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German Pages 162 Year 1983
BARBARA
DAUNER~LIEB
Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 85
Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher Systemkonforme Weiterentwicklung oder Schrittmacher der Systemveränderung?
Von
Dr. Barbara Dauner-Lieb
DUNCKER & HUMBLOT
/
BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Dauner-Lieb, Barbara: Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher: systemkonforme Weiterentwicklung oder Schrittmacher der Systemveränderung? / Von Barbara Dauner-Lieb. Berlin: Duncker und Humblot, 1983. (Schriften zum Bürgerlichen Recht; Bd. 85) ISBN 3-428-05477-6
NE:GT
D 21 Alle Rechte vorbehalten © 1983 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1983 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Ber11n 65 Printed in Germany ISBN 3 428 05477 6
lngeborg und Dr. Wilhelm Dauner
Vorwort Die Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen im Wintersemester 1982/83 als Dissertation vor. Sie entstand überwiegend während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistentin an der Universität Köln im Rahmen eines vom Verein der Freunde und Förderer der Universität Köln unterstützten Forschungsvorhaben mit dem Schwerpunkt Verbraucherschutz. Der Studienstiftung des Deutschen Volkes danke ich für Förderung und zahlreiche Anregungen während meines Studiums und die Gewährung eines Promotionsstipendiums. Ganz besonderen Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Wolfgang Zöllner für die Übernahme der Betreuung. Köln, im September 1983
Barbara Dauner-Lieb
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung: Sonderprivatrechtliche Rechtsfortbildung unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes als Privilegierung schutzbedürftiger Personengruppen bzw. des Verwendungszwecks "Konsnm"
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B. Penonen- bzw. verwendungszweckbezogene Rechtsfortbildung als Problem der Tragfähigkeit und GeItungskraft des dem BGB zugrundeliegenden SoziaimodeIls
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I. Personen- bzw. verwendungszweckbezogene Regelungsansötze im
geltenden Recht... ... ... .. ... ... ... .. . . .... ..... . .. .. ... . .. . . ... ..
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1. Die Unterscheidung zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten als
personenbezogener Ansatz im Hinblick auf unterschiedliche geschäftliche Erfahrung .......................................... 28
a) b) c) d)
Das Handels- und Gesellschaftsrecht ........................ Das AbzG .................................................. Das AGBG .................................................. Zusammenfassung ...........................................
30 34 40 46
2. Die Ausbildung eines besonderen Wohnungsmietrechts als verwendungszweckbezogener Ansatz im Hinblick auf die existentielle Bedeutung des Vertragsgegenstands ...................... 48 3. Zusammenfassung..............................................
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II. Das Prinzip formal-abstrakter Gleichheit der Rechtssubjekte und Verwendungszwecke als Niederschlag eines liberalen Sozialmodells 51 1. Die Prämissen des liberalen Sozialmodells ......................
a) Das am homo oeconomicus orientierte Menschenbild .......... b) Das Marktparadigma ........................................
52 52 53
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Inhaltsverzeichnis 2. Rechtliche Konsequenzen .......................................
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a) Das Prinzip formal-abstrakter Gleichheit .................... b) Das Institut der Privatautonomie ............................ c) Das Prinzip dezentralisierter Risikoverteilung .. . . . . . . . . . . . . ..
54 55 57
III. Zusammenfassung .................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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c. Personenbezogene Rechtsfortbildung im Rahmen eines liberalen Informationsmodells I. Kritik des klassischen, liberalen Sozialmodells: Typische Unterlegenheit bestimmter Personengruppen wegen rechtlicher und geschäftlicher Unerfahrenheit aufgrund mangelnder Information über willensbildungsrelevante Faktoren ................................. 11. Perspektiven einer privatrechtlichen Kompensation rechtlicher und
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geschäftlicher Unerfahrenheit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
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1. Bezugspunkte typischer Informationsdeftzite ....................
67
2. Die dogmatischen Instrumente ..................................
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69 b) Inhaltskontrolle von AGB ................................... 72 c) Anordnung halbzwingender Normen? ........................ 75 d) Abgrenzung des gegenständlichen Anwendungsbereichs von Aufklärung und Inhaltskontrolle ............................ 76 a) Aufklärung .................................................
3. Rechtsfolgen eines Unterlassens gebotener Aufklärung... . . .....
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a) Gesetzliche Rechtsfolgenanordnungen ........................ 78 b) Schadensersatz aus c.i.c. ..................................... 78 c) Einordnung eines Aufhebungs- bzw. Widerrufsrechts de lege ferenda ..................................................... 80
4. Legitimation des sog. Einwendungsdurchgriffs im Rahmen des Informationsmodells ........................................... 82 a) Die Kategorien des Informationsmodells in Rechtsprechung und Literatur. . . . .. .. . . . ... .. . . . ..... . .. . .. . ... . . . . .. ... . . .. 83 aa) Die Zweispurigkeit von Aufklärungs- und Durchgriffsrechtsprechung bis 1967 .................................. 83
Inhaltsverzeichnis bb) Die Verbindung von Aufklärungs- und Durchgriffskonstruktion insbesondere durch Subjektivierung der wirtschaftlichen Einheit ab 1967 ..............................
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ce) Die Verknüpfung von geschäftlicher Unerfahrenheit und Aufklärungspflichten mit objektiven Verbindungselementen seit 1978 ............................................ 92 dd) Literatur .......................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Probleme der Ableitung des Einwendungsdurchgriffs aus einer Unerfahrenheit des Kreditnehmers .......................... aa) Vorbedingung: Anerkennung der Irrelevanz "objektiver Verbindungselemente" .................................. bb) Das sog. Aufspaltungsrisiko als Bezugspunkt eines typischen Informationsdeflzits ............................... ce) Das Rechtsfolgenproblem ................................ dd) Konsequenzen hinreichender Aufklärung ................
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98 98 99 101 102
c) Zusammenfassung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 103 5. Zusammenfassung.............................................. 103 111. Kritik: Das Informationsmodell als sachbezogener Korrekturansatz 105
D. Verwendungszweckbezogene Rechtsfortbildung im Rahmen eines sozialen Verbrauclterschutzmodells
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I. Kritik des liberalen Sozialmodells: Typische wirtschaftliche Unter-
legenheit des Verbrauchers aufgrund seiner Angewiesenheit auf Konsum .......................................................... 109
11. Perspektiven einer privatrechtlichen Kompensation der Angewiesenheit des Verbrauchers auf Konsum ............................ 116 1. Relativierung des Grundsatzes "pacta sunt servanda" durch Ein-
räumung genereller Widerrufs- und Rücktrittsrechte ............ 116 2. Verbot sozialpolitisch unerwünschter Geschäftstypen ............ 119 3. Richterliche Preisregulierung durch soziale Auslegung des § 138 BGB ........................................................... 120 a) Funktionswandel des Sittenwidrigkeitsbegriffs ................ 121 b) Korrektur der Totalnichtigkeit .............................. 124 c) Ausblick .................................................... 126
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Inhaltsverzeichnis 4. Zurückdrängung des dispositiven Rechts durch Anordnung halbzwingender Nonnen und Ausdehnung der Inhaltskontrolle auf Individualvereinbarungen ...................................... 127 5. Legitimation des sog. Einwendungsdurchgriffs im Rahmen eines sozialen Verbraucherschutzmodells .............................. 129 a) Die Kategorien der sozialen Verbraucherschutztendenz in Rechtsprechung und Lehre .................................. 129 b) Die Konzeption Reifners: Der Einwendungsdurchgriff als Instrument einer privatrechtlichen Vergesellschaftung von Risiken ......................................................... 133 c) Zusammenfassung .......................................... 138 6. Zusammenfassung.............................................. 139
111. Kritik: Sozialer Verbraucherschutz im Privatrecht als Schrittmacher der Systemveränderung ........................................... 141 E; Ergebnis: Sadlbezogene Red1tsfortbUdung unter Wahrung des Prinzips formal-abstrakter Gleidlheit als Perspektive systemkonformer Weiterentwicklung des Prlvatredlts
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Llteraturverzeidlnis ................................................... 152
A. Einleitung: Sonderprivatrechtliche Rechtsfortbildung unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes als Privilegierung schutzbedürftiger Personengruppen bzw. des Verwendungszwecks "Konsum" I. Der Verbraucherschutzgedanke hat in den letzten 20 Jahren einen außerordentlich mächtigen, weltweiten Aufschwung erlebt. Der Konsument - man versteht darunter in Anlehnung an wirtschaftswissenschaftliche Begrüfsbildungen übereinstimmend in erster Linie den Letztabnehmer, der eine vertragliche Leistung nicht zu gewerblichen, sondern zu privaten Zwecken nutzen bzw. "verbrauchen" wilJi rückte zunehmend ins Zentrum des wirtschafts-,. gesellschafts- und rechtspolitischen Interesses: Die Parteien und Gewerkschaften nahmen die Verbraucherpolitik als eigenständiges Arbeitsfeld in ihre Programme auf; es wurden Institute zur kollektiven Wahrnehmung von Verbraucherinteressen wie Verbraucherverbände und die Stiftung Warentest gegründet; die Medien befaßten sich zunehmend mit verbraucherpolitischen Themenstellungen; vor allem aber entfaltete die Legislative eine rege verbraucherrechtliche Aktivität. 2 Die allgemeine Sensibilisierung für verbraucherpolitische Fragestellungen, die durch parallele internationale Tendenzen noch beschleunigt und verstärkt wird,3 1 Vgl. 'Von Hippel, Verbraucherschutz, S. 1 m. w. N.; Hadding, Gutachten, S. 29 f.; Reich, Markt und Recht, S. 179; Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 18 f.; aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht Stauss, S. 6 ff.; vg1. auch BGH NJW 1979, 805, 806 1. Sp.; da jedes Rechtssubjekt nicht nur Verbraucher ist, sondern - wenn man einmal von Studenten oder Rentnern absieht - auch als Unternehmer im weitesten Sinne oder als Arbeitnehmer Güter produziert, charakterisiert der wirtschaftswissenschaftliche Verbraucherbegriff nicht eine bestimmte Personengruppe, sondern eine Funktion bzw. Rolle; der Einzelne wird rechtlich immer dann in dieser Rolle tätig, wenn er Rechtsgeschäfte zum Zweck des persönlichen Konsums vornimmt; die rechtliche Berücksichtigung der Verbrauchereigenschaft ist damit gleichbedeutend mit der Anerkennung einer rechtlichen Relevanz von Zwecken, die außerhalb des unmittelbaren Austauschs von Leistung und Gegenleistung liegen, d. h. die weitere Verwendung des Vertragsgegenstandes betreffen; dennoch ist der "juristische Verbraucherbegriff" heftig umstritten; vgl. den Überblick bei Schneider, BB 1974, 764; zu den Ursachen dieser Diskussion siehe A IV. I Vgl. den überblick über die Entwicklungen der Verbraucherpolitik bei Biervert I Fischer-Winkelmann I Rock, S. 13 ff. S Vgl. insbesondere 'Von Hippel, Verbraucherschutz; zum Verbraucherschutz in Europa siehe von Hippel, RabelsZ 45 (1981), 353; zu internationalen Ten-
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A. Einleitung
spiegelt sich besonders deutlich in der Fachliteratur wider. Die erste monographische Bearbeitung der Thematik aus juristischer Sicht durch von Hippel 4 hat eine kaum noch überschaubare Flut weiterer einschlägigerVeröffentlichungen ausgelöst. 5 Dabei wird in den rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Stellungnahmen in ungewöhnlich starkem Maße auf rechtstatsächliches Material einerseits, auf wirtschaftswissenschaftliche Analysen und Theoriebildungen andererseits Bezug genommen.6
ll. Dennoch läßt sich zur Zeit der Gegenstandsbereich von Verbraucherpolitik nicht klar umschreiben und abgrenzen. 7 Dies liegt zum einen daran, daß in der allgemeinen Diskussion alle Problemfelder, die in irgend einer Form das einzelne Rechtssubjekt als "Privatmann" tangieren, ohne weiteres dem Sachkomplex Verbraucherschutz zugeordnet werden. So unterschiedliche Bereiche wie Produzentenhaftung, Reform der Wohnraummiete, Ernährungspolitik, Umweltschutz und Arzneimittelüberwachung werden zumindest auch als Probleme des Verbraucherschutzes qualifiziert.8 Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher, deren Selbstverständnis in gewissem Umfang einen Indikator für den aktuellen Stand der Diskussion darstellt, erstreckt ihre Publikationen und Anfragen zur Bundestagswahl selbst auf Themen wie Agrarpolitik denzen im Bereich des Konsumentenkredits vgl. König, Konsumentenkredit; von Marschalt, Gutachten, S. 55 ff.; Gundlach, Konsumentenkredit, S. 93ff., insbesondere S. 102 ff. zur EG-Verbraucherkreditrichtlinie; Hadding, Gutachten, jeweils im Zusammenhang mit den erörterten Sachfragen. 4 von Hippel, Verbraucherschutz, 1. Auflage, 1974. 5 Vgl. insbesondere Dicht! (Hrsg.), Verbraucherschutz in der Marktwirtschaft, 1975; K. Simitis, Verbraucherschutz - Schlagwort oder Rechtsprinzip?, 1976; Reich / Tonner / Wegener, Verbraucher und Recht, 1976; Reich, Markt und Recht, 1977; Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung, 1979; Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem, 1981; aus der Aufsatzliteratur siehe insbesondere Reich ZRP 1974, 187; Damm JZ 1978, 173; Kramer ZSchweizR 1979, 49; GUtes JA 1980, 1; Graf von Westphalen DB 1981, 61; Joerges AG 1983, 57; Schwark, Abgrenzung; vgl. zur Sonderproblematik des Konsumentenkredits die Nachweise Fn. 24. 6 Vgl. etwa Gundlach, Konsumentenkredit, S. 25 ff.; Reifner, Verbraucherverschuldung, u. a. S. 202 ff.; für die juristische Diskussion spielen aus der schwerpunktmäßig wirtschafts- und sozialwissenschaftlich orientierten Literatur insbesondere eine Rolle Scherhorn, Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik, 1975; Bierwert / Fischer-Winkelmann / Rock, Grundlagen der Verbraucherpolitik, 1977; Reifner / Weitz / Uesseler, Tatsachen zum Verbraucherschutz im Konsumentenkredit, 1978; Stauss, Verbraucherinteressen, 1980; Holzscheck / Hörmann Z!P 1982, 1172. 7 Vgl. dazu Joerges, Verbraucherschutz, S. 30 ff. S Vgl. etwa die Problemkataloge bei K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 21 ff.; von Hippel, Verbraucherschutz, S. 39 ff.
A. Einleitung
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und Datenschutz sowie auf Fragen der Energiepolitik.9 Die Schwierigkeit einer Konkretisierung und Präzisierung von Verbraucherpolitik ist aber vor allem auch darauf zurückzuführen, daß über Art und Inhalt der zu sichernden Verbraucherinteressen höchst unterschiedliche Vorstellungen bestehen. Die Spannweite der vertretenen Standpunkte läßt sich schon an den von einigen Autoren erarbeiteten Katalogen typischer Schutzbereiche ablesen. Sie umfassen bereits in ihrem Kernbereich so heterogene Ziele wie die umfassende Versorgung des Verbrauchers mit den von ihm benötigten und gewünschten Gütern, den Schutz vor überhöhten Preisen, vor mangelhafter Leistung, vor drückenden Abwicklungsbedingungen und vor Schäden sowie die Hilfe bei der prozessualen Wahrnehmung seiner Rechte. 10 Daneben wird zunehmend auch die Notwendigkeit eines Schutzes vor überschuldung, vor Täuschung und irreführender Werbung genannt. 11 Teilweise wird darüber hinaus im Ansatz sogar ein Schutz vor der Erzeugung künstlicher Konsumbedürfnisse bzw. weitergehend vor der Produktion von Gütern, für die kein "wirklicher" Bedarf besteht, für erforderlich gehalten.12
m. Immerhin zeichnen sich in der Diskussion zwei Problemschwerpunkte ab. Zum einen wurde und wird vielfach ein enger Zusammenhang zwischen dem Schutz von Verbraucherinteressen und effektiver Wettbewerbspolitik hergestellt;13 dies erklärt die intensive Auseinandersetzung mit verbraucherbezogenem Gedankengut in der wettbewerbsrechtlichen Literatur;14 in diesen Zusammenhang sind aber etwa auch die tasten8 Vgl. AgVIDGB (Hrsg.), Handbuch des Verbraucherrechtes; weitere Nachweise bei Joerges, Verbraucherschutz, S. 30 f. 10 Vgl. insbesondere von Hippel, Verbraucherschutz, S. 16 ff.; siehe auch Reich I Micklitz, Verbraucherschutzrecht, S. 4 f. Vgl. zum Diskussionsstand im Übrigen die Veröffentlichungen der 1977 gegründeten "Zeitschrift für Verbraucherpolitik" (ZVP). 11 Vgl. neben den Nachweisen in Fn. 10 etwa die Bandbreite der von Hadding, Gutachten zum 53. DJT, angeschnittenen Problemkreise; vgl. zum Problem der Verbraucherverschuldung insbesondere Reifner I Weitz I Uesseler, Tatsachen zum Verbraucherschutz, S. 189 ff.; Holzscheck I Hörmann I Daviter, Praxis des Konsumentenkredites, S. 57 ff. 12 Vgl. Reifner, Verbraucherverschuldung, insbesondere S. 202 ff., 207; noch weitergehend K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 83 ff., insbesondere S. 156 ff. lS Vgl. dazu Reich I Micklitz, Verbraucherrecht, S. 11 f.; Joerges, Verbraucherschutz, S. 18 ff.; zur besonderen Problematik der Nachfragemacht S. 93 ff.; Reich, Markt und Recht, S. 200ff.; Biervertl Fischer-Winkelmannl Rock, S. 13 ff.; Czerwonka I Schöppe ZVP 1977, 277; K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 87 ff. 14 Siehe die Nachweise bei K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 21 ff.; Kramer ZSchweizR 1979, 49, 60 ff., 82 ff., 88 ff.; siehe zu "verbraucherschützenden Wirkungen" des GWB Tilmann ZHR 141 (1977), 32; Reich, ZVP 1977, 227; zum Funktionswandel des UWG Baumbach I Hefermehl, Wettbewerbsrecht,
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A. Einleitung
den Versuche des BGH, den Verbraucherschutzgedanken für die Interpretation des UWG fruchtbar zu machen15 sowie die geplante Novellierung des UWGl41, einzuordnen. Daneben gewinnt der Verbraucherschutzgedanke vor allem aber auch in der Diskussion moderner zivilrechtlicher Probleme an Gewicht und wirkt gegenwärtig geradezu als Motor einer Weiterentwicklung und Aktualisierung des bürgerlichen Rechts. In engem Zusammenhang mit dem Aufschwung des Verbraucherschutzgedankens stehen etwa die Schaffung von AGBG17, Reisevertrags-18 und Fernunterrichtsschutzgesetzte sowie die Neufassung des Abzahlungsgesetzes2o • Auch in der Rechtsprechung des BGH wird der Verbraucherschutzgedanke zumindest der Sache nach aufgegriffen und als Auslegungs- und Rechtsfortbildungstopos fruchtbar gemacht; ausdrückliche Bezugnahmen finden sich etwa in einer neueren Entscheidung zum Einwendungsdurchgriff21 ; aber auch Renaissance22 und Funktionswandel des § 138 BGB sind nur auf diesem Hintergrund plausibel zu erklären.23 Als Reaktion auf diese Gesetzgebungs- und Rechtsprechungstendenzen intensiviert sich auch im Bereich des allgemeinen Privatrechts die literarische Auseinandersetzung mit verbraucherrechtlichen Fragestellungen. Im Zentrum des Interesses stehen gegenwärtig Probleme des Konsumentenkredits2"; dieser Themenkreis wurde daher bereits in der zivilrechtlichen AbteiEinl. UWG, Rdnr. 53; zu den neuesten Entwicklungen im Bereich des UWG siehe auch Vogt / Vogt NJW 1981, 12; NJW 1982, 2535. 15 Nachweise zur älteren Rechtsprechung bei K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 24 ff.; zu neueren dahingehenden Rechtsprechungstendenzen vgl. Vogt / Vogt NJW 1981,12; 1982,2535. 18 BR-Dr. 60/82 Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 12. 2. 82. 17 Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBG) vom 9. 12. 1976 (BGBl. I 3317). 18 Gesetz zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches (Reisevertragsgesetz) vom 4. 5. 1979 (BGBl. I 509). 19 Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht (Fernunterrichtsschutzgesetz - FernUSG) vom 24. 8. 1976 (BGBl. I 2525). 20 Änderungsgesetz vom 1. 9. 1969 (BGBl. I 1541), Einfügung der §§ 1 a, 6 a; 2. Änderungsgesetz vom 15. 5. 1974 (BGBl. I 1169), Einfügung der §§ 1 b - d; Änderung des § 1 a; zu unbedeutenderen Gesetzesänderungen vgl. Klauss / Ose, AbzG, Einl. Rdnr. 2. 21 BGH BB 1981, 80, 81 r. Sp. 22 Reijner, Verbraucherverschuldung, S. 388; Joerges, Verbraucherschutz, S.76. 23 Ausdrückliche Bezugnahmen auf den Verbraucherschutzgedanken in BGH NJW 1979, 805, 806, 807; BGH NJW 1981, 1206, 1207. 24 Siehe dazu insbesondere Reijner, Verbraucherverschuldung; von Marschall, Gutachten zur Reform des finanzierten Abzahlungskaufs; Reich JZ 1980,329; Bender, NJW 1980, 1129; Canaris ZIP 1980, 709; Fn. 5, 25.
A. Einleitung
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lung des 53. DJT diskutiert.26 Dabei sind zwar eine Fülle von Einzelfragen heftig umstritten; die Tragfähigkeit und Relevanz des Verbraucherschutzgedankens für die Lösung zivilrechtlicher Probleme wird jedoch nicht mehr grundsätzlich angezweifelt;26 es findet sich kaum noch eine Publikation auf dem Gebiet des allgemeinen Privatrechts, die nicht in irgend einer Weise auf den Verbraucherschutzgedanken Bezug nimmt. Damit ist zumindest atmosphärisch der Boden für weitere gesetzgeberische Initiativen bereitet. So liegt bereits der Regierungsentwurf eines Gesetzes über finanzierte Rechtsgeschäfte und Maklerverträge vo~, der u. a. eine gesetzliche Regelung des Einwendungsdurchgriffs in Gestalt eines § 607 a BGB enthält.27 Vor allem aber sind - ohne daß dies bisher ausreichend deutlich herausgestellt wurde - die Pläne einer grundlegenden Neubearbeitung des allgemeinen Teils und des Schuldrechts des BGB zumindest auch verbraucherpolitisch inspiriert.28 Diese hier nur grob skizzierte Tendenz, bei dem Bemühen um eine stärkere Berücksichtigung von Verbraucherinteressen auf privatrechtliche Mittel zurückzugreifen, weist allerdings ebensowenig Konturen auf wie die allgemeine, verbraucherpolitische Diskussion. Daß über Stellenwert und sachlichen Gehalt des Topos Verbraucherschutz auch insoweit wenig Klarheit besteht, zeigt schon ein flüchtiger Blick auf die dogmatisch-methodischen Instrumente, die ihm im allgemeinen Privatrecht Geltung verschaffen sollen: Die Inhaltskontrolle von Verträgen und die Zurückdrängung des dispositiven Rechts stehen neben der Statuierung von Aufklärungspflichten, Formvorschriften und Widerrufsrechten, der Ausdehnung der Geltungsbereiche des sog. Einwendungsdurchgriffs, der c.i.c. und des § 138 sowie der Entwicklung einer 15 Vgl. die Themenstellung "Welche Maßnahmen empfehlen sich zum Schutz des Verbrauchers auf dem Gebiet des Konsumentenkredits?"; das Gutachten erstellte Hadding; die Referate hielten Hiddemann und Scholz. !8 Vgl. statt aller Graf von Westphalen DB 1981, 61, der sich gerade auf diesem Hintergrund mit den Schattenseiten des Verbraucherschutzes auseinandersetzt. 27 BT-Dr. 8/3212 vom 27.9.1979 = BR-Dr. 220/79 vom 11. 5. 1979; das Maklerrecht wurde inzwischen mit geringfügigen Änderungen als Entwurf eines Gesetzes über Maklerverträge BR-Dr. 38/82 vom 22. 1. 1982 neu eingebracht; der sog. Einwendungsdurchgriff soll in eine umfassende Regelung des Verbraucherkredits integriert werden; vgl. Begründung S. 8. 28 Vgl. einerseits die Einleitung des damaligen Bundesministers der Justiz Schmude zu den Gutachten und Vorschlägen zur Überarbeitung des Schuldrechts, 1981; immerhin erwähnt wird der Verbraucherschutzgedanke in diesem Zusammenhang von A. Wolf AcP 182 (1982), 80, 97 f., 98 f.; sehr dezidiert und unter weitgehender Offenlegung der rechtspolitischen Prämissen dagegen Landfermann RabelsZ 45 (1981), 124, insbesondere 139 ff.; weitgehend unpolitisch sieht die Schuldrechtsreform dagegen Diederichsen AcP 182 (1982), 101, 124.
2 Dauner-Lleb
A. Einleitung
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Produzentenhaftung.29 Ein übergeordnetes Prinzip oder gar ein Rangverhältnis fehlt oder ist zumindest nicht ohne weiteres erkennbar.
IV. Der Zugang zu der Frage nach der Tragfähigkeit des Verbraucherschutzgedankens für die Weiterentwicklung des Privatrechts wird zunächst dadurch erschwert, daß vielfach ohne allzu großes Problembewußtsein Verbraucherschutz mit Abnehmer- bzw. Erwerberschutz gleichgesetzt wird.30 Man qualifiziert auch solche Ansätze zur Korrektur der gesetzlichen Risikoverteilung als "Verbraucherschutz", die in erster Linie auf schutzbedürftigkeitsneutrale Argumente gestützt werden und infolgedessen unabhängig davon gelten sollen, ob der zu begünstigende Vertragspartner überhaupt als Verbraucher tätig wird bzw. einer sozial schutzbedürftigen Gruppe angehört. So gilt etwa die vom BGH in seiner Hühnerpestentscheidung31 eingeleitete Entwicklung einer Produzentenhaftung32 zwar allgemein als Meilenstein auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes.33 Rechtsprechung und Lehre gehen jedoch inhaltlich auf eine besondere Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers als privatem Letztabnehmer so gut wie überhaupt nicht ein;34 schon das Hühnerpesturteil betraf ja bemerkenswern Vgl. den überblick über die Instrumente der neueren Verbraucherschutzgesetzgebung bei Gilles, JA 1980, 1. 80 Kennzeichnend Schmude, Festschrift für Ballerstedt, S. 581; vgl. auch K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 54 f., der im Hinblick auf die Problematik der Produzentenhaftung zu Recht feststellt, der Kreis der Verbraucher decke sich de lege lata mit dem Kreis derjenigen, die über das Vertrags- oder Deliktsrecht Ansprüche stellen könnten, d. h. aller Gegenspieler des Herstellers auf dem Markt; parallele Tendenzen zeigen sich insbesondere in der Diskussion des AGBG; siehe dazu BI 1 c, eil 2 b, C 111; letztlich ist dieser Mangel an klarer Abgrenzung ursächlich für die Schwierigkeiten, den rechtlich relevanten Begriff des Verbrauchers präzise zu erfassen; siehe dazu Fn.1.
BGH NJW 1969, 269. Vgl. zum aktuellen Stand der Diskussion umfassend Münchener-Kommentar-Mertens, § 823 Rdnr. 279 ff.; Larenz, SchuldR 11, S. 71 ff., jeweils m.w.N. 33 Vgl. die Themenstellung des 47. DJT "Soll die Haftung des Produzenten gegenüber dem Verbraucher durch Gesetz, kann sie durch richterliche Rechtsfortbildung geordnet werden? In welchem Sinne?"; Duden, in: Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, S. 89 ff.; K.. Simitis, Verbraucherschutz, S. 50 ff.; S. Simitis, Festschrift für Duden, S. 605 ff.; von Hippel, Verbraucherschutz, S. 39 ff.; Reich / Micklitz, Verbraucherschutzrecht, S. 187 ff.; Diederrichsen NJW 1978, 1281; Münchener-Kommentar-Mertens, § 823 Rdnr. 279 m. w. N. 34 Auch S. Simitis, Festschrift für Duden, S. 605, 612 ff., der im Hinblick auf Bestrebungen des Europa-Rates und der EG-Kommission eine Beschränkung auf Verbraucher als private Letztabnehmer fordert, leitet diesen Standpunkt nicht stringent aus einer Analyse der Stellung des Verbrauchers ab; vgl. zur Entwicklung auf europäischer Ebene den geänderten Richtlinienvor31
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A. Einleitung
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terweise gerade einen gewerblich tätigen Abnehmer, mit anderen Worten einen Nichtverbraucher. Die Notwendigkeit einer Haftung des Herstellers für fehlerhafte Produkte wird vielmehr u. a. daraus abgeleitet, daß dem geschädigten Erwerber keine vertraglichen Ansprüche gegen seinen unmittelbaren Lieferanten zustehen. 36 Die Rechtfertigung für eine Rechtsfortbildung wird letztlich darin gesehen, daß die Gewährleistungsregelungen des BGB, insbesondere die §§ 459 ff. einerseits, die deliktsrechtliche Verschuldenshaftung andererseits, in einem durch Massenproduktion und vor allem durch Arbeitsteilung gekennzeichneten Wirtschaftssystem häufig ins Leere zielen und daher weder dem Endabnehmer ausreichenden Schutz gewähren, noch schadenspräventive Wirkung entfalten können.3t Folgerichtig wird auch bei der Bestimmung des Anspruchsberechtigten ganz überwiegend nicht auf die Verbrauchereigenschaft des jeweiligen Geschädigten abgestellt.37 Es ist zwar umstritten, ob und inwieweit die rechtsfortbildend entwickelte Produzentenhaftung auch Außenstehenden zugute kommen kann. Eine Differenzierung danach, ob der eigentliche Benutzer das schadensstiftende Gut zum privaten Gebrauch oder zur gewerblichen Nutzung erworben hatte, wird dagegen überwiegend abgelehnt.3'8 Die ganz herrschende Meinung würde also etwa den Erwerber eines Kfz bei Versagen der Bremsen gegenüber dem Produzenten auch dann Schutz gewähren, wenn er den Wagen ausschließlich zu Dienstfahrten nutzte. Solche durch sachbezogene Argumentation einerseits, durch Einbeziehung aller betroffenen Rechtssubjekte andererseits, gekennzeichneten Rechtsfortbildungstendenzen zum Schutz des Abnehmers entsprechen schlag der EU-Kommission vom 26.9. 1979, abgedruckt BT-Dr. 8/3358 = BRDr. 520/89; von Hippel RabelsZ 45 (1981), 353, 356 f. 35 Vgl. die Argumentation des BGH in der Hühnerpestentscheidung BGH NJW 1969, 269; siehe auch S. Simitis, Gutachten, S. 10 f.; K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 50 f.; vgl. zu diesem Zusammenhang auch LaTenz, SchuldR II, S. 71 ff.; von Hippel, Verbraucherschutz, S. 44. Nach BGH NJW 1977, 379 kommen die Grundsätze der Produzentenhaftung auch dann zur Anwendung, wenn dem Geschädigten direkte vertragliche Ansprüche gegen den Hersteller zustehen. 38 S. Simitis, Gutachten, S. 7 ff.; K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 50 ff.; Schmidt / SalzeT, Produkthaftung, S. 13 ff.; Diederichsen NJW 1978, 1281; Münchener-Kommentar-MeTtens, § 823 Rdnr. 279, jeweils m. w. N. 37 So aber S. Simitis, Festschrift für Duden, S. 605, 612 ff., m. E. in gedanklichem Widerspruch zu seinen Ausführungen in: Gutachten, S. 59 f.; für eine grundsätzliche Begrenzung auf Verbraucher auch SchwaTk AcP 179 (1979), 57, 72 ff. 38 Vgl. etwa Schmidt / SalzeT, Produkthaftung, S. 140; Diederichsen NJW 1978, 1281, 1291; K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 54 f.; Münchener-Kommentar-Mertens, § 823 Rdnr. 6; in LaTenz, SchuldR II, S. 71 ff. wird die Möglichkeit einer Begrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs nicht einmal angesprochen. De lege ferenda für primäre Vermögensschäden differenzierend Münchener-Kommentar-Mertens, § 823 Rdnr. 306.
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A. Einleitung
dem das gesamte Privatrecht prägenden Prinzip der formal-abstrakten Gleichheit der Rechtssubjekte und Verwendungszwecke; sie sind mit der Risikoverteilung des BGB im gedanklichen Ansatz zumindest insofern ohne weiteres zu vereinbaren, als auch diese - wie sich insbesondere an der Ausgestaltung des Leistungsstörungsrechts sowie des überwiegend dispositiven besonderen Schuldrechts zeigt - ganz überwiegend schutzbedürftigkeitsneutral an Rechtsform und Vertragsinhalt anknüpft. Die sozialen Rahmenbedingungen, die "ökonomischen Rollen" der beteiligten Vertragspartner bzw. die vom Abnehmer geplante Verwendung des Vertragsgegenstands, finden keine Berücksichtigung. Wird ein Kauf- oder Darlehensvertrag abgeschlossen, dann kommen grundsätzlich dieselben Normen und Rechtsinstitute zur Anwendung, unabhängig davon, wer den Vertrag geschlossen und welche "weiteren Zwecke"· - sei es Konsum, sei es gewerbliche Nutzung - er damit verfolgt hat.~
Fragwürdig ist jedoch der Verbraucherbezug allgemeiner Verbesserungen der Abnehmerstellung. Die übliche Zuordnung dahingehender Ansätze zum Sachkomplex Verbraucherschutz erscheint zwar insofern verständlich, als rechtstatsächlich u. a., wenn nicht sogar in erster Linie, Verbraucher davon profitieren sollen. Es ist auch nicht auszuschließen, daß der Aufschwung des Verbraucherschutzgedankens das Bewußtsein für Lücken und Mängel des geltenden Gewährleistungsrechts geschärft und damit die Diskussion über die Notwendigkeit seiner Modernisierung gefördert haU1 Dies ändert jedoch nichts daran, daß der Bezugnahme auf die Interessen des Verbrauchers in diesem Zusammenhang kein eigener Erkenntniswert zukommt; der Rückgriff auf den Verbraucherschutzgedanken bleibt ohne praktische Konsequenzen und ist damit zumindest rechtlich irrelevant.4\!
v. Im Gegensatz zu diesen sachbezogenen und damit im Grunde zu Unrecht im Zeichen des Verbraucherschutzes stehenden Ansätzen zur allgemeinen Aktualisierung des Gewährleistungsrechts begreift eine im Vordringen begriffene Tendenz mehr oder minder bewußt privatrechtlichen Verbraucherschutz als Instrument zum Schutz ganz bestimmter, benachteiligter Abnehmergruppen; sie knüpft bei der Analyse weiter au Zur Problematik der Einbeziehung weiterer Zwecke in die Risikoverteilung siehe B II 2 c Fn. 112. 40 Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 38 ff.; siehe zum Prinzip formalabstrakter Gleichheit ausführlich unten B II 2 a. 41 Vgl. Eith NJW 1974,16,171. Sp. zur AGB-Problematik. 42 So im Hinblick auf die Problematik der Produzentenhaftung auch K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 55.
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Problemfelder primär an den Interessen und Bedürfnissen begrenzter, als schutzwürdig erachteter Personenkreise an, auf die dann die vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen auch beschränkt bleiben sollen. Typisch für dieses Verständnis ist etwa die Diskussion über die Notwendigkeit gesetzgeberischer Maßnahmen auf dem Gebiet des Konsumentenkredits. Wichtige Einzelfragen wie etwa der Geltungsbereich angestrebter Korrekturen im Umfeld der §§ 607 ff. oder des Abzahlungsgesetzes werden nicht im Hinblick auf die konkreten, ganz unterschiedlich strukturierten Sachfragen - die Bandbreite reicht vom sogenannten Einwendungsdurchgriff bis zum Kündigungsrecht gemäß § 247 43 - erörtert, sondern als allgemeine Probleme des Konsumentenkredits "vor die Klammer gezogen"." Dies führt dazu, daß tendenziell Hinweise auf die allgemeine Schutzbedürftigkeit des Kreditnehmers als Verbraucher die auf Sachprobleme, d. h. die konkreten Gefährdungen, bezogenen Argumente in den Hintergrund drängen.45 Folgerichtig wird ganz überwiegend ohne weiteres unterstellt, daß Beschränkungen des persönlichen Anwendungsbereichs von Reformen zugunsten des Kreditnehmers als "Verbraucher" notwendig und gerechtfertigt sind;4G auch der bereits erwähnte Regierungsentwurf eines Gesetzes über finanzierte Rechtsgeschäfte und Maklerverträge sieht entsprechende Differenzierungen in Form eines § 348 a HGB vor:47 Noch sehr viel weitergehend wird im Hinblick auf die geplante Schuldrechtsreform teilweise sogar erwogen, losgelöst von konkreten Sach- und Einzelproblemen einen abgeschlossenen Regelungsbereich für Verbraucher, sozusagen einen allgemeinen Teil eines privatrechtlichen Verbraucherschutzes, zu schaffen. 48 Auch diese schutzbedürftigkeits- bzw. personenbezogenen Rechtsfortbildungsansätze lassen freilich keine einheitliche Linie erkennen. Die Notwendigkeit eines besonderen Schutzes des Verbrauchers wird zwar - sofern sie überhaupt begründet wird" - aus "seiner geschäftlichen 43 Vgl. die Bandbreite der von Hadding in seinem Gutachten zum 53. DJT erörterten Problemkreise. " Vgl. schon der Aufbau des Gutachtens von v. Marschall; noch. ausgeprägter Hadding, Gutachten, S. 80 ff.; Schotz, Referat, K 43 ff. 45 Besonders kennzeichnend insoweit die neuere Entwicklung der abzahlungsrechtlichen Diskussion; siehe dazu B I 1 b. 4G Vgl. Hadding, Gutachten, S. 114 ff.; Hiddemann, Referat, K 19 f.; Schotz, Referat, K 46 ff. 47 Siehe oben Fn. 27; BT-Dr. 8/3212, S. 17, 25; vgl. auch die Stellungnahme des Bundesrates, S. 32 sowie die Erwiderung der Bundesregierung S. 36. 48 Landfermann RabelsZ 45 (1981), 124, insbesondere S. 139 ff.; vgl. auch A. Wotf AcP 182 (1982), 80, 98 f.; Schwark, Abgrenzung. 4V Vgl. dazu schon den kritischen Beitrag Liebs in der Diskussion der Konsumentenkreditproblematik im Rahmen des 53. DJT, Verhandlungen des 53. DJT, K 103 ff.
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und rechtlichen Unerfahrenheit sowie seiner wirtschaftlichen und sozialen Schwachheit" abgeleitet.5o Diese auf den ersten Blick außerordentlich griffige und zugkräftige Formel erscheint jedoch schon im Hinblick auf die - meist unreflektierte - Kombination theoretisch und methodisch nicht ohne weiteres zu vereinbarender, subjektiver und objektiv-wirtschaftlicher Elemente wenig aussagekräftig;51 sie läßt vor allem aber nicht erkennen, vor welchen allgemeinen und damit typisierbaren Gefahren der Verbraucher und gerade er geschützt werden muß und erlaubt daher keine stringente Ableitung oder Beurteilung konkreter Maßnahmen. Das Fehlen eines gemeinsamen Orientierungsmaßstabs zeigt sich aber noch deutlicher dar an, daß keinerlei Einigkeit über Art und Umfang der Begrenzung des zu schützenden Personenkreises besteht. Nur Teile der Literatur52 sowie zumindest im Hinblick auf die Schuldrechtsreform offensichtlich auch das BJMA, wollen aus der im Ansatz allgemein anerkannten Begriffsbestimmung des Verbrauchers Konsequenzen ziehen. Die Beschränkung von Reformmaßnahmen auf Personen, die eine Leistung nicht zu gewerblichen, sondern zu privaten Zwecken nutzen wollen, wird vielfach als zu eng empfunden und daher abgelehnt. Ein Konsens besteht - dies hat insbesondere die Diskussion im Rahmen des 53. DJT gezeigt - lediglich darüber, daß Vollkaufleute in aller Regel nicht geschützt werden sollen. 54 Dies legt die Vermutung nahe, daß die allgemeine Einigkeit über Notwendigkeit und Zulässigkeit personenbezogener Eingriffe in das allgemeine Zivilrecht sehr oberflächlicher Natur ist, daß also durchaus unterschiedliche Auffassungen über inneren Grund und erforderliche Reichweite eines solchen "Verbraucherschutzes" bestehen. Möglicherweise verhindert der allgemeine Konsens darüber, daß der "Verbraucher" überhaupt schutzbedürftig ist, eine offene Problematisierung der keineswegs nur theoretisch interessanten, sondern für die Lösung aller praktischen Folgeprobleme entscheidenden Frage, warum man ihn für &0 Vgl. von Marschall, Gutachten., S. 148 f.; Hadding, Gutachten, S. 119 f.; Schumacher, S. 85; BGH NJW 1981, 1206, 1207; siehe auch bereits Schmude, Festschrift für Ballerstedt, S. 481, 493. &1 Kritisch zu dieser Kombination im Hinblick auf § 38 ZPO n. F. schon Kornblum ZHR 138 (1974), 478, 479. &I Siehe insbesondere Scholz, Referat, K 46 ff., insbesondere 48; Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 403 ff.; vgl. aber den insbesondere im Hinblick auf seine Begründung bemerkenswerten Vorschlag einer vorläufigen analogen Anwendung auf gewerbliche Kredite an Kleingewerbetreibende . (S. 415 ff.); grundlegend Reich ZRP 1974, 187; neuerdings pragmatisch-fiexibel JZ 1980, 329,332. &8 Siehe Landfermann RabelsZ 45 (1981), 124, 139 ff.; A. Wolf AcP 182 (1982), 80, 98 f. 54 Siehe Hadding, Gutachten, S. 114 ff. m. w. N.; vgl. auch die Diskussionsbeiträge, Verhandlungen des 53. DJT, K 83 ff.; vgl. zur Problematik des juristischen "Verbraucherbegriffs" bereits Schneider BB 1974, 764.
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schutzbedürftig hält, d. h. auf welchen Prämissen die Bekenntnisse zur allgemeinen Schutzbedürftigkeit des "Verbrauchers" wegen geschäftlicher und rechtlicher Unerfahrenheit sowie wirtschaftlicher und sozialer Schwäche beruhen. VI.
Die möglicherweise ganz unterschiedlichen und dann zu Unrecht unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes zusammengefaßten, personenbezogenen Rechtsfortbildungsansätze und Reformvorschläge zielen auf die Ausbildung von Ausnahmeregelungen für bestimmte Personenkreise bzw. für Abnehmer, die als Verbraucher tätig werden, d. h. eine Leistung mit dem Ziele des "Konsums" erwerben, und favorisieren damit die Ausbildung von "Sonderprivatrecht".55 Privatrechtlicher Verbraucherschutz bedeutet damit Ungleichbehandlung; das Prinzip formal-abstrakter Gleichheit, d. h. die Gleichheit aller vor dem Gesetz, wird zugunsten bestimmter Abnehmergruppen bzw. des Verwendungszwecks "Konsum" partiell durchbrochen. Für eine sonderprivatrechtliche Privilegierung fehlt es im klassischen, allgemeinen Privatrecht, das von den persönlichen Umständen bzw. "Rollen" der handelnden Rechtssubjekte grundsätzlich gerade abstrahiert, bereits an einem begrifflich-dogmatischen Bezugspunkt. Dies legt den Schluß nahe, daß zivilrechtlicher Verbraucherschutz mit der Systematik des geltenden Privatrechts nicht ohne weiteres zu vereinbaren ist und daher notwendig auf die hinter dieser Systematik stehenden, außerjuristischen Wertungen und damit auf wirtschafts- und gesellschaftspolitische Grundfragen verweist. Die zu Unrecht vielfach im Vordergrund stehende Frage, ob "verbraucherrechtliche" Innovationen formal in Sondergesetzen verfolgt oder in das BGB integriert werden sollen,56 läßt sich überhaupt erst auf dem Hintergrund einer wertungsmäßigen Legitimation materiell-sonderprivatrechtlicher Entwicklungen richtig einordnen.57 Vß.
Offen angesprochen wird die politische Dimension der Verbraucherschutzproblematik von den Stimmen in der Literatur, die wie insbesondere Reich die "Zukunft des Privatrechts" unter Bezugnahme auf überlegungen von Ludwig Raiser58 sowie auf Befunde der sozialisti55 Zur Problematik der Ausbildung von Sonderprivatrechten bereits, wenn auch mit anderer Schwerpunktbildung, H. P. Westermann AcP 178 (1978),150; Lieb AcP 178 (1978),198; Mertens AcP 178 (1978), 227. 58 Vgl. etwa A. Wotf ZRP 1978, 249; Schwark JZ 1980, 741. 57 So auch Joerges, Verbraucherschutz, S. 19. 68 "Die Zukunft des Privatrechts", Vortrag, gehalten vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 21. April 1971.
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schen Rechtstheorie in einer generellen Ablösung des allgemeinen Vermögensrechts durch ein Bürgerrecht der privaten Lebenssphäre zwischen gleichstehenden Bürgern, ein weitgehend tradierten zivilrechtlichen Prinzipien folgendes Unternehmensrecht sowie ein die Rechtsbeziehungen zwischen privaten Verbrauchern und Unternehmen regelndes, eigenständiges Verbraucherrecht, sehen. 59 Sie stützen ihre Forderung nach der Ausbildung derartiger Sonderprivatrechte im Ausgangspunkt übereinstimmend auf die mangelnde Tragfähigkeit des "Sozialmodells"oo des BGB, d. h. der dem klassischen Privatrecht zugrunde liegenden, wirtschafts- und rechtstheoretischen Prämissen. Das BGB wird als historisch überholter, ideologisch verschleierter Ausdruck der Klassenherrschaft des Bürgertums des ausgehenden 19. Jahrhunderts qualifiziert, dessen in krassem Gegensatz zur sozialen Wirklichkeit stehende Abstraktion ausschließlich den Interessen des Kapitals bzw. des freien Unternehmertums diene und infolgedessen unter der Herrschaft des Sozialstaatsprinzips keine Geltung mehr beanspruchen könne.411 Dementsprechend gilt neben dem Arbeitsrecht das Wohnungsmietrecht, in dem diese Abstraktion von den sozialen Zwecken eines Vertragsschlusses zugunsten des Mieters als privatem Verbraucher teliweise durchbrochen wird, als richtungweisend für die Entwicklung eines allgemeinen Verbraucherprivatrechts.62 Der hinter diesen Tendenzen stehende politische Anspruch sowie die daraus resultierende, das gesamte Wirtschaftssystem tangierende Sprengkraft wird zumindest im Ansatz auch von denjenigen Teilen der verbraucherpolitisch interessierten Literatur nicht verkannt, die GD Grundlegend Reich ZRP 1974, 187; Reich übergeht allerdings, daß Raiser als----Uflterscheidungskriterium nicht die größere, geringere oder annähernd gleiche Verhandlungsmacht der Parteien vorschwebt, sondern der "Grad der Privatheit oder Öffentlichkeit" der jeweiligen Bereiche; an Reich anknüpfend Damm JZ 1978, 173, 176; zumindest im Hinblick auf die praktischen, rechtspolitischen Zielsetzungen in dieselbe Richtung zielen K. Simitis, Verbraucherschutz, insbesondere S. 97 ff.; Reifner, Verbraucherverschuldung, insbesondere S. 91 ff.; E. Schmidt JZ 1980, 153; Joerges, Verbraucherschutz, insbesondere S. 123 ff.; Landfermann RabelsZ 45 (1981), 124; zu den erheblichen Differenzen im theoretisch-methodischen Zugriff siehe die Nachweise in Fn. 74. Auf diesem Hintergrund gewinnt auch die Kontroverse zwischen Löwe NJW 1982, 1683 und Pickartz NJW 1982, 1135 eine rechtspolitisch außerordentlich brisante Dimension; aufsehenerregend auch das Urteil des AG Künzelsau NJW 1981, 769 zur Nichtanwendung des AbzG auf private Ratenzahlungsgeschäfte. 10 Stets unter Berufung auf Wie acker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), S. 16 ff., der sich Fn. 36 gegen einseitige, politische Schlußfolgerungen allerdings verwahrt. 81 Besonders deutlich Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 31: "Das bürgerliche Recht benachteiligt generell und systematisch große Teile der Bevölkerung"; vgl. auch S. 66ff., 98; vgl. auch K. Schmidt JZ 1980,153, 154f. it Vgl. etwa Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 40, 92.
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sich an sich dem klassischen, auf dem Prinzip der Gleichheit und der Privatautonomie beruhenden Privatrecht verpflichtet fühlen. Dennoch wird die grundlegende Frage nach dem Gerechtigkeitsgehalt dieses allgemeinen Privatrechts und damit nach Notwendigkeit, Rechtfertigung und Reichweite sonderprivatrechtlicher Privilegierungen bestimmter Personengruppen bzw. des Verwendungszwecks Konsum höchstens gestreift, nicht dagegen offensiv problematisiert;i13 man beschränkt sich weitgehend auf dokumentierende Darstellung der bisherigen verbraucherrechtlichen Entwicklung einerseits, auf pragmatische Zusammenstellung als konsensfähig empfundener Einzellösungen andererseits;" das rechtspolitische Vorverständnis läßt sich höchstens mittelbar aus den konkreten Lösungsvorschlägen erschließen. Über die Ursachen dieses Theoriedefizits auf seiten der unbeschadet aller Differenzen als liberal-konservativ zu bezeichnenden Lehre lassen sich nur Vermutungen anstellen. Eine Rolle spielt sicherlich die weit verbreitete Vorstellung, daß eine gewisse Differenzierung nach persönlicher Schutzbedürftigkeit durch die Unterscheidung zwischen dem BGB einerseits und dem HGB mit seinen Sonderregelungen für Kaufleute bzw. Handelsgeschäfte andererseits gesetzlich vorgegeben, die Entwicklung sonderprivatrechtlicher Normen in gewissem Umfang also doch in der Systematik des Privatrechts selbst angelegt sei.66 Dabei schwingt vermutlich auch zum Teil unbewußt das Gefühl mit, durch "soziale" Zugeständnisse im nichtkaufmännischen Bereich das Handelsund Gesellschaftsrecht von dirigistischen Eingriffen freihalten zu können.66 Problemverschleiernd wirkt möglicherweise auch die auffällige Bereitschaft, sich die Kritik des Sozialmodells des BGB zumindest verbal pauschal zu eigen zu machen und damit ohne weiteres ihre Eignung als Ansatzpunkt für zukünftige rechtspolitische Reformen anzuerkennen.67 Die Neigung, die politisch-theoretischen Aspekte sonderprivatrechtlicher Rechtsfortbildung zu vernachlässigen, ist sicherlich nicht zuletzt aber auch durch den hohen Abstraktionsgrad sowie die nur schwer zugängliche Terminologie der s,ystemkritischen Stellungnahmen bedingt.
83 Vgl. H. P. Westermann AcP 178 (1978), 150, 152; Hadding, Gutachten, S. 23 ff.; Hiddemann, Referat, K 12; Schatz, Referat, K 38 f. 84 Typisch insofern von Hippet, Verbraucherschutz; von Marschall, Gutachten; Hadding, Gutachten; Medicus, Gutachten. 85 Vgl. Hadding, Gutachten, S. 115 f.; Hiddemann, Referat, K 19 f.; Schwark, Abgrenzung. ee Möglicherweise ist dies der Hintergrund für die bemerkenswerten Vorschläge von Schotz, Referat, K 46 ff., zur Abgrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs eines Konsumentenkreditgesetzes. 87 Typisch etwa H. P. Westermann AcP 178 (1978), 150, 152 f.
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Diesen die systemkritische Literatur bezeichnenden Mangel an Praxisbezug will Reifner überwinden.lI8 Er versucht, am Beispiel der Verbraucherverschuldung auf der Grundlage einer umfassenden historischen, ideologiekritischen und methodischen Analyse der traditionellen Zivilrechtsdogmatik die Prämissen und Strukturen eines alternativen, soziale Gesichtspunkte einbeziehenden Wirtschaftsrechts aufnzuspüren und für den Bereich des Konsumentenkredits exemplarisch einen in sich stimmigen Gegenentwurf zum klassischen Privatrecht zu entwickeln. Die Perspektive eines allgemeinen, eigenständigen Verbraucherrechts gewinnt damit zum ersten Mal praktisch-faßbare Gestalt. Dies erleichtert und gebietet eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Problematik sonderprivatrechtlicher Privilegierung bestimmter Abnehmerkreise bzw. des Verwendungszwecks Konsum.
vm. Im folgenden soll zunächst überprüft werden, ob bereits in der Systematik des allgemeinen Privatrechts verallgemeinerungsfähige Ansätze für eine Ungleichbehandlung bestimmter Personengruppen bzw. Verwendungszwecke vorhanden sind. Ziel dieser Untersuchung ist nicht nur der Nachweis, daß eine dogmatisch-pragmatische, d. h. außerjuristische Prämissen ausklammernde Rechtfertigung sonderprivatrechtlicher Rechtsfortbildung scheitern muß,6V sondern auch, welche Wertungen zur Diskussion stehen. 70 Auf dem Boden dieser Analyse soll aufgezeigt werden, daß sich hinter der pauschal tradierten Formel von der Schutzbedürftigkeit des VerbrauChers wegen geschäftlicher und rechtlicher Unerfahrenheit sowie wirtschaftlicher und sozialer Schwachheit im gedanklichen Ansatz grundsätzlich unvereinbare Tendenzen verbergen, die man unbeschadet aller Spielarten und Differenzierungen als liberales InformationsmodelFl einerseits als soziales Verbraucherschutzmodell72 andererseits, kennzeichnen könnte. 73 Diese beiden häufig meist gar nicht bewußt reflektierten Konzeptionen sollen auf Stirn':'
zweI
88 Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung, 1979. 89 Siehe BI. 70 Siehe B II. 71 Siehe C. 72 Siehe D. 73 Siehe die entsprechenden Modellbildungen in der Literatur; Reich, Markt und Recht, S. 279 ff. (marktkomplementäre/marktkompensatorische Verbraucherschutzkonzeption); Scholz, Referat, K 35 ff. (patriarchalische/ marktwirtschaftliche/konjunkturorientiertelklassenkampfbezogene Verbraucherschutzkonzeption); Joerges, Verbraucherschutz, S. 14 (pragmatisch-reformerische/grundlagenkritisch-sozialstaatliche Verbraucherschutzkonzeptionen) ; besonders instruktiv der überblick bei Stauss, S. 30 ff.
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migkeit sowie auf ihre Vereinbarkeit mit einem marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaftssystem hin untersucht werden. Dabei sollen die praktischen rechtspolitischen Perspektiven ganz im Mittelpunkt stehen, die methodisch-rechtstheoretischen Probleme dagegen bewußt weitgehend ausgespart bleiben."
74 Vgl. dazu, insbesondere zum Streit über rollensoziologische oder klassentheoretische Ansätze Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 407 ff.; Reich, Markt und Recht, S. 190 ff.; Reich I Tonner / Wegener, Verbraucher und Recht, S. 8 ff.; Roppo DuR 1976, 109; Tonner DuR 1976, 241; vgl. im übrigen zu den systematischen Problemen der Verbraucherrechtstheorie umfassend Joerges, Verbraucherschutz, S. 17 ff. und AG 1983, 57; Schwark, Abgrenzung.· Siehe zu den methodischen Problemen einer Einschränkung von Vertragsfreiheit auch M. Wolf, Entscheidungsfreiheit; Hönn, Kompensation.
