Neo-Institutionalismus: Kritik und Weiterentwicklung eines sozialwissenschaftlichen Forschungsprogramms 9783839443026

Since the 1990s, neo-institutionalism has developed into one of the most productive theories in the social sciences. The

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German Pages 276 Year 2020

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Inhalt
Vorwort
Außenbezüge, Binnendifferenzen und neue Herausforderungen des Neo-Institutionalismus. Eine Übersicht
Was ist eine Institution? Der organisationale Institutionenbegriff zwischen Pornographie und Fußball
Institution und Organisation. Zur Gegenüberstellung von zwei Schlüsselkonzepten
Zum Umgang mit Fragen institutioneller Pluralität
Sinnprovinzen, Leitideen, institutionelle Logiken. Regionalisierte Bedeutungszonen in der neo-institutionalistischen Organisationsforschung
Rationalitätsmythos. Konzeptualisierung eines schillernden Begriffs
Rationalisierung und Individualisierung. Wie Organisationen gesellschaftliche Werte verändern
Netzwerke. Relationales Denken im Neo-Institutionalismus
Die Erfassung und Messung von Bedeutungsstrukturen in großen Textsammlungen. Die Nutzung neuartiger Werkzeuge des Natural Language Processing im Neo-Institutionalismus
Neo-Institutionalismus. Empirische, theoretische und methodische Perspektiven
Autorinnen und Autoren
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Neo-Institutionalismus: Kritik und Weiterentwicklung eines sozialwissenschaftlichen Forschungsprogramms
 9783839443026

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Raimund Hasse, Anne K. Krüger (Hg.) Neo-Institutionalismus

Sozialtheorie

Raimund Hasse ist an der Universität Luzern Professor für Soziologie mit den Schwerpunkten Organisation und Wissen. Zu seinen wissenschaftlichen Stationen zählen Bielefeld (Promotion), Aachen (Habilitation) sowie Madison, Wisconsin. Anne K. Krüger ist promovierte Soziologin und nach Stationen als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung als wissenschaftliche Koordinatorin in der interdisziplinären Arbeitsgruppe »Wandel der Universitäten und ihres gesellschaftlichen Umfelds: Folgen für die Wissenschaftsfreiheit?« an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften tätig.

Raimund Hasse, Anne K. Krüger (Hg.)

Neo-Institutionalismus Kritik und Weiterentwicklung eines sozialwissenschaftlichen Forschungsprogramms

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4302-2 PDF-ISBN 978-3-8394-4302-6 https://doi.org/10.14361/9783839443026 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt Vorwort | 7 Außenbezüge, Binnendifferenzen und neue Herausforderungen des Neo-Institutionalismus Eine Übersicht

Raimund Hasse und Anne K. Krüger | 9

Was ist eine Institution? Der organisationale Institutionenbegriff zwischen Pornographie und Fußball

Elke Weik | 35

Institution und Organisation Zur Gegenüberstellung von zwei Schlüsselkonzepten

Nils Brunsson | 53

Organisationen und heterogene Umwelten Zum Umgang mit Fragen institutioneller Pluralität

Frank Meier und Uli Meyer | 75 Sinnprovinzen, Leitideen, institutionelle Logiken Regionalisierte Bedeutungszonen in der neo-institutionalistischen Organisationsforschung

Renate E. Meyer, Dennis Jancsary und Markus A. Höllerer | 101 Rationalitätsmythos Konzeptualisierung eines schillernden Begriffs

Katja Hericks | 137

Rationalisierung und Individualisierung Wie Organisationen gesellschaftliche Werte verändern

Nadine Arnold, Raimund Hasse und Hannah Mormann | 165 Netzwerke Relationales Denken im Neo-Institutionalismus

Achim Oberg und Valeska Korff | 191

Die Erfassung und Messung von Bedeutungsstrukturen in großen Textsammlungen Die Nutzung neuartiger Werkzeuge des Natural Language Processing im Neo-Institutionalismus

Jan Goldenstein, Philipp Poschmann und Peter Walgenbach | 219 Neo-Institutionalismus Empirische, theoretische und methodische Perspektiven

Georg Krücken | 251

Autorinnen und Autoren | 271

Vorwort

Der soziologische Neo-Institutionalismus ist in der Theorielandschaft bereits seit langem eine festetablierte Größe. Doch trotz – oder gerade auch wegen – seines langjährigen Bestehens zeigt sich aktuell, dass er neue Debatten provoziert, die sich kritisch mit diesem Entwicklungsstand auseinandersetzen und in denen Bezüge zur aktuellen soziologischen Fachdiskussion auf bislang noch nicht erfolgte Weise hergestellt werden. Diese Entwicklung spiegelte sich nicht zuletzt auch in den Diskussionen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten wissenschaftlichen Netzwerks »Das ungenutzte Potenzial des soziologischen Neo-Institutionalismus« oder auf der 2017 veranstalteten Frühjahrstagung der Sektion Organisationssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie zum Thema »Neo-Institutionalismus: Innenansichten und Außenansichten« wider. Beide Veranstaltungen haben deutlich gemacht, dass der soziologische NeoInstitutionalismus nicht nur in der soziologischen Forschung fest verankert ist, sondern auch weiterhin innovatives Potenzial bereithält, um aktuelle Themen zu untersuchen und neueste gesellschaftliche Entwicklungen zu berücksichtigen. Zugleich tauchte die Frage auf, wie sich die dort angestoßenen Diskussionen thematisch bündeln und weiterführen ließen, ohne dabei auf das klassische Genre einer oder gar mehrerer Tagungsdokumentationen zurückzugreifen. Am aussichtsreichsten erschien uns eine vertiefte Auseinandersetzung in Form relativ weniger, aber grundlegender Beiträge. Ziel dieser Beiträge sollte es sein, die Entwicklung des soziologischen Neo-Institutionalismus sowohl kritisch unter die Lupe zu nehmen als auch zur Inspirationsquelle für neue Herangehensweisen zu nutzen. Die grundlegende Idee des vorliegenden Bandes besteht deshalb darin, ausgewählte Schlüsselkonzepte und grundlegende Ansätze des Neo-Institutionalismus aufzugreifen und kritisch zu diskutieren. Die Kritik kann sich dabei sowohl auf die mittlerweile klassischen Grundlagen des Neo-Institutionalismus beziehen als auch auf aktuellere Weiterentwicklungen, die durch die Vernachlässigung wichtiger Schwerpunkte, durch problematische Formen des mainstreaming oder

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teils einfach durch Moden und relativ kurze Konjunkturen von »Unteransätzen« gekennzeichnet sind. Es geht uns jedoch ausdrücklich nicht um eine fundamentale Defizitdiagnose. Im Fokus der einzelnen Beiträge stehen vielmehr konzeptionell folgenreiche empirische Veränderungen beispielsweise im Hinblick auf Fragen der Kopplung oder auf weltgesellschaftliche Themen, forschungsstrategischmethodische Entwicklungen im Zusammenhang mit neuen Erhebungs- und Auswertungsmöglichkeiten oder theoretisch relevante Veränderungen im Umfeld des Neo-Institutionalismus und im Neo-Institutionalismus selbst in Bezug auf Schwerpunkte, Konjunkturen und Moden. Auf diese Weise dient jeder Beitrag dazu, ein bestimmtes neo-institutionalistisches Konzept oder eine grundlegende Idee aufzugreifen, Ursprung und aktuelle Diskussionen darzustellen und vor dem Hintergrund derzeitiger gesellschaftlicher und/oder wissenschaftlicher Entwicklungen kritisch zu hinterfragen. Doch geht es uns in dem vorliegenden Band nicht allein darum, sich mit bereits bestehenden Debatten auseinanderzusetzen. Vielmehr bietet der Band auch Anregungen, Anknüpfungspunkte an andere theoretische Ansätze und neue empirische Gegenstände unter Einsatz neuer Methoden auszuloten und damit auch für die Beantwortung zukünftiger Fragestellungen fruchtbar zu machen. Der vorliegende Band ist also weder Lehrbuch noch ein Beitrag zur Dogmatisierung. Stattdessen stellt er eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit dem NeoInstitutionalismus dar, die zum Nach- und Weiterdenken anregen soll. Dieser Band wäre nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung von María del Rocío Fonseca Sasian, Kathrin Rietze, Eliane Ruesch, Mara Tanner, Caroline Walpen sowie von Viola Müller, die uns wertvolle Hilfe bei der Übersetzung und dem Lektorat der Beiträge geleistet haben und denen wir an dieser Stelle herzlich danken möchten. Danken möchten wir auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Finanzierung dieses Bandes. Raimund Hasse und Anne K. Krüger Berlin/Luzern, August 2019

Außenbezüge, Binnendifferenzen und neue Herausforderungen des Neo-Institutionalismus Eine Übersicht Raimund Hasse und Anne K. Krüger

Der soziologische Neo-Institutionalismus gilt als eine der produktivsten Theorierichtungen der Sozialwissenschaften. Insbesondere in der Bildungsforschung, der Weltgesellschaftsanalyse, der sozialwissenschaftlichen Wirtschaftsforschung und nicht zuletzt in der Organisationsforschung hat er sich als eigenständiger Ansatz etabliert. Ausweis seiner Produktivität ist vor allem eine Vielzahl empirischer Untersuchungen, in denen auf dieses Theorieangebot zurückgegriffen wird und in denen oftmals einzelne konkrete Fälle den Untersuchungsgegenstand bilden. Ungeachtet dieser Erfolgsgeschichte scheint der theoretische Stellenwert des Neo-Institutionalismus – insbesondere sein Verhältnis zu anderen Theorien und Ansätzen der Soziologie – nach wie vor ungeklärt. Während er Einigen als Sammelbecken für ein überaus breites Spektrum theoretischer Einsichten dient, gilt er Anderen als spezifischer Ansatz mit mehr oder weniger begrenzter Reichweite. Aus diesen beiden Grundorientierungen haben sich unterschiedliche Situationseinschätzungen und Entwicklungsperspektiven ergeben. Der NeoInstitutionalismus ist damit kein statisches Gebilde, sondern durch unterschiedliche, teils überraschende Entwicklungen gekennzeichnet. Es erscheint daher lohnenswert, nach der derzeitigen Positionierung des Neo-Institutionalismus sowie danach zu fragen, wie es dazu gekommen ist.

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URSPRÜNGE: EIN FORSCHUNGSPROGRAMM DURCH ABGRENZUNG Was seit nunmehr einigen Jahrzehnten in soziologischen Kontexten als NeoInstitutionalismus etikettiert wird, hat zahlreiche Entwicklungen durchlebt und ist Gegenstand unterschiedlicher Kritikpunkte, daraus resultierender Weiterentwicklungen und deren erneuter Kritik gewesen (vgl. aktuell Kirchner et al. 2015; Alvesson/Spicer 2018). Es ist deshalb nicht ganz einfach, die Essenz dieses Forschungsansatzes zu bestimmen. Einigkeit besteht jedoch über die Ursprünge in den 1970er Jahren, wenngleich das Label Neo-Institutionalismus in der Soziologie erstmals in den 1980er Jahren auftaucht und erst zu Beginn der 1990er Jahre mit der berühmten Anthologie von Powell und DiMaggio (1991) »institutionalisiert« wird. Den Beginn markierten dabei weder ein Schulen bildendes Großwerk noch ein programmatisches Manifest für zukünftige Forschung, sondern eine Handvoll einzelner Beiträge mit thematischen und konzeptionellen Überlappungen. Auffällig an diesen »Klassikern des Neo-Institutionalismus« ist erstens, dass der Begriff »Neo-Institutionalismus« gar nicht verwendet wird. Stattdessen präsentieren sie sich als Beiträge, die überraschende empirische Beobachtungen theoretisieren (vgl. Meyer/Rowan 1977), bemerkenswerte Ergebnisse experimenteller Forschung mit Bezug auf soziologische Theorien diskutieren (vgl. Zucker 1977) oder ein ganzes Arsenal überprüfbarer Hypothesen entwickeln (vgl. DiMaggio/Powell 1983). Eine zweite Auffälligkeit besteht darin, dass die seinerzeit aktuellen Theoriedebatten der Allgemeinen Soziologie als Referenzrahmen dienen. Dementsprechend bilden Grundlagen des symbolischen Interaktionismus und der Neuen Wissenssoziologie (bei Meyer/Rowan 1977) zusammen mit Positionierungen der Ethnomethodologie (bei Zucker 1977) sowie die Arbeiten Bourdieus (bei DiMaggio/Powell 1983) wichtige Bezugspunkte. Während eine essenzielle Bestimmung dieses Neo-Institutionalismus schwierig ist, sind einige der ursprünglichen Frontstellungen offensichtlich. So diente im Hinblick auf die Organisationsforschung der zu jener Zeit vorherrschende Kontingenzansatz als primärer Gegner. Dieser schrieb Organisationsstrukturen bekanntlich die Funktion zu, die Kernaktivitäten einer Organisation zu gewährleisten (vgl. Thompson 1967; Mintzberg 1979). Krankenhausorganisation dient demnach der Patientenbehandlung, Universitäten werden für die Forschung und Lehre gestaltet und Industriebetriebe so, dass Produktionsprozesse optimiert werden können. Der Kontingenzansatz interessierte sich vor allem für Unterschiede zwischen Organisationen sowie für in jeweils spezifischen Bedingungen begründete Abweichungen von best management practices in Form bürokratischer oder tayloristischer Prinzipien. Im diametralen Gegensatz hierzu betonten

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Meyer und Rowan (1977) ebenso wie DiMaggio und Powell (1983) Ähnlichkeiten zwischen Organisationen sowie Prozesse der Angleichung. Isomorphie – entweder in Bezug auf andere Organisationen oder zur kulturellen Umwelt – avanciert in diesem Zusammenhang zu einem Grundbegriff. Als Ursachen für vorherrschende Organisationsstrukturen und deren Entwicklung werden zudem, anders als im Kontingenzansatz, nicht technologische Gründe, sondern in der gesellschaftlichen Umwelt vorherrschende Werthaltungen und Überzeugungen genannt. Diese werden, so die These, von Organisationen verinnerlicht – und zwar auch dann, wenn dies zuweilen nur pro forma und zum Schein geschehen kann, weil alles andere mit internen Arbeitsanforderungen kollidieren würde. Organisationsstrukturen haben demnach nicht unbedingt die Funktion der effizienten Gestaltung interner Abläufe, sondern sie dienen der Signalisierung von Konformität. Ziel dabei ist nicht Effizienz, wie seitens der Kontingenzforschung angenommen, sondern Legitimität. Diese gilt dann als gewährleistet, wenn Organisationen und jeweilige Strukturmerkmale von relevanten Umwelten als selbstverständlich, angemessen oder nützlich beurteilt werden. Den Kontingenzansatz der Organisationsforschung kann man als dominantes Paradigma seiner Zeit betrachten, der unter anderem massiv zur Verwissenschaftlichung der betriebswirtschaftlichen Managementlehre beigetragen hat. Vor diesem Hintergrund ist die anfängliche Argumentation des Neo-Institutionalismus vergleichsweise bescheiden; man interessiert sich für organisatorische Sonderfälle wie Schulen und hinterfragt die Kernaussagen des Kontingenzansatzes mit Bezug auf diese Sonderfälle. Die allgemeine Begründung hierfür basiert auf der ursprünglich wichtigen Unterscheidung zwischen technologischen und nicht-technologischen – also institutionellen – Sektoren, und der Generalangriff gegen den Kontingenzansatz beschränkt sich auf Organisationen des institutionellen Sektors (vgl. Meyer et al. 1981; Meyer/Scott 1983). Bei diesen, so die Argumentation, ist Leistung schwer zu messen und Fragen der Effizienz sind deshalb weniger wichtig für die Überlebensfähigkeit und den Erfolg von Organisationen. Eine zweite Frontstellung bezieht sich auf die Allgemeine Soziologie, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von zwei Theorien dominiert wird. Da ist zunächst – mit einem Höhepunkt in den 1960er Jahren – der Funktionalismus parsonianischer oder auch mertonianischer Prägung. Der Anti-Funktionalismus des Neo-Institutionalismus ergibt sich dabei einerseits aus der bereits genannten Frontstellung gegenüber dem Kontingenzansatz, da Organisationsstrukturen nicht mit Verweis auf das Funktionserfordernis der Gestaltung interner Abläufe erklärt werden. Andererseits wendet sich der Neo-Institutionalismus auch gegen Vorstellungen einer Institutionalisierung von organisationalen Praktiken und

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Zielen durch eine »infusion with value« (Selznick 1984 [1957]: 257), die eine affektive Bindung der Organisationsmitglieder an ihre Organisation erzeugt. An ihre Stelle treten unter Bezug auf Webers Rationalitätsbegriff und die Neue Wissenssoziologie von Berger und Luckmann (1967) Verweise auf die Wirkmächtigkeit von Symbolen, kulturellen »Mythen« und Grundüberzeugungen. Die massenhafte Entstehung und Verbreitung von Organisationen selbst wird als Ausbreitung eines gesellschaftlich geteilten Mythos über die Rationalität bürokratischer Strukturen gedeutet, der jedoch weniger aus Gründen einer normativen Verpflichtung befolgt wird, sondern vielmehr als unhinterfragte Tatsache wirkmächtig wird. Indem man anstelle von normativen »values« auf kognitive »meanings« verweist, machen sie eine Frontstellung gegenüber dem auf, was später als »alter« Institutionalismus gelabelt werden wird (vgl. DiMaggio/Powell 1991). Insofern präsentiert sich der Neo-Institutionalismus als eine Art »antifunktionalistische« Kultursoziologie (vgl. Dobbin 1994). Ebenso positioniert sich der Neo-Institutionalismus als Anti-These zu Theorien rationaler Wahl, die seit den 1970er Jahren in der Allgemeinen Soziologie an Bedeutung gewinnen. Anstelle eines methodologischen Individualismus, der auch Makrophänomene durch Rekurs auf individuelle Nutzenkalküle und hierauf bezogene Strategien erklären möchte, wird eine diametral entgegengesetzte Sichtweise verfolgt (vgl. Jepperson/Meyer 2011). Dieser Sichtweise zufolge prägen kulturelle Leitorientierungen gesellschaftliche Akteure nicht nur, sondern sie konstituieren diese sogar (vgl. auch Hasse 2019). Für Organisationen bedeutet dies: sie gelten nicht als Zusammenschlüsse individueller Akteure, sondern als Ausdruck einer gesellschaftlich vorherrschenden (Welt-)Kultur. Für die in Organisationen Handelnden bedeutet dies: ihre Aktivitäten folgen nicht unbedingt einer »logic of consequentiality« (vgl. March/Olsen 1989), sondern sie sind geprägt durch Routinen, Scripts und gesellschaftliche Erwartungshaltungen. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen bestimmen demnach nicht nur den Möglichkeitsraum, in dem Akteure agieren; vielmehr orientieren sie darüber, wie dieser Möglichkeitsraum genutzt wird (vgl. Cardinale 2018). Eine dritte Abgrenzungsmöglichkeit eröffnet der Bezug auf die Institutionenansätze anderer Disziplinen sowie auf soziologische Vorläufer. Mit Bezug auf den in etwa zeitgleich entstehenden Neo-Institutionalismus in der Ökonomie und teils auch in den Politikwissenschaften lässt sich bilanzieren, dass der soziologische Neo-Institutionalismus wesentlich radikaler argumentiert. Denn während jene sich im Wesentlichen auf Fragen der gesellschaftlichen Einbettung in Form von Regeln und Anreizen beziehen, betont der soziologische Neo-Institutionalismus die gesellschaftliche Erschaffung von Akteuren mitsamt deren Nutzenkalküle und Präferenzen (vgl. Meyer et al. 1987; Meyer/Jepperson 2000;

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Meyer et al. 2010). An die Stelle von Institutionen als Resultate intentionalen Handelns und Machtstrebens tritt eine an Berger und Luckmann orientierte Vorstellung der Entstehung und Aufrechterhaltung von Institutionen aufgrund vorbewusster Habitualisierungen (vgl. Camic 1986) und unhinterfragter Sinnzuschreibungen. Fundamente der Handlungstheorie werden in der Frühphase des soziologischen Neo-Institutionalismus also in ihren Grundfesten erschüttert. Diese Abgrenzungen, prominent und programmatisch bei Powell und DiMaggio (1991) hervorgehoben, sind jedoch stets vergleichsweise umstritten gewesen. Sie basierten zumeist auf der Einschätzung, dass Fragen der Macht und Durchsetzungsfähigkeit – nicht zuletzt hinsichtlich einer Gestaltung von Institutionen – im soziologischen Neo-Institutionalismus zunächst in den Hintergrund getreten seien, während sie bei Vertretern eines klassischen Institutionalismus noch im Zentrum der Aufmerksamkeit gestanden hätten (vgl. Stinchcombe 1997). Allerdings hat es stets einflussreiche Vertreter des soziologischen NeoInstitutionalismus gegeben, die diese Beschränkung auf einen bestimmten Institutionentyp untergraben und Fragen der Gestaltung von Institutionen auch als Ergebnisse strategischer Manöver begriffen haben (vgl. insbesondere Fligstein 1985; DiMaggio 1988), so dass eine derartige Unterscheidung zwischen altem und neuem Institutionalismus in der Soziologie weniger eindeutig ist als zuweilen suggeriert wird (vgl. auch Selznick 1996).

INSTITUTIONALISIERUNG IN DER WELTGESELLSCHAFTSUND IN DER MANAGEMENTFORSCHUNG Im Anschluss an diese Ursprünge lässt sich ein zweiter Entwicklungsschritt identifizieren. Erst jetzt wird das Label »Neo-Institutionalismus« eingeführt. Auf diese Weise werden zahlreiche einzelne empirische Untersuchungen gebündelt, die durch eine starke Bezugnahme auf die Arbeiten von Meyer und Rowan (1977), Zucker (1977) und DiMaggio und Powell (1983) gekennzeichnet sind. Einen entscheidenden Beitrag hierzu liefert der 1991 von DiMaggio und Powell herausgegebene Band The New Institutionalism in Organizational Analysis. Zudem wird Ende der 1990er Jahre erstmalig auch in der deutschsprachigen Diskussion auf den Neo-Institutionalismus eingegangen (vgl. Walgenbach 1995, Hasse/Krücken 1999) und damit der Grundstein für seine bis heute anhaltende Rezeption gelegt. In diesem zweiten Entwicklungsschritt gewinnen auch die zwei wesentlichen thematischen Linien an Kontur, die den Neo-Institutionalismus bis heute sowohl prägen als auch in unterschiedliche Richtung anschlussfähig gemacht haben. Auf

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der einen Seite steht die Entwicklung der world polity-Forschung, die sich als gesellschaftstheoretisch unterfütterte Makroperspektive des Neo-Institutionalismus deuten lässt (vgl. Drori et al. 2006). Die Beobachtung struktureller Ähnlichkeit – zunächst von Organisationen und darauffolgend dann auch von ganzen staatlichen Politikprogrammen – rückt die Diffusion dahinterstehender Institutionen, die unter Rückgriff auf die Neue Wissenssoziologie als kulturellen Regeln und gesellschaftlich geteilte Bedeutungszuschreibungen verstanden werden, in den Fokus. Dies führt zu einer Auseinandersetzung mit der bestehenden Innovationsforschung und der Frage nach der Adaption neuer Ideen und Praktiken (vgl. DiMaggio/Powell 1983; Tolbert/Zucker 1983; Strang/Meyer 1993; Strang/Soule 1998). Die Ausbreitung neuer organisationaler Praktiken wird dabei als Institutionalisierungsprozess verstanden, der nicht auf der Messung ihrer Effektivität und Effizienz basiert. Stattdessen geht es um die Notwendigkeit, sich an für legitim gehaltene Vorstellungen und Erwartungshaltungen anzupassen. Vor diesem Hintergrund gehen insbesondere John Meyer und sein unmittelbares Umfeld noch einen Schritt weiter, indem sie nicht nur das Phänomen einer voranschreitenden Diffusion und zunehmenden Homogenisierung von organisationalen Praktiken sozialtheoretisch als Institutionalisierungsprozess dahinterstehender (westlicher) kultureller Modelle beschreiben, sondern sich auch auf politische Programme und staatliche Strukturmerkmale beziehen. Darüber hinaus leisten sie einen gesellschaftstheoretischen Beitrag, mit dem sie sich von bestehenden Theorien eines »Weltsystems« (vgl. Wallerstein 1974) und damit verbundenen Vorstellungen einer Dominanz ökonomischer Prozesse abgrenzen und ihnen eine world polity als ein »hoch institutionalisiertes System struktureller und kultureller Regeln« (Wobbe 2000: 27) entgegensetzen. Unter Rückbezug auf Max Weber sehen sie dabei den Prozess einer zunehmenden Rationalisierung am Werk, der sich in der Zunahme bürokratischer Organisation, der Expansion des Bildungswesens, der Produktion wissenschaftlicher Expertise sowie in einer zunehmenden Ausbreitung von Menschenrechten zeigt (vgl. Meyer et al. 1987; Meyer et al. 1997). Die Herausbildung generalisierter Modelle durch wissenschaftliche Expertinnen und Experten und ihre Verbreitung insbesondere durch Internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen oder sich zunehmend gründende international agierende Nicht-Regierungsorganisationen (vgl. Boli/ Thomas 1997; Lechner/Boli 2005) wird hierbei sowohl als Ergebnis als auch als Triebkraft für die Entstehung und fortlaufende Ausbreitung einer world polity gesehen. Im Fokus ihrer Forschung stehen deshalb neben dem Bildungssystem (vgl. Meyer 1977; Meyer et al. 1992; Schofer/Meyer 2005; Meyer et al. 2006) vor allem die Verbreitung von Menschen-, Frauen- und Bürgerrechten (vgl. Ramirez et al. 1997; Meyer et al. 2010; Tsutsui/Wotipka 2004) oder des Umwelt-

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schutzes (vgl. Meyer et al. 1997; Schofer/Hironaka 2005). Die Argumentation stützt sich dabei wesentlich auf deskriptiv-statistische Beobachtungen sowie auf Regressionsanalysen, wodurch teleologische Überhöhungen vermieden werden, die nicht zuletzt klassische Modernisierungstheorien gekennzeichnet haben. Zentraler Ausgangspunkt ist dabei neben der theoretischen Argumentation auch die empirisch-methodische Vorgehensweise, indem man Datensätze erstellt, die einen Ländervergleich über Zeiträume von bis zu hundert Jahren ermöglichen (zur forschungsstrategischen Vorgehensweise vgl. auch Schneiberg/Clemens 2006). Auf der anderen Seite erreicht der Neo-Institutionalismus in diesem zweiten Entwicklungsschritt jene Organisationsforschung, die sich jenseits von Organisationen des sogenannten institutionellen Sektors wie z.B. Krankenhäuser und Schulen vorwiegend auf Unternehmen und deren Management bezieht (vgl. Fligstein 1990; Westphal/Zajac 1998). Dass sich in dieser Phase mit Richard Scott ein wichtiger Vertreter der Organisationssoziologie dem Neo-Institutionalismus anschließt, indem er einen einflussreichen state of the art-Report zur »Adoleszenz« des Neo-Institutionalismus verfasst (vgl. Scott 1987) und zudem in Kooperation mit John Meyer wichtige Texte zur institutionellen Einbettung von Organisationen publiziert (vgl. Meyer/Scott 1983; Scott/Meyer 1994), erhöht die Sichtbarkeit und Akzeptanz des neuen Forschungsprogramms gravierend. Als »booster« dieser Entwicklung wirken darüber hinaus zwei Beiträge, die von den Soziolog*innen Christine Oliver und Mark Suchman im Academy of Management Journal als dem für die Betriebswirtschaftslehre wichtigsten Journal der Organisationsforschung veröffentlicht werden und die Perspektive auf das Innenleben von Organisationen vertiefen. Zunächst veröffentlicht Christine Oliver (1991) einen Beitrag zu Strategic Responses to Institutional Conditions. Ausgangspunkt der Argumentation ist, dass Organisationen bei ihren Reaktionen auf (neue) institutionelle Erwartungen nicht determiniert sind und dass sie auf diese Erwartungen auch nicht unbedingt vorbewusst und intentionslos reagieren. Vielmehr werden Reaktionsspielräume identifiziert, für die angenommen wird, dass sie strategisch genutzt werden können. Der Fokus auf strategische Manöver war insofern neu, als dass bei DiMaggio und Powell (1983) strukturelle Gründe einzelner Organisationen oder ganzer Organisationsfelder zur Erklärung unterschiedlicher Effekte herausgestellt wurden, während bei Meyer und Rowan (1977) eine Perspektive vorherrschte, die generell Vorteile der – wenigstens formalen und demonstrativ zur Schau gestellten – Konformität mit gesellschaftlichen Erwartungen hervorhob, auch wenn dies zur Entkopplung formaler Strukturen von den Kernaktivitäten einer Organisation zur Folge hat. Oliver (1991) identifiziert demgegenüber fünf Strategiety-

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pen mit verschiedenen taktischen Variationen, mit denen Organisationen regieren (können). Diese reichen von der vorbehaltlosen Befolgung bis hin zur offenen Konfrontation mit den Absendern entsprechender Erwartungen. Ähnlich argumentiert vier Jahre später der John Meyer-Schüler Mark Suchman (1995). Sein Beitrag liefert nicht nur die weit verbreitete und praktisch von allen übernommene Definition von Legitimität als Zuschreibung einer Bewertung als nützlich, passend oder angemessen. Vielmehr stellt er zugleich eine Synthese institutioneller und strategischer Theorieperspektiven in Aussicht. Legitimationsfragen werden somit, wenigstens bis zu einem gewissen Grad, zu einer Frage aktiven Managements; sie gelten als teilweise gestaltbar (vgl. auch Elsbach 1994). Auch bei Suchmann bildet eine Typologie den Kern der Argumentation. Dabei wird unterschieden zwischen pragmatisch begründeten Legitimitätszuschreibungen, für die Nützlichkeitserwägungen zentral sind, normativmoralischen Bewertungen (entweder der Effekte oder der verwendeten Verfahren) sowie der kognitiven Verständlichkeit bzw. der taken-for-grantedness eines Sachverhalts.

BINNENDIFFERENZIERUNG Auf der Grundlage der Einbeziehung strategischer und gestalterischer Perspektiven kommt es zu einer »Institutionalisierung des Neo-Institutionalismus« auch in der Managementforschung. Die Konsequenz ist ein weiteres Wachstum des Forschungsfeldes, deren Einzelbeiträge im Regelfall als Fallstudien angelegt sind. Vor dem Hintergrund dieser Expansion positionieren sich in einem dritten Entwicklungsschritt des Neo-Institutionalismus verschiedene Ausrichtungen, die sich als »Unteransätze« bezeichnen lassen. Man hat es also mit dem soziologisch vertrauten Phänomen von Wachstum und Differenzierung zu tun. Drei Beispiele für diese Phase, die historisch die ausgehenden 1990er Jahre und die 2000er Jahre kennzeichnet, lassen sich identifizieren. Das erste Beispiel bildet der »Scandinavian Institutionalism« (vgl. Sahlin/ Wedlin 2008), der mit seinem Blick auf »travels of ideas« (vgl. Czarniawska/ Jörges 1996) an den Fokus auf Diffusionsprozesse anschließt. Wichtigster Beitrag des Skandinavischen Institutionalismus ist der Verweis darauf, dass abstrakte und tendenziell globale Modelle an spezifische situative Kontexte anzupassen sind und dass diese Anpassungsleistung unterschiedlich gut gelingen kann. Die ursprüngliche Figur der losen Kopplung spielt dabei nur noch eine untergeordnete Rolle. Stattdessen werden Fragen der Spezifikation von Modellen in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Dem skandinavischen Institutionalismus ver-

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danken sich ein paar erfolgreich in den Mainstream exportierte Fachbegriffe, die auf diese Spezifikationsleistung bezogen sind. Hierzu zählen insbesondere jene der »translation« und des »editing«. Allgemeine Modelle wie z.B. »Public Private Partnership« oder »New Public Management« im Falle von Politik und Verwaltung oder »Lean Production« und »Diversity Management« im Falle von Unternehmen werden demnach auf unterschiedliche Art konkretisiert oder gar abgeändert, eben übersetzt und editiert, um Anschlussfähigkeit herzustellen. Infolgedessen unterscheidet sich nicht lediglich die Praxis z.B. im Ländervergleich des New Public Management oder im Organisationsvergleich der Lean Production, sondern die entsprechenden Länder und Organisationen beziehen sich von vorneherein auf Spezifikationen abstrakter Modelle, die insbesondere von Beratern und anderen Experten*innen geleistet werden. Die programmatische Proklamation von Unteransätzen geht im Regelfall damit einher, dass sich Abgrenzungen gegenüber anderen sozialwissenschaftlichen Herangehensweisen verflüchtigen. So lassen sich in neueren Beiträgen insbesondere aus der Managementforschung zahlreiche Versuche finden, Fragen der Entscheidungsfähigkeit und Intentionalität individueller und kollektiver Akteure wesentlich stärker zu gewichten als im ursprünglichen Neo-Institutionalismus. Das zeigt sich insbesondere am zweiten Beispiel für die Entwicklung von Unteransätzen, das der Alberta Business School entstammt und sich auf »institutional entrepreneurship« bezieht (vgl. Lounsbury/Glynn 2001; Hardy/ Maguire 2008). Im Konzept des »institutional entrepreneurship« werden nicht nur die Reaktionsmöglichkeiten auf institutionelle Kontexte stark gewichtet, so wie bei Oliver (1991) und Suchman (1995). Vielmehr geht es darum, dass diese Kontexte selbst durch absichtsvolles Handeln geschaffen werden. Den Startpunkt dieser Programmatik bildet eine Metaanalyse neo-institutionalistischer Publikationen in organisationswissenschaftlichen Fachzeitschriften (vgl. Suddaby/Greenwood 2005). Darin zeigen die Autoren, dass Fragen institutionellen Wandels im Regelfall auf absichtsvolle Aktivitäten individueller und kollektiver Akteure zurückgeführt werden. Da die neo-institutionalistische Theorie demgegenüber die Handlungen von Akteuren vornehmlich als erklärungsbedürftige Folgen institutioneller Prozesse ausweist – und eben nicht als Ursache institutionellen Wandels – attestiert man dem Neo-Institutionalismus ein »people problem« (vgl. Hallet/Vantresca 2006). Während dieses »people problem« zunächst mit Verweis auf mehr oder weniger heroische Unternehmer gelöst werden soll, relativiert man in nachfolgenden Arbeiten die darin zum Ausdruck kommende Akteursperspektive, indem man versucht, das Konzept der »institutionellen Arbeit« zu etablieren (vgl. Lawrence et al. 2009; Zietsma/Lawrence 2010). Es bleibt jedoch bei einer stark handlungssoziologisch geprägten Theorievariation,

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die erstens Institutionen – und deren Entstehung, Aufrechterhaltung und Erosion (und nicht Handlungsorientierungen oder Entscheidungen und dabei zu Grunde liegende Muster) – als Explanandum behandelt und zweitens intentionales Handeln (und eben nicht Institutionen) als Explanans ausweist. Für das dritte Beispiel ist eine Rückbesinnung auf den klassischen Beitrag von Roger Friedland und Robert Alford (1991) zentral. Dabei wird der bereits bei Max Weber hervorgehobene Hinweis auf die Ko-Existenz unterschiedlicher Wertsphären zu einem Programm weiterentwickelt, das unter dem Label »institutional logics« und daraus resultierender »institutional complexity« zusammengefasst wird. Den Startpunkt bilden hier zwei Beiträge. In ihrem Beitrag im American Journal of Sociology argumentieren Thornton und Ocasio (1999), dass institutionelle Bedingungen spannungsreicher und mitunter konflikthafter sind als im Neo-Institutionalismus gemeinhin unterstellt wird. In dieselbe Richtung geht auch Lounsbury (2007) in seinem Beitrag im Academy of Management Journal. Anstelle von Isomorphie argumentiert er für die Variation organisationaler Praktiken aufgrund unterschiedlicher Möglichkeiten, diese als rational begründen zu können. Entsprechend biete die Differenz von Konformität und Abweichung wenig Orientierung. Die Auseinandersetzung mit Institutionen erfordere stattdessen strategische Manöver und bringe auf diese Weise unterschiedliche Handlungsoptionen hervor. Wie auch schon in den Konzepten von »institutional entrepreneuship« und »institutioneller Arbeit« werden damit Institutionen zum Bestandteil strategischen Kalküls. Insbesondere im Hinblick auf die beiden letztgenannten »Unteransätze« innerhalb des Neo-Institutionalismus lassen sich wichtige Gemeinsamkeiten diagnostizieren. Auffällig an diesen Differenzierungen ist, dass Außenbezüge abnehmen und stattdessen Positionierungen innerhalb des Neo-Institutionalismus vorgenommen werden – insbesondere im Hinblick auf Abgrenzungen und Weiterentwicklungen der ursprünglichen Beiträge. Dabei tritt der Neo-Institutionalismus erstens selbst an die Stelle aktueller Sozial- und Organisationstheorien, d.h. man arbeitet sich kritisch an den Grundlagen des eigenen Forschungsprogramms ab und positioniert sich innerhalb dieses Referenzrahmens. Die unmittelbare Folge hiervon ist, dass die Beiträge vor allem innerhalb des Neo-Institutionalismus auf Resonanz stoßen und außerhalb weit weniger rezipiert werden. Zweitens verwenden die Beiträge sehr schnell Label wie eben »institutional complexity« oder »institutional entrepreneurship«, die forschungsstrategische Möglichkeiten der Nischenbesetzung eröffnen. Dieses Branding steht im auffälligen Gegensatz zur ursprünglichen Entwicklung, bei der das Label Neo-Institutionalismus erst Jahre nach Veröffentlichung der ersten Beiträge eingeführt worden ist. Eine dritte Gemeinsamkeit ist inhaltlicher Art, weil sämtliche Unteran-

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sätze Reaktionsmöglichkeiten und -notwendigkeiten betonen, so dass sich die gestalterische Leistung gesellschaftlicher Akteure hervorheben lässt. Hierdurch entsteht eine programmatische Öffnung nicht nur zum strategischen Management der Organisationsforschung, sondern auch zu jenen Sozialtheorien, die Akteuren Intentionalität und vergleichsweise hohe Reflexionsniveaus zuschreiben. Die Folge dieser Neuausrichtung ist eine weitere Öffnung des Forschungsprogramms, die die Bestimmung dessen, was den Neo-Institutionalismus kennzeichnet und von anderen Ansätzen abgrenzt, weiter erschwert. Der im Zusammenhang mit Akteurskonzeptualisierungen oftmals anzutreffende Verweis auf begrenzte Rationalität und auf eine Einbettung von Akteuren in soziale Beziehungen oder in kulturelle Kontexte ist in diesem Zusammenhang jedenfalls nur ein schwaches Abgrenzungskriterium und alles andere als ein Alleinstellungsmerkmal des soziologischen Neo-Institutionalismus.

WEITERENTWICKLUNGEN: GESELLSCHAFTS-, ORGANISATIONS- UND SOZIALTHEORETISCH Doch greift man zu kurz, wenn man den Blick auf die Binnendifferenzierung in Unteransätze verengt. Denn es hat natürlich auch jenseits des soziologischen Neo-Institutionalismus, d.h. insbesondere in der soziologischen Theorie und in der Organisationsforschung Weiterentwicklungen gegeben, die neue Anknüpfungspunkte bieten. Einige dieser Anknüpfungspunkte nehmen den Neo-Institutionalismus selbst als Ausgangsbasis, um daran weiterführende gesellschafts-, organisations- oder auch dezidiert sozialtheoretische Gedanken anzuschließen. Einen wichtigen Bezugspunkt bilden dabei nach wie vor die Arbeiten John Meyers und seines unmittelbaren Umfelds, die noch einmal verstärkt eine gesellschaftstheoretische Perspektive einnehmen. So beschreiben Bromley und Meyer eine ins Extrem gesteigerte Institutionalisierung von Organisationen und behaupten in diesem Zusammenhang, dass sogar »the most hardened production firm now is likely to have organized offices and officers of very uncertain value in terms of the final products« (Bromley/Meyer 2015: iv). Ausgangspunkt der von Bromley und Meyer eingenommenen Perspektive sind andauernde Prozesse der Ausbreitung und des Wachstums von Organisationen. Diese Prozesse werden sodann mit – makrosoziologischen – Entwicklungen im Bereich von Bildung und Wissenschaft in Beziehung gesetzt, wobei insbesondere der Zeitraum seit 1970 berücksichtigt wird. Bildungsexpansion führt demnach dazu, dass sich die Personalkonzepte des 21. Jahrhunderts stark von denen des beginnenden 20. Jahrhunderts unterscheiden; Verwissenschaftlichung

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beinhaltet nicht zuletzt die akademische Auseinandersetzung mit Organisationsfragen und eine damit einhergehende Entdeckung von Gestaltungsmöglichkeiten. Zudem wird die Bildungsexpansion mit der Stärkung individueller Rechte und mit Professionalisierungstendenzen in Beziehung gesetzt. Und tatsächlich ist in dem von Bromley und Meyer (2015) entwickelten Konzept der HyperOrganisation auch ein mögliches Ende der vorherrschenden Entwicklung bereits angedeutet. Ein Stopp der Bildungsexpansion und entsprechender Professionalisierung, veränderte Formen der Staatlichkeit oder aktuelle Hinterfragungen westlicher Kulturmuster haben in diesem Zusammenhang das Potenzial, die bisherige Entwicklung in eine andere und bislang unbekannte Richtung zu lenken und damit neue Fragen nach einer Diffusion von De-Institutionalisierungsprozessen aufzuwerfen. Dezidiert organisationssoziologische Weiterentwicklungen liefert Frank Dobbin unter Einbeziehung von professionssoziologischen Fragestellungen. Dabei sind zwei Themenschwerpunkte zu identifizieren. Der erste Schwerpunkt bezieht sich auf die Finanz- und Wirtschaftskrise. Dobbin setzt sich dabei kritisch mit institutionenökonomischen Perspektiven wie insbesondere der principal agency theory auseinander und zeigt auf, wie die Profession des Finanzmanagements seit den 1990er Jahren an Bedeutung gewinnt und für sie vorteilhafte, aber im Aggregat hochriskante Anreizstrukturen etabliert (vgl. Dobbin 2010; Dobbin/ Zorn 2005). Der zweite Themenschwerpunkt bezieht sich auf Human Resource Management im Allgemeinen und Diversity Management im Besonderen. Dabei geht es einerseits um die Übersetzung des neuen Managementkonzepts in konkrete Programme einzelner Unternehmen und um damit erzielte Effekte, wobei Dobbin und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeigen, dass viele der einzelnen Programme vergleichsweise folgenlos bleiben und wenig Diversität bewirken (vgl. Dobbin et al. 2011). Andererseits geht es bei diesem Thema um historische Analysen zur Rationalisierung von Anti-Diskriminierungsanliegen. Kernelement dieser Rationalisierung ist eine Umdeutung der Begründung für Diversität von Gerechtigkeitsfragen und juristischen Risiken hin zur Deutung von Diversität als effizienzsteigernde Personalpolitik (vgl. Dobbin 2009). Konzeptionell ist dabei auffällig, dass Unterscheidungen zwischen klassischem und neuem Institutionalismus insofern hinfällig werden, wie die Argumentation ebenso auf die Positionen Selznicks (d.h. eine starke Gewichtung von Wertorientierungen und der mikropolitischen Manöver von Entscheidungsträgern) wie auf die John Meyers (d.h. Rationalisierungsglaube als entscheidende Triebfeder der thematisierten Entwicklung) Bezug nimmt. Die Arbeiten Neil Fligsteins können als eine weitere Weiterentwicklung angeführt werden. Sie sind durch Bezüge zur neuen Wirtschaftssoziologie gekenn-

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zeichnet. Im Gegensatz zu Meyer und Powell standen bereits in den ursprünglichen Beiträgen Fligsteins, die im Kern eine empirisch unterfütterte neoinstitutionalistische Kritik an Chandlers Erklärung zur Durchsetzung der multidivisonalen Form enthielten, Fragen der Macht und der Durchsetzungsfähigkeit dominanter Akteure im Zentrum der Aufmerksamkeit (vgl. Fligstein 1996). Die Untersuchungseinheit bildeten jedoch weniger einzelne Organisationen als vielmehr ganze Organisationsfelder, bei denen die Unterscheidung zwischen Etablierten und Newcomern grundlegend war. Während letztere sich mit einem vorab definierten Geflecht an Institutionen auseinandersetzen und sich daran ohnmächtig anpassen müssen, so die Argumentation, eröffnen sich Etablierten Möglichkeiten der Gestaltung dieser Institutionen, durch die sie sich die Newcomer auf Distanz halten können. Zwei miteinander verbundene Weiterentwicklungen charakterisieren diesen Umgang mit dem Neo-Institutionalismus: Erstens wird die ursprüngliche Perspektive zu einem diachronen Vergleich weniger »conceptions of control« weiterentwickelt (vgl. Fligstein 1990); zweitens dient das Interesse zunehmend einer Weiterentwicklung von Feldtheorien, die mit explizitem Bezug auf Forschung zu sozialen Bewegungen die Begrenzung auf Organisationen hinter sich lässt (vgl. Fligstein/McAdam 2011). Die Kennzeichnung als »strategic action fields« offenbart zudem, dass in den Arbeiten Fligsteins Fragen strategischen Handelns vergleichsweise stark in den Vordergrund gerückt werden. Eine wichtige Weiterentwicklung bilden zudem die Arbeiten Walter Powells, die zunehmend durch die Einbeziehung netzwerktheoretischer Überlegungen gekennzeichnet sind. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen neuartige Organisationsformen, die insbesondere für (technologische) Innovationen bedeutsam sind (vgl. Powell et al. 2005, 2009). Der theoretisch ambitionierteste Beitrag entstammt einer jahrelangen Kooperation mit John Padgett (vgl. Padgett/Powell 2012). Dabei werden – der Netzwerktheorie von Harrison White (1992) nicht unähnlich – sozialtheoretische Grundfiguren zur Erklärung der Entstehung und Ausbreitung neuartiger – und überlegener – Organisationsweisen herangezogen. Auffällig dabei ist, dass die Perspektive dezidiert nicht akteurstheoretisch angelegt ist. Neuerungen werden also nicht als schöpferische Pläne ausgewiesen, sondern als nicht-intendierte Effekte lokaler und situativer Handlungsorientierungen sowie als Übertragung von Organisationsweisen in neue Kontexte. Ein weiteres Kennzeichen der Arbeiten Powells ist die Verarbeitung großer Datenmengen, mit denen nicht zuletzt legitimatorisch relevante Darstellungsformen untersucht werden. Darüber hinaus können auf dieser Grundlage wichtige Aktualisierungen der Grundidee einer Isomorphie von und in Organisationsfeldern beobachtet werden, die insbesondere vor dem Hintergrund der empirischen For-

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schung zur Ökonomisierung und Rationalisierung von Nonprofit-Organisationen diskutiert werden (vgl. Korff/Oberg/Powell 2015). Einen explizit sozialtheoretisch ausgerichteten Ansatzpunkt findet man in den aktuellen Arbeiten Roger Friedlands, der, aufbauend auf seinem und Robert Alfords 1991er Aufruf zu »bringing society back in«, sich aktuell verstärkt mit der Rolle von Wert innerhalb des Neo-Institutionalismus auseinandersetzt (vgl. Friedland 2013; 2017). Anlass hierfür ist die bereits angesprochene erneut aufgekommene Diskussion über institutionelle Logiken (vgl. Thornton/Ocasio/ Lounsbury 2012), von der sich Friedland jedoch kritisch distanziert. Gleichzeitig votiert er dafür, in die Konzeptualisierung von Logiken wieder die Frage nach Wert und Wertzuschreibung zu integrieren, die durch den »cognitive turn« des Neo-Institutionalismus ausgeklammert wurde, ohne dabei jedoch in ein funktionalistisches Normenverständnis zurückzufallen. Stattdessen argumentiert er dafür, dass in institutionalisierten Praktiken eine Wertschätzung eingeschrieben ist, die durch ihre Ausführung immer wieder hervorgebracht und perpetuiert wird. Institutionen sind damit nicht frei von wertzuschreibender Normierung sozialer Wirklichkeit, sondern vielmehr elementarer Bestandteil der Aufrechterhaltung spezifischer gesellschaftlicher Wertvorstellungen. Die hier genannten Zentren und Schwerpunkte unterscheiden sich stark voneinander und sind nicht durch intensive wechselseitige Bezugnahmen gekennzeichnet. Dennoch ist es sehr leicht, Gemeinsamkeiten zu identifizieren. Erstens sind diese Zentren institutionell in soziologischen Kontexten der USA verankert – und zwar vornehmlich in überaus renommierten und international anerkannten Universitäten wie Stanford, Berkeley und Harvard. Das ist insofern auffällig, als dass der Neo-Institutionalismus auch andernorts – nicht zuletzt in Kontinentaleuropa – sowie in der betriebswirtschaftlichen Organisationsforschung weit verbreitet ist und mit der Alberta Business School über ein sichtbares Forschungszentrum außerhalb der Soziologie verfügt. Die zweite Gemeinsamkeit besteht darin, dass großformatige Themen bearbeitet werden, in denen Merkmale der Weltgesellschaft (vgl. Bromley/Meyer 2015), sozialtheoretische Grundlagenarbeit (vgl. Friedland 2013), wirtschaftliche und organisatorische Entwicklungen des 20. Jahrhunderts (vgl. Fligstein 2001; Dobbin 2009) oder sogar seit dem Mittelalter (vgl. Padgett/Powell 2012) behandelt werden. Dieses Interesse an »Großthemen« ist für die Institutionentheorie seit Klassikern wie Veblen (1899) und Schumpeter (1976) durchaus typisch, und es findet seinen Ausdruck nach wie vor in sichtbaren Monografien. Drittens besteht eine Gemeinsamkeit darin, dass diese Autoren nur am Rande auf »den Neo-Institutionalismus« als einem hochintegrierten und nach außen klar abgrenzbaren Ansatz eingehen und die Begrifflichkeit auch kaum verwenden. Stattdessen ist eher allgemein von »institutional

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lines of thinking« oder ähnlichem die Rede. Vorschläge zur programmatischen Weiterentwicklung des Neo-Institutionalismus oder auch Abgrenzungen innerhalb des Neo-Institutionalismus tauchen praktisch nicht auf, weil die Soziologie, insbesondere in Abgrenzung zu dominanten Ansätzen der Ökonomik, den zentralen Bezugspunkt bildet. Und viertens spielen Organisationen bei den meisten der genannten Autoren zwar eine entscheidende Rolle; die Beiträge sind aber nicht ausschließlich organisationssoziologisch ausgerichtet. Ebenso wie bei Meyer andere Bezüge und zwar insbesondere zur Makrosoziologie und zur Bildungssoziologie zentral sind, bezieht sich Powell primär auf die Innovationsund Netzwerkforschung, Fligstein und Friedland können im Überlappungsbereich von Wirtschafts- bzw. von Religions- und Politischer Soziologie angesiedelt werden und Dobbins Beiträge sind sehr stark professionssoziologisch ausgerichtet. Es handelt sich also durchaus um unterschiedliche Spezialisierungen jenseits von Organisationssoziologie und Neo-Institutionalismus.

AKTUALISIERUNGSPOTENZIALE Riskiert man im Anschluss an diese Skizze relevanter Entwicklungslinien und insbesondere an den Rückblick auf die Anfänge des soziologischen Neo-Institutionalismus mit seinen ursprünglichen Abgrenzungen einen Blick in die Gegenwart, dann scheinen Frontstellungen gegenüber anderen Theorierichtungen als Ausgangspunkt theoretischer Weiterentwicklung in den Hintergrund gerückt zu sein. Zu variantenreich präsentiert sich der Neo-Institutionalismus. Es liegt nahe, dies als Folge des relativen Bedeutungszuwachses des soziologischen NeoInstitutionalismus bzw. seines Mainstreamings zu begreifen. Denn fraglos hat sich das Forschungsprogramm auf bemerkenswerte Weise entwickelt – und zwar in der interdisziplinären Organisationsforschung noch stärker als in der Soziologie. Jedenfalls führt die Frage nach dem Umgang mit aktuell konkurrierenden Programmen zu der Erkenntnis, dass Abgrenzungen zu derzeit rivalisierenden Theorien kaum mehr eine Rolle spielen. Das gilt nicht nur innerhalb der Organisationsforschung und insbesondere in Bezug auf eine Synthese mit strategischen Ansätzen, in denen Organisationen sehr viel größere Gestaltungsspielräume zugestanden werden. Auch im Rahmen der soziologischen Theoriedebatte gibt sich der Neo-Institutionalismus mittlerweile überaus versöhnlich und friedliebend. Ursprünglich charakteristische Abgrenzungen und Fundamentalkritiken haben an Bedeutung verloren; Positionen aktueller Theorieangebote – wie der Praxistheorie (vgl. Florian 2008), der Netzwerktheorie (vgl. Padgett/Powell 2012), der Soziologie der Konventionen (vgl. Knoll 2015) und gar der Systemtheorie (vgl.

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Hasse/Krücken 2005) – werden eher integriert als zurückgewiesen. Dies zeigt sich auch in diesem Band. So positionieren sich Renate Meyer, Dennis Jancsary und Markus Höllerer innerhalb der neo-institutionalistischen Debatten zwar eindeutig – im Gegensatz zum aktuellen Trend einer Mikrofundierung – als Vertreter*innen einer Makroperspektive, indem sie demonstrativ auf den Ausgangspunkt des soziologischen Neo-Institutionalismus in der Beobachtung und Analyse von Makrostrukturen verweisen. Daran anschließend zeigen sie jedoch in Auseinandersetzung mit Theorienangeboten insbesondere auch jenseits des NeoInstitutionalismus auf, wie sich diese Ausgangspunkte weiter entwickeln lassen. Doch gibt es gegen die Integration einzelner Theorieangebote auch dezidiert Gegenwind wie der Beitrag von Elke Weik verdeutlicht. Weik stellt noch einmal die zentrale Frage danach, was eigentlich eine »Institution« ist. Sie setzt sich dabei kritisch mit der Rückkehr des Akteurskonzepts in den Neo-Institutionalismus auseinander und verweist auf die Debatten, die dazu innerhalb des Neo-Institutionalismus geführt werden. Gleichzeitig ist der Neo-Institutionalismus Gegenstand von Kritik und Änderungsvorschlägen, die teilweise auch von außen an ihn herangetragen werden und neue Möglichkeiten der Weiterentwicklung eröffnen. Abgesehen davon, dass sich Kritik und Änderungsvorschläge bereits aus der schieren Notwendigkeit zur Neuerung ergeben, weil gerade in der Wissenschaft entsprechende Neuerungserwartungen virulent sind, können Kritik und Änderungsvorschläge erstens in gesellschaftlichem Wandel – also in Änderungen des Gegenstandsbereichs – begründet sein. Wenn beispielsweise Meyer und Rowan (1977) für Schulen der 1970er Jahre annehmen, dass deren Effizienz schwer zu messen sei und dass in institutionellen Sektoren generell eine Logik des Vertrauens und guten Glaubens gegenüber Leistungsüberprüfungen dominiere, dann könnte genau dies sich in einer Ära der »audit society« (vgl. Power 1997; Strathern 2000) und im Pisa-Zeitalter grundlegend geändert haben (vgl. H.D. Meyer und Rowan 2006). Dieser Gedanke wird in diesem Band von Nadine Arnold, Raimund Hasse und Hannah Mormann aufgegriffen, indem Organisationen als Instanzen ausgewiesen werden, deren Resonanz gegenüber gesellschaftlichen Werthaltungen auch deshalb folgenreich ist, weil sie die Rationalisierung und individuelle Zurechenbarkeit dieser Werthaltungen bewirken. Eine wichtige Frage für die Auseinandersetzung mit dem Neo-Institutionalismus ist deshalb, welche gesellschaftlichen Bedingungen sich verändert haben könnten und inwiefern die neoinstitutionalistische Theorie in der Lage ist, diese empirischen Änderungen einzubeziehen. Das gilt nicht nur für unmittelbare Organisationsthemen, sondern beispielsweise auch für Annahmen zur Bildungsexpansion oder zur Dominanz westlicher Werthaltungen im Kontext einer Weltkultur.

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Ein zweiter Grund für Kritik und Änderungsvorschläge kann die Wissensentwicklung sein. In diesem Fall erfordern neue Erkenntnisse innerhalb und außerhalb des Neo-Institutionalismus konzeptionelle Anpassungen. Könnte es beispielsweise sein, dass das ursprüngliche Konzept der losen Kopplung längerfristigen Effekten zu wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht hat und seitdem zahlreiche Belege dafür gesammelt worden sind, dass Anpassungen der Formalstruktur und entsprechende Inszenierungen auf Dauer sehr wohl Kernaktivitäten in Organisationen beeinflussen? Wäre es denkbar, dass die berücksichtigten Untersuchungszeiträume makrosoziologischer Trendbeschreibungen – die zumeist in den 1870er Jahren, nach den Weltkriegen oder in den 1970er Jahren ansetzen – zu verzerrten Ergebnissen führen? Könnte es sinnvoll sein eine stärkere Unterscheidung zwischen Organisation und Institution vorzunehmen? Nils Brunsson entwickelt dazu einen Vorschlag, der Organisationen nicht als einen spezifischen Institutionentyp ausweist. Stattdessen grenzt er Organisationen von Institutionen ab, indem er sie als entscheidungsbasierte und somit zu verantwortende Form sozialer Ordnung ausweist, während er vorschlägt, Institutionen als Ergebnis evolutionärer Prozesse anzusehen. Vorschläge wie dieser zeigen, dass es sich lohnt, auch Schlüsselkonzepte und Grundbegriffe einer kritischen Überprüfung zu unterziehen, auch weil mitunter schleichende Bedeutungsverschiebungen stattfinden beziehungsweise stattgefunden haben. Beschreibt man beispielsweise die Entstehung, Ausbreitung und Verwendung von Institutionen zunehmend als absichtsvoll, strategisch motiviert und entscheidungsbasiert, so wie dies in weiten Bereichen der Managementforschung üblich ist, hätte man es in der Konzeptualisierung Brunssons mit Organisation und nicht mit Institution zu tun. Drittens können auch neuartige methodische Herangehensweisen und Möglichkeiten einen Grund für die Weiterentwicklung bestehender Konzepte liefern. Jan Goldenstein, Philipp Poschmann und Peter Walgenbach erläutern in ihrem Beitrag die neuen methodischen Möglichkeiten, die sich mittels technisch unterstützter Verfahren der big data-Textanalyse für neo-institutionalistische Untersuchungen anbieten. Sie zeigen damit neue Wege auf, Bedeutungsveränderungen – etwa zur Idee von Corporate Social Responsibility oder dem Stellenwert von Unternehmen als soziale Akteure – empirisch auf der Grundlage bislang nicht zu bewältigender Samples zu untersuchen. Achim Oberg und Valeska Korff schlagen zudem vor, Bezüge zur relationalen Soziologie stärker zu nutzen, um auch auf dieser Grundlage konzeptionelle und methodische Wege zur Erforschung von Zusammenhängen zwischen sozialen Beziehungen und kulturellen Mustern aufzuzeigen. Sie betreten damit einen Bereich, der unmittelbare Anschlüsse an die theoretisch ambitionierte Netzwerksoziologie eröffnet und aus dem sich neue

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Einsichten in Grundfiguren des Neo-Institutionalismus wie z.B. den der Isomorphie gewinnen lassen. Ein vierter Grund ist schließlich auf die Rezeption des Neo-Institutionalismus sowie auf ebenjene Kritik und Vorschläge für Weiterentwicklungen bezogen, die den Neo-Institutionalismus von Beginn an begleitet haben. Zunächst erfordert das Wachstum des Forschungsfeldes Selektivität im Umgang mit historischen Texten. So werden die meisten Beiträge kaum mehr erinnert. Sie können aber – zumindest potenziell – wiederentdeckt werden, so wie im Zusammenhang mit der Vorstellung von unterschiedlichen »institutionellen Logiken« der Beitrag von Friedland und Alford (1991) erneut auf große Resonanz stieß. Frank Meier und Uli Meyer gehen vor diesem Hintergrund der Problematisierung von »institutioneller Komplexität« nach und verweisen dabei darauf, dass der Umgang mit heterogenen Umwelten seit jeher ein integraler Bestandteil der neo-institutionalistischen Agenda gewesen ist. Zugleich kritisieren sie, dem Beitrag von Nils Brunsson nicht unähnlich, dass der Neo-Institutionalismus Gefahr läuft, Organisationen – als spezifische Entität oder auch als Explanans – aus den Augen zu verlieren. Wiederentdeckungen wie die von Friedland und Alford (1991) sind – ebenso wie die mehr oder weniger kontinuierlichen Bezugnahmen auf Klassiker – durch ein hohes Maß an Selektivität und eigensinniger Interpretation gekennzeichnet. Diese Selektivität und Eigensinnigkeit in der Rezeption kann eine Ursache für Umdeutungen oder auch problematische Generalisierungen sein. So treten bei Bezugnahmen auf Thesen klassischer Beiträge die spezifischen Bedingungen in den Hintergrund, an die diese Thesen ursprünglich geknüpft waren. Beispielsweise setzt lose Kopplung bei Meyer und Rowan (1977) die oben genannte Logik des Vertrauens und guten Glaubens voraus. Zudem diskutieren die Autoren Alternativen zu loser Kopplung auch für den Fall, dass gesellschaftliche Erwartungen nicht bruchlos übernommen werden können. Beides wird kaum mehr erinnert, wenn man sich heute auf diesen Text bezieht und versucht, das Konzept der losen Kopplung weiterzuentwickeln oder zu kritisieren. Ein anderes Beispiel liefern DiMaggio und Powell (1983), denn die Autoren knüpfen Isomorphieerwartungen nicht nur an spezifische Organisations- oder Feldbedingungen (deren Nichterfüllung Unterschiede zwischen Organisationen plausibilisiert). Stattdessen benennen sie neben institutionellen Bedingungen auch technologische Entwicklungen und Wettbewerbsstrukturen als mögliche Ursachen für Isomorphie. Dass man mit DiMaggio und Powell (1983) auch Unterschiede und Differenzierungen erklären kann und dass Angleichungen – den Autoren zufolge – nicht unbedingt in institutionellen Faktoren begründet sind, ist im Verlauf der Rezeptionsgeschichte jedoch weitgehend in Vergessenheit geraten. Vor diesem Hinter-

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grund verweist Katja Hericks in ihrer Auseinandersetzung mit dem Begriff des Rationalitätsmythos auf den bis dato zentralen Referenztext für den NeoInstitutionalismus. Sie zeigt dabei auf, wie das Verständnis des von Meyer und Rowan (1977) als zentrales Element des soziologischen Neo-Institutionalismus konzipierten Mythos in seither durchgeführten Studien sehr unterschiedlich ausgelegt wird. Um das Konzept zu seinen sozialkonstruktivistischen Wurzeln zurückzubringen, schlägt Hericks vor, zentrale Ideen aus dem Mythos-Konzept von Roland Barthes aufzugreifen und für den Neo-Institutionalismus fruchtbar zu machen. Derartige Auseinandersetzungen mit Grundlagen können in diesem Zusammenhang helfen, Fehlentwicklungen zu identifizieren und Scheininnovationen von echten Neuerungen zu unterscheiden. Insgesamt ergeben sich also aus der bestehenden Rezeption sowie den aktuellen Weiterentwicklungen selbst zentrale Anknüpfungspunkte für eine konzeptionelle Auseinandersetzung mit dem soziologischen Neo-Institutionalismus: theoretische Entwicklungen innerhalb und außerhalb des Neo-Institutionalismus, die entweder kritisch reflektiert oder als Weiterentwicklungsmöglichkeiten herangezogen werden können; empirische Erkenntnisse, die ehedem noch nicht beobachtet und einbezogen werden konnten; neue Forschungsergebnisse und forschungsstrategische Möglichkeiten, die im Programm des Neo-Institutionalismus noch nicht ausreichend berücksichtigt werden; neue methodische Entwicklungen, die den empirischen Anwendungsbereich des Neo-Institutionalismus noch erweitern und dadurch bisherige Erkenntnisse erweitern können, sowie neue Lesarten bereits bestehender Texte. Diese Anknüpfungspunkte bilden den Hintergrund dieses Bandes und werden auf unterschiedliche Weise von Georg Krücken in seinem abschließenden Beitrag noch einmal aufgegriffen. Krücken kommt dabei zu durchaus unterschiedlichen Bewertungen, je nachdem, ob man auf theoretische, empirische oder methodische Entwicklungen rekurriert. Darüber hinaus diskutiert er ambivalente Effekte des Mainstreamings neo-institutionalistischen Denkens, das stark durch die hohe Resonanzfähigkeit der Business Schools gegenüber dem Neo-Institutionalismus gekennzeichnet ist. Die hier versammelten Texte haben damit insgesamt zum Ziel, sich kritisch, aber konstruktiv mit grundlegenden Konzepten oder wichtigen Weiterentwicklungen des Neo-Institutionalismus auseinanderzusetzen. Während einige Beiträge den Charakter von Präzisierungen haben – z.B. was ist ein Mythos (Hericks), wie lassen sich Institutionen bestimmen (Brunsson, Weik), welches Umweltverständnis liegt hier zugrunde (Meier und Meyer), wie sind Rationalisierung und Individualisierung aufeinander bezogen und was bewirken Organisationen in diesem Zusammenhang (Arnold, Hasse und Mormann) – riskieren andere einen generellen Blick auf die Entwicklung des Neo-Institutionalismus (Krücken) oder

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versuchen, Alternativen zu letztlich problematischen Trends auszuarbeiten, wie dies Meyer, Jancsary und Höllerer mit Bezug auf eine Rückbesinnung auf makrosoziologische Konzeptualisierungen tun. Wichtig sind zudem forschungspraktische und methodische Weiterentwicklungen, wie sie von Goldenstein, Poschmann und Walgenbach und auch von Oberg und Korff diskutiert werden, weil diese geeignet sind, dem Forschungsprogramm des Neo-Institutionalismus neue Impulse zu verleihen und neue Bezugsmöglichkeiten zu aktuellen Forschungsfronten zu eröffnen. Insgesamt liefern die Beiträge somit einen Einblick in aktuelle Diskussionen, auch wenn sich im Rahmen eines einzelnen Buches sicherlich nicht alle Einzelthemen dieser Diskussionen vollständig abbilden lassen.

