffs nicht entfallen lassen kann), lieferte jene Rechtsfigur bisher nur ein Schlagwort, aber keine Begründung tUr das Ergebnis, zu dessen Fundierung sie entwickelt worden war. Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung beseitigt weder tatbestandlieh noch nach Güterabwägungsgrundsätzen das Unrecht der durch den Dritten begangenen Fremdgeflihrdung, sie kann allenfalls zu einer Unrechts- und damit zu einer Schuldminderung tUhren. Hat der Dritte also mit seiner Gefährdung des fremden Lebens das tatbestandsmäßige Unrecht der betroffenen Straftat schuldhaft begangen, so läßt sich die Straftat selbst konstruktiv widerspruchsfrei nur über die NichtertUllung der von Schuld und Unrecht abhängigen tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit verneinen. Neben den vorstehend behandelten Fallgestalten, die Beispiele tUr einen materialen Ausschluß des Straftatbestandes bilden, gibt es die Rechtsfigur desformellen Straftatbestandsausschlusses: Der Gesetzgeber nimmt durch eine spezielle Vorschrift das tatbestandsmäßige Unrecht und die tatbestandsmäßige Schuld einer bestimmten Geschehensgestalt aus dem einschlägigen Straftatbestand aus und entzieht damit dem Gesetzesanwender insoweit gemäß Art. 103 Abs. 2 GG die Entscheidung über die Strafbarkeit. So ist beim sog. "beratenen Schwangerschaftsabbruch" gern. § 218 a Abs. I ausschließlich der Strajtatbestand "nicht verwirklicht". 130

b) Die selbständigen Strafo.;ürdigkeitsmerkmale Weil die überkommene Betrachtung des Straftataufbaus (gleich, weIcher Spielart) den unbefangenen Blick auf die unmittelbare Vertatbestandlichung des von Schuld und Unrecht abhängigen StrafwürdigkeitsgehaItes in einer jeden Strafvorschrift verstellt, war vorstehend der detaillierte Aufweis dieses Teils des Strafwürdigkeitstatbestandes notwendig. Von vornherein überflüssig ist hingegen ein solcher Aufweis in bezug auf die Vertatbestandlichung der selbständi129 Vgl. hierzu die überzeugende Kritik an Rechtsprechung und herrschender Lehre durch Weber, Spendel-Festschrift, S. 375 ff. 130 Vgl. hierzu im einzelnen Langer, ZtL 1999,47 ff.

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

gen Strafwürdigkeitselemente. Deren strafgesetzliche Ausformungen sind unübersehbar, und sie boten, weil sie einerseits zum allgemeinen Verbrechensbegriff gehörten und sich andererseits weder dem tatbestandsmäßigen Unrecht noch der tatbestandsmäßigen Schuld (als dessen nach den tradierten Aufbauschemata bei den einzigen Elementen) zuordnen ließen, 13I überhaupt erst den Anlaß, zu ihrer systematischen Verortung nach einem dritten Verbrechenselement zu forschen, das dann mit der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit gefunden wurde. Diese selbständigen Strafwürdigkeitsmerkmale sind rur das einzelne Delikt nicht begriffinotwendig, sondern ihre Verwendung liegt jeweils im sachgebundenen Ermessen des Gesetzgebers. Nur dort, wo sie in die Strafvorschrift aufgenommen worden sind, formen sie den Gesamtunwert der betroffenen Straftat mit, und zwar als Merkmale nur des Strafwürdigkeitstatbestandes. Wo das geschehen ist, individualisieren die betreffenden Merkmale des Strafwürdigkeitstatbestandes eine Intensivierung des in Schuld und Unrecht begründeten Angriffs auf die Gemeinschaftsgrundlagen. So prägt mit strafwürdigkeitssteigernder Wirkung beispielsweise die bandenmäßige Begehung den Strafwürdigkeitstatbestand der Bandenhehlerei (§ 260 Abs. I Nr. 2). Zu diesen selbständigen Strafwürdigkeitsmerkmalen gehören außerdem die sog. objektiven Bedingungen der Strafbarkeit, soweit sie einen zu dem durch Schuld und Unrecht des betroffenen Delikts begründeten Strafwürdigkeitsgehalt hinzukommenden Strafwürdigkeitsunwert vertatbestandlichen. Als Beispiele darur seien etwa die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei den Insolvenzstraftaten (§§ 283 ff.) oder die Begehung der rechtswidrigen Tat im Zustand nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit beim Vollrausch (§ 323 a) genannt. Die Merkmale des Strafgesetzes, die die abhängigen und die selbständigen Strafwürdigkeitselemente vertatbestandlichen, bilden zusammen den Strafwürdigkeitstatbestand. Seine straftatsystematische Funktion als eigenständiger Grundbegriff des Verbrechensautbaus ergibt sich aus den Regelungen des geltenden Strafgesetzbuches, die sich mit den Kategorien des tatbestandlichen Unrechts und der tatbestandlichen Schuld eben nicht erschöpfend erfassen lassen. Im Hinblick auf die Rechtsfolgenseite der Strafvorschriften erweist sich die Eigenbedeutung des Strafwürdigkeitstatbestandes beispielsweise bei dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit der Straftat (Art. 103 Abs. 2 GG): Um den Mindestbereich festzulegen, in dem die Stratbarkeitsvoraussetzungen "gesetz131 Keinen Ausweg aus diesem Dilemma wies der durch Geisler, Objektive Bedingungen der Strafbarkeit, S. 573 ff., unterbreitete Vorschlag, einen Teil dieser Merkmale "dem Tatbestand", die übrigen "der Strafbarkeit" zuzuordnen; denn abgesehen davon, daß damit eine seit mehr als einem halben Jahrhundert überholte Auffassung von "dem Tatbestand" zugrunde gelegt wurde, war so weiterhin ein Teil der Straftatmerkmale nicht in der Straftatsystematik verortet.

3. Kap.: Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit

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lieh bestimmt" sein müssen und ihre Änderung dem Rückwirkungsverbot der Verfassung unterliegt, benötigt man ein inhaltlich eindeutig definiertes Kriterium wie den Strafwürdigkeitstatbestand. Nur mit seiner Hilfe läßt sich begründet entscheiden, ob beispielsweise die Strafvorschrift der Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231) rückwirkend vom Verursachen einer "schweren Körperverletzung (§ 226)" in das Verursachen einer "mindestens gleichschweren Körperverletzung wie gemäß § 226" geändert werden dürfte oder ob die derzeit geltende Gesetzesfonnel - obwohl sie Unrecht und Schuld dieses Vergehens nicht berührt - dessen Unwertgehalt mitvertatbestandlicht und damit in den Kernbereich des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbotes flillt. Vom Strafwürdigkeitstatbestand begrifflich zu unterscheiden ist die strafgesetzliehe Deliktsbeschreibung als der Inbegriff der Merkmale einer Strafvorschrift, an die das Gesetz die Strafandrohung knüpft. Diese Deliktsbeschreibung ist eine Fonnalkategorie, ist "Tatbestand" nur im Sinne der allgemeinen Rechtstheorie, die rechtssatzmäßige Benennung der Voraussetzungen rur den Eintritt der Rechtsfolge, hier der Rechtsfolge "Strafe". Sie umgreift die noch ungeschiedenen, weil noch nicht auf ihren materialen Gehalt hin befragten Typisierungen der Straftatelemente wie ein äußerer Rahmen. Auch dem Wortlaut nach reicht sie über den Strafwürdigkeitstatbestand hinaus, insofern sie als bloße Beschreibung beispielsweise auch sog. Leerfonneln umfaßt, wie etwa "ohne Mörder zu sein" beim Totschlag (§ 212), wohl auch das Strafantragserfordernis bei den Antragsdelikten und manches andere mehr. Im Unterschied zum Strafwürdigkeitstatbestand ist bezüglich der strafgesetzlichen Deliktsbeschreibung ungeklärt, ob ihr irgendeine Bedeutung rur die Straftatsystematik zukommt. Eine Relevanz dieser Kategorie hinsichtlich der zu verhängenden Rechtsfolgen ist nicht erkennbar. Relevanz rur die Rechtsfolge "Strafe" hat unmittelbar nur die strafgesetzliehe Beschreibung des deliktsspezifischen Strafwürdigkeitsgehaltes, d. h. der Strafwürdigkeitstatbestand. Weil er den Unwert vollständig charakterisiert, von dessen Verwirklichung die Strafbarkeit der Tat unmittelbar abhängt, kann man ihn auch - sprachlich einfacher und ohne inhaltliche Verkürzung - den Straftatbestand nennen.

11. Der Strafwürdigkeitsausschluß Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit als das dritte Element des allgemeinen Verbrechensbegriffs besteht aus dem Strafwürdigkeitsurteil der Rechtsordnung über ein den jeweiligen Straftatbestand errullendes Täterverhalten, das in gemeinschaftszerstörender Weise die Grundlagen des Zusammenlebens angreift. Die Prämissen jenes rechtlichen Unwerturteils sind vorstehend im einzelnen dargestellt worden. Jeder derartige Angriff, der den Strafwürdigkeitstatbe-

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1. Teil, 1. Absehn.: Der allgemeine Straftatbegriff

stand errullt, enthält zugleich sämtliche positiven Voraussetzungen des Strafwürdigkeitsurteils. Unter bestimmten, nunmehr zu klärenden Umständen wird dieses Urteil durch die Rechtsordnung jedoch nicht gefällt, obwohl alle seine positiven Voraussetzungen gegeben sind. Die Rechtsfigur dieses Strafwürdigkeitsausschlusses ist in Schrifttum und Rechtsprechung zumindest der Sache nach allgemein anerkannt. Da ein solcher Ausschluß in Einzelfällen die generelle Existenz der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit begrifflich voraussetzt, weil sich die Frage nach einem möglichen Ausschluß der Strafwürdigkeit überhaupt nur dann stellen kann, wenn das potentiell Auszuschließende im übrigen vorhanden, d. h. in seinen begründenden Voraussetzungen erfilllt und damit ohne den Ausschluß verwirklicht ist, erweist sich in jener Anerkennung erneut die Richtigkeit der Erkenntnis, daß die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit das dritte Element des allgemeinen Verbrechensbegriffs ist. 1. Die Wertstruktur des Strafwürdigkeitsausschlusses . Nimmt man die Umstände genauer in den Blick, bei deren Vorliegen die Rechtsordnung das Strafwürdigkeitsurteil nicht fällt, obwohl das betroffene Geschehen den Strafwürd~gkeitssachverhalt der Straftat vollständig erfiillt, dann bemerkt man sogleich die Parallelen zum Unrechts- und zum Schuldausschluß: Auch bei der Strafwürdigkeit folgt aus dem gesamten Wertzusammenhang des betroffenen Verhaltens, daß das rechtliche Unwerturteil entfällt. Bei der Darstellung der Strafwürdigkeitsbegründung war ausschließlich der in jeder Straftat enthaltene Angriff auf die Gemeinschaftsgrundlagen betrachtet worden. Gegenstand jener Erörterungen war also lediglich ein Ausschnitt aus dem unwertrele- . vanten Verhalten. Geht man nunmehr von dieser die straftatbestandsmäßige Erschütterung der Grundlagen des Zusammenlebens isolierenden Sicht zu einer umfassenden Wertanalyse des jeweiligen Gesamtgeschehens über, wie sie das definitive Strafwürdigkeitsurteil der Rechtsordnung vernünftigerweise voraussetzt, dann ist dazu (im Unterschied zu Unrecht und Schuld) rur die Prüfung eines möglichen Ausschlusses nicht nur das Geschehen unmittelbar bei der Tatbestandserfiillung, sondern - unter Erweiterung des Tatbegriffs - die Gesamtheit der (un)wertrelevanten Verhaltensumstände heranzuziehen. Dabei wird deutlich, daß ein - isoliert betrachtet - die Basis des gedeihlichen Zusammenlebens angreifendes Verhalten beim Vorhandensein gewisser Wertmomente im Gesamtgeschehen - sei es im Täterverhalten selbst (wie z. B. Rücktritt vom Versuch, Folgenverhütungoder -beseitigung, sonstiges Wohlverhalten nach der Tat), sei es in der Tatsituation (so etwa die Widerrechtlichkeit der Amtsausübung durch den angegriffenen Amtsträger beim Widerstand gegen Vollstrekkungsbeamte gemäß § 113; der Beweis der Wahrheit der ehrenrührigen Tatsachenbehauptung bei der üblen Nachrede gemäß § 186) - nicht zu einer unerträglichen Erschütterung der Gemeinschaftsgrundlagen zu ruhren braucht. Lie-

3. Kap.: Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit

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gen solche Momente vor, die das Gesamtgeschehen weniger wertwidrig erscheinen lassen, als es das gleiche Geschehen beim Fehlen dieser Momente wäre, so bleibt zwar der Strafwürdigkeitssachverhalt, der Angriff auf die Grundlagen des Zusammenlebens, als solcher bestehen, jedoch die Rechtsordnung wertet ihn nicht gleichermaßen als Erschütterung ihrer Existenzvoraussetzungen. Als Negation der Begründung erfolgt der Ausschluß der Strafwürdigkeit nach den gleichen Prinzipien wie jene. Es gibt somit einen von Schuld und Unrecht abhängigen und einen selbständigen Strafwürdigkeitsausschluß. Um einen abhängigen Ausschluß der Strafwürdigkeit handelt es sich dann, wenn eine (selbständige oder ihrerseits von einer Unrechtsminderung abhängige) Schuldminderung den Strafwürdigkeitsgehalt der Tat herabsetzt. So greift beispielsweise das schuldhafte Vereiteln der Bestrafung eines anderen gemäß der von ihm begangenen Straftat zugleich mit der staatlichen Strafrechtspflege 132 die Grundlagen des Zusammenlebens auch dann an, wenn der Vereitelnde damit zugleich seine eigene Bestrafung zu verhindern trachtet. Soweit sich ein solcher Täter jedoch in einer "notstands ähnlichen Lage,,)33 befmdet, trifft er auf ein gewisses Maß an Verständnis filr sein Handeln, das dementsprechend von der Rechtsordnung gemäß § 258 Abs. 5 als eine um so viel weniger schwer wiegende Beeinträchtigung der Gemeinschaftsgrundlagen gewertet wird, daß sie auf Strafe verzichten kann. Selbständig erfolgt der Ausschluß der Strafwürdigkeit, sofern durch Geschehensmomente, die von Unrecht und Schuld unabhängig sind, der Gesamtunwert des Verhaltens vermindert und so die Intensität der Erschütterung verringert wird. Läßt beispielsweise der Täter von seinem Angriff auf die Grundlagen des Zusammenlebens ab, bevor es zu deren nachhaltiger Erschütterung gekommen ist, so vermeint die Rechtsordnung, wie sich aus den Regelungen über den strafbefreienden Rücktritt vom Versuch (§ 24) ergibt, das Gesamtverhalten ohne Strafreaktion ertragen zu können. 134 Wird die Wahrheit einer ehrenrührigen Behauptung später erwiesen, so ändert auch das nichts an Unrecht und Schuld jener Ehrverletzung (üble Nachrede, § 186) im Zeitpunkt der Tatbegehung, schließt jedoch deren Strafwürdigkeit aus. Auch der "aus grobem Unverstand" untauglich eine Straftat versuchende Täter (§ 23 Abs. 3) erfüllt das tatbestandsmäßige Unrecht und die tatbestandsmäßige Schuld dieses Versuchsdelikts; wegen des groben Unverstands vermag das negative Beispiel einer solchen Tat jedoch nicht zur Nachahmung anzuregen und dadurch die Grundlagen des Zusammenlebens zu erschüttern, sondern es erweckt allenfalls Mitleid. 132 BGHSt 43, 82, 84; Uwe Günther, Das Unrecht der Strafvereitelung, S. 25; LacknerlKühl, StGB, § 258 Rn. I, mit zahlreichen Nachweisen. !33 BGHSt 43, 356, 358. 134 BGHSt 37, 340, 345 f. - Restriktiver als die Obergerichte rur den Bereich des fehlgeschlagenen Versuchs von Heintschel-Heinegg, ZStW Bd. 109,54 ff.

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I. Teil, I. Abschn.: Der allgemeine Straftatbegriff

Wird eine nach dem Kenntnisstand der betreffenden Zeit als konkret gefährlich eingestufte Tat begangen, so ändert sich an Unrecht und Schuld dieses Rechtsgutsangriffs nichts, wenn später infolge des wissenschaftlich-technischen Fortschritts die Ungefährlichkeit erkannt wird; wenn aber eine solche Tat erst hernach zur Aburteilung kommt, ist ihre Strafwürdigkeit (unter dem Aspekt der Strafbedürftigkeit) teilweise oder ganz ausgeschlossen. Das Problemfeld des selbständigen Strafwürdigkeitsausschlusses ist im strafrechtlichen Schrifttum bisher wenig beackert. Ein Grund dafiir könnte sein, daß der Gesetzgeber in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Strafvorschriften aufgehoben hat, in denen diese Rechtsfigur zuvor mit privilegierender Wirkung vertatbestandlicht war. Da sich die Rechtsfolgen des Strafwürdigkeitsausschlusses nach dem Maß der Minderung des Strafwürdigkeitsunwertes richten, bewertet die Rechtsordnung dort, wo die Tat trotz der den Strafwürdigkeitsgehalt mindernden Geschehensmomente noch zu einer Erschütterung der Gemeinschaftsgrundlagen fiihrt, einen solchen Angriff als reaktionsbedürftig und berücksichtigt die geringere Strafwürdigkeit nur in einer Milderung der Strafdrohung. Mit der Streichung der meisten dieser Strafvorschriften entfiel auch der äußere Anlaß, sich um ihre richtige straftatsystematische Erfassung zu bemühen. Diese Vernachlässigung eines wichtigen Gebietes der Strafrechtsdogmatik wirkte sich insofern nachteilig aus,' als es in anderen Bereichen der Lehre von der Straftat eine Fülle von Problemen gibt, über deren sachgerechte Lösung jeweils bis zum heutigen Tag kein Konsens hergestellt werden konnte, oft sogar heftig gestritten wird, während ein Ansatz der Lösungssuche im Bereich des selbständigen Strafwürdigkeitsausschlusses möglicherweise erfolgreich gewesen wäre. Als ein beliebig herausgegriffenes Beispiel fiir eine bisher offensichtlich falsch begründete Lösung eines Problems bei diskussionswürdigem Ergebnis sei hier der sog. Radfahrerfall aus der Judikatur des Bundesgerichtshofes J35 genannt: Wenn den Instanzgerichten in ständiger Rechtsprechung nachdrücklich eingeschärft wird, daß (beim Tätigkeitsdelikt) nur das reale Täterverhalten dem Unrechtsvorwurf und der Erfolgszurechnung zugrunde gelegt werden darf, dann kann fiir die Fallgestalt des fahrlässigen Erfolgsdelikts bei korrekter Gesetzesanwendung nicht ein hypothetisches Geschehen zum Beurteilungsmaßstab fiir die Verwirklichung des Straftatunrechts erklärt und zudem auch noch der Zweifelssatz darauf bezogen werden. Hingegen wäre es eine eigene Untersuchung wert, ob ein solches hypothetisches Geschehen nicht unter dem Aspekt eines selbständigen Strafwürdigkeitsausschlusses rechtens in diese Straftatprüfung einbezogen werden kann.

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BGHSt 11, 1 ff.

3. Kap.: Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit

181

2. Die Einteilung der Straftatausschließungsgründe Sind die strafwürdigkeitsmindernden Faktoren im Gesamtgeschehen so stark, daß keine nachhaltige Beeinträchtigung der Gemeinschaftsgrundlagen durch den Angriff des Täters erfolgt, dann beurteilt die Rechtsordnung dieses Verhalten nicht als strafwürdig: Die Tat bleibt straflos, weil es an der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit als dem dritten Element des allgemeinen Verbrechensbegriffs fehlt. Die Geschehensmomente, die - trotz Vorliegens des tatbestandsmäßigen Unrechts, der tatbestandsmäßigen Schuld und der Erfiillung des Straftatbestandes zu einem Ausschluß der Strafbarkeit fUhren, werden herkömmlich als Straftatausschließungsgründe 136 bezeichnet und in zwei Gruppen danach gegliedert, ob sie mit ihrer strafwürdigkeitsmindernden Funktion schon bei Begehung der rechtswidrigen Tat selbst gegeben sein müssen oder ob es hinreicht, wenn sie erst nach dem straftatbestandlichen Geschehen verwirklicht werden. Die zuerst genannte Gruppe bilden die sog. Strafausschließungsgründe. Beispielhaft angefUhrt sei hierfUr die bei Begehung der Tat bestehende Jugendlichkeit von Abkömmlingen oder Geschwistern als Beteiligten beim Beischlaf zwischen Verwandten, die ,gemäß § 173 Abs. 3 zur Straflosigkeit fUhrt und damit einen solchen sog. persönlichen Strafausschließungsgrund bildet. 137 Folgt das den Strafwürdigkeitsgehalt der Tat bis zum Ausschluß der Strafbarkeit mindernde Geschehen der Deliktsbegehung zeitlich nach, wie etwa ein schadensbegrenzendes oder folgenbeseitigendes Wohlverhalten des Täters, wird es als Strafaufhebungsgrund bezeichnet. Den klassischen Beispielsfall dafUr bildet der Rücktritt vom Versuch (§ 24).138 Fehlt es an solchen die Strafwürdigkeit ausschließenden Tatumständen oder schließen sie sie nur partiell aus, dann fallt die Rechtsordnung über den tatbestandsmäßigen Angriff auf die Existenzgrundlagen des Zusammenlebens das Urteil der Strafwürdigkeit. Damit liegt die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit vor und mit ihr die Gesamtheit der Elemente des allgemeinen Verbrechens begriffs, d. h. die Begehung der Straftat.

V gl. beispielhaft Schmidhäuser, Allg. Teil, 13/1. Dtto, Bes. Teil, § 65 Rn. 18; Lackner/Kühl, StGB, § 173 Rn. 7; Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, § 173 Rn. 9. 138 Nahezu einhellige Meinung, siehe etwa Schmidhäuser, Allg. Teil, 15/68 t1; Dtto, Allg. Strafrechts lehre, § 19 Rn. 5; Lackner/Kühl, StGB, § 24 Rn. I; jeweils mit zahlreichen Nachweisen. 136

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Zweiter Abschnitt

Die Erscheinungsformen der Straftat Die herkömmliche Definition der Straftat als tatbestandsmäßige, rechtswidrige, schuldhafte und mit Strafe bedrohte Handlung nennt die Merkmale, die jedes Verbrechen aufweisen muß, die somit rur das Verbrechen auf seiner höchsten Abstraktionsstufe begriffsnotwendig sind. Will man diese Definition sich durch ein Beispiel veranschaulichen, so wird man zuerst an ein täterschaftlich vollendetes Begehungsdelikt denken, also etwa derart, daß jemand unerlaubt und vorwerfbar einen Menschen durch einen Pistolenschuß tötet. Daran gewöhnt, in dieser Form deliktischen Verhaltens den "gesetzlichen Regelfall" zu sehen, wird man meist erst bei weiterem Überlegen auf anders strukturierte Geschehenssachverhalte stoßen, die gleichfalls von der angeruhrten Bestimmung des allgemeinen Verbrechensbegriffs erfaßt werden: Der Dritte, der dem Tötungswilligen die Pistole im Bewußtsein ihrer Zweckbestimmung reicht, der anwesende Vater des Opfers, der - obwohl hilfsflihig - nicht rettend eingreift, der Schießende, der sein Ziel verfehlt: auch sie begehen damit jeweils eine Straftat. Aber bezüglich der Gestalt des Verbrechens weichen diese Fälle vom Eingangsbeispiel erheblich ab. Innerhalb des Delikts als tatbestandsmäßigrechtswidrig-schuldhaft-strafbedrohter Handlung differenziert nämlich das Gesetz unter dem Gesichtswinkel der Beteiligungsform, der Verwirklichungsstufe, der Begehungsweise. Unter jedem dieser Aspekte wird bereits in der Ebene des Tatbestandes antithetisch gruppiert: In Täterschaft und Teilnahme, in Vollendung und Versuch, in Tätigkeitsdelikt und Unterlassungsdelikt. Hieran knüpft das Gesetz verschiedene Rechtsfolgen; es differenziert also in den Deliktsvoraussetzungen im Hinblick auf mögliche Unterschiede in der Strafbarkeit. Diese jeweils alternativen Gestaltungen des Verbrechens werden nachfolgend als "Erscheinungsformen der Straftat" bezeichnet. Die Erscheinungsformen bilden somit den Übergang von der Verbrechenszur Strafrechtssystematik: Sie gehören zwar nicht zu den Elementen des allgemeinen Verbrechensbegriffs, verkörpern also je einzeln gerade nicht etwas allen Straftaten Gemeinsames, sondern sind konkretere Gestaltungen des deliktstypischen Verhaltens, aber eben doch solche auf der nach dem allgemeinen Verbrechensbegriff höchsten Abstraktionsstufe. Diese systematische Stellung macht die Erscheinungsformen zu Grundkategorien der Strafrechtsdogmatik. Mit der Zuerkennung dieses Ranges stellt sich die hier entwickelte Strafrechtssystematik bewußt in Gegensatz zum strafrechtlichen Schrifttum, in dem der Erscheinungs-

I. Teil, 2. Abschn.: Die Erscheinungsformen der Straftat

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formbegriff bisher ausschließlich als didaktisches Hilfsmittel ohne eigene systematische Bedeutung verwendet worden ist. Materiell bilden die Erscheinungsformen die erste Stufe bei der Konkretisierung des allgemeinen Verbrechensbegriffs: "Die Straftat" als tatbestandsmäßigrechtswidrig-schuldhaft-strafbedrohte Handlung gibt es nicht schlechthin, sondern nur in den deliktischen Erscheinungsformen. Einige von ihnen wurden bereits beispielhaft angeruhrt. Die Frage, ob es noch weitere gibt, sei hier zunächst nur als Problem aufgezeigt. Sie ist deswegen bedeutsam, weil jede Straftat theoretisch in jeder Erscheinungsform - wenn auch jeweils natürlich nur in einer der alternativen Erscheinungsformen - auftreten kann. Da aber zum Wesen jeder Erscheinungsform die Möglichkeit einer Auswirkung auf die Rechtsfolge gehört, ist ein Verbrechen bezüglich seiner Rechtsfolgen erst dann eindeutig bestimmt, wenn es unter den Aspekten aller nur denkbaren Erscheinungsformpaare geprüft worden ist. Von daher also ergibt sich die Notwendigkeit, alle Erscheinungsformen des Verbrechens herauszuarbeiten. Fragt man nun, wodurch die Erscheinungsformen im einzelnen charakterisiert werden, so fällt zunächst rein äußerlich auf, daß es auf die Technik der strafgesetzlichen . Verbrechensbeschreibung nicht entscheidend ankommt. Ob jede Erscheinungsform bei jedem Delikt tatbestandIich gesondert aufgeftihrt ist, wie es etwa im geltenden Recht bei der Vollendung und dem Tätigkeitsdelikt in der Regel geschieht, oder ob eine Erscheinungsform ftir alle Delikte grundsätzlich in einem einheitlichen, auf die Tatbestände des Besonderen Teils bezogenen Strafsatz zum Ausdruck gebracht wird, wie es etwa beim Versuch und bei der Teilnahme der Fall ist, das ist eine nur gesetzestechnische Frage und ftir den Begriff der Erscheinungsform unerheblich. Die Erscheinungsform besteht in einer mit spezifischen Rechtsfolgen ausgestatteten selbständigen Gestaltung des deliktischen Rechtsgutsangriffs. Sowohl im Hinblick auf die Verbrechensvoraussetzungen als auch bezüglich der möglichen Sanktionen unterscheidet sie sich von der ihr korrespondierenden Erscheinungsform. Da beide als Erscheinungsformen nur auf Grund dieser Rechtsfolgendifferenz existieren, sind sie - unabhängig von der konkreten gesetzlichen Schilderung - innerhalb der Strafrechtssystematik als gleichwertig zu betrachten: Der Versuch einer Straftat ist als Versuch nur vom Begriff der Vollendung her zu verstehen und umgekehrt; gesetzestechnisch ließen sich alle Tatbestände des Besonderen Teils zu versuchten Delikten umgestalten, während im AllgemeinenTeil rur die Vollendung eine generelle Straferhöhungsvorschrift geschaffen wird. Die Erscheinungsform ist selbständig, d. h. sie ist nicht vom Vorhandensein einer anderen als der korrespondierenden Erscheinungsform abhängig. Sie ist nicht weiter reduzierbar, sondern gestaltet selbst unmittelbar das Delikt; hingegen fehlt jede Bezugnahme auf andere Erscheinungsformen. Beseitigte der Gesetzgeber korrespondierende Erscheinungsformen, also etwa die Differenzierung in Täterschaft und Teilnahme, so würden

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I. Teil, 2. Abschn.: Die Erscheinungsformen der Straftat

die übrigen Erscheinungsfonnen auf Grund ihrer Selbständigkeit hierdurch in ihrer Existenz nicht berührt. Auf diese unmittelbare und selbständige Deliktsgestaltung unter einem jeweils eigenen Strafwürdigkeitsaspekt ist es ferner zuTÜckzufiihren, daß jede Erscheinungsfonn mit jeder anderen außer der korrespondierenden zusammentreffen kann, wobei jede dieser Kombinationsmöglichkeiten eine gerade sie charakterisierende Deliktsfolgenregelung aufweist. So wird der Versuch. eines tätigen Rechtsgutsangriffs potentiell anders geahndet als der der entsprechenden Unterlassung, und zwar wieder jeweils unterschiedlich in den Fonnen der Täterschaft und der Teilnahme. Nachfolgend wird zunächst zu fragen sein, worin die inhaltliche Gemeinsamkeit der Erscheinungsfonnen besteht, die die Bildung dieses Begriffs überhaupt erst rechtfertigt, und sodann, worin die systematische Gemeinsamkeit der Erscheinungsfonnen liegt, die ihre Einordnung unter die systematischen Grundbegriffe als zutreffend erweist.

I. Kap.: Die Begriffsbestimmung der Erscheinungsformen

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Erstes Kapitel

Die Begriffsbestimmung der Erscheinungsformen Der Begriff der Erscheinungsformen des Verbrechens war im älteren Schrifttum sehr gebräuchlich; I in der Strafrechtswissenschaft der Gegenwart ist er jedoch nahezu völlig verlorengegangen. Daß dieses geschehen konnte, liegt einmal daran, daß sein Inhalt - von zwei sogleich zu behandelnden Ausnahmen abgesehen - nicht bestimmt, sondern stets als bekannt vorausgesetzt wurde, während in Wirklichkeit jeweils ein anderer Inhalt gemeint war, und zum anderen daran, daß der Zweck dieser Begriffsbildung nie allgemein bewußt wurde, so daß sie entbehrlich erschien, sobald sich das dogmatische Bemühen nicht mehr auf eine Neufundierung des Gesamtsystems richtete, sondern sich auf Einzelfragen konzentrierte, zu denen die des Erscheinungsformbegriffs nicht gehörte.

Detailliertere Ausführungen zu den Erscheinungsformen des Verbrechens finden sich - soweit ersichtlich - nur bei Radbruch und Beling. Treffend bemerkte Radbruch:"Das System der Verbrechen erscheint teils im besonderen Teil, teils unter der Rubrik der Erscheinungsformen des Verbrechens im allgemeinen Teile ... Doch sind in letzterer Beziehung interessante Unregelmäßigkeiten zu beobachten. Während nämlich das versuchte und das vollendete Verbrechen ... und Teilnahme und Täterschaft ... ganz richtig ihren Platz unter den Erscheinungsformen des Verbrechens erhalten, erscheinen Tun und Unterlassen, Vorsatz und Fahrlässigkeit, die doch zweifellos auch verschiedene Arten des Verbrechens begründen, unter seinen Merkmalen, als Merkmale, von denen der Verbrechensbegriff das eine oder das andere haben kann, als alternative Merkmale. Alternative Merkmale kann es aber logisch nicht geben, derselbe Begriff kann nicht einmal dieses, einmal jenes Merkmal haben ... Umgekehrt muß man der Einheit und Mehrheit des Verbrechens die Stellung unter seinen Erscheinungsformen bestreiten. ,,2 Für Beling lag die begriffliche Besonderheit der Erscheinungsformen ausschließlich auf tatbestandlichem Gebiet: 3 Erscheinungsform ist "modifizierter Tatbestand,,4, "Tatbestandsbesonderheit ohne eigene Typizität"s. Hiervon abge-

I V gl. etwa Radbruch, Handlungsbegriff, S. 69 ff.; Stooss, SchweizZStr Bd. 17, 2; Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 68, 287 ff.: v. Overbeck, Erscheinungsformen, S. I: Mezger, Lehrbuch, S. 375: v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 297 (mit weiteren Nachweisen). 2 Radbruch, Handlungsbegriff, S. 69 f. 3 Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 268 Anm. I. 4 Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 268.

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1. Teil, 2. Abschn.: Die Erscheinungsformen der Straftat

sehen, unterscheidet sich die Auffassung Belings im Ergebnis nicht wesentlich von der Radbruchs: "Man denkt bei ,Erscheinungsformen' regulär nur an die besonderen Bildungen eines Typus, Versuch, Anstiftung, Beihilfe, und in diesem Sinne ist auch der unmodijizierte Tatbestand selber eine ,Erscheinungsform' des Typus, nämlich die Gestalt, in der er am reinsten ,erscheint': auch die täterschaftlich begangene vollendete Tötung ist eine Anwendung des Begriffs ,Tötung' ... Das Verhältnis eines Typus zu seinen Erscheinungsformen in diesem Sinne ist nun das des Oberbegriffs zu seinen Unterbegriffen. Der Oberbegriff ,Tötung' z. B. erscheint in den Unterbegriffen ,vollendete und versuchte Tötung', ,täterschaftliche Tötung', Tötungsanstiftung, Tötungshilfe USW.,,6 Allerdings war rur Beling jeder bloß modifizierte Tatbestand mit einer relativen, d. h. auf ein Grundstrafgesetz bezogenen Strafdrohung eine Erscheinungsform, 7 also etwa der heutige Wohnungseinbruchdiebstahl (§ 244 Abs. I Nr. 3) eine Erscheinungsform des Typus Diebstahl. Auf der anderen Seite hat Beling wohl als erster die Bedeutung des Erscheinungsformbegriffs rur die Strafbarkeit hervorgehoben: "Es bedarf sogar stets, um zur Verurteilung zu gelangen, der Feststellung der Erscheinungsform, in der der Tatbestand vorliegt. Es kann niemand wegen ,Diebstahls' = aus dem Diebstahlstypus verurteilt werden, ohne daß ersichtlich würde, welche Erscheinungsform vorliegen soll, ob die Urform (als Grundstrafdrohung) oder die abgeleiteten Erscheinungsformen (als relative Strafdrohung). ,,8 Die übrigen Ausruhrungen zu den Erscheinungsformen im Schrifttum erschöpfen sich regelmäßig in der Aufzählung dessen, was unter diesen Begriff gerechnet wird: Stooss 9 beschränkte ihn auf Täterschaft und Teilnahme, Vollendung und Versuch, und klammerte Handlung und Unterlassung ausdrücklich aus; v. Overbeck lO und v. Liszt/Schmidt" hingegen erstreckten ihn auf Verbrechenseinheit und -mehrheit; Mezger'2 schließlich begriff hierunter den Versuch, die Teilnahme und die Konkurrenz. Da es somit eine anerkannte oder wenigstens vorherrschende Definition der Erscheinungsformen des Verbrechens weder gibt noch gegeben hat, ist deren Begriff nunmehr erst aus eigener Sicht zu bestimmen. Dabei sind folgende Lehren aus dem Scheitern der überkommenen Definitionsversuche zu ziehen: Der Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 287. Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 289. 7 Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 268. 8 Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 289. 9 Tatbestand und Verbrechen, SchweizZStr Bd. 17, 2 f.; ebenso Hellmuth Mayer, Allg. Teil, S. 276 ff., und Grundriß, S. 140. 10 Erscheinungsformen, S. 1. 11 Lehrbuch, S. 297 ff 12 Lehrbuch, S. 375 ff.; ähnlich auch Kohlrausch-Lange, StGB, Vorbem. V vor § 1. 5

6

1. Kap.: Die Begriffsbestimmung der Erscheinungsformen

187

Begriff der Erscheinungsform bedarf eines homogenen Inhaltes; der "Konkurrenz" sowie der "Verbrechenseinheit und -mehrheit" etwa fehlt jedoch offensichtlich jegliche Gemeinsamkeit mit den übrigen, als Erscheinungsformen bezeichneten Kategorien. Diese inhaltliche Übereinstimmung ist nur durch materieIle Kriterien zu erreichen; der "Tatbestand" als reine Form etwa ist entgegen der Ansicht Belings hierzu ungeeignet. Und schließlich sollen die Erscheinungsformen die Funktionen eines Grundbegriffs in einer an der Strafbarkeit orientierten Strafrechtssystematik übernehmen; eine leitende Hinsicht für die inhaltliche Homogenität dieses Begriffs hat deshalb die gleichartige Auswirkung der als Erscheinungsformen gekennzeichneten Rechtsphänomene auf die Strafbarkeit zu sein. Diese ist etwa bei der rein klassifIkatorischen Systematisierung der Erscheinungsformen durch Radbruch, die er selbst später als "unzulässige Einengung des Gesichtsfeldes,,13 aufwies, nicht gewährleistet. Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse hat die Bestimmung des Erscheinungsformbegriffs davon auszugehen, daß es "das" Verbrechen i. S. des aIlgemeinen Verbrechens begriffs im Strafgesetz nicht gibt, sondern daß sich dort das Verbrecherische immer nur in - unter verschiedenen Aspekten vorgenommenen - antithetischen Differenzierungen des deliktischen Verhaltens und der Strafbarkeit fIndet: Der verbrecherische Angriff auf das menschliche Leben etwa ist nicht als solcher mit einer konkreten Strafe bedroht, sondern immer in den Formen der Täterschaft oder der Teilnahme, der VoIlendung oder des Versuchs, der aktiven Führung oder des untätigen Geschehenlassens. In jede konkrete Tatbeurteilung sind offensichtlich die Antworten auf sämtliche dieser FragesteIlungen eingegangen, die einzelne Tat entspricht somit immer je einer jener Antithesen, es handelt sich also beispielsweise um ein täterschaftlieh voIlendetes Unterlassungsdelikt oder um ein täterschaftlieh versuchtes Begehungsdelikt usw. Es wäre nun möglich - und aIlein vom Sprachlichen her gesehen vieIleicht sogar sachgerecht -, die Bezeichnung "Erscheinungsform des Verbrechens" diesen konkreten Deliktsgestaltungen vorzubehalten. Aber das für die Verbrechenssystematik Primäre sind die Frageweisen selbst, gemäß denen deliktisches Verhalten und angedrohte Rechtsfolgen im Gesetz - nach Beteiligungsart, Verwirklichungsstufe, Verletzungsweise - antithetisch differenziert werden; nur die durch sie begründeten Erscheinungsformpaare haben die gesuchte systematisch-grundbegriffiiche Funktion, während sich jene konkreten Gestaltungen der Straftat bei genauerer Betrachtung als bloße Kombinationen jener primären Kategorien, ohne originäre systematische Bedeutung, erweisen. Als Erscheinungsformen soIlen deshalb hier - inhaltlich in partieIler Übereinstimmung mit den herkömmlichen Kennzeichnungen - jene selbst systematisch relevanten, paarweisen Ausprägungen des Deliktischen benannt werden.

13

Radbruch, Frankfestgabe I, S. 158 Anm. 1.

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I. Teil, 2. Abschn.: Die Erscheinungsfonnen der Straftat

Deren Begriffsmerkmale, d. h. die allgemeinen Merkmale eines Erscheinungsformpaares, werden im folgenden herauszuarbeiten sein. Sie sind nur verstehbar auf der Grundlage jeweils einer bestimmten Frageweise, mittels welcher differenziert wird, so daß zuvor deren Kriterien untersucht werden müssen. Diese Frageweisen wiederum lassen sich nur dann festlegen, wenn man den die Einheit des Verbrechens wahrenden Gegenstand kennt, denjenigen Sachverhalt also, der in verschiedenen Strafvorschriften vertyptes Geschehen als bloße Erscheinungsformen des gleichen Verbrechens ausweist; ihn gilt es deshalb zuerst zu bestimmen.

I. Der Gegenstand der Erscheinungsformen Die Erscheinungsformen des Verbrechens lassen sich vorläufig umschreiben als arteigene Gestaltungen der Straftat, die auf Grund eines generellen Diff·erenzierungsprinzips (wie Beteiligungsform, Verwirklichungsstufe oder Begehungsweise) nach Unwert und gesetzlicher Schilderung von der jeweils korrespondierenden Erscheinungsform unterschieden und dieser Strafwürdigkeitsdifferenz entsprechend mit eigenen Rechtsfolgen ausgestattet sind. Die zwischen den einzelnen Erscheinungsformen eines Verbrechens bestehenden Unterschiede sind damit zunächst hinreichend verdeutlicht; sie beruhen entweder auf einer Verschiedenheit von deliktischem Verhalten und darauf angedrohter Strafbarkeit (etwa: Vollendung und Versuch) oder auf einer Verschiedenheit des Differenzierungsprinzips (etwa: Täterschaft und Versuch). Was hingegen wahrt die Einheit der jeweiligen Verbrechensart? Was ermöglicht es, zwei Verhaltensweisen als Erscheinungsformen des gleichen Verbrechens anzusprechen? So sind etwa vollendete und versuchte Sachbeschädigung eindeutig Erscheinungsformen desselben Delikts - gilt das aber auch für das Verhältnis von Unterschlagung (§ 246) einerseits und andererseits Diebstahl (§ 242) als materiell nur erst versuchter Zueignung? Die aktive Tötung eines Menschen und die Nichtabwendung des Todes durch einen Garanten sind Erscheinungsformen desselben Verbrechens - aber auch der Totschlag (§ 212) und die Verletzung des Wertes des menschlichen Lebens durch das Unterlassen der erforderlichen Hilfe (§ 323 c) oder durch die Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138)? Was entscheidet letztlich über die Verbrechensidentität? Es ist unmittelbar einsichtig, daß das gesuchte Kriterium, welches die Einheit der Verbrechensart wahren soll, mit der zugrunde gelegten Straftatsystematik in Einklang stehen muß. Die Behauptung, daß jeder "Typus" eine eigene Verbrechensart bedinge,14 mag im formal-klassifikatorischen System Relings zutref14 Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 294; nach Beling, a. a. 0., S. 270, "ist nur derjenige tatbestandliche Umriß ein besonderer Verbrechenstypus, für den eine besondere Grundstrafdrohung existiert". - Vgl. auch Geerds, Engisch-Festschrift, S. 406 ff.

1. Kap.: Die Begriffsbestimmung der Erscheinungsformen

189

fend gewesen sein - im Rahmen der hier skizzierten Straftatsystematik kann die Identität der Verbrechensart nur in einem auch materiellen Merkmal begründet sein. Dieses Merkmal muß in sämtlichen Erscheinungsformen des Verbrechens die Einheit der Verbrechensart erkennen lassen. Da nun die Erscheinungsformen untereinander bereits im Unrechtstatbestand unterschieden sind, muß auch das die Einheit der Verbrechensart wahrende Kriterium an der Basis des Deliktsaufbaus gesucht werden; es darf sich dabei also nicht um ein Schuld- oder ein Strafwürdigkeitsmerkmal handeln, sondern es muß ein Element des tatbestandsmäßigen Unrechts sein. Hier wiederum reicht die Gleichheit des verletzten Wertes nicht aus, um die Einheit des Verbrechens zu kennzeichnen; der Wert des Eigentums wird etwa durch eine Unterschlagung (§ 246), einen Diebstahl (§ 242), eine Sachbeschädigung (§ 303) verletzt, wobei es sich offenbar trotz der Identität des verletzten Gemeinschaftswertes um unterschiedliche Verbrechensarten handelt. Der Charakter einer Verbrechensart wird somit durch das deliktsspezifische Rechtsgut gemeinsam mit einer deliktsspezifischen Verletzungsart sowie durch eine beiden entsprechende Normwidrigkeit begründet. Demgegenüber ist die angewendete Gesetzestechnik für die Frage, ob es sich bei mehreren gesondert vertypten Verhaltensweisen um die gleiche Verbrechensart handelt, völlig irrelevant; vor allem brauchen zwei Gestaltungen derselben Verbrechensart nicht etwa stets im Verhältnis von Grundstrafdrohung und tatbestandlicher Abwandlung zu stehen,15 und ebensowenig erweist ein solches Tatbestandsverhältnis schon die Identität der Verbrechensart. Ist damit in der für das betreffende Delikt spezifischen rechtsnormwidrigen Gemeinschaftswertverletzung das die Einheit der Verbrechensart begründende Kriterium gefunden, so können nunmehr die einleitend als problematisch angesehenen Beispiele zwanglos eingeordnet werden: Im Verhältnis von Diebstahl (§ 242) und Unterschlagung (§ 246) fehlt es an der Identität der Verletzungsund damit an der der Verbrechensart. Dasselbe gilt für die Verletzungen des Schutzobjekts des menschlichen Lebens durch Totschlag (§ 212) einerseits und durch Unterlassen einer erforderlichen Hilfeleistung (§ 323 c) oder durch eine Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138) andererseits: Bei diesen Unterlassungsstraftaten handelt es sich nach ihrer tatbestand lichen Fassung um Gefährdungsdelikte; sie würden zwar mit einem (dem geltenden Recht unbekannten) umfassenden Straftatbestand der aktiven Lebensgefährdung in der Verbrechensart übereinstimmen, nicht aber mit dem Verletzungsdelikt des Totschlags. Mit 15 Die "Grundstrafdrohung" kann deshalb nicht für die Wahrung der Verbrechensidentität entscheidend sein, weil der Gesetzgeber in ihr begriffsnotwendig eine bestimmte Erscheinungsformenkombination gesetzlich vertypt hat, also etwa in der Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138) ein täterschaftlich vollendetes Unterlassungsdelikt. Die Einheit der Verbrechensart wahren kann aber nur ein vor jeglicher Erscheinungsformendifferenzierung existenter Sachverhalt. Als solcher hat sich im Text die deliktsspezifische rechtsnormwidrige Gemeinschaftswertverletzung erwiesen.

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I. Teil, 2. Abschn.: Die Erscheinungsformen der Straftat

dieser Einsicht ist zugleich der erste Schritt in Richtung auf die Defmition der Erscheinungsformen getan. Denn die Frage nach der Einheit der Verbrechensart war aufgeworfen worden, um überhaupt unterschiedliche Deliktsgestaltungen als Erscheinungsformen der gleichen Straftat kennzeichnen zu können; wo es deshalb an dem die Identität der Verbrechensart wahrenden Kriterium fehlt, kann es sich folglich nicht um Erscheinungsformen handeln. Daher sind "Verbrechenseinheit" und "Verbrechensmehrheit" entgegen der im Schrifttum vorherrschenden Meinung l6 keine Erscheinungsformen.

II. Die Differenzierungsgrundlagen der Erscheinungsformen Die delikts spezifische rechtsnormwidrige Gemeinschaftswertverletzung wahrt die Einheit der Verbrechensart. Die Suche eines solchen Kriteriums war deswegen erforderlich, weil das geltende Strafrecht im allgemeinen seine Sanktionen nicht unmittelbar an die Verbrechensart anknüpft. Die bloße Aufzählung in sich nicht differenzierter Verbrechensarten wäre ein zu grobes Mittel, um den heute an das Strafgesetz gestellten Bestimmtheitsanforderungen zu genügen und den - im Blick auf die Vielfalt möglicher Sachverhaltsgestaltungen innerhalb einer Verbrechensart als natürlich erlebten - Strafwürdigkeitsunterschieden zu entsprechen. Deswegen ist jede Verbrechensart vom Gesetzgeber unter dem Aspekt unterschiedlicher Strafbarkeit mehrfach gegliedert und im Gesetz in variierenden Kombinationen jener Gliederungskategorien mit je eigener Strafbarkeitsandrohung vertypt worden. So bildet jede Verbrechensart zwar eine Einheit, aber eine nach deliktischen Voraussetzungen und Rechtsfolgen vielfach gegliederte Einheit. Hierbei läßt schon ein flüchtiger Blick erkennen, wie heterogen die Fragegesichtspunkte sind, unter denen jene Differenzierungen innerhalb einer Verbrechensart getroffen werden. Selbst wenn man die rur jeweils eine einzelne Verbrechensart spezifischen Differenzierungsmöglichkeiten - etwa beim Diebstahl nach Art und Wert des Verletzungsobjekts sowie nach der Angriffsform (vgl. §§ 242, 244, 248 a) - aus der Betrachtung ausklammert und sich auf die grundsätzlich bei allen Verbrechensarten möglichen Gliederungsaspekte beschränkt, ist die Vielfalt nahezu unüberschaubar: Da wird differenziert in Tätigkeits- und Unterlassungsdelikte, vorsätzlich und fahrlässig begehbare Delikte, erstmals und im Rückfall begangene Delikte, nur eigenhändig und auch fremdhändig begehbare Delikte, Grund- und qualifizierte oder privilegierte Delikte usw.

16 Vgl. z. B. v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 297 ff.; Mezger, Lehrbuch, S. 375 ff.; zu Dohna, Verbrechenslehre, S. 1; im Ergebnis zutreffend hingegen Radbruch, Handlungsbegriff, S. 70 f.; Beting, Lehre vom Verbrechen, S. 287.

I. Kap.: Die Begriffsbestimmung der Erscheinungsfonnen

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Das Bedürfnis, diese Mannigfaltigkeit in einer der im übrigen zugrunde gelegten Strafrechtssystematik entsprechenden Weise zu ordnen und sie ihr so einzugliedern, ist unmittelbar einsichtig. Hierzu kann man zunächst jene Einteilungskategorien bei Ähnlichkeit des Frageaspektes, unter dem differenziert wird, zu Gruppen zusammenfassen. Eine solche Ähnlichkeit - die Gruppe von gesamtsystematisch größter Bedeutung begründend - besteht zwischen den Aufgliederungen der Verbrechensarten nach Beteiligungsform, Verwirklichungsstufe und Begehungsweise. Um diese Gemeinsamkeit der Differenzierungsjragen von Täterschaft und Teilnahme, Vollendung und Versuch sowie Tätigkeitsdelikt und Unterlassungsdelikt zu erfassen, benötigt man einen Begriff. Dieser fehlt der Strafrechtswissenschaft bisher; infolgedessen stehen gegenwärtig jene Differenzierungsaspekte in den Systemen des geltenden Strafrechts inhaltlich unverbunden nebeneinander, was zu dogmatisch gravierenden Konsequenzen fUhrt. 17 Der gesuchte Begriff ist hier mit "Erscheinungsformen des Verbrechens" benannt worden. Worin besteht nun die Übereinstimmung der Differenzierungsgesichtspunkte, unter denen die Erscheinungsformen gebildet werden? Welche Merkmale muß also ein Frageaspekt aufweisen, um Grundlage eines Erscheinungsformpaares zu sein? Ein Blick auf die bisher genannten Beispiele von Erscheinungsformen des Verbrechens zeigt sogleich, daß zu jenen Merkmalen primär die Inhaltlichkeit des Differenzierungsgesichtspunktes gehört. Täterschaft und Teilnahme beispielsweise stellen eine Aufgliederung des Verbrechens unter dem rechts inhaltlichen Gesichtspunkt der Beteiligungsform dar, während etwa Grunddelikt und abgewandeltes Delikt (Qualifizierung oder Privilegierung)18 eine Aufgliederung unter einem lediglich rechtstechnischen Differenzierungsaspekt - "Grunddelikt" ist stets die merkmalsärmste Vertypung - bilden. 19 Selbst der Unterscheidung von Grunddelikt und unrechtstatbestandlieh abgewandeltem Delikt fehlt die notwendige Inhaltlichkeit, da zur Begründung von Erscheinungsformen eben nicht eine Differenz im Unrechtstatbestand schlechthin bereits ausreicht, sondern stets eine bestimmt geartete unrechtstatbestandliehe Entgegensetzung erforderlich ist.

17 Wie verhängnisvoll sich das Fehlen dieses Begriffs allein schon in didaktischer Hinsicht auswirkt, verdeutlicht eindringlich ein Blick in die Inhaltsverzeichnisse der zeitgenössischen Lehrbücher zum Allgemeinen Teil des Strafrechts: Daß die inhaltliche Gemeinsamkeit der Differenzierungsfragen von Täterschaft und Teilnahme, Vollendung und Versuch sowie Tätigkeitsdelikt und Unterlassungsdelikt in diesen Gliederungen zum Ausdruck käme, wird man schwerlich behaupten können. \8 Vgl. zu deren Verhältnis im einzelnen Nagler, ZAkDR 1940, 366. 19 Aus diesem Grund ist die Definition der Erscheinungsfonnen mittels der "relativen Strafdrohung" (Gegensatz zum Grunddelikt) durch Beting, Lehre vom Verbrechen, S. 268, mit der hier vertretenen Systematik unvereinbar.

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I. Teil, 2. Abschn.: Die Erscheinungsfonnen der Straftat

Des weiteren gehört die Allgemeinheit des Differenzierungsgesichtspunktes zu den übereinstimmenden Merkmalen der den Erscheinungsformen zugrunde liegenden Gliederungsfragen: Die betreffende Unterscheidung muß bei jeder Verbrechensart sinnvol1 möglich sein. Das ist etwa bei Vol1endung und Versuch der Fal1; es ist keine Verbrechensart denkbar, die nicht in dieser Weise unter dem Aspekt der Verwirklichungs stufe sachgerecht aufgegliedert werden könnte. Anders steht es hingegen mit solchen Modifikationen der deliktsspezifischen Verletzungsart, die zwar als Phänomen bei al1en Straftaten vorkommen könnten, die aber charakteristische Gestaltungen des Deliktsunrechts nur bei bestimmten Verbrechensarten konstituieren; so bildet beispielsweise die Begehung unter Führen einer "Waffe" beim schweren Raub (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 a) eine besondere Form des Raubes, nicht aber Erscheinungsformen des Verbrechens, denn ob der Täter etwa bei der Herstel1ung einer unechten Urkunde "eine Waffe bei sich fUhrt" oder ob er unter Führen einer solchen vorsätzlich falsch schwört, das beeinflußt den Unrechtsgehalt seines Tuns nicht. Hier mangelt es eben an der zur Begründung von Erscheinungsformen erforderlichen Al1gemeinheit des Differenzierungsgesichtspunktes. Zum dritten bedarf es zur Fundierung von Erscheinungsformen der Unmittelbarkeit des Frageansatzes: Die Aufgliederung muß direkt an dem die Einheit der Verbrechensarten jeweils wahrenden Gegenstand, also an den bestimmtartigen rechtsnormwidrigen Gemeinschaftswertverletzungen ansetzen, d. h. sie muß auf eine Differenzierung innerhalb der Verbrechensarten schon im tatbestandlichen Unrecht gerichtet sein, wie beispielsweise die Unterscheidung von Deliktsbegehungen durch Tun und durch Unterlassen. Diese Unmittelbarkeit des Frageansatzes fehlt somit al1en (obschon zum Teil "rechtsinhaltlichen" und "al1gemeinen") Differenzierungen des Schuld- und des Strafwürdigkeitsbereichs; daher sind etwa Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt20 sowie Erstbegehung und Rückfal1tat keine Erscheinungsformen des Verbrechens. Zur Begründung von Erscheinungsformen ist ferner die Selbständigkeit der Frageweise erforderlich: Die Differenzierung hat unabhängig von der Existenz anderer Erscheinungsformen und deshalb ohne Bezug auf sie zu erfolgen. Das 20 Insoweit kann der Auffassung Radbruchs, Handlungsbegriff, S. 70, der vorsätzliches und fahrlässiges Verbrechen als Erscheinungsformen ansieht, nicht gefolgt werden. Hierbei handelt es sich um unterschiedliche Schuldformen und nicht um einen auf eine Differenzierung im Unrechtstatbestand hin ausgerichteten Frageaspekt. Zwar setzt der vorsätzliche Deliktstypus tatbewußtes Unrecht voraus, während für den fahrlässigen Deliktstypus derselben Verbrechensart die Erlangbarkeit der Tatumstandskenntnis hinreicht. Aber im Gegensatz zu den wirklichen Erscheinungsformen, deren Vorliegen durch ein konkretes Unrechtsverhalten stets alternativ und eindeutig fixiert ist - ein Deliktsunrecht ist notwendig entweder täterschaftlich oder teilnehmerschaftlich, entweder vollendet oder versucht, entweder tätig oder unterlassend begangen -, ist hier mit der Feststellung tatbewußten Unrechts keineswegs gesagt, daß die "Erscheinungsfonn" des vorsätzlichen Verbrechens vorliegt.

1. Kap.: Die Begriffsbestimmung der Erscheinungsformen

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ist beispielsweise bei der Aufgliederung in Täterschaft und Teilnahme der Fall, nicht aber etwa bei der Unterscheidung von nur eigenhändig und auch fremdhändig begehbaren Delikten, denn dieser Differenzierungsgesichtspunkt ist (ungeachtet der Frage, ob er dogmatisch überhaupt haltbar ist) begrifflich abhängig von der Erscheinungsform der Täterschaft in den Gestalten der mittelbaren Täterschaft und der Mittäterschaft, so daß bei einer Beseitigung der Erscheinungsformen "Täterschaft" und "Teilnahme" durch den Gesetzgeber auch jener - insofern eben "unselbständige" - Frageaspekt hinfällig würde. Zu den übereinstimmenden Merkmalen der den Erscheinungsformen zugrunde liegenden Differenzierungsgesichtspunkte gehört schließlich die Erheblichkeit in bezug auf die Rechts/algen: Die betreffende Aufgliederung muß sich auf die Strafbarkeit auswirken können. Diese Möglichkeit besteht etwa bei der Unterscheidung von Versuch und Vollendung; hingegen fehlt die Erheblichkeit in bezug auf die Rechtsfolgen beispielsweise bei der Differenzierung in Erfolgsdelikte und sog. schlichte Tätigkeitsdelikte (wiederum ganz abgesehen davon, ob diese Aufgliederung überhaupt durchfiihrbar ist). Damit sind die Ubereinstimmenden Merkmale der Differenzierungsprinzipien, gemäß denen die Erscheinungsformen gebildet werden, ermittelt. Wenn Aufgliederungen des Verbrechens auf rechtsinhaltlichen, allgemeinen, unmittelbaren, selbständigen und strafbarkeitserheblichen Fragegesichtspunkten beruhen, so handelt es sich bei dem Ergebnis dieser Aufgliederungen um Erscheinungsformen. Deren Begriff ist jedoch erst dann abschließend bestimmt, wenn außer den gemeinsamen Grundlagen aller Erscheinungsformen auch die Merkmale des einzelnen Erscheinungsformpaares definiert worden sind.

ill. Die Paarmerkmale der Erscheinungsformen Mit den gemeinsamen Merkmalen der den Erscheinungsformen zugrunde liegenden Differenzierungsfragen sind vorstehend die Voraussetzungen der Erscheinungsformbildung gekennzeichnet worden. Nunmehr gilt es, die Ergebnisse jener Differenzierungen, nämlich die al/gemeinen BegrifJsmerkmale der Erscheinungsformpaare, näher zu betrachten. Auszugehen ist dabei vom allgemeinen Verbrechensbegriff und den Verbrechensarten des Besonderen Teils, die beide in den Erscheinungsformen ihre logisch und teleologisch primäre Aufgliederung erfahren. 21

21 Die konkrete gesetzliche Straftatschilderung (und entsprechend das konkrete deliktische Verhalten) hat jeweils eine der korrespondierenden Erscheinungsformen zur Gestalt - also die Strafvorschrift gegen die Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138) beispielsweise die Erscheinungsformenkombination des täterschaftlich vollendeten Unterlassungsde1ikts -; ginge man jeweils von der gesetzlichen Straftatschilderung aus und

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1. Teil, 2. Abschn.: Die Erscheinungsformen der Straftat

Die Erscheinungsformen gliedern das Verbrechen (in seinem allgemeinen Begriff und in den besonderen Verbrechensarten) antithetisch, d. h. der Begriff einer Erscheinungsform ist jeweils nur im Gegensatz zur korrespondierenden Erscheinungsform sinnvoll und nur unter Berücksichtigung dieses Gegensatzes definierbar; was etwa "Vollendung" (als Vollendung) wirklich ist, das läßt sich nur durch eine Konfrontation mit dem Begriff des" Versuchs" erfassen. Die Erscheinungsformen existieren also überhaupt nur im Paar, und folglich sind ihre Begriffsmerkmale sachgerecht nur paarweise, und zwar durch Kennzeichnung des Unterscheidungssachverhaltes, zu bestimmen. Will man den letzteren ermitteln, so muß man beachten, daß stets Kombinationen von Erscheinungsformen der einzelnen Verbrechensarten gesetzlich vertypt sind und dabei die jeweils korrespondierenden Erscheinungsformen gesetzestechnisch nicht notwendig durch für sie spezifische Strafausdehnungsvorschriften an selbständige Vertypungen angehängt sind (wie es beispielsweise bei den Versuchs- und TeiInahmevorschriften geschehen ist, §§ 22, 26, 27), sondern durchaus selbständig vertatbestandlicht sein können (so etwa bei der tätigen und untätigen Verletzung des Rechtsgutes der körperlichen Integrität in den §§ 223,225 Abs. 1 Nr. 1-4 Var. 3); deshalb müssen bei der Suche nach den allgemeinen Begriffsmerkmalen des Erscheinungsformenpaares immer zwei Gestaltungen des Deliktstypus miteinander verglichen werden, die sich nur in einem Erscheinungsformpaar unterscheiden, in den übrigen hingegen völlig übereinstimmen (also z. B. täterschaftlich vollendetes Begehungs- und täterschaftlich vollendetes Unterlassungsdelikt derselben Verbrechensart). Bei solchen Vergleichen erkennt man, daß das Erscheinungsformenpaar charakterisiert ist durch die Differenzierung in den Strafbarkeitsvoraussetzungen und in der Strafbarkeit selbst. 22 Wendet man sich zur näheren Bestimmung der Paarmerkmale zunächst dem Unterschied in den Strafbarkeitsvoraussetzungen zu, so bemerkt man, daß die einzelnen Erscheinungsformen vorjuristischen Phänomenen nachgebildet sind. Täterschaft und Teilnahme, Vollendung und Versuch, Tätigkeitsdelikt und Unterlassungsdelikt sind lebensweltlichen Geschehensgestalten nachgeprägt, deren Begriffe deshalb dem Sprachgebrauch vertraut sind und die so zur Leitschnur bei der tatbestandlichen Gestaltung der betreffenden Erscheinungsformen wurden. Diese vorrechtlichen Phänomene liefern jedoch nur die abstrakten Leitbilder für die Vertatbestandlichung, sie sind hingegen nicht notwendig auch Kriterium der jeweiligen Erscheinungsform: Aus dem einer Erscheinungsform beschränkte man die Betrachtung allein auf sie, dann würden weder jene Differenzierungsfragen noch die Begriffsmerkmale des Erscheinungsformpaares überhaupt in den Blick kommen können. 22 Die Aufgliederungen der einzelnen Erscheinungsformen, also etwa der Täterschaft in Allein- und Mittäterschaft, der Teilnahme in Anstiftung und Beihilfe usw., können bei der hier vorzunehmenden Definition des Erscheinungsformbegriffs außer Betracht bleiben.

1. Kap.: Die Begriffsbestimmung der Erscheinungsformen

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zugrunde liegenden Phänomen und einer Verbrechensart ergibt sich nicht zwangsläufig der entsprechende Erscheinungsfonnbegrijf in dieser Verbrechensart; das im § 242 geschilderte Verhalten etwa ist dem Begriff nach "Vollendung" der Verbrechensart "Zueignung unter Gewahrsamsbruch", während es sich dem Phänomen nach nur um einen Versuch dieser Verbrechensart handelt, nämlich um eine bloße Beabsichtigung der Zueignung, welche das wirkliche Erreichen dieses Zieles - wie es das Phänomen der Vollendung voraussetzt - nicht erfordert. Diese Möglichkeit der Diskrepanz zwischen Phänomen und Begriff einer Erscheinungsfonn beruht auf der Vertauschbarkeit der Phänomene bei der Erscheinungsfonnbildung. Oberster Leitaspekt der Vertatbestandlichung ist - wie oben ausgeruhrt - stets die Strafwürdigkeit, und dieser Gesichtspunkt kann bei gewissen Verbrechensarten dazu veranlassen, Versuchshandlungen als Vollendung (so etwa bei der Urkundenftilschung in den Fonnen des Herstellens und des Verftilschens, § 267), Teilnahmehandlungen als Täterschaft (so etwa bei der Begünstigung, § 257), usw., gesetzlich zu typisieren. Wenn somit die Phänomene auch nicht letztlich entscheidend sind rur den jeweiligen Erscheinungsfonnbegriff, so ist ihre Kenntnis rur die Bestimmung der Erscheinungsformpaannerkmale doch von Bedeutung: Gemeinsam ist den Phänomenen und den Begriffen nämlich die Dijferenzierung innerhalb des menschlichen Verhaltens, die die Erscheinungsfonnpaare begründet. Nunmehr ist zu untersuchen, wie sich dieser an den zugrunde liegenden Phänomenen erkannte Unterschied auf die Begriffsmerkmale des Erscheinungsfonnpaares auswirkt. Da die Aufgliederung des Verbrechens durch die Erscheinungsfonnen wie vorstehend dargelegt - unmittelbar an dem die Einheit der Verbrechensart wahrenden Sachverhalt, an der Basis des allgemeinen Verbrechensbegriffs, anzusetzen hat, muß es sich bei jener das Erscheinungsfonnpaar charakterisierenden Differenzierung um eine Differenzierung im tatbestandsmäßigen Unrecht, also um eine Unterscheidung im Unrecht und im Unrechtstatbestand, handeln. Das Erscheinungsfonnpaar ist somit einmal gekennzeichnet durch eine Dijferenzierung im Unrecht. Das Unrecht ist oben als ein nicht nur nach der Werthöhe des verletzten Rechtsgutes graduierbares Verbrechenselement erkannt worden. Daß bei dieser Voraussetzung zwischen täterschaftlicher und teilnebmerschaftlicher, vollendeter und versuchter, tätiger und unterlassender Begehung desselben Verbrechens jeweils ein Unterschied im Unrechtsgehalt besteht, ist offensichtlich. Zum anderen wird das Erscheinungsfonnpaar begrifflich durch eine Dijferenzierung im Unrechtstatbestand charakterisiert; die Unterscheidung im Unrechtsgehalt reicht allein nicht zur Begründung von Erscheinungsfonnen. So ist etwa die Verschiederiheit von Täterschaft und Teilnahme nicht nur in der Verhaltensstruktur angelegt und im Sachelement des Unrechts differenzierend wirksam, sondern im Strafgesetz im Besonderen Teil sowie im § 25 einerseits und in

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I. Teil, 2. Abschn.: Die Erscheinungsformen der Straftat

den §§ 26, 27 andererseits auch unrechtstatbestandlich zum Ausdruck gebracht. 23 Bei einem gesetzlichen Übergang zum Einheitstäterbegriff beispielsweise, wie ihn manche auch rur das deutsche Strafrecht fordern, würde die Unrechtsdifferenz zwischen Täterschaft und Teilnahme unverändert bleiben, jedoch mit deren Differenzierung im Unrechtstatbestand zugleich auch ihr Erscheinungsformcharakter entfallen. Die antihetische Vertatbestandlichung des Unrechts gehört somit zu den Begriffsmerkmalen des Erscheinungsformpaares. Begriffsnotwendiges Paarmerkmal der Erscheinungsformen ist schließlich die Differenzierung in der Strafbarkeit; die ausschließliche Unterscheidung in den Stratbarkeitsvoraussetzungen, wie sie sich etwa in den besonderen Begehungsweisen mancher Verbrechensarten findet (vgl. etwa den Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl; Wohnungseinbruchdiebstahl gern. § 244), ist zur Erscheinungsformbegründung nicht hinreichend. Es ist naheliegend, daß man sich diese rur das Erscheinungsformpaar erforderliche Differenzierung in der Strafbarkeit stets am Regelfall der gesetzlichen Schilderung verdeutlichen möchte: Zur Erhellung der unterschiedlichen Stratbarkeit von Vollendung und Versuch etwa wird man immer zunächst das täterschaftlich verwirklichte Begehungsdelikt heranziehen. 24 Aber auch in bezug auf jene Stratbarkeitsdifferenz ist die gesetzliche Regelschilderung - eine rechtstechnische Besonderheit also - inhaltlich ohne spezifische Bedeutung: Für die Bejahung jener erforderlichen Strafbarkeitsdifferenz kommt es nicht darauf an, daß sich zwei korrespondierende Erscheinungsformen gerade in der Erscheinungsformkombination, die den Regelfall der gesetzlichen Vertypung bildet, in der Strafbarkeit unterscheiden. Ein solcher Unterschied fehlt beispielsweise zwischen der Täterschaft einerseits und andererseits der Teilnahme in der Form der Anstiftung (§ 26) in bezug auf die gesetzliche Regelschilderung der Deliktsvollendung, ohne daß dadurch der Erscheinungsformcharakter von Täterschaft und Teilnahme berührt würde, denn die begriffsnotwendige Differenz zeigt sich hier in der gesetzlichen Bestimmung der Versuchsstratbarkeit (§ 23 einerseits und § 30 Abs. 1 andererseits). Damit ist aufgewiesen, was mit der "Differenzierung in der Stratbarkeit" als einem Merkmal des Erscheinungsformpaares gemeint ist: die im Wesen der Erscheinungsform angelegte Möglichkeit, in der Kombination mit allen übrigen Erscheinungsformenjeweils selbständig Einfluß auf die Rechtsfalge zu nehmen, d. h.· eine andere Stratbarkeit begründen zu können als die korrespondierende 23 Hingegen ist, wie schon gezeigt wurde, ein bestimmtes rechtstechnisches Verhältnis der korrespondierenden Erscheinungsformen (wie etwa Regel- und Ausnahmevorschrift oder Grundtatbestand und tatbestandliehe Abwandlung) flir den Begriff des Erscheinungsformpaares nicht wesentlich. 24 Daß die begriffsnotwendige Strafbarkeitsdifferenz auch dann besteht, wenn das deIiktische Verhalten in einer der korrespondierenden Erscheinungsformen bei manchen Verbrechensarten straflos bleibt, wie etwa der Versuch bei etlichen Straftaten, das liegt auf der Hand.

I. Kap.: Die Begriffsbestimmung der Erscheinungsformen

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Erscheinungsfonn in der gleichen Kombination. Eine partielle Übereinstimmung korrespondierender Erscheinungsfonnen in der Strafbarkeit - sei es die völlige Gleichstellung bezüglich einzelner Verbrechensarten, wie etwa von Vollendung und Versuch bei den Unternehmensdelikten (§ ll Abs. I Nr.6)/5 sei es die allgemeine Gleichstellung bezüglich einzelner Erscheinungsfonnkombinationen, wie etwa von Täterschaft einerseits und andererseits Teilnahme in der Fonn der Anstiftung, sofern beide vollendet sind (§ 26) - beeinträchtigt somit den Erscheinungsfonncharakter nicht. Er bleibt gewahrt, solange das Erscheinungsfonnpaar in wenigstens einer Kombination eine divergierende Strafbarkeit bewirkt. Erst wenn eine solche Differenzierung ausnahmslos fehlt, liegt auch kein Erscheinungsfonnpaar vor: Würden künftig etwa Vollendung und Versuch in allen Erscheinungsfonnen gleich bestraft, so wären sie selbst keine Erscheinungsfonnen mehr.

25 Die Begriffsbildung "unechtes Unternehmensdelikt" hingegen mit überzeugender Begründung zurückweisend Sowada, GA 1988, 198 ff., 211 ff.

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I. Teil, 2. Abschn.: Die Erscheinungsformen der Straftat

Zweites Kapitel

Die systematische Bedeutung der Erscheinungsformen Mit Hilfe der soeben erarbeiteten Begriffsbestimmung der Erscheinungsformen soll nunmehr versucht werden, die Frage nach ihrer systematischen Funktion zu beantworten. Hierbei geht es um die systematische Bedeutung des Erscheinungsformbegriffes selbst und nicht etwa um die der konkreten Erscheinungsformen wie Täterschaft, Versuch, Unterlassung usw. Hat die vorstehend definierte Kategorie "Erscheinungsform" die eingangs behauptete systematischgrundbegriffiiche Funktion und - bejahendenfalls - wie wirkt sich diese aus? Im strafrechtlichen Schrifttum der Gegenwart werden die einzelnen Erscheinungsformen - und zwar sowohl die Erscheinungsformpaare untereinander als auch bisweilen die Erscheinungsformen innerhalb eines Paares - nahezu ausnahmslos so erörtert, als stünden sie inhaltlich völlig unverbunden nebeneinander. Eine klare systematische Einordnung der Erscheinungsformen in die Verbrechenslehre, die Bestimmung ihres Verhältnisses zum allgemeinen Straftatbegriff auf der einen und zur besonderen Deliktsart auf der anderen Seite, I sucht man vergebens. Es liegt zudem auf der Hand, daß der Erscheinungsformbegriff in einer an der. Strafe ausgerichteten Verbrechenssystematik so lange nicht die Rolle eines Grundbegriffes zu übernehmen vermag, solange man ihn wie es bisher ausnahmslos geschehen ist - als eine lediglich zu didaktischen Zwecken erfolgte klassifikatorische Zusammenfassung unterschiedlicher Deliktsgestaltungen versteht. In der kategorial-teleologischen Straftatsystematik2, die hier als Grundlage der eigenen Sonderdeliktsdefinition entwickelt wird,

I Treffend hat Gallas, ZStW Bd. 67, 17 f., dargelegt, "daß das Verbrechen sich inhaltlich nicht ohne Rückgriff auf ... die jeweiligen Deliktstypen erfassen läßt, die systematische Aufgabe sich also nicht in der Aufzählung allgemeiner Verbrechensmerkmale erschöpfen kann", und zwar deshalb nicht, "weil sich das spezifisch Deliktische nur in der jeweiligen Deliktsart, nicht aber generell erfassen läßt". "Für eine teleologisch orientierte Systematik, die den im Tatbestand verkörperten spezifischen Deliktsgehalt miteinbeziehen will, bleibt daher nur der Ausweg, auf eine einheitliche Begriffsbildung zu verzichten und das Verbrechen sowohl in seinen allgemejnen Merkmalen als auch in seiner besonderen Erscheinungsform (in der Terminologie des Textes: in der jeweiligen Verbrechensart) ins Auge zu fassen, d. h. es unter zwei verschiedenen, freilich auf einander bezogenen Aspekten zu betrachten." 2 Auf diese doppelte Grundlegung der Verbrechenssystematik ist wohl erstmals von Radbruch, Frankfestgabe I, S. 160 ff., hingewiesen worden. Hiermit wird versucht, jene fundamentale Erkenntnis Radbrllchs gesamtsystematisch fruchtbar zu machen, wobei allerdings sowohl die "kategoriale" als auch die "teleologische" Grundlegung inhaltlich anders als durch Radbruch bestimmt wird.

2. Kap.: Die systematische Bedeutung der Erscheinungsformen

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kann er nur dann die Funktion eines Grundbegriffes haben, wenn er selbst die Strafbarkeit entscheidend beeinflußt, d. h. sofern von ihm spezifische Rechtsfolgen abhängen, solche Rechtsfolgen also, die sich nur vom Erscheinungsformbegriff selbst her (und nicht schon aus dem zutreffenden Verständnis von Teilnahme, Vollendung, tätiger Deliktsbegehung usw.) sachgerecht erfassen lassen. Damit sind die Fragen nach der systematischen Stellung des Erscheinungsformbegriffs und nach seiner Bedeutung fiir die Rechtsfolgen umrissen, um deren Beantwortung es im folgenden geht. Hierbei wird zunächst sein Verhältnis zur Verbrechensart und sodann sein Verhältnis zum al/gemeinen Verbrechensbegriff- und zwar jeweils in seinen Auswirkungen auf die Strafbarkeit - bestimmt.

I. Die Wahrung der Verbrechensidentität Die Verbrechensart ist das Deliktische in seiner Spezifizierung;3 sie ist im vorstehenden als "bestimmtartige rechtsnormwidrige Gemeinschaftswertverletzung" charakterisiert worden. Die Erscheinungsformen gliedern die Verbrechensarten nach oben näher erörterten Kriterien unrechtstatbestandlich auf. Die Straffolgen sind nach geltendem Recht durchgängig nicht unmittelbar an die einzelnen Verbrechensarten, sondern an die Erscheinungsformen geknüpft, in denen die betreffende Verbrechensart jeweils verwirklicht worden ist. Teleologisch stehen Erscheinungsformen und Verbrechensarten somit im Verhältnis der Gleichrangigkeit: Zur Rechtsfolgenbestimmung sind beide gleichermaßen unentbehrlich. Die Strafbarkeit etwa des versuchten Totschlags hängt von den Strafvorschriften über den Totschlag (§ 212) und über den Versuch (§§ 22 ff.) ab. Doch mit dieser Feststellung ist das Verhältnis von Verbrechensart und Erscheinungsformen noch nicht hinreichend geklärt; denn neben den Erscheinungsformen gibt es noch andere Aufgliederungen der Verbrechensarten - wie etwa die Schuldformen oder Strafwürdigkeitsmomente -, die in entsprechender Weise die Straffolgen differenzierend mitgestalten. Die Besonderheit der Erscheinungsformen besteht darin, daß es sich bei ihnen um die primären Aufgliederungen der Verbrechensarten, nämlich um Differenzierungen ihres tatbestandsmäßigen Unrechts, handelt. Grundsätzlich bedingt eben ein Unterschied im tatbestandsmäßigen Unrecht auch unterschiedliche Verbrechensarten; eine Ausnahme machen nur die Erscheinungsformen als diejenigen Differenzierungen tatbestandsmäßigen Unrechts, die die Einheit der Verbrechensart nicht sprengen. In diesem Sinne wahrt somit der Erscheinungsformbegriff die Einheit 3

Vgl. hierzu Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 55.

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der Verbrechensart, indem er jene divergierenden gesetzlichen Unrechtsvertypungen als lediglich formverschiedene Ausprägungen derselben Verbrechensart erweist.

II. Die Rechtsfolgendifferenzierung innerhalb der Verbrechensidentität Der allgemeine Verbrechensbegriff ist die Kennzeichnung des Verbrecherischen auf seiner höchsten Abstraktionsstufe; er charakterisiert die übereinstimmenden Merkmale jeglichen deliktischen Verhaltens. Gemeinsam mit der "Verbrechensart" und der "Erscheinungsform" ist er eine Grundkategorie der Verbrechenslehre. Während nun der Erscheinungsformbegriff, wie soeben dargelegt wurde, im Verhältnis zur Verbrechensart zwar auch als aufgliedernd4, aber primär eben doch als deren Identität wahrend fungiert, steht im Verhältnis zum allgemeinen Verbrechensbegriff seine Differenzierungsfunktion im Vordergrund. Die systematische Bedeutung des Erscheinungsformbegriffes in der Verbrechenslehre besteht somit darin, daß er die Einheit der Verbrechensart wahrt und zugleich die Vielfalt unterschiedlicher GeschehensgestaItungen und Sanktionsandrohungen in dieser Einheit ermöglicht. Bevor auf jene in den Erscheinungsformen begründete Vielfalt der Straffolgen näher eingegangen wird, sei zunächst das Verhältnis der Erscheinungsformen zum allgemeinen Verbrechensbegriff nochmals kurz beleuchtet. In bezug auf den allgemeinen Verbrechensbegriff wirkt der Erscheinungsformbegriff aufgliedernd; diese Differenzierungsfunktion ist bereits bei der Begriffsbestimmung der Erscheinungsformen im wesentlichen umrissen worden. Danach wird der allgemeine Verbrechensbegriff mittels bestimmtartiger Differenzierungsfragen - als solche sind bisher die Fragen nach der Beteiligungsform, der Verwirklichungsstufe und der Begehungsweise erkannt worden 5 - antithetisch aufgegliedert; das Ergebnis dieses Differenzierungsprozesses sind die Erscheinungsformen des Verbrechens. Infolgedessen existiert die Straftat - und zwar abstrakt, als gesetzlich vertyptes Verbrechen, wie auch als konkretes deliktisches Verhalten - nur in diesen Erscheinungsformen, nämlich in Erscheinungsformkombinationen dergestalt, daß sie jeder der erscheinungsformbegründenden Differenzierungen in einer Erscheinungsform genügt, wie z. B. als 4 Das ist notwendig schon deswegen der Fall, weil Verbrechensart und allgemeiner Verbrechensbegriff eine dialektische Einheit bilden. 5 Ob es nach geltendem Strafrecht noch weitere erscheinungsformbegTÜndende Differenzierungsfragen gibt, bedarf noch der Untersuchung. Dabei kann von dem Axiom ausgegangen werden, daß ein Numerus c1ausus der Erscheinungsformen besteht, daß also die Anzahl der Erscheinungsformen allenfalls durch eine Gesetzesänderung erhöht oder vermindert werden kann.