B. Personen- bzw. verwendungszweckbezogene Rechtsfortbildung als Problem der Tragfähigkeit und Geltungskraft des dem BGB zugrundeliegenden Sozialmodells I. Personen- bzw. verwendungszweckbezogene Regelungsansätze im geltenden Recht
Die Problematik sonderprivatrechtIicher Privilegierung bestimmter schutzbedürftiger Personengruppen bzw. des Verwendungszwecks "Konsum" wirft zunächst die Frage auf, ob bereits de lege lata in der Systematik des allgemeinen Privatrechts verallgemeinerungsfähige Ansätze zur Durchbrechung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit vorhanden sind. Eine solche Differenzierung könnte man einmal in der Unterscheidung zwischen dem Bürgerlichen Recht und dem in seinem Geltungsbereich auf Kaufleute beschränkten HGB sehen. 1 In diesem Zusammenhang von Bedeutung ist aber möglicherweise auch das von den allgemeinen mietvertraglichen Regelungen der §§ 535 ff. BGB abweichende, soziale Wohnungsmietrecht. 2 1. Die Unterseheidung zwisehen Kaufleuten und Niehtkaufleuten als personenbezogener Ansatz im Hinblick auf untersehiedliehe geschäftliche Erfahrung
Die Vorstellung, daß sich eine Rechtfertigung sonderprivatrechtIicher Privilegierung aus der bereits im allgemeinen Privatrecht selbst angelegten Unterscheidung zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten ergibt, ist weit verbreitet und bestimmt zumindest unterschwellig die verbraucherpolitische Diskussion. Vielfach wird in der positiven Feststellung einer Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers lediglich die Kehrseite der "negativ" anerkannten, geringeren Schutzbedürftigkeit des Kaufmanns gesehen, d. h. die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers mit der des Nichtkaufmanns gleichgesetzt.3 Zivilrechtlichen Sondergesetzen, die wie das AbzG in § 8 und das AGBG in § 24 an die Kaufmannseigenschaft anknüpfen, wird infolgedessen ohne weiteres "verbraucherschützende" Tendenz zugemessen:' Siehe dazu B I 1. Siehe dazu B I 2. 3 Typisch etwa Hadding, Gutachten, S. 115 f.; Hiddemann, Referat, K 19 ff.; U. Hübner, Handelsrecht, S. 2 f.; Schwark, Abgrenzung. , Siehe Fn. 42, 52; zum Teil wird außerdem § 38 Abs. 1 ZPO als Ausdruck 1
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I. Sonderprivatrechtliche Regelungsansätze
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Soweit unter Berufung auf die vorgegebene Differenzierung zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten die Relevanz des Verbraucherschutzgedankens im Zivilrecht anerkannt oder die Ausbildung sonderprivatrechtlicher Regelungen befürwortet wird, tauchen allerdings stets gleichzeitig - und dies ist bereits ein Indiz dafür, daß dieser Ansatz keineswegs so unproblematisch und mit der Gesetzessystematik übereinstimmend ist, wie vielfach angenommen - auch Zweifel an. der Tauglichkeit des gegenwärtigen Kaufmannsbegriffs als Anknüpfungsund Abgrenzungskriterium auf. 6 Die in den §§ 1 ff. HGB normierte Differenzierung zwischen Voll- und Minderkaufleuten, zwischen Mußund Sollkaufmann, zwischen eingetragenem und nicht eingetragenem Kaufmann sowie insbesondere die historisch bedingte Ausgrenzung der freien Berufe werden - wie insbesondere die Diskussion um eine Neufassung des § 8 AbzG gezeigt hat - zunehmend als unbefriedigend empfunden, ohne daß allerdings über andere denkbare Kriterien bisher Konsens erzielt worden wäre. Gegen die Abgrenzung des geltenden Rechts wird vorgebracht, daß einerseits wertungsmäßig Kaufleuten gleichzustellende Kreise wie etwa Freiberufler oder noch nicht eingetragene Sollkaufleute geschützt werden, daß aber andererseits unter Umständen in gleicher Weise wie der Nichtkaufmann bzw. Verbraucher schutz bedürftige Minderkaufleute aus dem Geltungsbereich bestimmter Schutznormen herausfallen.6 Die Ableitung und Legitimation sonderprivatrechtlicher Maßnahmen aus der Unterscheidung zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten geht damit Hand in Hand mit einer Reflexion über die Funktionsfähigkeit des Kaufmannsbegriffs, wobei allerdings die ohne weiteres unterstellte geringere Schutzbedürftigkeit des Kaufmanns mit Hinweis auf seine größere Geschäftserfahrung abgetan wird. 7 Infolgedessen fließen in die ursprünglich ganz anders orientierte Diskussion über eine Neufassung des Verbraucherschutzgedankens verstanden; vgl. etwa u.. Hübner, Handelsrecht, S. 2; zur Anknüpfung des § 38 ZPO an die §§ 1 ff. HGB umfassend kritisch Kornblum ZHR 138 (1974), 478. 6 Vgl. etwa Hadding, Gutachten, S. 115 ff.; U. Hübner, S. 16 f.; besonders aufschlußreich die Stellungnahme des Bundesrates S. 32 sowie die Erwiderung der Bundesregierung S. 36 im Hinblick auf den § 348 a HGB des ganz im Zeichen des Verbraucherschutzes stehenden Regierungsentwurfs eines Gesetzes über finanzierte Rechtsgeschäfte und Maklerverträge, BT-Dr. 8/3212 = BR-Dr. 220179; sowie die Ausführungen von Landfermann RabelsZ 45 (1981),
124, 141.
8 Vgl. insbesondere Pramann DB 1974, 2093; Heckelmann, Festschrift für Bärmann, S. 427, 432 ff.; Kornbtum ZHR 138 (1974), 478; CapeUe / Canaris, Handelsrecht, S. 134; U. Hübner, Handelsrecht, S. 16 f.; vgl. auch Hadding, Gutachten, S. 116 ff. m. w. N.; Herber ZHR 144 (1980), 47, 63, 68 ff. m. w. N.; Münchener-Kommentar-H. P. Westermann, § 8 AbzG Rdnr. 2. 7 Typisch etwa U. Hübner, Handelsrecht, S. 16 f.; Herber ZHR 144 (1980),
47,69.
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B. Verbraucherschutz und das liberale Sozialmodell des BGB
des Kaufmannsbegriffs bzw. über eine Neubestimmung des Verhältnisses von BGB und HGB zunehmend auf die unterschiedliche, persönliche Schutzbedürftigkeit von Kaufmann und Nichtkaufmann bzw. Verbraucher abstellende Erwägungen.8 Auf die außerordentlich weitreichende und vielschichtige Problematik der Abgrenzung von Bürgerlichem Recht und Handelsrecht sowie auf die Frage nach Notwendigkeit und Inhalt einer Neufassung und Aktualisierung der §§ 1 ff. HGBv kann hier nicht umfassend eingegangen werden; es sind daher nur die Aspekte anzusprechen, die für die Verbraucherschutzdiskussion, insbesondere die Frage nach den Prämissen der Anerkennung einer allgemeinen Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers, unmittelbar relevant sind. Es ist also zunächst zu fragen, ob die Existenz von Normen, die wie das HGB, § 8 AbzG und § 24 AGBG an die Kaufmannseigenschaft anknüpfen, den Schluß erlauben, daß es sich bei der Forderung nach sonderprivatrechtlichem Schutz des Verbrauchers lediglich um die zeitgemäße Formulierung eines im Ansatz bereits berücksichtigten Problems handelt. Dabei sind diese Regelungen gleichzeitig daraufhin zu untersuchen, ob sie vom Geltungsbereich und Schutzzweck her die in der Literatur vielfach zumindest unbewußt vorgenommene Gleichstellung von Nichtkaufmann und Verbraucher rechtfertigen. Von Bedeutung wird außerdem sein, ob ihnen gemeinsame, verallgemeinerungsfähige Schutzintentionen entnommen werden können, die es erlauben würden, sie als Kernbereich eines zukünftigen allgemeinen Sonderprivatrechts für Verbraucher anzusehen. a) Das Handels- und Gesellschaftsrecht Im HGB dominieren diejenigen Normen, deren Regelungsinhalt Probleme betrifft, die sich aus der Zusammenfassung von Arbeitskräften und Wirtschaftsgütern mit dem Ziel erwerbswirtschaftlicher Betätigung ergeben. Insbesondere die Vorschriften über Handelsfirma und Handelsregister, über die Perpetuierung von Handelsgeschäften bei Veräußerung und Vererbung, über innere Struktur und Haftung der Personengesellschaft, sind ausschließlich auf die sachlichen Besonderheiten und Probleme einer "organisierten Wirtschaftseinheit" zugeschnitten. Sie knüpfen zwar formal - dies ist die notwendige Folge der historischen 8 Besonders deutlich Schwark, Abgrenzung. Im Mittelpunkt der Diskussion stand zunächst die Frage nach der Notwendigkeit einer Ablösung des Kaufmanns durch das Unternehmen als Bezugspunkt handels- und wirtschaftlicher Sonderregelungen, siehe dazu unten bei Fn. 12 ff. D VgL umfassend Herber ZHR 144 (1980), 47, insbesondere 68 ff.; K. Schmidt, Handelsrecht, insbesondere S. 39 ff.
I. Sonderprivatrechtliche Regelungsansätze
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Entscheidung für das subjektive System10 - an die Person des Kaufmanns an, beziehen sich jedoch inhaltlieh auf das sachliche Substrat seiner Tätigkeit, das Unternehmen. l l Aus diesem Grunde wird das Handelsrecht neuerdings auch als die Summe der Normen bezeichnet, die das Unternehmen in seiner eigenartigen Stellung und Bedeutung im Verkehrsleben regeln soll.12 Dies erklärt aber auch, warum im Hinblick auf eine Reform der §§ 1 ff. HGB vielfach eine stärkere Orientierung am Unternehmen gefordert wird;13 da der Unternehmensgedanke in vielfältiger Form in das Gesetz Eingang gefunden habe und in den Mittelpunkt der handelsrechtlichen bzw., moderner ausgedrückt, der wirtschaftsrechtlichen Diskussion gerückt sei, müsse konsequenterweise das Unternehmen trotz aller Detailprobleme, die die Formulierung eines juristischen Unternehmensbegriffs im einzelnen aufwerfe, auch als Anknüpfungspunkt an die Stelle der bisherigen Zentralfigur "Kaufmann" gesetzt werden. 14 Damit ist der Kaufmann zwar entscheidender Bezugspunkt der unternehmensbezogenen Regelungen des 1. und 2. Buches des HGB; diese lassen sich jedoch nicht auf eine geringere persönliche Schutzbedürftigkeit des Kaufmanns zurückführen. Da ihre Anwendbarkeit eine gewisse Zusammenfassung sachlicher und persönlicher Mittel zu einer organisierten Wirtschaftseinheit mit dem Ziele der massenhaften Abwicklung bestimmter Geschäfte denknotwendig voraussetzt, wird der nicht gewerblich tätige Verbraucher von ihrem Regelungsbereich von vornherein nicht berührt. Sie enthalten damit kein im Spannungsverhältnis zum Prinzip abstrakt-formaler Gleichheit stehendes Sonderrecht für eine weniger schutzbedürftige Personengruppe, die Kaufleute, sondern lediglich schutzbedürftigkeitsneutrale Regelungen, die den sachlichen Besonderheiten und Gepflogenheiten des kaufmännischen Geschäftsverkehrs Rechnung tragen. 10 Vgl. zu diesem Zusammenhang Gierke / Sandrock, Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 4; CapeHe / Canaris, Handelsrecht, S. 92; U. Hübner, Handelsrecht, S. 1. 11 Dies kommt bereits in Titel und Gliederung der neueren handelsrechtlichen Lehrbücher zum Ausdruck; vgl. Gierke / Sandrock, Handels- und Wirtschaftsrecht, "Der Kaufmann und sein Unternehmen"; U. Hübner, Handelsrecht, S. 1, 31, 38; Cape He / Canaris, Handelsrecht, S. 11; besonders ausgeprägt K.. Schmidt, Handelsrecht, insbesondere S. 39, 49. 12 So etwa Cape He / Canaris, Handelsrecht, S. 1. 13 Besonders ausgeprägt K. Schmidt, Handelsrecht, vgl. insbesondere das programmatische Kapitel "Vom Sonderprivatrecht der Kaufleute zum Außenprivatrecht der Unternehmen", S. 39 ff.; vgl. auch Hofmann, Handelsrecht, S. 79 f.; U. Hübner, Handelsrecht, S. 16 f.; CapeHe / Canaris, Handelsrecht, S. 30 ff.; jeweils m. w. N.; grundsätzlich kritisch Gierke / Sandrock, Handelsund Wirtschaftsrecht, S. 179 f. 14 Grundlegend Raisch, insbesondere S. 119 ff, 105 ff.
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B. Verbraucherschutz und das liberale Sozialmodell des BGB
Materielles Sonderrecht für Kaufleute, d. h. Sonderregelungen, die an Tatbestände anknüpfen, die potentiell für jedes Rechtssubjekt, d. h. auch für Verbraucher relevant werden können, bedeuten dagegen die im 3. Buch des HGB enthaltenen Vorschriften der §§ 343 ff.,ui wenn sie etwa an die Wirksamkeit einer Bürgschaft unterschiedliche Anforderungen stellen, je nachdem, ob der Bürge Kaufmann ist oder nicht (§ 350), wenn sie die mögliche Relevanz eines Schweigens im Rechtsverkehr von der Kaufmannseigenschaft des Schweigenden abhängig machen (§ 362) oder wenn sie nur dem Kaufmann Untersuchungs- und Rügepflichten auferlegen (§ 377). Dennoch bestehen erhebliche Zweifel, ob die Handelsgeschäfte betreffenden Vorschriften des HGB generell auf der Vorstellung einer geringeren Schutzbedürftigkeit des Kaufmanns beruhen oder gar den Rückschluß auf eine allgemeine Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers erlauben. Eindeutig sachbezogen und damit für die Verbraucherschutzproblematik unergiebig sind die in den §§ 383 ff. geregelten, besonderen handeIsrechtlichen Vertragstypen wie Fracht- und Kommissionsgeschäft. Selbst soweit diese als besondere Ausprägung des Kaufvertrags-, Werkvertrags- oder Geschäftsbesorgungsvertragsrechts und damit als Abweichungen vom allgemeinen Zivilrecht verstanden werden,16 lassen sie sich schon deshalb kaum als Differenzierung zwischen unterschiedlich schutzbedürftigen Personengruppen deuten, weil die im HGB normierten besonderen Vertragstypen, faktisch ohnehin fast nur zwischen Kaufleuten abgeschlossen werden, so daß es also an der für die Verbraucherschutzproblematik ausschlaggebenden Ungleichbehandlung zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten fehlt. Aber auch die Mehrzahl der Regelungen des ersten und zweiten Abschnittes lassen sich nicht eindeutig auf eine Konzeption unterschiedlicher persönlicher Schutzbedürftigkeit zurückführen, sondern sind eher als Sondernormen im Hinblick auf die sachlichen Besonderheiten und Erfordernisse des kaufmännischen Verkehrs plausibel zu erklären. So tragen beispielsweise die Rügepflicht des § 377, die Regelung des § 362, sowie die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Tragweite des kaufmännischen Bestätigungsschreibens in erster Linie den Bedürfnissen des kaufmännischen Verkehrs nach beschleunigter Abwicklung RechnungP Dem Schutz des guten Glaubens an die Verfügungsbefugnis gemäß § 366 liegt - zu Recht oder zu Unrecht - der Gedanke zugrunde, daß im kaufmännischen Verkehr eine besondere 15 Vgl. zu diesem Normenkomplex umfassend K. Schmidt, Handelsrecht, S. 381 ff.; CapeHe / Canaris, Handelsrecht, S. 91 ff. lS Vgl. etwa Cape He / CanaTis, Handelsrecht, S. 188, 198 f.; K. Schmidt, Handelsrecht, S. 644, 722. 17 Vgl. K.. Schmidt, Handelsrecht, S. 26.
I. Sonderprivatrechtliche Regelungsansätze
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Wahrscheinlichkeit für das Bestehen von Verfügungsrnacht gegeben ist. 18 Der Regelung des Kontokorrents gemäß § 355 wird sogar teilweise der spezifisch handelsrechtliche Gehalt abgesprochen. Man sieht eine vordergründige Rechtfertigung für ihre systematische Ansiedlung im Handelsrecht lediglich darin, daß das Kontokorrent praktisch vor allem unter Kaufleuten eine Rolle spielt, hält jedoch eine sinngemäße Anwendung des § 355 auch für Nichtkaufleute für möglich. 1B Als eindeutigen Ausdruck der Anerkennung einer geringeren persönlichen Schutzbedürftigkeit des Kaufmanns lassen sich daher nur sehr wenige Regelungen, insbesondere die Formfreiheit der Bürgschaft gern. § 350 sowie die besondere Vertragsstrafenregelung des § 348 verstehen. Der Grund für die in diesen Vorschriften enthaltene Erweiterung der Formfreiheit und der Inhaltsfreiheit gegenüber dem BGB wird zwar einmal in dem stärkeren Bedürfnis des Handelsverkehrs nach Flexibilität und Gestaltungsspielraum gesehen. 20 Als Rechtfertigung dieser Regelungen wird aber stets auch auf eine höhere Fähigkeit des Kaufmanns zum Selbstschutz aufgrund einer besonderen Geschäftsund Rechtserfahrung - er kennt die mit der Übernahme einer Bürgschaft und der Vereinbarung einer Vertragsstrafe verbundenen Gefahren - und der daraus folgenden Verminderung seiner Schutzbedürftigkeit gesehen. 21 Damit kann man die Existenz der §§ 348, 350 zwar immerhin als Indiz dafür ansehen, daß nach der Konzeption des allgemeinen Privatrechts mangelnde Geschäfts- und Rechtserfahrung in gewissem Umfang eine besondere persönliche Schutzbedürftigkeit begründen kann. Aus diesen wenigen, nicht einmal besonders hervorgehobenen und im Hinblick auf den Gesamtumfang des Handels- und Gesellschaftsrechts eher unbedeutenden Regelungen läßt sich jedoch nicht der Schluß ziehen, daß eine allgemeine Differenzierung nach schutzbedürftigen Personengruppen bereits in der Dualität von HGB und BGB angelegt sei. 22 Noch weniger kann man ihnen Anhaltspunkte für die AnVgl. CapeHe / Canaris, Handelsrecht, S. 157 ff. m. w. N. Vgl. CapeUe / Canaris, Handelsrecht, S. 155 f.; so de lege ferenda auch A. Wotf AcP 182 (1982), 80, 91 m. w. N. 20 Siehe CapeUe / Canaris, Handelsrecht, S. 132; vgl. auch K. Schmidt, Handelsrecht, S. 39l. !1 Siehe Cape He / Canaris, Handelsrecht, S. 132, 139; vgl. auch Hofmann, Handelsrecht, S. 188. !! Vgl. K. Schmidt, Handelsrecht, S. 25 ff., der bei der Charakterisierung des Handelsrechts ausschließlich sachbezogen auf die Bedürfnisse des kaufmännischen Rechtsverkehrs abstellt und den Gesichtspunkt geringerer Schutzbedürftigkeit des Kaufmannes nicht thematisiert; ähnlich CapeHe / Canaris, Handelsrecht, S. 4 ff.; andere Schwerpunktsetzung unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Verbraucherschutzgedanken U. Hübner, Handelsrecht, S. 2 f.; grundsätzlich zur Problematik der "Selbständigkeit" des Handelsrechts MüUer-Freienfets, Festschrift für von Caemmerer, S. 583. 18
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3 Dauner-Lieb
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B. Verbraucherschutz und das liberale Sozialmodell des BGB
erkennung einer positiven Schutzbedürftigkeitdes Verbrauchers als privatem, nicht gewerblichem Letztabnehmer entnehmen: Gemäß § 351 finden gerade die §§ 348, 350 auf Minderkaufleute keine Anwendung. Das Gesetz leitet also die fehlende Schutzbedürftigkeit wegen besonderer Geschäfts- und Rechtserfahrung offensichtlich nicht aus der gewerblichen Tätigkeit als solcher ab, sondern orientiert sich an Kriterien wie Geschäftsumfang und Größe des betriebenen Handelsgewerbes. Für eine unterschiedliche Behandlung und Bewertung von gewerblicher Tätigkeit und rechtsgeschäftlichem Handeln mit dem Ziel des "Konsums" findet sich daher in den §§ 348, 350 keine Stütze. b) Das AbzG
Eine fruhe, an die Unterscheidung zwischen Kaufmann und Nichtkaufmann anknüpfende Differenzierung findet sich in § 8 AbzG, der den Geltungsbereich des AbzG auf Personen beschränkt, die nicht als Kaufleute ins Handelsregister eingetragen sind. Diese Regelung beruht historisch zum Teil auf der Idee einer geringeren Schutzbedürftigkeit des Vollkaufmanns; die besondere Schutzbedürftigkeit des nicht als Kaufmann ins Handelsregister eingetragenen Abzahlungskäufers wird heute aus seiner wirtschaftlichen Unterlegenheit und geschäftlichen Unerfahrenheit abgeleitet. 23 Das AbzG schützte in seiner ursprünglichen Fassung24 den Abzahlungskäufer allerdings nicht allgemein, sondern nur vor ganz konkret umschriebenen und tatbestandlich begrenzten Gefährdungen, nämlich vor vertraglich vereinbarten, den Abzahlungskäufer jedoch unbillig hart belastenden Folgen eines Zahlungsverzugs wie etwa des Verfalls seiner Anzahlung bei Rücktritt unter Rücknahme der Sache.26 Es ließ infolgedessen ebenso wie die §§ 348, 350 HGB an sich kaum den Schluß auf die Anerkennung einer allgemeinen Differenzierung nach unterschiedlicher Schutzbedürftigkeit zu. Dennoch kam und kommt dieser zunächst eindeutig als Ausnahmeund Sondergesetz mit eng begrenztem Anwendungsbereich konzipier23 Ktauss / Ose, AbzG, Einl. Rdnr. 7; Pramann DB 1974, 2093; Hecketmann, Festschrift für Bärmann, S. 427, 428, 432 m. w. N.; vgl. auch Erman-Weitnauer / Ktingsporn, AbzG, Vorbem. Rdnr. 1, 9; Benöhr ZHR 138 (1974), 492; von MarschaH, Gutachten, S. 148 f.; ausschließlich auf die. geschäftliche Unerfahrenheit abstellend Münchener-Kommentar-H. P. Westermann, § 8 AbzG Rdnr.2. U Gesetz betreffend die Abzahlungsgeschäfte vom 16.5.1894 (RGBl. 450). 25 Siehe zum ursprünglichen Anwendungsbereich Benöhr ZHR 138 (1974), 492; von MarschaH, Gutachten, S. 40f.; Ktauss / Ose, AbzG, Einl. Rdnr. 7 - 9; vgl. auch die Gutachten von WUke und Heck zum 21. DJT und von Jastrow zum 22. DJT.
I. Sonderprivatrechtliche Regelungsansätze
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ten Regelunglli6 für die Verbraucherschutzdiskussion größeres Gewicht zu als den wenigen, eine geringere Schutzbedürftigkeit des Vollkaufmanns anerkennenden Vorschriften des HGB. Denn anders als in den §§ 348, 350 wird im AbzG nicht "negativ" der private Gestaltungsspielraum des weniger Schutzbedürftigen erweitert; vielmehr wird für eine positiv als schutzwürdig angesehene Personengruppe eine vom BGB abweichende, die Vertragsfreiheit zwingend einschränkende Regelung getroffen und damit zum Ausdruck gebracht, daß die Institute des allgemeinen Bürgerlichen Rechts, insbesondere das Prinzip der Privatautonomie, in bestimmten typisierbaren Fallgruppen keinen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten und daß daher in gewissem Umfang eine Durchbrechung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit aller Vertragspartner erforderlich ist. Hinzu kommt, daß das AbzG im Laufe der Zeit außerordentlich an praktischer Bedeutung gewonnen hat. Dies ist einmal auf die Neigung der Rechtsprechung zurückzuführen, Probleme, die in irgendeinem Zusammenhang mit der Kreditgewährung an Kaufleute zum Zweck der Finanzierung ganz bestimmter Rechtsgeschäfte stehen, systematisch dem AbzG zuzuordnen, ihre Lösung der Regelung des § 8 zu unterwerfen;27 so leitete der BGH etwa den sog. Einwendungsdurchgriff in erster Linie aus dem "Schutzzweck des AbzG" ab und hält infolgedessen bis heute an der Begrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs fest. 28 Einen entscheidenden Bedeutungszuwachs, wenn nicht sogar einen Bedeutungswandel, erfuhr das AbzG durch die Reformnovellen von 196929 und 197430• Die durch diese Gesetze neu eingeführten, bereits ganz im Zeichen eines sonderprivatrechtlichen Verbraucherschutzes stehenden Regelungen31 veränderten und erweiterten den Regelungsbereich des AbzG einmal insoweit, als mit der Statuierung von FormZI Vgl. Benöhr ZHR 138 (1974), 492, 501 f.; zur Problematik des systematischen standorts einer abzahlungsrechtlichen Regelung bereits Heck, Gutachten, S. 131, 157 ff.; vgl. auch Jastrow, Gutachten, S. 265, S. 281 ff., dessen Ausführungen deutlich machen. daß das allgemeine Problem des Mißbrauchs der Vertragsfreiheit durch formularmäßige Vorformulierung von Verträgen bereits erkannt war. n Infolgedessen bildet der § 6 AbzG heute den Hauptanwendungsbereich dieses Gesetzes; vgl. dazu Klauss lOse, AbzG, Einl. Rdnr. 6, § 6 Rdnr. 620 ff. 28 Siehe dazu C 11 4, D 11 5. n Änderungsgesetz vom 1. 9. 1969 (BGBl. I 1541), Einfügung von § 1 a und
§ 6a.
30 2. Änderungsgesetz vom 15.5. 1974 (BGBl. I 1169), Einfügung der §§ 1 b 1 d, Änderung des § 1 a; zu den unbedeutenderen Änderungsgesetzen vgl. Klauss lOse, AbzG, Einl. Rdnr. 2. 31 Zu den Reformnovellen umfassend Reich JZ 1975, 550; Löwe NJW 1974, 2257 jeweils m. w. N.
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B. Verbraucherschutz und das liberale Sozialmodell des BGB
vorschriften und Widerrufsrechten neben dem Verzug des Abzahlungskäufers nunmehr auch das Zustandekommen und Wirksamwerden von Abzahlungsgeschäften thematisch erfaßt wurden, mit der Folge, daß sich der abzahlungsrechtliche Schutz nicht mehr nur auf belastende Abwicklungsbedingungen, sondern auch auf die Freiheit der Willensbildung und Willensentscheidung bezog. Zum anderen wurde der ausschließlich auf den Ratenkauf einer beweglichen Sache unter Eigentumsvorbehalt zugeschnittene Rahmen des historischen AbzG auch durch die Einfügung des § 1 c verlassen, der eine entsprechende Anwendung einiger abzahlungsrechtlicher Vorschriften auf andere Vertragstypen anordnet.3.2 Die Regelung des § 8 AbzG wurde jedoch von diesen Ausdehnungstendenzen und inhaltlichen Veränderungen nicht berührt. Eine in gleicher Weise wie für die Verzugsproblematik rechtlich anzuerkennende, besondere Schutzbedürftigkeit des Abzahlungskäufers wurde in den Grenzen des § 8 auch im Hinblick auf die über den historischen Anwendungsbereich hinausgehenden Regelungen der §§ 1 a - d sowie die rechtsfortbildend entwickelten Institute ohne weiteres unterstellt; man stellte sogar zunehmend - und dies erklärt wiederum, warum das AbzG in der Verbraucherschutzdiskussion einen so hohen Stellenwert einnimmt - einen Zusammenhang zwischen der Schutzbedürftigkeit des Abzahlungskäufers und der allgemeinen Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers, insbesondere im Hinblick auf Kreditgeschäfte, her.33 Dabei wurden jedoch Tragfähigkeit, Reichweite und Verallgemeinerungsfähigkeit der dem § 8 AbzG zugrunde liegenden Schutzintentionen nicht in ausreichendem Maße überdacht und überprüft. Der BGH verschloß sich - und dies steht im bemerkenswerten Gegensatz zu seiner sonstigen Reformfreudigkeit im abzahlungsrechtlichen Bereich unter Berufung auf den im eindeutigen Wortlaut des § 8 zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers jeglichen Schutzzweckerwägungen oder gar dem Gedanken einer teleologischen Reduktion.34 In der Literatur stieß die Regelung des § 8 zwar insofern auf Kritik, als sie formal auf die Handelsregistereintragung abstellt und infolgedessen nicht eingetragene Soll- und Mußkaufleute vom Schutzbereich des AbzG 32 Zu Bedeutungs- und Funktionswandel des AbzG sowie den sich daraus ergebenden Schutzzweckproblemen siehe Münchener-Kommentar-H. P. Westermann, vor § 1 AbzG Rdnr. 1; Klauss lOse, AbzG, Einl. Rdnr. 9; OLG Stuttgart NJW 1977, 1926, 1927; Reich JZ 1975, 550. aa Vgl. Benöhr ZHR 138 (1974), 492; Reich JZ 1975, 550; Löwe NJW 1974, 2257,2264; besonders aufschlußreich die Einleitung von Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 17 ff.; vgl. nunmehr auch Münchener-Kommentar-H. P. Westermann, vor § 1 AbzG Rdnr. 1. M Grundlegend BGH NJW 1955, 139; vgl. auch BGH NJW 1967, 1025; weitere Nachweise unten C II 4, D II 5.
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ausschließt. 3Ii Die wesentlichere Problematik der zivil rechtlichen Relevanz persönlicher, wenn auch ~ypisierbarer Lebensumstände von Rechtssubjekten, die Frage nach der grundsätzlichen Berechtigung einer über den historischen Anwendungsbereich hinausgehenden Differenzierung nach persönlicher Schutzbedürftigkeit, wurde dagegen höchstens im Ansatz angesprochen und dann stets mit dem Hinweis auf die allgemein anerkannte Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers abgetan.36 Aus heutiger Sicht läßt sich daher sagen, daß das AbzG einen der wichtigsten Anknüpfungspunkte für die allmähliche Relativierung der vom allgemeinen Privatrecht postulierten formalen Gleichheit der Rechtssubjekte und damit für die Anerkennung des Verbraucherschutzgedankens im allgemeinen Zivilrecht bildete; mit der Normierung des § 8 AbzG wurde daher - sicherlich unbeabsichtigt - ein in seiner Tragweite kaum zu unterschätzender, erster Schritt zur Ausbildung eines Sonderprivatrechts für schutzbedürftige Personengruppen vollzogen.37 Angesichts des fortgeschrittenen Stadiums der zur Ausdehnung und Verallgemeinerung tendierenden Entwicklung des Abzahlungsrechts38 und der daraus resultierenden, auf die Regelung des § 8 gestützten, allgemeinen Anerkennung der Notwendigkeit und Berechtigung einer Differenzierung nach persönlicher Schutzbedürftigkeit, erscheint es bei oberflächlicher Betrachtungsweise müßig, nach dem inneren Grund des § 8 AbzG zu fragen; man könnte geneigt sein, ein Problematisieren der von § 8 AbzG offensichtlich vorausgesetzten, speziellen Schutzbedürftigkeit des Abzahlungskäufers, die es ja überhaupt erst rechtfertigen kann, für einen bestimmten Personenkreis eine vom allgemeinen Zivilrecht abweichende Regelung zu treffen, mit dem Hinweis für praktisch irrelevant zu erklären, eine in dieser Weise historisch gewachsene, inzwischen erprobte und gefestigte Entwicklung ließe sich ohnehin nicht mehr zurückschrauben. Dieser Standpunkt wäre jedoch vordergründig. Denn schon im Hinblick auf künftige Weiterentwicklungen des Zivilrechts mit dem Ziele des Verbraucherschutzes oder auch nur auf eine von der Literatur vielfach geforderte, inhaltliche Korrektur des § 8 erscheint es wesentNachweise Fn. 6. Vgl. etwa Reich JZ 1975, 550, 554f.; von Marschall, Gutachten, S. 146ff. 37 Vgl. etwa die Würdigung Reichs JZ 1975, 550. 38 Im Mittelpunkt der Diskussion steht inzwischen nicht mehr der Abzahlungskauf sondern ganz allgemein der Konsumentenkredit; dementsprechend setzen die Reformbestrebungen nicht mehr an den Regelungen des AbzG sondern an den §§ 607 ff. an; diese Schwerpunktverlagerung kommt bereits in der Themenstellung der Gutachten von Marschalls ("Reform des finanzierten Abzahlungskaufs") einerseits, Haddings ("Konsumentenkredit") andererseits, zum Ausdruck. lIIi
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B. Verbraucherschutz und das liberale Sozialmodell des BGB
lich zu wissen, ob man der historischen Regelung des AbzG tatsächlich bereits verallgemeinerungsfähige Ansätze zu einer Durchbrechung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit entnehmen konnte bzw. ob sich das AbzG in seiner heutigen Gestalt vom Regelungsbereich und Schutzzweck her ohne weiteres als Anknüpfungspunkt für die Ausbildung eines allgemeinen Privatrechts für persönlich schutzbedürftige Gruppen eignet. An der Verallgemeinerungsfähigkeit der Schutz intentionen des AbzG in Richtung auf Ausbildung eines allgemeinen Sonderprivatrechts für Verbraucher bestehen schon deshalb Zweifel, weil das AbzG in seiner geltenden Fassung mehrere, kaum vergleichbare Regelungen enthält, die ganz verschiedenen, konkreten Gefährdungen Rechnung tragen sollen. Die Regelungen zum Schutze vor unangemessen belastenden Verzugsfolgen,38 stehen neben denen, die die Freiheit der Willensbildung und Willensentschließung gewährleisten sollen, ohne daß möglicherweise vorhandene, verbindende Schutzgesichtspunkte ohne weiteres erkennbar wären. Die auch in diesem Zusammenhang gebräuchliche Formel, die abstrakte Schutzbedürftigkeit des Abzahlungskäufers (als Verbraucher) ergebe sich aus seiner wirtschaftlichen Unterlegenheit und geschäftlichen Unerfahrenheit,40 ist zu vage, als daß ihr für sich genommen ein zusätzlicher Erkenntniswert zukäme; sie wirft sofort die über das Abzahlungsgesetz hinausweisende Frage nach Ursache und Relevanz dieser Schutzbedürftigkeit auf. Der Regelung des AbzG in seiner heutigen Form läßt sich daher lediglich entnehmen, daß der Gesetzgeber den nicht vollkaufmännischen Abzahlungskäufer im Hinblick auf bestimmte, konkrete Gefahren für schutzbedürftig gehalten hat; diese Gefährdungen und die darauf bezogenen Kompensationsansätze des AbzG sind in Schutzziel und Regelungsinhalt zu wenig homogen, als daß es möglich wäre, von einem einheitlichen,. verallgemeinerungsfähigen Schutzzweck des AbzG auszugehen. 41 Seine Regelungen, insbesondere die Begrenzung ihres persönlichen Anwendungsbereichs gemäß § 8, sind daher für die Problematik einer allgemeinen Differenzierung nach persönlicher Schutzbedürftigkeit bzw. der Ausbildung eines allgemeinen Sonderprivatrechts für Verbraucher wenig ergiebig. Ob und in welchem Umfang eine allgemeine, von tatbestandlich eng umschriebenen, konkreten Gefährdungen abstrahierende Schutzbedürf88 Sie haben ihre eigenständige Bedeutung und Funktion neben den allgemeinen Rücktrittsregeln des. BGB angesichts der neueren Rechtsprechung zu den §§ 346, 347 (vgl. BGH NJW 1970, 1733) einerseits, neben der Regelung der §§ 11 Nr. 5, 6 AGBG (vgl. Klauss /Ose, AbzG, § 4 Rdnr. 507 ff.) andererseits, ohnehin zum Teil verloren. 40 Nachweise Fn. 23, 33. 41 So im Ansatz zutreffend Münchener-Kommentar-H. P. Westermann, vor § 1 AbzG Rdnr. 1.
I. Sonderprivatrechtliche Regelungsansätze
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tigkeit des Verbrauchers anzuerkennen ist, läßt sich dem AbzG für sich genommen nicht entnehmen. Darüber hinaus stellt sich jedoch die keineswegs nur historisch interessante Frage, ob - wie in der Literatur ganz überwiegend angenommen wird42 das AbzG tatsächlich als frühe Regelung zum Schutze gerade des Verbrauchers anzusehen ist, deren Schutzkonzeption man ohne weiteres übernehmen und auf andere, spezifisch den Verbraucher treffende Problemlagen übertragen kann. Betrachtet man die Regelung des § 8 AbzG unbefangen, dann fällt auf, daß sie wie die §§ 350, 351 HGB nicht etwa alle Kaufleute oder sogar alle gewerblich tätigen Kreise, sondern nur die Vollkaufleute aus dem Schutzbereich des AbzG ausschließt; ein für die Verbraucherschutzproblematik irrelevanter Unterschied zwischen den beiden Regelungen besteht lediglich insofern, als § 8 in aus heutiger Sicht durchaus problematischer Weise aus Gründen der Rechtssicherheit formal auf die Handelsregistereintragung abstellt. 43 Nach dem Wortlaut des § 8 zielt das AbzG also nicht nur auf den Schutz des Verbrauchers als privatem Letztabnehmer, sondern auch auf den Schutz von Kreisen, die zwar nicht als Vollkaufleute ins Handelsregister eingetragen, wohl aber etwa im Kleinhandel oder Handwerk gewerblich tätig sind. Daß dies kein Zufall ist, läßt sich aus der historischen Entwicklung der Abzahlungsgeschäfte, die schließlich den Gesetzgeber auf den Plan rief, belegen.« Der Abschluß von Ratenkaufverträgen diente nicht nur dem vorgezogenen Erwerb meist dringend benötigter Konsumgüter wie etwa Wohrungseinrichtungen, Kleidung etc., sondern vielfach auch dem Aufbau einer wirtschaftlichen Existenz oder der Modernisierung zur Sicherung gegen die Konkurrenz. Drucker, Schuster, Tischler, Weber, Musiklehrer und Besitzer kleinerer Läden erwarben auf diesem Wege die zur Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit erforderlichen Maschinen und Gerätschaften; es kam - wie man damals sagte im Wege des Zwangssparens - wenn alles glatt lief zur Kapitalbildung bei vorher fast vermögenslosen Gewerbetreibenden. 45 Auch der massenhafte Verkauf von Singer-Nähmaschinen, der einen der konkreten Anknüpfungspunkte für die Schaffung des (2 Grundlegend Benöhr ZHR 138 (1974), 432 "Konsumt!ntenschutz vor 80 Jahren"; Reich JZ 1975, 550; Löwe NJW 1974, 2257, 2264; Bender NJW 1980, 1129; GUles ZRP 1979, 265, 266; Damm JZ 1978,173,174; Münchener-Kommentar-H. P. Westermann, vor § 1 AbzG Rdnr. 1. 41 Nachweise Fn. 6. 44 Vgl. dazu umfassend Benöhr ZHR 138 (1974), 492; siehe auch die Gutachten von WHke und Heck zum 21. DJT und von Jastrow zum 22. DJT. • 5 Benöhr ZHR 138 (1974), 492, 495; WHke, Gutachten, S. 119 f.; Heck, Gutachten, S. 139 f., 145 ff.; vgl. insbesondere S. 146 zur Finanzierung von "Objekten, die sich selbst bezahlt machen".
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AbzG bildete, zielte gerade nicht auf "Verbrauch", d. h. das Nähen für den privaten Bedarf, sondern in erster Linie auf gewerbliche Nutzung; die meist weiblichen, durch Kinder an das Haus gefesselten Erwerber wollten durch Näharbeiten ihr außerordentlich schwaches Familieneinkommen aufbessern. 46 Dem Gesetzgeber des AbzG ging es also keineswegs nur um den Schutz des Verbrauchers im engeren Sinne, er hatte vielmehr auch die besonders unerträgliche Situation von Heimarbeitern und Kleingewerbetreibenden im Auge, die mit dem Abschluß von Ratenkaufverträgen eine langfristige Verbesserung ihrer Einkommensverhältnisse anstrebten. Unter anderm ist auf diesem Hintergrund auch die Fassung des § 5 AbzG zu erklären: Konnte der geschäftlich und rechtlich unerfahrene Abzahlungskäufer die Kaufpreisraten nicht mehr aufbringen, weil er die mit Hilfe des Kaufgegenstands zu erwirtschaftenden Einkünfte überschätzt hatte oder weil die von ihm hergestellten Produkte keinen Absatz fanden, so sollten ihm daraus nicht zusätzlich weitere Nachteile entstehen; mit der zwingenden Auslösung der Rücktrittsfolgen bei Ansichnahme des Kaufgegegenstands durch den Verkäufer sollte verhindert werden, daß der Abzahlungskäufer weitere Raten zahlen mußte, obwohl ihm der Gegenstand, mit dessen Hilfe er die Raten überhaupt erst verdienen konnte, nicht mehr zur Verfügung stand. 47 Insgesamt läßt sich damit sagen, daß in § 8 AbzG zwar die zivilrechtliche Relevanz einer persönlichen Schutzbedürftigkeit in gewissem Umfang anerkannt und insoweit auch das Prinzip formal-abstrakter Gleichheit der Rechtssubjekte durchbrochen wird, daß diese Ansätze jedoch nicht ohne weiteres verallgemeinerungsfähig sind. Vor allem aber ist festzuhalten, daß § 8 gerade nicht, wie es die herrschende Qualifizierung des AbzG als typisches, frühes Verbraucherschutzgesetz vermuten läßt, zwischen rechtsgeschäftlichem Erwerb im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit und dem Abschluß eines Abzahlungsgeschäfts mit dem Ziele des Konsums unterscheidet. f8 c) DasAGBG
Eine weitere, wichtige, an die traditionelle Unterscheidung zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten anknüpfende, persönliche Differenzierung findet sich schließlich in § 24 AGBG. Gemäß § 24 Satz 1 AGBG 41 vgl. Wilke, Gutachten, S. 119 f.; Benöhr ZHR 138 (1974), 492, 494; von Marschall, Vortrag, S. 11. 47 Vgl. von Marschall, Gutachten, S. 125; OLG Stuttgart NJW 1977, 1926, 1927. '8 von Marschall, Gutachten, S. 126, geht im Hinblick auf § 5 AbzG insofern
konsequent davon aus, daß "das Schutzbedürfnis nicht in gleichem Maße bei solchen Kaufgegenständen gegeben ist, die nicht für die Erwerbstätigkeit des Käufers, sondern für den Konsum angeschafft werden".
I. Sonderprivatrechtliche Regelungsansätze '
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finden die §§ 2, 10, 11, 12 dieses Gesetzes, das insbesondere durch die Eröffnung von Prüfungs- und Korrekturmöglichkeiten im Wege der Inhaltskontrolle gemäß §§ 9 ff. Schutz vor einseitiger Ausnutzung privatautonomer Gestaltungsfreiheit durch den Verwender gewähren soll, auf solche AGB keine Anwendung, die gegenüber einem Kaufmann verwendet werden, wenn der Vertrag zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehört. Anders als in den §§ 348, 350, 351 HGB und in § 8 AbzG wird in § 24 Satz 1 nicht zwischen Voll- und Minderkaufleuten unterschieden; es werden vielmehr alle Kaufleute vom Anwendungsbereich der §§ 2, 10, 11, 12 AGBG ausgenommen. Man könnte daher den § 24 Satz 1 nicht nur als Berücksichtigung einer unterschiedlichen persönlichen Schutzbedürftigkeit gegenüber AGB und damit als Durchbrechung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit der Rechtssubjekte deuten, sondern aus der von den §§ 348, 350, 351 HGB, § 8 AbzG abweichenden Abgrenzung darüber hinaus den Schluß ziehen, daß im AGBG - von der Grauzone der ohnehin im Zusammenhang mit Schutzbedürftigkeitserwägungen stets problematischen Gruppe der nichtkaufmännisch erwerbswirtschaftlich Tätigen, insbesondere der Freiberufler, abgesehen49 - zum ersten Mal ein allgemeiner qualitativer Unterschied zwischen Konsum und gewerblicher Tätigkeit, eine allgemeine Schutzbedürftigkeit gerade des Verbrauchers gegenüber dem erwerbswirtschaftlich Tätigen, anerkannt wird. In der Tat spiegeln die Referate und Diskussionsbeiträge zum 50. DJT,50 die amtlichen Stellungnahmen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens,51 sowie die intensive und kontroverse literarische Diskussion wider,5! wie weit verbreitet die Vorstellung war, die Problematik des Schutzes vor unangemessenen allgemeinen Geschäftsbedingungen, sei unmittelbar dem Sachkomplex "Verbraucherschutz" zuzuordnen. Insbesondere die Inhaltskontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen wurde vielfach als wichtiges und typisches Instrument zum Schutze des Verbrauchers begriffen. Die Stimmen, die auf dem Hintergrund dieser Auffassung konsequenterweise eine völlige Beschränkung des AGBG Siehe zur Problematik der §§ 1 ff. HGB bereits B I 1 a. Vgl. schon die Fragestellung: "Welche gesetzgeberischen Maßnahmen empfehlen sich zum Schutze des Endverbrauchers gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Formularverträgen?" 51 Vgl. zur Entstehungsgeschichte des AGBG utmer in Ulmer I Brandner I Hensen, AGBG, Einl. Rdnr. 12 ff.; Schlosser in Schlosser I Coester-Waltjen I Graba, AGBG, vor § 1; vgl. auch die Zusammenstellung der Materialien zum AGBG in Dietlein I Rebmann, Anhang. S! Vgl. Lindacher BB 1972, 296; Brandner JZ 1973, 613; M •. Wolf JZ 1974, 465; Eith NJW 1974, 16; Dietlein NJW 1974, 969; Bastian I Böhm BB 1974, 110; Nicklisch BB 1974, 941; Löwe BB 1974, 1033; Eberstein BB 1974, 1185; Reich ZRP 1974, 187; weitere Nachweise bei Kötz, Gutachten, insbesondere Fn. 9; Ulmer, Referat, insbesondere Fn. 3. 4D
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B. Verbraucherschutz und das liberale Sozialmoclell des BGB
auf Verbraucher bzw. zumindest eine generelle Herausnahme der Kaufleute aus dem Schutzbereich forderten, konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Der Regelungsbereich des AGBG ist zunächst allgemein, d. h. auf alle Rechtssubjekte bezogen, formuliert; erst in den §§ 23, 24 finden sich gewisse Beschränkungen des sachlichen und persönlichen Anwendungsbereichs. Dennoch wird das AGBG53 bis heute vielfach als Meilenstein auf dem Wege zur Ausbildung eines privatrechtlichen Verbraucherschutzes begriffen,54 ohne daß von den betreffenden Autoren im einzelnen nachgewiesen wurde, inwieweit sich de lege lata denn dem § 24 tatsächlich spezifisch verbraucherschützende Tendenzen bzw. überhaupt Differenzierungen nach unterschiedlicher persönlicher Schutzbedürftigkeit gegenüber AGB entnehmen lassen. 56 Zumindest für· die zentrale Regelung der Inhaltskontrolle bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob die Regelung des persönlichen Anwendungsbereichs überhaupt als Differenzierung nach unterschiedlicher, persönlicher Schutzbedürftigkeit begriffen werden kann. Die §§ 10, 11 AGBG sind zwar auf Kaufleute unmittelbar nicht anwendbar. Aus § 24 Satz 1 i. V. m. Satz 2 ergibt sich jedoch, daß Kaufleuten der Schutz einer Inhaltskontrolle keineswegs völlig versagt wird. Der Tatsache entsprechend, daß eine Inhaltskontrolle auch und zum Teil sogar in erster Linie im Hinblick auf Geschäfte unter Kaufleuten entwickelt worden ist,54I bleibt die Generalklausel des § 9 gemäß § 24 Satz 2 auch bei Handelsgeschäften anwendbar. Dabei sind der im Rahmen der Inhaltskontrolle gemäß § 9 vorzunehmenden Bewertung weder thematisch noch inhaltlich Schranken gesetzt, die einen Rückschluß auf eine geringere persönliche Schutzbedürftigkeit des Kaufmanns zuließen: Es ist zwar im einzelnen ungeklärt, welche Rolle die Klauselverbote der §§ 10, 11 im Rahmen der Konkretisierung des § 9 zugunsten eines Kaufmanns im einzelnen spielen; insbesondere fehlt es an einem Konsens darüber, ob Klauselverbote gemäß § 11 angesichts des hohen Gerechtigkeitsgehalts, die ihnen der Gesetzgeber durch die Versagung eines Wertungsspielraums offensichtlich zubilligt, weitgehend schematisch auf das Handelsrecht zu übertragen sind, oder ob jedes einzelne Klausei verbot auf Mißbilligungsintensität und seine Brauchbarkeit für Handelsgeschäfte hin zu überprüfen ist. Fest steht jedoch angesichts des in53 Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vom 9. 12. 1976 (BGBl. I 3317). 54 Vgl. nur GiHes JA 1980, 1, 2; Kramer ZSchweizR 1979,49, 62 ff.; Damm JZ 1978,173,175; Reich ZVP 1978, 236; U. Hübner, Handelsrecht, S. 17. 51 Die pauschale Zuordnung zum Sachkomplex "Verbraucherschutz" ist zum Teil wiederum auf die mangelnde Bemühung um eine Präzision des juristischen Verbraucherbegriffes zurückzuführen; siehe dazu A IV. 58 Vgl. dazu mmer, Referat, H 25; Bunte AcP 181 (1981), 31, 49; CapeHe I Canaris, Handelsrecht, S. 135.
I. Sonderprivatrechtliche Regelungsansätze
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soweit eindeutigen Wortlauts des § 24 Satz 2, daß § 24 Satz 1 im Hinblick auf die von den §§ 10, 11 abgedeckten Problemkreise sowie auf die aus diesen Regelungen abzuleitenden Prüfungskriterien keine Sperrwirkung entfaltet; die in den §§ 10, 11 zum Ausdruck kommenden Wertungen können im Rahmen der allgemeinen Inhaltskontrolle gemäß § 9 wieder aufgegriffen werden, um so mittelbar auch Schutzwirkung zugunsten von Kaufleuten zu entfalten.57 Die Inhaltskontrolle nach dem AGBG kommt damit grundsätzlich - insofern ist die Fassung des § 24 Satz 1 mißverständlich - Kaufleuten in gleicher Weise zugute wie dem Nichtkaufmann bzw. dem Verbraucher; der Kaufmann wird also gegenüber der Verwendung von AGB im Ansatz für ebenso schutzbedürftig gehalten wie sonstige Rechtssubjekte. Immerhin gewährt die Regelung des § 24 mit dem Ausschluß der unmittelbaren Anwendbarkeit der relativ starren Klauselkataloge der §§ 10, 11 einen erweiterten Wertungsspielraum. Die persönliche Differenzierung des § 24 ließe sich daher möglicherweise dahingehend deuten, daß eine an sich anzuerkennende, geringere Schutzbedürftigkeit des Kaufmanns zwar nicht zum völligen Ausschluß der Inhaltsköntrolle zugunsten von Kaufleuten führen, aber doch zumindest bei der überprüfung einzelner Klauseln mit in die Beurteilung einfließen kann. s8 Für diese These finden sich allerdings im Gesetz keine unmittelbaren Anhaltspunkte. Der Wortlaut des § 24 legt vielmehr eine andere Interpretation des auf den ersten Blick komplizierten Zusammenspiels von Satz 1 und Satz 2 nahe. Die ausdrückliche Bezugnahme des § 24 Satz 2 2. Halbsatz auf die im Handelsverkehr geltenden Gebräuche und Gewohnheiten weist darauf hin, daß die Differenzierung des § 24 nicht - wie Regelungstitel und sprachliche Fassung des § 24 Satz 1 zunächst vermuten lassen - darauf abzielte, rechtliche Konsequenzen aus einer unterschiedlichen Schutzbedürftigkeit von Kaufleuten und Nichtkaufleuten zu ziehen, sondern daß es zumindest in erster Linie darum ging, eine Möglichkeit zu eröffnen, den besonderen sachlichen und damit schutzbedürftigkeitsneutralen Bedürfnissen des kaufmännischen Verkehrs, etwa nach schnellerer Abwicklung oder nach differenzierten, auf den jeweiligen Geschäftstyp zugeschnittenen Haftungsregelungen, Rechnung zu tragen. 511 Die These, daß die Differenzierung des § 24 in erster 57 Vgl. Bunte AcP 181 (1981), 31, 49 f.; Capelle I Canaris, Handelsrecht, S. 135ff.; Brandner in IDmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 24 Rdnr. 19ff.; Schlosser in Schlosser I Coester-Waltjen I Graba, AGBG, § 24 Rdnr. 1; Münchener-Kommentar-Kötz, AGBG, § 24 Rdnr. 5 ff. 58 Ausdrücklich für einen Rückgriff auf den Verbraucherschutz gedanken als Auslegungskriterium Helm BB 1977, 1109; Damm JZ 1978, 173, 174 ff.; Reich ZVP 1978, 236, 239 ff. 59 Die Fragestellung wird bisher nicht mit ausreich'ender Schärfe problematisiert; erkennbar in die hier vertretene Richtung zielen etwa Capelle I
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B. Verbraucherschutz und das liberale Sozialmodell des BGB
Linie auf die sachlichen Besonderheiten des kaufmännischen Geschäftsverkehrs, die die Verwendung von in Widerspruch zu den §§ 10, 11 stehenden Klauselverboten rechtfertigen, zugeschnitten ist, steht allerdings in einem gewissen Gegensatz zur Entstehungsgeschichte des AGBG. Diese weist die komplizierte Fassung des § 24 zumindest im Hinblick auf die Inhaltskontrolle vor allem als Ergebnis eines auf schnellen Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens zielenden Kompromisses aus: Man wollte zwar, anders als ursprünglich geplant, den Kaufmann grundsätzlich in den Schutzbereich des AGBG miteinbeziehen, war sich aber andererseits darüber im klaren, daß eine schematische Verallgemeinerung der zunächst inhaltlich und thematisch ganz auf den Letztverbraucher bezogenen Klauselkataloge der §§ 10, 11 den differenzierten Bedürfnissen des kaufmännischen Verkehrs möglicherweise nicht gerecht würde. Da man jedoch nicht bereit war, im Hinblick auf die an sich erforderliche Analyse dieser spezifischen Anliegen und Besonderheiten des Geschäftsverkehrs zusätzliche Verzögerungen im Gesetzgebungsverfahren in Kauf zu nehmen, wurde auf die Normierung eines an den sachlichen Bedürfnissen des kaufmännischen Verkehrs orientierten Klauselkatalogs bzw. auf eine detaillierte Ausgestaltung des § 24 verzichtet und die Entwicklung entsprechender Maßstäbe derRechtsprechung überlassen.oo Auch wenn dabei die Vorstellung einer geringeren persönlichen Schutzbedürftigkeit des Kaufmanns eine Rolle gespielt haben mag, so haben diese Erwägungen im Gesetzeswortlaut jedoch keinen Niederschlag gefunden. § 24 ist für seinen wichtigsten Anwendungsbereich, die Inhaltskontrolle, schutzbedürftigkeitsneutral gestaltet. Möglicherweise enthält § 24 allerdings doch zumindest insoweit die eindeutige Anerkennung einer geringeren Schutzbedürftigkeit des Kaufmanns, als die Anwendbarkeit der §§ 2,12, die die Voraussetzungen einer Einbeziehung von AGB in ein Vertragsverhältnis einerseits, die Anwendbarkeit des AGBG auf ausländische AGB andererseits regeln, für den Geschäftsverkehr ohne Einschränkung ausgeschlossen wird. Es bestehen jedoch selbst für diesen Regelungsbereich des § 24 Satz 1 Zweifel, ob er eindeutig Rückschlüsse auf eine gesetzliche Festschreibung einer positiven Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers zuläßt. Zumindest die Nichtanwendung des § 12 auf Kaufleute läßt sich vielmehr durchaus auch schutzbedürftigkeitsneutral interpretieren, also auf die sachlichen Anforderungen des grenzüberschreitenden Handels zurückführen. So findet sich in der amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf auch der zumindest überwiegend sachbezogene Hinweis, die
Canaris, Handelsrecht, S. 135; Schlosser in Schlosser / Coester-Waltjen / Graba, AGBG, § 24 Rdnr.l; Koch / StiLbing, AGBG, § 9 Rdnr. 10. 80 Siehe dazu Bunte AcP 181 (1981), 31, 47 ff. m. w. N.