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Was ist eine Institution? Der organisationale Institutionenbegriff zwischen Pornographie und Fußball Elke Weik

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Damit wäre bereits 1895 alles zum Institutionenbegriff gesagt, gäbe es nicht das, was Max Weber so schön als »ewige Jugend« der soziologischen Begriffe charakterisiert hat. Und so ist die bislang letzte pubertäre Phase der institutionellen Begriffsbildung, nämlich jene im Rahmen des Neo-Institutionalismus und spezifisch in seiner organisationalen Ausprägung, Gegenstand dieses Beitrags.

DIE ERSTE PHASE: LEGITIMATION, ISOMORPHISMUS UND TAKEN-FOR-GRANTEDNESS Ich lasse den Neo-Institutionalismus 1977 mit den einschlägigen Publikationen von John Meyer und Lynne Zucker beginnen. Seine erste – klassische – Phase endet etwa Mitte der 1990er Jahre. Der Institutionenbegriff wird hier in programmatischer Absicht zur Abgrenzung von anderen Ansätzen in der Organisationstheorie gebraucht. Von zentraler Bedeutung ist die Abgrenzung zu Theorien des rationalen Handelns sowie, damit verwandt, zu »technologischen«, d.h. auf Effizienz ausgerichteten Handlungszusammenhängen. Dies geschieht durch einen Fokus auf die Legitimität von Praktiken bzw. strukturellen Lösungen. Betont werden vor diesem Hintergrund vor allem die aus einer taken-for-grantedness re-

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sultierende Beschränktheit von Handlungsalternativen (vgl. Zucker 1977) und die Generierung von Handlungsskripten sowie die nachgeordnete Rolle des Akteurs (vgl. Jepperson 1991). Es geht damit um die nicht-intentionale Reproduktion von Institutionen, die dementsprechend nicht durch die Intervention von Akteuren geschieht (ebd.) sowie um deren relative Permanenz oder Stabilität (vgl. Zucker 1977 sowie Brunsson in diesem Band). Der Fokus liegt dabei auf strukturellen und praktischen Isomorphismen, die sich unabhängig von einer tatsächlichen Effizienz der Lösung entwickeln (vgl. DiMaggio/Powell 1991; Meyer/ Rowan 1977) mittels der Betrachtung von relativ großen Analyseeinheiten wie Industriezweigen (sectors) (vgl. Scott/Meyer 1991) oder organisationalen Feldern (vgl. DiMaggio 1991). Auch der Institutionenbegriff selbst wird diskutiert und definiert. Jepperson definiert sie als »social pattern that reveals a particular reproduction process«, die ihr Überleben »relative self-activating processes« verdanken (Jepperson 1991: 145). Meyer et al. sprechen von »institutions as cultural rules giving collective meaning and value to particular entities and activities« (Meyer/Boli/ Thomas 1987: 12). Ähnlich formuliert es Fligstein (2001). Es fällt jedoch auf, dass zentrale Beiträge im Feld bereits das Substantiv meiden. So spricht Zucker (1983) von »Institutionalisierung« als phänomenologischem Prozess, in dem bestimmte Formen als objektiv und wirklich angesehen werden bzw. von dem Adjektiv »institutionell« als regelähnliche, faktische Qualität eines organisationalen Musters (vgl. Zucker 1987). Auch bei Meyer und Rowan (1977) findet sich vornehmlich der adjektivische Gebrauch (»institutional environments«) sowie die Fokussierung auf den Prozess der Institutionalisierung (»institutionalized structures«). Die unzureichende Greifbarkeit des Untersuchungsgegenstands Institution wird damit programmatisch fixiert: Die untersuchten Phänomene befinden sich allesamt in einem Prozess (der Institutionalisierung), dessen logischer Endpunkt (die Institution) jedoch nie wirklich erreicht wird. Diese Institutionalisierung wird meist nur vage in Form zweier Endpunkte eines Kontinuums (z.B. institutionell vs. technisch) oder forschungspragmatisch bestimmt, d.h. am gegebenen empirischen Gegenstand der Untersuchung. Es gibt also nicht »die« Institutionalisierung als einen Prozess, der nach klar bestimmbaren Kriterien abläuft, sich in klar bestimmbaren Stufen vollzieht oder ein klar bestimmtes Ende hat und dessen Vollzug man an empirischen Gegenständen beobachten kann oder nicht. Noch weniger gibt es eine Theorie, die besagt, warum sich der Prozess so klar bestimmbar vollzieht. Stattdessen wird Institutionalisierung je individuell für den beforschten Gegenstand beschrieben und begründet. Zwar appelliert man an gemeinsame – durchaus plausible – Merkmale wie die Diffusion von Praktiken und ihre zu-

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nehmende Legitimität, doch eine Operationalisierung, beispielsweise der zunehmenden Bedeutung von gleichen Handlungsskripten, erfolgt nicht. Noch ausgeprägter tritt dies beim adjektivischen Gebrauch in Erscheinung. Hier wird zwar begründet, warum ein Phänomen als institutionelle »logics« oder »work« zu klassifizieren sei, aber nicht, warum es sich dabei um ein institutionelles Phänomen handelt. Dies hat entscheidenden Einfluss auf die zweite Phase des NeoInstitutionalismus, die den Begriff der Institution zum »big tent« (Suddaby 2010) werden lässt.

DIE ZWEITE PHASE: AKTEURSZENTRIERTE ANSÄTZE UND IHRE AUFFÄCHERUNG Ideengeschichtliche Überlegungen greifen oft zu kurz, wenn sie nicht in wissenschaftspolitische Kontexte eingebunden werden. So lässt sich der nächste entscheidende konzeptuelle Schritt nur vor einem wissenschaftspolitischen Hintergrund verstehen. Die erste Phase des Neo-Institutionalismus wurde wesentlich von Soziologen der Stanford University geprägt (u.a. John Meyer, Woody Powell, Richard Scott). Zum Ende des Millenniums wird die Alberta School of Business zur akademisch treibenden Kraft. Damit einher geht die Forderung an das Theoriegebäude, auch handlungsrelevante Empfehlungen für Wirtschaftsorganisationen geben zu können. Dies befördert den Akteur in den Mittelpunkt der neo-institutionalistischen Theorie. Sprechen etwa Clemens und Cook noch 1999 davon, dass es dem NeoInstitutionalismus um »legitimate models of organization and action« ginge (Clemens/Cook 1999: 442), so geht es in der Folge nicht mehr um »action«, sondern um »agents« oder »actors«. Diese Akteure werden zwar noch als in institutionalisierte Umwelten eingebunden verstanden, doch wird diese Einbindung nun zum »paradox of embedded action« (vgl. Battilana/D’Aunno 2009). Das vermeintliche Paradox besteht darin, wie Akteure neue Praktiken ersinnen können, wenn doch bereits alle ersichtlichen Lösungen im Sinne einer taken-forgrantedness vorgegeben sind. Die habituelle, vor-reflexive Haltung des Akteurs, die den Neo-Institutionalismus und seine Vorgänger bis dahin geprägt hat (vgl. Meyer 2008), wird nun zum Problem. Dieses Problem wird auf verschiedene Weisen angegangen und gelöst. Die Vielfalt der Problemlösungen – die letztendlich zur Ausweitung und Überdehnung des Neo-Institutionalismus führt – wird begünstigt durch die Tatsache, dass der Neo-Institutionalismus kein originäres Akteursmodell besitzt oder entwickelt (vgl. Hwang/Colyvas 2011; Powell/Colyvas 2008; Weik 2011; 2012). Folglich

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kann jeder Akteur zum Institutionen verändernden Akteur werden. Gleichzeitig kann jeder institutionelle Prozess als von Akteuren beeinflusst verstanden werden. Damit verschwinden auch Überlegungen der ersten Phase, die auf eine Reproduktion von Institutionen ohne Akteure zielten. Um das »paradox of embedded action« zu lösen, schart sich eine Gruppe von Autoren um den Begriff des »institutional entrepreneurs«, der als individueller oder kollektiver Akteur verstanden wird, der institutionellen Wandel initiiert und wesentlich bestimmt (vgl. u.a. Battilana/Leca/Boxenbaum 2009; Dorado 2005; Garud/Hardy/Maguire 2007; Hardy/Maguire 2008). Die stark durch empirische Fallstudien dominierte Richtung beschränkt sich oft auf die narrative Plausibilität einer Erzählung. Diese Erzählung ist stets so aufgebaut, dass die alte Praktik zum Problem wird, für das der Entrepreneur eine Lösung in Form einer neuen Praktik sieht. Diese führt er dann ein (siehe z.B. Child/Lu/Tsai 2007; Garud/Jain/ Kumaraswamy 2002). Mutch (2007) kritisiert, dass dies rationale Akteursmodelle durch die Hintertür wieder einschleust. Eine zweite, eng verwandte Gruppe von Autoren betont unter dem Label »institutional work« die Verzahnung von Struktur und Handeln im Sinne einer Praxis à la Giddens oder Bourdieu (vgl. Battilana/D’Aunno 2009; Lawrence/ Suddaby 2006), um das »Paradox« aufzulösen. Diese Verzahnung, die eine stärkere konzeptuelle Bindung des Akteurs an die Umwelt erfordert, ist es auch, die nach Ansicht der Autoren diesen »institutional work«-Ansatz von Modellen der rationalen Akteurswahl unterscheidet. Statt der rationalen Entscheidung wird die Intentionalität der Akteure im Sinne von Emirbayer und Mische (1998) in den Vordergrund gestellt. Der Begriff der »Arbeit« soll die Attraktivität für NichtAkademiker (insbesondere für Manager) erhöhen (vgl. Lawrence/Suddaby 2006). Auch dient er – als Gegensatz zu »action« verwendet – dazu, die Ausweitung institutioneller Forschung zu befördern, denn »institutional work«, verstanden als Handeln, das institutionelle Folgen hat und damit entweder zur Entstehung, Erhaltung oder dem Abbau von Institutionen führt, leistet jeder ständig und überall. Eine dritte, kleinere Gruppierung um Autoren der kanadischen McGill University (Thomas Lawrence, Nelson Phillips, Cynthia Hardy, Steve Maguire) lösen das Problem in ähnlicher Weise, indem sie Diskurse statt Praktiken in den Mittelpunkt stellen. Auch hier geht es darum, Akteure nicht als (rational) Handelnde, sondern poststrukturalistisch als »medium and outcome«, wie Giddens (1984) es formuliert, zu verstehen. Im Gegensatz dazu stellt die vierte und größte Gruppe die kognitiven Fähigkeiten menschlicher Akteure in den Vordergrund, indem sie die Sinngebundenheit alles Handelns betont. Zum einen bedeutet dies, dass das Handeln von Akt-

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euren immer nur im Zusammenhang mit Sinnstiftung (sensemaking) zu verstehen ist und dass deshalb, so die Forderung der Autoren, institutionalistische Forschung bei der Bedeutung von institutionellen Vorgaben für die Akteure ansetzen muss (vgl. Zilber 2002; 2008). Zum zweiten sprechen die Autoren von institutionellen Logiken als Handlungslogiken, die das Handeln der Akteure vermittels Sinnstiftung bestimmen. Es ist vor allem dieser zweite Forschungsstrang der »institutional logics«, der die »big tent«-Bemühungen vorantreibt. Dies geschieht zum einen dadurch, dass theoretische Überlegungen bequem zu einer 9x6-Matrix aggregiert werden (Thornton/Ocasio/Lounsbury 2012: 56), sodass sich sowohl verunsicherte Doktoranden als auch output-gestresste Kolleginnen zur kollektiven Deklination durch 54 Matrixkästchen beitragen können, ohne zeitraubende theoretische Reflexionen anstellen zu müssen. Zum anderen werden institutionelle Logiken nun wie folgt definiert: »[…] socially constructed, historical patterns of cultural symbols and material practices, assumptions, values and beliefs by which individuals produce and reproduce the material subsystems, organise time and space, and provide meaning to their daily activity« (Thornton/Ocasio/Lounsbury 2012: 51).

Institutionelle Logiken sind damit symbolisch und materiell, gleichzeitig Symbole, Praktiken, Werte, Glaubensvorstellungen und Vorannahmen, welche die soziale Wirklichkeit produzieren, reproduzieren und ihr Sinn verleihen. Demnach ist nicht mehr viel übrig in der sozialen Welt, was nicht Teil einer institutionellen Logik ist. Diese Definition steht in markantem Gegensatz zu der 1991 von Friedland und Alford (noch ohne »big-tent«-Absicht) angeführten Begriffsbestimmung, die institutional logics wie folgt definiert: »Each of the most important institutional orders of contemporary Western societies has a central logic – a set of material practices and symbolic constructions – which constitutes its organizing principles and which is available to organizations and individuals to elaborate. […] These institutional logics are symbolically grounded, organizationally structured, politically defended, and technically and materially constrained, and hence have specific historical limits« (Friedland/Alford 1991: 248f.).

Friedland und Alford sprechen also von zentralen Organisationsprinzipien westlicher Gesellschaften. Friedland macht in späteren Publikationen klar, dass diese Prinzipien selbst nicht empirisch sind, sich aber in empirischen Symbolen und Praktiken manifestieren. Damit unterscheidet sich sein Ansatz grundlegend von

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einem Verständnis von institutionellen Logiken als Symbol-Praxis-Mustern, wie es Thornton, Ocasio und Lounsbury vorschlagen. Die bislang letzte, fünfte Weiterentwicklung der Akteursperspektive besteht in der Betonung der Rolle von Emotionen (vgl. auch Goldenstein/Poschmann/Walgenbach in diesem Band). Sie richtet sich explizit gegen die Dominanz kognitivistischer Ansätze im Neo-Institutionalismus, behält jedoch den Fokus auf den Akteur bei. Den Autoren geht es jedoch weniger um die Hervorhebung individueller Gefühle und Stimmungen, sondern vielmehr um den sozialen Charakter von Emotionen. Dieser soziale Charakter zeigt sich beispielsweise in der Frage, wie Emotionen zum Ausdruck gebracht werden, wann es erlaubt ist, sie zu zeigen, oder wie sie Handeln beeinflussen (vgl. Creed et al. 2014; Voronov 2014; Voronov/Vince 2012; Voronov/Weber 2016). Der (meist individuelle) Akteur wird somit zum sozial eingebundenen Menschen, und eine autonome Handlungsmacht wird nicht angenommen. Zusammenfassend lassen sich als wesentliche konzeptuelle Entscheidungen dieser zweiten Phase die folgenden drei Ausrichtungen hervorheben: Erstens wird der Begriff der Kultur als das »Bett« der »embedded« Akteure bedeutsam. Kultur ist dabei meist alles, was nicht Akteur ist, wie beispielsweise Interpretationsrahmen oder Normen. Der Begriff der Struktur verschwindet im gleichen Maße wie der der Kultur an Bedeutung gewinnt. Der Akteur orientiert sich meist kognitiv, seltener emotional, an kulturellen Sinn- und Ausdrucksvorgaben und nutzt sie, um seine Ziele zu verfolgen. Zweitens verstärkt sich mit der Betonung des fortgesetzten Handelns der Akteure die Prozessperspektive des NeoInstitutionalismus. Strukturationstheorie und/oder Praxistheorie und/oder Diskurstheorie liefern das theoretische Gerüst, das eine fortwährende KoKonstituierung des Akteurs und des jeweiligen Gegenübers (z.B. der institutionellen Logik oder institutionellen Praktik) fordert. Drittens schließlich kommt es, wie bereits diskutiert, zu einer Proliferation des Begriffs »institutionell«. Wie Suddaby beklagt: »Any change, however slight, is now ›institutional‹« (Suddaby 2010: 15).

WAS IST DENN NUN EINE INSTITUTION? Der Begriff der Institution als Substantiv ist damit weitgehend verschwunden, untergegangen im »process turn«, den der Neo-Institutionalismus wie viele andere Organisationstheorien vollzogen hat, und ersetzt durch prozessuale Konstrukte wie Diskurse, Felder und Praktiken, die nun »institutionell« sind. Das Problem der Definition wird dabei jedoch nur verschoben, nicht gelöst, denn es

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steht nun zu fragen (auch wenn es kaum jemand tut), welche Charakteristika es erlauben, die betrachteten Diskurse, Felder und Praktiken als »institutionelle« oder »institutionalisierte« zu beschreiben. Dabei wird das Problem im Wesentlichen auf zwei Arten gelöst. Zum einen betrachtet man »Institution« als einen Basisbegriff (vgl. Luhmann 1982) ähnlich wie »Handlung« oder »Zeit«, der so fundamental und empirisch umfassend ist, dass eine zufriedenstellende Definition nicht möglich ist. Stattdessen verfährt man wie bei der Definition von Pornographie im Sinne von »I know it when I see it«. Die zweite Strategie lässt sich in Abwandlung eines Franz Beckenbauer-Zitats wie folgt formulieren: »Abseits ist, wenn ich pfeife« 1; eine rein nominalistische Definition also. Wenn auch weit verbreitet und praktisch, können beide Strategien epistemisch nicht so recht befriedigen. Ich möchte deshalb diesen Abschnitt der Diskussion von anderen aufschlussreichen Definitionsversuchen widmen, die von außen in den NeoInstitutionalismus hineingetragen werden. Der Institutionenökonom Hodgson gibt eine paradigmatische Definition der Institution, indem er Institutionen als auf sozialen Regeln basierende Strukturen beschreibt (vgl. Hodgson 2006: 2). Dies ist umso bemerkenswerter, als der strukturelle Aspekt aus der neo-institutionalistischen Diskussion verschwunden ist. Definierte Scott noch drei Säulen der Institution als normative, kulturellkognitive und regulative, so ist dieser letzte Aspekt etwa in der Definition von Suddaby und Greenwood nicht mehr zu erkennen. Sie sehen Institutionen als »more or less taken for granted repetitive social behaviour that is underpinned by normative systems and cognitive understandings that give meaning to social exchange and thus enable self reproducing social order« (Suddaby/Greenwood 2009: 176). Wie die Autoren weiter ausführen, können Institutionen die Form von Regeln annehmen. Dies ist konform mit der oben beschriebenen Verlagerung des Schwerpunkts auf eine kognitivistische Betrachtungsweise, zumal wenn man sieht, dass es im weiteren Verlauf des Artikels nur noch um »understandings« und nicht mehr um Normen geht. Eine recht frühe Alternative zu Scotts drei Säulen hat Fligstein (2001) in seiner Definition aufgebaut. Er betrachtet Institutionen als Regeln und geteilte Bedeutungen, die soziale Beziehungen und Positionen innerhalb eines Feldes definieren und den Akteuren kognitive Rahmungen liefern. Wesentlich ist dabei der Feldbegriff, der sich ab der Jahrtausendwende (vgl. Hoffman 2001; Jepperson 2002; Lounsbury/Ventresca/Hirsch 2003) relativ schnell im Neo-Institutionalismus verbreitet hat (vgl. u.a. Besharov/Smith 2014; Raynard 2016; Smets/Morris/

1

In der organisationstheoretischen Literatur lässt sich der Gedanke bei Karl Weick (1985: 9), dort bezogen auf Baseball, finden.

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Greenwood 2012). Die ursprünglich stark politische Färbung der Feldperspektive, wie man sie etwa bei Bourdieu oder Fligstein findet, wird jedoch in dem Maße verwässert, in dem Positionsbewegungen im Feld vor allem als ökonomischrational verstanden werden, wobei Institutionen die (meist symbolischen) Ressourcen für die Bewegungen liefern (vgl. Friedland 2009a). Die Betonung der Struktur eines Feldes, wie sie die Rede von »Akteursbeziehungen im Feld« nahelegt, wird erneut zugunsten der strategischen Entscheidungen der Akteure im Feld vernachlässigt. Damit verbleibt auch diese Perspektive wesentlich in einem kognitivistischen Rahmen. In Abgrenzung zu formalen Organisationen definieren Ahrne und Brunsson (vgl. Ahrne/Brunsson 2011; Ahrne/Brunsson/Seidl 2016; Ahrne/Brunsson/ Tamm Hallström 2007) Institutionen, indem sie eine Reihe von Unterschieden auflisten. Sie verstehen sowohl Institutionen als auch formale Organisationen als organisierte Sozialgebilde, die jedoch verschiedene Eigenschaften aufweisen. Institutionen sind in dieser Lesart soziale Ordnungen, die auf als selbstverständlich angesehenen (taken-for-granted) Überzeugungen und Normen beruhen und selbst als selbstverständlich angesehen werden. Sie emergieren, indem Menschen in ihrem Handeln wiederholt aufeinander Bezug nehmen und somit Routinen schaffen, die schließlich als nicht anders denkbar ins »Unbewusste« verschwinden. Institutionen sind per definitionem legitim und bedürfen für ihre Reproduktion keiner Mobilisierung oder Begründung. Eine solche Auffassung steht in klarem Gegensatz etwa zu Entrepreneurship-Ansätzen, wo der Akteur ein Problem erkennt und daraufhin intentional Handlungen zu seiner Lösung einleitet (s.o.). Mit dieser Definition von Institutionen kehren die Autoren zurück zu einem klassisch Luhmannschen Verständnis der Organisation als primär durch Entscheidungen bestimmt und begreifen Institutionen daraus folgend als ein nicht-entscheidungsdominiertes Komplement zur formalen Organisation. Beide Formen können ineinander übergehen und in empirischen Phänomenen in einer Mischung auftauchen, doch analytisch bildet damit die Institution einen dem Entscheiden von Akteuren weitgehend entzogenen Raum. Eine andere Idee der Selbstorganisation verfolgt Friedland mit seinem Konzept der »institutional substance«, das ein Stück weit den von ihm mitgeprägten, aber dann anderweitig kooptierten Begriff der »institutional logics« ersetzen soll. 2 Friedland beginnt mit einer auf Bourdieu fokussierten Kritik des strategischen Akteurs (vgl. Friedland 2009a), der Institutionen benutzt (und dabei gleichzeitig aufbaut, erhält oder zerstört), um seine eigene Machtstellung zu be-

2

Siehe dazu seine Besprechung des Buches von Thornton, Ocasio und Lounsbury (vgl. Friedland 2012).

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fördern. Dabei ist es für Bourdieu gleichgültig, so Friedland, um welche Institution es sich handelt; sie alle sind auswechselbare Container für die Bourdieuschen Kapitalien. Friedland hält dies für eine unzulässige Vereinfachung und schlägt im Gegensatz dazu vor, zu Webers Begriff der ultimativen Werte zurückzukehren, um Institutionen als fundamental verschieden voneinander zu kennzeichnen. Er kehrt damit zum Wertbegriff als zentraler Charakteristik der Institution zurück und versteht die institutional substance einer Institution als diesen je höchsten Wert, an dem sich alle Handlungen, Zuschreibungen und Interpretationen orientieren (vgl. Friedland 2009b; 2013a; 2013b). Die institutional substance wirkt damit konstituierend für institutionelle Praktiken, Subjekte und Objekte. Sie weckt außerdem ein fundamentales Bedürfnis (desire) in Menschen, die Institution aufrechtzuerhalten, und liefert damit die »Energie« für institutionelles Handeln. Mit dieser Definition bezieht sich Friedland auf die großen Institutionen wie Familie, Religion oder Kapitalismus und behauptet ihre gesellschaftliche Dominanz und damit ihre entscheidende Relevanz für eine Institutionentheorie, denn es ist schwer vorstellbar, dass etwa die Praktik des Benchmarking solche Reaktionen heraufbeschwören würde. In seiner neuesten Publikation (vgl. Friedland 2017) lässt Friedland die Webersche Konzeption jedoch hinter sich und bemüht sich nun darum, den Wertbegriff mit dem Praxisbegriff zu verschmelzen. 3 Werte werden damit noch stärker als zuvor pragmatisch-faktisch konzeptualisiert, was sie in Gegensatz zu Webers idealistischer Konzeption 4 bringt. Zentral für diesen Beitrag formuliert Friedland gleichzeitig eine Aufgabe des Institutionenbegriffs, indem er einräumt, dass Institutionen als solche (d.h. als abgegrenzte Entitäten oder Räume) vermutlich nicht existieren (vgl. ebd.: 19) und nur ein Bewusstwerden bestimmter sozialer Muster darstellen. Im Gegensatz dazu sieht er institutional logics als »real mechanisms of life« (ebd.: 24), die die Welt konstituieren. Der rehabilitierte Begriff der Logiken präsentiert diese nun aber weitausgreifend als Mechanismen, die emotional und ästhetisch, politisch und kognitiv wirken. Eine institutionelle Logik »institutes, produces, evaluates and regionalizes a substance through valuation«, indem sie bestimmt, zu welchem Zweck (institute) und wie (produce) ein Wert produziert wird, wie wertvoll eine Person oder ist Objekt ist (evaluate) und für wen sie das sind (regiona-

3

Diese auseinandergehalten zu haben betrachtet er als einen konzeptuellen Fehlgriff Webers.

4

In Friedlands Lesart entkoppelt Weber das Konzept des höchsten Wertes von dessen Sichtbarmachung und Verkörperung in einer Ritualpraktik (vgl. Friedland 2013b). Friedland führt dies darauf zurück, dass Weber als Protestant den ritualisierten Elementen der Religion ablehnend gegenüberstand.

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lize). Der Begriff der institutionellen Logik übernimmt damit die vakant gewordene Rolle des Institutionenbegriffs. Auf dem Begriff der institutional substance aufbauend lassen sich auch die ästhetischen und emotionalen Aspekte von Institutionen stärker in den Fokus rücken und auf diese Weise die Dominanz der kognitiv-akteurszentrierten Perspektive zurückweisen (vgl. Weik 2017; 2018a; 2018b). Zu diesem Zweck ist es nötig, den selbstorganisierenden Aspekt von Institutionen in stärkerem Maß zu betonen, als es Friedland tut. Wenn Friedland von aristotelischen Substanzen oder generierenden Mechanismen spricht, dann liegt in diesen Begriffen die zentrale Idee, dass solche Substanzen aus eigener Kraft wirken können, denn wären sie auf das Handeln von menschlichen Akteuren angewiesen, müsste man diesen (und nicht den Institutionen) das Prädikat »aktiv« oder »generierend« zukommen lassen. Dieses »aus eigener Kraft Handeln« kann in zwei Formen auftreten. Zum einen kann – im Sinne der System- und Komplexitätstheorie – eine Konfiguration entstehen, die in der Lage ist, sich selbst zu reproduzieren. Zum zweiten können bestimmte Momente der Konfiguration als Auslöser für menschliches Handeln fungieren, indem sie ästhetische oder emotionale Stimuli liefern, die unter der Bewusstseinsschwelle bleiben und deshalb nicht wahrgenommen werden – wie auch bei Friedlands »desire«. Ähnlich kritisch bezüglich der akteursorientierten Perspektive und ebenfalls unter Rekurs auf Friedland äußert sich Mutch (2018). Auch er vermisst einen theoretischen Ansatz dafür, wie Institutionen Akteure schaffen, und hält das Konzept des »institutional change« für zu akteurszentriert und zu sehr auf relativ überschaubare, oberflächliche Wandlungsprozesse fokussiert. Institutionen sind für Mutch Antworten auf zeitlose, existenzielle Probleme der conditio humana, spezifisch jene, die (1) aus der Auseinandersetzung mit der natürlichen Welt, (2) dem Bedürfnis nach Sinn und Sinnstiftung und (3) Problemen der sozialen Interaktion entstehen. Entsprechend betrachtet er (1) Familie, Wirtschaft und Medizin, (2) Wissen, Religion und Spiel sowie (3) Militär, Recht und Politik als Institutionen (Mutch 2018: 249). Institutioneller Wandel vollzieht sich für ihn im Sinne der longue durée und damit außerhalb der Gestaltungsmöglichkeiten einzelner Akteure. Zu seiner Untersuchung schlägt er deshalb einen stärkeren Bezug zur Geschichtswissenschaft sowie eine Unterscheidung zwischen »institutionalisierter Logik« als jedweder Handlungslogik, die als selbstverständlich angesehen wird, und »institutioneller Logik« als Logik von Institutionen vor. Er verweist insbesondere auf das geschichtswissenschaftliche Konzept der »multiplen Zeitlichkeiten« (multiple temporalities), welches betont, dass sich grundlegende Wandlungsprozesse (wie die von Institutionen) nicht gleichmäßig, sondern in bestimmten Aspekten sehr schnell und in anderen sehr langsam vollzie-

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hen. In Bezug auf den Wandel von Institutionen beobachtet er dabei, dass sich zumeist Praktiken verändern, aber die Logiken, die ihnen Sinn verleihen, bestehen bleiben. Somit sollte ein Wandel in den Praktiken nicht unbedingt als Wandel der Logik interpretiert werden. Diese stärker diachron ausgerichtete Betrachtungsweise unterscheidet Mutch von Friedland. In anderer Hinsicht, vor allem in der Überzeugung, dass Werte und Glaubensvorstellungen das Fundament von Institutionen bilden und diese deshalb nicht als »toolkit« der Akteure (vgl. DiMaggio 1997; Swidler 1986) zu verstehen sind, stimmen sie jedoch überein.

ENTWICKLUNGSLINIEN Unter Bezugnahme auf die Entwicklung des neo-institutionalistischen Feldes insgesamt und insbesondere auf die im vorhergehenden Abschnitt genannten neueren Ansätze sehe ich drei Entwicklungslinien für den Institutionenbegriff. Zum einen wird die »big tent«-Entwicklung von zentralen Autoren des Feldes und den mit ihnen verbundenen wissenschaftlichen Institutionen weiter vorangetrieben werden. In dieser Lesart ist praktisch alles »institutionell«, was in irgendeiner Form weitverbreitet sinnstiftend und temporal verstetigt ist. Der Fokus liegt auf für Business Schools relevanten Anwendungen, kann aber auch – eben im Sinne des »big tent« – auf jede andere sinnstiftende Praktik gerichtet werden. Prognosen bezüglich dieser Entwicklungslinie können kaum auf einer theoretisch-konzeptionellen Grundlage (die ohnehin sehr dünn ist) gemacht werden, sondern müssen sich auf Überlegungen zum Wandel in Reputation und Macht der zentralen wissenschaftlichen Akteure stützen. Irgendwann wird die Karawane weiterziehen, aber nicht unbedingt aus ersichtlichen Gründen. Zum zweiten wird sich – als Kritik und in Abgrenzung zu jener ersten Entwicklung – eine Rückbesinnung auf traditionelle Charakteristika von Institutionen, d.h. auf Werte, unbewusste Annahmen und Glaubensvorstellungen sowie vielleicht auch auf Rituale und Emotionen fortsetzen. Dies geschieht, wie die oben angeführten Beispiele zeigen, nicht durch ein Wiederaufgreifen des alten Institutionalismus à la Selznick, sondern indem diese Charakteristika neu, d.h. unter Rekurs auf rezente und/oder marginalisierte Theorien konzeptualisiert werden (vgl. auch Arnold/Hasse/Mormann in diesem Band). Friedland (2017) zitiert etwa John Levi Martins »Soziale Ästhetik« (Martin 2011); ich selbst stütze mich u.a. auf den Neurobiologen Antonio Damasio (2000; 2004). Gemeinsam ist diesen Ansätzen der Versuch, der Institution eine gewisse existenzielle Tiefe und longue durée zurückzugeben und sie damit gleichzeitig dem strategischen Zugriff einzelner Akteure zu entziehen. Es sind auch diese Theorien, die das größte

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Potenzial für eine Zusammenarbeit mit anderen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen bergen, denn das weite Institutionenverständnis des »big tent« ist außerhalb des Neo-Institutionalismus kaum zu vermitteln. Zum dritten vollzieht sich die Ablehnung des »big tent«-Ansatzes auch in einer Rückbesinnung auf spezifisch organisationstheoretische Sichtweisen und Problemstellungen, wie sie etwa von Ahrne und Brunsson (vgl. Ahrne/Brunsson 2005; 2011; Ahrne/Brunsson/Seidl 2016) vorgenommen wird. Beide Autoren erinnern daran, dass der Ursprung neo-institutionalistischer Ansätze in der Organisationstheorie und in der Einsicht liegen, dass die Trennung zwischen Organisation und Umwelt in dieser Schärfe nicht sinnvoll ist, weil auch die Umwelt von Organisationen organisiert ist, u.a. in Form von Institutionen (vgl. Brunsson 2017). Diese Institutionen sind, so die Autoren, sogar stärker, d.h. dauerhafter und stabiler, organisiert als formale Organisationen. Folglich geht es im NeoInstitutionalismus weniger um Institutionen bzw. um institutionelle Logiken oder Praktiken per se, sondern vielmehr um das »Organisieren« von Institutionen und formalen Organisationen in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit voneinander. Dabei spielen strukturelle Merkmale und Entscheidungen (wieder) eine bedeutendere Rolle als Kultur und Sinnstiftung. Institutionen werden pragmatisch in Abgrenzung zur formalen Organisation definiert. Als Fazit ließe sich (wie so oft) Sepp Herberger zitieren: Der Ball ist rund, und auch ein Premier-League-Spiel ist zeitlich begrenzt. Beim Abpfiff werden die großen Massen das Stadion verlassen und zurückbleiben werden die, die gern Fußball spielen und es zu schätzen wissen, einen robusten Ball zu haben. Auf die Ausführung der Pornographie-Analogie verzichte ich an dieser Stelle.

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Institution und Organisation Zur Gegenüberstellung von zwei Schlüsselkonzepten Nils Brunsson

EINLEITUNG Der Neo-Institutionalismus hat einen großen Einfluss auf das Feld der Organisationsforschung gehabt. Jahrzehntelang war ›Institution‹ ein äußerst beliebtes Konzept, obwohl (oder vielleicht gerade weil) es von verschiedenen Autorinnen und Autoren oft sehr breit und unterschiedlich verwendet wird. Angesichts der davorliegenden Geschichte der Organisationsforschung ist diese Entwicklung jedoch ein wenig überraschend. In diesem Beitrag werde ich auf einige Aspekte der Entwicklung der Organisationsforschung ausgehend von der zuerst entwickelten Entscheidungsperspektive auf die Organisation hin zu einer sich darauffolgend entwickelnden institutionalistischen Perspektive eingehen. Ich werde den Begriff der Institution mit dem Begriff der Organisation kontrastieren und darlegen, dass es zweckmäßig ist, diese Begriffe eng und präzise zu definieren, um zwischen den beiden grundlegenden sozialen Phänomenen, die sie bezeichnen, klar unterscheiden zu können. Die sogenannte Organisationsforschung ist heute ein etablierter und weitreichender Teil der Sozialwissenschaften. Sie beinhaltet beinahe ausschließlich die Erforschung formaler Organisationen wie insbesondere Firmen, aber auch Verbände und Verwaltungseinheiten von Staaten. Für die Notwendigkeit der Erforschung formaler Organisationen gibt es mindestens drei Begründungen: Erstens sind formale Organisationen in der heutigen Gesellschaft reichlich vorhanden (vgl. Perrow 1986). Ein Großteil des Lebens der Menschen geschieht im Kontext von Organisationen, nicht nur in ihrem Arbeitsleben, sondern auch, wenn sie als Verbraucher, Bürger und Mitglieder von Verbänden auftreten. Zweitens ist davon auszugehen, dass all diese Organisationen das soziale Leben in vielerlei

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Hinsicht beeinflussen. Und drittens sind formale Organisationen insofern etwas Besonderes, als dass das Leben in Organisationen anders funktioniert als außerhalb dieses Kontextes und daher eine eigene Erforschung erfordert. Das erste Argument ist schwer zu widerlegen, aber die beiden anderen scheinen nur begrenzte Auswirkungen auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in anderen Bereichen der Sozialwissenschaften gehabt zu haben. So werden beispielsweise in den Wirtschaftswissenschaften Unternehmen gemeinhin eher als Betroffene fundamentaler Marktkräfte und weniger als einflussreiche Akteure dargestellt. Die Art von Organisation, von der immer häufiger angenommen wird, dass sie eine wichtige Rolle spielt, ist der Staat, obwohl die Bedeutung von Staaten heutzutage in einer globalisierten Welt oft als rückläufig angesehen wird. Und die Vorstellung, dass sich Organisationen von anderen sozialen Settings unterscheiden und deshalb eigene Konzepte und Theorien erfordern, wird von anderen Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern bei weitem nicht geteilt. Einflussreiche Wissenschaftler wie Pierre Bourdieu, Anthony Giddens und Jürgen Habermas haben umfangreiche Theorien der Gesellschaft konzipiert, die die Existenz von Organisationen jedoch wenig bis gar nicht beachteten. Auch zeitgenössische Organisationsforscherinnen und -forscher befassen sich selten mit diesen Argumenten, auf denen gleichwohl ihr Forschungsfeld basiert. Anstatt zu versuchen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anderer Fachrichtungen von der Relevanz ihrer Forschung zu überzeugen, importieren sie oft Theorien und Argumente aus anderen Disziplinen und wenden sie zum Verständnis von organisationalem Leben an, was, wenn auch unbeabsichtigt, den Eindruck erwecken kann, dass sich Organisationen tatsächlich nicht von anderen Bereichen der Gesellschaft unterscheiden. Die Organisationsforschung ist aktuell ein Bereich des Theorieimports und nicht des -exports.

DIE ENTSCHEIDUNGSPERSPEKTIVE AUF ORGANISATIONEN In den Anfangsjahren der Organisationsforschung standen dagegen ihre Grundlagen explizit im Mittelpunkt. Ein wichtiger Denkansatz war, dass die Entscheidungsfindung ein grundlegendes Merkmal formaler Organisationen sei (vgl. March/Simon 1993). Man ging davon aus, dass es in Unternehmen möglich ist, Entscheidungen darüber zu treffen, was andere tun sollen. Entscheidungen wurden verstanden als Kommunikation von Wahlmöglichkeiten zwischen Alternativen, die Organisationen mit der besonderen Fähigkeit zu kollektivem Handeln ausstatten. Auf diese Weise unterscheiden sich Organisationen von anderen sozialen Settings, wodurch es unerlässlich ist, zwischen Organisationen und ihrer

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»Umwelt« zu unterscheiden – eine frühe und mittlerweile weit verbreitete Gegenüberstellung in der Organisationsforschung (vgl. auch Meier/Meyer in diesem Band). March und Simon (1958) legen zum Beispiel dar, dass zwischen einem Befehl innerhalb einer Organisation und einem Gerücht außerhalb derselben ein Unterschied besteht. Außerdem können Rollen innerhalb einer Organisation klarer spezifiziert werden als außerhalb einer solchen, und organisatorische Maßnahmen können durch »Vorausplanung« koordiniert werden. Niklas Luhmann (2000) ging bezüglich der Verknüpfung von Organisation und Entscheidung noch einen Schritt weiter, indem er die Organisation als ein System vernetzter Entscheidungen definierte. Es ist anzunehmen, dass Entscheidungen sich voneinander unterscheiden. Daher ist es wichtig, nicht nur Organisationen im Allgemeinen, sondern auch speziell einzelne Organisationen zu untersuchen, um zu verstehen, warum sie auf unterschiedliche Weise entscheiden und handeln. Die Vorstellung, dass Entscheidungen in Organisationen für Andere zentral sind, kann durch das Argument gestützt werden, dass formale Organisationen in der heutigen Gesellschaft sozial konstruiert werden. Im Prinzip entsprechen sie der modernen Vorstellung vom Individuum. Das einzelne Individuum wird als Entscheidungsträger mit Macht über sein eigenes Handeln betrachtet, das seine Zukunft selbst bestimmt, zum Beispiel in seiner Rolle als Bürger bei Wahlen, als Konsument in Märkten und in der Reproduktion und Familiengründung. Sowohl Individuen als auch Organisationen werden regelmäßig als kohärente »Akteure« wahrgenommen, die Dinge sagen und tun können (vgl. Meyer und Jepperson, 2000). Nach dem Gesetz werden die meisten Unternehmen als »juristische Personen« behandelt, die in der Lage sind, Eigentum zu besitzen und als Verkäufer oder Käufer auf Märkten zu agieren. Auch wenn es üblich ist, Organisationen als »bestehend aus« Individuen wahrzunehmen, werden sie regelmäßig im Singular anstatt im Plural genannt. Insgesamt wird eine Organisation als Einheit gesehen, die Entscheidungen trifft, die zu koordiniertem Handeln führen. Und wie bei Individuen wird auch von Organisationen erwartet, dass sie sich voneinander unterscheiden, zum Beispiel durch eine besondere Identität, einen bestimmten Zweck oder eine bestimmte Struktur. Diese Konstruktion einer Organisation beeinflusst, welche Art von Intelligenz wir uns bei der Entscheidungsfindung vorstellen können. Regeln zu befolgen oder andere zu imitieren, ist keine Art der Entscheidungsfindung, die dem Bild eines wahren, souveränen Akteurs mit eigenen Zielen entspricht. Viel eher lässt sich hier eine logic of consequences, insbesondere in ihrer rationalen Version, erwarten. Die systematische Vorhersage von Präferenzen (in Form einer Präferenzfunktion), Handlungsoptionen und Konsequenzen sowie der sorgfältige

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Vergleich der Konsequenzen mit den Präferenzen können als eine Möglichkeit angesehen werden, die Identität der Organisation und ihre Präferenzen in Form von Zielen und Werten so effektiv wie möglich in entsprechendes Handeln zu übersetzen. Dies sind Vorstellungen, welche noch immer stark in der wichtigsten normativen Richtung der Organisationsforschung – den Management Studies der Betriebswirtschaftslehre – vertreten sind. Dort wird Organisationen immer noch geraten, rationale Entscheidungen zu treffen oder Informationen für solche Entscheidungen bereitzustellen. Auch Accounting, eine Praxis, für die es stets schwierig war, einen rationalen Zweck zu finden, wird heute regelmäßig als Informationsmedium für Entscheidungsträger definiert. Es werden verschiedene Wege zur Erlangung der Kontrolle über die organisatorischen Abläufe propagiert und Unternehmen aus den unterschiedlichsten Bereichen wird geraten, eine eigene Identität zu entwickeln, indem sie ein spezifisches Profil definieren und kommunizieren. Sowohl im empirischen als auch im analytischen Teil der Organisationsforschung wurde jedoch die empirische Grundlage für die soziale Konstruktion von Organisationen in Frage gestellt. Die Art und Weise, wie Organisationen im Alltag dargestellt werden, entspricht nicht einer adäquaten Beschreibung dessen, wie sie in der Praxis funktionieren. In den 1960er und 1970er Jahren führte das Interesse an Entscheidungen zu einem umfangreichen Forschungsprogramm über organisatorische Entscheidungsfindung. Ein wichtiger Kritikpunkt war die Idee der rationalen Entscheidung. Denn eine Vielzahl von Studien zur organisationalen Entscheidungsfindung brachte Abweichungen von diesem Ideal zu Tage. Bereits in den 1950er Jahren argumentierte Herbert Simon (1955), dass die Suche nach Handlungsoptionen oft durch das Interesse an einer befriedigenden und nicht an einer bestmöglichen Option vereinfacht und verkürzt wird. Charles Lindblom (1959) zeigte auf, dass sich die Suche nach Optionen erstens auf solche Optionen beschränkt, welche den bestehenden Handlungsprogrammen ähneln, und die zweitens mit Experimenten im Kleinformat – dem muddling through – kombiniert werden können. Entscheidungsträger können unterschiedliche Ziele zu verschiedenen Zeitpunkten in Betracht ziehen (vgl. Cyert und March 1963). Und Ziele und Präferenzen können eine zu schwache Entscheidungsgrundlage sein, wenn sie lediglich vage oder inkonsistent sind oder sich sogar ändern, bevor die beschlossene Handlung abgeschlossen und ihr Ergebnis realisiert ist (vgl. March 1978). Zudem können Präferenzen und Optionen ebenso schwer vorhergesagt werden wie die Folgen von Entscheidungen. Präferenzen können vielmehr auch erst das Ergebnis von Entscheidungen und Handlungen sein. Welche Entscheidungsträger, Probleme und Lösungen an Entscheidungs-

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prozessen beteiligt sind, kann darüber hinaus zufällig oder zeitabhängig sein, anstatt einer logischen, rationalen Ordnung zu folgen (vgl. Cohen et al 1972). Die Beziehung zwischen Entscheidung und Handlung ist deshalb lediglich schwach (vgl. Pressman/Wildavsky 1972; Baier/March/Saetren 1986) und die Entscheidungsfindung unter Bezug auf das rationale Modell kann Handlungen eher behindern als fördern (vgl. Brunsson 1982). In Situationen mit inkonsistenten Anforderungen können Entscheidungen das Handeln sogar in die entgegengesetzte Richtung anregen (vgl. Brunsson 2007, Kapitel 7). Insgesamt stellten diese Studien eine Art Kritik und Dekonstruktion der populären Vorstellung der Organisation dar. Organisationen erschienen dadurch als weit weniger rational, eng koordiniert und unter der zentralen Kontrolle von Entscheidungsträgern als ursprünglich angenommen wurde. Diese Studien führten jedoch nicht dazu, die Vorstellung von Organisationen als eigenständige Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aufzugeben.

DIE INSTITUTIONALISTISCHE PERSPEKTIVE Eine radikalere Kritik sowohl an der Entscheidungsperspektive als auch an der gängigen Konstruktion von Organisationen stellten neo-institutionalistische Theorien der Organisation dar. 1977 setzten John Meyer und Brian Rowan durch die Veröffentlichung des Artikels Institutionalized organizations: formal structure as myth and ceremony eine neue Bewegung in Gang. Die Grundidee der institutionalistischen Perspektive war es, dass Organisationen genauso wie Individuen in einer Gesellschaft mit vielen starken Institutionen, d.h. mit Vorstellungen und Praktiken leben, die von vielen geteilt und unhinterfragt als selbstverständlich angesehen werden. Was in Organisationen geschieht, lässt sich daher weitgehend durch die Existenz solcher Institutionen erklären und nicht durch spezifische Strukturen und Prozesse innerhalb einzelner Organisationen, die durch unterschiedliche Entscheidungen gesteuert werden und zu unterschiedlichen Entscheidungen führen. Vielmehr sind viele ähnliche Strukturen und Prozesse in Organisationen sowie die Existenz von Organisationen an sich das Ergebnis von Institutionen. Damit verschob sich die Erklärungsebene weg von einem Fokus auf die jeweiligen Aspekte der einzelnen Organisation, die ihren spezifischen Charakter erklärten, hin zu einem Fokus auf die gesellschaftliche Umwelt von Organisationen. Die institutionalistische Perspektive stellte damit viele der früheren Vorstellungen von Organisationen und insbesondere die Entscheidungsperspektive in Frage. Sie stellte auch die Idee der jeweils spezifischen Identität von Organisati-

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onen in Frage und ging stattdessen davon aus, dass Organisationen, weil sie von denselben Institutionen beeinflusst werden, starke Tendenzen aufweisen, sich zu ähneln anstatt sich zu unterscheiden. Gemeinsamkeiten, nicht Unterschiede wurden deshalb hervorgehoben. Zumindest implizit stellte die institutionalistische Perspektive auch die Unterscheidung zwischen Organisation und Umwelt in Frage. Denn weit verbreitete gesellschaftliche Institutionen sind sowohl außerhalb als auch innerhalb von Organisationen aktiv. Sie kontrollieren gleichermaßen die Vorstellungen und das Verhalten von Mitgliedern und Nichtmitgliedern einer Organisation. Wenn beispielsweise sowohl Experten als auch andere Organisationsexterne davon ausgehen, dass der Zweck der Rechnungslegung darin besteht, den Entscheidungsträgern Informationen zur Verfügung zu stellen, und diese daher auf eine bestimmte Weise gestaltet werden muss, ist es unwahrscheinlich, dass Buchhalter in einer bestimmten Organisation diese Ansicht nicht teilen (und falls sie diese Vorstellung nicht teilen, lässt uns dies an der Existenz einer Institution zweifeln). Nicht zuletzt forderte die institutionalistische Perspektive die Vorstellung heraus, dass Entscheidungen das fundamentale Element von Organisationen sind. Das Schlüsselkonzept der institutionalistischen Perspektive, etwas als selbstverständlich, d.h. als taken for granted anzusehen, ist vielmehr das genaue Gegenteil von Entscheidung. Über Dinge, die man für selbstverständlich hält, muss man nicht noch zusätzlich entscheiden. Und wenn man über etwas entscheidet, bedeutet das, dass man es nicht für selbstverständlich hält. Darüber hinaus können Entscheidungen von Handlungen »entkoppelt« werden, wenn zum Beispiel institutionalisierte Vorstellungen schwer in die organisationale Praxis umzusetzen sind, weil sie im Konflikt mit anderen Institutionen oder anderen Anforderungen stehen, welche an die Organisationen gestellt werden (vgl. Meyer und Rowan 1977). Dennoch können Entscheidungen auch weiterhin wichtig sein, weil sie eine zeremonielle Rolle erfüllen. Sie sind jedoch nicht so fundamental für das Verständnis von Organisationen, wie es in der Entscheidungsperspektive vorgesehen war. Insgesamt kann die Quintessenz der institutionalistischen Perspektive als eine Kritik an dem zu ausgeprägten Glauben, dass formale Organisationen einen eigenständigen Bereich der Gesellschaft darstellen, und als eine Rückkehr zu der Vorstellung begriffen werden, dass wesentliche Aspekte von Organisationen durch Konzepte und Theorien verstanden werden können, die dem Verständnis der Gesellschaft im Allgemeinen dienen. Trotz dieser massiven Kritik und auch durchaus unerwarteter Weise entwickelte die institutionalistische Perspektive bald schon einen immensen Einfluss auf die Organisationsforschung. Innerhalb von ein bis zwei Jahrzehnten hat sie eine weit verbreitete Anwendung in der Or-

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ganisationsforschung erfahren; das Konzept der Institution ist bis heute ein dominanter Erklärungsansatz in diesem Bereich (vgl. Alvesson/Spicer 2019). Der Erfolg dieser Perspektive auf Organisationen, so könnte man argumentieren, lässt sich dabei zum Teil auf die Verwässerung des Konzepts der Institution zurückzuführen, welches zahlreiche und oft mehrdeutige Bedeutungszuschreibungen erfahren hat (vgl. Alvesson/Spicer 2019). Richard Scott (1995) konnte zeigen, dass der Begriff in verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen, einschließlich der Organisationsforschung, unterschiedliche Bedeutungen angenommen hat: Institutionen können sowohl als beschlossene und notfalls mit Zwangsmaßnahmen durchzusetzende Regeln, als soziale Normen und Werte oder als kognitive Konstrukte aufgefasst werden. In der Politikwissenschaft wird der Begriff der Institution oft als Synonym für Organisation verwendet (eine Verwendung, die manchmal sogar in der Organisationsforschung zu finden ist). Eine noch breitere Auffassung des Begriffs findet sich in Konzepten wie »institutionelles Unternehmertum« (vgl. DiMaggio 1988) oder »institutionelle Arbeit« (vgl. Lawrence/Suddaby/Leca 2009) (vgl. dazu auch Weik in diesem Band). Aber es gibt auch andere Gründe für den Erfolg der institutionalistischen Perspektive. Einer davon ist, dass es sich als praktikabel und oft fruchtbar erwiesen hat, die institutionalistische Perspektive mit einer Entscheidungsperspektive zu kombinieren. Dies ermöglichte es, gleichzeitig Institutionen und ihre Auswirkungen auf die Organisation zu analysieren und einen Teil der Vorstellung von der Entscheidungsorganisation beizubehalten. Ein eher konservativer Ansatz war die Verwendung des Konzepts der Legitimität verbunden mit der Annahme, dass Legitimität ein Ziel von Organisationen ist. Dieser Ansatz erlaubt es, Entscheidungsfindung weiterhin auf einer logic of consequences basieren zu lassen und sogar als rational zu bezeichnen, indem man annimmt, dass Organisationen Entscheidungen treffen, um Legitimität zu erlangen. Die Metapher von Organisation und Umwelt kann ebenfalls beibehalten werden, indem die Entscheidungsträger als Erkunder der Umwelt angesehen werden, die in Erfahrung bringen, welches Verhalten gerade als legitim gilt. Mit anderen Worten, was von der Umwelt als taken for granted betrachtet wird, wird von der Organisation nicht als selbstverständlich angesehen. Die Ergiebigkeit dieser Vorstellung kann jedoch in Frage gestellt werden. Wie oft unterscheidet sich tatsächlich das, was Menschen innerhalb einer Organisation glauben, von dem, was sie außerhalb glauben? Außerdem wird auf diese Weise das Potenzial, das das Konzept der Institution tatsächlich birgt, nicht voll ausgeschöpft. Eine weitere Überlegung war es, die übliche Sichtweise auf Entscheidungen in Frage zu stellen. Anstatt Entscheidungen als einer logic of consequences folgend zu betrachten, wurde beobachtet, dass sie oft einer logic of appropriateness

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folgen (vgl. March/Olsen 1979). Anstatt zu versuchen, die Zukunft vorherzusagen, nimmt ein Entscheidungsträger Bezug auf die Vergangenheit und fragt sich, welche Normen oder Regeln für eine Person wie sie und für eine Situation wie jene, in der sie sich befindet, bereits existieren. Sowohl die Identität des Entscheidungsträgers als auch die Art der Situation und der Normen können Teil einer gesellschaftlichen Institution sein, wie zum Beispiel die Identität eines Lehrers, die Unterrichtssituation und die Normen für das angemessene Verhalten in Bildungseinrichtungen. Dennoch gibt es Raum für Entscheidungen. So kann es Unsicherheit oder Unklarheit über Identitäten, Situationen und Normen geben (vgl. March/Olsen 1975) oder es gibt mehrere »institutionelle Logiken« (vgl. Friedland/Alford 1991), und es ist bei weitem nicht immer klar, welche angewendet werden soll. Ein Beispiel für eine eher empirische Reaktion, die für den so genannten Skandinavischen Institutionalismus typisch ist (vgl. Boxenbaum/Strandgaard 2009), war die Untersuchung Organisationsreformen. Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass Institutionen nicht notwendigerweise stabil sind. Es existieren viele Vorstellungen davon, wie Organisationen strukturiert sein sollen, welche Prozesse sie anwenden oder welche Ideologien sie fördern sollen, die von Managementgurus, Beratern und Anderen propagiert werden (vgl. Røvik 2007). Einige davon stellen Moden dar (vgl. Abrahamson 1996). Moden sind eine Art temporäre Institution, indem viele Menschen davon ausgehen, dass ein bestimmtes Erfolgsrezept selbstverständlich richtig ist. Solche Moden führen in vielen Organisationen gleichzeitig zu Verwaltungsreformen, schaffen aber auch Raum für Entscheidungen. Populäre Erfolgsrezepte sind typischerweise vage und müssen »translated« oder »edited« werden, um umgesetzt werden zu können (vgl. Czarniawska-Joerges/Joerges 1996; Sahlin-Andersson 1996). Man muss sich entscheiden, was genau sie in der eigenen Organisation bedeuten sollen. Beim Versuch Erfolgsrezepte in organisationale Praxis umzusetzen, sind getroffene Entscheidungen oft davon abhängig, inwiefern sie die Hoffnung darauf wecken können, erhabene Ideale tatsächlich in weltliches organisationales Handeln umwandeln zu können (vgl. Brunsson 2006). Eine institutionalistische Perspektive kann in radikaler Weise dazu genutzt werden, das Phänomen der Entscheidungsfindung selbst zu analysieren. In vielen Zusammenhängen, nicht zuletzt in Organisationen, ist die Entscheidungsfindung eine Praxis, die selbst als taken for granted angesehen wird und mit einem als selbstverständlich angenommenen Zweck und einer unhinterfragten Wirkung einhergeht, nämlich der Wahlmöglichkeit. In der frühen Perspektive auf Entscheidungen wurden dieser Zweck und dieser Effekt auch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als selbstverständlich angesehen – Entscheidung

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und Wahlmöglichkeit wurden als Synonyme behandelt. In diesem Zusammenhang wurde die Forschung »innerhalb« der Institution durchgeführt, ohne ihre wesentlichen Bestandteile in Frage zu stellen. Die institutionalistische Perspektive ermöglichte dagegen erstmals, eine Position »außerhalb« der Institution zu wählen, um diese zu beobachten. Es wurde leichter zu erkennen, dass Entscheidungen andere Effekte haben können als jene, eine Wahl treffen zu können. Denn gerade weil Menschen Entscheidungen als eine Wahlmöglichkeit wahrnehmen, wird Entscheidungsträgern Verantwortung und Organisationen Legitimität zugesprochen. Hierdurch erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit, dass gegen das, was entschieden worden ist, gehandelt wird (vgl. Brunsson 2007). Entscheidungsträger, die sich solcher Effekte bewusst sind, können dies bewusst nutzen, indem sie Entscheidungen treffen, die diese Effekte maximieren oder minimieren – und es ist alles andere als gewiss, dass sie dies für weniger wichtig halten als die Frage, welche Wahl konkret getroffen wird.