2. Kap.: Die systematische Bedeutung der Erscheinungsformen

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vollendete Teilnahme durch Unterlassen, als täterschaftlich versuchtes Begehungsdelikt usw. Damit ist zugleich die begriffliche Relation der drei Grundkategorien der Verbrechenslehre definiert: Der abstrakte Verbrechensbegriff, an dem das konkrete deliktische Verhalten auf seinen Straftatcharakter hin zu messen ist, wird durch die allgemeinen Verbrechensmerkmale, die jeweilige Verbrechensart und die jeweilige Erscheinungsformenkombination bestimmt. Eröffuen die Erscheinungsformen in der dargelegten Weise durch Aufgliederung und Kombination die Möglichkeit vielfältiger Gestaltung des Verbrechens (als des Gegenstandes der Strafbarkeit), so ist nun zu fragen, wie sich diese Differenzierungsfunktion des Erscheinungsformbegriffs in den Rechtsfolgen selbst niederschlägt; denn teleologisch ist sie nur dann von Bedeutung, wenn auch die jeweils verwirkte Strafe von ihr abhängt. Hier gilt, was soeben rur den abstrakten Verbrechensbegriff bezüglich der Strafvoraussetzungen festgestellt wurde, entsprechend hinsichtlich der Strafbarkeit: Nicht das Verbrechen, seinem allgemeinen Begriffe nach, oder die besondere Verbrechensart ist nach geltendem Recht mit Strafe bedroht, sondern stets sind es beide gemeinsam und immer nur in bestimmten Erscheinungsforrnkombinationen mit je spezifischer Strafe. Die damit behauptete Abhängigkeit der Straffolgen vom Erscheinungsformbegriffwird im folgenden zu beweisen sein. Schon bei der Bestimmung der Begriffsmerkmale der Erscheinungsformen war auf die im Wesen der Erscheinungsformen angelegte Möglichkeit hingewiesen worden, jeweils selbständig Einfluß auf die Rechtsfolge zu nehmen, d. h. eine andere Strafbarkeit bewirken zu können als die korrespondierende Erscheinungsform. Im Zusammenhang mit der vorstehend dargelegten Differenzierungsfunktion der Erscheinungsformen ergibt sich daraus im einzelnen folgendes: Jedes Verbrechen bildet eine Erscheinungsformenkombination, in welcher jeweils eine Erscheinungsform eines jeden Erscheinungsformpaares die Stratbarkeit in der rur sie spezifischen Weise mitgestaltet. Zur Bestimmung der Straffolgen eines deliktischen Verhaltens gehört somit notwendig die Prüfung unter jedem erscheinungsformbegrundenden Differenzierungsaspekt (wie Beteiligungsform, Verwirklichungsstufe, Begehungsweise ). Damit scheint nur eine Binsenwahrheit ausgesprochen zu sein. Denn gemeinhin wird eben jedes deliktische Verhalten unter die darauf anwendbare gesetzliche Erscheinungsformenkombination subsumiert, wenn auch insoweit unreflektiert, - also ohne daß man sich der zugrunde liegenden Differenzierungsaspekte und der Notwendigkeit, den zu beurteilenden Sachverhalt unter allen diesen zu betrachten, stets bewußt würde. Ein solches Vorgehen ist rur das Ergebnis, nämlich die festzustellende Strafbarkeit, insoweit unschädlich, als zwar der Erscheinungsformbegriff fehlt, aber die betreffenden Erscheinungsformen

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I. Teil, 2. Abschn.: Die Erscheinungsfonnen der Straftat

der Sache nach als Erscheinungsfonnen behandelt werden. 6 Kritisch wird es hingegen dort, wo man den Erscheinungsformcharakter auch der Sache nach noch nicht sicher erfaßt hat (wie etwa bezüglich des Tätigkeits- und des Unterlassungsdelikts), und vollends als untauglich erweist sich ein solches Vorgehen im Hinblick auf möglicherweise vorhandene, aber bisher auch der Sache nach stets verkannte Erscheinungsformen (wie ggf. Gemein- und Sonderverbrechen, was noch zu prüfen bleibt). Daher ist in dem - insoweit doch nur scheinbar selbstverständlichen - Erfordernis, deliktisches Verhalten stets unter jedem erscheinungsfonnbegründenden Differenzierungsaspekt zu betrachten, der Zwang zum Auffinden aller Erscheinungsfonnen des geltenden Rechtes begründet, denn nur bei deren Kenntnis und Berücksichtigung ist die systematische Richtigkeit der Straffolgenbestimmung gewährleistet. So zeigt sich zuerst darin die Abhängigkeit der Deliktsstratbarkeit vom Erscheinungsfonnbegriff, weil nur dieser die Struktur eines jeden Verbrechens als Erscheinungsfonnenkombination (in welcher jeweils eine Erscheinungsfonn eines jeden Paares die Strafbarkeit auf die für sie spezifische Art mitgestaltet) und damit die Notwendigkeit seiner Prüfung unter jeglichem erscheinungsfonnbegründenden Differenzierungsaspekt zu erweisen vennag. 7 Muß derart in jedem Verbrechen jeweils eine Erscheinungsfonn eines jeden Erscheinungsfonnpaares stratbarkeitsgestaltend enthalten sein, so kann andererseits auch nur jeweils eine Erscheinungsfonn in der für sie spezifischen Weise auf die Rechtsfolgen Einfluß nehmen. Hinsichtlich der der Sache nach anerkannten Erscheinungsfonnen ist dieses evident: Niemand wird außer wegen Vollendung eines Verbrechens zugleich auch wegen Versuches bestraft, obwohl er auch dessen Stratbarkeitsvoraussetzungen erfüllt. Nicht gleichennaßen eindeutig hat sich diese Erkenntnis dort durchsetzen können, wo der Erscheinungsfonncharakter auch der Sache nach noch nicht allgemein sicher erfaßt ist, wie etwa bei der Deliktsbegehung durch Tun und durch Unterlassen; bezüglich der Frage beispielsweise, ob der Täter einer Aussetzung (§ 221 Abs. 1 Nr. 1) auch wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323 c) stratbar ist, kann der herrschenden

6 Das ist dort der Fall, wo ihre Fähigkeit anerkannt wird, in jeder Erscheinungsformenkombination eine andere Stratbarkeit begründen zu können als die korrespondierende Erscheinungsfonn, wie es etwa hinsichtlich Täterschaft und Teilnahme sowie Vollendung und Versuch geschieht. 7 Insoweit führt damit der Erscheinungsformbegriff über die aus der Analyse der einzelnen Erscheinungsformen (Täterschaft, Versuch, Unterlassung usw.) für die Stratbarkeitsbestimmung gewinnbaren Einsichten hinaus. So ist beispielsweise gegenwärtig die Erkenntnis im Vordringen, daß Täterschaft und Teilnahme sich beim Unterlassungsdelikt anders gestalten könnten als beim Tätigkeitsdelikt; daß hingegen diese Möglichkeit bestehen muß, läßt sich zwingend nur mittels des Erscheinungsformcharakters der Unterlassungsstraftat nachweisen.

2. Kap.: Die systematische Bedeutung der Erscheinungsformen

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Lehre8 nur im Ergebnis zugestimmt werden. Der wirkliche Grund rur die ausschließliche Anwendbarkeit des § 221 liegt darin, daß es sich hier um korrespondierende Erscheinungsformen desselben Differenzierungsaspektes handelt. Auch darin erweist sich so die Abhängigkeit der Deliktsstrafbarkeit vom Erscheinungsformbegriff. Gibt es das Verbrechen somit nur in Erscheinungsformkombinationen und ist in jeder von ihnen jeweils eine und nur eine Erscheinungsform eines jeden Erscheinungsformpaares strafbarkeitsbeeinflussend enthalten, so kann darin - und auch hier zeigt sich wiederum die Bedeutung des Erscheinungsformbegriffs rur die Rechtsfolgenbestimmung - grundsätzlich jede Erscheinungsform mit jeder anderen kombiniert sein, und jede dieser Verbindungen ist durch eine rur sie spezifische Strafbarkeit charakterisiert. So ist etwa das täterschaftlich vollendete Tätigkeitsdelikt anders strafbar als das täterschaftlich versuchte Tätigkeitsdelikt und dieses wieder anders als das teilnehmerschaftlich vollendete Tätigkeitsdelikt usw. Mit der Zahl der erscheinungsformbegrilndenden Differenzierungsaspekte steht somit zugleich die Zahl der möglichen Erscheinungsforrnkombinationen fest;9 welche von ihnen jedoch überhaupt mit Strafe bedroht werden, das ist eine kriminalpolitische Ermessensentscheidung des Gesetzgebers. 1o Daß derart jede Erscheinungsform in Verbindung mit jeder anderen vorkommen kann, ist eine Folge der teleologischen Gleichrangigkeit der Erscheinungsformen eines jeden Paares, die hierin ihren deutlichsten Ausdruck findet. Diese teleologische Gleichrangigkeit - d. h. die bei jeder Erscheinungsform gegebene Möglichkeit, in Kombination mit allen übrigen Erscheinungsformen selbständig (und jeweils abweichend von der korrespondierenden Erscheinungsform in derselben Kombination) die Rechtsfolgen mitbeeinflussen zu können bedarf deswegen der besonderen Hervorhebung, weil sie in der Strafrechtswissenschaft bisher nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit herausgearbeitet worden ist. Gegenstand der Erörterung im Schrifttum ist statt dessen lediglich die "Regel-" oder "Grundform" der gesetzlichen Verbrechensschilderung und sind 8 V gl. etwa Schönke/Schröder/Eser. StGB, § 221 Rn. 18; Tröndle/Fischer, StGB, § 221 Rn. 14. 9 Nur scheinbar verdoppelt sich die Zahl der teilnehmerschaftlichen Verbrechensformen: Zwar gibt es "versuchte Teilnahme" und "Teilnahme arn Versuch", "Teilnahme durch Unterlassen" und "Teilnahme arn Unterlassen" usw.; dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Täterstrafbarkeit in bezug auf den Teilnehmer nur die Funktion eines Strafbegrenzungsprinzips hat (deswegen sind praktisch nur die Fälle von Bedeutung, in denen der Täter das Delikt in der jeweils geringer strafbaren Erscheinungsform - also Versuch oder Unterlassung - verübt als der Teilnehmer), so daß ihre Berücksichtigung in den Figuren der Teilnahme "arn Versuch", "am Unterlassen" usw. keine eigenen Erscheinungsformkombinationen kennzeichnet. 10 Straflos ist nach geltendem Recht generell etwa die versuchte Teilnahme in Form der Beihilfe, sind einzeldeliktisch z. B. weitgehend die einen Versuch enthaltenen Erscheinungsformkombinationen.

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I. Teil, 2. Abschn.: Die Erscheinungsformen der Straftat

zum anderen die "Ausnahme-" oder "Sonderfonnen" der Straftat: "Grundfonn" ist diejenige Erscheinungsfonnenkombination, die den meisten gesetzlichen Deliktsbeschreibungen zugrunde liegt; in den bisher erkannten Erscheinungsformen ausgedrückt, ist Grundfonn das täterschaftlieh vollendete Tätigkeitsdelikt. Hieran werden die allgemeinen Verbrechensmerkmale entwickelt. "Sonderformen" sind danach diejenigen Erscheinungsformkombinationen, die von der Grundfonn in jeweils einer Erscheinungsfonn abweichen, also das (täterschaftlieh vollendete) Unterlassungsdelikt, der (täterschaftliehe Begehungs-) Versuch und die (aktiv vollendete) Teilnahme; hieran werden die sog. allgemeinen Teilnahme-, Versuchs- und Unterlassungsregeln entwickelt. 11 Ein solches Vorgehen wäre unschädlich gewesen, sofern man sich dabei bewußt geblieben wäre, daß man damit lediglich eine - unter einem rein rechtstechnischen Gesichtspunkt getroffene - Auswahl aus dem Gesamtbereich möglicher Erscheinungsformkombinationen systematisch erfaßt hatte, daß aber in teleologischer Hinsicht die übrigen Erscheinungsfonnen gleichrangig sind, d. h. daß auch sie eine jeweils spezifische Stratbarkeit aufweisen, deren selbständige Feststellung systematisch ebenso notwendig ist wie die Straffolgenbestimmung für die "Regel-" und die "Sonderformen" strafgesetzlicher Verbrechensbeschreibung. 12 Aber nicht nur bei der systematischen Einordnung dieser Verbrechensgestaltungen, die In mehr als einer Erscheinungsfonn vom Regelfall der gesetzlichen Straftatschilderung abweichen, sondern vor allem bei der Bestimmung ihrer Stratbarkeit erweist sich das Verkennen ihrer teleologischen Gleichrangigkeit. Dieses Verkennen offenbart sich insbesondere in der üblichen Praxis, die sog. allgemeinen Teilnahme-, Versuchs- oder Unterlassungsregeln auf diese ihnen nicht unterfallenden Erscheinungsformkombinationen zu erstrekken. 13 Es ist eben keineswegs zwingend, daß beispielsweise das Unterlassungsdelikt sich nur in seiner Regelfonn, als täterschaftlich vollendetes Unterlas11 Daß Teilnahme und Versuch anderen Regeln folgen als Täterschaft und Vollendung, ist nie bezweifelt worden; daß aber die Strukturen des Begehungsdelikts beim Unterlassungsdelikt nicht vorliegen und daß deshalb die dort entwickelten Grundsätze nicht unverändert hierher übertragen werden können, das ist eine Erkenntnis, die sich erst in jüngerer Zeit allmählich durchzusetzen beginnt (vgl. z. B. Grünwald, Das unechte Unterlassungsdelikt, S. 97; Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 88 ff.). Eben dies ist gemeint, wenn im Text gesagt wird, Tätigkeits- und Unterlassungsdelikt seien gegenwärtig auch der Sache nach noch nicht sicher als Erscheinungsformen erfaßt. 12 Daß jedoch dieses Bewußtsein in der Strafrechtswissenschaft weitgehend fehlte, zeigt sich in den Schwierigkeiten, die die systematische Einordnung der davon nicht erfaßten Erscheinungsformkombinationen bereitete; man vergleiche hierzu beispielsweise das Schrifttum zum Versuch der Beteiligung (§ 30). 13 Ein solches Vorgehen ist sachgerecht nur in bezug auf die Tatbestandsgruppierungen, die sich ja kraft Begriffs in derjenigen Erscheinungsform, die der ihnen übergeordneten korrespondiert, nach deren allgemeinen Regeln richten; so ist etwa die Teilnahme am sog. eigenhändigen Delikt nach den allgemeinen Grundsätzen über die Teilnahme strafbar.

2. Kap.: Die systematische Bedeutung der Erscheinungsformen

205

sungsdelikt, vom Tätigkeitsdelikt unterscheidet, während Unterlassungsteilnahme und Unterlassungsversuch sich nach "allgemeinen", also am Tätigkeitsdelikt entwickelten Teilnahme- bzw. Versuchsregeln richten; im Gegenteil, sein Charakter als Erscheinungsform eröffuet in Verbindung mit jeder anderen Erscheinungsform die Möglichkeit einer spezifischen, d. h. gerade und nur das Unterlassungsdelikt in dieser Erscheinungsformenkombination kennzeichnenden Stratbarkeitsregelung. Vereinzelt werden nun aber einer bestimmten Erscheinungsformenkombination gewisse, ihr an sich nicht genügende Verbrechensgestaltungen vom Gesetzgeber in der Strafbarkeit gleichgestellt. So wird etwa die Beihilfe zur Selbstbefreiung eines Gefangenen ebenso als täterschaftliche Gefangenenbefreiung bestraft wie die eigentliche Befreiung selbst (§ 120), der Versuch des Mißbrauchs ionisierender Strahlen wird ebenso bestraft wie die Vollendung (§§ 309, 11 Abs. I Nr. 6). Diese bei einzelnen Delikten im Interesse einer strafwürdigkeitsentsprechenden Ahndung erforderlichen Durchbrechungen der rur die betreffenden Verbrechensgestaltungen jeweils charakteristischen Rechtsfolgenanordnung widerlegen jedoch nicht die systematische Bedeutung des Erscheinungsformbegriffs, wie sie soeben dargestellt worden ist, sondern sie erhärten sie; denn eine Änderung der rur eine bestimmte Erscheinungsformenkombination spezifischen Strafbarkeit ist eben nur durch eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung möglich. Damit ist die Bedeutung des Erscheinungsformbegriffs als systematische Grundkategorie erwiesen, sein Verhältnis zu den beiden anderen Eckpfeilern der Straftatsystematik, zu dem allgemeinen Verbrechensbegriff und zu der Verbrechensart, bestimmt und seine Funktion hinsichtlich der Straffolgen dargelegt.

Zweiter Teil

Begriff und Dogmatik des Sonderverbrechens Ein Jahrhundert ist vergangen, seit Nagler mit seiner Abhandlung "Die Teilnahme am Sonderverbrechen" die Strafrechtswissenschaft vor dem Verlust des Begriffs "Sonderverbrechen" als Kategorie fiir die gesetzliche Konkretisierung einzelner Strafvorschriften auf ausgewählte Deliktssubjekte bewahrte und zugleich Grundzüge einer Dogmatik des Sonderverbrechens entwickelte. Nagler begrenzte den Gegenstand seiner Arbeit auf den Bereich der Teilnahme. Inwieweit es darauf zurückzufiihren ist, daß die - wenigen - seitdem veröffentlichten Untersuchungen zum Sonderverbrechen sich die gleiche Beschränkung auferlegten, mag hier dahinstehen. Jedenfalls war die vom Verfasser im Jahre 1972 vorgelegte Monographie "Das Sonderverbrechen" die erste gesamtsystematische Behandlung der Sonderstraftat. Ein Rückfall hinter den damit erreichten Erkenntnisstand verbietet sich von selbst: Hat man nämlich erst einmal erfaßt, daß es sich beispielsweise bei den scheinbar so verschiedenen Rechtsfragen wie denen nach der Teilnahmemöglichkeit Extraner am Sonderverbrechen, nach dem sogenannten Versuch eines untauglichen Subjekts und nach der Strafbarkeit eines unterlassenden Nichtgaranten wegen des einschlägigen sog. unechten Unterlassungsdelikts nur um Varianten eines und desselben Rechtsproblems - der Frage nach der Strafbarkeit eines Außenstehenden aus dem Sonderdeliktstatbestand - handelt, dann ist offensichtlich, daß auch die Antworten immer von der Sonderstraftat als der gemeinsamen Basis dieser nur scheinbar so disparaten Rechtsfiguren her gegeben werden müssen, wenn man sich nicht der Gefahr widersprüchlicher Lösungen aussetzen will. Ist somit die überkommene Einteilung der Straftaten in Sonder- und Gemein delikte in der Sache begründet, gibt es also zwischen beiden einen spezifischen Unterschied, der auch fiir die jeweiligen Rechtsfolgen relevant ist, und ist die Kategorie der Sonderstraftat deshalb fiir die Lehre vom Verbrechen unverzichtbar, dann stellt sich fiir die weitere Analyse zuerst die Frage nach dem gemeinsamen Besonderen der Sonderverbrechen, d. h. es ist zu klären, wie der Begriff der Sonderstraftat inhaltlich zu bestimmen ist. Sodann werden die gesamtsystematischen Auswirkungen der Unterscheidung von Sonder- und Gemeindelikten in den Blick zu nehmen sein.

Erster Abschnitt

Die Bestimmung des Begriffs "Sonderverbrechen" Der Ausdruck "Sonderverbrechen" (gleichbedeutend: Sonderstraftat, Sonderdelikt, delictum proprium) kommt im geltenden Strafgesetzbuch nicht vor; auch in den früheren Kodifikationen wurde er nicht verwendet. Seit seinen gemeinrechtlichen Ursprüngen ist er ein Begriff der Strafrechtswissenschaft gewesen. So erklärt es sich, daß die inhaltliche Bestimmung dieses Begriffs fast ausschließlich im Schrifttum und nur in sehr geringem Maße durch die Rechtsprechung erfolgte, und ferner, daß diese Definitionen - im Gegensatz zu den übrigen Bereichen der Sonderdeliktsdogmatik - in ihrer Gültigkeit durch die Gesamtrevision des Strafgesetzbuches zum 1. 1. 1975 nicht berührt wurden. Auch hierauf ist es zurückzufiihren, daß mit der Feststellung, der Begriff des Sonderdelikts sei umstritten, tiefergreifende Gegensätze angesprochen sind als mit den meisten derartigen Hinweisen auf dogmatische Kontroversen. Bezüglich des Sonderverbrechens bestehen die Meinungsunterschiede im Grundsätzlichen und nicht bloß hinsichtlich der Einzelausgestaltung wie bei anderen, im Gesetz ausdrücklich benannten Rechtsinstituten. Übereinstimmung herrscht nur insoweit, als das Sonderverbrechen heute nicht mehr mit dem Standes- oder Berufsdelikt gleichgesetzt werden darf, wie es im Schrifttum des 19. Jahrhunderts weitgehend üblich war. Wie der Begriff "Sonderverbrechen" im einzelnen durch die deutsche Strafrechtswissenschaft bestimmt worden ist, welche Wege sie dabei beschritten hat und zu welchen Ergebnissen sie gelangt ist, soll nachfolgend zuerst untersucht werden. Diese überkommenen Bestimmungen des Sonderdeliktsbegriffs sind sodann einer eingehenden Kritik zu unterziehen. Auf der Grundlage ihrer Ergebnisse ist hernach der Begriff des Sonderverbrechens aus eigener Sicht zu bestimmen. Schließlich bleibt zu klären, ob und ggf. wie sich die auf diese Weise neu definierten Sonderstraftaten teleologisch, d. h. unter dem Aspekt genereller Unterschiede in den Rechtsfolgen, einteilen lassen.

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Erstes Kapitel

Die Definitionen des Sonderverbrechens in Schrifttum und Rechtsprechung Will man feststellen, was in der Strafrechtsliteratur unter einem Sonderverbrechen verstanden wird, so liegt es nahe, zuerst die ausdrücklichen Begriffsbestimmungen zu betrachten. In ihnen wird die Auffassung des jeweiligen Autors unmittelbar wiedergegeben. Der Weg zur Definition des Sonderverbrechens ruhrt häufig über einen Vorbegriff, der sehr weit gefaßt ist, den Bereich des zu definierenden Gegenstandes nur grob umreißt und in erster Linie - negativ - die unbestrittenen Gemeinverbrechen aus der weiteren Untersuchung ausschließen soll. Für die Wahl der Begriffskriterien selbst hat sich ein leitendes Prinzip bisher nicht durchgesetzt. Infolge unterschiedlicher gesamtsystematischer Voraussetzungen gelangt man daher zu erheblich divergierenden Ergebnissen.

I. Der Vorbegriff I. Die Aufgaben des Vorbegriffs

"Unser Strafrecht weist eine große Anzahl von Verbrechenstatbeständen auf, die so formuliert sind, daß sie nicht von jedem Gesetzesuntertanen unmittelbar verwirklicht werden können." Mit diesem Vorbegriff des Sonderverbrechens (und indirekt auch seines Gegenbegriffs, des Gemeinverbrechens) leitet Nagler seine oben erwähnte Untersuchung ein, in deren weiterem Verlauf er dann den Begriff dem Umfang nach enger begrenzt und inhaltlich näher bestimmt. Ein methodisch entsprechendes Vorgehen findet sich bei fast allen Autoren, die sich ausruhrlicher mit Begriffund Natur des Sonderverbrechens befassen.' Die Aufgabe, welche der Vorbegriff in diesen Abhandlungen hat, ist damit bereits angedeutet: Er steckt mit Hilfe eines besonders hervorstechenden Begriffsmerkmals das Arbeitsgebiet ab und kennzeichnet zugleich die Richtung des Weges, der rur die weitere Begriffsbestimmung zu beschreiten ist. Auf diese Weise wird zunächst eine terminologische Vorfrage geklärt. Der Ausdruck "Sonderdelikt" wird im Schrifttum2 noch in einer völlig anderen Bedeutung ver-

, Vgl. etwa Bambach, Sonderdelikt, S. I; Diesselberg. Täterschaft, S. 11; Baumbach von Kaimberg, Wesen des Sonderverbrechens, S. 9; Schnyder, Täterschaft, S. 5; Roeder, ZStW Bd. 69. 239; Stratenwerth. Allg. Teil I. § 8 Rn. 3 ff.; Jakobs, Allg. Teil, 6/91. 2 LacknerlKühl, StGB, Rn. 33 vor § 13; Schönke/SchröderiEser, StGB. Rn. 7 vor § 211; Welzel. Strafrecht. S. 286.

I. Kap.: Sonderdeliktsdefinitionen in Schrifttum und Rechtsprechung

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wendet, nämlich der, daß es sich bei dem betreffenden Delikt nicht um eine unselbständige Abwandlung eines Straftatbestandes handelt, sondern um ein eigenständiges Verbrechen. 3 Durch den Vorbegriff wird dieser Wortsinn von vornherein ausgeschlossen; als Sonderverbrechen werden von den genannten Autoren fortan nur solche Straftaten verstanden, bei denen der Kreis möglicher Deliktssubjekte begrenzt ist. - Inhaltlich werden durch den Vorbegriff die Delikte in eindeutige Gemein- und mögliche Sonderverbrechen eingeteilt und nur letztere zum Gegenstand der weiteren Untersuchung gemacht. So bildet der Vorbegriff - seiner Natur nach auf weitere Präzisierung hin angelegt - die Arbeitsgrundlage rur die endgültige Begriffsbestimmung. Ein ausruhrliches Befassen mit dem Vorbegriff wäre in diesem Zusammenhang, in dem es um ein Vergleichen endgültiger Begriffsbestimmungen geht, allerdings kaum zu rechtfertigen, hätte der Vorbegriff hier nicht noch eine weitergehende Aufgabe, die sich nicht aus seiner Stellung in der einzelnen Abhandlung, sondern erst aus der Zusammenschau aller Vorbegriffe ergibt. Was angesichts der bereits erwähnten grundsätzlichen Divergenz der abschließenden Definitionen des Sonderverbrechens auffallt, ist die weitgehende Übereinstimmung der Vorbegriffe. Sie bilden die Gesprächsbasis, auf der eine Diskussion der gegensätzlichen Auffassungen überhaupt erst möglich ist. Sie enthalten das gemeinsame Minimum' an Aussage über das Wesen des Sonderverbrechens. Diese Übereinstimmung besteht primär in negativer Hinsicht: Nur die unbestrittenen Gemeindelikte werden aus dem Bereich der weiteren Analyse ausgeschieden. Zur Verdeutlichung sei hier ein Blick auf eine Gruppe von Straftaten geworfen, die sich nach allen überhaupt vertretenen Meinungen als Sonderverbrechen darstellen, die sog. echten Amtsdelikte. Sie haben im Rahmen der endgültigen Begriffsbestimmung eine den Vorbegriffen entsprechende Funktion, aber primär in positiver Hinsicht: Der durch diese Beispiele bezeichnete Bereich unterfällt sämtlichen Defmitionen der Sonderstraftat. Diese allen gemeinsame Basis ist deswegen so bedeutsam, weil sinnvoll nur auf ihr gegensätzliche Auffassungen zum Wesen des Sonderverbrechens entwickelt und kritisiert werden können.

2. Form und Inhalt des Vorbegriffs Die damit umschriebene doppelte Aufgabe können die Vorbegriffe nur errullen, weil sie dementsprechend weit gefaßt worden sind. 4 "Strafdrohungen ...

3 Nach dieser Begriffsbildung ist etwa im Verhältnis zum einfachen Diebstahl (§ 242) der Diebstahl mit Waffen (§ 244) eine unselbständige tatbestandliche Abwandlung, hingegen die Unterschlagung (§ 246) ein eigenständiges Delikt. 4 Bambach, Sonderdelikt, S. 1; Sturm, Entwicklung der Sonderverbrechen, S. 103.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

nur gegen einen begrenzten Kreis deliktsflihiger Personen"s, "Subjektiv beschränkte Tatbestände,,6, "Straftaten, zu deren Verwirklichung ein ,besonderes Merkmal' erforderlich ist,,7 oder ähnlich 8 lauten die betreffenden Fonnulierungen. An ihnen fal1t zunächst die Übereinstimmung in der gemeinten Sache auf: Es gibt gewisse Delikte, deren Begehung nicht jedennann möglich ist, Straftaten mit einer Beschränkung der tauglichen Subjekte. Auf Grund dieser inhaltlichen Gleichartigkeit der Vorbegriffe seien sie im folgenden als Einheit betrachtet; es wird daher künftig nur noch von "dem Vorbegrift" gesprochen. Wie die angefiihrten Beispiele zeigen, wird dieser Vorbegriff im Schrifttum äußerst fonnal bestimmt. Jede Festlegung nach rechts inhaltlichen Gesichtspunkten wird auf dieser Stufe der Begriffsbildung noch vennieden. 9 Auf diese Weise werden al1e Fonnen der strafgesetzlichen Subjektsbeschränkung in den Vorbegriff einbezogen; so wird verhindert, daß infolge einer vorzeitigen Begriffsverengung rur die endgültige Begriffsbestimmung wesentliche Aspekte übersehen werden. Gesetzestechnisch erfolgt die Beschränkung des Kreises möglicher Deliktssubjekte durch die Aufnahme persönlicher Merkmale in die tatbestandliche Geschehensschilderung. Das Gesetz konkretisiert dann regelmäßig den "Wer", das Deliktssubjekt der meisten Tatbestände, zu einem "Mann" (§ 183 Abs. 1), "Zeugen" (§ 153), "Amtsträger" (§§ 331 ff.) oder auf ähnliche Weise. Die Strafvorschrift kann aber auch mit dem abstrakten "Wer" beginnen und gleichwohl dem Vorbegriff unterfallen: Die Subjektsbeschränkung kann sich nämlich auch aus der Beschreibung der Handlungssituation ergeben, indem etwa der Handlungsvol1zug schon begrifflich nur bestimmten Personen möglich ist (so etwa der Mißbrauch einer widerstandsunflihigen Frau zum außerehelichen Beischlaf nur einem Mann; vgl. § 179 Abs. 2 a. F.), oder nur manche in der vom Tatbestand vorausgesetzten Situation stehen (so etwa in der Situation, fremdes Eigentum anvertraut bekommen zu haben; vgl. § 246 Abs. 2). Stets jedoch muß es sich um von der konkreten Deliktsbegehung unabhängige objektive persönliche Merkmale handeln, die zur Begrenzung des Bereichs der tauglichen Verbrechenssubjekte ruhren, wenn der betreffende Tatbestand vom Vorbegriff erfaßt sein sol1: Absichten, Tendenzen, Gesinnungen oder ähnliche täterpsychiRoeder, ZStW Bd. 69, 239. Rid, Mittelbare Täterschaft, S. 18. 7 Bambach, Sonderdelikt, S. 1. 8 Vgl. etwa Baumbach von Kaimberg, Wesen des Sonderverbrechens, S. 9; Diesselberg, Täterschaft, S. 11; Schnyder, Täterschaft, S. 5. 9 Es werden allerdings nicht bei allen Autoren die einzelnen Stadien der Begriffsbildung so klar voneinander abgehoben und der Vorbegriff ausdrücklich als solcher bezeichnet wie bei Bambach, Sonderdelikt, S. 1, und Schnyder, Täterschaft, S. 5. Als Folge davon können unzulässigerweise Ergebnisse der Analyse die Fassung des Vorbegriffs bestimmen. 5

6

1. Kap.: Sonderdeliktsdefinitionen in Schrifttum und Rechtsprechung

211

sche Momente beschränken zwar auch faktisch den Kreis der Straffälligen, aber diese Beschränkung wird allgemein rur die Unterscheidung von Gemein- und Sonderverbrechen als irrelevant angesehen. Der Vorbegriff soll das Gebiet möglicher Sonderdelikte abstecken. Diese Aufgabe zwingt dazu, ihn mittels formaler Kriterien weit zu fassen. Das wiederum hat zur Folge, daß er rur eine rechtsinhaltliche Betrachtung ein völlig heterogenes Substrat enthält. "Unter dem Begriff ,Sonderverbrechen' sind zwar äußerlich gleichgelagerte Fälle zusammengefaßt, die aber ihrer inneren Struktur nach größere Unterschiedlichkeiten aufweisen."IO "Man spricht insoweit von (objektiv-)täterschaftlichen Merkmalen. Ihr Charakter ist nicht einheitlich."!! "Die gemeinhin als Sonderdelikte bezeichneten Tatbestände haben keinen einheitlichen rechtlichen Charakter.'d2 Diese Feststellungen treffen zu, soweit sie sich auf den Vorbegriff beziehen. Auch ohne tiefgreifende Analyse erkennt man, daß es völlig verschiedene Sachverhalte sind, die zur Beschränkung des Kreises tauglicher Deliktssubjekte auf einen Mann (§ 183 Abs. 1), eine Mutter (§ 217 a. F.), einen Richter (§ 339) ruhren. Man würde jedoch die Funktion des Vorbegriffs verkennen, wollte man hieraus folgern, der Vorbegriff sei in der Weise neu zu definieren, daß alle von ihm erfaßten Delikte in ihrer Rechtsnatur übereinstimmen. Eben dieses Erfordernis kennzeichnet gerade erst den Endbegriff, rur dessen Herleirung der Vorbegriff nur den Ausgangspunkt bildet. Umgekehrt ist die Kritik, die in dem Hinweis auf die Strukturverschiedenheit der unter dem Begriff "Sonderverbrechen" zusammengefaßten Tatbestände liegt, insoweit berechtigt, als sie sich auf entsprechende endgültige Begriffsbestimmungen bezieht. Diese gelangen bei einzelnen Autoren!3 nicht über den Formalismus des Vorbegriffs hinaus. Ein solcher Endbegriff aber muß wegen seines heterogenen Inhalts rur die Dogmatik unfruchtbar bleiben; denn mit Hilfe dieses Begriffs muß beispielsweise über Teilnahme oder Versuch beim Sonderverbrechen etwas ausgesagt werden können. Diese Fragen lassen sich aber einheitlich nur beantworten, wenn auch die Delikte gleichartig sind, rur welche die rechtsinhaltlichen Feststellungen getroffen werden sollen. Die Begriffsbestimmung der Sonderstraftat darf folglich nicht auf dem Niveau des Vorbegriffs stehenbleiben, will sie nicht "die Eigenart der Fälle, die unter den an die Spitze gestellten Begriff fallen, zu Unrecht ungewürdigt lassen.'d4

Rid, Mittelbare Täterschaft, S. 31. Stratenwerth, Allg. Teil I, § 8 Rn. 3. 12 Schnyder, Täterschaft, S. 58 Anm. 3. 13 Vgl. etwa Rudolf Schreiber, Täterschaft, S. 3 f.; Blauth, "Handeln für einen anderen", S. 59 f.; Kienapfel. Allg. Teil, S. 394; Keller, Strafrecht, S. 100. 14 Nagler, Sonderverbrechen, S. 1. 10 11

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Die gemeinhin als Sonderverbrechen bezeichneten Tatbestände sind daher einer vergleichenden Strukturanalyse zu unterziehen, und nur die dabei gewonnenen Einsichten gewährleisten eine in der Sache begründete Lösung der jeweiligen dogmatischen Probleme bei den verschiedenen, vom Vorbegriff umschlossenen Deliktsgruppen. Daraus ergibt sich das erste Leitprinzip rur die eigene Begriffsbestimmung und zugleich ein Wertungsmaßstab fiir die einzelnen im Schrifttum vertretenen Defmitionen: Man darf sich nicht mit dem Aufsuchen äußerer Übereinstimmung, formelIer Kriterien begnügen, sondern es gebührt unter im übrigen gleichwertigen Begriffsbestimmungen derjenigen der Vorzug, welche rur eine materielIe Betrachtung die größte Homogenität des Inhalts aufweist.

11. Die Begriffskriterien Sichtet man das rechtswissenschaftliehe Schrifttum auf ausdrückliche Bestimmungen des Begriffs "Sonderverbrechen", so bietet sich schon dem ersten flüchtigen Blick eine bunte Vielfalt von Defmitionen. So werden die Sonderdelikte zum Beispiel charakterisiert als "Straftaten, bei denen die Möglichkeit der Täterschaft auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt ist"IS, als "Delikte, die nur die vom Gesetz bezeichneten Personen im Stadium der Vollendung begehen können,,16, als Verbrechen, deren "Tatbestand auf Personen mit besonderen natürlichen oder rechtlichen Eigenschaften beschränkt ist"l7, als "Zuwiderhandlungen wider die Sondervorschriften, die nur rur eine begrenzte Kategorie deliktsfähiger Personen die höchstpersönliche Unterwerfung begründen,,18, als Straftatbestände, deren "besondere Rechtsgüter nur durch ganz bestimmte Personen verletzt werden können,,19. Nur der gemeinsame Rahmen des oben entwickelten Vorbegriffs wahrt bei diesen Defmitionen noch ein Mindestmaß an Übereinstimmung, und nur deshalb ist es überhaupt zu verstehen, daß rur derart verschiedene Sachverhalte der gleiche Ausdruck "Sonderverbrechen" verwendet worden ist. Zugleich aber wird deutlich, worin sich alle vorstehend aufgeruhrten Begriffsbestimmungen des Sonderverbrechens vom Vorbegriff unterscheiden: Sie sind materialisiert worden, indem der Begriff "Sonderverbrechen" zu anderen rechtsinhaltlichen Begriffen wie Täterschaft, Vollendung, Tatbestand, Norm und Rechtsgut in Beziehung gesetzt worden ist. Sie bleiben also nicht bei dem Eck, Strafbegründende Tatumstände, S. 19. Bruns, Der untaugliche Täter, S. 31. 17 Roeder, ZStW Bd. 69,242. 18 Nagler, Sonderverbrechen, S. 18. 19 BaumannlWeber/Mitsch, Allg. Teil, § 8 Rn. 31. 15

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1. Kap.: Sonderdeliktsdefinitionen in Schrifttum und Rechtsprechung

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nur äußerlichen Kriterium stehen, daß in einigen Strafvorschriften der Kreis tauglicher Deliktssubjekte durch persönliche Merkmale gekennzeichnet ist, sondern es wird nach dem inneren Grund dieser Besonderheit oder nach den dogmatischen Konsequenzen gefragt und das Ergebnis dieser Untersuchung in die Begriffsbestimmung aufgenommen. Es wird versucht, die in den Voraussetzungen bestehenden Unterschiede zum Gemeinverbrechen von der Sache her einsichtig zu machen und im Hinblick auf diese Unterschiede den Begriff des Sonderverbrechens so zu defmieren, daß er die seinem Rechtsstoff adäquate systematische Funktion zu übernehmen vermag. Eine derartige rechtsinhaltliche Bestimmung des Sonderverbrechens ist notwendig, wenn dieser Begriff fruchtbar sein soll. Denn das Zusammenfassen von Straftatbeständen zu einer Deliktsgruppe ist nur dann dogmatisch sinnvoll, wenn der Aspekt, unter dem sie zusammengefaßt werden, ihre einheitliche Sonderbehandlung rechtfertigt. Aus der nur formal-negativen Gemeinsamkeit des Vorbegriffs lassen sich aber gleiche Rechtsfolgen nicht herleiten. Während also der Vorbegriff stets mehr oder weniger willkürlich gesetzt wird, werden im Unterschied dazu die ausdrücklichen Definitionen übereinstimmend durch eine Analyse der Delikte und das Zusammenfassen der strukturgleichen Tatbestände gewonnen. Betrachtet man dieses Vorgehen genauer, so erkennt man auch hier zwei grundlegend verschiedene Arten, den Begriff "Sonderverbrechen" zu bestimmen. 1. Die gegensätzlichen Definitionsmethoden Das Sonderverbrechen ist ein Begriff der allgemeinen Strafrechtslehre. Will man die im Schrifttum vorhandenen ausdrücklichen Sonderdeliktsdefinitionen systematisch ordnen, so lassen sich innerhalb derselben in erster Linie die beiden methodisch entgegengesetzten Definitionsarten unterscheiden: die Kennzeichnung der Sonderstraftat als selbständige Erscheinungsjorm 20 des Verbrechens und die Kennzeichnung als bloße Tatbestandsgruppieruni 1 innerhalb einer Erscheinungsform. Beide Wege sind beschritten worden: Manche Autoren sahen - ausgehend von einem Einzelproblem aus dem Bereich einer Erscheinungsform - in den Sonderstraftaten eine bloße Tatbestandsgruppierung und definierten sie daher unselbständig (abhängig; relativ), etwa als "Straftaten, bei denen die Möglichkeit der Täterschaft auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt ist", oder als "Delikte, die nur die vom Gesetz bezeichneten Personen im Stadium der

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21

V gl. hierzu im einzelnen oben, S. 182 ff. V gl. hierzu im einzelnen die Erstauflage, S. 34 ff.

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Vollendung begehen können"; andere erblickten - nach den allgemeinen Strukturunterschieden zum Gemeinverbrechen fragend - im Sonderdelikt der Sache nach eine Erscheinungsfonn des Verbrechens und bestimmten den Begriff folglieh selbständig (unabhängig, absolut), etwa als Verbrechen, deren "Tatbestand auf Personen mit besonderen rechtlichen oder natürlichen Eigenschaften beschränkt ist". Dieser methodische Gegensatz beim Defmieren hat nicht nur erheblich divergierende Begriffsbestimmungen des Sonderverbrechens zur Folge; er prägt vielmehr die gesamte Dogmatik des Sonderdelikts. Um so erstaunlicher ist es, daß er im Schrifttum nirgends aufgezeigt und in seiner Bedeutung herausgearbeitet worden ist. Die wechselseitigen Mißverständnisse, welche die Stellungnahmen des Schrifttums zur Sonderstraftat kennzeichnen, sind nicht zuletzt auf das fehlende Bewußtsein von diesem Methodengegensatz zurückzutUhren. Hier jedoch soll er im Mittelpunkt der weiteren Untersuchung stehen: Er wird die Grundlage fiir die Einteilung der unterschiedlichen Begriffsbestimmungen bilden und als Schlüssel zum Verstehen ihrer systematischen Konsequenzen dienen. 2. Die unselbständigen Begriffsbestimmungen Sichtet man das rechtswissenschaftliehe Schrifttum auf Defmitionen des Begriffs "Sonderverbrechen", so stellt man fest, daß die meisten Autoren diesen Begriff relativ bestimmt haben. Sie haben also die Sonderdelikte der Sache nach als bloße Tatbestandsgruppierung innerhalb einer Erscheinungsfonn des Verbrechens angesehen und diese Abhängigkeit durch die Aufnahme der übergeordneten Erscheinungsfonn in die Definition zum Ausdruck gebracht. Nicht in allen Fällen hingegen bildet bereits eine derartige Bezugnahme auf eine Erscheinungsfonn ein untrügliches Kriterium tUr das Vorliegen einer unselbständigen Begriffsbestimmung. a) Scheinbar unselbständige Definitionen

Nicht selten findet sich im Schrifttum die Feststellung, die Sonderstraftaten seien dadurch charakterisiert, daß bei ihnen der Kreis der möglichen Täter begrenzt sei,22 daß sie insofern eine Ausnahme bildeten, als nicht jeder bei ihnen Täter sein könne,23 sondern nur Personen bestimmter Qualifikation zur (unmit-

22

Frühauf, Eigenhändige Delikte, S. 4; Eberhard Schmidt, Die militärische Straftat,

23

Max Ernst Mayer, Allg. Teil, S. 94.

S.7.

1. Kap.: Sonderdeliktsdefinitionen in Schrifttum und Rechtsprechung

215

telbaren) Täterschaft fiihig seien,24 daß bei ihnen die besonderen personalen Merkmale unmittelbar den Täter kennzeichneten. 25 Auf den ersten Blick scheint es, als sei das Sonderverbrechen hier unselbständig defmiert worden: als bloße Tatbestandsgruppierung innerhalb der Erscheinungsform der Täterschaft. Erschöpften sich die Ausfiihrungen der eben zitierten Autoren zum Sonderverbrechen in dem hier Wiedergegebenen, so hätten sie den Sonderdeliktsbegriff relativ, nämlich täterschaftsabhängig bestimmt. Aus dem jeweiligen Gesamtzusammenhang ergibt sich jedoch der Unterschied zu den meisten gleich oder ähnlich lautenden Defmitionen: Hier ist nur der Ausdruck "Täter" verwendet, nicht aber in Abhängigkeit vom Begriff "Täter" i. S. der §§ 25 ff. definiert worden. Das Wort "Täter" ist in den zitierten Abhandlungen untechnisch gebraucht, d. h. es enthält keine gegenteilige Aussage über den Teilnehmer, sondern es steht für den neutralen, jedoch schwerfiilligen Terminus "Deliktssubjekt". Zuweilen wird unmittelbar ausgesprochen, daß damit neben dem Täter im engeren Sinne auch der Teilnehmer gemeint sei;26 immer aber ergibt es sich wenigstens mittelbar daraus, daß hier Gemein- und Sonderverbrechen in der Sache unabhängig von der konkreten Erscheinungsform "Täterschaft" gegerieinander abgegrenzt werden, nämlich mit Hilfe der gleichen Kriterien, die sich für die selbständigen Begriffsbestimmungen des Sonderdelikts als charakteristisch erweisen werden: Das besondere Rechtsgut27, die besondere Norm28 mit den sich daraus ergebenden besonderen Ptlichten29 und der besonders beschränkte Straftatbestand30 • Die aufgeführten Autoren geben daher nur scheinbar unselbständige Definitionen der Sonderstraftat. Bei ihnen bliebe die Kategorie der Sonderverbrechen auch dann dogmatisch sinnvoll, wenn die Erscheinungsform der Täterschaft von der sie scheinbar abhängig ist - als Erscheinungsform beseitigt wUrde. Gemein- und Sonderdelikt erweisen sich somit bei ihnen als Erscheinungsformen des Verbrechens, ihre Definitionen als selbständige Begriffsbestimmungen.

24 Dünckelmeyer, Einfluß persönlicher Eigenschaften, S. 70; Bernhardt, Einfluß persönlicher Verhältnisse, S.42; Schnyder, Täterschaft, S.5; Harenburg, Untaugliches Subjekt, S. 17. 25 Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 153. 26 Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 134. 27 Bernhardt, Einfluß persönlicher Verhältnisse, S. 44; Dünckelmeyer, Einfluß persönlicher Eigenschaften, S. 75. 28 Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 137; Frühauf, Eigenhändige Delikte, S. 4. 29 Eberhard Schmidt, Die militärische Straftat, S. 7; Harenburg, Untaugliches Subjekt, S. 18. 30 Max Ernst Mayer, Allg. Teil, S. 94; Schnyder, Täterschaft, S. 63 f

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

b) Definitionen mit Bezugnahme auf den TäterbegrifJ

Die unselbständigen Begriffsbestimmungen unterscheiden sich in der Regel bereits rein äußerlich von den nur scheinbar relativen, nämlich dadurch, daß sie meist im Rahmen einer Erscheinungsform des Verbrechens erörtert werden. So fmden sich diejenigen Definitionen, weIche eine Abhängigkeit des Sonderdelilets von der Erscheinungsform der Täterschaft herstellen, überwiegend in der Täterlehre. Häufig besteht bei diesen Autoren in der Darstellung ein enger Zusammenhang mit den sog. eigenhändigen Delikten/ 1 die oben als bloße Tatbestandsgruppierung aufgezeigt worden waren. Schon durch diese äußere Gleichordnung wird eine entsprechende Unselbständigkeit des Begriffs "Sonderverbrechen" angedeutet. Die Relativierung der Sonderdeliktsdefinition auf die Erscheinungsform der Täterschaft ist das Ergebnis eines bestimmten Bestrafungswillens: Weil man als Teilnehmer auch den Nichtqualifizierten (gleichbedeutend: den Extranen; den Außenstehenden) bestrafen will, nimmt man die (alles andere als unproblematische) Behauptung, daß sich dessen Strafbarkeit nach "den allgemeinen Regeln" richte, in die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens als "Delikt, das nur bestimmte Personen als Täter begehen können", mit hinein. Zu einer derartigen Definition kann man folgerichtig nur gelangen, sofern man von vornherein die dogmatischen Fragen, welche die nähere gesetzliche Umschreibung des Deliktssubjekts durch besondere persönliche Merkmale aufwirft, auf den Bereich von Täterschaft und Teilnahme begrenzt, in der Charakterisierung eines Delikts als Sonderstraftat also ausschließlich ein Problem der Beteiligungslehre sieht. 32 Daß damit das Sonderdelikt seine selbständige dogmatische Bedeutung verliert, wird allerdings nur ganz vereinzelt erkannt und hervorgehoben. 33 In der Regel ist man sich der Relativierung nicht bewußt; man hält es rur allein entscheidend, den Begriff so zu fassen, daß er die Strafbarkeit der als strafwürdig empfundenen Mitwirkungshandlungen gewährleistet. Dem Wortsinn nach stimmen diejenigen Definitionen, weIche den Begriff des Sonderverbrechens von der Erscheinungsform der Täterschaft abhängig sein lassen, im wesentlichen überein. Sonderstraftaten sind hiernach "Verbrechen mit einem vom Gesetz begrenzten Täterkreis", "Delikte, die nur bestimmte Personen als Täter begehen können" oder "Straftaten, bei denen die Möglichkeit der Täterschaft auf einen bestimmten Personenkreis begrenzt ist". Es wäre jedoch verfehlt, aus dieser äußeren Gemeinsamkeit auf einen gleichen Begriffsinhalt schließen zu wol1en. Auch hier erfolgt die Relativierung nicht auf die Er31 Vgl. etwa Frank, StGB, S. 108 f.; Roxin, Täterschaft, § 34 (S. 352 ff.) und § 35 (S. 399 ff.). 32 Ausdrücklich in diesem Sinne beispielsweise Müller, § 50 StGB, S. 25. 33 So etwa durch Rid, Mittelbare Täterschaft, S. 75.

I. Kap.: Sonderdeliktsdefinitionen in Schrifttum und Rechtsprechung

217

scheinungsform als solche, sondern auf deren konkrete Auslegung durch den betreffenden Autor. Wenn also auch gleichermaßen VOn "beschränkter Täterschaftsflthigkeit" gesprochen wird, so ist damit doch ein jeweils eigener Täterbegriff gemeint, und was im einzelnen Fall als Sonderstraftat anzusehen ist, richtet sich folglich danach, ob stillschweigend etwa ein extensiver, ein restriktiver oder ein finaler Täterbegriff vorausgesetzt worden ist. Trotz formaler Übereinstimmung handelt es sich also um sachlich verschiedene Definitionen. Während im älteren Schrifttum34 vielfach nur die unmittelbar-alleintäterschaftliche Begehbarkeit schon in der Bestimmung des Sonderdeliktsbegriffs auf die Qualifizierten beschränkt wurde, wird in neuerer Zeit von den das Sonderverbrechen auf die Täterschaft relativierenden Stimmen aus Schrifttum und Judikatur bereits in der Defmition der Sonderstraftat jede täterschaftliche Mitwirkung des Extranen ausgeschlossen. In diesem Sinne unbeschränkt täterschaftsabhängig ist zunächst die Defmition des Sonderdelikts durch die Rechtsprechung. Wie schon erwähnt, ist der Begriff "Sonderverbrechen" von der Rechtslehre gebildet worden; Ausfiihrungen der Rechtsprechung zu diesem Begriff sind, gemessen an der Bedeutung der Deliktsgruppe, äußerst selten. Selbst in diesen wenigen Stellungnahmen fmden sich kaum ausdrückliche Definitionen, und wenn, so in der Regel als obiter dicta. Meist sind die Darlegungen so knapp und vage, daß es zweifelhaft bleiben muß, wie die betreffenden Begriffsbestimmungen sachgerecht einzuordnen sind. Im Bewußtsein dieser unvermeidlichen Unsicherheiten kann man folgende Kennzeichnungen der Sonderstraftat durch die höchstrichterliche Rechtsprechung feststellen: Mehrfach ist das Sonderdelikt ausdrücklich täterschaftsrelativ verstanden worden, so etwa, wenn vom Reichsgericht ausgefiihrt wurde, "Sonderstraftaten, zu deren Tatbestand besondere Tätereigenschaften gehören, können im Wege der mittelbaren Täterschaft nur von solchen Personen begangen werden, bei denen jene Tätereigenschaften vorhanden sind.,,35 Und auch der Bundesgerichtshof bestimmt das Sonderverbrechen täterschaftsabhängig36 und spricht von einer "besonderen Tätereigenschaft", die der Tatbestand beim Sonderverbrechen erfordere. 3? Innerhalb der täterschaftsabhängigen Sonderdeliktsdefmitionen der Strafrechtslehre bestehen wiederum gewichtige Unterschiede, welche nur durch die Gleichheit des Zweckes dieser Begriffsbildungen verdeckt werden. Hinter der Gemeinsamkeit im Negativen - dem Ausschluß jeder Extranentäterschaft - ver-

34 Vgl. etwa Robert von Hippel, Dt. Strafrecht H, S. 482, wie auch Lehrbuch, S. 148; Allfeld, Lehrbuch, S. 217; Hegler, Reichsgerichtsfestgabe V, S. 314; Piotet, ZStW Bd. 69, 34. 35 RGSt 63, 313, 315; ähnlich RGSt 65, 403, 409. 36 BGHSt 1,235,240. 37 BGHSt 14, 123, 129.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

bergen sich divergierende Auffassungen über die Rolle des Intranen im deliktischen Geschehen. Überwiegend wird in den täterschaftsabhängigen Umschreibungen des Sonderverbrechens etwas Besonderes, d. h. vom Gemeinverbrechen Abweichendes, nur über den Extranen ausgesagt. Die Tatbeteiligung des Qualifizierten wird folglich nach den allgemeinen, d. h. nach den am Gemeinverbrechen entwickelten Grundsätzen beurteilt. In dieser Weise sind die Sonderstraftaten charakterisiert worden als "Delikte, die nur bestimmte Personen als Täter begehen können,,38; als "Verbrechen mit einem vom Gesetz begrenzten Täterkreis,,39; als "Straftaten, bei denen die im gesetzlichen Tatbestand umschriebene Eigenschaft des Handlungssubjekts den T1iterkreis begrenzt,,40; als Delikte, "die eine bestimmte Subjektsqualität des Täters verlangen,,41. Der Blick der Autoren ist hier beim Defmieren des Sonderdelikts allein auf die Erscheinungsform "Täterschaft" gerichtet, in der manche Straftaten von bestimmten Personen, den Extranen, nicht begangen werden können; und allein durch diese Besonderheit sieht man sich zur Bildung der Tatbestandsgruppierung der Sonderverbrechen genötigt. Als wesentlich fiir das Sonderdelikt wird nur das Faktum der Täterkreisbegrenzung angesehen. Im übrigen sind diese Defmitionen dadurch gekennzeichnet, daß sie das Wort "Täter" nicht untechnisch, etwa i. S. von "Deliktssubjekt", verwenden; vielmehr relativieren sie die Sonderstraftat eindeutig auf die Erscheinungsform der Täterschaft, und zwar regelmäßig durch gleichzeitiges ausdrückliches Hervorheben des Gegensatzes zur Erscheinungsform der Teilnahme, in der es einen Unterschied zwischen Gemein- und Sonderverbrechen fiir sie nicht gibt. Anders als in den vorstehend zitierten Sonderdeliktsdefmitionen wird von einer zweiten Gruppe täterschaftsabhängiger Begriffsbestimmungen die Art der Täterkreisbegrenzung besonders hervorgehoben. Die Sonderverbrechen werden gekennzeichnet als Delikte, bei denen nicht nur die Tatbestandsmäßigkeit der Handlung, sondern auch die Täterschaftsmäßigkeit des Handelnden durch die Aufuahme persönlicher Eigenschaften oder Sonderstellungen in die Tatbestände gesetzlich vertypt ist. 42 Die Sonderstraftat "charakterisiert nicht nur die Handlung, sondern darüber hinaus den Handelnden durch konstante Merkmale, die, 38 Schönke/Schröder, StOB, 12. Aufl., § 48 Anm.18; ähnlich Schröder, JR 1960, 105; Frank, StOB, S. 109; Bockelmann, Allg. Teil, S. 183; MünchKommStOBlJoecks, § 25 Rn. 43. 39 Maurach, Allg. Teil,S. 247; Diesselberg, Täterschaft, S. 35; ähnlich Schwerdtfeger, Besondere persönliche Unrechts merkmale, S. 219. 40 Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 39; ähnlich Tröndle/Fischer, StOB, Rn. 35 vor § 13; Jescheck, Allg. Teil, S. 239, und in LK StOB, 10. Aufl., Bd. 1, Rn. 46 vor § 13; Haft, Allg. Teil, S. 311; Hake, Beteiligtenstratbarkeit, S. 102. 41 Kühl, Allg. Teil, § 20 Rn. 13; ähnlich Ebert, Allg. Teil, S. 38. 42 Richard Lange, Notwendige Teilnahme, S. 16 f.; ähnlich JZ 1959, 562.

1. Kap.: Sonderdeliktsdefinitionen in Schrifttum und Rechtsprechung

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an eine Sonderstellung anknüpfend, die Täterschaft auf den hier herausgegriffenen Kreis beschränken ... Zur Tatbestandsmäßigkeit i. e. Sinne als Typisierung der abstrakten rechtswidrigen Handlung tritt damit als weitere Voraussetzung die Täterschaftsmäßigkeit. ,,43 Das Sonderdelikt ist hiernach dadurch gekennzeichnet, daß im gesetzlichen Tatbestand objektiv-täterschaftliche Merkmale konkret umschrieben sind. 44 Dieser Begriffsbestimmung zufolge sind Sonderstraftaten Delikte mit gesetzlich vertypten täterschaftlichen Merkmalen. Die Charakterisierung der besonderen persönlichen Eigenschaften und Verhältnisse als täterschaftliche Merkmale ist hier auf die Ambivalenz des Ausdrucks "täterschaftlich" zurückzuführen: Der Täter kann einmal seiner Tat gegenübergestellt, er kann zum anderen aber auch im Gegensatz zum Teilnehmer gesehen werden. Den Ausgangspunkt fiir jene Begriffsbestimmungen bildete der Gegensatz von Täter und Tat, von Handlung und Handelndem. 45 "Täterschaftlich" war ein Merkmal dann, wenn es das Deliktssubjekt, nicht aber dessen Verhalten typisierte. Wenngleich es täterschaftsmäßige Elemente in diesem Sinne bei allen Delikten geben soll,46 so sind sie doch nur bei den Sonderstraftaten in die gesetzliche Verbrechensbeschreibung aufgenommen, was dazu fiihrte, daß die Antithese von täterschaftlichen und tatmäßigen Merkmalen an ihnen entwickelt wurde. Waren auf diesem Wege die besonderen persönlichen Eigenschaften und Verhältnisse als "täterschaftliche Merkmale" gekennzeichnet, so lag es nahe, den Ausdruck zugleich auch in seiner zweiten, völlig anderen Bedeutung zu gebrauchen, sofern jene Begriffsbildung eine den Strafwürdigkeitsvorstellungen entsprechende Rechtsfolgenregelung ermöglichte. Diese erreichte man, indem man die besonderen persönlichen Eigenschaften und Verhältnisse aus der Gesamtheit der Tatbestandsmerkmale herauslöste und sie bei der Defmition des Sonderdelikts an die Täterperson band: "Täterschaftlich" waren diese Merkmale nunmehr auch insofern, als ihr Vorliegen Voraussetzung jeder, aber auch nur der Bestrafung als Täter, nicht hingegen der Teiinehmerstrafbarkeit war. 47 Es kann hier dahinstehen, ob der Ausdruck "Täter" in diesen Definitionen des Sonderverbrechens bewußt oder unbewußt in dem doppelten Sinn verwendet wurde. Jedenfalls wurde auf seinen Bedeutungswandel vom Gegenbegriff zur "Handlung" in den Gegenpol zum "Teilnehmer" nirgends hingewiesen, sondern stillschweigend der neue Wortsinn vorausgesetzt und mit seiner Hilfe in der eben dargestellten Weise das Sonderdelikt konsequent täterschaftsrelativ bestimmt.

Koh/rauschiLange, StGB, Vorbem. I 3 vor § 47. Wetzel, Strafrecht, S. 209; ähnlich Dreher, StGB, Vorbem. C 2 vor § I. 4S Richard Lange, Notwendige Teilnahme, S. 16; Wetzet, Strafrecht, S. 63 f. 46 Richard Lange, Notwendige Teilnahme, S. 16. 47 Richard Lange, Notwendige Teilnahme, S. 17; Niederschriften, Bd. 2, S. 96; JZ 1959, 562; Wetzet, Strafrecht, S. 100. 43

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Während die besonderen persönlichen Eigenschaften und Verhältnisse in der zuerst untersuchten Gruppe der täterschaftsabhängigen Sonderdeliktsdefmitionen nicht von anderen Tatbestandsmerkmalen unterschieden sind und während sie in der vorstehend erörterten Definitionsart verselbständigt und dem Namen nach täterschaftliche Merkmale sind - in der Sache werden sie auch von diesen Autoren als eine unter mehreren Täterschaftsvoraussetzungen behandelt, so daß ein durch die "täterschaftlichen" Merkmale Qualifizierter auch Teilnehmer sein kann -, sind die Sondermerkmale in der nunmehr wiederzugebenden Begriffsbestimmung der Sonderstraftat im strengen Sinne täterschaftliche Merkmale, d. h. die Zugehörigkeit des Handelnden zu den Intranen begründet allein und notwendig seine Täterschaft. Diese dritte Form täterschaftsabhängiger Fassung des Sonderdeliktsbegriffs48 unterscheidet sich von den bei den anderen zunächst schon rein terminologisch, nämlich dadurch, daß für diese Tatbestandsgruppierung die Bezeichnung als Sonderdelikte ausdrücklich abgelehnt49 und statt dessen die Kategorie der "Ptlichtdelikte,,50 neu geschaffen wird. Hierbei handelt es sich allerdings nur um einen Wechsel in der Benennung, der auf einen seit einem Jahrhundert überholten Sonderdeliktsbegriff (Verbrechen, deren "Täterkreis auf bestimmte Berufsgruppen oder Stände beschränkt ist,,51) zurückzuführen ist. Im wesentlichen sind es die gleichen Straftaten, die gemeinhin als Sonderverbrechen bezeichnet werden, an denen hier der Begriff der Ptlichtdelikte entwickelt wird. 52 Auch vom Schrifttum sind in den Ptlichtdelikten die Sonderstraftaten wiedererkannt worden. 53 Daher können wir trotz der abweichenden Terminologie die Defmition der Ptlichtdelikte zu den Begriffsbestimmungen des Sonderverbrechens rechnen. Allerdings ist der neue Name nicht von ungefähr gewählt worden, sondern er weist daraufhin, in weicher Hinsicht sich diese Auffassung von der Sonderstraftat in ihrem Selbstverständnis von den übrigen täterschaftsabhängigen Definitionen unterscheidet. Die Bedeutung der "Verletzung einer außerstrafrechtlichen Ptlicht,,54 für die Form der Tatbeteiligung steht im Mittelpunkt dieser Begriffsbestimmung: "Man könnte, um die in Frage kommenden Tatbestände in ihrer Bedeutung für die Täter/ehre zusammenfas-

48 Entwickelt wurde sie durch Roxin, Täterschaft, S. 352 ff.; mit Einschränkungen folgend Simchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 51 ff., 214 f. 49 Roxin, Täterschaft, S. 353. so Roxin, Täterschaft, S. 354. SI Roxin, Täterschaft, S. 353; nicht mehr aufrechterhalten in Allg. Teil I, 10/54. 52 Roxin erstreckt diesen Begriff später (vgl. Täterschaft, S. 578) auch auf Unterlassungs- und Fahrlässigkeitsstraftaten; im Text wird nur auf seine Ausfiihrungen zu den vorsätzlichen Begehungs-Ptlichtdelikten zurückgegriffen, um die Identität des von ihm analysierten und des hier untersuchten Deliktskreises zu gewährleisten. 53 Schönke/Schröder/Cramer, StGB (25. Aufl.), Rn. 71 f. vor §§ 25 ff.; FriedrichChristian Schroeder, Der Täter, S. 86. 54 Roxin, Täterschaft, S. 354.

1. Kap.: Sonderdeliktsdefinitionen in Schrifttum und Rechtsprechung

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send zu kennzeichnen, von ,Pflichtdelikten' sprechen.,,55 Wenn aber in diesem Sonderdeliktsbegriff die Sonderpflichtverletzung auch "nur die Täterschaft konstituiert',56, so konstituiert sie sie andererseits allein, ohne daß es auf weitere Voraussetzungen ankäme. Die qualifizierende Eigenschaft wird nicht als gewöhnliches Tatbestandsmerkmal, sondern als selbständiges Täterkriterium angesehen. Hier ist der Ausdruck "Tätermerkmale" auch im strengen Sinne des Wortes berechtigt, denn nach dieser Auffassung kann der Sonderpflichtige niemals Teilnehmer sein. 57

c) Definitionen mit Bezugnahme auf den Begriff der Deliktsvol/endung

Im Unterschied zu den zahlreichen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit oben angefiihrten täterschaftsrelativen Bestimmungen der Sonderstraftat sind Definitionen, welche Sonder- oder Gemeinverbrechen als bloße Tatbestandsgruppierungen innerhalb der Erscheinungsform der Deliktsvollendung begreifen, äußerst selten. Die Kategorie der Sonderdelikte setzt danach filr die Vol/endung des Tatbestandes einen bestimmt qualifizierten Täterkreis, ein taugliches Subjekt mit besonderen Eigenschaften voraus, z. B. einen Beamten, Soldaten, Vormund, Erzieher, Verwandten, Gläubiger, Vollstreckungsschuldner, Kaufmann usw. S8 "Schon seit längerer Zeit ... hat sich zunehmend die Ansicht durchgesetzt, daß das Wesen der Sonderdelikte .. , lediglich darin liegt, daß nur die im Gesetz bezeichneten Personen diese Delikte im Stadium der Vollendung begehen können. Der besonderen Tätereigenschaft kommt auch hier keine über die bloße Beschreibung des Vollendungstatbestandes hinausgehende Bedeutung ZU.,,59

In der Rechtsprechung sind auf die Deliktsvollendung relativierte Begriffsbestimmungen der Sonderstraftat nicht ersichtlich.

Roxin, Täterschaft, S. 354 (kursiv vom Verfasser). Roxin, Täterschaft, S, 371. 57 Roxin, Täterschaft, S. 354 f.; rur die Begehungssonderdelikte ihm folgend Blei, Strafrecht I, S.255 (anders hingegen rur die UnterJassungsdelikte, S. 318 f.); rur das Beispiel des § 266 StGB auch Schönke/Schröder/Cramer, StGB (25. Aufl.), Rn. 71 vor §§ 25 ff., und Herzberg, Täterschaft, S. 33 f. 58 Bruns, Der untaugliche Täter, S. 5. 59 Bruns, Der untaugliche Täter, S. 31; ähnlich schon DStR 1938, 167; ebenso Lauenstein, Verbrechensversuch, S. 114. 55

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

3. Die selbständigen Begriffsbestimmungen Die Sonderstraftat - das Phänomen, daß bei gewissen Delikten das Subjekt durch die Aufuahme besonderer persönlicher Merkmale in die gesetzliche Verbrechensbeschreibung näher gekennzeichnet wird - ist in Lehre und Rechtsprechung nicht nur, wie in den vorstehend wiedergegebenen Definitionen, als bloße Tatbestandsgruppierung verstanden worden, sondern sie ist auch häufig selbständig, d. h. als Erscheinungsform des Delikts, bestimmt worden. Grundsätzlich stehen diese beiden Möglichkeiten zunächst gleichberechtigt nebeneinander. Wenn es auch hier nur um eine ordnende Darstellung der vorhandenen Begriffsbestimmungen, nicht aber um deren umfassende kritische Würdigung geht, so soll doch ein Blick auf die methodischen Voraussetzungen geworfen werden, die zur Bildung abhängiger Sonderdeliktsdefmitionen fiihrten; denn dadurch werden zugleich die Ursachen fur die Formulierung selbständiger Begriffsbestimmungen erhellt, und es wird ein besseres Verständnis derselben ermöglicht. Es ist gewiß kein Zufall, daß sich die täterschaftsbezogenen Definitionen des Sonderverbrechensregelmäßig in Abhandlungen (oder - bei Gesamtdarstellungen - in den Abschnitten) über die Teilnahme finden, die auf die Deliktsvollendung relativierten hingegen gerade in Abhandlungen über den Versuch. Und auch die Zwecke, denen diese unselbständigen Begriffsbestimmungen dienen, werden unmißverständlich genannt: "Die Frage nach den Grenzen der mittelbaren Täterschaft und der Mittäterschaft,,60 zu beantworten und "die subjektive Theorie (beim Versuch) hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale, also auch hinsichtlich der tätertypisierenden Eigenschaften, uneingeschränkt durchzufuhren,,61. Der jeweilige Frageaspekt wird also verabsolutiert, d. h. die Sonderstraftat wird im Rahmen nur einer Erscheinungsform analysiert, aber auf Grund dieser einseitigen Analyse mit gesamtsystematischem Geltungsanspruch definiert: Das Wesen des Sonderdelikts besteht danach nur in der Begrenzung des Täterkreises oder nur in der Beschränkung der zur Vollendung dieser Verbrechen fiihigen Personen. Die Verengung der Perspektive ergibt sich gewissermaßen zwangsläufig, weil bei der Begriffsbildung nicht von den durch besondere persönliche Merkmale gekennzeichneten Straftaten, sondern von den einzelnen Erscheinungsformen her gefragt wird: Wie kann eine lückenlose Teilnehmerbestrafung gewährleistet werden? Wie läßt sich die subjektive Theorie des Versuchs ausnahmslos durchfuhren? Da die Bestimmung des Sonderdeliktsbegriffs von vornherein ausschließlich zu dem Zweck erfolgt, ein konkretes Bestrafungsergebnis in dem betreffenden Gebiet der Dogmatik zu erreichen, kommt die Möglichkeit eines umfassenderen Begriffs der Sonderstraftat als einer selb-

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Rid, Mittelbare Täterschaft, S. 75. Bruns, Der untaugliche Täter, S. 31.

I. Kap.: Sonderdeliktsdefinitionen in Schrifttum und Rechtsprechung

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ständigen Erscheinungsfonn des Verbrechens in der Regel gar nicht erst in den Blick. Im Unterschied zu den auf diese Weise entstehenden unselbständigen Defmitionen wird die Sonderstraftat schließlich von etlichen Autoren ohne Bezugnahme auf eine Erscheinungsform bestimmt. Auf Grund einer vergleichenden Strukturanalyse von Gemein- und Sonderverbrechen kennzeichnen sie beide selbst als Erscheinungsfonnen, freilich ohne sie so zu benennen, sondern indem sie bei ihnen die Merkmale einer Erscheinungsfonn herausarbeiten: Beide Formen des Delikts sind eigenständig, d. h. bereits im Bereich des Unrechtstatbestandes unterschieden; ihrer Strafwürdigkeitsdifferenz entsprechend, sind sie mit unterschiedlichen Rechtsfolgen ausgestattet; jeder rechtswidrig-schuldhafte Rechtsgutsangriff kann in jeder der beiden Erscheinungsfonnen vertatbestandlicht sein; und jede der beiden Erscheinungsfonnen kann sich in jedem Fall und nicht nur im Rahmen einer anderen Erscheinungsfonn - in der ihr eigenen Weise auf die Strafbarkeit des in ihr erfolgenden deliktischen Verhaltens auswirken.

Diese selbständigen Begriffsbestirnrnungen der Sonderstraftat lassen sich nach dem jeweils zur Abgrenzung von Gemein- und Sonderverbrechen verwendeten Kriterium in drei, Gruppen einteilen: Der Sondertatbestand, die Sondernorm oder das Sonderrechtsgut charakterisiert danach das Sonderdelikt. Nach der ersten Auffassung unterscheidet sich die Sonderstraftat nur durch die gesetzliche Beschränkung der Strafbarkeit vom Gemeinverbrechen; nach der zweiten dadurch, daß sich bei ihr schon das Gebot oder Verbot (die Nonn) nur an einen begrenzten Personenkreis richtet; und die dritte schließlich hält bereits das Rechtsgut des Sonderdelikts rur nur durch Intrane angreifbar. Da nun die Sicherung der Nonnbefolgung das Motiv rur die Straftatbestandsbildung, der Rechtsgüterschutz aber das Motiv rur die Nonnsetzung ist, enthält das Kriterium der genetisch vorgelagerten Stufe das der späteren: Wenn ein Objekt nur durch bestirnrnte Personen verletzbar ist, dann wird sinnvollerweise auch nur ihnen verboten, es anzugreifen, und weiter wird nur ein solches Verhalten mit Strafe bedroht, das verboten ist. Dieser Satz ist nicht umkehrbar. Nicht jede Nonnwidrigkeit wird bestraft, und es ist denkbar, daß gewisse Güter zwar von jedennann angreifbar sind, ein solcher Angriff aber nur bestirnrnten Personen vom Recht untersagt wird. Es läßt sich also auf dem Sonderrechts gut nur eine Sondemonn, auf der Sondernonn nur ein Sondertatbestand aufbauen, hingegen auf einem Gemeinrechtsgut auch eine Sondemonn, auf der Gemeinnonn auch ein Sondertatbestand. Zwischen den drei Sonderdeliktskriterien bestehen also qualitative Unterschiede dergestalt, daß das Merkmal aus der begrifflich vorgelagerten Stufe einen größeren Gegensatz zwischen Sonder- und Gemeinverbrechen begründet als das aus der nachfolgenden. Ist beispielsweise die Sonderstraftat durch eine nur be-

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

stimmte Personen verpflichtende Sondernonn gekennzeichnet, so ist zwangsläufig auch der Tatbestand auf diese Personen beschränkt; charakterisiert hingegen a\1ein der Sondertatbestand das Sonderdelikt, so kann diese Begrenzung sowohl auf einer Sondernonn als auch auf einer Gemeinnonn beruhen. Erkennt man also in der Sondernonn das Kriterium des Sonderverbrechens, so besteht damit ein weitergehender Gegensatz zum Gemeinverbrechen, als wenn man lediglich die Tatbestandsbeschränkung für entscheidend ansieht. Für das Verhältnis von Sonderrechtsgut und Sondernonn gilt das Entsprechende. Aus diesem qualitativen Unterschied der Kriterien ergibt sich ein quantitativer: Sieht man die Sondernonn für den Begriff der Sonderstraftat als maßgebend an, so ist der Kreis dieser Delikte kleiner, als wenn man sich mit dem Erfordernis der Tatbestandsbeschränkung begnügt. In entsprechender Weise ist die Zahl der ein Sonderrechtsgut schützenden Tatbestände geringer als die der auf einer Sondernonn basierenden Verbrechen. Je mehr Voraussetzungen für die Kennzeichnung eines Delikts als Sonderstraftat verlangt werden, desto kleiner wird der Kreis der diesem Begriff unterfa\1enden Tatbestände. Sind somit die drei Kriterien Sondertatbestand, Sondernonn, Sonderrechtsgut auch der Idee riach jeweils eigenständig, da sie den Bereich der Sonderdelikte qualitativ und quantitativ unterschiedlich bestimmen, so werden sie doch im Schrifttum vielfach nicht eindeutig voneinander abgegrenzt. Diese Feststellung bezieht sich nicht auf die gestaffelte Aufzählung mehrerer Kriterien: "Das Wesen der Sonderverbrechen besteht darin, daß die Strafvorschriften dieser Deliktsarten nur für eine begrenzte, bestimmt bezeichnete Personenklasse aufgeste\1t sind (Sondertatbestand); maßgebend dafür ist, daß für diesen Kreis von Individuen durch ihre Sonderstellung im Rechtsleben Pflichten gegeben sind, welche sie vor den übrigen Rechtsgenossen auszeichnen (Sondernonn). Diese Pflichten gründen sich wieder darauf, daß die Staats- und Wirtschaftsordnung einer beschränkten Personengruppe Rechtsgüter überantwortet hat, welche nur diese Personen infolge ihrer besonderen Beziehung angreifen können (Sonderrechtsgut).,,62 Maßgebliches Kriterium ist hier eindeutig das Merkmal, das den größten Unterschied zwischen Gemein- und Sonderstraftat begründet, also das Sonderrechtsgut. Häufig jedoch lassen sich die Defmitionen des Schrifttums nicht zweifelsfrei dem einen oder anderen Kriterium zuordnen. So wird beispielsweise der Ausdruck "Nonn" doppeldeutig verwendet; neben dem Verbot oder Gebot wird zuweilen auch die Strafsatzung darunter verstanden 63 , und damit wird fraglich, ob als "Sondernonn" jeweils bloß eine Tatbestandsbeschränkung oder zugleich die· Begrenzung des zugrundeliegenden Rechtsbefehls auf

62 Dünckelmeyer, Einfluß persönlicher Eigenschaften, S. 74 f. (Klammerzusätze vom Verfasser). 63 Schnyder, Täterschaft, S. 10; Harenburg, Untaugliches Subjekt, S. 18: "Für die Prüfung der Frage, ob eine Strafvorschrift als Sondernorm anzusehen ist, ... ".