I. Sonderprivatrechtliche Regelungsansätze
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Vorschrift über den internationalen Geltungsbereich des Gesetzes sei für kaufmännische Geschäfte, die im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr häufig nach internationalen, einheitlichen Standardbedingungen abgewickelt würden, ungeeignet und erschiene auch nicht durchsetzbar.61 Schließlich läßt sich auch die Nichtanwendung des § 2 auf Kaufleute nicht eindeutig auf die Anerkennung einer unterschiedlichen Schutzbedürftigkeit von Kaufleuten und Nichtkaufleuten zurückführen: Es liegt zwar nahe, in diesem Zusammenhang auf die größere geschäftliche Erfahrung des Kaufmanns zu verweisen, aufgrund derer er stets mit der Verwendung von AGB rechnen muß und infolgedessen des Schutzes des § 2 nicht bedarf.62 Man könnte die Regelung des § 24 Satz 1 aber genausogut primär sachbezogen damit rechtfertigen, daß die Verwendung von AGB im kaufmännischen Verkehr ganz überwiegend üblich und erforderlich sei und die Aufstellung von über die allgemeinen Regelungen der Rechtsgeschäftslehre hinausgehenden Voraussetzungen der Einbeziehung, wie sie in § 2 enthalten sind, den flüssigen Ablauf des Geschäftsverkehrs unnötig hemmen würde.63 Eine personen bezogene Erklärung dieser Regelung ist damit zwar möglich, aber nicht zwingend. Im übrigen ist die Regelung des § 2 zu problematisch und umstritten,64 als daß man ihr verallgemeinerungsfähige Schutztendenzen entnehmen könnte. Insgesamt läßt sich damit sagen, daß die Vorstellung einer größeren geschäftlichen Erfahrung des Kaufmanns und damit einer gegenüber dem Verbraucher verminderten persönlichen Schutzbedürftigkeit zwar in gewissem Umfang die Gestaltung des AGBG mit beeinflußt haben mag, daß § 24 jedoch so, wie er schließlich Gesetz geworden ist, in seinem ganz überwiegenden Anwendungsbereich schutzbedürftigkeitsneutral formuliert ist und infolgedessen keine Rückschlüsse auf ein allgemeines Konzept zum Schutze des Verbrauchers zuläßt.65 81 Begr. RegE BT-Dr. 7/3919, S. 44; vgl. zu § 12 AGBG umfassend Brandner in Ulmer 1Brandner 1Hensen, AGBG, § 12, sowie Ulmer, § 24 Rdnr. 20 m. w. N~; vgl. zur Problematik des grenzüberschreitenden, kaufmännischen Rechtsverkehrs auch SchlechtTiem, Festschrift für Duden, S. 571, 580 ff. S! Dieser Gesichtspunkt klingt in der Begr. RegE BT-Dr. 7/3919, S. 43 an. 83 Die Frage nach dem Grund für die Nichtanwendbarkeit des § 2 AGBG wird wohl im Hinblick auf den insoweit eindeutigen Wortlaut des § 24 S. 1 kaum problematisiert. Ansätze für eine primär sachbezogene Interpretation dieser Differenzierung könnte man u. a. den Bezugnahmen auf die Branchenüblichkeit entnehmen; vgl. dazu Ulmer in Ulmer 1 Brandner 1 Hensen, AGBG, § 2 Rdnr. 79 ff., insbesondere 82; DieHein 1 Rebmann, AGBG, § 24 Rdnr.3; Löwe I Graf von Westphalen 1 TTinkner, AGBG, § 2 Rdnr. 27 ff., insbesondere 32; Erman - H. Hefermehl, § 2 Rdnr. 29 ff., insbesondere 40. 84 Vgl. Ulmer in Ulmer 1 Brandner 1 Hensen, AGBG, § 2 Rdnr. 1 f.; Münchener-Kommentar-Kötz, AGBG, § 2 Rdnr. 1; Erman - H. Hefermehl, § 2 AGBG, Rdnr. 1. 86 Gegen eine Qualifizierung des AGBG als Verbraucherschutzregelung
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B. Verbraucherschutz und das liberale Sozialmodell des BGB d) Zusammenfassung
Zusammenfassend ist damit festzuhalten, daß aus der Unterscheidung von Kaufleuten und Nichtkaufleuten, wie sie in den §§ 1 ff. HGB und den daran anknüpfenden Normen des HGB, AbzG und AGBG zum Aus~ druck kommt, nicht ohne weiteres auf die Zulässigkeit und Systemkonformität weiterer Differenzierungen nach persönlicher Schutzbedürftig~ keit oder sogar der Ausbildung eines allgemeinen Sonderprivatrechts für Verbraucher geschlossen werden kann. Dies ergibt sich einmal schon daraus, daß die meisten Regelungen, die auf diese Unterscheidung Bezug nehmen und infolgedessen formal an die Person des Kaufmanns anknüpfen, ihren Grund entgegen dem ersten Anschein zumindest nicht primär in einer geringeren persönlichen Schutzbedürftigkeit des Kauf~ manns haben, sondern von Inhalt und ratio her schutzbedürftigkeits~ neutral sind. So enthält das HGB ganz überwiegend unternehmensbezogene Vorschriften einerseits, Sonderregelungen, die auf die besonde~ ren sachlichen Bedürfnisse des kaufmännischen Verkehrs zugeschnitten sind, andererseits. Auch der Wortlaut des § 24 AGBG legt, zumindest soweit es um die Nichtanwendbarkeit der §§ 10, 11 auf den kaufmän~ nischen Verkehr geht, eine primär sachbezogene Auslegung dieser Differenzierung nahe. Demgegenüber fallen die an den Kaufmannsbegriff anknüpfenden Normen, denen eindeutig vorrangig die Vorstellung einer unterschiedlichen persönlichen Schutzbedürftigkeit zugrundeliegt, oder denen man zumindest neben dem sachbezogenen auch einen schutz bezogenen Gehalt zuerkennen kann - beispielhaft sind die §§ 348, 350 HGB, § 8 AbzG sowie ein Teil der Regelungen des § 24 Satz 1 AGBG zu nennen -, schon zahlenmäßig geringer ins Gewicht. Hinzu kommt, daß diesen wenigen, wenn auch praktisch außerordentlich bedeutsamen, schutzbedürftigkeitsbezogenen Regelungen offensichtlich kein geschlossenes Schutzkonzept zugrunde liegt. Diese Normenkom~ plexe setzen punktuell an den verschiedensten Problemkreisen an, zielenauf den Schutz vor konkreten, nicht unmittelbar vergleichbaren Gefährdungen ab und statuieren unterschiedliche Instrumente zur Kompensation persönlicher Schutzbedürftigkeit. Gegen das Vorhandenseineines stimmigen Schutzkonzepts spricht aber auch, daß sich de lege lata die persönlichen Schutzbereiche dieser Regelungen nicht decken. Vor allem aber läßt sich den nach unterschiedlicher persönlicher Schutzbedürftigkeit differenzierenden Regelungen keine spezifisch verbraucherschützende Tendenz entnehmen. Die §§ 348, 350 HGB, § 8 AbzG differenzieren nicht zwischen Rechtsgeschäften, die im Rahmen der Ausdeutlich ULmer in Ulmer / Brandner / Hensen, AGBG, Ein!. Rdnr. 22 ff.; Löwe / Graf von Westphalen/ Trinkner, AGBG, § 24 Rdnr. 3; CapeHe / Canaris, Handelsrecht, S. 135.
I. Sonderprivatrechtliche Regelungsansätze
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übung einer Erwerbstätigkeit vorgenommen werden und solchen, die auf privaten Konsum abzielen, sondern orientieren sich an Größenmerkmalen. § 24 nimmt zwar alle Kaufleute ohne Rücksicht auf den Umfang ihres Gewerbes vom Regelungsbereich der §§ 2,10,11,12 AGBG aus und könnte daher den Rückschluß auf Anerkennung einer Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers als privatem Letztabnehmer nahelegen. Aber zum einen ist, wie aufgezeigt wurde, ohnehin zweifelhaft, ob und inwieweit § 24 überhaupt schutzbedürftigkeitsbezogen gedeutet werden kann. Zum andern bleiben von der Abgrenzung des § 24 alle Rechtsgeschäfte ausgespart, die zwar nicht auf Konsum abzielen, aber im Rahmen einer Erwerbstätigkeit vorgenommen werden, die wie insbesonderedie freiberufliche Tätigkeit von den §§ 1 ff., 343 HGB nicht abgedeckt wird. Dem Befund, daß keiner der nach persönlicher Schutzbedürftigkeit differenzierenden Regelungen ein spezifisch verbraucherschützender Gehalt zukommt, ließe sich allerdings entgegenhalten, daß deren persönlicher Anwendungsbereich sich de lege lata zwangsläufig aus der Abgrenzung der §§ 1 ff. HGB ergebe, deren Reformbedürftigkeit seit langem zumindest im Ansatz allgemein anerkannt sei.oo Dieser Einwand, der also den schutzbezogenen Regelungen zumindest eine "latente" Verbraucherschutztendenz zuerkennt, die nach einer Neuorientierung der §§ 1 ff. HGB automatisch zum Tragen käme, geht jedoch ins Leere. Im Mittelpunkt der Diskussion um eine Neubestimmung des Verhältnisses von BGB und HGB stand zunächst - und dies entspricht dem traditionellen, primär schutzbedürftigkeitsneutralen Charakter des Handels- und Gesellschaftsrechts - die sachbezogen begründete Ablösung des Kaufmanns durch das Unternehmen als Bezugspunkt für Sonderregelungen.67 Ob und inwieweit de lege ferenda in diese Neuabgrenzung über die vorhandenen Einzelansätze hinausgehend allgemeine Gesichtspunkte unterschiedlicher Schutzbedürftigkeit einfließen dürfen und können, ist ganz offen. Die Anerkennung einer allgemeinen Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers gegenüber den erwerbswirtschaftlich Tätigen im Rahmen einer Reform der §§ 1 ff. HGB setzt daher den Nachweis einer solchen Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers überhaupt erst voraus. Argumentationsansätze, die versuchen, weitere verbraucherschützende Maßnahmen im Zivilrecht allein mit der im Gesetz angelegten Unterscheidung zwischen Kaufmann und Nichtkaufmann zu legitimieren, die positive Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers also im Rückschluß aus einer geringeren Schutzbedürftigkeit des Kaufmanns abzuleiten, 88
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Siehe dazu Fn. 6. Siehe die Nachweise Fn. 12 -14.
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B. Verbraucherschutz und das liberale Sozialmodell des BGB
drehen sich damit im Kreise: Die wenigen, an die §§ 1 ff. HGB anknüpfenden Regelungen, die zumindest auch auf die Vorstellung unterschiedlicher, persönlicher Schutzbedürftigkeit zurückzuführen sind, lassen sich erst im Hinblick auf eine Reform der §§ 1 ff. als spezifisch verbraucherschützende Regelungen qualifizieren; eine in diese Richtung zielende Reform setzt aber ihrerseits Klarheit über Inhalt und Reichweite einer Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers voraus. Aber auch für ein Schutzbedürftigkeitskonzept, das nicht allein auf den Verbraucher im engeren Sinne, d. h. auf den privaten Letztabnehmer abzielt, sondern unter Verbraucherschutz jede Berücksichtigung einer irgendwie gearteten persönlichen Schutzbedürftigkeit versteht, ist die Unterscheidung zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten als Anknüpfungspunkt und Legitimation für weitere schutzbezogene Maßnahmen unergiebig: Man kann zwar die vorhandenen Ansätze einer Differenzierung nach unterschiedlicher persönlicher Schutzbedürftigkeit in den §§ 348, 350 HGB, § 8 AbzG, § 24 Satz 1 AGBG als Indiz dafür ansehen, daß gewisse Umstände, insbesondere eine typische geschäftliche und rechtliche Unerfahrenheit gewisser Personenkreise, eine rechtlich zu berücksichtigende persönliche Schutzbedürftigkeit begründen können. Warum diese, im übrigen näher zu präzisierenden Umstände zur Durchbrechung des ganz dominierenden Prinzips formal-abstrakter Gleichheit berechtigen, welcher Stellenwert diesen Durchbrechungen im Gesamtsystem zukommt, ob solche Durchbrechungen nur als begrenzte Sonderregelungen zu rechtfertigen sind oder im Gegenteil nach Verallgemeinerung streben und damit auf lange Sicht zur Auflösung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit führen müssen, läßt sich den Regelungen selbst nicht entnehmen. 2. Die Ausbildung eines besonderen Wohnungsmietrechts als verwendungszwecl[bezogener Ansatz im HinbUcl[ auf die emtentielle Bedeutung des Vertragsgegenstands
Zu fragen bleibt, ob das sogenannte soziale Wohnungsmietrecht Ansätze für die Entwicklung eines allgemeinen Sonderprivatrechts für Verbraucher bietet. In der ursprünglichen Konzeption des BGB war das Mietverhältnis wie alle anderen Vertragstypen ganz überwiegend8S abstrakt, d. h. losgelöst von "sozialen Zwecken" gefaßt; die Regelungen der §§ 535 ff. sollten also etwa gleichermaßen auf die entgeltliche Gebrauchsüberlassung einer Maschine, eines Pferdes oder einer Wohnung Anwendung es Als frühe soziale Schutzvorschriften lassen sich die §§ 544, 559, 571 verstehen; vgl. dazu Derteder JA 1977, 337.
1. Sonderprivatrechtliche Rege1ungsansätze
49
finden; sie waren im übrigen dispositiv und konnten daher durch privatautonome Vereinbarung der Vertragspartner abbedungen werden. 69 Diese abstrakte Gleichbehandlung aller Mietverträge, d. h. das Fehlen zwingender, sozialer Schutzrechte zugunsten des Wohnungsmieters, war schon bei Inkrafttreten des BGB nicht unbestritten; aber erst die durch den 1. Weltkrieg bedingte Wohnungsnot veranlaßte den Gesetzgeber zum Eingreifen. Damit setzte ein jahrzehntelanges Ringen um Notwendigkeit, Inhalt und Ausmaß eines sozialen Schutzes des Wohnungsmieters ein, das erst mit dem am 1. 1. 1975 in Kraft getretenen 2. Wohnraumkündigungsschutzgesetz (WKSchG)1° ein - wenn auch möglicherweise wiederum nur vorläufiges - Ende gefunden haU 1 Zur Zeit bleiben zwar der Abschluß des einzelnen Mietvertrags sowie insbesondere die Festlegung der Höhe des Mietzinses überwiegend dem freien Spiel der Kräfte überlassen;72 ist jedoch einmal ein Mietvertrag über eine Wohnung zustandegekommen, dann genießt der Mieter einen weitgehenden Bestandsschutz. 73 Die nunmehr in das BGB eingefügte Regelung des § 564 b 74 erlaubt dem Vermieter nur dann die Kündigung, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Miet~ verhältnisses nachweisen kann. 75 Aber selbst bei Vorliegen anerkannter Kündigungsgründe kann der Mieter nach der älteren Regelung des § 556 a,76 der sogenannten Sozialklausel, dann Fortsetzung des Mietver~ hältnisses verlangen, wenn dessen Beendigung für ihn oder seine Familie unter Würdigung der Interessen des Vermieters eine ungerechtfertigte Härte darstellen würde. 77 Flankiert wird dieser Kündigungs•• Schmidt-Futterer / Blank, WohnraumschutzG, Rdnr. A 3 f.; AK-Derleder, vor §§ 535 ff. Rdnr. 1. 70 Verkündet am 18.12.1974 (BGBl. I 3603); vgl. dazu Vogel JZ 1975, 73; Löwe NJW 1975, 9; Staudinger-Sonnenschein, Vorbem. zum WKSchG. 71 Vgl. zur historischen Entwicklung des sozialen Mietrechts MünchenerKommentar-Voelskow, vor § 535 Rdnr. 88 ff.; Schmidt-Futtere~ / Blank, WohnraumschutzG, Rdnr. A 5 ff.; Staudinger-Emmerich, Vorbem. zu §§ 535, 536 Rdnr. 1 ff.; Derleder JA 1977, 337 ff. 12 Vgl. zu den Einschränkungen Münchener-Kommentar-Voelskow, vor § 535 Rdnr. 143 ff. 73 Dazu umfassend von Stebut, S. 20 ff. 74 Vgl. zur Entstehungsgeschichte des § 564 b Staudinger-Sonnenschein, § 564 b Rdnr. 2 ff.; Schmidt-Futterer / Blank, WohnraumschutzG, Rdnr. B 452f. 75 Vgl. zu den Einzelheiten Staudinger-Sonnenschein, § 564 b Bdnr. 22 ff.; Schmidt-Futterer / Blank, WohnraumschutzG, Rdnr. B 464 ff. 7' Eingefügt durch Art. 6 des Abbaugesetzes vom 23.6.1960 (BGBl. I 389); vgl. zu den inzwischen erfolgten Änderungen Schmidt-Futterer / Blank, WohnraumschutzG, Rdnr. B 167 ff. 77 Vgl. zu den Einzelheiten Staudinger-Sonnenschein, zu § 556 a; SchmidtFutterer / Blank, WohnraumschutzG, Rdnr. B 167 ff. 4 Dauner-Lteb
B. Verbraucherschutz und das liberale Sozialmodell des BGB
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schutz78 durch die außerhalb des BGB, im Gesetz zur Regelung der Miethöhe (MHG),78 angeordnete Beschränkung der Befugnis zur Miet~ erhöhung, die den Vermieter u. a. zur Orientierung an der ortsüblichen Vergleichsmiete zwingt.80 Der Schutz dieses, nur grob skizzierten, zumindest in seiner Reichweite nach wie vor rechtspolitisch heftig umstrittenen,81 sozialen Wohnungsmietrechts kann, wie sich insbesondere aus den §§ 564 b Abs. 6, 556 a Abs. 7 BGB, 10 MHG ergibt, nicht zuun~ gunsten des Mieters abbedungen werden; die privatautonome Gestal~ tungsfreiheit der Vertragspartner wird also insoweit durch halbzwin~ gende Normen eingeschränkt. Wohnen bedeutet private Nutzung von Räumen. Das besondere soziale Wohnungsmietrecht privilegiert also faktisch in gewissem Umfang den Verwendungszweck "Konsum".82 Sein Schutzbereich deckt jedoch nicht jede Miete mit dem Ziele des Verbrauchs ab. Anknüpfungspunkt für die Durchbrechung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit ist also nicht die Anerkennung einer allgemeinen Unterlegenheit des Verbrauchers, sondern die existentielle Bedeutung des Vertragsgegenstands Wohnung.53 Es soll nicht nur dem Umstand Rechnung getragen werden, daß der Mensch auf ein Dach über dem Kopf angewiesen ist und daher auf eine Unterkunft nicht einmal vorübergehend verzichten kann;84 infolgedessen wird der Schutz des Wohnungsmieters weder auf Zeiten der Wohnungsnot und -knappheit begrenzt, noch von der Unmöglichkeit, angemessenen Ersatz zu beschaffen, abhängig gemacht.86 Der generelle Bestandsschutz beruht vielmehr auf der Vorstellung, daß der Mieter gerade an den von ihm konkret bewohnten Räumen ein existentielles Interesse hat, weil jeder Wechsel ihn und seiner Familie des Lebensmittelpunkts berauben würde und daher die Gefahr einer sozialen Entwurzelung in sich birgt.86 Diese überlegungen lassen sich nicht ohne weiteres auf andere Verträge mit dem Ziele des Verbrauchs übertragen; für weitere sonderpri78 Schutz vor Umgehungen bietet Art. 2 des 2. WKSchG. 79 Art. 3 bis 8 des 2. WKSchG. 80 Vgl. zu den Einzelheiten Staudinger-EmmeTich zu Art. 3 WKSchG. 81 Vgl. etwa Staudinger-EmmeTich, Vorbem. zu §§ 535, 536 Rdnr. 18 f. 82 Vgl. Reitner, Verbraucherverschuldung, S. 40. 83 Vgl. jeweils mit weiteren Nachweisen Schmidt-Futterer I Blank, WohnraumschutzG, Rdnr. A 1; Soergel-Kummer, vor § 535 Rdnr. 195; MünchenerKommentar-Voelskow, Einl. zu §§ 535 - 597 Rdnr. 8; Larenz, SchuldR II, § 48 I; allgemein zur Wohnung als Mietgegenstand AK-Derleder, vor §§ 535 ff. Rdnr.2ff. 84 Vgl. zum Aspekt der existentiellen Angewiesenheit auf Wohnraum Schmidt-Futterer I Blank, WohnraumschutzG, Rdnr. A 27. 85
von Stebut, S. 20.
88 Besonders deutlich Schmidt-Futterer I Blank, WohnraumschutzG, Rdnr.
A26.
II. Das Prinzip formal-abstrakter Gleichheit
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vatrechtliche Privilegierungen bietet das soziale Wohnungsmietrecht für sich genommen also keine Rechtfertigung. 3. Zusammenfassung Die zivilrechtliche Relevanz einer wie auch immer zu präzisierenden, allgemeinen Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers läßt sich aus dem geltenden Privatrecht nicht ableiten, weil diesem die Kategorien "schutzbedürftige Personengruppe", "besonders relevanter Verwendungszweck" im allgemeinen, die Kriterien "Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers", "Sonderstellung des Konsums" im besonderen, grundsätzlich fremd sind und bisher nur in wenigen, in Regelungsziel und Regelungsinhalt ganz unterschiedlichen Sonderregelungen in gewissem Umfang zum Tragen kommen. Aus diesem Befund ergibt sich, daß eine ausschließlich juristisch-pragmatische Lösung der Verbraucherschutzund damit auch der Sonderprivatrechtsproblematik nicht möglich ist. Welche Rolle der Verbraucherschutzgedanke bei der Weiterentwicklung des allgemeinen Zivilrechts spielen kann und darf, läßt sich allein aus der Systematik dieses Zivilrechts heraus nicht ableiten. Unter welchen Umständen das Prinzip formal-abstrakter Gleichheit unter dem Gesichtspunkt persönlicher Schutzbedürftigkeit bzw. des Verbraucherschutzes zu durchbrechen ist, erschließt sich erst, wenn man - wie insbesondere Joerges neuerdings im Ansatz überzeugend dargelegt hat87 - nach den aus dem außerjuristischen Bereich stammenden Gründen für die grundsätzliche Abstraktion des allgemeinen Privatrechts von den persönlichen Lebensumständen der rechtsgeschäftlich tätig werdenden Rechtssubjekte bzw. von den mit dem Abschluß von Rechtsgeschäften verfolgten Zwecken fragt.
n. Das Prinzip formal-abstrakter Gleichheit der Rechtssubjekte und Verwendungszwecke als Niederschlag eines liberalen Sozialmodells Das Prinzip formal-abstrakter Gleichheit beruht, wie vor allem Wieacker8 s schon früh herausgearbeitet hat, auf einer ganz bestimmten, meist jedoch nicht ausreichend bewußt vollzogenen und problematisierten, "vorrechtlichen" Vorstellung von Ablauf und Funktionieren des Wirtschaftsgeschehens sowie den typischen Verhaltensweisen der am Wirtschaftsverkehr aktiv teilnehmenden Menschen. Danach steht im Mittelpunkt des Rechts- und Wirtschaftslebens das wirtschaftende,
Joerges, Vertrauensschutz, S. 17 ff. m. w. N. Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft; vgl. aber auch Raiser, Der Gleichheitsgrundsatz im Privatrecht. 87
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B. Verbraucherschutz und das liberale Sozialmodell des BGB
überwiegend rational handelnde Individuum, das einerseits seine Arbeitskraft, sei es in abhängiger, sei es in selbständiger Tätigkeit, zur Produktion von Gütern einsetzt, das andererseits durch Teilnahme am Wirtschaftsverkehr mit Hilfe der durch Einsatz seiner Arbeitskraft erzielten, knappen Mittel selbstverantwortlich für eine möglichst optimale Deckung seiner Bedürfnisse sorgt. Die Verteilung der Güter, die für die Deckung der verschiedenen Bedürfnisse erforderlich oder erwünscht sind, erfolgt über Märkte, an denen die Rechtssubjekte als Individuen oder als organisierte Wirtschaftseinheiten anbietend und nachfragend tätig werden und als Summe wiederum darüber mitentscheiden, welche Güter vorrangig herzustellen sind bzw. zu welchem Preis bestimmte Güter abgesetzt werden können. su Dieses an liberalen, wirtschaftstheoretischen Vorstellungen'O orientierte, zwangsläufig ungeheuer simplifizierende "Sozialmodell"Il des BGB umfaßt also sowohl ein bestimmtes Menschenbild als auch eine Konzeption, wie die komplexen, wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den einzelnen am Rechtsverkehr teilnehmenden Individuen und Organisationseinheiten typischerweise beschaffen sind. 1. Die Prämissen des liberalen Sozialmodells a) Das am homo oeconomicus orientierte Menschenbild
Das liberale Sozialmodell sieht das einzelne wirtschaftende Individuum primär als "homo oeconomicus": Dieser hat einmal - unabhängig von sozialen Lebensumständen, Einkommen, beruflichen und persönlichen Kenntnissen - die Fähigkeit, seine wirtschaftlichen Belange frei und selbstverantwortlich zu gestalten, d. h. im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten für die Befriedigung seiner verschiedenen Lebensbedürfnisse zu sorgen. Er ist also in der Lage, eine auf seine Persönlichkeit und seine speziellen Lebensumstände zugeschnittene Bedürfnishierarchie zu entwickeln und eine Zweck-Mittel-Relation zwischen verfüg8U Vgl. Wieacker, S. 12 ff.; Ftume, Allg. Teil II, S. 10 ff.; Schumacher, S. 70ff.; Hönn, S. 9ff.; Kramer, Vertragsdenken, S. 20ff.; Lehmann, S. 92ff.; Köndgen, S. 118 ff.; Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 68 ff.; Joerges, Verbraucherschutz, S. 18 ff.; Schmidt JZ 1980, 153, 154; Mückenberger KJ 1971, 248,249 ff.; Hart KJ 1974, 274. uo Siehe dazu insbesondere Wieacker, S. 10 ff., 22 ff. U Als Sozialmodell soll hier mit Wieacker das Bild der wirtschaftlichen Realität, auf die sich das Recht bezieht, verstanden werden. Diese Deutung mag zwar unter methodischen Gesichtspunkten problematisch sein, hat sich jedoch in der praktisch ausgerichteten, rechtspolitischen Diskussion eingebürgert und eignet sich gerade wegen der damit verbundenen Simplifizierung als Anknüpfungspunkt für eine pragmatisch orientierte Systematisierung der Verbraucherschutzdiskussion; vgl. zur allgemeinen, methodischen und rechtspolitischen Problematik einer Orientierung an Sozialmodellen umfassend Assmann, Wirtschaftsrecht in der Mixed Economy.
H. Das Prinzip formal-abstrakter Gleichheit
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barem Einkommen, eigenen Präferenzen und dem Preis der angebotenen Güter herzustellen. Da der homo oeconomicus des liberalen Sozialmodells zum anderen tendenziell eine Verbesserung seiner materiellen Lebensverhältnisse bzw. zumindest eine möglichst optimale Befriedigung seiner gegenwärtigen Bedürfnisse anstrebt, zwingt ihn die Knappheit der verfügbaren Mittel, von dieser Fähigkeit Gebrauch zu machen, mit anderen Worten, vor einer Erwerbsentscheidung Informationen zu sammeln, Preise zu vergleichen, Marktchancen zu nutzen. Aufgrund dieser Einschätzung des wirtschaftenden Individuums geht das liberale Sozialmodell davon aus, daß dieses sich grundsätzlich nach vernünftiger Würdigung aller aus seiner Sicht relevanten Umstände, in erster Linie also Preis und Qualität, möglicherweise aber auch Kundendienst, Lieferzeit etc., für das jeweils günstigste Angebot entscheidet.92 b) Das Marktparadigma
Auf der Prämisse, das allen am Wirtschaftsverkehr teilnehmenden Individuen die Fähigkeit und Bereitschaft gemeinsam ist, gezielt den eigenen wirtschaftlichen Nutzen zu suchen und infolgedessen von den knappen, verfügbaren Mitteln einen vernünftigen Gebrauch zu machen, beruht wiederum entscheidend das auf die Gesamtwirtschaft bezogene Marktparadigma: Da die wirtschaftenden Individuen im Hinblick auf ihre verschiedenen Bedürfnisse aus der Vielfalt des Warenangebots grundsätzlich eine vernünftige Auswahl treffen, werden diejenigen, die die zur Befriedigung dieser Bedürfnisse geeigneten Güter am günstigsten anbieten, tendenziell durch erhöhten Umsatz und damit Gewinnsteigerung prämiert. Infolgedessen entsteht zwischen den Anbietern und dem jeweils relevanten Markt Wettbewerb: Denn nur der kann auf die Dauer seine Absatz- und Gewinnchancen erhalten, dem es gelingt, sich in Preis und 'Qualität günstigeren Angeboten von Konkurrenten anzupassen oder sogar neue Marktlücken zu entdecken. Nach der Vorstellung des liberalen Sozialmodells orientiert sich damit Produktion und Preisbildung inhaltlich an der Nachfrage, insbesondere an den Wünschen und Bedürfnissen des souveränen Konsumenten. Außerdem zwingt der Wettbewerb zu ständiger Innnovation und Qualitätsverbesserung unter gleichzeitiger Bemühung um möglichst niedrige Preise, d. h. um Kostensenkung bei Produktion und Vertrieb. Er garantiert infolgedessen auch, daß einerseits die volkswirtschaftlichen Ressourcen optimal genutzt werden, daß andererseits die Letztverbraucher umfassend mit den von ihnen benötigten und erwünschten Gütern versorgt werden. 93 Vgl. dazu E. Schmidt JZ 1980, 153, 154 f.; Schumacher, S. 70 ff. Vg!. dazu Ftume, Allg. Teil H, S. 10 ff.; E. Schmidt JZ 1980, 153, 154 f.; Joerges, Verbraucherschutz, S. 18 ff., 31 ff. 8!
Da
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B. Verbraucherschutz und das liberale Sozialmodell des BGB 2. Red1tliche Konsequenzen
Die beiden Prämissen des liberalen Sozialmodells - die Fähigkeit des Individuums, seine wirtschaftlichen Verhältnisse frei und vernünftig zu gestalten einerseits, die Gewährleistung einer optimalen Ressourcenallokation sowie einer angemessenen Güterversorgung und Güterverteilung durch funktionierenden Wettbewerb und freies Unternehmertum andererseits - erklären und rechtfertigen ohne weiteres das Prinzip formal-abstrakter Gleichheit der Rechtssubjekte und Verwendungszwecke und spiegeln sich in den tragenden, für die Verbraucherschutzproblematik relevanten Institutionen des Privatrechts, dem Grundsatz der Privatautonomie sowie dem Prinzip der dezentralisierten Risikoverteilung durch Isolation der einzelnen Schuldverhältnisse, wider. 94 a) Das Prinzip formal-abstrakter Gleichheit
Da das liberale Sozialmodell die Komplexität der wirtschaftlichen Zusammenhänge weitgehend auf Warenaustauschbeziehungen reduziert,95 wobei ursprünglich - und dies war einer der Hauptansätze der Kritik, insbesondere von marxistischer Seite - die Arbeitskraft ebenfalls als eine dem Marktmechanismus zu unterwerfende Ware begriffen wurde," beschränkt sich das Bürgerliche Recht konsequent auf die Regelung des unmittelbaren Austauschs von Leistung und Gegenleistung und verweist weitere, mit dem Abschluß von Rechtsgeschäften verfolgte Ziele wie Konsum, Kapitalanlage oder Weiterveräußerung als für das Funktionieren des Markt- und Preismechanismus unerheblich in den Bereich unbeachtlicher Motive. 97 Gleichzeitig ergibt sich daraus, daß für eine Privatrechtsordnung, die sich wie das BGB an einer liberalen Wirtschaftstheorie orientiert, auch nur die Lebensumstände, Fähigkeiten und Verhaltensweisen der Rechtssubjekte rechtlich relevant sind, die einen vernünftigen Ablauf von Austauschbeziehungen und Wettbewerb überhaupt tangieren. Die kaum vergleichbaren Ausgangspositionen der einzelnen Rechtssubjekte, die Unterschiede in Einkommen, geschäftlicher Erfahrung und beruflicher Bildung wirken sich jeD4 Wieacker, S. 14; vgl. auch die polemische Kennzeichnung Reifners, Verbraucherverschuldung, S. 91 f.; zum Zusammenhang zwischen der Orientierung an einem liberalen Sozialmodell und der Geltung des Prinzips der formal-abstrakten Gleichheit, der Privatautonomie und des Privateigentums siehe auch Knieper KJ 1977, 147; Hart KJ 1974, 274. 85 Vgl. Reitner, Verbraucherverschuldung, S. 70 ff.; Mückenberger KJ 1971, 248,251 f. 86 Vgl. etwa Marx, MEW, Ergänzungsband, S. 510 ff.; siehe zum Zusammenhang mit dem Prinzip formaler Gleichheit auch Engels, MEW, Bd. 20, S.88ff. 97 Vgl. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 70 f.
II. Das Prinzip fonnal-abstrakter Gleichheit
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doch "nur" insoweit aus, als den Individuen nicht in demselben Umfang Mittel zur Verfügung stehen, die sie an den verschiedenen Märkten zum Erwerb von Gütern einsetzen können;98 das Funktionieren des Markt- und Preismechanismus hängt aber nach diesem Sozialmodell allein davon ab, daß die Rechtssubjekte von diesen mehr oder minder knappen Mitteln grundsätzlich einen vernünftigen, d. h. im oben skizzierten Sinne wettbewerbsbezogenen Gebrauch machen. Dies setzt wiederum voraus, daß sie bereit und in der Lage sind, ihre Bedürfnisse und Erwerbspräferenzen auf die verfügbaren Mittel einerseits, die vom Anbieter geforderten Preise andererseits, abzustimmen und sich dann frei zu entscheiden. Diese Fähigkeit und Bereitschaft wird - und insofern ist das liberale Sozialmodell wie insbesondere von seinen Kritikern häufig verkannt wird, kein mit Hilfe sozialwissenschaftlicher Methoden nachprüfbares Abbild der Realität, sondern enthält fiktive, wenn nicht sogar normative Elemente9 ' - im Ansatz allen geschäftsfähigen Rechtssubjekten zugesprochen, und zwar wie schon gesagt unabhängig davon, ob sie mit dem Abschluß eines Rechtsgeschäfts privaten Konsum oder gewerbliche Ziele verfolgen; insofern sind alle Rechtssubjekte "abstrakt gleich".loo b) Das Institut der Privatautonomie
Auf diesem Prinzip bzw. besser Postulat formal-abstrakter Gleichheit, das also nichts anderes beinhaltet, als daß alle Rechtssubjekte gleichermaßen fähig und bereit sind, ihre wirtschaftlichen Angelegenheiten selbständig und vernünftig wahrzunehmen, beruht unmittelbar das Institut der Privatautonomie.l()l Da im Hinblick. auf die Fähigkeit und den aus der Triebfeder "wirtschaftlicher Eigennutz" gespeisten Willen zu vernünftigem Verhalten grundsätzlich zwischen den Ver~ tragspartnern Parität besteht oder, genauer, unterstellt wird, ist es folgerichtig, daß die Entscheidungen, ob und mit wem ein Vertrag abgeschlossen werden soll, ob die Hauptleistungen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, wie der Vertrag inhaltlich im einzelnen zu gestalten ist, ganz überwiegend den Vertragspartnern überlassen 8S Besonders deutlich Flume, Allg. Teil II, S. 10; Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 32, kennzeichnet dies folgerichtig als die "Abstraktion des bürgerlichen Rechtes von Bedürfnissen, von Not und Armut". 89 Bezeichnend etwa der Titel der Auseinandersetzung Mückenbergers KJ 1971, 248 mit dem liberalen Sozialmodell: "Legitimation durch Realitätsverleugnung" siehe zur Problematik der Wahl des "richtigen" Sozialmodells
D III, E.
Vgl. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 38 ff. Vgl. Schumacher, S. 70 ff.; E. Schmidt JZ 1980, 153, 154 f.; grundsätzlich zur Rolle der Vertragsfreiheit bei der Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschafts- und Rechtsordnung in Deutschland Kaiser KJ 1976, 60. 100 101
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B. Verbraucherschutz und das liberale Sozialmodell des BGB
werden. Infolgedessen fehlen - von § 138 BGB einmal abgesehen lO2 Regelungen, die eine Kontrolle des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung, d. h. der Preishöhe, ermöglichen, ganz; die Regelungen des BGB, die die ordnungsgemäße Abwicklung zum Gegenstand haben, waren zumindest ursprünglich dispositiv und griffen daher erst ein, wenn eine ausdrückliche, vertragliche Regelung fehlte; infolgedessen haben bis heute trotz zahlreicher EinschränkungenlO3 alle Rechtssubjekte unabhängig davon, ob sie als Anbieter oder Nachfrager tätig werden, ob sie in der Rolle des Konsumenten oder des Gewerbetreibenden auftreten, gleichermaßen die Freiheit, Verträge in den Grenzen der §§ 134, 138 abzuschließen und inhaltlich zu gestalten. Daraus ergibt sich gleichzeitig, daß das BGB umgekehrt grundsätzlich von einer Richtigkeitsgewähr privatautonom zustandegekommener Verträge ausgeht, d. h. bis heute zumindest im Hinblick auf den Preis darauf verzichtet, Verträge inhaltlich daraufhin zu überprüfen, ob die wirtschaftlichen Entscheidungen der beiden Vertragspartner, die sich im rechtsgeschäftlichen Handeln manifestiert haben, im einzelnen Fall tatsächlich rational, d. h. wirtschaftlich im oben skizzierten Sinne, waren. 1M Denn zum einen ist das liberale Sozialmodell insofern "wertungsneutral " als es keinen objektiven und damit allgemein verbindlichen Maßstab für die Angemessenheit einer Erwerbsentscheidung liefert;IOS welche Bedürfnisse Priorität haben, welche Güter zur Befriedigung dieser Bedürfnisse geeignet sind, wieviel zum Erwerb dieser Güter ausgegeben werden kann und soll, beurteilt sich allein aus der Sicht des einzelnen Nachfragers und entzieht sich infolgedessen einer Kontrolle durch übergeordnete Instanzen. Zum andern - und dies ist für das Verständnis des liberalen Sozialmodells und damit des Instituts der Privatautonomie entscheidend - besteht nach der dem BGB zugrundeliegenden Konzeption eine die Vermutung der Richtigkeitsgewähr rechtfertigende Parität zwischen den Vertragspartnern grundsätzlich schon deshalb, weil jeder die Chance hat, sich ökonomisch vernünftig zu verhalten, d. h. einen aus seiner Sicht angemessenen Interessenausgleich auszuhandeln oder auf den Vertragsabschluß zu verzichten. Nutzt er diese Chance nicht, verzichtet er also auf Information, Preisvergleich, die Erwägung von Substitutionsmöglichkeiten, und trifft er infolgedessen eine von ihm ex post als ungünstig erkannte Entscheidung, dann 102 Vgl. zur Abhängigkeit zwischen der Orientierung an einem bestimmten Sozialmodell und der Auslegung des § 138 D II 3. 103 Zur Tendenz zur Zurückdrängung des dispositiven Rechts durch "halbzwingende Normen" vgl. C II 2 c, D II 4. 104 Vgl. Schumacher, S. 70 f.; Flume, Allg. Teil II, S. 8, 10 f.; E. Schmidt JZ 1980, 153, 154. 105 Flume, Allg. Teil 11, S. 8; Joerges, Verbraucherschutz, S. 31 ff.; E. Schmidt JZ 1980, 153, 154; Hart KJ 1974, 274, insbesondere 279.
II. Das Prinzip formal-abstrakter Gleichheit
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fällt dies in seinen Risikobereich; er kann nicht nachträglich rechtlichen Schutz in Anspruch nehmen, sondern muß sich an seinen privatautonom getroffenen Vereinbarungen festhalten lassen. lOG c) Das Prinzip dezentralisierter Risikoverteilung
Auch die Risikoverteilungskonzeption des BGB, die durch Zuordnung von Risiken unter dem Gesichtspunkt individueller Zurechenbarkeit und Beherrschbarkeitl07 sowie durch Isolation der einzelnen Schuldverhältnisse aus ihrem sozialen Kontext gekennzeichnet ist,lOS läßt sich wenn auch weniger stringent - auf das liberale Sozialmodell zurückführen. lOD Aus der Prämisse, daß an den verschiedenen Märkten eine Vielzahl von miteinander im Wettbewerb stehenden Individuen und Wirtschaftseinheiten anbietend und nachfragend tätig werden und durch vernünftigen Einsatz ihrer Mittel den persönlichen uid beruflichen Bedarf an bestimmten Gütern decken, folgt, daß die einzelnen Rechtssubjekte weitgehend unabhängig voneinander ihren persönlichen Nutzen verfolgen und daher grundsätzlich auch nur auf den eigenen Arbeits- und Lebenskreis Einfluß nehmen können. Damit fehlt es an einem Bezugspunkt für gruppenbezogene, kollektivistische Risikoverteilungsregelungen. Dementsprechend läßt das allgemeine Privatrecht einmal den Einzelnen grundsätzlich nur für solche Risiken und Schäden einstehen, für deren Eintritt ihn ein Verschulden trifft bzw. die zumindest einer von ihm beherrschbaren Sphäre entstammen;110 auf der anderen Seite braucht er sich nur mit demjenigen auseinanderzusetzen, den er sich selbst zurechenbar als Vertragspart108
Flume, Allg. Teil II, S. 7 f.; vgl. auch Schumacher, S. 70 f.
Die Bedeutung des Kriteriums individueller Zurechenbarkeit wird für das Deliktsrecht im Hinblick auf das dichtgeknüpfte Netz von Sozial-, Unfall- und Haftpflichtversicherung neuerdings angezweifelt; vgl. Kötz, Sozialer Wandel im Unfallrecht; Schilcher, Theorie der sozialen Schadensverteilung; v. Bar AcP 181 (1981), 289; differenzierend Münchener-Kommentar-Mertens, Vor §§ 823 - 853 Rdnr. 34 ff.; zu Notwendigkeit und Problematik sonderprivatrechtlicher Entwicklungen im Deliktsrecht vgl. Mertens AcP 178 (1978), 101
227.
Vgl. dazu schon B II 2 a. Zum Zusammenhang zwischen der Risikoverteilungskonzeption des allgemeinen Privatrechts und der Orientierung an einem liberalen, marktwirtschaftlichen SozialmodeU vgl. umfassend Koller, Risikozurechnung, insbesondere S. 77 ff.; dazu mit Blick auf die Einwendungsproblematik auch Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 244 fi. 110 Als Versuch einer kollektivistischen Risikozurechnung läßt sich im arbeitsrechtlichen Bereich möglicherweise die sog. Betriebsrisikolehre verstehen; siehe dazu Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 251 f.; vgl. zur Problematik der sog. Betriebsrisikolehre insgesamt PickeT JZ 1979, 285. 108
IOD
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B. Verbraucherschutz und das liberale Sozialmodell des BGB
ner ausgesucht hat, d. h. dessen Kreditwürdigkeit und Finanzgebaren er überprüfen konnte. 111 Dies erklärt vor allem aber auch die Beschränkung des allgemeinen und besonderen Schuldrechts auf die Regelung des Austauschs von Leistung und Gegenleistung. Der Schuldner einer Leistung kann nur das "Risiko" der vereinbarten Beschaffenheit überschauen und damit in gewissem Umfang beherrschen: Daher ist die geplante Verwendung, d. h. der vom Gläubiger mit dem Erwerb des Vertragsgegenstands verfolgte "weitere Zweck" nur insoweit rechtlich relevant, als die Verwendungstauglichkeit Anknüpfungspunkt für die Gewährleistungsregelungen, etwa die Einstandspflicht des Verkäufers gemäß §§ 459 ff., bildet. 112 Die tatsächliche Verwendbarkeit, d. h. die Möglichkeit, die taugliche Leistung der Planung entsprechend einsetzen zu können113 sowie sich aus der planmäßigen Verwendung ergebende Gefahren114 liegen da111 Auf der Ebene gültiger Verträge ist diese Wertung so selbstverständlich, daß sie kaum thematisiert wird. Sie liegt aber etwa dem Drittverweisungsverbot des § 11 Nr. 10 a AGBG zugrunde; siehe dazu Hensen in Ulmer / Brandner / Hensen, AGB-Gesetz, § 11 Nr. 10 a Rdnr. 17. Zunehmende Bedeutung erlangt sie dagegen in der aktuellen bereicherungsrechtlichen Diskussion; so wird in den neueren Lehren zum Bereicherungsausgleich in den sog. Anweisungslagen, insbesondere in den Fällen des Doppelmangels, bei Zurechenbarkeit der Anweisung eine Rückabwicklung "über's Dreieck" im Wege der "als-ob-"Betrachtung gefordert. Die Ablehnung der Direktkondiktion sowie der sog. Kondiktion der Kondiktion wird maßgeblich damit begründet, daß niemand mit dem Konkursrisiko eines Dritten belastet werden darf, den er sich nicht selbst als Vertragspartner ausgesucht hat. Vgl. zu diesem Problemkreis die neueste, umfassende Gesamtdarstellung MünchenerKommentar-Lieb, § 812 Rdnr. 30 ff., insbesondere Rdnr. 38 f., m. w. N. 112 Hier ist die tiefere Ursache für die Schwierigkeit zu suchen abgesehen von den Fällen der sog. Störungen der Sozialexistenz, vgl. dazu utmer AcP 174 (1974), 167; Littbarski JZ 1981, 8 - einen sinnvollen Anwendungsbereich für die Institute des sog. Wegfalls der Geschäftsgrundlage bzw. der sog. Zweckverfehlung zu begründen und diesen vom Leistungsstörungs- und Gewährleistungsrecht abzugrenzen. Vgl. zum Zusammenhang zwischen der Orientierung an einem liberalen Sozialmodell und einer grundsätzlichen Ausklammerung der vom Gläubiger mit dem Erwerb eines Gegenstandes verfolgten "weiteren Zwecke" Koller, Risikozurechnung, insbesondere S. 306 ff. 113 Diese Konstellation, in der ein in die Planung des Gläubigers eingegangener, vertraglich nicht aufgegriffener, für die Nutzung der Leistung erheblicher Faktor ausbleibt .bzw. von Anfang an nicht existiert, wird traditionell dem Problemkreis "Wegfall der Geschäftsgrundlage" zugeordnet; vgl. die Analyse sowie den Versuch einer sachbezogenen Problemlösung insbesondere unter dem Gesichtspunkt abstrakter Beherrschbarkeit bei Kotter, Risikozurechnung, S. 306 ff. 114 Diese Fallgruppe wird auf der Ebene gültiger Verträge nicht einmal als eigenständiges Problem erfaßt; auch. Kollers Analyse der Interessenlage bei Störungen der Verwendungsplanung, die er als Sekundärzweckstörung bezeichnet, ist ganz auf die Fälle planwidriger Unverwendbarkeit der Leistung zugeschnitten; vgl. dazu Fn. 113; seine Ausführungen zum sog. Einwendungsdurchgriff (S. 351 f.) stoßen daher letztlich nicht zum Kern des Problems vor; vgl. dazu auch Fn. 116. Ausdrücklich thematisiert wird die Zurechnung von Gefahren, die sich z. B. aus der planmäßigen Verwendung
H. Das Prinzip fonnal-abstrakter Gleichheit
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gegen grundsätzlich außerhalb der persönlichen Einftußsphäre des Schuldners; diese Risiken werden infolgedessen von den Regelungen des Leistungsstörungs- und Gewährleistungsrechts thematisch nicht einmal angesprochen und damit automatisch dem Gläubiger zugewiesen. 116 So muß insbesondere der Darlehensnehmer die Ansprüche des Darlehensgebers gemäß §§ 607 ff. BGB auch dann erfüllen, wenn die mit Hilfe der Darlehensvaluta getätigte Investition gescheitert ist; eine Verlagerung des Verwendungsrisikos auf den Darlehensgeber ist und hier liegt der tiefere Grund für die Schwierigkeiten, den sog. Einwendungsdurchgriff bei finanzierten Rechtsgeschäften dogmatisch zu begründen116 - mit der Systematik des geltenden Zivilrechts grundsätzlich nicht zu vereinbaren. des Vertrags gegenstandes ergeben, dagegen wiederum in der bereicherungsrechtlichen Diskussion; vgl. schon Fn. 111; so stellt eine im Vordringen begriffene Auffassung bei der Prüfung des Wegfalls der Bereicherung gemäß § 818 Abs. 3 nicht mehr ohne weiteres auf die tatsächlich vorhandene Mehrung des Empfängervennögens ab, sondern berücksichtigt nonnativ die Ursachen der Entreicherung; beruht sie nicht auf einem Mangel des Vertrags gegenstandes, sondern auf dem Entschluß des Kondiktionsschuldners, die empfangene Leistung seinen Planungen entsprechend zu verwenden, dann soll dieser trotz der Nichtigkeit des Vertrages an seiner "vennögensmäßigen Entscheidung" festgehalten werden; bei zurechenbarer Risikoübernahme, d. h. bei abstrakter Beherrschbarkeit der aus einer bestimmten Verwendung resultierenden Gefahren, wird ihm die Berufung auf § 818 Abs. 3 und damit die Abwälzung des Verwendungsrisikos auf den Kondiktionsgläubiger verwehrt; vgl. zu diesem Problemkreis umfassend Münchener-Kommentar-Lieb, § 818 Rdnr. 84 f., 88 ff. m. w. N. 116 Vgl. Koller, Risikozurechnung, S. 307. m Es besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, daß der Einwendungsdurchgriff aus dem Schutzzweck des AbzG nicht hergeleitet werden kann, weil das AbzG für diese Problematik keinerlei Wertung enthält; vgl. Canaris, BVR, Rdnr. 1447, 1483 m. w. N. Geht man jedoch dem Wortlaut der beiden Verträge entsprechend von der Existenz eines selbständigen Darlehensvertrages aus, dann ist eine ausschließlich dogmatische Legitimation des Einwendungsdurchgriffs nicht möglich: Nach der typischen Vertragsstruktur der §§ 607 ff. trägt der Darlehensnehmer das Risiko der Verwendung der Darlehensvaluta; eine - denkbare - Risikoübernahme des Darlehensgebers durch privatautonome Vereinbarung liegt beim finanzierten Geschäft nicht vor. Eine Risikoüberwälzung auf vertraglicher Ebene läßt sich auch nicht dadurch erreichen, daß man - auf den angeblich dahingehenden wirtschaftlichen Willen der Parteien abstellend - die Existenz eines isolierten Darlehensvertrages negiert und Kauf- und Darlehensvertrag als Einheit qualifiziert. Der wirtschaftliche Wille der Parteien ist nur darauf gerichtet, dem Kreditnehmer überhaupt den Erwerb auf Kredit, d. h. eine Vorverlagerung der Nutzung, zu ennöglichen; die Vennittlung eines Warenkredits, d. h. eines nonnalen Abzahlungskaufs, ist gerade nicht beabSichtigt. Der fehlende Wille, ein einheitliches Geschäft abzuschließen, läßt sich auch nicht ohne weiteres durch normative Kriterien wie "wirtschaftliche Einheit" ersetzen, da das BGB keinen Rechtsfonnzwang, d. h. konkret eine Pflicht zur Vereinbarung eines Warenkredits, kennt. Damit scheidet der Vertrag als unmittelbarer Anknüpfungspunkt für einen Einwendungsdurchgriff aus. Auch ein Rückgriff auf die Theorie von der subjektiven Geschäftsgrundlage hilft nicht weiter, da dieses Institut nach überwiegender Meinung nur zum Zuge kommt, wenn keine vertragliche Risikoverteilung getroffen wurde und wenn der
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B. Verbraucherschutz und das liberale Sozialmodell des BGB
Diese Konzeption, die man als Prinzip dezentralisierter Risikoverteilung 117 bezeichnen könnte, gilt wiederum für alle Rechtssubjekte gleichermaßen, so daß also auch insoweit die Vorstellung, jeder Einzelne sei unabhängig von individuellen Lebensumständen, Einkommen und Fähigkeiten in der Lage, vernünftig und selbstverantwortlich zu handeln, in die zivilrechtlichen Regelungen Eingang gefunden hat.
m.
Zusammenfassung
Zusammenfassend ist festzustellen, daß das Prinzip formal-abstrakter Gleichheit der Rechtssubjekte bzw. der Verwendungszwecke die konsequente Umsetzung eines liberalen Sozialmodells darstellt; dies bedeutet umgekehrt, daß eine allgemeine Differenzierung nach persönlicher Schutzbedürftigkeit oder nach der Art des Verwendungszwecks mit diesem Sozialmodell nicht ohne weit~res in Einklang zu bringen ist. Die Diskussion über die Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher ist damit - und hier liegt, wie insbesondere Joerges zu Recht hervorgehoben hat,118 der Schlüssel zum Verständnis dieser rechtspolitischen Tendenz - eine Reflexion über Geltungskraft und Tragfähigkeit des Sozialmodells des BGB, d. h. des Marktparadigmas einerseits, des am homo oeconomicus orientierten Menschenbilds andererseits; die Antworten auf alle entscheidenden Fragen, insbesondere ob und inwieweit über die vorhandenen Ansätze hinaus persönliche Schutzbedürftigkeiten zu berücksichtigen sind und mit welchen Instrumenten auf diese Schutzbedürftigkeiten reagiert werden kann, hängen letztlich von der Einstellung zu diesem Sozialmodell bzw. von Art und Ansatz der Kritik ab. Wie bereits angedeutet verdeckt die allzu bereitwillig tradierte pauschale Qualifizierung des Sozialmodells des BGB als Ideologie eines Vertrag nach seiner verkehrstypischen Struktur keine Regelung für den Interessenkonflikt bietet. Auch eine Prüfung der beiden Verträge nach dem AGBG bietet keine Legitimation. Das AGBG sieht nur eine Kontrolle des Vertragsinhalts am Maßstab des für diesen Vertragstypus vorgesehenen dispositiven Rechts vor; dies führt jedoch beim finanzierten Geschäft insofern nicht weiter, als die Ausgestaltung des Darlehensvertrags zwischen Darlehensgeber und Kreditnehmer/Käufer genau dem Leitbild der §§ 607 ff. entspricht. Die Ausnutzung privatautonomer Gestaltungsfreiheit liegt damit nicht - und dies wäre Voraussetzung für die Anwendbarkeit des AGBG darin, daß ein Darlehensvertrag zu unangemessenen Bedingungen abgeschlossen wurde; die Unbilligkeit könnte sich höchstens daraus ergeben, daß überhaupt ein Darlehensvertrag abgeschlossen wurde. Eine Kontrolle der gewählten Rechtsform ist jedoch im AGBG nicht vorgesehen; schon insofern zweifelhaft BGH JZ 1982, 509, 510. Vgl. zu den verschiedenen, ausschließlich dogmatisch begründeten Lösungsvorschlägen den überblick bei CanaTis, BVR, Rdnr. 1394 ff.; zu den rechtspolitischen Aspekten der Einwendungsdurchgriffsproblematik vgl. C 11 4, D 11 5. 117 Vgl. die Formulierung v. H. P. Westermann AcP 178 (1978), 150, 169. 118 Joerges, Verbraucherschutz, insbesondere S. 17 ff., 40 ff.
111. Zusammenfassung
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unsozialen Kapitalismus weitgehend, daß es durchaus unterschiedliche Ansätze zur Kritik dieses Sozialmodells und damit zur zweifellos notwendigen Verfeinerung und Weiterentwicklung des allgemeinen Privatrechts gibt. 11V Analysiert man die Stimmen, die zumindest in gewissem Umfang eine sonderprivatrechtliche Privilegierung bestimmter Personengruppen bzw. des Verwendungszwecks "Konsum" befürworten, auf ihr häufig nicht einmal ausdrücklich reflektiertes und damit nur mittelbar aus einzelnen Stellungnahmen zu erschließendes Verhältnis zum Sozialmodell des BGB hin, dann lassen sich deutlich zwei, im gedanklichen Ansatz grundsätzlich unvereinbare Tendenzen unterscheiden.
118 Im übrigen müßte diese historisch orientierte, kaum jemals problematisierte Kritik darauf abgeklopft werden, ob sie als Ansatzpunkt für zukünftige, rechtspolitiSche Reformen überhaupt noch geeignet ist; immerhin könnte man auf den Gedanken kommen, daß diesem auf das freie, vernünftige Individuum einerseits, Markt und Wettbewerb andererseits, aufbauenden, liberalen Sozialmodell angesichts des hohen Einkommensniveaus und des eng geknüpften sozialen Netzes heute sehr viel Gerechtigkeitsgehalt und politische Vernunft abzugewinnen wäre als zur Gründerzeit; gerade ein Blick auf die in diesem Zusammenhang viel zitierten, die Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuches scharf krtitisierenden Arbeiten Mengers und von Gierkes stützt diese These. Zum einen muten viele Ansatzpunkte, etwa die Polemik gegen Abstraktionsprinzip und Gutglaubensschutz, heute anachronistisch an. Zum anderen erscheint die Forderung nach dem "Tropfen sozialistischen Öls" (von Gierke, S. 10) im Hinblick auf Dienstvertrags-, Miet- und Nichtehelichenrecht längst erfüllt. Man könnte - noch ketzerischer - weiter fragen, ob nicht überhaupt erst auf dem Boden dieses liberal-unsozialen Modells, d. h. unter der Herrschaft des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit und der Privatautonomie, die Voraussetzungen für sozialstaatlichen Schutz, für die Kompensation faktischer Ungleichheiten, erwirtschaftet werden konnten. Vgl. die parallelen arbeitsrechtlichen Überlegungen v. Zöllner AcP 176 (1976), 220, 227 ff.; ebenso Biedenkopf, Die Wiederentdeckung des Privatrechts, Festschrift für Coing, S. 21.
C. Personenbezogene Rechtsfortbildung im Rahmen eines liberalen Informationsmodells Die eine Rechtsfortbildungstendenz, die ganz im Zeichen des Verbraucherschutzes steht und zunehmend zur Durchbrechung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit, d. h. zur Ausbildung sonderprivatrechtlicher Normen, neigt, steht dem klassischen liberalen Sozialmodell des BGB im Ansatz positiv gegenüber. Ausgangspunkt aller Reformüberlegungen, die dieser Tendenz zuzuordnen sind, l ist daher mehr oder minder bewußt die Prämisse, daß ein angemessener Interessenausgleich zwischen den am Rechtsverkehr teilnehmenden Rechtssubjekten, insbesondere auch zwischen Verbrauchern und Marktgegenseite, grundsätzlich bereits durch die Existenz funktionierender Märkte gewährleistet ist: Aufgrund des Wettbewerbs ist der einzelne Verbraucher in der Lage, seine Bedürfnisse im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Mittel mit Hilfe von privatautonom abgeschlossenen Verträgen optimal zu befriedigen; er wirkt damit gleichzeitig regulierend auf die Marktverhältnisse ein; als Summeneffekt des angesichts der Knappheit der Mittel zwangsläufig weitgehend vernünftigen Marktverhaltens der einzelnen Individuen ergeben sich wiederum funktionierende Märkte. Auch die auf dem liberalen Sozialmodell beruhenden Grundprinzipien des BGB, d. h. das Prinzip formal-abstrakter Gleichheit der Rechtssubjekte und Verwendungszwecke, das nur im Hinblick auf dieses Gleichheitspostulat zu rechtfertigende Institut der Privatautonomie sowie die Dezentralisierung der Risikoverteilung, werden daher nicht grundsätzlich in Frage gestellt. 2 Ziel der Rechtsfortbildung unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes ist damit letztlich lediglich eine s,ystemimmanente Anpassung 1 Die Zuordnung einzelner Autoren und Stellungnahmen bereitet in vielen Fällen Schwierigkeiten; dies ist darauf zurückzuführen, daß die Notwendigkeit der Offenlegung des außerrechtlichen Bezugsrahmens bisher nicht ausreichend problematisiert wurde; daraus, daß sich Autoren wie etwa von Hippel, Verbraucherschutz, S. 219 oder Bender NJW 1980, 1129, 1131 allgemein zur sozialen Marktwirtschaft bekennen, kann also nicht ohne weiteres auf die Marktwirtschaftlichkeit ihrer praktischen Vorschläge geschlossen werden. S Vgl. etwa Hadding, Gutachten, S. 23 ff.; Scholz, Referat, K 37 f.; Hiddemann, Referat, K 12; Schumacher, S. 73 ff.; Woll ORDO Bd. XV/XVI 1965, S. 467, 477 ff., insbesondere 482.