DIE PERSPEKTIVE DER PARTIELLEN ORGANISATION In einem Kontext, in dem die institutionalistische Perspektive besonders verbreitet und sogar dominant geworden ist, besteht jedoch die Gefahr, dass die Betonung von Institutionen übertrieben wird und Entscheidungen und Entscheidungsfindung zu einem vernachlässigten Teil des gesellschaftlichen Lebens werden. In dieser Situation haben Göran Ahrne und ich einen vielleicht etwas reaktionär anmutenden Schritt zurück zu einer Entscheidungsperspektive vorgeschlagen, die wir aber auf andere soziale Kontexte als lediglich auf formale Organisationen anwenden. Wir schlagen eine andere Unterscheidung als jene zwischen Organisation und Umwelt vor, nämlich die Unterscheidung zwischen Organisation und NichtOrganisation, zwischen dem, was organisiert ist und dem, was nicht organisiert ist (vgl. Ahrne/Brunsson 2011; 2019). In Bezug auf die traditionelle Unterscheidung impliziert unsere Unterscheidung, dass Organisation sowohl innerhalb von Organisationen als auch in ihrer Umwelt gefunden werden kann. Nicht nur formale Organisationen können organisiert werden, sondern auch ihre Umwelt, und beide können mehr oder weniger organisiert sein – denn auch viele soziale Settings sind partiell organisiert (vgl. ebd.). Dieses Argument schließt an eine andere Auffassung von Organisation als die der formalen Organisation an – nämlich: Organisation als »systematische Ordnung« (siehe The concise Oxford dictionary 1995). In der Organisationsforschung ist die Verwendung des Begriffs der Organisation nicht nur für formale

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Organisationen ein altes, wenn auch marginales Thema. Die Tendenz bestand darin, Organisation als Synonym für Koordination zu behandeln (vgl. Lindberg/ Czarniawska 2006; Weick 1979). Um hier eine spezifischere und nützlichere Definition von Organisation zu finden, haben wir vorgeschlagen, zu einer Entscheidungsperspektive zurückzukehren. Wir definieren Organisation als eine besondere Form der sozialen Ordnung, nämlich eine auf Entscheidungen basierte Ordnung: eine decided order. Organisieren ist der Akt, Entscheidungen über Andere zu treffen, die zu Organisation führen können. Darüber hinaus haben wir einige Entscheidungen als grundlegender als andere für die Schaffung einer decided order identifiziert – nämlich Entscheidungen über Mitgliedschaft, Regeln, Überwachung, Sanktionen und Hierarchie (d.h. Entscheidungen über die Entscheidungsfindung). Wir nennen diese Entscheidungen Elemente der Organisation. Dieser Definition zufolge ist Organisation nicht dasselbe wie Koordination. Es bestehen viele andere Wege als Organisation, durch die Menschen und Organisationen koordiniert werden können (zum Beispiel via wechselseitige Anpassung (vgl. Lindblom 2001)). Zudem variieren der hauptsächliche Zweck und die Wirkung der Organisation. Der Zweck kann Koordination sein, er kann jedoch auch darin bestehen, Machtverhältnisse zu beeinflussen oder zu verändern – wie zum Beispiel die Organisation für Demokratie zeigt. Zusätzlich kann die Wirkung auch vom Zweck abweichen. Unser Konzept von Organisation lässt sich auf viele zeitgenössische soziale Phänomene anwenden, welche zwar formale Organisationen betreffen, sich jedoch nicht auf sie beschränken Dies sind Phänomene, welche ein Teil dessen sind, was Bromley und Meyer (2015) die »Hyper-Organisation« der gegenwärtigen Gesellschaft genannt haben. Beispiele für organisationale Phänomene außerhalb von formalen Organisationen sind Standardisierungen, Ratings, Rankings und Auszeichnungen, von denen manche zur Organisation auf globaler Ebene beitragen. Nehmen wir das Beispiel der Standardisierung. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde zunehmend klar, dass es nicht genügte, industrielle Produktion lediglich innerhalb des Kontextes von individuellen Firmen zu organisieren. Nicht nur innerhalb der Unternehmen, sondern auch zwischen ihnen bestand Koordinationsbedarf, um ihre Produkte miteinander kompatibel zu machen. Mit etwas staatlicher Hilfe wurden in den meisten Industrieländern nationale Normungsorganisationen gegründet, deren Aufgabe es war, über Regeln für Messungen und Produktgestaltungen zu entscheiden, die sich an alle Unternehmen mit einer dafür relevanten Produktion richteten.

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Diese Entscheidungen führten zu einer hochgradig organisierten Ordnung zwischen Firmen, die es beispielsweise ermöglichte, unterschiedliche Teile einer Maschine in verschiedenen Firmen herzustellen. Anstatt Koordination durch das Zusammenführen aller relevanten Firmen zu einer riesigen formalen Organisation zu erreichen, organisierte man die »Umwelt« jedes Unternehmens. Anstatt auf eine graduelle Annäherung an einen Standard über den Prozess der wechselseitigen Anpassung unter Firmen zu hoffen, organisierte man den Markt unter ihnen. Internationale Standards sind heute entscheidend für die industrielle Produktion und deren weltweite Koordination – Standards sind ein essenzieller Teil der Organisation auf globaler Ebene. Obwohl ihr Hauptzweck Koordination ist (oder dies zumindest behauptet wird), wirkt sich der Inhalt von vielen neuen Standards stark auf die Machtposition von unterschiedlichen Unternehmen in ihren jeweiligen Märkten aus. Standards sind daher Gegenstand von harten Verhandlungen zwischen führenden Firmen. Die Vorstellung der Standardisierung hat sich in jüngster Zeit auch auf Bereiche ausgeweitet, in denen der Hauptzweck eher die Verteilung von Macht anstelle von Koordination ist. Nationale und internationale zivilgesellschaftliche Organisationen wie der Forest Stewardship Council oder die Fair Trade International setzen Standards dafür, was beispielsweise einem akzeptablen Umgang mit Arbeitnehmern oder der Nutzung der physischen Umwelt entspricht (vgl. Tamm Hallström/Boström 2010). In diesem Fall stellen Standards oft nur die ersten Schritte des Organisierens dar; oft überwachen spezielle Firmen die Einhaltung der Standards durch Organisationen und verhängen eine Art von Sanktion in Form der Ausstellung oder Nicht-Ausstellung eines Zertifikats, welches die schlechten von den guten Organisationen unterscheiden soll. Manchmal wird eine Mitgliedschaft hinzugefügt, beispielsweise können Firmen Mitglied im Forest Stewardship Council oder im UN Global Compact sein (vgl. Rasche/Seidl 2019). Bei dieser Art von Standardisierung – wie auch in der herkömmlichen Weise – besteht eine Hierarchie in dem Sinne, dass diese Organisationen oder andere wie die International Standards Organization (ISO) entschieden haben, wie Entscheidungen über Standards getroffen werden sollen, auch wenn diese Entscheidungen nicht von allen befolgt werden.

ORGANISATION UND INSTITUTION IM VERGLEICH Organisation ist eine Art sozialer Ordnung, welche die Vorhersagbarkeit erhöht und Interaktion erleichtert. Aber sie unterscheidet sich von Ordnungen, welche

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ohne Entscheidungen entstehen. In der Literatur zu Standardisierung werden solche aufkommenden Ordnungen »de-facto Standards« genannt. Ohne dass eine gemeinsame Entscheidung darüber getroffen wird, werden gewisse Arten der Produktgestaltung im Laufe der Zeit dominant, weil führende Firmen diese anwenden und andere sich danach zu richten haben, wenn sie weiterhin im Markt bestehen wollen. In ähnlicher Weise ist eine Institution wie das Händeschütteln entstanden und zu einer selbstverständlichen Verhaltensweise geworden, ohne dass man dies als Ergebnis einer Entscheidung betrachtet (vgl. Jepperson 1991). Manchmal liegt der Ursprung einer Institution in einer decided order, welche institutionalisiert wurde, indem Menschen sie nicht länger als Entscheidung wahrnehmen oder als Ergebnis einer Entscheidung betrachten, sondern sie als gegeben annehmen. So waren beispielsweise viele Formen des Sozialverhaltens beim Essen, wie die Verwendung von Gabeln anstelle von Fingern, ursprünglich Standards, welche in Etikette-Büchern aufgeführt waren, aber inzwischen als selbstverständlich angesehen werden und in zeitgenössischen Etikette-Büchern nicht mehr erwähnt werden (vgl. Elias 1939, Kap. 2). Eine decided order unterscheidet sich von einer institutionellen Ordnung auf folgende Weise. Entscheidungen kommunizieren automatisch eine gebrauchsfertige Erklärung einer sozialen Ordnung – nämlich, dass sie durch Entscheidungen von Entscheidungsträgern wie Einzelpersonen oder Organisationen zustande gekommen sind. Dies entspricht der Vorstellung von menschlicher Kontrolle über die Ereignisse, und da die Entscheidungsträger dabei eine Wahl getroffen haben, wird auch davon ausgegangen, dass diese Kontrolle durch ihren freien Willen ausgeübt wird. Die Kombination von Kontrolle und freiem Willen bedeutet Verantwortung. Eine decided order ist deshalb eine Ordnung, in der die Verantwortung von einigen Wenigen getragen wird. Im Gegensatz dazu sind Institutionen nicht unbedingt mit Erklärungen verknüpft, weshalb sie existieren. Entweder ist niemand oder es sind alle verantwortlich für eine Institution. Per definitionem sind Institutionen und Legitimität innerhalb einer Gruppe, welche die gleiche Institution teilt, miteinander verbunden. Bei einer decided order verknüpft die Vorstellung, dass Entscheidungsträger die Kontrolle haben, die Legitimität einer Ordnung mit der Legitimität der Entscheidungsträger. Illegitime Entscheidungsträger untergraben eine Ordnung, während legitime Entscheidungsträger diese unterstützen. Theorien, welche sich auf die Vorstellung von Akteuren als Entscheidungsträger – seien es Individuen oder Organisationen – stützen, neigen dazu, Unsicherheit oder Uneindeutigkeit im gesellschaftlichen Leben hervorzuheben (vgl. Knight 1921; March 1991). Dies geschieht insbesondere dann, wenn sie sich auf Entscheidungen beziehen, die der logic of consequences folgen.

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Solche Entscheidungen dienen dazu zu spezifizieren, was in Zukunft geschehen wird, wobei sie gleichzeitig dazu tendieren, Unsicherheit zu produzieren, weil sie darauf verweisen, dass die Zukunft auch anders aussehen könnte und auch tatsächlich kann. Die Entscheidung wird als eine Wahl aus mehreren Alternativen dargestellt, was bedeutet, dass sie auf die Möglichkeit anderer Alternativen hinweist. Entscheidungen signalisieren ihre eigene Kontingenz (vgl. Luhmann 2000). Wenn Entscheidungsträger versuchen, sich an bestehende Normen zu halten, um eine rationale Entscheidung zu treffen, ist das Risiko für Unsicherheit noch größer (vgl. Brunsson 1982). Im Gegensatz dazu sind Institutionen stets mit Gewissheit verbunden. Denn das, was man in einer bestimmten Situation tun soll, als selbstverständlich zu betrachten, stellt das Gegenteil von Unsicherheit dar. Bei genauerem Betrachten lässt sich erkennen, dass ein Mangel an Institutionen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Menschen unsicher sind, was in einer bestimmten Situation zu tun ist, und dass sie eine Entscheidung treffen müssen, die ihre Unsicherheit nicht unbedingt verringert. Wenn sie darüber hinaus auch noch davon ausgehen, dass das Ergebnis ihrer Handlungen von den Handlungen anderer abhängt, stehen sie vor dem Problem, dass sie diese anderen Handlungen voraussagen müssen. Solch eine Voraussage ist einfacher zu bewerkstelligen, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Handlungen von Anderen auf einer sozialen Institution basieren. Wenn jedoch das Handeln von Anderen ebenfalls durch Entscheidungen determiniert wird, wird es schwieriger, diese Handlungen vorauszusagen und die Unsicherheit für unseren Entscheidungsträger steigt. Die in Situationen der Entscheidungsfindung produzierte Unsicherheit ist das Einfallstor für Kritik und Herausforderungen. Es besteht eine gewisse Instabilität, welche mit einer decided order verbunden ist. Im Vergleich zu Institutionen ist es eine schwache Form der Ordnung. Entscheidungsträger, die eine solche beschlossene Ordnung umsetzen oder stärken wollen, haben Grund dazu, sie nicht als organisiert, sondern als natürlich oder von Gott gegeben zu beschreiben. Oder sie spielen die Vorstellung einer bewussten Entscheidung herunter, etwa indem sie argumentieren, dass sie keine Wahl hatten und es in Wirklichkeit nur eine Option zum Beispiel aufgrund zwingender externer Kräfte gegeben habe. Entscheidungen stellen dementsprechend Versuche dar, eine Ordnung herzustellen, wobei diese auch scheitern können. Während die Institutionenanalyse typischerweise mit einem Ergebnis in Form einer bestehenden Institution beginnt, braucht ein Organisationswissenschaftler deshalb nicht darauf zu warten, dass eine Ordnung bereits existiert. Stattdessen kann er oder sie mit der Analyse von Versuchen beginnen – auch wenn es Versuche sind, eine Ordnung herzustellen,

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welche (bis dahin) nicht erfolgreich gewesen sind. In der Tat sind Misserfolge ein gängiges Thema der Organisationsforschung, insbesondere innerhalb der herkömmlichen Entscheidungsperspektive, und sie können es auch innerhalb der Perspektive partieller Organisation sein. Aufgrund all dieser Unterschiede ist es wichtig, zwischen Institution und Organisation zu unterscheiden, was die Verwendung von Konzepten erfordert, welche begrenzt und präzise genug sind, um diese Unterscheidung zu ermöglichen. Die Unterscheidung ermöglicht es außerdem, Transformationen von Organisationen hin zu Institutionen und umgekehrt zu beobachten. Nicht nur kann das, was ehedem zu organisieren war, institutionalisiert werden, wie dies weiter oben für den Fall der Standards für Tischmanieren beschrieben wurde. Eine Transformation in die andere Richtung – von der Institution zur Organisation – ist ebenfalls möglich. Eine mögliche Art, bestehende Institutionen zu schwächen, besteht darin, sie zum Gegenstand von Entscheidungen zu machen. Eine institutionalisierte Statusordnung unter Universitäten kann durch ein Rankingsystem in eine Organisation umgewandelt werden. Auch wenn diejenigen Universitäten, welche traditionell den höchsten Status innehaben, ebenfalls an die Spitze des Rankings gesetzt werden, hat sich die Situation verändert. Was als selbstverständlich angesehen wurde, wird nun als eine Entscheidung verstanden, welche Unsicherheit zur Folge hat und angefochten werden kann – indem man beispielsweise die Ordnung oder diejenigen, die Rankings durchführen, in Frage stellt oder ein anderes Ranking erschafft.

EINIGE IMPLIKATIONEN Die Perspektive partieller Organisation hat einige entscheidende Implikationen. Eine Folge dieser Perspektive betrifft formale Organisationen. Die Unterscheidung zwischen organisiert und nicht-organisiert verdeutlicht stärker als jene zwischen Organisation und Umwelt, dass formale Organisationen – ebenso wie auch andere soziale Settings – mehr oder weniger organisiert sein können. Obwohl von formalen Organisationen erwartet wird, dass sie Zugang zu allen fünf oben genannten Elementen der Organisation haben, sind sie möglicherweise nicht immer bereit oder in der Lage, diese zu nutzen. Wenn ein Großteil des Verhaltens institutionalisiert ist, wie dies in zeitgenössischen Universitäten der Fall ist, besteht nur eine geringe Notwendigkeit für Organisation (so lange nicht versucht wird, tradiertes Verhalten zu verändern). In Meta-Organisationen, d.h. in Organisationen, die als Mitglieder andere Organisationen haben, erschwert der Wettbewerb um Autonomie zwischen den

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Organisationen und ihren Mitgliedern den umfassenden Gebrauch der Organisationselemente (vgl. Ahrne/Brunsson/Kerwer 2016). Organisation kann nicht nur in formalen Organisationen, sondern auch in vielen anderen sozialen Settings gefunden werden. So sind beispielsweise beinahe alle Märkte zu einem gewissen Grad organisiert; und es ist eine umfassende Organisation erforderlich, wenn ein Markt wie ein »perfekter Markt« funktionieren soll (vgl. Ahrne/Aspers/Brunsson 2015; Samuelson 1969). Soziale Bewegungen unterscheiden sich in ihrem Grad und Typ von Organisation; oft erreichen sie mit der Zeit einen höheren Organisationsgrad (vgl. den Hond/de Bakker/Smith 2015). Familien können mehr oder weniger organisiert sein, während Freundschaften schwierig zu organisieren sind (vgl. Ahrne 2019). Was unter dem Label von »organisiertem Verbrechen« zusammengefasst wird, reicht von einem hohen Grad an Organisation bis hin zu gar keiner Organisation (vgl. Ahrne/Rostami 2019). In den Sozialwissenschaften wird der Begriff »Netzwerk« manchmal für »reine« Netzwerke ohne Organisation gebraucht, aber ebenso oft wird er verwendet, um eine Beziehung zwischen mehreren Partnern zu kennzeichnen (vgl. auch Oberg/Korff in diesem Band), welche einen gewissen Grad an Organisation aufweist, obwohl diese Partner keine formale Organisation bilden. Solche »Netzwerke« sind mehr oder weniger und unterschiedlich organisiert. Sie funktionieren daher verschiedenartig. Einige haben sogar einen höheren Grad an Organisation als manche formalen Organisationen (vgl. Sydow 2019). Das Internet stellt viele Möglichkeiten zur Mobilisierung sowie zur Organisation von Menschen zur Verfügung (vgl. Roed Nielsen 2018). Die Technologie selbst mag jedoch in gewissem Maße auch zur Koordination ohne Organisation verwendet werden (vgl. Weinryb/Gullberg/Turunen 2019). Die umfangreiche Organisation außerhalb von Organisationen reduziert den Bedarf und die Möglichkeit des Organisierens innerhalb von Organisationen. Standards ersparen dem Management in Organisationen die Arbeit, ihre eigenen Regeln festzulegen und verhindern oft auch, dass sie dies tun, wenn die Organisationen weiterhin mit anderen interagieren und als legitim angesehen werden soll. Gleichermaßen reduzieren externes Monitoring und Sanktionen den Bedarf und die Möglichkeiten für die Gestaltung und Implementierung von internen Kontrollsystemen. Aus der institutionalistischen Perspektive betrachtet ist der Bedarf und die Fähigkeit, sich lokal in formalen Organisationen zu organisieren, limitiert, da es einen alternativen Ordnungsmechanismus in Form von Institutionen gibt. Insgesamt lässt sich hier weniger Organisation feststellen als dies in der Organisationsforschung gemeinhin angenommen worden ist. Auch aus der Perspektive par-

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tieller Organisation ist das Organisieren in formalen Organisationen begrenzt, weil Organisation auch außerhalb dieser Einheiten existiert. Hier lässt sich insgesamt jedoch mehr Organisation feststellen, als dies in den aktuellen Organisationstheorien angenommen oder impliziert wird. Doch sind diese beiden Perspektiven natürlich nicht als sich widersprechend, sondern vielmehr als zueinander komplementär zu verstehen: In der modernen Welt existieren zahlreiche starke soziale Institutionen; gleichzeitig gibt es aber auch viel Organisation sowohl »innerhalb« als auch »außerhalb« von formalen Organisationen. Eine weitere Implikation der Perspektive partieller Organisation betrifft den Grad an Harmonie und Disharmonie in der gegenwärtigen Gesellschaft. Eine institutionalistische Perspektive tendiert dazu, Harmonie zu betonen. Wenn viele dieselben Institutionen teilen, besteht nicht allzu viel Grund zur Diskussion, sondern vielmehr eine große Chance für harmonische Interaktion und Kooperation. Eine Ausnahme stellt hier der Ansatz der »institutionellen Logiken« dar, der von einem Wettkampf zwischen verschiedenen Logiken ausgeht (vgl. Friedland/Alford 1991; Thornton/Ocasio/Lounsbury 2012). Ein solcher Wettkampf ist zwar keineswegs ungewöhnlich, aber dennoch eher eine Seltenheit. Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass eine institutionalistische Perspektive in der Organisationsanalyse gerade zu einer Zeit, in der – zumindest seitens der Medien – so viele soziale Proteste, Demonstrationen und Herausforderungen beobachtet wurden, so dominant geworden ist. Eine Organisationsperspektive hilft hier dagegen weiter. Von der Organisation kann man erwarten, dass sie Zweifel, Herausforderungen und Proteste hervorruft; hier ist es vielmehr die Hervorbringung von Harmonie, die als Ausnahme betrachtet wird. Doch sind beide Perspektiven notwendig, denn die Tatsache, dass Harmonie und die dahinterstehenden als selbstverständlich angenommenen Institutionen nicht Bestandteil medialer Berichterstattung sind, ist eher Teil ihres grundlegenden Merkmals als ein Zeichen dafür, dass sie nicht existieren. Organisation ist ein Kernelement der gegenwärtigen Globalisierung (vgl. Ahrne/Brunsson 2013). Es gibt einige Institutionen, welche global geteilt werden, wie zum Beispiel die unhinterfragte Vorstellung dessen, was einen modernen Staat ausmacht (vgl. Meyer et al. 1997). Zudem tragen multinationale Unternehmen zu globalen Gemeinsamkeiten bei. Um jedoch bestehende Ähnlichkeiten im Verhalten und in Statussystemen sowie die Berechenbarkeit von Gesellschaften auf der ganzen Welt erklären zu können, muss man die Existenz von partieller Organisation auf globaler Ebene anerkennen. Globale Standards und Zertifizierungen ermöglichen es, zu reisen und mit entfernten Teilen der Welt zu kommunizieren. Globale Rankings, Ratings und Auszeichnungen kreieren globa-

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le Statussysteme, nicht nur im Sport, sondern auch in zahlreichen anderen Bereichen. Ganz allgemein könnte man spekulieren, dass die Höhepunkte der formalen Organisationen jene des letzten Jahrhunderts waren und dass es nun einen Schritt in Richtung Organisation außerhalb dieser Einheiten gibt (vgl. Davis 2013, 2017). Das Argument, dass sich die Organisationsforschung auf formale Organisationen zu konzentrieren habe, war demnach in den 1950er Jahren relevanter als heute. Die Existenz von Organisation außerhalb der formalen Organisation eröffnet ein neues Forschungsfeld für die Organisationsforschung. Organisationstheorien und Konzepte können für das Verständnis von zahlreichen wesentlichen Aspekten der modernen Gesellschaft verwendet werden. Während die Institutionentheorie einen Import in die Organisationsforschung aus der allgemeinen Soziologie darstellte, könnte die Organisationsperspektive eine signifikante Bereicherung für andere Sozialwissenschaften darstellen. In anderen Disziplinen besteht manchmal die Tendenz, organisationale Konzepte als Metapher für unorganisierte Phänomene zu gebrauchen und dabei nicht zwischen Organisation und anderen Formen der Ordnung zu unterscheiden – wie beispielsweise Normen als »Skripte« oder Geschlechterverhältnisse als »ausgehandelt« zu bezeichnen, was sie jedoch genau nicht sind. Gleichzeitig scheint in anderen Disziplinen manchmal ein gewisses Bewusstsein für die Bedeutung der Unterscheidung zwischen Organisiertem und Unorganisiertem zu bestehen, wobei diese Unterscheidung jedoch durch die Verwendung der Begriffe »formal« und »informell« – und zwar ohne sie klar zu definieren – etwas undurchsichtig ist. Meistens scheinen diese Begriffe jedoch das zu meinen, was sich als decided und non-decided, d.h. als auf Entscheidungen basierend oder eben als nicht darauf basierend, konzeptualisieren lässt, und ihre Häufigkeit zeigt, dass es tatsächlich notwendig ist, diese Unterscheidung vorzunehmen. Was die Organisationsforschung zu anderen Disziplinen beitragen kann, ist jedoch nicht nur eine höhere Präzision in einigen Konzepten, sondern auch ein großer Wissensschatz darüber, wie Organisation im weitesten Sinne abläuft. Sie kann sowohl Einblick darin geben, wie sich organisationale Prozesse entwickeln, als auch darin, was ihre Hauptursachen und -wirkungen einschließlich der Gründe dafür sind, warum sie erfolgreich sind oder scheitern. Nicht zuletzt ist auch Wissen darüber nützlich, wie Entscheidungen getroffen werden und was deren Ursachen und Wirkungen sein könnten. Und über das hinausgehend, was ich hier dargelegt habe, kann man eine Perspektive partieller Organisation auch entwickeln, indem man die weithin geteilte Annahme in Frage stellt, dass Entschei-

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dungen immer einer logic of consequences folgen, rational sind und nur durch die Wahl von Entscheidungsträgern ihre wesentliche Wirkkraft entfalten. Kurz gesagt, obwohl es aus der Forschung zu formalen Organisationen übernommen wurde, ist viel organisationstheoretisches Wissen auch für das Verständnis anderer sozialer Settings relevant. Und falls wir feststellen, dass es in einigen Fällen nicht so ist, haben wir dennoch etwas Wesentliches über den Unterschied zwischen formalen Organisationen und dem Rest des sozialen Lebens gelernt, der zu Beginn des Projekts der Organisationsforschung ein brisantes Thema war.

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Organisationen und heterogene Umwelten Zum Umgang mit Fragen institutioneller Pluralität Frank Meier und Uli Meyer

EINLEITUNG Der Umgang mit heterogenen institutionellen Umwelten war von Anfang an eine zentrale Problemstellung des Neo-Institutionalismus (vgl. Meyer/Rowan 1977; Brunsson 1989). Mit dem Aufstieg des Konzepts der institutionellen Logiken (vgl. Friedland/Alford 1991; Thornton/Ocasio 1999) ist diese Frage wieder stärker in den Fokus gerückt. Verschiedene konzeptuelle Vorschläge bevölkern seit einigen Jahren die Theoriedebatte: institutional complexity (vgl. Greenwood et al. 2011), institutional pluralism (vgl. Kraatz/Block 2008), hybride Organisationen (vgl. Battilana/Dorado 2010; Battilana/Lee 2014) oder institutional multiplicity (vgl. Besharov/Smith 2014), um nur die wichtigsten zu nennen. Ihnen gemeinsam ist, dass sie Heterogenität primär als Ursache für Spannungen, Konflikte und Probleme betrachten. Die Definition institutioneller Komplexität bringt dies explizit zum Ausdruck, indem sie Heterogenität auf die Unvereinbarkeit institutioneller Logiken zuspitzt: »Organizations face institutional complexity whenever they confront incompatible prescriptions from multiple institutional logic [...]. To the extent that the prescriptions and proscriptions of different logics are incompatible, or at least appear to be so, they inevitably generate challenges and tensions for organizations exposed to them« (Greenwood et al. 2011: 318).

Es gibt gute Gründe für den Erfolg dieser neueren Literatur. Eine ihrer Leistungen besteht darin, Organisationen zurück in die neo-institutionalistische Debatte gebracht zu haben. Spätestens mit den Erfolgen der Konzepte institutioneller Logiken und institutioneller Arbeit hatte der Neo-Institutionalismus Organisatio-

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nen als einen ihrer zentralen Gegenstände gänzlich aus dem Blick verloren (vgl. Walgenbach 2011; Kirchner et al. 2015). Gleichzeitig schließt die Debatte an das Kernthema des soziologischen Neo-Institutionalismus an: die Relation zwischen Organisationen und ihrer institutionellen Umwelt. Problematisch ist jedoch, dass sie diese Relation nur in sehr reduzierter Form wahrnimmt und thematisiert. Es wird primär die Reaktion von Organisationen auf ihre Umwelt betrachtet und dies auch ganz überwiegend im Kontext von Problemen und Konflikten. Die Verkürzung auf organisationale Reaktionen scheint eine Rückbesinnung auf die überwunden geglaubte Kontingenztheorie zu sein: Arbeiten zu institutioneller Komplexität suchen nach den situativen Variablen, die bestimmen, wie Organisationen auf institutionelle Komplexität reagieren. Dies ist umso bemerkenswerter, als der soziologische Neo-Institutionalismus ursprünglich als Gegenmodell zu kontingenztheoretischen Perspektiven angetreten ist (vgl. Meyer/ Rowan 1977; Meyer et al. 1983; Meyer/Scott 1983) und dabei sowohl die aktive Gestaltung der Umweltbeziehung als auch die Potentiale heterogener Umwelt(erwartungen) in den Blick genommen hat. Ein anderer Aspekt der Verengung scheint uns (noch) problematischer: Die Reduzierung von Heterogenität auf ein Problem (wie etwa die unvereinbaren Anforderungen in der Definition institutioneller Komplexität). Es ist nichts falsch daran zu untersuchen, wie Organisationen Probleme bearbeiten. Ganz im Gegenteil ist dies eine der wichtigsten und produktivsten (nicht nur) organisationtheoretischen Analysestrategien. Wir werden jedoch zeigen, dass die neuere Literatur auch in dieser Hinsicht eine ganz unnötige Engführung vornimmt. Aus diesem Grund schlagen wir eine umfassendere Perspektive vor, die die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Organisationen und ihrer Umwelt betrachtet, Heterogenität nicht nur unter dem Gesichtspunkt von Schwierigkeiten und Konflikten thematisiert und genauer bestimmt, um welche Probleme es eigentlich geht. Dazu ist jedoch eine solide Theorie der Organisation notwendig, über die der Neo-Institutionalismus selbst nicht verfügt. Wir schlagen deshalb eine Rückbesinnung auf die entscheidungszentrierte Organisationstheorie Herbert Simons vor, die ein klares Modell der Organisation und ihrer Prozesse, Strukturen und Umweltbeziehungen bereitstellt (vgl. hierzu auch Brunsson in diesem Band). Wir werden unser Argument in drei Schritten entwickeln: Im zweiten Abschnitt werden wir einen kurzen Überblick über frühe und gegenwärtige neoinstitutionalistische Positionen zu institutioneller Heterogenität und dem organisationalen Umgang damit geben. Im dritten Abschnitt werden wir die neuere Diskussion kritisch würdigen und unsere Konsequenzen daraus ziehen. Der vier-

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te Abschnitt schließlich widmet sich der Frage einer organisationstheoretischen Fundierung.

HETEROGENE UMWELTEN IN DER NEO-INSTITUTIONALISTISCHEN FORSCHUNG Die Frage nach dem organisationalen Umgang mit heterogenen Umwelten ist so alt wie der Neo-Institutionalismus selbst. Die Art und Weise, wie heterogene Umwelten und ihre Relation zu Organisationen betrachtet werden, hat sich dabei jedoch erheblich gewandelt (vgl. auch Meyer/Jancsary/Höllerer in diesem Band). Im Folgenden geben wir einen knappen Überblick über die Entwicklung dieser Ansätze, um daran anschließend aktuelle Perspektiven auf Heterogenität zu diskutieren. Klassische Konzeptionen Gegenstand der frühen neo-institutionalistischen Arbeiten ist die Frage, wie Organisationen damit umgehen, dass sie als offene Systeme durchlässig für verschiedene Einflüsse aus ihrer Umwelt sind. Heterogenität ist eine Facette dieser Frage. Gemein ist diesen frühen Arbeiten, dass sie den Umgang mit (unterschiedlichen) Umwelteinflüssen als ganz typische oder sogar als die vorausgesetzte Standardsituation von Organisationen betrachten und die alltäglichen, normalen und routinemäßigen Weisen des Umgangs damit nachzeichnen, die Organisationen entwickelt haben. Heterogenität ist in diesen Ansätzen also nichts, was nur in besonderen Situationen auftritt oder spezielle Antworten erfordert. Vielmehr handelt es sich hierbei um ein allgemeines Phänomen für Organisation, deren Strukturen entsprechend als Folge eben dieser allgegenwärtigen Heterogenität beschrieben werden. Meyer und Rowan (1977) sowie Meyer, Scott und Deal (1983) beschreiben zwei Formen der Heterogenität. Zum einen sind dies die unterschiedlichen Anforderungen aus den unterschiedlichen Umwelten, die die Autoren institutionell und technisch nennen. Technische Teile der Umwelt erfordern vor allem Effizienz, während institutionelle Teile die Einhaltung von institutionellen Regeln einfordern, die etwa in der Form von Rationalitätsmythen auftreten. 1 Häufig führt

1

Den Autoren geht es primär darum, die Bedeutung institutioneller Umwelten hervorzuheben. Damit grenzen sie ihren Ansatz gegen andere Perspektiven wie die Kontingenztheorie ab, die primär oder ausschließlich technische Umwelten betrachten. Die

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die Erfüllung einer dieser Erwartungen zur Enttäuschung von anderen. Die Vielzahl existierender Rationalitätsmythen bzw. Rationalitätsvorstellungen stellen dabei die zweite Form von Heterogenität dar: Auch diese Rationalitätsvorstellungen und -erwartungen können aus sehr unterschiedlichen Teilen der Umwelt entspringen und miteinander wiederum im Konflikt stehen. Entkopplung, das zentrale Konzept des Artikels von Meyer und Rowan, beschreibt die Lösung für dieses Problem unterschiedlicher Anforderungen. Um diesen gleichzeitig entsprechen zu können, entkoppeln Organisationen formale Strukturen sowohl von ihren internen Aktivitäten als auch voneinander. So können interne Aktivitäten unabhängig bzw. unbeobachtet von Umwelterwartungen ablaufen, während unterschiedliche Teile der Formalstruktur verschiedene Erwartungen aus der Umwelt bedienen. Dieses Arrangement wird im Falle hochgradig institutionalisierter Organisationen – so die Autoren – weiterhin durch eine Logik des Vertrauens und des guten Glaubens sowie durch den Verzicht auf Inspektionen und ernsthafte Evaluationen abgestützt. Im Ergebnis ist es Organisationen möglich, Legitimität und Unterstützung aus verschiedenen Bereichen ihrer Umwelt gleichzeitig zu erhalten. Eine solche Sichtweise auf Organisationen und ihre Umwelten ist bereits in der Kontingenztheorie angelegt, insbesondere in der Fassung von Lawrence und Lorsch (1967). Im Unterschied zu anderen kontingenztheoretischen Ansätzen betrachten die Autoren, wie Unternehmen verschiedene Anforderungen ihrer Umwelt bedienen. Interessanterweise wurde diese Forschung ausgelöst durch die Beobachtung, dass häufig verschiedene Teile von Organisationen miteinander in Konflikt stehen. Als Ursache dafür identifizierten die Autoren die Orientierung der verschiedenen Organisationsteile auf jeweils andere Bereiche der Umwelt. Ausgangspunkt hier ist somit nicht die externe Heterogenität, sondern die interne. Die frühen neo-institutionalistischen Modelle weichen davon ab, indem sie deutlich stärker die institutionellen Aspekte, Legitimität, Erwartungen u.ä. in der

institutionellen Erwartungen, die z.B. durch staatliche Akteure oder Professionen an Organisationen gerichtet werden, sind dabei Ausdruck von Rationalitätsvorstellungen. Die strikte Trennung in technisch und institutionell ist allerdings vielfach kritisch diskutiert worden. Powell (1991) beispielsweise schlägt vor, technisch und institutionell entweder als ein Kontinuum zu verstehen, institutionelle Aspekte als Einflussfaktoren auf Wettbewerb zu betrachten oder Institutionen als den Rahmen zu interpretieren, in dem technische Umwelten wirken können. Unabhängig von der konkreten Art, wie die beiden Aspekte konzeptionell in ein Verhältnis gesetzte werden, bleibt klar: Dieses wird als Form der Heterogenität organisationaler Umwelten gesehen.

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Umwelt betonen und zudem auch auf deren Veränderungen durch Organisationen eingehen. Auf einer grundsätzlicheren Ebene betrachtet Nils Brunsson (1989), Vertreter der skandinavischen Entwicklungslinie des Neo-Institutionalismus, Heterogenität. Er hebt hervor, dass die Darstellung von Heterogenität selbst häufig eine Anforderung an Organisationen ist. Heterogenität entsteht somit nicht nur durch das Aufeinandertreffen verschiedener Anforderungen, sondern ist selbst eine Umwelterwartung. Idealtypisch unterscheidet Brunsson zwischen Handlungsorganisationen und politischen Organisationen. Handlungsorganisationen operieren in einer einfachen Umwelt primär nach einer Rationalität und sind hauptsächlich auf Handlungen hin orientiert, also darauf, Dinge zu erledigen. Politische Organisationen sehen sich dagegen mit heterogenen Rationalitäten konfrontiert und sind herausgefordert, diese zu integrieren. Solche politischen Organisationen – Brunsson nennt Parlamente als typische Vertreter – haben gerade die Aufgabe, die bestehende Heterogenität an Positionen, Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten zu repräsentieren, zusammenzubringen und darzustellen. Empirisch vorfindbare Organisationen werden immer Aspekte beider Idealtypen enthalten. Damit steht jede Organisation vor der Herausforderung, in zweifacher Hinsicht mit Heterogenität umzugehen. Sie müssen den handlungsorientierten und den politischen Teil integrieren und zusätzlich die Heterogenität des politischen Teils bewältigen. Handeln Organisationen anders als sie kommunizieren und entscheiden, stellt dies für Brunsson einen Lösungsansatz genau für dieses Problem dar. »Heuchelei« (hypocrisy) wird in seiner Verwendung von einem abwertenden, moralischen Begriff zu einer für Organisationen funktionalen Notwendigkeit. Basierend auf dieser Einsicht differenziert der Autor verschiedene Formen der Entkopplung. Konfligierende Anforderungen können zeitlich getrennt werden, thematisch, in unterschiedliche Umwelten oder – wie schon bei Meyer und Rowan oder Lawrence und Lorsch – in unterschiedliche Teile der Organisation. Diese klassischen Betrachtungsweisen eint, dass sie Heterogenität als einen ganz gewöhnlichen Sachverhalt betrachten. Die Quellen dazu sind klar benannt: Auf der einen Seite sind dies unterschiedliche Handlungsorientierungen (technisch vs. institutionell bzw. Handlungsorientierung vs. politisch) und auf der anderen Seite sind das unterschiedliche Erwartungen aus der Umwelt, die von Organisationen aufgenommen werden müssen. Der organisationale Umgang mit diesen zwei Formen der Heterogenität wird zwar als relevanter Gegenstand der Forschung angesehen, aber keinesfalls als etwas Außergewöhnliches oder Bedrohliches. Im Gegenteil: Es sind gerade grundlegende Eigenschaften von Orga-

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nisationen, die es ihnen erlauben, mit Heterogenität umzugehen (vgl. Besio/ Meyer 2015). Neuere Konzeptionen: Institutionelle Logiken Ausgangspunkt jüngerer Debatten um institutionelle Heterogenität ist das Konzept institutioneller Logiken. Ursprünglich von Friedland und Alford (1991) formuliert, wurde es erst durch daran recht frei anschließende nachfolgende Autorinnen und Autoren (vgl. Thornton/Ocasio 1999, 2008) populär. In der ursprünglichen Formulierung sind institutionelle Logiken die mit den großen Institutionen (z.B. Wirtschaft, Demokratie oder Religion) verflochtenen Symbole und materiellen Praktiken. Diese Logiken setzen einander voraus, erzeugen aber auch Widersprüche. Dies wiederum stellt Akteure einerseits vor Herausforderungen, eröffnet ihnen aber andererseits auch Handlungsfreiheiten. Im Folgenden wurde die Idee von institutionellen Logiken erheblich ausgeweitet und Handlungsorientierungen auch jenseits zentraler Institutionen als Logik betrachtet. So untersuchten Thornton und Ocasio (1999) beispielsweise die Abfolge verschiedener Handlungsorientierungen bei akademischen Verlagen. Weitere Forschung hatte dann weniger die Abfolgen, sondern vorrangig die Co-Präsenz von Logiken in institutionellen Feldern untersucht. Wurden zunächst typischerweise zwei Logiken gegenübergestellt, ging es dann später auch um vielfältigere Ensembles. Dabei wurde auch deutlich, dass die Logiken in unterschiedlichen Konstellationen zueinander stehen konnten, zum Beispiel wurden wettbewerbliche und kooperative Beziehungen unterschieden (vgl. Goodrick/Reay 2011; Boch Waldorff et al. 2013). Die neueste Forschung bildet inzwischen auch komplexe Muster der Repräsentation multipler Logiken auf der Ebene der Organisation ab (vgl. Jancsary et al. 2017). Die Logik-Perspektive ist durch das Problem gekennzeichnet, wenig dazu sagen zu können, wie Logiken systematisch bestimmt und nachvollziehbar differenziert werden können (vgl. Berg Johansen/Boch Waldorff 2017). Diese Frage ist auch deshalb eine Herausforderung, da auch der Wandel und die Hybridisierung von Logiken vorstellbar sind. Etwas unbestimmt blieb immer auch die Frage, welcher epistemische und ontologische Status Logiken eigentlich zukommt. Die Protagonist*innen der neueren Logikdebatte stellen diesen als allgemeinen Theorierahmen und damit als grundlegende Alternative zum »klassischen NeoInstitutionalismus« dar (vgl. Thornton/Ocasio/Lounsbury 2012). 2

2

Besonders betonen sie, dass ihr »neuer neuer Instititutionalismus« auf Heterogenität statt auf Homogenität abstellt. Da der Neo-Institutionalismus, wie wir gesehen haben,

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Neuere Konzeptionen des organisationalen Umgangs mit Heterogenität Institutionelle Logik hat sich nach seiner Wiederentdeckung und den Artikeln von Thornton und Ocasio (vgl. Thornton/Ocasio 1999, 2008) zu einem Modebegriff entwickelt. Er ist so dominant geworden, dass er den Begriff der Institution in vielen Veröffentlichungen weitgehend verdrängt und ersetzt hat. Auch große Teile der neueren Literatur zum organisationalen Umgang mit institutioneller Heterogenität setzen an diesem Begriff an, nehmen die Gleichzeitigkeit verschiedener institutioneller Logiken zum Ausgangspunkt und betrachten diese unter dem Gesichtspunkt der Konflikthaftigkeit bzw. Widersprüchlichkeit. Die Literatur betrachtet Heterogenität entweder aus Sicht der Umwelt (institutionelle Komplexität) oder aus Sicht bestimmter Organisationstypen (hybride Organisationen), in denen Heterogenität zum Ausdruck kommt. Für die erste Richtung steht die bereits in der Einleitung zitierte Perspektive der institutionellen Komplexität (vgl. Greenwood et al. 2011). Sie ist nicht nur eine zentrale Perspektive der Betrachtung von Heterogenität. In ihr sind auch exemplarisch all jene Aspekte formuliert, die wir im Folgenden diskutieren: Institutionelle Komplexität wird als gleichbedeutend mit Sonderproblemen betrachtet, auf die Organisationen reagieren müssen. Den organisationalen Antworten auf diese Probleme gilt das Interesse dieser Perspektive. Die Perspektive auf hybride Organisationen (vgl. Battilana/Dorado 2010; Battilana/Lee 2014) interessiert sich für Organisationen, in denen Heterogenität bereits formal zum Ausdruck kommt, z.B. »social enterprises« und untersucht die besonderen Herausforderungen solcher Organisationen. Heterogenität wird somit nicht von der Umwelt aus betrachtet, sondern von einem bestimmten Or-

von Anfang an von institutioneller Heterogenität ausgegangen war, ist dies sicher eine unzutreffende Stilisierung. Allerdings war dieser stärker in den Hintergrund getreten. Insbesondere die world polity-Literatur (vgl. Meyer 2005) hatte darauf abgezielt, jenseits beliebiger und flüchtiger »Moden und Mythen des Organisierens« (vgl. Kieser 1996), übergreifende und langfristige institutionelle Transformationsprozesse abzubilden. Zwar war auch hier Heterogenität letztlich immer vorausgesetzt gewesen, der Akzent wurde aber deutlich auf Homogenisierungsprozesse gelegt. Bei allen – durchaus klar gesehenen – inneren Widersprüchen der modernen Weltkultur, wurde diese doch primär unter dem Gesichtspunkt sich wechselseitig stützender institutioneller Elemente thematisiert. So gesehen lässt sich von einer Rückkehr zum Interesse an institutioneller Heterogenität sprechen, ohne dass dies freilich mit einer systematischen Nutzung der älteren Diskussion einhergegangen wäre.

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ganisationstypus aus, für den dann beschrieben werden kann, wie in ihm unterschiedliche Logiken miteinander ge- bzw. entkoppelt werden. Es sind diese beiden Perspektiven auf institutionelle Heterogenität, auf die wir uns im nächsten Abschnitt konzentrieren werden.

AKTUELLE SICHTWEISEN – LICHT UND SCHATTEN Anschließend an die vorgestellte neo-institutionalistische Diskussion zum organisationalen Umgang mit institutioneller Heterogenität sollen nun Merkmale der neueren Perspektiven diskutiert werden. Wir werden sehen, dass hier einerseits wichtige Aspekte thematisiert werden, andererseits aber unnötige Einengungen und Leerstellen bestehen. Positiv gewendet lassen sich daraus Gesichtspunkte für eine fruchtbare Weiterentwicklung gewinnen. Organisationale Reaktion auf Komplexität – und aktiver Umgang Die neuere Literatur zum organisationalen Umgang mit institutioneller Heterogenität zeichnet sich in weiten Teilen durch eine Rückbesinnung auf eine kontingenztheoretische Argumentationslogik aus. Ganz allgemein versucht sie, mit einem typischerweise recht reduzierten Variablendesign Situationsbedingungen mit organisationalen Auswirkungen zu verknüpfen. Prototypisches Beispiel ist ein vielzitierter Aufsatz von Anne-Claire Pache und Filipe Santos (2010). Die Autor*innen beschreiben ihr Anliegen wie folgt: »Interestingly, while institutional scholars acknowledge that organizations are often exposed to multiple and sometimes conflicting institutional demands [...], existing research makes no systematic predictions about the way organizations respond to such conflict in institutional prescriptions. The goal of this paper is to address this gap« (Pache/Santos 2010: 455).

Zu diesem Zweck konstruieren sie in Anschluss an Oliver (1991) ein Modell, mit dem strategische Antworten auf konfligierende institutionelle Anforderungen vorhergesagt werden sollen. Im Kern enthält das Modell Variablen zu zwei Gesichtspunkten: zum Wesen der Anforderungen einerseits – Variablen, die im Weiteren mit der Unterscheidung von Mitteln und Zielen operationalisiert werden 3 – und zur Repräsentation der Anforderungen in der Organisation anderer-

3

Dabei gehen Pache und Santos von der Vorstellung aus, dass Mittelfragen letztlich technischer Natur und so am Ende verhandelbar sind, während Zielkonflikte die ei-

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seits – Variablen, die sich auf die Frage beziehen, ob es Gruppen gibt, die konfligierende Anforderungen in der Organisation vertreten. Von diesem Modell ausgehend kommen die Autor*innen zu Aussagen des folgenden Typs: »When facing conflicting demands focusing on means where at least two sides of the demands are internally represented, organizations are more likely to resort to compromise strategies when internal power is balanced and to manipulation strategies when internal power is unbalanced« (Pache/Santos 2010: 466).

Hier wird das kontingenztheoretische Argumentationsmuster deutlich: Situationsbedingungen bestimmen organisationale Auswirkungen. Dass hier auch noch – wenn man so will – politische Variablen der innerorganisationalen Repräsentanz hinzugefügt sind und zudem probabilistische Aussagen gemacht werden, ändert daran nicht viel. Auch weitere Versuche, über Kontingenztheorie hinauszugehen, bleiben bei einer ähnlichen Grundfigur. Eine Variante ist, bei gleichbleibender Perspektive als organisationale Auswirkung nicht die organisationalen Reaktionen selbst, sondern Problemniveaus (vgl. Besharow/Smith 2014) oder spezifische Herausforderungen zu betrachten (vgl. Raynard 2016), auf die Organisationen dann wiederum in unterschiedlicher Weise reagieren können. Im Zentrum steht aber auch hier die Reaktion von einer als ein Bündel von Variablen verstandenen Organisation auf eine als gegeben betrachtete Situation. Die kontingenztheoretische Anlage ist in mindestens zwei Hinsichten limitiert. Zum einen werden die verwendeten Variablen nicht systematisch mit einer Organisationstheorie verknüpft. Die Theorie unterstellt letztlich, man könne für die Voraussage organisationaler Auswirkungen im Wesentlichen von den konkreten organisationalen Strukturen und Prozessen abstrahieren. Das ist eine eher unrealistische Annahme. Zum anderen zeigt sich eine einseitige Verknüpfung von Umwelt und Organisation, wie sie in der Kontingenztheorie üblich ist: Organisationen reagieren auf ihre Umwelt und passen sich dieser an. Natürlich können Organisationen ih-

gentlich problematischen sind. Die Unterscheidung wird in der Literatur immer wieder referiert und gemischt besprochen: Greenwood et al. (2011) und Raynard (2016) stellen sie vor dem Hintergrund anderer Befunde eher in Zweifel, Besharow/Smith (2014) übernehmen sie. Angesichts der in der Organisationssoziologie gut etablierten Relativierung des Zielparadigmas ist sie jedenfalls nicht unmittelbar einleuchtend. Man muss wohl annehmen, dass die Autor*innen Ziele stark mit Identität assoziieren und daher überschätzen (siehe dazu etwa das Beispiel Pache/Santos 2010: 469f.). Siehe auch unsere Ausführungen in dem Abschnitt zu Heterogenität als Problem.

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re Umwelt nicht nach Belieben kontrollieren. Die Frage nach organisationalen Reaktionen auf die Umwelt ist also nicht per se falsch – sie ist nur in problematischer Weise unvollständig. Was fehlt, ist die Verknüpfung von Organisation und Umwelt mit umgekehrten Vorzeichen, die aktive Einflussnahme der Organisation auf ihre Umwelt. Hier erscheint der Rückgriff auf die lange Tradition der Organisationsforschung angemessen, die sich damit beschäftigt hat. Hier finden sich bereits vielfältige Auseinandersetzungen, wie Organisationen ihre Umwelt wählen (vgl. Thompson 1967), wie sie ihre Umwelt beeinflussen (vgl. Pfeffer/Salancik 1978) und wie sie ihre Umwelt über Sinnstiftung und enactment erst hervorbringen (vgl. Weick 1969, 1995). Institutionelle Heterogenität als Herausforderung – und Normalität Wie beschrieben ist die Wechselwirkung zwischen heterogenen Umwelten und Organisationen komplexer als dies gegenwärtig zumeist diskutiert wird. Ein weiterer Aspekt dieses Verhältnisses ist, dass Heterogenität weder eine Besonderheit darstellt noch prinzipiell zu einem Problem werden muss, das mit Konflikten, Spannungen oder gar akuten Bedrohungen für die Existenz der Organisation einhergeht. Die neuere neo-institutionalistische Literatur zum organisationalen Umgang mit Heterogenität erkennt die Ambivalenz der Heterogenität für Organisationen (siehe etwa Besharov/Smith 2014: 364f.; Raynard 2016), konzentriert sich aber ganz wesentlich auf Fälle, in denen Probleme zu Anpassungsleistungen zwingen. Worin liegt nun genau das Problem, Heterogenität mit diesem starken Problemfokus zu betrachten? Ähnlich wie die kontingenztheoretische Sichtweise einen Teil der Wechselwirkung zwischen Organisation und Umwelt ausblendet, bleibt auch hier das Bild unvollständig. Eine solche Sichtweise blendet aus, dass Heterogenität nicht zwingend zu Schwierigkeiten führt, eine Erkenntnis, die ebenfalls seit langer Zeit zum Kanon der Organisationsforschung gehört. Hier sind drei Aspekte von Bedeutung: Erstens ist Heterogenität der Normalfall: Heterogenität ist ein deutlich verbreiteteres Phänomen, als es die Literatur zu institutioneller Komplexität suggeriert. Es wird sich nur schwer eine Organisation finden lassen, die sich nicht in einer heterogenen Umwelt befindet. Jede Organisation ist mit unterschiedlichen Anforderungen aus verschiedenen Bereichen ihrer Umwelt konfrontiert. Unternehmen z.B. müssen wirtschaftlich erfolgreich agieren, müssen mit der Qualifikation ihrer Mitarbeiter umgehen, sind angehalten, sich an professionelle Standards zu halten und müssen sich innerhalb eines gesetzlichen Rahmens bewegen. Die meisten Organisationen sind nicht nur in der Lage, diese Heterogenität zu

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bewältigen, sie tun dies auch sehr erfolgreich. Die Frage, wie ihnen dies im alltäglichen Tun gelingt, wird ausgeblendet, wenn man Heterogenität nur als in Sonderfällen auftretende Bedrohungen betrachtet. Als Konsequenz vernachlässigt die gegenwärtige Literatur zu Heterogenität die Allgegenwärtigkeit dieses Phänomens und der Fähigkeiten von Organisationen, damit umzugehen. Organisationen sind zweitens oft erstaunlich gut gerüstet, um Heterogenität zu bearbeiten: Einer der naheliegenden Gründe, warum Organisationen recht umstandslos mit Heterogenität umgehen können, ist, dass die Möglichkeiten dazu häufig und regulär verfügbar sind. Auf einer sehr grundsätzlichen Ebene lässt sich feststellen, dass viele Grundbausteine von Organisationen – wie z.B. Hierarchie oder Abteilungen – bereits Instrumente zur Bewältigung von Heterogenität sind (vgl. Besio/Meyer 2015). Dies setzt sich auf der Ebene von Typen von Organisationen fort. Die »professionelle Organisation« (Mintzberg 1979) oder auch die Universität sind Formen von Organisationen, die in sich bereits Ausdruck von Heterogenität sind und Formen von deren Bearbeitung beinhalten. 4 Der französische Pragmatismus (vgl. Boltanski/Thévenot 2006) arbeitet sehr deutlich heraus, dass viele institutionalisierte Muster des Organisierens bereits Kompromisse sind. Akzeptiert man diese Analyse, so lässt sich vermuten, dass die Konflikte, die sich zwischen einer neuen und den bestehenden Logiken ergeben, nicht in inhärenten Widersprüchen liegen, sondern vielmehr im Fehlen solcher Kompromisse oder darin, dass bestehende Kompromisse durch institutionellen Wandel neu in Frage gestellt werden – zum Beispiel, wenn professionelle Organisationen ökonomisiert werden. In einigen neo-institutionalistischen Aufsätzen wird dieser Punkt durchaus erahnt. Das Problem institutioneller Heterogenität besteht dann nicht in Komplexität an sich, sondern in »neuer« Komplexität (vgl. Smets et al. 2012). Man hat es dann mit einer Art Übergangsphänomen zu tun, das manageriell bewältigt werden kann. Die Literatur zu institutioneller Hybridität (vgl. Battilana/Dorado 2010; Battilana/Lee 2014) konzentriert sich oft darauf, die besonderen Schwierigkeiten von Hybriden gegenüber den »reinen« Typen (zum Beispiel Wohltätigkeitsorganisationen oder Unternehmen – die am meisten bearbeiteten Fälle) herauszuarbeiten. Dabei wird aber regelmäßig übersehen, dass Organisationstypen untersucht werden, die ihrerseits bereits hochgradig institutionalisiert sind und als legitime soziale Formen gelten. 5 Der Fokus auf manifeste Konflikte kann so dazu

4

Dieser Sachverhalt wurde bei Greenwood et al. (2011: 355) bereits gesehen, ohne daraus jedoch systematischere Folgen abzuleiten.

5

Vgl. etwa die Studie von Battilana et al. 2015 zu den französischen work integration social enterprises.

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führen, dass das Ausmaß des Problems sogar unterschätzt wird, weil man die existierenden Voraussetzungen zu seiner erfolgreichen Bearbeitung gar nicht erst in den Blick bekommt. Drittens ist Heterogenität nicht lediglich eine Quelle von Problemen, sondern häufig eine Ressource, derer sich Organisationen bedienen. Dies wird dann besonders augenfällig, wenn Heterogenität den Existenzgrund für bestimmte Formen von Organisationen darstellt, wie dies etwa bei TechnologietransferEinrichtungen oder wissenschaftlichen Beiräten der Fall ist. 6 Organisation ist vermutlich eine der wichtigsten Mechanismen moderner Gesellschaften, um mit Heterogenität umzugehen (vgl. Meier/Schimank 2012). Eine der üblichen gesellschaftlichen Antworten auf Heterogenität ist die Gründung neuer Organisationen. In einigen Kontexten wird Pluralität sogar als hochgradig nützlich oder notwendig betrachtet. Beispiele dafür sind Wissenschaft, Kunst oder Politik. Viele politische Organisationen in demokratischen Staaten legitimieren sich darüber, dass sie Heterogenität zum Ausdruck bringen. Auf die Anforderung an politische Organisationen, Heterogenität zu repräsentieren, haben wir bereits verwiesen (vgl. Brunsson 1989). Andere Organisationen nutzen Heterogenität und Pluralität als wichtige Quelle von Innovation und Wandel (vgl. Stark 2009). Als Konsequenz der verschiedenen Vorteile, die Heterogenität Organisationen bringen kann, geben sich viele Organisationen formale Strukturen wie etwa heterogen besetzte Gremien oder Abteilungen, die darauf abzielen, Heterogenität hervorzubringen und sicherzustellen. Geradezu in der Umkehrung des Arguments der Debatte um institutionelle Komplexität wird in diesem Zusammenhang das Verschwinden von Heterogenität als Problem diskutiert (vgl. Lamont 2012). Notwendig ist also auch hier, die Perspektive umzustellen von einer Betrachtung, die den Fokus ganz auf Probleme und Konflikte richtet, hin zu einer umfassenderen Betrachtung des Umgangs von Organisationen mit Heterogenität. Diese kann für Organisationen durchaus problematisch sein, aber eben auch alltägliche Routine, Existenzgrundlage oder Quelle von Innovation. Heterogenität als Problem – aber warum? In der hier vorgeschlagenen Perspektive wird die Analyse von Heterogenität als Problem für Organisation zu einem (wichtigen) Aspekt einer umfassenderen Betrachtung des Wechselverhältnisses zwischen Organisation und Umwelt. Sie

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Vgl. auch Laux (2016) zum Deutschen Ethikrat und zur Weltklimakonferenz als weiteren Beispielen.

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kann aber nur dann instruktiv sein, wenn sie präzise in den Blick nimmt, wann genau und warum Heterogenität für Organisationen zu welchem konkreten Problem wird und warum die alltäglichen Formen der Bearbeitung von Heterogenität nicht funktionieren oder scheitern. Einige Autor*innen haben begonnen, Bedingungen herauszuarbeiten, unter denen Heterogenität zu Konflikten oder besonderen Herausforderungen führen. Besharov und Smith (2014) versuchen das Konfliktniveau einer gegebenen Organisation über die Variablen Kompatibilität und Zentralität zu bestimmen. Raynard (2016) argumentiert, dass die Herausforderungen von Komplexität auf drei Faktoren basieren. Auch hier ist es die Inkompatibilität von Logiken. Hinzu kommen noch unklare Priorisierungen innerhalb eines organisationalen Feldes und überlappende Zuständigkeiten. Bei beiden Vorschlägen ist der Ausgangspunkt eine wie auch immer geartete Inkompatibilität. Was genau mit Inkompatibilität gemeint ist, bleibt aber letztlich einigermaßen ungeklärt. 7 Ganz offensichtlich kann man an ganz unterschiedliche Phänomene denken. In Betracht kommen beispielsweise: • • • • •

Konflikte auf der Basis von logischen Widersprüchen; situative Beschränkungen, z.B. weil die verfügbaren Ressourcen nicht ausreichend sind, um alle Anforderungen zu bedienen; negative Abhängigkeiten zwischen Anforderungen (etwa »organizational slack« vs. Effizienz); Meta-Erwartungen gemäß des biblischen: »Du sollst keine anderen Götter neben mir haben«; Meta-Erwartungen, denen zu Folge eine Organisation eine konsistente Identität aufweisen soll und die Inkompatibilitäten hervorbringen kann (siehe hierzu auch Kraatz und Block 2008).

Zudem stellt sich die Frage, wer Inkompatibilität als solche wahrnimmt? Greenwood et al. hatten in einer bereits eingangs zitierten Passage darauf hingewiesen, dass das Problem nicht zwangsläufig durch objektive Inkompatibilitäten, sondern möglicherweise auch durch die Wahrnehmung von Inkompatibilität entstehen kann:

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Bei Greenwood et al. (2011: 332f) findet sich die Forderung, die Forschung möge Inkompatibilität expliziter definieren und Grade und Quellen der Inkompatibilität genauer bestimmen. Behandelt wird die Thematik allerdings nicht.

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»To the extent that the prescriptions and proscriptions of different logics are incompatible, or at least appear to be so, they inevitably generate challenges and tensions for organizations exposed to them« (Greenwood et al. 2011: 318, Hervorhebung d. A.).

Damit wird Inkompatibilität jedoch zu einem beobachterabhängigen Phänomen. Dies ist schon insofern wichtig, da die Lösung für den Umgang mit Heterogenität im Wesentlichen darin gesehen wird, dass (womöglich nur scheinbar) Inkompatible dann doch kompatibel zu machen (vgl. Greenwood et al. 2011; Besharow/Smith 2014). Die Beobachterabhängigkeit wird jedoch vor allem in solchen Situationen sichtbar, in denen der zentrale Konflikt gerade darüber besteht, ob zwei Logiken miteinander kompatibel sind oder nicht. Das scheint zum Beispiel gerade für den von Pache und Santos als Aufhänger genutzten Fall zu gelten: »In the case of microcredit, key institutional constituents disagree about whether or not maximizing profits is a legitimate goal for a microfinance institution. Some microfinance experts, mostly originating from the finance and economics fields, view the generation of large profits as desirable, because this will attract more investment in microcredit, increase competition, and, in turn, lead to a decrease in interest rates, fueling a dynamic cycle that can improve the quantity and quality of services provided to poor borrowers. Other microfinance experts, originating from the social sector, including the influential founding father of the field of microfinance, Muhammad Yunus, argue that the generation of substantial profits at the expense of poor people is morally wrong and, hence, illegitimate for organizations with a social purpose« (Pache und Santos 2010: 455).