1. Kap.: Sonderdeliktsdefinitionen in Schrifttum und Rechtsprechung

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bestimmte Personen anzusehen ist. Ferner wird von etlichen Autoren das nur durch Qualifizierte angreifbare Rechtsgut als sonderdeliktstypisch erwähnt, der Darstellungszusammenhang ergibt jedoch, daß von ihnen die Sondernorm als das eigentliche Kriterium angesehen wird; das Sonderrechtsgut hat daneben keine eigenständige Bedeutung, keine spezifische dogmatische Auswirkung, sondern es wird nur zum besseren Verständnis der Sondernormlehre angefilhrt. In diesen Fällen muß versucht werden, durch eine vergleichende Gesamtbetrachtung das von dem betreffenden Verfasser für entscheidend gehaltene Kriterium zu ermitteln.

a) Das Sonderrechtsgut als Sonderdeliktskriterium

Das gesetzgeberische Motiv für den Erlaß von Rechtsnormen ist der Rechtsgüterschutz. 64 Die "Anerkennung eines Interesses als Sozialwert (Rechtsgut),,65 geht dem darauf bezogenen Verbot oder Gebot begrifflich voraus und erfolgt zeitlich spätestens zusammen mit der Normsetzung. Damit könnte der Gegensatz von Gemein- und Sonderverbrechen bereits in der Ebene des Rechtsgutes begründet sein. Dementsprechend ist die Sonderstraftat im Schrifttum vereinzelt durch die Besonderheit ihres Schutzobjektes charakterisiert worden. "Die allgemeinen Verbrechen bauen sich auf einer Verletzung von Rechtsgütern auf, welche in ihrer Wichtigkeit jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft umfassen und alle zur Anerkennung verpflichten müssen." Anders die Sonderverbrechen; sie gründen sich darauf, daß die Staats- und Wirtschaftsordnung einer beschränkten Personenklasse Rechtsgüter überantwortet hat, "welche nur diese Personen infolge ihrer besonderen Beziehung treffen können. Ihre Strafbarkeit gründet sich darauf, daß sie zur Wahrung des speziellen, in ihre Hände gelegten Rechtsgutes verbunden sind.,,66 "Derartige Tatbestände hat der Gesetzgeber dort aufgestellt, wo besondere Rechtsgüter nur durch ganz bestimmte Personen verletzt werden können. Man bezeichnet diese Tatbestände als besondere Tatbestände, die entsprechenden Straftaten als Sonderdelikte.,,67

Binding, Normen I, S. 52 f1; Maurach, Allg. Teil, S. 219. Maurach, Allg. Teil, S. 219. 66 Bernhardt, Einfluß persönlicher Verhältnisse, S. 43 f.; ähnlich Dünckelmeyer, Einfluß persönlicher Eigenschaften, S. 75; Woothke, Strafbarkeit des nichtbeamteten Anstif64

65

ters, S. 3. 67 BaumannlWeberiMitsch, Allg. Teil, § 8 Rn. 31; ähnlich Franzheim, Teilnahme an unvorsätzlicher Haupttat, S. 22.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

b) Die Sondernorm als Sonderdeliktskriterium

Eine größere Zahl von Autoren betrachtet die Sondernorm als das Merkmal, welches das Sonder- vom Gemeindelikt unterscheidet. Infolge ihrer zum Teil voneinander abweichenden Auffassungen vom Begriff der Sondernorm gelangen sie zwangsläufig zu entsprechend divergierenden Definitionen der Sonderstraftat. Diese sollen zunächst im einzelnen dargestellt und sodann in ihren gemeinsamen Grundlagen zusammenfassend herausgearbeitet werden. Auf der Normentheorie Bindings aufbauend,68 hat Nagler diese Lehrmeinung von dem Sonderverbrechen entwickelt und besonders eingehend begründet. Wegen seiner überragenden Bedeutung rur die Theorie des Sonderdelikts soll er hier selbst ausruhrlich zu Wort kommen: "Da die Rechtssätze mit abstrakt gefaßten Gemeinvorstellungen operieren, so wird die Frage nach der Adresse, an die sie gerichtet sind, brennend. Denn überhaupt nur die Personen, von denen das Gesetz Gehorsam fordert, können sich dawider auflehnen. 69 Der Umfang des persönlichen Geltungsbereichs der Rechtssätze ist keine konstante Größe. Die gestellte Frage kann vielmehr nur rein positivrechtlich von Fall zu Fall der Lösung zugefiihrt werden. Die Rechtsordnung wird die Verbindlichkeiten, mit denen sie die Rechtsgenossen belastet, bald ihnen allen auferlegen und so rur alle die Möglichkeit eines unmittelbaren Friedbruchs schaffen. Bald wird sie die Tatbestände ihrer Vorschriften durch die Persönlichkeit der dadurch Verpflichteten eigentümlich ausgestalten. 70 Unser positives Recht ist reich an ... Verpflichtungen, die lediglich einen besonderen aus der Summe der Rechtsgenossen herausgehobenen Personenkreis treffen. 7l Es werden Komplexe von Pflichten konstruiert, deren Träger durch bestimmte höchstpersönliche Merkmale vor den Anderen ausgezeichnet sind. Ob sich im Einzelfalle die vinkulierende Satzung an alle Rechtsgenossen oder nur an einen Teil von ihnen wendet, muß jeweilen im Wege sorgfältiger Auslegung entnommen werden. Soviel steht von vornherein fest: Begreift das Strafgesetz alle Untertanen, so muß auch die ihm 68 Zu den Voraussetzungen der Naglerschen Sonderdeliktslehre vergleiche insbesondere: a) zum Begriff der Norm: Binding, Normen I, S. 45; Maurach, Allg. Teil, S. 219 ff.; Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 36 ff.; b) zum Nachweis der Normen: Binding, Normen I, S. 35 ff.; Maurach, Allg. Teil, S. 221 ff.; Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 40 ff., 231; c) zum Verhältnis von Norm und Strafgesetz: Binding, Normen I, S.45, 133 f., 188 ff.; Mezger, Lehrbuch, S. 182 ff.; Maurach, Allg. Teil, S. 224 ff.; Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 196 ff., 230; d) zum Kreis der Verpflichteten (allgemeine und besondere Normen): Binding, Normen I, S. 126 f.; Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 133 ff. 69 Nagler, Sonderverbrechen, S. 7. 70 Nagler, Sonderverbrechen, S. 8. 71 Nagler, Sonderverbrechen, S. 9.

I. Kap.: Sonderdeliktsdefinitionen in Schrifttum und Rechtsprechung

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korrespondierende Verhaltenssatzung an die Allgemeinheit der Rechtsgenossen gerichtet sein. Das Strafgesetz kann kraft seiner sekundären Stellung zwar einen engeren, nie aber einen weiteren Personenkreis treffen als die primären Verund Gebotsvorschriften. Ob aber eine Strafdrohung, die an eine engere Gruppe der Rechtsgenossen gerichtet ist, auch eine spezielle Forderung der Rechtsordnung hinter sich hat, ist eine Frage rur sich. Trotz des als Regelerscheinung auftretenden Parallelismus zwischen der verpflichtenden Satzung und dem Strafgesetze kann darum aus der Spezialität dieses allein noch kein Schluß auf den Umfang jener gezogen werden. 72 Die allgemeine Rechtsvorschrift tritt als die regelmäßige Erscheinung auf, es streitet daher rur ihre generelle Gültigkeit die Vermutung; ein Sonderbefehl darf nur da unterstellt werden, wo sich seine Radizierung auf die Angehörigen spezieller Lebenskreise mit hinreichender Bestimmtheit ergibt. 73 Den Prüfstein rur die Sonderverpflichtung bildet immer die unzweifelhafte Feststellung der positiven Begrenzung des persönlichen Herrschaftsbereichs, der dem Rechtssatze zukommt. 74 Handelt es sich um den Schutz von Rechtsgütern, die überhaupt nur den Angriffen einer besonderen Gruppe der Rechtsgenossen ausgesetzt sind, so fehlt jede Veranlassung, unmittelbar auch die Rechtsunterworfenen zu vinkulieren, denen die zu schützenden Lebensinteressen gar nicht erreichbar sind. 75 Man hat die Zuwiderhandlungen wider die Sondervorschriften, die nur rur eine begrenzte Kategorie deliktsfähiger Personen die höchstpersönliche Unterwerfung begründen, Sonderverbrechen (delicta propria, auch ,eigentümliche' Verbrechen) getauft. Ihnen werden dann die Übertretungen der allgemeinen Ver- oder Gebote als Gemeinverbrechen gegenübergestellt." 76 Diese Charakterisierung des Sonderdelikts durch die Sondernorm, d. h. durch das nur an einen begrenzten Personenkreis gerichtete vorstrafgesetzliche Gebot oder Verbot, ist im Keim bereits bei Binding angelegt, der allerdings, wie bis dahin seit Feuerbach 77 üblich, die Sonderstraftat als Standesdelikt bezeichnet: "Täter der Übertretung einer Sondernorm kann nur der Angehörige des Standes sein, dem die Norm gilt. Insofern ist diese Übertretung Sonderdelikt, delictum proprium dieses Standes.,,78 Nagler löste das Sonderverbrechen aus dieser "ungerechtfertigten Einengung des Begriffs,,79 und wurde mit seiner Definition rur

Nagler, Sonderverbrechen, S. Nagler, Sonderverbrechen, S. 74 Nagler, Sonderverbrechen, S. 75 Nagler, Sonderverbrechen, S. 76 Nagler, Sonderverbrechen, S. 77 Lehrbuch, § 25, S. 26 f 78 Binding, Normen I, S. 127. 79 Nagler, Sonderverbrechen, S. 72 73

10. 11. 16. 17. 18.

19.

228

2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

einen großen Teil des Schrifttums bis in die Gegenwart richtungweisend. 80 Im jüngeren Schrifttum wird der Ausdruck "Norm" in den Defmitionen des Sonderdelikts durch "Verbot oder Gebot" ersetzt, wobei sich jedoch mit diesem Wechsel in der Terminologie inhaltlich nichts ändert. 81 Etliche Autoren erklären nicht die abstrakte Sondernorm, sondern deren Konkretisierung, die Sonderpflicht, zum Kriterium des Sonderverbrechens, ohne daraus allerdings einen weitergehenden Unterschied zur oben wiedergegebenen Auffassung herzuleiten. 82 Grundsätzlich könnten nämlich in den Sonderpflichten zusätzliche Pflichten gesehen werden, die neben den jedermann obliegenden und gleichfalls durch die Sondertatbestände geschützten Gemeinpflichten nur für die Intranen bestehen. Hier aber wird die Sonderpflicht als alleiniges Verletzungsobjekt verstanden, und der Unterschied zum Gemeindelikt liegt folglich auch nach dieser Ansicht nicht in dem additiven Moment einer gesteigerten Ptlichtigkeit, sondern in dem qualitativen einer personal beschränkten, nicht alle Rechtsunterworfenen treffenden Pflicht bei der Sonderstraftat. Eine bedeutende Spielart dieser Lehre 83 sieht zwar auch das Wesen des Sonderverbrechens in der Verletzung einer Sondernorm, sie unterzieht jedoch die tradierte Auffassung von der Sondernorm einer eingehenden Kritik und gelangt so über einen modifizierten Sondernorm- zu einem inhaltlich abweichenden Sonderdeliktsbegriff. "DieMeinung, daß sich besondere Normen nur an einen begrenzten Adressatenkreis richten, ist ebenso naheliegend wie weit verbreitet ... Aber: Niemand kann als eventueller Täter des Aktes apriori ausgeschlossen werden ... Damit erweist sich, daß auch die besonderen Normen sich an alle richten. Es handelt sich bei den besonderen Normen also nicht um eine Einschränkung der Normadresse, sondern um eine nähere Bestimmung des Normsubjektes ... Zur Normierung des Handeins tritt bei den besonderen Normen die ,Normierung' des Handelnden.,,84 Auch in der Rechtsprechung sind wiederholt das besondere Verbot oder Gebot und die aus ihnen entspringenden besonderen Pflichten als Kriterium der Sonderstraftat bezeichnet worden. 85 So hat das Reichsgericht86 ausgeführt, das 80 Vgl. etwa Finger, Lehrbuch, S. 108 f.; Oetker, GS Bd. 68, 300; Schoetensack, Frank-Festgabe II, S. 58, und GS Bd. 91, 381; Kohlrausch, StGB, Vorbem. 5 vor § 43, und Bumke-Festschrift, S. 48; Deyhle, Sonderverbrechen, S. 12. 81 Bambach, Sonderdelikt, S.94; Niethammer, in: Olshausen, StGB, Vorbem. 19 a vor § 47; Frühauf, Eigenhändige Delikte, S. 4. 82 Max Ernst Mayer, AiIg. Teil, S. 95; Eberhard Schmidt, Die militärische Straftat, S. 7 f.; Harenburg, Untaugliches Subjekt, S. 18; Nowakowski, JZ 1956, 550; Stratenwerth, Allg. Teil, § 8 Rn. 4. 83 Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 137. 84 Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 133 f. 85 V gl. aber auch die täterschaftsabhängigen Begriffsbestimmungen der Rechtsprechung oben, S. 217.

1. Kap.: Sonderdeliktsdefinitionen in Schrifttum und Rechtsprechung

229

Sonderverbrechen könne "nur von bestimmten Personen wegen des nur an diese Personen gerichteten Gebotes ... begangen werden". Auch der Bundesgerichtshof 7 hat das Wesen des Sonderverbrechens in der "Zugehörigkeit des Täters zu einem besonderen Ptlichtenkreis" gesehen. Die auf der Sondernorm aufbauende Charakterisierung der Sonderstraftat gibt es also in einer Reihe von Spielarten. Deren Unterschiede wurden in der vergleichenden Darstellung naturgemäß stärker akzentuiert als das Übereinstimmende. Deshalb soll nunmehr das diese Definitionen Verbindende nochmals kurz betrachtet werden. Wichtigste Gemeinsamkeit ist die Differenzierung von Sonder- und Gemeinverbrechen nach der Sondernorm, dem dem Strafgesetz logisch voraufgehenden, in seinem persönlichen Herrschaftsbereich auf die Qualifizierten beschränkten Rechtsbefehl. Gemein- und Sonderdelikt unterscheiden sich danach jedenfalls nicht nur im Tatbestand; ob sie andererseits auch hinsichtlich des geschützten Rechtsgutes divergieren,88 kann dahinstehen, weil es darauf für den Begriff der Sonderstraftat nicht ankommt. Ist die Sondernorm der Prüfstein für das Vorliegen eines Sonderverbrechens, so handelt es sich bei der betreffenden Defmition stets um eine selbständige Begriffsbestimmung, das delictum proprium wird durch sie der Sache nach als eigenständige Erscheinungsform charakterisiert. Es besteht keinerlei Abhängigkeit etwa von den Erscheinungsformen Täterschaft und Teilnahme;89 die Frage nach den Möglichkeiten einer Tatbeteiligung ist mit dieser Begriffsbildung nicht entschieden, sondern gerade erst gestellt. Diese Selbständigkeit der Kategorien "Sonderstraftat" und "Täterschaft" ist bereits von Nagler klar herausgearbeitet und seiner Abhandlung als Gliederungsprinzip zugrunde gelegt worden. 90 Treffend schließt daher Oetker seine Besprechung dieses Werkes: "Es bedeutet einen großen Schritt vorwärts zum Verständnis der Teilnahmelehre und des Sonderdelikts.,,91

RGSt 62, 321; ebenso auch OLG Hamburg, DStR 1935, 59. BGHSt 1,139,141; 8, 321, 324. 88 Bejahend etwa Nagler, Sonderverbrechen, S. 17, und Schoetensack, Der Versuch und der amtliche Entwurf, GS Bd. 91, 381; verneinend wohl die meisten der auf die Sondernorm als Kriterium abstellenden Autoren. 89 Die Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme beruht allein auf dem positiven Strafgesetz; ist aber das Sonderverbrechen durch die diesem Strafgesetz vorgehende Sondernorm bestimmt, so kann es eine derartige Abhängigkeit schon aus Gründen der Logik nicht geben. 90 Vgl. Nagler, Sonderverbrechen, Inhaltsübersicht, §§ 3, 5, 6. 91 Oetker, GS Bd. 68, 308; kursiv vom Verfasser. 86 87

230

2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

c) Der Sondertatbestand als Sonderdeliktskriterium

"Sonderdelikte sind allein solche Delikte, deren Tatbestand nur von bestimmten Personen verwirklicht werden kann.'m Nach dieser Definition "besteht also das gemeinsame Begriffsmerkmal der über das ganze StGB und alle Nebengesetze verstreuten Sonderdelikte darin, daß ihrer Strafdrohung nur bestimmte, besonderen Anforderungen des Gesetzes genügende Personen ... unterworfen sind.,,93 Das Wesen des Sonderverbrechens liegt hiernach in der tatbestandlichen Beschränkung der Strafbarkeit auf Intrane: "Der besondere rechtliche Charakter der Sonderdelikte besteht darin, daß der Gesetzgeber bewußt und gewollt nur die von einem Qualifizierten begangene normwidrige Handlung in einem gesetzlichen Tatbestand typisiert und mit Strafe bedroht hat.,,94 "Gelingt es einem Unqualifizierten, das vom Sonderdelikt geschützte Rechtsgut zu verletzen, so ist sein Verhalten wohl normwidrig, jedoch strafrechtlich irrelevant. ,,95 Gemein- und Sonderverbrechen unterscheiden sich nach dieser Auffassung weder bezüglich des Rechtsgutes noch hinsichtlich der Norm, die seine Verletzung untersagt. Auch dem Extranen ist ein Angriff auf das Schutzobjekt der Sonderstraftat möglich, auch ihm ist ein solcher Angriff verboten; nur wird seine normwidrige Rechtsgutsverletzung nicht bestraft, weil sie nicht tatbestandsmäßig ist. Das Wesen des Sonderdelikts besteht hiernach in der tatbestandlichen Beschränkung der Strafbarkeit rechtswidrigen Verhaltens auf die Intranen.

Roeder, ZStW Bd. 69, 244. Roeder, ZStW Bd. 69, 239; zwar ist nach Roeder auch die Sonderpflicht fiir das Sonderverbrechen von Bedeutung, jedoch nicht fiir dessen Begriff, sondern lediglich als innerer Grund fiir die Beschränkung der Strafdrohung auf die Qualifizierten (vgl. ZStW Bd. 69, 252). 94 Schnyder, Täterschaft, S. 64; ähnlich schon S. 63. Ebenso Kern, GS Bd. 92, 158; Stöger, Untauglicher Täter, S. 77; Maurach/Zipf, Allg. Teil I, § 21 Rn. 2, 8. 95 Schnyder, Täterschaft, S. 64 Fn. 30; ähnlich schon S. 63 Fn. 28. 92 93

I. Kap.: Sonderdeliktsdefinitionen in Schrifttum und Rechtsprechung

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Die Begrenzung des Strafsatzes bei Allgemeinheit des zugrunde liegenden Rechtsbefehls konstituiert die Sonderstraftat als selbständige Erscheinungsform des Verbrechens: Wie sich diese Limitierung der Strafdrohung etwa in der Lehre von Täterschaft und Teilnahme auswirkt - ob sie also nur auf die Täterschaft oder auch auf die Teilnahme Anwendung findet -, das ist keineswegs bereits in die Definition des Sonderdelikts hineingenommen, wie es bei den täterschaftsabhängigen Begriffsbestimmungen der Fall ist,96 sondern das muß unter gemeinsamer Berücksichtigung der Natur der Teilnahme und der Natur des Sonderverbrechens erst ermittelt werden.

96

Vgl. oben, S. 216 ff.

232

2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Zweites Kapitel

Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen des Sonderverbrechens Betrachtet man kritisch die herkömmlichen Charakterisierungen des Sonderverbrechens, so darf der Zweifel vor dieser Begriffsbildung als solcher nicht haltmachen. Jedoch ist die Kategorie selbst so einhellig anerkannt und der Kernbereich der ihr unterfallenden Straftaten so unstreitig, daß von ihrer Daseinsberechtigung hier ausgegangen werden darf. Damit beschränkt sich die Auseinandersetzung mit den vorfindlichen Definitionen des Sonderdeliktsbegriffs auf deren konkrete Ausgestaltung. Diese Kritik wiederum dient ausschließlich dem Ziel, aus der verwirrenden Vielfalt divergierender und zunächst als gleichwertig hinzunehmender Begriffsbestimmungen die richtige, d. h. allen Angriffen widerstehende Kennzeichnung des Sonderverbrechens zu ermitteln oder, falls es eine solche nicht geben sollte, wenigstens die in den überkommenen Begriffsbestimmungen enthaltenen richtigen Ansätze zu einer Definition als solche zu erkennen, um so eine tragfähige Grundlage rur die eigene Definition der Sonderstraftat zu gewinnen. Methodisch soll zu diesem Zweck so vorgegangen werden, daß nicht die Auffassung eines jeden Autors einzeln überprüft wird, sondern daß jeweils die nach sachlichen Gemeinsamkeiten zusammengefaßten Begriffsbestimmungen der Kritik unterzogen werden. Ausgehend von gegenwärtig allgemein oder doch ganz überwiegend anerkannten Grundsätzen der Strafrechtsdogmatik sind einerseits die Voraussetzungen der divergierenden Charakterisierungen des Sonderverbrechens in Frage zu stellen und andererseits ist ihre Tragweite im Blick auf das Gesamtsystem zu untersuchen. An diesem Maßstab ist jeweils ihre Tauglichkeitzu messen. Damit ist der Weg rur die Auseinandersetzung mit den herkömmlichen Begriffsbestimmungen des Sonderverbrechens vorgezeichnet: Die Charakterisierung der Sonderstraftat durch die einen als Tatbestandsgruppierung, durch die anderen als Erscheinungsform markiert die beiden Bereiche, die nunmehr im einzelnen zu untersuchen sind.

I. Auseinandersetzung mit den unselbständigen Begriffsbestimmungen Als unselbständige Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens (Auffassung der Sonderstraftat als Tatbestandsgruppierung) ist im vorigen Kapitel diejenige Definitionsart bezeichnet worden, die das allgemeinste Sondermerkmal und Kriterium des Sonderdeliktsvorbegriffs - nämlich die Beschränkung der Fähig-

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 233

keit, Deliktssubjekt zu sein, auf den im Tatbestand genannten Personenkreis in seinen Auswirkungen dergestalt auf den Bereich einer Erscheinungsfonn begrenzt, daß das Sonderverbrechen in der jeweils korrespondierenden Erscheinungsfonn den allgemeinen Regeln unterworfen wird, sich hier also nicht vom Gemeinverbrechen unterscheidet. Um eine solche unselbständige Begriffsbestimmung handelt es sich beispielsweise dann, wenn die Sonderstraftat als "Delikt mit einem auf die Qualifizierten beschränkten Täterkreis" definiert wird und damit zugleich ausgedrückt wird, daß der Nichtqualifizierte sich als Teilnehmer nach den allgemeinen Regeln strafbar machen kann. Ist diese Beschränkung des Spezifischen am Sonderdelikt auf den Bereich einer Erscheinungsfonn sachlich gerechtfertigt? Ist es zulässig, in der korrespondierenden Erscheinungsfonn das Sonderverbrechen den allgemeinen Regeln zu unterstellen und damit insoweit jeden Unterschied zur Gemeinstraftat zu negieren? Anhand dieser Fragen werden die abhängigen Umschreibungen des Sonderverbrechens im folgenden kritisch überprüft werden. Dabei folgt die Auseinandersetzung mit den unselbständigen Begriffsbestimmungen des Sonderverbrechens dem Vorgehen bei der Wiedergabe der Lehrmeinungen: Zunächst wird das Verständnis des Sonderdelikts als Tatbestandsgruppierung innerhalb der Täterschaft untersucht, sodann seine Relativierung auf die Verbrechensvol/endung überPrüft und schließlich nach der Möglichkeit gefragt, es als von der Erscheinungsfonn des Tätigkeitsdelikts abhängig zu begreifen.

1. Die täterschaftsabhängige Definition des Sonderverbrechens "Täterschaftsabhängig" sind diejenigen Begriffsbestimmungen des Sonderverbrechens genannt worden, denen zufolge beim Sonderdelikt nur der Täterkreis auf die im Gesetz bezeichneten Personen beschränkt, hingegen die Möglichkeit, sich als Teilnehmer strafbar zu machen, unbeschränkt ist. I Diese Defmitionen sind nunmehr in bezug auf das Motiv, die dogmatische Begründung und die begriffliche Fassung jener Relativierung im einzelnen in Frage zu stellen.

a) Kritik des Motivs

Die Kennzeichnung des Sonderverbrechens als Tatbestandsgruppierung innerhalb der Erscheinungsfonn der Täterschaft ist motiviert durch eine bestimmte Auffassung von der Strafwtlrdigkeit eines am Sonderdelikt beteiligten Extraneus. Weil man die Mitwirkung eines Nichtqualifizierten für strafwürdig erachtet, trifft man deswegen die Definition der Sonderstraftat so, daß sie seine StrafI

V gl. dazu im einzelnen das vorige Kapitel, II 2 b.

234

2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

barkeit gewährleistet. Daher liegt es nahe, bei der Überprüfung der täterschaftsabhängigen Bestimmungen des Sonderdeliktsbegriffs mit einer Kritik des Motivs rur eine derartige Begriffsbildung zu beginnen. Fragt man also nach der Strafwürdigkeit des am Sonderdelikt mitwirkenden Extraneus, dann bemerkt man sogleich die sich aus der Natur des Untersuchungsgegenstandes ergebende Schranke rur die Kritik: Die Entscheidung über die Strafwürdigkeit des Außenstehenden ist ein Werturteil und deshalb diejenige Stufe in der Begriffsbestimmung, die rationaler Begründung oder Widerlegung nicht bis ins letzte zugänglich ist. Daher kann man nur zu erhellen versuchen, welche Gesichtspunkte bei dieser Wertung richtigerweise zu leiten haben, und so dann prüfen, ob sie beachtet worden sind. Daß es strafwürdige Mitwirkungshandlungen Nichtqualifizierter beim Sonderverbrechen überhaupt gibt, wird man schwerlich bestreiten können. Wenn man bedenkt, mit welch fragwürdigen Argumenten jahrzehntelang die herrschende Lehre und die Rechtsprechung rur die Stratbarkeit der Beteiligung Außenstehender am Sonderdelikt eintraten, dann muß man davon ausgehen, daß es hier Fälle gibt, die überwiegend als stratbedürftig erlebt wurden. Man stelle sich etwa einen mit Tatherrschaft, Täterwillen und alleinigem Tatinteresse mitwirkenden Extraneus vor, dessen Tatbeitrag unter Umständen ein erheblich größeres kriminelles Gewicht besitzen kann als der des in untergeordneter Rolle beteiligten Intraneus. Damit aber ist zunächst nur gesagt, daß die täterschaftsabhängigen Definitionen des Sonderdelikts nicht schon von vornherein in jedem Falle die richtige Rechtsfolge verfehlten. Nunmehr stellt sich die Frage, ob auch die mit den täterschaftsabhängigen Begriffsbestimmungen des Sonderverbrechens bezüglich der Bestrafung intendierte und verwirklichte generelle Gleichstellung von Intranen und Extranen als Teilnehmer durch gleiche Strafwürdigkeit sachlich gerechtfertigt war. Dieser Vergleich der Strafwürdigkeit von Intranen- und Extranenmitwirkung bei einer Sonderstraftat ist nur zwischen jeweils gleichen Beteiligungsformen sinnvoll möglich, zwischen Verhaltensweisen also, die nur durch das Vorhandensein einer sonderdeliktstypischen QualifIkation unterschieden sind. Aus diesem Grunde kann nur die wirkliche, d. h. durch das Fehlen der Täterschaftskriterien gekennzeichnete Teilnahme des Extraneus mit der Teilnahme des Intraneus hinsichtlich der Strafwürdigkeit verglichen werden, wenn man deren behauptete Gleichheit (als das Motiv rur die täterschaftsabhängigen Defmitionen des Sonderdelikts) in Zweifel ziehen will. Fragt man nun, welche Momente die Strafwürdigkeit eines Verhaltens begründen und deshalb beim Intraneus und beim Extraneus miteinander verglichen werden können, so stößt man zuerst auf den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat. Daß etwa das Unrecht der Tötung eines Menschen eine höhere Strafwürdigkeit enthält als das Unrecht einer Sachbeschädigung oder daß eine Not-

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 235

entwendung infolge ihres geringen Schuldgehaltes weniger strafwürdig ist als derselbe ohne die betreffende Notlage vorgenommene Diebstahl, darf als unmittelbar einleuchtend hier vorausgesetzt werden. Untersucht man nun den Unrechtsgehalt eines Sonderdelikts, beispielsweise der Untreue (§ 266), so bemerkt man, daß die deliktstypische Rechtsgutsverletzung nach dem geltenden Gesetz noch nicht ausreicht, um die Strafbarkeit zu begründen; denn ein nur scheinbar Treupflichtiger, der den ihm aufgrund dieses Anscheins faktisch möglichen Zugriff auf das fremde Vermögen vornimmt und ihm einen Nachteil zufUgt, wird von jener Vorschrift nicht erfaßt. Das läßt darauf schließen, daß der Gesetzgeber die Strafwürdigkeit eines derart handelnden Nichtqualifizierten verneint hat. Erst wer die besondere, "ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt", kann das volle Unrecht der Untreue begehen. Um dieses Moment der besonderen Pflichtverletzung ist das Unrecht des "täterschaftlieh", d. h. mit Tatherrschaft, Täterwillen, Tatinteresse usw. handelnden Extraneus geringer als das Unrecht des in entsprechender Weise handelnden Intraneus. - Vergleicht man sodann die Anstiftung oder Beihilfe eines Qualifizierten zum Sonderverbrechen mit der im übrigen gleichen Teilnahme eines Nichtqualifizierten, so ist ungeachtet aller Meinungsverschiedenheiten über die Auswirkungen des Täterunrechts auf das Teilnehmerunrecht wenigstens soviel unstreitig, daß der teilnehmende Extraneus nicht selbst die Sonderpflicht des lntraneus-Täters verletzt. Sein Unrecht ist folglich geringer als das des unter sonst gleichen Voraussetzungen teilnehmenden Intraneus, der mit seiner Beteiligung nicht nur das geschützte Rechtsgut angreift, sondern darüber hinaus die ihn persönlich bindende Sonderpflicht verletzt. So stellt etwa die Beihilfe, die ein Außenstehender dem Vorsitzenden eines Kollegialgerichtes zu einer Rechtsbeugung (§ 339) leistet, ein weniger großes Unrecht dar als die gleiche Unterstützungshandlung, die von einem ebenfalls mit der fraglichen Rechtssache befaßten Richterkollegen vorgenommen wird. - Wegen der aufgewiesenen Abhängigkeit der Strafwürdigkeit vom Tatunrecht ist somit der am Sonderverbrechen "täterschaftlieh" oder als Teilnehmer mitwirkende Extraneus notwendig weniger strafwürdig als ein in sonst gleicher Weise beteiligter Intraneus. Insoweit sind folglich die täterschaftsabhängigen Begriffsbestimmungen des Sonderdelikts vom Motiv dieser Begriffsbildung her verfehlt. Blickt man nunmehr auf die Schuld des am Sonderdelikt beteiligten Nichtqualifizierten und mißt sie an der Schuld eines entsprechend handelnden Qualifizierten, dann ergibt sich, daß auch insoweit die Strafwürdigkeit des Nichtqualifizierten grundsätzlich geringer ist. Schon früh 2 war erkannt, daß in demjenigen, der nicht selbst von der Sonderpflicht gebunden ist, sich zwar im Einzelfall das Geruhl fUr diese Pflicht mit genügender Stärke geltend machen kann, daß er 2 v.

Bar, Gesetz und Schuld, S. 658 ff.

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2. Teil, \. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

aber regelmäßig den besonderen Pflichtanruf nicht mit gleicher Dringlichkeit erleben wird wie der selbst Verpflichtete: "Die Schuld ist eine geringere als die Schuld der in dem besonderen Pflichtverbande Stehenden.,,3 Das bloße Wissen um das vom Täter begangene Unrecht und um die eigene Mitwirkung reichtim Unterschied zur Regelform der Teilnehmerschuld - hier eben noch nicht aus, um die volle, deliktstypische Teilnehmerschuld zu begründen. 4 Weil also der Extraneus im allgemeinen nicht die durch das bewußte Erleben der eigenen Sonderpflicht vermittelten Hemmungen verspürt, deshalb legt er eine weniger verwerfliche Gesinnung an den Tag als ein in sonst gleicher Weise handelnder Intraneus. Diese Schulddifferenz zwischen der Intranen- und der Extranenmitwirkung am Sonderverbrechen mag von Delikt zu Delikt verschieden und vor allem dann sehr klein sein, wenn die Geltung einer Sonderpflicht weitgehend in das allgemeine Rechtsbewußtsein eingegangen ist,5 aber selbst in diesen Fällen ist sie vorhanden, und folglich ist die Strafwürdigkeit des Extraneus, verglichen mit der eines Intraneus, notwendig immer um das jenem Schuldunterschied entsprechende Maß geringer. Zusammenfassend läßt sich somit feststellen, daß die Beteiligung eines Nichtqualifizierten am Sonderverbrechen eine sowohl nach dem Unrechts- wie auch nach dem Schuldgehalt wesentlich geringere Strafwürdigkeit aufweist als die in sonst gleicher Weise erfolgende Beteiligung eines Qualifizierten. Hingegen waren nach der täterschaftsabhängigen Definition des Sonderdelikts jedenfalls bis zur Aufnahme der Vorläufervorschrift des § 28 Abs. 1 in das Strafgesetzbuch qualifizierte und nichtqualifizierte Teilnehmer trotz unterschiedlicher Strafwürdigkeit in gleicher Weise strafbar. So erklärt sich zwanglos, daß selbst die Vertreter jener Begriffsbestimmung der Sonderstraftat zuweilen das Unbefriedigende ihrer Lösung 6, die "Verlegenheit'" und das "Unbehagen"S über die Extranenbestrafung nach allgemeinen Teilnahmegrundsätzen eingestanden. Das vermeintliche Bedürfnis, die Mitwirkung Extraner am Sonderverbrechen zu bestrafen, fiihrte somit zu einer Begriffsbildung, die die Strafwürdigkeit dieser Mitwirkung verfehlte.

Nach Einfiigung des § 28 Abs. 1 in das Strafgesetzbuch gibt es noch weniger als vorher einen Sachgrund dafiir, den Sonderdeliktsbegriff so zu defmieren, daß der mitwirkende Extrane nach den allgemeinen Teilnahmeregeln, d. h. ohne Unterschied zum teilnehmenden Intranen, bestraft wird. Wenn auch die derzeit geltende Gesetzesfassung den Strafwürdigkeitsunterschied zwischen beiden nur Bar, Gesetz und Schuld, S. 660 f. v. Bar, Gesetz und Schuld, S. 659 Anm. 116. 5 Auch darauf hat schon v. Bar, Gesetz und Schuld, S. 659, hingewiesen. 6 Schönke/Schröder, StGB (12. Aufl.), § 50 Anm. 24. 7 Richard Lange, Notwendige Teilnahme, S. 17. 8 Esser, GA 1958, 326. 3 v. 4

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 237

in sehr pauschaler Weise berücksichtigt, triffi sie mit ihrer Strafbarkeitsanordnung die Relation in der Strafwürdigkeit des intranen und des extranen Teilnehmers unverhältnismäßig viel besser als jeder Befilrworter einer konsequent täterschaftsabhängigen Sonderdeliktsdefmition, weil der hier keinerlei Unterschied anerkennen kann. Unter dem Aspekt des Motivs dieser Begriffsbildung sind daher die täterschaftsabhängigen Umschreibungen des Sonderdelikts unhaltbar.

b) Kritik der Begründung

Neben der als verfehlt erkannten Auffassung von der Strafwürdigkeit der Beteiligung Extraner am Sonderverbrechen spielt regelmäßig die dogmatische Begründung ihrer Strafbarkeit eine wichtige Rolle rur die täterschaftsabhängige Charakterisierung des Sonderdelikts. Denn gerade weil man die Strafbarkeit der Außenstehenden filr begründet hielt, hegte man keine Bedenken, dieses Ergebnis in die Begriffsbestimmung der Sonderstraftat aufzunehmen. Daher ist eine Auseinandersetzung mit diesen Begründungen zugleich eine Kritik der täterschaftsabhängigen Definitionen des Sonderdelikts selbst. Hierbei richtet sich diese Kritik vor allem gegen die Auffassung derjenigen Autoren, die das Sonderverbrechen unter ausdrücklicher Berufung auf ihre dogmatische Begründung für die Strafbarkeit des Extraneus täterschaftsabhängig definiert haben. Soweit die §§ 26, 27 oder deren Vorgängervorschriften unreflektiert auf die Mitwirkung der Außenstehenden beim Sonderdelikt angewendet werden 9 bzw. wurden 10, kann man überhaupt nicht von einer eigentlichen Begründung filr deren Strafbarkeit sprechen. Daß jene Vorschriften nicht ungeprüft auf die Extranenteilnahme übertragen werden dürfen, zeigt bereits die Strafdrohung gegen die Bestechung (§ 334), die gerade die gravierenden Formen der Mitwirkung Extraner an der Bestechlichkeit (§ 332) erheblich milder als nach Teilnahmeregeln ahndet. Vollends unverständlich wäre die zwingende Konsequenz einer solchen Übertragung, daß nämlich zwar jede täterschaftliche Beteiligung des Nichtqualifizierten am Sonderverbrechen straflos, der entferntere Tatbeitrag eines Anstifters oder Gehilfen hingegen uneingeschränkt strafbar zu sein hätte.

9 Hierher zählen alle Autoren, die § 28 Abs. I als bloße Strafzumessungsregel kennzeichnen und damit die Strafbarkeit des mitwirkenden Extraneus als solche voraussetzen, ohne sie für begTÜndungsbedürftig zu halten (vgl. die Nachweise bei Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 31 Fn. I). 10 Vgl. beispielhaft Eberhard Schmidt, Militärstrafrecht, S. 43; Schröder, Urteilsanmerkung, IR 1960, lOS; Maurach, Allg. Teil (3. Aufl.), S. 210; ferner die höchstrichterliche Rechtsprechung seit ROSt 6,414,415, siehe etwa ROSt 63,313,318; BOHSt 9, 203,217; 14,280,282; BOH nach Her/an, OA 1967,265.

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Demgegenüber enthielt die im älteren Schrifttum 11 häufige Berufung auf die Akzessorietät der Teilnahme als Strafbarkeitsgrund für die Extranenmitwirkung ein erstes Eindringen in die Sache selbst. Hiernach sollte das Verhalten des Teilnehmers als solches rechtlich irrelevant sein und erst aus der Beziehung auf die Tat des Haupttäters seinen Deliktscharakter empfangen, wobei - als Ausdruck der völligen rechtlichen Abhängigkeit der Teilnahme - die Existenz einer Täterhandlung die zwar notwendige, aber stets auch ausreichende rechtliche Voraussetzung für die Strafbarkeit eines jeden Mitwirkenden als Teilnehmer bilden sollte. 12 Dieser Ansicht ist zu entgegnen, daß das Delikt des Teilnehmers seinen Strafgrund in sich trägt; deswegen müssen sämtliche Strafbarkeitsvoraussetzungen in der Tat des Teilnehmers vorliegen. Die Anwendung des Akzessorietätsprinzips setzt das Dasein einer strafbaren Teilnahmehandlung bereits voraus. 13 Durch das Akzessorietätsprinzip wird die anderweitig begründete Möglichkeit der Teilnehmerbestrafung lediglich begrenzt, indem die Strafbarkeit vom Dasein einer bestimmt gearteten Haupttat abhängig gemacht wird. Durch dieses Erfordernis wird also nur die vorausgesetzte Möglichkeit der Bestrafung von nichttäterschaftlich an einem Verbrechen mitwirkenden Personen eingeschränkt, nicht aber wird jene Bestrafungsmöglichkeit selbst geschaffen. Die Strafbarkeit des am Sonderverbrechen beteiligten Extraneus kann daher mit der Akzessorietät der Teilnahme nicht begründet werden. 14 Die hierbei gewonnene Erkenntnis, daß die Akzessorietät die Strafbarkeit des Teilnehmers nicht konstituiert, sondern sie lediglich begrenzt, gilt gleichermaßen für die Unrechtsteilnahmelehre l5 als Grundlage der Stratbarkeit Nichtqualifizierter. Nach dieser Lehrmeinung liegt der Strafgrund der Teilnahme in der Mitgestaltung des Tatunrechts durch den Teilnehmer. Der Anstifter wie auch der Gehilfe wird für sein eigenes deliktisches Tun zur Verantwortung gezogen, das in der unerlaubten Mitwirkung an der Erfüllung eines Unrechtstatbestandes durch einen Dritten besteht. So ist es für diese Ansicht nur folgerichtig, die Akzessorietät der Teilnahme dahingehend zu limitieren, daß als Haupttat lediglich eine deliktstypische Unrechtshandlung vorzuliegen braucht. Mit diesem Verständnis der gesetzlichen Teilnahmeregelung glaubte man auch die Frage der Strafbarkeit der Extranenbeteiligung am Sonderdelikt bereits beantwortet zu haben: "Ihre Lösung ergibt sich zwangsläufig aus der Lösung 11 Vgl. die Nachweise bei Nagter, Sonderverbrechen, S. \09; ebenso Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 422 ff.; Max Ernst Mayer, Der allgemeine Teil, S. 412. 12 Siehe hierzu im einzelnen die Wiedergabe dieser Ansicht durch Nagler, Sonderverbrechen, S. 108. IJ Nagler, Sonderverbrechen, S. 110. 14 Zu den Einzelheiten dieser Kritik vgl. die Erstauflage, S. 121 f. 15 Zimmert, ZStW Bd. 54,586 ff., und Aufbau des Strafrechtssystems, S. 153 ff.; Richard Lange, Notwendige Teilnahme, S. 55; Joachim Hoffmann, Behandlung der besonderen Umstände, S. 71; Schnyder, Täterschaft, S. 170.

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 239

des Akzessorietätsproblems.'d6 AIIe Umstände nämlich, die das Unrecht der Haupttat begründen oder modifizieren, soIIten hiernach die Strafbarkeit der übrigen Beteiligten im gleichen Sinne beeinflussen. Da man die Qualifikationsmerkmale des Täters bei den Sonderverbrechen als Unrechtsmomente ansah, rechnete man sie - nach dem Prinzip der Akzessorietät des Teilnahmeunrechts vom Unrecht der Haupttat - auch den Teilnehmern zu, bei denen sie nicht vorlagen; auch die Beteiligung eines Extraneus am Sonderdelikt war danach strafbar. Auf den ersten Blick scheint diese Beweisfiihrung schlüssig zu sein. Bei genauerem Zusehen bemerkt man jedoch den charakteristischen Bedeutungswandel, den der Begriff der "limitierten Akzessorietät" erfahren hat: Hatte die Limitierung der Teilnahmeabhängigkeit von der Haupttat ursprünglich nur den Sinn, die Strafbarkeit des Teilnehmers von der Schuld des Täters unabhängig zu machen, so wird nunmehr - positiv - mit ihrer Hilfe das Täterunrecht den übrigen am Delikt Beteiligten zugerechnet. Die Funktion der Akzessorietät hat sich damit von der Begrenzung der Teilnahmestrafbarkeit durch das Erfordernis einer wenigstens tatbestandsmäßig-rechtswidrigen Haupttat gewandelt zur Begründung jener Strafbarkeit durch Zurechnung des vom Täter begangenen Unrechts. 17 Damit wird aus dem Akzessorietätsgrundsatz etwas gefolgert, was dieser seiner Idee nach gar nicht enthalten kann: Was positiv die Strafbarkeit des Teilnehmers begründet, ,kann sich nur aus einer Besinnung auf den Strafgrund der Teilnahme ergeben. Wenn man die Mitgestaltung des Deliktsunrechts als den Strafgrund der Teilnahme ansieht, so folgt daraus keineswegs zwingend, daß das vom Täter begangene Unrecht in voIIem Umfang zur Grundlage auch der Teilnahmebestrafung werden muß. Es ist nicht ersichtlich, warum man zwischen den unterschiedlichen Unrechtsmomenten nicht soIIte differenzieren dürfen. Im Unrechtsgehalt der Sonderverbrechen sind zwei Bestandteile deutlich unterscheidbar: Einmal eine durch jedennann begehbare Rechtsgutsverletzung und zum anderen eine nur den Qualifizierten mögliche besondere Pflichtverletzung. So kann beispielsweise bei der Rechtsbeugung (§ 339) das geschützte Rechtsgut von jedem Rechtsunterworfenen (etwa durch Nötigung eines Richters) in der gesetzlich geschilderten Weise verletzt werden, die höchstpersönliche Verpflichtung der Richter, anderen Amtsträger oder Schiedsrichter hingegen nur

So beispielhaft Zimmert, ZStW Bd. 54, 586. Diese Aufgabe kann der Begriff der Akzessorietät jedoch nicht erfüllen, da seine Anwendung, wie bereits gezeigt wurde, die Strafbarkeit des Teilnehmers als solche stets schon voraussetzt. Auch die "limitierte Akzessorietät" der Teilnahme hat lediglich den Zweck, die vorgängig begründete Strafbarkeit des Teilnehmers durch die zusätzliche Bedingung einer Haupttat von bestimmter Beschaffenheit einzuschränken. Im Schrifttum hingegen wird fast ausschließlich der Gesichtspunkt der "Limitierung" der Abhängigkeit von der Haupttat und damit die Strafausdehnung im Vergleich zur strengen Akzessorietät betont. 16

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

von diesen selbst. Diese Unterscheidung ist unabhängig von einer konkreten Unrechts- oder Sonderdeliktsauffassung, und es besteht somit wenigstens die Möglichkeit, daß sie rur die Stratbarkeit der Teilnahme erheblich ist. Es ist also zu fragen, in welchem Umfang der extrane Teilnehmer an der Gestaltung des Unrechts beim Sonderverbrechen mitwirkt, d. h. ob sein Handeln nur das tatbestandIich geschützte Rechtsgut verletzt oder ob es auch das spezifische Unrecht der besonderen Pflichtverletzung mitprägt. Diese Frage ist deshalb von entscheidender Bedeutung, weil Grundlage der Teilnahmestrafbarkeit das vom Teilnehmer selbst begangene Unrecht ist: 18 Ist er an der Gestaltung des mit dem Qualifikationsmerkmal bezeichneten besonderen Unrechtsgehalts nicht beteiligt, dann fehlt es rur ihn an der Strafuorm. 19 Wer den am Sonderverbrechen mitwirkenden Extraneus bestrafen will, muß daher nachweisen, daß dieser auch am Sonderunrecht teilnimmt. Ein solcher Nachweis ist bisher nicht geruhrt worden; es läßt sich sogar zeigen, daß er überhaupt nicht erbracht werden kann: Alle Rechtsgüter sind von jedermann angreifbar, folglich ist die rechtlich relevante Beteiligung eines Extraneus am Sonderverbrechen möglich und sie ist ein Unrecht; hingegen binden die den Intranen gesetzlich auferlegten Sonderpflichten nur diese höchstpersönlich, sie sind nur von ihnen erfiillbar und verletzbar, und jede Art tatsächlicher Mitwirkung seitens eines nicht' von der Sonderpflicht Gebundenen an Handlungen, die die Sonderpflichtverletzung durch den Intranen enthalten, ist in bezug auf dieselbe irrelevant. Es gibt also keine Teilnahme am Sonderunrecht. 20 Weil somit der am Sonderverbrechen mitwirkende Extraneus nicht das Sonderunrecht und damit nicht das volle deliktstypische Unrecht mitgestaltet, folgt gerade aus dem richtig verstandenen Grundsatz der Unrechtsteilnahme, daß der Extraneus jedenfalls allein auf Grund der §§ 26, 27 aus dem Tatbestand des Sonderverbrechens nicht bestraft werden kann. Der zweite Weg, die Strafbarkeit der Teilnahme Extraner am Sonderdelikt aus den allgemeinen Teilnahmevorschriften herzuleiten, ruhrte über die herr-

18 Dieser Satz kann als Prüfstein dafür dienen, ob und inwieweit die Redeweise vom Deliktsunrecht als "personalem Unrecht" eine rur die Strafrechtsdogmatik fruchtbare Erkenntnis enthält. 19 So bereits Hardwig, GA 1954,66, der allerdings die von ihm behauptete Teilnahme des Extraneus am Sonderunrecht nicht begründet. 20 Dies ist auch der Standpunkt des Gesetzes: Bei den sog. unechten Sonderdelikten hat das Gesetz die beteiligten Extranen gemäß § 28 Abs. 2 aus den korrespondierenden Gemeindeliktstatbeständen rur strafbar erklärt, also nur den Teil des sonderdeliktischen Unrechtsgehalts mittels einer eigenen Strafvorschrift zur Grundlage ihrer Strafbarkeit gemacht, den sie selbst mitgestalten. Bei den sog. echten Sonderdelikten hat der geringere Unrechtsgehalt der Extranenbeteiligung gemäß § 28 Abs. 1 die obligatorische Strafmilderung zur Folge.

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 241

schende Auslegung der inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 28 Abs. 2: 21 Da das Gesetz nur von besonderen persönlichen Eigenschaften oder Verhältnissen sprach, die die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen, und wenigstens ausdrücklich nur rur sie eine spezielle Rechtsfolgenregelung traf, sah man die strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmale als von dieser Vorschrift nicht erfaßt an und folgerte daraus die Strafbarkeit der Teilnahme Nichtqualifizierter am Sonderverbrechen. 22 Schon die Voraussetzung, von der diese Begründung der Extranenstrafbarkeit ausgeht, die strafkonstitutiven besonderen persönlichen Merkmale seien von jener Vorschrift nicht erfaßt gewesen, ist unhaltbar. 23 Bereits der zur Zeit des Gesetzeserlasses übliche Wortsinn und die Aussagen der Gesetzesmaterialien beweisen das Gegenteil. Andererseits sollte man die Bedeutung der historischen Auslegung angesichts einer fast hundertjährigen gegenläufigen Entwicklung von Rechtslehre und Rechtspraxis sicher nicht überbewerten. Entscheidend ist hingegen, daß eine rechtsinhaltliche Betrachtung die besonderen persönlichen Merkmale im Hinblick auf die Teilnahmestratbarkeit nicht danach differenzieren darf, ob sie die Stratbarkeit des Täters überhaupt erst begründen oder lediglich ändern, weil der Grund rur die jeweilige Wirkweise nicht in der Natur des betreffenden Merkmals, sondern allein in dem rein zufiilligen Umstand liegt, ob es einen entsprechenden Tatbestand ohne diese Merkmale gibt. Nach richtigem Verständnis der Vorgängervorschrift des § 28 Abs. 2 waren somit die besonderen persönlichen Merkmale ausnahmslos (d. h. ohne Rücksicht auf ihre strafiindernde oder strafbegründende Wirkung) nur demjenigen zuzurechnen, bei dem sie vorlagen. Das bis zur Einruhrung der Vorgängervorschrift des § 28 Abs. I geltende Strafgesetz hat somit in den allgemeinen Vorschriften über die Teilnahme die Mitwirkung des außenstehenden Teilnehmers am sog. echten Sonderdelikt straflos gelassen. Die Ausdehnung jener Vorschriften auf die Beteiligung Extraner war daher nicht eine zulässige Gesetzesauslegung, sondern ein Verstoß gegen die Verfassungsnorm des Art. 103 Abs. 2 GG. Durch diese verfassungsrechtliche Schranke der Stratbarkeit war die Straflosigkeit des am Sonderverbrechen teilnehmenden Extraneus zwingend vorgeschrieben. 21 Zur geschichtlichen Entwicklung dieser Vorschrift vgl. die Nachweise in der Erstauflage, S. 124 Fn. 64. 22 Vgl. beispielhaft Max Ernst Mayer, Der allgemeine Teil, S. 412 Anm. 16; Frank, StGB, Anm. IV I vor § 47, und § 50 Anm. I; Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, S. 226; Hall, Eberhard Schmidt-Festschrift, S. 344; Franzheim, Teilnahme an unvorsätzlicher Haupttat, S. 23. 23 Vgl. dazu im einzelnen die sehr detaillierte Wiedergabe der Widerlegung jener Voraussetzung durch das strafrechtliche Schrifttum in der Erstauflage, S. 131 ff. Besonders hervorzuheben ist hier die umfassende und äußerst subtile Analyse dieser Problematik durch Bambach, Sonderdelikt, S. 56 ff.

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Damit haben sich die im Schrifttum gegebenen Begründungen rur die Strafbarkeit der Extranenbeteiligung nach allgemeinen Teilnahmeregeln sämtlich als nicht stichhaltig erwiesen. Soweit diese Begründungen als Basis rur täterschaftsabhängige Defmitionen des Sonderverbrechens dienten, soweit man also das Sonderdelikt gerade deshalb als Tatbestandsgruppierung innerhalb der Erscheinungsform der Täterschaft charakterisierte, weil man die Strafbarkeit der Außenstehenden rur begründet hielt, sind damit auch diese Begriffsbestimmungen hinfällig. Erst seit der Einrugung der Vorgängervorschrift des § 28 Abs. I in das Strafgesetzbuch gibt es eine "gesetzliche Bestimmung" (Art. 103 Abs.2 GG) der Strafbarkeit des am Sonderdelikt teilnehmenden Extraneus. Entgegen der sprachlich verunglückten Fassung kann es sich bei § 28 Abs. I nicht um eine bloße Strafzumessungsregel handeln, da eine solche die anderweitige Strafbarkeitsbegründung rur die Extranenteilnahme voraussetzte, die es jedoch (wie gerade gezeigt) nicht gibt. Wird aber die Strafbarkeit des teilnehmenden Außenseiters erst durch § 28 Abs. I begründet, dann besteht zwischen der Mitwirkung Intraner und Extraner beim Sonderverbrechen eben doch ein Unterschied, und zwar insofern, als die Strafbarkeit des extranen Teilnehmers nicht aus den allgemeinen Teilnahmevorschriften, sondern aus einer speziellen gesetzlichen Regelung folgt und einen anderen Umfang hat als die des intranen Teilnehmers. Eine argumentativ auf die Strafbarkeit der Extranenteilnahme nach den allgemeinen Teilnahmevorschriften gestützte täterschaftsabhängige Defmition der Sonderstraftat - d. h. das Verankern der These, rur den Bereich der Teilnahme dürfe nicht zwischen Intranen und Extranen unterschieden werden, im Sonderdeliktsbegriff selbst - ist somit nach der Aufnahme der in § 28 Abs. I enthaltenen Regelung in das Strafgesetzbuch verfehlter denn je. Wie läßt sich die trotz dieser offensichtlichen Sachwidrigkeit auch gegenwärtig noch so weite Verbreitung der täterschaftsabhängigen Definitionen der Sonderstraftat erklären? Nachdem diese Art des Definierens und die durch sie gegen den Willen des historischen Gesetzgebers und gegen das Gesetz selbst garantierte Strafbarkeit der Extranenteilnahme zur Mehrheitsmeinung geworden waren, wurden sie (bis auf seltene Ausnahmen) nicht mehr kritisch reflektiert, weil eine solche Überprüfung auch das gewünschte Strafbarkeitsergebnis hätte in Frage stellen können. Da es eine derartige selbstkritische Analyse der täterschaftsabhängigen Sonderdeliktsdefinitionen nicht gab, wurde auch nicht bemerkt, daß mit der inhaltsgleichen Vorgängervorschrift zu § 28 Abs. I jene Definitionsmethode auch tUr ihre Anhänger entbehrlich geworden war und die sich aus ihr rur die Extranenteilnahme ergebenden Rechtsfolgen auch der neuen Gesetzeslage wiederum widersprachen; denn die Strafbarkeit des nichtqualifizierten Anstifters oder Gehilfen richtete sich nunmehr gerade nicht nach den allgemeinen Teilnahmeregeln der §§ 26, 27, vielmehr war sie nach der Sondervorschrift (heute § 28 Abs. I) obligatorisch zu mildern. Dogmengeschichtliche Un-

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 243

kenntnis und fehlende Reflexion der Defmitionsmethode fUhrten so zu dem verbreiteten Fortschleppen der täterschaftsabhängigen Begriffsbestimmungen des Sonderverbrechens bis in das neueste Schrifttum.

c) Kritik der Begriffsbildung

Soweit die täterschaftsabhängigen Definitionen des Sonderdelikts auf einer verfehlten Auffassung von der Strafwürdigkeit der Extranenteilnahme oder auf der vermeintlichen Begründbarkeit der Extranenbestrafung mit Hilfe der allgemeinen Teilnahmeregeln beruhen, ist ihre Unhaltbarkeit vorstehend dargelegt worden. Nunmehr soll die täterschaftsabhängige Begriffsbildung als solche kritisch betrachtet werden. Diese Begriffsbildung erfolgt in der Weise, daß in der Defmition der Sonderstraftat der Unterschied zwischen Sonder- und Gemeinverbrechen auf den Bereich der Täterschaft beschränkt wird. In der Grundform dieser Begriffsbestimmung ist nur die Tatsache der Täterkreisbegrenzung auf die Intranen in die Definition des Sonderdelikts aufgenommen, während in den Sonderformen auch die Art der Täterkreisbegrenzung (durch die Verselbständigung der Qualifikationsmerkmale gegenüber den übrigen Tatbestandsmerkmalen) in der Sonderdeliktsdefinition zum Ausdruck kommt. aa) Auseinandersetzung mit der Grundform Das Sonderverbrechen wird in den täterschaftsabhängigen Begriffsbestimmungen zumeist umschrieben als "Delikt, das nur bestimmte Personen als Täter begehen können". Nach dem einleitend herausgearbeiteten Vorbegriff der Sonderstraftat unterscheidet sich diese von der Gemeinstraftat dadurch, daß der Kreis möglicher Deliktssubjekte begrenzt ist. Die dogmatischen Auswirkungen dieses Unterschiedes sind in den täterschaftsabhängigen Endbegriffen des Sonderverbrechens auf den Bereich der Täterschaft beschränkt worden, um so den mitwirkenden Extraneus wenigstens als Teilnehmer bestrafen zu können. Durch die Aufuahme der intendierten Teilnahmestrafbarkeit in die Begriffsbestimmung des Sonderdelikts machte man es zu einer Tatbestandsgruppierung innerhalb der Erscheinungsform der Täterschaft. Dieses Vorgehen ist im folgenden sowohl bezüglich der Methode als auch von den erzielten Ergebnissen her zu überprüfen. In methodischer Hinsicht ist die täterschaftsabhängige Charakterisierung des Sonderdelikts als solche nicht schon von vornherein verfehlt. Beispielsweise werden die eigenhändigen Delikte, die häufig gemeinsam mit den Sonderstraftaten erörtert werden, zu Recht ausnahmslos als vom Begriff der mittelbaren Täterschaft abhängig dargestellt und damit der Sache nach als Tatbestandsgruppie-

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

rung innerhalb der mittelbaren Täterschaft behandelt. Ebenso sind auch im Vorbegriff des Sonderverbrechens filr den unbefangenen Betrachter zunächst beide Möglichkeiten, die einer selbständigen und die einer abhängigen Enddefinition, angelegt; welche dem Phänomen "Sonderverbrechen" besser gerecht wird, kann nur in einer umfassenden Untersuchung ermittelt werden. In diesem Punkt nun ist die im Schrifttum erfolgende Relativierung des Sonderdelikts auf die Erscheinungsform der Täterschaft methodisch fragwürdig: Die Bedeutung des besonderen persönlichen Merkmals wird auf den Bereich der Täterschaft beschränkt, ohne daß vorher eine alle Bedeutungsmöglichkeiten in Betracht ziehende Analyse stattgefunden hätte. Diese Relativierung ist nicht das Ergebnis einer tiefgreifenden Untersuchung, in der jeder weitergehende Unterschied zwischen Sonder- und Gemeinstraftat ausgeschlossen worden ist, sondern eine willkürliche Setzung, die lediglich zu dem Zweck erfolgt, die intendierte Strafbarkeit extraner Teilnehmer durch eine geeignete Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens sicherzustellen. Die Bedenken gegen diese Relativierung der Sonderstraftat auf die Täterschaft werden noch· verstärkt durch einen Vergleich mit einer wirklichen Tatbestandsgruppierung, wie z. B. der der eigenhändigen Delikte: Bei ihnen hält man die Kriterien des allgemeinen Täterbegriffs vom Wortsinn des Gesetzes oder vom Unwertverständnis dieser Verbrechen bei mittelbarer Begehung nicht mehr filr gedeckt. Der Begriff des eigenhändigen Delikts ist somit nur sinnvoll in der übergeordneten Erscheinungsform der (mittelbaren) Täterschaft; als eigene Verbrechens gruppe sind die eigenhändigen Straftaten überhaupt nur existent durch die Frage nach dem Umfang der mittelbaren Täterschaft. Im Gegensatz dazu fehlt schon dem Sonderdeliktsvorbegriff dieses Kriterium einer wirklichen Tatbestandsgruppierung, nämlich die totale Abhängigkeit von der übergeordneten Erscheinungsform. Während daher keine Tatbestandsgruppierung ohne Bezug auf die übergeordnete Erscheinungsform defmierbar ist, ist das Sonderverbrechen schon im Vorbegriff durch das Merkmal der konkreten gesetzlichen Subjektsbeschreibung ohne derartige Beziehung auf irgendeine Erscheinungsform definiert worden. Damit ist bereits im Vorbegriff des Sonderdelikts ein Unterschied zu den Tatbestandsgruppierungen enthalten, der die Möglichkeit eines weitergreifenden, nicht nur auf eine Erscheinungsform beschränkten Gegensatzes zum Gemeindelikt wenigstens andeutet. Die Auswirkungen dieser tatbestandlichen Subjektskennzeichnung sind nicht apriori auf eine Erscheinungsform begrenzt; der Begriff des Sonderdelikts könnte also in mehreren Erscheinungsformen des Verbrechens sinnvoll sein, d. h. zu je eigenen Rechtsfolgen filhren. Schon der Vorbegriff zeigt somit die Notwendigkeit einer eingehenden Sachanalyse, und es ist daher methodisch verfehlt, ohne eine solche den Endbegriff der Sonderstraftat auf den Bereich einer Erscheinungsform, nämlich der Täterschaft, zu beschränken.

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 245 Entscheidend ist jedoch allein, daß auch das Ergebnis dieser Begriffsbildung, die täterschaftsabhängige Charakterisierung des Sonderverbrechens, dogmatisch verfehlt ist. Diese Deliktsgruppe ist eben nicht nur im Bereich der Täterschaft bedeutsam, auf den man sie mit der täterschaftsabhängigen Definition beschränken zu können glaubte, sondern ihre Eigenart setzt sich beispielsweise auch in der Erscheinungsform des Versuchs durch und macht dort eine spezifische Rechtsfolgenregelung notwendig. Erst in der Zusammenschau mit den übrigen, im folgenden zu behandelnden Relativierungen des Sonderdeliktsbegriffs kann dieser Haupteinwand gegen die unselbständigen Begriffsbestimmungen einsichtig gemacht werden. Aber bereits die unausgewogenen Strafbarkeitsergebnisse innerhalb von Täterschaft und Teilnahme erweisen die täterschaftsabhängige Kennzeichnung des Sonderdelikts als unhaltbar. Anstiftung und Beihilfe eines Extraneus zu einem Sonderverbrechen sind danach strafbar, seine Mitwirkung in den gravierenden Formen der mittelbaren Täterschaft und der der Mittäterschaft hingegen ist straflos. Daß diese notwendige Konsequenz des täterschaftsabhängigen Sonderdeliktsbegriffs jeglicher Teleologik der Gesetzesinterpretation widerstreitet, blieb auch den Anhängern dieser Auffassung vom Sonderverbrechen nicht verborgen. Anstatt jedoch daraufhin jene Begriffsbestimmung zu überprüfen, korrigierte man die unvertretbaren Auswirkungen des ersten Fehlers durch einen zweiten: Man beseitigte die Diskrepanz dadurch, daß man unter Verfälschung der tatsächlichen Beteiligungsstrukturen die täterschaftliche Mitwirkung Außenstehender am Sonderverbrechen als Teilnahme bestrafte. 24 Jedoch auch das dadurch erreichte Ergebnis ist unbefriedigend; als Teilnahme am Sonderverbrechen werden danach drei verschiedene Mitwirkungsarten von je eigener Strafwürdigkeit undifferenziert einer einheitlichen Rechtsfolge unterstellt, nämlich die Beihilfe Qualifizierter, die Teilnahme Nichtqualifizierter und die "Täterschaft" Nichtqualifizierter. Überdies hatte man so, ohne es zu bemerken, ein neues Problem von erheblicher praktischer Bedeutung künstlich geschaffen. Es ist nämlich kein Zufall, daß die Frage nach der Strafbarkeit der Teilnahme an unvorsätzlicher Tat bisher fast ausnahmslos bei der Beteiligung am unvorsätzlichen Sonderverbrechen akut geworden ist. Der herrschenden Meinung ist insoweit zuzustimmen, als sie rur die Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe als "vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat" i. S. der §§ 26, 27 einen Rechtsgutsangriff in Tatumstandskenntnis gemäß § 16 Abs. I Satz I verlangt; wo es daran fehlt, liegt beim Ge24 Für den Hauptanwendungsfall, die Einschaltung eines unvorsätzlich handelnden Intraneus durch einen die Tatherrschaft besitzenden Nichtqualifizierten, geht das allerdings selbst Vertretern dieser Ansicht zu weit (vgl. etwa Welzel, Strafrecht, S. 113 f). Läßt man aber hier die Täterschaft des Außenstehenden straflos, bestraft man hingegen im übrigen seine weniger schwer wiegende Teilnahme, so ist man wieder bei jenem ungereimten Ergebnis angelangt, das zur Verfälschung der Beteiligungsformen fiihrte.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

meindelikt in allen strafwürdigen Fällen mittelbare Täterschaft vor. Die entsprechende Konstellation beim Sonderdelikt ist die allein problematische: Die "mittelbare Täterschaft" des Extraneus, bei verletzungsbewußt handelndem Intraneus als "Teilnahme" eingestuft, muß, wenn dem Intraneus diese Tatumstandskenntnis fehlt, trotz gleicher Strafwürdigkeit straflos gelassen werden, es sei denn, man korrigiert die Folgen des zweiten Fehlers durch einen dritten, nämlich die These von der Strafbarkeit der Teilnahme an "unvorsätzlicher" Tat. Hier bewahrheitet sich wieder das Wort Zimmerls aus ähnlichem Zusammenhang: "Es liegt nun einmal im Wesen der Systemwidrigkeit, daß sie auch nicht den kleinsten Nutzen bringt, ohne einen mindestens ebenso großen Schaden zu stiften. ,,25 Der Primärfehler aber, auf den alle weiteren Systemwidrigkeiten zurückzufilhren sind, liegt in der täterschaftsabhängigen Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens. Die immer noch weite Verbreitung der täterschaftsabhängigen Definitionen der Sonderstraftat läßt sich heute nur verstehen als Ausdruck dogmengeschichtlicher Unkenntnis von ihren Ursprüngen und des darauf beruhenden Verkennens der tiefgreifenden Konsequenzen, die die Gesetzesrevisionen im Bereich der besonderen persönlichen Merkmale insoweit hatten: Stand am Anfang das Bestreben, die Strafbarkeit der (vom Gesetzgeber straflos gelassenen) Mitwirkung Extraner am Sonderverbrechen durch eine entsprechende Fassung des Sonderdeliktsbegriffs selbst festzuschreiben, so war dieser Ausgangspunkt bereits vergessen und es blieb folglich unbemerkt, daß jedes Bedürfnis filr eine solche Definitionsmethode entfiel, als mit den Vorgängervorschriften des § 28 in mehreren Schritten eine gesetzliche Grundlage filr die Strafbarkeit des extranen Teilnehmers in das Strafgesetzbuch eingefilgt wurde. Übersehen wurde aber außerdem, daß die mit jenen Vorschriften filr die Beteiligung Extraner angeordneten Straffolgen nicht nur filr Einzeltalle (was sich vielleicht anderweitig deuten ließe), sondern ausnahmslos im Widerspruch zu denen der täterschaftsabhängigen Sonderdeliktsdefinitionen standen und letztere damit nunmehr auch unter diesem Aspekt als gesetzwidrig erwiesen. Nicht erkannt wurde schließlich, daß von dem weitgefaßten Inhalt des formalen Sonderdeliktsvorbegriffs, filr den man mit dieser Definitionsmethode die Stratbarkeit der Extranenmitwirkung nach allgemeinen Teilnahmeregeln hatte sicherstellen wollen, infolge jener Gesetzesänderungen filr eine täterschaftsabhängige Definition nur die im Subjektskreis beschränkten Gemeindelikte (wie z. B. Exhibitionistische Handlungen, § 183, oder Kindestötung, § 217 a. F.) übriggeblieben waren: Hier und nur hier - also gerade nicht bei den Sonderverbrechen, vielmehr bei einer Tatbestandsgruppierung aus dem Bereich der Gemeindelikte - hatte eine täterschaftsabhängige Definition von Straftaten mit eingeschränktem Subjektskreis ihren Platz. Der täterschaftsabhängigen Sonderdeliktsdefinition hingegen, die 25

Zimmert, Aufbau des Strafrechtssystems, S. 152.

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen

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rechtsdogmatisch längst widerlegt war,26 war mit § 28 ausdrücklich auch durch das Gesetz selbst der Boden entzogen worden. bb) Auseinandersetzung mit den Sonderformen Neben jener Grundform täterschaftsabhängiger Begriffsbestimmung gibt es

im Schrifttum Sonderformen, in denen nicht nur auf die Täterkreisbegrenzung

durch das Sondermerkmal, sondern auch auf dessen systematische Funktion abgestellt wird. Sämtliche Einwendungen gegen die Grundform täterschaftsabhängiger Sonderdeliktsdefmition richten sich in gleicher Weise auch gegen diese Spielarten, gegen die sich jedoch noch weitere Bedenken erheben.

Die Sonderstraftat "charakterisiert nicht nur die Handlung, sondern darüber hinaus den Handelnden durch konstante Merkmale, die, an eine Sonderstellung anknüpfend, die Täterschaft auf den hier herausgegriffenen Kreis beschränken".27 Die Sonderverbrechen werden in dieser Form täterschaftsabhängiger Definition also umschrieben als Delikte mit gesetzlich vertypten täterschaftlichen Merkmalen. Daß der Teilnehmer keine täterschaftlichen Merkmale aufzuweisen brauche, weil er eben nur Teilnehmer und nicht Täter ist, scheint von nicht mehr zu überbietender Evidenz zu sein. In der Kennzeichnung der Qualifikationsmerkmale als täterschaftliehe Merkmale scheint so die erstrebte Strafbarkeit Extraner als Teilnehmer und damit die Relativierung des Sonderdeliktsbegriffs auf die Erscheinungsform der Täterschaft endgültig gesichert zu sein. Es fragt sich aber, ob die das Subjekt des Sonderverbrechens beschreibenden Merkmale zu Recht als "täterschaftliche" charakterisiert werden. Daher ist zu untersuchen, in welchem Sinn der Ausdruck "täterschaftlieh" in den betreffenden Defmitionen der Sonderstraftat verwendet wird. Ganz eindeutig ist damit nicht etwa eine täterstrafrechtliche Struktur der Sonderverbrechen gemeint; denn nicht die Zugehörigkeit zu den Qualifizierten wird bestraft, sondern die vom Qualifizierten begangene Tat. "Täterschaftlieh" sind die besonderen persönlichen Eigenschaften und Verhältnisse jedoch auch nicht in der Weise, daß sie notwendig die Täterschaft desjenigen begründen, bei dem sie vorliegen; denn ein Intraneus kann nach dieser Auffassung auch als Teilnehmer am Sonderverbrechen mitwirken. Die sog. täterschaftlichen Merkmale bilden also nur eine unter mehreren Voraussetzungen der Täterschaft,2s nicht hingegen das einzige, die Täterschaft konstituierende Kriterium. Unterscheiden sich aber die V gl. hierzu im einzelnen die Erstauflage, S. 204 ff. KohlrauschiLange, StGB, Vorbem. 13 vor § 47. Zur Wiedergabe dieser Auffassung vgl. im einzelnen die Erstauflage, S. 44 f., 101 ff. 28 Welzel, Strafrecht, S. 101. - Kritisch zu dem doppelsinnigen Gebrauch des Wortes "Täter" schon Deichmann, Grenzfälle der Sonderstraftat, S. 11 f. 26

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Sondermerkmale insoweit nicht von den übrigen Elementen der gesetzlichen Verbrechensbeschreibung, warum werden sie dann als "täterschaftliehe" Merkmale bezeichnet und jenen gegenübergestellt? Diese Charakterisierung der Sondermerkmale ist als Relikt eines gescheiterten Versuchs zur Neugliederung des Verbrechensaufbaues nur historisch erklärbar. Die Systematisierung der Delikts- oder wenigstens der Unrechtselemente in einen Tat- und einen Tätertypus - bei der die Subjektsqualifikationen der Sonderverbrechen dem letzteren zugerechnet und deshalb wie alle diesem zugehörigen Momente zur Unterscheidung von den Tatmerkmalen täterschaftliehe Merkmale genannt werden ist über Ansätze nicht hinausgelangt; spätestens seit ihrer umfassenden Untersuchung durch Gallas 29 , der diese Einteilung als rur eine materiell sinnvolle Gliederung ungeeignet erwiesen hat, darf sie als endgültig widerlegt angesehen werden. Insoweit war die Bezeichnung der subjektsbeschreibenden Merkmale beim Sonderverbrechen als "täterschaftliehe" Merkmale, aus der als solcher ohnehin nie auch nur die geringsten praktischen Konsequenzen gezogen worden waren, mit dem Wegfall ihrer Grundlage rur die Dogmatik nur wertlos; schädlich hingegen wurde sie in dem Augenblick, in dem sie unter Verkennung ihres ursprünglichen Bedeutungszusammenhanges dazu verwendet wurde, die Strafbarkeit der Extranenteilnabme im Sonderdeliktsbegriff zu verankern. Die Ambivalenz des Ausdrucks "täterschaftlieh" - er bezeichnet nicht nur den Gegensatz von Täter und Tat, sondern auch den Gegensatz von Täter und Teilnehmerermöglichte seinen Gebrauch in völlig verändertem Sinn: "Täterschaftlieh" waren diese Merkmale nunmehr auch insofern, als ihr Vorliegen Voraussetzung jeder, aber auch nur der Bestrafung als Täter, nicht hingegen der Teilnehmerstrafbarkeit war. 30 Gerade weil sie diesen Pseudobeweis rur die Strafbarkeit der Extranenteilnahme und damit rur die Richtigkeit des täterschaftsabhängigen Sonderdeliktsbegriffs erbrachte, hielt man an der verfehlten Benennung der Qualifikationsmerkmale als täterschaftliehe Merkmale auch dann noch fest, als man das ursprüngliche Ziel dieser Benennung, die Gliederung der Verbrechenselemente in einen Tat- und einen Tätertypus, längst aufgegeben hatte. Die Doppeldeutigkeit des Ausdrucks "täterschaftlieh" ermöglichte so scheinbar zwanglos die Relativierung des Sonderdeliktsbegriffs auf die Erscheinungsform der Täterschaft. In Wahrheit aber läßt schon eine flüchtige Sachanalyse die Unzulässigkeit einer derartigen Gleichsetzung des zweifachen Wortsinns von "täterschaftlieh" erkennen: Ist das Qualifikationsmerkmal deswegen ein täterschaftliches, weil es das Deliktssubjekt, nicht aber dessen Verhalten typisiert, dann muß es sowohl beim Täter wie auch beim Teilnehmer vorliegen, denn beide Tatstrafe und Täterstrafe, ZStW Bd. 60, 374 ff. Richard Lange, Notwendige Teilnahme, S. 17; Niederschriften, Bd. 2, S. 96; JZ 1959, 562; Wetzel, Strafrecht, S. 10 1. 29

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2. Kap.: AuseinWldersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen

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sind Subjekte der Sonderstraftat; die täterschaftlichen, d. h. subjektsbeschreibenden Merkmale der gesetzlichen Sonderdeliktsschilderung sind somit keine Merkmale, die den Täter in seinem Unterschied zum Teilnehmer kennzeichnen. Auch in dieser Form ist daher die Relativierung des Sonderverbrechens auf die Erscheinungsform der Täterschaft verfehlt. In der zweiten Sonderform täterschaftsabhängiger Begriffsbestimmung bilden die das Deliktssubjekt qualifizierenden Umstände wirkliche täterschaftliche Merkmale; sie benennen eine außerstrafrechtliche PflichtensteIlung, die bei dieser Verbrechensgruppe täterschajtsbegründend wirkt. 31 Die Sonderptlichtverletzung ist nach dieser Auffassung nicht auch Strafgrund dieser Delikte, sondern ihre Bedeutung erschöpft sich in der Konstituierung der Täterschaft. Jede Beteiligung eines Sonderpflichtigen an einem solchen "Pflichtdelikt" ist nach dieser Begriffsbildung32 notwendig Täterschaft; die Beteiligung eines Außenstehenden ist als Teilnahme nach den allgemeinen Grundsätzen strafbar. Die Auseinandersetzung mit dieser Ansicht - mit ihren Prämissen, mit ihrer Entfaltung und mit ihren Konsequenzen - ist in der Erstauflage so detailliert geführt worden, daß eine vollständige Wiederholung hier nicht zu rechtfertigen wäre. Hinzu kommt, daß keines der dort vorgetragenen Argumente bisher auch nur ansatzweise entkräftet worden ist. Andererseits könnte bei einer nur summarischen Wiedergabe künftig vielleicht begründet der Vorwurf der "Pauschalaburteilung" erhoben werden. Der an der Begriffsbildung "Ptlichtdelikt" und den Einzelheiten ihrer Widerlegung interessierte Leser sei deshalb zur Kritik unter den Aspekten der (alsbald von seinen Urhebern selbst erkannten) Fragwürdigkeit schon des Vorläufervorschlags zu dieser Ansicht, der Vereinbarkeit mit den Vorschriften des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches und mit den als Beispielen herangezogenen Sonderdeliktstatbeständen sowie schließlich der Berechtigung der Inanspruchnahme von angeführter Judikatur und zitiertem Schrifttum vollen Umfangs auf die Erstauflage verwiesen. 33 Mit Gründen versehene Einwände gegen jene Widerlegung sind nur zu zwei Punkten erhoben worden: Zum einen sei das Argument aus § 28 Abs. 2, wonach diese Vorschrift ausdrücklich auch den Fall regelt, daß die Qualifikation nur beim Teilnehmer vorliegt, eine petitio principii; "denn § 28 Abs. 2 bestimmt nicht die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, sondern setzt sie voraus und behandelt auf der Grundlage einer nach allgemeinen Lehren bestehenden Zur Kennzeichnung dieser Sonderform vgl. im einzelnen oben, S. 218 f. In der unkritischen Übernahme der Begriffsbildung "Ptlichtdelikt" als solcher liegt der elementare MWlgel der von Simchez-Vera verfaßten Dissertation "Ptlichtdelikt und Beteiligung". An diesem Defizit bemißt sich dann auch das Gewicht des verbleibenden Problems, ob des Kaisers neue Kleider nach aktueller Mode um eine Handbreit gekürzt werden sollten. 33 Vgl. zur Kritik unter den genWlnten Aspekten die Erstautlage, S. 223-227. 31

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Täter-Teilnehmer-Beziehung die Akzessorietät bei besonderen persönlichen Merkmalen.,,34 Die Zielrichtung dieses Gegeneinwandes bleibt dunkel, weil eben das die Widerlegung selbst besagt hatte, nämlich daß die Beteiligungsformen des Täters und des Teilnehmers von § 28 Abs. 2 vorausgesetzt werden, und zwar dergestalt, daß diese Vorschrift ausdrücklich auch den Fall nennt, daß das besondere persönliche Merkmal nur beim Teilnehmer vorliegt.35 Soweit letzteres mit der zweiten Hälfte des Gegeneinwandes rur unbeachtlich erklärt werden sollte, ist eine Auseinandersetzung damit hier entbehrlich, und zwar nicht deswegen, weil sich - soweit ersichtlich - bisher niemand dieser Meinung angeschlossen hat, sondern weil ihr Urheber selbst inzwischen jene Position aufgegeben hat, daß § 28 Abs. 2 "die Akzessorietät bei besonderen persönlichen Merkmalen" behandele, und diese Vorschrift nunmehr zur bloßen Strafzumessungsregel erklärt. 36 - Die zweite Entgegnung bezieht sich auf den Einwand aus § 30 Abs. 1, wonach diese Vorschrift insoweit leerlaufe, wenn die in jeder erfolglosen Anstiftung durch einen Intranen liegende Sonderptlichtverletzung täterschaftsbegründend sei: "Die Pflichtverletzung liefert ja nur ein Täterschaftskriterium, nicht den Strafgrund, der auch bei Ptlichtdelikten in einer Rechtsgüterverletzung besteht, nur das unmittelbare Ansetzen zur tatbestandlichen Rechtsgüterverletzung begründet hier wie sonst den Versuch.,,37 In der Sache geht es bei der Kontroverse doch gerade um die Frage, ob man den Strafgrund und die Beteiligungsform auf diese Weise trennen kann, ob sich also der Grund der konkreten Strafbarkeit ohne Rücksicht auf das Täterschaftskriterium und seine Errullung abschließend bestimmen läßt. In dogmatisch-konstruktiver Hinsicht fragt der Einwand aus § 30 Abs. 1 nach der - bisher fehlenden - Begründung darur, wie (ohne die geringste Änderung in der Person dieses Beteiligten und seines Handelns) aus dem Anstiftungsversuch seitens des Intraneus in dem Augenblick ein täterschajUicher Versuch des Auffordernden werden kann, in dem der Adressat zur tatbestandsmäßigen Rechtsgutsverletzung unmittelbar ansetzt; wird hingegen der Auffordernde schon bei seiner Äußerung nicht als Anstifter, sondern als "Pflichtdeliktstäter" beurteilt, dann läuft § 30 Abs. 1 wegen dieser Begriffsbildung insoweit leer.

34 Roxin, Täterschaft, S. 696 Fn. 537. - Zu dem Gesamtfeld dieses Gegeneinwandes vgl. die tiefschürfende Analyse durch Deichmann, Grenzfälle der Sonderstraftat, S. 17 ff. 35 Auch der Bundesgerichtshof geht - entgegen der Pflichtdeliktslehre - als selbstverständlich davon aus, daß beim Sonderpflichtdelikt der Sonderpflichtige nicht ipso iure Täter ist, sondern sich als Anstifter (vgl. z. B. BGH wistra 2002, 420 f.) oder Gehilfe (vgl. BGH vom 23.5.2000 - 5 StR 101/00) strafbar machen kann. 36 Roxin in LK StGB, § 28 Rn. 9. 37 Roxin, Täterschaft, S. 696 Fn. 537. - Die umfassend begründete Widerlegung dieses Einwandes findet sich schon bei Deichmann, Grenzfälle der Sonderstraftat, S. 22 f.