I. Die geschäftliche Unerfahrenheit des Verbrauchers
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des geltenden Zivilrechts an die veränderten, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen. 3 I. Kritik des klassischen, liberalen Sozialmodells: Typische Unterlegenheit bestimmter Personengruppen wegen rechtlicher und geschäftlicher Unerfahrenheit aufgrund mangelnder Information über willensbildungsrelevante Faktoren Entscheidender Ansatz für Korrektur und Weiterentwicklung des allgemeinen Privatrechts sind die Funktionsbedingungen privatautonomer Gestaltungsfreiheit. Während das klassische Sozialmodell des BGB diese bei funktionierendem Wettbewerb automatisch gewährleistet sieht,' arbeitet die liberale Verbraucherschutztendenz ausreichende Information - dies rechtfertigt die Kennzeichnung als Informationsmodell6 - als weitere wesentliche Voraussetzung optimaler, interessengerechter Wahrnehmung von Marktchancen heraus; erst eine genaue Vorstellung über Eigenschaften eines erwünschten Produkts und die Höhe der zu erbringenden Gegenleistung einerseits, Kenntnis der relevanten Marktverhältnisse sowie in Betracht kommender Substitutionsmöglichkeiten andererseits, ermöglichen es, zwischen den verschiedenen, am Markt angebotenen Gütern eine im Hinblick auf die eigenen Bedürfnisse und die zur Verfügung stehenden Mittel richtige Auswahl zu treffen bzw. zu entscheiden, ob man sich ein bestimmtes Gut zum geforderten Preis überhaupt leisten kaRn und will. 8 Diese Voraussetzungen sind - so könnte man den Ansatz des Informationsmodells auf eine Kurzformel bringen - bei Abschluß von Verträgen zwischen Verbrauchern' und Marktgegenseite häufig nicht erfüllt; die Parität ist aufgrund dieses Informationsgefälles typischerweise gestört.8 a Diese Verbraucherschutztendenz wird folgerichtig von Reich, Markt und Recht, S. 198 ff. als marktkomplementäre Konzeption gekennzeichnet. 4 Siehe dazu Schumacher, S. 70 ff. S Vgl. die kritische Kennzeichnung dieser Verbraucherschutztendenz durch K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 83 ff. mit zahlreichen Nachweisen der älteren Literatur; siehe auch Reich, Markt und Recht, S. 198 ff.; Stauss, S. 30 ff. S Dazu etwa König, Konsumentenkredit, S. 41; WaU ORDO Bd. XV/XVI 1965, S. 467, 477 ff.; Schumacher, S. 73 ff.; Hadding, Gutachten, S. 136 ff., 1'41 ff.; Schatz, Referat, K 37, 51 ff.; Hiddemann, Referat, K 13; vgl. auch Neumann, S. 14 ff.; Dichtl, S. 30 ff. 7 Es ist in diesem Zusammenhang zwar regelmäßig vom Verbraucher als privatem Letztabnehmer die Rede; sachlich ist jedoch fast immer ein sehr viel weiterer Personenkreis angesprochen; vgl. Hadding, Gutachten, S. 131 f.; siehe zur Problematik der mangelnden Präzision des Verbraucherbegriffs bereits A IV; zur grundsätzlichen Problematik des Personen- bzw. Verbraucherbezugs des Informationsmodells siehe C III. S Besonders deutlich Schumacher, S. 77 f.
c. Das liberale Informationsmodell
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Die Notwendigkeit und Rechtfertigung einer rechtlichen Berücksichtigung derartiger Ungleichgewichtslagen ergibt sich einmal daraus, daß es dem Verbraucher vielfach nicht möglich oder zumindest nicht zumutbar ist, sich die für eine sinnvolle Wahrnehmung seiner privatautonomen Gestaltungsfreiheit erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen: Die verwirrende Vielfalt der Anbieter und Produkte die weit verbreitete Unverständlichkeit der Qualitätsbeschreibungen und Gebrauchsanweisungen, die z. T. bewußt auf Verschleierung der Marktverhältnisse zielende Produktdifferenzierung und nicht zuletzt die nur zum Teil auf sachliche Information gerichtete Werbung machen es dem Verbraucher schwer, sich zu orientieren; in den Fällen, in denen Information theoretisch möglich wäre, steht der Zeitaufwand für Produkt- und Preisvergleich häufig in keinem angemessenen Verhältnis zu den durch marktorientiertes Verhalten zu erzielenden Einsparungen.9 Hinzu kommt, daß die Anbieterseite bestimmte Geschäfte berufsmäßig, d. h. massenhaft, abwickelt, größere Unternehmen z. T. sogar über eine eigene Rechtsabteilung verfügen. Der aus dieser organisatorischen und wirtschaftlichen Konzentration resultierende Erfahrungsvorsprung erlaubt es, etwa durch die Verwendung von AGB, die privatautonome Gestaltungsfreiheit im Hinblick auf das konkret abzuschließende Rechtsgeschäft einseitig zugunsten des Verbrauchers auszunutzen. 10 Darüber hinaus sprechen jedoch auch gesamtwirtschaftliche Gründe für eine grundsätzliche rechtliche Anerkennung von Paritätsstörungen, die auf einem typischen Informationsgefälle zwischen Verbrauchern und Marktgegenseite beruhen: Ist der Verbraucher mangels ausreichender Information häufig oder sogar überwiegend nicht in der Lage, sich marktkonform im Sinne des liberalen Sozialmodells zu verhalten, dann besteht auf lange Sicht die Gefahr einer Verfälschung und Verzerrung des Wettbewerbs; es werden tendenziell nicht mehr in erster Linie die Anbieter durch Steigerung des Absatzes und erhöhte Gewinne prämiiert, die die günstigste Relation zwischen Qualität und Preis herzustellen vermögen; begünstigt würden vielmehr diejenigen, denen es etwa mit Hilfe aggressiver Verkaufs- und Werbemethoden gelingt, den nicht ausreichend informierten Verbraucher zu einer nicht optimalen Erwerbsentscheidung zu verleiten. Dies hätte zur Folge, daß zunehmend die Aufgaben vernachlässigt würden, deren - zumindest im Vergleich zu anderen Wirtschaftsordnungen - zufriedenstellende Erfüllung stets als Hauptvorzug eines marktwirtschaftlichen Systems angesehen wurde und wird: Eine sinnvolle Allokation der vorhandenen Ressourcen, die ständige Innovation und Qualitätsverbesserung bei g
10
SchumacheT, S. 74 ff. SchumacheT, S. 75; siehe zur AGB-Problematik unten C II 2 b.
I. Die geschäftliche Unerfahrenheit des Verbrauchers
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gleichzeitiger Bemühung um Kostensenkung und schließlich die umfassende Versorgung des Letztverbrauchers mit den von ihm benötigten Gütern. Die Anstrengungen der Anbieterseite würden sich aus dem Bereich der sachlichen Leistung in die Werbung verlagern. Letztlich wäre durch eine derartige Entwicklung die Konsumentensouveränität bedroht und infolgedessen die Funktionsfähigkeit des liberalen Sozialmodells und damit auch des Instituts der Privatautonomie grundsätzlich in Frage gestellt.11 Aus dieser wechselseitigen Bedingtheit von ausreichender Information und Markttransparenz einerseits, Funktionsfähigkeit von Privat.. autonomie und Marktmechanismus andererseits,12 läßt sich unmittelbar eine Präzisierung der Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers ableiten. Die typische Unterlegenheit des Verbrauchers, die ihn vom Leitbild des klassischen Sozialmodells, dem homo oeconomicus, unterscheidet und daher möglicherweise eine Durchbrechung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit vor dem Gesetz rechtfertigt, ist im Bezugsrahmen des Informationsmodells subjektiv-intellektueller Art; er ist der Informationsflut und Komplexität seiner hochtechnisierten und arbeitsteilig organisierten Umwelt häufig nicht gewachsen und durchschaut deshalb vielfach weder die für Erwerbsentscheidungen bzw. den Abschluß von Rechtsgeschäften maßgeblichen Marktverhältnisse noch die wirtschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen eines Vertragsschlusses. Ursache der die Richtigkeitsgewähr privatautonom geschlossener Verträge in Frage stellenden Paritätsstörung im Verhältnis von Verbraucher- und Marktgegenseite ist also die fachliche überforderung 13 seines Urteils.. vermögens. Die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers ergibt sich - wie Rechtsprechung und herrschende Lehre formulieren - aus seiner rechtlichen und geschäftlichen Unerfahrenheit. 14 Diese Schutzbedürftigkeits11 Um Maßnahmen zur Kompensation typischer Informationsgefälle zu legitimieren, bedarf es daher keines Rückgriffs auf das Sozialstaatsprinzip, wie es etwa von Schumacher, S. 79 ff., vertreten wird. 11 Sie bildet zumindest unbewußt den gedanklichen Ausgangspunkt derjenigen Autoren, die dem marktwirtschaftlich orientierten, liberalen Sozialmodell und dem darauf beruhenden Institut der Privatautonomie positiv gegenüberstehen. 13 Vgl. die Formulierung bei Hopt, Kapitalanlegerschutz, S. 9. 14 Besonders deutlich Schumacher, S. 69 ff.; siehe auch Hadding, Gutachten, S. 119; von Marschatl, Gutachten, S. 148 f.; Scholz, Referat, K 46; Hiddemann, Referat, K 19; in der Rechtsprechung finden sich Bezugnahmen auf die geschäftliche und rechtliche Unerfahrenheit insbesondere in zahlreichen Entscheidungen zu § 138; vgl. BGH NJW 1979, 805, 806; BGH NJW 1979, 808, 809; BGH NJW 1979, 2089, 2091; BGH NJW 1980, 2074, 2076; BGH NJW 1980, 2076, 2078; eine große Rolle spielt die geschäftliche und rechtliche Unerfahrenheit weiterhin in der Diskussion der Inhaltskontrolle von AGB sowie des sog. Einwendungsdurchgriffs; siehe die Nachweise Fn. 38, 83, 84; dabei wird auch bei grundsätzlicher Anerkennung einer marktwirtschaftlich orientierten, auf dem Prinzip der Privatautonomie beruhenden Rechtsordnung
5 Dauner-Lieb
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C. Das liberale Informationsmodell
bestimmung fügt sich nahtlos in die Tradition der Unterscheidung zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten unter dem Gesichtspunkt einer erhöhten rechtlichen und geschäftlichen Erfahrung des Vollkaufmanns. 16 Während jedoch die an diese Unterscheidung anknüpfenden Regelungen für sich genommen keinen Maßstab für Reichweite und Verallgemeinerungsfähigkeit des Gesichtspunktes der rechtlichen und geschäftlichen Unerfahrenheit liefern konnten, erlaubt nun seine Zuordnung zum Informationsmodell eine genauere Bestimmung von Aufgaben und denkbarem sachlichen Gehalt eines an diese Art der Schutzbedürftigkeit anknüpfenden Verbraucherschutzes. In einem Rechtsfortbildungsmodell, in dem man die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers aus fehlendem Wettbewerb oder einem Mangel an Markttransparenz sowie einem typischen Erfahrungsdefizit gegenüber der Marktgegenseite ableitet, kommen der Verbraucherschutzpolitik ganz bestimmte, zumindest im Ansatz klar begrenzte Funktionen zu. Sie hat einerseits Marktstrukturschwächen und Wettbewerbsverzerrungen zu bekämpfen oder, wenn dies nicht möglich ist bzw. aus übergeordneten wirtschaftspolitischen Erwägungen nicht wünschenswert erscheint, zu kompensieren. 16 In diesem Zusammenhang von besonderem Interesse sind die Anordnung eines Kontrahierungszwangs bei Monopolstellung17 sowie die Möglichkeit einer Preiskontrolle bei Marktbeherrschung 18 des einen Vertragspartners. 19 Darüber hinaus hat sich eine an die geschäftliche und rechtliche Unerfahrenheit des Verbrauchers anknüpfende Rechtsfortbildung darauf zu beschränken, das noch näher zu präzisierende Erfahrungs- und Informationsdefizit bestimmter Personenkreise mit Hilfe geeigneter, dogmatischer Mittel auszugleichen, d. h. in erster Linie die in dieser Hinsicht gestörte Parität zwischen den Vertragspartnern vielfach gleichzeitig auf eine wirtschaftliche Unterlegenheit Bezug genommen; siehe zum Problem der Anerkennung einer Schutzbedürftigkeit aufgrund wirtschaftlicher Unterlegenheit D. 15 Dies erklärt möglicherweise die weitverbreitete, enge Verknüpfung der Verbraucherschutzproblematik mit der Frage nach der richtigen Abgrenzung von BGB und HGB sowie der daraus resultierenden Problematik einer Neufassung des Kaufmannsbegriffs; siehe dazu B I 1 a. 18 Vgl. zu diesen Zusammenhängen Kramer, ZSchweizR 1979, 49, 88 ff.; K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 83 ff.; Reich, Markt und Recht, S. 200 ff.; Stauss, S. 30 ff.; grundlegend zum Verhältnis von vertraglicher Parität und funktionierendem Wettbewerb Hönn, S. 109 ff.; vereinzelt wird gefordert, das GWB in Richtung eines direkten Verbraucherschutzes auszubauen; vgl. Reich ZVP 1977, 227; dagegen Immenga I Mestmäcker/ Möschel, § 22 Rdnr. 155; umfassend zur Stellung des Verbrauchers bei Wettbewerbsdelikten Tilmann ZHR 141 (1977), 32. 17 Vgl. dazu Erman-Hefermehl, Vor § 145 Rdnr. 17 ff.; Münchener-Kommentar-Kramer, Vor § 145 Rdnr. 12 ff. 18 § 22 GWB; vgl. dazu umfassend Immenga I Mestmäcker I Möschel, § 22. IU Zur Funktion der Instrumente Preiskontrolle und Kontrahierungszwang in einem sozialen Verbraucherschutzmodell siehe D II 3, D III.
H. Perspektiven der Kompensation geschäftlicher Unerfahrenheit
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als entscheidende Funktionsbedingung von Privatautonomie wiederherzustellen. 11. Perspektiven einer privatrechtlichen Kompensation rechtlicher und geschäftlicher Unerfahrenheit Die Anerkennung einer allgemeinen Schutzbedürftigkeit wegen rechtlicher und geschäftlicher Unerfahrenheit beruht auf der Vorstellung, daß insbesondere das Verhältnis zwischen Verbraucher- und Marktgegenseite durch ein typisches Informationsgefälle gekennzeichnet ist. Diese Beurteilung entspricht zwar der unmittelbar nachzuvollziehenden Beobachtung, daß das Wirtschaftsgeschehen für den Einzelnen immer undurchschaubarer wird und erscheint daher im Ansatz ohne weiteres überzeugend; dies kann jedoch nichts daran ändern, daß es sich . dabei zunächst nur um eine modellhaft-abstrakte und damit zwangsläufig simplifizierende Konzeption handelt, nicht dagegen um ein exaktes, mit Hilfe sozialwissenschaftlicher Methoden gewonnenes Bild der wirtschaftlichen Realität. Daraus folgt, daß ein Informationsgefälle zwischen Verbraucher- und Marktgegenseite sowie eine daraus resultierende Störung der Parität nicht stets, d. h. im Hinblick auf alle denkbaren Rechtsgeschäfte und Vertragstypen, unterstellt werden kann; die Entwicklung einzelner Kompensationsmaßnahmen setzt vielmehr notwendig den konkreten, möglicherweise mit Hilfe rechtstatsächlicher Erhebungen zu leistenden Nachweis eines typischen Informationsdefizits voraus. 1. Bezugspunkte typisdler Informationsdefizite
Ein konkret festzustellender Mangel an Kenntnis und Erfahrung kann sich zunächst auf Inhalt und Brauchbarkeit der angebotenen Leistung selbst beziehen. In einem solchen Fall besteht die Gefahr, daß die Erwerbsentscheidung zugunsten eines Guts gefällt wird, das nicht in der gewünschten Weise zur Deckung eines bestimmten Bedürfnisses verwendet werden kann. 20 So liegt etwa der Regelung des § 3 Fernunterrichtsschutzgesetz die Vorstellung zugrunde, daß ein potentieller Teilnehmer sich erst aufgrund einer genauen, inhaltlichen Beschreibung des angebotenen Lehrgangs ein Bild machen kann, ob dieser für ihn geeignet ist oder nicht. 21 Das Informationsdefizit kann weiterhin die geforderte Gegenleistung betreffen. 22 Typische diesbezügliche Fehlvorstellungen sind vor allem
!1
Vgl. Schumacher, S. 109 f. Vgl. Schumacher, S. 85 f.; Faber I Schade, FernUSG, § 3; BarH NJW
22
Vg!. Schumacher, S. 109.
20
1976, 1993, 1995. 5·
c. Das liberale Informationsmodell
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dann nicht unwahrscheinlich, wenn diese nicht in Form einer einmaligen Barzahlung zu erbringen ist, sondern wenn die Vereinbarung ein Kreditelement enthält. Sie können einmal dazu führen, daß der Kunde nicht realisiert, welchen Preis er insgesamt für die Inanspruchnahme eines Kredits zu zahlen hat; außerdem besteht die Gefahr, daß er die aus der Kreditaufnahme resultierenden, monatlichen Belastungen unterschätzt. Auf derartige überlegungen ist beispielsweise § 1 a AbzG zurückzuführen, der den Abzahlungsverkäufer zur Klarstellung von Barzahlungs- und Teilzahlungspreis, des Betrages der einzelnen Zahlungen sowie des effektiven Jahreszinses verpflichtet. Diese Angaben sollen dem Verbraucher einmal vor Augen führen, welchen Preis er für die Vorverlagerung der Nutzung des gewünschten Gegenstandes zu zahlen hat; sie dienen außerdem dazu, ihm eine realistische Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit zu ermöglichen. 23 Eine geschäftliche und rechtliche Unerfahrenheit ist außerdem im Hinblick auf die vereinbarten, meist vom Anbieter vorformulierten Abwicklungskonditionen wie Kundendienst, Gewährleistung und Lieferfristen denkbar. Werden diese Bedingungen, wie es regelmäßig der Fall sein wird, nicht ausreichend in die Abwägung für oder gegen einen Vertragsschluß mit einbezogen oder bestehen falsche Vorstellungen über Inhalt und Tragweite, dann führt dies wiederum zu einer unrealistischen Einschätzung der Relation von Leistung und Gegenleistung. Die Annahme eines dahingehenden Informations- und Erfahrungsdefizits liegt möglicherweise dem AGBG zugrunde. 24 Schließlich kann es an Markttransparenz und damit an der Möglichkeit fehlen, nach einem Produkt- und Preisvergleich zwischen den verschiedenen, zur Befriedigung eines bestimmten Bedüfnisses geeigneten Angeboten optimal auszuwählen. In diesem Zusammenhang sind etwa die Bestrebungen einzuordnen, für Konsumentenkredite eine einheitliche Zinsberechnung festzulegen, um so einen Vergleich zwischen den verschiedenen Angeboten zu erleichtern. 25 Auf der Vorstellung fehlender Markttransparenz beruhen aber auch neuere Vorschriften, die für den Verkauf bestimmter Lebensmittel nicht nur eine Preis angabe pro Packung, sondern auch pro genormter Größe anordnen, um so dem Verbraucher den Preisvergleich zu erleichtern. oo 23 Siehe Klauss lOse, AbzG, Vorbem. zu §§ 1 a und 1 b Rdnr. 1; ErmanWeitnauer I Klingsporn, § 1 a AbzG Rdnr. 2 jeweils m. w. N.; vgl. dazu auch Schumacher, S. 84 f.; Reich NJW 1978, 513, 516 f.
Siehe dazu C 11 2 b. Vgl. Hadding, Gutachten, S. 141 ff., insbesondere S. 145 ff., S. 155 ff. 28 Vgl. zur gesetzlichen Wareninformation umfassend Höhfeld I Strecker, AgV/DGB (Hrsg.), Handbuch des Verbraucherrechtes, Gruppe 240; Reich I Micklitz, Verbraucherschutzrecht, S. 47 ff. U
25
H. Perspektiven der Kompensation geschäftlicher Unerfahrenheit
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Es läßt sich damit feststellen, daß sich die als Anknüpfungspunkt bestimmter Schutzmaßnahmen konkret festzustellende, geschäftliche und rechtliche Unerfahrenheit auf jeden Teilaspekt rechtsgeschäftlicher Betätigung beziehen kann; mangelnde Kenntnisse bzw. Fehlvorstellungen sind im Hinblick auf Leistung, Gegenleistung und Abwicklungsbedingungen sowie auf die relevanten Marktverhältnisse denkbar. Diese Unterschiedlichkeit der Bezugspunkte einer subjektiv präzisierten Schutzbedürftigkeit bestimmter Personenkreise könnte möglicherweise für die Eignung konkreter Kompensationsinstrumente von Bedeutung sein. 2. Die dogmatisdlen Instrumente
In den neueren, im Zeichen des Verbraucherschutzes stehenden Regelungen finden sich ganz unterschiedliche dogmatische Kompensationsinstrumente; neben der Statuierung von Aufklärungspflichten27 sowie der Eröffnung einer Inhaltskontrolle28 gewinnt u. a. zunehmend die Ersetzung dispositiven Rechts durch zwingende Vorschriften an Gewicht." Zur Kompensation einer im Rahmen des Informationsmodells präzisierten, rechtlichen und geschäftlichen Unerfahrenheit kann jedoch nicht ohne weiteres, d. h. beliebig, auf eines dieser Instrumente zurückgegriffen werden; es ist vielmehr stets zunächst zu prüfen, ob und inwieweit ein bestimmtes rechtstechnisches Mittel überhaupt geeignet ist, ein konkret bestimmtes Informationsdefizit im Hinblick auf Leistung, Gegenleistung, Abwicklungsbedingungen oder relevante Marktverhältnisse auszugleichen. a) Aufklärung
Dabei ist zunächst an solche Rechtsinstitute zu denken, die dem Ziel dienen, dem Verbraucher die fehlenden, zu einer sinnvollen Wahrnehmung seiner Marktchancen erforderlichen Informationen zu verschaffen bzw. ihm, soweit typischerweise Fehlvorstellungen bestehen, die rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen eines Vertragsschlusses zu verdeutlichen; leitet man die Schutzwürdigkeit des Verbrauchers aus einem Mangel an wirtschaftlichen und rechtlichen Kenntnissen ab, dann muß man ihn konsequenterweise in erster Linie informieren oder schlagwortartig-modisch ausgedrückt aufklären. 50 Daraus folgt, daß als 27 Vgl. zur Statuierung schuldrechtlicher Informationspflichten gegenüber Endverbrauchern Reich NJW 1978, 513. 18 Siehe dazu bereits B I 1 c. tI Vgl. insbesondere § 651 k BGB, §§ 2 Abs. 5, 10 FernUSG. 30 Die wechselseitige Bedingtheit von geschäftlicher und rechtlicher Unerfahrenheit und Aufklärung erklärt einmal den hohen Stellenwert, der bisher einer effektiven Wettbewerbspolitik einerseits, einer umfassenden Verbraucheraufklärung andererseits, zugemessen wurde. Diese, erst seit einigen Jahren problematisierte und zunehmend in Frage gestellte Schwer-
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C. Das liberale Informationsmodell
dogmatisches Instrument einer Kompensation geschäftlicher und rechtlicher Unerfahrenheit für das allgemeine Privatrecht zunächst eine Statuierung von Aufklärungspflichten in Betracht kommt,31 deren Erfüllung wenn erforderlich durch Anordnung der Schriftform gesichert werden kann. Insofern fügen sich die bereits erwähnten, auf Aufklärung zielenden Regelungen des § 3 FernUSG, sowie des § 1 a AbzG32 - mögen sie in ihren Einzelheiten auch durchaus zweifelhaft und problematisch sein33 - zumindest im Ansatz in die Systematik des Informationsmodells ein und sind infolgedessen als Versuch eines systemkonformen Verbraucherschutzes zu verstehen. Daraus ergibt sich gleichzeitig aber auch, daß der über alle für seine Willensbildung relevanten Daten informierte Verbraucher keines Schutzes bedarf; soweit dieser in vollem Bewußtsein der Tragweite seiner Entscheidung Rechtsgeschäfte abschließt, soweit also die Parität, d. h. die vom liberalen Sozialmodell postulierte Gleichheit der Vertragspartner, wiederhergestellt ist, muß er sich uneingeschränkt an seinen Willenserklärungen festhalten lassen. Leitet man die Notwendigkeit verbraucherschützender Maßnahmen aus einer Schutzbedürftigkeit wegen rechtlicher und geschäftlicher Unerfahrenheit ab, obwohl eine entsprechende Aufklärung erfolgt war,34 oder stellt man an Inhalt und Form gebotener Aufklärung immer höhere, nicht vorhersehbare Anforderungen,S5 dann punktbildung (siehe dazu D), die in der Gründung von Verbraucherverbänden, in der Einrichtung von Verbraucherberatungszentralen sowie der Förderung der auf Erhöhung der Markttransparenz gerichteten Stiftung Warentest einen konsequenten, praktischen Niederschlag gefunden hat, ist ihrerseits ein Indiz dafür, daß die Verbraucherschutzbewegung zumindest in ihren Anfängen ganz selbstverständlich am Informationsmodell, das bisher überhaupt nur von seinen Gegnern konsequent und in sich stimmig analysiert wurde,- orientiert wurde und infolgedessen auf systemkonforme Weiterentwicklung abzielte, ohne das marktwirtschaftliche System grundsätzlich in Frage zu stellen. 31 Siehe Schumacher, S. 79. In vielen Fällen wird allerdings die Willensbildung nicht erst bei Vertragsschluß, sondern bereits im Vorfeld der eigentlichen rechtsgeschäftlichen Kontakte stattfinden. Damit stellt sich die außerordentlich problematische Frage, inwieweit der im Rahmen des Informationsmodells präzisierte Schutzbedürftigkeitsgedanke eine Verlagerung der Aufklärungspfiichten über den eigentlichen Vertragsschluß hinaus in den Bereich der invitatio ad offerendum oder sogar der Werbung verlangt; vgl. dazu von Marschall, Gutachten, S. 121 f.; umfassend Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung; zu neueren, dahingehenden Gesetzgebungstendenzen siehe A Fn. 16; problematisch erscheint zumindest der Rückgriff auf das Rechtsinstitut der c.i.c.; siehe dazu unten C Ir 3 b. a2 Siehe dazu C Ir 1. aa Vgl. zu den Einzelproblemen, die diese Regelungen aufwerfen, Klauss I Ose, AbzG, § 1 a Rdnr. 221 ff.; Erman-Weitnauer I Klingsporn, § 1 a AbzG Rdnr. 4 ff.; Faber I Schade, FernUSG, § 3; BarH NJW 1976, 1993; Dörner BB 1977,1739.
34 Dahingehende Ansätze finden sich insbesondere in der Literatur zum Einwendungsdurchgriff; siehe dazu C Ir 4 a dd. 35 Eine dahingehende Tendenz läßt sich möglicherweise den neueren Ent-
H. Perspektiven der Kompensation geschäftlicher Unerfahrenheit
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besteht die Gefahr, daß das unverfänglich-systemkonform erscheinende Kriterium der rechtlichen und geschäftlichen Unerfahrenheit unmerklich einen folgenschweren Bedeutungswandel erfährt; dahingehende Entwicklungen könnten, ohne daß ein äußerlich erkennbarer Wechsel der Schutzbedürftigkeitskategorien erforderlich wäre, dazu führen, daß die Zulassung bestimmter verbraucherschützender Maßnahmen schließ· lich nicht mehr darauf beruht, daß der Verbraucher sich nicht "richtig", d. h. interessengerecht im Sinne des liberalen Sozialmodells, verhalten konnte, weil ihm die relevanten Umstände unbekannt waren, sondern darauf, daß der Verbraucher trotz entsprechender Information nicht das " Richtige " wollte. Bei einem dahingehenden Verständnis geschäftlicher und rechtlicher Unerfahrenheit geht es jedoch dann nicht mehr darum, die Funktionsbedingungen privatautonomer Gestaltungsfreiheit wiederherzustellen. Vielmehr wird die Funktionsfähigkeit der Privatautonomie selbst, die das Prinzip formal-abstrakter Gleichheit rechtfertigende Fähigkeit des Rechtssubjekts, bei entsprechender Information seinen Willen vernünftig zu betätigen, in Frage gestellt. Geschäftliche und rechtliche Unerfahrenheit beinhaltet dann nicht mehr, daß der Verbraucher nicht in hinreichendem Maße überschaut, was er tut, sondern daß das, was er in Kenntnis der Tragweite seiner Entscheidungen unternimmt, aus dritter Sicht unvernünftig und seinen "objektiven" Interessen widersprechend erscheint. Mit einem dahingehenden Verständnis dieses KriteriumsH wird jedoch der Rahmen des auf dem Prinzip individueller Selbstbestimmung und Selbstverantwortung beruhenden37 Informationsmodells gesprengt.
scheidungen des BGH zur Problematik finanzierter Rechtsgeschäfte entnehmen; siehe dazu Fn. 163 -172. ae Es ist, wie unten unter D I zu zeigen sein wird, inzwischen weit verbreitet. 87 Ihm liegt ein liberales Freiheitsverständnis zugrunde, das dem Einzelnen auch das Recht gewährt, selbst zu entscheiden, welche Gestaltung seiner Rechts- und Lebensverhältnisse er im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Mittel für vernünftig hält bzw. sogar weitergehend, sich unvernünftig zu verhalten. Diesem Freiheitsverständnis entspricht es aber auch, den Einzelnen an zurechenbaren Entscheidungen - mögen sie unvernünftig oder vernünftig gewesen sein - uneingeschränkt festzuhalten. Dies ergibt sich zwangsläufig auch daraus, daß das insofern "wertungsneutrale" liberale Sozialmodell keinen allgemeinverbindlichen Maßstab für die Angemessenheit von Erwerbsentscheidungen liefert; welche Bedürfnisse Vorrang haben und wieviel der verfügbaren Mittel zur Befriedigung bestimmter Bedürfnisse ausgegeben werden sollen, beurteilt sich allein aus der Sicht des einzelnen Rechtssubjekts und entzieht sich schon deshalb einer Angemessenheitskontrolle durch übergeordnete, "objektiv vernünftige" Instanzen; siehe zu diesen Zusammenhängen bereits B H.
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c. Das liberale Informationsmodell b) Inhaltskontrolle von AGB
Nach weit verbreiteter Auffassung zielt auch die Inhaltskontrolle von AGB auf einen Schutz des rechtlich und geschäftlich Unerfahrenen ab.38 Es stellt sich daher die Frage, inwieweit eine nachträgliche überprüfung der Angemessenheit privatautonomer Vereinbarungen mit den Prämissen des Informationsmodells zu vereinbaren ist. 3 ' Ein konkretes Informationsgefälle zwischen den AGB verwendenden Anbietern und der Marktgegenseite läßt sich ohne weiteres bejahen. Insbesondere auch der Verbraucher,40 aber nicht nur er,Ci ist gegenüber den umfangreichen Regelungen typischer AGB, die darauf abzielen, alle denkbaren, für eine bestimmte Geschäftsart relevanten Umstände und Risiken abzudecken und infolgedessen auf den Nichtfachmann zwangsläufig kompliziert und unüberschaubar wirken, in besonderem Maße in seinem Urteilsvermögen intellektuell überfordert. Während die Anbieterseite aufgrund wirtschaftlicher und organisatorischer Konzentration auf bestimmte Geschäftsarten ein umfangreiches Erfahrungswissen in die Formulierung ihrer AGB einfließen lassen kann, sieht sich demgegenüber der Abnehmer ad hoc mit einem vorformulierten Vertragstext konfrontiert, dessen Inhalt und Tragweite er in keiner Weise überblicken kann, so daß für ihn schon aus diesem Grunde eine Mög38 Vgl. Raiser JZ 1958, 1, 7; NickUsch BB 1974, 941, 944; Schmidt-Salzer BB 1975, 680, 681; Kötz, Referat, A 29ff., insbesondere 31; Lieb AcP 178 (1978), 196, 202; Eith NJW 1974, 16, 18 ff.; Kramer ZSchweizR 1979, 49, 62 ff., insbesondere 64; Hadding, Gutachten, S. 119 f., 124 f.; Münchener-Kommentar-Kötz, Einl. AGBG Rdnr. 3; seit Inkrafttreten des AGBG wird die Frage nach der Schutzbedürftigkeit des mit AGB konfrontierten Vertragspartners und damit letztlich nach dem Schutzzweck des AGBG vernachlässigt; man begnügt sich mit dem Hinweis, es solle einer einseitigen Ausnutzung der Vertragsfreiheit entgegengewirkt werden; vgl. etwa Ulmer in Ulmer I Brandner I Hensen, Einl. Rdnr. 22 ff.; in der Tat knüpft das AGBG an den Tatbestand der Vorformulierung an und abstrahiert damit von konkreten Schutzbedürftigkeiten; die Frage, warum die Vorformulierung ein Eingreifen rechtfertigt, bleibt jedoch immer noch offen; kritisch zur Vernachlässigung der Schutzzweckproblematik, die letztlich auch die tiefere Ursache für die vielfältigen Auslegungsprobleme im Bereich. des § 1 AGBG bildet, schon Reich ZVP 1978, 236. 30 In der Literatur wird vielfach gleichzeitig auf eine wirtschaftliche Unterlegenheit, d. h. ein für das liberale Sozialmodell grundsätzlich irrelevantes wirtschaftliches Machtgefälle Bezug genommen; vgl. zur möglichen Deutung des AGBG als Kompensation wirtschaftlicher Unterlegenheit D !I 4. 40 Der Verbraucher- bzw. Personenbezug des AGBG ist, wie unter BI 1 c dargelegt, außerordentlich zweifelhaft. Die überwiegend schutzbedürftigkeitsneutrale Ausgestaltung des AGBG könnte möglicherweise darauf hindeuten, daß der Korrekturansatz des Informationsmodells bei konsequenter Weiterverfolgung weit über einen Schutz einzelner Personengruppen, insbesondere der Verbraucher, hinausweist. Dies müßte dann unmittelbare Konsequenzen für den persönlichen Anwendungsbereich entsprechender Kompensationsmaßnahmen haben; siehe dazu C !II. Cl überzeugend Schmidt-Salzer BB 1975, 680, 681; Eith NJW 1974, 16, 19.
H. Perspektiven der Kompensation geschäftlicher Unerfahrenheit
73
lichkeit, den Inhalt des Vertrags mitzugestalten, die eigenen Interessen durch Verhandlung wahrzunehmen, in der Regel faktisch entfällt.":! Dieser subjektiven Schutzbedürftigkeit u. a. des Verbrauchers gegenüber AGB, die sich aus dem Informations- und Erfahrungsvorsprung des Anbieters im Hinblick auf die von ihm massenhaft abgewickelten Verträge ergibt, wird allerdings nicht durch eine Statuierung von Aufklärungspflichten Rechnung getragen. 43 Das AGBG eröffnet vielmehr die Möglichkeit einer inhaltlichen Korrektur des Vertrags. Es wird nachträglich anhand der §§ 9 ff. überprüft, ob der Verwender seinen Informations- und Erfahrungsvorsprung einseitig zu Lasten seines Vertragspartners ausgenutzt hat. Diejenigen Klauseln, auf die sich ein informierter Vertragspartner vernünftigerweise, unter Berücksichtigung des Gesamtvertrags, nicht eingelassen hätte, werden im Wege der Inhaltskontrolle für unwirksam erklärt. Diese Zulassung einer inhaltlichen Korrektur vorformulierter Verträge neben oder sogar anstelle einer Aufklärung des Verbrauchers widerspricht jedoch möglicherweise nicht den skizzierten Prämissen des Informationsmodells. Denn Aufklärung hat nur dann einen Sinn bzw. kann nur dann eine subjektive Schutzbedürftigkeit beseitigen, wenn das Informations- und Erfahrungsdefizit durch entsprechende Information ausgeglichen werden kann, wenn also entsprechende Aufklärung beim Durchschnittsadressaten tatsächlich einen Zuwachs an Beurteilungsvermögen be~ wirkt. Gerade diese Funktion könnte jedoch eine Aufklärung über die Bedeutung von AGB allein nicht in ausreichendem Maße erfüllen. Zwar berichten Institutionen wie die Stiftung Warentest oder die Ver~ braucherzentralen allgemein über die Gefahren von AGB und weisen auf typische unbillige Klauseln hin. Dies kann jedoch die fachliche überforderung des Vertragspartners, der sich mit den AGB eines bestimmten Unternehmens im Hinblick auf ein bestimmtes Geschäft kon~ frontiert sieht, kaum kompensieren: Eine Aufklärung über Inhalt und Tragweite dieser konkret zur Diskussion stehenden AGB - sie müßte zwangsläufig durch den die AGB verwendenden Vertragspartner erfolgen, dessen Bereitschaft zu neutraler Information ohnehin gering sein wird - wäre jedoch angesichts der massenhaften Abwicklung typischer Verträge praktisch nicht durchführbar.'" Sie wäre darüber hin42 Besonders deutlich Schmidt-Salzer BB 1975, 680, 681; Kramer ZSchweizR 1979, 49, 64; Lieb AcP 178 (1978), 196, 202; vgl. auch bereits Raiser JZ 1958, 1,7.
43 Immerhin soll § 2 AGBG gewährleisten, daß der Nichtkaufmann über die Einbeziehung von AGB informiert und daß ihm die Chance einer Kenntnisnahme verschafft wird; vgl. dazu Schumacher, S. 85. U Vgl. zur Rationalisierungsfunktion von AGB für alle Ulmer in Ulmer I Brandner I Hensen, AGBG, Einl. Rdnr. 3 f.; Münchener-Kommentar-Kötz, Einl. AGBG Rdnr. 1 jeweils m. w. N.
74
C. Das liberale Informationsmodell
aus - und dies ist entscheidend - in der Regel uneffektiv: Ein Verlesen und oberflächliches Erläutern des Vertragstextes könnte selbst dem juristisch Vorgebildeten kaum ausreichend Klarheit verschaffen; die Diskussion über die Zulässigkeit einer Inhaltskontrolle notariell beurkundeter Verträge trotz "Belehrung" durch den Notar45 zeigt, daß eine zwangsläufig oberflächliche Information über vorformulierte, komplizierte Vertragsbedingungen ganz allgemein problematisch ist, den subjektiv unterlegenen Vertragspartner jedenfalls nicht ohne weiteres in die Lage versetzt, seine Interessen durch Einwirkung auf die Vertragsgestaltung wahrzunehmen." Eine Aufklärung über AGB müßte außerdem daran scheitern, daß faktisch AGB für die Willensbildung trotz ihrer großen wirtschaftlichen Bedeutung und Tragweite kaum relevant werden; dies erklärt möglicherweise, daß in diesem Bereich selten überhaupt Wettbewerb stattfindet.47 Eine Kompensation einer subjektiv-intellektuellen Unterlegenheit eines Vertragspartners durch eine grundsätzlich vorrangige Aufklärung ist daher im Hinblick auf AGB in der Regel nicht möglich; dies rechtfertigt es, eine durch den Informations- und Erfahrungsvorsprung des Verwenders ermöglichte, einseitige Ausnutzung von Privatautonomie durch Zulassung einer Inhaltskontrolle auszugleichen. Eine Inhaltskontrolle von Individualvereinbarungen ist dagegen mit den Prämissen des Informationsmodells grundsätzlich nicht zu vereinbaren; hat sich nämlich ein Vertragspartner den AGB der Gegenseite nicht ohne weiteres und nicht in vollem Umfang unterworfen, sondern über die inhaltliche Gestaltung einzelner Bedingungen verhandelt, dann bedeutet dies, daß er deren Inhalt zumindest zur Kenntnis genommen hat. Damit entfällt jedoch im Hinblick auf diese Klausel - nicht dagegen auf die gesamten AGB - die typische, eine subjektive Schutzbedürftigkeit begründende Drucksituation; es fehlt insoweit an der eine Inhaltskontrolle rechtfertigenden Disparität. Es erscheint infolgedessen auf dem Boden des Informationsmodells konsequent, daß solche Vereinbarungen gemäß § 1 Abs. 2 AGBG vom Anwendungsbereich der §§ 9 ff. ausgenommen werden. 48
45 Vgl. Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen, AGBG, § 1 Rdnr. 38, 69 m.w.N. 48 Vgl. Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen, AGBG, § 1 Rdnr. 49 m. w. N. 47 Vgl. zu diesen Zusammenhängen Vlmer in Ulmer / Brandner / Hensen, AGBG, Einl. Rdnr. 6; Münchener-Kommentar-Kötz, Einl. AGBG, Rdnr. 4 m.w.N. 48 Vgl. zur Funktion der Inhaltskontrolle in einem an wirtschaftliche Unterlegenheit anknüpfenden, sozialen Verbraucherschutzmodell D II 4.
II. Perspektiven der Kompensation geschäftlicher Unerfahrenheit
75
c) Anordnung halbzwingender Normen?
Aus den überlegungen zur Reichweite der Inhaltskontrolle nach dem AGBG ergibt sich gleichzeitig, daß eine Anordnung zwingenden Rechts, wie sie sich etwa in einigen neueren Regelungen findet,49 aus den Wertungen und der Systematik des liberalen Verbraucherschutzkonzepts nicht abzuleiten ist. Diese Art von Regelungen sind im Gegensatz zu den klassischen, dispositiven Normen des BGB, die zumindest durch Individualvertrag abbedungen werden können, dadurch gekennzeichnet, daß eine anders lautende Vereinbarung zu Lasten des Erwerbers einer Leistung selbst dann nicht zulässig und infolgedessen unwirksam ist, wenn beide Vertragspartner den Inhalt des abzuschließenden Vertrags in allen Einzelheiten durchschauen und sich über die rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen vollkommen im klaren sind. Diese Normen entfalten also selbst dann Schutzwirkungen "zugunsten des Verbrauchers", wenn es an einem Informationsgefälle und damit an einer daraus resultierenden Paritätsstörung eindeutig fehlt. 50 Damit wird jedoch der Rahmen des Informationsmodells gesprengt. Eine geschäftliche und rechtliche Unerfahrenheit des Verbrauchers kann daher eine Zurückdrängung dispositiver Normen durch halbzwingende Regelungen jedenfalls dann nicht rechtfertigen, wenn man dieses Schutzbedürftigkeitskriterium als typisches Informationsdefizit gegenüber der Marktgegenseite präzisiert. Damit ist über die Legitimierbarkeit einzelner zwingender Normen allerdings noch kein abschließendes Urteil gefällt. Eine Zurückdrängung des dispositiven Rechts läßt sich möglicherweise systemkonform mit der Entwicklung einer "verfeinerten Verkehrsmoral" begründen,51 die manche Klauseln, die man vor einigen Jahren noch hingenommen hätte, heute als unerträglich ansieht. Dieser Ansatz zielt jedoch nicht auf den Ausgleich typischer Paritätsstörungen; es geht vielmehr um die rechtliche Umsetzung einer Veränderung des allgemeinen Rechtsempfindens. Ein Verbot bestimmter, allgemein als anstößig empfundener Klauseln hätte daher unabhängig davon zu gelten, welche Personen sich in welchen ökonomischen Rollen als Vertragspartner gegenüberstehen; die Verfeinerung der Verkehrsmoral könnte also keine Durchbrechung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit und damit keine zwingenden Regelungen mit einem begrenzten persönlichen Anwendungsbereich, d. h. etwa Sondernormen für Verbraucher, rechtfertigen. Im übrigen bedürfte die Feststellung, daß eine bestimmte Vereinbarung von dem "gewandelten RechtsempVgl. § 651 k BGB, §§ 2 Abs. 5, 10 FernUSG; dazu D II 4. Vgl. die Polemik v. Adomeit NJW 1981, 2168. 51 Lieb AcP 178 (1978), 196, insbesondere 213 ff. 48
50
76
C. Das liberale Informationsmodell
finden" nicht mehr hingenommen werden kann, einer genauen Begründung. Es erscheint zweifelhaft, ob sich der Gesetzgeber bei den Anordnungen zwingenden Rechts stets der gravierenden Konsequenzen für das Prinzip der Privatautonomie bewußt gewesen ist. 52 Eine aus einem typischen Informations- und Erfahrungsdefizit abgeleitete Schutzbedürftigkeit kann jedenfalls nicht durch die Anordnung halbzwingender Normen, sondern nur durch die Statuierung von Aufklärungspflichten einerseits, die Zulassung einer Inhaltskontrolle andererseits, kompensiert werden. d) Abgrenzung des gegenständlichen Anwendungsbereichs
von Aufklärung und Inhaltskontrolle
Es stellt sich nunmehr die Frage, wie der gegenständliche Anwendungsbereich dieser beiden Schutzinstrumente voneinander abzugrenzen ist. Ob zur Kompensation eines konkret nachgewiesenen, typischen Informationsdefizits bereits entsprechende Aufklärung ausreicht oder ob zusätzlich die Möglichkeit einer Inhaltskontrolle eröffnet werden muß, hängt möglicherweise davon ab, auf welchen Aspekt rechtsgeschäftlicher Betätigung sich die geschäftliche und rechtliche Unerfahrenheit bezieht. Das AGBG beschränkt in § 8 den Anwendungsbereich der §§ 9 ff. auf Bestimmungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder ergänzende Regelungen vereinbart werden; die Inhaltskontrolle nach dem AGBG erfaßt also nur Abwicklungskonditionen; das Verhältnis von Haupt- und Gegenleistung bleibt dagegen unberührt;53 ein Informationsgefälle, das diesen Bereich betrifft, kann daher nur durch Aufklärung ausgeglichen werden. Diese Ausgrenzung der Haupt- und Gegenleistungsrelation entspricht konsequent den Prämissen des liberalen Informationsmodells. Denn zum einen ist eine Aufklärung über bestimmte Eigenschaften eines Vertragsgegenstands oder über die Höhe der zu erbringenden Gegenleistung, wie die §§ 3 FernUSG und § 1 a AbzG beispielhaft zeigen, in der Regel praktisch möglich; sie ist zum anderen für den Durchschnittsverbraucher auch willensbildungsrelevant, da von diesen Faktoren letztlich die Erwerbsentscheidung abhängt. Für eine ergänzende Inhaltskontrolle besteht daher in diesem Bereich bereits kein Bedürfnis. Hinzu kommt, daß für eine Angemessenheitskontrolle von Abwicklungsbedingungen zumindest in gewissem Umfang die dispositiven Normen des Schuldrechts als Leitbild zur Ver62 Möglicherweise läßt sich die Anordnung zwingenden Rechts auf eine ganz andere rechtspolitische Konzeption zurückführen; siehe dazu D 11 4. 53 Vgl. für alle Brandner in Ulmer / Brandner / Hensen, AGBG, § 8 Rdnr. 1; Graba in Schlosser / Coester-Waltjen / Graba, AGBG, § 8 Rdnr. 12.
II. Perspektiven der Kompensation geschäftlicher Unerfahrenheit
77
fügung stehen, während es im Hinblick auf die Hauptleistungen, d. h. insbesondere auch auf die Preisgerechtigkeit, an einem Maßstab fehlt, an dem sich eine Inhaltskontrolle orientieren könnte. 54 Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, daß fehlende Kenntnisse über Eigenschaften der zu erwerbenden Leistung oder über die Höhe des Preises grundsätzlich nur durch die Statuierung von Aufklärungspflichten zu kompensieren sind, ein Informationsdefizit im Hinblick auf Abwicklungsbedingungen dagegen die zusätzliche Eröffnung einer Inhaltskontrolle rechtfertigt. 3. Rechtsfolgen eines Unterlassens gebotener Aufklärung
Im Rahmen einer nur abstrakt-modellhaften Kennzeichnung des Informationsmodells ist eine verallgemeinerungsfähige Aussage über Inhalt und Form einzelner zu entwickelnder Aufklärungspflichten nicht möglich;55 ihre Ausgestaltung hängt vielmehr davon ab, welche konkreten Informationen dem Vertragspartner im Hinblick auf einen bestimmten Vertragstypus oder auf eine bestimmte Geschäftsart fehlen. 5t Dagegen stellt sich für alle Fallgruppen typischer rechtlicher und geschäftlicher Unerfahrenheit zumindest im Ansatz gleichermaßen die Frage, welche Rechtsfolgen an ein Unterlassen gebotener Aufklärung zu knüpfen sind. Hat ein Vertragspartner eine Vereinbarung getroffen, ohne alle für seine Willensbildung relevanten Faktoren zu kennen, dann kann nicht ohne weiteres unterstellt werden, daß er von seiner privatautonomen Gestaltungsfreiheit einen Gebrauch gemacht hat, der aus seiner Sicht optimal seinen Wünschen und Interessen entspricht; es ist in einem solchen Fall ebensogut denkbar, daß er sich bei Kenntnis aller Umstände gegen den Vertragsschluß entschieden hätte. Daraus folgt, daß es sich bei einem Unterlassen gebotener Aufklärung verbietet, wie im Normalfall von einer Richtigkeitsgewähr des abgeschlossenen Vertrags auszugehen und infolgedessen beide Vertragspartner uneingeschränkt an ihren Vereinbarungen festzuhalten. Der nicht ausreichend aufgeklärte Vertragspartner muß vielmehr in die Lage versetzt werden, die Rich54 Einen solchen Maßstab kann es in einer marktwirtschaftlich orientierten Rechtsordnung auch gar nicht geben, siehe dazu B 11. U Die weithin gebräuchliche Formel, jeder Vertragspartner sei nach Treu und Glauben verpflichtet, den anderen über alle Umstände aufzuklären, die erkennbar für seine Willensbildung von Bedeutung seien (vgl. etwa BGH N1JW 1974, 849, 851; Münchener-Kommentar-Emmerich, vor § 275 Rdnr. 91 m. w. N.), ist viel zu weit, als daß sich daraus vorhersehbare, konkrete Ergebnisse ableiten ließen; ebenso Medicus, Gutachten, S. 539; a. A. Reich NJW 1978, 513, 519; vgl. auch den Versuch einer Typisierung von Informationsund Aufklärungspfiichten bei Schumacher, S. 98 ff. Ge Vgl. C II 1.
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c. Das liberale Informationsmodell
tigkeit seiner Erwerbsentscheidung nunmehr unter Einbeziehung aller relevanten Gesichtspunkte neu zu überdenken. Dies könnte technisch einmal dadurch erreicht werden, daß man dem Vertrag wegen der einen "Inhaltsmangel" indizierenden Art seines Zustandekommens von vornherein die Wirksamkeit versagt; der nicht aufgeklärte Vertragspartner würde aber auch schon dann ausreichend geschützt, wenn man die Entscheidung, ob die ihm nicht voll zurechenbaren Vereinbarungen Bestand haben sollen, ihm überließe und ihm ein entsprechendes Auflösungsrecht bzw. Widerrufsrecht gewährte. 57 a) Gesetzliche Rechtsfolgenanordnungen
Ein allgemeines, gesetzliches Auflösungsrecht wegen pflichtwidrig unterlassener Aufklärung existiert bisher nicht. Zwar kommen die vorhandenen zivilrechtlichen Regelungen, die man als Ausdruck eines im Sinne des Informationsmodells präzisierten Aufklärungsgedankens deuten kann, zumindest zu einer Teilaufhebung der nicht "zurechenbar" zustande gekommenen Vereinbarungen. 58 So wird ein Verstoß gegen das Schriftformerfordernis des § 3 FernUSG unter § 125 BGB subsumiert;59 nach § 1 a Abs. 3 AbzG entsteht bei Nichterfüllung der in § 1 a Abs. 1 statuierten KlarsteIlungspflichten eine Zahlungsverbindlichkeit nur in Höhe des Barzahlungspreises. Diese Rechtsfolgenanordnungen sind jedoch zu sehr an den Besonderheiten der konkreten Aufklärungspflicht orientiert und lassen sich schon deshalb nicht verallgemeinern. Die in den §§ 1 b, c AbzG, § 4 FernUSG statuierten Widerrufsrechte knüpfen nicht an eine Verletzung von Aufklärungspflichten an. Sie gewähren auch dem informierten Verbraucher nach Vertragsschluß eine befristete Möglichkeit zur überlegung darüber, ob der Vertrag Bestand haben soll und brauchen daher in diesem Zusammenhang nicht näher erörtert zu werden.ilo b) Schadensersatz aus c.i.c.
Mangels verallgemeinerungsfähiger, gesetzlicher Anhaltspunkte stützt der BGH die Entwicklung von Aufklärungspflichten überwiegend, ins57
Zu den gesetzgeberischen Möglichkeiten bei "unerwünschten" Verträgen
Medicus, Gutachten, S. 520 ff.; Medicus versteht darunter allerdings nicht
nur die Fälle ptlichtwidrig unterlassener Aufklärung. 58 Vgl. zu den gesetzlichen Rechtsfolgeanordnungen Schumac1ter, S. 115 f. S8 Faber / Schade, FernUSG, § 3 Rdnr. 1 ff., insbesondere Rdnr. 5 m. w. N. 10 Vgl. dazu umfassend Medicus, Gutachten, S. 522; zur Problematik der Relativierung des Grundsatzes pacta sunt servanda durch die Einräumung von informationsunabhängigen Widerrufsrechten siehe unten DIll.
II. Perspektiven der Kompensation geschäftlicher Unerfahrenheit
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besondere auch im Bereich finanzierter Geschäfte,G1 auf das Rechtsinstitut der c.i.C.;t2 dabei nimmt er an, daß bei Verletzung bestimmter Informationspflichten gemäß § 249 BGB83 auch ein Anspruch auf Vertragsaufhebung bestehen kann und kommt damit im Ergebnis ebenfalls zu einem Auflösungsrecht des nicht aufgeklärten Vertragspartners. Dieser dogmatische Ansatz erscheint für die Aufklärung über willensbildungsrelevante Faktoren deshalb problematisch, weil das Institut der c.i.c. auf den Ausgleich von Schäden abzielt. 64 Zwar ist durchaus denkbar, daß die vorvertraglichen Sorgfaltsobliegenheiten, deren Verletzung eine Schadensersatzverpflichtung aus c.i.c. nach sich ziehen, auch Pflichten zur Aufklärung über bestimmte, für den Vertragspartner relevante Umstände umfassen. Eine derartige Aufklärung müßte jedoch der Schadensvermeidung dienen; dies wäre nur bei einer Information über Gefahren und Risiken des Vertragsabschlusses der Fall." Gerade darum geht es jedoch bei der Aufklärung des Informationsmodells nicht. Diese zielt nicht auf Schadensabwehr, sondern auf Informationen über die Faktoren, die typischerweise für sachliche Bedarfsentscheidungen von Bedeutung sind. Diesem Befund ließe sich allerdings entgegenhalten, daß die zitierte Rechtsprechung und ein Teil der Literatur unter gewissen Umständen als Schaden auch den Abschluß eines Vertrages ansehen." Diese ohnehin problematische AuffassungG7 führt jedoch im Hinblick auf die hier zur Diskussion stehende Art der Aufklärung nicht weiter. Ein Schaden setzt nach der im Ansatz immer noch unbestrittenen Differenztheorie voraus, daß das Vermögen nach Eintritt des schädigenden Ereignisses insgesamt gemindert ist.68 Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn die 81 Siehe dazu umfassend C II 4. 82 Darstellung der Rechtsprechung Münchener-Kommentar-Emmerich, Vor § 275 Rdnr. 91 ff.; Staudinger-Löwisch, Vorbem. zu §§ 275 - 283 Rdnr. 61 ff. 83 Vgl. BGH NJW 1962, 1196; BGH NJW 1968, 986; BGH NJW 1969, 1625; BGH NJW 1974, 849, 852; weitere Nachweise bei Staudinger-Löwisch, Vorbem. zu §§ 275 - 288 Rdnr. 66. 14 Vgl. Münchener-Kommentar-Emmerich, Vor § 275 Rdnr. 174 ff. m. w. N. 85 Beispielhaft sind etwa Pflichten zur Aufklärung über Anwendung, Nebenwirkungen und Gefährlichkeit des veräußerten Produkts zu nennen. Diese Pflichten werden allgemein als sog. Instruktionspflichten thematisch dem Problemkomplex Produzentenhaftung zugeordnet; vgl. Reich NJW 1978, 513, 516; weitere Nachweise A Fn. 31 - 38. 88 Siehe die Rechtsprechungsnachweise Fn. 63; ebenso Staudinger-Löwisch, Vorbem. zu. §§ 275 - 283 Rdnr. 66; Münch.ener-Kommentar-Emmerich, Vor § 275 Rdnr. 176; Hartwieg JuS 1973, 733; Schumacher, S. 117; Medicus, Gutachten, S. 538. 87 Siehe dazu Canaris ZGR 1982, 395, 416 ff. m. w. N. 68 Siehe dazu Staudinger-Medicus, § 249 Rdnr. 4 ff., 137 f. m. w. N.; grundsätzlich. kritisch zur Methode, der Sache nach. jedoch. ähnlich vorgehend Münchener-Kommentar-Grunsky, Vor § 249 Rdnr. 7 m. w. N.