Im genannten Fall besteht Uneinigkeit hinsichtlich der Frage, welche Ziele soziale Hilfsorganisationen legitimerweise verfolgen dürfen. Pache und Santos sehen hier den Konflikt zwischen einer »financial logic« und einer »social logic« am Werk. Das kann man so sehen. Auffällig ist aber doch, dass ganz offensichtlich dahinter die Streitfrage nach der Logikkompatibilität steht. Offenbar geht es um die Geltung einer Meta-Regel, die besagt, dass sich, wer sich einer »social logic« verpflichtet, nicht durch die »financial logic« verunreinigen darf. Das Beispiel macht deutlich, dass die Rede von inkompatiblen Logiken ein viel zu grobschlächtiges Instrument ist, um solche Phänomene angemessen verstehen zu können. Warum aber sollte Inkompatibilität überhaupt zu organisationalen Problemen führen? In der Literatur werden insbesondere innerorganisationale Konflikte, Performanzprobleme, Gefährdung der Unterstützung durch relevante externe Andere, und – letztlich als Konsequenz daraus – die Gefährdung des Überlebens

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genannt (vgl. Besharov/Smith 2014: 364f.). Ganz offensichtlich hängen solche Konsequenzen nicht nur an der Inkompatibilität selbst, sondern auch an weiteren Voraussetzungen (die über die von den oben zitierten Autorinnen genannten hinausgehen). Unter welchen Bedingungen solche Folgen zuallererst eintreten könnten und unter welchen Bedingungen die üblichen Formen des Umgangs mit institutioneller Heterogenität nicht genutzt werden können oder sich als unzulänglich erweisen, ist eine relevante Frage, deren Beantwortung einige Erkenntnisse über das Verhältnis von Organisationen zu ihren Umwelten verspricht. Diese Frage wird sich aber nur mit einer geeigneten Theorie der Organisation angemessen bearbeiten lassen. 8 Bereits von der Existenz verschiedener Logiken auf ein Problem zu schließen bzw. dieses zu postulieren und dann situative Anpassungen der Organisation zu untersuchen, verdeckt mehr als dass es erhellt. Hinzu kommt noch ein anderer Aspekt. Wie wir gesehen haben, lässt sich bereits ein einfacher Zielkonflikt als Inkompatibilität verstehen, soweit sich die Ziele aus unterschiedlichen Logiken ableiten. Als resultierendes Problem lässt sich dann bereits dieser trade-off verstehen. Batillana et al. (2015) beschreiben zum Beispiel in ihrem empirischen Fall einen solchen Konflikt zwischen sozialarbeiterischen und ökonomischen Zielen, der dann über differentielle Performanz, also vom Output her, beobachtet wird. Interessanterweise bleibt hier allerdings unklar, ob irgendjemand anderes oder die Organisation sich selbst im Hinblick auf ihren sozialen Output beobachtet. In der Hybriditätsdebatte geht es oft auch darum, wie Hybridität als solche aufrechterhalten werden kann. Hybridität gilt als instabil. Man nimmt an, dass es einen Drift heraus aus der Hybridität gibt, im Falle der immer wieder untersuchten social enterprises etwa in Richtung ökonomischer Orientierungen. Dabei handelt es sich zunächst um ein rein »akademisches Problem«, das sich für die Akteure und Organisationen im untersuchten Feld selbst in keiner Weise als problematisch darstellen muss. Dies gilt jedenfalls soweit man nicht Zusatzan-

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Eine anderer wichtiger Themenkomplex, dem wie hier nicht weiter nachgehen können, betrifft die Frage, inwieweit Möglichkeiten des organisationalen Umgangs mit Heterogenität durch breitere gesellschaftliche Transformationsprozesse eröffnet oder beschränkt werden. Beispielsweise scheint die Logik des Vertrauens, die Meyer und Rowan (1977) für hochgradig institutionalisierte Organisationen noch unproblematisch unterstellen konnten (siehe Abschnitt zu den Klassischen Konzeptionen), erheblich fragiler geworden zu sein. In neuen Bewertungskonstellationen (vgl. Meier et al. 2016) verändern und erweitern sich nicht nur mithin die Anforderungen an Organisationen, auch für ihren Umgang mit diesen Anforderungen können sich erhebliche Konsequenzen ergeben.

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nahmen über die Auswirkungen auf die Nutznießer sozialer Unternehmungen in die Betrachtung einbezieht. Nicht nur für die Inkompatibilität, sondern auch für die Probleme gilt mithin die Frage der Beobachterabhängigkeit. Die genannten Beispiele weisen darauf hin, dass die Probleme, die aus Inkompatibilitäten entstehen, möglicherweise von den Organisationen gar nicht beobachtet werden oder werden können und, noch wichtiger, für sie gegebenenfalls gar nicht relevant sind. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Frage, worin das Problem institutioneller Heterogenität überhaupt besteht, mit einem einfachen Verweis auf inkompatible Anforderungen nicht beantwortet ist. Positiv lässt sich formulieren, dass eine genauere Analyse der konkreten Probleme, um die es jeweils geht, zu einem vertieften Verständnis des organisationalen Umgangs mit institutioneller Heterogenität beizutragen verspricht.

ORGANISATIONSTHEORETISCHE FUNDIERUNG Die Organisation selbst bleibt im Neo-Institutionalismus für einen organisationstheoretischen Ansatz in erstaunlicher Weise unterbelichtet (vgl. Kirchner 2012; Kirchner et al. 2015). Während die Frage des organisationalen Umgangs mit institutioneller Heterogenität gerade die Chance eröffnen sollte, die Organisation stärker ins Zentrum zu rücken (vgl. hierzu Arnold/Hasse/Mormann in diesem Band), ist es gegenwärtig eher so, dass sich die organisationstheoretischen Beschränkungen als Hemmnisse in der Bearbeitung dieser Frage erweisen. Nötig wäre dagegen eine Theorie, die ein klares Bild der Organisation entwirft. Sie sollte in der Lage sein, organisationale Prozesse, Binnenstrukturen, ihre Dynamik und ihre Umweltbeziehungen beschreiben und analysieren zu können. Damit wäre es möglich, genauer nachzuzeichnen, wie in einer Organisation Heterogenität bearbeitet wird, wie diese genutzt werden oder wie und warum welche konkreten Probleme entstehen. Wir skizzieren im Folgenden zunächst den Vorschlag, Praxistheorie als Grundlage zu verwenden, um dann mit der organisationstheoretischen Entscheidungstheorie in der Tradition Herbert Simons einen Alternativvorschlag zu unterbreiten. Existierende Theorievorschläge Zumindest die Hauptströmung der Komplexitäts-Literatur bleibt, wie wir gesehen haben, einstweilen eher im kontingenztheoretischen Fahrwasser. Freilich finden sich in der Literatur auch Versuche, über diese Beschränkungen hin-

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ausgehen. Hier ist vor allem an mikrotheoretische Ansätze zu denken. Dominant sind hier managementwissenschaftliche Varianten der Praxistheorie (vgl. Jarzabkowski et al. 2009; Smets et al. 2012; Smets/Jarzabkowski 2013). 9 Im Zuge eines verstärkten Interesses an Akteuren und Agency im Neo-Institutionalismus 10 (und in Nachahmung eines breiteren praxistheoretischen turns in den Sozialwissenschaften) interessiert sich diese Forschung für das praktische Tun von als reflexive Akteure apostrophierten Organisationsmitgliedern, die in ihren alltäglichen Vollzügen mit institutioneller Heterogenität umgehen. Diese Literatur greift durchaus vereinzelt Aspekte auf, die wir in diesem Beitrag stark betont haben: Den aktiven Umgang mit der gesellschaftlichen Umwelt, die Alltäglichkeit von Heterogenität, wobei diese allerdings wiederum an besonders »problematischen« Beispielen behandelt wird (vgl. Jarzabkowski et al. 2013), sowie die soziale Konstruktion von Inkompatibilität (vgl. Smets/ Jarzabkowski 2013). Die Grenzen einer praxistheoretischen Perspektive in dieser Form bestehen vor allem darin, dass sie auf die theoretisch kontrollierte und systematische Rückbindung an die strukturellen Bedingungen verzichtet. Zwischen den der Kontingenztheorie verpflichteten Ansätzen, die Organisationen als Variablenbündel verstehen, und den praxistheoretischen Perspektiven auf Praktiken und Situationsdeutungen reflexiver Akteure klafft eine erhebliche Lücke. 11 Gerade diese Lücke gilt es zu füllen, wenn der organisationale Umgang mit institutioneller Heterogenität adäquat analysiert werden soll.

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Als ein anderes Beispiel für eine Mikroperspektive wäre der Beitrag von McPherson und Sauder (2013) zu nennen, in dem die Autoren multiple Logiken als einen Werkzeugkasten interpretieren, den die Akteure für ihre jeweils eigenen Zwecke nutzen.

10 Im Zuge dessen bindet die praxistheoretische Managementliteratur die Frage des organisationalen Umgangs mit institutioneller Heterogenität an die Debatte um institutional work (vgl. Lawrence/Suddaby 2006) an (vgl. Jarzabkowski et al. 2009). 11 Was nicht ausschließt, dass beide Literaturen in Beziehungen stehen. Bereits Greenwood et al. (2011: 344) hatten – in gewohnt zeremonieller Weise und nachgeordnet – den aktiv verarbeitenden Umgang mit institutionellen Vorgaben erwähnt. Besharow und Smith (2014) schaffen insofern eine systematische Verknüpfung, dass sie nicht mehr von objektiv gegebenen institutionellen Anforderungen ausgehen, sondern so etwas wie deren organisationsinterne Re-Spezifikation einfügen. In der Regel stehen die einzelnen Befunde jedoch auf Grund der unzureichenden Organisationstheorie zusammenhangslos nebeneinander.

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Simons Entscheidungstheorie der Organisation Um den organisationalen Umgang mit institutioneller Heterogenität systematisch analysieren zu können, bedarf es also einer Theorie der Organisation, die über das hinausgehen muss, was wir der vorliegenden Literatur zur institutionellen Komplexität und verwandten Debatten zugrunde gelegt sehen. Das bedeutet freilich nicht, dass eine solche Theorie erst neu entwickelt werden müsste. Vielmehr schlagen wir vor, auf ein ebenso klassisches wie einflussreiches – wenn auch sträflich vernachlässigtes – Theorieangebot zurückzugreifen, das auch für den Neo-Institutionalismus anschlussfähig erscheint: die von Herbert Simon (und Co-Autoren) entwickelte verhaltenswissenschaftliche Organisationstheorie. 12 Simons Theorie der Organisation (vgl. Simon 1947; March/Simon 1993 [1958], Simon et al. 2010 [1950]) ist im Anschluss an Chester Barnard (1938) vom Entscheidungsbegriff her konzipiert. Entscheidungen sind Prozesse der Selektion, bei denen Entscheidungsprämissen eine zentrale Rolle spielen. Als Entscheidungsprämissen (oder an anderer Stelle auch: Verhaltensprämissen) bezeichnet Simon jene »criteria or guides« (Simon et al. 2010 [1950]: 57), die Organisationsmitglieder für die Handlungsselektion in konkreten Situationen zugrunde legen. 13 Wer Entscheidungsverhalten verstehen will, muss nun fragen, wie Entscheider zu ihren Prämissen kommen. Von dieser Grundidee ausgehend konstruiert Simon seine Konzeption von Organisation und interpretiert deren Elemente (zum Beispiel Ziele, Hierarchien, Mitgliedschaft) unter diesem Gesichtspunkt. Organisationen beeinflussen nicht nur die Prämissen, auf Grund derer ihre Mitglieder handeln, zum Beispiel indem sie Handlungsprogramme festlegen. Sie entscheiden auch über die Strukturen, über die sie ihre Mitglieder beeinflussen können (also etwa über Kommunikationswege) und entscheiden über die Mitgliedschaft von Entscheidern. Organisationen können so als Entscheidungszusammenhänge verstanden werden – eine Idee, die Luhmann (1988, 2000) später unter kommunikationstheoretischen Vorzeichen radikalisieren wird. Mit diesem Instrumenta-

12 Die verhaltenswissenschaftliche Organisationstheorie ist durch mehrere Autoren (insbesondere ist hier auch James March zu nennen) geprägt worden. Wenn wir hier Simon herausheben, so liegt das daran, dass die für unser Argument zentralen Konzepte im Kern in dessen Frühwerk (vgl. Simon 1947) entwickelt wurden. 13 Der Begriff der Entscheidungsprämisse wird heute in aller Regel im etwas anders gearteten Verständnis Niklas Luhmanns verwendet. Für Luhmann (1988, 2000) sind Entscheidungsprämissen Festlegungen, die als Voraussetzungen für unbestimmte weitere Entscheidungen zur Verfügungen stehen.

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rium lässt sich die Bearbeitung von Heterogenität theoretisch detailliert analysieren. Es erlaubt, sowohl die Binnenstrukturen der Organisation als auch ihre Dynamik und Prozesse zu erfassen. Eine Verknüpfung mit den relevanten neo-institutionalistischen Konzepten ermöglicht die Theorie ebenfalls. Institutionen lassen sich dann als Bündel von Erwartungen verstehen, die geeignet sind, Entscheidungsprämissen zu beeinflussen. Sie tun dies einerseits direkt, indem sie einem gegebenen Entscheider in einer gegebenen Situation bestimmte Prämissen nahelegen. Sie tun dies andererseits indirekt, indem sie Entscheidungen beeinflussen, die ihrerseits die Prämissen der fokalen Entscheidung beeinflussen. 14 Die klassische neo-institutionalistische Denkfigur bei Meyer und Rowan (1977, siehe auch Abschnitt zu den Klassischen Konzeptionen) lässt sich vor diesem Hintergrund zum Beispiel so interpretieren, dass institutionelle Regeln Prämissen für Entscheidungen über Formalstrukturen bereitstellen. Das von den Autoren stark gemachte Phänomen der Entkopplung besteht dann darin, dass weder diese institutionellen Regeln selbst noch die auf ihnen ruhenden Strukturentscheidungen die Prämissen dessen, was als »activity« beobachtet wird, vorgeben. Für die Frage nach dem organisationalen Umgang mit institutioneller Heterogenität bietet der Simonsche Ansatz nun wichtige Einsichten und Anknüpfungspunkte: Hierzu zählt, dass eine an Simon anschließende Forschung darüber hinausgehen kann, Organisationen nur als eine lose Ansammlung freischwebender Gruppen und Praktiken zu begreifen, wie es noch die oben dargestellte managementwissenschaftliche Praxistheorie tut. Stattdessen können Gruppen und Praktiken in ihrem organisationalen Zusammenhang analysiert werden. Gleichzeitig erlaubt sie es, die Perspektiven und Fragestellungen des Neo-Institutionalismus mit klassischen organisationswissenschaftlichen Konzepten zu verbinden. So lassen sich sowohl etwaige Probleme, die aus institutioneller Heterogenität entstehen mögen, wie auch mögliche Lösungen sehr viel genauer erfassen. Des Weiteren sensibilisiert eine Bezugnahme auf Einsichten der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungslehre dafür, das konkrete Verhalten von Organisationsmitgliedern bestenfalls in Grenzfällen als ein reines enactment von institutionellen Vorgaben zu verstehen. Institutionelle Vorgaben sind zu informati-

14 In diesem Verständnis sind beobachtete Verhaltensmuster in Organisationen keine Institutionen (obwohl sie im Sinne von Berger und Luckmann (1967) institutionalisiert sein mögen und obwohl sie Institutionen ggf. reproduzieren, soweit sie sie als Prämissen verwenden). Sie werden stattdessen durch Institutionen – und keineswegs nur durch sie, sondern gerade auch durch konkrete vorangegangene organisationale Entscheidungen – beeinflusst.

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onsarm, um Verhalten eindeutig festzulegen (vgl. DiMaggio/Powell 1991: 22). Gleichzeitig werden Organisationsmitglieder auch – direkt und indirekt – durch vielfältige konkrete organisationale Entscheidungen beeinflusst, für die das Gleiche gilt: Auch sie sind ihrerseits oft institutionell beeinflusst – aber eben nicht determiniert. Daraus folgt für den organisationalen Umgang mit Heterogenität einerseits, dass schon auf der Ebene individuellen Entscheidens eher als Regel denn als Ausnahme Prämissen aus unterschiedlichen Quellen nahegelegt werden. Insofern verwundert es nicht, dass sich Konflikte, die durch heterogene Vorgaben entstehen, nicht, wie oft in der Literatur vorausgesetzt, Konflikte zwischen Gruppen sein müssen, sondern sich bereits in aller Schärfe für individuelle Entscheider stellen können (siehe hierzu March und Simon 1993 [1958]: 132-140). Daraus folgt aber auch andererseits, dass nicht alle Konflikte, die in Organisationen aus inkompatiblen Ansprüchen entstehen, Konflikte zwischen Institutionen oder institutionellen Logiken sind. Wenn beispielsweise unterschiedliche organisationale Entscheidungsprogramme zu inkonsistenten Anforderungen führen, können diese Programme selbst wiederum durch ganz heterogene Einflüsse geprägt worden sein, die sich nicht eins zu eins auf bestimmte Logiken zurückführen lassen. Dass in der Literatur immer wieder davon berichtet wird, wie Inkompatibles in Organisationen dann doch kompatibel gemacht wird, während die Widersprüche auf der Feldebene bestehen bleiben (vgl. Besharow/Smith 2014: 368), kann auch als ein Hinweis darauf gesehen werden, dass die ursprüngliche Inkompatibilität nicht in den Logiken selbst begründet sein könnte. Genauer zu unterscheiden, ob es denn organisationale Entscheidungsprogramme, Gruppenloyalitäten, professionelle Selbstverständnisse, Ansprüche externer Bezugsgruppen oder tatsächlich institutionelle Logiken sind, die zu inkonsistenten oder inkompatiblen Anforderungen führen, ist daher für ein angemessenes Verständnis des organisationalen Umgangs mit Heterogenität unerlässlich. Und es ist eine Aufgabe, die sich, mit dem Simonschen Instrumentarium gut vorbereitet, angehen lässt.

CONCLUSIO Die verschiedenen Perspektiven auf institutionelle Heterogenität, die im NeoInstitutionalismus existieren, lenken den Blick (zurück) auf das Verhältnis von Organisation und Umwelt. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Organisationsforschung. Bedauerlich dabei ist jedoch die Engführung der Fragestellung des Verhältnisses von Organisation und Umwelt. In diesem Artikel haben wir

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die Reduktion auf organisationale Reaktionen auf Heterogenität und insbesondere die Betrachtung von Heterogenität vorrangig unter dem Gesichtspunkt von Konflikten und Spannungen diskutiert und kritisiert. Beide Sichtweisen sind per se nicht falsch. Natürlich reagieren Organisationen auf ihre Umwelt und natürlich kann Heterogenität zu Problemen führen, die es wert sind, untersucht zu werden. Genauso gehört es aber zum Verhältnis von Organisationen und ihrer Umwelt, dass Organisationen ihre Umwelt wählen, mitgestalten oder gar hervorbringen. Und genauso gehört es dazu, dass Organisationen Heterogenität interpretieren und nutzen. Nicht wenige Organisationen existieren genau aus solchen Gründen. Die vorgestellten neo-institutionalistischen Perspektiven können also nur Bausteine sein in einer umfassenden Betrachtung des Wechselverhältnisses zwischen Organisation und Umwelt. Wir haben in diesem Kapitel einige der Aspekte skizziert, die eine solche Betrachtung beinhalten sollte. Eine solche Betrachtungsweise berücksichtigt die gesamte Palette der Formen des Umgangs von Organisationen mit ihrer Umwelt. Neben der Reaktion auf und Anpassung an Veränderungen sind dies auch deutlich aktivere Formen. Organisationen wählen die Umwelt, in der sie aktiv sind, sie nutzen die Heterogenität in ihrer Umwelt, sie erzeugen sie und sind häufig selbst Ausdruck genau dieser Heterogenität. Konsequenterweise reicht es entsprechend nicht, allein die Schwierigkeiten zu betrachten, die Umweltheterogenität bei Organisationen erzeugt. Ebenso wichtig ist es, die routinierten, alltäglichen Umgangsformen zu untersuchen, mit denen Organisationen Heterogenität bearbeiten. Komplementiert wird diese Frage nach dem Verhältnis von Organisation und Umwelt als Normalzustand durch die Frage, wann Heterogenität zu welcher Art von Problem wird und wie Organisationen damit dann umgehen. Wird Heterogenität zum Problem, gilt es zusätzlich zu hinterfragen, worin dies begründet ist. Wann gelingt es Organisationen, Heterogenität zu bewältigen oder zu nutzen. Wann wird sie zum schwerwiegenden Problem und Krisenanlass? Gibt es Situationen, in denen einige Organisationen davon profitieren, während andere damit zu kämpfen haben? Was sind die organisationalen Eigenschaften, die dies erlauben bzw. verhindern? Sowohl für die Analyse, wie Heterogenität zum Problem wird, was die Ursachen sind und wie Organisationen damit umgehen, ist eine Theorie der Organisation nötig, die in der Lage ist, die internen Prozesse und ihre Relation zur Umwelt der Organisation zu behandeln.

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Sinnprovinzen, Leitideen, institutionelle Logiken Regionalisierte Bedeutungszonen in der neo-institutionalistischen Organisationsforschung Renate E. Meyer, Dennis Jancsary und Markus A. Höllerer

EINLEITUNG In den letzten Jahren waren in Studien zur neo-institutionalistischen Organisationstheorie Mikroperspektiven und die sogenannten »Micro-Foundations of Institutions« (vgl. Cardinale 2018; Harmon/Haack/Roulet 2019; Powell/Rerup 2017), begleitet von einem Fokus auf Akteure und dem vielleicht zuletzt etwas überbetonten Konzept der Agency (vgl. Battilana/Leca/Boxenbaum 2009; Hwang/ Colyvas 2019), en vogue. Dieser Beitrag unterscheidet sich hiervon insofern, als er sich unverändert jener Makroperspektive verpflichtet fühlt, die seit jeher das Fundament der neo-institutionalistischen Organisationstheorie gebildet hat (vgl. Meyer/Rowan 1977). Unser Interesse gilt insbesondere jenen geteilten Sinnzusammenhängen, auf die Akteure im Rahmen ihrer Bedeutungskonstruktionen zugreifen. Moderne Gesellschaften sind durch eine Pluralität von Bedeutungsangeboten gekennzeichnet, die von einem differenzierten System gesellschaftlicher Institutionen zur Verfügung gestellt werden (vgl. Berger/Luckmann 1969). In unserem Beitrag fassen wir solche institutionell begründeten Bedeutungsangebote unter dem Begriff der regionalisierten Bedeutungszonen zusammen, wohl wissend, dass kein einzelner Begriff der Vielzahl an unterschiedlichen theoretischen Zu-

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gängen gerecht werden kann 1. Allein Berger und Luckmann (1969) evozieren in ihrem Werk die Konzepte von Sinnprovinzen, Subsinnwelten und Teilsinnwelten, welche alle leicht unterschiedliche Anwendungen einer zentralen Idee darstellen, nämlich dass soziale Räume in verschiedene institutionelle Bedeutungszonen unterteilt werden können, die »regionalisiert« ihre Wirkung entfalten, sich voneinander abgrenzen lassen, gleichzeitig aber miteinander interagieren und auf Ebene der Gesamtgesellschaft ein Ganzes bilden. Sowohl der Terminus »regionalisiert« als auch jener der »Zone« hat eine räumliche Metapher als Grundlage, d.h. die Annahme, dass Bedeutungen sich in sozialen Räumen gleichsam »verteilen« und »bündeln« sowie Geltungsanspruch für den jeweiligen Teil-Raum stellen, sodass in verschiedenen Handlungssphären unterschiedliche Bedeutungsangebote Deutungsmacht besitzen und handlungsstrukturierend sind. Im vorliegenden Beitrag haben wir uns zum Ziel gesetzt, aus verschiedenen theoretischen Ansätzen, Gemeinsamkeiten in Bezug auf die darin zum Ausdruck kommenden Konzeptionen solcher regionalisierten Bedeutungszonen vorzustellen. Wir versuchen also nicht, die verschiedenen Spielarten einander gegenüber zu stellen und die vielfachen Unterschiede herauszuarbeiten. Fokus unserer Ausführungen ist die neo-institutionalistische Organisationsforschung und das Konzept der institutionellen Logiken, welches sich dort zur Beschreibung dieses Phänomens der Clusterung von Bedeutungsangeboten mehr oder weniger durchgesetzt zu haben scheint. Wir differenzieren zwischen der ursprünglichen Fassung von Friedland und Alford (1991), die in Folge von Roger Friedland und Kollegen weiterentwickelt wurde (vgl. z.B. Friedland 2009, 2013; Friedland et al. 2014), und der Variante, die die institutional logics perspective, vertreten vor allem in den Arbeiten von Thornton, Ocasio und Lounsbury, vorschlägt (vgl. insbesondere Thornton/Ocasio/Lounsbury 2012). Diese beiden institutional logics-Ansätze ergänzen und kontrastieren wir – etwas weniger systematisch – mit Perspektiven, die außerhalb der neo-institutionalistischen Organisationstheorie liegen. Dazu nehmen wir Bezug auf die Arbeiten von Alfred Schütz und Max Weber, das Konzept der Leitideen von Rainer Lepsius (1990, 1995, 1997) und das der symbolischen Ordnungen von Karl-Siegbert Rehberg (1994, 2002, 2003) sowie auf die orders of worth (Wertordnungen) von Luc Boltanski und Laurent Thévenot (2006). Es ist dabei keinesfalls unser Bestreben, den Eindruck zu erwecken, all diese Ansätze seien konzeptionell integrierbar; vielmehr geht es uns darum, eine zentrale Idee neo-institutionalistischer Forschung – nämlich, dass 1

In diesem Beitrag verwenden wir spezifische Begrifflichkeiten, um allgemeine Ideen, die von Autor*innen verschiedener Literaturstränge unterschiedlich benannt wurden, zusammenzufassen. Wo immer wir uns in der Diskussion auf eine bestimmte Theorierichtung beziehen, übernehmen wir die Begriffe der jeweiligen Autor*innen.

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Bedeutungsstrukturen in voneinander abgrenzbaren Clustern auftreten – aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Insofern ließe sich frei nach Wittgenstein argumentieren, dass diese verschiedenen Ansätze eine gewisse »Familienähnlichkeit« aufweisen. Im Folgenden diskutieren wir diese »Familienähnlichkeit« in Bezug auf die darin zum Ausdruck kommenden Konzeptionen von regionalisierten Bedeutungszonen über drei zentrale Dimensionen hinweg: die interne Struktur von Bedeutungszonen, ihren Geltungsbereich sowie die Beziehungen von multiplen Bedeutungszonen zueinander. Zum Abschluss ziehen wir ein kurzes Fazit, diskutieren mögliche Erweiterungen für die neo-institutionalistische Organisationsforschung an und gehen kurz auf methodologische Implikationen ein.

BEDEUTUNGSZONEN UND IHRE INTERNE STRUKTUR Zur Beschreibung geteilter Bedeutungsangebote haben räumliche Metaphern eine lange Tradition. Schütz spricht zum Beispiel von geschlossenen Sinngebieten (vgl. Schütz/Luckmann 2003). Gemäß Schütz und Luckmann kann jedem dieser Sinngebiete der »Akzent der Wirklichkeit« verliehen werden (ebd.: 55). Mit der Verteilung von Sinn bzw. Bedeutung(en) geht auch eine entsprechende Verteilung von Wissen und Positionierung der Akteure einher. Laut Berger und Luckmann (1969) entstehen als Folge gesellschaftlich abgetrennte Subsinnwelten, welche sich durch Rollenspezialisierung und rollenspezifisches Wissen auszeichnen. Webers Wertsphären entfalten ihren Sinn durch Übersetzung in »Lebensordnungen« (vgl. Schwinn 2005). Lepsius’ Leitideen (1990) werden durch Institutionalisierung auf Dauer gestellt und sind für eine Mehrzahl an Akteuren, aber immer nur in spezifischen gesellschaftlichen Bereichen handlungsrelevant. In der neo-institutionalistischen Organisationsforschung sprechen Friedland und Alford (1991) sowie Thornton und Kollegen (2012) von institutionellen Ordnungen (institutional orders), Kraatz und Block (2008) wiederum von institutionellen Sphären (institutional spheres). Wir haben andernorts (Jancsary et al., 2017) ähnlich unserem Beitrag hier vorgeschlagen, allgemein von zones of meaning zu sprechen und den Begriff der institutionellen Ordnung für die gesellschaftliche Ebene zu reservieren. Obwohl diese Metaphern Fragmentierung implizieren, ergeben all diese »begrenzten« Zonen dennoch gemeinsam ein »Ganzes«. Schütz beispielsweise spricht von einem verbundenen System, einem Diskursuniversum (Schütz 1970: 121); und auch bei Berger und Luckmann ist die Alltagswelt letztlich eine geteilte Realität, auch wenn es verschiedene Distributionen von Wissen und Spezial-

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wissen von Experten gibt. Auch in der neo-institutionalistischen Organisationsforschung wird zumindest für die Ebene der Gesellschaft betont, dass die verschiedenen institutionellen Ordnungen ein interinstitutionelles System bilden (vgl. Friedland/Alford, 1991; Thornton/Ocasio/Lounsbury, 2012). Kohärenz und Konsistenz Woran lässt sich eine Bedeutungszone erkennen bzw. was macht sie aus? Zentral ist in der Literatur die Annahme, dass eine Bedeutungszone eine Eigenwelt mit einer gewissen internen Kohärenz und Konsistenz darstellt, welche sie als abgegrenzt wahrnehmbar macht. Innerhalb der neo-institutionalistischen Organisationsforschung finden sich dazu folgende Überlegungen. Für Friedland und Alford (1991) hat jede institutionelle Ordnung – die Autoren nennen Markt, Staat, Demokratie, Familie und Religion – eine zentrale Logik, die ein spezifisches Organisationsprinzip (organizing principle) konstituiert. Dieses kohärente Organisationsprinzip ist es, was Handlungen innerhalb einer institutionellen Ordnung konkreten Sinn verleiht (Friedland/Alford 1991). Gemäß Friedland, Mohr, Roose und Gardinali existiert eine institutionelle Logik dort, wo »subjects, practices, and objects cohere as cultural grammars« (Friedland et al. 2014: 334 [eigene Hervorhebung]). Thornton, Ocasio und Lounsbury wiederum betonen, dass jede institutionelle Ordnung durch eine spezifische Rationalität geprägt sei. Jede Ordnung besitzt demnach ein eigenes Rationalitätsverständnis (vgl. Thornton/Ocasio/Lounsbury 2012: 66). Auch abseits der neo-institutionalistischen Organisationstheorie lassen sich Annahmen über Kohärenz und Konsistenz als zentrales Kriterium für Bedeutungszonen finden. Lepsius (1997) spricht von Leitideen, die institutionelle Ordnungen charakterisieren und dadurch konkretisiert werden, dass sie bestimmte Rationalitätskriterien ausbilden, welche für spezifische Geltungskontexte wirkmächtig werden und deren Einhaltung in eben diesem Geltungsbereich sanktioniert wird. Auf diese Weise erzeugen Leitideen Kohärenz und Konsistenz und wirken im jeweiligen Geltungskontext handlungsleitend. Ähnlich betont Weber, dass die jeweils spezifische Rationalität jeder Wertsphäre durch logische oder teleologische Konsequenz gekennzeichnet sei, welche »Gewalt über die Menschen« (Weber 1988: 537) ausübt. Schwinn bezeichnet diese Eigenschaft der Weberschen Wertsphären als »sinnhafte, kognitive, ethische oder ästhetische Geschlossenheit« (Schwinn 2005: 431). Schütz und Luckmann betonen den »besonderen Erlebnis- bzw. Erkenntnisstil« (Schütz/Luckmann 2003: 55), der ein geschlossenes Sinngebiet charakterisiert. Wie bereits weiter oben vermerkt, un-

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terstützt die Ausbildung spezifischer Wissensvorräte die Wahrnehmung einer solchen Kohärenz und Konsistenz. (Relative) Kohärenz und Konsistenz innerhalb regionalisierter Bedeutungszonen sind folglich notwendig für die Existenz derselben. Ohne diese Kriterien kann sich keine Deutungsmacht über Erfahrungen und Handlungen entfalten (siehe Abschnitt weiter unten) oder anders gesagt: Nur das Vorhandensein einer gewissen Kohärenz und Konsistenz in der zur Anwendung kommenden Rationalität – je nach Autor unterschiedlich als Logik, kulturelle Grammatik, Stil, Rationalitätskriterien, etc. bezeichnet – erlaubt es, Erfahrungen und Handlungen innerhalb einer Bedeutungszone in einer bestimmten Art und Weise zu verstehen. Dennoch sind Kohärenz und Konsistenz innerhalb einer Bedeutungszone niemals absolut. Friedland und Alford (1991) weisen beispielsweise darauf hin, dass die Logik des kapitalistischen Marktes interne Widersprüche aufweist. Ähnlich argumentieren Thornton und Kollegen, die betonen, dass interne Widersprüche immer präsent seien, da »institutional logics do not generate cultural hegemony« (Thornton et al. 2012: 163). So untersuchen beispielsweise Rao und Giorgi (2006), wie Ambiguitäten und Inkonsistenzen innerhalb institutioneller Logiken Gelegenheiten für subversives Framing bieten und zu institutionellem Wandel führen können. Sie nennen als Beispiel den spanischen Starkoch Ferran Adria, der Ambiguitäten innerhalb der Nouvelle Cuisine nutzte, um radikale Innovation zu schaffen. Mehrere Faktoren können solche internen Inkonsistenzen erklären (für die Diskussion in der neo-institutionalistischen Organisationsforschung siehe zusammenfassend das Kapitel zu endogenen Auslösern institutionellen Wandels in Walgenbach und Meyer 2008). Lepsius (1997) betont, dass in der Regel nicht der ganze Inhalt einer Leitidee konkretisiert wird; stattdessen wird sie lediglich »exemplarisch« umgesetzt. Darüber hinaus erfolgt die Umsetzung einer Leitidee nicht durch eine einzelne soziale Praktik oder Form, sondern durch ein ganzes Bündel unterschiedlicher Konkretisierungen; verschiedene Konkretisierungen derselben Leitidee können daher durchaus im Widerspruch zueinander stehen. Zudem kann eine institutionelle Ordnung in verschiedenen kulturellen Kontexten unterschiedliche Ausprägungen entwickeln, die einander aufgrund der verschiedenen Entstehungskontexte in wichtigen Aspekten widersprechen können (zum Beispiel angelsächsische versus kontinentaleuropäische Marktwirtschaft). Meyer und Höllerer (2016) bezeichnen solche Widersprüche als »intra-institutionelle« Komplexität. Unabhängig davon, worauf sie beruhen, stellen unvollständige Kohärenz und Konsistenz innerhalb einer Bedeutungszone einen möglichen Impetus für endogenen institutionellen Wandel dar. Allerdings bleibt in der gegenwärtigen Dis-

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kussion offen, ab welchem Grad der Inkohärenz eine Bedeutungszone »zerfällt«, weil ihr keine ordnende Kraft mehr zukommt. Kernelemente und ihre ordnende Kraft Was aber stellt Kohärenz und Konsistenz innerhalb einer Bedeutungszone her und führt zu den eingangs erwähnten voneinander abgrenzbaren »Clustern«? Zumeist wird die Existenz eines Kernelements postuliert, das die Bedeutungszone gleichsam als ihr »Gravitationszentrum« zusammenhält. Für Thornton, Ocasio und Lounsbury übernehmen diese Rolle Kerninstitutionen, die die Grundpfeiler bilden: »Each of the institutional orders of the interinstitutional system is defined as a different domain of institutions built around a cornerstone institution that represents the cultural symbols and material practices that govern a commonly recognized area of life« (Thornton/Ocasio/Lounsbury 2012: 53 [eigene Hervorhebung]). Während bei Thornton, Ocasio und Lounsbury die konkreten Charakteristika und Wirkweisen dieser Kerninstitutionen nicht ausführlich diskutiert werden, ist diese Thematik für Friedland in seinen neueren Arbeiten zentral. Bei ihm sind es institutionelle Substanzen (institutional substances), welche die Kohärenz einer institutionellen Ordnung und deren Logik herstellen. Friedland definiert Substanz in Anlehnung an Aristoteles als »the foundation, or essence, of a thing that cannot be reduced to its accidental properties« (Friedland 2009: 56), »not objects at all, but rather non-observable reasons that can only be phenomenalized through practice« (Friedland et al. 2014: 335), und als »the highest, most general value in a field« (Friedland 2009: 64). Eine institutionelle Substanz ist »an absent presence towards and around which material practice incessantly moves, known only through this movement« (Friedland et al. 2014: 335). Sie ist »unsichtbar« und grundsätzlich weder fassbar noch klar definierbar und manifestiert sich in mannigfaltigen »instances«, durch die sie mittelbar zugänglich wird (Friedland 2009; Leixnering/Höllerer 2019). Bei Lepsius ist es wiederum die Leitidee, die den Kern einer Bedeutungszone bildet. Leitideen stellen für ihn grundlegende Orientierungen dar, welche sich durch die gegenseitige Bedingtheit von Ideen, Interessen und Institutionen auszeichnen. Interessen bedürfen eines Wertbezugs; Ideen konkretisieren sich an Interessenlagen, und Institutionen formen Interessen und geben Ideen Geltung in bestimmten Kontexten: »Aus Interessen, Ideen und Institutionen entstehen soziale Ordnungen, die die Lebensverhältnisse, die Personalität und die Wertorientierung der Menschen bestimmen« (Lepsius 1990: 7).

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Sowohl Lepsius’ Leitideen als auch Friedlands Konzept der Substanz weisen Ähnlichkeit zu Webers letzten Werten auf, auf die Wertsphären Bezug nehmen (vgl. Weber 1968). Während Lepsius in seinen Schriften durchgängig (siehe insbesondere 1990) auf Weber und dessen Überlegungen zu Interessen, Ideen, die als Weichensteller fungieren, und die Herausbildung von Wertsphären mit je spezifischen Richtungen der Rationalisierung rekurriert, finden sich Verweise auf Weber erst in Friedlands jüngeren Schriften. So argumentiert er nun (vgl. Friedland 2013), dass Wertsphären auf solche letzten Werte ausgerichtet sind, ohne sie jemals abschließend begründen oder rechtfertigen zu können. Für das Postulat interner Kohärenz und Konsistenz einer Bedeutungszone ist also die Annahme eines Kernelements notwendig, welches für sich nicht sichtbar oder fassbar ist, auf das aber alle anderen Elemente innerhalb der Bedeutungszone laufend verweisen bzw. an dem sich diese notwendigerweise ausrichten. Nachdem ein Zentrum/Kern aber nur in Kontrast zu einer Peripherie Erklärungswert besitzt und unsichtbare Substanzen durch sichtbare und fassbare Elemente phänomenologisch zugänglich werden müssen, stellt sich die Frage, worin sich der Grad an Kohärenz und Konsistenz von Bedeutungszonen wahrnehmbar äußert. Die Arbeiten zu institutionellen Logiken gehen davon aus, dass sich die ordnende Kraft der Kernelemente im Denken und Handeln von Akteuren niederschlägt. Der Grad der Kohärenz und Konsistenz einer Bedeutungszone zeigt sich also in kognitiven Schemata, Äußerungsformen und Praktiken. Für Friedland ist eine institutionelle Logik »a bundle of practices organized around a particular substance and its secondary derivatives from which the normativity of those practices is derived« (Friedland 2009: 61). Er sieht Logiken metaphorisch als »Produktionsfunktionen«, welche bestimmte Subjekte und Objekte hervorbringen, die durch Praktiken verbunden werden. Damit sind Logiken eng an spezifische typisierte Rollenidentitäten gekoppelt, was Friedland, ohne dass er dies expliziert, wieder in die Nähe von Berger und Luckmanns Verständnis von Institutionen als reziproke Typisierung von Akt und Akteur bringt (vgl. Jancsary et al. 2017). »Thus, institutional logics are troikas – object-practice-subject – regionalized into meaningful categories of social relations« (Friedland et al. 2014: 337). Während Friedland Logiken als Produktionsfunktionen versteht, bezeichnen Thornton, Ocasio und Lounsbury institutionelle Ordnungen als »GovernanceSysteme«, welche Akteuren kohärente Referenzrahmen bieten. Auch bei ihnen äußert sich der Grad an interner Kohärenz und Konsistenz in Identitäten, Schemata, Praktiken und Ausdrucksformen. Sowohl Thornton, Ocasio und Lounsbury als auch Friedland argumentieren – wenn auch auf leicht unterschiedliche Weise –, dass die Kopplung des Kernele-

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ments mit jenen dieses Kernelement manifestierenden Elementen lose und die Konfiguration von Elementen modular ist: Dies bedeutet, dass keine institutionelle Logik abschließend durch die sie konkretisierenden Elemente manifestiert wird, und nicht jedes Element ausschließlich einer einzigen Logik zuzuordnen ist. Es ist das Kernelement selbst, das die wahrnehmbaren Elemente ordnet und ihnen Bedeutung verleiht. Ähnliche Gedanken finden sich schon in Lepsius’ Idee der »exemplarischen« Verkörperung von Leitideen als Bündel von Konkretisierungen. Bei Lepsius ist die Frage, ob und wie sehr Leitideen handlungsleitend werden, zentral. Eine Leitidee wird durch die Ausbildung von Rationalisierungskriterien konkretisiert, »d.h. von Verhaltensnormen, deren Befolgung als ›rational‹ gilt und als Orientierungsmodell sich von subjektiven Motivationen und Interessenlagen verselbständigt« (Lepsius 1995: 395). Während die Leitidee Bedeutungszonen zusammenhält, erlauben exemplarische Konkretisierungen und deren unvollständige Repräsentation der Leitidee interne Unterschiede. Das Konzept der Kernelemente ist auch für die Frage der Kohärenz und Konsistenz, die wir im vorigen Kapitel diskutiert haben, relevant: Bedeutungszonen sind grundsätzlich durch unterschiedliche Grade an interner Kohärenz und Konsistenz gekennzeichnet. Kohärenz und Konsistenz beziehen sich dabei auf ein zentrales Kernelement, welches gleichsam das Wesenhafte, die Essenz der Bedeutungszone bzw. der jeweiligen institutionellen Ordnung ausmacht. Das Kernelement ist für sich jedoch nicht direkt fassbar; es manifestiert sich in Denkschemata, Praktiken und Äußerungsformen in spezifischen Konfigurationen laufend – aber immer nur »exemplarisch«; interne Kohärenz und Konsistenz sind daher nicht entweder gegeben oder nicht gegeben, sondern eine Frage des Grades bzw. der Ausprägungen. Formen der Verkörperung von Kernelementen Ein weiterer Eckpfeiler in der Diskussion zur internen Strukturierung von Bedeutungszonen ist die Vorstellung, dass sich diese im Zusammenspiel symbolischer und materieller Elemente manifestieren. Bereits in ihrem ursprünglichen Artikel definieren Friedland und Alford institutionelle Logiken als »a set of material practices and symbolic constructions« (Friedland/Alford 1991: 248) und evozieren damit einen Gegensatz von symbolisch und materiell, der in weiterer Folge in der neo-institutionalistischen Organisationstheorie vielfach repliziert wird. Während die Materialität von Institutionen – sei es als Materialität physischer Objekte oder als »material practices« – mittlerweile in den Fokus gerückt ist (vgl. Jones/Boxenbaum/Anthony 2013), bleibt der symbolische Aspekt deut-

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lich unterbeleuchtet. Dies ist erstaunlich, war doch die vermeintliche »infatuation with cultural myths and symbols«, wie beispielsweise von Charles Perrow (1985: 154) attestiert, ein wesentlicher Kritikpunkt an frühen neo-institutionalistischen Autoren. Institutionen als symbolische Ordnungen werden insbesondere von KarlSiegbert Rehberg (1994, 2002, 2003) betont. Für Rehberg liegt das Spezifische der institutionellen Stabilisierungsleistung »in der symbolischen Darstellung von Ordnungsprinzipien (z.B. ›Leitideen‹)« (Rehberg 2002: 47), d.h. in Selbstkonzeptualisierungen, welche eine »als gültig empfundene Bestimmung dessen« (ebd.: 49) bieten, was eine bestimmte institutionelle Ordnung jeweils sein soll. Damit, so Rehberg, sei nicht gemeint, dass Institutionen ausschließlich zeichenhaft seien, sondern dass institutionelle Ordnungen der »Verkörperung« bedürfen. Diese Verkörperungen können – buchstäblich als »fleischgewordene Zeichen« (Rehberg 2003: 40) – durch regulierte Handlungen, Gesten, Persönlichkeitsentwürfe oder durch die Platzierung von Körpern in Raum und Zeit erfolgen; präsenzschaffend sind aber auch räumliche Symbole und materielle Artefakte oder die Strukturierung von Zeit oder Texten (vgl. Rehberg 2002). In jüngerer Vergangenheit wurde in der neo-institutionalistischen Organisationsforschung zunehmend konstatiert, dass systematische konzeptionelle Diskussionen fast ausschließlich für sprachliche Manifestationen von Bedeutungszonen existieren. So wurde in der Literatur zum Beispiel auf die Rolle von vocabularies (vgl. Loewenstein/Ocasio/Jones 2012; Ocasio/Loewenstein/Nigam 2015) oder frames (vgl. Meyer/Höllerer 2010; Cornelissen/Werner 2014) hingewiesen. Hingegen wurden substanzielle Defizite in Bezug auf symbolische Repräsentationen jenseits der (verbalen) Sprache identifiziert. Aktuellere Arbeiten in der multimodalen Institutionenforschung versuchen hervorzuheben, dass sich die latent vorliegenden Kernelemente von Bedeutungszonen in einer Vielzahl von Zeichensystemen materialisieren (vgl. Höllerer et al. 2019). In der Semiotik bezeichnet ein sogenanntes Register ein kollektives Set von Ressourcen der Bedeutungskonstruktion bezogen auf einen spezifischen institutionellen Verwendungskontext (vgl. Matthiessen 2015). Abgesehen von verbalen und visuellen Registern (vgl. Jancsary et al. 2018) werden Institutionen auch durch materielle (vgl. Jones et al. 2012) oder ästhetische Register (vgl. Jones et al. 2017) instanziiert. Auch die Existenz von emotionalen Registern von institutionellen Logiken wurde in der Literatur bereits diskutiert (vgl. Toubiana/Zietsma 2017). Jancsary et al. (2018) schlagen vor, die Register institutioneller Ordnungen als genuin multimodal zu betrachten. Damit wird der Idee Rechnung getragen, dass sich die Symbolisierung institutioneller Ordnungen einer Vielzahl von Ausdrucksformen (z.B. verbale, visuelle und materielle) gleichzeitig bedient, die in komplexer Art

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und Weise miteinander interagieren. Nur eine multimodale Perspektive kann den vielfältigen Möglichkeiten der Verkörperung, die Rehberg anspricht, gerecht werden. Was die neo-institutionalistische Organisationsforschung anbelangt, sehen wir in diesem Zusammenhang zwei Entwicklungen: Einerseits erfolgt eine stärkere Ausdifferenzierung der Ressourcen und Ausdrucksformen, in denen sich Bedeutungszonen manifestieren. Andererseits wird eine systematischere Analyse der Interaktionen zwischen diesen Ausdrucksformen eingemahnt. Eine Analyse von Bedeutungszonen als symbolische Ordnungen, die sich multimodaler Verweisformen bedienen, steht in der neo-institutionalistischen Organisationsforschung aber noch aus. Dimensionen der Beschreibung von Bedeutungszonen Ein Vorschlag, Bedeutungszonen anhand konkreter Dimensionen näher zu beschreiben, wurde für die neo-institutionalistische Organisationsforschung insbesondere von Thornton, Ocasio und Lounsbury (2012; siehe auch Thornton 2004; Thornton/Ocasio 2008) aufbauend auf Friedland und Alford (1991) vorgelegt. Die Autoren postulieren ein idealtypisches interinstitutionelles System, in dem institutionelle Logiken parallel zueinander existieren und wirkmächtig werden. Sie beschreiben dieses System auf der horizontalen Achse (x-Achse) anhand der vorhandenen institutionellen Ordnungen (siehe Abschnitt zur Pluralität von Bedeutungszonen weiter unten) und auf der vertikalen Achse (y-Achse) anhand von elementaren Kategorien (elemental categories), welche die jeweils spezifischen kulturellen Symbole und materiellen Praktiken abbilden. Diese elementaren Kategorien spezifizieren die Organisationsprinzipien (vgl. Friedland/Alford 1991) der jeweiligen institutionellen Ordnung: »In theory, the categorical elements on the vertical Y-axis represent how individuals and organizations, if influenced by any one institutional order, are likely to understand their sense of self and identity: that is, who they are, their logics of action, how they act, their vocabularies of motive, and what language is salient« (Thornton/Ocasio/Lounsbury 2012: 54). Thornton, Ocasio und Lounsbury (2012) entlehnen ihre elementaren Kategorien zur Beschreibung von Logiken klassischen Konzepten der Sozialforschung. So ist eine institutionelle Ordnung durch eine ihr zugrundeliegende »root metaphor« gekennzeichnet, die die Prinzipien der Kerninstitution approximiert. Ferner können für jede Ordnung die jeweiligen Quellen der Legitimität, der Identität und der Autorität bestimmt werden. Die jeweilige Basis für Normen, Aufmerksamkeit und Strategien sowie spezifische informelle Kontrollmechanismen sind ebenfalls für eine institutionelle Ordnung kennzeichnend. Für die institutionelle

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Ordnung des Staates beispielsweise rekonstruieren Thornton, Ocasio und Lounsbury die root metaphor »Staat als Umverteilungsmechanismus« und identifizieren demokratische Partizipation als Quelle der Legitimität, bürokratische Herrschaft als Quelle der Autorität und soziale/ökonomische Klasse als Quelle der Identität. Bürger*innenstatus wird als Basis von Normen, der Status von Interessensgruppen als Basis von Aufmerksamkeit und die Steigerung des Gemeinwohls als Basis von Strategien genannt, während »backroom politics« den typischen informellen Kontrollmechanismus darstellt. Diese Darstellung des interinstitutionellen Systems, so Thornton und Kollegen, stellt kulturelle Heterogenität ins Zentrum der Betrachtung, in welcher der kulturelle »Inhalt« einer institutionellen Ordnung durch die elementaren Kategorien erfasst wird (Thornton/Ocasio/Lounsbury 2012: 61). In den Ausführungen der Autoren sowie in vielen Anwendungen dieses Modells wird dabei allerdings vielfach implizit auf das gegenwärtige nordamerikanische interinstitutionelle System rekurriert, was für empirische Studien aus anderen kulturellen Kontexten problematisch ist. Dabei soll, so die Autoren, nicht nur kulturelle Heterogenität, sondern auch zeitliche Dynamik in dieser idealtypischen Beschreibung von institutionellen Ordnungen mitgedacht werden: Durch die modulare und lose Kopplung von Logiken und deren Manifestationen sei es möglich, dass in Prozessen institutionellen Wandels die Inhalte der elementaren Kategorien zwischen institutionellen Ordnungen »migrieren« oder sich überlappen (Thornton/Ocasio/ Lounsbury 2012: 59-60). Eine ähnliche, wenn auch theoretisch anders fundierte Idee wurde von Boltanski und Thévenot (2006) innerhalb der französischen Konventionentheorie entwickelt. Obwohl ursprünglich dezidiert anti-institutionalistisch konzipiert (vgl. Friedland 2013) fand dieser Ansatz in der jüngeren Vergangenheit Eingang in die neo-institutionalistische Forschung und wird zunehmend als theoretische Ergänzung vorgeschlagen (vgl. Patriotta/Gond/Schultz 2011; Bullinger 2014; Brandl et al. 2014). Cloutier und Langley (2013) entwerfen eine »Grammatik« der verschiedenen orders of worth von Boltanski und Thévenot (2006) in einem expliziten Versuch, diese mit den institutionellen Ordnungen von Thornton, Ocasio und Lounsbury vergleichbar zu machen. Ihre Analogien für die »elementaren Kategorien« sind »höchste Prinzipien«, welche den Organisationsprinzipien einer Logik entsprechen, Charakteristika von Individuen als Basis der Wertzuweisung, Verhaltensweisen, welche Individuen legitimieren, Subjektidentitäten und Objekte, die in einer Ordnung besonders legitim sind, Symbole, welche die Essenz der Legitimität verkörpern, und der dominante »Test«, durch welchen Legitimität bestimmt wird.

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Im Gegensatz zu Thornton, Ocasio und Lounsbury bietet Lepsius (z.B. 1997) keine analog abstrakte Kategorisierung von verschiedenen Aspekten einer Leitidee. Stattdessen beschreibt er den »Eigenschaftsraum« von Institutionen anhand von fünf Dimensionen: die Ausbildung von Rationalitätskriterien, die Ausdifferenzierung von Handlungskontexten, die Entwicklung von Sanktionsmitteln zur Durchsetzung des Geltungsanspruchs, die Verarbeitung von Folgen und Kontingenzen von Institutionalisierungsprozessen sowie die Konfliktaustragung und Vermittlung zwischen verschiedenen Leitideen. Insbesondere die Dimension der Rationalitätskriterien weist Ähnlichkeiten zur Idee »elementarer Kategorien« auf. Wie auch nachfolgend Thornton, Ocasio und Lounsbury nimmt Lepsius auf Weber Bezug, indem er Rationalitätskriterien als »die Erfindung und Durchsetzung von Standards, Regeln und Verfahren, die das Handeln in bestimmten Kontexten systematisieren, voraussehbar und intersubjektiv kontrollierbar werden lassen« definiert (Lepsius 1989: 216 [Hervorhebung im Original]). Rationalisierung kann somit, wie bei Weber, in Abhängigkeit des konkreten Untersuchungsgegenstandes, in verschiedene Richtungen, nach verschiedenen Kriterien und in unterschiedlichem Ausmaß erfolgen. Die Dimension der Sanktionsmittel ähnelt den Kontrollmechanismen einer institutionellen Ordnung bei Thornton, Ocasio und Lounsbury (2012) oder auch Berger und Luckmanns (1969) gesellschaftlicher Organisation der Legitimierung von Institutionen, während die übrigen drei Dimensionen des Eigenschaftsraums von Institutionen die »Außenbeziehungen« von Leitideen betreffen.