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 251

Im Schrifttum ist zwar die Benennung ,'pflichtdelikt' gelegentlich übernommen worden/ 8 inhaltlich aber sind selbst diese Autoren dem Urheber der Pflichtdeliktslehre allenfalls in Teilbereichen, mehrfach sogar nur rur beispielhaft genannte Strafvorschriften, gefolgt. Nicht also der Umstand, daß - soweit

ersichtlich - bisher niemand sich uneingeschränkt jener Meinung angeschlossen hat,39 und auch nicht die Tatsache, daß als Beleg rur "die wachsende Zahl von Berurwortern,,40 Autoren zitiert werden, die sich zu den maßgebenden Gesichtspunkten dieser Begriffsbildung kritisch bis ablehnend geäußert haben,41 sprechen so entscheidend gegen jene Meinung wie die einhellige Art der Resonanz des Schrifttums: Soweit Zustimmung erklärt wird, beschränkt sie sich auf den Teil der Aussagen, die trivial sind und rur deren Begründung die Pflichtdeliktslehre entbehrlich ist; den Aussagen hingegen, rur deren Begründung es gerade auf die Pflichtdeliktslehre ankommt, weil diese Begründung sich nur aus ihr herleiten läßt, wird die Zustimmung ausdrücklich verweigert: "Bei den sog. ,Pflichtdelikten' , deren Tatbestand eine besondere PflichtensteIlung voraussetzt (Beispiel: die Vermögensfürsorgepflicht in § 266 oder die GarantensteIlung bei den unechten Unterlassensdelikten), hängt die Möglichkeit der Täterschaft von der Verletzung dieser tatbestandsspezijischen Sonderpflicht durch den Handelnden oder Untätigbleibenden ab.,,42 Täter des unechten Unterlassungsdelikts als eines Pflichtdelikts "ist immer, wer durch eigenes Unterlassen den Tatbestand voll verwirklicht.,,43 Bei der Untreue als Pflichtdelikt wird die Vennögensrursorgepflicht "nicht bloß durch eigene vennögensrnindernde Maßnahmen verletzt, sondern auch dadurch, daß andere an solchen nicht gehindert werden.,,44 Alle diese Feststellungen enthalten Selbstverständlichkeiten und sind deshalb auch ohne die Pseudobegründung des Rückgriffs auf die Figur des "Pflichtdelikts" richtig: die Möglichkeit der Täter-

Vgl. hierzu die Nachweise bei Roxin, Täterschaft, S. 696 Fn. 538. Das gilt auch für Sanchez-Vera, der in seiner Dissertation "Ptlichtdelikt und Beteiligung" aber die Begriffsbildung als solche nicht in Frage stellt, sondern unkritisch übernimmt und lediglich die Konsequenzen als in weiten Bereichen verfehlt aufzeigt. Die oben vorgetragenen Einwände, die jene Begriffsbildung selbst als unhaltbar erweisen, entziehen folglich auch dieser Dissertation ihre Grundlage. 40 Roxin, Täterschaft, S. 696. 41 Vgl. etwa Murmann, Nebentäterschaft, S. 181 f.; Schünemann, GA 1986,331, der sich gerade dagegen ausspricht, daß "als Täterkriterium der Sonderdelikte die Verletzung einer außerstrafrechtlichen Sonderptlicht ... namhaft gemacht wird"; Wagner, Amtsverbrechen, S. 72, wo sich das Einräumen des "richtigen Ansatzes" gerade nicht auf die Kategorie des Ptlichtdelikts, sondern auf den Rückgriff auf das öffentliche Recht bezieht und im übrigen sogleich relativiert wird ("entscheidende Fragen bleiben ungeklärt"). 42 Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 521. 43 Blei, Allg. Teil, S. 318 i. V. m. S. 255; ähnlich Bockelmann/Volk, Allg. Teil, S. 190. 44 Schönke/SchröderiCrameriHeine, StGB, Rn. 84 vor §§ 25 ff. 38 39

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

schaft setzt Tatbestandserfüllung voraus, ist bei voller Verwirklichung eines jeden Straftatbestandes gegeben und läßt nach der insoweit ganz außergewöhnlichen Fassung der Untreue (§ 266) das schädigende "Verletzen der Pflicht zur Vennögensbetreuung" genügen, so daß hier der Gesetzeswortlaut das Handeln und das Unterlassen gleichennaßen als tatbestandsmäßiges Verhalten umfaßt.Wo sich die Thesen dieser Doktrin hingegen nicht mehr von selbst verstehen, sondern gerade für die Lehre vom Ptlichtdelikt spezifisch sind und sich nur aus ihr ableiten lassen, weicht die ursprüngliche Zustimmung allgemein rasch einer teilweisen oder völligen Distanzierung: Das gilt schon für die Begriffsbildung "Pflichtdelikt" selbst als der Zusammenfassung der Straftaten, bei denen "die Verletzung einer außerstrafrechtlichen Sonderpflicht die Täterschaft begrundet",45 weiter etwa für die Charakterisierung der Unterlassungs straftaten dahingehend, "daß es sich allemal um Ptlichtdelikte handelt",46 aber auch für die Zuordnung einzelner Strafvorschriften (wie z. B. der Vollstreckungsvereitelung gemäß § 288t7 zu den Ptlichtdelikten. Noch stärker ist die Distanzierung der im Schrifttum herrschenden Auffassung von der Ptlichtdeliktsdoktrin, nämlich überall dort, wo diese Lehre auch nicht ansatzweise übernommen oder sogar im ganzen ausdrücklich abgelehnt wird. 48 Die m. E. zwingende Argumentation der Pflichtdeliktsgegner deckt sich mit den hier schon in der Erstautlage vorgetragenen Einwänden: "Dieser Auffassung aber kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil einmal die Verletzung einer außertatbestandlichen Pflicht nicht über die im Tatbestand festgelegte Tatsubjektsqualität entscheiden kann" und zum anderen auch beim Vorliegen der besonderen Tatsubjektmerkmale das Täterschaftskriterium fehlen kann, weshalb bloße Teilnahme des Sonderptlichtigen möglich ist. 49 Einen weiteren Aspekt zur sachgerechten Beurteilung der Pflichtdeliktslehre liefert deren dogmengeschichtliche Entwicklung: Zwar hält ihr Urheber verbal an ihr fest, hat sie aber inhaltlich in wesentlichen Bereichen so stark zurückgenommen, daß von dem ursprünglichen Anspruch, mit dem diese Doktrin angeRoxin, Täterschaft, S.695. - Differenzierend hingegen zur "außerstrafrechtlichen" Sonderpflicht Schönke/Schröder/CrameriHeine, StGB, Rn. 84 vor §§ 25 ff.; ablehnend Schünemann, GA 1986, 331. 46 Roxin, Täterschaft, 1. Aufl., S. 455. - Differenzierend hingegen Schönke/Schröder/CrameriHeine, StGB, Rn. 85 vor §§ 25 ff.; Jakobs, Allg. Teil, 21/117; ablehnend Wessels/Beulke, Allg. Teil, Rn. 733. 47 Roxin, Täterschaft, 1. Aufl., S. 385 f.; ablehnend Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 33 f. 48 Vgl. beispielhaft Maurach/Gösse//Zipf, Allg. Teil 11, 47/117; BaumannlWeber, Allg. Teil, § 36 I 3 c; OUo, Allg. Strafrechtslehre, § 21 Rn. 37; Schmidhäuser, Studienbuch Allg. Teil, 10/155; Tröndle/Fischer, StGB, Rn. 1 b vor § 25; Jescheck/Weigend, Allg. Teil, S. 652 Fn. 30; Hoyer in SK StGB, § 25 Rn. 21 ff.; Freund, Allg. Teil, § 10 Rn. 48 f. 49 Maurach/GössellZipf, Allg. Teil II, 471117; Jescheck/Weigend, Allg. Teil, S. 652 Fn. 30. 45

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen

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treten ist - nämlich dem Anspruch, mit der außerstrafrechtlichen Sonderpflichtverletzung das rur die Täterschaft bei den Begehungs-Pflichtdelikten, bei Unterlassungsverbrechen und bei fahrlässigen Straftaten maßgebende gemeinsame Kriterium so erstmals entdeckt zu haben -, kaum etwas übriggeblieben ist: Die Einsicht, "Zahl und Reichweite der Pflichtdelikte überschätzt" zu haben, filhrte zunächst dazu, die Einbeziehung der Fahrlässigkeitsstraftaten in die Ptlichtdelikte zu widerrufen. sl Hinsichtlich der Unterlassungsstraftaten wird inzwischen die ursprüngliche Doktrin insofern relativiert, als die zu teilweise abweichenden Ergebnissen kommende "von Jakobs vorgeschlagene, recht plausible Neugliederung der GarantensteIlungen (scil. in Pflichten kraft Organisationszuständigkeit und in Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit) ... als ein wichtiger Beitrag zur Weiterentwicklung der Lehre von den Pflichtdelikten"s2 bezeichnet wird. Zu offensichtlich widersprach die These von der begriffsnotwendigen Täterschaft des Unterlassenden dem Gesetz, das in § 9 Abs. 2 als den Ort der Teilnahme durch Unterlassen ausdrücklich denjenigen bestimmt, an dem "der Teilnehmer ... im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen." Selbst rur die damit allein noch im ursprünglichen Kontext verbliebenen BegehungsPtlichtdelikte ist dem Urheber der Ptlichtdeliktslehre "zweifelhaft geworden, ob die stratbarkeitsbegründenden Sonderpflichten, wie ich ursprünglich annahm, alle außerstrafrechtlicher Art sind"s3. Und wird schließlich nicht auch revoziert, "daß die Träger dieser Pflichten sich unter den sonstigen Mitwirkenden durch eine besondere Beziehung zum Unrechtsgehalt der Tat auszeichnen"s4, wenn jene sonstigen Mitwirkenden nunmehr trotzdem stets "aus dem vom Täter verwirklichten Tatbestand schuldig zu sprechen"ss sein sollen (obwohl sie die spezifische Pflicht gar nicht verletzen und damit das von dem betreffenden Tatbestand beschriebene Sonderunrecht gar nicht verwirklichen können)? Die Lehre vom "Pflichtdelikt" - hier schon in der Erstautlage in allen Punkten widerlegt, seither im Schrifttum akzeptiert nur in den Aussagen, die rur sie nicht spezifisch sind (während das rur sie Spezifische als inakzeptabel zurückgewiesen wurde), und inzwischen auch von ihrem Urheber weitgehend zurückgenommen -: es ist an der Zeit, sich endgültig von diesem Phlogiston der strafrechtlichen Beteiligungsdogmatik zu verabschieden. Die im Tatbestand der Sonderpflichtdelikte benannte spezifische PflichtensteIlung ist lediglich eine unter mehreren Voraussetzungen der Täterschaft, nicht aber deren alleiniges Kriterium. Die täterschaftsabhängige Defmition der Roxin, Täterschaft, S. 578. Roxin, Täterschaft, S. 697. 52 Roxin, Täterschaft, S. 704 f. 53 Roxin, Täterschaft, S. 697. 54 Roxin, Täterschaft, 1. Autl., S. 354. 55 Roxin in LK StGB, § 28 Rn. 3. 50

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Sonderstraftat ist deshalb auch in dieser Sonderfonn unhaltbar. Damit sind die das Sonderverbrechen als Tatbestandsgruppierung innerhalb der Erscheinungsfonn der Täterschaft kennzeichnenden Begriffsbestimmungen in ihrer Gesamtheit als nach Motiv, Begründung und Begriffsbildung verfehlt erwiesen.

2. Die vollendungsabhängige Definition des Sonderverbrechens "Vollendungsabhängig" sind diejenigen Begriffsbestimmungen des Sonderverbrechens genannt worden, denen zufolge bei der Sonderstraftat nur die Fähigkeit zur Deliktsvollendung auf die im Gesetz bezeichneten Personen beschränkt ist, hingegen die Möglichkeit, sich wegen Versuchs strafbar zu machen, für alle Rechtsunterworfenen besteht. 56 Diese Defmitionen sind nunmehr in bezug auf das Motiv, die dogmatische Begründung und die begriffiiche Fassungjener Relativierung im einzelnen zu überprüfen.

a) Kritik des Motivs

Die versuchte Begehung eines Sonderverbrechens durch einen Extraneus ist von einer nicht geringen Zahl von Autoren nach allgemeinen Versuchsregeln als sog. Versuch eines untauglichen Subjekts für strafbar erklärt worden. Wenn also nicht wenige zu diesem Strafbarkeitsergebnis gelangt sind - und zwar mit einer Begründung, mit der sie die Sonderstraftat mittelbar als Tatbestandsgruppierung innerhalb der Deliktsvollendung charakterisieren, sowie unter Berufung auf eine derartige ausdrückliche Begriffsbildung -, dann liegt die Annahme nahe, daß sie übereinstimmend das Verhalten des untauglichen Subjekts als strafwürdig erachtet haben und durch diese gemeinsame Strafwürdigkeitsauffassung zu der vollendungsabhängigen Kennzeichnung des Sonderverbrechens motiviert worden sind. 57 Allerdings fehlt es regelmäßig an der detaillierten Wiedergabe der jeweiligen Strafwürdigkeitserwägungen, so daß diese Überlegungen originär angestellt werden müssen, wenn die Strafwürdigkeit des Extranenversuchs (als das Motiv für die vollendungsabhängige Bestimmung des Sonderdeliktsbegriffs) kritisch betrachtet werden soll. Daß es strafwürdige Rechtsgutsangriffe Vgl. im einzelnen das vorige Kapitel, II 2 c. Dabei soll nicht verkannt werden, daß gerade die Frage der Strafbarkeit des Versuchs eines untauglichen Subjekts ein Hauptreservat der Begriffsjurisprudenz im Strafrecht bildet, da man sie nach verbreiteter Ansicht allein mit Umkehrschlüssen, logischen Konsequenzen und der uneingeschränkten Durchfiihrung von Theorien glaubt beantworten zu können. Für die weitere Untersuchung sei jedoch davon ausgegangen, daß auch diejenigen der oben angefiihrten Autoren, die dieses nicht ausdrücklich erkennen lassen, als Grundlage oder zur Kontrolle ihres Ergebnisses entsprechende Strafwürdigkeitserwägungen angestellt haben. 56 57

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 255

von Personen, die sich auf Grund ihrer Lebensstellung irrig als Qualifizierte i. S. gesetzlicher Sonderdeliktsschilderungen ansehen, wenigstens geben könnte, sei zugestanden; fraglich aber ist, ob auch die mit der vollendungsabhängigen Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens vorgenommene generelle Gleichstellung von Intranen und Extranen in der Versuchsstrafbarkeit durch gleiche Strafwürdigkeit gedeckt ist. 58 Den Kern der Strafwürdigkeit eines jeden Delikts bilden sein Unrechts- und sein Schuldgehalt; hinsichtlich dieser Momente ist daher der Versuch der Sonderstraftat durch ein taugliches Subjekt mit dem Versuch durch ein untaugliches Subjekt zu vergleichen. 59 Im Gesamtunrecht des Sonderverbrechens lassen sich die Elemente der tatbestandlichen Rechtsgutsverletzung und der spezifischen Pflichtverletzung unterscheiden, so etwa bei der Veruntreuung (§ 246 Abs. 2) die rechtswidrige Zueignung der fremden Sache und die Verletzung der Pflichten des Treunehmers. Wähnt jemand bei einer Unterschlagung, die fremde Sache sei ihm anvertraut, in Wirklichkeit aber hat der Eigentümer sie lediglich vergessen, so begründet dieser Wahn keine Treupflichtverletzung. Die Konsequenz hieraus, daß nämlich das Unrecht des Extraneus um das Unrecht der Sonderpflichtverletzung geringer ist als das eines Intraneus, ist nun durch die Behauptung in Frage gestellt worden, der Glaube an die Pflicht ersetze die Pflicht. Als Argument rur diese These ist lediglich der Umkehrschluß aus der Gesetzesvorschrift über den Irrtum über Tatumstände im Rahmen einer keine Ausnahme duldenden subjektiven Versuchstheorie angeruhrt worden, womit gemeint sein könnte, die Unrechtsbegrilndung durch fälschliche Annahme einer Sonderpflicht unterscheide sich nicht von der Unrechtsbegründung in den sonstigen Fällen des untauglichen Versuches. In der Tat scheint der Einwand naheliegend, die irrige Bejahung der Fremdheit einer Sache habe rur das Unrecht des Unterschlagungsversuches die gleiche Bedeutung wie die irrige Bejahung des Vertrauensverhältnisses und seiner spezifischen Pflichtigkeit rur das Unrecht des Veruntreuungsversuches.

58 Zu vergleichen ist der Versuch eines untauglichen Subjekts also mit dem eines tauglichen Subjekts, nicht etwa - als korrespondierende Arten des untauglichen Versuchs - mit dem Versuch bei Untauglichkeit des Objekts, wie es bei der dogmatischen Begründung der Stratbarkeit des untauglichen Subjekts regelmäßig geschieht. Die Frage nach der Strafwürdigkeit des Extranenversuchs ist unabhängig von den unterschiedlichen Begriffsbestimmungen des Sonderdelikts, für die ihre Beantwortung ja ihrerseits eine Voraussetzung bildet. 59 Vgl. dazu auch die Strafwürdigkeitsanalyse durch Hardwig, GA 1957, 172 ff., der die Strafwürdigkeit des Extranenversuchs wegen seines gegenüber dem Intranenversuch unverhältnismäßig geringeren Unrechts generell verneint.

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Zur Widerlegung dieser scheinbar stichhaltigen Argumentation ist ein Vorgriff auf die zutreffende Auffassung von der Struktur des Sonderdeliktsunrechts unumgänglich. Dieses besteht einmal- wie jedes deliktische Unrecht - in der Verletzung des von einem Rechtsgut ausgehenden, an alle Rechtsunterworfenen gerichteten Achtungsanspruchs, und zum anderen - darin liegt seine Besonderheit - in einer Dringlichkeitssteigerung jenes Anspruchs gegenüber bestimmten Personen. Jener vom geschützten Rechtsgut (und nicht etwa von den konkreten Objekten) ausgehende, an alle gerichtete Anspruch kann von jedermann verletzt werden, und zwar auch durch ein auf irrigen Vorstellungen beruhendes Verhalten; das beweist das Unrecht der Fahrlässigkeitsstraftat ebenso wie das des tauglichen Versuchs, von denen sich das des untauglichen Versuchs insoweit nicht unterscheidet. Der Irrtum des Täters schafft nicht den Anspruch noch ersetzt er ihn, vielmehr wird der existente Anspruch durch das vom Irrtum getragene Verhalten verletzt; wo es an jenem Anspruch fehlt, wo ein Verhalten also nicht verboten ist, da kann kein Irrtum es zu einem verbotenen machen. Die Dringlichkeitssteigerung jenes Achtungsanspruchs bei dem Sonderverbrechen bestehtgewissermaßen als "zusätzlicher Anspruch" - nur gegenüber den Qualifizierten. Der sog. untaugliche Täter mag also in seinem Verhalten den Achtungsanspruch des geschützten Rechtsguts verletzen - den zusätzlichen Anspruch kann er jedenfalls nicht verletzen; da sich dieser gar nicht an ihn richtet. Auch hier kann kein Irrtum diesen zusätzlichen Anspruch hervorbringen oder ersetzen. Der Vergleich des Extranenversuchs mit dem untauglichen Versuch widerlegt somit nicht, sondern bestätigt gerade die Auffassung, daß zwischen bei den Fällen hinsichtlich der Unrechtsbegrundung ein fundamentaler Unterschied besteht: Dort liegt das Unrecht in der NichtertUllung eines existenten Achtungsanspruchs, während es tUr das untaugliche Subjekt an der zusätzlichen Verpflichtung fehlt und ihm daher die Begehung des zusätzlichen Unrechts nicht möglich ist. Wer also bei einer Unterschlagung wähnt, die fremde Sache sei ihm anvertraut, dessen Wahn begründet nicht neben dem Unrecht der rechtswidrigen Zueignung noch das weitere Unrecht einer entsprechenden Sonderpflichtverletzung. Um dieses Moment sind das Unrecht und damit die Strafwürdigkeit eines Extraneus notwendig geringer als die eines in sonst gleicher Weise handelnden Intraneus. Hinsichtlich der geistigen Wertverfehlung hingegen werden der Sonderptlichtige und der sich lediglich ptlichtig Wähnende regelmäßig auf einer Stufe stehen, da sich beide in derselben psychischen Situation befinden. Unter dem Aspekt der Schuld besteht somit zwischen dem Verhalten des tauglichen und dem des untauglichen Subjekts kein eigenständiger Strafwürdigkeitsunterschied. Infolge der Abhängigkeit der Rechtsschuld vom Deliktsunrecht ist auch die Rechtsschuld des Extraneus der Unrechtsdifferenz entsprechend geringer; nur begründet dieser Schuldunterschied keinen eigenständigen Strafwürdigkeitsunterschied, sondern er spiegelt lediglich die im Unrecht angelegte Verschiedenheit wider.

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 257

Das Ergebnis der vorstehenden Analyse läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß der Versuch eines Sonderverbrechens durch einen sich als qualifiziert betrachtenden Extraneus wegen des wesentlich geringeren Unrechts gehalts weniger strafwürdig ist als der im übrigen gleiche Versuch eines Intraneus. Diese Strafwürdigkeitsdifferenz fmdet jedoch in der vollendungsabhängigen Umschreibung des Sonderdelikts keinen Ausdruck; trotz unterschiedlicher Strafwürdigkeit sind danach nämlich taugliche und untaugliche Subjekte in gleicher Weise wegen Versuchs strafbar. Das vermeintliche Bedürfuis, den sog. Versuch des untauglichen Täters überhaupt zu bestrafen, fiihrte zu einer Begriffsbildung, die seiner Strafwürdigkeit nicht entspricht. Unter dem Aspekt der Strafwürdigkeit ist die vollendungsabhängige Charakterisierung des Sonderdelikts daher verfehlt.

b) Kritik der Begründung

Außer der als unhaltbar erwiesenen Ansicht, der Versuch des untauglichen Subjekts sei strafwürdig, ist häufig die dogmatische Begründung seiner Strafbarkeit von entscheidender Bedeutung fiir die vollendungsabhängige Defmition des Sonderverbrechetts. Das gilt vor allem fiir die Autoren, die auf dieser Stufe der Begriffsbildung stehenbleiben und nicht zur ausdrücklichen Relativierung des Sonderdelikts auf die Verbrechensvollendung vordringen. Eine Auseinandersetzung mit jenen Argumenten ist daher zugleich eine Kritik der vollendungsabhängigen Defmitionen der Sonderstraftat selbst. Anders als bei der Extranenteilnahme gibt es fiir die Strafbarkeit des Extranenversuchs nach allgemeinen Versuchsregeln im wesentlichen nur eine einzige Begrundungsart. Danach folgt die Strafbarkeit des Extranenversuchs aus der subjektiven Versuchstheorie mit Hilfe des Umkehrschlusses aus der strafgesetzlichen Irrtumsregelung; im Rahmen des umgekehrten Irrtums sind nach dieser Auffassung alle Tatbestandsmerkmale gleichwertig, so daß die irrige Annahme jedes beliebigen Tatbestandsmerkmals - also auch die Bejahung der Qualifikation durch einen Nichtqualifizierten - einen strafbaren untauglichen Versuch begrUndet. 6o Bei dieser Deduktion handelt es sich - ganz davon abgesehen, daß der sog. Umkehrschluß aus der Vorschrift zum Irrtum über Tatumstände auch logisch unhaltbar ist61 - um ein Musterbeispiel von verfehlter Begriffsjurisprudenz. Der Begriff des untauglichen Versuchs wird auf den Extranenversuch erstreckt, wobei nicht nach rechts inhaltlicher Gleichartigkeit beider Sachverhalte gefragt wird, sondern deren Gleichstellung unter dem Formalaspekt der "Un60 Zur Widerlegung des sog. Umkehrschlusses vgl. etwa Stratenwerth, BrunsFestschrift, S. 61 f., und Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 268 f. 61 Vgl. dazu Spendet, NJW 1965, 1885; v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 299 Anm. 4.

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

tauglichkeit" vorgenommen wird. 62 Daraus, daß beim untauglichen Versuch der Täter im Irrtum über ein Tatbestandsmerkmal handelt, wird gefolgert, jeder Irrtum über ein Tatbestandsmerkmal begründe einen strafbaren untauglichen Versuch. Die These von der "Gleichwertigkeit" aller Tatbestandsmerkmale im Ralunen des umgekehrten Irrtums ist also nicht Ausdruck einer vollzogenen teleologischen Wertung, sondern eine unbewiesene Hilfsbehauptung zur uneingeschränkten Durchführung der subjektiven Versuchstheorie. Bei rechtsinhaltlicher Betrachtung hingegen erkennt man die im (für Subjekt und Objekt gleichen) Begriff der Untauglichkeit versteckte grundlegende Verschiedenheit zwischen dem Verhalten eines sich qualifiziert wähnenden Extraneus und demlediglich untauglichen - echten Versuch. Der Extraneus vermag das spezifische Unrecht der Sonderstraftat nicht zu begehen und kann, da es somit am deliktstypischen Unrecht fehlt, auch nicht wegen Versuchs aus dem Tatbestand des Sonderverbrechens bestraft werden. Es erscheint als bezeichnend, daß jene begriffsjuristische Herleitung der Strafbarkeit des Extranenversuchs in dem Augenblick erfolgte, in dem die Schranke des Analogieverbots aufgehoben war. Mag jene "Begründung" bei der damaligen Gesetzeslage hinreichend gewesen sein, mit dem gegenwärtig geltenden Recht, das den Satz "nulla poena sine lege" wieder in Kraft gesetzt und sogar mit Verfassungsrang (Art. 103 Abs.2 GG) ausgestattet hat, ist'sie jedenfalls unvereinbar. Die Deduktion der Strafbarkeit des sog. untauglichen Täters aus der Begriffsbestimmung des untauglichen Versuchs ist folglich sowohl in methodischer Hinsicht als auch im Ergebnis verfehlt. Soweit man das Sonderverbrechen gerade deswegen vollendungsabhängig charakterisierte, weil man die Strafbarkeit des sich qualifiziert glaubenden Extraneus derart für begründet hielt, sind damit auch diese Umschreibungen des Sonderdelikts widerlegt.

c) Kritik der Begriffsbildung

Bei kritischer Betrachtung haben sich die gegenwärtig vordringende Auffassung von der Strafwürdigkeit des Extranenversuchs und die angebliche Begründbarkeit seiner Strafbarkeit nach allgemeinen Versuchsregeln als unhaltbar erwiesen, und mit ihnen ist die vollendungsabhängige Kennzeichnung der Sonderstraftat, soweit sie auf diesen Voraussetzungen aufbaut, hinfällig. Aber auch die vollendungsabhängige Begriffsbildung als solche - d. h. die Aufnalune der These, der Versuch eines Sonderverbrechens durch ein untaugliches Subjekt sei 62 V gl. etwa Bruns, Der untaugliche Täter, S. 42: "Vor allem aber sollte man die Entscheidung (seil. Ober die Strafbarkeit) nicht länger von solchen Zufälligkeiten abhängig machen, ob die Untauglichkeit des Versuchs ihren Grund in der Untauglichkeit des Subjekts, des Objekts, des Mittels oder einer Modalität der Handlung hat. FOr den Umkehrschluß aus § 59 StGB sind alle Tatumstände gleichwertig."

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen

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nach allgemeinen Versuchsgrundsätzen strafbar, in den Begriff des Sonderdelikts selbst -, hält weder im Hinblick auf die Methode ihrer Herleitung noch hinsichtlich der erzielten Ergebnisse einer Überprüfung stand. Als ihren Ursprung benennt sie überraschenderweise die allein-täterschaftsabhängige Sonderdeliktsdefinition Robert von Hippels, die deshalb hier nochmals im Wortlaut zitiert sei: "Das Wesen des Sonderdelikts aber liegt nicht in der Befreiung Dritter vOn der Gehorsamspflicht, sondern lediglich darin, daß nur die im Tatbestand bezeichneten Personen diese Delikte als physische Täter begehen können.,,63 In einer Wiedergabe der Auffassung von Hippels liest sich das folgendennaßen: "Das Wesen der Sonderdelikte liege aber nicht in der Befreiung Dritter von der Gehorsamspflicht, sondern lediglich darin, daß nur die im Tatbestand bezeichneten Personen das Sonderverbrechen als physische Täter vollenden könnten.,,64 Hier ist erstmals der Bezug auf die Deliktsvollendung in eine Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens aufgenommen, unbeabsichtigt allerdings, denn man wird nicht unterstellen dürfen, daß der wiederzugebende Standpunkt bewußt verfiilscht werden sollte. Der Betreuer jener Schrift65 wurde dann zum Urheber der vollendungsabhängigen Definition der Sonderstraftat: "Schon seit längerer Zeit, jedenfalls seit von Hippels (Anm. 70: a. a. O. S. 382 ff.) Vorstoß gegen jene weitverbreitete, irrefilhrende Auslegung des Sonderdeliktsbegriffs hat sich zunehmend die Ansicht durchgesetzt, daß das Wesen der Sonderdelikte nicht, wie man früher glaubte, in der Befreiung Dritter von der Gehorsamspflicht liegt, sondern lediglich darin, daß nur die im Gesetz bezeichneten Personen diese Delikte im Stadium der Vollendung begehen können.,,66 Diese Entstehungsgeschichte der vollendungsabhängigen Sonderdeliktsdefinition ist nun zwar filr ihre Beurteilung sicher nicht ohne Bedeutung, aber sie widerlegt nicht direkt jene Definition selbst. Erheblich schwerer wiegt demgegenüber der Einwand gegen die Methode der Begriffsbestimmung: 67 Der Unterschied zwischen Gemein- und Sonderstraftat wird in der Sonderdeliktsdefmition auf den Bereich der Verbrechensvollendung beschränkt, um bereits mit deren Fassung die angestrebte Strafbarkeit des sog. untauglichen Täters zu gewährleisten. Dabei erfolgt die Relativierung der Sonderstraftat auf die Erscheinungsform der Deliktsvollendung, ohne daß zuvor in einer umfassenden UntersuRobert v. Hippel, Dt. Strafrecht 11, S. 482. Harenburg, Untaugliches Subjekt, S. 37. 65 So benennt sich Bruns selbst (Der untaugliche Täter, S. 4 Anm. 2). 66 Bruns, Der untaugliche Täter, S. 3 I'; bei Robert v. Hippel, Dt. Strafrecht 11, S. 382 ff., findet sich übrigens keine Auseinandersetzung mit der Lehre von der Sondernorm als dem Wesen des Sonderverbrechens; auf S. 382 wird das Sonderverbrechen nur kurz gestreift und auf den folgenden Seiten überhaupt nicht behandelt. 67 Mit detaillierter Kritik an dieser Methode die vollendungsabhängige Sonderdeliktsdefinition ablehnend auch Stratenwerth, Bruns-Festschrift, S. 69. 63

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

chung die einzelnen Bedeutungsmöglichkeiten der tatbestandlichen Subjektsbeschreibung überprüft worden wären. Diese Unterlassung ist vor allem deswegen so auffällig und zugleich bedenklich, weil die einseitige begriffliche Ausrichtung des Sonderverbrechens auf die DeliktsvolIendung in offenkundigem Widerspruch zu alIen früheren Umschreibungen des Sonderverbrechens steht, die seit den Ursprüngen dieses Begriffs - stets direkt oder wenigstens mittelbar auf Täterschaft und Teilnahme bezogen waren. So erklärte etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, selbst der fUr den dogmatischen Ansatz als geistiger Ahnherr berufene Robert von Hippel nicht nur nicht jeden Extranenversuch fUr strafbar,68 sondern er vertrat überdies die Auffassung, daß nicht "nur die im Gesetz bezeichneten Personen diese Delikte im Stadium der VolIendung begehen können", vielmehr in mittelbarer Täterschaft auch die Außenstehenden;69 und dieser Standpunkt war bei seinem auf die unmittelbare Alleintäterschaft relativierten Sonderdeliktsbegriff der einzig folgerichtige. Die Auseinandersetzung mit dieser wie auch mit den übrigen Begriffsbestimmungen der Sonderstraftat vor der eigenen Neudefinierung wäre die unerläßliche Voraussetzung eines methodisch einwandfreien Vorgehens gewesen. 70 In dieser Hinsicht ist deshalb die Begrenzung des Sonderdeliktsbegriffs auf den Bereich der VerbrechensvolIendung fragwürdig. Entscheidend aber spricht gegen jene Begriffsbildung, daß sie auch vom Ergebnis her verfehlt ist. Eine Kritik an ihren gesamtsystematischen Voraussetzungen ist zwar erst in der Zusammenschau sämtlicher unselbständigen Sonderdeliktsdefmitionen möglich und muß daher hier noch kurz zurückgestelIt werden. Jedoch schon die Widersprüche innerhalb der durch sie begründeten Versuchsstrafbarkeit kennzeichnen die volIendungsabhängige Charakterisierung der Sonderstraftat als untauglich. Eine ErhelIung dieser Widersprüche ist terminologisch dadurch erschwert, daß die Kategorien Versuch und VolJendung als Verwirklichungsstufen der Extranenstraftat nicht auf den gesamten deliktischen Unwertgehalt beziehbar sind, sondern nur auf den tatbestandlichen Rechtsgutsangriff. Hielte man sich aber an den sonst nirgends angezweifelten Grundsatz, daß als Versuch nur der noch nicht vollendete Rechtsgutsangriff bestraft wird, dann fiele die volIendete Extranentat in den straffreien Raum; um diesen Widersinn zu vermeiden, wird hier auch der volIendete Rechtsgutsangriff zu einem FalI des (untauglichen) Versuchs erklärt. Es ist gewiß kein ZufalI, daß sich fUr die sog. unechten Sonderverbrechen weder in der Rechtsprechung noch - so68 Strafbar ist nach Robert v. Hippel, Dt. Strafrecht II, S. 437, nur der von einem Extraneus in mittelbarer Täterschaft begangene Versuch. 69 So Robert v. Hippel, Dt. Strafrecht II, S. 382, 483 f. 70 Auch die Lehre von der nur den Qualifizierten verpflichtenden Sondernorm als Kriterium des Sonderverbrechens wird von Bruns, Der untaugliche Täter, S. 31, nicht eigentlich widerlegt, sondern lediglich mit dem Hinweis auf die kriminal politisch geforderte Strafbarkeit Extraner als Teilnehmer abgetan.

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 261

weit ersichtlich - im Schrifttum auch nur ein einziges Beispiel findet, in dem ein derartiger Rechtsgutsangriff nicht nur als VoIlendung aus dem Gemeintatbestand, sondern auch noch als Versuch aus dem Sondertatbestand bestraft worden wäre. Daß man bei den sog. echten Sonderverbrechen nicht auf einen Gemeintatbestand zurückgreifen kann, rechtfertigt es nicht, den voIlendeten Rechtsgutsangriff als Versuch aus einem unpassenden Tatbestand zu ahnden. Natürlich wäre es widersinnig, den versuchten Rechtsgutsangriff seitens eines Extraneus zu bestrafen, den voIlendeten hingegen nicht; nur fUhrt der nach dem geltenden Gesetz richtige Weg zur Beseitigung dieses Widersinns nicht über die Strafbarkeit, sondern über die Nichtbestrafung beider. Als Folge der voIlendungsabhängigen Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens aber werden drei struktur- und unwertverschiedene Gestaltungen teilweiser Deliktsverwirklichung - der echte (taugliche oder untaugliche) Versuch eines Intraneus, der versuchte Rechtsgutsangriff durch einen Extraneus und der voIlendete Rechtsgutsangriff durch einen Extraneus - gleichermaßen als Versuch qualifiziert und trotz divergierender Strafwürdigkeit einheitlich aus dem Versuchsstrafrahrnen geahndet. Des Unbefriedigenden dieses Ergebnisses ist man sich jedoch - anders als fUr die entsprechende KonsteIlation bei der Teilnahme - noch nicht aIlgemein bewußt, was nicht verwundert, wenn man bedenkt, wie selten sich die Gerichte mit solchen Fällen zu befassen hatten. Auch unter diesem Aspekt kann deshalb die zu überprüfende Begriffsbildung nicht aufrechterhalten werden. Damit darf die Charakterisierung des Sonderverbrechens als Tatbestandsgruppierung innerhalb der DeliktsvoIlendung hinsichtlich des Motivs, der Begründung und der Begriffsbildung als widerlegt gelten. 3. Die tätigkeitsabhängige Definition des Sonderverbrechens

"Tätigkeitsabhängig" ist diejenige Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens genannt worden, der zufolge bei der Sonderstraftat nur die Fähigkeit zur Deliktsbegehung durch positives Tun auf die im Gesetz bezeichneten Personen beschränkt, hingegen die Möglichkeit der Deliktsbegehung durch Unterlassen unbeschränkt ist. Das einzige Bemerkenswerte an dieser Definition besteht darin, daß sie in Lehre und Rechtsprechung nicht vorkommt. Ihr vöIliges Fehlen überrascht deswegen, weil in Entsprechung zu den Relativierungen des Sonderverbrechens auf die Erscheinungsformen der Täterschaft und der DeliktsvoIlendung auch eine Umschreibung in Abhängigkeit von der Erscheinungsform tätiger Verbrechensverwirklichung zu erwarten gewesen wäre. Hier erhellt nun die Betrachtung der Ursachen fUr deren Ausbleiben zugleich die unselbständigen Begriffsbestimmungen der Sonderstraftat in ihrer Gesamtheit. War es bei den täterschafts- und voIlendungsabhängigen Definitionen des Sonderverbrechens das Ziel ihrer Urheber, den Extraneus aus dem Sonderde-

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

liktstatbestand zu bestrafen, war diese Strafbarkeit aber, wie oben festgestellt wurde, nicht durch eine entsprechende Strafwürdigkeit gedeckt, dann liegt die Vennutung nahe, daß die Relativierung des Sonderverbrechens auf die Erscheinungsfonn tätiger Deliktsverwirklichung die Strafwürdigkeit des Extraneus in noch stärkerem Maße verfehlt hätte und es infolge dieser hier offenkundigen Diskrepanz erst gar nicht zu einer derartigen Begriffsbildung kam. Ein Vergleich der Strafwürdigkeit von deliktisehern Tun und Unterlassen bestätigt jene Annahme: Die tätigkeitsabhängige Charakterisierung der Sonderstraftat würde bedeuten, daß der Extraneus das Sonderverbrechen zwar nicht handelnd, wohl aber durch Unterlassen begehen könnte. Nun ist aber die verbrecherische Energie und damit die Strafwürdigkeit einer Rechtsgutsverletzung durch Unterlassen regelmäßig geringer als die einer entsprechenden, aber aktiv herbeigeführten Rechtsgutsverletzung. Ginge man gleichwohl von einer tätigkeitsabhängigen Sonderdeliktsdefmition aus, dann wäre also die tätige Begehung der Sonderstraftat durch einen Qualifizierten und ihre Verwirklichung durch das Unterlassen eines Nichtqualifizierten in gleicher Weise zu bestrafen, obwohl die Strafwürdigkeit des Extranenverhaltens im Vergleich zu der des Intranenverhaltens nicht nur - wie bei der Teilnahme und dem Versuch durch einen Außenstehenden - um das Moment der "Sonderpflichtverletzung" geringer ist, sondern auch um jene Minderung der Verwerflichkeit unerlaubten Unterlassens gegenüber dem unerlaubten Tun. Die tätigkeitsabhängige Begriffsbestimmung der Sonderstraftat hätte daher die Strafwürdigkeit des Extranenverhaltens nicht nur einfach verfehlt - wie die täterschafts- und die vollendungsabhängige -, sondern gleich in doppelter Hinsicht. Das Sonderverbrechen ist somit in der Strafrechtswissenschaft nicht als Tatbestandsgruppierung innerhalb der Erscheinungsfonnen des Tätigkeits- oder des Unterlassungsdelikts charakterisiert worden, da eine derartige Defmition eindeutig sachwidrig gewesen wäre. Eine unselbständige Begriffsbestimmung der Sonderstraftat ist also auch in Abhängigkeit von diesen Erscheinungsfonnen sinnvoll nicht möglich. Zusammenfassung Betrachtet man die unselbständigen Begriffsbestimmungen der Sonderstraftat abschließend in ihrer Gesamtheit, dann lassen sich die Ergebnisse ihrer kritischen Würdigung treffend mit einem Wort Naglers umreißen: 71 "Dazu kommt, daß das Problem in der Regel nicht in seiner Totalität erfaßt wurde. Die dem 71 Nagler hat diese Feststellung zwar rur eine verfehlte Fragebeschränkung aus dem Gebiet der Teilnahme an der Sonderstraftat getroffen, sie gilt aber mutatis mutandis auch rur die unselbständige Sonderdeliktsdefinition als Produkt der sachwidrigen Fragebeschränkung auf eine Erscheinungsform des Verbrechens.

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Sonderverbrechen gewidmeten Untersuchungen beschränken sich gewöhnlich auf das Soldaten- oder Amtsverbrechen. Dadurch verloren sie die Vorteile, die das Überblicken des Ganzen von einer höheren Warte aus, das Loslösen von mehr oder minder zufälligen Einzelheiten und die Konzentration auf die großen gemeinsamen Prinzipien mit sich bringt. Noch immer aber ist aus der zu engen Abgrenzung des Arbeitsfeldes und der isolierten Betrachtung die überspannte Bewertung des Außerwesentlichen und die unrichtige Eingliederung in das Gesamtgebäude der Rechtsordnung hervorgegangen.,,72 Das Problem, das es hier in seiner Totalität zu erfassen gilt, ist die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens, und die zu enge Abgrenzung des Arbeitsfeldes besteht in der allein unter dem Aspekt einer einzelnen Erscheinungsform vorgenommenen Einordnung des Sonderdeliktsphänomens. Wie aber ist nun diese Relativierung des Sonderdeliktsbegriffs von der höheren Warte der Gesamtheit der Erscheinungsformen aus zu beurteilen? Was aus dieser Perspektive zuerst auffiillt, ist die Existenz unterschiedlicher Relativierungen des Sonderdeliktsbegriffs im Schrifttum. Die gleiche Gruppe von Straftaten wird durch die einen täterschaftsabhängig, von anderen aber unter Bezugnahme auf die Deliktsvollendung defmiert. Bereits diese Tatsache deutet darauf hin, daß es sich bei der Sonderstraftat um eine selbständige Erscheinungsform des Verbrechens handelt, die in den unselbständigen Umschreibungen lediglich jeweils unter einem einzelnen Aspekt betrachtet worden ist. Denn nur, weil das Sonderdelikt selbst eine Erscheinungsform ist und seine Eigenart deshalb in den übrigen Erscheinungsformen Berücksichtigung erheischt, ist es überhaupt möglich, daß sein Wesen von einigen in der Beschränkung der Täterschaftsfähigkeit, von anderen in der Beschränkung der Fähigkeit zur Deliktsvollendung auf die Qualifizierten gesehen werden karm. Soweit damit positiv etwas über die Rolle der Qualifizierten ausgesagt wird, sind beide Defmitionen zutreffend; verfehlt ist lediglich jeweils die zusätzliche Behauptung, das Wesen des Sonderverbrechens erschöpfe sich in der auf die Intranen begrenzte Fähigkeit zur Täterschaft oder zur Deliktsvollendung. Daß aber jene positiven Aussagen über das Wesen des Sonderverbrechens überhaupt beide zugleich richtig sein können, daß also auf Grund der Sonderdeliktsnatur nur Qualifizierte Täter sein, nur sie diese Straftaten im Stadium der Vollendung begehen können, das ist nur deswegen möglich, weil es sich beim Sonderdelikt in der Sache um eine selbständige Erscheinungsform des Verbrechens handelt. Dieser Charakter setzt sich so im Vorhandensein unterschiedlicher Relativierungen auf andere Erscheinungsformen indirekt durch. Die Erkenntnis, daß eine unselbständige Begriffsbestimmung dem Phänomen Sonderstraftat nicht gerecht zu werden vermag, wird durch eine andere Tatsache nachdrücklich bestätigt: Das Sonderverbrechen wird von denselben Autoren, 72

Nagler, Sonderverbrechen, S. 90.

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

sofern sie sich sowohl bei der Behandlung der Täterschaft als auch im Rahmen der Versuchslehre zu ihm äußern und es an einer Stelle als Tatbestandsgruppierung in einer konkreten Erscheinungsform bestimmen, regelmäßig in dem anderen Zusammenhang davon divergierend definiert. 73 Wenn also beispielsweise ein Autor bei der Erörterung der Täterschaft das Sonderdelikt täterschaftsabhängig umschrieben hat, dann wird man beim Studium seiner Ausruhrungen zum Versuch in der Regel feststellen können, daß er jene Begriffsbestimmung hier nicht beibehalten hat. Dabei ist es hinsichtlich jener aufzuzeigenden Untauglichkeit völlig gleichgültig, ob die abweichende Defmition auch ihrerseits eine unselbständige ist oder nicht; unerheblich ist auch, ob die erneute Charakterisierung der Sonderstraftat ausdrücklich erfolgt oder - wie überwiegend - nur mittelbar, indem die Rechtsfolge rur den Extranenversuch erst auf Grund von Überlegungen zum Wesen des Versuchs angeordnet wird, während doch bei einer folgerichtig vertretenen täterschaftsabhängigen Sonderdeliktsdefinition jegliche Extranentäterschaft, also auch die versuchte, bereits begrifflich ausgeschlossen ist. Entscheidend ist allein, daß die ausdrücklich erklärte Relativierung des Sonderverbrechens auf die Täterschaft bei der Behandlung der anderen Erscheinungsformen regelmäßig nicht konsequent durchgehalten wird. Bei einer wirklichen Tatbestandsgruppierung wäre ein solches Vorgehen undenkbar; erkennt man beispielsweise mit der herrschenden Meinung die Existenz eigenhändiger Delikte an, dann ist deren Begehbarkeit in mittelbarer Täterschaft durch Tun wie durch Unterlassen, im Stadium des Versuchs wie im Stadium der Vollendung schon begrifflich verneint, und niemand würde fragen, ob sich aus dem Wesen dieser Erscheinungsformen nicht etwas anderes ergibt. Im Unterschied dazu wird beim Sonderverbrechen ganz überwiegend die einmal vorgenommene Relativierung des Begriffs in den anderen Erscheinungsformen nicht eingehalten, sondern die Sonderstraftat dort abweichend bestimmt. Diese äußerste Seltenheit, in der die unselbständige Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens mit gesamtsystematischer Folgerichtigkeit vertreten wird, spricht in Anbetracht der großen Zahl von unselbständigen Definitionen der Sonderstraftat in Lehre 74 und Rechtsprechung 75 , die von ihrem jeweiligen Vertreter in anderem

73 Am leichtesten kann man dieses in den Gesamtdarstellungen der allgemeinen Strafrechtslehren überprüfen, weil der Autor in ihnen zur Untersuchung der gleichen Deliktsgruppe sowohl in der Versuchs- als auch in der Teilnahmelehre gezwungen ist. 74 V gl. hierzu die Nachweise in der Erstauflage, S. 240 Fn. 91. 75 Sowohl das Reichsgericht als auch der Bundesgerichtshof haben das Sonderverbrechen täterschaftsabhängig bestimmt (RGSt 47, 5,6; 65, 407, 409; BGHSt 14, 123, 129), diese Auffassung aber mehrfach in anderen Entscheidungen durch eine selbständige Sonderdeliktsdefinition ersetzt (RGSt 62, 319, 321; BGHSt 8, 321, 324; 14, 280, 281 f.; vgl. oben, S. 56); zuweilen finden sich sogar divergierende Begriffsbestimmungen innerhalb einer Entscheidung (RGSt 63, 313, 315: täterschaftsabhängig und selbständig).

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 265 Zusammenhang wieder aufgegeben worden sind, entscheidend gegen deren Eignung zum begrifflichen Erfassen des Sonderdeliktsphänomens. Fragt man nach den Ursachen dieser Untauglichkeit, und zwar nunmehr aus gesamtsystematischer Sicht, dann erkennt man in der Zusammenschau der unselbständigen Sonderdeliktsdefinitionen vor allem zwei Grunde: Die Kennzeichnung des Sonderverbrechens als Tatbestandsgruppierung muß mißlingen, weil diese Begriffsbestimmung ausschließlich vom intendierten Ergebnis her vorgenommen wird, und zum anderen ist sie deswegen von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil sie ohne Vorstellung von den gesamtsystematischen Auswirkungen der Relativierung und so ohne Rücksicht auf sie getroffen wird. Der erste Einwand besagt, daß die unselbständige Sonderdeliktsdefinition verfehlt ist, weil sie mit gesamtsystematischem Geltungsanspruch vertreten werden muß und vertreten wird, obwohl sie zunächst nur die Funktion hatte, jeweils in einem Teilgebiet die Frage der Strafbarkeit des Außenstehenden so zu entscheiden, wie man es auf Grund eines Strafwürdigkeitsvorurteils filr richtig hielt. Es wird also nicht vom Sonderverbrechen als einem dogmatischen Phänomen und seinen gesetzlichen Voraussetzungen her gefragt, um seinen Begriff zu gewinnen, sondern nur von dem erwünschten Ergebnis aus dem Bereich einer einzelnen Erscheinungsform her; so kann die Möglichkeit, daß es sich bei der Sonderstraftat selbst um eine Erscheinungsform handelt, von vornherein gar nicht in den Blick kommen. Ist aber die Relativierung des SonderdeJikts erst einmal vollzogen, dann verhindert die unselbständige Begriffsbestimmung jede rechts inhaltliche Betrachtung dieser Deliktsgruppe, weil das Aufdecken eines weitergehenden materiellen Unterschiedes zwischen Gemein- und Sonderverbrechen jenes mit der Relativierung bezweckte und erzielte Ergebnis (die Strafbarkeit der Extranenteilnahme und des Extranenversuchs) wieder in Frage stellen würde. Der zweite Grund filr die Untauglichkeit eines abhängigen Sonderdeliktsbegriffs, die in der regelmäßigen Preisgabe der einmal vorgenommenen Relativierung erkennbar wird, liegt im mangelnden Bewußtsein von den gesamtsystematischen Auswirkungen einer derartigen Begriffsbestimmung. Weil der Blick beim Definieren ausschließlich auf die Entscheidung einer speziellen, den Extranen betreffenden Strafbarkeitsfrage gerichtet ist, wird die mit dieser Entscheidung zwangsläufig erfolgende Festlegung des Begriffs auch filr die übrige Dogmatik übersehen. Damit werden sowohl die abhängige Sonderdeliktsdefinition als solche als auch ihre konsequente Einhaltung im Gesamtsystem der Möglichkeit einer Selbstkontrolle durch den jeweiligen Urheber entzogen. Rein äußerlich zeigt sich das Verkennen des dogmatischen Zusammenhanges schon in der unterschiedlichen Terminologie: Es ist von der Teilnahme des Extraneus, des Außenstehenden, des Nichtqualifizierten die Rede, aber vom Versuch des untauglichen Subjekts, des untauglichen Täters; so kommt bereits in der Benennung das Fehlen der Vorstellung davon zum Ausdruck, daß es sich in beiden

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Fällen gleichennaßen um die Bestrafung der vom Gesetz nicht bezeichneten Personen aus dem Sonderdeliktstatbestand handelt. Geradezu verhängnisvoll aber wird das Fehlen des Bewußtseins von den gesamtsystematischen Folgen der Relativierung fiir die Dogmatik des betreffenden Autors: Hier äußert es sich einmal in der unzutreffenden Kritik an den Ergebnissen der Auffassungen, die den Sonderdeliktsbegriff auf eine andere Erscheinungsfonn relativieren; die Kenntnis sämtlicher Konsequenzen aus der eigenen unselbständigen Begriffsbestimmung hätte zwangsläufig auch die entsprechenden Konsequenzen aus abweichenden Relativierungen des Sonderverbrechens als folgerichtig erkennen lassen. Letztlich entscheidend aber ist, daß jener Mangel an systematischem Überblick bei der Behandlung anderer Erscheinungsfonnen regelmäßig zur insoweit unkritischen Übernahme fremder Fragestellungen und Ergebnisse fUhrt, welche zwar in der Sache zutreffend und von den fremden Voraussetzungen aus schlüssig sein mögen, jedoch zur eigenen Begriffsbestimmung der Sonderstraftat in Widerspruch stehen und diese damit indirekt wieder preisgeben. So ist die Untauglichkeit der unselbständigen Sonderdeliktsdefmition als Systembegriff von ihren Ursachen her unmittelbar einsichtig. Abschließend sei noch ein weiterer grundsätzlicher Einwand gegen die Kennzeichnung des Sonderverbrechens als Tatbestandsgruppierung vorgetragen: Sie genügt nicht dem· fUr die Defmition eines Begriffs bestehenden Erfordernis der Bestimmtheit. Was eine Sonderstraftat ihrem Wesen nach ist - und damit auch, welches Delikt ein Sonderverbrechen ist -, wird von der unselbständigen Umschreibung nicht festgelegt, sondern im Grunde vorausgesetzt. Die Kernfrage der Begriffsbestimmung, worin sich die Natur des Sonderdelikts von der des Gemeindelikts unterscheidet, wird nicht beantwortet, sondern in die Fonnel "auf die Qualifizierten beschränkt" verschoben und bleibt somit weiterhin ungelöst. Um die insoweit offene Definition des Sonderverbrechens zu vervollständigen, wären nunmehr diejenigen Merkmale zu benennen, die ein Subjekt zum Qualifizierten machen; denn eine solche Aussage müßte zwangsläufig zugleich den sachlichen Unterschied zwischen Gemein- und Sonderstraftat begrifflich fixieren. Diese unumgängliche Ergänzung der abhängigen Umschreibungen des Sonderdelikts sucht man jedoch vergebens. Wer Intraneus ist, das wird als bekannt vorausgesetzt. Damit bleibt das Wesen des Sonderverbrechens bei seiner Charakterisierung als Tatbestandsgruppierung unbestimmt. Auch aus diesem Grund ist seine unselbständige Umschreibung als Systembegriff ungeeignet. Das Ergebnis der kfitischen Auseinandersetzung mit den abhängigen Begriffsbestimmungen der Sonderstraftat läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß das Sonderdelikt selbst eine Erscheinungsfonn des Verbrechens ist und daß sich diese seine Natur gegen alle bisher unternommenen Versuche zur Relativierung auf eine andere Erscheinungsfonn letztlich durchgesetzt hat. Nur eine selbständige Definition des Sonderdelikts kann daher sachgerecht sein.

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 267

11. Auseinandersetzung mit den selbständigen Begriffsbestimmungen Kann nach den vorstehenden Untersuchungen nur eine selbständige Definition das Phänomen Sonderstraftat adäquat erfassen, dann erhebt sich die Frage, ob eine der unterschiedlichen Begriffsbestimmungen, mit denen bisher das Sonderdelikt von der Strafrechtswissenschaft der Sache nach als Erscheinungsform des Verbrechens gekennzeichnet worden ist,76 diesem Anspruch genügt. Welches der im Schrifttum vertretenen unterschiedlichen Kriterien eines selbständigen Sonderdeliktsbegriffs bringt das Wesen der Sonderstraftat sachgerecht zum Ausdruck? Zur Beantwortung dieser Frage werden - anders als bei der Auseinandersetzung mit den abhängigen Sonderdeliktsdefmitionen - nur die unabhängigen Begriffsbestimmungen selbst kritisch überprüft werden, nicht aber auch die Auffassungen ihrer Urheber von der Strafwürdigkeit der Außenstehenden und von der dogmatischen Begründung der Extranenstrafbarkeit. Denn diese Momente haben keinen Einfluß auf die selbständigen Charakterisierungen des Sonderverbrechens,77 die gerade ausschließlich von seiner (im Unwert und dessen gesetzlicher Schilderung begründeten) Eigenart als einem strafrechtssystematischen Phänomen her getroffen werden und als Begriffsbildung folglich nur von diesen Voraussetzungen her angreifbar sind. Betrachtet man die selbständigen Umschreibungen des Sonderverbrechens in ihrer Gesamtheit, dann bemerkt man die verblüffende Tatsache, daß jedenfalls die ausdrücklichen Begriffsbestimmungen des Sonderdelikts ausnahmslos die normentheoretische Straftatsystematik, wie sie von Binding entwickelt worden ist, beim Defmieren zugrunde legen. Danach "ist das Rechtsgut das prinzipale Verbrechensobjekt,,78. Dieses ist der Gesetzgeber "durch seine Normen vor unerwünschter Verletzung oder Gefährdung zu sichern bestrebt,,79. "Die Norm geht begrifflich dem Strafgesetze voraus, denn dieses bedroht eine Normüber-

Vgl. hierzu das vorige Kapitel, 113. Ob ein Extraneus etwa wegen Versuchs aus dem Tatbestand des Sonderverbrechens strafbar ist, hängt dann, wenn man die Sonderstraftat selbst als Erscheinungsform begreift, nicht allein von der Sonderdeliktsnatur ab, sondern gleichermaßen vom Wesen des Sonderverbrechens und vom Wesen des Versuchs. Deshalb ergibt sich hier allein aus dem Begriff des Sonderverbrechens noch nichts zur Strafwürdigkeit und zur Strafbarkeit des Extraneus, ebenso wie umgekehrt aus der Strafwürdigkeit und Strafbarkeit des Extraneus nichts gegen den zugrunde liegenden Begriff des Sonderdelikts zu entnehmen ist. 78 Binding, Grundriß, S. 96 (kursiv vom Verfasser). 79 Binding, Grundriß, S. 97 (kursiv vom Verfasser). 76 77

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

tretung mit einer Straffolge;"SO "von den beiden Teilen des Strafgesetzes nennt man den ersten zweckmäßig Tatbestand."sl Geht man von diesem dreistufigen Verbrechensautbau aus, dann kann das unstreitige Wesensmerkmal der Sonderstraftat - nämlich die Beschränkung der Fähigkeit, Deliktssubjekt zu sein, auf einen engeren Personenkreis - apriori in jeder Stufe begründet sein: bereits in der Art des Rechtsgutes, in der Art der Norm oder sogar erst in der Art des Strafsatzes (des Tatbestandes). Daher verwundert es nicht, daß jedes dieser Kriterien eines der Sache nach als Erscheinungsform behandelten Sonderdelikts in der Strafrechtswissenschaft auch vertreten worden ist, und deshalb ergab sich ihre Verwendung als Gliederungskategorien rur die Darstellung der selbständigen Sonderdeliktsdefinitionen gewissermaßen von selbst. s2 Äußerst erstaunlich hingegen ist die Tatsache, daß jene Kriterien eines selbständigen Sonderdeliktsbegriffs schon während des Schulenstreites auch von Gegnern der normentheoretischen Straftatsystematik - die sich rur die Gemeindelikte nie hat durchsetzen können - vertreten worden sind, und vor allem, daß deren Kategorien auch nach der allgemeinen Aufgabe dieser Einteilung der Verbrechensmerkmale zur selbständigen Definition des Sonderdelikts nicht nur überhaupt verwendet werden, sondern bis in die Gegenwart die einzigen Kriterien der ausdrücklichen Begriffsbestimmungen geblieben sind. Darin zeigt sich die ungeheure Prägekraft der Arbeit Naglers, dem das begriffliche Instrumentarium des Belingschen Systems noch nicht zur Verrugung stand und der dennoch die Strafrechtsdogmatik in jenem Teilbereich bis in die heutige Zeit entscheidend gestaltete. 1. Das Sonderrechtsgut als Kriterium der Sonderstraftat Eine Anzahl von Autoren erklärt das Sonderrechtsgut zum Unterscheidungsmerkmal zwischen Sonder- und Gemeinverbrechen. S3 Schutzobjekt der Sonderstraftat ist danach ein Rechtsgut, das nur von den Intranen verletzt werden kann. Von den drei als Sonderdeliktskriterien verwendeten norrnentheoretischen Systemkategorien begründet diese den tiefsten Gegensatz zwischen Sonder- und Gemeinverbrechen, weil sie zugleich auch die Norm und das Strafgesetz auf die Qualifizierten beschränkt. Diese Charakterisierung der Sonderstraftat durch die auf bestimmte Personen begrenzte Verletzbarkeit ihres Schutz80 Binding, Normen i, S.45 (kursiv vom Verfasser); dementsprechend stehen die schuldhafte Normübertretung und das - strafbare - Verbrechen im Verhältnis von Gattung und Art, und die Verbrechensmerkmale lassen sich in Normwidrigkeits- und Strafbarkeitsmerkmale gliedern: Binding, Grundriß, S. 76. 81 Binding, Grundriß, S. 59. 82 Vgl. das vorige Kapitel, 113. 83 V gl. hierzu das vorige Kapitel, II 3 a.

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 269

objektes fmdet sich im Schrifttum in zwei Spielarten: Während die ältere Auffassung ein nur durch die Intranen angreifbares Schutzobjekt annimmt, sieht die jüngere Lehrmeinung das Sonderdelikt durch zwei Schutzobjekte, nämlich ein Sonder- und ein Gemeinrechtsgut, gekennzeichnet. a) Kritik der Lehre vom beschränkt verletzbaren Rechtsgut

Wesensmerkmal des Sonderverbrechens ist nach der ersten Ansicht ein nur von den Qualifizierten verletzbares Rechtsgut. 84 Hier bedarf es nun vor der Auseinandersetzung mit dieser Auffassung einer nicht nur terminologischen Klärung dessen, was von den so definierenden Autoren unter einem "Rechtsgut" verstanden worden ist. Bedeutsam filr die Kritik jener Sonderdeliktsdefmition ist allerdings nur ein einzelner Aspekt aus der Problematik des Rechtsgutsbegriffs, und nur er soll in diesem Zusammenhang untersucht werden: Ist Rechtsgut das schutzwürdige Interesse, das schon vorrechtlich existente Gut, dessen Wert filr die Gemeinschaft den Gesetzgeber motiviert, es durch das Recht zu schützen, oder ist ein Gut nur insoweit Rechtsgut, wie es vom Recht geschützt wird? Auf die Kategorie des Sonderrechtsgutes übertragen, lautet die Frage: Handelt es sich hier ,um ein Gut, das bereits vorrechtlich nur von bestimmten Personen verletzbar und daher nur ihnen gegenüber schutzbedürftig ist, oder um ein Gut, das nur gegenüber bestimmten Personen geschützt ist und deshalb als Rechtsgut nur von ihnen verletzt werden kann? Insofern ist der Gebrauch des Begriffs "Sonderrechtsgut" zur Definition der Sonderstraftat im Schrifttum häufig nicht eindeutig. Kennzeichnet man aber das Sonderrechtsgut im letzteren Sinne, dann ist dieses Sonderdeliktskriterium identisch mit dem der Sondernorm. Nur wenn die Beschränkung der Verletzbarkeit auf bestimmte Personen schon in der Eigenart des Gutes und nicht erst in der Eigenart seines rechtlichen Schutzes begründet ist, besitzt das Sonderrechtsgut den Charakter eines gegenüber der Sondernorm selbständigen Unterscheidungsmerkmals zwischen Sonder- und Gemeinverbrechen. Nur auf diese Form der Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens mit Hilfe des Sonderrechtsgutes bezieht sich deshalb die folgende Auseinandersetzung. Diese Auseinandersetzung stößt zunächst insofern auf Schwierigkeiten, als Beispiele filr ein bereits vorrechtlich nur von bestimmten Personen verletzbares Rechtsgut von den betreffenden Autoren nicht gegeben werden; auch werden keine Straftaten aufgefilhrt, die auf der Verletzung einer Sondernorm beruhen, die aber gleichwohl als Gemeinverbrechen zu qualifizieren sind, weil sie lediglich dem Schutze eines Gemeinrechtsgutes dienen. Wenn es aber derartige Sonderrechtsgüter überhaupt gibt, dann müssen sie mit Gewißheit den - als Son84

Vgl. hierzu ergänzend auch die Erstauflage, S. 150 f., 173 f., 190 f.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

derverbrechen unstreitigen - echten Amtsdelikten zugrunde liegen; anhand der Schutzobjekte dieser Gruppe von Straftaten ist somit eine Überprüfung der Auffassung vom Sonderrechtsgut als dem Wesensmerkmal des Sonderdelikts möglich. Versteht man das Rechtsgut irgendwie substantiell - d. h. nicht rein methodologisch -, dann ist eine schon vorrechtliehe Beschränkung der Verletzbarkeit bei den Schutzobjekten der echten Amtsverbrechen nicht zu erkennen. So richtet sich beispielsweise nach allgemeiner Lehre der Gemeintatbestand der Bestechung (§ 334) gegen die Verletzung des gleichen Rechtsgutes wie der Sondertatbestand der Bestechlichkeit (§ 332). Dieses Beispiel ist Ausdruck des ausnahmslos geltenden Grundsatzes, daß jedes Schutzobjekt von jedennann verletzt werden kann. Die angebliche Begrenzung der Fähigkeit zur Verletzung des Sonderdeliktsrechtsgutes auf bestimmte Personen ist nämlich schon mit dem Begriff der Rechtsgutsverletzung unvereinbar. Ein "Gut" innerhalb einer Gemeinschaft kann stets nur das sein, was als wertvoll allgemein geachtet oder mißachtet werden kann. Ein konkreter Gegenstand ist Gut immer nur insoweit, als in ihm die allgemeine Wertvorstellung anerkannt wird. Aber vennutlich soll mit der Figur des Sonderrechtsgutes diese Universalität des Gutsbegriffs gar nicht in Zweifel gezogen werden; wenn dennoch mit diesem Kriterium die Verletzbarkeit des sonderdeliktischen Rechtsgutes als personal beschränkt behauptet wird, dann sind rur die Entstehung dieser unzutreffenden Auffassung zwei Erklärungen denkbar: Entweder es setzt sich indirekt die Sondemonn als Wesensmerkmal des Sonderverbrechens durch, deren Übertretung nur den durch sie Verpflichteten möglich ist; damit aber ist das Sonderrechtsgut als gegenüber der Sondemonn eigenständiges Sonderdeliktskriterium aufgegeben, und eine Auseinandersetzung ist dann nur mit der Sondemonn als Sonderdeliktskriterium erforderlich. Oder aber die venneintliche Beschränkung der Verletzbarkeit auf bestimmte Personen beruht auf einer Verwechslung mit der "eigenhändigen" Verletzbarkeit; dieser Irrtum liegt deswegen nahe, weil die Rechtsgüter der Sonderstraftaten in der gesetzlich geschilderten Weise von Extranen häufig nur auf dem Wege über Intrane angreifbar sind. Jedoch folgt diese Beschränkung eigenhändiger Begehbarkeit des deliktischen Rechtsgutsangriffs auf die Intranen ausschließlich aus der tatbestandlichen Beschreibung der Verletzungsart - in den Kategorien der Nonnentheorie ausgedrückt: aus der Fassung des Strafgesetzes -, nicht aber aus einer Besonderheit des geschützten Rechtsgutes. Deshalb kommt jene personale Begrenzung eigenhändiger Begehbarkeit auch bei Gemeindelikten vor. 85 Die Verletzbarkeit des Rechtsgutes als solche wird hingegen auch bei den Sonderverbrechen durch jene straftatbestandliehe Beschränkung der eigenhändigen Verletzbarkeit nicht ihrerseits auf bestimmte Personen begrenzt. Somit gibt es keine Sonderrechtsgüter i. S. der 85

Diese Tatsache ist schon von Kohler, Studien I, S. 131, erkannt worden.

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 271

hier überprüften Sonderdeliktsdefinition, d. h. keine auf Grund ihrer Natur nicht von allen Rechtsunterworfenen verletzbaren Schutzobjekte. 86

b) Kritik der Lehre vom doppelten Rechtsgut

Die Widerlegung der auf das Sonderrechtsgut als alleiniges Schutzobjekt abstellenden Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens ist in der zweiten, jüngeren Spielart der Defmition87 insoweit anerkannt, als nach ihr auch der Sonderstraftat ein von jedennann angreifbares Rechtsgut zugrunde liegt. Nach dieser Auffassung verletzt das Sonderverbrechen zwei Schutzobjekte, ein Sonder- und ein Gemeinrechtsgut; solch ein kombinierter Rechtsschutzinhalt ist danach vor allem bei den unechten Sonderstraftaten augenflillig, jedoch sind die echten Sonderstraftaten nachweislich völlig gleichartig strukturiert. Was zur Erläuterung dieser Sonderdeliktsdefmition beispielhaft an Gemeinrechtsgütern aufgeführt wird, zeigt deren Identität mit den vorstehend als personal unbeschränkt verletzbar herausgearbeiteten Schutzobjekten der Sonderverbrechen. Damit erhebt sich die Frage, was dann von den durch das sonderdeliktische Strafgesetz zu schützenden Gemeinschaftswerten eigentlich noch an Substrat rur das zweite Schutzobjekt, das Sonderrechtsgut, übrig bleibt; denn nur in diesem Merkmal unterscheiden sich Sonder- und Gemeinverbrechen in der hier zu untersuchenden Fonn der Begriffsbestimmung, und folglich muß auch die Auseinandersetzung mit ihr gerade um dieses Kriterium geruhrt werden. Tritt man mit jener Frage an die Ausfiihrungen heran, in denen die Sonderstraftat mittels des Doppelrechtsgutes defmiert wird, dann flillt sogleich das nahezu völlige Fehlen von Aussagen über die Natur des Sonderrechtsgutes auf. Außer der Beschränkung der Verletzbarkeit auf bestimmte Personen erfährt man über das Sonderrechtsgut nur, daß es zuweilen eine ganze Gruppe von Straftaten, beispielsweise die Amtsverbrechen, kennzeichne, indem es neben den von Delikt zu Delikt verschiedenen Gemeinrechtsgütern als konstantes Schutzobjekt allen Straftatbeständen der Gruppe gleichennaßen zugrunde liege. Man könnte nun zunächst versucht sein, diese offenkundige Vernachlässigung des Sonderrechtsgutes in der Lehre vom Doppelrechtsgut rein entwicklungsgeschichtlich zu erklären: Dieser Auffassung sei es in erster Linie um den Nachweis generell verletzbarer Gemeinrechtsgüter auch bei den echten Sonderstraftaten gegangen, weil sich nur so die Stratbarkeit der Teilnahme Extraner und dergleichen begründen lasse; demgegenüber sei die Existenz der Sonderrechtsgüter im wesentlichen unstreitig gewesen und infolgedessen bei der Behandlung in den Hintergrund getreten. 86 87

Im Ergebnis ebenso Deyhle, Sonderverbrechen, S. 13. Vgl. hierzu ergänzend auch die Erstauflage, S. 143, 191 ff.

272

2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Aber so überzeugend auch diese Deutung - aus der Frontstellung der Lehre vom Doppelrechtsgut - auf den ersten Blick scheinen mag, die wahre Ursache darur, daß der Rechtsgutscharakter des als Sonderrechtsgut bezeichneten Schutzwertes von den Urhebern und Anhängern dieser Sonderdeliktsdefinition nicht dargetan wird, liegt tiefer: Das sog. Sonderrechtsgut ist als solches überhaupt nicht nachweisbar, weil es als selbständiges Schutzobjekt gar nicht existiert. Die Momente, die neben der Verletzung des Gemeinrechtsgutes jeweils den Unrechtstypus der Sonderstraftat ausmachen, sind mit der Qualifizierung als "Sonderrechtsgutsverletzung" nicht zutreffend erfaßt, und zwar fehlt es hier bereits am Rechtsgut, so daß es im Unterschied zur zuvor überprüften Begriffsbestimmung auf die Frage der personal beschränkten Verletzbarkeit desselben gar nicht mehr ankommt. Zur Verdeutlichung kann der Vergleich eines Sonderverbrechens mit einer dasselbe Schutzobjekt verletzenden Gemeinstraftat dienen, die sich zugleich gegen ein wirkliches zweites Rechtsgut richtet, so beispielsweise ein Vergleich der Erpressung (§ 253) mit der Aussageerpressung (§ 343). Die Erpressung hat unstreitig einen doppelten Rechtsschutzinhalt, sie ist ein Doppelangriff auf die Güter Freiheit und Vermögen; abstrahiert man die Freiheitsbeeinträchtigung, dann bleibt das rechtswidrige Zurugen eines Vermögensnachteils als selbständiger Unwert übrig, ausreichend als Grundlage rur einen potentiellen Straftatbestand und ausschnitthaft de lege lata auch vertatbestandlicht (etwa als Betrug, § 263). Sieht man nun in entsprechender Weise bei der Aussageerpressung von der Freiheitsbeeinträchtigung ab, so ist hier kein verbleibender Unwert erkennbar, der selbst zum Gegenstand einer Bestrafung gemacht werden könnte. Infolgedessen hat man sich trotz vielfacher Versuche, das hier angeblich verletzte Sonderrechtsgut zu benennen, auf eine Kennzeichnung desselben nicht einigen können. ss Diese Bemühungen waren von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil das zu beschreibende Rechtsgut nicht existiert und man somit bei seiner Bestimmung fast zwangsläufig zu divergierenden Fiktionen gelangen mußte. "Ein Rechtsgut der ,Reinheit der Amtsruhrung' gibt es in der Tat nicht, derart fiktive Konstruktionen kommen wirklich über ein Spiel mit Worten nicht hinaus."s9 Andererseits ist nicht zu bezweifeln, daß sich der Unrechtsgehalt der Aussageerpressung nicht im Unwert der Freiheitsbeeinträchtigung erschöpft. Nur ist dieser zusätzliche Unwert nicht selbständig, d. h. er hat nicht den Charakter einer Rechtsgutsverletzung; er ist - und das gilt rur sämtliche Sonderstraftaten - irgendwie auf das deliktische Rechtsgut bezogen, aber nicht selbst Verletzung eines weiteren Rechtsgutes.

88 Vgl. die Zusammenstellungen der unterschiedlichen Auffassungen über das gemeinsame Rechtsgut der Amtsdelikte bei Maurach, Bes. Teil (5. Aufl.), S. 740 f., und Schönke/Schröder, StGB (15. Aufl.), Vorbem. I vor § 331. 89 Hellmuth Mayer, DStR 1938,96; ähnlich Welzel, ZStW Bd. 58, 512 f. Fn. 30.

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 273

Ob dieser hier noch nicht näher bestimmte Unwert sachgerecht als Übertretung einer Sondernonn gekennzeichnet werden kann, ist im folgenden zu untersuchen. Jedenfalls ist die Defmition des Sonderverbrechens mittels des Sonderrechtsgutes auch in ihrer zweiten Spielart, der Lehre vom Doppelrechtsgut, verfehlt.

2. Die Sondernorm als Kriterium der Sonderstraftat Von den selbständigen Begriffsbestimmungen des Sonderdelikts ist die Art am weitesten verbreitet, welche Sonder- und Gemeinverbrechen mittels der Sondernonn unterscheidet. "Sondernonn" ist dabei hier als Sammelbezeichnung verwendet rur alle Auffassungen, denen zufolge der dem Sonderdeliktstatbestand zugrunde liegende abstrakte Rechtsbefehl oder aber dessen Konkretisierung zur Pflicht nur einen begrenzten Personenkreis betrifft. Innerhalb dieser Definitionsart gibt es eine auf den ersten Blick verwirrende Vielfalt von Differenzierungen, die rur die kritische Überprüfung zweckmäßig primär danach gegliedert wird, ob die verletzte Sonderpflicht einen anderen "Anspruchsberechtigten" als die von der Gemeinstraftat verletzte Pflicht hat oder nicht.

a) Kritik der Lehre von der außerstrafrechtlichen Sonderpflicht

Nicht nur die Strafgewalt, sondern auch die Nonnsetzungsbefugnis, d. h. das Recht zum Erlaß der - in den Straftaten mißachteten - Gebote und Verbote ist Ausfluß der staatlichen Hoheitsrnacht. Der Staat als Hoheitsträger ordnet an, was zu tun und was zu unterlassen ist sowie welche Zuwiderhandlungen gegen welche dieser seiner Nonnen bestraft werden. Diese Feststellung ist rur die Gemeinverbrechen anerkannt; rur die Sonderdelikte hingegen gilt sie nach einer fiilher herrschenden und noch heute keineswegs allgemein eindeutig aufgegebenen Lehrmeinung90 nicht. Das Wesen des Sonderverbrechens liegt hiernach in der Verletzung einer Pflicht, der der Beamte oder Soldat als Dienstpflichtiger gegenüber dem Staat als seinem Dienstherrn nachzukommen hat und deren Nichterfilllung so gravierend ist, daß eine nur disziplinarische Ahndung nicht ausreicht. Die "Sondernonn" ist also nach dieser Auffassung nicht ein nur an eine begrenzte Zahl von Personen gerichteter Rechtsbefehl im allgemeinen Gewaltverhältnis, sondern der ganze abstrakte pflichtenkreis innerhalb bestimmter besonderer Gewaltverhältnisse, wobei einzelne, durch ihr Gewicht qualifizierte Pflichtverletzungen mit Kriminalstrafe bedroht sind. 90 Zu

den Einzelheiten vgl. ergänzend die Erstauflage, S. 194 ff.

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Diese Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens ist, wie bereits Nagler dargetan hat, schon deswegen verfehlt, weil sie ausschließlich anhand der Amtsund Militärverbrechen entwickelt worden und daher allenfalls auf sie anwendbar ist: "Hätte man die wesentliche Gleichheit aller durch Sondervorschriften charakterisierten Zuwiderhandlungen vor Augen gehabt, so hätte man nicht in den Fehler verfallen können, die Amts- oder Dienstpflicht des Beamten oder Soldaten als den Verletzungsinhalt jener Verbrechen anzusehen. ,,91 Die Definition des Sonderdelikts mittels der Dienstpflichtverletzung umfaßt also nur einen Teil der Sonderstraftaten und ist folglich zu eng. Aber auch im übrigen ist der überzeugenden Widerlegung dieser Auffassung durch das Schrifttum92 kaum etwas hinzuzufilgen. Im Mittelpunkt jener Argumentation steht die Erkenntnis, daß eine scharfe begriffliche Trennung von Dienstpflichtverletzung und deliktischer Normübertretung möglich und notwendig ist. Das Strafrecht ist auf die gesellschaftliche Sphäre des Gemeinwesens bezogen und erfordert daher filr jeden Verbrechenstatbestand ein Rechtsgut als Schutzobjekt aus dieser Sphäre sowie eine hoheitlich erlassene Norm. Die Dienstpflicht hingegen gehört einer gemeinschaftlich strukturierten Teilordnung des Gemeinwesens an, und diese Herkunft bedingt Eigenschaften, welche sie als Schutzobjekt des Kriminalstrafrechts untauglich machen. So ist die Dienstpflicht nicht gegenständlich bestimmt; infolgedessen mögen zwei Dienstpflichtverletzungen zwar graduell verschieden schwer sein, aber ein begrifflicher Unterschied zwischen ihnen ist nicht denkbar. Dementsprechend kennt das Disziplinarrecht nur einen einzigen Tatbestand: "Der Beamte begeht ein Dienstvergehen, wenn er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzt" (§ 77 Abs. I BBG, § 45 Abs. I BRRG). Die völlig andere Struktur des Strafrechts, das auch bei den Amtsverbrechen aus einer Mehrzahl fest umrissener Straftatbestände besteht und kraft verfassungsrechtlicher Anordnung auch bestehen muß, widerlegt die Meinung, hier wie dort sei die Dienstpflichtverletzung das entscheidende Kriterium. Man kann deshalb zusammenfassend sagen, daß zwar dasselbe Verhalten eines Beamten oder Soldaten zuweilen den Gegenstand sowohl eines disziplinarisch zu ahndenden Dienstvergehens als auch eines strafbaren Amtsverbrechens bildet, daß aber die dadurch verletzten besonderen Pflichten, nämlich die Dienstpflicht gegenüber dem Staat als Dienstherrn und die straftatbestandliche Sonderpflicht gegenüber dem Staat als Hoheitsträger, trotz des gleichen Anknüpfungspunktes qualitativ verschieden sind. Wenn also das Wesen des Sonderverbrechens im Verstoß gegen eine Sondernorm liegen soll, so kann es sich dabei nur um eine Sondernorm des allgemeinen Gewaltverhältnisses handeln.

91

Nagler, Sonderverbrechen, S. 22. insoweit vgl. zu den Einzelheiten die Erstauflage, S. 196 f.