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C. Das liberale Informationsmodell
Gegenleistung objektiv nicht dem Wert des Vertragsgegenstands entspricht;G9 hier wird aber meist bereits § 123 eingreifen, neben dem für einen Anspruch aus c.i.c., gerichtet auf Aufhebung des Vertrages, kein Bedürfnis besteht. Die eigentlich problematischen Fälle sind dadurch gekennzeichnet, daß der eine Vertragspartner zwar nicht über alle maßgeblichen Daten informiert war, Leistung und Gegenleistung jedoch, gemessen am Marktpreis, in einem durchaus angemessenen Verhältnis stehen. 70 Da hier nur die Willensbildungsfreiheit beeinträchtigt ist,71 fehlt es an einem Vermögensschaden im herkömmlichen Sinne. Damit erscheint das Institut der c.i.c. zumindest bei Zugrundelegung der traditionellen Schadensdogmatik schon von den Rechtsfolgen her72 ungeeignet, die Aufklärung über willensbildungsrelevante Faktoren dogmatisch zu bewältigen. n c) Einordnung eines Aufhebungs- bzw. Widerrufsrechts de lege ferenda Da die hier zur Diskussion stehende Art der Aufklärung thematisch die Bedingungen freier Willensbildung betrifft, läge es de lege ferenda nahe, ein allgemeines Auflösungsrecht wegen pftichtwidrig unterlasseso A. A. Schumacher, S. 117, m. E. zu Unrecht unter Berufung auf eine herrschende Meinung; die relevante Fragestellung ist für das Zivilrecht bisher gar nicht mit voller Schärfe problematisiert worden; wie Schumacher mit ausführlicher Begründung, insbesondere unter Rückgriff auf die parallele strafrechtliche Betrugsproblematik Lehmann, S. 277 ff. 70 Siehe dazu ausführlich Lehmann, S. 277 ff. 71 Vgl. die Bemühung v. Lehmann, S. 282 ff., aus dieser Beeinträchtigung der Willensbildungsfreiheit einen Schaden abzuleiten; seine Argumentation müßte jedoch konsequenterweise dazu führen, die Unterscheidung zwischen Mängeln in der Willensbildung und Schaden und damit zwischen Vertragsauflösung gemäß §§ 119 ff. und Schadensersatz ganz aufzuheben. 72 Ein Rückgriff auf das seit einigen Jahrzehnten immer mehr ausufernde Rechtsinstitut der c.i.c. erscheint auch deswegen problematisch, weil zunehmend - kennzeichnend ist insoweit das Gutachten von Medicus - die Frage gestellt wird, ob und inwieweit der c.i.c. neben einem modernisierten Deliktsrecht und Gewährleistungsrecht überhaupt ein eigenständiger sachlicher Gehalt zukommt oder ob im Zuge einer allgemeinen überarbeitung von Allgemeinem Teil und Schuldrecht eine Zurückführung der auf die c.i.c. gestützten Problemlösungen in die jeweils thematisch einschlägigen Regelungskomplexe sachgerecht und wünschenswert erscheint. 73 A. A. Schumacher, S. 117; Schumacher stützt dieses Ergebnis wesentlich darauf, daß die §§ 119, 123 de lege lata für das Problem pfiichtwidrig unterlassener Aufklärung keine Lösung bieten. Daraus folgt jedoch nur, daß insofern eine Lücke im Gesetz besteht; über die Frage, mit welchen dogmatischen Mitteln diese Lücke gefüllt werden kann, ist damit noch nicht entschieden. Insofern erscheint die allgemeine Neigung, die Frage nach dem richtigen, systematischen Standort rechtsfortbildender Maßnahmen durch Rückgriff auf das Institut der c.i.C. zu umgehen, problemverschleiernd; dies. ist auch dem Vorschlag v. Lehmann, irreführende Werbeangaben mit Hilfe der c.i.c. zu sanktionieren, entgegenzuhalten.
11. Perspektiven der Kompensation geschäftlicher Unerfahrenheit
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ner Information in die Rechtsgeschäftslehre zu integrieren. 74 Dabei wäre zu berücksichtigen, daß ein Verstoß gegen Aufklärungspflichten zwar zu Fehlvorstellungen beim Vertragspartner führt, daß dieser Mangel bei der Willensbildung jedoch anders als in den klassischen Irrtumsfällen des § 119 nicht aus der Sphäre des Auflösungsberechtigten stammt, so daß sich eine Anwendung des § 122 zu seinen Lasten verbietet. In die überlegungen mit einzubeziehen wäre weiterhin, daß mit der Anerkennung eines Auflösungsrechts für sich genommen noch keine endgültige Entscheidung über die konkrete Risikoverteilung gefallen ist; denn diese hängt auch davon ab, inwieweit sich die maßgeblichen Wertungen in die Rückabwicklungsebene übertragen lassen. 76 Eine abschließende Stellungnahme zur dogmatischen Bewältigung einer Aufklärung über willensbildungsrelevante Faktoren ist vorläufig nicht möglich. Aufklärung und geschäftliche Unerfahrenheit nehmen zwar als Schlagworte in der Diskussion moderner zivilrechtlicher Fragestellungen breiten Raum ein; dabei werden so unterschiedliche Problemkreise wie die ärztliche Aufklärung über die Gefahren eines Heileingriffs,78 die Haftung für falsche oder unterlassene Angaben über Ertragslage und Verbindlichkeiten beim Unternehmenskauf,77 die Aufklärung über Gewinnchancen, Risiken und Provisionshöhe bei Warentermin- und Optionsgeschäften78 und die Prospekthaftung79 gleichermaßen unter dem Gesichtspunkt mangelnder Information analysiert. so Es wird jedoch bisher nicht der Versuch gemacht, die außerordentlich unterschiedlichen Ansätze zu systematisieren, insbesondere die Aufklärung über willensbildungsrelevante Faktoren gegenüber anderen Formen der Aufklärung, etwa der mit dem Ziele der Schadensvermeidung, abzugrenzen;81 eine übergreifende Konzeption, aus der sich er7& Medicus, Gutachten, S. 542, 549 befürwortet eine Regelung in Form eines § 305 e; seine S. 542 ausgeführten Einwände gegen eine Integration in die allgemeine Rechtsgeschäftslehre erscheinen aber deswegen nicht ohne weiteres überzeugend, weil sie auch gegen den vom Gesetzgeber festgelegten systematischen Standort der §§ 119 ff. zielen. 75 Typisch für die sich aus der Unwirksamkeit des Vertrages ergebenden Folgefragen ist etwa die Problematik der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung finanzierter Rechtsgeschäfte; siehe C II 4 b cc. 76 Siehe dazu Münchener-Kommentar-Mertens, § 823 Rdnr. 422 ff. m. w. N. 77 Siehe dazu WiHemsen AcP 1982, 515. 78 Siehe dazu Häuser ZIP 1981, 933, insbesondere 942 ff. 70 Siehe BGH NJW 1981, 1443, 1451; vgl. auch Wiedemann I Schmitz ZGR 1980, 129; grundlegend zu rechtlich relevanten Informationsproblemen im Bereich des Kapitalanlegerschutzes Hopt, insbesondere S. 234 ff. 80 Weitere Beispiele bei Medicus, Gutachten, S. 539; Grunewald JZ 1982,
627.
81 So stellt etwa Schumacher, S. 109 f., die Information über willensbildungsrelevante Faktoren und diejenige mit dem Ziel der Schadensvermeidung ohne weiteres gleich.
6 Dauner-Lieb
C. Das liberale Informationsmodell
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gibt, in welchen Lebensbereichen Aufklärung erforderlich ist, welche unterschiedlichen Funktionen Aufklärung wahrnehmen kann und muß, fehlt bisher.82 Ohne eine derartige Dogmatik der Aufklärungspflichten ist jedoch eine auf Dauer tragfähige Regelung eines "Auflösungsrechts wegen unterlassener Information über willensbildungsrelevante Faktoren", etwa in Gestalt eines § 123 a BGB, nicht denkbar. 4. Legitimation des sog. Einwendungsdurcbgrlffs im Rahmen des Informationsmodells
Eine gewichtige Rolle spielte und spielt die tragende Schutzbedürftigkeitskategorie des Informationsmodells, die geschäftliche und rechtliche Unerfahrenheit, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung 83 und in der Literatur84 zu den Problemen finanzierter Rechtsgeschäfte, insbesondere des sog. Einwendungsdurchgriffs. 85 Es stellt sich daher die Frage, ob die umfassende Belastung des Kreditnehmers mit dem Risiko der Verwendung der Darlehensvaluta, die sich automatisch aus dem de lege lata zulässigen Abschluß eines freien Darlehensvertrags gemäß § 607 ergibt, gerade deswegen als unangemessen und deshalb korrek~ turbedürftig anzusehen ist, weil die Parität zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer aufgrund eines typischen, rechtlich relevanten Informa~ tionsdefizits in der Person des Kreditnehmers als VerbraucherIMI gestört war, und es sich deshalb verbietet, ihm die Entscheidung für ein freies Darlehen zuzurechnen. Weiterhin ist gegebenenfalls zu prüfen, ob es zur Kompensation dieser Paritätsstörung der Zulassung eines Einwen~ dungsdurchgriffs als eigenständigem dogmatischen Instrument neben Aufklärung bzw. Aufhebung des Vertrags wegen Unterlassens gebote~ fiel" Information und Inhaltskontrolle bedarf. In der Diskussion über wertungsmäßige Erfassung und Reichweite des Einwendungsdurch~ griffs kommen die Probleme einer liberalen Rechtsfortbildung unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes besonders deutlich zum. Ausdruck. Es lohnt sich daher, insoweit auf Rechtsprechung und Lehre ausführlicher einzugehen. Ebenso Reich NJW 1978, 513, 519. Vgl. BGH NJW 1956, 705, 706; BGH NJW 1957, 17, 19; BGH NJW 1961, 166, 168; BGH NJW 1967, 1030, 1031; BGH NJW 1967, 1025, 1026; BGH NJW 1967, 1022, 1023; BGH NJW 1978, 1427,1428; BGH NJW 1979, 2092, 2094; BGH NJW 1980, 41, 43; BGH NJW 1980, 938, 939; BGH NJW 1980, 1155, 1156; BGH NJW 1980, 1514, 1516; BGH BB 1981, 80, 81. 8t Hadding, Gutachten, S. 119 f.; von Marschall, Gutachten, S. 148 f. Die Erörterungen zur Schutzbedürftigkeit des Kreditnehmers als Verbraucher sind allerdings "vor die Klammer" gezogen; der konkrete Bezug zur Einwendungsproblematik wird nicht hergestellt. 85 Vgl. zur Problematik des sog. Einwendungsdurchgriffs auch B Fn. 116. 88 Zur Problematik des Verbraucher- bzw. des Personenbezugs des Informationsmodells siehe C III. 81
83
II. Perspektiven der Kompensation geschäftlicher Unerfahrenheit
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a) Die Kategorien des Informationsmodells in Rechtsprechung und Literatur aal Die Zweispurigkeit von Aufklärungs- und Durchgriffsrechtsprechung bis 196787 Ausgangspunkt der frühen Rechtsprechung des BGH war zum einen die überlegung, daß beim rechtlich und geschäftlich unerfahrenen Kreditnehmer88 angesichts der engen Beziehung zwischen Verkäufer und Finanzierungsinstitut im Rahmen des damals dominierenden, klassischen B-Geschäfts89 die Vorstellung entstehen könne, er schließe einen nur geringfügig modifizierten Ratenkauf ab und stehe daher rechtlich nicht schlechter als ein normaler Abzahlungskäufer. 90 Der BGH folgerte daraus, daß der Kreditnehmer/Käufer hinreichend deutlich auf die Risiken der Aufspaltung von Kreditgeber- und Verkäuferfunktion hingewiesen werden müsse und entwickelte eine dahingehende Aufklärungspflicht; dabei ging es allerdings inhaltlich zunächst hauptsächlich nur91 um das heute bedeutungslose, für die weitere Entwicklung der Rechtsprechung in seiner Tragweite jedoch kaum zu überschätzende Sonderproblem der Erteilung einer sogenannten Vorausquittung;92 der Kreditnehmer müsse durch eine geradezu schockierende Warnung93 davon abgehalten werden, eine Empfangsbestätigung, die die Bank zur direkten überweisung der Darlehensvaluta an den Verkäufer berech87 Vgl. zu den unterschiedlichen Phasen der Rechtsprechung Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 187 ff., der versucht, die Rechtsprechung zum Einwendungsdurchgriff in Beziehung zur gesellschaftspolitischen Gesamtentwicklung zu setzen und die Akzentverschiebungen jeweils auf Veränderungen des sozialen Klimas zurückführt. 88 Eine solche Unerfahrenheit wurde bald nicht mehr nur, wie dies noch in BGH NJW 1956, 705, 706 anklingt, sozial schwachen Bevölkerungskreisen, sondern in der Folgezeit auch Käufern eines gehobenen Bildungsstandes zugesprochen; vgl. BGH NJW 1967, 1030, 1031; BGH NJW 1967, 1025, 1026; BGH NJW 1967, 1022, 1023; BGH NJW 1978, 1427, 1428. 88 Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung der verschiedenen Erscheinungsformen der Kreditgewährung an Nichtkaufleute besonders instruktiv, wenn auch mit kritischer Distanz zu lesen, Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 116ff.; vgl. auch Hadding, Gutachten, S. 29ff., 34, 55; Gundlach, Konsumentenkredit, S. 36 ff., 70 ff.; von Marschall, Abzahlungsgeschäft, S. 11. Die ausschließlich dogmatisch begründeten Versuche einer Lösung der Einwendungsproblematik - siehe die Nachweise in Fn. 174 - sind ausschließlich auf die Geschäftsabwicklung in Form der klassischen B-Geschäfte zugeschnitten. to BGH NJW 1956, 705, 706; BGH NJW 1961, 166, 168; vgl. auch BGH NJW 1967, 1022, 1023; BGH NJW 1967, 1028, 1029. 81 Zur Ausdehnung und Verallgemeinerung der Aufklärungsrechtsprechung siehe C II 4 a bb. 82 BGH NJW 1961, 166; BGH NJW 1967, 1025. t3 Pagendarm WM 1967, 434, 438.
c. Das liberale Informationsmodell
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tigt, zu unterzeichnen, bevor er die Ware überhaupt erhalten hat. 94 An eine Verletzung dieser Aufklärungspflicht knüpfte der BGH einen Schadensersatzanspruch des Kreditnehmers aus c.i.c., gerichtet auf Aufhebung des Vertrages und damit Befreiung von der Darlehensverbindlichkeit. 95 Im Hinblick auf das Erfordernis der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schadenseintritt begnügte sich der BGH mit der Feststellung, daß der Kreditnehmer bei ausreichender Aufklärung nach aller Lebenserfahrung die Empfangsbestätigung der Kreditgeberin nicht im voraus erteilt hätte; dann hätte diese die Darlehenssumme nicht an den Verkäufer ausgezahlt, mit der Folge, daß die Darlehensverpflichtung des Kreditnehmers nicht entstanden wäre. 90 Parallel zu dieser Aufklärungspflicht über das Risiko der Erteilung einer unrichtigen Empfangsbestätigung und zunächst weitgehend unabhängig vom Gesichtspunkt rechtlicher und geschäftlicher UnerfahrenheitU7 entwickelte der BGH den Durchgriffsgedanken. 98 Er postulierte, die rechtliche Aufspaltung eines wirtschaftlich einheitlichen Geschäfts dürfe den Käufer/Kreditnehmer nicht schlechter stellen, als er ohne Aufspaltung, d. h. bei Abschluß eines normalen Abzahlungskaufs als Zweipersonenverhältnis, stündeUV und gewährte ihm infolgedessen das Recht, bei Anfechtung oder Wandlung des Kaufvertrags die Zahlung weiterer Darlehensraten zu verweigern. Dieser "EinwendungsdurchBGH NJW 1961, 166, 168; BGH NJW 1967, 1025, 1026. BGH NJW 1961, 166, 169; nicht ganz eindeutig BGH NJW 1967, 1025, 1026; die Bank haftet gemäß § 278 für schuldhaftes Verhalten des Verkäufers bei den Vertragsverhandlungen, BGH NJW 1961, 166, 168 f. V6 BGH NJW 1961, 166, 169; BGH NJW 1967, 1025, 1026. Eine Kausalität zwischen unterlassener Aufklärung, Abgabe einer unrichtigen EmpfangsbestätIgUng und Entstehen der Darlehensverbindlichkeit kann der BGH allerdings nur deshalb bejahen, weil er ohne weiteres von der Theorie des Realvertrages ausgeht, nach der der Darlehensvertrag erst bei Auszahlung der Valuta wirksam wird. Nach der heute herrschenden Theorie des Konsensualvertrages wird der Darlehensvertrag bereits mit der Einigung und damit vor der Hingabe des Kapitals wirksam. Legt man sie zugrunde, dann hat die Unterzeichnung der unrichtigen Empfangsbestätigung auf das Entstehen der Darlehensverbindlichkeit keinen Einfluß. Die Verletzung von Aufklärungspflichten über die Gefahren der Vorausquittung kann dann nur einen selbständigen Schadensersatzanspruch begründen, der gegen den wirksamen Anspruch auf Rückzahlung der Darlehensvaluta aufzurechnen wäre. Vgl. zu Konsensual- und Realvertrag Larenz, SchuldR 11, § 51 11. V7 Eine frühe Verknüpfung von geschäftlicher Unerfahrenheit und Einwendungsdurchgriff flndet sich in BGH NJW 1956, 705, 706; vgl. auch BGH NJW 1967, 1028, 1029. 98 Vgl. zur parallelen Entwicklung von Aufklärungs- und Durchgriffsrechtsprechung Weick JZ 1974, 13, 14 f. V9 BGH NJW 1962, 1100, 1101; BGH NJW 1967, 1036; BGH NJW 1970, 701, 702; BGH NJW 1971, 2303, 2306; mit der Entwicklung der sog. Subsidiarität des Einwendungsdurchgriffs relativiert der BGH dieses Schlechterstellungsverbot dahingehend, daß der Kreditnehmer nicht wesentlich schlechter gestellt werden dürfe; vgl. BGH NJW 1973, 452, 453. V4
V5
H. Perspektiven der Kompensation geschäftlicher Unerfahrenheit
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griff" wurde allerdings dogmatisch nicht einheitlich konstruiert; teilweise gelangte der BGH bei Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung durch entsprechende Interpretation des § 123 Abs. 2 zu einer entsprechenden Anfechtbarkeit des Darlehensvertrags;l00 teilweise ließ er die Wirksamkeit des Darlehensvertrags dahingestellt und stützte ein Zahlungsverweigerungsrecht auf § 242. 101 In den frühen Entscheidungen zum Einwendungsdurchgriff finden sich zwar stets auch Bezugnahmen auf den Empfängerhorizont des Kreditnehmers; insbesondere in den Anfechtungsurteilen stellte der BGH auch darauf ab, daß sich der Verkäufer aus der Sicht des Käufers als Verhandlungsgehilfe oder zumindest als Vertrauensperson der Bank darstelle und infolgedessen nicht als Dritter i. S. d. § 123 Abs. 2 angesehen werden könne. 1M Dennoch wurde zunächst ganz überwiegend objektiv-sachbezogen das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit am Maßstab der faktischen Zusammenarbeit zwischen Finanzierungsinstitut und Verkäufer gemessen und infolgedessen die auf Dauer angelegte Geschäftsbeziehung als entscheidender Anknüpfungspunkt für einen Einwendungsdurchgriff herausgearbeitet. 103 Die ältere Rechtsprechung ist also durch eine klare, wenn auch nicht immer ganz konsequent durchgehaltene Zweispurigkeit gekennzeichnet: Fehlvorstellungen über die Konsequenzen der rechtlichen Aufspaltung, die sich aus einer geschäftlichen und rechtlichen Unerfahrenheit des Kreditnehmers ergeben, werden durch die Statuierung einer Aufklärungspflicht bzw. mit Hilfe des Instituts der c.i.c. bei deren Verletzung kompensiert; dabei zielt die Belehrung über die Gefahren einer Vorausquittung anders als die typischen Aufklärungspflichten des Informationsmodells nicht auf Wiederherstellung gestörter Funktionsbedingungen privatautonomer Gestaltungsfreiheit, sondern auf Schadensvermeidung; sie betrifft gar nicht den Vertragsschluß bzw. die dazu führende Willensbildung, sondern lediglich bestimmte, gefährliche Zahlungsmodalitäten. 104 Durch die Zulassung eines Einwendungsdurch100
1026.
BGH NJW 1956, 705, 706; BGH NJW 1961, 164, 165; BGH NJW 1967,
101 BGH NJW 1957, 17; BGH NJW 1962, 1100; die Anfechtbarkeit des Darlehensvertrages offenlassend BGH NJW 1967,1028. 10! BGH NJW 1956, 705; BGH NJW 1961, 164, 165; vgl. auch BGH NJW 1967, 1026, 1027. 103 Vgl. bereits BGH NJW 1956, 705, 706; anders dagegen BGH NJW 1957, 17; als tragendes Kriterium der Risikoverteilung BGH NJW 1961, 164, 165; eindeutig BGH NJW 1962, 1100, 1102; vgl. auch BGH NJW 1967, 1033, 1034; BGH N'JW 1967, 1030, 1031; BGH NJW 1967, 1028, 1029; siehe auch Pagendarm WM 1967, 434, 445. 104 So auch Canaris, BVR, Rdnr. 1440, der infolgedessen bei Verletzung der Pflicht zur Aufklärung über die Gefahren einer Vorausquittung den Rückgriff auf das Institut der c.i.c. dogmatisch für angemessen hält.
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C. Das liberale Infonnationsmodell
griffs wird der faktischen Beziehung zwischen Verkäufer und Kreditgeber, der Geschäftsabwicklung in Form des klassischen B-Geschäfts, Rechnung getragen, nicht dagegen einer subjektiven, persönlichen Schutzbedürftigkeit des Kreditnehmers. lo6 bb) Die Verbindung von Aufklärungs- und Durchgriffskonstruktion insbesondere durch Subjektivierung der wirtschaftlichen Einheit ab 1967 Diese relativ klare Unterscheidung zwischen Aufklärungs- und Durchgriffsgedanken wird vom BGH ab 1967 allmählich aufgegeben. Zum einen wird der enge Zusammenhang zwischen der Pflicht zur Aufklärung über das Aufspaltungsrisiko und der konkreten Problematik der unrichtigen Empfangsbestätigung gelockert und generell ein hinreichend deutlicher, drucktechnisch hervorgehobener, auch bei flüchtigem Lesen ins Auge fallender Hinweis, daß der Darlehensnehmer dem Kreditnehmer keine Einwendungen aus dem Kaufvertrag entgegenhalten dürfe, verlangt. lOG Zum anderen wird - möglicherweise als Reaktion auf den Rückgang des klassischen B-Geschäfts in der Praxis, d. h. auf den Verzicht auf eine rechtliche Verfestigung der faktischen Beziehungen zwischen Verkäufer und Kreditgeber durch einen Rahmenvertrag lO7 - die objektiv-sachbezogene Interpretation der wirtschaftlichen Einheit allmählich relativiert; dem Empfängerhorizont des Kreditnehmers wird zunehmend auch für die Einwendungsproblematik tragende Bedeutung zugemessen. Eine erste deutliche Verlagerung der Argumentationsschwerpunkte zeigt sich in zwei Entscheidungen aus dem Jahre 1967,108 die bemerkenswerterweise gar nicht die Einwendungsproblematik, sondern die Reichweite der §§ 2, 6 AbzG betrafen. IOD Der BGH macht die Anwendbarkeit des AbzG davon abhängig, daß Kauf- und Darlehens1IMI Vgl. die bemerkenswerte Würdigung der eigenen Rechtsprechung BGH NJW 1967, 1030, 1031. 106 BGH NJW 1967, 1022, 1023; nach Auffassung des BGH hat das Finanzierungsinstitut dem Käufer zumindest in Fällen, in denen die Auszahlung der Darlehensvaluta nicht von einer Bestätigung des Käufers über den ordnungsgemäßen Empfang der Ware abhängig gemacht wird, selbst darüber aufzuklären, welches Risiko für ihn mit dem Abschluß des Darlehensvertrages zu solchen Bedingung·en verbunden ist; auch die folgenden Erörterungen orientieren sich noch stark an der Problematik der unrichtigen Empfangsbestätigung. 107 Pagendarm WM 1967, 434 fordert die Teilzahlungsinstitute mehrfach, S. 439, 441, 442, ausdrücklich auf, im eigenen Sicherungsinteresse entsprechende Rahmenverträge mit Verkäufern, denen sie faktisch die Vertragsanbahnung überlassen, abzuschließen. 108 BGH NJW 1967, 1030; BGH NJW 1967, 1036. 100 In BGH NJW 1967, 1031 wird auf die Unterschiedlichkeit der Einwendungsproblematik ausdrücklich hingewiesen; vgl. dazu auch Canaris, BVR, Rdnr.1483.
H. Perspektiven der Kompensation geschäftlicher Unerfahrenheit
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vertrag in der Weise eine wirtschaftliche, auf ein Ziel gerichtete Einheit bilden, daß keiner der beiden Verträge ohne den anderen zustande gekommen wäre. 11o Dieser innere, funktionelle Zusammenhang,l11 diese wechselbezügliche Abhängigkeit, kann nach Auffassung des BGH in den unterschiedlichsten, tatsächlichen Umständen zum Ausdruck kommen;112 als typische Anzeichen für das Vorliegen eines finanzierten Abzahlungsgeschäfts werden etwa eine formularmäßig einheitliche Ausgestaltung bzw. eine gegenseitige Bezugnahme der beiden Verträge, ein eigenes Interesse des Kreditnehmers am Zustandekommen des Kaufvertrags, eine bestimmte Art der Berechnung von Kosten und Zinsen, genannt. 113 Die auf Dauer angelegte Geschäftsbeziehung verliert infolgedessen ihren Rang als tragendes Kennzeichen einer wirtschaftlichen Einheit;114 sie wird nur noch als ein, wenn auch gewichtiges Indiz unter mehreren anerkannt. ll5 Als unverzichtbar werden nur noch die Kreditgewährung zum Erwerb eines bestimmten Gegenstands in Kenntnis, daß dieser Erwerb den Kredit notwendig voraussetzt, Vereinbarung der Ratenzahlung sowie Sicherungsübereignung des Kaufgegenstands als wesentlicher Sicherung des Kredits, angesehen. 11e In einer weiteren Entscheidung aus dem Jahre 1967117 stellt der BGH fest, daß es für die Anfechtbarkeit des Darlehensvertrags gemäß § 123 ebenfalls nicht entscheidend auf eine auf Dauer angelegte Geschäftsbeziehung ankommen könne, sondern daß es zur Ausräumung der Anfechtungsbeschränkung des § 123 Abs. 2 bereits genügen müsse, wenn der Verkäufer die Vertragsverhandlungen geführt und dem Käufer damit Veranlassung gegeben habe, in ihm eine Vertrauensperson der Bank zu sehen. 118 Diese Tendenz zur Vernachlässigung des objektiv-sachbezogenen Kriteriums der faktischen, planmäßigen Zusammenarbeit zwischen Verkäufer und Darlehensgeber zugunsten einer Gesamtwürdigung aller Umstände im Einzelfall setzt sich auch in der Entscheidung vom 18. 12. 1969119 fort. Die eigentliche Wende zur Ableitung des Einwendungsdurchgriffs aus einer subjektiven Schutzbedürftigkeit des BGH NJW 1967, 1030, 1031; BGH NJW 1967, 1036. Vgl. die Terminologie in BGH NJW 1980, 41, 42. 11Z BGH NJW 1967, 1030, 1031; BGH NJW 1967,1036. 113 Vgl. die Zusammenstellung bei Pagendarm WM 1967, 434, 444. lU BGH NJW 1967,1030,1031; BGH NJW 1967, 1036, 1037. 1lS Vgl. BGH NJW 1967, 1036, 1037; BGH NJW 1970, 701, 702; Pagendarm WM 1967, 434, 444. 111 BGH NJW 1967, 1036, 1037; BGH NJW 1970, 701, 703; Pagendarm WM 1967,434,443. 117 BGH NJW 1967, 1026. 118 BGH NJW 1967, 1026, 1027. llU BGH NJW 1970, 701. 110 111
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Kreditnehmers erfolgt jedoch in dem Urteil vorn 5. 7. 1971,120 in dem es um den finanzierten Erwerb eines gewerblich zu nutzenden Waschsalons ging. Der BGH stellt für die Qualifizierung als finanziertes Abzahlungsgeschäft zunächst wieder die Bedeutung einer wechselseitigen Abhängigkeit von Kauf- und Darlehensvertrag heraus; eine derartige innere Verbindung wird wiederum deshalb bejaht, weil bei Würdigung der Gesamtumstände festzustellen sei, daß der Kredit der Finanzierung eines ganz bestimmten Erwerbsgeschäfts diente, das seinerseits nicht ohne die Gewährung dieses Kredites hätte abgeschlossen werden können. l2l Da der Kreditnehmer keinen Einblick in die internen Absprachen habe, sei allein entscheidend, wie sich die Beziehungen zwischen Darlehensgeber und Verkäufer aus der Sicht des Kreditnehmers darstellten;122 es komme darauf an, ob der Kreditnehmer davon ausgehen mußte, daß die beiden Verträge zu einern wirtschaftlichen Geschäft zusammengeschlossen waren und daß der Darlehensgeber und Verkäufer ihm als einheitlicher Vertragspartner gegenüberstanden. l23 Der Empfängerhorizont des Kreditnehmers wird, wenn auch in objektivierter Forml24 für allein maßgeblich erklärt. Aus diesen Ausführungen für sich genommen könnte man den Schluß ziehen, daß der Perspektivenwechsel völlig unabhängig vom Gesichtspunkt geschäftlicher Unerfahrenheit lediglich auf eine Entlastung von Beweisproblemen, nicht dagegen auf einen grundlegenden Wechsel der Zurechnungskriterien zielt. lU Einer dahingehenden Erklärung und Deutung der geschilderten Subjektivierung wird jedoch im folgenden der Boden entzogen. Aus dem Anschein der wirtschaftlichen Einheit von Kauf- und Darlehensvertrag sowie von Verkäufer und Kreditgeber schließt der BGH nicht etwa auf das tatsächliche Bestehen einer Zusammenarbeit zurück und leitet daraus die Zulassung eines Einwendungsdurchgriffs ab. Er hält vielmehr für maßgeblich daß dem Kreditnehmer/Käufer angesichts dieses Eindrucks das rechtliche Risiko möglicherweise nicht bewußt war, das er als Käufer durch die Einschaltung eines selbständigen Finanzierungsinstituts einging;l26 daraus zieht er BGH NJW 1971, 2303. BGH NJW 1971, 2304 ff., 2305. 112 BGH NJW 1971, 2306. 1!3 BGH NJW 1971, 2307; vg1. auch schon BGH NJW 1967, 1026, 1027; zust. Löwe NJW 1971, 2303, 2304; Strätz JR 1972, 95, 96. 124 Vg1. die mehrfache Verwendung von Formulierungen wie "erscheinen mußte"; zu dieser "objektivierten Subjektivität" Weick JZ 1974, 13, 15. 125 So könnte man etwa die Bemerkung Pagen darms WM 1967, 434, 439, verstehen, bei der Aufgabe der laufenden Geschäftsbeziehung als tragendem Anknüpfungspunkt hätten auch "Praktikabilitätserwägungen" eine Rolle gespielt; vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch Dauner, Sitzungsberichte zum 53. DJT, 1980, K 218 f. 128 BGH NJW 1971, 2307 1. Sp.; kritisch dazu Strätz JR 1972, 95, 97. UD
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den Schluß, daß der Darlehensgeber verpflichtet gewesen wäre, ihn deutlich darauf hinzuweisen, daß das Darlehen auch bei Störungen im Verhältnis zum Verkäufer zurückzuzahlen sei. 127 Die Verpflichtung zur Aufklärung über die "Aufspaltungsrisiken" betrifft in diesem Fall eindeutig nicht mehr gefährliche Zahlungsmodalitäten, sondern. die gesamte vertragliche Willensbildung; der Kreditnehmer soll veranlaßt werden, seine Entscheidung zu überdenken, genauer gesagt, vorn Vertragsschluß insgesamt Abstand zu nehmen. So stellt der BGH ausdrücklich fest, es sei eine "Erfahrungstatsache", daß ein Käufer ein derartiges "im Rahmen vernünftiger wirtschaftlicher Erwägungen durchweg nicht zu rechtfertigendes Geschäft" nicht abschließen würde, wenn er die Risiken, die sich aus der Selbständigkeit des Darlehensvertrages ergeben, kennt. l28 Auf eine konkrete Kausalität zwischen dem Unterlassen der Belehrung und dem Vertragsschluß soll es im übrigen nicht ankommen. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben berechtige die Verletzung dieser Aufklärungspflicht den Kreditnehmer, sich gegenüber dem Darlehensgeber auf die Anfechtung des Darlehensvertrages wegen arglistiger Täuschung zu berufen, ohne daß er nachweisen müsse, wie er sich bei ausreichender Information verhalten hätte.!29 Damit werden die Grenzen zwischen Aufklärungspflicht und Durchgriffsgedanken endgültig verwischt. Es wird in dieser Entscheidung der Eindruck erweckt, der BGH sehe den tragenden Grund für die Zulassung eines Einwendungsdurchgriffs trotz seiner Ausführungen zur funktionellen Abhängigkeit der beiden Verträge nunmehr ausschließlich in einer Verletzung von Aufklärungspflichten über die Aufspaltungsrisiken und damit letztlich in typischen Fehlvorstellungen des unerfahrenen Kreditnehmers über die wirtschaftlichen Konsequenzen seines rechtsgeschäftlichen HandeIns. Die Argumentation des BGH legt damit gleichzeitig den Schluß nahe, daß für einen Einwendungsdurchgriff kein Raum bleibt, wenn der Kreditnehmer ausreichend aufgeklärt, die geschäftliche Unerfahrenheit kompensiert worden ist. 130 Auch die neuere Rechtsprechung gibt Anlaß zu dieser Deutung. In der Entscheidung vorn 18. 1. 1973,131 in der der BGH den Grundsatz der sogenannten Subsidiarität des Einwendungsdurchgriffs entwickelt,l311 BGH NJW 1971, 2307 1. Sp. BGH NJW 1971, 23071. Sp. m BGH NJW 1971, 2307 r. Sp. 130 Dies zeigt sich auch in der durchweg kritischen Reaktion der Literatur auf diese Entscheidung; vg1. dazu C H 4 a dd. 131 BGH NJW 1973, 452. 132 BGH NJW 1973, 452, 453 f.; eingeschränkt unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten in BGH N:JW 1979, 2194; aufgegeben für den Fall der Sittenwidrigkeit des finanzierten Geschäftes in BGH NJW 1980, 1155. U7
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werden zwar Schadensersatz aus c.i.c. wegen unterlassener Belehrung über das Aufspaltungsrisiko und Einwendungsdurchgriff, wieder scharf gegeneinander abgesetzt. In der Folgezeit greift der BGH wieder zunehmend auf das Institut der c.i.c. zurück. Dabei stellt er teilweise die beiden Instrumente beziehungslos nebeneinander,l33 in zwei Sonderfällen stützt er seine Entscheidung sogar allein auf die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungsobliegenheiten. l34 Dies bleibt jedoch für die Beurteilung der Einwendungsproblematik ohne Konsequenzen. Der BGH hält an der auf eine geschäftliche und rechtliche Unerfahrenheit und damit auf ein Unterlassen gebotener Belehrung abstellenden Be~ gründung bis heute zumindest verbal fest;135 teilweise wird ein und dieselbe Aufklärungspflicht sogar ausdrücklich zweimal angesprochen, als Anknüpfungspunkt für einen Einwendungsdurchgriff und als Vor~ aussetzung eines Schadensersatzanspruchs aus C.i.C. 1311 SO stützt er in der Entscheidung vom 9. 2. 1978 137 die Ausdehnung des Einwendungsdurchgriffs über das klassische B~Geschäft hinaus auf Verträge, die nicht den Kauf einer beweglichen Sache zum Gegenstand haben, maßgeblich auf die mangelnde Erfahrung des Kreditnehmers; der Käufer eines gewerblichen Unternehmens, in diesem Fall einer Selbstbedienungswaschanlage, werde selbst dann die Risiken des wirtschaftlich einheitlichen, rechtlich jedoch in zwei Verträge aufgespaltenen Geschäfts nicht voll erfassen, wenn er als Kleingewerbetreibender in gewissen Gebieten über geschäftliche Erfahrungen verfüge;138 auch in diesen Fällen sei der Kreditgeber daher verpflichtet, den Kreditneh~ mer über die Konsequenzen dieser Art der Vertragsgestaltung aufzu~ klären. 139 Eine wesentliche Rolle spielt die subjektive Schutzbedürftigkeit auch bei der Ausdehnung des Einwendungsdurchgriffs auf die immer mehr 133 Vgl. schon BGH NJW 1978, 1427, 1429; BGH NJW 1978, 1970, 1972; deutlich BGH NJW 1979, 2194; BGH NJW 1980,1514,1517. 134 BGH NJW 1978, 2145 (Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand); BGH mw 1979, 2092 (Mitarbeitervertrag im Rahmen eines Schneeballsystems); diese beiden Entscheidungen gehen insofern über die sonstige Aufklärungs... rechtsprechung hinaus, als der BGH hier nicht nur Information über das "Aufspaltungsrisiko" verlangt; es finden sich auch Anklänge an eine Pflicht zur Aufklärung über die Risiken des finanzierten Geschäfts; Gegenstand der Aufklärung sollen also nicht allein die abstrakte Belastung mit dem Verwendun.gsrisiko, sondern die Probleme und Gefahren der konkret geplanten Verwendung sein. 13& Vgl. BGH NJW 1978, 1427; BGH NJW 1979, 2194; BGH NJW 1979, 2511; BGH NJW 1980, 41; BGH NJW 1980, 1155; BGH NJW 1980, 1514; BGH BB 1981, 80; auch BGH JZ 1982, 509 enthält keine klare Distanzierung. 138 BGH NJW 1980, 1514, 1516 einerseits, 1517 andererseits. 137 BGH N:JW 1978, 1427. 138 BGH NJW 19"78, 1428 r. Sp. 130 BGH NJW 1978, 1428 f.
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in den Vordergrund tretenden Fälle der Einschaltung von Kreditvermittlern. 140 Verzichtet das Kreditinstitut auf eigenen Kontakt mit den Darlehensbewerbern und überläßt es die Vertragsanbahnung einem Finanzierungsmakler, dann verwehrt es ihm der BGH unter Berufung auf die Schutzbedürftigkeit des rechtsunkundigen Darlehensnehmers, sich mit Hilfe dieser erlaubten Arbeitsteilung141 von Risiken zu entlasten, die es auch ohne Einschaltung eines Dritten zu tragen hätte. Es kann sich selbst dann nicht ohne weiteres darauf berufen, es hand~ le sich um einen reinen Personalkredit, wenn ihm der Verwendungszweck des Darlehens unbekannt war. 142 Der BGH hält insoweit die Ausgestaltung der rechtlichen Beziehungen zwischen Kreditinstitut und Kreditvermittler für unerheblich;l43 maßgeblich sei allein, daß der Kreditnehmer den Kreditvermittler, der die Antragsformulare des Kreditinstituts bereithalte, als dessen Vertrauensperson ansehen müsse. 144 Er werde daher eine Verbindung zwischen Kreditvermittler und dem Partner des finanzierten Geschäfts als Verbindung zwischen diesem Partner und der Bank einschätzen. 145 Die Zulassung eines Einwendungsdurchgriffs komme daher schon dann in Betracht, wenn das Zusammenwirken von Kreditvermittler und dem Partner des finanzierten Geschäfts den Eindruck einer wirtschaftlichen Einheit hervorrufe. In einem solchen Falle müsse der Kreditnehmer aus den Gesamtumständen schließen, daß das Kreditinstitut, repräsentiert140 durch den Kreditvermittler, am Zustandekommen des finanzierten Geschäfts ebenso beteiligt sei wie der Partner des finanzierten Geschäfts am Zustandekommen des Darlehensvertrags. Er müsse davon ausgehen, daß die Ge;" währung dieses Kredites zur Finanzierung dieses Geschäfts auf einer vorherigen Absprache aller Beteiligten beruhe. 147 Ihm bliebe daher und diese Schlußfolgerung zeigt wieder die Orientierung am Kriterium der geschäftlichen Unerfahrenheit - bei fehlender Aufklärung das Risiko verborgen, daß er den Kredit auch dann zurückzahlen solle, wenn er vom Kreditvermittler oder Verkäufer übervorteilt worden sei,148 Die durch Aufklärung kompensierbare, persönliche Schutzbedürftigkeit des Kreditnehmers aufgrund rechtlicher und geschäftlicher Unerfahrenheit wird damit in den Fällen der Kreditvermittlung in dopZur rechtstatsächlichen "Entwicklung Hadding, Gutachten, S. 75 ff. BGH NJW 1979, 2092, 2094. 142 BGH NJW 1979, 2092, 2094. 1«3 BGH NJW 1979, 2092, 2094; vgl. auch BGH NJW1980, 1514, 1516. 144 Vgl. etwa BGH NJW 1978, 1427, 1429; BGH NJW 1978, 2144, 2145; BGH NJW 1979, 1593, 1594; BGH NJW 1979, 2092, 2094; BGH NJW 1980, 1514, 1516. 145 BGH NJW 1979, 2092, 2094. 148 Vgl. BGH NJW 1979, 2092, 2094. 147 BGH NJW 1980, 1514, 1516. 148 BGH NJW 1978, 2144, 2145; BGH NJW 1980, 1514, 1516. 140
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pelter Hinsicht relevant; seine Fehleinschätzung verknüpft einmal Bank und Kreditvermittler zu einer Zurechnungseinheit; sie verbindet zum andern, aufgrund des Zusammenwirkens von Kreditvermittler und dem Partner des finanzierten Geschäfts, diesen mit dem Kreditgeber zu einer wirtschaftlichen Einheit. Unter anderem maßgeblich im Hinblick auf das Fehlen eines durch geschäftliche Unerfahrenheit bedingten Irrtums hat der BGH schließlich in zwei neueren Entscheidungen, in denen es um die Finanzierung eines Bauträgervertrags149 und eines Beitritts zu einer Bauherrengemeinschaftt 50 ging, die Zulassung eines Einwendungsdurchgriffs abgelehnt. Auch der rechtsunkundige, wirtschaftlich nicht besonders erfahrene Laie wisse, daß Bank und Bauträger bzw. Grundstücksveräußerer verschiedene Rechtsträger seien und unterschiedliche Interessen wahrnähmen; zudem werde in diesen Fällen eine pflichtgemäße Belehrung durch den Notar bei der Beurkundung des formbedürftigen Grundstücksgeschäfts den Käufer regelmäßig vor einem Irrtum über die Risikoverteilung bewahren. 151 ce) Die Verknüpfung von geschäftlicher Unerfahrenheit und Aufklärungspflichten mit objektiven Verbindungselementen seit 1978 Der Rückgriff auf die Schutzbedürftigkeit des Kreditnehmers wegen geschäftlicher und rechtlicher Unerfahrenheit sowie die korrespondierende Statuierung von Aufklärungspflichten über die Risiken der Selbständigkeit des Darlehensvertrags deuten an sich auf eine zumindest unbewußte Orientierung der Rechtsprechung an den Prämissen des Informationsmodells hin. l52 Dennoch erscheint zunehmend zweifelhaft, ob es der BGH mit dieser Ableitung des Einwendungsdurchgriffs ernst meint, ob er den tragenden Grund tatsächlich in einem typischen Informationsdefizit des Kreditnehmers sieht. Zum einen wird dem zunächst ganz im Schatten des Aufklärungsansatzes stehenden Topos der wechselbezüglichen Abhängigkeit von Kaufund Darlehensvertrag l53 zunehmend Aufmerksamkeit und Raum gewidmet. Bei der Konkretisierung dieser inneren Verbindung wird auf Kriterien abgestellt, die sich nicht ohne weiteres auf die Vorstellung einer subjektiv-intellektuellen Schutzbedürftigkeit zurückführen lassen. So gewinnt einmal die Angewiesenheit des Kreditnehmers auf das Darlehen, d. h. das Fehlen einer Finanzierungsalternative, an Bedeutung. Der BGH NJW 1980, 41. BGH BB 1981, 80. 151 BGH NJW 1980, 41, 42; BGH BB 1981, 80, 81. m Weick JZ 1974, 13, 15; Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 197 f. 153 Vgl. BGH NJW 1967, 1036; BGH NJW 1967, 1030; BGH NJW 1971, 2303. IU
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BGH bejaht in einigen Fällen einen funktionellen Zusammenhang zwischen beiden Verträgen maßgeblich im Hinblick darauf, daß der Kreditnehmer nicht willens oder nicht in der Lage war, die zur Finanzierung des in Aussicht genommenen Geschäfts erforderlichen Mittel selbst aufzubringen bzw. daß er keine Möglichkeit hatte, sich bei einem anderen als dem von Kreditvermittler oder Verkäufer nachgewiesenen Kreditinstitut ein Darlehen zu verschaffen. 164 Zum Teil wird eine innere Verbindung beider Verträge auch aus einer praktisch häufigen Zweckbindung des Darlehens abgeleitet; maßgeblich sei, ob der Darlehensnehmer einen eigenen Zugang zu einem ungebundenen Kredit habe und somit in der Lage sei, wie der Barkäufer Anschaffungen seiner Wahl zu tätigen, oder ob er in seiner Dispositionsfreiheit beschränkt, d. h. von jeder freien Verfügung über den Kredit ausgeschlossen, war. 15Ii Neben diesen Ausführungen zur funktionellen Abhängigkeit finden sich außerdem zunehmend auch wieder objektiv-sachbezogene Begründungselemente, die an faktisch vorhandenen Beziehungen zwischen Kreditgeber und dem Partner des finanzierten Geschäfts ansetzen. So wird etwa darauf abgestellt, daß das Kreditinstitut bewußt eine Personalunion zwischen sich und dem Verhandlungsgehilfen geschaffen habe, aus der es wirtschaftlichen Nutzen ziehe;l56 teilweise wird sogar wieder auf das Vorliegen einer laufenden Geschäftsbeziehung hingewiesen. 107 In den beiden Entscheidungen zur Finanzierung von Bauträgervertrag und Beitritt zu einer Bauherrengemeinschaft hält der BGH es u. a. für maßgeblich, ob sich der Kreditgeber auf seine Rolle als solcher beschränkte oder ob er sich darüber hinaus am finanzierten Geschäft beteiligt hat. 158 Ein Einwendungsdurchgriff komme unabhängig von einer Unerfahrenheit des Kreditnehmers möglicherweise dann in Betracht, wenn der Darlehensgeber für das finanzierte Geschäft geworben oder sich sonst in einer Weise eingeschaltet habe, die es rechtfertige, ihm die tU BGH NJW 1979, 2092, 2094; BGH NJW 1980, 1514, 1516; siehe zu diesem Ansatz D II 5. 155 Vgl. OLG Stuttgart NJW 1977, 1926, 1927; BGH NJW 1978, 1427, 1428; BGH NJW 1980, 41, 42; BGH NJW 1980, 938, 939; BGH NJW 1980, 1514, 1516; von MarschatZ, Gutachten, S. 203 ff.; Hadding, Gutachten, S. 336 ff.; Gundlach, Konsumentenkredit, S. 240. Die Relevanz der Zweckbindung wird wenn überhaupt lapidar damit begründet, daß der Kreditgeber, der sich durch Einschränkung der Dispositionsfreiheit sichern wolle, neben diesem Vorteil auch den Einwendungsdurchgriff als Nachteil einer wirtschaftlichen Verbindung beider Verträge in Kauf nehmen müsse; vgl. von Marschall, Gutachten, S. 132, 203. Gegen diese einseitige Akzentuierung bzw. sogar Verabsolutierung der Zweckbindung zu Recht Canaris ZIP 1980, 705, 720. 158 BGH NJW 1978, 1427, 1429; BGH NJW 1979, 2511, 2512; BGH NJW 1979, 868; vgl. auch BGH NJW 1979, 2092, 2094; BGH NJW 1973, 1275, 1276. 157 BGH NJW 1979, 2511. 158 BGH NJW 1980, 41, 43; BGH BB 1981, 80, 82; vgl. auch BGH NJW 1980, 1514,1515.
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C. Das liberale Informationsmodell
gesamte rechtliche Gestaltung des Dreiecksverhältnisses als Mitinitiator159 zuzurechnen.1«IO In diesem Zusammenhang von besonderem Interesse erscheint schließlich, daß der BGH an den Inhalt der gebotenen Aufklärung über die sich aus der Selbständigkeit des Darlehensvertrags ergebende Risikoverteilung zunehmend höhere Anforderungen stellt. Noch in der Entscheidung vom 18. 1. 19731«11 hielt er den allgemeinen Hinweis für ausreichend, der Kreditnehmer müsse das Darlehen auch dann zurückzahlen, wenn ihm Einreden irgendwelcher Art sowie Gewährleistungsansprüche aus dem Kaufvertrag zustehen sollten. Eine darüber hinausgehende Ausdehnung der Belehrungspflichten berge die Gefahr in sich, daß die Aufklärung unübersichtlich und schwer verständlich werde und damit ihren Zweck nicht mehr erfüllen könne 102. Ohne sich mit diesem - durchaus plausiblen - Standpunkt auseinanderzusetzen, rügt der BGH in der Entscheidung vom 9. 2. 1978,163 daß die Belehrungsklausel nichts über die Rechtslage besage, "wenn der Prokurist der Verkäuferin als Verhandlungsgehilfe der Bank den Kreditantrag vorbereitet und dabei falsche Angaben macht, die für das Zustandekommen des wirtschaftlich einheitlichen Geschäfts wesentlich sind".I84 Eine ähnlich ausführlich-komplizierte und vor allem auf den Einzelfall zugeschnittene Belehrung verlangt er in den Entscheidungen vom 21. 6. 1979166 und vom 7. 2. 1980YHI In dem Urteil vom 17. 5. 1979 hält er eine Aufklärung inhaltlich für nicht ausreichend, weil die Klausel keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Rechts- und Risikolage bei Sittenwidrigkeit des finanzierten Geschäfts enthielt. l67 Diesen Ausführungen kommt zwar deshalb nie tragende Bedeutung zu, weil die Belehrung in allen Fällen bereits nicht den vom BGH entwickelten, formalen Anforderungen genügte; aufgeklärt wurde auf der Rückseite des DarlehensantragslO8 in den AGB1~9 oder in der Auszahlungsanweisung,170 nicht dagegen deutlich 169
Die Terminologie stammt möglicherweise aus der Rechtsprechung zur
Prospekthaftung; vg1. BGH NJW 1978, 1625; BGH NJW 1979, 718; BGH NJW 1981,1449. 180 BGH NJW 1980, 41, 43; BGH BB 1981, 80, 82. 181 BGH NJW 1973, 452. 182 BGH NJW 1973, 454. 183 BGH NJW 1978,1427. 184 BGH NJW 1978,14291. Sp. 185 BGH NJW 1979, 2511, 2512. 188 BGH NJW 1980, 1155, 1157. 187 BGH NJW 1979, 2092, 2094 r. Sp. 168 Vgl. BGH NJW 1978, 1427, 1428 r. Sp. 189 Vgl. BGH NJW 1979, 2092, 2094 r. Sp. 170 Vgl. BGH NJW 1980, 1155, 1157 1. Sp.
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sichtbar auf der Vorderseite des Darlehensantrags. 171 Dennoch bzw. sogar gerade deshalb lassen diese überlegungen zur inhaltlichen Ausgestaltung der Belehrungspflichten, die eher Verwirrung stiften, als einen klaren, dem Gebot der Rechtssicherheit genügenden Orientierungsmaßstab für die betroffenen Kreditinstitute zu liefern, Zweifel daran aufkommen, ob der BGH die Möglichkeit einer Entlastung des Darlehensgebers durch Erfüllung seiner Aufklärungspfiichten überhaupt noch ernsthaft in Erwägung zieht. Dies gilt um so mehr, als er selbst es teilweise ausdrücklich offen läßt, ob und unter welchen Voraussetzungen die Bank durch entsprechende Hinweise einen Einwendungsdurchgriff ausschließen kann. 172 dd) Literatur Auch die Stellungnahmen in der Lehre lassen keine eindeutigen Rückschlüsse auf Stellenwert und Tragfähigkeit des Kriteriums der geschäftlichen und rechtlichen Unerfahrenheit für die Einwendungsproblematik zu. In der älteren Literatur, die sich vor allem um eine dogmatische Begründung der zumindest in ihrer Schutztendenz als richtig empfundenen173 Rechtsprechung bemühte,174 wurde der Topos der geschäftlichen und rechtlichen Unerfahrenheit nicht problematisiert; nach der Schutzbedürftigkeit des Kreditnehmers wurde schon deshalb nicht grundsätzlich gefragt, weil man die Anerkennung einer solchen Schutzbedürftigkeit durch das AbzG vorgegeben glaubte,17/i Die Lehre stand daher der Aufklärungsrechtsprechung des BGH zunächst aus dogmatischen Gründen kritisch gegenüber. Als der BGH die Pflicht zur Aufklärung bezüglich des Aufspaltungsrisikos über den Sonderfall der unrichtigen Empfangsbestätigung 17e hinaus verallgemeinerte,177 wurde 171 Vom Sachverhalt her nicht eindeutig BGH JZ 1982, 509; vgl. zu den formalen Anforderungen an die Aufklärung bereits BGH NJW 1973, 452, 454; zur Notwendigkeit eines Hinweises auf der Vorderseite des Darlehensantrags BGH NJW 1978, 1427, 1428 r. Sp.; BGH NJW 1979,2092,2094 r. Sp. 172 BGH NJW 1980, 1155, 1157; BGH NJW 1979, 2511, 2512. 173 Kritisch dagegen MöHers NJW 1963, 470; Frotz JZ 1963, 532; Weitnauer JZ 1968, 201. 174 Vgl. Esser, Festschrift für Kern, S. 87; Larenz, Festschrift für Michaelis, S. 193; Gernhuber, Festschrift für Larenz, S. 455; VoUkommer, Festschrift für Larenz, S. 703; Canaris, Festschrift für Larenz, S. 799, 838 ff.; eine weitere Variante vertritt neuerdings GundZach, Konsumentenkredit, S. 218 ff.; kritisch zu den Versuchen einer dogmatischen Lösung der Einwendungsproblematik GiHes JZ 1975, 306, 310; Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 185 ff.; vgl. dazu auch bereits B Fn. 116 f. 175 Vgl. etwa die Bemerkung von Larenz, Festschrift für Michaelis, S. 193, 201, das finanzierte Abzahlungsgeschäft stehe "typologisch" dem normalen Abzahlungskauf näher als dem frei finanzierten Barkauf. 171 Vgl. zum Problemkreis einer Aufklärungspfticht über die Gefahren einer unrichtigen Empfangsbestätigung Hörter, Abzahlungskauf, S. 165 fi. m. w. N.; von MarschaH, Abzahlungsgeschäft, S. 155 ff. m. w. N. 177 Siehe dazu C II 4 a bb.
c. Das liberale Informationsmodell
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vor allem die konstruktive Begründung dieses Ergebnisses, der Rückgriff auf das Institut der c.i.c., angegriffen;178 Schadensersatz setze Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schadenseintritt voraus; der Käufer müsse daher an sich beweisen, daß er bei gehöriger Aufklärung entweder das Geschäft überhaupt nicht vorgenommen oder den Verkäufer zum Abschluß eines normalen Ratenkaufs bewogen hätte. Diesen Beweis werde der Käufer jedoch in aller Regel nicht erbringen können. Die allgemeine Lebenserfahrung spreche entgegen der Auffassung des BGH17V dafür, daß der Käufer, der sich ja nun einmal zu einem Kreditgeschäft entschlossen habe, auch bei gehöriger Aufklärung am Abschluß des B-Geschäfts festgehalten, sich über die drohenden Gefahren im Vertrauen auf einen störungsfreien Ablauf des Kaufs hinweggesetzt hätte. IBO Diese Kritik enthielt jedoch bereits eine über die dogmatischen Voraussetzungen der c.i.c. hinausreichende rechtspolitische Dimension. Sie zielte auf die Effektivität eines Schutzes des Kreditnehmers durch Aufklärung über das Aufspaltungsrisiko. Man bezweifelte einen Einfluß belehrender Klauseln auf das rechtsgeschäftliche Verhalten des durchschnittlichen Kreditnehmers. 181 Die Reaktion auf die Verbindung von Aufklärungs- und Durchgriffsrechtsprechung in dem Urteil des BGH vom 5. 7. 197p82 war angesichts der zu erwartenden, intensiven Aufklärungsbemühungen der betroffenen Kreditinstitute l83 infolgedessen von der Befürchtung gekennzeichnet, der BGH könnte bei ausreichender Aufklärung einen Einwendungsdurchgriff nicht mehr zulassen;l84 es wurde darauf hingewiesen, daß Aufklärung den Kreditnehmer nicht vor einer Realisierung des Aüfspaltungsrisikos schütze, sondern sich in einer bloßen Warnung erschöpfe und forderte infolgedessen die Zulassung eines Einwendungsdurchgriffs auch bei Kenntnis des Aufspaltungsrisikos. 185 Damit erschien jedoch eine dahingehende Aufklärung sinnlos: Läßt man einen Einwendungsdurchgriff unabhängig von den Vorstellungen des Kredit178 Vg1. etwa GeTnhuber, Festschrift für Larenz, S. 455, 460 f.; VoHkommer, Festschrift für Larenz, S. 703, 706 f.; König JZ 1972, 54, 55; aus neuerer Zeit Gundlach, Konsumentenkredit, S. 117; zusammenfassend Canaris, BVR, Rdnr.
1423.