GELTUNGSBEREICH UND DEUTUNGSMACHT VON BEDEUTUNGSZONEN Der Geltungsbereich von institutionellen Kernelementen Bedeutungszonen sind an bestimmte soziale Räume gekoppelt, innerhalb derer sie ihren Geltungsanspruch stellen und Deutungsmacht entfalten. Der allgemeinste und breiteste soziale Raum, der hier genannt wird, ist die »Gesellschaft«: Berger und Luckmann (1969) sprechen von ausdifferenzierten bzw. pluralen Gesellschaften; Webers Wertsphären sind gesellschaftlich verankert; und auch Friedland und Alford konzipieren Gesellschaft als ein interinstitutionelles System, das von der Pluralität institutioneller Ordnungen geprägt ist (vgl. Friedland/Alford 1991: 232). Lepsius wiederum betont, dass die Ausdifferenzierung eines Geltungsbereiches zentral für jede Institutionalisierung einer Leitidee ist: »Der Institutionalisierungsprozeß umfaßt nicht nur die Konkretisierung einer

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Leitidee, sondern stets auch eine Kontextbestimmung ihrer Gültigkeit« (Lepsius 1997: 59). Institutionalisierungsprozesse führen daher unweigerlich zu einer Fragmentierung der sozialen Lebenswelt (Lepsius 1997). Je klarer der Geltungsbereich abgegrenzt ist, desto höher ist der Institutionalisierungsgrad einer Leitidee: »Herrscht innerhalb einer typischen Handlungssituation ein Synkretismus von Leitideen, so ist nicht davon auszugehen, dass sich das Verhalten gleichartig, voraussehbar und typisch ausprägt. Der Institutionalisierungsgrad ist dann gering« (ebd.: 28). Unterschiedliche Gesellschaften bilden je spezifische interinstitutionelle Systeme aus. Durch Schemata, die interinstitutionelle Systeme kategorial beschreiben, wie dies beispielsweise Thornton, Ocasio und Lounsbury (2012) tun, entsteht die Gefahr einer Art von »Kulturimperialismus« in der Forschung, indem angenommen wird, alle Gesellschaften wären durch nahezu dieselben Arten von Bedeutungszonen gekennzeichnet und Bedeutungszonen ließen sich überdies in ihren zentralen Merkmalen bzw. ihrer Ausprägung ähnlich beschreiben. Tatsächlich jedoch wäre, wie bereits im vorhergehenden Kapitel angedeutet, ein solches Verständnis von Bedeutungszonen verkürzt. Friedland und Alford (1991) beschränken den Geltungsanspruch ihrer Theorie ausdrücklich auf westliche kapitalistische Gesellschaften. Auch Thornton, Ocasio und Lounsbury – obwohl sie ihre Version des interinstitutionellen Systems als idealtypisch im Weberschen Sinne bezeichnen – erklären, dass sowohl institutionelle Ordnungen wie auch die elementaren Kategorien ihres Modells zeitlich und kulturell variabel sein können (Thornton/Ocasio/Lounsbury 2012: 59), was jedoch in der Rezeption ihres Modells in den Hintergrund gerückt ist. So konstatieren Johansen und Waldorff (2017), dass sich die empirische Forschung fast ausschließlich auf aus der theoretischen Debatte entnommene dominante Logiken einer westlich-kapitalistischen Welt beschränkt, was in der Organisationsforschung dazu führt, so die Autorinnen, dass die Bedeutungsstrukturen hinter neuen und/oder alternativen organisationalen Formen wie sozialen Bewegungen, Netzwerken oder Genossenschaften weitgehend unbeachtet bleiben. Insofern ist der von Lepsius vertretene Standpunkt, dass die Konfiguration von institutionalisierten Leitideen charakteristisch für die jeweilige Gesellschaft und deshalb immer als empirischhistorische Konstellation zu analysieren ist, für die neo-institutionalistische Organisationsforschung eine wichtige Mahnung. Die Gesamtgesellschaft ist aber nicht der einzige soziale Raum, innerhalb dessen unterschiedliche Bedeutungszonen analysiert werden. Für die Forschung zu institutionellen Logiken führen Thornton und Ocasio aus: »For Friedland and Alford (1991) the focus was on societal-level logics and their effects on individuals and organizations. But […] institutional logics may develop at a variety of

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different levels, for example organizations, markets, industries, inter-organizational networks, geographic communities, and organizational fields« (Thornton/ Ocasio 2008: 106). Tatsächlich hat die Forschung zu institutionellen Logiken zuletzt primär auf Analyseebenen unterhalb der Gesellschaft fokussiert. Untersucht wurden zum Beispiel Branchen und Sektoren wie der Gesundheitssektor (vgl. Dunn/Jones 2010; Reay/Hinings 2009; Waldorff 2013), der Finanzsektor (vgl. Lounsbury 2002) oder das Verlagswesen (vgl. Thornton/Ocasio 1999). Empirische Forschung zu Leitideen existiert beispielsweise zum Gesundheitssektor (vgl. Wendt 2008) oder zur europäischen Integration (vgl. Lepsius 2013). Aber auch das Wirken verschiedener institutioneller Logiken in einzelnen komplexen Gebilden wie Städten (vgl. Jancsary et al. 2017), Gerichten (vgl. McPherson/Sauder 2013) oder in Professionen (vgl. Meyer/Hammerschmid 2006a; Reay et al. 2017) wurde beleuchtet. Die Existenz multipler Logiken auf unterschiedlichen Analyseebenen ist bei Thornton, Ocasio und Lounsbury (2012) also explizit angelegt, was einer der Gründe für das von Kritikern (z.B. Meyer/Höllerer 2014; Johansen/Waldorff 2017) als »inflationär« bezeichnete Wachstum dieses Forschungsstranges in der neo-institutionalistischen Organisationsforschung ist, weil damit nicht nur die Vergleichbarkeit der rekonstruierten Logiken und das Kumulieren von Wissen schwierig wird (organisationsspezifische Logiken einer Organisation A müssen nicht mit jenen einer Organisation B vergleichbar sein), sondern auch die Abgrenzung von ähnlichen Konzepten, wie beispielsweise frames, interpretive schemas oder cognitve maps, nicht einfacher wird. Bei Thornton, Ocasio und Lounsbury (2012) entstehen institutionelle Logiken nicht nur auf unterschiedlichen sozialen Ebenen; es bestehen auch Wechselwirkungen zwischen Logiken verschiedener Ebenen. So wird beispielsweise argumentiert, dass »[…] fieldlevel logics are both embedded in societal-level logics and subject to field-level processes that generate distinct forms of instantiation, variation, and combination of societal logics« (Thornton/Ocasio/Lounsbury, 2012: 148). Wie genau diese cross-level effects funktionieren, welche sozialen Mechanismen Ebenen verbinden und in welcher Beziehung gesellschaftliche Logiken zu Logiken auf anderen sozialen Ebenen stehen, ist derzeit noch weitgehend unerforscht. Ausnahmen bilden hier beispielsweise die Arbeit von Greenwood, Díaz, Li und Lorente (2010), die zeigt, wie regionale Logiken den Umgang mit gesellschaftlichen Logiken filtern, indem sie deren Interpretation verändern, oder die Studie von Winter (2017), die untersucht, wie Logiken des Feldes auf der Ebene der Organisation von Gefängnismanager*innen evoziert und angepasst werden. Eine besondere Stellung unter den sozialen Räumen nimmt im NeoInstitutionalismus das Feld ein (vgl. DiMaggio/Powell 1983; Hoffman 1999;

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Fligstein/McAdam 2012). Über die unterschiedlichen Feldkonzeptionen hinweg herrscht in der Literatur weitgehend Konsens darüber, dass Felder soziale Räume sind, in welchen Bedeutungszonen wirken. Diffiziler ist hingegen die Einschätzung, ob ein Feld durch eine Bedeutungszone konstituiert wird oder ob auch innerhalb von Feldern eine Mehrzahl von Bedeutungszonen wirkmächtig werden kann (vgl. hierzu auch Oberg/Korff in diesem Band). In Scotts einflussreicher Definition von »Feld« besteht dieses aus Organisationen, welche an einem geteilten Bedeutungssystem teilhaben (»partake of a common meaning system«) (Scott 1994: 207). Auch in Friedlands jüngeren Arbeiten scheinen Logiken bzw. ihre Kernelemente und Felder eng gekoppelt zu sein: »I call these institutional substances the central object of an institutional field and the principle of its unity« (Friedland 2009: 56). Bei Thornton, Ocasio und Lounsbury hingegen ist solch eine enge Kopplung nicht zwangsläufig vorhanden: »[T]he boundaries of an institutional field are observable within and across the borders of institutional orders and their categorical elements« (Thornton/Ocasio/Lounsbury 2012: 62). Eine mögliche Klärung verspricht hier die andernorts (vgl. Meyer 2008) vorgeschlagene konzeptionelle Unterscheidung zwischen organisationalen und institutionellen Feldern. Demnach markieren institutionelle Felder einzelne institutionalisierte Bedeutungszonen und schließen all jene Akteurstypen, welche durch die Bedeutungszone institutionell konstituiert werden, sowie deren Beziehungen zu anderen Akteurstypen (also z.B. Väter, Mütter, Tanten, Nichten etc. in einer Familienlogik; Seelsorger, Gläubige, Ketzer etc. in einer [christlichen] Religionslogik) mit ein. In institutionellen Feldern geht es folglich um typisierte Rollen und Rollensets (vgl. Merton 1957) sowie um die Frage, in welchen Handlungskontexten diese Geltung beanspruchen und wie autonom sie diesen Anspruch geltend machen können. Organisationale Felder hingegen bezeichnen empirisch beobachtbare Netzwerke von Akteuren, welche sich gegenseitig als Teil des Feldes wahrnehmen (»mutual awareness«) und regelmäßig interagieren (vgl. DiMaggio/Powell 1983). Insofern überschneiden sich in organisationalen Feldern in der Regel mehrere institutionelle Ordnungen; organisationale Felder sind deshalb zumeist durch eine Pluralität von Bedeutungszonen gekennzeichnet. Im Gegensatz dazu verweisen Überlappungen von institutionellen Feldern mit anderen institutionellen Feldern auf strukturelle Schnittstellen von Bedeutungszonen auf der Bedeutungsebene (und nicht auf die Frage, welche von mehreren Bedeutungszonen in einer konkreten Handlungssituation Geltung haben soll). Darauf werden wir später noch unter dem Begriff der Permeabilität eingehen. Der Vollständigkeit halber sei hier noch angemerkt, dass es Ansätze zu Bedeutungszonen gibt, die keine systematische Verankerung in sozialen Räumen und institutionalisierten Strukturen vorsehen. Die ursprüngliche Version von

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Boltanski und Thévenots (2006) orders of worth beispielsweise war dezidiert nicht an institutionelle Räume oder Felder gekoppelt. Stattdessen steht die soziale Situation im Mittelpunkt der Betrachtung. Die orders of worth sind somit immer vollständig in allen sozialen Räumen verfügbar und dienen Akteuren gleichsam als »Werkzeugkasten«, mit dem sie ihre Handlungen begründen können. In späteren Weiterentwicklungen wurde diese Distanzierung von institutionalistischen Überlegungen aber relativiert (vgl. Boltanski 2011): Konventionen, welche an soziale Situationen gekoppelt sind, werden durch Institutionen, welche typisierte Handlungen und deren Beziehung zu Situationen fixieren, ergänzt. Ausprägungen und Charakteristika des Geltungsanspruchs Der Geltungsanspruch der Deutungsangebote kann anhand der Attribute Spezifizität, Relevanz und Organisationsgrad beschrieben werden. Für Schwinn (2005) hängt aus einer Weberschen Perspektive die Spezifizität einer Wertsphäre von deren Institutionalisierung ab. Schwinn unterscheidet dementsprechend spezifikationsstarke (z.B. Recht) von spezifikationsschwachen Wertsphären (z.B. Kunst). Je höher die Spezifizität einer Wertsphäre ist, desto leichter lässt sich diese in konkrete Handlungskriterien übersetzen. Ähnlich argumentiert die neoinstitutionalistische Organisationsforschung in Bezug auf institutionelle Logiken (vgl. Greenwood et al. 2011; Raynard 2016). Hier wird unter dem Attribut der Spezifizität zudem die Fähigkeit, Kompromisse einzugehen und Abweichungen von den jeweiligen institutionellen Vorschriften zu akzeptieren (d.h. der Grad der Diskretion der Akteure in Bezug auf ihre Handlungen), subsumiert. Eine hohe Spezifizität impliziert Ausschließlichkeit und einen hohen Grad der Präzision der entsprechenden Handlungsanleitungen. Aus dieser Sicht sind also beispielsweise fundamentalistische Religionsauslegungen hochgradig spezifische Bedeutungszonen. Lepsius betont die Relevanz einer institutionellen Ordnung. Diese steigt mit der Anzahl sozialer Situationen, in denen eine Leitidee oder ihre Rationalitätskriterien Gültigkeit beanspruchen. Er stellt in diesem Zusammenhang die Frage, »wie weit ein Handlungskontext gezogen ist, innerhalb dessen ein bestimmtes Rationalitätskriterium gilt« (Lepsius 1989: 216 [Hervorhebung im Original]). Je weiter dieser Handlungskontext ist, d.h., je mehr Lebensbereiche umfasst werden, desto größer ist der Geltungsbereich des Rationalitätskriteriums. Gemeinsam mit der Homogenität der Handlungssituationen bestimmt die Weite des Handlungskontextes den Grad, mit dem eine Leitidee die Lebensverhältnisse beeinflusst. Lepsius erwähnt außerdem noch den Organisationsgrad von Leitideen und unterscheidet zwischen stark und schwach organisierten Institutionen, wobei

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er als Beispiele die Leitidee der Rechtsstaatlichkeit (stark organisiert) und jene der Wissenschaftsfreiheit (schwach organisiert) nennt (vgl. Lepsius 1995: 339). Je geringer der Organisationsgrad, desto höher ist die Abhängigkeit der Institution von Individuen, welche die Leitidee internalisiert haben und sich an ihren Rationalitätskriterien orientieren. Es folgt, dass die Stabilität einer Leitidee mit zunehmendem Organisationsgrad und zunehmender Internalisierung steigt und dort ihr Maximum erreicht, wo beides hoch ist. Ist hingegen nur der Organisationsgrad hoch und die Internalisierung gering oder umgekehrt, so folgen verschiedene Formen institutioneller Volatilität, die insbesondere für die neo-institutionalistische Organisationsforschung spannende Forschungsfragen aufwerfen. Wirkmacht auf Akteure Die Frage nach der Wirkmacht zielt darauf ab, in welcher Hinsicht institutionelle Ordnungen Akteure in den jeweiligen Bedeutungszonen beeinflussen. Ausgangspunkt ist dabei zunächst die konstatierte Unmöglichkeit, individuelles oder organisationales Handeln ohne Berücksichtigung der Verflochtenheit von Akteur und sozialem Kontext zu verstehen. Dabei beeinflussen Rationalitätskriterien sowohl das Verständnis der sozialen Welt durch die Bereitstellung von legitimierten kognitiven Kategorien und kulturellen Bedeutungen als auch das Handeln in diesen Bedeutungszonen durch institutionalisierte Handlungserwartungen. Jede Bedeutungszone repräsentiert ein je spezifisches Set an Erwartungen; jede typisierte Handlung ergibt nur vor dem Hintergrund der jeweiligen Bedeutungszone, welche diese Handlung legitimiert und mit Bedeutung versieht, Sinn. Eine grundsätzliche Debatte in der neo-institutionalistischen Organisationsforschung bezieht sich nun auf die Frage, in welchem Ausmaß die in der jeweiligen Bedeutungszone gültige Rationalität konstitutive Wirkung für Akteure hat, d.h., Akteure als Akteure konstituiert (vgl. Hwang/Colyvas 2019; Meyer/ Hammerschmid 2006b): »Steuern« institutionalisierte Bedeutungszonen Akteure durch Erwartungen und Anweisungen (denen der Akteur sich – durch die Akzeptanz von Sanktionen – auch widersetzen kann) oder existieren soziale Akteure als solche erst durch die konstitutive Wirkung von Bedeutungszonen? Wenn Friedland betont, dass »[i]nstitutional logics point to socially regionalized orders of meaningful practice that are simultaneously orders of subjectification and objectification« (Friedland et al. 2014: 334), ist er nahe am Verständnis von Berger und Luckmann (1969), für die bekanntlich Institutionen dort entstehen, wo Akteure und ihre Handlungen reziprok typisiert werden. Ein ähnliches Verständnis findet sich bei John Meyer und Kollegen, die, Berger und Luckmann referenzierend, festhalten, dass »[i]nstitutionalized rules […] render

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the relation between actor and action more socially tautological than causal« (Meyer/Boli/Thomas 1994: 18). In regionalisierten Bedeutungszonen existieren also typisierte Rollendentitäten für Akteure (vgl. Jancsary et al. 2017), die Präferenzen und Interessen für sie bereitstellen (vgl. Thornton/Ocasio/Lounsbury 2012). Unter dem Schlagwort »paradox of embedded agency« (vgl. Holm 1995) wird in der neo-institutionalistischen Organisationsforschung ausgiebig diskutiert, wie Akteure Institutionen verändern können, wenn ihre Handlungen, Intentionen und Interessen durch eben diese Institutionen geformt werden (vgl. dazu auch Weik in diesem Band). Neben der Verfügbarkeit multipler Rationalitätskriterien in modernen Gesellschaften und der damit einhergehenden »Wahlpflicht« (vgl. Meyer/Hammerschmid 2006b) sowie der Notwendigkeit, Interpretationen ständig neu erbringen zu müssen, sodass auch Standardsituationen immer einen Keim der Veränderung in sich tragen, wird zur Bearbeitung dieses Paradoxons insbesondere auf »Spannungen« innerhalb (siehe unsere Ausführungen zu Konsistenz und Kohärenz) sowie zwischen Bedeutungszonen (siehe unsere Ausführungen zu Beziehungen von Bedeutungszonen) rekurriert. Aussagen wie beispielsweise »[i]nstitutional arrangements create various inconsistencies and tensions within and between social systems (contradictions) […] [and] those contradictions transform the embedded social actors into the change agents of the very institutional arrangements« (Seo/Creed 2002: 223) oder »[t]he contradictions inherent in the differentiated set of institutional logics provide individuals, groups, and organizations with cultural resources for transforming individual identities, organizations, and society« (Thornton/Ocasio 2008: 101) können als stellvertretend für die Sichtweise vieler neo-institutionalistischer Organisationsforscher*innen verstanden werden. Spannungen existieren am offensichtlichsten zwischen Bedeutungszonen, welche innerhalb des gleichen sozialen Raums Geltungsansprüche stellen. Spannungen und Widersprüche werden auch dort sichtbar, wo Bedeutungszonen von einem sozialen Raum in einen anderen »übersetzt« (vgl. z.B. Wedlin/Sahlin 2017; Meyer/Höllerer 2016) werden und zwar sowohl horizontal (Übersetzung von einem Feld in ein anderes) wie auch vertikal (Übersetzung von einem Feld in eine Organisation) (vgl. Drori/Höllerer/Walgenbach 2014). Schließlich sorgt die Existenz multipler Bedeutungszonen auch dafür, dass grundsätzlich eine Mehrzahl von Rationalitätskriterien bzw. Logiken verfügbar ist. Außerhalb »totaler Institutionen« (siehe unten) verfügen Menschen über ausdifferenzierte Rollensets (vgl. Merton 1957), welche die Pluralität und Komplexität von Deutungsangeboten im sozialen Raum spiegeln. Die institutionelle Ausdifferenzie-

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rung sozialer Räume und die Notwendigkeit, mit dieser Pluralität umzugehen, erzeugen Handlungsspielräume und Ansatzpunkte für institutionellen Wandel.

BEZIEHUNGEN VON MULTIPLEN BEDEUTUNGSZONEN ZUEINANDER Pluralität und Konstellationen von Bedeutungszonen In ausdifferenzierten Gesellschaften existieren und wirken mehrere Bedeutungszonen nebeneinander. Berger und Luckmann beispielsweise betonen in diesem Zusammenhang, dass »die meisten modernen Gesellschaften pluralistisch sind, das heißt, daß sie alle bestimmte gemeinsame Grundelemente einer Sinnwelt aufweisen, die als solche Gewißheitscharakter haben, daß aber zusätzlich verschiedene Teilsinnwelten bestehen, die im Status gegenseitiger Übereinkunft koexistieren« (Berger/Luckmann 1969: 134). Der Fall, dass eine einzige institutionelle Ordnung das Leben abschließend regelt – Goffmans (1973) »totale Institution« – ist als Ausnahme zu sehen und tritt in modernen Gesellschaften nur in sehr eingeschränktem Ausmaß auf (z.B. in Sekten oder Psychiatrien). Die Vorstellung eines Pluralismus von Deutungsangeboten findet sich auch in Webers »Polytheismus der Werte« oder in Giddens’ (1991) Konzept einer »zweiten« oder »späten« Moderne (late modernity), in der Reflexivität über Deutungsangebote institutionell in die Gesellschaft »eingebaut« ist. Auch Luhmann (1984) spricht von einer Differenzierung der Gesellschaft in funktionale Subsysteme. Für Lepsius ist die Moderne charakterisiert durch »Konflikte zwischen Institutionen mit unterschiedlich homogener Handlungsrationalisierung« (Lepsius 1977: 22). Während die frühe neo-institutionalistische Forschung zu institutionellen Logiken oft Situationen beschrieb, in denen eine dominante Logik durch eine andere abgelöst wurde (vgl. Thornton/Ocasio 1999; Meyer/Hammerschmid 2006a), gehen neuere Arbeiten vielfach von der parallelen Existenz multipler Logiken in sozialen Räumen aus. Solche Überlegungen sind zum Beispiel in der Konzeption des interinstitutionellen Systems (x-Achse) bei Thornton, Ocasio und Lounsbury (2012) angelegt. Goodrick und Reay weisen außerdem darauf hin, dass multiple Logiken in bestimmte Beziehungen zueinander treten und bezeichnen solche integrierten Systeme von Logiken als Konstellationen: »[A] constellation is composed of items that, when viewed from a particular perspective, can be identified as a pattern« (Goodrick/Reay 2011: 399).

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Von einer Konstellation mehr oder weniger rationalisierter Lebensbereiche geht auch Lepsius aus. Mit Weber fragt er danach, welche Lebensbereiche von Rationalisierungen erfasst werden sowie welche Richtung und welches Ausmaß diese Rationalisierungen annehmen (vgl. Lepsius 1990). Er spricht dabei von einer komplexen Konfiguration von Rationalitätskriterien, die einerseits ungleichartig institutionalisiert sind und andererseits in spannungsreichen Beziehungen zueinanderstehen. Die Struktur dieser Konfiguration von Leitideen »im Ganzen« und die Art und Weise der Konfliktregelung zwischen ihnen bestimmen den Charakter der Gesellschaft (vgl. Lepsius 1999). Für Lepsius gehört daher »[z]ur Institutionenanalyse […] auch die Untersuchung des Verhältnisses zwischen den institutionalisierten Ordnungen einer Gesellschaft und des durch sie bestimmten Charakters der Gesamtordnung« (Lepsius 1995: 399). Arten von Beziehungen zwischen Bedeutungszonen Innerhalb solcher Konstellationen können Bedeutungszonen nun in verschiedenartigen Beziehungen zueinanderstehen. Eine häufig thematisierte Beziehung zwischen Bedeutungszonen innerhalb einer Konstellation ist jene des Widerspruchs, was, wenn beide Deutungsmacht beanspruchen, Wettbewerb um Geltung impliziert. Auch Lepsius und Rehberg betrachten Institutionen oftmals als in Konflikt miteinander stehend und um Geltungsbereiche und Deutungsmacht kämpfend: Leitideen setzen »sich durch im Kampf gegen die Geltungsansprüche anderer Institutionen« (Lepsius 1997: 62); jede durchgesetzte Leitidee ist in diesem Sinne ein »Kampfprodukt« (Rehberg 1997: 102). In der neo-institutionalistischen Organisationsforschung haben sich zwei Begriffe für die Beziehungen zwischen multiplen Logiken etabliert (vgl. z.B. Greenwood et al. 2011) (vgl. dazu auch Meier/Meyer in diesem Band): Institutioneller Pluralismus bezeichnet die gleichzeitige Existenz mehrerer institutioneller Logiken, ohne die Beziehung zwischen diesen zu spezifizieren; oft wird dieser Begriff jedoch verwendet, um unproblematische Beziehungen zu beschreiben. Institutionelle Komplexität hingegen bezeichnet den Kampf mehrerer widersprüchlicher Logiken um Deutungshoheit. Friedland und Alford unterstreichen, dass die »major institutions of contemporary society are interdependent and yet also contradictory« (Friedland/Alford 1991: 256). Thornton und Ocasio (2008) betonen ebenfalls, dass Widersprüche ein inhärenter Bestandteil eines Systems mehrerer Logiken sind. Bedeutungszonen ringen folglich um Aufmerksamkeit und kulturelle Macht in einer Gesellschaft (vgl. Thornton/Ocasio/Lounsbury 2012). Abseits von Widerspruch und Konflikt können sich institutionelle Logiken (vgl. für einen Überblick über mögliche Beziehungen Johansen und Wal-

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dorff 2017) auch gegenseitig ergänzen oder in einer Art »Waffenstillstand« eine Zeit lang koexistieren (vgl. Meyer/Höllerer 2010). Schon bei Berger und Luckmann findet sich der Vorschlag, dass »der offene Konflikt von Ideologien [d.h. Teilsinnwelten]« durch »verschiedene Grade der Toleranz oder gar der Kooperation« ersetzt werden kann (Berger/Luckmann 1969: 134). Obwohl Lepsius von oftmals »spannungsreichen Beziehungen« spricht, in denen sich Rationalitätskriterien befinden, geht er ebenfalls davon aus, dass Rationalitätskriterien auch unvermittelt nebeneinanderstehen oder sich zueinander indifferent verhalten können (vgl. Lepsius 1990: 49). Lepsius betont zudem eine Art der Beziehung zwischen Leitideen, die in der neo-institutionalistischen Organisationsforschung bislang nicht oder nur oberflächlich diskutiert wurde: Jede institutionalisierte Leitidee ist bemüht, die Kontingenzen und Folgeprobleme, die mit ihrer Wirkung verbunden sind, möglichst erfolgreich zu externalisieren und sich gegen die daraus entstehende Opposition zu immunisieren (vgl. Lepsius 1997: 61). Dadurch, dass mit der Institutionalisierung einer Leitidee eine Homogenisierung der Problemdefinitionen und Handlungsorientierungen einhergeht, werden andere Probleme und Handlungsorientierungen gleichsam aus dem Geltungsanspruch »ausgeschieden«. Die Kontingenzen, welche eine Leitidee externalisiert, können nun von anderen institutionellen Ordnungen übernommen werden (indem z.B. der Staat die sozialen Folgen des freien Marktes über Kollektivierung von sozialen Kosten löst). Finden sich hingegen »keine anderen Institutionen, denen diese Folgeprobleme überwiesen werden können, so verbleiben sie in der Diffusität der ›Lebenswelt‹ und werden durch individuelle Verhaltensanpassungen aufgefangen« (Lepsius 1997: 29). Je besser es Institutionen gelingt, ihre Folgen zu externalisieren, desto größer ist ihre Autonomie (vgl. Lepsius 1999: 119). Zwei Ergänzungen zur neo-institutionalistischen Organisationstheorie finden sich in diesen Überlegungen: Zum einen wird eine »Arbeitsteilung« zwischen Bedeutungszonen angesprochen, welche jeweils ihre Kontingenzen an andere Bedeutungszonen überweisen. Diese Arbeitsteilung kann Konflikte zwischen Institutionen abbilden, deren Lösungsmechanismen ebenfalls mehr oder weniger stark institutionalisiert sein können (z.B. durch die Idee einer »Sozialpartnerschaft« von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und Kollektivvertragsverhandlungen). Zum anderen wird impliziert, dass es (Folge-)Probleme gibt, deren Lösung im Geltungsbereich keiner Bedeutungszone liegt, d.h., nicht alle Problemlagen werden von institutionalisierten Bedeutungszonen adressiert.

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Attribute der Beziehungen zwischen Bedeutungszonen Vor allem jüngere Studien zu institutionellen Logiken in der neo-institutionalistischen Organisationsforschung haben sich verstärkt mit der Frage auseinandergesetzt, anhand welcher Kriterien und Attribute sich Konstellationen von Logiken charakterisieren lassen bzw. was die Beziehungen zwischen Bedeutungszonen und damit den Grad der Komplexität innerhalb von Konstellationen beeinflusst. Allerdings bleibt die Literatur hier in Bezug auf die Frage, auf welcher Analyseebene und aus welcher Perspektive die Beziehungen von Logiken und der Grad der Komplexität betrachtet werden, relativ unpräzise. Zumeist wird nicht unterschieden, ob es um Beziehungen zwischen Bedeutungszonen auf der Ebene der Konstellation und ihrer Struktur (d.h. um grundsätzliche Widersprüchlichkeit, Komplementarität oder Kompatibilität der Deutungsangebote selbst) geht oder ob Widersprüche und Ambiguitäten auf der Ebene der Akteure bzw. der konkreten Handlungssituation betrachtet werden (d.h. um Komplexität, die aus der simultanen Relevanz mehrerer Deutungsangebote entsteht). Obwohl diese zwei Fragen oftmals vermischt bzw. ähnliche Attribute für beide Fragstellungen gleichermaßen verwendet werden, macht es für die Analyse dennoch einen gewichtigen Unterschied, ob zwei Bedeutungszonen in einer Handlungssituation die Geltung ihrer jeweiligen Rationalitätskriterien beanspruchen oder ob zwei Bedeutungszonen über ihre jeweiligen Deutungsangebote strukturell miteinander verbunden sind, beispielsweise über Akteurstypen, die in beiden Bedeutungszonen etabliert sind (siehe unsere Ausführungen zu institutionellen Feldern weiter oben). Ein zentrales Kriterium in diesem Zusammenhang ist der Grad der Kompatibilität bzw. Kommensurabilität der den unterschiedlichen Bedeutungszonen zurechenbaren Deutungsangebote. Bei Weber sind die »letzten Werte« im Zentrum seiner Wertsphären grundsätzlich inkommensurabel, »weil die verschiedenen Wertordnungen der Welt in unlöslichem Kampf untereinander stehen« (Weber 1968: 603). Dies ist auch bei Lepsius grundsätzlich so angelegt: »Die Wertvorstellungen und Leitideen […] sind inkompatibel, sonst würden sie nicht differenziert sein« (Lepsius 1997: 30). Weniger kategorisch sieht dies die Forschung zu institutionellen Logiken. Hier wird oft von Graden der Kompatibilität gesprochen (vgl. z.B. Besharov/Smith 2014; Raynard 2016). Des Weiteren wird vorgeschlagen zu differenzieren, ob Logiken inkompatibel in Bezug auf die von ihnen konstituierten Ziele oder die von ihnen konstituierten Praktiken sind, wobei davon ausgegangen wird, dass die erste Art von Inkompatibilität für eine höhere Komplexität sorgt (vgl. Pache/Santos 2010; siehe auch Greenwood et al. 2011).

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Besharov und Smith (2014) nehmen eine Akteursperspektive ein und nennen als weiteres Attribut der Beziehung die Zentralität der Logiken. Je mehr Logiken für einen Akteur in einer Handlungssituation gleichzeitig relevant sind, desto komplexer ist diese Situation für ihn. Auch Goodrick und Reay (2011) unterscheiden Konstellationen anhand der Dominanz von Logiken – allerdings auf Ebene des Geltungsbereichs –, wobei jeweils eine oder mehrere Logiken gleichzeitig dominant sein können. Ähnlich ist auch die Hierarchisierung von Logiken auf Feldebene (vgl. Raynard 2016) zu sehen: Je klarer Logiken in einem Feld in Bezug auf ihre Relevanz hierarchisiert sind, desto weniger komplex ist die Situation für die Akteure des Feldes. Komplexität wird zudem davon beeinflusst, ob mehrere Logiken die Deutungshoheit über dieselben Typen von Situationen beanspruchen. Raynard (2016) bezeichnet dies als jurisdictional overlap: Wenn mehrere Logiken inkompatibel und gleichzeitig hoch relevant sind, aber unterschiedliche Handlungssituationen regeln, ist ihr jurisdictional overlap und damit die Komplexität dennoch gering. Auch Lepsius betont die Möglichkeit der Überlappung von Geltungsbereichen. Da sich die Geltung von Leitideen und ihrer Rationalitätskriterien in ständiger Bewegung befindet – »[s]tets sind verschiedene Leitideen mehr oder weniger institutionalisiert, stets bestehen Spannungen zwischen ihnen, werden die Demarkationslinien zwischen ihren Geltungskontexten verschoben und die Externalisierungschancen umkämpft« (Lepsius 1997: 62) – ist die Kontrolle und Überwachung der Geltungsgrenzen wesentlich. Der Grad der Geltung bestimmter Rationalitätskriterien ist abhängig davon, wie klar diese jene Handlungskontexte isolieren können, in denen sie die dominante Handlungsorientierung bieten können (Lepsius 1990: 47). Jancsary und Kolleg*innen (2017) nehmen hierbei eine strukturelle Perspektive ein und zeigen, dass die Grenzen zwischen Bedeutungszonen in Bezug auf deren Deutungsangebote nicht trennscharf sein müssen. Sie schlagen die Permeabilität von Bedeutungszonen als relevantes Attribut vor und definieren diese als den Grad, zu welchem zwei oder mehrere Bedeutungszonen dieselben Praktiken und Kategorien teilen. Solche Praktiken und Kategorien, welche in mehreren Bedeutungszonen Legitimität besitzen, verringern die Komplexität widersprüchlicher Deutungsangebote. Sie können beispielsweise auf institutionalisierte Konfliktlösungsmechanismen im oben erwähnten Sinne verweisen, manifestieren aber möglicherweise auch den Übergriff einer Institution in den Geltungsbereich einer anderen: »So führt beispielsweise das Eindringen von militärischen Organisationsformen und Befehls-Gehorsamsmaximen in Betriebe, Schulen, Sportvereine oder Parteien zu einer gleichartigen Verhaltensdisziplinierung in verschiedenen Institutionen« (Lepsius 1999: 123).

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Für die neo-institutionalistische Organisationstheorie ist zusammenfassend zu beobachten, dass die jüngere Forschung stärker Beziehungen von Bedeutungszonen jenseits des unauflösbaren Widerspruchs in Betracht zieht und dass Koexistenz und Komplementarität stärker in den Vordergrund rücken. Der Großteil der Arbeiten nimmt aber nach wie vor die Perspektive der (individuellen und organisationalen) Akteure ein; Analysen der strukturellen Komponenten der Konstellationen oder Konfigurationen sind hingegen weiterhin rar.

KRITISCHE WÜRDIGUNG UND MÖGLICHE WEITERENTWICKLUNGEN Am Beginn dieses Beitrags stand die Beobachtung, dass Mikroperspektiven seit einigen Jahren eine Hochkonjunktur in der neo-institutionalistischen Forschung erleben. Demgegenüber haben wir uns der Idee regionalisierter Bedeutungszonen zugewandt und insbesondere die interne Struktur von Bedeutungszonen, ihre Geltungsbereiche sowie die Beziehungen von multiplen Bedeutungszonen zueinander aus unterschiedlichen institutionentheoretischen Perspektiven betrachtet. Auch hier rücken insbesondere in der Forschung zu institutionellen Logiken Akteure und die Frage, wie sie mit Situationen institutioneller Pluralität umgehen, zunehmend ins Zentrum des Interesses. Eine solche akteurszentrierte Perspektive führt dazu, dass Bedeutungszonen und die sie organisierenden Rationalitätskriterien zunehmend als Werkzeuge in kulturellen »Toolkits« (vgl. Swidler 1986) charakterisiert werden, derer sich Akteure strategisch bedienen können. Unseres Erachtens nach sollte die institutionelle Analyse allerdings nicht so sehr den einzelnen Akteur, welcher situativ multiplen Bedeutungsangeboten ausgesetzt ist, in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen, sondern sich vielmehr der Konfiguration von Bedeutungszonen und institutionellen Ordnungen sowie deren Beziehungen zueinander widmen. Wir schlagen also vor, kollektive Muster von Bedeutungen und Handeln wieder verstärkt in den Fokus der neoinstitutionalistischen Organisationsforschung zu rücken. Der einzelne individuelle oder organisationale Akteur mag in der Anwendung von Leitideen und der Auslegung von Rationalitätskriterien mehr oder weniger frei sein – er wird bei zu starker Abweichung von der gesellschaftlichen Norm »therapiert« (vgl. Berger/Luckmann 1969). Verändern sich aber kollektive Muster der Bedeutungsauslegung, dann deutet sich ein Wandel im institutionellen Gefüge einer Gesellschaft an. Lepsius fängt diese Idee mit seiner Konfiguration von Leitideen, welche arbeitsteilig agieren und Konflikte untereinander institutionalisieren und organisie-

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ren, hervorragend ein. Er betont zudem die inhärente Dynamik: »Wir befinden uns in einem dauernden Prozeß der Veränderung der Geltung von Rationalitätskriterien« (Lepsius 1990: 50). Solche Veränderungen in den Beziehungen zwischen Bedeutungszonen und den von ihnen ausgebildeten Rationalitätskriterien manifestieren sich auf unterschiedliche Art und Weise. Wenn beispielsweise in den letzten Jahren im deutschen Sprachraum häufig die »Erosion der Sozialpartnerschaft« beschworen wird, deutet dies auf tektonische Verschiebungen zwischen Bedeutungszonen hin. Die Konsequenzen solcher Verschiebungen zu erforschen, wäre Aufgabe der Institutionenanalyse. Wird der regulierte Konflikt zum unregulierten Konflikt, wie sich dies beispielsweise in der »Gilets Jaunes«Bewegung in Frankreich 2018 abzuzeichnen scheint? Oder deutet sich hier eine Verschiebung der »Kampfzonen« an, zum Beispiel vom Konflikt zwischen Kapital und Arbeit zum Konflikt zwischen »dem Volk« und einer zunehmend als abgehoben wahrgenommenen politischen und intellektuellen Elite? Für die neo-institutionalistische Organisationsforschung bieten sich hier interessante neue Fragen. Bedeutungszonen weisen unterschiedliche Grade der Organisation auf (vgl. Lepsius 1995), und spezifische Organisationsformen (wie zum Beispiel Gerichte oder Kapitalgesellschaften) können als Repräsentanten von Bedeutungszonen verstanden werden. Die neo-institutionalistische Organisationforschung sollte sich verstärkt mit der Frage auseinandersetzen, welche Organisationen und Organisationsformen typisch für spezifische Bedeutungszonen sind und welche die Schnittstellen und die Arbeitsteilung zwischen Bedeutungszonen organisieren und regulieren. Seit einiger Zeit stellt sich die einschlägige Literatur die Frage, ob Organisationstheorien ausreichend in der Lage sind, innovative und alternative Formen des Organisierens wie zum Beispiel Plattformen, fluide Organisationen, Netzwerkorganisationen oder Bewegungsorganisationen zu erfassen und zu erklären (vgl. Ahrne/Brunsson 2011; Greenwood/ Miller 2010; Meyer/Höllerer 2014; Schreyögg/Sydow 2010; vgl. auch Brunsson in diesem Band). Eine alternative Perspektive könnte sich die Frage stellen, auf welche Verschiebungen gesellschaftlicher Bedeutungszonen diese Organisationsformen eine Reaktion sind. In ähnlicher Art und Weise wäre diese theoretische Linse auch in der Lage, den aktuellen Trend zu »hybriden« Organisationsformen (vgl. Battilana/Lee 2014) als eine Repräsentation und Organisation neuer Schnittstellen in der gesellschaftlichen Bedeutungskonfiguration zu verstehen und so von der vielfach vorherrschenden Betrachtung einzelner Organisationen zu befreien und zu institutionentheoretischen Kernfragen hinzuführen. Auch was die empirischen Herangehensweisen anbelangt, gibt es in der neoinstitutionalistischen Organisationsforschung zu Bedeutungszonen neue Ansätze, deren Erweiterung und Verfeinerung Potential für die Zukunft verspricht. Ganz

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generell unterscheiden Reay und Jones (2016) zwischen Ansätzen, welche Muster in der Bedeutungsstruktur sozialer Räume deduktiv rekonstruieren (pattern deducing), von solchen, die Muster durch den Vergleich mit der Literatur identifizieren (pattern matching), und jenen, die Muster induktiv generieren (pattern inducing). Eine Form von institutioneller Analyse, welche in der jüngeren Vergangenheit stärker an Bedeutung gewonnen hat, sind strukturrekonstruierende Verfahren, welche systematische quantitative Analyse mit qualitativer Interpretation verbinden (mixed methods). In der institutionalistischen Forschung können die Arbeiten von John Mohr und Kollegen (vgl. Mohr 1994; Mohr/Duquenne 1997; siehe auch Friedland et al. 2014; vgl. auch Goldenstein/Poschmann/ Walgenbach in diesem Band) als wegweisend bezeichnet werden. In der Forschung zu institutionellen Logiken wurden von Meyer und Höllerer (2010) zum Beispiel multiple Korrespondenzanalysen verwendet, um jene Bedeutungszonen zu rekonstruieren, welche die »Übersetzung« des Shareholder Value-Konzepts in den österreichischen Kontext leiteten. Mithilfe von netzwerkanalytischen Methoden (für einen Überblick siehe Powell/Oberg 2017) erforschten Jones und Kolleg*innen (2012) institutionelle Logiken als symbolische Muster in binären Kontrasten der Sprachverwendung von Architekten. Jancsary et al. (2017) rekonstruierten die verschiedenen Bedeutungszonen, welche Cluster in den dargestellten Rollenidentitäten einer großen Organisation nachvollziehbar machen. In diesem Beitrag haben wir die Idee von regionalisierten Bedeutungszonen und deren Logiken und Rationalitäten aufgegriffen und in gebotener Kürze diskutiert. Die Forschung zu institutionellen Logiken scheint mittlerweile durchaus eine gewisse Sättigung erreicht zu haben, die einerseits aus sehr unspezifischen Verwendungen des Begriffs für alle Arten von Bedeutungszuweisungen und andererseits aus der unseres Erachtens zu starken Fokussierung auf die Ebene einzelner Akteure resultiert. Entgegen dem gegenwärtigen Trend zu Mikrofundierungen sehen wir die Zukunft der neo-institutionalistischen Organisationsforschung eindeutig in einer stärkeren Rückorientierung auf gesellschaftliche Entwicklungen und die Rolle, die Organisationen und Organisationsformen darin spielen (vgl. auch Arnold/Hasse/Mormann in diesem Band). Ein stärker gesellschaftlicher Fokus und ein stärker auf Strukturen und Konfigurationen ausgerichtetes Interesse könnten der zunehmenden Unschärfe und Inflation der Forschung zu institutionellen Logiken entgegenwirken und würden eine Rückkehr zum ursprünglichen Programm der neo-institutionalistischen Organisationsforschung bedeuten.

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Rationalitätsmythos Konzeptualisierung eines schillernden Begriffs Katja Hericks

Der Begriff des Rationalitätsmythos gehört zu den Markenzeichen des NeoInstitutionalismus. Er wird häufig, dabei jedoch widersprüchlich und selten theoriekonsistent verwendet. Die erste Konzeption von John Meyer und Brian Rowan (1977) hat zu dieser Diffusität ein Stück weit beigetragen, indem sie viele Fragen offenließen. Die Autoren haben aber dem Begriff analytisches Potential in die Wiege gelegt, das bisher nicht systematisch ausgearbeitet wurde. Die fruchtbarste Diskussion hierzu versteht den Mythos als normatives Narrativ. Der vorliegende Beitrag greift diese Diskussion auf und verbindet sie mit dem in den Kulturwissenschaften prominenten Ansatz von Roland Barthes’ Mythen des Alltags (Barthes 1964; französisches Original Mythologies, 1957). Barthes schlüsselt die Struktur des Mythos in Zeichen, Begriff und Botschaft auf, an welche neo-institutionalistische Theorie nahtlos anschließen und offene Fragen der ursprünglichen Formulierung beantworten kann. Durch die hier vorgelegte Konzeption wird der Rationalitätsmythos als eine wichtige (Theorie-)Schnittstelle zwischen world polity und Organisation sichtbar und nutzbar gemacht. Der Beitrag argumentiert, dass dem Begriff Rationalitätsmythos aus der widersprüchlichen Gleichzeitigkeit von Religion und Profanität, von glauben und rationalisieren, Wunder und Wissenschaftlichkeit, Heiligkeit und Sachlichkeit, die bereits im Begriff angelegt und mit der world polityTheorie erklärbar ist, ein Alleinstellungsmerkmal erwächst, welches diesen Begriff für einen wissenssoziologisch orientierten Neo-Institutionalismus fruchtbar macht. Die widersprüchliche Gleichzeitigkeit ist eng verbunden mit der Frage, wie die neo-institutionalistische Annahme, dass Organisationen sich an Vorstellungen von Rationalität orientieren, ohne rational zu sein, so beantwortet werden kann, dass ihnen nicht im Gegenzug Irrationalität zugeschrieben wird und damit

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durch die Hintertür eine positivistische, funktionalistische Vorstellung von Rationalität reaktiviert wird. Der Aufbau des Beitrags ist folgender: Zunächst wird die Kontur des Begriffs in der ursprünglichen Fassung bei Meyer und Rowan (1977) vorgestellt, die in der darauffolgenden Verwendung – wie kurz skizziert wird – zumeist verloren ging. Im Zentrum des Beitrags steht die theoretische Modellierung, die das analytische Potential der ursprünglichen Formulierung in zwei Stufen entfaltet: Im ersten Schritt wird die Barthes’sche Konzeption genutzt, um den Aufbau des Rationalitätsmythos zu entschlüsseln. Dieses Modell stellt das Fundament dar, aus dem im nächsten Schritt Funktionsweisen des Rationalitätsmythos anhand eines empirischen Falles – dem Rationalitätsmythos »Produktivität« – herausgearbeitet werden. Der Beitrag verfolgt dabei das Ziel, den Begriff dezidiert an die wissenssoziologische Theorietradition im Neo-Institutionalismus zurückzubinden, in welcher die Chance für ein kohärentes Theoriegebäude und klare Konturen des Neo-Institutionalismus gesehen wird.

RATIONALIZED MYTH – DIE FORMULIERUNG BEI MEYER UND ROWAN Der Begriff des Mythos war der zentrale Blickfang in dem Titel des 1977 von Meyer und Rowan publizierten Artikels Institutionalized Organization: Formal Structure as Myth and Ceremony. Im Zentrum des Artikels stand Meyer und Rowans Idee, dass selbst die Strukturen und nicht nur Interaktionen in Organisationen durch und durch soziologisch zu verstehen sind und sich nicht aus einer funktionalistischen Perspektive als »systems of coordinated and controlled activities« (Meyer/Rowan 1977: 340) erklären lassen. Sie argumentierten dagegen, »formal structures of many organizations in postindustrial society (Bell, 1973) dramatically reflect the myths of their institutional environments« (ebd.: 341). Damit kehren sie jedoch nicht nur zu soziologischen Konzepten zurück. Diese Konzeptualisierung verweist mehr noch auf religiöse Kontexte, nämlich auf Glauben und ritualisierte Praktiken, deren Bedeutung nicht in ihrer Funktionalität sondern in einer durch den Glauben getragenen Sinnhaftigkeit besteht. Das Oxymoron Rationalitätsmythos verbindet die Verzauberung des Mythos und die entzauberte Rationalität. Damit stellt es die Imperative der Rationalität und Funktionalität auf Distanz – nicht indem Strukturen für per se irrational und dysfunktional erklärt werden, sondern indem der Konstruktionsprozess in den Blick gerät: Wenn Organisationen durchdrungen sind von sozialen Standards, Moral und quasi-religiösen Glaubenssätzen, wie entsteht dann der Eindruck rationalen

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und funktionalen Organisierens? Die Autoren geben hierzu einen Hinweis in ihrer Definition von Mythen: »First, they are rationalized and impersonal prescriptions that identify various social purposes as technical ones and specify in a rulelike way the appropriate means to pursue these technical purposes (Ellul, 1964). Second, they are highly institutionalized and thus in some measure beyond the discretion of any individual participant or organization« (Meyer/Rowan 1977: 343 f.). 1

In der Rezeption wird vor allem der Gedanke betont, dass Rationalitätsmythen institutionalisierte Glaubenssätze sind (vgl. u.a. Tolbert 1988; Christensen/ Cornelissen 2015; Rottenburg 1996). Dieser Satz entthront das funktionalistische Bild (omni-)potenter Akteure und ersetzt es durch Kultur und unhinterfragte Selbstverständlichkeit (»taken-for-grantedness«). Der erste Satz aber informiert uns über wichtige Spezifika des Rationalitätsmythos, welche ihn als spezielle Gestalt von institutionalisierten Mustern bestimmen. Zunächst werden Mythen als »prescriptions«, als Rezepte oder Verschreibungen bezeichnet, die dem Berger und Luckmannschen regelhaften Rezeptwissen nahestehen (Berger/Luckmann 1969). Ähnlich wie ärztliche Verschreibungen, die Mittel und Zweck benennen, bestimmt auch dieses Rezeptwissen Ziel und Mittel. Das ist nicht viel im Vergleich zu einer Institution, verstanden als Skript (vgl. Jepperson 1991), welches Handlungen, Rollen, Stichwörter, Ausstattung, Raum und Zeit bestimmt. Es ist aber auch nicht wenig, denn allein diese Gleichzeitigkeit von Zweck und Mittel suggeriert eine ihnen innewohnende Zweckrationalität. Vor allem aber werden Rationalitätsmythen als Modi vorgestellt, die soziale Zwecke als technische »identifizieren«. Ein Blick auf die Verwendung der For-

1

Der Bezug auf Jacques Elluls The Technological Society (1964) verweist auf dessen Begriff der »technique«. Sie kann als Fakten schaffendes, hegemoniales Weltbild rationalistischer und effizienzorientierter Methoden, als Blaupause der modernen Welt, ihres politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Aufbaus verstanden werden. In den Mythen Wissenschaft, Geschichte, Nation, Arbeit, Glück, Jugend und Heldentum macht sich die »Technique« die religiösen Bedürfnisse von Menschen zur Vermittlung ihrer Ideologie zunutze (vgl. ebd.; Karim 2001). Mit diesem Verweis betten Meyer und Rowan auch die »technical purposes« in eine sozialkonstruktivistische Perspektive und mehr noch in die Sichtweise eines kommunistischen Christen ein, als welcher sich Ellul verstand, der in »Technique« einen äußerst bedrohlichen Religionsersatz sah.

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mulierung in anderen Kontexten hilft, dies einzuordnen: In der LGBTICommunity wird der Begriff »identify« im Englischen entsprechend verwendet: Er stellt Identität her. Personen, die sich als Frauen identifizieren, beanspruchen für ihre Identität eine Natürlichkeit, die einer zugeschriebenen Naturhaftigkeit ihres Geschlechts oder des Begehrens überlegen sei (vgl. Garfinkel 1967). Wir müssen uns daher auch Rationalitätsmythen nicht als Cross-Dresser vorstellen, die sich in das Gewand von Rationalität kleiden, sondern dass sie beanspruchen (können), mit Rationalität identisch zu sein, und diesen Anspruch naturalisieren (vgl. auch Meier 2009; Rottenburg 1996). Anders gesagt liegt die Pointe hierin, dass Meyer und Rowan Mythen zuschreiben, ihre soziale Herkunft und damit ihre Geschichte abzulegen und uns als »von Natur aus« rational und funktional zu erscheinen. In diesen beiden Charakteristika liegt wieder die widersprüchliche Verbindung von Mystifizierung und Rationalisierung, die bereits im Namen steckt: Mythen erscheinen zweckrational und daher adäquat für den Weberschen (1922) Idealtypus legaler Herrschaft. Und sie lassen zugleich ein Wunder geschehen, denn sie verwandeln Sozialität in Funktionalität. Diese widersprüchliche Gleichzeitigkeit ist das Alleinstellungsmerkmal des Begriffs. Der erste Ansatz Meyer und Rowans lässt uns jedoch auch mit offenen Fragen zurück. Die Autoren beschreiben Mythen als institutionalisierte Regeln, erläutern jedoch nicht, was bestimmte Regeln gegenüber anderen als Mythen qualifiziert. Die widersprüchliche Gleichzeitigkeit kann hierzu fruchtbar sein. Wie können wir zudem verstehen, dass in Rationalitätsmythen immer Ziel und Mittel zusammen definiert werden? Ist dies bereits in Mythen angelegt oder bedarf es hierzu zusätzlicher Schritte, die dem Mythos nicht zueigen sind? Wie genau werden im Mythos soziale Ziele in technische Ziele, wird Gesellschaft in Organisation verwandelt?

VERWENDUNG DES BEGRIFFS IN DEN ORGANISATIONSWISSENSCHAFTEN Mythos als (unwahrer) Glaube Der Begriff des »rationalized myth« oder Rationalitätsmythos findet zwar vielfach Verwendung im Neo-Institutionalismus. Die Anwendung bleibt aber oft hinter der ursprünglichen Formulierung zurück. Zumeist wird der Begriff alltagssprachlich verwendet, d.h., nur jene Dinge, die von den Forschenden als unwahr aufgedeckt werden, werden als Mythen bezeichnet. Dabei wird diese Un-

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wahrheit in zwei Richtungen gedeutet: zum einen als organisationale Vorspiegelung einer Fassade: »Formal structure is mythical and ceremonial, a kind of symbolic windowdressing« (Carruthers 1995: 315) und als Entkopplung zwischen Formalstruktur und Arbeitsalltag: »The concept of ›rational myth‹ refers to the disconnect between the true internal practices of organizations and the image of rationality conveyed by the often superficial adoption of structures or management systems in response to external pressure« (Boiral 2012; vgl. ähnlich Cole 2012; Funder/Dörhöfer/Rauch 2006; Hallett 2010). Zum zweiten gilt dann etwas als Mythos, wenn es als irrational bzw. als nicht »objectively rational« entlarvt werden kann (Edelman/Uggen/Erlanger 1999: 411; vgl. auch Jaffee 1998). Damit stellen die Autor*innen eine Differenz zwischen wahrhaft funktionalen und rationalen Modellen einerseits und sozialen andererseits her: »Von Mythen zu sprechen, impliziert eine Differenz zwischen Vorstellung und Wirklichkeit. Sie sind Erzählungen, die Vorstellungen transportieren, die bei genauerer Prüfung der Wirklichkeit nicht standhalten würden« (Drepper 2010: 140). Die zentrale Annahme des Neo-Institutionalismus, dass Organisationen grundsätzlich nicht funktionalistisch aufgebaut seien, wird durch diese Verwendung des Mythenbegriffs konterkariert: »Is the adoption of hospital case management a rationalized myth? In other words, is case management adopted without rational, research-based evidence to support its merits?« (Roggenkamp/White 2001: 1060). Andere Ansätze betonen das Charakteristikum der Institutionalisiertheit. Insbesondere der Glaube an die Mythen und ihre Bedeutung jenseits der Frage, ob sie wahr oder falsch sind, werden häufig angesprochen. Dabei werden jedoch oft Vermischungen mit Ideologien (Schofer/Longhofer 2011) sichtbar oder Mythen werden diffus, indem der soziologische Institutionenbegriff mit Mythen gleichgesetzt wird: »Baron et al. thus illustrate how the term institution had acquired two meanings: as rationalized myth within a cultural context; and as a framework of (primarily State) regulatory agencies and policies« (Greenwood et al. 2008: 12). Wird der Begriff Rationalitätsmythos aber synonym zu Moden, Ideologemen oder Institutionen verwendet, ist er analytisch obsolet. In den meisten Verwendungen werden also Elemente der Formalstruktur als »Fassaden« oder als »eigentlich« irrational abgewertet oder Ideologeme und Moden werden über den Mythenbegriff aufgewertet. Implizit oder explizit wird der Begriff als Prädikat für einige wenige strukturelle Elemente gedacht, die anders sind als der Rest formaler Struktur, nämlich nicht real, funktional oder rational, sondern ideologisch. Der grundlegende Gedanke des Neo-Institutionalismus, dass Organisationen in sich Ergebnisse institutioneller Prozesse sind, dass sie im Grundsatz und nicht in Ausnahmen durch soziale Erwartungen und nicht

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durch technische Zwecke strukturiert sind, wird damit ausgehebelt; die funktionalistische Vorstellung rationalen Organisierens kommt so durch die Hintertür wieder in das Theoriegebäude hinein. Mythos als normatives Narrativ Neben diesen eher normativen Verwendungen gibt es Ansätze, Mythen konzeptionell stärker an die ursprüngliche Formulierung bzw. an die Verwendung Meyers (2005) in der world polity-Forschung anzuknüpfen. In dieser Lesart werden vor allem zwei Elemente betont, die bereits bei Meyer und Rowans Referenz auf Ellul (1964) zu finden sind. Mythen werden als institutionalisierte Narrative der Weltdeutung und Weltgestaltung in einer säkularisierten Welt vorgestellt, in welcher sie religiöse Orientierung ersetzen: »Myths are not false accounts or understandings, but deep-seated and definitive descriptions of the world that ontologically ground the ways in which we frame and see the world around us« (Christensen/Cornelissen 2015: 132; vgl. auch Nilsson 1996; Schriewer 2014). Damit wird die Bedeutung des sense making von institutionalisierten Modellen betont. Tolbert (1988) präzisiert, dass Mythen die von ihnen begleiteten institutionalisierten Praktiken ex post deuten, legitimieren und vor allem ihnen eine funktionale Bedeutung zuweisen: Mythen »›explain‹ the way in which activities are linked to specified, appropriate organizational objectives« (Tolbert 1988: 103). In dieser Lesart müssen Institutionen, um reisen zu können, Mythen produzieren, die zu übergeordneten Deutungshorizonten (»interpretative frameworks«, ebd.: 105) passen und in ihnen sinnhaft erscheinen. Der normative Gehalt des Mythos wird dabei hervorgehoben (vgl. ebd.). »Der Mythosbegriff [...] wird üblicherweise auf Vorstellungsgehalte appliziert, denen damit auch ein besonderer Wert in der moralischen Dimension der institutionellen Ordnung zugesprochen wird« (Meier 2009: 51). Die Normativität reicht bis hin zu einer Naturalisierung: »Myths are narratives which make institutions appear proper, adequate, rational, necessary, and, I would add, natural« (Rottenburg 1996: 236). Der Mythenbegriff wird hierbei auch verwendet, um die Hegemonialität spezifischer Deutungsmodelle zu unterstreichen und sie z.B. gegen Fiktionen oder Narrative abzugrenzen, die keinen Anspruch auf moralische »Unhinterfragtheit« haben (Meier 2009: 51). In dieser Lesart von Mythen als normative Narrative bestehen Institutionen (z.B. die Ehe oder das Kaffeetrinken) sowohl aus Skripten, an denen sich Handlungen orientieren, beispielsweise wenn es darum geht, das Zusammenleben als Paar zu gestalten oder den Frühstückstisch zu decken. Zum anderen bestehen sie aus Deutungen, die diese Handlungsmuster begleiten, z.B. wenn die »Homo-Ehe« als Angriff auf die Zweige-

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schlechtlichkeit interpretiert wird, oder wenn die Einladung zum »Kaffeetrinken« ein unverbindliches privates Gespräch unabhängig von der Getränkewahl meint. Damit wird bei Tolbert (1988) verständlich, inwiefern Mythen institutionalisiert sind, ohne den Institutionenbegriff zu verwässern. Weiter ausgearbeitete Konzepte des Mythenbegriffs in der Soziologie finden sich in der Regel ohne Verbindung zum Neo-Institutionalismus (z.B. Bowles 1989; Weyand/Büttner 2016). 2 Eine Ausnahme bilden Herzog und Abel (2009), welche Meyer und Rowans Ansatz in eine kulturwissenschaftlich fundierte Diskussion von Mythen und »rational technique« im Thema Gehalt und Entlohnung einbeziehen. Mythen haben hier vor allem die Funktion (sakrale) Werte und abstrakte Haltungen auf eine konkrete, bildhafte Weise so zu kommunizieren, dass sie sowohl emotional ansprechend, als auch leicht verständlich und in der Lage sind, Ideen, Begriffe und Ereignisse zu transportieren, die sich der alltäglichen Erfahrung entziehen. Wie eine solche kulturwissenschaftliche Deutung für den Neo-Institutionalismus nutzbar gemacht werden kann, wird im Folgenden ausgeführt. Mythen als Aussagen Roland Barthes’ Mythen des Alltags Um die oben genannten offenen Fragen bei Meyer und Rowan zu beantworten, nämlich wie Mythen soziale Ziele in technische Ziele und Gesellschaft in Organisation verwandeln, welche Art institutionalisierter Regeln als Mythen fungieren und wie in Rationalitätsmythen Ziel und Mittel zusammen definiert werden, reichen die bisherigen Ansätze im Neo-Institutionalismus nicht aus. Die zuletzt genannte Lesart, welche Mythen als Deutungsmuster versteht, weist wichtige Elemente für eine Konzeption des Mythos auf. Mit Roland Barthes’ (1964) in den Kulturwissenschaften weit verbreitetem Ansatz lässt sich der Mythenbegriff so fassen, dass er auch die säkularisierte Gestalt des Sakralen der heutigen Welt beschreibt. Es ermöglicht uns zu verstehen, wie der Widerspruch zwischen dem

2

Die meisten Mythen-Konzepte finden sich in den Kulturwissenschaften. Hier wird unter dem Terminus eines rationalisierten Mythos die Einpassung eines Mythos in einen anderen Text oder Kontext verstanden, z.B. wenn ein Mythos in eine andere Sprache übersetzt, verschriftlicht oder in eine andere Religion überführt wird (vgl. u.a. Doty 2000; Hawes 2014; Hollinger/Capper 1989). Diese Verwendung des Begriffs »rationalisiert« hat jedoch keine Erklärungskraft für die Konstruktion des Rationalitätsglaubens in und über Organisationen.

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Sakralen und dem Profanen im Mythos zu einer Einheit amalgamiert und dabei zugleich in einem instabilen Gleichgewicht besteht. Für Roland Barthes besteht jede Aussage in einer dreiteiligen Struktur: Einem Bedeutungsträger, einem Bedeuteten und einem Zeichen. Der Bedeutungsträger ist die Form (im Sinne Simmels 1908) oder das Objekt (im Sinne von Czarniawska/Joerges 1996), in welchen sich der Inhalt oder die Idee manifestieren können und zusammen einen Sinn bilden. Der Sinn ist dabei stets von einem Publikum abhängig, welches ihn zu deuten versteht. Ähnlich dem Theorem von Thomas und Thomas und der Phänomenologie Alfred Schütz’ geht auch Barthes davon aus, dass die Dinge als die Bedeutung, die wir in sie hineinlegen, existieren. Bedeutung kann vor unterschiedlichen (kulturellen) Hintergründen verschieden sein. Mythen stellen nun Aussagen zweiter Ordnung dar, wobei sie sich nicht durch den Inhalt von anderen Aussagen, sondern durch die »Weise des Bedeutens« (Barthes 1964: 85) unterscheiden. Der Mythos nutzt eine bereits vollständige Aussage, einen bereits gegebenen Sinn, um damit eine neue Idee zu transportieren. Er degradiert diesen Sinn erster Ordnung zur Form, in der sich der neue Begriff ausdrückt und eine Botschaft in den Augen seines Publikums formt. Diese Botschaft ist der Mythos im engeren Sinne (vgl. Barthes 1964). Abbildung 1: Struktur des Mythos als Aussage zweiter Ordnung BOTSCHAFT Bedeutung des Mythos

FORM zweiter Ordnung

BEGRIFF

Zeichen Sinn erster Ordnung

Form

Idee / Inhalt

Inhalt

Betrachten wir organisationale Mythen finden wir den gleichen Aufbau. Am Beispiel der Überwachungskamera soll dies kurz verdeutlicht werden: Die Überwachungskamera besteht zunächst aus einer technischen Form (Videokamera) und einem Inhalt, genauer der Funktion, einen bestimmten Raum zu filmen.

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Im Mythos wird der Sinn der Überwachungskamera zu einer Form degradiert, in welche sich »Sicherheit« als neuer Begriff einschleicht: Ein Bahnhof, an dem keine Videoüberwachung eingesetzt wird, erscheint dann als unsicher, die Organisation damit als nachlässig, das Handeln der Verantwortlichen als unverantwortlich. Die Überwachungskamera muss, um die Botschaft der Sicherheit vermitteln zu können, aber nicht einmal filmen können: Auch Kameraattrappen werden als Mittel zur Herstellung von Sicherheit verkauft. Das Zeichen, also der eigentliche Sinn, ist degradiert und von seiner ursprünglichen Funktion entleert. Es ist nicht seine ursprüngliche Form, hier die Form der Kamera, die wie ein James BondGadget verwendet wird, indem z.B. eine Waffe als Kamera getarnt wird, sondern der Sinn, d.h. das Monitoring eines Bereichs, wird zur Form, dessen sich der Mythos bedient. Deswegen ist nicht einmal mehr eine Kamera nötig; ein Schild genügt, auf dem Videoüberwachung bekundet wird, um den Begriff der Sicherheit aufzunehmen und die Botschaft des Mythos zu transportieren. In manchen der eingangs aufgeführten Verwendungen wird ein Mythos als window dressing, entkoppelt vom »realen« Alltag, verstanden. Stattdessen lässt sich mit Barthes’ Konzept nun zeigen, dass innerhalb der Struktur des Mythos eine Entkopplung angelegt ist. Die gegenläufige Dynamik in dem Verhältnis von Zeichen und Mythos kann neo-institutionalistisch als Entkopplung zwischen beiden verstanden werden: Ganz Mythos ist der Mythos nur in dem Moment, in dem die Geschichte des Zeichens, seine ursprüngliche Bedeutung und sein Ursprungskontext entkoppelt sind. An anderer Stelle habe ich gezeigt, wie sich diese innere Entkopplung im Rationalitätsmythos »Gleichstellungspolitik« auswirkt (vgl. Hericks 2011, 2017). Dabei kann er zwar eine weitere Entkopplung von Mythos und Alltag erleichtern und aufgrund seiner ambivalenten Struktur eine enge Kopplung erschweren, muss es aber nicht! Zeichen Das Zeichen, der Sinn des ersten Bedeutungssystems, ist selbstgenügsam, weil es schon eine vollständige Aussage ist. Das Verhältnis des Zeichens zum Mythos ist zwiespältig. Einerseits wird die selbstgenügsame Bedeutung von dem neuen Begriff und einer dadurch entstehenden neuen Bedeutung verdrängt. Die Idee erster Ordnung ist für das Bedeutete zweiter Ordnung nicht mehr wichtig. Die Gründe, aus denen Hewlett und Packard ihre Werkstatt in einer Garage anstatt in einem Keller hatten, mögen die beiden intensiv beschäftigt haben; für den Mythos vom Silicon Valley sind sie irrelevant. Der Mythos reduziert das Zeichen auf »markante Grundtatsachen« (Wiesenthal 1996: 567), beispielsweise auf den Unternehmensstart mit improvisierter Werkstatt. Das Zeichen wird also von sei-

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ner Komplexität entleert und muss dann – wie die Überwachungskamera oder die Garage – ein klares und einfaches Bild sein, denn in einem Zeichen, das selbst Deutungen, Kontext, Erklärungen oder Bedienungsanleitungen braucht, kann sich der Mythos nicht entfalten (vgl. Barthes 1964). Andererseits braucht der Mythos die Bedeutung erster Ordnung, auch wenn er sie verdrängt. Das Zeichen hat seine eigene Geschichte und eine eigene Wirklichkeit, die von dem mythologischen Begriff unabhängig ist: »Der Sinn ist bereits vollständig, er postuliert Wissen, eine Vergangenheit, ein Gedächtnis, eine vergleichende Ordnung der Fakten, Ideen und Entscheidungen« (Barthes 1964: 96f.). Der Mythos deformiert bzw. entfremdet den Sinn der ersten Aussage; er zerstört ihn aber nicht: »Der Sinn verliert seinen Wert, aber er bleibt am Leben, und die Form des Mythos nährt sich davon. Der Sinn ist für die Form wie ein Vorrat an Geschichte, wie ein unterworfener Reichtum, der in raschem Wechsel zurückgerufen und wieder entfernt werden kann. Die Form muss unablässig Wurzeln im Sinn fassen und aus ihm sich mit Natur nähren können, und insbesondere muss sie sich in ihm verbergen können. Es ist dieses unablässige Versteckspiel von Sinn und Form, durch das der Mythos definiert wird« (Barthes 1964: 98).

Der Mythos braucht diese Geschichte und seine Einbettung in soziale Prozesse und Vorstellungen, welche die Wirklichkeit des Zeichens ausmachen. Die Firmengründung in der Garage darf keine Koketterie, die Garage keine Staffage gewesen sein. Nur durch die Selbstgenügsamkeit, den Eigensinn in der ersten Ordnung kann das Zeichen dem Mythos Authentizität oder, wie Barthes sagt, »Natur« verleihen. Das Zeichen ist deswegen etwas gänzlich anderes als ein Symbol. Ein Symbol ist nicht selbstgenügsam. Ein WC-Symbol beispielsweise muss substantiiert werden durch das, worauf es verweist. Befindet sich hinter der Tür keine Toilette, ist das Symbol bedeutungslos, sogar ärgerlich. Während das, worauf das Symbol verweist, konkret ist, ist das Symbol selbst abstrakt. Für das Zeichen gilt das Gegenteil: Es muss selbst konkret sein. 3

3

Es liegt nicht unbedingt im Ding an sich, ob es Symbol oder Zeichen ist. Ein Ampelmännchen ist in aller Regel nur ein Symbol, das Bedeutung erhält, indem es uns mitteilt, ob wir gehen dürfen oder stehen bleiben müssen. Es ist daher auch egal, wie es aussieht, solange der Verweis erkennbar ist. Um als Mythos zu fungieren, muss das Berliner Ampelmännchen dagegen in seiner ganz spezifischen konkreten Gestalt vorliegen. Nur dann kann es auf T-Shirts oder als Gummibärchen die Botschaft »so ist Berlin« versinnbildlichen. Dort fungiert es aber gerade nicht als Symbol, weil uns ein

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Das Zeichen des Mythos ist also konkret und voller Geschichte und hat so Authentizität und Offensichtlichkeit, aber zugleich wird es im Mythos seiner Komplexität und Fülle beraubt und seine Bedeutung durch den Mythos ersetzt. Der Computer, der Tempelberg, der Tabernakel oder die Formel e=mc2 sind Paradebeispiele: Sie sind konkret in einfachen klaren Formen. Sie sind im Büro, in Jerusalem, der Kirche oder der Physik exponiert platziert und so überaus offensichtlich. Sie haben Geschichtlichkeit und Geschichten, die sich um sie ranken. Der Innenraum dieser Dinge ist zugleich jedoch nur (Ein)Geweihten vorbehalten und für Laien undurchdringbar bzw. unzugänglich. Dadurch kann sich der Mythos ihnen regelrecht als Offenbarung des Innenlebens darstellen. Begriff Da das Zeichen konkret ist, kann es nicht wie das Symbol auf etwas Konkretes, sondern nur auf einen abstrakten Begriff verweisen. Der Begriff besteht als »formlose, unstabile, nebulöse Kondensation« (Barthes 1964: 99), die erst im Mythos durch die Form konkretisiert wird. Aufgrund seiner Abstraktion muss er sich quasi parasitär der Konkretion bedienen und nur, weil er abstrakt ist, kann er das auch. Der Mythos ist definiert durch diesen Inhalt und kann aus vielen Zeichen wählen, um sich einzunisten: Sicherheit kann sich beispielsweise nicht nur in der Videoüberwachung, sondern genauso in Alarmanlagen, dem elterlichen Arm, Mauern, Versicherungen oder im Notgroschen ausdrücken. Der neue Inhalt bringt seine eigene Geschichte, seine eigene soziale Aufladung und Einbettung mit und reichert die bestehende Aussage mit ihr an. Die neue Idee bzw. der Begriff stellen das »Motiv« dar, »das den Mythos hervortreibt« (ebd.: 98). Es war nicht die technische Innovation, welche den Mythos des Internets hervorbrachte, sondern die Idee einer weltweiten Verbundenheit. Nur sie konnte die Botschaft vermitteln, dass die individuellen Schranken eingerissen und wir virtuell grenzenlos seien. Wenn der Inhalt das Publikum nicht ansprechen kann, kann der Mythos seine Botschaft nicht entfalten. Botschaft Die Botschaft des Mythos stellt den Mythos im engeren Sinn dar. Er ist zugleich Botschaft und soziale Tatsache; er ist Deklarativ und Imperativ. Einerseits wird der Mythos durch den Rückgriff auf die Geschichtlichkeit des Zeichens eine soziale Tatsache, die auf einer historischen Faktizität aufbaut, die für den Mythos sprechen kann. Die Anreicherung der Form mit der Geschichte des Sinns und

grünes Gummibärchen nicht auffordert, die Straße zu überqueren. Es sagt vielmehr: »Sei cool, sei Berlin!«.