92 Auch

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 275

b) Kritik der Lehre von der strafrechtlichen Sonderpjlicht

Gegen die Auffassung, die das Wesensmerkmal der Sonderstraftat in einer Dienstpflichtverletzung fand, hat vor aIlem Nagler der Lehrmeinung zum Durchbruch verholfen, die die Natur des Sonderverbrechens in der Verletzung einer strafrechtlichen Sonderpflicht sieht: in der Zuwiderhandlung gegen eine Sondervorschrift, die wie aIle den Strafgesetzen zugrunde liegenden Normen vom Gesetzgeber zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes erlassen, im Unterschied zu den Gemeinnormen aber nicht an aIle Deliktsfiihigen, sondern nur an einen engeren Personenkreis gerichtet ist. 93 Diese Begriffsbestimmung der Sonderstraftat wird - analog zur Definition mittels des Sonderrechtsgutes - in zwei Spielarten vertreten: die ältere und eindeutig herrschende hält das Sonderverbrechen durch eine auf die Intranen begrenzte Norm rur gekennzeichnet, während die jüngere, bisher nur selten und nur in ersten Ansätzen umschriebene, das Sonderverbrechen als durch zwei Normen, nämlich eine Sonder- und eine Gemeinnorm, charakterisiert betrachtet. Kriterium der Sonderstraftat ist in der ersten Spielart die Sondernorm als das einheitliche und einzige Verbot oder Gebot, auf dem der Sonderdeliktstatbestand basiert. Es liegt auf der Hand, daß nach dieser Begriffsbestimmung nur die sog. echten Sonderverbrechen als Sonderverbrechen anzusprechen sind, weil bei Begehung eines unechten Sonderdelikts zugleich die Gemeinnorm des korrespondierenden Gemeindeliktatbestandes übertreten wird. Innerhalb dieser Definitionsart lassen sich wiederum zwei auch inhaltlich unterschiedliche Formen erkennen: Nach der einen Lehrmeinung ist bei der Sondernorm schon der Adressatenkreis auf die Intranen beschränkt, nach der anderen nur der Kreis der Normsubjekte. Die Ansicht, das Sonderverbrechen basiere auf einer Norm mit begrenztem Adressatenkreis, ist vor aIlem von Nagler detailliert entwickelt und eingehend begründet worden, und von aIlen Formen der Sondernormdefinition ist sie seither am weitaus häufigsten vertreten worden. 94 Sie geht davon aus, daß die Bestimmung des persönlichen Geltungsbereiches der Normen im - nur durch Vernunfterwägungen gebundenen - Ermessen des Gesetzgebers steht. Wo er aber den Zweck seines NormerIasses, nämlich den Rechtsgüterschutz, bereits bei Beschränkung der Normadresse auf einen engeren Personenkreis im erstrebten Umfang erreichen kann, dort fehlt rur ihn der Anlaß, die Gesamtheit der Rechtsunterworfenen in die Bindung einzubeziehen, und er wird folglich den persönlichen Geltungsbereich des betreffenden Rechtssatzes auf jenen engeren Adressatenkreis begrenzen. Da jedoch die an aIle Rechtsgenossen adressierte Norm nach dieser Auffassung die Regelform bildet, muß jene Beschränkung 93

V gl. hierzu das vorige Kapitel, II 3 b. dazu siehe die Erstautlage, S. 143 ff., 171, 175.

94 Ergänzend

276

2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

des persönlichen Herrschaftsgebietes der verpflichtenden Rechtsvorschrift auf eine besonders geartete Personenmehrheit positiv und mit hinreichender Bestimmtheit erfolgt sein, damit ein Rechtssatz als Sondernorm i. S. dieser Lehrmeinung angesprochen werden kann. Man hat häufig versucht, die Auffassung zu widerlegen, Kriterium der Sonderstraftat sei eine Norm mit begrenztem Adressatenkreis. Eine solche Widerlegung ist jedoch nie überzeugend gelungen; nicht zuletzt hieraus erklärt sich die große Zahl der Anhänger dieser Begriffsbestimmung. So ist beispielsweise behauptet worden, weil der Begriff des Sonderverbrechens ein spezifisch strafrechtlicher sei, könne rur die Abgrenzung von Gemein- und Sonderverbrechen nicht die der einzelnen Strafbestimmung zugrunde liegenden Norm maßgebend sein, sondern es dürften nur Merkmale des Strafgesetzes selbst herangezogen werden. 95 Dabei ist verkannt worden, daß nach jener Auffassung die Normübertretung wesentlicher Bestandteil des Verbrechensbegriffs ist und als solcher den gleichen spezifisch strafrechtlichen Charakter hat wie die Merkmale des Strafgesetzes, die sonstige Verbrechensmomente schildern. Widerlegbar ist jene Sonderdeliktsdefinition somit nur im Begriff der Sondernorm selbst, und vor allem gegen ihn richtete sich auch die Kritik. Oft war sie jedoch in methodischer Hinsicht fragwürdig oder aber ihre Argumente waren nicht stichhaltig. 96 Mit der Lehre von der Sondernorm als Grundlage des Sonderverbrechens kann man sich methodisch einwandfrei nur auseinandersetzen, indem man den Begriff der Sondernorm selbst in Frage stellt, dadurch, daß man den Nachweis der Adressatenkreisbeschränkung bei diesen Verboten und Geboten kritisch überprüft. Dabei erweist sich der Ausgangspunkt jener Auffassung als zutreffend, daß die Bestimmung des Geltungsbereiches einer Norm wie in sachlicher, so auch in persönlicher Hinsicht im Ermessen des Gesetzgebers liegt; infolgedessen ist es theoretisch möglich, daß Normschutz rur ein Gut nicht gegenüber allen Rechtsunterworfenen, sondern nur gegenüber einer begrenzten Zahl von Personen gewährt wird. Hingegen vermag die Herleitung der Sondernorm nicht zu überzeugen, wo sie den inneren Grund fiir die Beschränkung des Adressatenkreises aufzuzeigen versucht, und ebensowenig dort, wo sie den Nachweis rur die Existenz derartiger Vorschriften im geltenden Recht zu erbringen sich bemüht. Der erste Einwand betrifft die Frage, ob die Rechtsfigur "Norm mit begrenztem Adressatenkreis als ausschließliche Grundlage des Sonderdeliktstatbestandes" überhaupt sachgerecht sein kann. Maßstab darur ist der Zweck jeder Norm, der Rechtsgüterschutz. Als Motiv rur die Normbeschränkung wird angegeben, zuweilen glaube die Rechtsordnung, "zur Erreichung ihrer Aufgaben ... nicht

95 96

So Rid, Mittelbare Täterschaft, S. 19 f. Zu den Einzelheiten vgl. die Erstauflage, S. 253 f.

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 277

die Allgemeinheit der Rechtsgenossen in Bewegung setzen zu müssen. ,,97 Diese These besagt im Ergebnis, daß die Verletzung der gegenüber den Adressaten der Sondernonn geschützten Güter den Nichtadressaten nicht verboten ist. Damit aber wird ein im Bereich des Strafgesetzes gültiges Prinzip unzulässigerweise auf den Bereich der Nonn übertragen. Ob der höchst unvollkommene Güterschutz der rechtlichen Verbote und Gebote durch eine Strafdrohung gesteigert werden soll, das ist in der Tat eine Ennessensfrage, die vom Gesetzgeber allein nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden ist; dabei kann er unter anderem etwa berücksichtigen, daß eine Verletzung des betreffenden Gutes typischerweise nur von einem bestimmten Personenkreis droht, und deshalb kann es durchaus sachgerecht sein, das Strafgesetz auf diese Gruppe zu beschränken. 98 Im grundlegenden Gegensatz zum Bereich des Strafgesetzes fehlt im Bereich der Nonn ein solcher innerer Grund zur Beschränkung des Geltungsumfanges, d. h. hier fehlt ein innerer Grund dafilr, die Verletzung gewisser Güter nur einzelnen Personengruppen zu verbieten, sie anderen aber zu gestatten. Auch bei der Herleitung des Begriffes der Sondernonn konnte deshalb von ihren Urhebern kein im Nonnzweck selbst begründeter Anlaß nachgewiesen werden, der es unter irgendeinem Aspekt hätte als sinnvoll erscheinen lassen, den Kreis der Nonnadressaten hier auf einen Teil der Rechtsunterworfenen einzuengen. Wenn es aber keinen unter dem Gesichtswinkel des Rechtsgüterschutzes gerechtfertigten Zweck filr eine Begrenzung der Zahl der Nonnadressaten gibt und "die Rechtsordnung glaubt" gleichwohl, eine derartige Begrenzung vornehmen zu können, dann handelt es sich dabei um reine Willkür. Allerdings wären auch solche sinnwidrig erlassenen Sondernonnen gültig, und damit ist die Frage nach der Existenz derartiger (sachlich nicht zu rechtfertigender) Nonnbeschränkungen im positiven Recht aufgeworfen.

Es ist also zu untersuchen, ob sich solche Sondernonnen im geltenden Recht nachweisen lassen. Ist vielleicht schon den Urhebern jener Begriffsbestimmung dieser Nachweis überzeugend gelungen? Überprüft man die hierzu gemachten Aussagen, so ergibt sich zusammengefaßt etwa folgende Argumentation: 99 Ob eine einem Strafgesetz zugrunde liegende Nonn sich an alle Rechtsunterworfenen oder nur an einen Teil von ihnen wendet, kann nur im Wege der Auslegung ennittelt werden. Gegenstand dieser Auslegung sind diejenigen Verbrechenstatbestände, in denen jeweils ein spezielles persönliches Merkmal - das rechtstechnische Mittel zur Charakterisierung des beschränkten persönlichen GelNagler, Sonderverbre~hen, S. 9. Im Bewußtsein der ohnehin fragmentarischen Natur des Strafrechts läßt sich hier die durch jene Gesetzesbeschränkung begründete Straflosigkeit auch derjenigen (atypisch von "Extranen" vorgenommenen) Gutsverietzungen ertragen, die im Einzelfall als strafwürdig erscheinen mögen. 99 Die Beweisführung ist ausschließlich den Darlegungen Naglers entnommen, da sie bei keinem anderen Vertreter dieser Begriffsbestimmung inhaltlich darüber hinausreicht. 97

98

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

tungsbereichs eines Verbotes oder Gebotes - strafbegründend wirkt. In erster Linie mittels der subjektiven Methode sind diese Verbrechenstatbestände daraufhin zu interpretieren, ob die übertretene Rechtsvorschrift sich nur an einen begrenzten Personenkreis richtet; da aber die Bekundungen der gesetzgeberischen Absicht oft mehrdeutig sind, muß man zur Feststellung des Normumfangs zumeist auch die objektive Auslegungsmethode heranziehen. Bei dieser Interpretation gilt der Grundsatz, daß die Vermutung rur das Vorliegen eines alle bindenden Rechtssatzes spricht, da Gemein- und Sondernorm im Verhältnis von Regel und Ausnahme stehen; den Prüfstein rur die Sonderverpflichtung bildet daher immer die unzweifelhafte Feststellung der positiven Begrenzung des Adressatenkreises. Nach dem Ausscheiden einer Fülle scheinbarer Normbeschränkungen, die jenem Erfordernis nicht genügen, verbleibt als mit vielen Beispielen belegtes Ergebnis der Auslegung eine nicht geringe Anzahl echter Sondervorschriften, d. h. solcher Verbote und Gebote, mit denen die Rechtsquelle unmittelbar nur die durch die besonderen persönlichen Merkmale ausgezeichneten Personen treffen will. Zusammengefaßt ist dieses der Gang der Argumentation, und man steht vor der Frage, ob damit die Existenz adressatenbeschränkter Normen als Grundlage der Sonderverbrechen nachgewiesen ist. Betrachtet man deshalb die Herleitung im einzelnen, so ist das 'schon im Blick auf den Gegenstand der Auslegung äußerst zweifelhaft. Jenes ihn kennzeichnende strafbegrundende besondere persönliche Merkmal kann nämlich sowohl eine bloße Strafsatzbeschränkung wie auch eine wirkliche Normbeschränkung (mit entsprechender Strafsatzbegrenzung) zum Ausdruck bringen. Hierzu hätte gesagt werden müssen, von welchen Kriterien es abhängt, ob ein besonderes persönliches Merkmal auch normbegrenzend oder nur strafbeschränkend wirkt. In der betreffenden Beweisruhrung fehlt aber ein Maßstab zu solcher Unterscheidung. Die Argumentation zur Auslegungsmethode ist insofern bedenklich, als der Gesetzgeber bei Erlaß eines personal beschränkten Strafgesetzes sich fast nie dazu äußert, ob nur die Strafbarkeit oder auch schon der Rechtsbefehl auf den engeren Personenkreis begrenzt sein soll. Der Hinweis auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis, in dem Gemein- und Sondernorm angeblich stehen, und auf die daraus folgende Vermutung rur das Vorliegen einer Gemeinnorm entbehrt sowohl der statistischen Fundierung wie auch vor allem jeglicher rechtsinhaltIicher Begründung; er ist das unausgesprochene Eingeständnis, daß es rur die Begrenzung des Normadressatenkreises keine eindeutigen Kriterien gibt. Dieser Eindruck wird zur Gewißheit, wenn man die Ergebnisse jener Auslegung analysiert. Die behauptete Beschränkung der Normadresse wird nämlich durch deren Einengung auf die "unmittelbare" Verpflichtungswirkung wieder zurückgenommen. Nach dieser Auffassung wird das Rechtsgut der Sonderstraftat durch nur eine, ausschließlich an die Intranen adressierte Norm geschützt. Eine solche Beschränkung des Normumfangs entspricht aber eindeutig nicht

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 279 dem geltenden Recht und kann deshalb auch anband der herangezogenen Beispiele nicht überzeugend dargetan werden: Nur weil der Angriff auf die pflichtgemäße Amtsfiihrung durch Zuwendungen an den Amtsträger nicht nur diesem (§ 332), sondern auch dem Nichtqualifizierten verboten ist, ist seine Ahndung durch einen eigenen Straftatbestand (§ 334) überhaupt möglich. Entsprechendes gilt rur die Sonderverbrechen, deren Rechtsgutsverletzung nicht auch in einem Gemeindeliktstatbestand unter Strafe gestellt ist. Hier wie bei jedem Straftatbestand wendet sich die das Rechtsgut schützende Norm an alle Rechtsunterworfenen, und die Ansicht, die Verletzungshandlung des Nichtqualifizierten sei "unter keinen Umständen eine rechtswidrige"JOo, ist zwar vom Begriff der Sondernorm her folgerichtig, sie erweist sich aber bei materieller Betrachtung als unzutreffend. Indirekt ist ihre Unhaltbarkeit schon dadurch anerkannt worden, daß nur die "unmittelbare" Bindung der Extranen durch die Sondernorm verneint wurde. Damit aber war die Beschränkung der Normadresse schon insoweit preisgegeben, wie es erforderlich war, um die Teilnahme Extraner am Sonderverbrechen als unerlaubt und damit als strafbar kennzeichnen zu können. Bedenkt man nun, daß die Differenzierung in Täterschaft und Teilnahme nicht schon im Bereich der Norm, sondern erst im Bereich der strafgesetzlichen Verbrechensschilderung erfolgt, dann leuchtet ein, daß die Frage der Rechtswidrigkeit rur alle Formen der Extranenmitwirkung am Verstoß gegen eine "Sondernorm" notwendig nur einheitlich entschieden werden kann. Ist also die Behinderung der Normbefolgung ("Teilnahme") durch einen "Nichtadressaten" zutreffend als unerlaubt erkannt, so muß das gleiche Urteil auch tUr die Verhinderung ("Täterschaft") gelten. Das bedeutet aber, daß die Adresse der sog. Sondernormen nur scheinbar auf bestimmte Personen begrenzt ist, in Wahrheit jedoch auch durch diese Verbote und Gebote stets alle Rechtsunterworfenen gebunden werden. Ist damit der vermeintliche Nachweis von Normen mit beschränktem Adressatenkreis als Grundlage der Sonderverbrechen widerlegt, so ist in der Rückschau ferner erkennbar, warum jenes Unterfangen von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Ausgangspunkt dieser Begriffsbestimmung ist nämlich der allein vom Zufall abhängige Umstand, ob das besondere persönliche Merkmal strafbegrUndend wirkt oder nicht, d. h. die Frage, ob derselbe Rechtsgutsangriff auch in einem Gemeintatbestand vertypt ist und damit das besondere persönliche Merkmal im Sondertatbestand nur eine strafbarkeitsmodifizierende Funktion hat. Nur wenn letzteres nicht der Fall ist, kann überhaupt eine Sondernorm i. S. dieser Auffassung vorliegen, während die sog. unechten Sonderstraftaten begriffsnotwendig Gemeinverbrechen sind. Nun können aber - theoretisch - alle sog. unechten Sonderstraftaten durch Beseitigung des korrespondierenden Gemeintatbestandes in sog. echte verwandelt werden, ebenso wie die unter die100 Nagler,

Sonderverbrechen, S. 48.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

sem Aspekt gleichermaßen zufälligen Gebilde der sog. echten Sonderverbrechen durch isolierte Vertatbestandlichung des deliktischen Rechtsgutsangriffs in sog. unechte umgeformt werden können, ohne daß zuvor eine neue Gemeinnorm erlassen werden muß. Das bedeutet aber, daß bezüglich der zugrunde liegenden Verbote und Gebote zwischen den sog. echten und den sog. unechten Sonderverbrechen kein Unterschied besteht; hier wie dort richtet sich die übertretene Rechtsvorschrift an alle Rechtsunterworfenen. Damit ist auch einsichtig, warum die Vertreter dieser Auffassung keine Kriterien dafUr anfUhren konnten, wann ein besonderes persönliches Tatbestandsmerkmal den Adressatenkreis der Norm, auf der der fragliche Verbrechenstatbestand basiert, beschränkt und damit die betreffende Straftat als Sonderstraftat charakterisiert: Derartige Sondernormen gibt es nicht. Der Lehre von der Norm mit besonders begrenzter Adressatenzahl als alleiniger Grundlage des Sonderverbrechens haftet seit ihrer allerersten Entwicklung lOI ein Mangel an, den sie nie hat abstreifen können: die Unterscheidung nach Täterschaft und Teilnahme zwischen unmittelbarer und mittelbarer Bindungswirkung, der Sondernorm. Diese Differenzierung war nämlich nicht aus dem Phänomen der - vermeintlichen - Sondernormen gewonnen, sondern es handelte sich ausschließlich um eine Konzession an das erstrebte Strafbarkeitsergebnis: Um den am Sonderverbrechen mitwirkenden Extraneus als Teilnehmer bestrafen zu können, mußte man sein Verhalten als unerlaubt und damit zuvor als verboten kennzeichnen, und der Weg dorthin fUhrte über die "mittelbare" Bindung des teilnehmenden Extraneus durch die Sondernorm. Diese Unterscheidung aber steht eindeutig im Widerspruch zu den Prämissen jenes Verständnisses der Sondernorm. Denen zufolge ist nämlich das Strafgesetz von der Norm abhängig. "Das Verbot geht begrifflich der Bedräuung seiner Übertreter voraus."I02 Die Rechtsfiguren der Täterschaft und der Teilnahme in ihrer Verschiedenheit entstammen jedoch nicht dem Bereich der Norm - beide Beteiligte verstoßen gegen denselben Rechtsbefehl -, sondern sie unterscheiden sich in der tatbestandlichen Schilderung des Tatbeitrages, d. h. ihr Gegensatz ist im Bereich des Strafgesetzes begründet. Zutreffend sind daher Täter und Teilnehmer als verschiedene Subjekte des "Verbrechens", also der strafgesetzlich erfaßten Normübertretung, bezeichnet worden. lo3 Dieses Verhältnis von Norm und Strafgesetz wird auf den Kopf gestellt, wenn die Normfunktion - unmittelbare oder nur mittelbare Bindung durch den Rechtssatz - davon abhängig gemacht wird, ob ein Verhalten im Strafgesetz als täterschaftlich oder als teilnehmerschaftlich geschildert ist. Zwar kann Täter des auf einer Sondernorm basierenden Verbrechens nur der Normadressat sein, nicht aber ist mit dem Begriff Binding, Normen Bd. I, S. 127. Binding, Normen Bd. I, S. 133. 103 Binding, Grundriß, S. 123 ff. 101

102

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 281

der Sondernonn die Umkehrung vereinbar, daß Teilnehmer auch ein Nichtadressat sein könne. Wenn gleichwohl seit den Antangen des Sondernonnbegriffs nahezu ausnahmslos die Auffassung vertreten worden ist, der Außenstehende könne als Teilnehmer rechtswidrig handeln, dann drängt sich beinahe von selbst der Schluß auf, daß der innere Widerspruch, an dem jener Begriffkrankt, nur durch die Beseitigung der Adressatenkreisbeschränkung zu beheben ist. Auch die den Sonderverbrechen zugrunde liegenden Verbote und Gebote sind also an aJle Rechtsunterworfenen adressiert. Natürlich steJlt sich dann sofort die Frage, warum der im Sonderverbrechen übertretene Rechtssatz trotz unbeschränkter Adresse noch "Sondernonn" genannt wird. Worin besteht die Besonderheit dieser Rechtsvorschrift? Um die Antwort hierauf geht es der zweiten Fonn derjenigen Begriffsbestimmungen der Sonderstraftat, die die Sondernonn als das einheitliche und einzige Verbot oder Gebot, auf dem der Sonderdeliktstatbestand basiert, zum Kriterium des Sonderverbrechens erklären: Nach dieser Ansicht ist mit der FeststeJlung, daß jedermann Adressat jeder Nonn ist, noch nicht gesagt, daß nicht das Normsubjekt bereits von der Nonn näher gekennzeichnet werden könnte. Eben darum aber, nämlich um eine nähere Bestimmung des Subjektes des nonnierten Aktes 104 und damit um eine einschränkende Bezeichnung des zur Nonnübertretung tauglichen PersonenkreiseslOs; handele es sich bei den Sondernonnen. Regelmäßig werde dabei das Sondersubjekt positiv vom Gesetz benannt werden. So sind zwar nach dieser Auffassung auch die Sondernonnen an aJle Rechtsunterworfenen adressiert, aber der Extraneus vennag nicht nonnwidrig zu handeln, da erst das beschriebene menschliche Verhalten - zu dem auch der Extraneus fähig ist - und das besonders charakterisierte Nonnsubjekt - dessen Eigenschaften der Extraneus nicht aufweist - zusammen den Gegenstand der Sondernonn bi 1den. 106 Die Auffassung des Sonderverbrechens als Übertretung einer Nonn mit näher gekennzeichnetem Subjekt ist schon deswegen verfehlt, weil sie die Bestimmung des Sondernonnbegriffs und dementsprechend die Einordnung von GrenzfiiJlen unter einem sachfremden Gesichtspunkt vornimmt, nämlich gemäß dem befilrworteten Strafbarkeitsergebnis in der Irrtumslehre. 107 Nicht eine Untersuchung der vorhandenen Nonnen entscheidet also darüber, ob es Sondernonnen i. S. jener Definition gibt, sondern die Absicht, auch bei fehlendem

Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 134. Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 107; ähnlich Unterlassungsdelikte, S. 9. 106 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 14 Anm. 44.

104 105

107 Vgl. Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 137 f., 149 ff.; Unterlassungsdelikte, S. 14 Anm. 44.

282

2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Bewußtsein des "Sondersubjekts" von seiner Sonderqualität die Vorsatzstrafe zu verhängen, filhrt zu dieser Begriffsbildung. 108 Im folgenden soll jedoch von dem sachfremden Leitmotiv dieser Begriffsbestimmung und seinen Auswirkungen abgesehen und die Auseinandersetzung auf die Bestimmung des Sondernormbegriffs selbst beschränkt werden. Vergleicht man die Defmitionen der Sondernorm als "Norm mit begrenztem Adressatenkreis" und als "Norm mit begrenztem Subjektskreis", so erkennt man als Fortschritt der zweiten Auffassung gegenüber der ersten, daß alle Normen an alle Rechtsgenossen gerichtet sind. Im übrigen bestehen gegenüber dieser Ansicht im wesentlichen die gleichen Einwände wie gegenüber jener: Die den Sonderverbrechen zugrunde liegenden Normen dürfen keinen begrenzten Subjektskreis haben; denn wie filr die Adressatenkreisbegrenzung fehlt auch filr eine derartige Beschränkung eine innere Begründung aus dem Normzweck, dem Rechtsgüterschutz. Zum anderen hätte der Nachweis, daß die Sonderverbrechen auf derartigen, hinsichtlich des Subjekts beschränkten Normen basieren, selbst dann scheitern müssen, wenn er ernsthaft versucht worden wäre, weil es Normen dieser Art nicht gibt: Da die - hier zunächst als existent unterstellten - Sondernormen überhaupt nur insoweit relevant sind, als ein Straftatbestand auf ihnen aufbaut, und weil damit immer die besondere strafgesetzliehe Subjektsbeschreibung wie "Mann" (§ 183) oder "Amtsträger" (§§ 331 ff.) apriori schon den Kreis der Normsubjekte wie auch erst den Kreis der Strafsatzsubjekte begrenzen kann, müßte ein Nachweis der Existenz von Sondernormen notwendig mit der Benennung von Kriterien dafilr beginnen, wann das eine und wann das andere der Fall ist. Statt dessen heißt es von den besonderen persönlichen Merkmalen in der Herleitung dieser Sondernormauffassung: "Daß es sich um ,Normmerkmale' handelt, bedarf keines Beweises.,,109 Entgegen dieser Behauptung ist ein solcher Beweis zwar erforderlich, er ist jedoch nicht erbringbar. Solange die Strukturidentität der sog. unechten und der sog. echten Sonderverbrechen verkannt und gesagt wird, bei jenen bestünden zwei, bei diesen hingegen existiere nur eine Norm,110 solange kann mangels zutreffender Vorstellungen vom Aufbau der echten Sonderverbrechen kein strafbegründendes besonderes persönliches Tatbestandsmerkmal als Sondernormmerkmal erwiesen werden. Denn auch bei den sog. echten Sonderdelikten darf, wie schon mehrfach gezeigt, der Extraneus den tatbestandlichen Rechtsgutsangriff nicht filhren. Die Aufspaltung der Normmerkmale in Handlungsmerkmale und Tätermerkmale ist somit weder materiell - von der verbotenen Rechtsgutsverletzung her - noch formell - aus der Art der übertretenen Norm - begründet. Das Wesen auch des sog. echten Sonderverbrechens liegt folglich nicht im Verstoß geVgl. Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 137. Kaufmann, Normentheorie, S. 134. 110 Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 135 f. 108

109 Armin

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 283 gen eine Norm mit beschränktem Subjektskreis. Die Definition der Sonderstraftat mittels der Sondernorm als dem einheitlichen und einzigen Verbot oder Gebot, auf dem der Sonderdeliktstatbestand basiert, darf damit in ihren beiden Formen - der Adressaten- und der Subjektskreisbegrenzung - als widerlegt angesehen werden. Die einwandfreie Begriffsbestimmung des Sonderdelikts setzt also Erkenntnis und Anerkennung der Strukturgleichheit von sog. echten und sog. unechten Sonderstraftaten voraus. Diese Voraussetzung erfiillt die zweite Spielart der Definition des Sonderverbrechens als Verletzung einer strafrechtlichen Sonderpflicht. 111 Diese jüngere, bisher nur selten und nur in ersten Ansätzen zum Ausdruck gebrachte Auffassung versteht alle Sonderdelikte als Nichterfiillung von zwei Pflichten, einer Gemein- und einer Sonderpflicht. Danach verletzt das Subjekt des Sonderverbrechens eine "gesteigerte Pflicht"ll2, d. h. außer der Grundpflicht des betreffenden Delikts, die auch jeden Extraneus bindet, eine. zusätzliche, nur dem Intraneus obliegende Sonderpflicht. Als Definitionsansatz ist diese Meinung überzeugend, weil sie die Mängel der vorstehend widerlegten Begriffsbestimmungen des Sonderverbrechens vermeidet. Um mehr. als einen Ansatz handelt es sich allerdings nicht, denn es fehlt an der fiir eine endgültige Definition erforderlichen Konkretheit der Aussage. So bleibt beispielsweise das Verhältnis beider Pflichten zum geschützten Rechtsgut wie auch zur tatbestandlichen Schilderung der Normübertretung im Strafgesetz völlig offen. Über die Anerkennung des positiven Ansatzes hinaus ist folglich eine kritische Würdigung dieser Auffassung nicht möglich. Damit ist die Lehre von der Sondernorm (oder Sonderpflicht) als dem Wesensmerkmal des Sonderverbrechens in allen ihren bisher vertretenen Arten und Formen als unhaltbar erwiesen.

3. Der Sondertatbestand als Kriterium der Sonderstraftat Erheblich seltener als das Sonderrechtsgut oder die Sondernorm ist der (als Strafsatzbeschränkung verstandene) Sondertatbestand zum Kriterium des Sonderverbrechens erklärt worden. l13 Nach dieser Begriffsbestimmung ist das Sonderdelikt dadurch charakterisiert, daß sein Tatbestand nur bestimmte, vom Gesetz aus der Gesamtheit der Rechtsgenossen speziell herausgehobene Personen mit Strafe bedroht. Für den Begriff der Sonderstraftat kommt es danach nicht auf die Art der übertretenen Rechtsvorschrift, sondern allein darauf an, daß ein besonderes persönliches Merkmal den Strafsatz auf die Qualifizierten begrenzt. 111

112

113

Hardwig, GA 1957, 170 ff. Hardwig, GA 1957, 172.

Vgl. hierzu das vorige Kapitel, II 3 c.

284

2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Mag der Extraneus also auch unerlaubt handeln, so wird doch sein Verhalten vom Sonderstrafgesetz, d. h. vom Tatbestand des Sonderverbrechens, nicht erfaßt. An dieser Definition des Sonderdelikts fällt sogleich ihre Übereinstimmung mit dem eingangs l14 wiedergegebenen Vorbegriff der Sonderstraftat auf. Was dort als Zwischenstufe auf dem Wege zur endgültigen Charakterisierung des Sonderverbrechens gedacht war, wird hier bewußt als eben jener Endbegriff ausgegeben. Dagegen bestehen auf Grund der völlig verschiedenen Funktionen von Vorbegriff und Endbegriff schwerwiegende Bedenken. Der Vorbegriff mußte derart formal bestimmt werden, um keinen Fall strafgesetzlicher Subjektsbeschränkung vorzeitig aus dem Defmitionsprozeß auszuschalten. Der Sonderdeliktsbegriff selbst hingegen ist Anknüpfungspunkt rur eine Vielzahl spezifischer Rechtsfolgen, welche die strukturelle Gleichartigkeit der von diesem Begriff erfaßten Verbrechenssachverhalte erfordern. Die Zusammenfassung unter dem rein formalen Aspekt der Strafsatzbeschränkung auf bestimmte Personen kann eine solche rechtsinhaItIiche Gleichartigkeit nicht gewährleisten. Auch ohne tieferes Eindringen in die Materie erkennt man, daß beispielsweise die Sondermerkma:Ie "Unfallbeteiligter" (§ 142), "Mutter" (§ 217 a. F.), "Mann" (§ 183) und "Richter" (§ 339) zwar alle den Kreis tauglicher Straftatsubjekte auf diese Qualifizierten beschränken, daß aber jedes dieser Merkmale in einem ihm eigenen, von den übrigen besonderen persönlichen Merkmalen verschiedenen Verhältnis zum Verbrechensunwert steht. Daher ist etwa die Frage, welchen Rechtsfolgen ein Nichtqualifizierter zu unterwerfen ist, nicht einheitlich, sondern rur jedes dieser Merkmale entsprechend seinem Einfluß auf den Verbrechensunwert zu beantworten. Folglich muß die allein unter dem Formalaspekt der Strafsatzbeschränkung erfolgende Zusammenfassung dieser "Delikte mit speziell das Verbrechenssubjekt kennzeichnenden Merkmalen" zum Begriff der Sonderstr~ftat wegen des rechtsinhaltlich völlig heterogenen Substrats dogmatisch unfruchtbar bleiben. Ein solches Verharren bei den rein äußerlichen Übereinstimmungen, wie sie rur den Vorbegriff des Sonderverbrechens wegen seiner eng begrenzten Aufgaben ausreichen, wäre fiir die Definition selbst nur dann statthaft gewesen, wenn sämtliche Sondermerkmale auf ihre jeweilige Wirkweise bezüglich des Verbrechensunwertes und der Verbrechenssystematik untersucht worden wären. Diese Analyse hätte zu dem Ergebnis fUhren können, daß eine Differenzierung irmerhalb der durch jene subjektsbeschreibenden Merkmale gekennzeichneten Straftaten (zum Zwecke der Beschränkung des Sonderdeliktsbegriffs auf einen Teilbereich) dogmatisch keinen Gewinn bringt. Tatsächlich aber wurden derartige ausgrenzende Gruppenbildungen von den betreffenden Autoren selbst vorgenommen und damit die Untauglichkeit der eigenen Sonderdeliktsdefinition indi114 V gl.

hierzu das vorige Kapitel, 1.

2. Kap.: Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen 285

rekt anerkannt: Das gilt vor allem fiir den Versuch, auch auf der Grundlage dieser Begriffsbestimmung zwischen Sonderverbrechen und subjektiv eingeschränktem Gemeinverbrechen zu unterscheiden. 115 So ist, wenn auch versteckt, in den Ausfilhrungen zum persönlich beschränkten Strafgesetz als dem Wesensmerkmal des Sonderverbrechens selbst schon der Hinweis enthalten, daß nur eine Sonderdeliktsdefmition homogenen Inhalts als Systembegriff fruchtbar, daß eine solche Defmition möglich und daß fiir eine solche Definition ein auch materielles Sonderdeliktskriterium erforderlich ist. Deshalb ist die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens mittels des rein formal als personale Strafsatzbegrenzung verstandenen Sondertatbestandes verfehlt.

Zusammenfassung

Die selbständigen Begriffsbestimmungen des Sonderverbrechens mit Hilfe der formal-normentheoretischen Systernkategorien Sonderrechtsgut, Sondernorm und Sondertatbestand sind vorstehend je filr sich als unhaltbar erkannt worden. Betrachtet man. sie nunmehr in ihrer Gesamtheit, so ergibt sich bei dieser umfassenden Perspektive ein weiterer Einwand aus ihrem Verhältnis zur jeweils vorausgesetzten Straftatsystematik. Schon zu Beginn der kritischen Würdigung dieser Sonderdeliktsdefmitionen ist auf die auffällige Tatsache hingewiesen worden, daß die Kategorien der normentheoretischen Verbrechenssystematik bis in die Gegenwart ganz überwiegend die Kriterien der selbständigen Begriffsbestimmungen der Sonderstraftat geblieben sind. Wo jeweils der ganzen Verbrechenslehre allein diese Systematik zugrunde gelegt wird, wie es im älteren Schrifttum zuweilen der Fall ist, da fiigen sich die auf diese Weise charakterisierten Sonderdelikte zwar widerspruchsfrei in das Gesamtsystem ein. Aber die formal-normentheoretische Straftatsystematik darf heute allgemein als überwunden gelten, so daß eine eigene Auseinandersetzung mit ihr hier unterbleiben kann, und mit dieser Systematik sind auch die ihr gemäßen Sonderdeliktsdefmitionen hinflilIig. In der neueren Strafrechtslehre wird regelmäßig ein grundsätzlich anderer Deliktsaufbau zugrunde gelegt. Damit ist bei allen, die gleichwohl die Sonderstraftat mit Hilfe jener Kriterien defmieren, ein Bruch in der Systematik der Verbrechensmerkmale enthalten, nämlich dergestalt, daß die zur Gliederung der Gemeindeliktsmerkmale als ungeeignet verworfenen Kategorien (Rechtsgut-Norm-Strafsatz) zur Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens als Gliederung der Deliktsmerkmale verwendet werden. Auch wegen jenes inneren Widerspruchs in den gesamtsystematischen Voraussetzungen dürfen

115

Stöger, Untauglicher Täter, S. 80.

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

die unter Einsatz der formal-normentheoretischen Kriterien gebildeten Definitionen der Sonderstraftat endgültig als widerlegt angesehen werden. Die Auseinandersetzung mit den von der Strafrechtswissenschaft entwickelten Defmitionen des Sonderverbrechens ruhrt somit zu folgenden Ergebnissen: Der Begriff des Sonderverbrechens ist rur die Dogmatik des geltenden Strafrechts nicht nur sinnvoll möglich, sondern sogar notwendig, weil die Strafgesetze das Phänomen enthalten, das dem Vorbegriff des Sonderdelikts entspricht. Eine überzeugende, d. h. der kritischen Überprüfung standhaltende Begriffsbestimmung der Sonderstraftat gibt es in Schrifttum und Rechtsprechung nicht. Eine solche Definition hat mehreren Erfordernissen zu genügen: Einmal muß es sich bei ihr um eine gesamtsystematische Begriffsbestimmung handeln; das Sonderverbrechen muß somit als Bestandteil einer konkreten Straftatsystematik von deren Grundlagen her definiert werden. Zum anderen hat die Charakterisierung der Sonderdelikte die Eigenart dieser Straftaten sowohl in materieller als auch in formeller Hinsicht, bezüglich des verwirklichten Unwertes ebenso wie bezüglich dessen systematischer Einordnung, zum Ausdruck zu bringen. Und schließlich muß die sachgerechte Begriffsbestimmung das Sonderdelikt als selbständige Erscheinungsform des Verbrechens kennzeichnen. Damit sind die leitenden Gesichtspunkte rur das Erarbeiten einer eigenen Definition der Sonderstraftat gewonnen.

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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Drittes Kapitel

Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens Die Auseinandersetzung mit den überkommenen Definitionen der Sonderstraftat gelangte zu dem Ergebnis, daß keine von ihnen uneingeschränkt zu überzeugen vermochte. Deshalb ist der Begriff des Sonderverbrechens nunmehr unter Vermeidung der bei den überlieferten Charakterisierungen erkannten Mängel aus eigener Sicht zu bestimmen. Dabei ist von der bedeutendsten der im Rahmen jener Kritik gewonnenen Erkenntnisse auszugehen, nämlich daß eine sachgerechte Definition des Sonderdelikts nur gesamtsystematisch möglich ist. Das Leitprinzip bei der Bestimmung des Sonderdeliktsbegriffs wird demgemäß seine Funktion im Strafrechtssystem sein, welche inhaltliche Homogenität voraussetzt und durch den zunächst zu erweisenden Charakter des Sonderdelikts als Erscheinungsform des Verbrechens gekennzeichnet ist. Sodann sind an dieser Richtschnur seine Begriffsmerkmale im einzelnen zu entwickeln und schließlich ist der durch den so definierten Sonderdeliktsbegriff abgesteckte Bereich auf mögliche Erweiterungen durch das Gesetz selbst hin zu untersuchen.

I. Der Erscheinungsformcharakter des Sonderverbrechens Schon bei der Bestimmung des Erscheinungsformbegriffs und seiner systematischen Funktionen wurde die Notwendigkeit aufgezeigt, sämtliche Erscheinungsformpaare des geltenden Strafrechts zu ermitteln. Der Erscheinungsformcharakter der bereits bisher als Erscheinungsformen behandelten Differenzierungen nach Beteiligungsart, Verwirklichungsstufe und Begehungsweise bedarf hier keiner weiteren Verdeutlichung. Hingegen ist die in diesem Buch erstmals ausdrücklich vertretene These, daß auch das Sonder- und das Gemeindelikt Erscheinungsformen des Verbrechens sind, im folgenden detailliert zu belegen. Hierzu ist diese unter Verwendung des einleitend entwickelten Erscheinungsformvorbegriffs induktiv gewonnene Erkenntnis erneut bewußt zu machen und sodann anhand des zuvor abschließend definierten Erscheinungsformbegriffs zu überprüfen. Die kritische Untersuchung der überkommenen Begriffsbestimmungen des Sonderverbrechens machte deutlich, daß es eine im wesentlichen überzeugende Sonderdeliktsdefinition unter diesen nicht gibt. Faßte man die positiven, d. h. der Kritik standhaltenden Definitionsansätze zusammen, so war die Sonderstraftat etwa zu kennzeichnen als arteigene Gestaltung des Verbrechens, die auf Grund eines generellen Differenzierungsprinzips - des Kreises möglicher Deliktssubjekte - nach Unwert und gesetzlicher Schilderung von der Gemeinstraftat als der ihr korrespondierenden Rechtsfigur unterschieden und dieser

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Strafwürdigkeitsdifferenz entsprechend mit anderen Rechtsfolgen ausgestattet ist. Mit dieser Umschreibung war die Sonderstraftat als Erscheinungsform gemäß deren Vorbegriff charakterisiert. So ergab bereits die jeweils bloß immanente Kritik an den herkömmlichen Begriffsbestimmungen des Sonderdelikts in ihrer Gesamtheit, daß das Sonderverbrechen sachgerecht als Erscheinungsform defmiert werden muß. Handelt es sich aber beim Sonderdelikt wirklich um eine Erscheinungsform des Verbrechens, so muß seine Charakterisierung den Begriffsmerkmalen der vorstehend bestimmten, endgültigen Erscheinungsformdefinition genügen. I Jene bei der Auseinandersetzung mit den überlieferten Bestimmungen der Sonderstraftat gewonnene Erkenntnis ist somit nunmehr deduktiv anband der abschließenden Charakterisierung des Erscheinungsformbegriffs zu überprüfen? Denn wenn und soweit das Phänomen, daß manche gesetzliche Straftatbestände ein näher bezeichnetes Deliktssubjekt haben, andere hingegen nicht, tatsächlich Erscheinungsformen des Verbrechens begründet, muß es die Erscheinungsformkriterien aufweisen, d. h. es muß eine erscheinungsformkonstituierende Aufgliederung der Verbrechens arten enthalten und in Gemein- und Sonderstraftat (als dem Ergebnis jener Aufgliederung) den Paarmerkmalen der Erscheinungsformen entsprechen. Gegenstand jener nunmehr vorzunehmenden deduktiven Überprüfung ist also zunächst die These, daß die bisher der Sache nach als erscheinungsformbegründend behandelten Differenzierungsgesichtspunkte (nämlich Beteiligungsart, Verwirklichungsstufe und Begehungsweise) den Bereich der Erscheinungsformen des geltenden Strafrechts nicht erschöpfen, sondern daß als weiteres derartiges Differenzierungsprinzip die Aufgliederung nach der Subjektsqualifikation (Gemeinsubjekt und Sondersubjekt) hinzukommt. Zur Untersuchung dieser I Die Kritik der überkommenen Sonderdeliktsdefinitionen hatte das Sonderverbrechen als Erscheinungsform lediglich gemäß deren Vorbegriff erwiesen, dessen Merkmalen auch bloße Sonderschuld- (z. B. § 217 a. F.) und Sonderstrafwürdigkeitsvertatbestandlichungen (z. B. § 183) genügen. Hier geht es nun darum, die Sonderstraftat als Erscheinungsform i. S. der vorstehend vollständig entwickelten Begriffsbestimmung, nämlich als spezifische Gestaltung des tatbestandlichen Unrechts einer Verbrechensart, zu erweisen. 2 Während die Existenz solcher "objektiver Schuldmerkmale" im Schrifttum bereits mehrfach nachgewiesen worden ist, ist das Vorhandensein derartiger personaler Strafwürdigkeitsmerkmale (in der herkömmlichen Terminologie müßte man sie wohl als "subjektive Bedingungen der Strafbarkeit" bezeichnen) bisher noch nicht aufgezeigt worden. Ob diese nun einmal vom Gesetz verwendeten Merkmale nicht die überlieferten Strafrechtssysteme sprengen, weil sie sich nicht in sie integrieren lassen, müßte sich deren Anhängern als mit Vorrang zu klärende Frage geradezu aufdrängen; in der hier zugrunde gelegten Systematik haben sie als selbständige Schuld- und Strafwürdigkeitsmerkmale ihren Platz. Besonders hervorzuheben ist hier nur die Tatsache, daß diese das Deliktssubjekt kennzeichnenden Schuld- und Strafwürdigkeitsmerkmale kein (als Erscheinungsform verstandenes) Sonderverbrechen begründen.

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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These werden die Straftatbestände mit allgemeinem und diejenigen mit besonderem Subjekt zuerst daraufhin betrachtet, ob ihre gemeinsame Differenzierungsgrundlage den eben herausgearbeiteten Begriffsmerkmalen eines ersehe inungsformbegrundenden Aufgliederungsaspektes genügt: Bei der Unterscheidung der Verbrechen nach dem Kreis möglicher Deliktssubjekte handelt es sich nicht um eine bloß gesetzesteelmische, sondern um eine rechtsinhaltliehe Einteilung. Sie kann sinnvoll bei allen Verbrechensarten vorkommen und ist von den übrigen erscheinungsformbegrundenden Differenzierungsgesichtspunkten unabhängig. Diese Aufgliederung kann unmittelbar an der Basis des allgemeinen Verbrechensbegriffs ansetzen, sie braucht es jedoch nicht, wie beispielsweise die ein Sondersubjekt erfordernden Strafvorschriften gegen die Kindstötung (§ 217 a. F.) - Differenzierung erst im Schuldbereich - und gegen Exhibitionistische Handlungen (§ 183) - Differenzierung erst im Strafwürdigkeitsbereich zeigen. Älmliches gilt hinsichtlich der Unterscheidung in den Rechtsfolgen; sie ist zwar regelmäßig, aber nicht notwendig mit der Aufgliederung nach dem Subjektskreis verbunden, wie etwa das Beispiel der Doppelehe (§ 172) beweist, bei der der bereits Verheiratete und der mit ihm die Ehe schließende Partner mit gleicher Strafe bedroht werden. Insoweit ist folglich die bloße Differenzierung nach dem Kreis der Deliktssubjekte, die die Vorbegriffe von Gemein- und Sonderstraftat charakterisiert, zur Kennzeiclmung des Sonderverbrechens als Erscheinungsform nicht hinreichend. Die Erscheinungsform des Verbrechens muß eine spezifische Gestaltung al/er Verbrechenselemente enthalten, also immer auch eine des Unrechts; nur dort, wo eine Differenzierung bereits im tatbestandsmäßigen Unrecht erfolgt, kann es sich um eine Erscheinungsform handeln. Daß derartige Einschränkungen mittels genauerer Bestimmung des Unterscheidungskriteriums von Gemein- und Sonderdelikt zur Defmition der Sonderstraftat als Erscheinungsform des Verbrechens notwendig sind, ergibt sich somit bereits aus der Untersuchung, ob die bloße Differenzierung nach dem Kreis der Deliktssubjekte den Anforderungen einer erscheinungsformbegründenden Aufgliederung des Verbrechens genügt; wie sie im einzelnen zu treffen sind, wird bei der Überprüfung im Hinblick auf die Erscheinungsformpaarmerkmale deutlich, die Gemein- und Sonderverbrechen als Erscheinungsformen in ihren abschließenden Begriffsbestimmungen aufweisen müssen. Hiernach haben sich Sonder- und Gemeinstraftat einmal im tatbestandlichen Unrecht zu unterscheiden; alle Differenzierungen nach dem Kreis der Verbrechenssubjekte, die lediglich die deliktische Schuld (z. B. Kindstötung, § 217 a. F., gegenüber Totschlag, § 212) oder Strafwürdigkeit (z. B. Exhibitionistische Handlungen, § 183, einerseits und andererseits solche Handlungen einer weiblichen Person) betreffen, berühren die Abgrenzung der als Erscheinungsformen des Verbrechens verstandenen Gemein- und Sonderstraftat nicht. Daher sind die durch ein derartiges Sondersubjekt gekennzeiclmeten Straftaten bei der endgültigen Definition des

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Sonderdelikts aus diesem Begriff auszuscheiden. Zum anderen müssen Sonderund Gemeinverbrechen in der Strafbarkeit differieren, d. h. sie müssen sich in jeder Erscheinungsformenkombination in den Rechtsfolgen unterscheiden können und sich in wenigstens einer dieser Kombinationen tatsächlich in der Strafbarkeit unterscheiden; alle unrechtstatbestandlichen Differenzierungen nach dem Kreis der Verbrechenssubjekte, die ausnahmslos mit gleichen Strafdrohungen versehen sind (wie etwa bei der Doppelehe, § 172), betreffen die Begriffsbestimmung der Erscheinungsformen Gemein- und Sonderdelikt nicht, so daß solche Straftaten, auch soweit sie ein das tatbestandliche Unrecht gestaltendes Sondersubjekt aufweisen, bei der abschließenden Definition des Sonderverbrechens als Erscheinungsform nicht in diesen Begriff aufzunehmen sind. 3 Die Auseinandersetzung mit den überlieferten Begriffsbestimmungen der Sonderstraftat erwies die Notwendigkeit ihrer Charakterisierung als Erscheinungsform im Sinne von deren Vorbegriff; die deduktive Überprüfung dieser Erkenntnis anhand des vollständig bestimmten Erscheinungsformbegriffs erbrachte soeben als Zwischenergebnis die vorläufige Kennzeichnung, wie die Sonderstraftat als Erscheinungsform zu definieren ist. Die hier zu entscheidende Frage geht jedoch dahin, ob das Sonderdelikt als Erscheinungsform des Verbrechens zu bestimmen ist. Vergleicht man zu ihrer Beantwortung den sich bei einer Defmition des Sonderverbrechens als Erscheinungsform ergebenden Deliktsbereich mit dem Inhalt des Sonderdeliktsvorbegriffs, nämlich der Gesamtheit der durch ein Sondersubjekt gekennzeichneten Straftaten, so erkennt man, daß diese allen je vertretenen Begriffsbestimmungen des Sonderverbrechens gemeinsame Basis bei einer Definition des Sonderdelikts als Erscheinungsform quantitativ nur geringfUgige Einschränkungen erfährt. Verhältnismäßig wenige der dem Sonderdeliktsvorbegriff unterfallenden Straftaten werden bei einer derartigen Fassung des Endbegriffs ausgegliedert, so daß hinsichtlich der betroffenen Delikte weitgehend Kontinuität mit den schon bisher als Sonderverbrechen bezeichneten Straftaten gewahrt bleibt. Umgekehrt sind neben diesem bedeutenden Vorteil der Definition des Sonderverbrechens als Erscheinungsform jene der Zahl nach geringen Einschränkungen des Sonderdeliktsvorbegriffs dogmatisch von mindestens gleichem Gewicht, weil dadurch der Schritt von der unter dem bloß äußerlichen Gesichtspunkt des gesetzlichen Sondersubjekts bestehenden Übereinstimmung zur rechtsinhaltlichen (nämlich durch die Erscheinungsformmerkrnale gekennzeichneten) Homogeni3 Die rur den Erscheinungsformbegriff erforderliche Strafbarkeitsdifferenz kann sich jedoch auch darin äußern, daß nur eine der korrespondierenden Erscheinungsformen der betreffenden Verbrechensart überhaupt mit Strafe bedroht ist. So sind viele Verbrechensarten nur als Gemeindelikt, nicht wenige aber auch nur als Sonderdelikt (sog. "echte" Sonderstraftaten i. S. der herkömmlichen Terminologie) gesetzlich vertypt, ohne daß dadurch der Erscheinungsformcharakter von Gemein- und Sonderverbrechen berührt würde.

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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tat der vom Sonderdeliktsbegriff erfaßten Straftaten getan wird. Nur eine solche Defmition des Sonderverbrechens kann gesamtsystematisch fruchtbar werden, weil nur sie inhaltlich Gleiches zusammenfaßt und nur sie deshalb den Anknüpfungspunkt gleicher Rechtsregeln bilden kann. Es erscheint somit als allein sachgerecht, den Begriff der Sonderstraftat in der vorstehend skizzierten Weise als Erscheinungsform des Verbrechens zu bestimmen. Die Charakterisierung des Sonderdelikts als Erscheinungsform ist Ausdruck einer ethisch sehr hochstehenden Rechtsentwicklung. Gemein- und Sonderverbrechen sind daher - als die so gesehen von allen Erscheinungsformen am wenigsten notwendige Differenzierung - als Erscheinungsformpaar auch der Sache nach als letztes erkannt worden. Erst nach der Überwindung des Standesstrafrechts durch den Gleichheitsgrundsatz und mit dessen (sich wiederum nur allmählich durchsetzendem) Verständnis, daß auch im allgemeinen Strafrecht jeder nach seinen besonderen Voraussetzungen zur Rechenschaft zu ziehen ist, war der Boden bereitet, in dieser Unterscheidung nicht ein beseitigungsbedürftiges Relikt aus der Zeit des Standesstrafrechts zu sehen, sondern dassystematische Prinzip zu begreifen und als Fortschritt zu würdigen.

ll. Die Begrlffsmerkmale des Sonderverbrechens Die endgültige Definition des Sonderverbrechens, die nunmehr aus eigener Sicht im einzelnen zu entwickeln ist, ist mit seiner Bestimmung als Erscheinungsform in gewissem Umfang bereits festgelegt. Gemein- und Sonderstraftat müssen danach den Begriffsmerkmalen der Erscheinungsformen genügen. Der Aufgliederungsaspekt "Subjektsqualifikation" muß spezifische Unterschiede zur Gemeinstraftat in den Bereichen Unrecht, Unrechtstatbestand und Stratbarkeit begründen. Dieses Erscheinungsformpaar ist bei der vorstehenden Grundlegung der Strafrechtssystematik ausgeklammert worden. Da innerhalb dieses Paares das Gemeindelikt die Regelform der gesetzlichen Verbrechenstypisierung bildet, geben die bisherigen Ausfiihrungen zum Verbrechenssystem und die zu deren Verdeutlichung herangezogenen Beispiele im Ergebnis Begriff und Dogmatik der Gemeinstraftat wieder. Infolgedessen brauchen im weiteren nicht mehr Gemein- und Sonderdelikt als Erscheinungsformpaar in ihrem Gegensatz herausgearbeitet zu werden, 4 sondern die Untersuchung kann sich auf die Begriffsbestimmung der Sonderstraftat beschränken. Diese abschließende Sonderdeliktsdefinition muß also die Erscheinungsformmerkmale aufweisen, d. h. das Sonderverbrechen muß danach durch ein besonderes tatbestandliches 4 Zwar geht dieser Gegensatz notwendig in die Definition des Sonderverbrechens ein, aber es bedarf hier nicht noch einer eigenständigen Begriffsbestimmung des Gemeinde-

lilets.

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Unrecht und durch eine spezifische Strafbarkeit gekennzeichnet sein. Diese Begriffsmerkmale der Sonderstraftat sind im folgenden näher zu bestimmen.

1. Das Sonderunrecht Hinsichtlich des deliktischen Verhaltens unterscheidet sich das Sonderverbrechen vom Gemeinverbrechen durch den spezifischen und besonders typisierten Unwert, den der Intraneus verwirklicht. Bei diesem gesetzlich vertypten Sonderunwert handelt es sich um ein besonderes tatbestandliches Unrecht, das vom Qualifizierten begangen wird. Unter "Sonderunrecht" wird im folgenden das Unrecht des Sonderverbrechens verstanden. Weil und soweit die Straftatelemente der Schuld und der Strafwürdigkeit von dem des Unrechts abhängig sind, werden durch das Sonderunrecht zugleich eine Sonderschuld und eine besondere Strafwürdigkeit begründet, d. h. das Sonderunrecht prägt stets den deliktischen Gesamtunwert eines derartigen Verhaltens in allen seinen Elementen. Diese die Totalität des Verbrechens erfassende Verschiedenheit von Gemein- und Sonderunrecht findet der Strafgesetzgeber bereits vor, wenn er an die Typisierung des strafbaren Verhaltens herangeht; dieser vorstrafrechtliche Unterschied im Unwertgehalt ist sein eigentliches Motiv rur die Bildung von Gemein- und Sonderdelikten. So ist das Sonderunrecht das logisch primäre und zugleich teleologisch gewichtigste Kriterium der Sonderstraftat; im folgenden sind deshalb seine Struktur und die systematische Funktion seiner Merkmale im einzelnen zu untersuchen. Das Sonderunrecht ist Unrecht. Diese auf den ersten Blick als selbstverständlich erscheinende Feststellung kann in ihrer Bedeutung rur die Begriffsbestimmung des Sonderunrechts gar nicht überschätzt werden. Alle vorstehenden Ausruhrungen über das Unrecht als Sachelement des Verbrechens gelten nämlich infolgedessen in vollem Umfang auch rur das Sonderunrecht. Sämtliche bereits erkannten Begriffsmerkmale des Unrechts müssen somit auch beim Sonderunrecht vorliegen. Dies besagt einmal, daß das Sonderunrecht die oben skizzierte Struktur des Unrechts aufweist: Auch das Sonderunrecht wird durch ein materielles und ein formelles Unrechtselement gebildet und kann sowohl unter sachlichem als auch unter personalem Aspekt betrachtet werden. Beim Sonderunrecht der Veruntreuung (§ 246 Abs. 2) etwa läßt sich die Rechtsgutsverletzung - Unterschlagung der anvertrauten fremden Sachen - als zum sachlichen Aspekt im materiellen Unrechtsmoment und die in jener Unterschlagung liegende Pflichtverletzung als zum personalen Aspekt im materiellen Unrechtsmoment gehörig kennzeichnen; die Bewertungsnormwidrigkeit der Unterschlagung gehört zum sachlichen und deren Bestimmungsnormwidrigkeit zum personalen Aspekt im formellen Unrechtsmoment. Damit ist nun keineswegs das Unrecht der Veruntreuung begrifflich erschöpfend erfaßt, sondern lediglich an

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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diesem Beispiel gezeigt, daß auch das Sonderunrecht durch die vorstehend entwickelte Struktur des Unrechts charakterisiert ist. Zum anderen besagt die Kennzeichnung des Sonderunrechts als Unrecht - und auch das sollte durch das bewußte Abstrahieren von allen gerade tUr das Sonderunrecht spezifischen Merkmalen der gesetzlichen Verbrechensbeschreibung im eben angetUhrten Beispiel verdeutlicht werden -, daß dem Sonder- das Gemeinunrecht als Basis zugrunde liegt: In seinem Kern ist das Sonderunrecht (und zwar in der Substanz und nicht etwa nur in der Struktur!) mit dem Gemeinunrecht identisch, d. h. ein Gemeinunrechtsgehalt ist wesensnotwendiger Grundbestandteil jeglichen Sonderunrechts. Daß die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung als dieser Gemeinunrechtskern der Sonderstraftat von jedermann begangen werden kann, ist überall dort offensichtlich, wo jene Rechtsgutsverletzung außer in der Sonderstraftat auch selbständig unter eine eigene Strafdrohung gestellt worden ist, wie im eben behandelten Beispiel in der Strafvorschrift gegen die Unterschlagung (§ 246 Abs. I) neben der der Veruntreuung (§ 246 Abs. 2). Für die Sonderverbrechen ohne solchen korrespondierenden Gemeindeliktstatbestand, wie beispielsweise tUr die Untreue (§ 266), gilt aber nichts anderes: Läßt sich etwa ein Vermögensverwalter - unerlaubt, aber tUr Dritte nicht erkennbar - während eines Urlaubs von seinem Zwillingsbruder vertreten und schädigt dieser bewußt den Treugeber durch eintUr dessen Vermögen nachteiliges Geschäft, dann hat der Schädiger damit die tatbestandsmäßige Rechtsgutsverletzung gemäß § 266 begangen (wenn auch mangels Vermögensbetreuungspflicht sich nicht aus dieser Vorschrift strafbar gemacht). Während jedoch das Gemeinunrecht als Sachelement des Gemeindelikts durch die generellen Unrechtsmerkmale bereits abschließend bestimmt ist, bildet es im Unrecht des Sonderverbrechens nur den Begriffskern, der durch zusätzliche, jenen grundlegenden Unrechts gehalt modifizierende Merkmale zu einer qualitativ neuen Sinneinbeit, dem Sonderunrecht, umgestaltet ist. s Eine solche (im einzelnen noch zu untersuchende) Modijizierung eines Gemeinunrechts ist das primäre Kennzeichen des Sonderunrechts; wo sie nicht vorliegt, kann es sich nicht um Sonderunrecht und mithin auch nicht um eine Sonderstraftat handeln. Die praktische Bedeutung dieser Erkenntnis läßt sich am besten anband einer Deliktsgruppe veranschaulichen, deren Einordnung unter die Sonder- oder die Gemeinverbrechen seit jeher besonders umstritten ist: der Straftaten näm-

5 Ohne Relevanz für den Begriff des Sonderunrechts und damit für den des Sonderdelikts ist die gesetzliche Unterscheidung von vorsätzlicher und fahrlässiger Straftat, deren spezifische Differenz - wie eingangs aufgewiesen - im Bereich der Schuld liegt. Aber auch bei einer abweichenden Sicht des Verhältnisses von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsstraftat ist das Ergebnis kein anderes, da sich beide nicht im Spezifischen des Sonderunrechts, dem relativen Unrechtselement, unterscheiden. Dementsprechend sind Sonderdelikte als Vorsatz- wie als Fahrlässigkeitsstraftaten vertatbestandlicht (zu letzteren vgl. im einzelnen Schröder, von Weber-Festschrift, S. 233 ff.).

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Iich, die bereits auf Grund ihres Gemeinunrechts6 nur von einem begrenzten Personenkreis unmittelbar begehbar sind7, wie etwa das Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288, oder das Führen eines Fahrzeugs im Zustand der Fahrunsicherheit gemäß §§ 315 c Abs. 1 Nr. 1, 315 a Abs. 1 Nr. 1, 316 Abs. 1. 8 Die Kennzeichnung dieser Delikte als Sonderverbrechen ist naheliegend, weil auch das Sonderunrecht stets nur von einem engeren Personenkreis begehbar ist; man darf sich jedoch hierdurch nicht darüber hinwegtäuschen lassen, daß die Beschränkung unmittelbarer Begehbarkeit eines Unrechts ausschließlich eine Folge der Verletzungsart und ihrer tatbestandlichen Vertypung ist,9 daß sie hingegen keine Modijizierung eines Unrechtsgehaltes bewirkt,IO durch die das Sonderunrecht charakterisiert wird und die hier die Begehbarkeit überhaupt (also nicht nur die unmittelbare) auf die Qualifizierten beschränkt. Analysiert man unter diesem Aspekt das Unrecht des Vereitelns der Zwangsvollstreckung (§ 288), dann erkennt man als tatbestandliche Rechtsgutsverletzung die Beeinträchtigung des Gläubigerrechts auf Befriedigung aus dem Vermögen des Vollstreckungsschuldners. Das Schuldverhältnis zwischen Vollstreckungsgläubiger und -schuldner ist die Grundlage rur diesen Bestandteil des Gläubigervermögens, den das Gesetz mit der Formel "Wer bei einer ihm drohenden Zwangsvollstreckung" umschreibt. Andererseits erschöpft sich seine rechtliche Wirkung auch hierin. Die gesetzliche Subjektskreiseinschränkung auf den Vollstreckungsschuldner kennzeichnet allein dessen Duldungspflicht als die Kehr6 Die lediglich auf Grund ihrer tatbestand lichen Schuld oder Strafwürdigkeit subjektsbeschränkten Straftaten (z. B. §§ 217 a. F., 183) unterfallen - wie soeben gezeigt von vornherein nicht dem als Erscheinungsform des Verbrechens zu definierenden Sonderdeliktsbegriff. Problematisch kann deshalb die Abgrenzung zwischen Gemein- und Sonderverbrechen nur innerhalb des - unmittelbar nur von einem begrenzten Subjektskreis begehbaren - Unrechts sein. 7 Diese Unterscheidung zwischen der bloßen Unmöglichkeit unmittelbarer Deliktsbegehung durch bestimmte Personen und der begrifflichen Unmöglichkeit der Deliktsbegehung überhaupt findet sich der Sache nach bereits bei Ortmann, GA 1874, 392 Anm.5. 8 V gl. hierzu im einzelnen Deichmann, Grenzfalle der Sonderstraftat, S. 194 ff. - Für etliche Delikte mit tatbestandlicher Subjektskreiseinschränkung ist in Schrifttum und Rechtsprechung nach wie vor umstritten, ob es sich jeweils um eine Gemeinstraftat oder um eine Sonderstraftat handelt, d. h. ob das persönliche Merkmal ein Sonderunrecht typisiert; vgl. beispielhaft etwa zum Bankrott (§ 283) rur die Anwendung von § 28 Abs. I auf den Nichtschuldner als Teilnehmer Tröndle/Fischer, StGB, § 283 Rn. 38 - entgegengesetzt Lackner/Kühl, StGB, § 283 Rn. 25. 9 Infolgedessen bestehen bei jeder Straftat gewisse faktische Beschränkungen hinsichtlich der unmittelbaren Begehbarkeit: Vgl. Hellmuth Mayer, Rittler-Festschrift, S. 272 f. 10 Aus diesem Grunde ist bei den Straftaten mit einem nicht von jedermann unmittelbar begehbaren Gemeinunrecht die Strafbarkeit des Pseudo-Extranen nie zum Problem geworden; so sind etwa Anstiftung und Beihilfe zum Vereiteln der Zwangsvollstreckung nach den allgemeinen Teilnahmevorschriften gemäß §§ 288 Abs. I, 26 bzw. §§ 288 Abs. 1,27 strafbar.

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seite der Vennögensposition des Gläubigers, d. h. den Gegenstand der durch "Beiseiteschaffen von Vennögensbestandteilen in Vereitelungsabsicht" erfolgenden tatbestandsmäßigen Rechtsgutsverletzung durch den Schuldner; sie kennzeichnet hingegen keine über diese Rechtsgutsverletzung hinausreichende relative Steigerung des Unrechts nur des Schuldners, wie sie das Sonderunrecht voraussetzt. Die (wenn auch nur mittelbare) Nennung des Schuldners im Unrechtstatbestand des § 288 ist notwendiger Bestandteil der deliktstypischen Rechtsgutsverletzung, deren Beschreibung ohne Einbeziehung des Schuldners dem Gesetzgeber - wenn überhaupt - nur in einer sehr schwerfalligen Weise möglich gewesen wäre. Die Verletzung dieser jedennann hinsichtlich seines Vennögens obliegenden Vollstreckungsduldungspflicht ist das Unrecht, das der Schuldner mit dem Beiseiteschaffen seiner Vennögensgegenstände in Vereitelungsabsicht begeht. Eine zusätzliche Unrechtssteigerung ausschließlich für den Vollstreckungsschuldner ist in der Strafvorschrift gegen das Vereiteln der Zwangsvollstreckung (§ 288) nicht vertatbestandlicht. 11 Die tatsächlichen und rechtlichen Phänomene, welche das Sonderunrecht begründen, sind im Schrifttum nur vereinzelt zutreffend als Unrechtsmodifizierung erkannt worden. 12 Etwas häufiger sind sie (zwar nicht ausdrücklich als Unrechtsmodifizierung bezeichnet, aber doch) der Sache nach als solche behandelt worden. \3 In beiden FäHen wurde dabei ausnahmslos 14 jene Modifizierung des Unrechtsgehaltes ausschließlich mit den rur das Gemeinunrecht entwickelten Kategorien zu erfassen versucht, nämlich als Modifizierung im Rechtsgut, in der Verletzungsart und in der Nonnwidrigkeit: Unter Nachbildung der beim Gemeindelikt möglichen Unrechtsstruktur begriff man jene Modifizierung entweder als Addition einer weiteren Rechtsgutsverletzung und als zusätzlichen Nonnverstoß durch die Qualifizierten oder aber als Beschränkung der Fähigkeit

11 Entsprechendes gilt für den Bereich der Gesamtvollstreckung: Auch die Insolvenzstraftat des Bankrotts (§ 283) ist ein im Subjektskreis eingeschränktes Gemeindelikt. Unübersehbar fehlt hier von den Begriffsmerkmalen des Sonderverbrechens außer dem Sonderunrecht auch die Sonderstrafbarkeit, wie sich aus dem gleichen Strafrahmen der (nicht im Subjektskreis eingeschränkten) Schuldnerbegünstigung (§ 283 d) ergibt. 12 Gallas, ZStW Bd. 60, 388 ff.; vgl. ferner Kern, ZStW Bd. 64, 270, der allerdings von einem "erhöhten Grad der Rechtswidrigkeit" spricht; Hellmuth Mayer, Strafrecht, Allg. Teil, S. 69; Welzel, Vom Bleibenden und vom Vergänglichen, S. 12 Anm. 25. 13 Dieser Gruppe wäre dann auch die große Zahl derjenigen Autoren zuzurechnen, die das Sonderverbrechen mit solchen Grundbegriffen der formal-normentheoretischen Straftatsystematik charakterisiert haben, deren "Ubersetzung" in die Kategorien des hier vorausgesetzten Verbrechenssystems eine Unrechtsmodifizierung als Sonderdeliktskriterium ergäbe. 14 Lediglich Roxin hat jene Modifizierung als "außerstrafrechtlich" (Täterschaft, S. 354) und somit nicht zum "Strafgrund" gehörig (Täterschaft, S. 371) gekennzeichnet; diese Meinung hat jedoch schon Welzel, Vom Bleibenden und vom Vergänglichen, S. 12 Anm. 25, als verfehlt erwiesen.

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zum Angriff auf den Gemeinschaftswert und zur Übertretung der Norm auf einen engeren Personenkreis. Diese Versuche, die das Sonderunrecht charakterisierende Modifizierung eines Gemeinunrechtsgehaltes ihrerseits mit Gemeinunrechtskategorien zu erfassen, waren von vornherein zum Scheitern verurteilt und sind folglich auch ausnahmslos gescheitert. Der Nachweis hierfiir ist im einzelnen im Rahmen der Auseinandersetzung mit den überkommenen Begriffsbestimmungen des Sonderverbrechens erbracht worden: Jene Unrechtsmodifizierung (etwa der Veruntreuung, § 246 Abs. 2, im Vergleich zur gemeinen Unterschlagung, § 246 Abs. 1) ist selbst keine Rechtsgutsverletzung, und zwar handelt es sich weder um die Verletzung eines zusätzlichen Rechtsgutes (neben dem Eigentum) noch um die Verletzung des Rechtsgutes (Eigentum) in einer spezifischen (d. h. anders als durch bloße Zueignung erfolgenden und überdies nur dem engeren Personenkreis möglichen) Verletzungsart. Die das Sonderunrecht begründende Modifizierung besteht auch nicht in einer besonderen Normübertretung (auch die bei der Veruntreuung mißachtete Norm lautet: Du sollst nicht fremdes Eigentum verletzen!). Und ebensowenig, wie sich dieses Phänomen in den Kategorien des sachlichen Gemeinunrechtsaspektes angemessen ausdrücken läßt, ebensowenig gelingt das in den Grundbegriffen des personal betrachteten Gemeinunrechts. 15 Die daS Sonderunrecht konstituierende Modifizierung unterscheidet sich eben qualitativ vom Gemeinunreche 6 und bedarf somit als Rechtserscheinung eigener Art auch spezifischer, d. h. der Gemeinunrechtslehre unbekannter und deshalb hier neu zu bildender Kategorien. Es ist nicht zuletzt auf das Verkennen dieser qualitativen Verschiedenheit und auf den darauf beruhenden Mangel an (zur Erfassung des Sonderunrechts) geeigneten Begriffen zurückzufiihren, daß eine sachgerechte Definition des Sonderdelikts in Schrifttum und Rechtsprechung nicht gefunden worden und infolgedessen seine dogmatische Einordnung in das Verbrechenssystem nicht befriedigend gelungen ist. Als Zwischenergebnis der eigenen Suche nach dieser Lösung ist daher festzuhalten, 15 Dies ergibt sich schon daraus, daß sachliches und personales Unrecht als bloße Aspekte des Unrechts nicht divergieren können. - Wo im Schrifttum ein additives "personales" Unrecht als Sonderdeliktsmerkmal genannt wird (vgl. etwa Hardwig, GA 1954, S. 66 f.; Welzel, Strafrecht, S. 62), handelt es sich in Wahrheit um einen Sammelnamen für das Subjekt näher kennzeichnende Tatbestandsmerkmale, die ebenso wie einen selbständigen Gemeinunrechts- und Schuldgehalt ("grausam", "aus Habgier", § 211) auch ein Sonderunrecht ("ihm anvertraut", § 246 Abs. 2) typisieren können, deren - infolge der inhaltlichen Heterogenität verfehlte - Zusammenfassung unter einem irreführenden gemeinsamen Namen jedoch d~ Spezifische des Sonderunrechts verschleiert, anstatt es begrifflich zu fixieren. 16 Eindeutig falsch sind die Unterstellungen durch Hake, Beteiligtenstratbarkeit, S. 76 ff., auf denen seine Kritik an der Erstauflage autbaut: "Langer geht davon aus, daß sich das Sonderunrecht vom Gemeinunrecht nicht grundlegend unterscheidet" (S. 76). "Es hat sich damit gezeigt, daß entgegen der Ansicht Langers bei den Sonderdelikten ... es sich nicht ausschließlich um quantitativ gesteigertes Gemeinunrecht handelt" (S. 80).

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daß das Sonderunrecht so strukturiert ist, daß ein Gemeinunrecht bei Begehung durch bestimmte Personen in seinem Gehalt modifiziert wird und diese Modifizierung ihrerseits nicht in Gemeinunrechtskategorien ausdruckbar ist. Die auf einen engeren Personenkreis beschränkte Modifizierung eines Unrechtsgehaltes ist somit das gegenüber der Gemeinunrechtslehre neuartige Phänomen, das es nunmehr begrifflich zu fassen gilt. Es erscheint zweckmäßig, sich hierzu nochmals auf die Methode der Gemeinunrechtsbegrundung zu besinnen: Der Gesetzgeber knüpft bei der negativen rechtlichen Bewertung eines Verhaltens primär immer an einen engen Ausschnitt aus dem wertwidrigen Gesamtgeschehen an, nämlich an eine Gemeinschaftswertverietzung; diese wird aus dem umfassenden Unwertsachverhalt isoliert, und es wird zunächst auch von aIIen denjenigen Umständen des konkreten Geschehens abstrahiert, die rur dessen Gesamtbewertung letztlich von Bedeutung sein können. Ein derart isolierter, unrechtsbegrundender Sachverhalt ist beispielsweise die "Zueignung fremder beweglicher Sachen". Nun ist bereits oben dargetan worden, daß das rur das Unrecht als Sachelement des Verbrechens erforderliche Rechtswidrigkeitsurteil eine zweite Wertung, und zwar nunmehr eine Wertung des Gesamtgeschehens, an den Maßstäben des Rechts notwendig macht, als deren Ergebnis die Widerrechtlichkeit endgültig bejaht oder verneint wird. Erfolgt beispielsweise jene Zueignung einer fremden beweglichen Sache unter den Notstandsvoraussetzungen des § 904 BGB, dann wird dadurch das Rechtswidrigkeitsurteil über jenes materiell und formell unrechtsbegrundende Verhalten ausgeschlossen: Das Unrecht als Sachelement des Verbrechens entfällt auf Grund einer situationsbezogenen Güterabwägung. Das endgültige Rechtswidrigkeitsurteil hat also das konkrete Verhalten dieses Menschen in diesem Zeitpunkt und dieser Situation zum Gegenstand und wird auf der Grundlage des gesamten Wert- und Rechtssatzzusarnmenhangs getallt, in dem dieses Verhalten steht. Ausgangspunkt bleibt hierbei zwar immer eine einzelne rechtsnormwidrige Gemeinschaftswertverletzung, aber deren isolierte Betrachtung ist rur die abschließende Feststellung des Unrechts nicht hinreichend, sondern es bedarf dazu der Einbeziehung all derjenigen (außerhalb der Einzelwertverletzung und Einzelnormübertretung gelegenen) Umstände der Tatsituation in die Wertung, von denen bei der Ermittlung der unrechtsbegrundenden Voraussetzungen zunächst abstrahiert worden ist und die möglicherweise die Widerrechtlichkeit des Verhaltens ausschließen und so das Unrecht als Sachelement des Verbrechens entfallen lassen können. Abstrahiert worden ist nun bei der Bestimmung jener normwidrigen Rechtsgutsverletzungen (der "absoluten Unrechtselemente"17) nicht nur von der jeweiligen Situation und den in 17 Diese Unrechtselemente werden hier "absolute" genannt, weil sie in ihrer unrechtsbegründenden Wirkung losgelöst von allen konkreten Gegebenheiten von vornherein feststehen und es ohne sie keine Unrechtsbegründung gibt.

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ihr gegebenenfalls vorhandenen rechtfertigenden Umständen, sondern auch von der sozialen Stellung des Handelnden. Es kann hier zunächst dahinstehen, ob mit dieser ganz vorläufigen Umschreibung des Phänomens das Problem schon im wesentlichen richtig und vollständig gekennzeichnet ist, denn sicher ist wenigstens die bisher ausgeklammerte Frage als solche berechtigt und in diesem Zusammenhang untersuchungsbedürftig, welche Bedeutung die soziale Stellung eines unerlaubt Handelnden für den Unrechtsgehalt seines Tuns hat. Eine solche Bedeutung - und auch darin zeigt sich die methodische Berechtigung jenes Abstrahierens und die Notwendigkeit der Anerkennung von absoluten Unrechtselementen - fehlt offensichtlich den meisten Sozialstellungen in bezug auf die meisten rechtsnormwidrigen Gemeinschaftswertverletzungen: Daß etwa gerade Eltern einen Hausfriedensbruch (§ 123) oder eine Urkundenfälschung (§ 267) begehen, berührt den Unrechtsgehalt dieser Taten im Vergleich zu ihrer Begehung durch Personen ohne Abkömmlinge überhaupt nicht. Bei der Aussetzung (§ 221 Abs. I und 2) ist es hingegen für den Unrechtsgehalt der Tat von maßgebender Bedeutung, ob sie gerade von Eltern gegen ihr Kind begangen wird oder in sonstiger Weise. Da somit der Unrechtsgehalt einer Tat nicht allein durch die absoluten Unrechtselemente, sondern (ähnlich wie in gewissen Fällen durch unrechtsausschließende Umstände der Tatsituation, so in anderen Fällen) durch die soziale Stellung des Handelnden mitbestimmt wird, ist bei seiner endgültigen Ermittlung stets zu berücksichtigen, ob und gegebenenfalls wie sich die jeweilige Sozialstellung in bezug auf den durch die jeweilige rechtsnormwidrige Gemeinschaftswertverletzung begründeten Unrechtsgehalt auswirkt. Damit sind wesentliche phänomenologische Voraussetzungen des Sonderunrechts benannt; die begriffliche Fassung dieser irgendwie in der sozialen Rolle des Handelnden begründeten, an sie anknüpfenden Unrechtsmodifizierung ist jedoch noch aufgegeben, die diesem Phänomen adäquaten Kategorien müssen noch gebildet werden. Diese kategoriale Fixierung des Sonderunrechts kann vollständig naturgemäß erst am Ende der in diesem Abschnitt vorzunehmenden Untersuchung über das Sonderunrecht erfolgen; vorläufig aber läßt sich jene relative, d. h. sich jeweils nur auf Personen in spezifischen sozialen Rollen beziehende Steigerung oder Minderung des Unrechtsgehaltes einer rechtsnormwidrigen Gemeinschaftswertverletzung als "relatives Unrechtselement" des Sonderunrechts kennzeichnen. Die relativen Unrechtselemente lassen also die normwidrige Rechtsgutsverletzung durch die in einer besonderen sozialen Beziehung zu dem betreffenden Schutzobjekt stehenden Personen im Vergleich zu einer Verletzung durch nicht in einer derartigen Beziehung stehende Personen als mehr oder weniger unwert erscheinen; aber nur soweit diese besondere soziale Beziehung auch rechtlich relevant ist, handelt es sich bei jenen Unwertmodifizierungen wirklich um relative Unrechtselemente. Die Frage liegt nahe, wie man sich diese besondere rechtliche Beziehung und ihr Verhältnis zu dem jeweiligen Schutzobjekt vorzu-

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stellen habe. Zu ihrer - wiederum naturgemäß nur vorläufigen - Beantwortung können die aus der allgemeinen Rechtslehre bekannten Begriffe des absoluten und des relativen subjektiven Rechts erhellend herangezogen werden: 18 So wie das absolute subjektive Recht gegenüber jedermann wirkt, das relative hingegen nur den jeweiligen Schuldner verpflichtet, so ist der Achtungsanspruch des geschützten Rechtsgutes in personaler Hinsicht umfassend, seine Modifizierung durch jene besondere rechtliche Beziehung aber besteht nur gegenüber den in dieser rechtlichen Sonderbeziehung stehenden Personen. 19 Niemand darf beispielsweise das Leben eines anderen dadurch angreifen, daß er ihn aussetzt; tut er es doch, so begeht er damit ein bestimmtes Unrecht. Eltern haben in bezug auf das Leben ihrer hilflosen Kinder zusätzlich gewisse Obhutspflichten; verletzen nun die in derartigen rechtlichen Sonderbeziehungen stehenden Personen das das Objekt dieser Sonderbeziehung bildende Leben ihres Kindes durch dessen Aussetzung, so wird jener durch die Aussetzung als solche begründete (absolute) Unrechts gehalt durch diese relativen Unrechtselemente in einer fiir diese rechtliche Sonderbeziehung spezifischen Weise gesteigert. 20 Mit der Kategorie des "relativen Unrechtselementes" ist die oben herausgearbeitete qualitative Verschiedenheit von Gemein- und Sonderunrecht - wenngleich nur vorläufig - auch begrifflich erfaßt. Unterschiedliche Unrechtsqualitäten gibt es auch innerhalb des Gemeinunrechts, begründet beispielsweise in der unterschiedlichen Qualität der verletzten Gemeinschaftswerte (Leben, Eigentum). Zwischen Gemein- und Sonderunrecht hingegen besteht - wie die bisherige Untersuchung ergeben hat - stets eine qualitative Verschiedenheit, jedoch nur hinsichtlich der relativen Unrechtselemente, d. h. sie beruht auf (und erschöpft sich in) der das Sonderunrecht kennzeichnenden Modifizierung eines Unrechts gehaltes bei seiner Verwirklichung durch ein zu dem betreffenden Schutzwert in einer rechtlichen Sonderbeziehung stehendes Subjekt. 21 Mit die18 Es ist nämlich nicht einzusehen, warum die relative Rechtsbeziehung im Strafrecht - im Unterschied zu den übrigen Rechtsgebieten - apriori keine Rolle spielen sollte. Wenn gleichwohl im Schrifttum als Gegenstand der Unrechtslehre dazu ausnahmslos nur das (von jedermann zu respektierende) Schutzobjekt behandelt wird, so ist das allein aus der historischen Entwicklung des Rechtsgutsbegriffs und seiner Bedeutung im Strafrechtssystem zu erklären. 19 So gut auch dieser Vergleich das Verhältnis von absoluten und relativen Unrechtselementen veranschaulicht, so sehr muß man sich aber auch dessen bewußt bleiben, daß es sich eben nur um einen Vergleich handelt: So wenig das Rechtsgut ein absolutes subjektives Recht ist, so wenig ist die den jeweiligen Unrechtsgehalt modifizierende rechtliche Sonderbeziehung ein relatives subjektives Recht. 20 Nicht der Wert des betroffenen Schutzobjekts wird durch die Sonderbeziehung verändert, sondern der durch seine Verletzung begründete Unrechtsgehalt wird durch das relative Unrechtselement in spezifischer Weise abgewandelt. 21 Eine jedermann bindende Sonderpflicht, wie sie Roxin, Täterschaft, S. 390 f., für die Beleidigung annimmt, ist hiernach ein Widerspruch in sich. Die Verletzung eines "höchstpersönlichen Achtungsanspruchs" charakterisiert eben schon jegliches Gemein-

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ser Feststellung ist mittelbar zugleich - wenn auch wiederum nur vorläufig - die Frage beantwortet, wie das Sonderunrecht begangen, d. h. wie die rechtliche Sonderbeziehung zwischen einer Person in einer bestimmten sozialen Rolle und einem bestimmten Gemeinschaftswert zu einem relativen Unrechtselement aktualisiert wird. Völlig verfehlt wäre es, die rechtliche Sonderbeziehung selbst als (zweites) Schutzobjekt zu behandeln und folgerichtig auch fiir sie eine "Verletzung" als Weg der Sonderunrechtsbegrundung anzunehmen (z. B. "Sonderpflichtverletzung"). Tatsächlich entsteht das relative Unrechtselement gewissermaßen als Reflex bei einer rechtsnormwidrigen Gemeinschaftswertverletzung durch ein in einer derartigen Sonderbindung stehendes Subjekt, - entsprechend der Unselbständigkeit einer solchen rechtlichen Sonderbeziehung, die in ihrer Existenz begriffsnotwendig vom Vorhandensein eines ihren Gegenstand bildenden Schutzobjektes abhängig ist.