BGH NJW 1971, 2303, 2307 1. Sp. GeTnhuber, Festschrift für Larenz, S. 455, 460 f.; Vollkommer, Festschrift für Larenz, S. 703, 706 f.; Strätz JR 1972, 95, 97; König JZ 1972, 54, 55. 181 Strätz JR 1972, 95, 97; Weick JZ 1974, 13, 15. 18! BGH NJW 1971, 2303. 179
180
18S
Diese Erwartungen haben sich in der Folgezeit realisiert; vg1. etwa
BGH NJW 1973, 452, 454; kritisch dazu Weick JZ 1974,13,15. 184 Strätz JR 1972, 95, 97 f.; Löwe NJW 1971, 2303, 2304 f. 185 Löwe NJW 1971, 2303, 2305; Strätz JR 1972, 95, 97 f.
II. Perspektiven der Kompensation geschäftlicher Unerfahrenheit
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nehmers, aus anderen Gründen, zu, dann bestehen keine Risiken mehr, über die er aufzuklären wäreYlCl Auf diese Argumentation wird in der neueren, überwiegend im Zeichen des Verbraucherschutzes stehenden Literatur nur noch aus "historischem" InteresseBezug genommen. Man ist sich - ohne auf die neuere Aufklärungsrechtsprechung überhaupt näher einzugehen - darüber einig, daß eine Verletzung von Aufklärungspflichten nicht den maßgebenden Anknüpfungspunkt für eine Risikoverlagerung zugunsten des Kreditnehmers bilden, daß ausreichende Belehrung einen Einwendungsdurchgriff nicht ausschließen kann.1 s7 Problematisch erscheint höchstens noch, inwieweit einer Aufklärung über die Risikoverlagerung neben einem auf andere Weise legitimierten Einwendungsdurchgriff Bedeutung zukommen kann. lss Im Hinblick auf die Durchgriffsproblematik gilt der Aufklärungsgedanke als verabschiedet und wird infolgedessen als selbständiger Begründungsansatz nicht weiter verfolgt. lSD Aus der Sicht derjenigen Autoren, die den Prämissen des Informationsmodells ohnehin kritisch gegenüberstehen und infolgedessen einen Verbraucherschutz durch Aufklärung für weitgehend uneffektiv halten, erscheint dies ohne weiteres konsequent. l90 Als problematisch und unstimmig erweist sich dieser Standpunkt dagegen bei denjenigen, die sich wie insbesondere Hadding an einem liberalen Sozialmodell orientieren und infolgedessen die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers aus seiner geschäftlichen und rechtlichen Unerfahrenheit, d. h. aus einem 180 Während einerseits der unter Effektivitätsgesichtspunkten in der Tat problematische, in sich jedoch weitgehend stimmige Aufklärungsansatz des BGH vehement abgelehnt wird, wird andererseits die auf den ersten Blick plausible Argumentation des BGH, auf eine laufende Geschäftsbeziehung könne es schon deshalb nicht ankommen, weil der Kreditnehmer keinen Einblick in die internen Beziehungen zwischen dem Finanzierungsinstitut und dem Partner des finanzierten Geschäfts habe, unüberPrüft übernommen; Löwe NJW 1971, 2303, 2304; Strätz JR 1972, 95, 96. Durch diese kritiklose Bejahung des Perspektivenwechsels der Rechtsprechung - siehe dazu C II 4 a bb - entzieht die Lehre jedoch den älteren, ganz auf die objektive Geschäftsabwicklung beim typischen B-Geschäft zugeschnittenen Lösungsvorschlägen - siehe die Nachweise Fn. 174 - den Boden. Da sie einerseits das Kriterium der planmäßigen Zusammenarbeit für irrelevant erklärt, andererseits auch den Aufklärungsgedanken, m. a. W. einen Rückgriff auf die Kategorien des Informationsmodells, ablehnt, hängt ihre Argumentation in der Luft. 187 Hadding, Gutachten, S. 306ff.; von MarschaLl, Gutachten, S. 199 f.; Gundlach, Konsumentenkredit, S. 116; Grunewald JA 1980, 463, 465; zusammenfassend Canaris, BVR, Rdnr. 1483 f.; kritisch, wenn auch von anderen Prämissen ausgehend, Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 187 ff., 197; vgl. zur Konzeption Reifners D II 5 b. 188 Vgl. von Marschall, Vortrag, S. 24 f. 18D Typisch etwa Hadding, Gutachten, S. 312. 180 Dies gilt insbesondere für die Kritik Reifners, Verbraucherverschuldung, S. 187 ff., zum Ansatz Reifners siehe D II 5 b.
7 Dauner-Lieb
c. Das liberale Informationsmodell
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typischen Informationsdefizit gegenüber der Marktgegenseite, ableiten. lal Denn diese subjektiv-intellektuelle Unterlegenheit ist grundsätzlich durch Information zu kompensieren. Ein Einwendungsdurchgriff läßt sich daher überhaupt nur dann auf eine so konkretisierte Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers zurückführen, wenn man - abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall der Inhaltskontrollellll! eine Kompensation durch Aufklärung zuläßt. Lehnt man dies grundsätzlich ab, dann entfällt auch die Möglichkeit eines Rückgriffs auf eine rechtliche und geschäftliche Unerfahrenheit des Kreditnehmers. Angesichts dieser Unklarheiten und Widersprüche in Rechtsprechung und Literatur erscheint es erforderlich, die Frage nach der Relevanz der Kategorien des Informationsmodells für die Einwendungsproblematik noch einmal im Zusammenhang aufzuwerfen. b) Probleme der Ableitung des Einwendungsdurchgriffs
aus einer Unerfahrenheit des Kreditnehmers
aal Vorbedingung: Anerkennung der Irrelevanz "objektiver Verbindungselemente" Im Hinblick auf die neuere, höchstrichterliche Rechtsprechung erscheint zunächst problematisch, ob das Abstellen auf eine subjektivintellektuelle Unterlegenheit des Kreditnehmers mit einem gleichzeitigen Rückgriff auf andere Risikoverlagerungskriterien zu vereinbaren ist.1 93 Eine Belehrung des Kreditnehmers, er habe das Darlehen auch dann zurückzuzahlen, wenn das mit Hilfe des Darlehens finanzierte Geschäft nicht ordnungsgemäß abgewickelt werden könne, hat nur dann einen Sinn, wenn eine solche selbständige Rückzahlungsverpftichtung tatsächlich besteht. Daran fehlt es jedoch, wenn unabhängig von einem Unterlassen gebotener Aufklärung auch eine funktionelle Verbindung von Kauf- und Darlehensvertrag eine Risikoverlagerung rechtfertigen kann. Gewährt man einen Einwendungsdurchgriff, weil der Kreditnehmer keine Finanzierungsalternativen hat, weil seine Dispositionsfreiheit über die Darlehensvaluta eingeschränkt ist oder weil Darlehensgeber und Partner des finanzierten Geschäfts objektiv eine organisatorische Personalunion bilden, dann läßt sich gar keine Fehlvorstellung des Kreditnehmers feststellen. Sein "Rechtsgefühl" deckt sich vielmehr mit der objektiven Rechtslage; er hat angesichts der "wirtschaftlichen
Hadding, Gutachten, insbesondere S. 23 ff., 119 f.; vgl. auch oben CI. Vgl. B Fn. 116; auch insofern zweifelhaft BGH JZ 1982, 509. 193 BGH JZ 1982, 509 unterscheidet zwischen objektiven und subjektiven Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit; insofern erscheint es konsequent, daß der BGH in derselben Entscheidung die Möglichkeit einer Entlastung des Darlehensgebers durch Aufklärung grundsätzlich in Frage stellt. 181
19%
11. Perspektiven der Kompensation geschäftlicher Unerfahrenheit
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Einheit" bei Störungen des finanzierten Geschäfts das Darlehen tatsächlich nicht in vollem Umfang zurückzuzahlen. 1t4 Eine Belehrung über das "Aufspaltungsrisiko" würde unter diesen Umständen nicht nur ins Leere gehen; sie könnte darüber hinaus sogar die Interessen des Kreditnehmers gefährden. Denn diesem müßte sich die sachlich unzutreffende Vorstellung aufdrängen, er sei der Bank in jedem Falle zur Rückzahlung des Darlehens verpflichtet, eine Zahlungsverweigerung könnte ihm daher selbst im Falle eines endgültigen Scheiterns des finanzierten Geschäfts nur unnötige Scherereien und Kosten einbringen. Eine Ableitung des Einwendungsdurchgriffs aus einer geschäftlichen und rechtlichen Unerfahrenheit und damit aus einem Unterlassen gebotener Aufklärung kommt daher überhaupt nur dann in Betracht, wenn man andere denkbare Risikoverlagerungskriterien als irrelevant qualifiziert. Die Unbeachtlichkeit der funktionalen Einheit sowie sonstiger objektiver Verbindungselemente ist daher im folgenden zu unterstellen. bb) Das sogenannte Aufspaltungsrisiko als Bezugspunkt eines typischen Informationsdefizits Die typische geschäftliche und rechtliche Unerfahrenheit des Kreditnehmers bezieht sich nach Auffassung von Rechtsprechung und Lehre beim finanzierten Abzahlungsgeschäft auf das sogenannte Aufspaltungsrisiko. Dieses Aufspaltungsrisiko bedeutet jedoch nichts anderes, als daß die darlehensvertragliche Rückzahlungsverpflichtung vom Schicksal des finanzierten Geschäfts unberührt bleibt und damit, daß der Kreditnehmer das Risiko der Verwendung der Darlehensvaluta selbst zu tragen hat. Diese Belastung mit dem Verwendungsrisiko ergibt sich automatisch aus dem grundsätzlich zulässigen Abschluß eines Darlehensvertrags gemäß § 607. 195 Die Bezeichnung "Aufspaltungsrisiko" ist daher mißverständlich.t oo Es geht anders als in den Fällen der Erteilung einer unrichtigen Empfangsbestätigung nicht um die Gefahr eines Schadenseintritts,t1l7 sondern um die gesetzlich vorgegebenen und damit zunächst einmal als angemessen anzuerkennenden Konsequenzen der Wahl eines bestimmten Vertragst,ypus. Fraglich ist also, ob sich der Kreditnehmer insoweit typischerweise falsche Vorstellungen macht, als er glaubt, daß ihm ein "Warenkredit" in der Art eines normalen Abzahlungskaufs gewährt werden soll, während ihm die Bank in Realität Kredit nur in der für ihn ungünstigeren Form des freien Darlehens anbietet. Daran be18'
466.
Ebenso Gundlach, Konsumentenkredit, S. 186; Grunewald JA 1980, 463,
Vgl. B Fn. 116. Grundsätzlich kritisch zum Aufspaltungsgedanken Grunewald JA 1980, 463,466. 187 Vgl. oben C 11 3 b, C 11 4 a aa bei Fn. 104. 185
18S
7*
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c. Das liberale Informationsmodell
stehen allerdings schon deshalb Zweifel, weil dem normalen Abzahlungskauf als Zweipersonenverhältnis und damit als beabsichtigter Verbindung von Verkäufer- und Kreditgeberfunktion, die ja ohnehin nur für den Erwerb beweglicher Sachen überhaupt jemals üblich war, seit langem kaum noch praktische Bedeutung zukommt,t98 so daß für den Kreditnehmer an sich gar kein Anlaß besteht, positiv im Wege einer Parallelwertung in der Laiensphäre von der Gewährung eines Warenkredits auszugehen. Aber selbst wenn man unterstellt, daß der Kteditnehmer typischerweise verkennt, daß ihm ein Geldkredit gewährt werden soll, dessen Verwendungsrisiko er in vollem Umfang zu tragen hat, erscheint sehr fraglich, ob ihn diesbezügliche Informationen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses überhaupt interessieren und infolgedessen in seine Willensbildung einfließen. Die Problematik wird unmittelbar deutlich, wenn man versucht, ein Informationsdefizit im Hinblick auf die Vertragstypenwahl in die Systematik des Informationsmodells einzuordnen. Es wurde herausgearbeitet, daß nur Informationen über die Hauptleistung sowie über die Höhe der zu erbringenden Gegenleistung willensbildungsrelevant sind, während eine Belehrung über Inhalt und Tragweite der Abwicklungsbedingungen für die Erwerbsentscheidung ohne Konsequenzen bleibt; auf dem Hintergrund dieser Unterscheidung wurde auch der Geltungsbereich der Kompensationsinstrumente Aufklärung und Inhaltskontrolle gegeneinander abgegrenzt. t" Das "freie Darlehen" ist dadurch gekennzeichnet, daß der Kreditgeber dem Kreditnehmer Geld zur eigenverantwortlichen Verwendung überläßt; demgegenüber wird beim normalen Abzahlungskauf als "Warenkredit" im Rahmen eines bE~stimmten Vertrags über den Erwerb einer Sachleistung vom Anbieter die Gegenleistung gestundet. Die beiden Vertragst,ypen unterscheiden sich daher schon in ihren Hauptleistungspflichten. Ein die Wahl der Kreditierungsform betreffendes Informationsdefizit müßte daher an sich durch Aufklärung kompensiert werden. Die Wahl der Kreditform und damit des Vertragstypus wirkt sich allerdings anders als etwa die Höhe der monatlich zu erbringenden Raten erst bei der Abwicklung, genauer, bei Störungen im Bereich des finanzierten Geschäfts, aus; die aus dem Abschluß eines "freien Darlehens" resultierende Belastung mit dem Verwendungsrisiko hat für den Kreditnehmer erst Konsequenzen, wenn die geplante Verwendung gescheitert ist. Dies erklärt, daß auch bei ausreichender Belehrung über das Aufspaltungsrisiko kaum je ein Kreditnehmer vom Abschluß des Darlehensvertrags Abstand genommen hat. Es ist zumindest unwahrscheinlich, daß eine Belehrung über die Unterschiede zwischen Barkredit und normalem Abzahlungskauf die 188 lUU
Siehe dazu Hadding, Gutachten, S. 38 f. In. w. N. Siehe C 11 2 d.
H. Perspektiven der Kompensation geschäftlicher Unerfahrenheit
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Entscheidung für oder gegen den konkreten Vertragsschluß beeinflußt. Zweifel an der Effektivität einer Aufklärung über das "Aufspaltungsrisiko" sind daher zumindest im Ansatz berechtigt. ce) Das Rechtsfolgenproblem Selbst wenn man einmal unterstellt, daß eine Belehrung über die den Vertragstypus "freies Darlehen" kennzeichnende Risikoverteilung unter bestimmten Umständen notwendig und sinnvoll ist, bleibt zweifelhaft, ob sich ein Einwendungsdurchgriff als Rechtsfolge eines Unterlassens gebotener Aufklärung eignet. Der Entwicklung von Pflichten zur Aufklärung über willensbildungsrelevante Faktoren entspricht grundsätzlich die Gewährung eines Aufhebungsrechts bei Verletzung dieser Pflichten; will man dem einen Vertragspartner mangels ausreichender Information seine Willensbildung nicht zurechnen, dann muß man ihm konsequenterweise die Möglichkeit geben, sich vom Ergebnis dieser "unvollständigen" Willensbildung, dem Vertragsschluß, zu distanzieren. 2OO Bei einer Verletzung von Aufklärungspflichten durch die Bank müßte dem Kreditnehmer daher an sich ein Recht gegeben werden, Aufhebung des nicht zurechenbar zustande gekommenen Darlehensvertrags zu verlangen. Ein solches Aufhebungsrecht des nicht informierten Vertragspartners würde auf die Kompensation von Störungen zielen, die dem zu lösenden Rechtsverhältnis selbst anhaften. Demgegenüber eröffnet die Zulassung eines Einwendungsdurchgriffs die Möglichkeit, auf ein für sich genommen ordnungsgemäß zustande gekommenes und abzuwickelndes Rechtsverhältnis von außen Störungen aus einem anderen Geschäft übergreifen zu lassen.lHIl Allerdings können Einwendungsdurchgriff und Vertragsaufhebung zumindest beim finanzierten Abzahlungsgeschäft im Ergebnis eine ähnliche Risikoverteilung bewirken. Gewährt man dem Kreditnehmer das Recht, Einwendungen aus dem finanzierten Geschäft dem Darlehensanspruch entgegenzuhalten, dann bedeutet dies, daß er zumindest in gewissem Umfang das Risiko der Verwendung der Darlehensvaluta auf den Kreditgeber verlagern kann.2M Gibt man ihm einen Aufhebungsanspruch, dann führt eine Berufung darauf zur Unwirksamkeit des Darlehensvertrags. Dies bedeutet nicht nur, daß er von weiteren vertraglichen Zahlungsverpflichtungen befreit wird, sondern vor allem, daß die bereits erfolgten Leistungsverschiebungen bereicherungsrechtlich rückabzuwickeln sind. 203 Damit hängt die endgültige 100
!GI
Siehe C H 3.
Strätz JR 1972, 95, 97 1. Sp.
zoz Siehe B Fn. 116.
Z03 Vg1. zum Bereicherungsausgleich bei finanzierten Rechtsgeschäften insbesondere in Fällen des sog. Doppelmangels vor allem Esser, Festschrift für
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c. Das liberale Informationsmodell
Risikoverteilung letztlich von der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung im Dreipersonenverhältnis ab;2 04 maßgeblich ist dabei insbesondere, ob und wie die Direktauszahlung der Darlehensvaluta an den Verkäufer zu berücksichtigen ist. Verweist man die Bank mangels gültiger Anweisung auf eine Direktkondiktion gegen den Verkäufer,2ö5 oder gewährt man dem Kreditnehmer bei einer Abwicklung "über's Dreieck" den Einwand des Wegfalls der Bereicherung gemäß § 818 Abs. 3,208 dann trägt die Bank wiederum im Ergebnis das Verwendungsrisiko. Dies ändert jedoch nichts daran, daß sich Aufhebungsanspruch wegen unterlassener Aufklärung und Einwendungsdurchgriff in ratio und dogmatischem Ansatz grundsätzlich unterscheiden; eine Verknüpfung von Aufklärungsgedanken und Einwendungsdurchgriff erscheint daher systemwidrig und nicht sachgerecht. dd) Konsequenzen hinreichender Aufklärung Bei einer Ableitung des Einwendungsdurchgriffs aus einer geschäftlichen und rechtlichen Unerfahrenheit sind schließlich die Grenzen des Informationsmodells zu beachten. Ein Rückgriff auf eine dahingehende Schutzbedürftigkeit des Kreditnehmers erscheint nur dann folgerichtig, wenn man den inneren Grund für eine Korrektur der vertraglichen Risikoverteilung nur in einer typischen Fehlvorstellung des Kreditnehmers im Hinblick auf das "Aufspaltungsrisiko" , d. h. auf die Eigenarten des gewählten Vertragstypus "freies Darlehen", sieht. Daraus folgt aber zwangsläufig, daß diese Schutzbedürftigkeit dann entfällt, wenn der Kreditnehmer ausreichend aufgeklärt wurde, die Vertragsparität also wiederhergestellt war. Der Aufgeklärte steht dem Erfahrenen gleieh,-er muß sich die auf einer soliden Informationsbasis getroffenen Entscheidungen in vollem Umfang zurechnen lassen. 2ö7 Dabei ist eine Belehrung - wie der BGH selbst anerkannt hat208 - bereits dann als ausreichend anzusehen, wenn sie für den Durchschnittskreditnehmer klar und verständlich erscheint. Keinesfalls kann von der Tatsache, daß der Kreditnehmer den Darlehensvertrag doch abgeschlossen hat, auf Kern, S. 87; Larenz, Festschrüt für Michaelis, S. 193; Canaris, Festschrift für Larenz, S. 799, 838 ff. 20' Vgl. dazu umfassend Münchener-Kommentar-Lieb, § 812 Rdnr. 30 ff.; insbesondere 132 ff. 205 Etwa in den Fällen arglistiger Täuschung; vgl. dazu Münchener-Kommentar-Lieb, § 812 Rdnr. 134 m. w. N. 20e So für das klassische B-Geschäft Larenz, Festschrift für Michaelis, S. 193, 208 ff.; dazu Münchener-Kommentar-Lieb, § 812 Rdnr. 135 m. w. N.; für eine Rückabwicklung in Form der sog. Kondiktion der Kondiktion Esser, Festschrift für Kern, S. 87, 109 ff.; Canaris, Festschrift für Larenz, S. 799, 838 ff. 207 Siehe C 11 2 a. 208 Vgl. BGH NJW 1973, 452, 454.
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eine Verletzung von Aufklärungspflichten zurückgeschlossen werden. Ein solches Vorgehen müßte den Rahmen des Informationsmodells sprengen. Es kann im übrigen ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß die Praxis klar und verständlich formulierten Aufklärungsanforderungen der -Rechtsprechung umgehend nachkommen würde. Bei einer konsequenten Orientierung des BGH am Informationsmodell und damit an einer Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers wegen geschäftlicher und rechtlicher Unerfahrenheit wäre der Zulassung eines Einwendungsdurchgriffs damit sehr bald der Boden entzogen. c) Zusammenfassung
Ein Rückgriff auf die Schutzkategorien und Kompensationsinstrumente des Informationsmodells ist zunächst überhaupt nur dann möglich, wenn man alle anderen, denkbaren Kriterien der Risikoverlagerung als irrelevant qualifiziert. Als Bezugspunkt eines Informationsdefizits käme dann nur das "Aufspaltungsrisiko", d. h. die Wahl des Vertragstypus "freies Darlehen" als Gegensatz zu einem normalen Abzahlungskauf, in Betracht. Selbst wenn man insoweit eine typische Fehlvorstellung des Kreditnehmers unterstellt, erscheint zweifelhaft, ob dahingehende Informationen realen Einfluß auf die vertragliche Willensbildung hätten. An eine Verletzung derartiger Informationspflichten ließe sich weiterhin kein Einwendungsdurchgriff im technischen Sinne knüpfen; als systemgerechte Rechtsfolge käme ein Aufhebungsanspruch des Kreditnehmers in Betracht. Schließlich kann die geschäftliche Unerfahrenheit konsequenterweise nur solange als Legitimationsbasis bestimmter Korrekturmaßnahmen dienen, wie das festgestellte Informationsdefizit tatsächlich weiterbesteht; wird der Darlehensnehmer in einer verständlichen Weise über die geplante Belastung mit dem Verwendungsrisiko aufgeklärt, dann verbietet sich auf dem Boden des Informationsmodells ein Eingriff in die vertraglichen Vereinbarungen. 5. Zusammenfassung
Die Prämissen der liberalen Verbraucherschutztendenz lassen sich modellhaft, d. h. unter Außerachtlassung aller für eine Umsetzung in praktische Reformprojekte selbstverständlich erforderlichen Differenzierungen, wie folgt kennzeichnen: Die Interessen des Verbrauchers sind grundsätzlich bereits durch funktionierenden Wettbewerb einerseits, die auf dem Prinzip der Privatautonomie beruhende Privatrechtsordnung andererseits, ausreichend geschützt. Staatliche Korrekturen des freien Spiels der am Rechts- und Wirtschaftsverkehr beteiligten Kräfte, d. h. Eingriffe in die Privatautonomie zugunsten des Verbrauchers, sind daher nur dann erforderlich, soweit die Funktionsbedingun-
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c. Das liberale Informationsmodell
gen dieses Systems gestört sind. Dies ist einmal dann der Fall, wenn an verschiedenen Märkten kein ausreichender Wettbewerb herrscht; ein gewisser Schutz des Verbrauchers ergibt sich damit mittelbar bereits als Reflexwirkung einer effektiven Wettbewerbspolitik. Die Funktionsbedingungen von Privatautonomie sind aber vor allem dann gestört, wenn dem Verbraucher zur vernünftigen Wahrnehmung seiner Marktchancen erforderliche Informationen fehlen. Auf dem Hintergrund dieser Prämissen läßt sich die in Rechtsprechung und Lehre vielfach anklingende, an die traditionelle Abgrenzung von Kaufleuten und Nichtkaufleuten anknüpfende Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers wegen rechtlicher und geschäftlicher Unerfahrenheit als typisches Informationsdefizit gegenüber der Marktgegenseite präzisieren. Daraus ergeben sich bestimmte Perspektiven eines liberalen, privatrechtlichen Verbraucherschutzes: Ein rechtlich relevantes, konkret zu bestimmendes Informationsdefizit kann sich auf alle Aspekte rechtsgeschäftlicher Betätigung beziehen. Betrifft es Eigenschaften der Hauptleistung oder die Höhe des Preises, dann ist es grundsätzlich nur durch die Statuierung von Aufklärungspflichten zu kompensieren; geht es um Fehlvorstellungen im Hinblick auf Abwicklungsbedingungen, dann kommt zusätzlich die Eröffnung einer Inhaltskontrolle in Betracht. Bei pflichtwidrigem Unterlassen gebotener Aufklärung ist dem nicht informierten Vertragspartner ein Auflösungsanspruch bzw. Widerrufsrecht zu gewähren, das de lege ferenda in die allgemeine Rechtsgeschäftslehre zu integrieren wäre. Ein Rückgriff auf das Institut der c.i.c. erscheint auf dem Boden der herkömmlichen Schadensdogmatik nicht möglich. Korrekturen der vertraglichen Risikoverteilung beim finanzierten Abzahlungsgeschäft sind nur in engen Grenzen aus einer Unerfahrenheit des Kreditnehmers abzuleiten. Die Zulassung des sog. Einwendungsdurchgriffs läßt sich mit Hilfe der Schutzbedürftigkeitskategorien des Informationsmodells nicht rechtfertigen. Eine Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers wegen geschäftlicher und rechtlicher Unerfahrenheit entfällt, wenn ausreichend deutlich aufgeklärt wurde; ein darüber hinausgehender Schutz, insbesondere eine Anordnung zwingenden Rechts im Hinblick auf ein typisches wirtschaftliches Machtgefälle zwischen Verbraucher und Marktgegenseite, ist mit den Prämissen des Informationsmodells nicht zu vereinbaren.l109 Wirt209 Viele Autoren, die sich ausdrücklich einem liberalen Sozialmodell verpflichtet fühlen, leiten die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers nicht nur aus seiner subjektiven, rechtlichen und geschäftlichen Unerfahrenheit ab, sondern verweisen gleichzeitig auf seine "wirtschaftliche Schwachheit und Unterlegenheit". Während die subjektive Schutzbedürftigkeit, das Informationsdefizit, Anlaß für umfassende, rechtspolitische Überlegungen bildet und damit im Zuge dieser Überlegungen an Präzision gewinnt, gehen diese Autoren auf die von ihnen postulierte, wirtschaftliche Schutzbedürftigkeit kaum jemals ein. Es schwingt ein wenig die Idee der Fürsorge für einkommens-
IH. Kritik
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schaftliche und subjektive Schutzbedürftigkeit sind gedanklich scharf zu trennen. Sie wurzeln in völlig verschiedenen, wie noch zu zeigen sein wird,ll1O weitgehend unvereinbaren gesellschaftspolitischen Konzeptionen. In einem liberalen System ist für ein typisierendes Anknüpfen an wirtschaftliche Unterschiede kein Raum. Die Knapphei1c der Mittel, die den einzelnen Rechtssubjekten zur Verfügung stehen, die Unterschiede in Vermögen und Einkommen, werden vorausgesetzt. Wirtschaftliche Schwachheit im Sinne eines geringen Einkommens kann, wenn bestimmte Grenzen unterschritten werden, Anlaß für fürsorgerische Maßnahmen sein, nicht aber Anknüpfungspunkt für eine allgemeine Reform des Privatrechts bilden. Irr. Kritik: Das Informationsmodell als sachbezogener Korrekturansatz Angesichts der tragenden Bedeutung ausreichender Information für das Funktionieren von Privatautonomie und Marktmechanismus211 erscheint der Korrekturansatz des Informationsmodells ohne weiteres systemkonform. Problematisch ist jedoch der meist ohne weiteres unterstellte Verbraucher- bzw. Personenbezug dieses Rechtsfortbildungskonzepts;212 es stellt sich die Frage, inwieweit Maßnahmen zur Kompensation eines konkreten Informationsgefälles tatsächlich auf bestimmte Personengruppen, insbesondere auf Ve.rbraucher als private Letztabnehmer, beschränkt bleiben dürfen. Das Problem wird unmittelbar deutlich, wenn man die durch die wenig klare politische Diskussion allzu "sozial" belastete und keineswegs eindeutige Formel von der geschäftlichen und rechtlichen Unerfahrenheit213 durch den neutraleren Topos des Informationsdefizits im Hinblick auf willensbildungsrelevante Faktoren ersetzt.214 Ein t.ypisches Informationsgefälle ist nicht nur im Verhältnis zwischen Verbraucher- und Marktgegenseite denkbar: schwache Bevölkerungskreise mit, ohne daß daraus jedoch praktische Konsequenzen gezogen würden. Typisch sind etwa die Ausführungen von Hadding, der sich zwar dieser Schutzbedürftigkeitsbestimmung anschließt (Gutachten, S. 24, 119), in seinen weiteren Ausführungen jedoch nur noch auf eine subjektive Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers eingeht (vgl. die Problemübersicht Gutachten, S. 12 ff.). Auch von Marschall (Gutachten, S. 148) bejaht zwar eine geschäftliche und wirtschaftliche Unterlegenheit, legt dann jedoch die politischen Schwerpunkte ganz überwiegend auf die Kompensation geschäftlicher und rechtlicher Unerfahrenheit (vgl. etwa Gutachten, S. 120 ff., 148 ff.). 210 Siehe D. 211 Siehe dazu C I. 212 Siehe zur Problemstellung A IV. 218 Siehe zur Bedeutung dieser Formel im Rahmen eines liberalen Informationsmodells einerseits C I bei Fn. 14 und eIl bei Fn. 34 ff., zur Funktion dieses Topos im Rahmen eines sozialen Verbraucherschutzmodells andererseits D I bei Fn. 25 f. 214 Siehe C I.
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C. Das liberale Informationsmodell
Auch der Kapitalanleger dürfte vielfach fachlich überfordert sein und infolgedessen die Konsequenzen eines Vertragsabschlusses nicht in vollem Umfang durchschauen; die Problematik der Haftung für falsche oder unterlassene Angaben beim Unternehmenskauf belegt beispielhaft, daß rechtlich relevante Informationsprobleme auch im Bereich gewerblicher Tätigkeit existieren.215 Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf Allgemeine Geschäftsbedingungen; gegenüber AGB ist auch der wirtschaftlich geschulte Vollkaufmann jedenfalls dann hilflos, wenn sie nicht unmittelbar den Kernbereich seiner eigenen wirtschaftlichen Betätigung betreffen; der Großhändler, der einen Computer anschafft, wird die AGB des Verkäufers trotz beruflicher Erfahrung nicht auf Anhieb durchschauen; bei Anschaffung eines Firmenwagens wird er die Tragweite einzelner Klauseln möglicherweise genauso wenig übersehen wie ein Privatmann. Dem entspricht es, daß § 24 AGBG - wie ausführlich dargelegt - ganz überwiegend schutzbedürftigkeitsneutral ausgestaltet ist, die Inhaltskontrolle also grundsätzlich jedermann, auch dem Vollkaufmann, zugutekommen kann. 216 Die Problematik ausreichender Information bzw. einer angemessenen Verteilung der Informationslasten betrifft damit zumindest im Ansatz nicht allein den Verbraucher oder sonstige schutzbedürftige Personengruppen,217 sie stellt sich vielmehr potentiell immer dann, wenn ein Rechtssubjekt rechtsgeschäftlich tätig wird, ohne im Hinblick auf einen konkret abzuschließenden Vertrag über berufliche Spezialkenntnisse zu verfügen. 218 Dabei hängen Art und Umfang eines bestimmten Informationsgefälles weniger von seiner ökonomischen Rolle als Verbraucher, Kapitalanleger oder gewerblich Tätiger als von den sachlichen Besonderheiten des jeweiligen Vertragstypus ab; bei komplizierten und ökonomisch folgenschweren Geschäftsabschlüssen wird der Vertragspartner informationsbedürftiger sein als bei kleineren Alltagsanschaffungen. 219 Es läge daher nahe, typische Informationsprobleme sachbezogen, d. h. im Hinblick auf den betreffenden Vertragstyp, zu lösen und infolgedessen Kompensationsmaßnahmen unter Wahrung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit grundsätzlich allen 'betroffenen Rechtssubjekten gleichermaßen zugutekommen zu lassen.!20 Zumindest würde 115 Siehe die Nachweise Fn. 77 -79, die belegen, daß im Gegenteil der Schwerpunkt der Diskussion gegenwärtig gerade nicht auf der Beziehung zwischen Verbraucher- und Marktgegenseite liegt. 218 Siehe dazu B I 1 C, C 11 2 b. 217 Vgl. Schumacher, S. 77. 218 Vgl. Schumacher, S. 105; dementsprechend gewinnt die "Haftung von Fachleuten" immer mehr an Bedeutung; siehe dazu Grunewald JZ 1982, 627. 218 Vgl. Schumacher, S. 76. 220 So im Ergebnis trotz zahlreicher Differenzierungen wohl auch Schu-
macher, S. 103 f.
III. Kritik
107
eine Beschränkung ihres persönlichen Anwendungsbereichs den Nachweis voraussetzen, daß das konkret auszugleichende Informationsdefizit nur eine bestimmte Personengruppe unter mehreren betrifft. Die Ausbildung eines allgemeinen Sonderprivatrechts für Verbraucher oder eine andere begrenzte Personengruppe läßt sich im Bezugsrahmen des Informationsmodells daher nicht rechtfertigen.
D. Verwendungszweckbezogene Rechtsfortbildung im Rahmen eines sozialen Verbraucherschutzmodells Seit einiger Zeit gewinnen in der Diskussion über die Tragfähigkeit des allgemeinen Privatrechts bzw. die Notwendigkeit seiner Weiterentwicklung unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes Argumentationsansätze und Konzeptionen an Boden, die dem liberalen Sozialmodell des BGB selbst in seiner Weiterentwicklung durch das Informationsmodell kritisch oder sogar ablehnend gegenüberstehen. 1 Ausgangspunkt aller Reformüberlegungen, die sich dieser Verbraucherschutztendenz zuordnen lassen, ist mehr oder minder bewußt die Prämisse, daß sowohl das Leitbild des homo oeconomicus als auch das Marktparadigma zunehmend an überzeugungskraft verlieren. Die Vorstellung, daß eine dezentralisierte Güterverteilung, funktionierender Wettbewerb und freie Betätigung der einzelnen, informierten Rechtssubjekte an den verschiedenen Märkten grundsätzlich "automatisch" eine angemessene Allokation der volkswirtschaftlichen Ressourcen sowie eine optimale Versorgung des Verbrauchers mit den benötigten und erwünschten Gütern gewährleistet, wird als Fiktion qualifiziert.1I Ihr wird in letzter Konsequenz unter Berufung auf sozialwissenschaftliche Untersuchungen einerseits,3 marxistisches Gedankengut andererseits,· die "Realität" einer Gesellschaft entgegengesetzt, in der nicht konkurrierende Individuen, sondern gesellschaftliche Gruppen bzw. Klassen um Durchsetzung ihrer antagonistischen Interessen kämpfen und in der infolgedessen weite Bevölkerungskreise der findigen, organisierten und in großem Umfang kapitalmäßig verflochtenen und vermachteten Unternehmerseite hilflos ausgeliefert sind.5 1 Vgl. schon Ramm, Vertragsfreiheit Instrument der Ausbeutung?; grundlegend Reich ZRP 1974, 187; K. Simitis, Verbraucherschutz, insbesondere S. 97 ff.; Reich / Tonner / Wegener, Verbraucher und Recht, insbesondere S. 19 ff.; Reich, Markt und Recht, S. 218 ff.; Reich / MickHtz, Verbraucherschutzrecht, S. 1 ff.; Damm JZ 1978, 173; Reifner, Verbraucherverschuldung; Bender NJW 1980, 1129; GiHes JA 1980, 1; E. Schmidt JZ 1980, 153; Landfermann RabelsZ 45 (1981), 124; Joerges, Verbraucherschutz, insbesondere S. 17 ff.; zur Problematik der Zuordnung einzelner Stellungnahmen siehe bereits C Fn. 1; zu den methodisch-rechtstheoretischen Differenzen innerhalb dieser Verbraucherschutztendenz siehe A Fn. 74. ! Besonders aufschlußreich E. Schmidt JZ 1980, 153, 154 ff.; Joerges, Verbraucherschutz, S. 17 ff., insbesondere S.40 ff.; vgl. aber bereits Reich ZRP 1974, 187, 190. 8 Vgl. insbesondere Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 204 ff. 4 Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 68 ff.
1. Die Angewiesenheit des Verbrauchers auf Konsum
109
I. Kritik des liberalen Sozialmodells: Typische wirtschaftliche Unterlegenheit des Verbrauchers aufgrund seiner Angewiesenheit auf Konsum Ansatz für Kritik und Korrektur der geltenden Rechtsordnung ist auch für die soziale Verbraucherschutztendenz neben dem Privateigentum an Produktionsmitteln6 die Parität zwischen den vertragschließenden Parteien als tragender Funktionsbedingung privatautonomer Gestaltungsfreiheit.7 Während das Informationsmodell diese bei funktionierendem Wettbewerb und ausreichender Aufklärung grundsätzlich gewährleistet sieht, bestreitet die soziale Verbraucherschutztendenz generell die Existenz eines solchen Gleichgewichts im Verhältnis von Verbraucher- und Marktgegenseite. Teilweise wird mehr oder minder bewußt eine typische, wirtschaftliche Unterlegenheit des Verbrauchers bereits daraus abgeleitet, daß er in der Praxis keinerlei Einfluß auf die inhaltliche Gestaltung eines Vertrags hat; man glaubt, das Fehlen von Parität schon im Hinblick darauf nachweisen zu können, daß der Verbraucher so gut wie immer mit einem in allen Details vorformulierten Angebot konfrontiert wird, eine Verhandlung über Preis oder sonstige Vertragsbedingungen von vornherein aussichtslos erscheint. Die Einheitlichkeit der Vertragsabwicklung wird auf die konzentrierte Kapitalkraft des Anbieters zurückgeführt; diese erlaube es ihm, dem nur über ein begrenztes Einkommen verfügenden und daher wirtschaftlich schwachen Verbraucher seine Bedingungen zu diktieren. 8 Diese Argumentation, die Privatautonomie ohne weiteres mit Inhaltsgestaltungsfreiheit gleichsetzt, muß sich zunächst den naheliegenden Einwand entgegenhalten lassen, daß ein individuelles Aushandeln von Verträgen in größerem Umfang nur unter primitiven ökonomischen Bedingungen denkbar ist und vermutlich bereits zum Zeitpunkt der Entstehung des BGB nicht mehr die Regel war. Die Zurückdrängung des individuell gestalteten Einzelvertrags zugunsten einer abstrakten VorI Vgl. insbesondere die Kennzeichnung der Realität durch Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 31 ff.; andere Akzente setzt etwa E. Schmidt JZ 1980, 153, 158. , Vgl. etwa Reifner, Verbraucherverschuldung. S. 68 ff., 93. 7 Vgl. insbesondere E. Schmidt JZ 1980, 153, 155 ff.; Bender NJW 1980, 1129, 1131; zur wechselbezüglichen Abhängigkeit von Privateigentum, Privatautonomie und Orientierung an einem liberalen Sozialmodell kritisch aus historischer Sicht Kaiser KJ 1976, 60; vgl. zu diesen Zusammenhängen auch Knieper KJ 1977, 147; Mückenberger KJ 1971, 248; Hart KJ 1974, 274. 8 Vgl. etwa Bender NJW 1980, 1129, 1131; dieser Ansatz stammt aus der Diskussion der Inhaltskontrolle von AGB; vgl. Ramm, S. 40; Bastian I Böhm BB 1974, 110; Nicklisch BB 1974, 941, 944; Reich I Micklitz, Verbraucherschutzrecht, S. 288.
110
D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
formulierung des Vertragsinhalts durch den Anbieter erscheint angesichts der massenhaften Abwicklung typischer Verbrauchergeschäfte schon aus Gründen der Effektivität und Praktikabilität als sachlich notwendiger Prozeß, der mit dem Problem unterschiedlicher wirtschaftlicher Macht in keinem unmittelbaren Zusammenhang steht. 9 Darüber hinaus erscheint aber auch problematisch, ob eine "Kapitalakkumulation" auf der Anbieterseite überhaupt für sich genommen bereits eine besondere Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers begründen und damit die überzeugungskraft des liberalen Sozialmodells erschüttern kann. Zum einen stehen sich auch und gerade im kaufmännischen Verkehr häufig Vertragspartner unterschiedlicher Kapitalkraft und Finanzausstattung gegenüber; diesbezügliche Unterschiede stellen also keine Eigenart gerade des Verhältnisses zwischen Verbraucher- und Marktgegenseite dar und können daher schon deshalb keine Sonderbehandlung des Verbrauchers rechtfertigen. 10 Entscheidend ist jedoch, daß Parität im Sinne des liberalen Sozialmodells nicht notwendig eine Gleichgewichtigkeit der ökonomischen und sozialen Ausgangspositionen voraussetzt; das Postulat formal-abstrakter Gleichheit der Rechtssubjekte bezieht sich gerade nicht auf Einkommen und Vermögen, sondern allein auf die Fähigkeit und Bereitschaft, von den mehr oder minder knappen Mitteln einen vernünftigen Gebrauch zu machen; es wird unterstellt, daß alle Rechtssubjekte unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Gesamtsituation in der Lage sind, ihre Bedürfnisse und Erwerbspräferenzen auf die verfügbaren Mittel einerseits, die Angebote am Markt andererseits abzustimmen und dann frei zu entscheiden. tl DieseArt von Parität wird jedoch weder durch eine Konzentration von Kapital auf der Anbieterseite noch durch eine Vorformulierung des Vertragsinhalts tangiert. Beurteilt der Verbraucher die Relation zwischen angebotener Leistung und gefordertem Preis unter Würdigung aller ihm relevant erscheinender Faktoren insgesamt als angemessen, dann wird er das Angebot annehmen. Diese Entscheidung ist dann kein Akt der Unterwerfung oder Ausdruck hilfloser Unterlegenheit, sondern beinhaltet eine positive Wahrnehmung von Vertragsfreiheit. Hält der Verbraucher den geforderten Preis für zu hoch, dann besteht zwar kaum eine Chance, daß sich der Anbieter auf Verhandlungen einläßt oder gar von seinem Standpunkt abrückt. Dies bedeutet jedoch insofern , Vgl. Koch I Sffibing, AGBG, Einleitung Rdnr. 8; ebenso zur parallelen, arbeitsrechtlichen Problematik Zöllner AcP 176 (1976), 221, 230 ff., 233 ff. m.w.N. 10 Besonders prägnant Ulmer, Referat, H 21 ff. n Siehe B II 2 a.
1. Die Angewiesenheit des Verbrauchers auf Konsum
111
wiederum nicht, daß er dem "wirtschaftlich mächtigen" Anbieter hilflos ausgeliefert ist, als er die Freiheit hat, von dem ursprünglich in Aussicht genommenen, konkreten Vertragsschluß Abstand zu nehmen. Er kann auf ein günstigeres Konkurrenzangebot ausweichen; ist ein solches nicht vorhanden, so kann er sich für den Erwerb eines anderen Gutes entscheiden, das zur Befriedigung des betreffenden Bedürfnisses geeignet erscheint. Fehlt es auch an aus seiner Sicht akzeptablen Substitutionsmöglichkeiten, dann bleibt ihm die Möglichkeit, die Erwerbsentscheidung aufzuschieben und auf die Bedarfsdeckung zunächst ganz zu verzichten. Eine solche negative Ausübung von Vertragsfreiheit kann - wenn genug Konsumenten seine Einschätzung teilen - wiederum zu einer Senkung des Preises und möglicherweise auch zu einer Verbesserung der Angebotsstrukturen führen. Damit kommt der Freiheit, Verträge nicht abzuschließen, in der Systematik des liberalen SozialrnodelIs tragende Bedeutung zu: Sie gewährleistet einerseits Parität zwischen Vertragspartnern unterschiedlicher, wirtschaftlicher Stärke und damit auch zwischen Verbraucher- und Marktgegenseite, andererseits das Funktionieren des Markt- und Preismechanismus. Auf dem Hintergrund dieser überlegungen erscheint es folgerichtig, daß sich in der Literatur eine Tendenz abzeichnet, die das Postulat der formal-abstrakten Gleichheit der Rechtssubjekte als Problem der realen Möglichkeiten eines Konsumverzichts begreift und mit der Kritik des liberalen Sozialmodells unmittelbar an der Vorstellung ansetzt, der Verbraucher könne frei entscheiden, ob er Verträge abschließen wolle oder nicht. 12 Es wird zwar eingeräumt, daß er nicht gezwungen werden kann, mit einem bestimmten Anbieter zu kontrahieren;13 diese Freiheit wird jedoch als ideologisch verbrämte Scheinfreiheit qualifiziert. Die das liberale Sozialmodell insgesamt kennzeichnende Isolierung einzelner Warenaustauschbeziehungen aus ihrem sozialen Kontext verhindere auch in diesem Zusammenhang eine angemessene Beurteilung der Realität; die Gleichsetzung von Privatautonomie mit negativer Abschlußfreiheit gegenüber einzelnen Anbietern verstelle den Blick dafür, daß es dem Verbraucher gegenüber der Gesamtheit der Anbieter an einem materiellen Entscheidungsspielraum fehle. Die Befriedigung seiner Bedürfnisse sei nicht aufschiebbar; er könne auf ein Dach über dem Kopf, auf Möbel, Nahrung und Kleidung nicht verzichten;14 infolgedessen reduziere sich seine Freiheit darauf, unter mehreren, ihm mögli11 Vgl. insbesondere Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 199 ff., insbesondere S. 202 ff., 209; ähnliche Überlegungen finden sich aber auch bereits in der Diskussion der AGB-Problematik; vgl. die bemerkenswerte Kontroverse zwischen Lindacher BB 1972, 296, insbesondere 299 einerseits, Brandner JZ 1973, 613, insbesondere 616 andererseits. 13 Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 202. 14 Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 206 ff.
112
D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
cherweise sämtlich unangemessen erscheinenden Angeboten auszuwählen. 15 Da er somit zur Sicherung der persönlichen Reproduktion gezwungen sei, Verträge abzuschließen, bliebe ihm letztlich doch nichts anderes übrig, als sich den Bedingungen der Anbieterseite zu unterwerfen. Damit stehe er jedoch auch dem einzelnen Vertragspartner nicht mehr gleichgewichtig gegenüber; es fehle an der entscheidenden Funktionsbedingung von Privatautonomie und Marktmechanismus.l\l Dieser Argumentation läßt sich allerdings bei unbefangener Betrachtungsweise entgegenhalten, daß ein solcher Zwang, Verträge abzuschließen, nur in sehr begrenztem Umfang, d. h. im Hinblick auf die unmittelbar lebensnotwendigen Verbrauchsgüter wie etwa Wohnung und Grundnahrungsmittel, besteht. Gegenüber diesem naheliegenden Einwand wird jedoch in der Literatur auf die ökonomischen und psychologischen Strukturen der kapitalistisch organisierten Konsumgesellschaft verwiesen. Durch aggressive Werbung würde die vom liberalen Sozialmodell unterstellte Fähigkeit zur vernünftigen Abwägung herabgesetzt bzw. sogar aufgehoben. Gezielte Manipulation verdränge Preis- und Qualitätsbewußtsein und verhindere die autonome Entwicklung individueller BedürfnispräferenzenP Dabei bestehe ein wesentlicher Teil der Absatzstrategie darin, gerade höherwertige Verbrauchsgüter wie Farbfernsehgerät, PKW, Urlaubsreise, auf die man objektiv möglicherweise verzichten könnte, als unentbehrlich zu suggerieren. 18 Der Erfolg dieses Vorgehens sei darauf zurückzuführen, daß gegenwärtig Sozialprestige, Kommunikation und Selbstwertgefühl wesentlich das Erreichen eines bestimmten Lebensstandards voraussetzten. Der Verzicht auf Erwerb bestimmter Güter könne nur um den Preis einer Außenseiterposition durchgehalten werden. ll Die soziale Sanktionierung des Konsumverzichts werde wiederum durch gruppenbezogene Werbung gezielt verstärkt; die Anbieterseite versuche, beim Verbraucher ein Gefühl des "Mithaltenmüssens" hervorzurufen und präge auf diese Weise entscheidend die gesellschaftlichen Leitbilder der Bedürfnisbefriedigung.20 Aufgrund dieser Wechselwirkung von Werbung und Gruppendruck entstehe auch über den Bereich der unmittelbaren ReifneT, Verbraucherverschuldung, S. 209. ReifneT, Verbraucherverschuldung, S. 218. 17 ReifneT, Verbraucherverschuldung, S. 156 ff.; K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 103 ff., 107 ff. 18 ReifneT, Verbraucherverschuldung, S. 157; K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 103 ff. 18 Reifner, Verbiraucherverschuldung, S. 207; ReifneT bezeichnet u. a. die Autolosen als "eine Gruppe sozial Benachteiligter, da die allgemeine, hohe 15 18
Wertschätzung des Autos das Urteil über die menschlichen Qualitäten des Autofahrers mitbestimme"; siehe auch K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 105. 20 ReifneT, Verbraucherverschuldung, S. 208.
I. Die Angewiesenheit des Verbrauchers auf Konsum
113
Lebensbedürfnisse hinaus ein Konsumzwang, der es verbiete, den Verbraucher als gleichgewichtigen Partner der jeweiligen Marktgegenseite anzusehen.21 Dies gelte um so mehr, als das verfügbare Einkommen eines Durchschnittshaushalts auch nicht annähernd ausreiche, die zum großen Teil künstlich erzeugten Bedürfnisse zu befriedigen. Dieser Konsumzwang ziehe notwendig einen Kreditaufnahmezwang nach sich und treibe daher weite Teile der einkommensschwachen Bevölkerung iri eine unerträgliche Verschuldung und damit in eine noch größere Abhängigkeit. 22 Aus diesen überlegungen läßt sich nunmehr unmittelbar eine Präzision der Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers in einem sozialen Verbraucherschutzmodell ableiten: Seine typische Unterlegenheit, die ihn vom Leitbild des liberalen Sozialmodells, dem homo oeconomicus, unterscheidet, resultiert daraus, daß er faktisch selbst dann nicht die Möglichkeit hat, sich ökonomisch vernünftig zu verhalten, wenn er umfassend informiert ist. Ursache der die Richtigkeitsgewähr privatautonom geschlossener Verträge in Frage stellenden Paritätsstörung im Verhältnis von Verbraucher und Marktgegenseite ist also das Fehlen realer Alternativen. Die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers, die möglicherweise eine Durchbrechung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit rechtfertigt, ergibt sich letztlich aus seiner Angewiesenheit auf Konsum. 23 Da diese Schutzbedürftigkeit sowohl auf objektiv-wirtschaftlichen Ursachen als auch auf sozialpsychologischen Bedingtheiten beruht,24 liegt es nahe, sie als "wirtschaftliche Unterlegenheit und geschäftliche Unerfahrenheit" zu kennzeichnen.25 Dabei kommt dem Topos der geschäftlichen Unerfahrenheit in diesem Zusammenhang jedoch eine völlig andere Bedeutung zu als im Bezugsrahmen eines Informationsmodells. Unerfahrenheit bezeichnet hier nicht ein typisches Informationsdefizit, d. h. die Unkenntnis bestimmter willensbildungsrelevanter Umstände, sondern die Unfähigkeit, sich auf der Grundlage von Informationen vernünftig zu verhalten. 2u 21 22
Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 218. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 111 f., 202 ff., insbesondere S. 209.
23 Der Topos der "Angewiesenheit auf Konsum" wird bisher in der allgemeinen Verbraucherschutzdiskussion nicht ausdrücklich problematisiert, durchzieht jedoch als roter Faden der Sache nach die gesamte, dem liberalen Sozialmodell kritisch gegenüberstehende Literatur; vg1. die beiläufige Kennzeichnung der Verbrauchersituation bei Damm JZ 1978, 173 Fn. 1; Eberstein BB 1974, 1185, 1186 1. Sp.; Reifner, Verbraucherverschuldung, insbesondere S. 410 f.; zur Bedeutung des Kriteriums "Angewii!Senheit auf Kredit" für die Einwendungsproblematik vg1. unten D II 5 a. 2t Vg1. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 209. 25 Auf diese Formel wird zu Unrecht gerade auch von Vertretern eines liberalen Verbraucherschutzes häufig zurückgegriffen; vgl. dazu A Fn. 50, C Fn.14.
8 Dauner-Lieb
114
D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
Die Schutzbedürftigkeitsbestimmung der sozialen Verbraucherschutztendenz entspricht in vieler Hinsicht den Wertungen, auf die Ausbildung und Aufrechterhaltung eines besonderen Wohnungsmietrechts gestützt werden.27 Während jedoch den an den Verwendungszweck "Wohnen" anknüpfenden Regelungen für sich genommen kein Maßstab für Relevanz und Verallgemeinerungsfähigkeit des Gesichtspunkts einer erhöhten Angewiesenheit auf den Vertragsgegenstand entnommen werden konnte, läßt nun seine Einordnung in eine umfassende Kritik des liberalen Sozialmodells gewisse Schlußfolgerungen auf Reichweite und denkbaren sachlichen Gehalt eines an diese Art der Schutzbedürftigkeit anknüpfenden Verbraucherschutzes zu: Die These, der Verbraucher habe grundsätzlich weder wirtschaftlich noch subjektiv die Möglichkeit, sich ökonomisch vernünftig im Sinne des liberalen Sozialmodells zu verhalten, stellt Funktionsfähigkeit und Gerechtigkeitsgehalt des gesamten geltenden Privatrechts in Frage. Eine konsequent daran anknüpfende Verbraucherschutzpolitik kann sich infolgedessen anders als das Informationsmodell nicht auf eine marktwirtschaftskonforme Anpassung des Privatrechts an die aufgrund fortgeschrittener Industrialisierung und Arbeitsteilung veränderten wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen beschränken;28 ihr kommen vielmehr weit über die Herstellung von Wettbewerb und Markttransparenz hinausgehende Funktionen zu; sie zielt darauf ab, im Verhältnis von Verbraucher- und Marktgegenseite den als Herrschaftsinstrument des Kapitals "entlarvten" Markt- und Preismechanismus zu steuern bzw. ganz oder teilweise durch andere Institutionen und Verfahren zu ersetzen.:!9 Insoweit herrscht zwar unter denjenigen, die ausdrücklich oder der Sache nach eine wirtschaftliche Unterlegenheit des Verbrauchers aufgrund seiner Angewiesenheit auf Konsum anerkennen, weitgehend Einigkeit. Wenig Klarheit besteht dagegen über den konkreten Inhalt dieser Zielvor28 Damit kommt auch der Verbraucheraufklärung eine andere Funktion zu; entlarvend insoweit K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 38 zur Aufgabe der Stiftung Warentest: "Die öffentliche Warenkritik darf nicht auf die nur noch ökonomisch verstandene Aufgabe, den Verbraucher über die Eigenschaften der Ware zu informieren, beschränkt werden. Für den Verbraucherschutz ist es im Endergebnis viel wichtiger, die Auseinandersetzung über die mittels Kapitaleinsatz aufgerichteten Normen menschlichen Zusammenlebens zu führen, als im Einzelfall über objektive Testergebnisse zu berichten." 27 Siehe B I 2. 28 Vgl. den außerordentlich erkenntniserhellenden Versuch Reifners, Verbraucherverschuldung, S. 33 ff., so gut wie sämtliche aktuelle, privatrechtliche Problemfelder als Einbruch sozialer Inhalte in die traditionelle, d. h. am liberalen Sozialmodell orientierte Zivilrechtsdogmatik zu deuten. n Dies schließt einen zusätzlichen Rückgriff auf die Instrumente des liberalen Informationsmodells nicht grundsätzlich aus; für eine Verzahnung von "marktkomplementären" und "marktkompensatorischen" Maßnahmen insbesondere Reich, Markt und Recht, S. 217.
1. Die Angewiesenheit des Verbrauchers auf Konsum
115
stellung sowie über die Instrumente einer Realisierung. Es fehlt - und das ist angesichts der Spannweite des gedanklichen Ansatzes auch gar nicht erstaunlich - bisher an einem umfassenden, alternativen Gegenentwurf zum geltenden, liberalen Wirtschaftsrecht;30 teilweise wird die konzeptionelle Erarbeitung eines solchen Entwurfs sogar für unmöglich und auch gar nicht wünschenswert gehalten; alternative Rechtsstrukturen sollen sich vielmehr allmählich durch kontinuierliche Zusammenarbeit aller an der juristischen Diskussion beteiligten progressiven Kräfte in Justiz, Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft, d. h. in einem "Entdeckungsverfahren Praxis", herausbilden. 31 Das erklärt, daß sich die Reformüberlegungen bisher überwiegend auf einzelne, wichtige Problemfelder konzentrieren. So wird u. a. eine Gegenrnachtbildung durch Organisation der Verbraucherinteressen einerseits,32 eine überprüfung des ursprünglich ebenfalls am Leitbild des souveränen Konsumenten ausgerichteten Wettbewerbsrechts andererseits,33 verlangt. Teilweise wird vorgeschlagen, bestimmte Formen der Werbung mit zivilrechtlichen Sanktionen zu belegen und so wirkungsvoll zu unterbinden. 34 Im Hinblick auf das allgemeine Privatrecht entspricht der Kritik der tragenden Prämissen des liberalen Sozialmodells - auch dies rechtfertigt die Kennzeichnung dieser Tendenz als soziales Verbraucherschutzmodell - zum Teil die ausdrückliche, auf das Sozialstaatsprinzip gestützte Forderung35 nach einer Ablösung des Formalrechts durch inhaltliche, die soziale Wirklichkeit einbeziehende Regelungen zum Schutze des Verbrauchers;36 langfristig wird eine partielle Ersetzung der all30 Ansätze dazu allerdings in der zwar auf die Problematik des Konsumentenkredits zugeschnittenen, in weiten Bereichen jedoch verallgemeinerungsfähigen Arbeit Reifners. 31 Joerges, Verbraucherschutz, insbesondere S. 129 ff. S2 Vgl. Reich ZRP 1974, 187, 193; K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 156 f. Skeptisch allerdings gegenüber einem Verbraucherschutz durch Verbraucherverbände, S. 211 ff.; Reich / Tonner / Wegener, Verbraucher und Recht, S. 221 ff.; Reich, Markt und Recht, S. 221 ff. 33 Vgl. Reich ZRP 1974, 187, 191; Reich ZVP 1977, 227; zu den wettbewerbsrechtlichen Konsequenzen der Kritik des liberalen Sozialmodells sowie aktuellen dahingehenden Entwicklungen J oerges, Verbraucherschutz, S. 40 ff. 34 Umfassend dazu Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, m. w. N. 35 Vgl. Reifne.r, Verbraucherverschuldung, S. 98; E. Schmidt JZ 1980, 153, 156; Hart KJ 1974, 274; Damm JZ 1978, 173, 176. 38 Vgl. insbesondere Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 91 ff., 92. "Dem Prinzip des Individualismus ist das Prinzip der Kollektivität, der Isolation die Gesellschaftlichkeit, der Tausch- und Gewinnbezogenheit das Interesse an Gebrauchswert und Nutzen, dem Egoismus die Solidarität und der Statik das Verständnis gesellschaftlichen Fortschritts entgegenzusetzen." Siehe auch E. Schmidt JZ 1980, 153, 155 ff.; zum Problem sozialstaatlicher Materialisierung auch Hart KJ 1974, 274.