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dessen »Natur«, d.h. dessen offensichtlicher Evidenz und sozialer Selbstverständlichkeit, macht die Überzeugungskraft des Mythos aus (vgl. Barthes 1964). Die Offensichtlichkeit bringt aber nicht nur Evidenz hervor, sie ermöglicht auch eine Unmittelbarkeit, die in anderen Konkretisierungsformen abstrakter Begriffe wie z.B. in Definitionen, Erläuterungen oder Predigten nicht möglich ist. Die Unmittelbarkeit des Erlebens entlastet von der kognitiven Durchdringung, vom Nachdenken und Verstehen und suggeriert, dass die Aussage des Mythos selbstverständlich (im Wortsinn) ist. Für gewöhnlich erwarten wir für abstrakte Begriffe wie »Sicherheit« eine ausführliche Erläuterung. Der Mythos dagegen erspart uns das, indem er den Begriff einfach versinnbildlicht. Politiker nutzen beispielsweise Mauern oder Videoüberwachung, Begrenzung des Familiennachzugs oder das Abschalten von Atomkraftwerken als solche Mythen der Sicherheit. Dies simplifiziert, konkretisiert und substantiiert den Begriff Sicherheit gleichermaßen. Für die Funktion als Botschaft muss der Mythos mehr als eine soziale Tatsache sein; er muss eine moralische Tatsache (im Sinne Garfinkels 1967) werden, indem die Botschaft einen Wert beinhaltet. Die Botschaft will etwas in ihrem Publikum bewegen. Sie ist nicht nur der Gegenstand, der sich dem sense making anbietet, sondern fordert ein meaning making. Anders gesagt, sie will nicht nur verstanden sein, sondern fordert das Publikum auf, der mythischen Aussage Raum und somit Bedeutung im eigenen Leben bzw. Denken zu geben. Der Mythos ist dabei noch mehr von dem jeweiligen Kontext abhängig als eine Aussage erster Ordnung. Kaum jemand würde widersprechen, dass die Bedeutung einer Kamera das Filmen ist. Aber der Mythos Videoüberwachung kann von verschiedenen politischen oder kulturellen Perspektiven unterschiedliches sense making und damit eine unterschiedliche Bewertung erfahren: Manchen mag er eine friedliche und sichere Zukunft verheißen, für andere der apokalyptische Reiter einer Welt wie in George Orwells 1984 sein, für wieder andere ein Zeichen von technischem Fortschritt und Automatisierung. Im meaning making dagegen hat der Mythos eine eindeutige Bedeutung, welche die Kamera an sich nicht hat. Dies zeigt sich in seiner Handlungsaufforderung. Vor einer einfachen Kamera mögen sich manche animiert fühlen zu blödeln oder zu posieren, andere dagegen dazu auszuweichen und wieder andere zu gar nichts. Vor einer Überwachungskamera ist die Aufforderung für alle gleich und sie ist moralisch: Benimm Dich!

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REKONZEPTUALISIERUNG VON RATIONALITÄTSMYTHEN Einbettung des Barthes’schen Modells in den Neo-Institutionalismus Die analytische Aufschlüsselung der Struktur des Mythos nach Barthes erlaubt die organisationssoziologische Weiterführung des Konzepts als normatives Narrativ (vgl. u.a. Tolbert 1988; Rottenburg 1996; Meier 2009). Barthes’ Mythenkonzept ermöglich über die bisherige Diskussion hinausgehend, die oben gestellten Fragen zu beantworten: Wie entsteht in Rationalitätsmythen die paradoxe Gleichzeitigkeit von Profanität und Sakralität? Wie werden diesen Narrativen Zweck-Mittel-Relationen und damit Zweckrationalität zugeschrieben? Und wie können wir das Identifizieren eines sozialen als technisches Ziel verstehen? Zum Verständnis dessen, was hier »Rationalität« im Rationalitätsmythos heißen soll, wird auf die drei Dimensionen nach Weber (1922) zurückgegriffen und auf den Mythos angewandt: Rationalität besteht damit erstens als eine im Mythos konstruierte Zweck-Mittel-Kausalität, die in der Botschaft eine Aufforderung zu rationalem Handeln in Form von »tu dies, um zu« darstellt. Dabei ruft sie zum einen wertrationales Handeln ab, insofern der Begriff eine Aufladung des Mythos mit Wert leistet, aber auch zweckrationales Handeln durch die Verwandlung eines sozialen in ein technisches Ziel. Rationalisierung findet sich zweitens als rationalisieren ex post in der Theoretisierung der Narrative wieder, die als Legitimationsmoment die Geschichte des Zeichens abruft und aus ihr eine logische und systematische Erzählung verfasst. Drittens wird der Rationalitätsmythos über die transzendentalen Begriffe an die world polity und damit an den (westlichen) Rationalismus als symbolische Sinnwelt angeschlossen. Letzteres nimmt Bezug auf die makrosoziologische Verwendung des Mythenbegriffs bei John Meyer und Kolleg*innen. Der zentrale Anknüpfungspunkt hierfür ist die Barthesche Konzeption des Begriffs. Beim Beispiel der Überwachungskamera ist es der Begriff »Sicherheit« und bei der Garage von Hewlett und Packard die »Innovation« bzw. der »Erfindergeist«. Solche abstrakten Ideen, die das Motiv des Mythos ausmachen, können wir neo-institutionalistisch in denjenigen Chiffren finden, welche von Meyer, Boli und Thomas (2005 [1987]) als die transzendentalen Begriffe der world polity ausgemacht wurden: Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden, Fortschritt, Transparenz, Sicherheit, Gleichheit, Verantwortung, Handlungsfähigkeit, Rationalität usw. Sie ersetzen in der modernen säkularisierten, entzauberten Welt die »letzte Quelle des Heiligen« (ebd.: 40). Die transzendentalen Begriffe sind vor allem insofern heilig, als sie unmittelbar an-

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gebunden sind an den Fixpunkt des weltanschaulichen Horizonts, den modernen Nachfolger Gottes, den Menschen bzw. das Individuum, 4 durch den sie normativ aufgeladen werden. Dabei sind diese Begriffe jenseits unserer Erfahrungswelt und zugleich die Grundpfeiler der Rationalisierung von Weltbildern, Institutionen und Lebensführung. Sie bilden die unbegreifbaren »ontologischen Strukturen der world polity« (ebd., Herv. i.O.) und sind Verheißungen des Paradieses: eine Welt, in der alles gerecht, friedlich und gleich ist, in der alle Menschen frei und sicher sind, in der Akteure rational und verantwortlich handeln und in der sich der Lauf der Menschheitsgeschichte zum Besseren hin bewegt. Das bedeutet, sie stellen uns eine ideale Weltordnung vor und definieren eine Weltzeit, die als lineare Entwicklung gemäß dem Ideal des Fortschritts imaginiert ist (vgl. ebd.; Weyand/Büttner 2016). Die transzendentalen Begriffe bedürfen der Konkretisierung z.B. in der Formulierung von wissenschaftlichen Erläuterungen, Rechtstexten, Epiphanien, Predigten oder dergleichen. Der Mythos bietet eine Form der Konkretisierung, in der die abstrakten Begriffe sichtbar, wahrnehmbar und real erscheinen. Indem die transzendentalen Begriffe sich im Mythos realisieren, verbindet sich unsere Erfahrungswelt – die Offensichtlichkeit, Faktizität und empirische Fülle (Sinn, Geschichte, Materialität) des Zeichens – mit der letzten Quelle des Heiligen, den transzendentalen Begriffen. Dadurch werden zum einen die transzendentalen Begriffe real, greifbar, einleuchtend und selbsterklärend. Die world polity wird in diesem Momentum offensichtlich und wirklich. Der Mythos fungiert hier als Hierophanie, als Manifestation des Heiligen. In ihm scheint sich das Heilige zu offenbaren und wird so in unsere Erfahrungswelt hineingeholt (vgl. auch Eliade 1990 [1957]). Zugleich dienen Mythen der Überschreitung der Grenzen unserer Erfahrungswelt (vgl. Weyand/Büttner 2016), indem diese in Bezug zu dem Jenseitigen gesetzt wird: Der Mythos weist uns und unserem Hier und Jetzt einen Ort und Zeitpunkt in der world polity, der Weltordnung und Weltzeit zu und zeigt uns, wo wir in Hinsicht auf das paradiesische Endziel stehen. Nur durch ihre konkretisierte Gestalt können wir auf die Zielorientierung hin Vergleiche an-

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Der Mensch bezieht sich hier auf das Gattungswesen. Meyer und Kolleg*innen machen an verschiedenen Stellen darauf aufmerksam, dass das Individuum als Nachfolger Gottes fungiert. Da aber der Begriff Individuum sich auch auf Tiere bezieht, und der neue Fixpunkt sich in Chiffren wie Menschlichkeit, Menschenrechte und Menschenwürde niederschlägt, halte ich dies aktuell für die präzisere Formulierung. Inwiefern sich das auch auf das tierische Individuum ausdehnen wird, bleibt abzuwarten. Zu anderen Primaten gibt es hier schon eine Diskussion (Great Apes Project), zu Stechmücken ist mir jedoch nichts bekannt.

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stellen. Beispielsweise lesen wir am Bruttosozialprodukt ab, wo Nationen in Hinsicht auf Lebensstandard und Wachstum stehen und wie weit der Weg bis zum Paradies noch ist. Wir lesen am CO²-Fußabdruck ab, wo Produkte oder Organisationen in Hinsicht auf die Rettung des Klimas stehen und sehen die Apokalypse nahen. Unabhängig davon, ob es sich um Ursprungs- (z.B. die HP Garage oder der Tempelberg) oder Endzeitmythen (z.B. die Mütterrente oder künstliche Intelligenz) handelt, ob letztere utopisch oder dystopisch erscheinen, können wir durch Mythen unserer Erfahrungswelt Sinn zuschreiben und uns in derjenigen institutionellen Ordnung verorten, an welcher sich das sense making orientiert. »Die zentralen kulturellen Mythen der modernen Gesellschaft [sind] diejenigen, die den Sinn und Wert der Gesellschaft selbst und ihrer Bestandteile definieren« (Meyer/Boli/Thomas 2005: 29). Das sense making funktioniert also nicht nur in eine Richtung: Wir deuten nicht nur die Welt durch den Mythos, sondern vielmehr verleiht der Mythos auch uns Bedeutung. Unsere Identität, unser Leben und unsere Erfahrung werden im Mythos scheinbar offenbart, d.h. hergestellt, und mit dem Heiligen aufgeladen, was für Organisationen noch notwendiger ist als für das ohnehin schon geheiligte menschliche Individuum. Rationalitätsmythos Produktivität Die bisherige theoretische Konzeption erfolgte auf den Schultern Roland Barthes’. Im Folgenden wird sie anhand eines empirischen Falles vorangetrieben. Es handelt sich dabei um einen für – mittlerweile praktisch alle – modernen Organisationen zentralen Rationalitätsmythos, der zunächst kurz skizziert werden soll. Der Rationalitätsmythos »Produktivität« entstand Mitte des 20. Jahrhunderts. Vor dem Hintergrund einer Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden rechtlichen Regulierung von Arbeitszeit wurde diese zu einem Faktor in Produktionsprozessen: Es entstand eine Idee von Leistung im sozialen Raum (vgl. Verheyen 2018), welche neue Mythen formte wie beispielsweise zu Beginn des 20. Jahrhundert den Taylorismus, das Efficiency Movement sowie den Fordismus (vgl. Ortmann 1995; Vahrenkamp 2013). Der Rationalitätsmythos der Produktivität nahm in den 1940er Jahren seinen Ausgang in den ökonomischen Wissenschaften (vgl. Clark 1940), erfuhr innerhalb eines Jahrzehnts einen wissenschaftlichen Boom und wurde bald auch politisch aufgegriffen wie beispielsweise ab Mitte der 1940er Jahre in der International Labour Organisation (ILO). Auf der International Labour Statisticians Conference, die 1949 in Genf stattfand, wurde der Paradigmenwechsel von Produktion zu Produktivität in der Messung von economic growth vollzogen. Der hierzu zwei Jahre später veröffentlichte Bericht beginnt

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mit folgenden Worten: »Mankind has always striven to obtain the maximum of satisfaction for the minimum of effort. In this desire for efficiency or productivity of effort originated the invention of primitive tools and of the most outstanding machinery of modern times« (International Labour Office 1951: 1). Das Zeichen, dessen sich der Mythos bedient, ist die Formel »output : input«, die hier den transzendentalen Begriff des Fortschritts aufnimmt. Fortschritt stellt den Raum und die Zeit außerhalb unserer Erfahrungswelt als eine rosige Zukunft dar; Produktivität als mit Fortschritt aufgeladener Mythos vermag es, uns konkret als Individuen in Raum und Zeit mit Blick auf dieses Paradies zu verorten: Der Produktivitätsmythos verortet »uns« zunächst einmal in der Weltordnung, indem er definiert, wer zu »uns« gehört, nämlich »mankind« – und nicht mehr wie zuvor nur die männlichen Industriearbeiter Europas (vgl. Hericks/Wobbe 2017). Über »mankind« wird »productivity« zugleich zu einer anthropologischen Konstante – sowohl im Sinne von Universalität als auch zeitlich – erklärt. Damit verortet uns der Produktivitätsmythos in der Weltzeit nicht nur an einem Punkt (»modern times«), sondern in einem Kontinuum von Beginn der Menschheit an (bis zu ihrem Ende). Der Mythos sagt uns, wo und was wir tun sollen und warum, indem er uns gleichzeitig in das Jetzt der (Arbeits-)Zeit und in die zukünftige Zeit setzt. »Nicht ihre [der Mythen, Anm.d.A.] tatsächliche Verortung im zeitlichen Fernhorizont im Sinne eines objektiv messbaren Abstandes, sondern das sich ihnen gegenüber manifestierende subjektive Zeitbewusstsein ist für die Qualität des Mythischen entscheidend« (Wodianka/Ebert 2016: 10). Zeit ist eine hochgradig bedeutsame Dimension des Mythos, aber gerade nicht als objektive Zeit. Auf einer allgemeinen Ebene lässt sich dies daran zeigen, dass die zeitliche Bedingtheit, d.h. die Geschichtlichkeit des Mythos gleichermaßen in dem Prozess verloren geht, in dem er neue relative Zeitstrukturen produziert (z.B. ein Zeitenende wie in apokalyptischen Mythen oder einen Zeitenbeginn wie in Schöpfungsmythen). Hier geht beispielsweise in dem Moment, in dem Produktivität zu einer anthropologischen Konstante erklärt wird, verloren, dass Produktivität ein vollkommen neues Konzept ist. 5

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Im Detail lässt sich dieses Verhältnis zur Zeit im Produktivitätsmythos daran erkennen, dass sie mit einer neuen Bedeutung aufgeladen wird: Arbeitsproduktivität richtet sich nicht nur auf das Verhältnis von Output zur Arbeitszeit in der Maßeinheit der »man-hour«, sondern auf die Zeit an sich. Freizeit und Arbeitszeit werden voneinander getrennt. Dabei werden sie beide jeweils zu einem kostbaren und knappen Gut. Das Individuum erhält – genauso wie auf anderen Vergleichsebenen der Betrieb, die Volkswirtschaft oder die Nation – eine Relation zu diesem Gut. Es ist verpflichtet, die

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Im Laufe der folgenden Jahrzehnte gibt es zwei Ausdehnungen des Mythos bei der ILO. Zum einen werden neben Fortschritt sukzessive weitere transzendentale Begriffe in den Mythos der Produktivität eingeschrieben: »[P]roductivity is now viewed increasingly as an efficiency and effectiveness concept, effectiveness being how the enterprise meets the dynamic needs and expectations of customers« (Tolentino 2002: iii). Und so wird Produktivität neben einem Maß für »economic growth« auch für »competitiveness, and living standards within a country« verwendet (ILO 2015b). Das Zeichen hat die Orientierung am Markt dagegen nicht aufgenommen. Als ein »Key Indicator of the Labour Market« (ILO 2015b) ist die Formel nach wie vor das Verhältnis von Output zu (Labour) Input. Der Mythos kann jedoch unabhängig von der Begrenztheit des Zeichens seinen Inhalt und damit seine Botschaft ausdehnen (für weitere Begriffe wie Entwicklung und Nachhaltigkeit vgl. Luebker 2014; Wignaraja 2002; Mwamadzingo/Chinguwo 2015). Zum anderen wird ab den 1980er Jahren Produktivität bei der ILO nicht nur als Messgröße verwendet, sondern auch als Anforderung an die Praxis gestellt. Hierzu wird beispielsweise ein Projekt in den Philippinen gestartet und es werden Trainings wie »WISE«, »WISE-R« (ILO 2009a; b), SEED-»Improve Your Business – People and Productivity« (ILO 2015a) und »Productivity improvement and the role of trade unions« (Mwamadzingo/Chinguwo 2015) entwickelt. In Verbindung mit der Ausdehnung des Bedeutungshorizontes von Produktivität verorten und definieren die Trainings ihre Teilnehmenden über den Mythos: »Once you know how to calculate the productivity ratio of your business, you can, for example, compare your productivity to that of other businesses. You can also track the change in your productivity over time (you can calculate it monthly or annually: is it going up or down?). If you find that your productivity has gone down, you will know that there is a problem that needs your attention« (ILO 2009a: 22).

Sie erhalten nun eine Zeitorientierung durch die Messung von Produktivitätssteigerung, die in dieser Form gerade für Kleinstunternehmer*innen oft neu ist (vgl. Vandenberg 2004). Sie erhalten eine Verortung im (ökonomischen) Raum, denn sie werden über Wettbewerb in ein Verhältnis zu anderen Unternehmen und über das ILO-Training in ein Verhältnis zu einem globalen »So-macht-man-das«, d.h.

Zeit zu nutzen oder zu genießen, aber nicht zu verschwenden, sondern gar zu »sparen«. Der Akkord, das Fließband (vgl. Ortmann 1995), management by objectives, »Getting Things Done«-Listen und viele andere Produktivitätsmythen schließen an diese Botschaft an.

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zur Welt und world polity gestellt. Und nicht zuletzt werden sie darüber zu »richtigen« Unternehmer*innen bzw. zu »richtigen« Gewerkschafter*innen gemacht. Bei Letzteren hebt der Einstieg in das Training auf Ziele und Zielgruppen der Gewerkschaft ab: »1.1 Facilitator introduce yourself then read: Trade unions are interested in productivity improvement because they believe that it is one effective way by which they can achieve their ultimate goal of enhancing the living standards of not only their members but the living standards of all workers and their families« (Mwamadzingo/Chinguwo 2015: 1).

Die Unternehmer*innen sollen bei Betriebsbesichtigungen in allen Phasen des Trainings auf einer Checkliste Vorschläge für Produktivitätssteigerung machen. Damit soll ihnen verdeutlicht werden, dass sie bereits »echte«, d.h. auf Produktivitätssteigerung orientierte Unternehmer*innen sind und immer mehr werden. 6 Ziel und Mittel und die Wandlung von sozialen in technische Ziele Gehen wir zurück zu den eingangs erläuterten Charakterisierungen von Rationalitätsmythen nach Meyer und Rowan, können wir mit diesem Modell erklären, wieso es ein grundsätzliches Merkmal von Rationalitätsmythen ist, dass sie erstens Mittel und Ziel zugleich definieren und dass sie zweitens Gesellschaft in Organisation verwandeln. Das Zeichen (sei es die Überwachungskamera, die Hewlett-Packardsche Garage oder Produktivität) stellt sich als Mittel dar, während die transzendentalen Begriffe als (utopisches) Ziel aufscheinen. Im Mythos fallen sie in eins, sind eine untrennbare Einheit von Form und Begriff und nicht zwei voneinander unterschiedene Elemente. Die Messung von Produktivität ist über die Formel Output/Input identisch damit, das Unternehmen zu verstehen: »to find out what your present productivity is – how well your business is doing« (ILO 2009a: 22). Mehr noch – zu messen ist bereits damit identisch, Wachstum zu fördern: »To support the growth of your business, it is important to be able to analyze how your business is performing« (ebd.: 21, Herv. d. A.). Diese Gleichzeitigkeit von Ziel und Mittel ist gerade keine logische, ihr Zusammenhang ist nicht kausal oder zwingend, da Begriff und Zeichen nicht notwendig zusammengedacht werden müssen. Besonders offensichtlich zeigt sich

6

Vgl. »to show the trainers’ respect for the participants' knowledge and experience« (ILO 2009b: 15); »The host entrepreneurs should be proud of explaining their previous efforts in improving productivity and working conditions« (ebd.: 88).

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das darin, dass auch das Stillen ihrer Kinder durch Mitarbeiterinnen mit der Ankündigung »the advantages of breastfeeding for your business« in den Produktivitätsmythos eingepasst wird (ILO 2009a: 143). Die Barthes’sche Struktur zeigt uns also, dass die Gleichzeitigkeit von Mittel und Ziel davon abhängig ist, dass das Publikum das Zeichen erster Ordnung in einer zweiten Ordnung als Form zur Materialisierung des Begriffs anerkennt. 7 Abbildung 2: Einheit von Mittel und Ziel und die Verwandlung von Gesellschaft in Organisation Verwandelt soziales in technisches Ziel BOTSCHAFT Bedeutung des Mythos

Mittel:

Ziel:

Output Produktivität = Input FORM

Fortschritt

BEGRIFFEntwicklung

zweiter Ordnung Zeichen Sinn erster Ordnung

Form

Wettbewerbsfähigkeit Idee / Inhalt

Inhalt

Während Ziel und Mittel auf der Ebene von Begriff und Form angesiedelt sind, ist die Frage, inwiefern Mythen ein soziales Ziel als ein technisches identifizieren, auf der Ebene der Botschaft anzusiedeln. In der Botschaft bilden Mittel und Ziel nicht nur eine untrennbare Einheit, ihre Charakteristika verschmelzen: Das

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Ein Gesetz, ein Werkzeug, ein Managementtool usw. können durchaus reine Mittel sein, von denen das anvisierte Ziel getrennt erscheint. Z.B. soll die Tabaksteuer dazu dienen, die Menschen vom Rauchen abzuhalten. Das Ziel und das Mittel erscheinen jedoch in der Tabaksteuer nicht als untrennbare Einheit. Das Mindestlohngesetz dagegen kann beides sein: Es kann von manchen als Mittel verstanden werden, das dazu dienen soll, die Armut zu senken, was sich über entsprechende statistische Daten überprüfen lässt. Dann sind Mittel und Ziel voneinander getrennt. Andererseits kann das Gesetz an sich als Akt sozialer Gerechtigkeit verstanden werden. Hier erscheinen Ziel und Mittel untrennbar. Das Mindestlohngesetz ist dann ein Mythos, der Gerechtigkeit versinnbildlicht.

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Soziale bzw. das Sakrale des Begriffs amalgamiert mit dem Technischen bzw. dem Profanen der Form, wie die Hostie zum Leib Gottes und dieser somit essbar wird (vgl. Eliade 1990). Durch dieses Verschmelzen ist der Rationalitätsmythos eben nicht nur ein soziales Ziel hinter der »Fassade« eines technischen Zieles, sondern mit sich selbst in beiden Gestalten identisch – hier eben nicht als Christus in Brot und Wein, sondern als Organisation in sozialer und technischer Gestalt. Die häufig in der Forschung verwendete Differenzierung zwischen funktionalen und damit »objektiv rationalen« Strukturelementen einerseits und irrationalen und damit mythischen andererseits trägt hier nicht. Der Mythos verkörpert den Anspruch auf organisationale Rationalität genauso glaubhaft wie der Produktivitätsmythos das soziale Ziel der Steigerung des Lebensstandards verkörpert. Ein besonders offensichtliches Beispiel für das Verwandeln von sozialen in technische Ziele findet sich in den Produktivitätstrainings der ILO. So wird beispielsweise in den Trainings »WISE-R« zunächst den teilnehmenden Klein- und mittelständischen Unternehmern erklärt, dass ihr Ziel die Produktivitätssteigerung sein muss, damit sie als Unternehmerinnen erfolgreich sein können. Anschließend folgt ein Modul zur Berechnung von Produktivität, bei dem gezeigt wird, dass die exemplarischen Schuhherstellerinnen auf verschiedene Weisen Produktivität steigern können, die nach langfristigen und zuverlässigen Vorgehen einerseits, kurzfristigen und unzuverlässigen andererseits unterschieden werden. Diese Unterscheidung erweist sich zugleich als eine moralische Trennlinie zwischen der Verbesserung von Arbeitsbedingungen gemäß ILO labour standards einerseits und Ausbeutung andererseits (ILO 2009a). Selbst-Legitimation von Mythen Die ambivalenten Verhältnisse im Zeichen (zugleich Form zweiter und Sinn erster Ordnung) sind wesentlich für die Gleichzeitigkeit von Sakralem und Profanem, von sozialem und technischem Ziel. Der Mythos kann immer wieder auf die Geschichte des Zeichens zurückgreifen, um sich als »technisch« auszuweisen, und sie wieder verdrängen, um sein heiliges Ziel in den Vordergrund zu rücken. Hierbei zeigt sich auch, inwiefern Mythen nun zugeschrieben werden kann, institutionalisiert zu sein. Folgen wir Berger und Luckmanns (1969) Institutionalisierungskonzept, an dem sich auch Meyer und Kolleg*innen orientieren, so schließt die Legitimation den Institutionalisierungsprozess ab und sichert soziale Ordnung. Im oben entfalteten Modell finden wir alle vier Ebenen der Legitimation. Die kognitive Legitimation zeigt sich bereits in der Nutzung eines bestehenden Zeichens als Form:

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Dessen Realität verleiht dem Mythos die Autorität des Faktischen. Die zweite Ebene, die Autorität des Guten, ist in der Aufladung mit Wert zu finden, die den Begriffen obliegt. Die vierte Ebene wird als die Einbindung in die symbolische Sinnwelt verstanden, welche hier als westlicher Rationalismus bzw. world polity charakterisiert wird. Bisher nicht thematisiert wurde die dritte Ebene: die Theoretisierung. In der reichen Geschichte des Zeichens liegt die Möglichkeit der Theoretisierung auf Abruf bereit. Im Rückgriff auf diese Geschichte, d.h. ex post, wird aus der history eine story geschaffen. Der geschichtliche Reichtum des Sinns wird in einer Weise gedeutet, die eine rationalisierte, kausale, logische Entwicklung suggeriert, an deren Ende scheinbar »urwüchsig« die Botschaft stehen musste. Die Stabilität des Mythos, seine Glaubwürdigkeit und sein Vermögen, Akteure zu konstituieren und zu legitimieren, basieren darauf, dass weder das Zeichen noch der Begriff infrage gestellt werden. Der Begriff darf nicht infrage gestellt werden, er ist heilig und daher tabuisiert. Für das Zeichen dagegen gilt dies nicht. Es darf infrage gestellt werden, kann aber auch mittels seiner Geschichte eine plausible Antwort liefern. Diese Theoretisierung über das Zeichen legitimiert und schützt den Mythos also genauso wie die Tabuisierung über den Begriff. Abbildung 3: Legitimation von Mythen

BOTSCHAFT Bedeutung des Mythos

Aufladung mit Wert Theoretisierung (Berger & Luckmann 1969) FORM

BEGRIFF Fortschritt

zweiter Ordnung

Output : Input Zeichen Sinn erster Ordnung Forschung, Operationalisierung und Messung von Produktivität seit 1940 Form

Entwicklung Idee / Inhalt

Wettbewerbsfähigkeit

Inhalt

Hier bedient sich die Theoretisierung Momenten, die wir als die Weberschen Grundprinzipien der Rationalisierung erkennen, welche von Müller folgendermaßen gefasst werden:

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»Jede etablierte soziale Ordnung, gleichgültig in welcher Sphäre […], funktioniert nach diesem Muster der Folgen von Rationalisierung: Differenzierung, Spezialisierung, Sachlichkeit, Unpersönlichkeit, Systematisierung, Intellektualisierung, Kalkulierbarbeit (also Rechenhaftigkeit wie Berechenbarkeit) und Vorhersehbarkeit« (Müller 2011: 52).

Dies wird wiederum in den Trainings der ILO deutlich. Die Legitimation des Mythos mittels Theoretisierung über das Zeichen kann auf die mathematische Formel von Produktivität zurückgreifen. An dieser Kalkulierbarkeit setzt der gesamte Mythos an. Die Expertenorganisation der ILO treibt allein mit der Entwicklung und Verschriftlichung dieser Trainings in den Handbüchern eine Szientifizierung, Systematisierung und Spezialisierung voran. Unpersönlichkeit und Sachlichkeit finden sich im zeitgemäßen Mantra des »So-macht-man-das«: »[I]t reflects the global recognition that the employees of a business are not only often a significant investment, but that their performance holds the key to the success of the business« (ILO 2009a: iii, Herv. d. A.). Auch hier zeigt sich, wie unterschiedlich Zeichen und Mythos in ihrem jeweiligen sense making und meaning making sind: Das Zeichen, die mathematische Formel von Produktivität, hat ein eindeutiges sense making, aber keine klare handlungsauffordernde Botschaft (meaning making). Der Mythos Produktivität hat dagegen eine eindeutige handlungsauffordernde Botschaft, nämlich Output zu erhöhen und Kosten zu senken, aber das sense making ist nicht eindeutig. In dem Gewerkschaftstraining zeigt sich z.B. ein anderes verbreitetes sense making: »There was a concern amongst protagonists that in the past trade unions were not so eager to support any programmes aimed at boosting productivity. This fear or disinterestedness amongst trade union activists could be justified because increased productivity at the enterprise level more often […] led to downsizing of the workforce« (André 2015: x).

Das Trainingshandbuch hierzu besteht daher primär aus Artikeln, in welchen ILO-Experten für Produktivität in wissenschaftlichem Duktus werben, hier also ausführlich Theoretisierung und Aufladung mit Wert betreiben.

FAZIT Dieser Beitrag zeigt, dass das Verständnis von Rationalitätsmythen als normatives Narrativ (vgl. u.a. Tolbert 1988; Rottenburg 1996; Christensen/Cornelissen 2015) in Verbindung mit Roland Barthes (1964) Ansatz für eine genauere Bestimmung des Aufbaus und der Wirkungsweise von Rationalitätsmythen frucht-

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bar gemacht werden kann: Mythen sind normativ, insofern sie über die transzendentalen Begriffe mit Wert bzw. mit Heiligkeit aufgeladen sind. Sie simplifizieren, konkretisieren und substantiieren die transzendentalen Begriffe und binden sie in unsere Erfahrungswelt ein. Sie bieten Deutungen der Welt und des Selbst an, sie verorten uns in Weltzeit und Raum und bieten Orientierung. Sie beinhalten eine handlungsauffordernde Botschaft, mit deren Hilfe das Paradies erreicht bzw. die Apokalypse vermieden werden kann, die aus einem Rezeptwissen besteht, das Mittel und Ziel benennt. Sie naturalisieren die Verbindung von Zeichen und Begriff, indem die Botschaft zugleich ein Deklarativ ist, welches ein soziales in technisches Ziel wandelt. Sie erscheinen nicht als vollständige Skripte, sondern als Narrative, welche Funktionalität herstellen: Sie können als solche normativen Narrative die verschiedenen organisationalen Bausteine in die Organisation einbinden, indem sie beispielsweise aus Personen Personal, aus Gebäuden ein Werk, aus Orten einen Standort oder aus Schriftsätzen einen Vertrag machen. Die widersprüchliche Gleichzeitigkeit, die in der ursprünglichen Formulierung angelegt ist, dass Mythen in ihren Zeichen säkular und in ihrem Begriff sakral sind und dass dies in der Botschaft verschmilzt, ist der Kern des Rationalitätsmythos und sein wissenssoziologischer Clou. Damit lässt sich verstehen, warum sich die Fragen nach Rationalität und Glauben nicht, wie häufig in der Rezeption zu finden, in die eine oder andere Richtung auflösen lassen. Der Rationalitätsmythos nimmt das soziale Konstrukt der Rationalität auf eine Art und Weise in sich auf, die keine bloße Fassade ist, was aber Organisationen auch nicht im Effekt rational macht. Wie bei der Wandlung der Eucharistie die chemische Zusammensetzung der Hostie und des Weins nicht verändert wird – selbst die hartnäckigsten Anhänger der Transsubstantiationslehre würden wohl kein Menschenfleisch essen wollen –, so werden Organisationen durch Rationalitätsmythen nicht rational. Aber gerade so, wie es eine Frage unerschütterlichen Glaubens ist, in der Hostie nichtsdestotrotz wahrhaft Christi Leib zu sich zu nehmen, so ist es eine Frage unerschütterlichen Glaubens, eine wahrhaftige, »objektive«, eben nicht sozial konstruierte Rationalität und Funktionalität zu erwarten, an der Organisationen gemessen werden können.

LITERATUR André, Maria H. (2015): »Foreword«, in: Mohammed Mwamadzingo/Paliani Chinguwo (Hg.), Productivity Improvement and the Role of Trade Unions. A Workers’ Education Manual, Geneva: ILO, S. x-xi.

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Rationalisierung und Individualisierung Wie Organisationen gesellschaftliche Werte verändern Nadine Arnold, Raimund Hasse und Hannah Mormann

EINLEITUNG Während in Politik und Gesellschaft teils hitzige Wertedebatten entflammen, stehen Werte nach wie vor nicht im Zentrum der neo-institutionalistischen Agenda. Im alten Institutionalismus war das noch anders, denn dort wurden Werte als wichtiger Bestandteil von Institutionen und institutionellen Prozessen konzeptualisiert (vgl. Selznick 1996; Stinchcombe 1997). Im Zuge der Entstehung des neuen Institutionalismus sind sie jedoch in den Hintergrund gerückt (vgl. Krüger 2017) – nicht zuletzt um dem Vorwurf des Normativismus auszuweichen (vgl. Weik 2018) und um allgemeine Entwicklungen in der sozialwissenschaftlichen Theorie in Richtung einer sogenannten kognitiven Wende aufzugreifen (vgl. DiMaggio/Powell 1991). Nichtsdestotrotz finden sich auch neuere Beiträge, die sich einer Auseinandersetzung mit Werten verschreiben. Diese rekurrieren entweder auf den alten Institutionalismus, um Werte als zentrales Element von institutionellen Phänomenen auszuweisen (vgl. z.B. Arnold/Soppe 2017; Kraatz/Flores 2015; Weik 2018), oder sie fokussieren aus der Perspektive institutioneller Logiken den Umgang mit möglicherweise widersprüchlichen Werten auf Organisations- und Feldebene (vgl. z.B. Greenwood et al. 2009; Kraatz/Block 2017; Pache/Santos 2013; Reay/Hinings 2009; Thornton 2002). Darüber hinaus hat auch die neoinstitutionalistische world polity-Forschung rund um John W. Meyer wichtige Erkenntnisse geliefert, wobei insbesondere die weltweite Ausbreitung kultureller Orientierungsmuster, wie beispielsweise Umweltschutz und Menschenrechte, empirisch nachgezeichnet worden ist (vgl. Meyer et al. 1997; Boli/Thomas 1997).

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Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, einen konzeptionellen Beitrag zum Verständnis der Transformation gesellschaftlicher Werte durch Organisationen auszuarbeiten. Dazu fragen wir in einem ersten Schritt, wie der NeoInstitutionalismus bislang gesellschaftliche Werte thematisiert hat. Im Anschluss und darauf aufbauend gehen wir der Frage nach, wie institutionentheoretische Konzepte für die weitere Untersuchung von Wertephänomenen mobilisiert werden können. Ausgangspunkt der Argumentation ist die für den Neo-Institutionalismus charakteristische Fokussierung auf Organisationen (vgl. DiMaggio/ Powell 1991; Greenwood et al. 2017). Wenngleich diese Konzentration auf Organisationsthemen eine Verengung des insgesamt breiteren Forschungsprogramms darstellt, ist der Neo-Institutionalismus durch diesen organisationswissenschaftlichen Schwerpunkt prädestiniert, das reflexive Zusammenspiel von Werten und Organisationen zu untersuchen. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt dabei die auch gesellschaftstheoretisch relevante Frage, wie und mit welchen gesellschaftlichen – also nicht nur organisationsinternen – Konsequenzen Organisationen Werte adressieren und bearbeiten. Grundlegend für unseren Beitrag ist eine bislang nicht vorgenommene Unterscheidung zwischen gesellschaftlichen Werten einerseits und universell geltenden Prinzipien des Organisierens andererseits. Diese begriffliche Unterscheidung basiert im Besonderen auf Ergebnissen der im neo-institutionalistischen Kontext entwickelten world polity-Forschung. Gesellschaftliche Werte wie Menschenrechte oder Umweltschutz werden demnach als Begründungen für die Herausbildung formaler Strukturen und für demonstrativ zur Schau gestellte Entscheidungen begriffen; Prinzipien hingegen stellen universelle Vorlagen des Organisierens dar, die eine Anleitung dafür geben, wie Organisationen mit einem potenziell breiten Spektrum an Werten und anderen gesellschaftlichen Erwartungen umgehen. Als dominante Prinzipien fungieren dabei Individualisierung und Rationalisierung, die in der world polity-Forschung umfassend beschrieben worden sind (vgl. Frank et al. 1995). Unser Vorschlag zur analytischen Unterscheidung zwischen gesellschaftlichen Werten einerseits und Prinzipien des Organisierens andererseits ermöglicht es, die Rolle von Organisationen bei der Umsetzung und Veränderung gesellschaftlicher Werte empirisch zu beschreiben. Das reflexive Zusammenspiel zwischen gesellschaftlichen Werten und Prinzipien des Organisierens illustrieren wir exemplarisch anhand des Diversity Managements. Wir beziehen uns wesentlich auf neo-institutionalistische Forschungsbeiträge zu diesem Fall (vgl. Dobbin 2009; Dobbin et al. 2015; Dobbin/Kalev 2013, 2017; Edelman et al. 2001; Hericks 2011), interpretieren sie jedoch neu, indem wir hervorheben, wie Organisationen die Werte der Fairness und Chancengleichheit auf der Grundlage von

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Rationalisierungs- und Individualisierungsprinzipien in ihre Strukturen und Arbeitsabläufe integrieren. Einen vorläufigen Schlusspunkt dieser Integration stellt die Transformation eines gesellschaftlichen Wertes in ein in vielen Organisationen etabliertes System von Kennzahlen und Indikatoren für das Controlling von Diversity Management dar. Der Beitrag ist folgendermaßen aufgebaut. Nachdem in Abschnitt 2 die Unterscheidung zwischen gesellschaftlichen Werten und Prinzipien des Organisierens erläutert worden ist, beziehen wir uns in Abschnitt 3 auf den genannten Fall des Diversity Managements. In Abschnitt 4 bilanzieren wir die erarbeitete Forschungsperspektive für den Neo-Institutionalismus und zeigen, inwiefern unser Vorschlag darüberhinausgehend einen Beitrag für die Soziologie des Wertens und Bewertens (vgl. Kjellberg/Mallard 2013; Krüger/Reinhart 2016; Lamont 2012) leisten kann.

GESELLSCHAFTLICHE WERTE UND ORGANISATIONSPRINZIPIEN – EINE GEGENÜBERSTELLUNG Werte oder »warum« Organisationen handeln Arbeiten über Werte referieren oft auf Max Webers (1980) Idealtypus wertrationalen Handelns. Wertrationales Handeln zeichnet sich demnach und im Unterschied zum zweckrationalen Handeln durch den Glauben an ethische, religiöse oder auch ästhetische Werte aus. Mögliche Nebenfolgen werden hierbei ausgeklammert. Während im zweckrationalen Handeln zwischen Zweck, Mittel und möglichen Nebenfolgen abgewogen und die bestmögliche Lösung gesucht wird, gelten Werte im wertrationalen Handeln als ein alles bestimmender Handlungsimperativ. Sie begründen und motivieren soziales Handeln und sind Ausdruck dafür, welchen Sinn Individuen, Gruppen oder auch Organisationen mit ihrem Handeln verbinden. Auch im alten Institutionalismus wurden Werte als Begründung für organisationales Handeln konzipiert. Es dominierte die Auffassung, dass Institutionen entstehen und überleben, weil sie über Werte verfügen, an die die Menschen glauben (vgl. Stinchcombe 1997). Eine zentrale Referenz ist Philip Selznicks Arbeit Leadership in administration (1957), in der Institutionalisierung als Prozess der Werteinfusion beschrieben wird. Führung wird hier sogar als Wertearbeit definiert und nicht an Positionen und Stellen an der Spitze einer Organisation festgemacht. Wenngleich unterbelichtet bleibt, wie sich der »process of value infusion« (vgl. Selznick 1957) konkret vollzieht, so die prominente Kritik von

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W. Richard Scott (1987: 495), soll Werteinfusion dort beginnen, wo die rein technische Seite der Organisation in Form von Messung und Buchführung endet (vgl. Hasse 2018: 202). Werte und technische Bewertungen stellen in diesem Sinne Gegensätze dar. Werte werden dabei als externer Treiber behandelt, der Organisationen zu spezifischen Institutionen werden lässt; sie erklären demnach, warum Organisationen so handeln, wie sie es tun. Die relativ frühe Kritik von Stinchcombe (1997), der zufolge der NeoInstitutionalismus den Stellenwert von Werten vernachlässige, ist in der jüngeren Vergangenheit vielfach aufgegriffen worden (vgl. Friedland 2017; Suddaby et al. 2010; Weik 2018). Diese Kritik war insofern berechtigt, weil die Schlüsselwerke des Neo-Institutionalismus dazu tendierten, die Wirkmächtigkeit normativer Bedingungen hintenanzustellen. Stattdessen standen kognitive Schemata und Fragen der Informationsprozessierung (vgl. DiMaggio/Powell 1991) sowie Grundüberzeugungen im Sinne von belief systems (vgl. Meyer/Rowan 1977) oder die taken for grantedness kultureller Muster (vgl. Zucker 1977) im Zentrum der Aufmerksamkeit. Kurzum, im Zuge der sogenannten kognitiven Wende in der Institutionentheorie sind Werte in den Hintergrund gerückt (vgl. Krüger 2017). Jedoch wurde Werten seit den 1990er Jahren wieder verstärkte Aufmerksamkeit zuteil – und zwar auch in theoretisch orientierten Beiträgen. Auffällig ist allerdings, dass dies nicht systematisch erfolgte. Ein Beispiel für die unsystematische Verwendung des Wertebegriffs bietet das Konzept der Legitimität. Legitimität ist eines der Schlüsselkonzepte im NeoInstitutionalismus. Suchman (1995) schlägt in seinem vielbeachteten Aufsatz Managing Legitimacy folgende Definition vor: »Legitimacy is a generalized perception or assumption that the actions of an entity are desirable, proper, or appropriate within some socially constructed system of norms, values, beliefs, and definitions« (Suchman 1995: 574).

Werte sind hiernach Bestandteil eines umfassenden, aber unspezifischen Bündels von Erwartungen, die Organisationen zu erfüllen haben, damit ihnen Legitimität zugesprochen wird. Was Werte konkret sind und wie Werte und andere Erwartungen sozial konstruiert werden, bleibt allerdings unbestimmt. Ähnlich verhält es sich im Konzept der institutionellen Logiken (vgl. u.a. Thornton et al. 2012; Thornton/Ocasio 1999). Hier lautet eine oft zitierte Definition von institutionellen Logiken folgendermaßen:

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»[…] the socially constructed, historical patterns of cultural symbols and material practices, assumptions, values and beliefs by which individuals produce and reproduce their material subsistence, organize time and space, and provide meaning to their daily activity« (Thornton/Ocasio 1999: 804).

Ohne weiterführende Präzisierung werden Werte neben einer Vielzahl anderer Begriffe aufgelistet. Mit kulturellen Symbolen, materiellen Praktiken, Glaubensüberzeugungen und Annahmen zählen sie zu einem sozial konstruierten Bündel an Verhaltenserwartungen, von dem angenommen wird, dass es Entscheidungen und Handlungen leitet und motiviert. Sowohl im Konzept der Legitimität als auch im Konzept institutioneller Logiken werden Werte gewissermaßen als externer Motor verstanden. Jüngere Arbeiten zu institutionellen Logiken nehmen sich der Identifizierung von unterschiedlichen Wertvorstellungen an und heben dabei ihre Widersprüchlichkeit sowie aber auch mögliche Formen des Kombinierens unterschiedlicher Logiken hervor (vgl. Kraatz/Block 2017; Reay/Hinings 2009). Von besonderem Interesse ist dabei, wie Organisationen unterschiedliche Erwartungen und Wertehaltungen miteinander in Einklang bringen (vgl. z.B. Greenwood et al. 2009; Pache/Santos 2013; Thornton 2002). Damit wird verständlich, dass Werte nicht (zwingend) von der ganzen Gesellschaft geteilt werden, sondern in bestimmten Kontexten dominieren, während ihnen in anderen weniger Relevanz zugeschrieben wird (vgl. Friedland/Alford 1991; Hitlin/Vaisey 2013). Die in der modernen westlichen Kultur etablierten Werte sind vielfältig. Sie umfassen beispielsweise Umweltschutz, Gerechtigkeit und Freiheit – sie alle erfahren breite Zustimmung und werden im Regelfall durch allgemeine rechtliche Grundlagen und besondere gesetzliche Regelungen (z.B. Umweltschutzgesetze, Anti-Diskriminierungsgesetze, Mitbestimmungsgesetze für Arbeitnehmer) gestützt. Anhand des Wertes der Freiheit wird jedoch deutlich, dass abstrakte Werte auf unterschiedliche Arten interpretiert werden können. So argumentieren Friedland und Alford beispielsweise, dass die »amerikanische« Interpretation von Freiheit negativ ist (»freedom from«), während die »kontinentaleuropäische« Interpretation positiv ist (»freedom to«) (Friedland/Alford 1991: 246). Mit Bezug auf Meyer und Rowan (1977) oder Brunsson (1989) wird oftmals argumentiert, dass gesellschaftliche Werte nicht in den operativen Kern einer Organisation vordringen, weil sie nur pro forma oder gar in heuchlerischer Absicht aufgegriffen werden (vgl. Hericks in diesem Band). Aufgrund eines intensivierten Glaubens an Kontrolle (vgl. Power 1997) und Transparenz (vgl. Strathern 2000) reagieren Organisationen auf gesellschaftliche Werte allerdings in einer Weise, die zumindest längerfristig weder für die Organisationen selbst

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noch für die Gesellschaft folgenlos bleibt (vgl. Bromley/Powell 2012), weil sie beispielsweise Trends in Richtung Individualisierung nicht nur aufgreifen, sondern auch verstärken und in eine bestimmte Richtung – vor allem in die der Selbstoptimierung – lenken. Werte existieren folglich nicht losgelöst von Organisationen, sondern Werte werden von Organisationen verarbeitet, geformt und umgestaltet. Im folgenden Abschnitt wird darauf eingegangen, wie das Zusammenspiel von Werten und Organisationen erforscht und in die neo-institutionalistische Forschungsagenda eingegliedert werden kann, wie es beispielsweise von Suddaby et al. (2010) programmatisch gefordert wird. Grundlage dafür ist jedoch keine Rückbesinnung auf Selznick und andere Vertreter des alten Institutionalismus, sondern eine Bezugnahme auf Grundlagen der world polity-Forschung, in der die Ausbreitung der Prinzipien der Individualisierung und Rationalisierung empirisch nachgezeichnet worden ist (vgl. Boli/Thomas 1997; Frank et al. 1995; Krücken 2005). Prinzipien des Organisierens oder »wie« Organisationen handeln Die world polity-Forschung, die sich seit Ende der 1970er Jahre innerhalb des Neo-Institutionalismus im Umfeld von John W. Meyer entwickelt hat, identifiziert Rationalisierung und Individualisierung als die dominanten Prinzipien, welche das moderne Denken und die kulturelle Ideologie prägen (vgl. Frank et al. 1995). In der world polity-Literatur werden zwar auch andere diffundierende Kulturmuster diskutiert, wie Universalismus, freiwillige Autorität oder Weltbürgerschaft (vgl. Boli/Thomas 1997) – diese scheinen sich jedoch in zweierlei Hinsicht von Rationalisierung und Individualisierung zu unterscheiden. Zum einen kennzeichnet Rationalisierung und Individualisierung eine Prozesshaftigkeit, die den anderen Kulturmustern fehlt. Zum anderen sind Rationalisierung und Individualisierung für Organisationen und ihr Handeln konstitutiv, wie Meyer und Bromley argumentieren: »The cultural principles of rationalized science and individual empowerment constitute organizations; firstly, by providing a basis for widespread purposive action in a growing array of substantive domains, and secondly, by providing a framework for structuring the relevant human activity« (Meyer/Bromley 2013: 374).

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Rationalisierung und Individualisierung lassen sich deshalb als allgemeine Prinzipien des Organisierens begreifen, die sich von spezifischen Werten unterscheiden. Die Prinzipien Rationalisierung und Individualisierung sind gemäß der world polity-Forschung Teile der Weltkultur (vgl. Boli/Thomas 1997) und bilden den Kern kultureller Zurechnungen (accounts), auf die beim Handeln rekurriert wird und auf deren Grundlage soziale Einheiten ihren Stellenwert beanspruchen (vgl. Meyer et al. 2005: 40). Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht hinterfragt werden und so die Operationalisierung von Werten leiten; sie begründen die Art und Weise, wie abstrakte Werte konkret umgesetzt werden. Prinzipien sind demnach Orientierungsmuster, wie etwas gemacht werden soll. Dies unterscheidet sie von Werten, welche soziales Handeln motivieren und begründen. Organisationen setzen sich beispielsweise für den Aufbau von fairen Handelsbeziehungen ein, um den Wert der Gerechtigkeit zu adressieren (»warum«) und entwickeln dafür komplexe Standards und Monitoringverfahren (»wie«) (vgl. Arnold 2019). Mit dem Fokus auf Prinzipien des Organisierens lässt sich herausarbeiten, wie Werte durch Organisationen bearbeitet und dabei auch verändert werden können. Die Prinzipien der Rationalisierung und Individualisierung beschreiben die vorherrschenden Modi der Verarbeitung von Werten in Organisationen. Rationalisierung, verstanden als unabgeschlossener und anhaltender Prozess, ist das Schlüsselthema der world polity-Forschung (vgl. z.B., Meyer et al. 1987; Meyer/Jepperson 2000). Sie wird von Jepperson mit explizitem Bezug auf Max Weber folgendermaßen beschrieben: »›Rationalization‹ refers to the idea, originating in Weber’s work, that European (later, world) society reflects the following fundamental cultural and institutional dynamic: (1) continuing efforts to systematize social life around standardized rules and schemes that explicitly differentiate and then seek to link means and ends […] (2) efforts to reconstruct all social organization […] as means for the pursuit of collective purposes, these purposes themselves subject to increasing simplification and systematization […]« (Jepperson 2002: 63).

Weber hat seine Rationalisierungsthese bekanntlich für unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche wie Wirtschaft, Recht, Technik, Wissenschaft und die staatliche Ordnung (d.h. Bürokratie), aber auch Religion und Musik aufgestellt. Die Rationalisierung der Gesellschaft ist für ihn die gemeinsame Formel für zahlreiche Teilprozesse, die er u.a. Versachlichung, Methodisierung, Disziplinierung, Intellektualisierung, aber auch Entzauberung und Säkularisierung nennt (vgl. Weber 1988).

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Rationalisierung ist Inbegriff für eine zweckrationale Systematisierung sämtlicher Lebensbereiche und sogar für die Lebensführung selbst, die auf entscheidende Weise durch Wissenschaft und Expertise vorangetrieben wird (vgl. Drori et al. 2003, 2006). Unterschiedliche Gesellschaftsbereiche werden vom Prinzip der Rationalisierung erfasst, wie beispielsweise die Natur, die im Zuge des Rationalisierungsprozesses an funktionaler Nützlichkeit gewinnt (vgl. Frank et al. 1999). Die Wissenschaft ist sowohl Treiber der Rationalisierung als auch ihr Gegenstand (vgl. Weinryb et al. 2018). Und selbstverständlich lässt sich die Rationalisierung im Kontext von Organisationen beobachten (vgl. Meyer/Bromley 2013), wobei die durch Professionalisierung ausgelöste Rationalisierung von Nonprofit-Organisationen im Neo-Institutionalismus ein besonders prominentes Beispiel darstellt (vgl. Hwang/Powell 2009). Individualisierung ist das zweite Prinzip, das in der world polity-Forschung mit Nachdruck thematisiert wird. Elliott (2007) beschreibt Individualisierung als einen anhaltenden Prozess, bei der sich das Individuum zu einer heiligen und unantastbaren Entität entwickelt. Der besondere Status des Individuums wird dabei durch Bildung sowie die Ausbreitung eines Menschenrechtsregimes gestützt. Durch Individualisierung gewinnen Individuen Autorität über ihr Leben, einschließlich ihres Sexuallebens (vgl. Frank/McEneaney 1999). »[T]he sweeping individualization of world society [...] diminishes the significance of collective difference and distinctiveness while making individual uniqueness ever more central to identity construction« (vgl. Boli/Elliott 2008: 547).

Frank et al. (1995) betonen allerdings, dass das Individuum durch die Individualisierung keine uneingeschränkte Autonomie gewinnt oder gar unkontrolliert handeln kann. Vielmehr werden Individuen als zentrales und legitimes gesellschaftliches Element verstanden. Das heißt, Individuen werden Rechte und Interessen zugeschrieben, denen Rechnung getragen werden muss, um eine »gute« Gesellschaft aufzubauen. Frank und McEneaney (1999) führen beispielsweise die Entstehung der Schwulen- und Lesbenbewegung auf das Prinzip der Individualisierung zurück. Im Alltag kommt das Prinzip der Individualisierung in Begriffen wie Souveränität, Identität oder auch »empowerment« zum Ausdruck. Lebensstil, Diversität, Wahlmöglichkeit und Toleranz sind demnach positiv besetzt; Intoleranz, Unterdrückung, Ausgrenzung sowie Rassismus und Sexismus stehen im Kontrast dazu und sind der Stoff, aus dem soziale Probleme gemacht und Interventionsbedarf signalisiert werden (vgl. Schmidt/Hasse 2010). In Organisationen findet das Prinzip der Individualisierung vor allem in der Entstehung

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einer Abteilung für Personalfragen und Arbeitnehmerrechte Ausdruck (vgl. Scott/Meyer 1994).

DIVERSITY MANAGEMENT ALS FALLBEISPIEL: WIE ORGANISATIONEN DIE WERTE FAIRNESS UND CHANCENGLEICHHEIT UMGESTALTEN Den historischen Hintergrund von Diversity Management bilden die USA der 1960er Jahre (vgl. Kelly/Dobbin 1998), als sich die Bürgerrechtsbewegung gegen Vorurteilshaltungen und rassistische Diskriminierung einsetzte (vgl. Hasse/Schmidt 2012). Als Reaktion hierauf wurden in der Ära des Präsidenten John F. Kennedy und seines Nachfolgers Lyndon B. Johnson verschiedene AntiDiskriminierungsmaßnahmen beschlossen. Dabei wurde der Fokus auf die Benachteiligung am Arbeitsmarkt gerichtet. Die sogenannte Affirmative Action (AA) Order von 1961 zielte darauf ab, die empirisch auffällige Benachteiligung aufgrund von Rassenzugehörigkeiten durch eine aktive Politik der Bevorzugung auszugleichen. Der Erlass betraf zunächst nur Unternehmen, die Geschäftsbeziehungen zum Staat unterhielten. 1964 erfolgte eine Ausweitung dieser gesetzlichen Regelung auf alle Arbeitgeber. Der Civil Rights Act wurde verabschiedet und die Bundesbehörde zur Wahrung von Chancengleichheit bei der Beschäftigung (Equal Employment Opportunity Commission (EEOC)) eingerichtet. Bei der gesetzlichen Forderung für Chancengleichheit kam es innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums zu einer doppelten Ausweitung: Erstens zielte die Executive Order des US-Präsidenten nicht länger nur auf die Überwindung ethnisch begründeter Benachteiligungen, sondern auch auf die Beseitigung der Benachteiligung von Frauen gegenüber Männern. 1963 wurde im Gesetz verankert, dass Unternehmen Männern und Frauen für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn zahlen müssen. Zweitens bezog sich die gesetzliche Regulierung von Chancengleichheit nicht länger nur auf Unternehmen, die wirtschaftliche Beziehungen zu staatlichen Instanzen unterhielten, sondern auf sämtliche Unternehmen (vgl. Hasse/Mormann 2017: 467ff.) Für Unternehmen bargen diese gesetzlichen Initiativen für Chancengleichheit erhebliche wirtschaftliche Risiken. Im Fall der Affirmative Action-Programme (AA) riskierten potenzielle Kooperationspartner staatlicher Instanzen wie dem Verteidigungsministerium, einen wichtigen – und teilweise den einzigen – Kunden zu verlieren. Die Equal Employment Opportunity-Programme (EEO) bedeuteten für alle Unternehmen in den USA das Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit Arbeitnehmenden und möglicherweise hohe Prozesskosten und

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Entschädigungszahlungen im Falle nachgewiesener Ungleichbehandlung. Allerdings waren die Erlasse zur Anti-Diskriminierung in einer abstrakten und vagen Sprache formuliert. Wie die Mehrdeutigkeit von Gesetzen Raum für die soziale Konstruktion ihrer Bedeutung in der Organisationspraxis schuf, zeigt Lauren Edelman in ihren Untersuchungen zu US-Bürgerrechten oder Richtlinien zum Konsumentenschutz (vgl. Edelman 1992; Edelman et al. 2001). In seiner Forschung zur Geschichte und Verbreitung von Diversity Management verknüpft Dobbin macht- und interessensoziologische Konzepte mit einer sozialkonstruktivistischen Herangehensweise. Gesellschaftliche Akteure wie Professionen und Experten, die in Zeiten hoher institutioneller Unsicherheit (z.B. Veränderung der Gesetzeslage) mit entsprechenden Ressourcen ausgestattet sind, setzten sich für neue Problemlösungen ein, um so ihre Machtposition auszubauen. Experten propagierten ein System von Annahmen und Definitionen dessen, was jeweils legitime Interessen und Ziele der Interessenverfolgung sind. Bei der Entwicklung und Verbreitung dieser Theoretisierungen, so wird im Folgenden aufgezeigt, spielen die unhinterfragten Prinzipien der Rationalisierung und Individualisierung eine entscheidende Rolle. Rationalisierung und Individualisierung im Diversity Management Den gesellschaftlichen Folgen der Responsivität von Organisationen gegenüber institutionellen Erwartungen ist im Neo-Institutionalismus bislang nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Der Grund dafür mag darin liegen, dass in der neo-institutionalistischen Organisationsforschung vor allem Fragen nach Binneneffekten dominiert haben, für deren Bearbeitung prominente Konzepte wie lose Kopplung oder Translation und Editing (vgl. Meyer/Rowan 1977; Czarniawska/Sevón 2005; Czarniawska-Joerges/Sevón 1996) entwickelt und herangezogen worden sind. Die Unterscheidung zwischen gesellschaftlichen Werten und Prinzipien des Organisierens ermöglicht es, das komplexe Zusammenspiel zwischen Werten und Organisationen sowie die daraus resultierenden gesellschaftlichen Effekte zu greifen und empirische Entwicklungen zu modellieren. Eine Grundannahme ist dabei, dass verschiedene, teils widersprüchliche und oftmals überaus abstrakte Werte in der Umwelt von Organisationen zirkulieren. Als institutionelle Erwartungen, deren Formalisierungsgrad sich im Zeitverlauf ändern kann, werden diese an Organisationen adressiert. Organisationen setzen diese Werte sodann unter Rückgriff auf die Prinzipien der Rationalisierung und Individualisierung um. Aus dieser prinzipiengeleiteten Umsetzung von Wer-

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ten durch Organisationen resultiert, so argumentieren wir am Beispiel Diversity Management, eine Umgestaltung und Veränderung der ursprünglichen Werte. Mittlerweile ist Diversity Management in vielen Unternehmen fester Bestandteil des Personalwesens und der vorläufige Höhepunkt einer prinzipiengeleiteten Verarbeitung der gesellschaftlichen Werte Fairness und Gerechtigkeit innerhalb von Organisationen. In dem Managementkonzept geht es darum, ein möglichst breites Spektrum an Merkmalen von Organisationsteilnehmern und -teilnehmerinnen für den Unternehmenserfolg zu nutzen. Die Vielfalt, die einen Wettbewerbsvorteil bringen soll, bezieht sich sowohl auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch auf Kunden und Investoren. Diese deutliche Zweckorientierung steht für die auf Rationalisierung abzielende Dimension des Konzeptes. Diversity Management ist darüber hinaus einer Kultur der Ermöglichung verpflichtet, in der die Entwicklungsmöglichkeiten von Individuen sowie die Verantwortlichkeit von Unternehmen für die Personalentwicklung betont werden. Doch wie ist es dazu gekommen, dass die auf den Abbau illegitimer Diskriminierung bezogenen gesetzlichen Regelungen zu einem Managementkonzept wurden? Nachdem sich die AA/EEO-Spezialisten in den Personalabteilungen in einem ersten Schritt darauf konzentriert hatten, ihre Arbeitgeber vor Diskriminierungsvorwürfen und teuren gerichtlichen Auseinandersetzungen zu schützen, bauten sie die ersten Equal Employment Opportunity-Programme auf drei Bausteinen der klassischen Personalverwaltung auf: Erstens überarbeiteten sie Vertragsklauseln in Arbeitsverträgen, die bislang die Diskriminierung von Gewerkschaftsmitgliedern verboten hatten; zweitens entwickelten sie neue Rekrutierungsprogramme und konzentrierten sich dabei auf Schulen und Colleges, die vor allem von Mitgliedern der schwarzen Bevölkerung besucht wurden; drittens riefen sie neue Management- und Trainingsprogramme für Schwarze, Hispanics und Frauen ins Leben, die ursprünglich nur für weiße Männer zugänglich waren. Mit diesen Schwerpunkten definierten Personalexperten das Verständnis für Diskriminierung am Arbeitsplatz neu. Denjenigen Arbeitgebern, die diese Nichtdiskriminierungs-Maßnahmen nicht einsetzten, nahm die Öffentlichkeit nicht mehr ab, dass sie es mit der Abschaffung von Diskriminierung ernst meinen (vgl. Dobbin 2009: 42ff.). In den Zuständigkeitsbereich von Personalexperten fallen traditionell Fragen der Einstellung, Entlohnung und Entlassung von Personal. Stellenbeschreibungen, Stellenausschreibungen, Stellenangebote, Stellen- und Gehaltseinstufungen, Karrieremodelle und Leistungsbewertungen – fast jedes Instrument aus ihrem bürokratischen Arsenal hielten Personalexperten für geeignet, um als Maßnahme für Chancengleichheit eingesetzt zu werden. Formale Systeme bei der Besetzung

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und zur Bewertung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen wurden zu vielversprechenden Mitteln erklärt. »[P]ersonnel experts defined discrimination as the absence of formal systems for placing and evaluating« (Dobbin 2009: 131). In den 1980er Jahren wurde die staatliche Regulierung von Arbeitnehmerrechten zusehends aufgelockert. Dies war Teil der von Präsident Ronald Reagan proklamierten De-Regulierung der US-amerikanischen Wirtschaft. Trotzdem hielten viele Unternehmen an den eingeführten personalpolitischen Maßnahmen und Regeln fest. Erin Kelly und Frank Dobbin (1998) erklären diese überraschende Entwicklung folgendermaßen: »In the early 1980s, the Reagan administration curtailed enforcement, but as Philip Selznick’s band of early institutionalists might have predicted, EEO/AA program practices had developed an organizational constituency in EEO/AA specialists and thus survived Reagan’s enforcement cutbacks« (Kelly/Dobbin 1998: 980).