Zusammenfassend ergibt sich somit als Struktur des Sonderunrechts: Der Unrechtsgehalt einer rechtsnormwidrigen Gemeinschaftswertverletzung wird durch relative Unrechtselemente modifiziert, d. h. er wird bei der Begehung durch Personen, die zu dem betreffenden Gemeinschaftswert in einer besonderen rechtlichen Beziehung stehen, gesteigert oder vermindert. Diese Grundstruktur jeglichen Sonderunrechts bedingt zugleich den Aufbau und die Wirkweise der relativen Unrechtselemente selbst: Eine derartige Modifizierung eines Gemeinunrechts verändert zwar dessen Gehalt, hingegen nicht seine Struktur. Auch das Sonderunrecht hat folglich ein materielles und ein formelles Moment/2 und man kann auch bei ihm einen sachlichen und einen personalen Aspekt unterscheiden. Damit ist der Weg fiir die weitere Untersuchung vorgezeichnet: Zunächst ist das materielle Moment des Sonderunrechts zu analysieren, d. h. nach dem Verhältnis der relativen Unrechtselemente zu der zugrunde liegenden Gemeinschaftswertverletzung zu fragen und dieses modifizierte materielle Unrecht sowohl unter sachlichem als auch unter personalem Aspekt zu betrachten, und sodann ist mit dem formellen Moment des Sonderunrechts entsprechend zu verfahren.

unrecht, während das Sonderunrecht darüber hinaus durch eine begriffsnotwendig auf einen engeren Personenkreis beschränkte Modifizierung eines Gemeinunrechtsgehaltes gekennzeichnet ist. 22 Damit bestehen die sich aus dem Verhältnis von materiellem und formellem Unrechtsmoment ergebenden Probleme - wie etwa die Möglichkeit einer Divergenz bei der - beim Sonderunrecht in gleicher Weise wie beim Gemeinunrecht.

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a) Der spezifische Unwertgeha/t des Sonderunrechts

Die Frage nach dem materiellen Moment des Sonderunrechts betrifft den von einem solchen unerlaubten Verhalten verwirklichten besonderen Unwert. Worin besteht nun die Besonderheit dieses spezifischen Unwertgehaltes, der als Moment des Sonderunrechts begriffsnotwendiger Bestandteil eines jeden Sonderverbrechens ist? Zur Beantwortung dieser Frage ist von der Erkenntnis auszugehen, daß der UnwertgehaIt einer Gemeinschaftswertverletzung keine feststehende Größe ist, sondern von dem Verhältnis des Verletzenden zu dem verletzten Rechtsgut in der betreffenden Gemeinschaft abhängen kann. Zwar ist, wie bereits dargetan wurde, dieses Verhältnis vielfach filr den Tatunwert völlig irrelevant; die Gemeinschaftswertverletzung bildet eben eine selbständige Sinneinheit, deren Unwertgehalt durch die Art des Rechtsgutes und durch die Verletzungsart bereits hinreichend bestimmt ist. Vielfach aber wird der so bestimmte Unwertpegel erst durch eine rechtlich relevante Sonderbeziehung des Verletzenden zu dem betreffenden Schutzobjekt auf seine endgültige Höhenmarke gebracht, so z. B. bei dem sexuellen Mißbrauch, wenn er mit Schutzbefohlenen getrieben (§ 174), oder bei der Unterschlagung, wenn sie vom Treunehmer an einer ihm vom Treugeber anvertrauten Sache (§ 246 Abs. 2) begangen wird; in diesen Fällen wird also durch das relative Rechtsverhältnis, das in der rechtlich relevanten Sonderbeziehung zwischen dem Subjekt und dem Objekt des Sonderunrechts besteht, ein Sonderunwert (das materielle Moment eines Sonderunrechts) begründet. Nachfolgend ist zunächst nach den Voraussetzungen filr die Entstehung des Sonderunwertes zu fragen, sodann sind die allgemeinen Merkmale der relativen Unrechtselemente zu untersuchen, soweit sie deren Einfluß auf den Unrechtsgehalt betreffen, danach werden die speziellen Merkmale, d. h. die Arten der relativen Unrechtsmodifizierung zu analysieren sein, und schließlich bedürfen die Aspekte des spezifischen Unrechts unwertes einer kurzen Beleuchtung. aa) Die Voraussetzungen der Sonderunwertbegründung Ein Sonderunwert wird nach den eben getroffenen Feststellungen dann begründet, wenn ein in einer rechtlich relevanten Sonderbeziehung zu dem betroffenen Rechtsgutsobjektstehendes Subjekt eine hierfilr spezifische Rechtsgutsverletzung begeht. Begriffsnotwendiges Erfordernis ist somit einmal die Verletzung eines Rechtsgutes. Zum anderen bedarf es zur Begründung des Sonderunwertes des Vorliegens jener rechtlich relevanten Sonderbeziehung; die Frage nach den Voraussetzungen der SonderunwertbegrUndung ist somit hier die Frage nach den Voraussetzungen eben jener rechtlich relevanten Sonderbeziehung.

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Sofern man die hier vorgenommene Unterscheidung ihrer Voraussetzungen von ihren Merkmalen auch grundsätzlich akzeptiert - und die Möglichkeit einer solchen Unterscheidung dürfte schwerlich zu widerlegen sein -, so liegt doch an dieser Stelle der Einwand nahe, die Bestimmung der Voraussetzungen sei zur Kennzeichnung des Sonderunwertes entbehrlich und man könne unmittelbar mit der Untersuchung seiner Merkmale beginnen. Dieser Einwand ist jedoch unbegründet. Die Ermittlung der gemeinsamen Voraussetzungen aller relativen Unwertmodifizierungen ist nicht nur systematisch notwendig - der Erkenntniswert liegt insoweit vor allem in der Erhellung ihrer Entstehungsmöglichkeit -, sondern sie hat zugleich eine eminent praktische Bedeutung: Es gibt zahlreiche Straftaten,23 bei denen es eindeutig an den Voraussetzungen, aber nicht gleichermaßen offenkundig auch an den Merkmalen des relativen Unrechtselementes fehlt; nur die Kenntnis auch der Voraussetzungen ermöglicht die eindeutige Qualifizierung dieser Delikte als Gemeinverbrechen. Von vornherein kann über die zu suchende inhaltliche Kennzeichnung dieser Voraussetzungen jedenfalls soviel mit Sicherheit ausgesagt werden: Sie darf nicht selbst Merkmale des relativen Rechtsverhältnisses enthalten, da andernfalls die Unterscheidung zwischen Voraussetzungen und Merkmalen sinnlos wäre; die Voraussetzungen ermöglichen eben nur die Begründung eines Sonderunwertes, sie begründen ihn aber nicht selbst. Die Bestimmung der Voraussetzungen darf also insbesondere nicht hinsichtlich des Ob und des Wie der relativen Unwertmodifizierung festgelegt sein. 24 Positiv zum Ausdruck bringen muß die gesuchte Umschreibung den Sachverhalt, der für eine relative Unwertmodifizierung notwendig vorauszusetzen ist. Dieser Sachverhalt besteht, wie man bei einer Zusammenschau der oben als Beispiele angeführten Sonderstraftaten erkennt, in einer sozial anerkannten Sonderbeziehung zwischen einem durch besondere Merkmale charakterisierten Subjekt und einem bestimmten Gemeinschaftswertobjekt, kraft deren sich letzteres so in der Einflußsphäre des Sondersubjekts befindet, daß dieses in spezifischer Weise darauf einwirken kann. Die Voraussetzungen dieser Schlüsselstellung des Sondersubjekts kann man daher als "besonderen sozialen Einflußbereich" kennzeichnen. Mit diesem Begriff und seiner Benennung ist zwar der für die Sonderunwertbegründung notwendig vorausgesetzte Sachverhalt seinem Wesen nach umschrieben, seine Merkmale bedürfen jedoch noch der inhaltlichen Präzisierung 23 Hierher gehören vor allem die sog. unechten Unterlassungsdelikte: Bei einer Vielzahl vermeintlicher GarantensteIlungen (wie z. B. bei dem sog. Rettungsmonopol und Fällen der sog. Ingerenz) fehlt es nämlich bereits an den Voraussetzungen jenes relativen Rechtsverhältnisses. Deshalb handelt es sich bei diesen Straftaten nicht um sog. unechte Unterlassungsdelikte und damit nicht um Sonderverbrechen. 24 Unzutreffend wäre deshalb etwa die Umschreibung "Sondergefährdung", weil in ihr sowohl die Tatsache als auch die Art der Unwertmodifizierung - nämlich Unwertsteigerung - bereits fixiert sind.

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und Abgrenzung. Letztere sind verhältnismäßig unproblematisch hinsichtlich des "Einflußbereichs", der durch den gegenständlichen Umfang möglicher Einwirkung definiert ist;2S wer beispielsweise eine Freiheitsstrafe verbüßt, bei dem erstreckt sich der Einflußbereich nicht auf außerhalb der Vollzugsanstalt befmdliche, ihm nicht gehörende Gegenstände, während er die im Gewahrsam des Häftlings befmdlichen Sachen umfaßt. "Sozialer Einflußbereich" ist der auf Gemeinschaftswertobjekte bezogene Ausschnitt aus dem Bereich möglicher Einwirkung. Der soziale Einflußbereich ist selbst etwas rein Tatsächliches und bedarf nicht etwa der rechtlichen Anerkennung: Auch die gestohlene Sache befmdet sich im sozialen Einflußbereich des Diebes. Dieser soziale Einflußbereich ist Voraussetzung jeglichen Unrechts, denn nur in diesem Rahmen sind Rechtsgutsverletzungen überhaupt möglich. Das eigentliche Problem besteht somit in der Abgrenzung zum "besonderen sozialen Einflußbereich" als der notwendigen Voraussetzung des Sonderunwertes. Daß es einen solchen besonderen sozialen Einflußbereich überhaupt gibt, kann im Blick auf die eingangs angeruhrten Beispiele schwerlich bezweifelt werden. Deshalb sei auch zur Bestimmung seiner Besonderheit von diesen Beispielen ausgegangen. Was etwa den Sexuellen Mißbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174), die Aussetzung eigener Kinder (§ 221 Abs. 2) oder die Aussageerpressung (§ 343) hinsichtlich des sozialen Einflußbereichs übereinstimmend von anderen Straftaten gegen das Leben oder gegen die Selbstbestimmung unterscheidet, ist die Hervorhebung einzelner Subjekte in bezug auf bestimmte Gemeinschaftswertobjekte. Diese im Unterschied zu den Subjekten des allgemeinen sozialen Einflußbereichs der Zahl und der Funktion nach konkretisierten Personen nehmen im Verhältnis zu den betreffenden Rechtsgutsobjekten eine Schlüsselstellung ein, kraft welcher deren Unversehrtheit primär von ihnen abhängt. Nun begründet aber nicht jede derartige Schlüsselstellung auch einen besonderen sozialen Einflußbereich; wer etwa gegenüber einem ertrinkenden fremden Kind ein sog. "Rettungsmonopol" besitzt, der befindet sich fraglos in einer Schlüsselstellung rur die Erhaltung dieses Rechtsgutes, und doch wird die Möglichkeit der Einflußnahme dadurch nicht zu einer "besonderen" i. S. der Sonderunrechtsvoraussetzungen; vielmehr besteht trotz dieser Schlüsselstellung rur das Leben des Kindes hier nur der allgemeine Einwirkungsbereich. Es fragt sich also, wie diese Hervorhebung aus dem allgemeinen sozialen Einflußbereich beschaffen sein muß, die die notwendige Voraussetzung jeglicher Sonderunwertbegründung ist. Zur näheren Bestimmung dieses Kriteriums des "Besonderen" sei zunächst darauf hingewiesen, wie die Hervorhebung erfolgt: Sie ist das Ergebnis eines Prozesses im gesellschaftlichen Bewußtsein, indem entweder eine natürliche Nähe zwischen einem Subjekt und einem Ge25 "Einflußbereich" heißt somit weder Verfiigungsmacht (Herrschaft) noch Garantiefunktion (Dienstpflicht), sondern ist für beides gleichermaßen lediglich Voraussetzung.

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meinschaftswertobjekt als besondere anerkannt oder aber eine entsprechende Zuordnung als besondere vorgenommen wird. So ist etwa das Verhältnis der Eltern zum Leben ihres Kindes in unserer Rechtsgemeinschaft als besonderes anerkannt, und im gesellschaftlichen Bewußtsein sind z. B. Freiheit und körperliche Integrität der Bürger den Beamten der staatlichen Vollstreckungsorgane in besonderer Weise zugeordnet,z6 jeweils mit der Folge einer (hierdurch nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in sozialer Hinsicht) spezifischen Einwirkungsmöglichkeit. . Ob ein sozialer Einwirkungsbereich von der Rechtsgemeinschaft kraft Anerkennung oder Zuordnung derart als "besonderer" verstanden wird, ist von Fall zu Fall wertend zu ermitteln. Dabei ist vor allem zu beachten, daß sich die als Voraussetzung des Sonderunwertes erforderliche Besonderheit des betreffenden sozialen Einflußbereichs stets unabhängig vom Ob und Wie einer Rechtsgutsverletzung feststellen lassen muß. Damit wird deutlich, warum in dem vorstehend angeruhrten Beispiel des sog. Rettungsmonopols trotz der Schlüsselstellung des betreffenden Subjekts kein besonderer sozialer Einflußbereich vorliegt: Eine Besonderheit besteht hier nämlich nur im Vergleich mit denjenigen Unterlassungssituationen, in denen mehrere potentielle Retter vorhanden sind. Es handelt sich somit nicht um eine Besonderheit des Einflußbereichs, die notwendig der tätigen und der passiven Wertverletzung gleichermaßen vorgegeben ist. 27 bb) Das Wertsubstrat der rechtlich relevanten Sonderbeziehung Die Antwort auf die Frage nach den Voraussetzungen der Sonderunwertbegründung ist vorstehend in dem "besonderen sozialen Einflußbereich" gefunden worden. Diese spezifische Einwirkungsmöglichkeit einzelner Subjekte in bezug auf bestimmte Gemeinschaftswertobjekte ist, das sei nochmals nachdrücklich betont, eben nur Voraussetzung und nicht etwa der innere Grund rur die Entstehung des Sonderunwertes oder gar selbst das den Sonderunwert begründende 26 Die Hervorhebung bestimmter Subjekte durch Anerkennung eines Näheverhältnisses unterscheidet sich auch insofern von der durch Zuordnung von Gemeinschaftswerten durch die Rechtsgemeinschaft, als bei ihr die Verletzungsobjekte selbst von vornherein konkret feststehen, die sich im besonderen sozialen Einflußbereich befinden, während bei der. Hervorhebung kraft Zuordnung regelmäßig nur das Mittel der Einwirkung konkretisiert ist, da hier die Besonderheit des Einflußbereichs in der Besonderheit des Mittels begründet ist, das die Fähigkeit zur spezifischen Einwirkung verleiht. 27 Zur Bestimmung des "Besonderen" dürfen Beispiele aus dem Unterlassungsbereich nur mit Vorsicht herangezogen werden. Bei der Unterlassung ist der allgemeine soziale Einflußbereich wesentlich enger als bei der Begehung, und die Gefahr liegt nahe, diese Einschränkung mit der rur den Sonderunwert vorausgesetzten Besonderheit zu verwechseln.

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Kriterium; so hat beispielsweise der Sonderunwert der Treubruchsuntreue (§ 266 Abs. 1 Var. 2) seinen inneren Grund offensichtlich nicht in der spezifischen Einflußmöglichkeit des Treupflichtigen, und umgekehrt konstituiert der besondere soziale Einflußbereich etwa des Gewahrsamsinhabers bei der Unterschlagung (§ 246 Abs. 1) eindeutig nicht einen Sonderunwert. Der besondere soziale Einflußbereich ist eben in bezug auf die jeweilige Rechtsgutsverletzung wertneutral, d. h. er verändert deren Unwertgehalt nicht. Der Sonderunwert hingegen besteht gerade in einer relativen Unwertmodifizierung. Leitaspekt bei ihrer Bestimmung ist die normative Natur des gesuchten Sachverhaltes, sein unmittelbar wertverändernder Charakter, der ihn eindeutig von dem wertneutralen Erfordernis des besonderen sozialen Einflußbereichs unterscheidet. Das Sonderunrecht besteht, wie oben dargelegt wurde, aus einem aus Rechtsgutsverletzung und Normverstoß zusammengesetzten Gemeinunrechtskern und dessen Modifizierung durch das relative Unrechtselement. Die rechtlich relevante Sonderbeziehung kann eine solche Unrechtsänderung nur durch relative Änderungen des materiellen und des formellen Momentes des fundierenden Unrechtskerns bewirken, und jener hier gesuchte Sachverhalt ist eben derjenige Bestandteil des relativen Unrechtselements, der die Änderung des materiellen Unrechtsmomentes, d. h. also des Unwertpegels der betroffenen Rechtsgutsverletzung, urimittelbar hervorruft. Eine solche Änderung des Unwertpegels ist bei unvoreingenommener Betrachtung von vornherein nach beiden Richtungen möglich: Denkbar ist sowohl eine relative Steigerung als auch eine relative Minderung des Unrechtsunwertes. Diese Ambivalenz ist ein notwendiges Begriffsmerkmal der relativen Abwandlung des Unwertgehaltes im Sonderunrecht. Die abschließende Bestimmung des gesuchten Sachverhalts sei mit der negativen Abgrenzung begonnen, nämlich mit der Feststellung, worin er - allem Anschein zum Trotz - nicht besteht: Er ist erstens kein die Struktur des Gemeinunrechtsgehaltes verändernder Sachverhalt. Das jeder Gemeinschaftswertverletzung zugrunde liegende Verhältnis von sozialethischer Verwerflichkeit und Sozialschädlichkeit bleibt auch im Sonderunwert unverändert. Der zu bestimmende Sachverhalt modifiziert also nicht etwa nur den sozial ethischen Unwertgehalt, während er die Sozial schädlichkeit unberührt läßt/ s sondern er steigert oder mindert beide gleichermaßen, so daß ihre Relation hierdurch nie-

28 Wenn gleichwohl die sozialethische Verwerflichkeit als Verbrechensgehalt zuerst bei den Sonderdelikten erkannt wurde (vgl. hierzu die Erstauflage, S. 80 ff.), so liegt das lediglich daran, daß der hier gesuchte unwertverändernde Sachverhalt des relativen Unrechtselementes die besondere sozialethische Wertwidrigkeit des betreffenden Verhaltens unmittelbar augenflillig macht; da jedoch in diesen Fällen zugleich auch eine besondere Sozialschädlichkeit vorliegt, bleibt die Relation bei der Momente auch im Sonderunwert unverändert.

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mals verändert wird. - Bei dem gesuchten materiellen Substrat des relativen Unrechtselementes handelt es sich zum anderen auch nicht um einen additiven Gemeinunwert-Sachverhalt. Es liegt zwar nahe, daß man den hier zu bestimmenden Sachverhalt in Gemeinunrechtskategorien zu erfassen versucht; aber alle derartigen Ansätze sind - wie bei der kritischen Betrachtung der im Schrifttum zu dieser Frage vertretenen Meinungen gezeigt wurde - gescheitert, und sie waren von vornherein zum Scheitern verurteilt, da sie auf einer Verkennung der sachlichen Eigenart des Sonderunrechts und der darin begründeten Notwendigkeit zur begrifflichen Erfassung mittels arteigener (d. h. nicht der Gemeinunrechtslehre entlehnter) Kategorien beruhten. Der hier gesuchte unwertverändernde Sachverhalt wird somit weder durch einen besonderen Verletzungs gegenstand noch durch eine besondere Verletzung i. S. der Gemeinunrechtsbegründung charakterisiert: Es handelt sich bei ilun also nicht um ein "Sonderrechtsgut". Dieser Sachverhalt, der etwa bei der Aussetzung des Kindes durch die eigenen Eltern (§ 221 Abs. 2), bei dem sexuellen Mißbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174) und bei der Veruntreuung (§ 246 Abs. 2) neben den Verletzungen der Schutzobjekte Leben, sexuelle Selbstbestimmung bzw. Eigentum jeweils den Unwertgehalt mitbestimmt, ist nicht selbst "besonderer Sozialwert", dessen Verletzung Sozialschädlichkeit begründet; ilun fehlt somit die Rechtsgutsnatur, was sich unter anderem auch darin äußert, daß er rur sich allein nicht rechtsschutzfahig ist. 29 Wenn gleichwohl dieser unwertverändernde Sachverhalt gerade auch von denjenigen, die sich ernsthaft um seine begriffliche Erfassung bemüht haben, als Verletzung jeweils eines besonderen Rechtsgutes gekennzeichnet worden ist,30 so ist das nur aus dem Bestreben zu erklären, jeglichen Unrechtsunwert auf den gemeinsamen Nenner der Rechtsgutsverletzung zu bringen, nachdem diese einmal als Gehalt deliktischen Unrechts erkannt war. 31 Ebensowenig handelt es sich bei dem zu bestimmenden Sachverhalt um eine "Sonderpflicht" im Sinne des oben (in der Lehre vom Unrecht) definierten Begriffs der Rechtspflicht, denn Rechtsgut und Pflicht sind lediglich Aspekte desselben Wertsubstrats, um das es in dem hier zu bestimmenden Sachverhalt der rechtlich relevanten Sonderbeziehung zwischen dem Subjekt 29 So ist das "Vertrauen" im Strafgesetzbuch nicht selbständig unter Strafschutz gesteilt. Demgemäß ist die Veruntreuung (§ 246 Abs. 2) kein zusammengesetztes Delikt, d. h. durch sie werden nicht zwei Rechtsgüter, sondern es wird nur das (besonders geschützte) fremde Eigentum verletzt. 30 Vgl. beispielhaft etwa Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 80: "Vielmehr gewinnt die jeweilige Straftat durch die Pflichtverletzung eine andere Qualität in Form einer zusätzlichen Rechtsgutsverletzung." 31 Mit dem Verneinen einer zusätzlichen Rechtsgutsverletzung als Kriterium des Sonderunrechts ist noch nichts darüber ausgesagt, ob nicht die bei den Sonderstraftaten oft vorliegende Verletzung eines weiteren sittlichen Wertes (wie etwa des "Vertrauens" bei der Veruntreuung gemäß § 246 Abs. 2) zu einer Schuldsteigerung führt; dieses Problem betrifft nicht die logisch wie systematisch vorrangige Frage nach dem Begriff des Sonderunrechts und damit nach dem der Sonderstraftat.

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und dem Rechtsgutsobjekt des Sonderunrechts gerade nicht geht. 32 Und wie dieser Sachverhalt nicht selbst ein verletzbarer Gemeinschaftswert ist, ebenso beruht auch die durch ihn bewirkte Unwertänderung nicht auf einer Besonderheit der Verletzung. 33 So besteht die den Sonderunwert prägende Unwertmodifizierung nicht etwa in einer "Sondergefiihrdung"; es hieße die Realitäten auf den Kopf stellen, wollte man die sexuelle Selbstbestimmung eines Menschen dadurch als besonders gefährdet ansehen, daß er unter persönlicher Obhut steht (§ 174), das Leben eines Kleinkindes dadurch, daß es Eltern hat (§ 221 Abs.2), oder das Eigentum eines Treugebers dadurch, daß er seine Sache dem Treunehrner anvertraut (§ 246 Abs. 2). Im folgenden sei versucht, anhand der schon mehrfach angeruhrten Beispiele eine geeignete Kennzeichnung rur das materielle Substrat des Relativverhältnisses zu finden. Es ist also zu fragen, wie sich die zwischen dem Deliktssubjekt und dem geschützten Rechtsgut jeweils bestehende Sonderbeziehung inhaltlich bestimmen läßt. - Bei dieser Inhaltsbestimmung sind sogleich zwei mögliche Umschreibungen des unmittelbar unwertverändernden Sachverhalts als nur scheinbar geeignet aus der weiteren Untersuchung auszuscheiden. Das gilt einmal rur die Charakterisierung der Sonderbeziehung als "engeres Gemeinschaftsverhältnis" . Abgesehen davon, daß eine Gemeinschaft nur zwischen Personen bestehen kann, nicht aber zwischen einem Subjekt und einem Wertobjekt, läßt sich das "engere Gemeinschaftsverhältnis" nicht einmal in dem Sinne zur Materialisierung der Sonderbeziehung verwenden, daß die betreffende Rechtsgutsverletzung stets im Bereich einer engeren Gemeinschaft erfolgt; denn bei der Mehrzahl der Amtsverbrechen (als dem Hauptkontingent der Sonderstraftaten) wird man schwerlich behaupten können, die Schutzobjekte - wie z. B. die körperliche Integrität (§ 340) oder das Selbstbestimmungsrecht des Bürgers (§ 343) usw. - befänden sich innerhalb des besonderen Gemeinschaftsverhältnisses zwischen dem Staat und seinen Amtsträgern. 34 Gleichermaßen ungeeignet zur inhaltlichen Umschreibung der Sonderbeziehung ist deren Kennzeichnung 32 Wenn trotzdem das Sonderverbrechen von etlichen Autoren als Verletzung einer Sonderpflicht gekennzeichnet wird, so ist diese "Sonderpflicht" jedenfalls nicht mit dem hier zu bestimmenden unwertverändernden Sachverhalt identisch. 33 Wie aus der Verletzung überhaupt, so ergibt sich aus der Struktur der Unterlassung (als einer speziellen Form der Verletzung) nichts für die Bestimmung des hier gesuchten Sachverhalts. Auch der Unwertgehalt der Unterlassung wird eben dann (und nur dann) modifiziert, wenn dieser Sachverhalt vorliegt. 34 Liegt somit das Wesen des sonderunwertbegründenden Sachverhaltes auch nicht in einem engeren Gemeinschaftsverhältnis, so besteht zwischen bei den doch umgekehrt ein Zusammenhang dergestalt, daß Verletzungsobjekte im Bereich eines derartigen Gemeinschaftsverhältnisses regelmäßig auch Gegenstand der Sonderbeziehung sind. Immer aber sind die im Gemeinwesen vorhandenen Sondergemeinschaften und ihre inneren Ordnungsbeziehungen allenfalls möglicher Anknüpfungspunkt, nicht aber selbst Wertsubstrat des relativen Unrechtselementes, so daß es sich bei den Sonderverbrechen nicht etwa um ein Ständestrafrecht in neuem Gewand handelt.

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als "Lebensverhältnis naher Verbundenheit mit dem geschützten Rechtsgut". Soweit durch diese Charakterisierung nicht ohnehin nur mit lediglich anderen Worten wiederum die Sondergemeinschaft zum Wertsubstrat des Relativverhältnisses erklärt wird, ist sie wegen ihrer mangelnden inhaltlichen Bestimmtheit unbrauchbar; denn "nahe Verbundenheit" sagt über den Sachgehalt der unmittelbar unwertverändernden Komponente des relativen Unrechtselementes nicht mehr aus als "besondere Beziehung", um deren Materialisierung es hier gerade geht. Die bisher erkannten positiven Merkmale der nunmehr zu treffenden Umschreibung des sonderunwertbegrundenden Sachverhaltes lassen sich damit so zusammenfassen: Die gesuchte Kennzeichnung muß eine inhaltliche sein, d. h. sie muß den inneren Grund rur die Modifizierung des Unrechtsgehaltes selbst zum Ausdruck bringen. Hierbei muß es sich um eine unwertbezogene Inhaltlichkeit handeln, d. h. es genügt nicht ein wertfreier Sachverhalt (wie etwa die Voraussetzung des besonderen sozialen Einflußbereichs), sondern die gesuchte Umschreibung muß dessen unwertverändernden Charakter unmittelbar erkennen lassen. Und schließlich muß die Wertbeziehung ambivalent sein, d. h. den Unrechtsgehalt der betroffenen Rechtsgutsverletzung sowohl steigern als auch mindern können, dadurch, daß in ihr zugleich die Möglichkeit einer besonderen sozialen Schutzaufgabe . als auch die Möglichkeit einer besonderen sozialen Verfiigungsmacht angelegt ist. Sucht man nun - ausgehend von den vorstehend angeruhrten Beispielen - eine Charakterisierung des materiellen Substrats der rechtlich relevanten Sonderbeziehung, die diese bisher erkannten Begriffsmerkmale aufweist, so läßt sich der hier zu bestimmende Sachverhalt wohl am besten mit "Überantwortung" umschreiben: Die den Sonderunwert kennzeichnende Sonderbeziehung zwischen einem spezifischen Subjekt und einem spezifischen Gemeinschaftswertobjekt besteht in der Überantwortung dieses Wertobjekts an das Sondersubjekt. Überantwortet ist den Eltern das Leben ihrer Kleinkinder (§ 221 Abs. 2), den Betreuern die Gesundheit und körperliche Integrität (§ 225) sowie die sexuelle Selbstbestimmungsfreiheit (§ 174) ihrer Schutzbefohlenen, den Ärzten, Rechtsanwälten oder Amtsträgern das ihnen in dieser Funktion anvertraute Privatgeheimnis (§ 203); überantwortet ist aber auch jedem Menschen das eigene Leben (Straflosigkeit des versuchten Selbstmords), den Zeugen und Sachverständigen die Wahrheitsfindung durch die Rechtspflegeorgane (§§ 153 ff.), dem Treunehmer die anvertraute Sache (§ 246 Abs.2) und den Amtsträgern im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit etwa die körperliche Unversehrtheit (§ 340) und dieSelbstbestimmungsfreiheit (§ 343) der Bürger. cc) Die Merkmale der Überantwortung Diese Beispiele mögen genügen, um den mit "Überantwortung" umschriebenen Sachverhalt zu veranschaulichen. So treffend aber auch der Terminus

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"Überantwortung" das den Sonderunwert charakterisierende Phänomen zum Ausdruck bringt, so ermöglicht er - jedenfalls nach dem bisherigen Stand der Untersuchung - doch nur eine mehr intuitive als die (hier notwendige) begriffliche Erfassung dieses Phänomens. Im folgenden werden deshalb der als "Überantwortung" gekennzeichnete Sachverhalt zu analysieren und seine Merkmale zu defmieren sein. Dieses wird erleichtert, wenn man zuvor die Entstehung jenes Phänomens kurz betrachtet. Die Klärung der Frage, wie es zu einer "Überantwortung" kommt, erfordert das Eindringen in einen sehr komplexen Problemkreis, dessen Lösung man sich wohl am besten zuerst durch die Überlegung nähert, wer hier etwas überantwortet. Denn insoweit läßt sich leicht ein eindeutiges Ergebnis ermitteln: Die Überantwortung bestimmter Rechtsgutsobjekte an bestimmte Subjekte erfolgt durch die Rechtsgemeinschaft. Sodann ist zu fragen, warum die Rechtsgemeinschaft gewisse Rechtsgutsobjekte einzelnen Personen überantwortet. Welches also ist der innere Grund filr die Entstehung dieser Sonderbeziehungen, was motiviert die Rechtsgemeinschaft, etwa den Betreuern die Gesundheit und die körperliche Integrität ihrer Schutzbefohlenen oder den Ärzten die ihnen bei der Behandlung bekannt gewordenen Privatgeheirmlisse ihrer Patienten zu überantworten? Es ist das in der Rechtsgemeinschaft erlebte Bedürfuis, diesen Personen spezifische Schutzaufgaben über die betreffenden Gemeinschaftswertobjekte zu übertragen oder spezifische Verfilgungsmacht über sie einzuräumen. 35 Maßgeblich filr die Überantwortung sind also die Wertanschauungen der Rechtsgemeinschaft und nicht etwa eine "natürliche Nähe" der fraglichen Wertobjekte zu den Sondersubjekten. Zwar befmden sich alle überantworteten Verletzungsobjekte im besonderen sozialen Einflußbereich des jeweiligen Sondersubjekts (denn dieser ist notwendige Voraussetzung jeglicher Überantwortung), aber sie sind nicht schon immer dann überantwortet, wenn sie sich in einem besonderen sozialen Einflußbereich befinden (wie das Beispiel der einfachen Unterschlagung, § 246 Abs. 1, beweist). Damit ist die Frage gestellt, wann ein im besonderen sozialen Einflußbereich befmdliches Rechtsgutsobjekt von der Rechtsgemeinschaft dem diesen Bereich beherrschenden Subjekt überantwortet wird. Sie läßt sich nicht allgemein beantworten, sondern nötigt zu einer differenzierenden Betrachtung der Tatbestände, an die die Sonderbeziehung anknüpft: Vielfach bedarf es keiner Mitwirkung des Sondersubjekts, vielmehr erfolgt die Überantwortung beim Vorliegen 35 Schwerdtfeger, Besondere persönliche Unrechtsmerkmale, S. 192 f., fordert insoweit eine weitere Konkretisierung, verneint aber im Gegensatz dazu selbst die Möglichkeit, den materiellen Grund der durch die besonderen persönlichen Merkmale vertatbestandlichten relativen Unrechtselemente auch nur auf diesen gemeinsamen Nenner zu bringen (S. 265).

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eines bestimmten Zustandes, der nicht willentlich vom Sondersubjekt herbeigefiihrt worden ist; in anderen Fällen hingegen ist eine zielgerichtete Herbeifiihrung des den Anknüpfungspunkt der Überantwortung bildenden Zustandes erforderlich. 36 Entsteht der fiir die Überantwortung maßgebliche Zustand willensunabhängig, so ist der innere Grund der Überantwortung in dem betreffenden Zustand selbst zu suchen: So kann bei der Untreue (§ 266) die Vermögensbetreuungsptlicht "kraft Gesetzes obliegen", wie etwa die der Eltern gegenüber ihren Kindern gemäß § 1626 Abs. 1 Satz 2 BGB, wobei die Überantwortung des Kindesvermögens an die Eltern Teil des umfassenden Sorgerechtsverhältnisses ist. - Die willentliche Herbeifiihrung des Zustandes, bei dessen Vorliegen die Rechtsgemeinschaft ein Wertobjekt dem Sondersubjekt überantwortet, kann auf mannigfache Weise geschehen: Durch die Annahme entgegengebrachten Vertrauens (§ 246 Abs. 2), durch das Tätigwerden als Arzt oder Rechtsanwalt (§ 203), durch Eintritt in das Beamtenverhältnis (§ 332) usw. 37 Weitere Erfordernisse können hinzukommen, wie z. B. bei der Bestellung zum Amtsträger nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 c ein besonderer öffentlich-rechtlicher Bestellungsakt, kraft dessen der Betroffene entweder eine über den einzelnen Auftrag hinausgehende längerfristige Tätigkeit zu übernehmen hat oder organisatorisch in die Behördenstruktur eingegliedert wird. 38 Insgesamt ist somit festzustellen, daß es ein allgemeingültiges Kriterium fiir das "Wann" der Überantwortung nicht gibt. Die Bedingungen, unter denen ein Rechtsgutsobjekt von der Rechtsgemeinschaft einer bestimmten Person überantwortet wird, richten sich jeweils nach der Art des Schutzobjekts und nach seinem Verhältnis zu dem betreffenden Subjekt; soweit ersichtlich, ist es bisher niemandem gelungen, sie in einer über die bisherige Untersuchung hinausreichenden rationalen Analyse auf einen kleineren gemeinsamen Nenner zu bringen. Maßgeblich ist in jedem Einzelfall allein das oben genannte Motiv, nämlich das von der Rechtsgemeinschaft erlebte Bedürfuis, dem Sondersubjekt eine spezifische Schutzaufgabe zu übertragen oder eine spezifische Verfiigungsmacht einzuräumen.

36 Hierbei geht es nicht um die Entstehung einer Sonderstellung, sondern um die der Überantwortung; so wird etwa eine Sonderstellung mit dem Eintritt in das Beamtenverhältnis begründet, die Überantwortung gemäß § 343 aber erst mit der Übernahme der amtlichen Funktion in dem konkreten Verfahren. 37 Sog. Willensmängel sind dementsprechend für die Wirksamkeit der Überantwortung nur in dem Umfang relevant, in dem es für die Überantwortung auf den Willen des Sondersubjekts überhaupt ankommt: Nur insoweit können Irrtum oder Zwang die Entstehung der Überantwortung verhindern, während selbst bei dieser zielgerichteten Herbeiführung ein geheimer Vorbehalt oder gar ein Erschleichen der Überantwortung in Mißbrauchsabsicht deren Wirksamkeit nicht berührt. - Zur Frage, ob die Überantwortung auch durch einen Nichtberechtigten erfolgen kann, vgl. für die Veruntreuung Maiwald, Zueignung, S. 209 f. 38 BGH JR 1998, 71 ff., mit zustimmender Anmerkung Otto.

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Diese Überantwortung ist die "Sonderbeziehung" zwischen einem "besonderen Subjekt" und einem "besonderen Wertobjekt". Damit sind die Begriffsmerkmale der Überantwortung benannt, die im folgenden zu erörtern sind. Mit welchem jener Merkmale man auch immer diese Erörterung beginnt, stets wird sie in methodischer Hinsicht nicht ganz befriedigen können, da keines der Merkmale sich ohne gleichzeitiges Verständnis der anderen sachgerecht darstellen läßt. Obwohl erst die Sonderbeziehung eine Person zum Sondersubjekt macht und aus dem gegenständlichen Bereich eines Rechtsgutes bestimmte Objekte "aussondert", d. h. obwohl so gesehen die Sonderbeziehung das logisch Primäre ist, sei dennoch aus Gründen der Anschaulichkeit die weitere Analyse der Überantwortung mit dem Merkmal "Sondersubjekt" begonnen. Sondersubjekt ist diejenige Person, der ein Rechtsgutswertobjekt überantwortet ist. Diese zunächst als selbstverständlich anmutende Feststellung ist wegen der in ihr enthaltenen negativen Aussage nicht unwichtig: Sondersubjekt ist nicht der Inhaber einer sozialen Sonderstellung; Sondersubjektivität und Sonderstellung sind somit scharf zu trennen. Die Sonderstellung ist ein gesellschaftlich institutionalisierter Bereich menschlichen Verhaltens, verbunden mit einem speziell diesem Status zugehörigen, regelmäßig fest umrissenen Kreis von Rechten und Pflichten; die jeweils in dem Sonderstatus befindliche Person hat diese Stellung meist über eine gewisse Dauer inne. Eine solche Sonderstellung ist beispielsweise die des Beamten, die des Richters, die des Rechtsanwalts, aber auch die des Ehegatten oder die des Zeugen. Die gegen den Sonderstatus gerichtete Verfehlung ist das Standesdelikt; seine Ahndung erfolgt, sofern sie von der Rechtsordnung vorgesehen ist, im Wege des Disziplinarstrafrechts. 39 Sondersubjektivität ist nicht nur nicht identisch mit dem Innehaben einer Sonderstellung, die Sondersubjektseigenschaft ist vielmehr vom Sonderstatus völlig unabhängig. Das Innehaben einer Sonderstellung ist tUr die Begründung des Sondersubjektscharakters weder erforderlich noch hinreichend: Sie ist nicht erforderlich, wie etwa das Beispiel der Veruntreuung (§ 246 Abs. 2) beweist; der Treunehmer ist zwar Sondersubjekt, da ihm ein Wertobjekt überantwortet ist, aber er hat nicht einen sozialen Sonderstatus inne, da das Anvertrauen einer Sache noch keine Sonderstellung in dem soeben aufgewiesenen Sinne konstituiert. Und umgekehrt ist die Sonderstellung zur Begründung der Sondersubjektivität auch nicht hinreichend; der Beamte, der Richter, der Anwalt hat jeweils einen besonderen Status inne, und doch unterscheidet sich etwa das Unrecht eines von 39 Weil jeder Sonderstatus innerhalb der Rechtsgemeinschaft mit einem spezifischen Rechts- und Ptlichtenkreis verbunden ist, ist er auch stets ein potentieller Anknüpfungspunkt filr ein Standes- oder Disziplinarstrafrecht. Dessen Abgrenzung von den Sonderverbrechen bereitete im älteren Schrifttum (vgl. Nagler, Sonderverbrechen, S. 24 ff., mit weiteren Nachweisen) deswegen große Mühe, weil einmal die Kreise der Deliktssubjekte weitgehend identisch sind und zum anderen auch die Rechtsfolgen ursprünglich vielfach identisch waren.

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diesen Personen begangenen Diebstahls nicht vom Unrecht eines sonstigen Diebstahls, d. h. keiner dieser Sonderstatusinhaber ist insoweit Sondersubjekt. 40 Sonderstellung und Sondersubjektivität sind eben begrifflich voneinander unabhängig. Das Sondersubjekt ist nie ein beliebiges Mitglied der Rechtsgemeinschaft, sondern stets eine konkrete Person, die aus der Gesamtheit der übrigen Rechtsunterworfenen durch die Tatsache der Überantwortung herausgehoben ist, wie etwa der Vater in bezug auf das Leben seines Kindes, der Arzt in bezug auf die Gesundheit seines Patienten, der Treunehmer in bezug auf die ihm anvertraute fremde Sache. Sondersubjekt ist, wie diese Beispiele weiter zeigen, auch eine bestimmte Person nie als solche, rur alle denkbaren Beziehungen, sondern immer nur in bezug auf ein bestimmtes Rechtsgutsobjekt. Die Sondersubjektivität reicht nicht weiter als die Überantwortung; der Eintritt in das Beamtenverhältnis etwa macht den Amtsträger zum Sondersubjekt in bezug auf die Reinheit der Amtsführung (§ 332), hingegen noch nicht in bezug auf fremde Körperintegrität (§ 340). Da aber auch die Überantwortung regelmäßig nach allgemeinen Prinzipien erfolgt, ist auch das Sondersubjekt meist durch gewisse generelle Merkmale gekennzeichnet. Wie sich aber selbst bei weitestgehender Verallgemeinerung die Sondersubjektivität nie losgelöst von der konkreten Überantwortung verstehen und feststellen läßt, so läßt sie sich ohne Einbeziehung der Überantwortung auch nicht begrifflich fixieren; wer beispielsweise Sondersubjekt einer Rechtsbeugung (§ 339) ist, kann nicht einer allgemeinen Statusbeschreibung ("Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter") entnommen werden, sondern läßt sich nur auf Grund einer genauen Analyse, wem jeweils die Rechtsgemeinschaft den betreffenden Wert überantwortet hat, ermitteln. Auch diese Untersuchung kann infolge des oben aufgewiesenen dialektischen Zusammenhangs der Elemente der Überantwortung nur dann zu einem abschließenden Ergebnis geruhrt werden, wenn zuvor der Gegenstand der Überantwortung präziser bestimmt, d. h. die Frage geklärt worden ist, was als Sonderobjekt von der Rechtsgemeinschaft überantwortet wird. Was "Sonderobjekt" ist, läßt sich ohne Bezug auf die Überantwortung selbst ebensowenig definieren wie zuvor die Sondersubjektivität. Unter Beachtung dieser Tatsache läßt sich zunächst feststellen, daß nicht ein Rechtsgut als solches, sondern immer nur einzelne Rechtsgutsobjekte Gegenstand der Überantwortung sein können; Sonderobjekt ist somit stets ein ganz konkreter Ausschnitt aus dem Bereich eines Schutzobjektes, also beispielsweise das Leben des eigenen Kindes (§ 221 Abs. 2), die sexuelle Selbstbestimmung der dem Betreuer anvertrauten Anstalts40 Damit erweist sich auch die "Stellung", wie bereits die "Situation", rur den Begriff des Sonderunrechts als unergiebig. Diese schillernden Ausdrücke, die trotz ihres äußersten Formalismus materielle Aussagen vortäuschen, sollte man in der Unrechtslehre nach Möglichkeit vermeiden.

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insassen (§ 174 a Abs. 2),41 die körperliche Integrität der der eigenen Obhut unterstehenden Schutzbefohlenen (§ 225 Abs. 1) oder die Reinheit der Amtsführung in dem eigenverantwortlich zu führenden Amtsbereich (§ 332).42 Diese Beschränkung auf einen Rechtsgutsausschnitt folgt bereits aus der notwendigen Voraussetzung des besonderen sozialen Einflußbereichs, der sich seiner Natur nach nur auf bestimmte einzelne Rechtsgutsobjekte erstreckt. Er fixiert damit zugleich die äußerste Grenze für das mögliche Vorliegen eines Sonderobjekts. Daß der gegenständliche Umfang der Überantwortung von Fall zu Fall verschieden ist, lassen bereits die vorstehenden Beispiele erkennen; der Bogen spannt sich hier von der Überantwortung eines einzigen Rechtsgutsobjektes, nämlich des Lebens, bis hin zu dem nur noch relativ abstrakt bestimmten Inbegriff von Verletzungsobjekten "Reinheit der Amtsführung in dem eigenverantwortlich zu führenden Amtsbereich" . Die genaue Abgrenzung des für das Sonderobjekt maßgeblichen Rechtsgutsausschnitts, also die exakte Bestimmung derjenigen Angriffsobjekte, in denen allein der in dem fraglichen Sonderverbrechen verfehlte Gemeinschaftswert verletzt werden kann, bereitet zuweilen erhebliche Schwierigkeiten: Dem Vater ist das Leben seines Kindes überantwortet - auch das seines Pflegekindes, seines Stiefkindes, seines Adoptivkindes, seines nichtehelich geborenen Kindes? Hier kann nur die Problematik dieser Abgrenzung aufgewiesen werden; die Entwicklung allgemeiner Kriterien für die Bestimmung dessen, was im Einzelfall jeweils Sonderobjekt ist, bleibt noch aufgegeben. Das Wesen der Überantwortung liegt in der zwischen Sondersubjekt und Sonderobjekt bestehenden Sonderbeziehung; im folgenden werden zunächst deren Merkmale und sodann ihr Einfluß auf den Unwert einer in diesem Verhältnis erfolgenden Rechtsgutsverletzung untersucht. Was Überantwortung ist, läßt sich leichter sagen, wenn man zuvor klärt, worin sie nicht besteht. Die Sonderbeziehung ist nicht selbst Schutzobjekt. Sie ist nicht einmal ein sittlicher Wert (und deshalb auch nicht verletzbar), wenngleich vielfach sittliche Werte die Überantwortung motiviert haben und daher bei einer Verletzung des Sonderobjekts ebenfalls verletzt werden, wie beispielsweise das Vertrauen bei der Veruntreuung (§ 246 Abs. 2). Überantwortung ist auch nicht Zuordnung zur freien Verfügung, wie sie die sog. Individualrechtsgüter kennzeichnet. Die Zuordnungen dieser Schutzobjekte zu einem Gutsträger durch die Rechtsgemeinschaft hat zur Folge, daß sein Verhalten in bezug auf diese Objekte deren Gebrauch, aber keine Rechtsgutsverletzung darstellt, wohingegen der Eingriff in ein überantwortetes Wertobjekt iminer eine Rechtsgutsverletzung ist. Andererseits ist die Zur Konkretisierung vgl. Laubenthai, Gössel-Festschrift, S. 363 f. Wo eine Tat sich gegen ein nicht in einen derartigen Ausschnitt fallendes Verletzungsobjekt richtet, fehlt es bereits arn Sonderobjekt, und das Vorliegen des relativen Unrechtselementes ist ohne weitere Prüfung zu verneinen. 41

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Ähnlichkeit zwischen einer solchen Zuordnung und einer durch Überantwortung eingeräumten VerfUgungsmacht unverkennbar: Auch das einem Gutsträger zugeordnete Verletzungsobjekt bleibt gewissen Bindungen unterworfen, die im geringsten Fall seine mißbräuchliche Nutzung ausschließen, aber auch erheblich weitergehende Beschränkungen auferlegen können; selbst "Eigentum verpflichtet" (Art. 14 Abs. 2 GG), und die geltenden Einschränkungen der körperlichen Integrität und der persönlichen Freiheit bedürfen keines detaillierten Nachweises. Umgekehrt gibt es Fälle, in denen eine Überantwortung nur mit Mühe als solche erkannt und so von einer Zuordnung zur freien Verrugung unterschieden werden kann; so wird man etwa die von der Indemnität (§ 36) gedeckte unwahre ehrenrührige Behauptung nicht ohne jeden Widerspruch als Sonderobjektsverletzung (anstatt als Nutzung durch den Gutsträger, ähnlich wie bei einer ehrenrührigen Äußerung im engsten Familienkreis) kennzeichnen können. Trotz dieser gemeinsamen Berührungspunkte sind Überantwortung und Zuordnung zur freien Verrugung begrifflich scharf zu trennen. Die als Überantwortung charakterisierte Sonderbeziehung zwischen einem Sondersubjekt und einem Sonderobjekt hebt beide aus der Gesamtheit der Rechtsgenossen und Rechtsgutsobjekte heraus, indem sie der in dieser Beziehung stehenden Person eine spezifische VerfUgungsmacht über das Rechtsgutsobjekt verleiht oder ihr eine spezifische Schutzaufgabe hinsichtlich dieses Objekts überträgt. Die Sonderbeziehung beeinflußt den Unwertgehalt einer vom Sondersubjekt vorgenommenen Rechtsgutsverletzung. Zur Verdeutlichung dieser Modifizierung im Normativen sei nochmals die Struktur des Sonderunwertes vor Augen geruhrt: Eine gewisse Rechtsgutsverletzung (ein Gemeinunwert) wird in ihrem Unwertpegel dadurch gehoben oder gesenkt, daß sie von einer Person begangen wird, der das betreffende Rechtsgutsobjekt überantwortet ist. Die Unterschlagung einer Sache durch einen beliebigen Täter (§ 246 Abs. 1) beispielsweise ist ein Unwert von einem bestimmten Gewicht (absolutes Unwertelernent); verglichen hiermit wiegt die gleiche Unterschlagung bei Begehung durch einen Treunehmer (§ 246 Abs.2) schwerer (relatives Unwertelernent). Die Überantwortung prägt somit entscheidend den Unwertgehalt einer Sonderobjektsverletzung. Wie das absolute und das relative Unwertelement bei der Begründung des Sonderunwertes zusammenwirken, wird noch im einzelnen zu untersuchen sein. Hierzu läßt sich zunächst feststellen, daß das jeder Wertbeachtung zugrunde liegende Verhältnis von Verletzungsverbot und Erhaltungsgebot durch die Sonderbeziehung nicht verändert wird. Es ist allgemein anerkannt, daß der Achtungsanspruch eines Rechtsgutes jegliche Verletzung untersagt, daß er aber im Unterschied zu diesem umfassenden Angriffsverbot nur in sehr beschränktem Umfang Förderungspflichten begründet. Dieses Phänomen läßt die Sonderbeziehung unberührt; die Überantwortung ergreift es in seiner Gesamtheit und hebt oder senkt das Unwertniveau einer solchen Wertverfehlung unabhängig davon, ob diese durch ein Tun oder durch ein Unterlassen erfolgt. Des weiteren

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kann festgestellt werden, daß die Sonderbeziehung nicht in allen Fällen gleichen Anteil am Gesamtunwert hat; das Gewichtsverhältnis von absolutem und relativem Unwertelement ist von Delikt zu Delikt verschieden. So ist die Sonderbeziehung bei einem amtlichen Anvertrautsein an einen Amtsträger intensiver als bei einem privaten, und dementsprechend ist bei Verwahrungsbruch bezüglich der gleichen Sache (also bei gleichem absoluten Unwertelernent) der Unrechtsgehalt eines Verwahrungsbruchs im Amt (§ 133 Abs.3) größer als der eines einfachen Verwahrungsbruchs (§ 133 Abs. 1). Die Möglichkeit zu derartigen Unterschieden im Verhältnis der Sonderunwertelemente zueinander ist eben bereits in der "Ambivalenz" der Überantwortung angelegt. Sie bewirkt nicht nur, daß die Sonderbeziehung das Unwertniveau einer Rechtsgutsverletzung überhaupt in entgegengesetzter Richtung variieren - nämlich sowohl heben als auch senken - kann, sondern sie bewirkt zugleich, daß die relativen Unwertelemente hinsichtlich ihres Einflusses auf den Gesamtunwert eine gleitende Skala bilden, die von einem Maximum an Unwertsteigerung über völlig geringtUgige Gemeinunwertmodifizierungen bis zur maximalen Unwertminderung reicht. Dieses hinsichtlich der Unwertgestaltung wichtigste Merkmal der Sonderbeziehung leitet vom Begriff zu den im folgenden Unterabschnitt zu behandelnden Arten des Sonderunwertes über. dd) Die Arten der relativen Unwertmodifizierung Nachdem der besondere soziale Einflußbereich als Voraussetzung und die Überantwortung als Wertsubstrat der relativen Unwertmodifizierung erkannt worden sind, sind nunmehr ihre bei den Arten, nämlich die Unwertsteigerung und die Unwertminderung, näher zu betrachten. Gegenstand der folgenden Untersuchung ist also, wie die Überantwortung den Unwertgehalt einer Rechtsgutsverletzung in entgegengesetzten Richtungen verändern kann. Diese Ambivalenz der Überantwortung ist anderweitig in der Strafrechtswissenschaft bisher noch nicht aufgewiesen worden. Ursächlich hiertUr ist nicht zuletzt die unkritisch allen Erörterungen dieses Problemkreises zugrunde liegende Ansicht, daß sich auch der Unrechtsgehalt des Sonderverbrechens mit den Gemeinunwertkategorien erschöpfend erfassen lasse. Bei dieser Prämisse konnte die Ambivalenz der Sonderbeziehung - und damit das Vorhandensein zweier Arten von Sonderunwert - gar nicht in den Blick kommen, da sich zu der Unwertsteigerung, die man als Verletzung eines zusätzlichen "Sonderrechtsgutes" konstruieren zu können vermeinte, auf diese Weise keine Entsprechung im Bereich des relativ geminderten Unwertes bilden ließ. Daß die Ambivalenz der Überantwortung verkannt wurde, mag zum anderen auch darin begründet sein, daß nur die Überantwortung als solche, nicht aber die einzelne konkrete Sonderbeziehung ambivalent ist. Letztere ist stets auf eine

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Unwertmodifizierung in einer bestimmten Richtung festgelegt, d. h. entweder steigert sie den Unwertgehalt der zugrunde liegenden Rechtsgutsverletzung oder aber sie mindert ihn. So wird etwa dem Ehegatten mit der Überantwortung des Lebens seines Ehepartners ausschließlich eine Schutzaufgabe übertragen, die Verletzung dieses Sonderobjekts fUhrt also stets zu einer Unwerterhöhung,43 während ihm beispielsweise mit der Überantwortung des Eigentums seines Ehepartners eine spezifische VerfUgungsmacht eingeräumt wird, auf Grund welcher bei einer Verletzung dieses Sonderobjekts der Unwert relativ gemindert ist. 44 Welcher Art die Sonderbeziehung im Einzelfall ist, ob also dem Sondersubjekt eine spezifische Schutzaufgabe übertragen oder eine besondere Verfiigungsmacht eingeräumt wird, das ist ebenso wie das Ob der Überantwortung eine Wertentscheidung der betreffenden Rechtsgemeinschaft und kann daher auch nur auf Grund der Teilhabe an diesem WerterIeben nachvollziehend ennittelt werden. Das ist in den soeben angefUhrten Beispielen geschehen. Im übrigen ist jene Wertentscheidung vom Wertbewußtsein der Gemeinschaft abhängig und daher nicht unveränderlich. So könnte ein möglicher Wandel des Wertbewußtseins nicht nur zur Aufhebung der jeweiligen Überantwortung fUhren - in diesem Falle stünde, um beim vorstehenden Beispiel zu bleiben, der eine Ehegatte dem Leben und dem Eigentum seines Ehepartners genauso beziehungslos gegenüber wie dem Leben und dem Eigentum eines beliebigen Dritten -, sondern er könnte sogar ein Umschlagen in die jeweils entgegengesetzte Art der Sonderbeziehung bewirken - also etwa unter Ehegatten den Unwert eines Angriffs auf das Leben vennindern, hingegen den Unwert einer Eigentumsverletzung erhöhen. Im folgenden sollen nun, ausgehend von den gegenwärtig herrschenden Wertanschauungen, beide Arten der relativen Unwertmodifizierung kurz beleuchtet werden. Das Rechtsphänomen der relativen Unwertsteigerung ist der Sache nach im strafrechtlichen Schrifttum wiederholt angesprochen worden. Daß beispielsweise die Veruntreuung (§ 246 Abs. 2) einen höheren Unwertgehalt aufweist als die einfache Unterschlagung (§ 246 Abs. 1) oder die Bestechlichkeit (§ 332) einen höheren Unwertgehalt als die Bestechung (§ 334), ist nie ernsthaft bestritten worden. Da somit die Möglichkeit einer nur in bezug auf bestimmte Personen erfolgenden Unwertsteigerung der Strafrechtswissenschaft geläufig ist, bedarf es hier lediglich einer Abgrenzung von anderen Arten der Erhöhung des Unrechtsgehaltes. Die hier gemeinte Art des Sonderunwertes muß zunächst unter43 Dieses wird in der Strafbarkeit des Garantenunterlassungsdelikts deutlich; vgl. etwa BGHSt 2, 150 ff. 44 Von einer solchen Unwertminderung dürfte beim Diebstahl unter Ehegatten auch nach der gegenwärtigen Rechtslage auszugehen sein, obwohl der Gesetzgeber bei der Umgestaltung des § 247 in ein Antragsdelikt die frühere Vertatbestandlichung in einem Sonderrechtsdelikt beseitigt hat, so daß der relativ geringere Unwert derzeit nur bei der Strafzumessung berücksichtigt werden kann.

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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schieden werden von der Unwertsteigerung durch Addition von Rechtsgutsverletzungen; so kommt etwa beim Raub zum Unwert des Diebstahls der als Mittel eingesetzte Angriff auf die Freiheit hinzu (wobei auch hier das Ganze mehr ist als die Summe der Teile). Ferner muß die relative Unwerterhöhung von denjenigen Arten größeren Unrechts unterschieden werden, bei denen die Unwertsteigerung entweder in der Verletzung eines wertvolleren Rechtsgutes (etwa des Lebens anstelle der körperlichen Integrität) oder in einer intensiveren Art der Verletzung (beispielsweise zielgerichtet anstelle von unbewußt) begründet ist. Hierbei handelt es sich ausnahmslos um schwereres Gemeinunrecht, während die Erhöhung des Unrechtsgehaltes beim Sonderverbrechen gerade nicht in einer Addition von Gemeinunwerten oder in einer im Vergleich zum Ausgangsfall gravierenderen Rechtsgutsverletzung besteht, sondern auf der Überantwortung beruht. Auf der Überantwortung beruht auch die entgegengesetzte Art relativer Unwertmodifizierung, die Unwertminderung. Im Unterschied zur relativen Unwertsteigerung ist sie in der Strafrechtswissenschaft auch der Sache nach noch nicht als eine Art des Sonderunrechtsgehaltes erkannt worden. Das Phänomen der unwertmindernden Sonderbeziehung ist aber nun einmal vorhanden und bedarf der begrifflichen Fassung durch die Strafrechtsdogmatik: Denn Rechtsgutsverletzungen, bei denen die Überantwortung in bezug auf bestimmte Personen zu einem partiellen Unwertausschluß fUhrt, sind im Strafgesetzbuch vertatbestandlicht. Und noch mehr sind nur deshalb nicht vertatbestandlicht, weil das betreffende Verhalten wegen der hochgradigen Unwertminderung nicht mehr strafwUrdig ist; sie müssen aber gleichwohl bei der Auslegung der entsprechenden Gemeindeliktstatbestände berücksichtigt werden, da sie deren Geltungsbereich hinsichtlich der Deliktssubjekte einschränken. Zur letzten Gruppe gehören beispielsweise der Selbstmord und gewisse Arten der Selbstverletzung. So beruht die Straflosigkeit des Selbstmordes entgegen einer vereinzelt vertretenen Ansicht45 nicht etwa darauf, daß der Gesetzgeber den Mangel der nötigen Schuld unwiderleglich vermutet, sondern es fehlt bereits an dem rur die Strafwürdigkeit erforderlichen Unrechtsgehalt. 46 Schon der Umstand, daß die sittliche Bewertung der Selbsttötung - in deutlichem Gegensatz zur Bewertung der Verletzung fremden Lebens - überhaupt Anlaß zu Zweifeln und sogar Meinungsverschiedenheiten gegeben hat, erweist den zwischen beiden Sachverhalten bestehenden Unwertunterschied. Da trotz jener ungleich milderen Beurteilung das Sittengesetz jeden Selbstmord streng mißbilligt,47 liegt hier ein nur teilweiser und nur den· Selbstmörder betreffender Unwertausschluß vor; der Selbstmord ist somit exemplarisch fUr die auf der Überantwortung beruhende 45 Vgl. etwa Zimmert, Aufbau des Strafrechtssystems, S. 58. 46 Ebenso Bringewat, ZStW Bd. 87, 646. 47 So treffend BGHSt 6, 153.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Unwertminderung. Ebensowenig wie über sein Leben hat der Einzelne die volle Verfiigungsbefugnis über seine körperliche Integrität. Die schwere Selbstverletzung ist sozial ethisch verwerflich,48 wenn auch von geringerem Unwert als die gleich schwere Verletzung eines Dritten. Auch insoweit läßt sich die relative Unwertminderung nur als Folge der Überantwortung erklären. - Zur ersten Gruppe, den strafgesetzlich vertypten Rechtsgutsverletzungen mit relativ gemindertem Unwert, sind diejenigen ehrverletzenden Äußerungen zu rechnen, auf die sich die Indemnität erstreckt (§§ 185, 186; Art. 46 Abs. 1 GG, § 36). Und da die rechtlich relevante Sonderbeziehung, wie schon mehrfach betont wurde, von der Begehungsart unabhängig ist, d. h. jegliches überantwortete Schutzobjekt grundsätzlich sowohl tätig als auch unterlassend verletzt werden kann, ist es naheliegend, daß sich auch solche Unwertminderungen im Strafgesetz finden, die als Unterlassungsdelikt vertatbestandlicht sind. So sind etwa gewisse Unterlassungen von Verbrechensanzeigen wegen ihres relativ verminderten Unrechtsgehaltes ausdrücklich von der Strafbarkeit ausgenommen (§ 139 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2/9 . Die bisherige Erfassung dieser Art des Sonderunwertes mittels der Kategorie des "persönlichen Strafausschließungsgrundes" ist höchst unbefriedigend. In Anbetracht der derzeit in der Strafrechtswissenschaft vertretenen Verbrechenssysteme, in denen die Sirafwürdigkeit überwiegend noch nicht als selbständiges Straftatelement anerkannt ist, bildet die Kennzeichnung der vorstehend angeführten Beispiele gesetzlich typisierter Unwertminderung als "persönliche Strafausschließungsgründe" eine unzulässige Umgehung der dogmatischen Aufgabe; das Problem der Einordnung dieser Sachverhalte in das Verbrechenssystem wird dadurch nicht gelöst, sondern vernebelt. Denn dieser Terminus bezeichnet jedenfalls in der herrschenden Verbrechenslehre lediglich eine Negation; er besagt nur, daß jene Unwertminderungen nicht dem Unrecht und nicht der Schuld zugehören. Diese Feststellung ist zudem unzutreffend. Das wird deutlich, wenn man die im Schrifttum vorgetragenen Begründungen überprüft, 48 Strafbar sind allerdings nur diejenigen Formen der Selbstverstümmelung, in denen diese als Mittel zur Verletzung fremder Werte eingesetzt wird, wie bei der Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung (§ 109). 49 Entgegen dem Wortlaut dieser Vorschriften ("nicht verpflichtet") wird man nicht davon ausgehen dürfen, daß die betreffenden Sondersubjekte keine Rechtspflicht zur Anzeige haben, die Unterlassung also nicht rechtswidrig ist; denn die Annahme, daß etwa ein Geistlicher einen bevorstehenden Mord weder anzuzeigen noch sich ernsthaft um seine Verhinderung zu bemühen brauche, würde jeder vernünftigen Grundlage entbehren und insbesondere nicht aus dem Sinn der Privilegierung dieses Personenkreises zu erklären sein. Die gegenüber der Privilegierung Angehöriger (§ 139 Abs. 3 Satz I: "straffrei") abweichende Terminologie steht dem nicht entgegen; sie bringt lediglich mit den dem Gesetzgeber bei Erlaß dieser Vorschrift geläufigen Begriffen die zwischen beiden Sachverhalten bestehende Unwertdifferenz zum Ausdruck (verminderte Schuld bei den Angehörigen, vermindertes Unrecht bei den Sondersubjekten) und kennzeichnet dabei treffend den höheren und den niedrigeren Unwertgehalt.

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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die jene These stützen sollen. 50 Das gilt fiir alle der oben angefiihrten Beispiele relativ geminderten Sonderunwertes. Es handelt sich bei ihnen ausnahmslos nicht um "persönliche Strafausschließungsgründe" in dem Sinne, in dem allein diese Kategorie systematisch fruchtbar sein kann, nämlich eben nicht um Fälle eines selbständigen Strafwürdigkeitsausschlusses, sondern jeweils um einen bei Begehung durch bestimmte Personen verringerten Unrechtsgehalt. Diese Unwertminderung beruht auf der spezifischen Verfiigungsmacht, die dem betreffenden Sondersubjekt über das von ihm verletzte Sonderobjekt eingeräumt ist. "Spezifisch" bedeutet relativ und beschränkt: Relativ ist diese Verfiigungsmacht insofern, als sie nur dem Sondersubjekt und jeweils nur in bezug auf das Sonderobjekt verliehen worden ist, und sie ist beschränkt, da sie die wertverletzende Verfiigung nicht rechtfertigt, sondern nur den Unwert eines solchen trotz dieser Verfiigungsmacht unerlaubten - Verhaltens mindert. Damit ist bereits angedeutet, inwiefern die so bestimmte relative Unwertminderung noch der genaueren Abgrenzung bedarf: 51 Der relativ verringerte Sonderunwert ist scharf zu unterscheiden von den übrigen Arten bloßer Unrechtsminderung, nämlich insbesondere von dem nur partiellen materiellen Gemeinunrechtsausschluß und von der nur teilweisen Gemeinunrechtsbegründung. Jene Gemeinunrechtsminderung gibt es somit in zwei Formen. Da ist zunächst der partielle Unrechtsausschluß nach dem allgemeinen materiellen Rechtfertigungsprinzip der Güterabwägung: Wird ein höherwertiges Gut zur Erhaltung eines geringerwertigen verletzt, also etwa eine Körperverletzung (§ 223) zur Vermeidung einer drohenden Sachbeschädigung (§ 303) begangen, dann ist diese Tat zwar unerlaubt, aber ihr Unrechtsgehalt ist auf Grund der zugleich erfolgenden Werterhaltung geringer, als er ohne diese gewesen wäre. Diese Art der Unwertminderung läßt sich nicht nur aus dem Prinzip des materiellen Unrechtsausschlusses ableiten, sie hat vielmehr auch in zahlreichen Straftatbeständen Ausdruck gefunden. Ein Beispiel hierfiir war der Zweikampf(§§ 201 ff. der bis zum 31. 8. 1969 geltenden Fassung), der aus den Vorschriften über die Tötung und Körperverletzung herausgenommen und unter mildere Strafdrohung gestellt worden war, weil hier die Verletzungen der Rechtsgüter Leben und körperliche Integrität um des Gemeinschaftswertes "Ehre" willen erfolgten; und es war nur konsequent, daß allein die allgemeinen Vorschriften anzuwenden wa-

50 V gl. hierzu in der Erstauflage, S. 417 ff., den detaillierten Nachweis, daß es sich beim Diebstahl unter Ehegatten um einen relativ verringerten Unrechtsunwert und nicht lediglich um einen persönlichen Strafausschließungsgrund handelte. Ebenso Bringewat, ZStW Bd. 87,647. 51 Unproblematisch ist hingegen die Abgrenzung der relativen Unwertminderung von den auf ein einzelnes Delikt beschränkten Rechtfertigungsgründen, wie z. B. der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193): Sie sind zwar ebenso wie das relative Rechtsverhältnis auf eine bestimmte einzelne Wertverletzung bezogen, rechtfertigen diese aber - im Gegensatz zu ihm - vollständig.

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ren, sobald der Zweikampf unehrenhaft gefilhrt wurde und damit die unrechtsmindernde Wertbejahung entfiel (§ 207 der bis zum 31. 8. 1969 geltenden Fassung). Aus den als Unterlassungsdelikt vertypten Minderungen des Gemeinunwertes seien als Beispiel diejenigen unterlassenen Hilfeleistungen (§ 323 c) genannt, die in Erfilllung "anderer wichtiger Pflichten" unterbleiben - widerrechtlich unterbleiben, denn gerechtfertigt ist immer nur die Erfilllung wichtigerer Pflichten -, die aber gleichwohl wegen des geringeren Unrechts nicht bestraft werden. Bei allen diesen unvollständigen Unrechtsausschließungen wird die betreffende Tat nicht gerechtfertigt, sondern es wird lediglich ihr Unwertniveau herabgesetzt; im Unterschied zur relativen Unrechtsminderung erfolgt hier jedoch der partielle Unrechtsausschluß nach dem Güterabwägungsprinzip.s2 Die zweite Form der Gemeinunrechtsminderung, gegenüber der der relativ verringerte Sonderunwert der klaren Abgrenzung bedarf, ist die unvollständige Gemeinunwertbegründung auf Grund teilwirksamer Einwilligung. Die Einwilligung ist ein Fall des Gebrauchs einer durch Zuordnung verliehenen Nutzungsbefugnis seitens des Berechtigten; es handelt sich bei der Einwilligung also nicht um eine Art des Unrechtsausschlusses, sondern sie hindert bereits die Unrechtsbegründung. Der Umfang der mit der Zuordnung verliehenen Verfilgungsbefugnis ist jedoch bei den einzelnen Rechtsgutsobjekten unterschiedlich. Nun gibt es Fälle, in derien die Einwilligung den mit der Zuordnung gesteckten Rahmen der Verfilgungsbefugnis überschreitet. Gleichwohl ist eine solche Einwilligung in bezug auf den Unwertgehalt einer derartigen Tat nicht irrelevant; zwar hindert sie die Unrechtsbegründung nicht in vollem Umfang - das betreffende Rechtsgut wird eben verletzt -, aber doch insoweit, wie die Wirksamkeit der Einwilligung reicht. Um eine solche partielle Unrechtsbegründung handelt es sich immer dann, wenn der in die Verletzung einwilligende Rechtsgutsträger nicht die volle Verfilgungsbefugnis über das Verletzungsobjekt hat. 53 Eine derartige Teilbegründung des Unrechtsunwertes einer bestimmten Rechtsgutsverletzung ist in einigen Straftatbeständen im Gesetz selbst als jeweils eigenständiges Delikt vertypt worden. So ist etwa das Unrecht der Tötung auf Verlangen (§ 216) geringer als das des Totschlags (§ 212). Müssen diese nur partiellen Gemeinunrechtsbegründungen auf Grund teilwirksamer Einwilligung auch scharf von den Fällen des relativ geminderten Sonderunwertes unterschieden

52 Dieser partielle Gemeinunrechtsausschluß ist deshalb auch - im Gegensatz zur relativen Unrechtsminderung - bei allen Verletzungen aller Rechtsgüter grundsätzlich möglich. 53 Eingehend hierzu inzwischen Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 242 ff. (mit zahlreichen Nachweisen S.243 Fn. 114 zur Beurteilung des § 216 als Fall der Unrechtsminderung); Duo, Bes. Teil, § 6 Rn. 1; Lackner/Kühl, StGB, § 216 Rn. I; Bringewat, ZStW Bd. 87, 645 f. - Die Frage, ob in diesen Fällen die Selbstverletzungsbefugnis weiter reicht als die Befugnis, Verletzungen durch Dritte zu gestatten (man denke etwa an §§ 223, 228), braucht hier nicht beantwortet zu werden.