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D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
gemeinen Regelungen durch ein eigenständiges, andersartigen Strukturprinzipien folgendes Sonderprivatrecht für Verbraucher als private Letztabnehmer angestrebt.lI? Damit stellt sich die Frage nach konkreten Perspektiven einer dahingehenden sonderprivatrechtlichen Entwicklung. Im folgenden soll daher versucht werden, denkbare, praktische Konsequenzen der grundsätzlichen Kritik des liberalen Sozialmodells aufzuspüren. 11. Perspektiven einer privatrechtIichen Kompensation der Angewiesenheit des Verbrauchers auf Konsum Die soziale Verbraucherschutztendenz geht davon aus, daß sich der Verbraucher aufgrund seiner teils objektiv-wirtschaftlich, teils sozialpsychologisch bedingten Angewiesenheit auf Konsum auf Bedingungen einläßt und einlassen muß, die ein gleichgewichtiger Vertragspartner nicht hinnehmen würde und leugnet infolgedessen eine Richtigkeitsgewähr von Verträgen zwischen Verbraucher- und Marktgegenseite. Damit wird der klassischen Privatautonomie insoweit generell Tragfähigkeit und Legitimation abgesprochen. Eine an diese überlegungen anknüpfende Verbraucherschutzpolitik muß daher im privatrechtlichen Bereich in erster Linie darauf hinarbeiten, die Vertragsfreiheit durch Verfahren und Institutionen zu ergänzen bzw. teilweise sogar zu ersetzen, die geeignet sind, den Interessen des unterlegenen Verbrauchers Geltung zu verschaffen. Dabei kommen für die verschiedenen Teilaspekte rechtsgeschäftlicher Betätigung unterschiedliche Kompensationsinstrumente in Betracht. 1. Relativierung des Grundsatzes "pacta sunt servanda" durch Einräumung genereller Widerrufs- und Rücktrittsrechte Im Bezugsrahmen der sozialen Verbraucherschutztendenz kann bereits der durch Abgabe einer Willenserklärung manifestierten Entscheidung des Verbrauchers für ein bestimmtes Leistungsangebot und damit dem Grundsatz pacta sunt servanda nicht das gleiche Gewicht zukommen wie in einer ausschließlich an einem liberalen Sozialmodell orientierten Privatrechtsordnung.
37 So ausdrücklich Reich ZRP 1974, 187; Damm JZ 1978, 173; Landfermann RabelsZ 45 (1981), 124; Reifner, Verbraucherverschuldung, insbesondere S. 407 ff.; diese Forderung richtet sich sowohl an den Gesetzgeber (vgl. den Gesetzgebungsvorschlag Reifners, S. 423 ff.), als auch an den Richter, der im Wege der sozialen Auslegung das traditionelle, dogmatische Instrumentarium mit neuem Inhalt füllen soll (vgl. Reifner, S. 91 ff.).
H. Perspektiven der Kompensation wirtschaftlicher Unterlegenheit 117 Nach dem geltenden, allgemeinen Vertragsrecht muß sich der Einzelne an seinen Willenserklärungen grundsätzlich uneingeschränkt festhalten lassen. Auch diese Regelung ist unmittelbar auf das liberale Leitbild des homo oeconomicus zurückzuführen. Sie beruht auf der Vorstellung, daß jedes geschäftsfähige Rechtssubjekt die Chance hat, sich ökonomisch vernünftig zu verhalten, d. h. selbstverantwortlich zu entscheiden, ob der in Aussicht genommene Vertragsschluß seinen Interessen entspricht, oder ob er die Erwerbsentscheidung zunächst aufschieben will. Fehlentscheidungen werden dementsprechend seinem Risikobereich zugerechnet; es wird infolgedessen unwiderleglich vermutet, daß einem Vertragsschluß eine aus der Sicht der Vertragspartner ausreichende Reflexion des pro und contra vorausgegangen ist.38 Demgegenüber geht die soziale Verbraucherschutztendenz davon aus, daß der Verbraucher vielfach keine reale Möglichkeit hat, VOT Abgabe einer Willenserklärung die für eine interessengerechte Abwägung erforderlichen Erwägungen anzustellen. Sie sieht eine der kompensationsbedürftigen Auswirkungen seiner Angewiesenheit auf Konsum darin, daß er typischerweise übeTeilt vertragliche Bindungen eingeht: Er wird gerade, wenn er ein bestimmtes Gut, etwa eine Wohnung, ein Kfz, ein Darlehen, besonders dringend benötigt, eher geneigt sein, das erstbeste, möglicherweise ungünstige Angebot anzunehmen, als sich zunächst einen Einblick in die Marktverhältnisse zu verschaffen; er wird vielfach der gezielten Verlockung der Angebotsseite allzu schnell nachgeben und infolgedessen eine Erwerbsentscheidung zugunsten eines Gutes fällen, das er objektiv nicht braucht, oder das er sich nicht leisten kann.31I Geht man mit der Kritik des liberalen Sozialmodells davon aus, daß durch Absatzstrategie und Werbung gezielt die Hemmschwelle des Verbrauchers herabgesetzt, eine Konsumabhängigkeit weit über den Bereich unmittelbar lebensnotwendiger Güter hinaus erzeugt wird, dann erscheinen auch solche übereilte Fehlentscheidungen pem Verbraucher nicht in vollem Umfang zurechenbar, die nicht auf wirtschaftlicher Not beruhen. Die Schutzbedürftigkeitsbestimmung der sozialen Verbraucherschutztendenz rechtfertigt daher die Entwicklung von Rechtsinstituten, die dem Verbraucher abweichend von den Regelungen des allgemeinen Privatrechts die Befugnis einräumen, sich in einem gewissen zeitlichen Rahmen von vorschnell abgegebenen Willenserklärungen zu distanzieren, wenn etwa die ökonomische Vernunft doch noch den Sieg über Gruppendruck und Verlockung der Werbung davongetragen oder wenn sich eine angemessenere Möglichkeit gefunden hat, einen objektiv unaufschiebbaren Bedarf zu decken. Rechtstechnisch 38 Siehe dazu B H. n Siehe dazu D I.
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D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
ließe sich ein solcher Schutz vor Vbereilung durch Statuierung zeitlich begrenzter Widerrufs- oder Rücktrittsrechte realisieren. 4o Auf dem Hintergrund dieser überlegungen lassen sich etwa die 197441 in das Abzahlungsgesetz eingefügten §§ 1 b - d 42 als Versuch eines sozialen Verbraucherschutzes verstehen. Sie gewähren dem Abzahlungskäufer das Recht, seine auf Vertragsschluß gerichtete Willenserklärung binnen einer Woche zu widerrufen und geben ihm damit die Möglichkeit, seine u. U. übereilt getroffene Entscheidung noch einmal zu überdenken. Dieses Widerrufsrecht ist an keine besonderen Voraussetzungen gebunden; es ist insbesondere nicht auf Haustürgeschäfte beschränkt.43 Damit kann jedoch die unbestreitbar problematische Lage des Verbrauchers. der ohne eigene Initiative zu Hause oder am Arbeitsplatz aufgesucht und zum Vertragsschluß gedrängt wird, nur zu einem geringen Teil die Regelung der §§ 1 b - d Abzahlungsgesetz erklären;44 ein allein auf Kompensation solcher situationsbedingter Beeinträchtigungen" der Willensbildungsfreiheit zielendes, sachbezogenes" und damit systemkonformes Widerrufsrecht47 dürfte im übrigen Bargeschäfte nicht ausklammern. 48 40 Vgl. umfassend und kritisch zu den Notwendigkeiten und Möglichkeiten eines Schutzes vor Übereilung von Marschall, Gutachten, S. 122, 170 ff.; Hadding, Gutachten, S. 190 ff.; Medicus, Gutachten, S. 522 ff. u 2. Änderungsgesetz vom 15.5. 1974 (BGBL I 1169). 4t Zu den Problemen der rechtstechnischen Ausgestaltung vgl. MünchenerKommentar-H. P. Westermann, AbzG, § 1 b Rdnr. 2 ff.; Erman-Weitnauer / Klingsporn, AbzG, § 1 b Rdnr. 4 ff.; Klauss / Ose, AbzG, Rdnr. 279 ff.; von Marschall, Gutachten, S. 172 ff. 43 Löwe NJW 1974, 2257; Erman-Weitnauer f Klingsporn, AbzG, § 1 b Rdnr. 1 f.; Münchener-Kommentar-H. P. Westermann, AbzG, § 1 b Rdnr. 1; Klauss / Ore;ltbzG, § 1 b Rdnr. 276ff.; von Marschall, Gutachten, S. 170ff.; Hadding, Gutachten, S. 193 f. 44 Vgl. die polemische Kennzeichnung bei Klauss f Ose, AbzG, Einl. Rdnr. 9, "vom Schutz des Käufers gegen Verkäufer zum Schutz des Käufers gegen sich selbst"; auch der Versuch einer Verteidigung der Regelung durch Reich JZ 1975, 550, 552 wird erst im Bezugsrahmen der sozialen Verbraucherschutztendenz plausibel. 45 Vgl. die Kennzeichnung Haddings, Gutachten, S. 190, 193 f. 48 Siehe zur Unterscheidung zwischen sach- und personenbezogenen Regelungsansätzen A IV. 47 Es wäre etwa denkbar, den Tatbestand des § 123 BGB sachbezogen und damit systemkonform um den generellen Tatbestand der Überrumpelung zu ergänzen; so etwa im Ergebnis Medicus, Gutachten, S. 530 ff., der sich allerdings für eine Anbindung an die §§ 305 ff. ausspricht; zur Problematik des systematischen Standorts "verbraucherschützender" Widerrufsrechte siehe bereits oben C Ir 3 c, insbesondere Fn. 74; im Rahmen einer solchen Regelung, in der möglicherweise auch § 56 I Nr. 6 GewO aufgehen könnte, bedürfte es dann keiner Begrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs, da die Schutzbedürftigkeit aus den Umständen des Vertragsschlusses und nicht aus Eigenschaften oder Rollen der betroffenen Rechtssubjekte abgeleitet würde; so im Ansatz auch Medicus, Gutachten, S. 526; zu neueren Gesetzgebungstendenzen im Bereich der Haustürgeschäfte vgl. Jung ZRP 1981,137.
II. Perspektiven der Kompensation wirtschaftlicher Unterlegenheit 119 Der weite Anwendungsbereich der §§ 1 b - d, der durch die Rechtsprechung im Wege einer extensiven Auslegung des § 6 AbzG bzw. des Begriffs des "finanzierten Abzahlungsgeschäfts" noch ausgedehnt wird,49 läßt sich daher nur rechtfertigen, wenn man davon ausgeht, daß der einen Kredit in Anspruch nehmende Verbraucher generell, d. h. situationsunabhängig, unfähig ist, sofort und endgültig eine vernünftige Erwerbsentscheidung zu treffen. Damit sind bereits die §§ 1 b - d Abzahlungsgesetz mit den Prämissen eines marktwirtschaftlich liberalen Sozialmodells nicht ohne weiteres zu vereinbaren. 50 Für die teilweise geforderte Einräumung eines allgemeinen, an keinerlei sachbezogene Voraussetzungen gebundenen Widerrufsrechts für Konsumentenkredite51 wäre jedenfalls nur in einem sozialen Verbraucherschutzmodell Raum. 2. Verbot sozialpolitisch unerwünschter Geschäftstypen
In einer am liberalen Leitbild des homo oeconomicus orientierten Rechtsordnung ist selbstverständlich, daß das einzelne Rechtssubjekt selbstverantwortlich darüber zu entscheiden hat, wie es seine knappen Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse einsetzt; ob ein Bedarf nach bestimmten Waren und Dienstleistungen besteht und ob diesen Gütern infolgedessen Geldwert zukommt, wird daher allein aus der Sicht der Nachfrager beurteilt und bleibt einer Kontrolle durch übergeordnete Instanzen entzogen.52 Demgegenüber geht die soziale Verbraucherschutztendenz davon aus, daß die meisten Bedürfnisse durch die Anbieterseite überhaupt erst künstlich erzeugt werden und daß der einzelne Verbraucher infolgedessen nicht in der Lage ist, seine eigenen, individuellen Bedürfnisstrukturen zu erkennen und autonom diesen entsprechende Bedürfnishierarchien zu entwickeln. Aus der Angewiesenheit auf Konsum wird ein Widerspruch zwischen dem wirtschaftlichen Verhalten des Verbrauchers und seinen wirklichen Bedürfnissen und damit eine Legitimation für staatliche "Bedarfslenkung" abgeleitet. 53 Es läge daher ohne weiteres in der Konsequenz dieser Schutzbedürftigkeitsbestimmung, gewisse sozialpolitisch unerwünschte Geschäftstypen zu untersagen und derartige Verbote zivilrechtlich über § 134 mit der Nichtigkeitssanktion zu belegen." 48
Vgl. zur Notwendigkeit einer Einbeziehung der Haustürgeschäfte etwa
Löwe NJW 1974, 2257. 49 Siehe dazu C II 4, D II 5. so Kritisch schon Weitnauer, Schutz des Schwächeren, S. 36 ff.
51 Vgl. zu dahingehenden Reformbestrebungen in der Schweiz Hadding, Gutachten, S. 198 f.; positiv Hiddemann, Referat, K 23 f. GI Siehe B II 2 b. 53 Siehe D I. 54 Vgl. Reich ZRP 1974, 187, 193.
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D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
In der Diskussion finden sich - vermutlich auch im Hinblick auf die durch Art. 12 GG von vornherein vorgegebenen Grenzen - bisher zwar kaum überlegungen, die in diese Richtung zielen. Immerhin wird aber etwa die Vermittlung von Krediten durch Finanzmakler vom OLG Stuttgart als Vertriebsform gekennzeichnet, die "den Vorurteilen eines Teiles der Kundschaft entgegenkommt"; die Gründe, aus denen bestimmte Kunden den Gang zum Kreditvermittler dem Besuch einer Bank vorziehen, seien unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht nachvollziehbar. 55 Damit wird letztlich die Entgeltwürdigkeit der Vermittlertätigkeit geleugnet. Vereinzelt werden im Hinblick auf dahingehende, ausländische Regelungen sogar bereits gesetzliche Beschränkungen der entgeltlichen Vermittlung von Krediten erwogen. 56 3. Rhhterlidle Preisregulierung durcl1 soziale Auslegung des § 138 BGB
Nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit kann der einzelne nicht nur frei entscheiden, ob er eine bestimmte Leistung überhaupt für entgeltwürdig hält; es bleibt ihm vor allem auch selbst überlassen, in welchem Umfang er bereit ist, Mittel für ein bestimmtes Gut auszugeben. Daher fehlen mit Ausnahme des § 138 BGB und § 22 GWB57 Regelungen, die eine Regulierung der Preishöhe durch übergeordnete Instanzen ermöglichen bzw. das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung überhaupt thematisch ansprechen. 58 Dahinter steht wiederum die Vorstellung, daß die einzelnen Rechtssubjekte den - objektiv ohnehin schwer faßbaren 5e - Nutzen und damit den Wert einer Leistung selbst am zutreffendsten beurteilen können und daß infolgedessen funktionierender Wettbewerb die Bildung angemessener Preise gewährleistet.GO Geht man demgegenüber von einer Angewiesenheit des Verbrauchers auf Konsum aus, dann erscheint die Zurückhaltung des geltenden Rechts gegenüber Eingriffen in die Preisbildung nicht gerechtfertigt: 65 OLG Stuttgart NJW 1979, 2409, 2411; siehe zu dieser Entscheidung auch D II 3 a bei Fn. 75 - 79. 58 Vg1. Hadding, Gutachten, S. 92 ff.; Hiddemann, Referat, K 27; Scholz, Referat, K 72 ff. jeweils mit weiteren Nachweisen; dem Sachkomplex "Ver-
bot sozialpolitisch unerwünschter Geschäftsformen" könnte man auch die Diskussion über eine gesetzliche Anordnung von Mindestanzahlung, Höchstdauer der Ratenzahlungsverpflichtung und Kredithöchstgrenzen ete. bei Konsumentenkrediten zuordnen; Nachweise bei Hadding, Gutachten, S. 182 ff.; vgl. auch Hiddemann, Referat, K 25; Seholz, Referat, K 74 f. 57 Vg1. die Gegenüberstellung von § 22 GWB und § 138 BGB unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes bei Joerges, Verbraucherschutz, S. 82ff. 58 Das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung bleibt gemäß § 8 AGBG insbesondere auch von der Inhaltskontrolle nach dem AGBG ausgenommen. 58 So bemerkenswerterweise das OLG Stuttgart NJW 1979, 2409, 2410 1. Sp. 80 Vg1. Canaris ZIP 1980, 709, 714.
II. Perspektiven der Kompensation wirtschaftlicher Unterlegenheit 121 Der Verbraucher, der aus wirtschaftlichen und psychologischen Gründen gezwungen ist, Verträge abzuschließen, kann auf überhöhte Preise faktisch nicht einmal mit dem Druckmittel des Konsumverzichts reagieren. Einer vertraglichen Vereinbarung kommt infolgedessen auch im Hinblick auf die Höhe keine Richtigkeitsgewähr, ja nicht einmal eine Richtigkeitsvermutung zu. Auch Aufklärung, wie sie etwa in § 1 a AbzG angeordnet wird,61 kann nur teilweise verhindern, daß dem Verbraucher überhöhte Preise abverlangt werden.u Sie kann zwar eine Erhöhung der Markttransparenz bewirken und so den Verbraucher in die Lage versetzen, sich für ein relativ günstiges Angebot zu entscheiden. Ihre Schutzwirkung erschöpft sich im übrigen aber darin, daß sie ihm den Preis einer Bedarfsdeckung, d. h. das Ausmaß seines Elends, vor Augen führt, während sie ihm einen Ausweg aus seiner Zwangslage nicht zu bieten vermag. Die Schutzbedürftigkeitsbestimmung der sozialen Verbraucherschutztendenz rechtfertigt daher ohne weiteres gewisse preislenkende Eingriffe in das freie Spiel der Kräfte. Der Anerkennung einer Angewiesenheit auf Konsum würde daher im privatrechtlichen Bereich die Statuierung einer richterlichen Preiskontrolle entsprechen; zumindest kann das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung einer richterlichen Angemessenheitskontrolle nicht grundsätzlich entzogen bleiben.63
a) Funktionswandel des Sittenwidrigkeitsbegriffs Auf dem Hintergrund dieser überlegungen wird verständlicher, wie der ursprünglich als Sanktion verwerflicher Gesinnung und damit als äußerste Mißbrauchsgrenze privatautonomer Gestaltungsfreiheit konzipierte § 138 BGBM in den letzten Jahren immer mehr praktische Be81 Siehe dazu C II 1, C II 2 a. 82 In der Rechtsprechung zu § 138 läßt sich allerdings eine gewisse Neigung feststellen, das Sittenwidrigkeitsurteil auch auf die Verletzung von Aufklärungspflichten zu stützen; vgl. BGH NJW 1979, 805, 807; BGH NJW 1979, 808, 809; BGH NJW 1979, 2089, 2091; BGH NJW 1980, 2074, 2076; BGH
NJW 1980, 2076, 2078.
Konsequent daher Bender NJW 1980, 1129, 1131, 1132 ff. 84 Vgl. Larenz, AT, S. 396 ff.; Ott BB 1981, 937, 939, jeweils m. w. N. Während ursprünglich mit Hilfe des § 138 auch, wenn nicht sogar in erster Linie, gesellschaftlich unerwünschte Formen der privaten Lebensgestaltung sanktioniert wurden, beschränkte man im Zuge der allgemeinen Liberalisierung des Privatbereichs den Wirkungskreis des § 138 allmählich auf die Durchsetzung einer sozialstaatlich inspirierten Wirtschafts- und Geschäftsmoral, insbesondere den Schutz des wirtschaftlich schwächeren Vertragspartners. Dieser Funktionswandel des Sittenwidrigkeitsbegriffs zeigt sich besonders deutlich in der Rechtsprechung zu Bordellkauf und -pacht. In BGH NJW 1975, 638 wird die Nichtigkeit nicht mehr darauf gestützt, daß Rechtsgeschäfte über Bordelle per se sittenwidrig seien, sondern unter Wucheraspekten aus der Höhe der Pacht und der darin liegenden Partizipierung an den Dirneneinkünften abgeleitet. Zum Funktionswandel des Sittenwidrigkeitsbegriffs 83
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D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
deutung erlangen und in den Mittelpunkt der verbraucherrechtlichen Diskussion rücken konnte. 66 Die insbesondere im Bereich des Konsumentenkredits festzustellende Neigung der Rechtsprechung, § 138 durch allmähliche Objektivierung des Sittenwidrigkeitstatbestands einerseits," durch Herabsetzung der Toleranzschwelle andererseits,67 extensiv zu handhaben, ist möglicherweise auf eine mehr oder minder bewußte Orientierung an den Prämissen der sozialen Verbraucherschutztendenz zurückzuführen.68 Diese Zusammenhänge erschließen sich allerdings deshalb nicht ohne weiteres, weil die ohnehin uneinheitliche und komplizierte Rechtsprechun/t"' bei der Prüfung, ob ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt, auf marktwirtschaftliche Kategorien zurückgreift und als Vergleichsmaßstab das verkehrsübliche Entgelt heranzieht. 70 Damit fallen jedoch - ohne daß dies in der Diskussion stets ausreichend erkennbar wäre - die wesentlichen Entscheidungen im Vorfeld der eigentlichen Sittenwidrigkeitsprüfung, bei der Bestimmung des relevanten Vergleichsmarkts einerseits, bei der Berechnung des geforderten Effektivzinses andererseits. 71 Dies erklärt die Heftigkeit, mit der insbesondere über die Existenz eines Sondermarkts für Teilzahlungsbanken im Konsumentenratenkredit72 sowie über die Einvg1. auch Münchener-Kommentar-Mayer-Maly, § 138 Rdnr. 18 m. w. N.; BGH NJW 1981, 1206, 12071. Sp. 85 Vg!. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 385 ff.; Joerges, Verbraucherschutz, S. 76 ff.; Hadding, Gutachten, S. 215 ff.; Canaris ZIP 1980, 709, 713 ff.; Bender, NJW 1980, 1129, 1132 ff.; Reich JZ 1980, 329, 333 f.; Derleder NJW 1982,2401. 88 Vg1. RGZ 150, 1; BGH NJW 1979, 805; BGH NJW 1979, 808; BGH NJW U179. 2089; BGH NJW 1980, 445, 446; BGH NJW 1980, 2074; BGH NJW 1980, 2076, 2077; BGH NJW 1981, 1206, 1207; siehe dazu Joerges, Verbraucherschutz, S. 84 f.; Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 389. 87 Vg1. die Nachweise bei Hadding, Gutachten, S. 217 ff.; siehe dazu auch Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 389; K-H. Weber NJW 1980, 2062; vg1. zu den Bestrebungen, eine feste Zinsobergrenze festzulegen Hadding, Gutachten, S. 227 ff.; OLG Stuttgart NJW 1979, 2409, 2410 f.; zumindest de lege lata ablehnend BGH NJW 1981, 1206, 1207. 88 Vgl. die Diagnose bei Joerges, Verbraucherschutz, S. 76 f., 80 f., 85 f., 90 f. 89 Überblicke über die Rechtsprechung u. a. bei Hadding, Gutachten, S. 215 ff.; Müssigbrodt JA 1980, 697; K-H. Weber NJW 1980, 2062; vg1. auch von Olshausen NJW 1982, 909; vgl. den Versuch einer Erklärung für die Kompliziertheit der Rechtsprechung bei Joerges, Verbraucherschutz, S. 81. 70 BGH NJW 1979, 805, 806 r. Sp.; BGH MTW 1979, 808; BGH NJW 1979, 2089; BGH NJW 1980, 2076, 2077; BGH NJW 1981, 1206, 1208; dazu Joerges, Verbraucherschutz, S. 84 f., 90; Derleder NJW 1982, 2401. 71 Ebenso Joerges, Verbraucherschutz, S. 82 ff., insbesondere S. 84 f. 72 Vgl. BGH NJW 1981, 1206, 1208; OLG Stuttgart NJW 1979, 2409, 2410 jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; der BGH orientiert sich neuerdings an dem in den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank ausgewiesenen Schwerpunktzins; aus der Literatur vg1. Canaris ZIP 1980, 709, '715 f.; K-H. Weber NJW 1980, 2062, 2063; Müssigbrodt JA 1980, 697, 699 f;
H. Perspektiven der Kompensation wirtschaftlicher Unterlegenheit
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beziehung von Vermittlungsprovision und Prämie für eine Restschuldversicherung in die Gesamtbeurteilung7ll gestritten wird. Dabei besteht häufig ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Inhalt der einzelnen Stellungnahmen und der Einstellung des jeweiligen Autors zum liberalen Sozialmodell. 74 So stützt etwa das OLG Stuttgart,75 das sich selbst als Schrittmacher eines sozialen, zivilrechtlichen Verbraucherschutzes versteht,16 seine Orientierung am Schwerpunktzins der Bundesbank maßgeblich darauf, daß die Teilzahlungsinstitute keine Bedürfnisse befriedigten, für die der allgemeine Markt kein entsprechendes Angebot bereit hielte. "Den unbestreitbar vorhandenen Vorlieben eines Teils der Kundschaft für bestimmte Vertriebsformen", die Einschätzung, daß diese über die bloße Geldauszahlung hinaus ein "Dienstleistungsbündel" bieten, wird für rechtlich irrelevant erklärt, die Existenz eines Sondermarkts infolgedessen verneint. 77 Die Einbeziehung der Vermittlungsgebühr in die Effektivzinsberechnung wird damit begründet, daß die Vermittlung keine bewertbare, besondere Leistung gegenüber dem Kunden darstelle, sondern im Gegenteil die Gesamtkosten unnötig verteuere; die im krassen Widerspruch zu dieser Einschätzung stehende Verkehrsauffassung der betreffenden Kundenkreise wird als rational nicht nachvollziehbares Urteil abqualifiziert;78 aufgrund ähnlicher überlegungen wird die Versicherungsprämie ebenfalls nur teilweise berücksichtigt.79 Es läßt sich also eine nur auf dem Hintergrund einer Ablehnung des liberalen Sozialmodells verständliche, starke Neigung feststellen, das richterliche Urteil an die Stelle der subjektiven Einschätzung der Vertragspartner zu setzen. Der BGH hat zwar in seiner Entscheidung vom Zwanzig BB 1980, 1282; Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 393 ff.; Kessler BB 1981, 931, 933. 78 Vgl. BGH NJW 1979, 805, 806 f.; BGH NJW 1979, 808; BGH NJW 1979, 2089, 2090; BGH NJW 1980, 2074, 2075; BGH NJW 1980, 2076, 2077; BGH NJW 1981, 1206, 1208 f.; BGH NJW 1982, 2433; BGH NJW 1982, 2436, 2437; OLG Stuttgart NJW 1979, 2409, 2410 f.; Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 383 ff.; K.-H. Weber NJW 1980, 2062, 2064; Canaris ZIP 1980, 709, 714; Kessler BB 1981, 931, 933 f.; Ott BB 1981, 937, 942; Rittner DB 1981, 1381, 1382; von Olshausen NJW 1982, 909. 74 Vg1. etwa Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 388 ff. einerseits; Canaris ZIP 1980, 709, 715 f. andererseits. 75 NJW 1979, 2409. 78 Vg1. Bender NJW 1980, 1129, 1131: "Der Selbstregulierungsmechanismus Privatautonomie muß ersetzt werden durch die Rechtsprechung oder durch die Gesetzgebung." Canaris ZIP 1980, 709, 714 qualifiziert diese Ausführungen als unverblümten Griff der Rechtsprechung nach der Kompetenz für wirtschaftslenkende Maßnahmen; ähnlich auch Hadding, Gutachten, S. 220
Fn.267.
77 OLG Stuttgart NJW 1979, 2411 1. Sp. 78 OLG Stuttgart NJW 1979, 2411 r. Sp. 7D OLG Stuttgart NJW 1979, 2412 1. Sp.
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D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
12. 3. 198180 die Auffassung des OLG Stuttgart in wichtigen Punkten korrigiert und dabei insbesondere darauf hingewiesen, daß § 138 BGB nicht den Sinn habe, die subjektive Bewertung des Gleichgewichts von Leistung und Gegenleistung durch die richterliche Festlegung "objektiver Preisnormen" zu begrenzen. S1 Angesichts der zahlreichen, offen gebliebenen Zweifelsfragen82 bleibt jedoch fraglich, ob mit diesem Urteil den Neigungen, § 138 als Instrument richterlicher Preisregulierung fruchtbar zu machen, deutlich und endgültig der Boden entzogen worden ist. 83 b) Korrektur der Totalnichtigkeit
Neben den geschilderten Tendenzen, den Begriff der guten Sitten mit verbraucherschützendem Inhalt zu füllen, finden sich auch auf der Rechtsfolgenseite zwar weniger spektakuläre, in ihrer Tragweite jedoch ebenfalls kaum zu unterschätzende, dogmatische Ansätze, die richterlichen Kontrollkompetenzen im Hinblick auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zu erweitern. Dem allgemeinen Trend zur Zurückdrängung der Nichtigkeitsnormen84 entsprechend wird die in § 138 als Sanktion der Sittenwidrigkeit angeordnete Totalnichtigkeit zunehmend in ihren Konsequenzen als unbefriedigend empfunden; es wird insbesondere für untragbar gehalten, daß der bewucherte Leistungsempfänger, den überhaupt erst eine gravierende Notlage zum Abschluß eines ihn derartig belastenden Vertrags bewogen haben wird, das dringend benötigte Gut im Zuge der Rückabwicklung des Vertrags wieder herausgeben müsse. 85 Unter anderem diese Bewertung der Interessenlage, in der wiederum die Vorstellung einer "Angewiesenheit" auf bestimmte Güter mitschwingt,86 hat einen Teil der Instanzgerichte veranlaßt, die Totalnichtigkeit des § 138 in Fällen des Mietwuchers durch eine teilweise Korrektur des Vertragsinhalts zu ersetzen und die als sittenwidrig beurteilten MietBGH NJW 1981, 1206. BGH NJW 1981, 1206 r. Sp. 81 Vgl. dazu Rittner DB 1981, 1381; Kessler BB 1981, 931; Ott BB 1981, 937; von Olshausen NJW 1982, 909; Der leder NJW 1982, 2401. 88 Zumal der BGH sich in seiner Argumentation schwerpunktmäßig auf die ihm im gewaltenteilenden Rechtsstaat gesetzten Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung beruft, weitergehenden Maßnahmen, insbesondere der Festlegung einer Zinsobergrenze, de lege ferenda nicht eindeutig ablehnend gegenübersteht; vgl. BGH NJW 1981,1206, insbesondere 1207. 84 Vgl. etwa BGH NJW 1969, 1343 zum sog. Mätressentestament; zu parallelen Tendenzen im Gesellschaftsrecht vgl. Wiesner; für den arbeitsrechtlichen Bereich vgl. Käßer; zum Abbau der Nichtigkeitsvorschriften aus historischer Sicht H. Hübner, Festschrift für Wieacker, S. 399. 85 So insbesondere Medicus, Gedächtnisschrift für Dietz, S. 61, 68 f.; Zimmermann, S. 174. 8B Siehe dazu D I. 80 81
II. Perspektiven der Kompensation wirtschaftlicher Unterlegenheit 125 verträge zu angemessenen Bedingungen aufrechtzuerhalten. 87 Die Lehre steht dieser Rechtsprechung allerdings kritisch gegenüber. Sie lehnt die Entwicklung eines allgemeinen, richterlichen Moderationsrechts ab und befürwortet demgegenüber eine bereicherungsrechtliche Lösung der Nichtigkeitsproblematik. In übereinstimmung mit der Rechtsprechung des RG88 geht sie infolgedessen davon aus, daß § 817 Satz 2 auch bei einseitigen Verstößen des Leistenden analog zugunsten des bewucherten Leistungsempfängers Anwendung finden und auf diese Weise dessen Bedarfsdeckung gewährleisten muß, mildert jedoch die Konsequenzen des § 817 Satz 2 beim wucherischen Darlehen mit Hilfe des sog. eingeschränkten Leistungsbegriffs insoweit ab, als sie den Kondiktionsausschluß auf den (wenn auch unwirksam) vereinbarten Zeitraum der Kapitalnutzung limitiert. 81I Eine im Vordringen begriffene Auffassung glaubt allerdings, die sich aus dem Eingreifen des § 817 Satz 2 an sich zwangsläufig ergebende Besserstellung des bewucherten Empfängers, insbesondere die Kostenlosigkeit der Kapitalnutzung, nicht hinnehmen zu können und billigt dem Wucherer - meist gestützt auf § 818 Abs. 290 - einen Wertersatzanspruch in Höhe des am Markt üblichen Entgelts ZU.1I1 Diese bereicherungsrechtliche Wertersatzlösung, die erstaunlicherweise bisher kaum unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes diskutiert wird,92 wirft jedoch - ohne daß dies ausreichend berücksichtigt würde - die gleichen Probleme auf wie das verworfene richterliche Moderationsrecht: Auch bei einem dogmatisch ohnehin nur mühsam zu begründenden Rückgriff auf die §§ 817 Satz 2, 818 Abs. 2 hat der Richter nicht mehr nur, wie es der Vorstellung des Gesetzgebers entsprach, aufgrund des auffälligen Mißverhältnisses von Leistung und Gegenleistung die Nichtigkeit gemäß § 138 festzustellen; er legt vielmehr dann darüber hinaus an Stelle der privatautonom handelnden Parteien einen rechtlich unbedenklichen Wertersatz fest und verleiht so über § 818 Abs. 2 dem nichtigen Vertrag in einer von ihm als angemessen erachteten Ausgestaltung faktisch Bestandskraft. Dies erscheint unter dem Gesichtspunkt der Einschränkung privatautonomer Gestaltungs87 Vgl. etwa LG Hamburg NJW 1971, 1411; LG Mannheim NJW 1977, 1729; dazu Zimmermann, S. 22, 32 ff. ffi. w. N. 88 RGZ 151, 70, 72; RGZ 161, 52, 55. 88 Vgl. Medicus, Gedächtnisschrift für Dietz, S. 61, 62 f.; Zimmermann, S. 158 f., 170; Larenz, SchuldR I1, S. 562; vgl. auch Münchener-KommentarLieb, § 817 Rdnr. 16 m. w. N.; grundsätzlich kritisch Honsell, S. 5. 80 Flume, A1lg. Teil II, S. 394 nimmt Bereicherung in sonstiger Weise an; zust. Zimmermann, S. 173 f. t1 Medicus, Gedächtnisschrift für Dietz, S. 61, 66ff.; Zimmermann, S. 172 ff.; Koppensteiner I Kramer, S. 77; Larenz, SchuldR II, S. 562; Flume, Allg. Teil II, S. 394. 92 Vgl. aber Reich JZ 1980, 329, 334.
126
D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
freiheit um so problematischer, als diese Konzeption eine Verallgemeinerung über die Fälle des gegenwärtig ganz im Vordergrund stehenden Wucherdarlehens hinaus geradezu herausfordert. 9s c) Ausblick
Zusammenfassend läßt sich damit feststellen, daß beide aktuellen, hier nur angedeuteten Entwicklungstendenzen im Umfeld des § 138 BGB auf eine Erweiterung der richterlichen Kontrollbefugnisse im Hinblick auf die Preis- bzw. Zinshöhe abzielen und sich infolgedessen im Ansatz nahtlos in ein an die sog. Angewiesenheit des Verbrauchers auf Konsum anknüpfendes Verbraucherschutzmodell einfügen. Ein gewisser Widerspruch ergibt sich allerdings daraus, daß sowohl die Sittenwidrigkeit des geforderten, als auch die Höhe des für angemessen erachteten Entgelts, maßgeblich aus einem Marktvergleich abgeleitet werden. Dies bedeutet, daß der Verbraucher mit Hilfe des § 138 nicht besser gestellt werden kann, als wenn er von vornherein mit einem "anständigen" Konkurrenten seines Vertragspartners abgeschlossen hätte.94 Bei diesem Vorgehen muß also - und dies erklärt wiederum den Streit um die richtige Abgrenzung des relevanten Vergleichsmarkts "- unberücksichtigt bleiben, daß auch der "Marktpreis" für einen auf ein bestimmtes Gut angewiesenen, nur über ein begrenztes Einkommen verfügenden Verbraucher zu hoch sein kann. Bei konsequenter Orientierung an dieser Schutzbedürftigkeitsbestimmung müßte daher die marktbezogene durch eine auf den Einzelfall abstellende, bedürfnisbezogene Betrachtungsweise ersetzt werden; das alte, im Zuge der Objektivierung des § 138 seit Jahrzehnten vernachlässigte Ausbeutungsmerkmal des § 138 Abs. 2 müßte mit neuem, sozialen Inhalt gefüllt werden. 9s Entscheidend wäre - wie Reifner zutreffend bemerkt hatnicht mehr, ob der Leistende im Vergleich zu seinem Konkurrenten einen überhöhten Gewinn erzielen wollte, sondern allein, ob er "einem Mitbürger, der schon über geringe Subsistenzmittel verfügte, in einer Weise belastete, die diesen in seiner Lebensführung erheblich einschränkte oder ihn sogar mit sozialem Abstieg bedrohte"." Es wäre auch nicht mehr ohne weiteres hinzunehmen, daß einkommensschwächeren Bevölkerungskreisen, insbesondere Gastarbeitern, Hausfrauen und Arbeitslosen, im Hinblick auf fehlende Sicherheiten und damit auf ein größeres Ausfallrisiko höhere Zinsen abverlangt werden. 97 Kritisch dazu Dauner JZ 1980, 495, 504 ff. Siehe dazu Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 396 f. 05 Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 395 ff. 98 Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 396. 07 Zur Problematik des "The poor pay more" Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 394 ffi. w. N. 93
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11. Perspektiven der Kompensation wirtschaftlicher Unterlegenheit 127 4. Zurickdrängung des dispositiven Rechts durch Anordnung halbzwingender Normen und Ausdehnung der Inhaltskontrolle auf Individualvereinbarungen
Das geltende Privatrecht stellt die inhaltliche Gestaltung der Abwicklungsbedingungen grundsätzlich in das Belieben der vertragschließenden Parteien. Die Regelungen des Schuldrechts, insbesondere des Leistungsstörungs- und Gewährleistungsrechts, sind infolgedessen weitgehend dispositiv und greifen erst ein, wenn eine ausdrückliche, vertragliche Regelung fehlt. Privat autonom vereinbarte Abwicklungskonditionen sind nur in Fällen eines typischen, die Richtigkeitsgewähr in Frage stellenden Informationsdefizits, d. h. bei Vorformulierung in AGB, einer richterlichen Angemessenheitskontrolle zugänglich. 98 Dahinter steht wiederum die am Leitbild des homo oeconomicus orientierte Vorstellung, daß das einzelne informierte Rechtssubjekt selbst in der Lage ist zu entscheiden, welcher Stellenwert den Abwicklungsbedingungen, insbesondere Garantie- und Kundendienstzusagen, Liefer- und Verjährungsfristen, im Rahmen eines Gesamtvertrags zukommt. u9 Im Bezugsrahmen der sozialen Verbraucherschutztendenz erscheint demgegenüber die Geltung umfassender Vertragsfreiheit im Hinblick auf Abwicklungsbedingungen ganz grundsätzlich problematisch: Der Verbraucher, der infolge aggressiver Werbung und massiven Gruppendrucks schon nicht in der Lage ist, Preis, Qualität und objektiven Nutzen der angebotenen Güter in ein "vernünftiges" Verhältnis zueinander zu setzen, wird erst recht nicht geneigt sein, den Abwicklungsbedingungen, die überhaupt erst im Störungsfall Bedeutung erlangen, die gebotene Aufmerksamkeit zu widmen; das gezielt verstärkte Gefühl, bestimmte Bedürfnisse sofort befriedigen zu müssen, wird Vorsorgeüberlegungen im Hinblick auf Abwicklungsstörungen entweder ganz verdrängen oder zumindest einem vagen Vertrauen, "es werde schon alles gut gehen", Vorschub leisten. Aber selbst wenn der Verbraucher im Einzelfall die Bedeutung bestimmter Nebenabreden und'damit die wirtschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen des Vertragsschlusses richtig einschätzen sollte, bleibt er dem Anbieter letztlich doch ohnmächtig ausgeliefert; da er aus psychologischen und wirtschaftlichen Gründen gezwungen ist, Verträge abzuschließen, steht ihm das einzige, auf Dauer erfolgversprechende Kampfmittel "Konsumverzicht" nicht zur Verfügung. 1OO Bei Anerkennung einer allgemeinen, wirtschaftlichen Unterlegenheit des Verbrauchers bzw. einer Angewiesenheit auf Konsum kann daher Siehe C 11 2 b. Siehe Bill a. 100 Siehe D 1. 8a UD
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D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
dem Grundsatz der Vertragsfreiheit im Abwicklungsbereich kein nennenswerter Anwendungsbereich verbleiben. Dieser Schutzbedürftigkeitsbestimmung würde also insoweit zunächst eine allmähliche Ersetzung des dispositiven Rechts durch halbzwingende, nicht zu Lasten des Verbrauchers abdingbare Regelungen entsprechen, die zwangsläufig auch eine weitgehende Abschaffung der Vertragstypenfreiheit nach sich ziehen müßte. IOI Ein ausreichender Schutz vor unsozialen Abwicklungsbedingungen ließe sich allerdings nicht schon durch Festschreibung der vorhandenen, dispositiven Normen realisieren. Das geltende Schuldrecht beruht maßgeblich auf dem durch individuelle Zurechnung von Risiken unter Verschuldens- und Sphärengesichtspunkten einerseits, durch Isolation der einzelnen Schuldverhältnisse andererseits, gekennzeichneten Prinzip der dezentralisierten Risikoverteilung und ist damit entscheidend durch das klassische, liberale Sozialmodell geprägt;IO! seine Regelungen müßten daher zunächst jeweils auf ihren sozialen Sinngehalt hin überprüft werden. Auf diesem Hintergrund lassen sich möglicherweise die Regelungen von Reisevertrags- und Fernunterrichtsschutzgesetz als erste Ausprägung eines sozialen Verbraucherschutzes verstehen; die §§ 651 k BGB, 2 Abs. 5, 10 FernUSG erklären Abweichungen zum Nachteil des Reisenden bzw. Teilnehmers generell, d. h. unabhängig von dessen Informationsstand oder einer Vorformulierung in AGB, für unwirksam und verleihen damit jeweils der Gesamtregelung halbzwingenden Charakter. 103 Darüber hinaus erscheint es im Bezugsrahmen der sozialen Verbraucherschutztendenz inkonsequent, die richterliche Inhaltskontrolle von Abwicklungsbedingungen - wie dies im AGBG der Fall ist - auf die Fälle einer Vorformulierung in AGB zu beschränken. Da die wirtschaftliche Unterlegenheit des mit unangemessenen Abwicklungskonditionen konfrontierten Verbrauchers unabhängig davon besteht, ob diese nur ihn oder auch eine Vielzahl anderer Konsumenten betreffen, müßten grundsätzlich auch Individualvereinbarungen einer allgemeinen Angemessenheitskontrolle zugänglich gemacht werden. I04 Die richterliche 101
Reich ZRP 1974, 187, 188.
Siehe B 11 2 c. lOS So deutlich Tonner, § 651 k Rdnr. 1 ff.; die Problematik der Anordnung zwingender Normen wird in diesem Bereich sonst kaum erörtert; vgl. ErmanSeiler, § 651 k Rdnr. 1; Münchener-Kommentar-Löwe, § 651 k Rdnr. 4; ob sich diese Regelungen systemkonform als Ausdruck einer verfeinerten Verkehrsmoral deuten lassen, erscheint zweifelhaft; siehe dazu C 11 2 c; vgl. zur Ausbildung zwingenden Rechts im Mietrecht B I 2. 104 In der Literatur wird folgerichtig darauf hingewiesen, daß die Interpretation der Inhaltskontrolle als Instrument der Kompensation wirtschaftlicher Unterlegenheit ihre Ausdehnung auf Individualvereinbarungen fordert; vgl. M. Wolf JZ 1974, 465, 469; Reich ZRP 1974, 187, 188; Dietlein NJW 10!
II. Perspektiven der Kompensation wirtschaftlicher Unterlegenheit 129 Inhaltskontrolle würde dann nicht mehr darauf abzielen, unter grundsätzlicher Anerkennung der Selbstverantwortung der Vertragspartner konkrete, aus der Verwendung von AGB resultierende Paritätsstörungen zu kompensieren. Ihr käme vielmehr die Aufgabe zu, in dem (restlichen) Bereich, in dem der Gesetzgeber (noch) keine abschließenden, zwingenden Regelungen getroffen hat, den Interessen des Verbrauchers durch umfassende soziale Korrektur der Parteivereinbarungen Geltung zu verschaffen. 5. Legitimation des sog. Einwendungsdurmgrifls im Rahmen eines sozialen Verbraumersmutzmodells
Auf dem Hintergrund dieser zwangsläufig in gewissem Umfang spekulativen Kennzeichnung eines sozialen Sonderprivatrechts für Verbraucher ist nunmehr zu untersuchen, ob sich die Zulassung eines darlehensrechtlichen Einwendungsdurchgriffs aus einer grundsätzlichen Kritik des liberalen Sozialmodells, insbesondere aus der Angewiesenheit des Verbrauchers auf Konsum und der daraus resultierenden, wirtschaftlichen übermacht der Anbieterseite, ableiten läßt. Es stellt sich also die Frage, ob die umfassende Belastung des Kreditnehmers mit dem Risiko der Verwendung der Darlehensvaluta, die sich zwangsläufig aus der de lege lata zulässigen Vereinbarung eines freien Darlehens gemäß § 607 BGB ergibt,105 bei Zugrundelegung dieser Kritik "sozialen" Anforderungen standhält. a) Die Kategorien der sozialen Verbraucherschutztendenz
in Rechtsprechung und Lehre
Die tragenden Schutzbedürftigkeitskategorien der sozialen Verbraucherschutztendenz nehmen zwar in der allgemeinen verbraucherrechtlichen Diskussion inzwischen breiten Raum ein;l00 insbesondere der für sich genommen wenig aussagekräftige Topos der wirtschaftlichen Unterlegenheit des Verbrauchers wird als modisch-attraktives Schlagwort inzwischen selbst von solchen Autoren im allgemeinen Argumentationsgepäck mitgeführt, die sich grundsätzlich einem liberalen Sozialmodell und damit einer auf dem Prinzip der Privatautonomie beruhenden Pri1974, 969, 970; Nicklisch BB 1974, 941, 944 f.; Brandner JZ 1973, 613, 616 f.; Ulmer, Referat, H 21. Wirtschaftliche Unterlegenheit im Sinne geringerer Kapitalkraft ist allerdings auch im kaufmännischen Verkehr anzutreffen und rechtfertigt daher keine Ungleichbehandlung von Verbrauchern und gewerblich Tätigen; die Ausbildung eines Sonderrechts für Verbraucher läßt sich daher auch im Hinblick auf wirtschaftliche Machtunterschiede nur rechtfertigen, wenn man eine besondere wirtschaftliche Unterlegenheit des Verbrauchers in Form seiner Angewiesenheit auf Konsum anerkennt; siehe zu diesen Zusammenhängen D I bei Fn. 10 ff. 105 Siehe B Fn. 116. lOB Siehe D 1. 9 Dauner-Lieb
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D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
vatrechtsordnung verpflichtet fühlen. 107 Demgegenüber fehlt es bisher weitgehend an Versuchen, die Kritik des liberalen Sozialmodells konkret für die Lösung der Einwendungsproblematik fruchtbar zu machen. Lediglich Reifner, auf dessen Konzeption noch ausführlich einzugehen sein wird, leitet konsequent die Notwendigkeit einer Verlagerung des Verwendungsrisikos aus der sozialen und wirtschaftlichen Situation bzw. Rolle des Verbrauchers gegenüber der Marktgegenseite ab.108 In den übrigen, unmittelbar auf die Einwendungsproblematik bezogenen Stellungnahmen finden sich dagegen nur wenige Argumentationsansätze, die sich auf eine zumindest unbewußte, partielle Orientierung an den Prämissen der sozialen Verbraucherschutztendenz zurückführen lassen. lOB Welcher Stellenwert diesen sozialen Spurenelementen gegenwärtig im Rahmen der Gesamtargumentation zukommt, läßt sich allerdings deshalb nur schwer beurteilen, weil sich die Diskussion noch sehr stark im Fluß befindet. Ob ihnen in Zukunft größeres Gewicht zukommen wird, hängt von der weiteren, ideologischen Ausrichtung der rechtspolitischen Diskussion ab. Siehe C Fn. 209. Siehe D II 5 b. 108 Auch Joerges, Verbraucherschutz, geht in seinen allgemeinen überlegungen zu Problemen der Verbraucherrechtstheorie (S. 17 ff.) davon aus, daß das Marktparadigma bzw. das daran anknüpfende Informationsmodell zunehmend an überzeugungskraft verliert (insbesondere S. 40 ff.) und analysiert als konkretes Beispiel einer typischen, verbraucherrechtlichen Konfliktlage einen Teilaspekt der Einwendungsproblematik, den sog. Rückforderungsdurchgriff (S. 59 ff.). Joerges sieht die Gründe für die Gefährdung der Interessen des Verbrauchers insoweit in der Ausdifferenzierung von Warenabsatzund Finanzierungsfunktion. Er leitet die Zulassung eines EinwendungsdurchgriHs aus der wirtschaftlichen Entwicklung ab, die zu immer weiterer Arbeitsteilung dränge (S. 59 f.). Dieser Ansatz trägt weder zur Lösung der konkreten Einwendungsproblematik noch. zum Entwurf eines sozialen Verbraucherprivatrechts etwas Neues bei. Zum einen beruht die Idee einer Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers im Hinblick auf die Ausdifferenzierung von Warenabsatz- und Kreditgeberfunktion auf dem seit Jahrzehnten tradierten Aufspaltungsgedanken; sie ist letztlich auf die Vorstellung zurückzuführen, daß der normale Abzahlungskauf als Zweipersonenverhältnis die natürlich vorgegebene Finanzierungsform darstellt, der ein so hoher Gerechtigkeitsgehalt innewohnt, daß ihre Vorteile dem Verbraucher auch bei zunehmender Arbeitsteilung erhalten bleiben müssen. Diese Prämisse findet jedoch in der Systematik des BGB keine Stütze; das BGB sieht das freie Darlehen gemäß §§ 607 ff. als Regel, die Verkoppelung von Warenanbieter- und Kreditgeberfunktion in Form des normalen Abzahlungskaufs als Ausnahme an. Zum anderen weist Joerges (S. 72 ff.) selbst darauf hin, daß die Ausdifferenzierung zwischen Warenanbieter- und Kreditgeberfunktion nicht auf das Verhältnis von Produzent und Konsument beschränkt sei, sondern ein Phänomen betreffe, das sich in allen Bereichen des Vertragsrechts auswirke; daher dürften dogmatische Lösungen in ihrem Geltungsbereich nicht auf Verbraucher beschränkt bleiben, sondern müßten abstrakt an den arbeitsteilig organisierten Leistungsbeziehungen ansetzen. Damit leugnet Joerges jedoch entgegen seinem eigenen Anspruch den Verbraucherbezug seiner Konzeption und favorisiert eine sachbezogene Lösung. 107
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11. Perspektiven der Kompensation wirtschaftlicher Unterlegenheit 131 Obwohl das Abzahlungsgesetz, das historisch den Anknüpfungspunkt für die Entwicklung des Einwendungsdurchgriffs bildete, in seiner ursprünglichen Fassung auf den Schutz sozial und wirtschaftlich unterprivilegierter Bevölkerungskreise abzielte,110 spielte der Gesichtspunkt der "wirtschaftlichen Unterlegenheit" des Kreditnehmers beim finanzierten Geschäft im Sinne einer allgemeinen Einkommensschwäche in der höchstrichterlichen Rechtsprechung lange Zeit kaum eine Rolle. 111 Dies mag u. a. darauf zurückzuführen sein, daß der BGH schon früh Fälle zu entscheiden hatte, in denen es nicht mehr um "Möbelanschaffungen eines ärmlichen Käufers", 112 sondern u. a. um den Erwerb hochwertiger Konsum-, ja sogar Luxusgüter und gewerblicher Einrichtungen 11ll ging und in denen infolgedessen ein Rückgriff auf die wirtschaftliche und soziale Schwäche des Abzahlungskäufers wenig überzeugend gewirkt hätte. In neueren Entscheidungen wird dagegen zunehmend wieder auf die "schlechte wirtschaftliche Lage" des Abzahlungskäufers hingewiesen. 114 In der Bauträgerentscheidung wird die Zulassung eines Einwendungsdurchgriffs u. a. im Hinblick darauf abgelehnt, daß bei einem Personenkreis, der in der Lage sei, Immobiliengeschäfte zu tätigen, eine wirtschaftliche Unterlegenheit grundsätzlich zu verneinen seL11s Der Topos einer erhöhten Angewiesenheit auf bestimmte Güter als Fehlen realer Handlungsalternativen wurde zunächst in der Literatur vereinzelt aufgegriffen. So wurde etwa die Aufklärungsrechtsprechung des BGB im Hinblick darauf angegriffen, daß die geforderten, klaren Hinweise auf die Risikoverteilung, d. h. auf die Selbständigkeit des Darlehensvertrags, vom Kreditnehmer als blanker Hohn empfunden werden müßten; dieser habe t.ypischerweise gar keine andere Möglichkeit, als sich auf diese ungünstige und risikobehaftete Weise die Güter zu verschaffen, die zur Führung eines normalen Lebens oder zu einem ersten Schritt auf Verselbständigung hin erforderlich seien. 110 Ähnliche Schutzüberlegungen schwingen mit, wenn eine an sich naheliegende Gleichstellung des Kreditnehmers beim finanzierten Geschäft mit dem Barkäufer deshalb abgelehnt wird, weil sich dem DarlehensSiehe B I 1 b. In den älteren Entscheidungen steht die subjektive Unterlegenheit, die rechtliche und geschäftliche Unerfahrenheit, im Mittelpunkt; siehe dazu eil 4 a aa. tU Vgl. BGH NJW 1967, 1025, 10261. Sp. 113 Vg1. BGH NJW 1961, 164 (Praxiseinrichtung); BGH NJW 1962, 1100 (Gaststätteneinrichtung); BGH NJW 1967, 1025 (Teppich). 114 Vg1. BGH NJW 1980, 938, 939 r. Sp.; BGH NJW 1979, 872, 873 r. Sp. 115 BGH BB 1981, 80, 81 r. Sp. 11G Strotz JR 1972, 95, 97. 110
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D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
nehmer die Alternative einer Finanzierung aus eigenen, angesparten Mitteln gar nicht stelle. ll7 In der neueren Rechtsprechung wird schließlich auf eine Angewiesenheit auf Kredit bei der Konkretisierung der wechselbezüglichen Abhängigkeit von Darlehensvertrag und finanziertem Geschäft Bezug genommen. So bejaht der BGH in einigen Entscheidungen einen funktionellen Zusammenhang und damit eine wirtschaftliche Einheit zwischen beiden Verträgen als tragender Voraussetzung des Einwendungsdurchgriffs auch im Hinblick darauf, daß der Kreditnehmer nicht willens und nicht in der Lage war, die zur Finanzierung des in Aussicht genommenen Geschäfts erforderlichen Mittel selbst aufzubringen bzw. daß er keine Möglichkeit hatte, sich bei einem anderen als dem vom Kreditvermittler oder Verkäufer nachgewiesenen Kreditinstitut ein Darlehen zu verschaffen. 118 Eine gewisse Rolle spielt in der Diskussion der Einwendungsproblematik gegenwärtig schließlich der Gesichtspunkt der Verlockung des Verbrauchers. ll9 So wird etwa darauf hingewiesen, daß es dem Verkäufer, der gleich einen Kreditvermittler oder ein Teilzahlungsinstitut an der Hand habe, leichter falle, den Kunden teils mit erlaubten, teils mit unerlaubten Methoden zu einem Vertragsschluß zu überreden. Der Umstand, daß der Kunde ansonsten eine Bank aufsuchen müsse, erbringe ihm zwangsläufig eine überlegungsfrist, ob er die angebotene Leistung wirklich benötige und ob der geforderte Preis einigermaßen marktgerecht sei.1 20 Diese Ableitung des Einwendungsdurchgriffs nimmt zwar unmittelbar auf die Prämissen der sozialen Verbraucherschutztendenz Bezug, dennoch erscheint sie auch im Rahmen dieses Rechtsfortbildungsmodells nicht stimmig. Es ist kaum einsichtig, wie eine Verlagerung des Verwendungsrisikos im Wege des Einwendungsdurchgriffs den Kreditnehmer vor einer übereilten Verschuldung schützen kann. Diese Art von Schutzbedürftigkeit besteht unabhängig davon, ob das zu finanzierende Geschäft ordnungsgemäß abgewickelt wird oder nicht; sie könnte daher nur durch eine Erweiterung bzw. Verallgemeinerung des abzahlungsrechtlichen Widerrufsrechts kompensiert werden. 121 Ande117 Hadding, Gutachten, S. 317; von MarschaH, Gutachten, S. 129; vg1. auch BGH NJW 1971, 2303, 2306: "der Beklagte hat nicht bar bezahlt und ist kein Barkäufer ... Die Stellung des Beklagten ist daher nicht mit der eines Barkäufers zu vergleichen, er ist vielmehr Abzahlungskäufer" . 118 BGH NJW 1979, 2092, 2094; BGH NJW 1980, 1514, 1516; vg1. auch BGH JZ 1982, 509, 510 1. Sp. U9 Vgl. schon BGH NJW 1967, 1030. 120 Bender NJW 1980, 1129, 1134; Entwurf eines Gesetzes über finanzierte Rechtsgeschäfte und Maklerverträge, BT-Dr. 8/3212, S. 10. m Siehe dazu DIll.