Dass Praktiken in Organisationen auch dann bestehen bleiben, wenn sie nicht mehr zur Zielerreichung beitragen, für das sie ursprünglich einmal entwickelt worden sind, ist eine grundlegende Einsicht der Organisationsforschung, zu der bereits Selznick (1957) beigetragen hat. Dieser Einsicht entsprechend entwickelten auch die in Unternehmen eingeführten Anti-Diskriminierungsprogramme ein Eigenleben, das zunehmend weniger mit den gesetzlichen Anforderungen zu tun hatte, wegen derer sie einmal eingeführt worden waren (vgl. Kelly/Dobbin 1998: 972). Personalexperten begründeten die personalpolitischen Maßnahmen längst nicht mehr nur mit dem regulativen Einfluss des Staates, sondern verknüpften die Umsetzung von Maßnahmen für Chancengleichheit mit Effizienzüberlegungen. Die Personalexperten zielten auf die Rationalisierung menschlicher Ressourcen und unterstrichen dafür die Möglichkeiten der Profiterhöhung, die sich durch eine divers zusammengesetzte Belegschaft und eine entsprechende Kundenansprache ergeben würden (vgl. Kelly/Dobbin 1998: 962). »Equal opportunity experts«, so Dobbin und Kalev, »argued not that the law required employers to hire and promote women and minorities, but that the market required it« (Dobbin/Kalev 2013: 254). Für die Ausweitung und weitere Entwicklung des Konzeptes Diversity Management war bedeutsam, dass der Wert der Chancengleichheit und die ursprünglich lediglich legitimatorisch bedeutsamen Programme zur AntiDiskriminierung mit dem Versprechen zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit von Unternehmen kombiniert wurden (vgl. auch Hericks in diesem Band). Eine zentrale Rolle spielte dabei das professionelle Netzwerk von Personalexperten und Beratern, die ihre Expertentätigkeit nunmehr primär als Diversity Manage-

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ment etikettierten. Es war dann auch der Unternehmensberater R. Roosevelt Thomas, ein ehemaliger Professor an der Havard Business School, der das American Institute for Managing Diversity gründete und den Ausdruck »managing diversity« prägte (vgl. Krell 2014). Der Unterschied zwischen Affirmative Action bzw. Equal Employment Opportunity und Diversity Management wurde daran festgemacht, dass letzteres direkt zum Erreichen der Unternehmensziele beitrage: »Learning to manage diversity will make you more competitive« (Thomas 1990: 11). Die von Personalexperten und HR-Managern verwendete Managementrhetorik rückte den Wirtschaftsnutzen von Diversität in den Vordergrund. Der Wert der Chancengleichheit wurde zum »Business Case Diversity« transformiert. Im Business Case gilt die Verschiedenheit von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen als Mittel zum ökonomischen Zweck. Um die Vielfalt von Individuen als strategischen Vorteil für das Unternehmen (vgl. Edelman et al. 2001) zu nutzen, berücksichtigt die Idee des Diversity Managements mittlerweile nicht nur den ethnischen Hintergrund, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung oder eine eventuelle Behinderung. Zahlreiche andere Merkmale von Individuen werden in das ökonomische Kalkül von Diversity Management einbezogen, wie beispielsweise Klasse, Familienstand, Elternschaft, Lebensentwürfe oder -stile, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Funktion und hierarchische Position. Tendenziell scheinen diese Auflistungen unendlich zu sein, denn am Ende dieser Auflistungen wird stets ein »und so weiter« gesetzt (vgl. Krell/Sieben 2007: 236). Vor dem Hintergrund weitreichender Rationalisierungsansprüche, haben Dobbin und andere Forscherinnen und Forscher die Effekte verschiedener Maßnahmen zur Steigerung von Vielfalt in den Führungsetagen von Unternehmen untersucht. Dazu zählen die Autoren Fördermaßnahmen für marginalisierte und diskriminierte Beschäftigungsgruppen (sog. Affirmative Action-Programme), Diversity-Ausschüsse und Arbeitsgruppen, die Schaffung von Stellen für Diversity Management (z.B. Diversity & Inclusion Officer), Trainings und Evaluationen für Manager sowie Netzwerkprogramme und Mentoring-Programme. Dobbin und Kalev (2018) stellen fest, dass es bis heute kaum Erkenntnisse darüber gibt, wie effektiv die einzelnen Maßnahmen sind, was angesichts der Popularität von Diversity Management und den mit den Maßnahmen verbundenen Kosten für Unternehmen überraschend erscheint, aus neo-institutionalistischer Perspektive jedoch ein Indiz für den hohen Institutionalisierungsgrad von Diversity Management darstellt. Die fehlende Evidenz für die Effektivität von Diversity-Trainings steht im starken Kontrast zu ihrer Verbreitung. 65 Prozent der Großunternehmen in den USA gaben in einer Befragung im Jahr 2005 an, Diversity-Trainings für ihre

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Führungskräfte durchzuführen. Berater empfehlen die Trainings und auch Unternehmensjuristen halten ein Trainingsangebot für unerlässlich, um mögliche Klagen abzuwehren (vgl. Dobbin 2009). Nach Maßgabe von Ergebnissen der experimentellen Psychologie tragen unbewusste Verzerrungen (unconscious biases) und Stereotype zur Ungleichbehandlung und zu Ungleichheit am Arbeitsplatz bei. In Diversity-Trainings sollen Manager deshalb darauf aufmerksam gemacht werden, wie sich diese unbewussten Bewertungsmuster auf ihr Handeln und das ihrer Untergebenen auswirken. Trainings setzen bei einer möglichen Ursache für Ungleichbehandlung an, doch zeigen sie nicht die angenommene Wirkung. »Scholars often presume that practices designed to attack known causes of inequality actually will reduce it, […] making a leap of faith between causes and remedies. […] Whether a prescription for inequality is effective is an inherently empirical question. Current prescriptions are not based in evidence« (Kalev et al. 2006: 591).

In vielen Unternehmen ist das Modell der Personalentwicklung (PE) etabliert. Dieses Modell ist das Ergebnis einer gesellschaftlich-kulturellen Prägung ganz im Sinne der world polity-Forschung. Organisationen in Gesellschaften, die Pluralismus, Individualismus und Demokratie wertschätzen, führen Trainings für überfachliche Kompetenzen (z.B. Kommunikationsfähigkeit, Kritikfähigkeit, Teamfähigkeit etc.) eher durch als Organisationen in anderen kulturellen Kontexten (vgl. Luo 2006; Scott/Meyer 1994). Der Glaube an die Zweckmäßigkeit dieser Trainings hat sich im Laufe der Zeit allerdings ohne entsprechende Evidenz verbreitet. Deshalb unterscheiden sich die Fragen, wie in Unternehmen Diversity Management implementiert und wie Chancengleichheit tatsächlich erreicht wird. Gleichwohl scheint für die Beantwortung beider Fragen das Prinzip der Individualisierung eine zentrale Rolle zu spielen. Die erste Idee spiegelt sich in den üblichen Maßnahmenkatalogen für Diversity Management wider: Organisationen schicken ihre Führungskräfte häufig in Diversity-Trainings; die zweite Idee ist für die Effektivität von Diversity Management relevant: die effektivsten Maßnahmen sind jene, mit denen Entscheidungsträger selbst in die Entwicklung von Problemlösungen eingebunden werden (z.B. Diversity Taskforces, Mentoring & Sponsoring-Programme). Nachstehend wollen wir den Fokus von der Frage nach internen Organisationseffekten hin zur Frage nach über die Organisation hinausweisenden Wirkungen von Diversity Management verschieben.

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Externe Effekte Um den Wert von Diversitätsmaßnahmen präzisieren zu können, arbeiten Organisationen mit Unterstellungen und formulieren darauf aufbauend UrsacheWirkungsannahmen. Indikatoren und Kennzahlen für diese Kausalbeziehungen, die zu einem Kennzahlensystem zusammengefasst werden, repräsentieren das für ein sogenanntes Diversity-Controlling und Monitoring grundlegende Messinstrumentarium (vgl. Mensi-Klarbach 2012). Auffällig dabei ist, dass es stets um Maßnahmen und Programme und nicht um deren Inanspruchnahme oder gar um die hierdurch erzielten Effekte geht. Zusätzlich zu dieser innerhalb von Organisationen stattfindenden Transformation der Werte Chancengleichheit und Fairness in ein System von Kennzahlen und Indikatoren lässt sich ein Effekt identifizieren, der nicht auf einzelne Organisationen beschränkt ist: die zunehmende Professionalisierung von Personalexperten. So zeigt Dobbins Arbeit über die historische Rekonstruktion der Entstehung von Diversity Management, wie sich die Zusammensetzung des Personals in den Personalabteilungen in Unternehmen von einer Mehrheit gewerkschaftlich ausgerichteter weißer Männer hin zu einem Bollwerk weißer Frauen veränderte, die die Frage der Gleichberechtigung zusehends zur Frage der Geschlechtergerechtigkeit reformulierten (vgl. Dobbin 2009). Die Feminisierung der Personalarbeit führte in zahlreichen Unternehmen dazu, dass Themen wie »das familienfreundliche Unternehmen«, Schutz vor sexueller Belästigung und »Work-Life-Balance« auf die Agenda gesetzt wurden. Im vorliegenden Fall konnten Personalexperten ein Netzwerk von Spezialisten aufbauen, die die von Unternehmen erprobten Richtlinien und ComplianceStrategien weiterentwickelten. Anstatt Neuerungen im Personalmanagement vor konkurrierenden Unternehmen zu verbergen, beworben Personalexperten ihre für Affirmative Action und Equal Employment Opportunity entwickelten Maßnahmen als Best Practices in Wirtschaftsmagazinen und anderen Fachzeitschriften. Es entstand ein finanziell lukratives Geschäftsfeld für ehemals in Unternehmen angestellte Personalexperten oder Wissenschaftlerinnen, die sich als Diversity-Beratende selbständig machten und Beratungsunternehmen gründeten. Auch Berufsverbände für Personalexperten und Managementverbände griffen das Thema Diversity Management auf und vermarkteten so in den von ihnen herausgegebenen Zeitschriften und auf zahlreichen Konferenzen die von Personalexperten recycelten Tools als Innovationen im Personalmanagement. Die Neuausrichtung im Personalmanagement führte darüber hinaus dazu, dass sich die Ausbildung für Personalexperten und Personalverantwortliche im Laufe der Jahre zusehends verwissenschaftlichte. Diversity Management wurde in die Lehrpläne von Studiengängen und universitären Weiterbildungen aufgenommen.

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Aktuell bestehen etliche Managementzertifikate und Aufbaustudiengänge, die einzig und allein dem Diversity Management in Organisationen unterschiedlicher gesellschaftlicher Sektoren (z.B. »Diversity im öffentlichen Dienst« oder »Diversity Management an Hochschulen«) gewidmet sind – was bedeutet, dass Organisationen nunmehr in einem stark veränderten institutionellen Umwelt agieren, das starke Vorgaben für die Art und Weise macht, wie Organisationen allgemeine Werte wie Chancengleichheit und Gerechtigkeit aufgreifen. Diese institutionelle Umwelt von Organisationen hat sich jedoch verändert, weil Organisationen ihre Formalstrukturen auf gesellschaftliche Werte ausgerichtet haben. Diese Ausrichtung hat eine Verschiebung des Themas Fairness und Chancengleichheit in Richtung Rationalisierung und Individualisierung initiiert.

DISKUSSION Im Fall von Diversity Management hat die Mehrdeutigkeit von Erwartungen der Fairness und Chancengleichheit im Allgemeinen sowie speziell der hierauf bezogenen Anti-Diskriminierungsgesetze Organisationen Gestaltungsräume eröffnet. Statt Juristen das Feld zu überlassen, setzten Personalexperten Equal Employment Opportunity und Affirmative Action auf ihre Agenda und nutzten ihr bürokratisches Wissen, um ihre Arbeitgeber vor Diskriminierungsvorwürfen und kostspieligen gerichtlichen Auseinandersetzungen zu schützen. Sie setzten dafür auf Bausteine der klassischen Personalverwaltung. Im Laufe der Zeit entwickelten die in Unternehmen eingeführten Equal Employment OpportunityProgramme sodann ein Eigenleben. Dies ist daran zu erkennen, dass die Personalexperten die personalpolitischen Maßnahmen längst nicht mehr nur mit dem regulativen Einfluss des Staates begründeten oder gar lediglich mit allgemeinen Werthaltungen zu Fragen der Fairness und Chancengleichheit, sondern diese mit Effizienz-Überlegungen verknüpften. Die Umdeutung der moralischen Werte Fairness und Chancengleichheit zum Business Case für Diversität in Organisationen erfolgt auf der Grundlage des Prinzips der Rationalisierung. Für die Umsetzung von Diversity Management spielt hingegen das Prinzip der Individualisierung eine entscheidende Rolle, für das Ideen der Entwicklungsfähigkeit des Individuums und die Ermächtigung des Individuums (»empowerment«) gleichermaßen grundlegend sind. Im ersten Fall ist die Popularität von Diversity-Trainings Ausdruck für die Idee der Entwicklungsfähigkeit des Individuums. Im zweiten Fall steht die Idee der Ermächtigung des Individuums im Vordergrund. Im untersuchten Fall scheinen Rationalisierung und Individualisierung gleichrangige Prinzipien zu sein, denn die Re-

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Interpretation und organisationale Umsetzung der Werte Fairness und Chancengleichheit lassen sich nur unter Berücksichtigung von beiden Prinzipien erklären. Wir vermuten, dass die Prinzipien der Rationalisierung und Individualisierung und deren Wechselspiel in verschiedenen Sektoren und Feldern unterschiedliche Wirkungen entfalten. Von besonderem Interesse wäre es beispielsweise zu verstehen, wie die Prinzipien von Nichtregierungs-Organisationen angewendet werden, die für sich ein höheres Maß an Legitimität reklamieren, weil sie sich scheinbar selbstlos für andere oder für anerkannte abstrakte Werte wie Demokratie, Umweltschutz und Menschenrechte einsetzen. Unsere Re-Interpretation der Forschungsergebnisse zum Thema Diversity Management konnte zeigen, wie die Prinzipien der Individualisierung und Rationalisierung die organisationale Bearbeitung der gesellschaftlichen Werte Fairness und Chancengleichheit anleiten. Unabhängig davon, welche Effekte Diversity Management-Maßnahmen für die Chancengleichheit und Fragen der Fairness in Organisationen faktisch haben, konnten wir einen über die Organisationsgrenzen hinausgehenden Effekt der organisationalen Bearbeitung von Werten feststellen: die Entwicklung eines globalen Managementkonzeptes und die Professionalisierung einer Expertengruppe, der fortan generelle Kompetenzen für Fragen der Chancengleichheit und Fairness zugeschrieben werden können. Wir vermuten, dass sich vergleichbare Rückwirkungen auch für andere Fälle beobachten lassen. So scheint sich beispielsweise der Wert des Umweltschutzes (vgl. Crane 2000; Gibbon et al. 2010) oder auch die Unternehmensethik durch die organisationale Bearbeitung zum Konzept der Corporate Social Responsibility (vgl. Campbell 2007; Hiss 2006; Höllerer 2012) transformiert zu haben. In der von uns vorgelegten Konzeptualisierung sind Organisationen einerseits Adressaten von Werten und entsprechenden Erwartungen. Organisationen integrieren diese Erwartungen – in ihre Formalstrukturen mit mehr oder weniger gravierenden Auswirkungen auf Praktiken und Kernaktivitäten. Wie Organisationen dies leisten und wie Organisationen mit widersprüchlichen Erwartungen und Werten umgehen, ist derzeit ein zentrales Thema neo-institutionalistischer Arbeiten (vgl. Arnold 2019; Greenwood et al. 2009; Pache/Santos 2013; Thornton 2002; kritisch dazu Meier/Meyer in diesem Band). Andererseits verdeutlicht die in diesem Beitrag vorgeschlagene und illustrierte Perspektive, dass Organisationen auch Mitgestalter von Werten sind, denn die prinzipiengeleitete Bearbeitung von Werten innerhalb der Organisation – und zwar sowohl in Bezug auf formale Strukturen und zeremonielle Inszenierungen als auch hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf interne Praktiken und Kernaktivitäten – kann weitreichende gesellschaftliche Effekte im Hinblick auf die kulturelle Bedeutung dieser Werte entfalten. Da diese Effekte nicht zuletzt auf Organisationen zu-

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rückwirken, sind diese einer durch sie selbst veränderten gesellschaftlichen Umwelt ausgesetzt, ohne diesen Effekt intendiert zu haben oder sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Dies spiegelt die sozialkonstruktivistische und für den Neo-Institutionalismus wegweisende Einsicht von Berger und Luckmann (1966) wider, derzufolge eine gesellschaftliche Wirklichkeit als äußerliche Gegebenheit erfahren wird, die tatsächlich erst selbst erschaffen worden ist. Organisationen sind demnach an der Konstruktion von Werten beteiligt, indem sie diese auf der Grundlage der explizierten Prinzipien von Rationalisierung und Individualisierung mitgestalten. Diese Gestaltung vollzieht sich unabhängig davon, ob Organisationen wertgeladene Erwartungen lediglich oberflächlich bearbeiten (vgl. Meyer/Rowan 1977), sie kontextgebunden übersetzen oder diese gar auf übersteigerte Weise in ihren organisationalen Kern integrieren (vgl. Hallett 2010). Die Fokussierung von Rückwirkungen der Responsivität von Organisationen gegenüber gesellschaftlichen Werten eröffnet schließlich auch Anknüpfungspunkte an die Soziologie des Wertens und Bewertens (vgl. Meier et al. 2016), die sich aktuell mit Fragen des Zusammenhangs von gesellschaftlichen Wertvorstellungen mit Bewertungsprozessen – nicht zuletzt in und durch Organisationen – beschäftigt. Der Ansatz, dass Organisationen nicht nur Werte aus ihrer Umwelt umsetzen müssen, sondern in der Bearbeitung von gesellschaftlichen Werten anhand der sie konstituierenden Prinzipien von Rationalisierung und Individualisierung auch selbst einen Beitrag zu Gestaltung dieser Werte liefern, kann hier dabei helfen zu plausibilisieren, weshalb gerade Standardisieren, Vermessen, Quantifizieren oder andere metrische Verfahren Hochkonjunktur erfahren. Diese Bewertungsverfahren resultieren aus der für Organisationen konstitutiven Bearbeitung von Werten. So gelten quantifizierende oder standardisierende Organisationspraktiken als rational, wissenschaftlich und zweckorientiert – und tragen damit dem Prinzip der Rationalisierung Rechnung. Gleichzeitig können diese Praktiken und die dabei eingesetzten Instrumente das Individuum fokussieren, indem sie beispielsweise Merkmale und Leistungen einzelner Personen messen und auszeichnen oder aber auch die Steigerung individueller Kompetenzen fördern. Die hier entfaltete Perspektive hilft demnach, die zugrundeliegenden Treiber des intensivierten, omnipräsenten Wertens und Bewertens zu erklären und zeigt, wie Organisationen durch ihre Orientierung an unhinterfragten Prinzipien aus Werten Bewertbares machen, an die wiederum oft Prozesse und Praktiken des Bewertens anschließen.

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Netzwerke Relationales Denken im Neo-Institutionalismus Achim Oberg und Valeska Korff

EINLEITUNG: WAS BEDEUTET ES RELATIONAL ZU DENKEN? Relationale Ideen können, so unsere Grundannahme, die theoretische und empirische Weiterentwicklung des Neo-Institutionalismus unterstützen und bereichern. Ziel des Kapitels ist es, dieses Potenzial zu erkunden und bestehende und neue Wege aufzuzeigen, wie relationale Ideen und Methoden in neo-institutionalistische Forschung integriert werden können. Was aber macht solch relationales Denken aus? Unser Ausgangspunkt liegt in der allgemeinen Annahme, dass sich ein Phänomen in seine Elemente und Beziehungen zerlegen lässt. Auf diese Weise wird es möglich, danach zu fragen, inwieweit die Eigenschaften der Elemente und die Komposition der Beziehungen zwischen den Elementen etwas zum Verständnis oder gar zur Erklärung des Phänomens beitragen. Mit der zunehmenden Bedeutung von Beziehungen bilden Eigenschaften von Akteuren wie zum Beispiel Charakteristika und Motive nicht mehr den alleinigen Fokus der Überlegungen und Analysen.Vielmehr werden deren Verhältnis zueinander, d.h. die Beziehungsgefüge, in denen z.B. Akteure stehen, und die sich daraus ergebenden Strukturen und Dynamiken berücksichtigt. Mit diesem allgemeinen Verständnis des relationalen Denkens weiten wir die Betrachtungsweise in dreifacher Weise gegenüber anderen Netzwerkansätzen aus: Erstes ermöglicht die obige allgemeine Definition die Analyse vielfältiger Phänomene auf unterschiedlichen Ebenen – innerhalb von Organisationen (vgl. Oberg/Walgenbach 2008), in explizit formierten inter-organisationalen Netzwerken und Clustern (vgl. Sydow 2013) oder in organisationalen Feldern (vgl.

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Powell et al. 2017). Zweitens lässt sich relationales Denken mit netzwerkanalytischen Methoden (vgl. Diestel 2010) wie der sozialen Netzwerkanalyse (vgl. Scott 2012; Wasserman/Faust 1994; Burt/Kilduff/Tasselli 2013; White/Boorman /Breiger 1976) oder der multiplen Korrespondenzanalyse (vgl. Le Roux/Rouanet 2010) operationalisieren, ohne dass diese Methoden eine zwingende Voraussetzung für die Anwendung relationalen Denkens wären. Drittens zeigen wir auf, dass Theorien zu Beziehungen (vgl. Granovetter 1983, 1985), zu Netzwerken (vgl. Burt 1992, 2007) und zu ihren Effekten (vgl. Brass et al. 2004; Rogers/Bhowmik 1970) nicht als alleinige Grundlage angesehen werden müssen. Stattdessen können neo-institutionalistische Ideen auf unterschiedliche Weise mit relationalen Denkweisen kombiniert werden. Um die Vielfalt der Kombinationsmöglichkeiten sichtbar zu machen, stellen wir vier Perspektiven anhand von grundlegenden neo-institutionalistischen Arbeiten vor. Wir starten dazu mit einer Perspektive, in der relationales Denken in der neo-institutionalistischen Theoriebildung genutzt wird (Perspektive A: Konzeptionelle Nutzung). Ein herausragendes Beispiel hierfür ist der Aufsatz von DiMaggio und Powell (1983) zu organisationalen Feldern, in dem unterschiedliche Ideen der Netzwerkforschung konzeptionell aufgegriffen wurden. Daran schließt sich eine Perspektive an, in der netzwerkanalytische Verfahren – z.B. zur Analyse sozialer Netzwerke (vgl. Powell et al. 2005) oder zu Sinnstrukturen (vgl. Meyer/Höllerer 2010) – in neo-institutionalistischen Arbeiten verwendet werden (Perspektive B: Empirische Nutzung). Die Beschäftigung mit relationalem Denken erfolgt im Neo-Institutionalismus nicht allein durch die Nutzung dieser Denkrichtung zur Erklärung von beobachteten Phänomenen. Vielmehr zeigt sie sich auch in der kritischen Auseinandersetzung mit relationalen Kernannahmen, welche durch bestimmte neoinstitutionalistische Theorierichtungen implizit oder explizit in Frage gestellt werden. Als Beispiel für implizite Kritik (Perspektive C) zeigt die world polityForschung (vgl. Meyer/Krücken/Drori 2009), dass die Diffusion kultureller Modelle nicht ausschließlich durch soziale Beziehungen vermittelt ist. Als Beispiel für explizite Kritik an relationalem Denken (Perspektive D) stellen wir die Argumentation des skandinavischen Neo-Institutionalismus vor, der sich gegen die Vorstellung einer inhaltlichen Beständigkeit von Ideen und Praktiken bei der Ausbreitung ausspricht und die Bedeutung von Editier- und Übersetzungsprozessen betont (vgl. Czarniawska/Joerges 1996; Sahlin/Wedlin 2008). Abschließend führen wir die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten sowie die zentralen Kritikpunkte an relationalem Denken konstruktiv zusammen, um darauf basierend eine neue Perspektive (Perspektive E: Theorieimmanenter Umgang mit Kritik) zu entwerfen, die eine methodische und konzeptionelle In-

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tegration von Netzwerkstrukturen mit kulturellen Dynamiken ermöglicht. Diese synergetische Perspektive ist anschlussfähig an aktuelle Debatten zu Big Data, Data Science und Digital Sociology (vgl. auch Goldenstein/Poschmann/Walgenbach in diesem Band), da viele der dort verwendeten Datenquellen mittels relationalen Denkens konzeptionell und empirisch erschlossen werden können.

RELATIONALES DENKEN IM NEO-INSTITUTIONALISMUS Die Diffusion kultureller Modelle ist ein entscheidendes Thema im Soziologischen Neo-Institutionalismus. Wie sich Ideen in ihren verschiedenen Aggregationsstufen – als frühe Praktiken einzelner Gruppen im Prozess der Sozialisation (vgl. Berger/Luckmann 1967), als kognitiv verankerter Konzepte (vgl. Zucker 1977) oder als sich ausdifferenzierende Theorien (vgl. Strang/Meyer 1993) – ausbreiten, bildet eine zentrale Fragestellung vieler neo-institutionalistischer Arbeiten (vgl. Scott 2013). Wie allerdings die Ausbreitung theoretisch gefasst und empirisch erhoben werden kann, variiert in erheblichem Maße – oftmals verbunden mit unterschiedlichen Perspektiven auf relationales Denken. Um die Variationen in den Perspektiven herauszuarbeiten, ist es hilfreich, zuerst das Zusammenspiel von sozialen Beziehungen und Kommunikationsmodellen zu betrachten. Beginnt man die Suche nach relationalem Denken in neo-institutionalistischen Klassikern, fällt auf, dass sich diese Untersuchungen intensiv mit Max Webers Arbeiten auseinandersetzen: DiMaggio und Powell (1983) greifen schon in ihrem Titel The Iron Cage Revisited die Webersche Metapher des »stahlharten Gehäuses« auf; Meyer und Rowan (1977) verwenden das zentrale Konzept der Rationalität aus Max Webers Werk; Zucker (1977) untersucht die legale Herrschaft durch formale Hierarchie in Experimenten. In unserer Ausgangsdefinition für soziale Beziehungen greifen wir deshalb ebenfalls auf Max Weber zurück: »Soziale ›Beziehung‹ soll ein seinem Sinngehalt nach aufeinander gegenseitig eingestelltes und dadurch orientiertes Sichverhalten mehrerer heißen. Die soziale Beziehung besteht also durchaus und ganz ausschließlich: in der Chance, daß in einer (sinnhaft) angebbaren Art sozial gehandelt wird, einerlei zunächst: worauf diese Chance beruht« (Weber 2002: 13).

Diese Definition sozialer Beziehungen verbindet drei Aspekte: Erstens berücksichtigt sie einen klaren Bezug zum sozialen Handeln, welches man sich als eingebettet in eine soziale Beziehung vorstellen kann. Zweitens enthält sie einen

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Bezug zu einer kognitiven Ebene, indem sie postuliert, dass Beziehungen auch dann existieren können, wenn sie nicht durch Handlungen manifestiert werden. Drittens betont sie die Verschränkung von kognitiver Dimension und sozialer Handlung, indem sie die Beziehung als möglichen Ausgangspunkt für die Interpretation der Handlung und damit für den Sinn der Handlung ansieht. Diese Verknüpfung von Handlung, Beziehung und Sinn ist in späteren Forschungsprojekten in der einen oder anderen Form aufgebrochen worden: So betrachten klassische netzwerktheoretische Arbeiten außerhalb einer institutionalistischen Forschungstradition primär Formen von Beziehungen, ohne den sinngebenden Gehalt von Beziehungen zu analysieren. Besonders offensichtlich ist dies zum Beispiel bei der Unterscheidung zwischen schwachen und starken Beziehungen (vgl. Granovetter 1973, 1983), bei denen die Interaktionshäufigkeit und die Kommunikationsbandbreite stärker thematisiert werden als Art oder Typ einer Beziehung. In vielen netzwerkanalytischen Ansätzen wird zwar das Verhalten der Akteure erfasst (vgl. Scott 2012), dass aber Beziehungen gegebenenfalls auch ohne Interaktion weiterexistieren können, wird oftmals – da es schwieriger empirisch zu fassen ist – nicht thematisiert (vgl. Emirbayer/Goodwin 1994). Die ursprüngliche Definition von Weber ist mit ihrem Bezug zu Sinngebungsprozessen damit ein besserer Ansatzpunkt, um relationale Ideen und neo-institutionalistische Forschung zusammenzuführen (vgl. Powell/Oberg 2017), als aktuellere Definitionen auf Basis sozialer Netzwerkanalyse. Welche Bedeutung sozialen Beziehungen für die Ausbreitung von Ideen und Konzepten zugesprochen wird, hängt maßgeblich von der zugrundeliegenden Vorstellung von gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen ab. Dabei lassen sich zwei Formen kontrastieren: Bei der beziehungsgebundenen Ausbreitung erfolgt die Verbreitung durch Kommunikation entlang von sozialen Beziehungen zwischen einzelnen Akteuren oder über Ketten von Akteuren. Das Bild vom Sender, der eine Information in eine Nachricht verpackt, und einem Empfänger, der diese Nachricht entschlüsselt (vgl. Shannon/Weaver/Burks 1951), ist eines dieser Modelle direkter Ausbreitung. Direkte Kommunikationsmittel wie persönliche Gespräche, Briefe, Telefonate, E-Mails und Chats entsprechen diesem Modell. Dagegen stellen bei einer massenmedialen Ausbreitung die Empfänger die Verbindung zum Sender her (vgl. McLuhan/Fiore/Agel 2017): Einzelne Sender verbreiten Ideen, ohne Empfänger direkt adressieren zu müssen. Empfänger wählen aus der Vielzahl von Informationen aus, was sie aufnehmen wollen. Massenkommunikationsmittel wie Zeitschriften, Funk, Fernsehen und Internet entsprechen diesem Modell der Ausbreitung von Ideen. Durch die explizite Berücksichtigung von sozialen Beziehungen im ersten Modell ist es – zumindest konzeptionell – möglich, die soziale Distanz zwischen

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Sender und Empfänger zu ermitteln, indem man die Zahl der Verbindungspartner entlang eines Pfades von Interaktionen entlang von Beziehungen zählt (vgl. Scott 2012). Da im zweiten Modell Informationen medial transportiert werden, sind soziale Interaktionen zwischen Sender und Empfänger nicht zwingend für die Ausbreitung einer Idee notwendig. Oftmals reichen einseitig konstituierte Beziehungen (vgl. wie sie z.B. Fans zu einem Star haben) aus, um die Informationsweitergabe zu ermöglichen. In der Folge ist die Ermittlung sozialer Distanzen aufgrund fehlender Interaktionen empirisch schwieriger bzw. bei einseitigen Beziehungen schwerer zu interpretieren. Wie diese Kommunikationsmodelle und die damit verbundenen Probleme aufgegriffen werden, stellen wir zuerst anhand zweier Perspektiven dar, die relationales Denken konzeptionell und empirisch nutzen. Perspektive A: Konzeptionelle Nutzung Die konzeptionelle Nutzung relationalen Denkens findet sich bereits in DiMaggio und Powells (1983) zentralem Aufsatz zum organisationalen Feld. Ein organisationales Feld wird verstanden als ein System von Organisationen, die in einem Bedeutungs- und Beziehungszusammenhang zueinander stehen. In diesem Verständnis von Organisationen als kulturell aufeinander bezogene, interagierende Entitäten, wird eine relationale Perspektive auf institutionelle Systeme und Prozesse deutlich, die der Feldperspektive zugrunde liegt und den Ideen zu Feldern von Pierre Bourdieu und zu Netzwerken von Harrison White ähnlich ist. So steht das Feld, neben dem Habitus, im Zentrum von Bourdieus »methodologischem Relationalismus« (Wacquant 1996: 34). Während das Feld »aus einem Ensemble objektiver historischer Relationen zwischen Positionen, die auf bestimmte Formen von Macht (oder Kapital) beruhen« besteht, stellt der Habitus ein »Ensemble historischer Relationen« dar, die sich in »Gestalt der geistigen und körperlichen Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsschemata in den individuellen Körpern niedergeschlagen haben« (Wacquant 1996: 36f). Relationen dürfen dabei aber explizit nicht als konkrete Beziehungen verstanden werden. Bourdieus Aussage, »the real is relational« (Bourdieu 1998: 3), stellt vielmehr das Verhältnis von Feldpositionen und denjenigen, die diese besetzen, in den Fokus der Analyse. Die Betonung der Relationalität findet nicht zuletzt Ausdruck in Bourdieus Anwendung Multipler Korrespondenzanalyse als Instrument zur Untersuchung von sozialen Phänomenen. In diesem Verfahren der multivariaten Statistik werden die Ausprägungen von kategorialen Variablen als Punkte in einem Raum repräsentiert, dessen Koordinatenachsen durch die jeweiligen Merkmale gebildet werden (vgl. Le Roux/Rouanet 2010). Durch die geo-

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metrische Darstellung wird in der Verteilung der Punkte im Raum ihr Verhältnis zueinander zum Ausdruck gebracht, was wiederum Bourdieus Interpretation der Wirklichkeit als räumlich und relational entspricht (vgl. Rouanet/Ackermann/Le Roux 2000). Neben Pierre Bourdieu ist Harrison White ein bedeutsamer Vertreter einer relationalen Perspektive auf die soziale Welt. In seinem Hauptwerk Identity and Control (White 2008) verknüpft er soziale Strukturen mit individueller Handlungsfähigkeit und kulturellen und historischen Faktoren, indem er Netzwerke als Foren konzipiert, in denen Identitäten entstehen und ausgehandelt werden (vgl. Häußling 2010). Zugleich sind Netzwerke kulturell geprägt, da die sie konstituierenden Beziehungen von kulturellen Modellen, wie Verwandtschaft oder Vertragsbindungen entsprechen. In diesem Sinne ist eine Unterscheidung von Struktur und Kultur immer nur konzeptionell und analytisch. Empirisch bilden sie zwei miteinander verwobene Dimensionen des Sozialen (vgl. Fuhse 2015). Weder Bourdieu noch White werden zu Vordenkern oder gar Vertretern des Neo-Institutionalismus gezählt, und Referenzen zu ihren Werken finden sich nur in wenigen neo-institutionalistischen Arbeiten. Dennoch kann der Einfluss der von ihnen geprägten relationalen Sichtweise auf Kernideen und -konzepte wie dem organisationalen Feld nicht geleugnet werden. Um die Beziehungen zwischen Organisationen im Feld genauer zu beschreiben, verwenden DiMaggio und Powell (1983) drei verschiedene Kommunikations- und Interaktionsmodi. Im ersten Modus kommunizieren oder interagieren zwei Organisationen durch direkte Beziehungen miteinander (vgl. Laumann/Galaskiewicz/Marsden 1978), wobei die eine Organisation in einer besseren Position ist, so dass sie die andere Organisation beeinflussen oder sogar zu Handlungen zwingen kann (coercive). Diese direkte Art wird um zwei indirekte Formen der Kommunikation ergänzt: Organisationen beobachten solche Organisationen, die eine ähnliche Position im Feld haben (vgl. White/Boorman/Breiger 1976) und kopieren die beobachteten Aktivitäten (mimetic). Die Konkurrenzsituation, die durch die auf diese Weise gegebene Ähnlichkeit entsteht, reduziert die Chance, dass direkt kommuniziert wird. Die Beobachtung des Anderen ersetzt die direkte Kommunikation und ermöglicht einen Informationsfluss obwohl keine Interaktion stattfindet. Im dritten Modus greifen DiMaggio und Powell (1983) die Form der Kommunikation Weniger an Viele auf: Einige Organisationen im Feld – wie zum Beispiel Ausbildungseinrichtungen, Verbände, Vertretungen von Professionen etc. – beschäftigen sich systematisch mit der Weiterentwicklung von Wissen, Normen und Standards im jeweiligen Feld. Sie treiben die sekundäre und tertiäre Sozialisation von Organisationsmitgliedern im Feld voran (normative). Diesen verschiedenen Modi inter-organisationaler Bezugnahme im Feld – direkte und indirekte Inter-

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aktionsformen sowie beziehungsgebundene und massenmediale Kommunikationsmodelle – liegt eine Vielfalt relationaler Denkpositionen zugrunde: Statt einen dominanten Modus zu postulieren, konzeptualisieren DiMaggio und Powell die verschiedenen Möglichkeiten. Organisationen eines Feldes kommunizieren mit- und reagieren aufeinander und schaffen dadurch sowohl gegenseitige (An-)Erkennung als auch klar definierte Statusordnungen und Koalitionsmuster. Im Aufeinander-Bezogen-Sein der Mitgliedsorganisationen und im Verhältnis einzelner Mitglieder zum Kollektiv des Feldes begründet sich die Relationalität des Feldbegriffs. So unterschiedlich die zugrundeliegenden Kommunikationsprozesse sind, so führen sie doch – nach DiMaggio und Powell – dazu, dass Organisationen in ähnlichen Positionen mit ähnlichen Erwartungen konfrontiert werden und diesen nach einiger Zeit immer stärker entsprechen. Diese in vielen empirischen Studien beobachtete Isomorphie erklärt sich damit durch die strukturelle Äquivalenz von Positionen in einem vielfältigen Beziehungsnetzwerk eines organisationalen Feldes. Die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Interaktions- und Kommunikationsmodelle macht es allerdings schwer, diese verschiedenen Prozesse empirisch zu erheben. In der später entwickelten Vorstellung von Issue- oder Themenfeldern (vgl. Bertels/Hoffman/DeJordy 2014; Hoffman 1999, 2001) wird die Operationalisierung im Prinzip durch zwei Fokussierungen vereinfacht: Erstens wird die Zugehörigkeit zu einem Themenfeld enger auf diejenigen Organisationen eingegrenzt, die ein gemeinsames mehr oder weniger aktuelles Anliegen diskutieren. Zweitens werden primär öffentlich sichtbare Kommunikationsprozesse rund um die Thematik betrachtet, so dass die oft schwierige Erfassung von direkten Beziehungen, über die eine Beeinflussung stattfinden könnte, nicht mehr so relevant ist wie im Konzept des organisationalen Feldes. Die Betonung diskursiver Prozesse legt weiterhin nahe, nicht mehr primär soziale Beziehungen zwischen Organisationen zu betrachten, sondern die semantischen Beziehungen zwischen im Diskurs verwendeten Konstrukten empirisch zu rekonstruieren. Dieser Fokuswechsel weg von organisationalen Akteuren hin zur Analyse der Interaktion von abstrakteren Einheiten wird mit dem Ansatz der institutionellen Logiken (vgl. Thornton/Ocasio/Lounsbury 2012) fortgesetzt. Statt wie beim organisationalen Feld die sozialen Beziehungen zwischen Organisationen zu theoretisieren, verlagern sich die Fragen auf die Ebene der Beziehungen zwischen überlappenden und möglicherweise konfligierenden institutionellen Logiken (vgl. Pache/ Santos 2010). Einzelne Organisationen sind in dieser Form des relationalen Denkens nicht mehr die Start- und Endpunkte von Beziehungen, sondern sie werden zu Einheiten, in denen Logiken zueinander in Beziehung gesetzt werden (vgl. Besharov/Smith 2014). Eine relationale Perspektive erlaubt es dabei auch,

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das Beziehungssystem zwischen Logiken als Netzwerk zu denken und darzustellen. Perspektive B: Empirische Nutzung Exemplarisch für die sowohl konzeptionelle als auch empirische Integration von relationalem Denken und neo-institutionalistischen Argumenten ist die Abbildung des Biotechnologie-Feldes als dynamisches Netzwerk bestehend aus wissenschaftlichen Einrichtungen und Unternehmen (vgl. Owen-Smith/Powell 2004; Powell/Packalen/Whittington 2012; Powell et al. 2005; Whittington/ Owen-Smith/Powell 2009). Kern dieser Forschung ist die Untersuchung des Zusammenspiels von sozialen Beziehungen und Institutionen im Kontext der Entstehung und Entwicklung von organisationalen Feldern. Was diese Arbeiten von früheren Überlegungen deutlich unterscheidet, sind eine präzise Definition von organisationalen Netzwerken und ihre empirische Erfassung: Das Feld wird als Netzwerk aus Organisationen, die über Kooperationsbeziehungen miteinander verbunden sind, abgebildet. Positionen der Organisation werden mittels verschiedener netzwerkanalytischer Indikatoren vermessen und gehen dann in die Erklärung der Innovationsfähigkeit der Organisationen mit ein (vgl. Powell/ Koput/Smith-Doerr 1996). Visualisierungen dieser Netzwerke zeigen deutlich die Positionen und die strukturellen Eigenschaften der Mitgliedsorganisationen im Verhältnis zum Gesamtnetzwerk. Nähe und Distanz zwischen Organisationen bemisst sich in der Zahl der Verbindungsschritte zwischen ihnen und vermittelt einen Eindruck über die Fähigkeiten des Feldes bzw. einzelner Bereiche, Informationen weiterzuverbreiten (vgl. Powell/Packalen/Whittington 2012). Longitudinale und vergleichende Untersuchungen verschiedener Regionen zeigen dabei, wie aus den Interaktionen unterschiedlicher Organisationstypen mit diversen Kapazitäten feldspezifische und teilweise lokal begrenzte Praktiken, Überzeugungen und Sinnsysteme entstehen. Besonderen Einfluss nehmen dabei sogenannte anchor tenants, d.h. Organisationen, die als anfängliche Vermittler und Unterstützer ein Gerüst für die Entstehung eines Feldes schaffen (vgl. Powell/Packalen/Whittington 2012: 439). Die Wirkung solcher anchor tenants beruht dabei nicht primär auf einer ideellen Vorbildfunktion im Sinne mimetischer Isomorphie, sondern ergibt sich aus ihrer Position innerhalb eines entstehenden Netzwerkes. So zeigen Owen-Smith und Powell (2004) am Beispiel des Biotechnologiestandorts Boston, dass Universitäten und öffentliche Forschungseinrichtungen notwendig für die Entstehung und Aufrechterhaltung des frühen Netzwerks von Kooperationsbeziehungen waren. Als zentrale Knoten verbanden sie erste Biotechnologieunternehmen mit Risikokapitalgesellschaften und er-

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möglichten Lizensierungs-, Finanzierungs-, und Kommerzialisierungsbeziehungen. Diese vergleichsweise offenen Kanäle beförderten sowohl den direkten Austausch von Informationen zwischen Netzwerkmitgliedern, also auch die indirekte Verbreitung im Sinne eines Spill-Overs von Informationen und Forschungsergebnissen innerhalb des gesamten Netzwerks. 1998, zehn Jahre später, zeigte sich das Bostoner Biotechnologie-Netzwerk deutlich verdichtet. Eine Vielzahl von Beziehungen zwischen verschiedenen Mitgliedern ließ eine Struktur entstehen, die nicht mehr ausschließlich von der verbindenden Funktion öffentlicher Forschungseinrichtungen abhängig ist. Zugleich lässt sich beobachten, dass sich die von den Forschungseinrichtungen vertretenen Normen der freien Wissenschaft sowie ihre akademische Kultur im gesamten Feld ausgebreitet hatten und zu fundamentalen Charakteristika dieses Feldes geworden waren (vgl. Owen-Smith/Powell 2008). Diese Prägung ist jedoch kein Produkt intentionaler Brokerage-Aktivitäten zentraler Organisationen oder bedingt durch kalkulierte Anstrengungen institutioneller Entrepreneure, welche darauf abzielen Institutionen entsprechend eigener Interessen zu gestalten (vgl. Greenwood/Suddaby 2006). Stattdessen sind Struktur und Dynamik der Beziehungen im Zusammenspiel mit den Kapazitäten und Ressourcen der Mitgliedsorganisationen prägend für die kulturelle Orientierung des Feldes. Insbesondere die Offenheit der Beziehungen – Owen-Smith und Powell beschreiben sie als durchlässige Kanäle anstelle von geschlossenen Leitungen – und die wissenschaftliche Orientierung der anchor tenants beförderten einen regen Informationsfluss und hohen Innovationsgrad. Beziehungen bestehen nicht nur zwischen den Mitgliedern eines Feldes, sondern lassen sich auch zwischen den Konzepten, Praktiken und Überzeugungen in einem Feld beobachten. Methoden der semantischen Netzwerk- und geometrischen Datenanalyse erlauben es, die Strukturen von Bedeutungssystemen zu identifizieren und graphisch darzustellen. So können mittels semantischer Netzwerkanalyse Netzwerke rekonstruiert werden, in denen Konzepte die Knoten repräsentieren und die Kanten die Beziehungen zwischen den Konzepten. Im Gegensatz zur sozialen Netzwerkanalyse handelt es sich bei diesen Verbindungen jedoch nicht um bestehende Verträge, Kooperationsvereinbarungen oder ähnliche sozialen Beziehungen, sondern um die inhaltliche Verbindung von Konzepten, die oftmals durch die gemeinsame Verwendung von Begriffen für die Konzepte innerhalb eines bestimmten Dokuments, Kontexts oder durch einen Akteur sichtbar wird. Die Stärke der Verbindung kann dabei durch die Häufigkeit dieses simultanen Auftretens von Begriffen modelliert werden, wohingegen die Distanzen im Gesamtnetzwerk verdeutlichen, welche Begriffe in einem engen Bedeutungszusammenhang zueinander stehen und welche Konzepte wiederum ver-

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schiedene Bedeutungssysteme verbinden. So fanden wir beispielsweise in einer Untersuchung des Diskurses zu Evaluation im Non-Profit-Sektor, dass Begriffe wie »Mission« und »Gerechtigkeit« einerseits und »Performanz« und »Monitoring« andererseits eng miteinander verknüpft waren, während das Konzept »Wirkung« eine Brücke zwischen diesen weitgehend separaten Bedeutungen schlug (vgl. Powell/Oberg/Korff 2015). Loewenstein, Ocasio und Jones (2012) theoretisieren diese relationalen Konstellationen von Begriffen in ihrer Arbeit zu Vokabularstrukturen (vocabulary structures). Diese reflektieren die gängige Nutzung von Worten eines Feldes und umfassen sowohl die Häufigkeit, mit der Begriffe genutzt werden, als auch die Verbindungen zwischen verschiedenen Konzepten einerseits und zwischen Konzepten und Beispielen für diese andererseits. Da Vokabularstrukturen eng mit Bedeutungssystemen verknüpft sind, erlauben sie Einblicke in die institutionelle Konstitution eines Feldes. So untersuchen Thornton et al. (2012) das Zusammenspiel zwischen Vokabularen, organisationalen Praktiken und institutionellen Logiken und beobachten, dass neu entstehende Begriffe und Narrative die Legitimation neuer Praktiken ermöglichen. Das Konzept der Vokabularstruktur stellt wiederum die Relationen zwischen den verschiedenen Begriffen eines Vokabulars, d.h. die strukturellen Charakteristika der Kommunikationspraxis ins Zentrum der Analyse. Dadurch, so Loewenstein et al., »können wir besser verstehen und vorhersagen, welche Kategorien, die eine Logik definieren, sich am wahrscheinlichsten ändern, vermischen oder angesichts von Umweltbelastungen und -chancen ersetzt werden« (Loewenstein/Ocasio/Jones 2012: 33ff., eigene Übersetzung). Im Unterschied zur Darstellung feldspezifischer Vokabulare als Netzwerke von Begriffen untersucht die multiple Korrespondenzanalyse (MCA) Beziehungen zwischen verschiedenen Konzepten und mit ihnen assoziierten Variablen auf Basis ihrer Ähnlichkeit. Dabei ist die MCA, ebenso wie die Netzwerkanalyse, ein primär exploratives Verfahren, welches der Identifikation von Zusammenhangsmustern zwischen kategorialen Variablen dient (vgl. Diaz-Bone 2019). Kern der Analyse ist die geometrische Verortung der Elemente in einem niedrigdimensionalen Raum, also die Darstellung sämtlicher in die Untersuchung einbezogener Variablen und Ausprägungen als Punkte in einem Koordinatensystem. Dies ermöglicht es, anhand der räumlichen Verteilung der verschiedenen Elemente deren empirisch beobachtbare Koinzidenz anhand von Nähe bzw. Distanz zueinander zu beurteilen, sowie die den Raum strukturierenden Dimensionen zu identifizieren (vgl. Georg 2010). Die von Benzécri (1992) entwickelte multiple Korrespondenzanalyse bzw. geometrische Datenanalyse ist stark in der französischen Sozialforschung verankert und insbesondere mit den relationalen Studien

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Bourdieus verknüpft. Diese Verortung ist nicht zuletzt ein Faktor, warum die Methode im Kontext neo-institutionalistischer Arbeiten bisher nur selten Anwendung findet. Obwohl Teil des französischen Kerncurriculums, ist diese Methode in der anglo-amerikanischen und skandinavischen Sozialforschung – den klassischen Hochburgen des Neo-Institutionalismus – hingegen weitgehend unbekannt. Auch im deutschsprachigen Raum kann eine Vertrautheit mit den zugrundeliegenden analytischen Prinzipien und Konzepten nicht vorausgesetzt werden. Neo-institutionalistische Projekte, die mit Korrespondenzanalysen arbeiten, sehen sich mit der Herausforderung konfrontiert, ihre Methodik einem tendenziell skeptischen Publikum erläutern zu müssen. Ein Beispiel für die Anwendung der multiplen Korrespondenzanalyse bezogen auf eine neo-institutionalistische Fragestellung findet sich in Meyer und Höllerers Untersuchung des Verständnisses und der Bewertung von Shareholder Value in Österreich (vgl. Meyer/Höllerer 2010). Ziel ihrer Analyse ist die Rekonstruktion des Bedeutungssystems dieses Themenfeldes und die Verortung von verschiedenen Narrativen und Frames in Form einer topographischen Karte (vgl. auch Meyer/Jancsary/Höllerer in diesem Band). Die Korrespondenzanalyse dient dabei der Erkundung der strukturierenden Merkmale des Bedeutungssystems und dessen Einbettung in den spezifischen Kontext Österreichs. Die Analyse zeigt eine enge Verknüpfung zwischen den verschiedenen Interpretationen von Shareholder Value und den Positionen der Akteure im sozialen Feld. Sichtweisen sind dabei kein Produkt individueller Auseinandersetzung mit einem Konzept, sondern ergeben sich aus der strukturellen Einbettung der Feldmitglieder. Die Korrespondenzanalyse zeigt in diesem Fall deutlich, dass Institutionen und deren Dynamiken durch das Verhältnis, in dem die sie konstituierenden Konzepte zueinander stehen, bedingt sind. Eine relationale Perspektive lenkt den Blick auf diese Konstellationen und vertieft damit das Verständnis von Institutionen; wie sie entstehen, sich entwickeln und vergehen. Zwischenfazit Gemeinsam ist den bisher betrachteten Perspektiven, dass Netzwerke nicht das alleinige Ergebnis des Handelns von Akteuren sind. Vielmehr stehen Akteure und Netzwerke in einem Verhältnis der Ko-Kreation. So ist die Konstitution der Akteure und deren Verhalten einerseits durch die Struktur des Netzwerks und ihrer Position darin beeinflusst; zugleich erzeugen und verändern Akteure ihre Beziehungen und damit die Struktur des Netzwerks: »In the short run, actors create relations; in the long run, relations create actors« (Padgett/Powell 2012: 2).

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KRITIK AM RELATIONALEN DENKEN Dass Beziehungen – und damit relationales Denken – derart wichtig für das Verständnis und die Erklärung der Verbreitung von Ideen bis hin zu ihrer Institutionalisierung sind, wird von zentralen Arbeiten im Neo-Institutionalismus allerdings auch implizit oder explizit in Frage gestellt. Perspektive C: Implizite Kritik Ein Beispiel für eine implizite Kritik an einem simplen relationalen Denken sind die Arbeiten von John Meyer (vgl. Meyer/Krücken/Drori 2009) und seiner Forschungsgruppe zu world polity, die der Verbreitung von Konzepten entlang von sozialen Beziehungen ein indirektes Kommunikationsmodell entgegenstellen. Bereits in ihrer für den Neo-Institutionalismus grundlegenden Arbeit verwenden Meyer und Rowan (1977) das Bild der organisationalen Fassaden. Dieses betont den Unterschied zwischen Innen und Außen und suggeriert, dass die Fassaden oft etwas widerspiegeln, was bei Betrachtern geschätzt wird, aber »hinter der Fassade« nicht unbedingt eine Rolle spielt. Die Organisation kommuniziert mit der Fassade etwas an Außenstehende, ohne dass der Empfänger der Kommunikation klar benennbar wäre. Meyer und Rowan (1977) gehen dabei über die rein metaphorische Verwendung hinaus, indem sie durchaus aufzeigen, was im Inneren der Organisation passiert, um die Fassade zu erzeugen. Damit wird ein Teil des internen Verhaltens mit der Beziehung zwischen Außen und Innen erklärt, ohne jedoch einzelne Beziehungen zu Akteuren oder Beziehungstypen zu Stakeholdern zu benennen. Dieses Offenlassen der Beziehungen zu Außenstehenden ist dabei keine Ungenauigkeit, sondern Folge eines indirekten Kommunikationsmodells, bei dem gar nicht vermutet wird, dass die Kommunikation zielgerichtet entlang von sozialen Beziehungen verliefe. In folgenden Arbeiten zur world polity wird diese Vorstellung von einer breit streuenden kommunikativen Wirkung von Organisationen weiter ausgearbeitet. Man könnte von einer Art Leuchtturm-Modell der Kommunikation sprechen, bei dem eine Gruppe zentraler Organisationen – oftmals UN-Organisationen und andere nichtstaatliche Organisationen (vgl. Beckfield 2010; Boli/Thomas 1999) – Ideen zusammentragen, diskutieren, verdichten und veröffentlichen. Während zentrale Akteure im organisationalen Feld von DiMaggio und Powell (1983) meist nur eines oder wenige Felder normativ beeinflussen, betrachtet die world polity-Forschung oftmals zentrale Akteure, die in viele Felder – oftmals auch in viele nationale Felder (vgl. Drori 2003) – hineinwirken.

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Die Veröffentlichungen dieser Organisationen – Vorschläge für Standards oder Gesetze, ausgearbeitete Leitfäden, Pläne für Veränderungen etc. – werden möglichst breit verteilt. So wie ein Leuchtturm in alle Richtungen Lichtstrahlen versendet, streuen diese zentralen Organisationen ihre Veröffentlichungen, ohne genau antizipieren zu können, wer sie wahrnehmen wird. Massenmediale Darstellungen – zum Beispiel durch Berichte über zentrale Konferenzen – werden ebenso zu wichtigen Mitteln der Verbreitung von Ideen und Konzepten wie auch Schulbücher, die diese Ideen – mehr oder weniger gefiltert – weltweit verbreiten (vgl. Meyer/Kamens/Benavot 2017). Die Rezeption der medialen Beiträge kann – zumindest in der world polityArgumentation – mehr oder weniger weltweit erfolgen. Um zu erklären, welche Regierungen oder Organisationen die Ideen aufgreifen, werden meist Charakteristika der potentiellen Rezipienten herangezogen: Anhand der Eigenschaften von Nationen oder Organisationen lässt sich abschätzen, wer mit höherer Wahrscheinlichkeit ausgesendete Ideen aufgreifen wird (vgl. Strang/Meyer 1993; Beckfield 2003; Schofer/Meyer 2005). Mit dem Rückgriff auf Eigenschaften der Akteure ist ein anderes Konzept von Nähe und Distanz als im relationalen Denken verbunden. Mit der »Nähe« zu anderen Akteuren wird zwar durchaus noch eine relationale bzw. räumliche Metapher verwendet, aber Nähe wird in der Regel als Grade der Ähnlichkeit konstruiert. Diese Betrachtung kultureller, ideologischer oder struktureller Distanz unterscheidet sich damit deutlich von sozialer Distanz, gemessen an der Zahl der Schritte über soziale Beziehungen, wie sie im relationalen Denken üblich ist. Damit weicht die Konzeption und empirische Erforschung von Diffusionsprozessen deutlich von einer relationalen Denkweise ab, da sie soziale Beziehungen in der Theorie als nicht zentral ansieht und entsprechend auch auf Versuche zur Rekonstruktion von Beziehungen verzichtet. Durch die Betonung von Ausbreitungsformen, die nicht an Beziehungen gebunden sind, wird implizit eine Kritik an einer relationalen Denkweise deutlich. Die world polity-Forschung zeigt damit auf, dass es mehr Aspekte gibt, die Akteure zu ähnlichem Verhalten anregen, als die Existenz oder Nicht-Existenz von Beziehungen. Perspektive D: Explizite Kritik Die Translationsperspektive geht in ihrer Konzeption von Diffusionsprozessen noch einen Schritt weiter. Sie stellt nicht nur das Sender-Empfänger-Modell der Kommunikation (vgl. Shannon/Weaver/Burks 1951), sondern auch die Ähnlichkeit in der Rezeption der diffundierenden Modelle in Frage. Zwei Kritikpunkte

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an zentralen Annahmen vieler relationaler Forschungsprojekte verdeutlichen dies besonders: Czarniawska und Joerges kritisieren mit ihrem Aufsatz Travels of Ideas die Annahme der Nachverfolgbarkeit von »Pfaden« einer Diffusion vom Zentrum in die Peripherie (vgl. Czarniawska/Joerges 1996). So lässt sich bei vielen Ideen beobachten, dass sie an verschiedenen Stellen fast gleichzeitig in variierter Form auftauchen, ohne dass sich ein klarer Pfad rekonstruieren ließe. Dem Konzept der Nachverfolgbarkeit zwischen sozialen Akteuren wird eine »trans-lokale« Sphäre gegenübergestellt, in der abstrahierte Ideen entkoppelt von Akteuren und lokalen Bedingungen (disembedding) existieren können, bis sie wieder aufgegriffen werden. Sie greifen damit eine idealistische Vorstellung auf, wonach Ideen auch ohne ihre Realisierung zum Beispiel in Texten, Büchern und Artefakten weiterexistieren, wieder aufgegriffen und konkretisiert werden können. Stellt man die Nachverfolgbarkeit von Diffusionspfaden grundsätzlich in Frage, werden damit eine Reihe typischer netzwerkanalytischer Methoden hinterfragt: Wie kann man noch soziale Distanzen errechnen, wenn man nicht mehr die Anzahl der Knotenpunkte, über die eine Idee sich ausbreitet, als Basis verwenden kann? Wenn allerdings soziale Distanzen irrelevant werden, werden auch häufig verwendete globale Positionsbeschreibungen – wie die Closeness- und die Betweenness-Centrality – hinfällig, die nur unter der Voraussetzung von transitiven Beziehungen berechnet werden können (vgl. Scott 2012). Weiterhin stellen sie eine Container- bzw. Paket-Metapher in Frage, wonach eine gesendete Information in eine Nachricht »verpackt« und dann beim Empfänger unverändert »entpackt« werden würde. Sie argumentieren, dass Empfänger von Nachrichten diese nicht nur interpretieren, sondern im jeweiligen Kontext zu eigenen lokalen Deutungen gelangen (reembedding). In Folge dieser Kritik werden Prozesse und Mechanismen des Übersetzens und Editierens genauer betrachtet (vgl. Zilber 2006; Sahlin/Wedlin 2008; Boxenbaum/Jonsson 2017), durch die Ideen während ihrer Ausbreitung verändert und an lokale Bedingungen angepasst werden. Stellt man die Persistenz bzw. Identität einer Idee in Frage, stellt dies typische netzwerkanalytische Methoden vor große Herausforderungen: Alle klassischen Indikatoren basieren auf der Annahme, dass etwas Mess- und Abgrenzbares über soziale Beziehungen unverändert weitergetragen wird. Zusammengenommen verschieben diese Kritikpunkte den Fokus der Betrachtung an zwei entscheidenden Stellen: Statt zu analysieren, über welchen Kanal eine Idee diffundiert, steht die Frage im Vordergrund, wie die Idee sich in den bisherigen Wissensstand integriert. Statt die Unversehrtheit der Nachricht anzunehmen, wird die Variation auf sprachlicher Ebene und/oder Bedeutungsebene genauer analysiert.