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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werden, so fördern sie andererseits doch zugleich das Verständnis dieses Phänomens: Die Rechtsfigur des Verbrechens mit relativ gemindertem Unrechts gehalt ist der Strafrechtswissenschaft bisher nicht bekannt; aber die Möglichkeit einer solchen Begriffsbildung ist sogleich evident, wenn man überhaupt erst einmal die Existenz von Straftaten mit verringertem Unrechts gehalt erkannt hat, wie es im Schrifttum schon mehrfach, und zwar gerade anhand jener vertatbestandlichten Unrechtsminderungen auf Grund teilwirksamer Einwilligung, geschehen ist. 54 - Der Unterschied zwischen diesen beiden Arten des verminderten Unrechtsgehaltes läßt sich abschließend dahingehend kennzeichnen, daß die nur partielle Unrechtsbegründung infolge teilwirksamer Einwilligung zu einem geminderten Gemeinunwert fUhrt, während bei den Sonderverbrechen mit relativ verringertem Unrechtsgehalt die Minderung gerade nicht auf einer nur teilweisen Unwertbegründung, sondern auf der Einräumung einer spezifischen Verfilgungsmacht über das verletzte Wertobjekt, d. h. auf dessen "Überantwortung", basiert. Damit ist dargelegt, wie die Überantwortung den Unwertgehalt einer Rechtsgutsverletzung durch die Übertragung einer spezifischen Schutzaufgabe oder durch die Einräumuilg einer spezifischen Verfilgungsmacht in entgegengesetzter Richtung ändern kann. Das Ergebnis dieser Modifizierung sind die Arten des Sonderunwertes: der relativ gesteigerte und der relativ geminderte Unrechtsgehalt. ee) Die Aspekte des Sonderunrechtsgehaltes Wie beim Gemeinunrechtsgehalt, so lassen sich auch beim Sonderunwert der sachliche und der personale Aspekt unterscheiden. Man kann die Verfehlung des Sondersubjekts sowohl im Hinblick auf die in ihren Gütern verletzte Rechtsgemeinschaft als auch im Hinblick auf das seine Pflicht zur Achtung dieser Güter verletzende Sondersubjekt betrachten. Diese doppelte Blickrichtung ist nicht nur möglich, sondern sie ist notwendig. Das Sonderunrecht ist Unrecht, und als solches läßt es sich in seinem Gehalt wie auch in seiner dogmatischen Funktion nur dann sachgerecht erfassen, wenn man es sowohl unter dem sachlichen als auch unter dem personalen Aspekt betrachtet. Aber der Sonderunwert bedarf der zweifachen Perspektive nicht allein aus diesem Grunde. Sie ist vielmehr filr die systematische Einordnung des Sonderunrechtsgehaltes auch deswegen erforderlich, weil insoweit zusätzlich Meinungsverschiedenheiten sowohl terminologischer als auch inhaltli54 Vgl. etwa Kern, ZStW Bd. 64, 285; Hardwig, GA 1954, 260; Noll, ZStW Bd. 68, 193 f., und SchweizZStr. Bd. 80, 170. Zahlreiche weitere Nachweise nunmehr bei Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 238 Fn. 92.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

cher Art in der Strafrechtswissenschaft aufgetreten sind, die nunmehr geklärt werden müssen und die nur durch die Betrachtung des Sonderunwertes unter beiden Aspekten geklärt werden können: So suggeriert beispielsweise der gebräuchliche Terminus "Sonderpflichtverletzung", daß das Sonderunrecht durch ein additives personales Unrechtselement gekennzeichnet sei, und rur die Vertreter dieser Auffassung 55 stellt sich alsbald die systematische Frage, ob an solchem nur personalen Unrecht Teilnahme möglich ist. 56 Auch den Sonderunrechtsgehalt muß man folglich sowohl unter dem sachlichen als auch unter dem personalen Aspekt betrachten. Wenn man nun rückblickend fragt, wie vorstehend bei der Entwicklung der elementaren Begriffe des Sonderunwertes verfahren worden ist, so erkennt man, daß stillschweigend die Kategorien des sachlichen Aspektes des relativen Unrechtselementes zugrunde gelegt worden sind. Insofern handelt es sich nur um eine Wiederholung, wenn hier festgestellt wird, daß die Überantwortung das Unwertniveau einer Rechtsgutsverletzung hebt oder senkt57 und daß das relative Rechtsverhältnis zwischen dem Sondersubjekt und dem Sonderobjekt damit auch den sachlichen Unrechts gehalt modifiziert. Diese wiederholende Feststellung ist jedoch aus terminologischen und rechtsinhaltlichen Gründen unumgänglich: Die verbreitete Charakterisierung des relativen Unrechtselementes als "Sonderpflichtverletzung" deutet nämlich auf das Gegenteil und ist zudem in mehrfacher Hinsicht ergänzungs- und berichtigungs bedürftig. Denn einmal erfaßt sie nicht den Gesamtbereich des Sonderunwertes, sondern sie bezieht sich nur auf einen Ausschnitt, nämlich auf die auf der Überantwortung beruhende Unwertsteigerung. Ist jene Kategorie somit schon deshalb zur generellen Kennzeichnung des Sonderunwertes ungeeignet, so benennt sie ihn selbst in dem von ihr erfaßten Teilbereich unzutreffend, da sie die Verletzung einer eigenständigen zusätzlichen Pflicht - außer der Pflicht zur Achtung des Rechtsgutes - vorspiegelt, die gar nicht existiert und die es schon allein deswegen überhaupt nicht geben kann, weil sich kein weiteres Schutzobjekt neben dem verletzten Rechtsgut aufweisen läßt, auf das jeweils die angeblich verletzte Sonderpflicht bezogen sein könnte. Und schließlich ist die Kennzeichnung des relativen Unrechtselementes als "Sonderpflichtverletzung" insoweit unvollständig, als sie die in jedem Sonderunwert zugleich enthaltene Modifizierung auch des sachlichen Unrechtsaspektes nicht zum Ausdruck bringt. - Diese Mängel der Charakterisierung des Sonderunwertes als "Sonderpflichtverletzung" werden nun allerdings nicht dadurch Vgl. hierzu die Auseinandersetzung Hardwigs mit Welze!, GA 1954, 66. Richtig lautet diese Frage, ob am Sonderunrecht Teilnahme möglich ist; mit dieser Frageänderung wechselt natürlich nicht nur die Benennung des Problems, sondern entgegen dem ersten Anschein - das Problem selbst. 57 Im Ergebnis nicht anders, als etwa eine Änderung der Verletzungsart den Unrechtsgehalt einer Tat abwandelt (vgl. beispielsweise die Diebstahlsarten der §§ 242, 244 Abs. I, 248 a). 55

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behoben, daß man das relative Unrechtselement als "Sonderrechtsgutsverletzung" zu begreifen versucht, wie es im Schrifttum mehrfach geschehen ist; denn eine solche Kennzeichnung wäre im wesentlichen den gleichen Einwendungen ausgesetzt, insbesondere der Kritik daran, daß sie in gleicher Einseitigkeit den Anschein einer Modifizierung nur des sachlichen Unrechts gehaltes erweckt. Der richtige Kern dieser verbreiteten Ansicht liegt in dem Hinweis auf die Umgestaltung auch des sachlichen Unrechts durch das relative Unrechtselement, nur wird diese Tatsache mit dem einzigen darur überkommenen, aber ungeeigneten Begriff der besonderen "Rechtsgutsverletzung" zum Ausdruck gebracht. Der Sonderunwert entsteht somit weder durch eine Sonderpflicht-, noch durch eine Sonderrechtsguts verletzung, sondern er beruht auf der Überantwortung, und diese kann, mag sie den betreffenden UnwertgehaIt nun steigern oder mindern, auch unter dem sachlichen Unrechtsaspekt betrachtet werden, 58 so wie es bei der vorstehenden Entwicklung der Begriffsmerkmale des Sonderunwertes geschehen ist. Die bisherigen Darlegungen zum Sonderunwert bedürfen somit nur noch der Ergänzung durch seine Betrachtung unter personalem Aspekt, d. h. im Blick auf das verletzende Sondersubjekt. Voraussetzungen, Wertsubstrat und Merkmale der rechtlich relevanten Sonderbeziehung werden durch diese Änderung der Perspektive naturgemäß nicht berührt. Die "Überantwortung" umgreift den personalen ebenso wie den sachlichen Unrechtsaspekt; sie steigert oder mindert die Dringlichkeit der vom Sondersubjekt verletzten sittlichen Pflicht und modifiziert dadurch den Unwertgehalt der Pflichtverletzung ebenso wie den der Rechtsgutsverletzung. Dieses vollkommene Korrespondieren der sachlichen und der personalen Unrechtsmodifizierung ergibt sich begriffsnotwendig aus der Identität des Gegenstandes, der hier lediglich unter verschiedenem Blickwinkel betrachtet wird, nämlich des Sonderunwertes. In dessen personalem Aspekt, der "Sonderpflichtverletzung,,59, sind deutlich die beiden konstituierenden Elemente unterscheidbar: die in ihrem Unwertgehalt durch den begangenen Schutzobjektsangriff bestimmte Gemeinpflichtverletzung (etwa der Zueignung einer fremden Sache) und die auf der Überantwortung beruhende Dringlichkeitssteigerung oder -minderung der verletzten Pflicht (etwa dadurch, daß die Sache dem Täter anvertraut ist oder seinem Ehegatten gehört), die personale Unwertmodifizierung. Dieses letztere, relative Element des im Blick auf das Sondersubjekt betrachteten Sonderunwertes besteht selbst nicht in der Verlet-

58 Unbeantwortet bleiben muß hier die Frage, warum historisch beim Gemeinunrecht zuerst der sachliche, beim Sonderunrecht hingegen zuerst der personale Unrechtsaspekt erkannt worden ist. 59 Dieser Ausdruck wird hier in einem neuen, eindeutig definierten Sinn verwendet: "Sonderpflichtverletzung" ist der personale Aspekt des Sonderunwertes.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

zung einer zusätzlichen Pflicht,60 was sich bereits aus der Möglichkeit einer relativen Minderung des Unwertgehaltes ergibt; vielmehr handelt es sich um eine auf der Überantwortung basierende Sonderbeziehung, die das Unwertniveau der vom Sondersubjekt begangenen Pflichtverletzung hebt oder senkt und so ein zwar unterscheidbares, aber doch unselbständiges Element des Sonderunwertes bildet. Der Begriff des Sonderunwertes ist mit der vorstehenden Betrachtung seines Gehaltes unter dem sachlichen und dem personalen Aspekt abschließend bestimmt. Das Sonderunrecht als Sachelement des Sonderverbrechens besteht aus diesem Unwertgehalt und einem formellen Moment, das nunmehr zu untersuchen und zu definieren ist. b) Das Spezifische der Rechtsnormwidrigkeit im Sonderunrecht

Der Sonderunwert allein begründet kein Sonderunrecht. Das Sonderunrecht ist Unrecht und muß folglich dessen Merkmale aufweisen; auch das Sonderunrecht muß daher das formelle Moment des Verstoßes gegen eine Rechtsnorm enthalten. Diese Erkenntnis bedarf keines erneuten Nachweises. Hier geht es vielmehr ausschließlich um die Frage, ob der Begriff des Sonderunrechts sich lediglich im Unwertgehalt von dem des Gemeinunrechts unterscheidet oder ob er zusätzlich auch durch eine Besonderheit im formellen Unrechtsmoment gekennzeichnet ist. Die Antwort kann nur dann im letztgenannten Sinne ausfallen, wenn man das formelIe Unrechtselement überhaupt rur modifizierbar hält. Die Möglichkeit einer Abwandlung auch des formelIen Unrechtsmomentes ist nämlich nicht gleichermaßen evident wie die einer Unwertmodifizierung. Denn während sich ein Unwertgehalt offensichtlich steigern, als auch vermindern läßt, ist scheinbar das formelIe Unrechtsmoment nicht entsprechend stufenlos quantifizierbar. Auf den ersten Blick hat es den Anschein, daß ein Verhalten nur verboten oder nicht verboten, nicht hingegen mehr oder weniger verboten sein kann. Bei genauerer Betrachtung erkennt man jedoch, daß die Dringlichkeit eines Normbefehls erhöht oder herabgesetzt werden kann; die Intensität des Verbots oder Gebots ist - und zwar auch abhängig vom Verhältnis des Adressaten zum Gegenstand der Norm - variierbar. So ist etwa der Nachdruck sehr verschieden, mit dem die Unterschlagung einer beliebigen (§ 246 Abs. 1) im Unterschied zu der einer anvertrauten Sache (§ 246 Abs.2) vom Recht untersagt wird. Die Graduierbarkeit des Nachdrucks, mit dem eine Rechtsnorm Geltung bean-

60 Aus diesem Grunde läßt sich auch die Frage nach dem Träger des jener vermeintlich existierenden Sonderpflicht korrespondierenden Rechtes nicht beantworten.

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sprucht, macht auch das formelle Unrechtsmoment abstufbar und eröffuet damit die Möglichkeit seiner Abwandlung; das Sonderunrecht kann somit auch im formellen Unrechtsmoment eine Besonderheit aufweisen. Daß eine solche Besonderheit nicht notwendig bei jeder Sonderobjektsverletzung zu bestehen braucht, daß also nicht jeder Sonderunwert auch zu einer Abwandlung der Dringlichkeit der übertretenen Norm fUhrt, das ergibt sich bereits aus der wechselseitigen Unabhängigkeit des materiellen und des formellen Unrechtsmomentes. So ist beispielsweise die Gesundheitsschädigung des eigenen Ehegatten von höherem Unwert, als die gleiche gegenüber einem Dritten begangene Tat, aber es ist keine relative Abwandlung der die Körperverletzung verbietenden Rechtsnorm ersichtlich, kraft welcher die Dringlichkeit dieses rechtlichen Verbotes in bezug auf das Verhalten von Ehegatten gesteigert würde. Handelt es sich nun bei einem solchen Sonderunwert ohne kongruente Rechtsnormmodifizierung um Sonderunrecht? Diese Frage läßt sich nur von der Funktion des Sonderunrechts her beantworten, das Sonderverbrechen vom Gemeinverbrechen schon im Unrecht zu unterscheiden. Rechtlich relevant kann deshalb der (sittliche) Sonderunwert nur insoweit sein, wie er in seiner Besonderheit auch von der Rechtsordnung anerkannt worden ist, und das heißt, soweit er auch in ihren Rechtsnormen Ausdruck gefunden hat. Der Sonderunwert allein ist daher fUr die Begründung des Sonderunrechts nicht hinreichend. Somit ist zu untersuchen, worin diese Besonderheit im formellen Moment des Sonderunrechts besteht. Zu diesem Zweck wird die Modifizierung der Dringlichkeit der Rechtsnorm zunächst begrifflich abgeleitet und sodann in ihren allgemeinen Merkmalen entwickelt; danach werden die Arten der Relativierung und abschließend ihre Bedeutung fUr die Aspekte des formellen Momentes des Sonderunrechts zu beleuchten sein. aa) Die HerIeitung der Normrelativierung Die nachfolgend inhaltlich zu kennzeichnende Abwandlung der Rechtsnorm setzt, wie schon betont, das Vorhandensein einer solchen, vom Sondersubjekt übertretenen (Gemein-)Rechtsnorm logisch zwingend voraus. Ein Verhalten, das bereits nicht gegen eine Rechtsnorm verstößt, kann daher auch kein Sonderunrecht begründen. Besteht also schon keine Gemeinpflicht, etwa die Kirschen in einem fremden Garten vor den Staren zu schützen, so ist insoweit auch die bloße Möglichkeit einer besonderen Garantenpflicht von vornherein begrifflich ausgeschlossen. Hier ist nun darzutun, wie beim Vorliegen dieser Voraussetzungen die formelle Komponente des relativen Rechtsverhältnisses zwischen dem Sondersubjekt und dem Sonderobjekt, die zusammen mit der materiellen jeweils das relative Unrechtselement und damit das Sonderunrecht konstituiert, begründet wird.

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Es ist also zu fragen, wie sich beispielsweise die im Vergleich mit dem Normverstoß der einfachen Unterschlagung (§ 246 Abs. 1) bestehende Besonderheit des formellen Unrechtsmomentes etwa der Veruntreuung (§ 246 Abs. 2) sachgerecht kennzeichnen läßt. Da durch jene formelle Komponente die Dringlichkeit der übertretenen Rechtsnorm abgewandelt wird, müssen in die gesuchte Umschreibung die den Dringlichkeitspegel dieser Norm verändernden Merkmale eingehen. 61 Zum anderen muß sich die gesuchte Umschreibung selbst in mehrfacher Hinsicht von der entsprechenden Kennzeichnung des materiellen Sonderunrechtsmomentes unterscheiden: Während mit der den Sonderunwert begründenden "Überantwortung" eine rechtsinhaltliche Charakterisierung getroffen werden konnte, ist die Abwandlung des formellen Unrechtsmomentes ihrer Natur nach ebenfalls formal und läßt sich daher auch nur formal umschreiben. Da nun erst diese Abwandlung des formellen Unrechtsmomentes (zusammen mit dem Sonderunwert) das Sonderunrecht begründet, die spezifische Schutzwürdigkeit des Sonderobjekts also der Anerkennung seitens der Rechtsgemeinschaft durch einen modifizierten Normschutz bedarf,62 muß die gesuchte Umschreibung - zweitens - die in bezug auf das Sondersubjekt modifizierte Intensität der Norm zum Ausdruck bringen. Und schließlich hat sie - insoweit wieder in Übereinstimmung mit der entsprechenden Kennzeichnung des materiellen Sonderunrechtsmomentes - ambivalent zu sein, d. h. sie muß beide möglichen Arten der Normabwandlung, nämlich sowohl die Steigerung als auch die Minderung der Intensität, begrifflich umfassen. Berücksichtigt man alle diese Anforderungen an die gesuchte Charakterisierung, so läßt sich die Abwandlung der Normfunktionen in bezug auf das Sondersubjekt wohl am besten als "Relativierung der Dringlichkeit der Rechtsnorm" umschreiben.

6\ Zur Umschreibung des formellen Sonderunrechtskriteriums kann nicht auf den inneren Grund der Abwandlung des formellen Unrechtsmoments zurückgefragt werden, wie es (methodisch sachgerecht) bei der begrifflichen Ableitung des Sonderunwertes geschehen ist, und der dort in der "Überantwortung" erkannt wurde und in die Bestimmung des materiellen Momentes des Sonderunrechts einging; denn da die Rechtsnorm lediglich ein Mittel des Rechtsgüterschutzes ist, besteht das Motiv rur die Abwandlung der Norm ausschließlich in der Abwandlung des Unwertgehaltes der betreffenden Rechtsgutsverletzung, d. h.· der innere Grund rur die Besonderheit auch des formellen Sonderunrechtsmomentes beispielsweise bei der Aussetzung durch die eigenen Eltern (§ 221 Abs. 2), bei der Verletzung von anvertrauten Privatgeheimnissen durch den Arzt (§ 203 Abs. I Nr. I) oder bei der Untreue (§ 266) ist allein der in diesen Fällen verwirklichte Sonderunwert. 62 Ähnlich schon Nagler, als er in GS Bd. 111, 96 f. zeigte, daß erst der Rechtsbefehl der Rechtsordnung die Rechtspflicht ins Leben ruft und konkretisiert, während die konkrete Lebensgemeinschaft lediglich den "Richtpunkt" rur die Gesetze bildet.

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bb) Die Begriffsmerkmale der Normrelativierung Bei dieser Umschreibung handelt es sich zunächst nur um eine vorläufige Kennzeichnung, die der begrifflichen Präzisierung erst noch bedarf. Zu deren besserem Verständnis sei, noch bevor die spezifischen Begriffsmerkmale des formellen Sonderunrechtsmomentes im einzelnen bestimmt werden, das Phänomen der relativen Normabwandlung von solchen Sachverhalten abgegrenzt, mit denen es verwechselt werden könnte. Jene Relativierung der Normdringlichkeit besteht nicht in einer additiven (Gemein-)Normwidrigkeit, und zwar weder in einem zusätzlichen Verstoß gegen die Norm, noch in der Übertretung einer zusätzlichen (Gemein-)Norm. Derartige zusätzliche Normverstöße sind zwar vereinzelt als Kriterium des Sonderverbrechens behauptet worden, sie haben sich jedoch nicht nachweisen lassen. Diese Bemühungen zur begrifflichen Einordnung der Besonderheit des formellen Sonderunrechtsmomentes mußten erfolglos bleiben, weil hier versucht wurde, das Spezifische des Sonderunrechts mit Gemeinunrechtskategorien zu erfassen, die zu diesem Zweck ihrer Natur nach ungeeignet sind. Zum anderen handelt es sich bei der Relativierung der Normdringlichkeit nicht um eine Änderung des Verhältnisses von sittlicher Norm und Rechtsnorm und auch nicht um eine Änderung des Verhältnisses von Normverbot und _gebot;63 die Relativierung der Dringlichkeit erfaßt die Norm in allen ihren Funktionen gleichermaßen. Und schließlich fuhrt die relative Steigerung oder Minderung der Dringlichkeit des Normbefehls auch nicht zur Entstehung von "Sondernormen", mag man hierunter Normen mit beschränktem Adressatenkreis oder von den wirklichen Normen völlig verschiedene Rechtsphänomene verstehen; derartige Sondernormen existieren nicht, vielmehr gibt es immer nur die Rechtsnorm, die den jeweiligen Gemeinschaftswert schützt und sich gegen jeden potentiellen Verletzer richtet. Die Rechtsnorm kann nun allerdings in ihrer Dringlichkeit relativiert sein, und der Verstoß gegen eine solche relativ abgewandelte Norm begründet das formelle Moment des Sonderunrechts, dessen spezifische Begriffsmerkmale hier zu bestimmen sind. Diese zu definierende Besonderheit besteht in der Abwandlung der Dringlichkeit einer in spezifischer Weise inhaltlich konkretisierten Norm in bezug auf einen ausgewählten Adressatenkreis. In methodischer Hinsicht bereitet die Bestimmung dieser Merkmale die gleichen Schwierigkeiten wie die Analyse des Sonderunwertes: Die sachgerechte Darstellung eines jeden jener Merkmale setzt das Verständnis der übrigen bereits voraus. Erst die als Relativierung bezeichnete Sonderbeziehung trifft aus der Gesamtheit der 63 Es ist also nicht etwa so, daß mit der Dringlichkeitsrelativierung zugleich notwendig eine Rechtspflicht zur aktiven Förderung des Sonderobjekts begründet würde, während das Recht im übrigen Erhaltungsgebote nur in wesentlich geringerem Umfang kennt als Verletzungsverbote: Die Relativierung der Dringlichkeit setzt eben begrifflich die abzuwandelnde Norm voraus.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Normadressaten die Auswahl derjenigen, denen gegenüber die Dringlichkeit der Norm abgewandelt wird, und bestimmt zugleich die Grenzen des spezifischen Ausschnitts aus dem Schutzobjekts- und Rechtspflichtbereich, der von jener Abwandlung erfaßt wird. So ist etwa das besonders nachdrückliche Verbot der Veruntreuung (§ 246 Abs. 2) gar nicht ausdrückbar, ohne zugleich den von der Dringlichkeitsabwandlung Betroffenen zu kennzeichnen, nämlich den Treunehmer, wie auch die gegenständliche Begrenzung der gesteigerten Pflicht, nämlich das Eigentum des Treugebers an der anvertrauten Sache zu achten. Insoweit handelt es sich um die gleiche Erscheinung, die schon von der Bestimmung der Sonderunwertmerkmale her vertraut ist. Während nun hinsichtlich der besonders hervorgehobenen Adressaten der Relativierung und des besonders ausgewählten Pflichtinhalts auf die entsprechenden Ausführungen zu den Begriffen des Sondersubjekts und des Sonderobjekts - im Bewußtsein der bestehenden Unterschiede - verwiesen werden kann, müssen zur Bestimmung der Relativierung selbst deren Merkmale und Wirkweise kurz betrachtet werden. Diese Merkmale erschließen sich einem leichter, wenn man sich zuvor nochmals vergegenwärtigt, worin das Phänomen der relativen Normabwandlung nicht besteht: Bei der Relativierung der Normdringlichkeit handelt es sich einmal nicht um einen Verstoß gegen eine zusätzliche Rechtsnorm, wenn auch bei Begehung des Sonderunrechts vielfach zugleich weitere sittliche Normen übertreten werden; so gibt es beispielsweise keine Rechtsnorm, die das "Vertrauen" schützt, vielmehr wird auch bei der Veruntreuung (§ 246 Abs. 2) nur gegen das rechtliche Verbot der Eigentumsverletzung verstoßen. Zum anderen bildet die Relativierung auch keinen Erlaubnissatz, wie er dem formellen Unrechtsausschluß zugrunde liegt; auch die üble Nachrede eines Bundestagsabgeordneten in der Ausschußsitzung (§§ 186, 36) ist verboten. Die Relativierung als solche begründet daher auch keine (relativen) Pflichten oder Rechte im technischen Sinne. 64 Die Relativierung der Normdringlichkeit läßt sich also mit den bisher entwickelten Kategorien der Lehre vom formellen Unrechtsmoment nicht sachgerecht erfassen. Zwar handelt es sich bei der relativen Dringlichkeitssteigerung oder -minderung der Sache nach um eine partielle "Begründung" oder einen partiellen "Ausschluß" des formellen Unrechtsmomentes, aber begriffiich bildet die "Relativierung der Normdringlichkeit" eine zu jenen Phänomenen hinzukommende Rechtsfigur eigener Art im Bereich des formellen Unrechtsmomentes. Deren begriffliche Selbständigkeit bleibt auch innerhalb des formellen Sonderunrechtsmomentes erhalten; die Rechtsnorm und ihre Relativierung verschmelzen nicht zu einer unauflöslichen Einheit - der nur an einen ausgewähl64 Dieser Grenzen des Vergleichs von absoluten und relativen Unrechtselementen mit einer Verletzung absoluter und relativer subjektiver Rechte i. S. der allg. Rechtstheorie muß man sich stets bewußt bleiben.

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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ten Adressatenkreis gerichteten und nur dessen Angehörige verpflichtenden. "Sondernonn,,65 -, sondern sie bleiben als selbständige Elemente des fonnellen Sonderunrechtsmomentes unterscheidbar. Wie die Nonn selbst, so ist auch die (begrifflich selbständige) Relativierung nur anhand der rur den Fall der Zuwiderhandlung angedrohten Sanktion nachweisbar, und zwar bestimmt das Maß der relativen Abwandlung der Rechtsfolge den Grad der Dringlichkeitsänderung der betreffenden Rechtsnonn. Bei dieser Abwandlung des Nonnschutzes rur das Schutzobjekt (unter gleichzeitiger Abwandlung der Rechtspflicht rur das Sondersubjekt) kann es sich im Verhältnis zur Übertretung der nicht relativierten Nonn um eine Intensivierung (etwa gemäß § 246 Abs. 2) oder um eine Lockerung (etwa gemäß §§ 186,36) handeln. Hierbei ist das Maß der Dringlichkeitsabwandlung weder dem Betrag nach noch im Verhältnis zur Dringlichkeit der jeweiligen Nonn starr, sondern variabel, wie man an der gleitenden Skala der Sanktionsabwandlungen erkennen kann. Die Möglichkeit hierzu ist bereits in der Ambivalenz der Dringlichkeitsrelativierung angelegt.

cc) Die Arten der Norrnrelativierung Diese Möglichkeit aktualisiert sich in vollem Umfang in den bei den entgegengesetzten Arten der relativen Abwandlung der Nonndringlichkeit, denen sich die Untersuchung jetzt zuwendet. Im folgenden geht es also um die Frage, wie die Relativierung die Dringlichkeit einer Rechtsnonn in entgegengesetzten Richtungen variieren kann. Wenn diese als Ambivalenz der Relativierung gekennzeichnete Fähigkeit, die Dringlichkeit einer Rechtsnonn zu steigern oder zu mindern, bisher verkannt worden ist, so beruht das einmal darauf, daß man das Spezifische des Sonderunrechts auch im fonnellen Unrechtsmoment mit Gemeinunrechtskategorien zu erfassen versuchte;66 man erkannte daher zwangsläufig nur das mit größerem Nachdruck ausgestaltete Verbot - venneintlich als zusätzliche Nonn - als sonderdeliktsbegrUndend. 67 Daß jene Ambivalenz in der

65 Vgl. hierzu die detaillierte Kritik dieser auf Binding und Nagler zurückgehenden Auffassung in der Erstauflage, S. 252 ff. 66 Weil es sich hierbei aber weder um eine Zusatznorm noch um einen Erlaubnissatz handelt, sind auch die Kategorien "Sonderpflicht" und "Sonderrecht" zur Kennzeichnung der Arten der Relativierung nur mit Vorbehalt verwendbar; keinesfalls dürfen diese Ausdrücke hierbei mit den aus der Gemeinunrechtslehre geläufigen Inhalten verbunden werden, sondern man muß sich stets der Eigenart des Rechtsphänomens "Relativierung" bewußt bleiben. 67 Letztlich aus diesem Grund hat sich auch die Auffassung Naglers von der Sondernorm als dem Kriterium des Sonderverbrechens als unhaltbar erwiesen. Andererseits ist die weite Verbreitung gerade dieser Ansicht ein weiteres Indiz daftir, daß das Sonder-

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

Strafrechtswissenschaft bisher übersehen worden ist, könnte zum anderen darauf beruhen, daß nur die "Relativierung" als abstraktes Rechtsphänomen, nicht aber die einzelne konkrete Normabwandlung ambivalent ist. Letztere ist naturgemäß immer auf eine Dringlichkeitssteigerung oder auf eine Dringlichkeitsminderung fixiert; so ist beispielsweise die die Verletzung des menschlichen Lebens untersagende Norm in bezug etwa auf das Leben der eigenen Kinder oder Eltern in ihrer Dringlichkeit dahingehend intensiviert, daß auch durch Unterlassen begangene Verstöße der Sanktion tUr die aktive Zuwiderhandlung unterstellt sind (§§ 212, 13), während die Normdringlichkeit in bezug auf das eigene Leben dahingehend abgeschwächt ist, daß tUr einen Verstoß überhaupt keine strafrechtlichen Sanktionen angedroht sind. Welcher Art nun die Relativierung im Einzelfalle ist, d. h. ob sie in einer Steigerung oder in einer Minderung der Normdringlichkeit besteht, das hängt von den - selbst einem ständigen Wandel unterworfenen - Anschauungen der jeweiligen Rechtsgemeinschaft ab. So ist beispielsweise auch der Selbstmordversuch lange Zeit hindurch mit Strafe geahndet worden, und noch in der Anfangsphase des heute geltenden Strafgesetzbuches unterstand jegliche Verletzung des Lebens eines Aszendenten durch seinen Deszendenten einer verschärften Sanktion (vgl. den früheren § 215). Wie das Maß, so wird auch die Art der Relativierung durch die Rechtsgemeinschaft bestimmt. Nachfolgend sei zunächst der unter relativ gesteigerter Pflichtigkeit begangene Normverstoß kurz betrachtet. Das Phänomen ist bekannt, ist doch ausschließlich an ihm der Begriff des Sonderverbrechens von der klassischen Strafrechtslehre entwickelt worden. Daß beispielsweise das Verbot der Bestechlichkeit den Arntsträger (§ 332) dringlicher anspricht als die nicht in dieser Weise besonders Verpflichteten (§ 334), läßt sich wohl schwerlich bezweifeln. Lediglich die Unterscheidung dieser Art der Relativierung von anderen Formen nachdrücklicherer Untersagung eines Verhaltens durch die Rechtsgemeinschaft kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. In dieser Weise abgrenzungsbedürftig ist die relativ gesteigerte Dringlichkeit der Rechtsnorm einmal von der durch eine zusätzliche Norm erhöhten Dringlichkeit - so beruht etwa die gegenüber dem Diebstahl schärfere Sanktion tUr den Raub auf dem zusätzlichen Verbot der Freiheitsbeeinträchtigung - und zum anderen von einer solchen Verschärfung einer Untersagung, die auf einer zwar verwandten, aber eben doch anderen Rechtsnorm basiert - wie sie etwa bei dem gegenüber dem Verbot der Körperverletzung dringlicheren Tötungsverbot vorliegt. Diese Modifizierungen lassen den Charakter der betroffenen Gemeinnorm jedoch unverändert, so daß ein normwidriges Verhalten immer nur (schwereres) Gemeinunrecht begründen kann, während die dringlichkeitssteigernde Relativierung der Rechtsnorm sich verbrechen auch im formelIen Unrechtsmoment eine Besonderheit aufweist; hierin liegt der zutreffende Kern der Auffassung Naglers.

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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in ihrer Struktur hiervon völlig unterscheidet und die eine Art des Spezifischen des formellen Sonderunrechtsmomentes konstituiert. Die andere Art der Relativierung der Rechtsnorm besteht in der Minderung ihrer Dringlichkeit in bezug auf die Sondersubjekte. Im strafrechtlichen Schrifttum ist eine Behandlung auch nur des Phänomens, das dieser Art der Relativierung zugrunde liegt, nicht ersichtlich. Jenes Phänomen, das es hier begrifflich zu fixieren gilt, zeigt sich in der gegenüber gewissen Personen erfolgenden Milderung der Sanktion fUr einen bestimmten Normverstoß. Eine solche Milderung als Ausdruck einer relativ geringeren Normdringlichkeit fmdet sich einmal - wenngleich selten - in den Tatbeständen des Strafgesetzbuches unmittelbar typisiert; zu denken ist hier etwa an die Nichtanzeige geplanter Straftaten durch einen Geistlichen (§ 139 Abs. 2). Zum anderen begrenzt die relative Minderung der Normdringlichkeit - indirekt - den Umfang der Straftatbestände in denjenigen Fällen, in denen sie zur Stratlosigkeit des Sondersubjekts fUhrt und deshalb häufig selbst als Einschränkung gar nicht in den Wortlaut der gesetzlichen Verbrechensbeschreibung aufgenommen worden ist. Als Beispiele fUr diese Art der Relativierung seien die Indemnität und der Selbstmord genannt. Auch die nicht verleumderische Ehrverletzung durch einen Abgeordneten im Bundestag ist normwidrig (wie schon die Tatsache zeigt, daß eine solche Verfehlung vom Bundestagspräsidenten mit einer Ordnungsstrafe geahndet werden kann); der Verfassurigsrechtssatz des Art. 46 Abs. 1 GG, der insoweit in der Person des Abgeordneten ein "relatives Dürfen" formell begründet, beseitigt nicht das Verbotene eines solchen Verhaltens, sondern er mindert lediglich in bezug auf dieses Sondersubjekt die Dringlichkeit der übertretenen Norm. Auch der Selbstmord verstößt gegen das Verbot der Tötung eines Menschen und ist daher auch formellrechtlich unerlaubt;68 aber diese Rechtsnorm ist fUr jedermann in bezug auf das eigene Leben relativiert, und zwar in der Weise, daß die Dringlichkeit des Rechtsbefehls - die immer durch das Maß der Sanktion angezeigt wird - insoweit außergewöhnlich herabgesetzt ist. Daß das Verhalten des Sondersubjekts in den angefilhrten Beispielen überhaupt normwidrig ist, dürfte sich schwerlich widerlegen lassen. Einwendungen gegen die hier vorgenommene Begriffsbildung sind daher wohl ausnahmslos nur von der entgegengesetzten Position aus zu erwarten: dahingehend nämlich, daß es sich bei dieser Art der Relativierung nicht um eine relative Minderung der Normdringlichkeit, sondern lediglich um Fälle geringerer Strafwürdigkeit, um sog. "persönliche Strafausschließungs grUnde" handele. Diese Auffassung ist bei der Erörterung des materiellen Sonderunrechtsmomentes einer eingehenden Kritik unterzogen und für den Sonderunrechtsgehalt als unzutreffend erkannt worden. Sie erweist sich bereits aufgrund der gleichen Argumente auch in formeller Hinsicht als unhaltbar. Ergänzend ist zu bemerken, daß die Milderung 68

Vgl. BGHSt 6, 153.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

der Sanktion für den Selbstmord überhaupt keine gesetzliche und für die Ehrverletzung durch einen Bundestagsabgeordneten primär eine verfassungsgesetzliche Regelung (Art. 46 Abs. 1 GG) gefunden hat. Das bedeutet, daß es sich hier nicht nur um einen persönlichen Ausschluß der spezifisch strafrechtlichen Sanktion handelt, wie etwa bei der Nichtbestrafung gewisser von Ausländern begangener Auslandstaten, sondern daß diese Straflosigkeit schon auf einem der Strafwürdigkeit begrifflich vorgehenden Grund, nämlich auf dem (formell durch die relative Minderung der Normdringlichkeit charakterisierten) Sonderunrecht beruht. In den angeführten Beispielen liegt somit wirklich ein normwidriges (d. h. formell unrechtsbegTÜndendes) und andererseits ein auch in formeller Hinsicht spezifisches (nämlich formell geringeres Unrecht begründendes und nicht bloß nicht strafwürdiges) Verhalten vor. Hierbei muß es sich deshalb um einen Verstoß gegen eine in ihrer Dringlichkeit relativ gemilderte Norm und damit um die hier erörterte Art des formellen Momentes des Sonderunrechts handeln. Die Abwandlung der Normdringlichkeit ist eine Eigenart des Sonderunrechts. Andere als relative Minderungen der Normdringlichkeit gibt es nicht. Bezüglich der Normdringlichkeit gibt es weder einen partiellen Ausschluß noch eine nur teilweise Begründung; in formeller Hinsicht ist das Gemeinunrecht nicht abstutbar. Da vergleichbare Formen formell geminderten Gemeinunrechts fehlen, bedarf es also keiner weiteren Abgrenzung des in den vorstehenden Beispielen entwikkelten, formell geminderten Sonderunrechts. Damit ist dargetan, wie die Relativierung die Dringlichkeit einer Rechtsnorm in entgegengesetzten Richtungen zu variieren vermag und so die beiden Arten des formellen Sonderunrechtsmomentes hervorbringt: die relative Dringlichkeitssteigerung und die relative Dringlichkeitsminderung der übertretenen Rechtsnorm. dd) Die Aspekte der Normrelativierung Wie das formelle Moment des Gemeinunrechts, so kann (und muß) man auch das formelle Moment des Sonderunrechts, den Verstoß gegen die in ihrer Dringlichkeit relativierte Rechtsnorm, sowohl unter sachlichem als auch unter personalem Aspekt betrachten. Auch bei der in ihrer Dringlichkeit relativierten Rechtsnorm lassen sich die Bewertungs- und die Bestimmungsfunktion unterscheiden. Diese Doppehing der Normfunktionen läßt die Einheit des Gegenstandes der Normwidrigkeit - den Verstoß gegen die relativierte Rechtsnorm unberührt; wegen dieser vollkommenen und unauflöslichen Kongruenz beider Normfunktionen durfte vorstehend zu Recht von der (beide Normfunktionen gleichermaßen erfassenden) Dringlichkeitsrelativierung der Rechtsnorm gesprochen werden. Andererseits ist auch das formelle Moment des Sonderun-

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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rechts nur in der Unterscheidung beider Nonnfunktionen erschöpfend zu erfassen. 69 Das fonnelle Moment des Sonderunrechts ist mit der Erkenntnis seiner Aspekte (und - als deren Voraussetzung - der gleichfönnigen Abwandlung der Bewertungs- und der Bestimmungsfunktion der Rechtsnonn durch die Relativierung) abschließend bestimmt. Zusammen mit dem oben erörterten Sonderunwert begründet es das Sonderunrecht als Sachelement des Sonderverbrechens. Nur soweit also der Sonderunwert von der Rechtsgemeinschaft durch eine Relativierung der Nonndringlichkeit in seiner Besonderheit auch fonnell anerkannt wird, nur insoweit begründet er Sonderunrecht. Dementsprechend kann man die Fälle, in denen entgegen dem ersten Anschein kein Sonderunrecht und mithin keine Sonderstraftat vorliegt, einteilen in solche, in denen es bereits an der Begründung des Sonderunrechts fehlt,70 und solche, in denen zwar die sonderunrechtsbegründenden Voraussetzungen gegeben sind, aber das Sonderunrecht als Sachelement des Sonderverbrechens infolge gegenläufiger Faktoren dennoch nicht begründet ist. 71 Wo weder bereits die Begründung des Sonderunrechts gehindert noch das sonderunrechtsbegründende Verhalten gerechtfertigt ist, dort begeht das Sondersubjekt ein Sonderunrecht, dessen Begriff vorstehend bestimmt worden ist. Da die Straftatelemente der Schuld und der Strafwürdigkeit von dem des Unrechts abhängig sind, werden durch das Sonderunrecht zugleich eine Sonderschuld und eine besondere Strafwürdigkeit begründet, d. h. das Sonderunrecht prägt stets den deliktischen Gesamtunwert eines derartigen Verhaltens in allen seinen Elementen in besonderer Weise. Deshalb ist mit der oben vorgenommenen Begriffsbestimmung des Sonderunrechts zugleich auch der spezifische Gesamtunwert des Sonderverbrechens abschließend charakterisiert. Das Sonderunrecht als Sachelement des Sonderverbrechens läßt sich zusammenfassend dahin kennzeichnen, daß es - wie jedes Unrecht - aus einem materiellen und einem fonnellen Moment besteht. Vom Gemeinunrecht unterscheidet es sich durch das relative Unrechtselement; dieses besteht materiell in der unwertverändernden Überantwortung bestimmter Rechtsgutsobjekte an bestimmte Personen und fonnell in der Dringlichkeitsabwandlung der betreffenden Rechtsnonn gegenüber jenen Personen. Diese Relativierung begründet - je nachdem, ob mit ihr eine spezifische Schutzaufgabe übertragen oder eine spezifische Verfiigungsmacht eingeräumt wird - die bei den entgegengesetzten Arten

69 Zum Verhältnis der Relativierung zu den Aspekten des formellen Unrechtsmomentes vgl. die Erstauflage, S. 434. 70 V gl. hierzu im einzelnen die Erstauflage, S. 434 f. 71 Vgl. hierzu im einzelnen die Erstauflage, S. 435 f.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

des Sonderunrechts: das relativ gesteigerte und das relativ geminderte Sonderunrecht.

2. Der Sonderunrechtstatbestand Das Sonderdelikt unterscheidet sich als Erscheinungsform des Verbrechens vom Gemeindelikt hinsichtlich der Stratbarkeitsvoraussetzungen durch das besondere tatbestandliehe Unrecht. Das Sachelement dieser spezifischen Stratbarkeitsvoraussetzung, das Sonderunrecht, ist vorstehend gekennzeichnet worden. Element der Sonderstraftat ist das Sonderunrechtjedoch nur dann, wenn es auch in spezifischer Weise vertatbestandlicht ist. Umgekehrt bleibt bei einer Streichung von Sonderstrafdrohungen durch den Gesetzgeber - in jüngerer Zeit derart aufgehoben worden sind etwa die Sonderstrafvorschriften gegen die Aszendentenkörperverletzung (§ 223 Abs. 2) und gegen den Diebstahl unter Ehegatten (§ 247 Abs. 2) - das betreffende Sonderunrecht unberührt. Auch hierin zeigt sich wieder die strafrechtssystematische Eigenständigkeit des Unrechts einerseits und seiner Vertatbestandlichung andererseits; erst beide zusammen begründen das Straftatelement des tatbestandsmäßigen Unrechts. Es gibt somit auch Sonderunrecht, das nicht strafgesetzlieh vertypt ist; zusammen mit der auf ihm aufbauenden Sonderschuld72 und der Sonderstrafwürdigkeit kann es dann lediglich bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Nur im Falle seiner Individualisierung durch das Strafgesetz, d. h. nur zusammen mit dem Sonderunrechtstatbestand, begründet das Sonderunrecht das Sonderverbrechen. Daher ist nunmehr zunächst der Begriff des Sonderunrechtstatbestandes zu bestimmen und sodann seine Struktur zu untersuchen.

a) Der Begriff des Sonderunrechtstatbestandes Der Sonderunrechtstatbestand ist die gesetzliche Form des Sonderdeliktsunrechts. Dem Begriff nach ist er zunächst Unrechtstatbestand. Als besonderer Unrechtstatbestand weist er zusätzlich spezifische Merkmale auf, durch die er sich gerade in tatbestandlicher Hinsicht vom Gemeinunrechtstatbestand unterscheidet. Und schließlich wird der Begriff des Sonderunrechtstatbestandes

72 Die auf nicht vertatbestandlichtem Sonderunrecht beruhende Schuldsteigerung kann sich auch darin zeigen, daß ein andernfalls eintretender Schuldausschluß hier nicht erfolgt. So wird etwa den "in einem besonderen Rechtsverhältnis Stehenden" (wie z. B. Soldaten, Polizisten, Feuerwehrleuten usw.) gemäß § 35 Abs. I Satz 2 die Entschuldigung gemäß § 35 Abs. I Satz 1 versagt: Ihr (tatbestandsloses) Sonderunrecht führt zur Erhaltung ihrer Rechtsschuld.

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durch die dogmatische Funktion bestimmt, die er in der Verbrechenssystematik zu erfiUJen hat. Der Sonderunrechtstatbestand ist Unrechtstatbestand. Alle Ausfilhrungen über den Unrechtstatbestand als Formelement des Verbrechens gelten deshalb uneingeschränkt auch fiir den Sonderunrechtstatbestand: Auch dieser muß die individualisierende Schilderung einer Rechtsgutsverletzung enthalten, d. h. er muß das geschützte Rechtsgut und eine bestimmte Verletzungsart anschaulich umschreiben. Auch sein Umfang läßt sich nicht naturalistisch, sondern nur von der vertypten Schutzobjektsverletzung her ermessen. Auch der Sonderunrechtstatbestand besitzt die eigenständige Bedeutung des Unrechtstatbestandes fiir die Verbrechenssystematik. Aber der Sonderunrechtstatbestand ist darüber hinaus spezifischer Unrechtstatbestand; d. h. er unterscheidet sich vom Gemeinunrechtstatbestand nicht nur durch die Besonderheit seines Gegenstandes, des Sonderunrechts, sondern er weist auch eine eigenständige Besonderheit im Tatbestandlichen auf. Der Nachweis dieses gegenüber der Vertatbestandlichung des Gemeinunrechts neuartigen Phänomens, .das noch der begrifflichen Fassung bedarf, läßt sich leicht (anband von Beispielen fiir die Existenz des tatbestandIich Spezifischen ohne zugehöriges Sonderunreche3) fiihren. Diese arteigene Vertatbestandlichung ist nicht selbst der Sonderunrechtstatbestand, sondern nur dessen notwendiges Begriffsmerkmal, das die eigenständige systematische Bedeutung des Sonderunrechtstatbestandes fiir das Sonderverbrechen begründet. Das tatbestandlich Spezifische des Sonderunrechtstatbestandes, um dessen begriffliche Fassung es hier geht, bedarf - ebenso wie schon das Sonderunrecht, das sich gleichfaIls in der Terminologie der Gemeinunrechtslehre nicht sachgerecht zum Ausdruck bringen ließ - diesem Phänomen angepaßter Kategorien. Diese tatbestandliche Besonderheit des Sonderunrechtstatbestandes läßt sich somit weder in den (hierzu ungeeigneten) Begriffen der Lehre vom Gemeinunrechtstatbestand erfassen, noch lassen sich die oben fiir das Sonderunrecht selbst entwickelten Begriffe zwanglos hierher übertragen, da die Besonderheit des Sonderunrechtstatbestandes eben keine Besonderheit des Unwertgehaltes, sondern eine der Vertatbestandlichung ist; daher müssen die adäquaten Kategorien fiir diese selbständige Rechtserscheinung nunmehr originär gebildet werden. Zur Lösung dieser Aufgabe erscheint es als methodisch zweckmäßig, sich zunächst die Vertatbestandlichung des Gemeinunrechts nochmals ins Gedächt-

73 Der Systembegriff des Sonderunrechtstatbestandes reicht nicht weiter als das von ihm individualisierte Sonderunrecht und umfaßt daher nur einen Ausschnitt aus dem Bereich jener bloßen Besonderheit im Tatbestandlichen, anhand derer sich die originäre systematische Bedeutung des Sonderunrechtstatbestandes verifizieren läßt.

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

nis zu rufen. Sie erfolgt durch die Individualisierung einer Schutzobjektsverletzung im Wege anschaulicher Beschreibung des wertverfehlenden Verhaltens im Strafgesetz. Da das Sonderunrecht sich vom Gemeinunrecht durch das relative Unrechtselement unterscheidet, besteht die zusätzliche Funktion des Sonderunrechtstatbestandes in der strafgesetzlichen Vertypung dieses relativen Unrechtselementes. Die hier originär zu bildende Kategorie muß somit in der anschaulichen Beschreibung des Sonderverbrechens durch das Gesetz das relative Rechtsverhältnis zwischen dem Sondersubjekt und dem Sonderobjekt individualisierend zum Ausdruck bringen. Diese rechtlich relevante Sonderbeziehung besteht, wie oben ausruhrlich dargelegt worden ist, materiell in der Überantwortung eines Wertobjekts an ein Subjekt und formell in einer entsprechenden Modifizierung der Dringlichkeit der betreffenden Rechtsnorm. Der zu bildende Begriff muß daher sowohl das Sondersubjekt als auch das Sonderwertobjekt und drittens die zwischen beiden bestehende, sonderunrechtsbegründende Beziehung tatbestandlich adäquat erfassen, d. h. er muß jenen Sachverhalt in seinen Merkmalen charakterisieren und durch eine geeignete Benennung ihn in der strafgesetzlichen Schilderung des Sonderverbrechens erkennen lassen. Die diesen Anforderungen genügende Kategorie rur das tatbestandIich Spezifische des Sonderunrechtstatbestandes ist das besondere persönliche Merkmal. Der Begriff des personalen Tatbestandsmerkmals ist aus der Erörterung des Gemeinverbrechens geläufig. Er bezeichnet ein subjektives, auf das Deliktssubjekt bezogenes Merkmal. Ein solches personales Tatbestandsmerkmal kann nun nicht nur einen selbständigen Strafwürdigkeitsgehalt oder ein selbständiges Schuldelement individualisieren74 (wie etwa einerseits die Gewohnheitsmäßigkeit und andererseits die Gewerbsmäßigkeit bei der Jagdwilderei, § 292 Abs.3); in diesem Falle ist seine Abgrenzung vom besonderen persönlichen Merkmal unproblematisch. Das personale Tatbestandsmerkmal kann aber auch der Charakterisierung des Deliktsunrechts dienen. Denn in aller Regel wird vom strafgesetzlichen Unrechtstatbestand nur ein Ausschnitt aus dem Bereich möglicher Verletzungen des betroffenen Rechtsgutes typisiert. Damit besteht eine Hauptaufgabe jeder Unrechtsvertatbestandlichung darin, die strafwürdigen Verletzungsarten zu individualisieren. Die tatbestandliche Verletzungsart ist begriffsnotwendig durch ein täterpsychisches und damit durch ein personales Merkmal gekennzeichnet. Das hier zu lösende Problem besteht nun darin, das besondere persönliche Merkmal von jenem nur personalen begrifflich abzugrenzen. Irrelevant rur diese Abgrenzung ist die substantivische oder adjektivische Fassung des personalen Merkmals in der strafgesetzlichen Verbrechensbeschreibung, die gleichermaßen zur Kennzeichnung eines besonderen persönlichen Merkmals geeignet sind (vgl. §§ 331 ff.: "Amtsträger"; § 246 Abs. 2: "anvertraut"), aber in beiden Fas74

Näher hierzu schon Langer, Richard Lange-Festschrift, S. 259 f.

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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sungen auch ein gemeines personales Merkmal enthalten können (vgl. § 242: "Absicht"; § 211: "grausam"). Der durch ein besonderes persönliches Merkmal charakterisierte Sonderdeliktstatbestand kann somit auch mit dem (scheinbar eine Gemeinstraftat anzeigenden) Pronomen "Wer" beginnen. Wenn aber das äußerliche Kriterium einer bestimmten Fassung des Gesetzes ftir den Begriff des besonderen persönlichen Merkmals unerheblich ist, so kann das Spezifische dieses Merkmals nur rechtsinhaltlich, d. h. unter Bezug auf seinen Gehalt definiert werden. Hierbei kann allerdings nicht auf den konkreten Gegenstand der Vertypung abgestellt werden, denn die systematische Eigenbedeutung des Sonderunrechtstatbestandes hat sich ja gerade darin erwiesen, daß das tatbestandlich Spezifische unabhängig davon existiert, ob es ein Sonderunrecht individualisiert. Entscheidend kann somit nur die (anderen personalen Merkmalen fehlende) Fähigkeit zur Vertypung eines bestimmten Gehaltes sein: Das Besondere dieses Merkmals, das das Sonderverbrechen tatbestandlich vom Gemeinverbrechen unterscheidet, ist seine abstrakte Eignung zur Individualisierung des relativen Unrechtselementes. Der Sonderunrechtstatbestand ist spezifischer Unrechtstatbestand, insofern er notwendig ein besonderes persönliches Merkmal enthält. Jedoch individualisiert das besondere persönliche Merkmal seinerseits eben nicht notwendig ein relatives Unrechtselement (alsö eine höchstpersönliche Erhöhung oder Verringerung des Unrechtsgehaltes der tatbestandlichen Rechtsgutsverletzung auf Grund individueller Sonderverpflichtungen oder -befugnisse gerade des Tatbestandssubjekts), d. h. es kann trotz seiner grundsätzlichen Eignung hierzu im Einzelfall "leerlaufend" sein. Beispiele hierftir bieten etwa diejenigen Fälle, in denen ein Sonderunrecht infolge eines Wandels der Wertvorstellungen in der betreffenden Rechtsgemeinschaft nur noch als Gemeinunrecht erlebt wird, die strafgesetzliche Fassung des ehemaligen Sonderverbrechens aber unverändert fortbesteht. So handelte es sich beispielsweise bei der Vorschrift über den Aszendententotschlag (früher § 215) unmittelbar vor ihrer Aufhebung durch den Gesetzgeber nur scheinbar um ein Sonderverbrechen; denn es existierte kein Sonderunrecht mehr, das durch dieses besondere persönliche Merkmal hätte vertatbestandlicht werden können, obwohl dieses Merkmal zu einer derartigen Individualisierung weiterhin abstrakt geeignet war und somit seinen Charakter als besonderes persönliches Merkmal durch den Wandel der herrschenden Wertvorstellungen nicht verloren hatte. Damit ist dargetan, daß - ebensowenig wie das nicht vertatbestandlichte Sonderunrecht - auch das besondere persönliche Merkmal (als das tatbestandlich Spezifische des Sonderunrechtstatbestandes) ftir sich allein das Sonderverbrechen nicht zu begründen vermag. Als System begriff wird der Sonderunrechtstatbestand in seinem Umfang durch das von ihm individualisierte Sonderunrecht bestimmt und ist daher auch nur insoweit sonderdeliktsbegründend. Denn das Strafgesetz charakterisiert primär einen bestimmtartigen Strafwürdig-

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

keitsgehalt, so daß sich - wie alle übrigen Systemkategorien - auch der Begriff des Sonderunrechtstatbestandes sachgerecht nur von der individualisierten Strafwürdigkeit her bestimmen läßt. Reicht somit aber der Sonderunrechtstatbestand nicht weiter als das jeweils von ihm typisierte Sonderunrecht, so folgt daraus, daß sich nur im Wege einer auf den charakterisierten Unwertgehalt zurückfragenden Auslegung im Einzelfall feststellen läßt, ob ein konkretes Strafgesetz ein Sonderverbrechen individualisiert. Das tatbestandlich Spezifische des Sonderunrechtstatbestandes allein ist zur Bejahung einer Sonderstraftat eben nicht hinreichend: Der Gesetzgeber kann sich zwar um die Bildung eines Sonderunrechtstatbestandes bemühen, aber entgegen seinen Intentionen kann das von ihm zu diesem Zweck in die gesetzliche Verbrechensbeschreibung aufgenommene besondere persönliche Merkmal ganz oder teilweise "leerlaufend" sein. Der Gesetzgeber kann somit nur eine spezifische strafgesetzliche Form fixieren; ob diese Form jedoch den Systembegriff des Sonderunrechtstatbestandes ausfiillt, läßt sich nur durch inhaltliches Erfassen des von dem betreffenden besonderen persönlichen Merkmal vertypten Sachgehaltes ermitteln. Umgekehrt verliert der Sonderunrechtstatbestand durch diese begriffliche Abhängigkeit vorn vertypten Gehalt nicht seine systematische Eigenbedeutung: Wo es an dieser spezifischen Form fehlt, d. h. wo eine gesetzliche Verbrechensbeschreibung kein besonderes persönliches Merkmal enthält, da kann es sich niemals um eine Sonderstraftat handeln, und keine Auslegung vermag diese vorn Gesetzgeber errichtete Schranke zu überwinden. Ist damit der Systembegriff des Sonderunrechtstatbestandes auch in seinen allgemeinen Merkmalen bestimmt, so wirft doch seine konkrete Abgrenzung eine Reihe von Problemen auf, von denen wenigstens die wichtigsten nunmehr kurz beleuchtet werden müssen. Von erheblicher dogmatischer Bedeutung ist beispielsweise die Frage, ob auch diejenigen gesetzlichen Bestimmungen, in denen auf Grund relativ verminderten Sonderunrechts ausdrücklich die Straflosigkeit des Sondersubjekts angeordnet wird, dem Systembegriff des Sonderunrechtstatbestandes unterfallen, oder ob zum strafrechtlichen Systembegriff des Unrechtstatbestandes notwendig gehört, daß das von ihm jeweils individualisierte Verhalten mit Strafe bedroht ist. Entscheidend hierfiir muß sein, ob auch eine solche gesetzliche Typisierung von Sonderunrecht im Gesamtsystem jemals als Unrechtstatbestand relevant werden kann. Diese Möglichkeit besteht beispielsweise gemäß § 28 Abs. 2: Hiernach ist der an einer solchen nicht mit Strafe bedrohten Sonderunrechtstat (wie etwa an einer im Bundestag begangenen Beleidigung) teilnehmende Extraneus strafbar, was ohne einen derartigen Sonderunrechtstatbestand nicht der Fall wäre (wie etwa das Beispiel des nicht vertatbestandlichten Sonderunrechts des Selbstmords zeigt). Auch die gesetzlichen Individualisierungen von Sonderunrecht, in denen die Straflosigkeit des Sondersubjekts angeordnet wird, werden somit von dem Systembegriff des Sonderunrechtstatbestandes umfaßt.

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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b) Die Struktur des Sonderunrechtstatbestandes

Die Struktur des Sonderunrechtstatbestandes wird durch die Struktur seines Gegenstandes bestimmt. Dessen Aufbau aus absolutem und relativem Unrechtselement ist bereits eingehend erörtert worden. Dementsprechend setzt sich der Sonderunrechtstatbestand aus der Individualisierung des absoluten und der Individualisierung des relativen Unrechtselementes zusammen. Damit ist zugleich der weitere Weg der Untersuchung vorgezeichnet. Gerade die unmittelbare Einsichtigkeit dieser einfachen Grundstruktur des Sonderunrechts wie auch des Sonderunrechtstatbestandes könnte jedoch zu einem Trugschluß verleiten, vor dem sogleich nachdrücklich gewarnt werden muß. Es geht im folgenden um eine Analyse des Sonderunrechtstatbestandes. So notwendig eine solche Unterscheidung seiner Begriffsmerkmale auch ist, so verfehlt wäre es, die dabei gewonnene Erkenntnis von seiner Zusammensetzung in eine Auflösung der tatbestandlichen Einheit einmünden zu lassen. Die vom Gesetzgeber unter dem Leitaspekt der StrafwUrdigkeit geschaffene Einheit des Sonderunrechtstatbestandes darf nicht bei der Rechtsanwendung in ihre Elemente auseinandergebrochen werden. Im Sonderunrechtstatpestand ist somit die Typisierung der Schutzobjektsverletzung von der Typisierung des relativen Unrechtselementes zu unterscheiden. Daß sich eine solche Differenzierung konsequent durchfUhren läßt, wie dabei diese Tatbestandselemente gegeneinander abzugrenzen sind und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen, ist im folgenden darzulegen.

aa) Die Individualisierung des absoluten Unrechtselementes Jeder Sonderunrechtstatbestand enthält die Beschreibung einer Schutzobjektsverletzung. Insoweit unterscheidet er sich äußerlich nicht von einem Gemeinunrechtstatbestand. In anschaulicher Umschreibung wird einmal das jeweils geschützte Rechtsgut individualisiert und zum anderen die VerJetzungsart charakterisiert, die den betreffenden Deliktstypus kennzeichnet. So ist beispielsweise die Schutzobjektsverletzung im Sonderunrechtstatbestand der Veruntreuung (§ 246 Abs. 2) mit den gleichen Begriffen individualisiert wie im korrespondierenden Gemeinunrechtstatbestand der einfachen Unterschlagung (§ 246 Abs. I). Auch diejenigen Sonderunrechtstatbestände, fUr die es keinen korrespondierenden Gemeinunrechtstatbestand im Strafgesetz gibt - wie etwa Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174), die Rechtsbeugung (§ 339) oder die Verfolgung Unschuldiger (§ 344) -, enthalten ausnahmslos die Charakterisie-

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rung einer Schutzobjektsverletzung. 75 Das Problem bei der Analyse dieser Straftaten liegt in der Benennung des Rechtsgutes; auch hier fehlt es nämlich häufig an einem mit Händen greifbaren Verletzungsobjekt, durch das hindurch das Rechtsgut verletzt werden könnte, so daß eine von einem solchen Realobjekt abgeleitete Namengebung nicht möglich ist. Bei diesem Problem handelt es sich aber eindeutig um eine Frage nur des Gemeinunrechts und nicht des Sonderunrechtstatbestandes.

bb) Die Individualisierung des relativen Unrechtselementes Neben der Charakterisierung einer Schutzobjektsverletzung enthält der Sonderunrechtstatbestand als das ihn vom Gemeinunrechtstatbestand unterscheidende Merkmal die Individualisierung eines relativen Unrechtselementes. Dieses relative Element des Sonderunrechts entsteht durch die Verletzung eines unter relativer Abwandlung der Normdringlichkeit überantworteten Sonderwertobjektes durch das Sondersubjekt. Im folgenden ist nun die straJgesetzliche AusJormung des so bestimmten relativen Unrechtselementes zu untersuchen und insbesondere zu fragen, wie seine Vertatbestandlichung erfolgt, wie sich das Vorhandensein materiell, gegensätzlicher (unrechtssteigernder und unrechtsmindernder) relativer Unrechtselemente auf die Kennzeichnung durch das Strafgesetz auswirkt und wie schließlich die Individualisierung des relativen Unrechtselementes von der Individualisierung der übrigen Elemente des Sonderverbrechens abzugrenzen ist. Die tatbestandliche Ausformung der relativen Unrechtselemente erfolgt, wie bereits gezeigt wurde, mittels der besonderen persönlichen Merkmale. Beim Erlaß des Sonderstrafgesetzes charakterisiert der Gesetzgeber das (regelmäßig von ihm vorgefundene, zuweilen aber auch durch gleichzeitige Abwandlung der Normdringlichkeit uno actu mit der Tatbestandsbildung von ihm erst ge schaffene 76) relative Rechtsverhältnis zwischen dem Subjekt und dem Objekt des Sonderunrechts, indem er ein besonderes persönliches Merkmal in die anschauliche Verbrechensbeschreibung aufuimmt. 77 Dieses Bemühen des Gesetzgebers um Anschaulichkeit fUhrt dazu, daß nur vereinzelt die rechtlich relevante Sonderbeziehung im Sonderunrechtstatbestand 75 Diese Tatsache folgt zwingend daraus, daß auch der Sonderunrechtstatbestand Unrechtstatbestand ist; der besonderen Feststellung bedurfte sie nur deswegen, weil diese Erkenntnis noch immer nicht strafrechtswissenschaftliches Gemeingut geworden ist. 76 Die Problematik unterscheidet sich insoweit nicht von der entsprechenden des Gemeinunrechts, nämlich der Vertatbestandlichung einer Schutzobjektsverletzung. 77 Die rechtstechnische Aufspaltung eines Sonderunrechtstatbestandes in mehrere Paragraphen (vgl. §§ 36, 185, 186) berührt die rechtsinhaltliche Einheit des betreffenden Sonderunrechtstatbestandes nicht.

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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unmittelbar zum Ausdruck kommt (so etwa im § 246 Abs. 2: "anvertraut"), während sie häufig nur indirekt benannt wird, indem das besondere persönliche Merkmal lediglich die Sonderstellung des Deliktssubjekts kennzeichnet (so etwa in § 339: "Ein Richter .. , bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache"). In der Sache selbst besteht zwischen diesen beiden Formen der gesetzlichen Individualisierung des relativen Unrechtselementes kein Unterschied, denn es muß - wie bereits dargetan - bei jedem besonderen persönlichen Merkmal im Wege der Auslegung ermittelt werden, ob es tatsächlich ein relatives Unrechtselement charakterisiert und dadurch einen Sonderunrechtstatbestand begründet. Die Ambivalenz der rechtlich relevanten Sonderbeziehung bringt die gegensätzlichen Arten des Sonderunrechts hervor: Je nachdem, ob dem Sondersubjekt eine spezifische Befugnis verliehen oder eine besondere Schutzaufgabe übertragen wird, handelt es sich um ein relativ gemindertes oder um ein relativ gesteigertes Sonderunrecht. Diese im relativen Unrechtselement angelegte Möglichkeit, einen Gemeinunrechtsgehalt in entgegengesetzten Richtungen zu modifizieren, bleibt auch in der tatbestandlichen Ausformung des Relativverhältnisses unverändert erhalten: Die gesetzliche Form des relativen Unrechtselementes, das besondere persönliche Merkmal, unterscheidet sich nicht nach der unrechtssteigernden oder -mindernden Wirkung des von ihm individualisierten Gehaltes. Dasselbe besondere persönliche Merkmal kann sowohl eine Sonderbefugnis als auch eine Sonderverpflichtung charakterisieren. Die beiden Arten des Sonderunrechts haben keine ihnen jeweils eigene gesetzliche Form. Ob ein besonderes persönliches Merkmal eine Unrechtssteigerung oder eine Unrechtsminderung individualisiert, läßt sich daher nur bei jedem einzelnen Sonderstraftatbestand rur sich durch Auslegung feststellen. 78 Nur im Wege der Auslegung, d. h. unter Berücksichtigung des jeweils individualisierten Unwertgehaltes, ist auch die Abgrenzung der Individualisierung relativer Unrechtsmerkmale von der Individualisierung anderer Verbrechenselemente möglich. Das gilt schon deswegen, weil das besondere persönliche Merkmal nicht notwendig ein relatives Unrechtselement individualisiert, sondern hierzu lediglich abstrakt geeignet sein muß; es kann folglich auch einen selbständigen Strafwürdigkeits- oder einen selbständigen Schuldgehalt kennzeichnen. Daher gehört die Abgrenzung von den übrigen Tatbestandsmerkmalen zu den vorrangigen Aufgaben bei der Bestimmung des Sonderunrechtstatbestandes. 78 Soweit ein besonderes persönliches Merkmal eine Unrechtsminderung typisiert, handelt es sich um ein wirkliches "negatives Tatbestandsmerkmal": Denn es individualisiert einen Deliktstypus und ist daher - im Gegensatz zu den zu Unrecht so genannten Rechtfertigungsgründen - ein echtes Tatbestandsmerkmal; und es ist "negativ", insofern es den Unrechts- und damit den Strafwürdigkeitsgehalt der betreffenden Schutzobjektsverletzung teilweise ausschließt.

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Lediglich einen selbständigen Strafwürdigkeitsgehalt charakterisiert das besondere persönliche Merkmal etwa bei den Exhibitionistischen Handlungen (§ 183); das deliktstypische Unrecht und die deliktstypische Schuld sind unabhängig davon, ob eine männliche oder eine weibliche Person die Tat begeht. Nur selbständige Schuldelemente (und einen entsprechend modifizierten Strafwürdigkeitsgehalt) individualisieren beispielsweise die besonderen persönlichen Merkmale "Mutter, welche ihr nichteheliches Kind" bei der Kindstötung (§ 217 a. F.) oder "Abkömmlinge oder Geschwister, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren", bei dem Beischlafzwischen Verwandten (§ 173 Abs. 3)79. Echte Typisierungen von relativen Unrechtselementen sind hingegen beispielsweise die besonderen persönlichen Merkmale "gegen sein Kind" bei der Aussetzung (§ 221 Abs.2) und "Amtsträger" bei den Amtsdelikten (§§ 331 ff.) - Unwertsteigerungen charakterisierend -, wie auch das besondere persönliche Merkmal "Mitglieder eines Gesetzgebungsorgans" bei den von der Indemnität gedeckten Ehrverletzungen durch parlamentarische Äußerungen (§§ 36, 185, 186) - Unwertminderungen 80 charakterisierend. Wie alle diese Beispiele zeigen, ist die Grenzziehung innerhalb der besonderen persönlichen Merkmale zwischen den Typisierungen relativer Unrechtselemente und den Typisierungen selbständiger Schuld- und Strafwürdigkeitselemente nur anband der von den betreffenden besonderen persönlichen Merkmalen jeweils vertatbestandlichten Unwertgehalte möglich.

cc) Das Verhältnis von absolutem und relativem Element im Sonderunrechtstatbestand Vorstehend ist dargetan worden, wie sich der Sonderunrechtstatbestand aus der Individualisierung einer Schutzobjektsverletzung und der Individualisierung eines relativen Unrechtselementes zusammensetzt. Die nunmehr zu beantwortende Frage nach dem Verhältnis des absoluten und des relativen Elementes im Sonderunrechtstatbestand betrifft einmal - formell - das Phänomen der das ab79 So treffend Frank, Strafgesetzbuch, § 173 Anm. 111; in der Sache auch Kantorowicz, Tat und Schuld, S. 288; a. A. die herrschende Lehre, die hier einen "persönlichen Strafausschließungsgrund" annimmt, vgl. Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, § 173 Rn. 9 (mit zahlreichen Nachweisen). 80 Insofern besteht die von der herrschenden Lehre behauptete Identität zwischen "objektiven Bedingungen der Strafbarkeit" und "persönlichen Strafausschließungsgründen" nicht, und es ist eben nicht "ein reiner Zufall der gesetzgeberischen Technik, ob das eine oder das andere vorliegt" (Lackner, Niederschriften Bd. 5, S. 96): Während die letzteren - ungeachtet ihrer dogmatisch richtigen Einordnung - ausnahmslos den Gesamtunwert mindern, gibt es unter den herkömmlich als objektive Strafbarkeitsbedingungen bezeichneten strafgesetzlichen Merkmalen auch solche, die den Gesamtunwert eines deliktischen Verhaltens erhöhen, wie etwa die Begehung der rechtswidrigen Tat im Vollrausch (§ 323 a).

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solute und das relative Element umgreifenden Tatbestandsmerkmale, und zum anderen betrifft sie - materiell - das Phänomen des unterschiedlichen Gewichtsverhältnisses von absolutem und relativem Unrechtselement im Sonderunrechtstatbestand. In aller Regel lassen sich diejenigen Merkmale des Sonderunrechtstatbestandes, die die deliktstypische Schutzobjektsverletzung individualisieren, zweifelsfrei von denjenigen abschichten, in denen die rechtlich relevante Sonderbeziehung vertatbestandlicht ist: So typisiert etwa bei der Körperverletzung im Amt (§ 340 Abs. 1) das Merkmal "eine Körperverletzung begehr', das durch Verweisung auf § 223 Abs. 1 dessen Charakterisierung der deliktstypischen Verletzungsart übernimmt, das absolute Unrechtselement, während das Merkmal "Amtsträger, der während der Ausübung seines Dienstes" das relative Unrechtselement kennzeichnet; bei der Veruntreuung (§ 246 Abs. 2) individualisiert die voraufgehende Defmition der Unterschlagung (§ 246 Abs. I) die Schutzobjektsverletzung, während das Merkmal "anvertraut" die deliktstypische Sonderbeziehung zum Ausdruck bringt. Der Sonderunrechtstatbestand spiegelt hier klar den Aufbau des von ihm typisierten Sachelementes wider, d. h. er setzt sich aus den Individualisierungen des absoluten und des relativen Unrechtselementes zusammen. Es gibt jedoch Straftatbestände, in denen die eindeutige Trennung der Merkmale, die die deliktstypische Rechtsgutsverletzung beschreiben, von denjenigen, die das relative Unrechtselement charakterisieren, nicht möglich ist. Wenn beispielsweise der Tatbestand der Bestechlichkeit (§ 332 Abs. I) lautet: "Ein Amtsträger ... , der einen Vorteil als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, daß er eine Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Dienstpflichten verletzt hat oder verletzen würde, ... ", dann ist weder durch die Formel "einen Vorteil fordert, sich versprechen läßt oder annimmt" die Rechtsgutsverletzung noch durch das Merkmal "Amtsträger" die rechtlich relevante Sonderbeziehung hinreichend charakterisiert. Erst die Vorteilsannahme "als Gegenleistung dafür, daß er eine Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Dienstpflichten verletzt hat oder verletzen würde" macht die deliktstypische Schutzobjektsverletzung aus, die dieses Vergehen von der Straftat der Vorteilsannahme (§ 331 Abs. 1) unterscheidet, so daß diese Gesetzesformel zur Vertatbestandlichung des absoluten Unrechtselementes "gehört". Erst diese Formel individualisiert aber auch abschließend das relative Unrechtselement der Bestechlichkeit (§ 332 Abs. 1), denn allein der Umstand, daß eine Vorteilsannahme durch einen "Amtsträger" erfolgt, kennzeichnet noch keine konkrete unrechtsmodifizierende Sonderbeziehung dieser Person zu einem bestimmten Sonderwertobjekt (es könnte sich beispielsweise auch um eine Gebührenüberhebung, § 352, handeln). Das bedeutet aber, daß jene Gesetzesformel Bestandteil sowohl der Individualisierung des absoluten als auch der Individualisierung des relativen Unrechts-

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elementes der Bestechlichkeit (§ 332 Abs. I) ist. Es handelt sich also um ein Merkmal des Sonderunrechtstatbestandes, das die deliktstypische Schutzobjektsverletzung und die rechtlich relevante Sonderbeziehung zugleich umgreift. 8I Gesamtsystematisch von ähnlich großer Bedeutung wie das Phänomen des übergreifenden Tatbestandsmerkmals ist das variable Verhältnis der Gewichte der in den Sonderunrechtstatbeständen typisierten absoluten und relativen Unrechtselemente. Die Abwandlung des Strafwürdigkeitsgehaltes einer Schutzobjektsverletzung durch ein relatives Unrechtselement ist keine feststehende Größe, sondern stufenlos variabel von einer praktisch überhaupt nicht ins Gewicht fallenden Modifizierung bis hin zu einer Veränderung solchen Grades, daß man den ursprünglichen Gehalt kaum noch zu erkennen vermag. Die minimale Abwandlung fiihrt in Grenzfällen, wie etwa bei der Eingehung einer Doppelehe (§ 172), zu einer rur das Sonder- und das Gemeinsubjekt identischen Strafdrohung; die extreme Änderung des Strafwürdigkeitsgehaltes durch das Relativverhältnis hingegen zeigt sich dort, wo die bloße Schutzobjektsverletzung überhaupt nicht unter Strafe gestellt ist, während auf die relativ modifizierte eine äußerst gravierende Strafe angedroht ist, wie etwa bei der Rechtsbeugung (§ 339). Dieses bereits vorstrafrechtlich variable Verhältnis der Sonderunrechtselemente wird bei der Tatbestandsbildung, die schon ihrem Begriff nach eine Kombination von Unwertgehalten unter dem Leitaspekt der Strafwürdigkeit ist, in seiner Variationsbreite noch erweitert mit der Folge, daß jeder Sonderunrechtstatbestand ein ihm eigenes Verhältnis von absolutem und relativem Unrechtselement aufweist. Entsprechend dem Gewicht des relativen Unrechtselementes im vertatbestandlichten Sonderunrecht könnte man von Sonderverbrechen mit "starkem" oder mit "schwachem Sondermerkmal,,82 sprechen. Diese Unterscheidung ist fiir den Begriff des Sonderunrechtstatbestandes (und damit rur den Begriff der Sonderstraftat) ohne Bedeutung; denn auch das denkbar schwächste Sondermerkmal begründet einen Sonderunrechtstatbestand. Hingegen machen die praktischen Konsequenzen eine derartige Differenzierung erforderlich: Das gilt 81 Auch dieses Phänomen des übergreifenden Tatbestandsmerkmals ist vom Gemeinverbrechen her bereits vertraut. Während diese Merkmale dort mehrere selbständige Unwertgehalte verschiedener Verbrechenselemente zugleich vertypen, können sie beim Sonderdelikt das absolute und das relative Unrechtselement zusammenfassend individualisieren. 82 So schon Schäfer, Niederschriften Bd.2, S.87, wenn auch ohne Analyse dieses Phänomens und dementsprechend ohne Begriffsbestimmung dessen, was ein "schwaches Sondermerkmal" systematisch ist; in der Sache ähnlich wohl auch Dahm, MDR 1959, 509, wenn er Sonderdelikte mit und ohne "ausgesprochen personalen Unrechtsgehalt" unterscheidet. Vgl. ferner Schräder, v. Weber-Festschrift, S. 234: Sonderstraftaten "aus der Grundnatur des Delikts", die den Sonderverbrechen "aus gesetzestechnischen Gründen" gegenübergestellt werden.

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einmal bereits filr die Auslegung; denn je geringer der Grad der relativen Unrechtsmodifizierung im Einzelfall ist, desto größer sind die Schwierigkeiten, den betreffenden Straftatbestand aus dem Bereich der "Grenzflille der Sonderstraftat',83 als Individualisierung eines Gemein- oder eines Sonderverbrechens einzuordnen. Die Folgen dieser Einordnung sind trivial, aber schwerwiegend: Aus dem Sonderdeliktstatbestand kann sich nur strafbar machen, wer als Qualifizierter selbst das im besonderen persönlichen Merkmal vertatbestandlichte relative Unrechtselement verwirklicht; nur rur das Sondersubjekt ist im Sonderdeliktstatbestand selbst die Strafbarkeit abschließend "gesetzlich bestimmt" (Art. 103 Abs. 2 GG). Der Extrane wird vom Sonderdeliktstatbestand nicht erfaßt und bleibt damit straffrei, soweit nicht durch eine andere "gesetzliche Bestimmung" die Strafbarkeit aus dem Sonderdeliktstatbestand auf ihn ausgedehnt wird. - Zum anderen erhebt sich dort, wo im Wege der Auslegung die Sonderdeliktsnatur einer solchen Straftat festgestellt worden ist, die Frage nach den Folgen einer derartigen "Schwäche des Sondermerkmals" rur die Strafbarkeit: Ist das größere oder geringere Gewicht des relativen Unrechtselementes innerhalb des Sonderunrechts über die unmittelbare strafgesetzliche Anordnung hinaus innerer Grund und äußerer Anknüpfungspunkt rur unterschiedliche Rechtsfolgen? Ist also etwa die Strafbarkeit extraner Teilnehmer davon abhängig, ob das betreffende Sonderverbrechen ein "starkes" oder ein "schwaches Sondermerkmal" aufweist?84 - Dieses Problem braucht hier nur aufgezeigt zu werden, weil es an dieser Stelle nur darum geht, die Tatsache des variablen Verhältnisses von absolutem und relativem Element im Sonderunrechtstatbestand und die Möglichkeit ihrer dogmatischen Relevanz darzutun. Mit der Erkenntnis unterschiedlicher Grade der relativen Unrechtsmodifizierung im Sonderunrechtstatbestand ist auch dessen Struktur hinreichend erhellt. Damit ist zugleich die arteigene Form des Sonderunrechts, der Sonderunrechtstatbestand, abschließend charakterisiert. Als Ergebnis ist festzuhalten, daß der Sonderunrechtstatbestand (als Formelement des Sonderverbrechens) alle Begriffsmerkmale des Unrechtstatbestandes aufweist. Vom Gemeinunrechtstatbestand unterscheidet er sich durch das besondere persönliche Merkmal, das das relative Unrechtselement des vertatbestandlichten Sonderunrechts individualisiert.

83 So der Titel der Monographie, in der Deichmann einen großen Teil der Straftaten mit schwachem und mit leerlaufendem Sondermerkmal untersucht und dabei überzeugend aufgewiesen hat, ob und warum es sich bei dem jeweiligen Vergehen um eine Gemein- oder um eine Sonderstraftat handelt. 84 Gerade diese Frage war der Anlaß fiir die Entdeckung der unterschiedlichen Bedeutung des Sondermerkmals fiir das jeweilige Sonderverbrechen; sie ist aber nur ein Beispielsfall fiir die Auswirkung des variablen Gewichtsverhältnisses der Sonderunrechtselemente im Gesamtsystem des Strafrechts.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

3. Die spezifische Strafbarkeit Das Sonderverbrechen wird hinsichtlich der Stratbarkeitsvoraussetzungen durch das in spezifischer Weise vertatbestandlichte Sonderunrecht charakterisiert. In diesem Merkmal unterscheidet sich das deliktische Verhalten bei einer Sonderstraftat von dem der korrespondierenden Gemeinstraftat. Weil nun aber die Straftatelemente der Schuld und der Strafwürdigkeit von dem Unrecht abhängig sind, werden durch das Sonderunrecht zugleich eine Sonderschuld und eine besondere Strafwürdigkeit begründet, d. h. jener Unterschied prägt das deliktische Verhalten in allen seinen Elementen in besonderer Weise. Und da die Strafwürdigkeit der rur den Begriff des Verbrechens letztlich entscheidende Unwertgehalt ist, kann man folglich das Sonderdelikt hinsichtlich seiner Strafbarkeitsvoraussetzungen auch kennzeichnen als einen besonders vertatbestandlichten spezifischen Strafwürdigkeitsgehalt. In dem Begriff des (als Erscheinungsform des Verbrechens zu definierenden) Sonderdelikts bedarf somit nur noch ein Merkmal der abschließenden Bestimmung: die Anordnung einer dieser spezifischen Strafwürdigkeit entsprechenden spezifischen Strafbarkeit. "Spezifische Stratbarkeit" bezeichnet zunächst einen Unterschied zur allgemeinen Stratbarkeit (oder auch zur allgemeinen Stratlosigkeit) der betreffenden Rechtsgutsverletzung: Deren tatbestandlicher Regelstrafschutz wird vom Gesetzgeber auf ein höheres Niveau gehoben oder auf ein niedrigeres gesenkt, um die Abwandlung des Strafwürdigkeitsgehaltes durch das relative Unrechtselement (also durch eine Erhöhung oder eine Verringerung des Unrechts auf Grund individueller Sonderverptlichtungen oder -befugnisse gerade des Tatbestandssubjekts) auch in der Strafrechtsfolge zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber ist nicht genötigt, in dieser Weise zu verfahren; die Festsetzung einer Sonderstrafdrohung liegt ausschließlich in seinem Ermessen. Eine Strafrechtsordnung ohne Sonderstrafdrohungen - d. h. ohne die Differenzierung in Gemein- und Sonderverbrechen - wäre zwar in rechtsethischer Hinsicht im Vergleich zum geltenden Strafrecht ein gewaltiger Rückschritt, sie wäre aber wohl kaum als verfassungswidrig zu bezeichnen. Entscheidend rur den Begriff des Sonderverbrechens ist daher, ob der Gesetzgeber im Einzelfall eine dem besonderen Strafwürdigkeitsgehalt gemäße Sonderstratbarkeit tatsächlich angeordnet hat. Überblickt man den Gesamtbereich des strafgesetzlieh typisierten Sonderunrechts, so stellt man fest, daß nur ein Ausschnitt hieraus auch jeweils eine besondere Stratbarkeit aufWeist. Der Gesetzgeber hat also auch bei der Bildung der Sonderverbrechen eine Auswahl getroffen: So wie nur ein Teil des strafwürdigen Verhaltens überhaupt stratbar ist, ebenso ist nur ein Teil des spezifisch strafwürdigen Verhaltens auch spezifisch stratbar. Nur solche Delikte mit einer ihrer besonderen Strafwürdigkeit entsprechenden Sonderstrafdrohung sind Sonderverbrechen.