H. Perspektiven der Kompensation wirtschaftlicher Unterlegenheit
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rerseits kann ein zwangsläufig zeitlich begrenztes Widerrufsrecht den Kreditnehmer nur vor Störungen bei der eigenen Willens bildung schützen, nicht dagegen vor Störungen bei der Abwicklung des finanzierten Geschäfts. Eine an Verbraucherverlockung und Verbraucherverschuldung anknüpfende Ableitung des Einwendungsdurchgriffs ist daher und dies ist insbesondere der Begründung von § 607 a Regierungsentwurf entgegenzuhaltenl22 - schon deshalb nicht tragfähig, weil das rechtstechnische Instrumentarium zur Durchsetzung der rechtspolitischen Zielsetzung von vornherein ungeeignet erscheint,l23 es also an der Verhältnismäßigkeit von Zweck und Mittel fehlt. b) Die Konzeption Reifners: Der Einwendungsdurchgriff als Instrument einer privatrechtlichen Vergesellschaftung von Risiken
Im Gegensatz zu diesen bereits in sich nicht stimmigen Ansätzen versucht Reifner im Rahmen seiner weit ausgreifenden Untersuchung, deren Gehalt hier nicht annähernd angemessen gewürdigt werden kann,124 u. a. auch die Notwendigkeit eines Einwendungsdurchgriffs konsequent aus der wirtschaftlichen Situation des Verbrauchers abzuleiten. 125 Die hohe durchschnittliche Verschuldung l26 in der Bundesrepublik belegt nach Auffassung Reifners daß die Angewiesenheit auf Konsum, insbesondere auf hochwertige und langlebige Konsumgüter wie Farbfernsehgerät und Pkw, für die Mehrzahl der Arbeitnehmerhaushalte, die nur über ein begrenztes, kaum mehr als die laufenden Reproduktionskosten deckendes Einkommen verfügen, eine Angewiesenheit auf Kredit notwendig nach sich ziehe. l27 Daraus ergebe sich, daß Verträgen zwischen Kreditgeber und Nachfrager eines Konsumentenkredits grundsätzlich keine Richtigkeitsgewähr zukomme; insbesondere die Entscheidung für ein freies Darlehen und die daraus zwangsläufig resultierende Belastung mit dem Verwendungsrisiko sei dem Kreditnehmer selbst dann nicht zurechenbar, wenn dieser über die ihn benachteiligende Risikoverteilung hinreichend deutlich aufgeklärt wurde; da er keine echte Alternative zur Kreditaufnahme habe, bedürften seine Vereinbarungen mit dem Kreditgeber generell, d. h. unabhängig davon, ob sie in AGB vorformuliert sind, einer sozialen überprüfung. l28 Siehe Fn. 120. So im Ergebnis auch Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 169 f. 1!4 Mit den methodischen und rechtstheoretischen Prämissen Reifners, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, setzt sich Joerges, Verbraucherschutz, S. 19 ff., umfassend auseinander. 125 Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 150 ff. 128 Siehe die Nachweise A Fn. 6. 127 Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 111 f., 202 ff., insbesondere S. 209. 128 Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 187 ff., 225 f. 122 123
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D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
Damit ist jedoch für die Einwendungsproblematik noch nicht viel gewonnen. Denn anders als in den typischen Fällen einer Verwendung unangemessener AGB ist das finanzierte Geschäft gerade dadurch gekennzeichnet, daß der Kreditgeber nicht in einer den Kreditnehmer unangemessen belastenden Weise von den Regelungen des dispositiven Rechts abgewichen ist, sondern mit der de lege lata zulässigen Wahl des Vertragstypus "freies Darlehen" eine Risikoverteilung getroffen hat, die der Gesetzgeber des BGB offensichtlich für angemessen hielt. l29 Reifner stellt daher auch folgerichtig die Frage nach der Vereinbarkeit des freien Darlehens mit der Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers und damit nach dem sozialen Gehalt der §§ 607 ff. BGB in den Mittelpunkt. Er macht deutlich, daß diese Regelung, die die Vereinbarung eines freien Darlehens nicht nur zuläßt, sondern als Normalfall der Kreditgewährung ausweist,l30 in doppelter Hinsicht auf eine konsequente Orientierung an einem liberalen Sozialmodell zurückzuführen ist. Sie beruht einmal auf der Vorstellung, daß Geld sich als eigenständiger Wert von dem durch Geld vermittelten Erwerbsgeschäft abstrahieren läßt und infolgedessen wie jede andere Ware auch Gegenstand isolierter, im Interesse beider Vertragspartner liegender Vereinbarung sein kann. l:!l Diese Prämisse ist letztlich nur auf dem Hintergrund der das liberale Sozialmodell kennzeichnenden Reduktion der Rechtsverhältnisse auf Warenaustauschbeziehungen verständlich. lu Ihr liegt andererseits die Vorstellung zugrunde, daß dem einzelnen Kreditnehmer unter Sphärengesichtspunkten der Erfolg oder Mißerfolg des mit Hilfe des Darlehens finanzierten Geschäfts zumindest insoweit individuell zuzurechnen ist, als er sich seinen Vertragspartner selbst ausgesucht hat. l33 Diese Prämisse verweist auf das nur im Bezugsrahmen eines liberalen Sozialmodells zu rechtfertigende Prinzip der dezentralisierten Risikoverteilung. l34 Dieses der Regelung der §§ 607 ff. zugrunde liegende, liberale, wirtschaftliche Vorverständnis steht nach Auffassung Reifners in krassem Gegensatz zur sozialen Wirklichkeit. Er geht davon aus, daß für den typischen Verbraucher die Möglichkeit, Geld als selbständige Leistung zu erwerben, d. h. die das freie Darlehen kennzeichnende Abstraktheit des Kreditgeschäfts, keinerlei Interesse habe; Konsum und Kredit bildeten für ihn eine unauflösliche Einheit; er könne sein begrenztes Einl!!tl Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 167 ff.; siehe dazu auch oben B Fn.116. 130 Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 168. 131 Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 152, 167 f., 283 f. 132 Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 239 ff. 133 Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 250.
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Siehe dazu B II 2 c.
II. Perspektiven der Kompensation wirtschaftlicher Unterlegenheit 135 kommen nur über die Aufnahme von Kredit in den lebensnotwendigen Konsum umsetzen; das aufgenommene Geld sei daher nur Symbol der erworbenen Ware; allein der Nutzungswert des finanzierten Gegenstandes bestimme daher für ihn den Wert des Kredits. Im Falle der Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit sei für ihn daher auch der Wert der für diesen Zweck erworbenen Kaufkraft entsprechend gemindert. 135 Dieser notwendige Zusammenhang zwischen Konsum und Kredit sei den Banken nicht unbekannt; er bilde vielmehr den Hauptanknüpfungspunkt für ihre auf Absatz- und Gewinnsteigerung gerichtete Werbung. Nur noch vereinzelt stehe das spiegelblanke Markstück selbst im Vordergrund; in aller Regel würden - dies zeige sich schon in weit verbreiteten Bezeichnungen wie Einrichtungs-, Familiengründungs-, Autodarlehen - die durch Kredit vermittelten Verbrauchswerte selbst angepriesen. l36 Die de lege lata zulässige Aufspaltung des einheitlichen, auf persönliche Reproduktion gerichteten Interesses des Verbrauchers in ein Warenerwerbsinteresse einerseits, ein selbständiges Gelderwerbsinteresse andererseits, sei aber vor allem mit seiner rechtlich anzuerkennenden Angewiesenheit auf Konsum nicht zu vereinbaren. Der Verbraucher, der bei Störungen in der Abwicklung des finanzierten Geschäfts seine Gewährleistungsrechte objektiv wegen Konkurses des Vertragspartners oder subjektivaufgrund psychologischer Zugangsbarrieren gegenüber der Justiz nicht durchsetzen könne,t37 verliere im Falle der Selbständigkeit des konsumvermittelnden Kredits nicht nur die dringend benötigte Nutzungsmöglichkeit; er sei darüber hinaus auch noch gezwungen, für den wertlosen Gegenstand weitere Zahlungen zu leisten. Damit würden jedoch die Einkommensbestandteile, die zum Erwerb eines Ersatzgegenstands dringend benötigt würden, langfristig gebunden, dem Verbraucher insoweit die Lebensgrundlage entzogen.t38 Die Vorstellung, ein Fehlschlagen des Erwerbsgeschäfts, d. h. ein Scheitern der Darlehensverwendung, sei dem Darlehensnehmer in irgendeiner Weise zurechenbar und daher seine "Privatsache", verkenne den gesellschaftlichen Charakter typischer Störungen finanzierter Verbrauchergeschäfte. In einer liberalen, wettbewerbsorientierten, kapitalistisch organisierten Wirtschaftsordnung sei ein überleben des einzelnen Unternehmers ohne Steigerung des Absatzes zu Lasten seiner Konkurrenten nicht denkbar. Eine Verbesserung der eigenen Position am 135 138 187
Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 152. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 153, 238 ff. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 155, 255; Reifner lehnt infolgedes-
sen den Grundsatz der Subsidiarität des Einwendungsdurchgriffs ab; vgl. dazuC Fn.132. 138 Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 154 f.
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D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
Markt sei jedoch entgegen den Prämissen des liberalen Sozialmodells zumindest nicht nur durch Qualitätsverbesserung unter gleichzeitiger Preissenkung zu erreichen, sondern setze vor allem eine gezielte, psychologische Beeinflussung der Nachfragerseite, die künstliche Erzeugung von Bedürfnissen voraus. 139 Dabei seien die Grenzen zwischen zulässiger, allgemeiner Manipulation des Bewußtseins in Form von Werbung und unzulässige Irreführung im Rahmen konkreter Vertragsanbahnung zwangsläufig fließend. Die arglistige Täuschung stelle sich letztliCh nicht als moralische Schwäche einzelner Verkäufer, sondern als konsequente und daher naheliegende Fortsetzung unternehmenserhaltender Verkaufs- und Absatzstrategien dar. l40 Auch die Mangelhaftigkeit von Leistungen ließe sich als persönliches Versagen einzelner Produzenten oder als technisch bedingte Ausreißer nicht befriedigend erklären, sondern sei notwendige Folge einer gewinnträchtigen Massenproduktion und Fließbandfertigung einerseits, eines Verzichts auf ausreichende, kostenintensive Endkontrolle andererseits. Zum Teil werde außerdem im Wege der Ausschuß- und Verschleißproduktion die Lebensdauer hochwertiger Konsumgüter bewußt gering gehalten, um bei der Deckung des Ersatzbedarfs wiederum den Umsatz steigern zu können. 141 Auch Konkurse ließen sich nur zu einem geringen Teil auf Mismanagement und damit auf Verschulden einzelner Unternehmer zurückführen; sie seien in erster Linie durch eine harte Konkurrenz einerseits, die Konzentrationsbestrebungen mächtiger Unternehmen andererseits, bedingt.142 Fehlinvestitionen des Verbrauchers bei der Darlehensverwendung seien daher keine Schicksalsschläge; es handle sich vielmehr um systemimmanente, mit bestimmter Wahrscheinlichkeit eintretende Auswirkungen einer konsequenten Ausrichtung am Prinzip der Gewinnmaximierung. l43 Damit verbietet es sich für Reifner, den einzelnen lohnabhängigen und damit ohnehin nur über eng begrenzte Mittel verfügenden Empfänger eines Konsumentenkredits mit dem Risiko der erfolgreichen Verwendung der Darlehensvaluta zu belasten. An die Stelle der dezentralisierten Risikoverteilung im Rahmen des einzelnen Darlehensvertrags muß seiner Auffassung nach eine kollektivistische, den sozialen Kontext einbeziehende Zurechnung treten. 144 Eine Verlagerung des Verwendungsrisikos vom Darlehensnehmer sei nicht nur im Hinblick auf die Schutzbedürftigkeit des auf Konsum angewiesenen Kreditnehmers 13G 140
141 142
143 144
Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 156 f. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 156 ff., insbesondere S. 158 f. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 162 f. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 163 ff. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 165. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 226 f., 250 ff.
H. Perspektiven der Kompensation wirtschaftlicher Unterlegenheit 137 erforderlich, sondern entspreche auch der gesamtwirtschaftlichen Rolle der Kreditinstitute.t4~ Zwischen Banken und Handel bestehe in mehrfacher Hinsicht Interessenidentität. Den Banken werde das ertragreiche Konsumentenkreditgeschäft überhaupt erst durch ständige Absatzsteigerung im Bereich langlebiger und hochwertiger Verbrauchsgüter ermöglicht j 146 sie partizipierten durch Finanzierung des Handels mittelbar an dessen Gewinnen 147 und profitierten durch kapitalmäßige Beteiligung an großen Konzernen teilweise auch direkt von den Geschäften des Handels. 148 Außerdem seien sie Schrittmacher des Konzentrationsprozesses im Einzelhandel und damit mitverantwortlich für die zahlreichen Konkurse in diesem Bereich. 149 Störungen bei der Abwicklung des finanzierten Geschäfts seien daher ihrer Sphäre zuzurechnen. 1so Auf das Vorliegen einer konkreten Verbindung zwischen Handel und Banken im Einzelfall, etwa in Form einer ständigen Zusammenarbeit, komme es demgegenüber nicht an. 151 Reifner hält daher die Regelung der §§ 607 ff. generell für unangemessen und befürwortet folgerichtig eine Verlagerung des Verwendungsrisikos im Wege des Einwendungsdurchgriffs bzw. durch Statuierung einer Haftung des Kreditgebers für die ordnungsgemäße Abwicklung des Erwerbsgeschäfts durch soziale Interpretation der §§ 320 ff. 152 im Hinblick auf alle Verbraucherkredite. 153 Trotz dieser Zurechnungsüberlegungen, die durch eine Analyse der Rolle der Banken im Geldschöpfungsprozeß ergänzt werden,154 geht es Reifner jedoch nicht in erster Linie um eine zivilrechtliche Umverteilung von Kosten zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer. Er rechnet vielmehr damit, daß die bei einer generellen Verlagerung des Verwendungsrisikos mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit bei allen Kreditinstituten anfallenden Mehrkosten als Gemeinkosten auf die Kreditkosten umgelegt und damit auf die Gesamtheit der kreditbeanspruchenden Verbraucher abgewälzt würden. Dies hält er insofern für an14~ 148
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UD 150 151
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Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 253 ff. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 254. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 256. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 136, 256 f. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 164 f., 254. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 258. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 218 ff., 226. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 226 ff., insbesondere S. 244 ff. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 429; Reifner lehnt eine Differen-
zierung nach unterschiedlicher Schutzbedürftigkeit, d. h. nach dem Einkommen des jeweiligen Verbrauchers, u. a. aus Gründen der Rechtssicherheit ab (S. 412 f.); er will jedoch den sachlichen Schutzbereich eines Konsumentenkreditgesetzes auf Kredite bis zu DM 30 000 begrenzen, da oberhalb dieser Grenze individueller Konsum und Kapitalanlage nicht mehr zu trennen sei (S. 413 f.). 154 Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 235 ff.
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D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
gemessen, als auf diese Weise nicht mehr der zufällig betroffene Einzelne in existenzbedrohender Weise belastet, sondern nur noch die Allgemeinheit in kaum spürbarem Umfang zur Kasse gebeten würde. 161 Seine Lösung zielt damit letztlich - dem gesellschaftlichen Charakter des Konsumentenkredits sowie der typischen Vertragsstörungen entsprechend - auf Vergesellschaftung der Risiken des Verbrauchers. l56 Ihr läßt sich nach Auffassung Reifners auch nicht der in einem formalen Verständnis des Gleichheitssatzes wurzelnde Einwand entgegenhalten, daß der Barzahlende, d. h. auf Ersparnisse zurückgreifende Verbraucher keinerlei Möglichkeit hat, Fehlinvestitionen auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Die soziale Situation des Konsumentenkreditnehmers sei mit der des selbst finanzierenden Verbrauchers von vornherein nicht vergleichbar. Die strukturelle Unterlegenheit des Verbrauchers aufgrund seiner Angewiesenheit auf Konsum wirke sich je nach Einkommen und Vermögen des einzelnen Konsumenten unterschiedlich stark aus. Derjenige, der etwa als freier Unternehmer oder leitender Angestellter in der Lage sei, anzusparen oder sogar ohne anzusparen bar zu bezahlen, verfüge meist auch über ausreichende Mittel, um sich durch eine überbezahlung Qualität und ehrliche Aufklärung, etwa in Fachgeschäften, zu erkaufen. Er sei daher von den zur Diskussion stehenden Störungen wie arglistige Täuschung und Mangelhaftigkeit ohnehin in geringerem Umfang betroffen. Er könne vor allem aber im Gegensatz zum typischen, lohnabhängigen Verbraucher auf eigene finanzielle Reserven zurückgreifen, um die Nachteile eines fehlgeschlagenen Erwerbsgeschäfts zu kompensieren. ls7 c) Zusammenfassung
Die - wegen ihres gedanklichen Ansatzes abzulehnende - Konzeption Reifners läßt sich damit wie folgt zusammenfassen: Aus der Anerkennung einer wirtschaftlichen Unterlegenheit des Verbrauchers aufgrund seiner Angewiesenheit auf Konsum folgt, daß den privatautonomen Vereinbarungen der Vertragspartner auch bei ausreichender Aufklärung des Kreditnehmers keine Richtigkeitsgewähr zukommt und daß diese infolgedessen durch zwingende, soziale Regelungen ersetzt werden müssen. Eine Belastung des Darlehensnehmers mit dem Risiko der erfolgreichen Verwendung der Darlehensvaluta führt bei Störungen im Erwerbsgeschäft dazu, daß für einen wertlosen Gegenstand weitere Zahlungen erbracht werden müssen und dem Verbraucher infolgedes155
Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 102, 153, 263.
Zu Problematik und Begriff der Vergesellschaftung Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 63 ff., insbesondere S. 73 ff. 157 Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 412 f. 158
H. Perspektiven der Kompensation wirtschaftlich'er Unterlegenheit 139 sen die zur Beschaffung eines geeigneten Ersatzgegenstandes erforderlichen Mittel fehlen. Dieses Ergebnis läßt sich mit der Anerkennung einer Angewiesenheit auf Konsum nicht vereinbaren; es steht darüber hinaus aber auch im Widerspruch zum gesellschaftlichen Charakter der typischen Störungen im Erwerbsgeschäft. Arglistige Täuschung, mangelhafte Leistung und Konkurs des Händlers sind nicht in erster Linie auf das Versagen einzelner Unternehmer zurückzuführen, sondern systemimmanente und unvermeidbare Fehlentwicklungen einer am Prinzip der Gewinnmaximierung orientierten, kapitalistischen Wettbewerbsgesellschaft. Das Prinzip individueller und dezentralisierter Risikoverteilung ist daher durch eine kollektivistische Zurechnungskonzeption zu ersetzen. Eine Verlagerung des Verwendungsrisikos auf den Kreditgeber ist im Hinblick auf die vielfachen Interessenverflechtungen zwischen Banken und Handel sowie auf die gesamtwirtschaftliche Rolle der Kreditinstitute ohne weiteres gerechtfertigt. Sie führt jedoch letztlich gar nicht zu einer zusätzlichen Belastung der Banken, da diese die anfallenden Mehrkosten auf die allgemeinen Kreditkosten umlegen und so auf die Gesamtheit der Kreditnehmer abwälzen können. Die Zulassung eines Einwendungsdurchgriffs dient daher der Vergesellschaftung solcher Risiken, die den einzelnen, einkommensschwachen und auf Konsum angewiesenen Kreditnehmer in seiner Existenz bedrohen, die Allgemeinheit jedoch kaum spürbar belasten. Bei einem Rückgriff auf die Kategorien der sozialen Verbraucherschutztendenz muß ein Einwendungsdurchgriff einerseits für alle Verbraucherkredite, d. h. unabhängig davon, ob Kreditgeber und Vertragspartner des finanzierten Geschäfts in irgendeiner Form eine wirtschaftliche Einheit bilden, zugelassen werden. Er ist andererseits auf Verbraucher als private Letztabnehmer zu beschränken. l58 6. Zusammenfassung
Die soziale Verbraucherschutztendenz vermag aufgrund der von ihr gewählten - wie zu zeigen sein wird, verfehlten - Prämissen eine Durchbrechung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit der Rechtssubjekte und Verwendungszwecke durch Ausbildung eines allgemeinen Sonderprivatrechts für Verbraucher stimmig zu rechtfertigen. Sie 158 Reitner, Verbraucherverschuldung, S. 403 ff.; inkonsequent allerdings insofern, als er eine Einbeziehung gewerblicher Kredite an Kleingewerbetreibende befürwortet (S. 415 ff.); er räumt zwar ein, daß die Schutzwürdigkeit von Kleingewerbetreibenden aus einer anderen strukturellen Benachteiligung als der des Verbrauchers abzuleiten ist (S. 416); da der Kleingewerbetreibende jedoch längst in die Schutzwürdigkeit der "Funktion Arbeitnehmer" hineingewachsen sei, müsse eine entsprechende Anwendung von Verbraucherschutzregeln erfolgen, solange der Arbeitsschutz noch nicht auf sie erstreckt worden sei (S. 417).
140
D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
leugnet generell die Existenz eines Gleichgewichts zwischen Verbraucher- und Marktgegenseite als tragender Funktionsbedingung von Marktmechanismus und Vertragsfreiheit und geht davon aus, daß der Verbraucher weder auf die inhaltliche Gestaltung von Verträgen Einfluß nehmen könne, noch eine reale Möglichkeit habe, durch Konsumverzicht Druck auf die Anbieterseite auszuüben, weil er gezwungen sei, Verträge abzuschließen, um seinen persönlichen Lebensbedarf abzudecken. Die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers wird also aus seiner Angewiesenheit auf Konsum abgeleitet. Diese in erster Linie wirtschaftlich bedingte Unterlegenheit soll sich nicht auf den Bereich lebensnotwendiger Güter beschränken; im Hinblick auf aggressive Werbung sowie den Gruppendruck in der Konsumgesellschaft wird dem Verbraucher vielmehr generell die Fähigkeit abgesprochen, Erwerbsentscheidungen aufzuschieben; das Leitbild des klassischen Privatrechts, die Konsumentensouveränität, wird allgemein als Fiktion angesehen. Dieser Schutzbedürftigkeitsbestimmung entspricht die Forderung nach Ablösung des geltenden, formalen Privatrechts. Es fehlt zwar bisher an einer übergreifenden Konzeption für die inhaltliche Ausgestaltung eines besonderen, sozialen Verbraucherrechts. Es läge jedoch in der Konsequenz der Anerkennung einer allgemeinen, wirtschaftlichen Unterlegenheit des Verbrauchers, einerseits den Geltungsbereich von Vertragsfreiheit weitgehend einzuschränken, andererseits die richterlichen Kontrollkompetenzen erheblich zu erweitern,159 Als dogmatische Instrumente kommen dabei eine Relativierung des Grundsatzes "pacta sunt servanda" durch Einräumung genereller Widerrufs- und Rücktrittsrechte sowie ein Verbot sozialpolitisch unerwünschter Geschäfte in Betracht. Weiterhin liegt eine Erweiterung der richterlichen Eingriffsbefugnisse im Hinblick auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nahe. Schließlich erschiene auch eine Zurückdrängung des dispositiven Rechts durch Anordnung halbzwingender Normen und durch Ausdehnung der richterlichen Inhaltskontrolle über die Grenzen des AGBG hinaus auf Individualvereinbarungen erforderlich. Dabei sind diejenigen Normen und Institute, die auf dem Prinzip dezentralisierter Risikoverteilung beruhen, durch dogmatische Instrumente zu ersetzen, die eine Vergesellschaftung von Risiken ermöglichen; beispielhaft ist insoweit etwa der sog. Einwendungsdurchgriff bei finanzierten Rechtsgeschäften zu nennen. 1OO ISV Zum Zusammenhang zwischen der Ablehnung des liberalen Sozialmodells und dem notwendigen Zuwachs an richterlichen KontrolIkompetenzen lIart KJ 1974, 274. IBO Erforderlich erschiene aber insbesondere auch eine Vergesellschaftung des Risikos gesellschaftlich bedingter Zahlungsunfähigkeit des Darlehensnehmers durch soziale Interpretation des Leistungsstörungsrechts (siehe dazu Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 291 ff). Die Nichtanwendung des Lei-
IH. Kritik
141
III. Kritik: Sozialer Verbraucherschutz im Privatrecht als Schrittmacher der Systemveränderung Die soziale Verbraucherschutztendenz, die - anders als der gedankliche Ansatz des Informationsmodells - auf dem Boden der von ihr gewählten, hier abgelehnten Prämissen die Ausbildung eines Sonderprivatrechts stimmig zu rechtfertigen vermag,161 stellt die gesamte, auf dem Grundsatz der Privatautonomie und dem Prinzip dezentralisierter Risikoverteilung beruhende Privatrechtsordnung in Frage. Sie fordert daher sowohl in ihrer theoretisc.~en AnaLyse als auch in ihren konkreten Regelungszielen und Regelungsansätzen eine Fülle von Folgefragen und Einwänden geradezu heraus. Angesichts der Spannweite ihres gedanklichen Ansatzes ist allerdings eine umfassende, den methodischen, dogmatischen und rechtspolitischen Aspekten gleichermaßen gerecht werdende Würdigung im gegenwärtigen Stadium der Diskussion kaum möglich. l 6l! Es soll daher hier nur ihre zentrale Prämisse, der Verbraucher sei aufgrund seiner teils objektiven, teils psychologisch bedingten Angewiesenheit auf Konsum wirtschaftlich unterlegen und daher generell unfähig, sich ökonomisch vernünftig zu verhalten, problematisiert werden. Es ist zunächst fraglich, ob sich eine dahingehende Schutz bedürftigkeit des Verbrauchers durch Entwicklung eines Sonderprivatrechts auf stungsstörungsrechts auf Geldschulden hielte bei Anerkennung einer allgemeinen Angewiesenheit des Verbrauchers auf Konsum sozialen Anforderungen nicht stand. Da aus der Angewiesenheit auf Konsum zwangsläufig eine Angewiesenheit auf Kredit folgt, muß sich der nur über ein begrenztes Einkommen verfügende Arbeitnehmer bis an die äußerste Grenze seiner verfügbaren Mittel verschulden. Wird er insbesondere wegen Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit oder Unglück zahlungsunfähig, dann ist ihm seine Überschuldung schon deshalb nicht zuzurechnen, weil er keine Alternative zur Kreditaufnahme hatte; eine Vollstreckung in das Sicherungsgut erscheint deshalb unangemessen, weil dem Verbraucher damit die Konsummöglichkeit genommen würde; dem Gläubiger ist im Bezugsrahmen der sozialen Verbraucherschutztendenz ein Abwarten schon deshalb zuzumuten, weil er sich die gesellschaftlichen Ursachen der Zahlungsunfähigkeit des Darlehensnehmers zurechnen lassen muß und er die Verluste über eine Erhöhung der Preise vergesellschaften kann. 181 Dies gilt allerdings nur, wenn man die wirtschaftliche Unterlegenheit des Verbrauchers in der gerade seine Situation kennzeichnenden "Angewiesenheit auf Konsum" sieht; wirtschaftliche Unterlegenheit "als solche", d. h. etwa im Sinne geringerer Kapitalkraft, ist dagegen auch im kaufmännischen Verkehr anzutreffen und rechtfertigt daher keine Ungleichbehandlung von Verbrauchern und gewerblich Tätigen; siehe zu diesen Zusammenhängen D I. 182 Bemerkenswert ist, daß gerade diejenigen Autoren, die wie insbesondere Reifner und Simitis der "unvernünftigen, den wahren Bedürfnissen des Menschen entgegenstehenden" Konsumgesellschaft ablehnend gegenüberstehen, gleichzeitig mehr oder minder bewußt die Angewiesenheit des Verbrauchers auf Konsum, und zwar nicht denjenigen, der zum Überleben erforderlich ist, sondern auf Konsum schlechthin, zum Rechtsprinzip erheben wollen.
142
D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
Dauer wirkungsvoll kompensieren läßt. Nimmt man die "Notwendigkeit der Bedarfsdeckung" als Anknüpfungspunkt verbraucherschützender Rechtsfortbildung ernst, dann ist es mit einer Einschränkung der Vertragsfreiheit durch Statuierung zwingender Normen einerseits, einer Ausdehnung richterlicher Kontrollbefugnisse im Hinblick auf Preis und Abwicklungsbedingungen andererseits, nicht getan. Denn einmal muß - und darauf wird in der Literatur bereits eindringlich hingewiesen uI3 - ein solcher Kompetenzzuwachs die Justiz langfristig gesehen in ihren organisatorischen, kognitiven und politischen Möglichkeiten überfordern; die gebotene Entlastung ließe sich jedoch nur durch eine allmähliche übertragung dieser Kontrollaufgaben auf dirigistische Institutionen erreichen. Zum anderen gewährleistet eine Einschränkung der Vertragsfreiheit nur dann eine Bedarfsdeckung des Verbrauchers zu angemessenen Bedingungen, wenn sie durch gleichzeitige Anordnung eines Kontrahierungszwangs ergänzt wird. 1M So nützt es dem auf Kredit angewiesenen Verbraucher wenig, wenn Zinsen und Abwicklungskonditionen zwar einer sozialen Kontrolle zugänglich sind, dem Kreditgeber jedoch die Gewährung eines Kredits im Einzelfall, etwa im Hinblick auf fehlende Sicherheiten, zu riskant erscheint. 166 Auf diesem Hintergrund erstaunt es nicht, wenn eine im Vordringen begriffene Auffassung in der Literatur eine Pflicht zum Abschluß eines Vertrages nicht mehr - marktwirtschaftskonform - vom Vorliegen einer Monopolstellung abhängig macht, sondern es für ausreichend hält, daß der Vertragspartner den Vertragsgegenstand benötigt, auf ihn "angewiesen" ist. 166 Aber selbst ein Kontrahierungszwang hilft dann nicht weiter, wenn der Verbraucher, dessen Bedarf zunächst einmal als rechtlich relevant anerkannt wurde, die objektiv angemessene Gegenleistung aufgrund seines geringen Einkommens nicht erbringen kann bzw. wenn ein dringend benötigtes Gut nicht oder nicht in ausreichender Menge angeboten wird. Bei einem zu befürchtenden Rückzug privaten Kapitals könnten unsoziale Konsequenzen eines sozialen Verbraucherschutzes nur durch weitere dirigistische Eingriffe in das freie Spiel der Kräfte vermieden werden. Der Kontrahierungszwang müßte, um die Bedarfsdeckung effektiv sichern zu können, durch eine Nivellierung ISS Joerges, Verbraucherschutz, S. 80 f., 129 f.; skeptisch auch E. Schmiat JZ 1980, 153, 158. 184 Vgl. zu diesem Zusammenhang bereits U~mer, Referat, H 21. 166 Dies sieht auch Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 333; vgl. auch Joerges, Verbraucherschutz, S. 128. 181 Grunewa~d AcP 182 (1982), 181, 194 ff. im Hinblick auf Vereinsaufnahmen. Zu Ausdehnungstendenzen im Bereich des Kontrahierungszwangs vgl. auch M. Wo~f JZ 1976, 41; BydHnski AcP 180 (1980), 1, insbesondere 35 ff.; speziell unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes Tilmann ZHR 141 (1977),32, insbesondere 76; grundlegend zu diesen Zusammenhängen auch Köndgen, S. 135 ff., 144 ff.
III. Kritik
143
der Einkommensunterschiede einerseits,t67 durch einen Zwang zur Produktion bestimmter Güter in Form von Investitionslenkung bzw. sogar weitergehend durch staatliche Produktion dringend benötigter Konsumgüter ergänzt werden. 168 Dies ist jedoch - und hier schließt sich der Kreis - in einem auf Privateigentum an Produktionsmitteln und freiem Unternehmertum beruhenden Wirtschaftssystem nur in geringem Umfang möglich. 161 Konsequent ließe sich einer "wirtschaftlichen Unterlegenheit" daher nur in einer Wirtschaftsordnung Rechnung tragen, in der auf irgendeine Weise "kollektiv", d. h. durch den Staat oder durch von ihm eingesetzte Institutionen entschieden wird, was produziert werden soll, in der also nicht mehr der Einzelne im Hinblick auf den zu erzielenden Gewinn über den wirtschaftlichen Einsatz seines Eigentums disponiert. Das Kriterium "Angewiesenheit auf Konsum" paßt also, wenn man es nicht marktwirtschaftskonform auf die Fälle eines Monopols und damit auf das objektive Fehlen einer Marktalternative begrenzt, nur in eine zentrale Planwirtschaft; die Verachtung, mit der der planwirtschaftlich organisierte, real existierende Sozialismus den Wünschen der Verbraucher gegenübersteht, mag allerdings skeptisch stimmen. Selbstverständlich läßt sich angesichts der Komplexität der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen keine auch nur halbwegs glaubwürdige Prognose aufstellen, welche weiteren Konsequenzen eine Durchsetzung der sozialen Verbraucherschutztendenz, insbesondere die Ausbildung eines sozialen Sonderprivatrechts für Verbraucher, nach sich ziehen würde. Immerhin zeigen die Entwicklungen am Lehrstellenund Wohnungsmarkt, daß konsequenter Sozialschutz eine eigentümliche Eigendynamik entwickeln, einen unerwünschten, die ursprüngliche, rechtspolitische Zielsetzung pervertierenden Aussperrungseffekt bewirken und damit weitere staatliche Eingriffe provozieren kann. Diese überlegungen sollen lediglich verdeutlichen, daß die Anerkennung einer allgemeinen wirtschaftlichen Unterlegenheit des Verbrauchers in ihrer logischen Konsequenz nicht auf Beseitigung einzelner 187 Vgl. Reifner, Verbraucherverschuldung, S. 412 f., der feststellt, daß die entscheidende Ungleichheit nicht im Konsum liege, sondern "in der Ungleichheit von Höhe und Stabilität der Einkommen und dort auszugleichen" sei. 188 Konsequent infolgedessen die Bemerkung Reifners, Verbraucherverschuldung, S. 395, es seien die Folgen zu bewältigen, daß für die Armen nicht einmal mehr ein nennenswerter Markt bestehe, der durch das Mittel der Konkurrenz die Preise erträglich gestalten könne; diese Konsequenz klingt auch bei Joerges, Verbraucherschutz, S. 128 an; vgl. auch von Hippel, Verbraucherschutz, S. 185. m Diese Zusammenhänge bestimmen möglicherweise zumindest unbewußt die Analyse von Joerges, der zwar einerseits dem Marktparadigma die Geltungskraft abspricht, andererseits jedoch die Position sozialer Verbraucherschutzpolitik außerordentlich skeptisch beurteilt; vgl. Joerges, Verbraucherschutz, insbesondere S. 123 ff.
144
D. Das soziale Verbraucherschutzmodell
Mißstände abzielt, sondern die Wirtschaftsordnung als ganzes angreift. Daß diese Deutung der sozialen Verbraucherschutztendenz als Schrittmacher der Systemüberwindung keineswegs abwegig ist, zeigt sich u. a. auch daran, daß in der einschlägigen Literatur zum Teil ausdrücklich hervorgehoben wird, es sei untragbar, wenn "demokratisch nicht legitimierte Gruppen" (d. h. private Eigentümer an Produktionsmitteln) über die Art und Weise der Befriedigung von Konsumbedürfnissen entscheiden bzw. sogar die gesellschaftlichen Leitbilder der Bedürfnisbefriedigung (durch Werbung) prägen könnten. 170 Die sozialpolitisch motivierte Anerkennung einer allgemein wirtschaftlichen Unterlegenheit ist jedoch nicht nur in Anbetracht möglicher unsozialer und systemverändernder Konsequenzen problematisch; sie bedarf vor allem auch im Hinblick auf ihren gedanklichen Ausgangspunkt, die Verabschiedung des liberalen Sozialmodells, insbesondere des Leitbilds der Konsumentensouveränität, einer kritischen überprüfung. Es ist zunächst zu berücksichtigen, daß eine vollständige oder auch nur annähernde übereinstimmung von Modell und Realität von vornherein nicht denkbar ist. Der beliebte Einwand, es fehle sowohl an polypolistischer Konkurrenz und vollkommener Markttransparenz als auch an einer Fähigkeit des Einzelnen, sich vollständig rational zu verhalten,171 ist daher zwar offensichtlich berechtigt, trifft jedoch nicht den Kern des Problems. Ob die Konsumentensouveränität als Leitbild der Rechtsfortbildung weiterhin Geltung beanspruchen kann, hängt nicht davon ab, ob Wunschbild und Realität überhaupt auseinander klaffen; maßgeblich ist allein das Ausmaß der Abweichung. 172 Unerheblich ist auch, ob einzelnen Rechtssubjekten die Fähigkeit zur Vernunft fehlt, -solange nur die überwiegende Mehrheit der Verbraucher in ihrem wirtschaftlichen Verhalten tendenziell dem Leitbild des homo oeconomicus entspricht. Daraus ergibt sich, daß das für die Fortbildung des allgemeinen Privatrechts maßgebliche Sozialmodell nicht von den pathologischen Bereichen und Randbezirken des gesellschaftlichen Systems her definiert werden kann; es darf sich nicht an Randgruppen, Außenseitern und tatsächlich sozial unterprivilegierten Bevölkerungsschichten, wie etwa Gastarbeitern, orientieren, sondern muß einen breiten Durchschnitt repräsentieren. Dabei ist zu berücksichtigen, daß das Konsumverhalten auch und gerade des typischen Verbrauchers in großem Umfang Schwankungen und Moden unterworfen ist, die in einem über die Tagespolitik hinausweisenden Sozialmodell nicht berücksichtigt werden können. So ist 170 Vgl. K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 97 ff., insbesondere S. 155 ff., 161 ff.; entlarvend auch Schwark, Abgrenzung, S. 24. 171 Vgl. nur Stauss, S. 30 ff. m. w. N. 172 Vgl. zu diesem Aspekt Dichtl, insbesondere S. 28.
II!. Kritik
145
etwa zu beachten, daß sich der Verbraucher gegenwärtig sehr viel preisund qualitätsbewußter verhält, als etwa in Zeiten der Vollbeschäftigung und des kontinuierlichen Lohnwachstums. Diese Wiederkehr des homo oeconomicus mag zwar auf vielfältigen Ursachen, möglicherweise in gewissem Umfang auch auf gezielter Verbraucheraufklärung und Verbrauchererziehung, beruhen. Sie legt aber vor allem den Schluß nahe, daß die Konsumentensouveränität in weiten Bereichen nicht, wie die soziale Verbraucherschutztendenz postuliert, durch die Knappheit der Mittel, d. h. durch wirtschaftliche und soziale Schwäche, bedroht wird, sondern im Gegenteil durch überfülle und Wohlstand; möglicherweise beruhte die in der Tat zu beobachtende "Unvernunft" weniger auf dem Erfolg der Manipulation durch Werbung, als auf dem durchaus selbstbewußten Gefühl, sich diese Unvernunft leisten zu können. Auch eine solche Einstellung wäre jedoch letztlich Ausdruck einer Souveränität des Konsumenten und damit der Tragfähigkeit des liberalen Sozialmodells. Denn dieses postuliert, daß der Einzelne sich frei und selbstverantwortlich entscheiden kann, nicht daß er dies im Einzelfall auch tatsächlich tutpa Die Fähigkeit zur Selbstverantwortung und Vernunft entzieht sich wie die umfassendere Willensfreiheit jedem empirischen Nachweis. Die Entscheidung für oder gegen das liberale Sozialmodell muß daher letztlich offen - und dies relativiert den Erkenntniswert sozialwissenschaftlicher Untersuchungen für diese Problematik - auf wissenschaftlicher überprüfung nicht zugängliche, philosophische und politische Wertungen verweisen. Dabei ist die auffällige Bereitschaft, dem liberalen Sozialmodell generell Geltungskraft und Tragfähigkeit abzusprechen,174 um so erstaunlicher, als dem Leitbild des freien und selbstverantwortlichen Menschen in der Gesamtrechtsordnung tragende Bedeutung zukommt. Es legitirr.iert nicht nur die Existenz von Privatautonomie oder das Festhalten am Schuldstrafrecht, sondern vor allem auch die politische Entscheidungsfindung in Form von Wahlen. Es erscheint undenkbar, dem Bürger einerseits im Hinblick auf seinen eigenen, überschaubaren Bereich, die wirtschaftliche Vernunft abzusprecheen, ihn jedoch gleichzeitig in außerordentlich komplizierten, die wirtschaftliche und politische Zukunft der gesamten Bevölkerung entscheidenden Problemen Mitsprache- und Mitbestimmungsrechte einzuräumen. Die soziale Verbraucherschutztendenz stellt also auch insoweit das geltende Staats- und Wertgefüge und damit die Grundlagen eines freiheitlichen Gemeinwesens in Frage.
178 174
Vgl. Dichtl, S. 28 f.; vgl. zu diesen Zusammenhängen bereits oben B I! 1. Vgl. bereits A VI! bei Fn. 67, D 1.
10 Dauner-Lieb
E. Ergebnis: Sachbezogene Rechtsfortbildung unter Wahrung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit als Perspektive systemkonformer Weiterentwicklung des Privatrechts I. Sonderprivatrechtliche Rechtsfortbildung unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes, d. h. die Entwicklung von Normen mit begrenztem persönlichen oder sachlichen Geltungsbereich, bedeutet eine Privilegierung schutzbedürftiger Personengruppen bzw. des Verwendungszwecks "Konsum".1
n.
1. Weder den an den Kaufmannsbegriff anknüpfenden Normen, noch
den Instituten des sog. sozialen Wohnungsmietrechts, lassen sich verallgemeinerungsfähige Ansätze für eine solche Privilegierung entnehmen. 2 Das allgemeine Privatrecht wird vielmehr von den Prinzipien der formal-abstrakten Gleichheit der Rechtssubjekte und Verwendungszwecke, der dezentralisierten Risikoverteilung sowie der Vertragsfreiheit geprägt.
Seine Normen gelten grundsätzlich für alle Rechtssubjekte ohne Differenzierung nach Einkommen, sozialen Rahmenbedingungen oder ökonomischer Rolle. -
Sie regeln im vertraglichen Bereich nur den ordnungsgemäßen Austausch von Leistung und Gegenleistung; Risiken werden unter dem Gesichtspunkt individueller Zurechenbarkeit und Beherrschbarkeit zugeordnet.
-
Sie sind grundsätzlich dispositiv; den Parteien wird die Freiheit gewährt, ihre Beziehungen nach deren Vorstellungen zu gestalten.3
2. Diesen Prinzipien liegt ein liberales Sozialmodell zugrunde; es beruht auf der Vorstellung, daß alle Individuen gleichermaßen fähig und bereit sind, ihre wirtschaftlichen Angelegenheiten frei und vernünftig zu gestalten (Leitbild des homo oeconomicus), daß anderer1 2
3
Siehe A VI. Siehe B I. Siehe B II 2.
E. Ergebnis
147
seits funktionierender Wettbewerb und freies Unternehmertum eine optimale Güterversorgung und Güterverteilung gewährleisten (Marktparadigma).4 Sonderprivatrechtlicher Verbraucherschutz erweist sich damit als Problem von Geltungskraft und Tragfähigkeit des liberalen Sozialmodells. 5
m.
1. Die eine im Zeichen des Verbraucherschutzes stehende, als Infor-
mationsmodell zu kennzeichnende Rechtsfortbildungstendenz stellt das liberale Sozialmodell sowie die darauf beruhende Privatrechtsordnung nicht grundsätzlich in Frage. Sie sieht also einen Schutz des Verbrauchers primär durch funktionierenden Wettbewerb gewährleistet und betont infolgedessen die Bedeutung einer effektiven Wettbewerbspolitik. Daneben arbeitet sie ausreichende Information und Markttransparenz als weitere, wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren von Vertragsfreiheit und Marktmechanismus heraus. Die Unterlegenheit des Verbrauchers wird aus einem Mangel an wirtschaftlichen und rechtlichen Kenntnissen und damit aus einem typischen Informationsdefizit gegenüber der Marktgegenseite abgeleitet; eine Schutzbedürftigkeit wird im Hinblick auf seine rechtliche und geschäftliche Unerfahrenheit anerkannt.6
2. Als Instrument der Kompensation dieser Art von Schutzbedürftigkeit kommt in erster Linie Verbraucheraufklärung in Betracht. Aufbau und Förderung von Verbraucherzentralen oder der Stiftung Warentest zielen auf eine allgemeine Hebung des Informationsniveaus. Durch die Statuierung zivilrechtlicher Aufklärungspflichten, die die Eigenschaften der Hauptleistung oder die Höhe des Preises zum Gegenstand haben, kann gewährleistet werden, daß den Verbrauchern im Hinblick auf konkret abzuschließende Verträge die für eine vernünftige Willensbildung erforderlichen Schlüsselinformationen zur Verfügung stehen. 7 Bei pflichtwidrigem Unterlassen· gebotener Aufklärung ist dem nicht informierten Vertragspartner ein Aufhebungs- bzw. Widerrufsrecht zu gewähren, das de lege ferenda in die allgemeine Rechtsgeschäftslehre zu integrieren wäre. 8 Auch die Inhaltskontrolle von AGB läßt sich bei entsprechender Interpretation des AGBG als Kompensation eines typischen Erfah4
5 ft
7 8
10*
Siehe B Siehe B Siehe C Siehe C Siehe C
II 1. IIr. I. II 2 a. II 3.
E. Ergebnis
148
rungs- und Informationsdefizits verstehen, nicht dagegen eine überprüfung von Individualvereinbarungen.9 Die Anerkennung einer rechtlichen und geschäftlichen Unerfahrenheit kann die Zulassung des sog. Einwendungsdurchgriffs nicht rechtfertigen. lo Eine Schutzbedürftigkeit wegen rechtlicher und geschäftlicher Unerfahrenheit entfällt, wenn ausreichend deutlich aufgeklärt wurde;l1 ein darüber hinausgehender Schutz, insbesondere die Anordnung zwingenden Rechts, ist mit den Prämissen des Informationsmodells nicht zu vereinbaren. 12 3. Der Korrekturansatz des Informationsmodells erscheint systembzw. marktwirtschaftskonform; es fehlt jedoch an einem eine Durchbrechung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit rechtfertigenden Verbraucher- bzw. Personenbezug. Das Problem ausreichender Information über willensbildungsrelevante Faktoren betrifft nicht allein Verbraucher, sondern sämtliche Rechtssubjekte, die rechtsgeschäftlich tätig werden, ohne im Hinblick auf den konkret abzuschließenden Vertrag über berufliche Spezialkenntnisse zu verfügen. Kompensationsmaßnahmen können daher grundsätzlich nicht auf bestimmte Personengruppen, insbesondere den privaten Letztabnehmer, beschränkt bleiben. Die Ausbildung eines allgemeinen Sonderprivatrechts für Verbraucher läßt sich im Bezugsrahmen des Informationsmodells nicht rechtfertigen. 13 IV. 1. Die andere, im Vordringen begriffene, als soziales Verbraucherschutzmodell zu kennzeichnende Verbraucherschutztendenz leugnet generell die Existenz eines Gleichgewichts zwischen Verbraucherund Marktgegenseite als tragender Funktionsbedingung von Marktmechanismus und Vertragsfreiheit. Der nur über ein begrenztes Einkommen verfügende Verbraucher könne angesichts der erdrückenden übermacht des produzierenden Kapitals auf die inhaltliche Gestaltung von Verträgen keinen Einfluß nehmen. Er habe darüber hinaus jedoch nicht einmal die Möglichkeit, durch Konsumverzicht Druck auf die Anbieterseite auszuüben; da er gezwungen sei, seinen persönlichen Lebensbedarf zu decken, bleibe ihm nichts anderes
Siehe C II 2 b. Siehe C II 4. 11 Siehe C II 2 a, C II 4 b dd. 12 Siehe C II 2 C. 13 Siehe C III. D
10
E. Ergebnis
149
übrig, als sich ihren Bedingungen zu unterwerfen. Die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers wird aus seiner Angewiesenheit auf Konsum abgeleitet; diese wirtschaftlich bedingte Unterlegenheit soll sich nicht auf den Bereich lebensnotwendiger Güter beschränken; im Hinblick auf die aggressive Werbung sowie den Gruppendruck in der Konsumgesellschaft wird dem Verbraucher vielmehr generell die Fähigkeit abgesprochen, Erwerbsentscheidungen aufzuschieben. Die Konsumentensouveränität wird bereits im Ansatz als Fiktion angesehen. 14 2. Dieser Schutzbedürftigkeitsbestimmung entspricht einmal die Forderung nach Kontrolle bzw. einem Verbot von Werbung sowie nach einer Neuorientierung des Wettbewerbsrechts. 15 Es läge im übrigen in der Konsequenz der Anerkennung einer allgemeinen wirtschaftlichen Unterlegenheit des Verbrauchers, das geltende, formale Privatrecht durch ein eigenständiges, die soziale Wirklichkeit einbeziehendes Verbraucherrecht abzulösen, d. h. einerseits den Geltungsbereich von Vertragsfreiheit weitgehend einzuschränken, andererseits die richterlichen Kontrollkompetenzen erheblich zu erweitern,ul Als dogmatische Instrumente kommen dabei eine Relativierung des Grundsatzes "paeta sunt servanda" durch Einräumung genereller Widerrufs- und Rücktrittsrechte17 sowie ein Verbot sozialpolitisch unerwünschter Geschäftst.ypen in Betracht. 1l! Weiterhin liegt eine Erweiterung richterlicher Eingriffsbefugnisse im Hinblick auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung durch soziale Interpretation des § 138 BGB nahe. 11 Schließlich erschiene vor allem eine Zurückdrängung des dispositiven Rechts durch Anordnung halbzwingender Normen und durch Ausdehnung der richterlichen Inhaltskontrolle über die Grenzen des AGBG hinaus auf Individualvereinbarungen erforderlich.20 Dabei wären diejenigen Normen und Institute, die auf dem Prinzip dezentralisierter Risikoverteilung beruhen, durch dogmatische Instrumente zu ersetzen, die eine Vergesellschaftung von Risiken ermöglichen; beispielhaft ist insoweit etwa der sog. Einwendungsdurchgriff bei finanzierten Rechtsgeschäften zu nennen, dessen Anwendungsbereich auf sämtliche Kredite an private Letztabnehmer auszudehnen wäre. 21 14
15 18 17 18 18 20 !1
Siehe D 1. Siehe D I bei Fn. 33. Siehe D bei Fn. 35 - 38. Siehe D 11 1. Siehe D 11 2. Siehe D 11 3. Siehe D 11 4. Siehe D 11 5.
150
E. Ergebnis
3. Der Korrekturansatz der sozialen Verbraucherschutztendenz vermag - unterstellt man einmal die Richtigkeit des gedanklichen Ausgangspunkts - eine allgemeine Durchbrechung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher stimmig zu rechtfertigen. Die in Betracht kommenden Kompensationsmaßnahmen lassen sich jedoch nicht isoliert verwirklichen, sondern erfordern eine gleichzeitige Entwicklung dirigistischer Strukturen; an Stelle des souveränen Konsumenten müßten staatliche Stellen über die Angemessenheit von Verträgen entscheiden. Bei einem zu befürchtenden Rückzug privaten Kapitals könnte der "Angewiesenheit auf Konsum" nur noch durch Anordnung von Kontrahierungszwang, durch Investitionslenkung und staatliche Produktion bestimmter Güter Rechnung getragen werden. Es besteht daher die Gefahr, daß die Entwicklung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher tiefgreifende Systemveränderungen nach sich zieht. 22
v. Die Ausbildung eines allgemeinen Sonderprivatrechts, d. h. die Entwicklung von Normen und Normenkomplexen mit begrenztem persönlichen und sachlichen Geltungsbereich, läßt sich damit marktwirtschaftskonform nicht rechtfertigen. Der Systematik des geltenden, allgemeinen Privatrechts entspricht vielmehr eine sachbezogene Rechtsfortbildung. Eine systemkonforme Weiterentwicklung und Aktualisierung des Bürgerlichen Rechts hat also grundsätzlich einerseits schutzbedürftigkeitsneutral an den sachlichen Besonderheiten des jeweiligen Vertragstypus oder Problemkomplexes anzusetzen, andererseits unter Wahrung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit alle betroffenen Rechtssubjekte in den Geltungsbereich von Reformmaßnahmen einzubeziehen.23 So wäre möglicherweise ein generelles, zwingendes Verbot bestimmter, bisher nur im Rahmen des AGBG überprüfbarer Klauseln unter dem Gesichtspunkt der Ausbildung einer verfeinerten Verkehrsmoral systemkonform zu rechtfertigen;24 denkbar ist auch, daß sich die Zulassung des sog. Einwendungsdurchgriffs bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen objektiv-sachbezogen, etwa aus dem Gedanken individuelSiehe D II!. Vgl. zur insoweit beispielhaften Entwicklung einer Produzentenhaftung durch die Rechtsprechung bereits A IV; auf sachbezogene Rechtsfortbildung zielt etwa auch die Arbeit von Koller, der unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Prämissen des liberalen Sozialmodells versucht, die Prinzipien abstrakter Beherrschbarkeit, Absorption sowie arbeitsteiliger Veranlassung für die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen fruchtbar zu machen. U Vgl. C I! c bei Fn. 51. !2
23
E. Ergebnis
151
ler Zurechenbarkeit und Beherrschbarkeit, ableiten läßt,25 wobei dann auch Vollkaufleute in seinen Geltungsbereich einzubeziehen wären. 26 Dieses Ergebnis kann und darf nicht als politisches Programm verstanden werden. Zum einen sind auch und gerade bei grundsätzlichem Festhalten an einem liberalen Sozialmodell in der Praxis Kompromisse möglicherweise unvermeidbar; es ist nicht auszuschließen, daß bestimmte Mißstände - etwa im Bereich der Kreditvermittlung oder der Umschuldung - mangels ausreichender "Selbstheilungskräfte" der betreffenden Wirtschaftskreise Bezugnahmen auf die Kategorie einer wirtschaftlichen Unterlegenheit des Verbrauchers bzw. ein Eingreifen mit den Mitteln der sozialen Verbraucherschutztendenz notwendig erscheinen lassen.27 Dahingehende Maßnahmen sollten dann allerdings als Ausnahmeregelungen gekennzeichnet und als Sondergesetze außerhalb des BGB angesiedelt werden.28 Vor allem aber verweist die grundsätzliche Entscheidung für oder gegen das liberale Sozialmodell und damit für oder gegen eine freiheitliche, auf dem Prinzip der Privatautonomie beruhende Privatrechtsordnung auf außerrechtliche, wissenschaftlicher überprüfung nicht zugängliche Wertungen.29 Eine wissenschaftliche Behandlung der Probleme sonderprivatrechtlicher Rechtsfortbildung unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes kann daher lediglich dazu beitragen, durch modellhaft-rigoroses Vorgehen diese Wertungen offenzulegen und vorhandene Argumentationsmuster auf Konsequenz und Stimmigkeit hin zu überprüfen; sie ist dagegen nicht in der Lage, eine bestimmte Entscheidung zu legitimieren.
!6 Neuere eindeutig objektiv-sachbezogene Korrekturansätze bei Canaris, BVR, Rdnr. 1497; vgl. auch ZIP 1980, 709, 720; Grunewald JA 1980, 463, 466; im Ansatz auch Koller, Risikozurechnung, S. 351 ff.; zu objektiv-vertragsbezogenen Ansätzen in der neueren Rechtsprechung des BGH vgl. oben C II 4 a cc. !e Insofern konsequent Canaris, BVR, Rdnr. 1447. !7 In Betracht kommen insbesondere die unter D II 1, D II 2 genannten Maßnahmen. 18 Vgl. zu diesem Problemkreis A VI. 21 Siehe D III.
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