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Auf Grund der Verfassung darf der Gesetzgeber nur strafwürdiges Verhalten unter Strafandrohung stellen. Welche der rur die Strafwürdigkeit relevanten Tatumstände er aber bei der Tatbestandsbildung miteinander kombiniert, liegt allein in seinem legislatorischen Ermessen. Werden etwa ein Sonderunrecht und eine in bezug auf den Unwert gegenläufige Schuldabwandlung so in einem Tatbestand vereint, daß die Strafandrohung der Schuldabwandlung folgt, dann handelt es sich nicht um die hier untersuchte "spezifische Strafbarkeit" und damit nicht um ein Sonderdelikt; denn ein Sonderunrecht hat in der betreffenden Strafdrohung keinen Ausdruck gefunden. So war beispielsweise die Kindstötung (§ 217 a. F.) kein Sonderverbrechen: Das relativ gesteigerte Unrecht der Tötung des Kindes gerade durch seine Mutter wurde hinsichtlich des Strafwürdigkeitsgehaltes überlagert durch die (vom Gesetzgeber unwiderleglich vermutete) Schuldminderung mit der Folge, daß nur letztere sich in der Strafdrohung ausdrückte. Zum Begriff der Sonderstraftat aber gehört eine spezifische Strafbarkeit, die als Reaktion auf das tatbestandsmäßige Sonderunrecht gerade seine Abwandlung des Strafwürdigkeitsgehaltes widerspiegelt. Das Merkmal der Sonderstratbarkeit ist durch die Erkenntnis, daß das Sonderdelikt als Erscheinungsform des Verbrechens zu defmieren ist, mit der Bestimmung des Erscheinungsformbegriffs schon teilweise festgelegt. Arteigene Strafbarkeit einer Erscheinungsform meint deren Fähigkeit, in Kombination mit allen übrigen Erscheinungsformen jeweils selbständig auf die Rechtsfolge Einfluß zu nehmen, d. h. eine andere Strafbarkeit bewirken zu können als die korrespondierende Erscheinungsform in der gleichen Kombination, und die Notwendigkeit der tatsächlichen Unterscheidung in wenigstens einer Kombination. Die den Sonderdeliktsbegriff kennzeichnende spezifische Stratbarkeit ist somit dann gegeben, wenn in einer Verbrechensart das deliktische Verhalten des Sonder- und des Gemeinsubjekts der Möglichkeit nach in allen Erscheinungsformkombinationen unterschiedlich geahndet werden könnte und faktisch in mindestens einer Kombination mit verschiedener Strafe bedroht ist. Sucht man diese sehr abstrakte Kennzeichnung der rur die Erscheinungsform charakteristischen Stratbarkeit zu veranschaulichen, so flillt das bezüglich des ersten Teiles jener Kennzeichnung rur das Sonderverbrechen nicht schwer: Die Möglichkeit, daß das Sonderdelikt in allen Erscheinungsformkombinationen die Strafbarkeit in einer ihm spezifischen Weise bestinunen kann, ist unmittelbar einsichtig, weil es in der überwältigenden Mehrzahl der Kombinationen nach allgemeiner Meinung tatsächlich eine vom korrespondierenden Gemeindelikt abweichende Stratbarkeit aufweist. So ist beispielsweise eben nicht nur die täterschaftlich vollendet begangene Veruntreuung (§ 246 Abs.2) mit einer im Vergleich zur einfachen Unterschlagung (§ 246 Abs. 1) höheren Strafe bedroht, sondern auch die dieses Sonderunrecht verwirklichende Teilnahme, auch der Versuch. Daß bei den meisten Sonderstraftaten dieser durchgängige Strafbarkeitsunterschied zum Gemeinverbrechen allgemein anerkannt ist, beweist die

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hohe Evidenz des Umstandes, daß das Sonderverbrechen jedenfalls abstrakt geeignet ist, in allen Erscheinungsformkombinationen eine jeweils sonderdeliktsspezifische Strafbarkeit zu begrunden. Diese Evidenz beruht nicht zuletzt auf der gesetzlichen Regelvertypung der Sonderstraftat und besteht deshalb rur das zweite Erfordernis der erscheinungsformgemäßen Strafbarkeit, rur den tatsächlichen Unterschied der Rechtsfolgen in wenigstens einer Kombination, in noch höherem Maße: Das Sonderverbrechen ist eben - im Gegensatz zum Teilnahme- und zum Versuchsdelikt - regelmäßig in selbständigen gesetzlichen Vorschriften vertatbestandlicht, und damit ergibt sich die tatsächliche Strafbarkeitsdifferenz zwischen Gemein- und Sonderverbrechen in der (einen, notwendigen) Erscheinungsformkombination des täterschaftlich-vollendeten Begehungsdelikts bereits unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut (vgl. wiederum die § 246 Abs. 1 und § 246 Abs. 2). Sehr häufig wird dieser tatsächliche Strafbarkeitsunterschied zwischen Gemein- und Sonderdelikt alle Erscheinungsformkombinationen betreffen; dem Begriffsmerkmal der "spezifischen Strafbarkeit" ist jedoch bereits dann genügt, wenn in wenigstens einer Kombination Sonder- und Gemeinverbrechen verschieden geahndet werden. Ist das bei einer durch Sonderunrecht und Sonderunrechtstatbestand charakterisierten ~traftat der Fall, so wird deren Sonderdeliktsnatur nicht dadurch in Frage gestellt, daß sie in einzelnen Erscheinungsformkombinationen hinsichtlich der Strafbarkeit mit dem korrespondierenden Gemeinverbrechen gleichsteht: 85 Der Verwahrungsbruch im Amt (§ 133 Abs. 3) etwa, der sich in der Form des täterschaftlieh vollendeten Begehungsdelikts von dem einfachen Verwahrungsbruch (§ 133 Abs. 1) sowohl im tatbestandsmäßigen Unrecht als auch in der Strafbarkeit unterscheidet, verliert den Sonderdeliktscharakter nicht dadurch, daß bei ihm - ebenso wie bei dem einfachen Verwahrungsbruch - der Versuch straflos bleibt. Diese Bestimmung des Begriffsmerkmals "Sonderstrafbarkeit" sei abschließend anband eines Beispiels verdeutlicht. Hierfiir kommen naturgemäß nur solche Straftaten in Betracht, die ein Sonderunrecht und einen Sonderunrechtstatbestand aufweisen; denn die Frage nach der den Sonderdeliktsbegriff kennzeichnenden spezifischen Strafbarkeit stellt sich immer erst dann, wenn bei einem Verbrechen die spezifischen Strafbarkeitsvoraussetzungen festgestellt sind. Eine solche, durch ein in spezifischer Weise vertatbestandlichtes Sonderunrecht charakterisierte Straftat ist etwa die Doppelehe (§ 172): Der bereits verheiratete Partner begeht ein größeres (Sonder-)Unrecht als der noch unverheiratete. Gleichwohl handelt es sich bei der Doppelehe nicht um ein Sonderverbrechen, denn in allen Erscheinungsformkombinationen werden der bereits verheiratete 85 Diese Möglichkeit ist von den übrigen Erscheinungsformpaaren her geläufig: Der Erscheinungsformcharakter der Anstiftung wird nicht dadurch berührt, daß sie in der Form der Vollendung ebenso bestraft wird wie die Täterschaft.

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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und der noch unverheiratete Partner gleich bestraft; mangels eines tatsächlichen Strafbarkeitsunterschiedes in wenigstens einer Kombination fehlt es am Sonderdeliktsmerkmal der "spezifischen Strafbarkeit". Während es sich somit bei dem soeben erwähnten Beispiel eindeutig um eine Gemeinstraftat handelt und während umgekehrt die weitaus meisten strafgesetzlichen Typisierungen von Sonderunrecht ebenso eindeutig sogleich als Sonderverbrechen bezeichnet werden können, gibt es Straftaten, die sich nicht auf den ersten Blick zweifelsfrei als Gemein- oder Sonderverbrechen einordnen lassen. Zu diesen Straftaten, bei denen das Sonderdeliktsmerkmal der "spezifischen Strafbarkeit" nicht schon von vornherein mit Gewißheit bejaht oder verneint werden kann, gehören etwa die sog. unechten Unterlassungsdelikte. 86 Handelt es sich bei der Unterlassungstötung durch einen Garanten - so beispielsweise, wenn die Mutter ihr Kind verhungern läßt - um ein Sonderverbrechen? Der erste Anschein spricht dagegen, denn auf den unterlassenden Garanten findet gemäß § 13 Abs. I dieselbe Strafdrohung Anwendung wie auf das deliktische Tun eines beliebigen Dritten - beim Totschlag also § 212. Entgegen diesem ersten Eindruck zeigt sich aber selbst schon bei der täterschaftlich vollendeten Tötung durch Unterlassen seitens eines Garanten eindeutig die im Vergleich zum Unterlassen durch einen beliebigen Dritten bestehende Strafbarkeitsdifferenz und damit der Sonderdeliktscharakter der Tötung durch einen Garanten: Während das Sondersubjekt wegen Totschlags gemäß §§ 212, 13 bestraft wird, ist das rechtsgutsverletzende Unterlassen des Gemeinsubjekts allenfalls als Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138 Abs. 1 Nr.6) oder als Unterlassene Hilfeleistung (§ 323 c) strafbar. - Entsprechend dem hier entwickelten Beispiel verhält es sich auch bei den übrigen sog. unechten Unterlassungsdelikten, die damit ebenfalls als Sonderverbrechen erkannt sind. 87 Was "spezifische Strafbarkeit" i. S. der Sonderdeliktsdefinition bedeutet, ist vorstehend bestimmt worden mit Ausnahme desjenigen Merkmals, durch das sich die besondere Strafbarkeit des Sonderverbrechens von der auch jeweils arteigenen Strafbarkeit der übrigen Erscheinungsformen unterscheidet: Das Sonderdelikt wird nicht ausnahmslos schärfer oder ausnahmslos milder bestraft als

86 Die rur das Sonderverbrechen spezifischen Strafbarkeitsvoraussetzungen, nämlich Sonderunrecht und Sonderunrechtstatbestand, liegen bei diesen Delikten offensichtlich vor. Das hiervon unabhängige Problem, ob sie auch dem Erfordernis der gesetzlichen Bestimmtheit gemäß Art. 1-03 Abs. 2 GG genügen, braucht in diesem Zusammenhang nicht erörtert zu werden; vgl. dazu im einzelnen Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit und Gesetzlichkeitsgrundsatz, S. 151 ff. 87 Damit soll freilich nicht gesagt sein, daß alle bisher als unechte Unterlassungsdelikte bezeichneten Straftaten auch Sonderverbrechen sind. Begriffsmerkmal des Sonderverbrechens ist neben der spezifischen Strafbarkeit das tatbestandsmäßige Sonderunrecht, und dessen Vorliegen bedarf bei jedem der bisher sog. unechten Unterlassungsdelikte eingehender Prüfung.

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die ihm korrespondierende Erscheinungsfonn des Gemeindelikts, sondern entsprechend dem gesteigerten oder geminderten Sonderunrecht jeweils schärfer oder milder. Die weit überwiegende Zahl der Sonderverbrechen weist eine höhere Strafbarkeit auf als das korrespondierende Gemeindelikt. Hierher gehören einmal fast alle bisher sog. unechten Sonderdelikte, nämlich diejenigen Sonderstraftaten, deren absolutes Unrechtselement selbständig vertatbestandlicht ist und die im Vergleich zu diesem Gemeindelikt auf Grund ihres relativ erhöhten Unrechtsgehaltes schärfer bestraft werden; ein Beispiel hierftir ist etwa die Körperverletzung im Amt (§ 340 Abs. 1 Satz 1), bei der das besondere persönliche Merkmal der Begehung durch einen Amtsträger während der Ausübung seines Amtes die Strafe der einfachen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1) schärft. Hierher gehören aber auch die meisten der bisher als echte Sonderverbrechen bezeichneten Straftaten, nämlich diejenigen Sonderdelikte, deren absolutes Unrechtselement nicht selbständig vertatbestandlicht ist, zu denen es also kein korrespondierendes Gemeindelikt gibt. Ein Beispiel hierftir ist etwa die Rechtsbeugung (§ 339); wer einen Richter unter Bedrohung seines Lebens zu einer Rechtsbeugung nötigt, der begeht "täterschaftlieh" das Gemeinunrecht, das diesem Verbrechen als absolutes Unrechtselement zugrunde liegt - er kann wegen dieser RechtsgutsverletzUng jedoch nicht bestraft werden, weil das dem Sonderdelikt der Rechtsbeugung korrespondierende Gemeinunrecht nicht selbständig vertatbestandlicht ist. Da nun aber das Sonderverbrechen durch eine "spezifische Strafbarkeit" gekennzeichnet und die "Strafschärfung" eine Art dieser spezifischen Strafbarkeit ist, kann die zum Verständnis des Begriffs StrafSchärfung erforderliche Vergleichsbasis nur in der Ahndung des korrespondierenden Gemeinunrechts bestehen. Auf die bisher sog. echten Sonderverbrechen angewendet, bedeutet das, daß ihre spezifische Strafbarkeit ein Fall der Strafschärfung ist. Demgegenüber gehören diejenigen Sonderverbrechen, bei denen das Gesetz - wie beispielsweise bei Beleidigung oder Übler Nachrede durch Parlamentarische Äußerungen (§§ 185, 186, 36) - Straflosigkeit des Sondersubjekts anordnet,88 zu der kleineren Zahl von Sonderdelikten, die eine geringere Strafbarkeit aufweisen als das korrespondierende Gemeindelikt. Das Sonderunrecht kann eben - je nach dem Grad der relativen Unrechtsminderung - zur Strafmilderung aller Grade bis hin zum völligen Strafbarkeitsausschluß ftihren. 89 Der 88 Wie eine bloße Strafwürdigkeitsminderung (vgl. etwa § 311 e Abs. 3) oder eine bloße Schuldminderung (vgl. etwa § 157) kann auch eine bloße Unrechtsminderung zu einem vollständigen Ausschluß der Strafbarkeit führen. Ebenso Bringewat, ZStW Bd. 87,646. 89 Diese Art der Sonderverbrechen unterscheidet sich von den Antragsdelikten dadurch, daß mit dem Antragserfordernis dem Verletzten eine besondere Rechtsrnacht verliehen wird, mit der unrechtsmindernden Überantwortung hingegen dem Verletzenden.

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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innere Grund fiir die Seltenheit dieser Fonn der "spezifischen Strafbarkeit" dürfte vor allem darin liegen, daß der Gesetzgeber in Anbetracht des Analogieverbotes sich zwar um eine optimale Präzisierung aller strafschärfenden Merkmale bemühte, hingegen die Berücksichtigung der strafmildernden Faktoren weitgehend der Strafzumessung überlassen zu können glaubte. Man wird jedoch den Verfassungsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GO richtig dahin zu verstehen haben, daß auch die typischen Strafmilderungen - jedenfalls soweit sie, wie beim Sonderverbrechen, auf einer alle Verbrechenselemente erfassenden Unrechtsmilderung beruhen - vertatbestandlicht werden müssen,90 so daß hier eine wichtige Aufgabe fiir die Refonn des Besonderen Teils des Strafrechts gestellt ist. Im geltenden Recht aber ist die Zahl der gesetzlichen Strafmilderungen kraft Sonderunrechts gering, und dieses statistische Faktum ist zugleich der erste Grund darur, daß das Vorhandensein dieser Art der Sonderverbrechen von der Strafrechtswissenschaft bisher noch weithin verkannt wird. Der zweite Grund besteht darin, daß in den überkommenen Systematisierungen der Verbrechensmerkmale die Straftatelemente nur als Attribute der "Handlung" erfaßt werden konnten und demzufolge innerhalb des Merkmals "rechtswidrig" rur das Phänomen der auf einer Unrechtsminderung beruhenden Strafmilderung kein Raum war. Die äußerst unbefriedigenden Konsequenzen dieses Systemmangels rur die Rechtsanwendung ließen sich weitgehend venneiden, wenn man jenes (inhaltlich ohnehin nicht erfaßte) Phänomen mit Hilfe der dogmatischen Leerfonnel des "persönlichen Strafausschließungsgrundes" aus der Straftatsystematik aussonderte, was man dann auch einhellig tat. Mochte sich dieses Vorgehen unter der Geltung der extremen Akzessorietät der Teilnahme zur Venneidung gröbster Fehlentscheidungen wenigstens noch pragmatisch rechtfertigen lassen spätestens mit der gesetzlichen Verankerung der limitierten Akzessorietät entfiel auch dieser Grund. Die Rechtsfigur des "persönlichen Strafausschließungsgrundes" hätte nunmehr einer umfassenden Sachanalyse unterzogen werden müssen. Dieser Versuch ist mit der vorliegenden Arbeit unternommen worden; dabei haben sich die Delikte mit "persönlichen Strafausschließungsgründen", soweit sie - wie etwa Beleidigung und Üble Nachrede durch parlamentarische Äußerungen (§§ 185, 186, 36) - durch ein besonders vertatbestandlichtes Sonderunrecht gekennzeichnet sind, als Sonderverbrechen erwiesen, deren "spezifische Strafbarkeit" den Grenzwert maximaler Strafbarkeitsmilderung, den Strafbarkeitsausschluß, angenommen hat.

Beide Deliktsformen sind daher - entgegen einer verbreiteten Auffassung - auch durch den Gesetzgeber nicht beliebig vertauschbar. 90 Näher hierzu Langer, Gesetzlichkeitsprinzip und Strafmilderungsgründe, Dünnebier-Festschrift, S. 421 ff.

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Zusammenfassung Als Ergebnis der vorstehenden Untersuchungen ist das Sonderverbrechen somit definiert als das wegen seines besonderen tatbestandlichen Unrechts nur von bestimmten Personen begehbare, spezifisch geahndete Delikt. 91 Hierbei ist unter dem Sonderunrecht die Verletzung eines unter relativer Abwandlung der Normdringlichkeit überantworteten Rechtsgutsobjektes durch den Intraneus zu verstehen. Die tatbestandliche Besonderheit liegt im Erfordernis eines besonderen persönlichen, d. h. zur Individualisierung eines Sonderunrechts abstrakt geeigneten subjektsbezogenen Merkmals. Die begriffsnotwendige spezifische Strafbarkeit ist dann gegeben, wenn der Intraneus in wenigstens einer Erscheinungsformkombination der betreffenden Verbrechensart mit anderer Strafe bedroht ist als der Extraneus. Dementsprechend ist das Gemeinverbrechen eine Straftat, deren Unrecht ausschließlich in ihrem tatbestandsmäßig-rechtswidrigen Rechtsgutsangriff besteht oder deren Begehung in allen Erscheinungsformkombinationen rur jedermann mit dem gleichen Strafrahmen bedroht ist.

In. Gesetzliche Erstreckung des Sonderverbrechensbereichs Mit der vorstehend erarbeiteten Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens ist dessen Bereich von dem der Gemeinstraftaten abgegrenzt. Dabei sind Sonder- und Gemeinstraftat als Erscheinungsformen des Verbrechens definiert worden, womit unter anderem gesagt ist, daß der Gesetzgeber weder zur legislativen Unterscheidung von Gemein- und Sonderstraftat noch zu der von ihm vorgenommenen Art der Abgrenzung gezwungen ist; bei des liegt vielmehr in seinem von Strafwürdigkeitserwägungen geleiteten Ermessen. Hat er unter diesem Aspekt seine generellen Entscheidungen rur das Ob und die Art einer solchen Differenzierung getroffen, dann kann er sie unter eben jenem Strafwürdigkeitsblickwinkel rur Teilbereiche auch wieder zurücknehmen oder modifizieren, so wie er es beispielsweise bei den Erscheinungsformen von Täterschaft und Teilnahme mit dem sog. Einheitstäterbegriff bei den Fahrlässigkeitsverursachungsdelikten oder bei Vollendung und Versuch mit der Rechtsfigur des Unternehmensdelikts getan hat. Die begriffliche Unterscheidung jener Erschei-

91 Die hier erarbeitete Begriffsbestimmung der Sonderstraftat ist übernommen worden durch Schmidhäuser, Allg. Teil, 8/86; Deichmann, Grenzfalle der Sonderstraftat, S. 4 ff.; Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit und Gesetzlichkeitsgrundsatz, S. 118; Sippel, Zur Strafbarkeit der "Kettenanstiftung", S. 39. Nahestehend Schönke/SchröderiLenckner, StGB, Rn. 132 vor § 13; Stratenwerth, AJlg. Teil, Rn. 202, und Bruns-Festschrift, S. 59, 66 ff.; Roeder, Juristische Blätter 1975,566.

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nungsformen bleibt auch als gesetzliche erhalten, wenn die Differenzierung in den tatbestandlichen Voraussetzungen und in den Rechtsfolgen punktuell wieder eingeebnet oder verschoben wird. Um dieses Problem geht es bei der Frage nach der Erstreckung des Sonderverbrechensbereichs. Strikt von dieser Problematik zu unterscheiden ist die (hier nicht zu behandelnde) Frage nach der Strafbarkeit Extraner aus dem Sonderstraftatbestand. 92 Wird der an einer Sonderstraftat beispielsweise als Anstifter oder Gehilfe mitwirkende Extrane durch § 28 Abs. 1 fUr strafbar erklärt und so seine Stratbarkeit "gesetzlich bestimmt" (Art. 103 Abs. 2 GG), dann bleibt er ein Extraner, und das von ihm ausschließlich begangene Gemeinunrecht wird (im Vergleich mit der entsprechenden Mitwirkung eines qualifizierten Teilnehmers) obligatorisch milder nach § 49 Abs. 1 geahndet. Bei der Erstreckung des Sonderdeliktsbereichs hingegen begeht der in diesem Bereich Handelnde das tatbestandliche Sonderunrecht und wird auch demgemäß bestraft. Auf der Tatbestandsseite sind es zwei völlig disparate Gegenstände, die unter der Frage nach der Erstreckung des Sonderdeliktsbereichs abgehandelt werden. Zum einen geht. es um die gesetzliche Erweiterung des Anwendungsbereichs von sog. echten Sonderstraftaten gemäß § 14 auf das Handeln bestimmter Organe, Vertreter und Beauftragter, bei denen die stratbarkeitsbegründenden besonderen persönlichen Merkmale nicht vorliegen. 93 Zum anderen werden Fragen der Auslegung von Sonderstraftatbeständen traditionell unter dem Stichwort der sog. "faktischen Tauglichkeit" erörtert, womit sich das Problem der Erstrekkung des Sonderdeliktsbereichs insofern stellt, als damit auf die sonst fUr die Begehung der Sonderstraftat vorausgesetzte (auch) normative Tauglichkeit des Sonderdeliktssubjekts verzichtet wird.

1. Gesetzliche Erweiterung des Anwendungsbereichs der Sonderstraftat durch § 14 Stratbarkeitslücken können bei den Sonderstraftaten als Folge der Subjektskreisbeschränkung in der Weise entstehen, daß von zwei bei der Begehung eines Sonderverbrechens zusammenwirkenden Personen jede nur einen Teil der (gemeinsam vollständig erfiillten) Sonderdeliktsmerkmale realisiert, indem beispielsweise die eine den tatbestandlichen Rechtsgutsangriff fUhrt und die andere die Subjektsqualifikation verwirklicht. Sieht man von den Sonderfällen der mittelbaren Täterschaft und der Mittäterschaft einmal ab, konnte hier vor der EinfUgung des heute geltenden § 14 in das Strafgesetzbuch keiner der beiden Beteiligten bestraft werden. 92 93

Vgl. hierzu im einzelnen schon die Erstauflage, S. 479 ff., sowie unten, S. 393 ff. Für diese Deliktsgruppe übereinstimmend MünchKommStGB/Radtke, § 14 Rn. 33.

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Die Fallgestalt, rur die diese Strafbarkeitslücke schon früh erkannt und als nicht hinnehmbar erlebt worden ist, betraf das Handeln durch einen nichtqualifizierten Vertreter oder Beauftragten rur das Sondersubjekt bei der Begehung einer Sonderstraftat. 94 Überließ etwa der Geschäftsruhrer einer GmbH in dieser Funktion ein auf die GmbH als Halterin zugelassenes Kraftfahrzeug einem Fahrzeugruhrer, der die erforderliche Fahrerlaubnis nicht hatte, so kam weder die Bestrafung der Halterin als einer juristischen Person noch eine Bestrafung des Geschäftsruhrers gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG in Betracht, weil er nicht "Halter" des Kraftfahrzeugs war. 95 Diese Strafbarkeitslücke sollte mit der im Jahre 1968 neu in das Gesetz aufgenommenen Regelung des heutigen § 14 geschlossen werden. 96 a) Tatbestandliehe Voraussetzungen der Anwendungserstreckung

Die Vorschrift des § 14 ist weder in ihrer tatbestandlichen Struktur noch in ihrem Regelungsgehalt mit einem Blick zu erfassen. Dementsprechend groß sind nach Zahl und Heftigkeit die Kontroversen, die über die richtige Auslegung dieser Gesetzesbestimmung ausgetragen werden. Sie machen eine ins einzelne gehende Betrachtung der drei Merkmalskomplexe erforderlich, aus denen die strafgesetzliche Regelung des "Handelns rur einen anderen" aufgebaut ist. aa) Gesetz mit strafbarkeitsbegrilndenden besonderen persönlichen Merkmalen Die oben aufgewiesenen Strafbarkeitslücken, die entstehen, wenn der Rechtsgutsangriff und die Subjektsqualifikation nicht durch eine und dieselbe Person verwirklicht werden, wurden anband von Sonderverbrechen (im Sinne der vorstehend erarbeiteten Begriffsbestimmung97) mit strafbarkeitsbegrundender Subjektsqualifikation erkannt, die vor allem im Nebenstrafrecht nicht selten sind. 98 Diese Sonderstraftatbestände sind nach richtiger Auffassung99 Gesetze Vgl. beispielhaft RGSt 33,261,263 ff. Ebenso zur entsprechenden Problematik gemäß § 26 Nr. 2 StVG a. F. OLG Hamm NJW 1955, 1162 f. 96 Schünemann in LK StGB, § 14 Rn. I. - Kritisch gegenüber dieser Vorschrift Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung, S. 75. - Weitergehend, nämlich für die Ergänzung durch ein Verbandsstrafrecht Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 307 ff. 97 Vgl. hierzu oben, S. 352. 98 Tröndlel Fischer, StGB, § 14 Rn. I a; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 14 Rn. I; Schünemann in LK StGB, § 14 Rn. 42; Dtto, Allg. Strafrechtslehre, § 22 Rn. 97; MünchKommStGBIRadtke, § 14 Rn. I. 94

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mit strafbarkeitsbegründenden besonderen persönlichen Merkmalen im Sinne von § 14. Soweit im Schrifttum Einschränkungen in dieser Hinsicht gemacht werden,loo beruhen sie darauf, daß die übrigen Anwendungsvoraussetzungen dieser Vorschrift verkannt oder mit dem tatbestandlichen Erfordernis der besonderen persönlichen Merkmale vermengt werden; \01 falls beispielsweise ein Amtsdelikt nicht gemäß § 14 zur Strafbarkeit filhren kann, liegt das nicht an der Eigenart seines besonderen persönlichen Merkmals und damit nicht an seinem Sonderverbrechenscharakter, sondern am fehlenden Vertretungsverhältnis oder am fehlenden Handeln filr einen anderen (Handeln "als" Vertreter). Problematisch könnte hier allenfalls sein, ob auch die Garantenunterlassungsdelikte - und zwar sowohl die im Besonderen Teil des StGB vertatbestandlichten als auch die gemäß § 13 strafbaren - auf die Organe, Vertreter und Beauftragten anzuwenden sind, sofern diese - ohne selbst Garanten nach § 13 zu sein - die übrigen Merkmale des § 14 erftlllen: \02 Kann sich beispielsweise der zuständige Geschäftsfilhrer einer GmbH gemäß § 14 strafbar machen, wenn er Sozialversicherungsbeiträge von Arbeitnehmern der GmbH der Einzugsstelle vorenthält (§ 266 a Abs. 1), oder wenn er Giftmüll nicht entsorgen läßt, den Dritte unbefugt auf einem Grundstück der GmbH abgekippt haben (§§ 326 Abs. 1 Nr. 1, 13)? Komplizierter wird die Frage der Anwendbarkeit des § 14 auch hier nur durch zusätzliche unterlassungsspezifische Probleme, nicht aber durch den Sonderdeliktscharakter der betreffenden Straftaten: Soweit das Garantenunterlassen ein Sonderverbrechen begründet (was etwa filr die sog. Ingerenz fraglich ist IOJ ), ist das Garantenverhältnis ein besonderes persönliches Merkmal i. S. von § 14. Sind damit alle sog. echten Sonderstraftaten auch von § 14 umfaßt, so ist die umgekehrte Frage, ob nur die sog. echten Sonderstraftaten strafbarkeitsbegründende besondere persönliche Merkmale aufweisen, so daß sich der Anwendungsbereich des § 14 auf diese Deliktsgruppe beschränkt, nicht nur kontrovers, sondern auch problematisch. Umstritten ist nicht, daß ein strafbares "Handeln filr einen anderen" nur bei Straftaten mit strafbarkeitsbegründenden besonderen persönlichen Merkmalen in Betracht kommt - soweit ersichtlich, spricht sich niemand filr die Einbeziehung der Gemeinstraftaten in den Anwendungsbereich des § 14 aus -, sondern die Auseinandersetzungen werden über die Zugehörig99 TröndlelFischer, StGB, vor § 13 Rn. 35; Schünemann in LK StGB, § 14 Rn. 1; Achenbach, JuS 1990, 602. 100 So z. B. durch SchonkelSchröderiLencknerlPerron, StGB, § 14 Rn. 8; Gallas, ZStW Bd. 80, 22; Blauth, "Handeln für einen anderen", S. 112 f. 101 Eingehend dazu schon Langer, Richard Lange-Festschrift, S. 255. 102 Zu dieser Problematik vgl. schon Langer, Richard Lange-Festschrift, S. 243 f.; SchönkelSchröderiLencknerlPerron, StGB, § 14 Rn. 6; Schlüchter, Saiger-Festschrift, S. 143. 103 Zu dieser Kontroverse vgl. beispielhaft TröndlelFischer, StGB, § \3 Rn. 19 i. V. m. Rn. 11; Langer, Richard Lange-Festschrift, S. 243 Fn. 12.

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keit einzelner Strafvorschriften zu jenem Deliktskreis gefUhrt. 104 Eben darin liegt auch die Problematik der hier zu untersuchenden Frage, nämlich in der noch nicht allseits erfaßten Notwendigkeit, die besonderen persönlichen Merkmale auch in § 14 rechtsinhaltlich zu bestimmen. Jedoch berührt das Verkennen dieses Problems die Antwort nur scheinbar: Wer die besonderen persönlichen Merkmale vordergründig-formal nur in ihrer subjektskreisbeschränkenden Funktion erfaßt,105 bleibt damit beim Definieren des Sonderdelikts beim Vorbegriff'°6 stehen, hat mit der Weite dieser Definition aber zugleich auch den Gesamtbereich des § 14 vollständig ausgeschöpft, d. h. nur die so definierten echten Sonderstraftaten als von dieser Vorschrift geregelt erklärt. Wer hingegen die Sonderstraftat rechtsinhaltlich bestimmt - und nur das ist sachgerecht und fUhrt zur Erkenntnis der Identität lO7 "besonderer persönlicher Merkmale" i. S. von § 14 und § 28 108 -, hat damit die Kriterien zur Ausgrenzung der im Subjektskreis eingeschränkten Gemeindelikte aus dem Vorbegriffsbereich und ist des-

104 Beispielsweise rur die unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels gemäß § 284 Abs. I bejahend BayObLG NJW 1979,2258 f.; Tröndle/Fischer, StGB, § 284 Rn. 12; verneinend Schönke/Schröder/Eser/Heine, StGB, § 284 Rn. 13 (mit weiteren Nachweisen). 105 Wie z. B. BGHSt 28,371,372. 106 Vgl. hierzu im einzelnen oben, S. 208 ff. 107 Den bisher ersichtlich nicht widerlegten Nachweis vgl. bei Langer, Richard Lange-Festschrift, S. 254 ff. - Richtig auch BGH NStZ-RR 2002, 277; Deichmann, GrenzflilIe der Sonderstraftat, S. 41. 108 Die Gegenansicht beruft sich - soweit sie sich nicht statt einer Begründung auf den Hinweis "nahezu allgemeine Meinung" beschränkt (MünchKommStGB/Radtke, § 14 Rn. 49 i. V. m. Fn. 129) - auf die "Reziprozitätsthese", wonach das besondere persönliche Merkmal rur den Extranen in § 28 Abs. I entlastend, in § 14 hingegen belastend wirke (vgl. beispielhaft Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 14 Rn. 8). Dieses "Argument" erweist nur die mangelnde dogmengeschichtliche und rechtsdogmatische Kenntnis seines Autors vom Sonderverbrechen: § 28 Abs. I ist rur den teilnehmenden Extranen überhaupt erst die "gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit" i. S. v. Art. 103 Abs.2 GG, und damit wirkt auch diese Vorschrift rur ihn "belastend". Nur scheinbar zutreffend ist auch der zweite Einwand der Gegenansicht: Es ist zwar richtig, daß alle subjektiven Merkmale, wie die Gesinnungs-, Motiv- und Absichtsmerkmale, sowie alle finalen Merkmale, die eine bestimmte Innentendenz begründen, nicht zu den besonderen persönlichen Merkmalen des § 14 gehören (so z. B. Lackner/Kühl, StGB, § 14 Rn. 11); aber sie gehören eben auch nicht zu den besonderen persönlichen Merkmalen des § 28 (vgl. Langer, Richard Lange-Festschrift, S. 252 ff.). Schließlich wird die inhaltliche Identität der in § 14 und § 28 gleichen Formel von den "besonderen persönlichen Merkmalen" auch nicht durch die Einschränkung in Frage gestellt, daß diese Merkmale in § 14 "eine Vertreterhaftung nicht bereits ihrer Art nach ausschließen" dürfen (so etwa Tröndle/Fischer, StGB, § 14 Rn. 2); denn jene Einschränkung erwächst gerade nicht aus der Formel "besondere persönliche Merkmale", sondern aus dem in § 14 zusätzlich verlangten Vertretungsverhältnis. Auch die identische Definition des Merkmals "Sache" beim Diebstahl (§ 242) und bei der Sachbeschädigung (§ 303) wird nicht dadurch berührt, daß der Diebstahl durch ein weiteres Merkmal auf "bewegliche" Sachen eingeschränkt wird.

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halb zur Analyse und Zuordnung der insoweit problematischen Strafvorschriften (wie etwa Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels, § 284, Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288 109, oder Bankrott, § 283 110) gezwungen, kommt aber gleichfalls zu dem Ergebnis, daß § 14 auf die sog. echten Sonderverbrechen beschränkt iSt. lll Letztlich folgt diese (wenn auch nur vordergründig) übereinstimmende Antwort aus dem Regelungszweck des § 14: "Der Grundgedanke der Vorschrift besteht darin, im Rahmen des kriminalpolitischen Bedürfnisses den Anwendungsbereich solcher Tatbestände, die sich an bestimmte Normadressaten richten, auch auf deren Vertreter zu erstrecken, soweit diese tatsächlich oder rechtlich die Erfüllung der den Normadressaten obliegenden Sonderpflichten übernommen haben. § 14 ist danach keine allgemeine Regelung der strafrechtlichen Haftung natürlicher Personen rur Pflichtverletzungen in Unternehmen und anderen Verbänden, sondern in seinem Anwendungsbereich auf solche Tatbestände beschränkt, die nicht rur jedermann gelten, sondern nur rur (natürliche oder juristische) Personen Sonderpflichten begründen.,,112 Bei den lediglich im Subjektskreis eingeschränkten Gemeinstraftaten gibt es solche Sonderpflichten nicht, so daß bei ihnen die aufgewiesene Strafbarkeitslücke, die rur den Bereich der Sonderdelikte ohne deren Erstreckung durch § 14 auf den

109 Auch hier handelt es sich - wie oben im einzelnen aufgewiesen - nicht um eine Sonderstraftat; a. A. Hoyer in SK StGB, § 288 Rn. 11. - Scheinbaren Strafbarkeitslükken wird durch eine sachgerechte Gesetzesauslegung, wie sie auch sonst mit Selbstverständlichkeit praktiziert wird, vorgebeugt: Auch nach der legislatorischen Umstellung auf geschlechtsneutrale Deliktssubjektsbezeichnungen hat ersichtlich noch niemand behauptet, § 288 könne durch weibliche Personen nicht erfüllt werden (ungeachtet des Gesetzestextes "ihm" drohend, "seines" Vermögens). 110 Die Einsicht, daß es sich beim Bankrott (§ 283) um eine im Subjektskreis eingeschränkte Gemeinstraftat handelt, auf die § 14 somit nicht anzuwenden ist, kann in Anbetracht der scheinbar entgegenstehenden Gesetzgebungsgeschichte (vgl. hierzu die Begründung zu § 50 a StGB a. F., BT-Drs. VI 13 19, S. 62, hinsichtlich der insoweit gleichgelagerten Einzelvollstreckung) und der herrschenden Gegenmeinung in Schrifttum (siehe z. B. Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 14 Rn. 10/11; Tröndle/Fischer, StGB, Rn. 21 vor § 283; Marxen in NK-StGB, § 14 Rn. 29) und Rechtsprechung (BGHSt 28,371,372; 30, 127, 128; jeweils mit weiteren Nachweisen) nicht auf rasche Verbreitung hoffen. Jedenfalls sind die von der Gegenmeinung behaupteten unerträglichen Stratbarkeitslücken, die ohne die Anwendung des § 14 auf die Organe juristischer Personen beim Bankrott entstünden - soweit ersichtlich, das einzige zur Stützung jener Position vorgetragene Argument -, bisher nicht aufgewiesen worden, und sie dUrften im Hinblick auf die insoweit einschlägige Strafvorschrift gegen die Schuldnerbegünstigung (§ 283 d) auch künftig nicht aufweisbar sein. 111 Vgl. hierzu im einzelnen Langer, Richard Lange-Festschrift, S. 255; jedenfalls zu § 14 weitgehend folgend Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 139 (insbes. Fn. 251), und in LK StGB, § 14 Rn. 15 ff. und 35 ff. 112 Lackner/Kühl, StGB, § 14 Rn. I.

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jeweils filr die unmittelbar Qualifizierten in Erfilllung ihrer Sonderpflichten handelnden Organträger oder Vertreter bestünde, gar nicht entstehen kann. l13 Ob die Selbstbegrenzung des § 14 auf die strafbarkeitsbegründenden besonderen persönlichen Merkmale sachgerecht ist,114 ist zweifelhaft, kann aber als Frage ohne große praktische Relevanz hier dahingestellt bleiben; denn Hauptanwendungsgebiet dieser Vorschrift ist das Nebenstrafrecht, in dessen Regelungen die besonderen persönlichen Merkmale ganz überwiegend strafbarkeitsbegründend wirken.

bb) Tatbestandsmäßiges Vertretungs- oder Auftragsverhältnis Die Erweiterung des Subjektskreises bei Sonderstraftaten durch § 14 setzt sodann ein tatbestandsmäßiges Organschafts-, Vertretungs- oder Auftragsverhältnis voraus, kraft dessen der als Vertreter oder Beauftragter Handelnde in die gesteigerte Pflichtigkeit des Sondersubjekts gegenüber dem betroffenen Rechtsgutsobjekt hineingenommen und dementsprechend auch unter die erhöhte Strafandrohung gestellt wird. Als Beispiel diene der Fall, daß Sozialversicherungsbeiträge eines bei einer GmbH angestellten Arbeitnehmers von deren Geschäftsfilhrer (§§ 266 a Abs. 1,14 Abs. I Nr. 1) oder durch den von diesem beauftragten Leiter der Lohnbuchhaltung (§§ 266 a Abs. 1, 14 Abs. 2 Nr. 1) der Einzugsstelle vorenthalten werden. Auch insoweit ist die Fassung des § 14 sprachlich geglückt,115 da sie einerseits sehr anschaulich und zugleich exakt die zusätzlich in den Kreis der Sondersubjekte einbezogenen Personen kennzeichnet und andererseits den kriminalpolitischen Erfordernissen dieses Regelungsbereichs voll gerecht wird. Die vereinzelt insoweit schon während des Gesetzgebungsverfahrens vorgebrachte Kritik an den Formeln des § 14 zu den Vertretungs- und Auftragsverhältnissen war und ist nicht stichhaltig: Das gesetzliche Verlangen der "Vertretungsberechtigung" ist nicht "irrefilhrend und überflüssig" 116, sondern notwendig zur Klärung, daß die bloße Anmaßung der Organschaft weder zu der Rechts- noch zu der Ptlichtenstellung des tatbestandsmäßigen Sondersubjekts filhren kann; hingegen ist der Strohmann-Geschäftsfilhrer einer GmbH zivilrechtlich wirksam bestellt 1l7 und damit "vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person" 113 Im Ergebnis ebenso Alwart, ZStW Bd. 105, 762, unter Bezugnahme auf BOH NJW 1992,3114. 114 So Blauth, "Handeln rur einen anderen", S. 152 ff. 115 A. A. Tiedemann, Wirtschafts strafrecht, S.203; Wiesener, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 188 ff.; Schünemann in LK StOB, § 14 Rn. 10. 116 So aber Bruns, 1Z 1958,463. 117 BOHZ 125,366,370; Schmidt, ZIP 1994,843.

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im Sinne von § 14 Abs. 1118 . Auch die auf die "Leitung eines Betriebes" be-

schränkte Einbeziehung gewillkürter Vertreter in die Sonderdeliktsstrafbarkeit ist sachgemäß,1I9 weil nur die betriebliche Organisationsstruktur zu einer der Organtäterschaft entsprechenden Verfestigung von Rollen und damit von Verantwortlichkeiten filhrt; außerdem lehrt alle Erfahrung (so etwa das Beispiel der gegenwärtig wieder zunelunend vertretenen Regreßverbotslehre), daß bei dem Zusammenwirken eines Erst- und eines Zweithandelnden bei einer Straftat regelmäßig mit der Bestrafung des Zweithandelnden das Verfolgungsinteresse in bezug auf den Ersthandelnden massiv abnimmt oder sogar ganz wegfallt, so daß bei einer unbeschränkten Vertretungsmöglichkeit in § 14 der (zumeist sozial dominierende) Hintermann sich durch eine geschickte Rechtsgestaltung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit entziehen könnte. Nicht das Gesetz, sondern die (wie schon bei den "besonderen persönlichen Merkmalen") in Schrifttum und Rechtsprechung zu beobachtende Tendenz zur Überdehnung seiner Formulierungen bei der Auslegung und Anwendung verdient Kritik l20 : Obermeister als Leiter der 6. Führungsebene eines Großbetriebes 121 oder Wiegemeister l22 sind nicht beauftragt, "den Betrieb zum Teil zu leiten". Hier gebietet das Gesetzlichkeitsprinzip gerade wegen der "analogischen Grundstruktur,,123 des § 14 eine sehr viel restriktivere Interpretation unter dem Leitaspekt der Strafwürdigkeitsentsprechung mit dem zugrunde liegenden Sonderstraftatbestand. 124 Noclunals dringlicher gilt das Gebot restriktiver Auslegung für § 14 Abs. 3, der die Anwendung von § 14 Abs. 1 und 2 auch für die Fälle vorschreibt, in denen "die Rechtshandlung, welche die Vertretungsbefugnis oder das Auftragsverhältnis begründen sollte, unwirksam ist": Hierdurch wird der Kreis der tauglichen Subjekte der jeweiligen Sonderstraftat über die Erstreckung durch § 14 Abs. 1 und 2 hinaus ein zweites Mal erweitert,125 wobei an dieser Stelle nicht geklärt zu werden braucht, ob durch § 14 Abs. 3 nur der Sonderdeliktstatbestand auf die rechtsunwirksam berufenen Vertreter und Beauftragten ausgedehnt oder ob sogar deren Sonderunrecht erst durch diese Vorschrift begründet wird; denn in jedem Fall ist § 14 Abs. 3 als Erweiterung der Erweiterung einer Sonderstraftat (d. h. als eine ganz spezielle Ausnaluneregelung) nach den allgemei118 So zutreffend schon SiegmanniVogel, ZIP 1994, 1821. 119 A. A. Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 144 ff.; Tiedemann, Wirtschafts-

strafrecht, S. 203. 120 Ebenso schon Marxen, JZ 1988, 286 f. 121 Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, § 9 Rn. 2 I. 122 OLG Stuttgart, Die Justiz 1980, 419 f. 123 So treffend Marxen, JZ 1988, 288. 124 Marxen, JZ 1988, 288. 125 Vgl. dazu schon Langer, Richard Lange-Festschrift, S. 249.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

nen Grundsätzen der Gesetzesauslegung in sehr enger Bindung an den Wortlaut anzuwenden. 126 Nur dort also, wo neben allen übrigen Gesetzesmerkmalen des § 14 Abs. 1 oder des § 14 Abs. 2 wenigstens eine Rechtshandlung vorliegt, die mit dem Ziel vorgenommen wurde, eine Vertretungsbefugnis oder ein Auftragsverhältnis im Sinne von § 14 Abs. 1 bzw.2 zu begründen, die jedoch (beispielsweise wegen Formmangels) unwirksam 127 ist, erstreckt § 14 Abs.3 den Kreis der Sonderpflichtigen nochmals und bezieht auch diese nicht wirksam bestellten Vertreter und Beauftragten - die in der Regel in Unkenntnis der Unwirksamkeit die ihnen mit ihrer Bestellung übertragenen Funktionen in vollem Umfang ausüben werden -, in die Strafbarkeit aus dem jeweiligen Sonderdeliktstatbestand ein. Nicht von dieser Strafausdehnungsvorschrift erfaßt ist z. B. (etwa im Hinblick auf eine Strafbarkeit wegen Untreue gemäß § 266 StGB) der faktisch als Geschäftsfiihrer einer GmbH fungierende Ehemann der "Strohfrau"Geschäftsfiihrerin. 128 - Für die Strafrechtspraxis hat sich § 14 Abs. 3 als überflüssig erwiesen. Es ist in der höchstrichterlichen Judikatur kein Fall ersichtlich, in dem das Gericht auf Grund dieser Vorschrift die Strafbarkeit bejaht hätte. cc) "Handeln als" Organ, Vertreter oder Beauftragter Die Anwendung des Sonderdeliktstatbestandes nach § 14 auf bestimmte Personen, die das strafbegTÜndende besondere persönliche Merkmal nicht erfilllen, setzt schließlich voraus, daß die Betreffenden als Organe, Vertreter oder Beauftragte, und zwar (nach der als Auslegungshilfe heranzuziehenden gesetzlichen Benennung dieser Vorschrift)jür einen anderen handeln. "Handeln" meint ein das unter Strafschutz gestellte Rechtsgut durch ein menschliches Tun, d. h. durch eine willensgetragene Außenweltveränderung, in tatbestandsmäßiger Weise angreifendes Verhalten, also z. B. die Übergabe der Wagenschlüssel und der Fahrzeugpapiere eines auf die GmbH als Halterin zugelassenen Lastkraftwagens durch deren Geschäftsfiihrer an einen Fahrer, der nicht die erforderliche Fahrerlaubnis hat. Dieses Gesetzesmerkmal umfaßt sowohl ein tatsächliches wie auch ein rechtsgeschäftliches Verhalten. 129 Ist diese Beurteilung problemlos und unumstritten, so ist die weitere Frage nach dem von § 14 vorausgesetzten Beziehungszusammenhang zwischen jenem Handeln und dem jeweils durch das besondere persönliche Merkmal gekenn126 Im Ergebnis ebenso schon Marxen, JZ 1988, 287; a. A. Schünemann in LK StGB, § 14 Rn. 68. 127 Schönke/SchröderiLenckner/Perron, StGB, § 14 Rn. 42 (mit zahlreichen Nachweisen). 128 BGHSt 31,118,122. 129 BGHSt 30, 127, 129; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 14 Rn. 25.

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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zeichneten Sondersubjekt ungleich schwerer zu beantworten. Die Schwierigkeiten rühren daher, daß das Gesetz mit seiner Formel "Handeln als Organ" usw. ein objektiv gefaßtes und mit seiner Formel "Handeln fiir einen anderen" ein eher subjektiv zu verstehendes Kriterium unverbunden nebeneinandersteIlt, womit sich die Frage erhebt, ob die Erfüllung auch nur einer der beiden Formeln insoweit zur Verwirklichung des § 14 hinreicht. Die Antwort hängt maßgebend von der Inhaltsbestimmung dieser Gesetzesformeln ab. Handeln "als" Organ, Vertreter oder Beauftragter bezeichnet ein Tätigwerden in dieser Eigenschaft, in einem objektiven Zusammenhang mit dem spezifischen Ptlichtenkreis 130 des durch das besondere persönliche Merkmal charakterisierten Subjekts der einschlägigen Sonderstraftat. 13I Hat im genannten Beispiel der Geschäftsfiihrer den LKW der GmbH unterschlagen und übergibt er ihn nun zur Beutesicherung einem Fahrzeugfiihrer, der die erforderliche Fahrerlaubnis nicht besitzt, so handelt er nicht "als Organ" der GmbH. \32 Der Inhalt dieser Gesetzesformel ist danach von ihrem Zweck her zu definieren, die so handelnden Organträger, Vertreter und Beauftragten in den Kreis der tauglichen Subjekte der jeweiligen Sonderstraftat einzubeziehen: Es ist gerade die Wahrnehmung ihrer gesetzlich konkretisierten Funktion, die die als Organe, Vertreter oder Beauftragte Handelnden in eine rechtliche Sonderbeziehung zu den betroffenen Rechtsgutsobjekten bringt. Diese Sonderbeziehung ist in ihrer Struktur der des Sonderdeliktsunrechts so ähnlich, daß das die strafgesetzliche Erstrekkung der Sondersubjektivität auf die genannten Organträger, Vertreter und Beauftragten durch § 14 als in der Sache begründet erscheinen läßt. Hinreichende Voraussetzung fiir eine solche Erstreckung ist jenes Handeln "als" Organ, Vertreter oder Beauftragter jedoch erst dann, wenn es gemäß dem Gesetzeswortlaut zugleich "fiir einen anderen" erfolgt, d. h. wenn der Rechtsgutsangriff zumindest auch im Interesse des durch das besondere persönliche Merkmal qualifizierten Sondersubjekts gefiihrt wird. 133 Erlaubt beispielsweise der fiir den Fahrzeugeinsatz zuständige Geschäftsfiihrer einer GmbH einem Fahrzeugfiihrer, der die erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat, den Mißbrauch eines auf die GmbH zugelassenen Lastkraftwagens durch die GmbH schädigenLacknerlKühl, StGB, § 14 Rn. 8; Tröndle/Fischer, StGB, § 14 Rn. I a. Wer die im Subjektskreis eingeschränkten Gemeindelikte sachwidrig noch nicht schon wegen des fehlenden Sonderunrechts aus dem Anwendungsbereich des § 14 ausgegrenzt hat, muß es spätestens hier nachholen aufgrund der Einsicht, daß es insoweit auch kein "Handeln als Sonderpflichtiger" geben kann. Das gilt z. B. - entgegen BGHSt 28, 371, 372 - auch rur die im Subjektskreis eingeschränkte Gemeinstraftat des Bankrotts (§ 283). 132 Für eine vergleichbare Fallgestalt im Ergebnis ebenso schon BGHSt 30, 127, 128. 133 So schon die im Schrifttum vorherrschende Auffassung und die Rechtsprechung; vgl. beispielhaft Schünemann in LK StGB, § 14 Rn. 50, und LacknerlKühl, StGB, § 14 Rn. 8, jeweils mit zahlreichen Nachweisen. 130

\31

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

de Schwarzfahrten an Wochenenden, dann handelt er mit der Gestattung nicht "rur" die GmbH, sondern gegen deren Interessen, und macht sich damit ggf. anderweitig, aber jedenfalls nicht nach §§ 21 Abs. I Nr.2 StVG, 14 Abs. I Nr. I strafbar. 134 Daß als "Handeln" i. S. von § 14 sowohl positives Tun als auch pflichtwidriges Unterlassen zu verstehen sei, wie im Schrifttum einmütig ohne jede weitere Begründung gesagt wird,135 widerspricht der Terminologie des Strafgesetzbuches, dessen Text den Ausdruck "Handeln" gerade zur Unterscheidung des Tuns vom Unterlassen verwendet (vgl. z. B. §§ 8, 9) und dort, wo er beide Arten der Rechtsgutsverletzung umgreifen will, das Wort "Begehen" gebraucht (vgl. z. B. § 13). Die fragwürdige Gleichsetzung des Unterlassens mit dem von § 14 verlangten "Handeln" ist wohl nur im Hinblick auf das Ergebnis, nämlich eine mögliche Strafbarkeit des unterlassenden Organträgers, Vertreters oder Beauftragten, nicht von vornherein falsch. Irreruhrend ist diese Gleichsetzung jedoch insofern, als sie die strukturellen Unterschiede zwischen den beiden verschiedenen Arten des Rechtsgutsangriffs wie auch die rur beide grundlegend verschiedene Funktion des § 14 verdunkelt: Während beim tätigen "Handeln rur einen anderen" a]s Organ, Vertreter oder Beauftragter die Sondersubjektivität durch § 14 auf den Handelnden erstreckt wird, geschieht das beim Unterlassen durch einen Organträger, Vertreter oder Beauftragten nicht. Zwar können auch diese Unterlassenden sich strafbar machen, nur wird deren Strafbarkeit unabhängig von § 14 begründet. Sie bringen ihre Sondersubjektivität gleichsam bereits mit, bevor sich die Frage einer Anwendbarkeit von § 14 überhaupt stellt, nämlich als Garanten i. S. der von ihnen begangenen Garantenunterlassungsdelikte. Das gilt rur die selbständig positivierten Garantenunterlassungsdelikte in gleicher Weise wie rur die über § 13 aus Tätigkeitsdelikten abgeleiteten: So ist der rur die Abruhrung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung zuständige Geschäftsruhrer der GmbH als Arbeitgeber Garant i. S. v. § 266 a Abs. I (oder ggf. ist er es nicht), aber auf keinen Fall wird er durch sein Unterlassen gemäß § 14 zum Garanten. Ganz entsprechend ist der rur die Abfallentsorgung zuständige Bürgermeister einer Gemeinde, der gegen die unbefugte Ablagerung gefährlicher Abfalle auf einem gemeindeeigenen Grundstück nicht einschreitet,136 Garant i. S. v. §§ 326 Abs. 1, 13 (oder ggf. ist er es nicht), aber auch er wird jedenfalls nicht durch sein Unterlassen gemäß § 14 zum Garanten.

Für eine vergleichbare Fallgestalt ebenso schon BGH NJW 1969, 1494. V gl. beispielhaft Schünemann in LK StGB, § 14 Rn. 50; SchänkelSchräderiLencknerlPerron, StGB, § 14 Rn. 25. 136 Vgl. hierzu den Sachverhalt LG Koblenz, NStZ 1987,281 f. 134 135

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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b) Systematische Wirkungen der Anwendungserstreckung

Sind die vorstehend in den drei Merkmalskomplexen skizzierten tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 14 verwirklicht, dann ist nach dieser Vorschrift das Gesetz, nach dem besondere persönliche Merkmale die Strafbarkeit begründen, auch auf den Organträger, Vertreter oder Beauftragten anzuwenden, der diese Merkmale selbst nicht erfilllt, sofern sie nur bei dem Vertretenen vorliegen. Was exakt bedeutet diese gesetzliche Anwendungserstreckung der jeweiligen Sonderdeliktsvorschrift auf die Organträger, Vertreter oder Beauftragten strafrechtssystematisch ? Die systematische Wirkung des § 14 könnte in einer Erstreckung der Sonderstrafbarkeit auf die rur den qualifizierten Vertretenen Handelnden bestehen. Sie erfiillen das besondere persönliche Merkmal in eigener Person nicht, sind also zunächst Extrane und blieben es auch in ihrem Handeln, d. h. sie würden als Extrane lediglich kraft ausdrücklicher Anordnung durch § 14 aus der Sonderdeliktsstrafvorschrift bestraft, ganz entsprechend wie extrane Beteiligte an einem Sonderverbrechen auf Grund der gesetzlichen Bestimmung ihrer Strafbarkeit durch § 28 Abs. I sich strafbar machen können. Statt dessen könnte dje systematische Wirkung des § 14 aber auch - sehr viel tiefer greifend - darin liegen, die durch das besondere persönliche Merkmal begründete Subjektsqualifikation auf die als Organe, Vertreter oder Beauftragte rur die Vertretenen jeweils Handelnden zu erstrecken. Die Personen würden hiernach zu Intranen. Der Anwendungsbereich der betroffenen Sonderstraftat selbst würde durch § 14 erweitert, nicht lediglich die Strafbarkeit Extraner aus der Sonderdeliktsstrafvorschrift gesetzlich ermöglicht. Daß § 14 sachgerecht nur im zuletzt genannten Sinn zu verstehen sein kann,137 zeigt schon ein erster Blick auf die Rechtsfolgen: Den rur den Vertretenen als Organ, Vertreter oder Beauftragter jeweils Handelnden trifft die volle Sonderdeliktsstrafbarkeit. Das aber ist in Anbetracht der durch das Grundgesetz zwingend gebotenen Entsprechung von Straftatunwert und Strafe nur dann verfassungskonform, wenn der rur den Vertretenen in den genannten Funktionen Handelnde auch das Sonderdeliktsunrecht verwirklicht, fiir dessen Begehung und nach dessen Maß er bestraft wird. Blieben die Handelnden hingegen Extrane, so müßte ihre Strafbarkeit durch das Gesetz wie in § 28 Abs. I obligatorisch gemildert werden, da sie dann nicht das Sonderdeliktsunrecht, sondern nur die diesem als Unrechts kern zugrunde liegende tatbestandsmäßige Rechtsgutsverletzung begehen könnten. Schon mit der Rechtsfolgenanordnung durch § 14 ist somit seine Auslegung im Sinne einer Qualifizierung der als Organe, Vertreter

137 Im Ergebnis ebenso Schünemann in LK StGB, § 14 Rn. 12, mit der Feststellung, § 14 bringe die sprachliche Fassung mit der Unrechtsstruktur zur Deckung.

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

oder Beauftragte Handelnden zu Intranen der betroffenen Sonderstraftat vorgegeben. aa) Kriterien der Qualifikationserstreckung Werden durch § 14 zuvor nicht Qualifizierte auf Grund ihres Handelns fiir das Sondersubjekt als dessen Organe, Vertreter oder Beauftragte in den Kreis der Intranen der jeweiligen Sonderstraftat einbezogen, dann ergeben sich daraus die Kriterien einer solchen Qualifikationserstreckung gleichsam von selbst: Es müssen die Begriffsmerkmale der Sonderstraftat sein, die deren spezifischen Unterschied zur Gemeinstraftat ausmachen und hier nach ihrem ursprünglichen Fehlen durch die Erfiillung des § 14 ersetzt werden. Das Sonderunrecht, der Sonderunrechtstatbestand und die Sonderstratbarkeit müssen also über § 14 begründet sein, damit die ursprünglich nicht qualifizierten Organträger, Vertreter oder Beauftragten durch ihr vertretungsberechtigtes Handeln in einer dieser Funktionen zu Intranen des betroffenen Sonderverbrechens werden. Als veranschaulichendes Beispiel möge die fiir eine GmbH getroffene Anordnung ihres fiir diesen Bereich zuständigen Geschäftsfiihrers dienen, ein Mitarbeiter solle einen aufdie GmbH als Halterin zugelassenen LKW fahren, obwohl er die dafiir erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat. Die Straftat nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG ist ein Sonderdelikt 138 mit der Haltereigenschaft als strafbarkeitsbegründendem besonderen persönlichen Merkmal. Dieses Merkmal liegt nur bei der GmbH, nicht auch bei dem vertretungsberechtigten Geschäftsfiihrer vor. Mit dem durch den Geschäftsfiihrer als vertretungsberechtigtem Organ erfolgenden Anordnen fiir die GmbH, daß der Mitarbeiter den LKW ohne die erforderliche Fahrerlaubnis zu fiihren habe, sind alle tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 14 erfiillt. Damit ist zugleich das Sonderdeliktsunrecht des § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG durch den fiir die GmbH handelnden Geschäftsfiihrer verwirklicht: Für den tatbestandsmäßigen Rechtsgutsangriff ist das problemlos und evident; das Gefahrdungspotential fiir die betroffenen Rechtsgutsobjekte ist beim Führen eines Kraftfahrzeugs ohne die erforderliche Fahrerlaubnis aus der (notwendig generalisierenden) Sicht des Gesetzgebers unerträglich erhöht, 139 und mit der Anordnung einer solchen Fahrt durch den weisungsbefugten Geschäftsfiihrer wird diese Rechtsgutsgefährdung konkret. Darüber hinaus wird nun aber dieser Unrechts unwert relativ gesteigert - ganz entsprechend, wie fiir den Halter selbst, dem mit der Verfiigungsbefugnis über sein Fahrzeug zugleich

\38 Zur Begründung vgl. die tiefschürfende Analyse durch Deichmann, Grenzfälle der Sonderstraftat, S. 227 ff., und die dort aufgelisteten zahlreichen Nachweise aus Schrifttum und Rechtsprechung. 139 Vgl. hierzu im einzelnen Deichmann, Grenzfälle der Sonderstraftat, S. 226 f.

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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die Verantwortung fUr die Kontrolle der bei dessen Einsatz möglicherweise entstehenden Gefahren übertragen worden ist,140 bei einer Verletzung dieser gerade fUr ihn besonders dringlichen Pflicht durch Anordnung einer solchen rechtswidrigen Fahrt ohne Fahrerlaubnis: Wenn der GeschäftsfUhrer, als vertretungsberechtigtes Organ fUr die GmbH handelnd, deren Sonderverantwortung wahrzunehmen er verpflichtet ist, statt dessen in dieser Funktion durch ein derartiges Anordnen der Fahrt ohne Fahrerlaubnis den tatbestandsmäßigen Rechtsgutsangriff fUhrt, ist der von ihm verwirklichte Unrechtsunwert - wie bei einem Handeln durch den Halter selbst - auf das Niveau dieser Sonderstraftat erhöht. Auch das formelle Moment des Sonderunrechts liegt vor, weil das rechtliche Verbot sich wegen der (im Vergleich mit einem beliebigen Mitarbeiter) viel größeren Einflußmöglichkeiten des Organträgers, eine solche Anordnung zu treffen, gerade an ihn mit erhöhter Dringlichkeit richtet. Nur weil - so wie im Beispielsfall durch den GeschäftsfUhrer - das jeweilige Sonderdeliktsunrecht durch den Organträger, Vertreter oder Beauftragten verwirklicht wird, kann § 14 die uneingeschränkte Anwendung der Sonderdeliktsstrafbestimmung auf die in diesen Funktionen fUr die Vertretenen handelnden Personen vorschreiben. TatbestandIich gefaßt ist dieses durch den Organträger, Vertreter oder Beauftragten verwirklichte Sonderunrecht in einem "besonderen persönlichen Merkmal". Bei einer nur oberflächlichen Betrachtung kommt dieses nicht sogleich in den Blick, weil es eine von der gewohnten Regelform insoweit abweichende Gestalt hat, als es sich nicht in einer bloßen Subjektsbezeichnung erschöpft. Organe, Vertreter und Beauftragte werden nicht schon als solche durch § 14 zu Sonderdeliktssubjekten erklärt; sie werden dazu erst dadurch, daß sie auf Grund eines tatbestandsmäßigen Vertretungs- oder Auftragsverhältnisses in dieser Funktion fUr den Vertretenen handeln. An seinem Charakter als besonderes persönliches Merkmal ändert seine vom statistischen Regelfall abweichende gesetzliche Ausformung jedoch nichts. Eine solche Fassung ist vielmehr bei einer stattlichen Anzahl allgemein anerkannter Sonderstraftaten durchaus üblich, wofUr als Beispiele hier die Körperverletzung im Amt (§ 340), die Aussageerpressung (§ 343), die Verfolgung Unschuldiger (§ 344) und die Vollstreckung gegen Unschuldige (§ 345) dienen mögen: Nicht die "Amtsträger"-Eigenschaft als solche bildet das besondere persönliche Merkmal, sondern erst in Verbindung mit einer wirksamen Betrauung mit den amtlichen Funktionen in dem konkret betroffenen Verfahren sowie mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben durch das Handeln als Amtsträger fUr den Dienstherrn wird bei diesen Straftaten - ganz entsprechend zur Regelung des § 14 - das das Sonderdeliktssubjekt qualifizierende besondere persönliche Merkmal vertatbestandlicht. Der im Ausgangsbeispiel als vertretungsberechtigtes Organ fUr die GmbH als LKW-Halterin die Fahrt trotz fehlender Fahrerlaubnis anordnende GeschäftsfUhrer erfUllt so das 140

Ausfilhrlich dazu Deichmann, Grenzfälle der Sonderstraftat, S. 229 f.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

besondere persönliche Merkmal aus §§ 21 Abs. I Nr.2 StVG, 14. Damit ist auch der Sonderunrechtstatbestand aufgewiesen, der mit der gesetzlichen Erstreckung des einschlägigen Sonderverbrechens durch § 14 entsteht. Unmittelbar aus dem Wortlaut des § 14 ("Gesetz '" auch auf den Vertreter anzuwenden") ergibt sich, daß diese Vorschrift die Strafbarkeit des jeweils betroffenen Sonderverbrechens auf die in seine Sondersubjektivität einbezogenen Personen erstreckt. Die Sonderstrafbarkeit des im Beispielsfall fiir die GmbH als Halterin die Fahrt trotz fehlender Fahrerlaubnis anordnenden Geschäftsfiihrers (nämlich seine Bestrafung wie der Halter nach §§ 21 Abs. I Nr. 2 StVG, 14) zeigt sich im Vergleich mit der Strafbarkeit eines nicht die Voraussetzungen des § 14 erfiillenden Beteiligten, der bei im übrigen gleicher Anordnung einer solchen Fahrt sich allenfalls als extraner Anstifter mit obligatorischer Milderung nach §§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG, 26, 28 Abs. I strafbar machen könnte.

Zusammengefaßt hat sich damit ergeben, daß bei Erfiillung von § 14 alle Begriffsmerkmale des Sonderverbrechens durch die zuvor nicht Qualifizierten verwirklicht sind. Die Begehbarkeit der jeweiligen Sonderstraftat wird also mit dem "Handeln fiir einen anderen" gemäß § 14 auf die zuvor nicht qualifizierten Organträger, Vertreter und Beauftragten gesetzlich erstreckt. In dieser gesetzlichen Erweiterung des Intranenkreises liegt damit die einzige 14 1, andererseits zur gemäß Art. 103 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich korrekten Umsetzung des legislatorischen Ziels aber auch unverzichtbare Funktion dieser Vorschrift.

bb) Rechtsfolgen der Qualifikationserstreckung Werden durch § 14 beim "Handeln fiir einen anderen" die zuvor nicht Qualifizierten in den Intranenkreis des betroffenen Sonderverbrechens einbezogen, dann sind damit zugleich die Rechtsfolgen dieser Qualifikationserstreckung vorgegeben: Die erfaßten Organträger, Vertreter und Beauftragten machen sich als Sondersubjekte strafbar; folglich können sie die Sonderstraftat auch in Mittäterschaft mit anderen Qualifizierten wie auch in mittelbarer Täterschaft begehen. Soweit der Versuch unter Strafandrohung gestellt ist, können sie sich zudem wegen Versuchs strafbar machen, denn sie sind taugliche Subjekte dieser Sonderstraftat. Anstiftung und Beihilfe Intraner sind nach den allgemeinen Teilnabmeregeln zu beurteilen. Die Strafbarkeit von Anstiftung und Beihilfe

141 Als selbstverständlich bedurfte keiner Begründung, daß insbesondere das gegenwärtig äußerst umstrittene Gesamtfeld des Unternehmens- und Verbändestrafrechts nicht in den hier behandelten Regelungsbereich des § 14 gehört.

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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Extraner richtet sich nach § 28 Abs. I, d. h. sie ist zwingend einmal bzw. doppele 42 nach dem Schlüssel des § 49 zu mildern.

2. Scheinbare Erweiterung des Sonderstraftatbereichs: Die sog. "faktische Tauglichkeit" Ist die Sonderstraftat dadurch charakterisiert, daß sie nur durch einen Qualifizierten begangen werden kann, während die Extranen hierzu untauglich sind, hat diese klare begriffliche Unterscheidung doch nicht verhindern können, daß in Rechtsprechung und Schrifttum 143 der Versuch unternommen worden ist, mit der sog. "faktischen Tauglichkeit" eine Rechtsfigur zu etablieren, die dem ersten Anschein nach zunächst den Sonderdeliktsbereich in eine weitere Richtung erstreckt und sich später auch auf anderen Gebieten als zum Zweck der Strafbarkeitsausdehnung verwendbar erwiesen hat. In dem Bestreben, auch ohne eine Grundlage im Strafgesetz zur Strafbarkeit des untauglichen Subjekts wegen versuchter Sonderstrafbarkeit zu kommen, zog man die Fallgestalt der "faktischen Tauglichkeit" heran, rur die einzelne höchstrichterliche Entscheidungen sogar zur Vollendungsstrafbarkeit gelangt waren, so daß die nunmehr rur das untaugliche Subjekt berurwortete Versuchsstrafbarkeit a maiore ad minus sich gleichsam von selbst begründete. Als in diesem Sinne faktisch tauglich beurteilt worden waren "Beamte" oder "Soldaten", deren Einstellungsakt rechtlich unwirksam war, die dann aber dieser Funktion entsprechend tätig und dabei straffiillig geworden waren. Ihre Verurteilung wegen eines Amts- oder Militärdelikts l44 begann zu einer Zeit, in der die Gerichte nicht an den Gesetzlichkeitsgrundsatz gebunden waren, so daß die Rechtsfigur der sog. faktischen Tauglichkeit dogmengeschichtlich auf einem wenig tragfahigen 45 und schon deswegen weitergehende Folgerungen zur StrafFundament barkeit des untauglichen Subjekts nicht zu stützen vermag.

ruhe

Unabhängig von dieser historischen und sachlichen Fragwürdigkeit stellt sich hier das Problem der sog. faktischen Tauglichkeit nur als ein Aspekt der Gesetzesauslegung beim Sonderdelikt: Ist der Bereich der jeweiligen Sonderstraftat 142 Eine solche Doppelmilderung hat bei dem extranen Beteiligten zu erfolgen, dessen Mitwirkungsform bei einem Qualifizierten als bloße Beihilfe zu beurteilen wäre (ständige Rechtsprechung seit BGHSt 26, 53 ff.). 143 Vgl. hierzu Bruns, Der unt.augliche Täter, S. 7 ff., mit zahlreichen Nachweisen aus Schrifttum und Rechtsprechung. - Siehe dazu auch die grundlegende und umfassende abgewogen-kritische Würdigung des dieser Rechtsfigur zugrundeliegenden methodischen Prinzips durch Cadus, Die faktische Betrachtungsweise, S. 17 ff. 144 Vgl. auch hierzu Nachweise bei Bruns, Der untaugliche Täter, S. 8 ff. 145 Gleichwohl rur die Einbeziehung bei nichtiger AmtsträgersteIlung in den Kreis der Sonderptlichtigen Maier, Die Objektivierung des Versuchsunrechts, S. JOI ff

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

in solchen Fällen auf die "faktisch Tauglichen" im Wege der Auslegung zu erstrecken? Ein in Schrifttum und Rechtsprechung mehrfach behandelter Beispielsfall betrifft den sog. faktischen Geschäftsruhrer einer GmbH, der durch seine beherrschende Steuerung eines real existierenden und gültig bestellten "Strohmann-Geschäftsruhrers" die Geschäfte der GmbH maßgebend lenkt. 146 Wird der so auf Grund einer angemaßten Funktion oder infolge eines Irrtums faktisch Taugliche zum Intranen eines von ihm in allen übrigen Voraussetzungen verwirklichten Sonderdelikts? In dieser Beschränkung auf ihre Relevanz rur das Sonderverbrechen sei die "faktische Tauglichkeit" nachfolgend beleuchtet.

a) Offensichtlich nicht einschlägige Fallgestalten "faktischer Tauglichkeit"

Sichtet man die höchstrichterlichen Entscheidungen und die Äußerungen im Schrifttum zur sog. faktischen Tauglichkeit unter diesem hier allein relevanten Aspekt, dann bemerkt man sogleich, daß sie rur die Frage nach einer möglichen Erstreckung des Sonderdeliktsbereichs ganz offensichtlich nicht einschlägig sind. Die Gründe darur sind vielfaltig; lediglich als Beispiele seien anschließend einige genannt. Nicht das Sonderdelikt betreffen die Fragen nach der faktischen Tauglichkeit bei den im Subjektskreis eingeschränkten Gemeinstraftaten. Bei ihnen wird durch die tatbestandliehe Benennung spezifischer Subjektsmerkmale der Kreis der tauglichen Täter eingegrenzt, ohne daß hierdurch ein Sonderunrecht und damit eine Sonderstraftat begründet würde. Vergleichsweise häufig 147 wird die faktische Tauglichkeit hier wohl deshalb thematisiert, weil jene Deliktsgruppe weithin begrifflich nicht als solche erfaßt ist 148 und deshalb als Sonderstraftat behandelt wird, mit letzterer hinsichtlich der Subjektskreiseinschränkung phänomengleich ist und schließlich, weil tatbestandlieh kein Sonderunrecht vorausgesetzt ist, man sich leichter mit einer nur faktischen Tauglichkeit des Täters zur Erfiillung der gesetzlich einschränkenden Subjektskennzeichnung begnügen kann. 146 V gl. zu diesem Beispielsfall etwa Siegmann/Vogel, ZIP 1994, 1821 ff., und Dierlamm, NStZ 1996, 153 ff., jeweils mit zahlreichen Nachweisen. 147 Vgl. etwa zu den Insolvenzstraftaten der §§ 283 ff.: ScholzfTiedemann, GmbHG, Rn. 28 ff. vor §§ 82 ff.; Deutscher/Körner, wistra 1996, 8, 11 ff.; Ogiermann, wistra 2000, 250 f., jeweils mit zahlreichen Nachweisen aus Schrifttum und Rechtsprechung; zu § 82 Abs. 1 Nr. 1 u. 3 GmbHG: BGH NJW 2000, 2285 f., mit zahlreichen Nachweisen. Zu undifferenziert: Siegmann/Vogel, ZIP 1994, 1821, 1822. 148 Wo diese maßgebende Unterscheidung fehlt, hängt die übrige Problembehandlung in der Luft; so etwa bei Montag, Die Anwendung der Strafvorschriften, S. 24 f., 49 ff.; Ramsiek, Unternehmensstrafrecht, S. 89 ff.; Ursula Stein, Das faktische Organ, S. 194 ff. Diesem Einwand ist auch die im übrigen weit überdurchschnittliche Dissertation von Cadus, Die faktische Betrachtungsweise (insbes. S. 80 ff.), ausgesetzt.

3. Kap.: Entwicklung der eigenen Begriffsbestimmung

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Gleichfalls nicht um eine Qualifikationserstreckung beim Sonderdelikt auf Grund einer nur faktischen Tauglichkeit geht es in den Fällen, in denen dessen Sondersubjektivität von Anfang an aus einer besonderen rechtlichen wie eben auch aus einer besonderen tatsächlichen Grundlage erwachsen kann. 149 So kann etwa bei der sog. Treubruchsuntreue (§ 266 Abs. 1 Var. 2) die verletzte Treuepflicht in einem rein tatsächlichen Treueverhältnis begründet gewesen sein. Ein solcher Untreuetäter ist ein originäres Sondersubjekt, d. h. er wird nicht erst über die Rechtsfigur der sog. faktischen Tauglichkeit in den Bereich dieser Sonderstraftat einbezogen. Als wichtige Untergruppe der zuvor behandelten, filr die Erstreckung der Sondersubjektivität allein auf Grund der "faktischen Tauglichkeit" offensichtlich nicht einschlägigen Fallgestalt sind sodann die Garantenunterlassungsdelikte zu nennen. Das in Schrifttum l50 und Rechtsprechung l51 wohl am breitesten erörterte Beispiel ist das Vorenthalten von Arbeitsentgelt gemäß § 266 a Abs. 1: "Arbeitgeber" i. S. dieser Vorschrift ist man (oder man ist es nicht) schon vor dem Unterlassen der Beitragsabfilhrung zur Sozialversicherung, d. h. auch einem "faktisch Tauglichen" wächst jene Qualifikation niemals gerade durch sein Unterlassen ZU. 152

b) Potentiell einschlägige Fallgestalten "faktischer Tauglichkeit" Der nach diesem Aussondern der offensichtlich filr die Qualifikationserstrekkung nicht einschlägigen Fallgestalten aus der Vielzahl der in Schrifttum und Rechtsprechung erörterten Beispielsflille sog. faktischer Tauglichkeit verbleibende Rest ist verschwindend gering. Gleichwohl bedarf er genauerer Betrachtung, weil hier die faktische Tauglichkeit nicht von vornherein filr die Qualifikationserstreckung unübersehbar irrelevant ist. Diese potentiell einschlägigen Fallgestalten lassen sich danach, ob die sog. faktische Tauglichkeit jeweils hinreichende Bedingung filr die Qualifikationserstreckung ist, in zwei Gruppen gliedern: Die erste bilden die von § 14 Abs. 3 erfaßten Sachverhalte, filr die die hier vorzunehmende Analyse rasch zeigt, daß bei ihr zwar die Subjektsqualifikation des jeweiligen Sonderdelikts auf die be-

149 Zutreffend SchofzlTiedemann, GmbHG, Rn. 15 vor §§ 82 ff., und Tiedemann, NJW 1986, 1842, 1845. - Zu ähnlichen Fallgestalten siehe schon Schünemann in LK StGB, § 14 Rn. 34. 150 V gl. etwa SchönkeISchröderILenckner/Perron, StGB, § 266 a Rn. 11; TröndfelFischer, StGB, § 266 a Rn. 5. 151 Vgl. etwaOLG Hamm, NStZ-RR 2001,173 f.; KG, NJW-RR 1997,1126 f.; OLG Zweibrücken, ZIP 1995, 663 ff. 152 Näher dazu oben, S. 362.

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2. Teil, I. Abschn.: Die Begriffsbestimmung des Sonderverbrechens

troffenen Vertreter und Beauftragten erstreckt wird, nur eben auf dieser gesetzlichen Grundlage und gerade nicht schon auf Grund ihrer "faktischen Tauglichkeit,.153 Nur scheinbar wird durch letztere hier der Sonderstraftatbereich erweitert; tatsächlich erfolgt die Einbeziehung der zuvor nicht Qualifizierten in den Kreis der Sondersubjekte erst durch die Gesetzesvorschrift des § 14 Abs. 3, und zwar unter strikter Beschränkung auf die Fallgestalt der nur rechtlichen Unwirksamkeit des real vorgenommenen Bestellungsakts zum Vertreter oder Beauftragten. Ein Fall, in dem der Täter auf dieser Grundlage verurteilt worden wäre, ist in der hächstrichterlichen Judikatur nicht ersichtlich. Damit bleibt aus dem Gesamtfeld der sog. faktischen Tauglichkeit schließlich als denkbar und potentiell einschlägig, d. h. die Qualifikationserstreckung des jeweiligen Sonderdelikts betreffend, diejenige Fallgestalt, bei der die "faktische Tauglichkeit" als solche allein und unmittelbar zur Einbeziehung dieser Deliktssubjekte in den Kreis der Intranen fUhrt. Solche Sachverhalte sind bisher jedoch weder in der Strafrechtspraxis aufgetreten noch im strafrechtlichen Schrifttum aufgewiesen worden. Stichhaltige Argumente dafUr, daß und wie aus einem bloßen Faktum außerhalb des Gesetzes eine dem verfassungsrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzip des Art. 103 Abs. 2 GG genügende stratbarkeitsbegründende Sonderverpflichtung erwachsen soll, lassen sich offenbar nicht auffinden. Die Rechtsfigur der "faktischen Tauglichkeit" hat sich damit fUr die Frage der Erstreckung des Sönderdeliktsbereichs als Scheinproblem erwiesen. Eine Erweiterung des Intranenkreises erfolgt nur durch den (seinerseits auf diese Funktion beschränkten) § 14, d. h. ausschließlich durch das Gesetz selbst.

153 Entgegen Schünemann in LK StGB, § 14 Rn. 68 f., ergibt sich also aus § 14 Abs. 3 für die generelle Strafbarkeit der nur "faktisch Tauglichen" überhaupt nichts. Weder deckt diese Vorschrift die BGH-Judikatur zur sog. faktischen Tauglichkeit in ihrer Gesamtheit, noch hat sie lediglich deklaratorischen Charakter. Sie ist vielmehr die "gesetzliche Bestimmung" der Strafbarkeit für eine ganz spezielle Fallgestalt und als Erweiterung einer Strafbarkeitserweiterung eng auszulegen. Im Ergebnis ebenso Marxen, JZ 1988, 286, 287 ff.

4. Kap.: Einteilungen der Sonderverbrechen

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Viertes Kapitel

Die Einteilung der Sonderverbrechen Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum stößt man in aller Regel sehr schnell auf eine größere Anzahl von Klassifizierungen der Sonderstraftat, wie etwa echt - unecht, eigentlich - uneigentlich, rein - gemischt, wirklich - scheinbar usw. Derartige Gliederungen einer Deliktsgruppe sind an sich nichts Außergewöhnliches; so werden z. B. die Gefährdungsverbrechen herkömmlich in abstrakte und konkrete eingeteilt, Körperverletzung und Brandstiftung vertypt das Gesetz als einfache und als schwere, bei den Versuchsstraftaten werden taugliche und untaugliche unterschieden. Dennoch scheinen sich diese Fälle von den oben genannten Klassifizierungen der Sonderstraftat zu unterscheiden: Durch alle Differenzierungen der letzteren Art wird der Inhalt eines feststehenden Begriffs gegliedert; beide Gruppen unterfallen ungeachtet ihrer Divergenzen weiterhin diesem Oberbegriff. Etwas anderes könnte bei den beispielhaft angefiihrten Einteilungen der Sonderdelikte bereits durch die Wortwahl angedeutet sein. Alle Gegensätze weisen dort nämlich in die gleiche Richtung: Die Attribute "echt", "eigentlich", "rein", "wirklich" bringen nach übli