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STATUS UND WEITERENTWICKLUNGSMÖGLICHKEITEN Zusammenfassend kann man also feststellen, dass vier unterschiedliche Perspektiven auf relationales Denken in zentralen neo-institutionalistischen Arbeiten zu finden sind. Den ersten beiden Perspektiven ist gemeinsam, dass sie die Bedeutung von Beziehungen und Netzwerken für die Entstehung und Verbreitung von Institutionen konzeptionell und empirisch erfassen. Demgegenüber stehen kritische Perspektiven, die Ausbreitungsmuster und -mechanismen von Ideen und Konzepten aufzeigen, welche nicht an soziale Beziehungen gebunden sind. So sehen Meyer und anderen world polity-Vertreter Beziehungen zwar als potenziell bedeutsam, aber nicht zentral für die Diffusion kultureller Modelle. Mit dem Verweis auf Sphären, die die Bedeutung sozialer Beziehungen negieren, sowie der Betonung der lokalen Anpassung und damit der fehlenden Identität sich ausbreitender Ideen wurde dagegen mit der Translationsperspektive ein deutliches Gegenmodell entwickelt. Perspektive E: Theorieimmanenter Umgang mit Kritik Die Kritik am relationalen Denken eröffnet Möglichkeiten für eine konstruktive Weiterentwicklung. Wir greifen zwei zentrale Kritikpunkte – das Problem fehlender Pfade und das Problem fehlender Identität der diffundierenden Konzepte – auf, um zu zeigen, wie diese bisher ignorierten Aspekte in einer erweiterten relationalen Perspektive berücksichtigt werden können. Die Kritik des world polity-Ansatzes lässt sich aufgreifen, indem man Interaktion nicht mehr als Notwendigkeit für eine soziale Beziehung begreift. Schon in der Definition von Max Weber war deutlich geworden, dass soziale Beziehungen existieren können, ohne dass sie fortwährend über Interaktionen reproduziert werden müssen. Folgt man dieser allgemeineren Vorstellung von Beziehungen, ist es auch möglich, mittels netzwerkanalytischer Methoden relationale Verbindungen zwischen Akteuren abzubilden, die kulturelle, normative oder strukturelle Unterschiede berücksichtigen. So lassen sich dann die methodischen Vorzüge von Netzwerkanalysen auch auf Forschungsprojekte anwenden, die nicht-beziehungsgebundene Ausbreitungsarten von Ideen thematisieren. Um ein Beispiel zu geben: Um die internationale Ausbreitung von neuen Organisationsmodellen zu erklären, könnte man die kulturellen und geographischen Distanzen zwischen Ländern als Netzwerkebenen modellieren. Mittels dieser Netzwerkebene lässt sich dann testen, inwieweit die Adoption bzw. Adaption dieser Modelle in einzelnen Ländern von der kulturellen und geographischen Distanz zu Ländern abhängt, in denen entsprechende Modelle entstanden sind.

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Auf die gleiche Weise lässt sich auch der explizite Gegenentwurf der Translationsliteratur mittels einer ideellen Sphäre berücksichtigen: Hier kann – quasi als eine Art Falsifikation – überprüft werden, ob soziale und/oder kulturelle Nähe tatsächlich eine derart geringe Rolle für die Ausbreitung der Ideen spielt. Zur Durchführung solcher Analysen bieten sich Ansätze an, in denen kulturelle Unterschiede und relationale Verlinkung gleichzeitig betrachtet werden. Organisationen werden auf verschiedenen Ebenen – zum Beispiel in Form einer MultiLevel-Analyse (vgl. Moliterno/Mahony 2011) – mit jeweils eigenständigen Positionen auf beiden Ebenen verortet. Sie haben damit sowohl eine kulturelle Position als auch eine Position im sozialen Netzwerk. Wenn es gelingt, solche mehrdimensionalen Datensätze nicht nur zu einzelnen Zeitpunkten, sondern über einen längeren Zeitverlauf hinweg zu erheben, können Dynamiken auf der relationalen Ebene mit kulturellen Dynamiken verglichen werden (vgl. Powell/Oberg 2017). Komplexe Formen der Visualisierungen erlauben die Zusammenführung relationaler und diskursiver Daten in einer Darstellung und machen damit ein Feld als Netzwerk im kulturellen Raum darstellbar und interpretierbar. Eine solche Integration verschiedener Dimensionen ermöglicht es, kulturelle und soziale Distanzen im Verhältnis zueinander zu analysieren. Dieser Idee folgend haben wir in einem Projekt zur Beobachtung des Impact Diskurses in den USA (vgl. Korff/Oberg/Powell 2015) die Referenzen zwischen beteiligten Websites sowie ihre diskursive Verortung in zwei Schritten visualisiert (siehe Abbildung 1). Im ersten Schritt wird ein multidimensionaler Raum entsprechend der im Feld vorhandenen Bedeutungssysteme aufgespannt. Beim Vorhandensein von drei Sinnsystemen bedeutet dies die Konstruktion eines Dreiecks in welchem die Ecken die Reinform und sämtliche Bereiche innerhalb der Dreiecksfläche Mischzustände der drei Diskurse darstellen. Entsprechend ihrer kulturellen Orientierung zu den jeweiligen Sinnsystemen können Feldmitglieder auf dieser kulturellen Topographie verortet werden. Distanzen zwischen Organisationen sind damit nicht das Produkt der Beziehungsstruktur zwischen ihnen, sondern bilden den Grad der kulturellen Übereinstimmung bezogen auf die zugrundeliegenden Sinnsysteme ab. In einem Feld, welches durch einen hohen Grad der Differenzierung geprägt ist, sind verschiedene Organisationstypen entsprechend weit verteilt, aber vorwiegend in den verschiedenen Ecken des Dreiecks verortet. In einem kulturell eher homogenen Feld sind seine Mitglieder konzentriert in einem Bereich des kulturellen Raumes. In einem Feld, in dem vormals getrennte Diskurse beispielsweise von vermittelnden Organisationen zusammengeführt und rekombiniert werden, vollzieht sich hingegen eine Konzentration seiner Mitglie-

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der im Schnittbereich zwischen den Sinnsystemen (vgl. Oberg/Korff/Powell 2017). Abbildung 1: Kulturelle Positionen und Vernetzung von Organisationen im Impact-Diskurs (Korff et al. 2015) Associational

Managerial

Scientific

In einem zweiten Schritt wird die so entstandene Karte um die Verbindungen zwischen den Feldmitgliedern ergänzt. Das Beziehungsnetzwerk wird gewissermaßen als nächste Ebene aufgetragen und damit im kulturellen Raum sichtbar gemacht. Neben der reinen Darstellung und visuellen Interpretation ist es auch möglich, Bereiche des kulturellen Raumes und die Organisationen, die diesen bevölkern, netzwerkanalytisch zu untersuchen. Dies erlaubt Vergleiche zwischen kulturellen Arealen und kann zeigen, ob kulturelle Differenzierung sich auch in der Bildung von Netzwerkclustern widerspiegelt und welche Organisationen in der Lage sind, vermittelnde Positionen einzunehmen (vgl. Korff/Oberg/Powell 2017). Die Relationen zwischen Organisationen innerhalb eines Feldes werden somit sowohl in ihrer kulturellen als auch in ihrer strukturellen Ausprägung erfass- und analysierbar. Ob Ideen und Konzepte primär über Beziehungen oder über kulturelle Ähnlichkeit verbreitet werden, wird damit empirisch überprüfbar. Der zweite Kritikpunkt wonach sich diffundierende Ideen derart verändern, dass typische Ansätze sozialer Netzwerkanalyse nicht mehr anwendbar sind, lässt sich ebenfalls konstruktiv aufgreifen. Begrenzt man relationales Denken

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nicht auf soziale Netzwerkanalyse, hat man mit semantischen Netzwerken (vgl. Carley/Kaufer 1993; Jancsary et al. 2017) einen Ansatz, um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Ideen detailliert empirisch herauszuarbeiten. Mit solchen Verfahren ist es damit gut möglich, Prozesse des Editierens nachzuvollziehen. Dabei wird die Bedeutung eines Konzepts auch durch die Vernetzung mit seinen umgebenden Konzepten rekonstruiert. Im ersten Schritt entstehen auf diese Weise Ego-Netzwerke für einzelne Konzepte. Setzt man diese Prozesse fort, entsteht ein größeres Netzwerk aus Begriffen, die miteinander in Beziehung stehen und zu ihren wechselseitigen Definitionen beitragen. In Abbildung 2 sind solche semantischen Netzwerke beispielhaft abgebildet. Sie sind im Rahmen des oben erwähnten Projekts zur Beobachtung des Impact Diskurses in den USA entstanden (vgl. hierzu Powell et al. 2017) und zeigen semantische Netzwerke der Organisationen, die in den drei Ecken der vorherigen Abbildung verortet sind (vgl. Powell/Oberg/Korff 2015). Im Beispiel wird der gleiche Begriff »Impact« innerhalb der drei verschiedenen Gruppen von Organisationen unterschiedlich stark mit anderen Begriffen kombiniert. Wissenschaftlich orientierte Organisationen kombinieren Impact mit Messinstrumenten (Daten, Survey, Evaluation und Assessment); Organisationen mit einer Orientierung am Unternehmertum (insbesondere Beratungen, StartUps, IT-Firmen) erwähnen ebenfalls Messinstrumente wie Evaluation, Monitoring und Outcome, ordnen diese aber insgesamt dem Performance-Begriff unter; Organisationen, die sich stark am Gemeinwohl orientieren (wie Non-ProfitOrganisationen, Vereine, Verbände), relativieren den Impact-Begriff, indem sie ihn stark im Kontext ihrer Mission verwenden und ebenfalls Begriffe wie Gerechtigkeit, Vertrauen und Werte erwähnen. Wie man an den Beispielen sieht, ist die Ausgestaltung der Ego-Netzwerke für den Impact-Begriff stark kontextabhängig, so dass sich auch die Bedeutung des Begriffs von Gruppe zu Gruppe zumindest leicht verschiebt.

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Abbildung 2: Impact-Begriff im Kontext dreier Gruppen von Organisationen (oben: Orientierung an Wissenschaftlichkeit; mitte: Orientierung am Unternehmertum; unten: Orientierung am Gemeinwohl) (Powell/Oberg/ Korff 2015)

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Solche Abbildungen von Bedeutungsstrukturen als Netzwerke haben mehrere Vorteile: Es werden unterschiedliche kulturelle Positionen dadurch sichtbar, dass sich die Ego-Netzwerke von Akteuren mit unterschiedlichem Hintergrund oder unterschiedlicher Orientierung unterscheiden. Durch die Abbildung der jeweiligen Bedeutungsstrukturen in Netzwerken können die Unterschiede sowohl qualitativ interpretiert als auch quantitativ überprüft werden. Resultate von Editierprozessen können sichtbar gemacht werden, indem man systematisch betrachtet, welche Elemente von Akteuren, die ein Konzept später aufgegriffen haben, ergänzt oder weggelassen werden. Im obigen Beispiel, bei dem die Daten zum gleichen Zeitpunkt erhoben wurden, lässt sich indirekt erkennen, dass der Impact-Begriff bei seiner Ausbreitung aus dem wissenschaftlichen Diskurs in den Managementdiskurs und zuletzt in den Non-Profit-Bereich schrittweise Bezüge zu ursprünglich zusammengehörigen Begriffen verliert und dafür andere Bezüge aufnimmt. Diese Veränderungen lassen sich selbst dann ermitteln, wenn andere Worte für zentrale Konzepte verwendet werden, da sich mittels eines Vergleichs von Netzwerkstrukturen erkennen lässt, ob im Rahmen von Editierprozessen eine Umbenennung einer ansonsten unveränderten Position im semantischen Netzwerk stattgefunden hat. Die Erhebung und Analyse solcher Netzwerke über die Zeit hinweg ermöglicht es auch die Zeitpunkte der Editierprozesse zu ermitteln und auszuwerten. Wenn es zudem parallel gelingt, auf einer weiteren Netzwerkebene die Position von Akteuren im sozialen Netzwerk zu rekonstruieren, können zwei Kritikpunkte empirisch aufgegriffen werden: Erstens kann überprüft werden, inwieweit Knoten bei der Diffusion von Konzepten übersprungen werden, weil die Rezipienten zeitgleich etwas erfahren und nicht auf die Informationsweitergabe durch Nachbarn angewiesen sind. Zweitens kann analysiert werden, in welchem Um-

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fang sich Konzepte wandeln. Mit derart komplexen Kombinationen aus sozialer und semantischer Analyse könnte das relationale Denken damit sogar auf solche Theorieansätze angewendet werden, die relationale Ideen über die Ausbreitung von Ideen und Institutionen bisher kritisieren.

AUSBLICK Drei Entwicklungen sprechen dafür, dass das relationale Denken im NeoInstitutionalismus in der nächsten Zeit interessante neue Beiträge liefern kann: Als zentrale Datenbasis dienen in den zuletzt genannten Beispielen Webseiten (vgl. Powell/Horvath/Brandtner 2016; Powell et al. 2017; Sahlin et al. 2015), da diese sowohl Informationen zu sozialen Beziehungen als auch vielfältige Informationen zu diskursiven Positionen von Organisationen enthalten. Derzeit steigen Umfang und Qualität solcher natürlichen Daten durch die Digitalisierung vieler Lebensbereiche erheblich an. Mit dem Internet, mit sozialen Netzwerken und mit Sharing-Plattformen entstehen riesige Datenmengen, die meist relational interpretierbar sind, da sie Daten zu Produzenten und Rezipienten von Informationen oder sozialen Interaktionen enthalten. Durch die fortschreitende Digitalisierung der Kommunikation innerhalb und zwischen Organisationen (Intranets, Produktionsnetzwerke, Cluster etc.) stehen ähnliche Datengrundlagen zur Analyse auf Mikro-Ebene zur Verfügung (vgl. Oberg/Walgenbach 2008). Auf der Meso-Ebene eröffnen sich durch soziale Medien und Webseiten enorme Möglichkeiten für Feldanalysen, so dass aktuelle Diskussionen zu Feldern (vgl. Hinings/ Logue/Zietsma 2017; Zietsma et al. 2017) auch empirisch aufgegriffen werden können. Auch Auseinandersetzungen und öffentliche Debatten um zentrale Themen wie etwa Klimawandel, Migration und die Bedeutung von Religion finden heute zunehmend in digitalen Medien statt. Neue Methoden zur Erhebung solcher Diskurse ermöglichen es, die Dynamiken dieser Themenfelder auf kultureller, konzeptioneller sowie auf Ebene sozialer Beziehungen parallel zu vergleichen (vgl. Lefsrud/Oberg/Meyer 2019). Nicht zuletzt eröffnet die Visualisierung von Daten neue Möglichkeiten der Wissenschaftskommunikation. Relationale Denkweisen eignen sich auch hier – insbesondere in Form von Netzwerkanalysen – sehr gut, da relationale Daten ähnlich wie Karten oder technische Netzwerke visualisiert werden können. Damit können übergreifende soziale Strukturen und Dynamiken sichtbar gemacht werden (vgl. Korff/Oberg/Powell 2015; Oberg/Korff/Powell 2017).

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Neben der Erschließung neuer Datenquellen und der Bereitstellung vertiefender Analysemethoden liegt der zentrale Beitrag des relationalen Denkens für die neo-institutionalistische Forschung aber in der Möglichkeit, vormals getrennt behandelte Sphären – Kultur und Struktur – zusammen zu führen. Eingangs postulierten wir die Annahme, dass das Verständnis eines Phänomens von einer Differenzierung in seine Elemente und Beziehungen profitiert. Da wir mittels relationaler Perspektiven sowohl soziale Beziehungen als auch kulturelle Unterschiede berücksichtigen können, ist es möglich, das Wechselspiel dieser konzeptionell zu fassen und empirisch zu beobachten. Damit ermöglicht eine solche Perspektive eine Fortschreibung des klassischen Neo-Institutionalismus, welcher Akteure weder als rational Handelnde noch als kulturelle Marionetten konzeptualisiert, sondern das Zusammenspiel von Normen, Beziehungen, Motiven und Handlungen in den Fokus stellt.

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Die Erfassung und Messung von Bedeutungsstrukturen in großen Textsammlungen Die Nutzung neuartiger Werkzeuge des Natural Language Processing im Neo-Institutionalismus Jan Goldenstein, Philipp Poschmann und Peter Walgenbach

Seit über 40 Jahren werden die Konzepte der neo-institutionalistischen Organisationstheorie mit großem Erfolg weiterentwickelt (vgl. Greenwood et al. 2017). In den letzten Jahren halten mit der Verfügbarkeit von Big Data auch neue Methoden Einzug in die Theorie, mit denen sich sowohl alte als auch neuere Konzepte der Theorie auch »großzahlig« untersuchen lassen (vgl. DiMaggio/Nag/Blei 2013; Mohr/Bogdanov 2013; Mohr et al. 2013; DiMaggio 2015; Powell/Horvath /Brandtner 2016). Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten für die empirische Forschung. Im vorliegenden Kapitel wird ein Teil dieser Methoden vorgestellt und dargelegt, wie das Analyserepertoire des Neo-Institutionalismus insbesondere durch Werkzeuge des Natural Language Processing (NLP) sinnvoll erweitert werden kann. Im Folgenden wird illustriert, wie Wissenschaftler diese NLPWerkzeuge beispielsweise zur Untersuchung von Prozessen in institutionellen Feldern nutzen können. Felder stellen eine zentrale Analyseeinheit im Neo-Institutionalismus dar. Sie werden als aus mehreren Gruppen von Akteuren bestehend konzeptualisiert, die in eine institutionelle Ordnung eingebettet sind, d.h. in ein geteiltes Sinnsystem, welches die im Feld als legitim geltenden Vorstellungen und Praktiken definiert (vgl. DiMaggio/Powell 1983; Scott 1994; Zietsma et al. 2017). Sinnsysteme bestehen vornehmlich aus von den Akteuren im Feld geteilten Bedeutungen (vgl. Hoffman 1999; Wooten/Hoffman 2008, 2017; Beckert 2010; Ansari/Phillips 2011; Meyer/Jancsary/Höllerer in diesem Band). Für die Entwicklung der in institutionellen Feldern geteilten Bedeutungen wird dabei den nachfolgend darge-

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stellten Prozessen und Einflüssen – Isomorphie, institutioneller Wandel, Rahmungen, Emotionen – eine zentrale Rolle zugeschrieben. Isomorphie beschreibt die zunehmende Angleichung von Akteuren innerhalb eines institutionellen Feldes. Die zunehmende Angleichung von Akteuren insbesondere hinsichtlich ihrer strukturellen Merkmale und Praktiken resultiert aus der vermehrten Interaktion zwischen den Feldmitgliedern und aus der Entwicklung eines geteilten Sinnsystems (vgl. DiMaggio/Powell 1983). In Bezug auf die Interaktion zwischen Feldmitgliedern konnte beispielsweise Fligstein (1985) zeigen, dass die Verbreitung der divisionalen Organisationsform in den Vereinigten Staaten unter anderem dadurch vorangetrieben wurde, dass sich die Unternehmen einer Industrie gegenseitig wahrnahmen und ihre Aktivitäten und ihre Struktur an vermeintlich erfolgreichen Unternehmen ausrichteten. Allerdings wird mit Blick auf Studien zur Isomorphie kritisiert, dass die umfassende und longitudinale Untersuchung der Entstehung und des Wandels von geteilten Bedeutungen in Feldern bislang weit weniger Beachtung erfahren hat als die Analyse der strukturellen Angleichung der Akteure im Feld (vgl. Suddaby 2010; Suddaby et al. 2010). Empirisch wurden vor allem kleine Samples (z.B. Maguire et al. 2004), Samples mit wenigen Untersuchungszeitpunkten (z.B. Hardy/Maguire 2010) sowie Samples mit nur weniger Akteursgruppen (z.B. Reay/Hinings 2005) genutzt. Diese Defizite korrespondieren damit, dass vor allem manuelle Textanalysen durchgeführt wurden (z.B. Colyvas/Powell 2006; Meyer/Höllerer 2010; Bromley et al. 2011), die einen enormen Analyseaufwand bedingen. Durch die Nutzung von NLP-Werkzeugen können die bisherigen Ansätze zur Analyse von Bedeutungen hochskaliert werden, indem »accounts« (Meyer 2010) oder »vocabularies« (Loewenstein et al. 2012), durch welche die soziale Welt typisiert und objektiviert wird (vgl. Schütz 1932; Berger/Luckmann 1967; Hasse/Schmidt 2010), unter Berücksichtigung vieler unterschiedlicher Akteursgruppen und anhand der von diesen produzierten Texten »großzahlig« analysiert werden. Des Weiteren werden Typisierungen und Objektivierungen an nachfolgende Generationen weitergegeben, weshalb eine longitudinale Betrachtung interessante Einsichten birgt, die durch den Einsatz von NLP-Werkzeugen möglich wird. Bereits in frühen neo-institutionalistischen Arbeiten wurde hervorgehoben, dass sich in institutionellen Feldern nicht nur Prozesse der Isomorphie zeigen, sondern auch institutioneller Wandel vonstattengeht (vgl. Hirsch/Lounsbury 1997; Hoffman 1999). Campbell (2004) unterscheidet zwei generelle Muster institutionellen Wandels. Einerseits können sich Institutionen evolutionär verändern, d.h. durch die Akkumulation kleinerer Modifikationen über die Zeit. Andererseits besteht auch die Möglichkeit von revolutionärem Wandel. Diese Form

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des Wandels bezeichnet substanzielle Modifikationen von Institutionen in einer kurzen Zeitspanne. Für beide Formen des institutionellen Wandels wird in verschiedenen Arbeiten auf die Rolle von sich ändernden kulturellen Bedeutungen auf der Makro-Ebene hingewiesen (vgl. Phillips/Lawrence/Hardy 2004; Meyer 2010; Höllerer/Walgenbach/Drori 2017). Dennoch hat sich auch hier die empirische Forschung bisher vor allem auf Wandel durch die Verbreitung neuer und die Modifikation bestehender formaler Strukturen als Indiz für Bedeutungswandel fokussiert (vgl. Schofer/Meyer 2005; Lim/Tsutsui 2012; Lim 2016). Die Untersuchung institutionellen Wandels auf der Ebene der Bedeutungen verlangt jedoch nach einem Analyseinstrumentarium, welches eine feinkörnige Analyse von Sprache erlaubt. Gleichzeitig lassen sich die Fragen, ob institutioneller Wandel evolutionär oder revolutionär erfolgt und wie er sich in entstehenden oder sich wandelnden Bedeutungen manifestiert, oftmals nur durch die Analyse großer Datenmengen beantworten. Im Neo-Institutionalismus werden in jüngerer Zeit zudem Einflussfaktoren in den Blick genommen, mit denen Prozesse der Isomorphie und des Wandels exakter gefasst werden können. Rahmung und Emotionen sind zwei dieser Faktoren, die in jüngeren Arbeiten intensiv diskutiert werden (vgl. Cornelissen/ Werner 2014; Lok et al. 2017). Das Konzept der Rahmung (Framing) erlaubt, die Analyse der Konstruktion und des Wandels von kulturellen Bedeutungen in den Blick zu nehmen. Akteure konstruieren Bedeutungen durch die Nutzung von im Feld vorhandenen kognitiven Rahmen (vgl. Cornelissen/Werner 2014). Unter einem kognitiven Rahmen können »schemata of interpretation« (Goffman 1974: 21) verstanden werden, welche Akteure nutzen, um sozialen Handlungen Sinn zu verleihen (vgl. Benford/Snow 2000). Ein Feld besteht stets aus einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure. Damit geht einher, dass oftmals im Feld auch unterschiedliche Rahmen existieren, die von Akteuren zur Interpretation der sozialen Welt genutzt werden können. Die empirische Forschung konnte zeigen, dass der Rahmen, den Akteure im Feld nutzen, nicht willkürlich gewählt, sondern maßgeblich von der Beschaffenheit und Struktur des Feldes beeinflusst wird (vgl. Meyer/Höllerer 2010; Litrico/David 2017). Es wird daher vielfach angenommen, dass es in Feldern zu Kämpfen zur Durchsetzung bestimmter kognitiver Rahmen kommt und als Resultat dieser Kämpfe um die Deutungshoheit ein oder mehrere Feld-Rahmen hervorgehen, die von einem Großteil der Feldmitglieder übernommen werden (vgl. Lounsbury/Ventresca/Hirsch 2003; Ansari/Wijen/Gray 2013). Allerdings wird die vorliegende Forschung dahingehend kritisiert, einen zu starken Fokus auf die Verbreitung und Übernahme von bereits existierenden Rahmen in Feldern zu legen. Dadurch wird der Prozess der Konstruktion von Bedeutungen in Feldern vernachlässigt (vgl. Cornelissen/Werner 2014). Kon-

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struktion und Wandel von Bedeutungen in institutionellen Feldern können sich über längere Zeiträume hinziehen und unter Beteiligung einer Vielzahl von Akteuren stattfinden, weswegen es nötig ist, große Datenmengen über lange Zeiträume zu untersuchen. Im Neo-Institutionalismus herrscht ein starker Fokus auf kognitive Prozesse vor (vgl. DiMaggio/Powell 1991). Zunehmend werden jedoch auch hier Emotionen thematisiert (vgl. Lok et al. 2017; Weik in diesem Band). Creed et al. (2014) knüpfen dabei an das Rahmungskonzept an. Sie argumentieren, dass Emotionen der Ausdruck dessen sind, was Akteure in einer gegebenen Situation empfinden. Diese Situation wird als institutionell geprägt angesehen, womit Emotionen selber als Gegenstand sozialer Konstruktion anzusehen sind. Emotionen werden folglich als ein Faktor definiert, der zu erklären vermag, wie und warum Akteure in institutionellen Kontexten agieren und wie sie zu Institutionen Stellung beziehen (vgl. Lok et al. 2017). In diesem Sinn sind Emotionen entscheidend, um die Motivation von Akteuren zu verstehen, Institutionen entweder aufrechtzuerhalten oder zu verändern (vgl. Lawrence/Phillips 2004; Voronov/Yorks 2015). Bislang fehlen jedoch Arbeiten, die Emotionen unabhängig von vordefinierten Schlüsselworten (siehe zum Beispiel Newman et al. 2003) quantitativ messen. Die Nutzung von NLP-Werkzeugen ermöglicht es, den Fokus auf die Identifizierung von in Sprachäußerungen latent transportierten Emotionen, d. h. emotionalen Stimmungen, die sich aus der Gesamtheit eines Textes oder einer Aussage ergeben, zu legen.

ÜBERWACHTES MASCHINELLES LERNEN Grundlagen Der Ansatz des überwachten maschinellen Lernens ist die Grundlage dafür, dass moderne NLP-Werkzeuge automatisch Kommunikationsstrukturen aufdecken, Akteurstypen identifizieren oder in Texten zum Ausdruck gebrachte emotionale Stimmungen klassifizieren können. Dies wird dadurch ermöglicht, dass maschinelles Lernen auf computergestützten Prozessen basiert, die vorliegende Zusammenhänge (z.B. Muster in der Verwendung von Sprache) auf Basis unterschiedlicher Daten nachbilden (vgl. Langley 1996; Mitchell 1997). Mit Blick auf die Verarbeitung natürlicher Sprache zur Analyse von Isomorphie, institutionellem Wandel und insbesondere Rahmungen und Emotionen sind geeignete Daten somit Textkorpora, welche die Sprachnutzung in bestimmten Verwendungskontexten abbilden. Ein Textkorpus kann prinzipiell aus unterschiedlichen Textgen-

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res aufgebaut werden, wie z.B. aus Zeitungsartikeln oder Produktbesprechungen. Eine solche Sammlung von Texten gilt als für maschinelles Lernen geeignet, wenn der Korpus für den Zweck repräsentativ ist, für den er geschaffen wurde. Beispielsweise kann ein Korpus repräsentativ sein, wenn er die regelmäßig auftretenden Sprachnutzung in Zeitungsartikeln abbildet (für eine ausführliche Diskussion und statistische Verifikation in Bezug auf die Repräsentativität von Korpora, siehe Biber 1993). Um NLP-Werkzeuge unter Verwendung von überwachtem maschinellem Lernen zu trainieren, werden die Textkorpora in sogenannte Baumbanken (treebanks) umgewandelt, die manuell oder halb-manuell mit linguistischen Merkmalen annotiert wurden (z.B. Labels für Akteurstypen und Stimmungen oder grammatikalische Funktionen von Worten). Indem die NLPWerkzeuge auf Basis eines Algorithmus automatisch jene Muster identifizieren, in denen die annotierten Merkmale auftreten, erwerben diese die Fähigkeit, die grammatische Funktion von Worten oder das Auftreten von Akteuren auch in unbekannten Texten erkennen zu können. Das Ergebnis eines derartigen Trainings wird als Modell bezeichnet. Dies impliziert, dass die Güte und Validität der Ergebnisse, die ein Modell liefert, im Wesentlichen von der verwendeten Baumbank bzw. dem Textkorpus, auf dem diese basiert, abhängt. So dürfte beispielsweise. ein NLP-Werkzeug, welches an professionell redigierten Texten (z.B. Zeitungsartikel) trainiert wurde, sich als gut geeignet für die Analyse von Texten des gleichen bzw. eines verwandten Genres erweisen, aber weniger gut für die Analyse von Texten mit fehlerhafter Grammatik oder hoher sprachlicher Ambiguität (z.B. Posts auf Twitter). Daher ist es entscheidend, entweder ein passendes Modell zu trainieren oder die NLPWerkzeuge mit einem bereits vorhandenen Modell zu nutzen, das zu dem Textgenre passt, welches analysiert werden soll. Analyse von Kommunikationsstrukturen sowie Identifizierung von Akteurstypen und emotionalen Stimmungen Überwachtes maschinelles Lernen ist für die nachfolgend aufgeführten NLPWerkzeuge die entscheidende technische Grundlage. Kommunikationsstrukturen: Grammatikalisches Parsen Grammatikalische Parser sind ein Werkzeug, das die Kommunikationsstruktur von Sätzen analysiert. Kommunikationsstrukturen lassen sich z. B. als semantische Tripletts von Subjekten, Verben und Objekten operationalisieren (vgl. Franzosi 1989; Roberts 1989). Es stehen dabei prinzipiell zwei Arten des grammatikalischen Parsens zur Verfügung. Erstens können Parser an den grammati-

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kalischen Konstituenten von Sätzen ansetzen (vgl. Matthews 1981). Der Parser hebt dabei die Struktur von Sätzen in Phrasen hervor, die ein oder mehrere Wörter umfassen, ohne jedoch die grammatische Beziehung zwischen den Wörtern aufzudecken. Eine Phrase besteht dabei aus mindestens einer Substantiv-Phrase und einer Verb-Phrase. Zweitens können Parser auf einer Dependenzgrammatik aufgebaut werden (vgl. Mel’čuk 1988; Nederhof/Satta 2013). Diese sogenannten Dependenzparser stellen auf die grammatikalische Verbindung von Worten in Sätzen ab und betrachten Grammatik als ein Netzwerk von Abhängigkeiten zwischen den Worten eines Satzes (vgl. Carroll 2004). Ein Wort stellt die Wurzel eines Satzes dar, und alle anderen Worte hängen von dieser Wurzel direkt oder transitiv über andere Worte ab. Dependenzparser kennzeichnen die Abhängigkeiten in einem Satz durch die jeweiligen grammatischen Funktionen der Worte (vgl. de Marneffe/ MacCartney/Manning 2006; Chen/Manning 2014). Sie eignen sich daher gut, um die Verbindung von Subjekten, Verben und Objekten in semantischen Tripletts zu erfassen. Abbildung 1 zeigt ein Subjekt-Verb-Objekt-Triplett. Die Analyse der Abhängigkeit zeigt, dass die Phrase »Deutsche Bank« das Subjekt (d. h. den Akteur) bezeichnet, das Verb »bear« beschreibt die Handlung und »responsibility« ist das Objekt des Satzes. Die Einheiten, die um dieses Triplett angeordnet sind, dienen als Modifikatoren und liefern detailliertere Informationen. Der Entitätsmodifikator für »responsibility« ist beispielsweise »business«, weil er das Objekt des Satzes weiter spezifiziert. Das Objekt »responsibility« wird weiter spezifiziert durch den Objektmodifikator »fraud«. Die zeitliche Ausrichtung des Verbs »bear« ist Präsens. Das modale Hilfsverb »must«, welches vom Verb »bear« abhängt, liefert zusätzlich die Modalität des Satzes. Zum Beispiel kann Modalität verwendet werden, um Verpflichtungen, Absichten oder Möglichkeiten auszudrücken. In diesem Beispiel drückt »must« eine Verpflichtung aus. Absichten (z. B. »want«) drücken den Willen zum Handeln aus, wohingegen Möglichkeiten (z.B. »can«) auf bestimmte Bedingungen verweisen, die Handlungen ermöglichen. In den folgenden Anwendungsbeispielen wird ein Dependenzparser auf professionell redigierte Texte angewandt (Texte auf Webseiten, Jahresberichte und Zeitungsartikel). Dabei wird Stanford CoreNLP eingesetzt (vgl. Manning et al. 2014) und der Stanford-Parser verwendet, da dieser mit einem Modell ausgeliefert wird, das auf der elaborierten Penn Treebank trainiert und getestet wurde (für eine Beschreibung der Baumbank siehe Marcus et al. 1993). Das Ergebnis dieses Tests zeigt, dass der Parser Sätze mit einer Genauigkeit von 92,20 Prozent analysieren kann (vgl. Chen/Manning 2014). Da die Penn Treebank auf einem

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Korpus aus Zeitungsartikeln des Wall Street Journals basiert, kann davon ausgegangen werden, dass das Modell auch für die Analyse der in den Anwendungsbeispielen genutzten Texte geeignet ist, welche ebenfalls professionell redigierte Texte darstellen. Abbildung 1: Mit einem Dependenzparser analysierter Satz

Identifikation von Akteurstypen: Named-Entity-Recognition Named-Entity-Recognizer erkennen Labels von Entitäten in Texten und klassifizieren sie u.a. nach den vordefinierten Kategorien »Person« oder »Organisation« (vgl. Finkel et al. 2005; Florian et al. 2003). In den folgenden Anwendungsbeispielen wird der von Stanford CoreNLP bereitgestellte Named-EntityRecognizer eingesetzt. Das Modell dieses NLP-Werkzeugs wurde unter Verwendung der Baumbanken MUC 6 und MUC 7 trainiert, welche aus Artikeln des Wall Street Journals bestehen. Das Modell wurde anschließend anhand von Reuters Newswire-Artikeln getestet und erreichte dabei eine Genauigkeit von 86,86 Prozent (vgl. Finkel et al. 2005). Daher kann davon ausgegangen werden, dass das Modell des Named-Entity-Recognizers auch für die in den Anwendungsbeispielen verwendeten Texte gute Ergebnisse erzielt. Klassifikation von emotionalen Stimmungen: Sentimentanalyse Die Sentimentanalyse wurde entwickelt, um emotionale Stimmungen in Texten zu messen (vgl. Liu 2015). Eine Sentimentanalyse basiert auf einem Klassifikator, der die Wahrscheinlichkeit bestimmt, mit welcher eine gegebene Textpassage zu einer Stimmungskategorie im Spektrum von negativ über neutral bis positiv gehört. Stanford CoreNLP stellt ebenfalls ein Sentiment-Modul bereit (vgl. Socher et al. 2013). Das standardmäßig mitgelieferte Modell wurde mit einer speziellen Sentiment-Baumbank von Pang und Lee (2005) trainiert. Die Baumbank basiert auf Filmkritiken, welche manuell mit Sentiment-Ratings versehen wurden. Manuelle Tests des Modells zeigen, dass die Sentimentanalyse eine Genauigkeit von 85,4 Prozent erreicht (vgl. Socher et al. 2013). Da Filmkritiken sich stark von Jahresberichten, Firmenwebseiten und Zeitungsartikeln hinsichtlich der in ihnen verwendeten Sprache unterscheiden können, war es für die von uns im

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Folgenden vorgestellten Beispiele notwendig, die Zuordnungen der Textpassagen zu den Stimmungskategorien manuell zu überprüfen. Dabei konnte festgestellt werden, dass die Zuordnungen für die verwendeten Texte zu 82 Prozent korrekt waren. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass bessere Ergebnisse möglich wären, wenn eine speziell annotierte Baumbank für das Training verwendet worden wäre.

UNÜBERWACHTES MASCHINELLES LERNEN Grundlagen Im Folgenden beschreiben wir Topic Modeling als einen Ansatz zur Untersuchung von Texten auf Basis des unüberwachten maschinellen Lernens (vgl. Langley 1996; Mitchell 1997). Topic Modeling zielt darauf ab, latente semantische Strukturen in Texten zu erfassen. Vergleichbar mit Dependenzparsen, Named-Entity-Recognition und Sentimentanalyse zielt diese Art des maschinellen Lernens darauf ab, bestehende Strukturen in Textdaten abzubilden. Im Gegensatz zu den erstgenannten Werkzeugen stellt Topic Modeling jedoch eine Form von sogenannten generativ-probabilistischen Modellen dar, die keine annotierten Baumbanken benötigen (vgl. Evans/Aceves 2016). Stattdessen identifizieren die Algorithmen des Topic Modelings, von denen der Latent-DirichletAllocation-Algorithmus der am häufigsten eingesetzte ist (vgl. DiMaggio et al. 2013; Fligstein/Brundage/Schultz 2017; Mohr et al. 2013), latente semantische Strukturen in unannotierten Texten, indem statistisch auffällige Muster von Wortkombinationen aufdeckt werden. Diese »word co-occurrences« werden in semantische Cluster gebündelt, die dabei helfen, die beobachteten Wortverteilungen zu erklären (vgl. Blei/Ng/Jordan 2003). Aufdecken von latenten semantischen Textstrukturen: Topic Modeling Topic Modeling ist gut geeignet, um die latenten semantischen Strukturen in Texten zu erfassen (vgl. Kirchner/Mohr 2010; Wagner-Pacifici/Mohr/Breiger 2015). Das Werkzeug ermöglicht es, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sowohl Worte als auch komplexe Kommunikationsstrukturen keine festen Bedeutungen haben, sondern dass ihre Bedeutung von den semantischen Strukturen, in welche sie eingebettet sind, abhängt (vgl. Krippendorff 2004; Popping 2012; Vossen 2004).

Die Erfassung und Messung von Bedeutungsstrukturen | 227

Tabelle 1: Auszug eines mit Topic Modeling erzielbaren Ergebnisses Semantischer

Semantisches

Wichtigste Worte

Cluster

Label

in Co-Occurences

Stock market & investors Stock market & Shareholder

profits

issues

stock, investors, shares, market, companies, analysts, price, percent, stocks, company, public, research, investment, investor, … company, year, percent, last, analysts, earnings, share, sales, years, quarter, profit, revenue, profits, analyst, … shareholders, offer, takeover, company, shares, stock,

Shareholders

board, management, shareholder, time, percent, merger, share, control, … capital, private, investment, equity, firm, deal, inves-

Investors

tors, company, group, partners, buyout, venture, companies, deals, …

Board of directors & management Board of directors & management Management Executive officers & management Executive officers & management Risk, prices & financial crisis

Misconduct & risk

board, directors, committee, director, chairman, members, management, boards, corporate, company, independent, member, governance, former, … management, association, company, board, owners, associations, manager, members, community, new, contract, services, member, time, … president, vice, executive, senior, director, chief, division, manager, company, officer, general, new, group, operations, … executives, executive, chief, corporate, company, top, former, chairman, people, business, companies, officers, senior, president, … bank, financial, risk, prince, executive, chief, derivatives, role, former, executives, markets, treasury, crisis, management, …

Losses, industry &

problems, last, losses, year, problem, week, bad, loss,

financial crisis

days, industry, analysts, money, big, financial, …

Bankruptcy & overextension Legal investigation & lawsuit

bankruptcy, company, plan, creditors, court, protection, chapter, assets, debt, filing, agreement, agency, trustee, claims, … case, government, criminal, fraud, federal, charges, guilty, prosecutors, justice, department, former, investigation, scheme, court, …

228 | Jan Goldenstein, Philipp Poschmann und Peter Walgenbach

Um die semantischen Strukturen in den folgenden Anwendungsbeispielen zu bestimmen, verwenden wir das Python-Paket »lda«, das den Latent-DirichletAllocation-Algorithmus umsetzt (vgl. Blei et al. 2003). Um interpretierbare semantische Cluster zu erzeugen, besteht die Option, nur bestimmte Wortarten wie Adjektive und Substantive in die Analyse einzubeziehen. Statt einer Liste von Stoppworten, d.h. von ex-ante bestimmten Worten, die nicht in die Analyse eingehen sollen, kann auch ein auf überwachtem Lernen basierender Part-ofSpeech-Tagger verwendet werden (vgl. Toutanova/Klein/Manning 2003). Dieser ermöglicht es, bestimmte Wortklassen wie beispielsweise Präpositionen oder Eigennamen zu identifizieren, die keine inhaltlichen Bedeutungen (vgl. Chung/ Pennebaker 2007) tragen und deshalb gegebenenfalls aus der Analyse ausgeschlossen werden sollten. Der Part-of-Speech-Tagger von Stanford CoreNLP enthält ein Modell, das an der Penn Treebank trainiert und getestet wurde. In den Tests erreichte die Bestimmung von Wortklassen eine Genauigkeit von 97,24 Prozent (vgl. Toutanova et al. 2003). Die Anwendung des Latent-Dirichlet-Allocation-Algorithmus erfordert es, vor der Durchführung die Anzahl der zu entdeckenden semantischen Cluster festzulegen (vgl. Blei et al. 2003). Es ist jedoch sinnvoll, mehrere Konfigurationen zu testen und anhand der Ergebnisse des Tests die Anzahl der semantischen Cluster so zu wählen, dass diese interpretierbar und analytisch nützlich sind (vgl. z.B. DiMaggio et al. 2013). Zusätzlich bestehen auch statistische Möglichkeiten für die Überprüfung der Güte von Topic-Modeling-Ergebnissen (für ein Beispiel siehe Goldenstein/Poschmann 2019). Tabelle 1 zeigt exemplarisch das Ergebnis von Topic Modeling. Die hier gezeigten semantischen Cluster basieren auf einem Textkorpus, der auf Zeitungsartikeln zum Thema Unternehmensverantwortung der New York Times und The Washington Post aus den Jahren 1950 bis 2013 beruht. Wie die Ergebnisse von Topic Modeling für tiefergehende Analysen verwendet werden können, wird in den folgenden Abschnitten demonstriert.

ANWENDUNGS- UND VISUALISIERUNGSMÖGLICHKEITEN Forschungsfragen, zu deren Beantwortung die Erhebung von Kommunikationsstrukturen, Akteuren, emotionalen Stimmungen und/oder latenten semantischen Textstrukturen relevant ist, können mittels der vorgestellten NLP-Werkzeuge zur Verarbeitung von Texten adressiert werden. Es ist jedoch von der konkreten Forschungsfrage abhängig, welche Form der Auswertung gewählt wird. Im Folgen-

Die Erfassung und Messung von Bedeutungsstrukturen | 229

den stellen wir eine Auswahl von Anwendungs- und Visualisierungsmöglichkeiten vor. Hierarchisches Clustern Hierarchisches Clustern kann dafür genutzt werden, um Ähnlichkeiten in der Zuschreibung von Bedeutungen innerhalb von institutionellen Feldern zu untersuchen. In folgendem Anwendungsbeispiel werden Kommunikationsstrukturen fokussiert. Dabei wird der Frage nachgegangen, welche inhaltlichen Bedeutungen Organisationen als soziale Akteure ihrer Verantwortung zuweisen. Gemäß neoinstitutionalistischer Argumentation ist eine Isomorphie dieser Bedeutungszuweisungen in institutionellen Feldern zu erwarten. Entsprechend wird ein methodisches Instrumentarium gewählt, mit dem sich einerseits die inhaltliche Bedeutung des Begriffes »Verantwortung« erfassen lässt und andererseits die Ähnlichkeit der Bedeutungszuschreibung über Organisationen hinweg verglichen werden kann (vgl. Goldenstein et al. 2019). Als Datengrundlage wurden die englischsprachigen Webseiten der größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland, Großbritannien und den USA ausgewählt. Diese drei Länder wurden gewählt, da ihr Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2014 etwa 30 Prozent des Weltbruttoinlandsprodukts (WGDP) von 77,3 Billionen US-Dollar ausgemacht hat. Zusammengenommen repräsentieren die von uns betrachteten Unternehmen zudem einen großen Teil der Weltwirtschaft. Ihr Gesamtumsatz betrug im Jahr 2014 sieben Prozent des WGDP. Konkret wurden die Webseiten der im Deutschen Aktienindex (DAX), im britischen Financial Times Stock Exchange (FTSE) und im Dow Jones Industrial Average (DJIA) gelisteten Unternehmen mit einem Web-Crawler automatisch heruntergeladen (für ein ähnliches Vorgehen siehe Park/Lee/Hong 2016; Powell et al. 2016). Da sowohl der DAX als auch der DJIA die 30 am stärksten gehandelten und am höchsten bewerteten Unternehmen in den jeweiligen Ländern enthalten, wurden auch die 30 am stärksten gehandelten und am höchsten bewerteten Unternehmen aus dem FTSE 100 ausgewählt. Da die Webseite von The Home Depot – eines der DJIA-Unternehmen –, welche die notwendigen Unternehmensinformationen enthält, nicht zugänglich war, wurde dieses Unternehmen aus der Analyse ausgeschlossen, was das Sample auf 89 Unternehmen reduzierte. Um die Webseiten herunterladen zu können, wurde eine eigens angepasste Version des Apache Nutch Web-Crawlers verwendet. Mit diesem Crawler konnten zwischen dem 10. April und dem 30. Juni 2015 alle Webseiten gecrawlt werden, wobei ausgehend von der Startseite jeder Unternehmenswebseite alle

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HTML- und PDF-Dokumente nach den Schlüsselworten »responsibility« und »responsibilities« durchsucht wurden. Im Falle des Auftretens der Schlüsselworte wurden die entsprechenden Dokumente heruntergeladen und anschließend in einzelne Absätze zerlegt. Dieser Prozess umfasste auch Überschriften und Unterüberschriften. Um die Vergleichbarkeit zu verbessern, wurden abweichende Schreibweisen im britischen Englisch an das amerikanische Englisch angepasst. Darüber hinaus wurde überprüft, ob die muttersprachlichen Webseiten der deutschen Unternehmen mehr oder auch abweichende Inhalte enthalten. Im Ergebnis zeigte sich, dass die deutschen Webseiten eins-zu-eins ins Englische übersetzt wurden. Schließlich ergab eine erste Überprüfung der Daten, dass viele Passagen wiederholt auf verschiedenen Webseiten desselben Unternehmens auftraten. Nachdem identische Absätze automatisch entfernt wurden, verblieben 84.623 eindeutige Absätze mit 44.712.784 Wörtern, die für die Analysen verwendet wurden. Die inhaltliche Bedeutung von Verantwortung wurde mithilfe von Kommunikationsstrukturen erfasst. Dabei fand eine Fokussierung auf diejenigen grammatikalischen Wort-zu-Wort-Beziehungen statt, die aufgrund theoretischer Vorüberlegungen als relevant zu erachten waren. Von Organisationen als sozialen Akteuren wird gemäß Meyer und Jepperson (2000) erwartet, dass sie Verantwortung für sich selbst, andere Akteure, Nicht-Akteure und kulturelle Prinzipien übernehmen. Organisationen können diese Verantwortungsübernahme sprachlich darstellen, indem sie Verben (welche Art von Handlungen sind mit Verantwortungsübernahme verbunden?), Adjektive (welche Art von Verantwortung wird übernommen?), Subjekte und Objekte (wer trägt Verantwortung für wen und für was?) nutzen. Zusammenfassend wurde das Lemma 1 (»responsibility«) als das Schlüsselwort innerhalb der Kommunikationsstruktur definiert, welches die vier Arten der verantwortlichen Agentschaft im Sinne von Meyer und Jepperson (2000) repräsentiert. Alle Subjekte, Adjektive, Verben und Objekte, die grammatikalisch mit Verantwortung verbunden sind, wurden ebenfalls lemmatisiert, um die Vergleichbarkeit zu erhöhen. Die Methode des Dependenzparsens wurde genutzt, um die Textdaten zu analysieren. Wie oben skizziert, eignet sich diese Art des Parsens sehr gut für eine automatische Analyse der Kommunikationsstruktur in Sätzen. Um die Ähnlichkeit der Bedeutungszusprechung von Unternehmen zu messen, wurden semantische Vektoren erzeugt. Unter Bezugnahme auf Kilgarriff (1997) lässt sich ein semantischer Vektor als Cluster von grammatikalischen Wort-zu-Wort-

1

Ein Lemma ist die Grundform eines Wortes. In unserem Fall beinhaltet das Lemma »responsibility« sowohl den Singular als auch den Plural des Wortes.

Die Erfassung und Messung von Bedeutungsstrukturen | 231

Beziehungen in einem spezifischen linguistischen Kontext konstruieren. Dies bedeutet, dass Unternehmen in ihren Kommunikationsstrukturen eine Sammlung von Subjekten, Adjektiven, Verben und Objekten nutzen, welche grammatikalisch mit dem Lemma »responsibility« verknüpft sind und gemeinsam auf die vom Unternehmen kommunizierte Verantwortungsübernahme verweisen. Die von den Unternehmen dargestellten inhaltlichen Bedeutungen ihrer Verantwortung können quantifiziert und verglichen werden, indem alle Subjekte, Adjektive, Verben und Objekte als Dimensionen eines Vektorraums dargestellt werden (vgl. Schütze 1998; Turney/Pantel 2010). Die Implikation eines solchen Vorgehens ist, dass Unternehmen, wenn sie ähnliche Wörter mit einer ähnlichen Häufigkeit im Kontext von Verantwortung auf ihren Webseiten nutzen, ihrer Verantwortung auch eine ähnliche inhaltliche Bedeutung zuweisen. Der numerische Wert jeder der Dimensionen innerhalb der Vektoren wird durch die Zählung des jeweiligen Subjekts, Adjektivs, Verbs und Objekts konstruiert (für einen ähnlichen Ansatz siehe Padó/Lapata 2007). Dieser numerische Wert wird wiederum durch die Summe der Häufigkeiten aller Worte, die sich auf Verantwortung beziehen, dividiert und insofern normalisiert. Abbildung 2: Hierarchisches Clustern auf Basis semantischer Vektorräume

Land

Vereinigtes Königreich

Deutschland

Vereinigte Staaten

Zur Berechnung der Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit von Vektorräumen stehen verschiedene mathematische Formeln zur Verfügung (vgl. Manning/Schütze 2000). In diesem Anwendungsbeispiel wurde die Unähnlichkeit zwischen den Vektorräumen durch den invertierten Pearson-Korrelationskoeffizienten berechnet (vgl. Liu/Si 2014). Abbildung 2 nutzt die konstruierten Unterschiede in den Bedeutungszuschreibungen durch Unternehmen und visualisiert diese mithilfe eines hierarchischen Cluster-Verfahrens. Im vorliegenden Fall wurde hierfür der Ward.D Algo-

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rithmus eingesetzt, da dieser besonders geeignet ist, um leicht interpretierbare Abbildungen zu erzeugen. Um die Lesbarkeit weiter zu erhöhen, wird die Darstellung der Ergebnisse auf 30 Unternehmen reduziert. Der übergeordnete Befund wird jedoch auch dann sichtbar, wenn alle 89 Unternehmen in die Visualisierung einbezogen werden. Die Abbildung zeigt, dass Unternehmen aus demselben nationalen Feld dem Begriff Verantwortung eine ähnliche Bedeutung zuschreiben. Sie zeigt zudem, dass das nationale Feld einen größeren Effekt auf die Bedeutungszuschreibung besitzt als die Branche, welche in neo-institutionalistischen Studien häufig als institutionelles Feld definiert wird. Dies wird beispielsweise dadurch erkennbar, dass Banken wie die Commerzbank, JPMorgan oder die Lloyds Banking Group eine größere Distanz zueinander aufweisen als zu anderen Unternehmen der jeweils selben nationalen Herkunft. Dementsprechend könnte die dargestellte Visualisierung als Ausgangspunkt für weitere feinkörnigere Analyseschritte genutzt werden. Beispielweise ließe sich nun genauer analysieren, worin die inhaltlichen Differenzen in den Bedeutungszuschreibungen zwischen den nationalen Feldern bestehen. Weiterhin wäre es auch denkbar, innerhalb der nationalen Felder die Differenzen in den Bedeutungszuschreibungen genauer zu analysieren. Netzwerke Eine Möglichkeit, um den Wandel von Bedeutungszuschreibungen sichtbar zu machen, ist die semantische Netzwerkanalyse. Hierfür können Kommunikationsstrukturen und latente Textstrukturen als Grundlage für die Visualisierung verwendet werden (vgl. Goldenstein/Poschmann 2019). Im folgenden Beispiel wird betrachtet, wie sich die Rahmung von Unternehmensverantwortung im öffentlichen Diskurs in den USA zwischen 1950 und 2013 gewandelt hat. Methodisch wird dazu grammatikalisches Parsen und Topic Modeling genutzt. Um die Entwicklung der Rahmung des Begriffs der Unternehmensverantwortung in den USA im Laufe der Zeit darzustellen, wurden die Inhalte zweier landesweit erscheinender Tageszeitungen, New York Times und The Washington Post, zwischen 1950 und 2013 genutzt. Der Textkorpus wurde mithilfe der ProQuest-Datenbank für historische Zeitungen für den Zeitraum 1950 bis 1977 und der Nexis-Datenbank für den Zeitraum 1978 bis 2013 erstellt. Beide Datenbanken wurden nach allen verfügbaren Artikeln im Wirtschaftsteil der beiden Zeitungen durchsucht, in welchen das Lemma »responsibility« als Schlüsselwort enthalten ist. Das Lemma wurde als semantisch mit einem Unternehmenskontext verbunden betrachtet, wenn der Artikel sprachlich zum Ausdruck bringt, dass einem Unternehmen oder den Vertretern eines Unternehmens Verantwortung zu-

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gesprochen wird. Um jene Artikel zu extrahieren, die diese Kriterien erfüllen, wurde jüngeren Entwicklungen in den Sozialwissenschaften gefolgt und ein Bayes-Klassifikator verwendet (vgl. Nardulli/Althaus/Hayes 2015). Der Klassifikator wurde mit 1.000 manuell klassifizierten Zeitungsartikeln trainiert. Tests mit 1.000 nicht klassifizierten Artikeln ergaben ein Modell, das zu 97,3 Prozent korrekt funktioniert hat. Insgesamt umfasste der endgültige Textkorpus 15.371 Zeitungsartikel. Die Rahmung von Verantwortung wurde auf zweierlei Weise operationalisiert. Einerseits wurde grammatikalisches Parsen genutzt, um semantische Tripletts (d.h. die grammatikalische Verkettung von Subjekten, Verben und Objekten) zu erzeugen und damit die Kommunikationsstruktur im öffentlichen Diskurs abzubilden. Es ist wichtig zu beachten, dass in diesem Anwendungsbeispiel das Lemma »responsibility« nur dann berücksichtigt wurde, wenn es als Objekt der semantischen Tripletts auftrat. Um die Rahmung von Unternehmensverantwortung umfassend zu analysieren, ist es jedoch geboten, nicht nur das Objekt des semantischen Triplets zu fokussieren, nämlich das Lemma »responsibility«, sondern auch die Entitätsmodifikatoren und Objektmodifikatoren dieses Objekts zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass die genutzten Tripletts folgende Gestalt hatten: »Subjekt-Verb-Entitätsmodifikatoren« und »Subjekt-Verb-Objektmodifikatoren«. Da die grammatische Position der Subjekte häufig mit Eigennamen besetzt wird (z.B. Paul oder Goldman Sachs), wurde der Stanford Named-EntityRecognizer genutzt, um alle grammatischen Subjekte automatisch den Kategorien »Person« oder »Organisation« zuzuordnen. Des Weiteren wurde Topic Modeling eingesetzt, um die latenten semantischen Strukturen, in welche die Tripletts eingebettet sind, zu berücksichtigen. Da die Anwendung des Latent-Dirichlet-Allocation-Algorithmus eine vordefinierte Anzahl der zu ermittelnden semantischen Cluster vorsieht, ist es wichtig, mehrere Modelle zu berechnen, um abschätzen zu können, welches Modell semantische Cluster erzeugt, die interpretierbar und analytisch nützlich sind (vgl. z.B. DiMaggio et al. 2013). Nach dem Testen mehrerer Modelle hat sich schließlich ein Modell mit 70 semantischen Clustern als geeignet erwiesen. Da im vorliegenden Anwendungsbeispiel unternehmerische Verantwortung als gesellschaftliches Phänomen untersucht werden sollte, wurden alle semantischen Cluster ausgewählt, die einen Bezug zu gesellschaftlichen Themen aufwiesen, was die Zahl der Cluster auf 32 reduzierte. Dies bedeutet, dass semantische Cluster, die sich beispielsweise auf makroökonomische Aspekte, Branchen oder rein funktionale Prozesse in Unternehmen bezogen haben, ausgeschlossen wurden. Zweitens wurden Cluster, die ähnliche semantische Strukturen repräsentierten, in sechs Gruppen aggregiert, nämlich »Management«, »Standards & Performance«,

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»Shareholder Issues«, »Employment«, »Social Issues« sowie »Misconduct & Risk« (für einen Auszug der Ergebnisse siehe Tabelle 1). Um einen visuellen Eindruck der Analyse zu vermitteln, wird im Folgenden die sich wandelnde semantische Einbettung der Tripletts mit Fokus auf die Cluster »Management«, »Shareholder Issues« und »Misconduct & Risk« betrachtet. Abbildung 3: Netzwerk auf Basis grammatikalischen Parsens und Topic Modelings

Abbildung 3 zeigt auszugsweise die Assoziation der semantischen Tripletts mit den jeweiligen semantischen Clustern in den Jahren 1979 bis 2013. Tripletts, welche durch große Punkte bzw. die Nennung eines Labels gekennzeichnet sind, waren zwischen den Jahren 1950 bis 1978 noch in einen Management-Kontext eingebettet. Über die Zeit sind diese jedoch zunehmend mit Shareholder Issues und Misconduct & Risk in Verbindung gebracht worden. Die semantischen Tripletts, deren Label unterstrichen sind, haben sich nicht nur ab 1979 von einem Management-Kontext entfernt, sondern sich zudem innerhalb der Zeitspanne von 1979 bis 2013 von einem Crisis & Misconduct-Kontext wegbewegt, um schließlich primär mit einem Shareholder-Kontext assoziiert zu werden. Die oben dargestellte Analyse macht übergeordnet deutlich, dass, selbst wenn Kommunikationsstrukturen in Form von semantischen Tripletts unverändert bleiben, sich ihre latente Bedeutung über die Zeit entscheidend ändern kann.

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Zum Beispiel existierte »PERSON-violate-fiduciary« bereits im Zeitraum von 1950 bis 1978, ist jedoch über die Zeit durch die Assoziation mit Shareholder Issues in den Jahren 1979 bis 2013 in einen anderen latenten Bedeutungszusammenhang gesetzt worden. In Bezug auf die Analyse von institutionellem Wandel zeigt dieser Befund, dass institutionalisierte Vorstellungen oberflächlich betrachtet stabil bleiben mögen (die äußere Form des semantischen Tripletts bleibt bestehen), sich jedoch latent entscheidend wandeln können (die Einbettung in den latenten Bedeutungszusammenhang verändert sich). Auch in diesem Fall kann die vorgestellte Visualisierung als Ausgangspunkt für tiefergehende Analysen genutzt werden. Beispielsweise könnten mehr Zeithorizonte berücksichtigt werden, um exaktere Aussagen über die Veränderung der Bedeutungszuschreibungen im Diskurs treffen zu können. Zudem stellt das Netzwerk nur die Veränderung der latenten Bedeutung von bereits im Zeitraum von 1950 bis 1978 existierenden semantischen Tripletts dar. Somit könnte die Analyse dadurch angereichert werden, dass auch semantische Tripletts berücksichtigt werden, die im Zeitraum von 1979 bis 2013 neu auftreten. Schließlich kann die Analyse mit (wirtschafts-)historischen Entwicklungen in den USA kontextualisiert werden. Korrespondenzanalyse Die dargestellten NLP-Werkzeuge können auch für eine automatisierte Diskursanalyse in einem institutionellen Feld genutzt werden. Hierbei wird auf die Frage fokussiert, wie in einem institutionellen Feld die Debatten um Diskursgegenstände (z.B. Shareholder Value, Digitalisierung) inhaltlich und emotional gerahmt werden. Für das Anwendungsbeispiel wurden US-Zeitungsartikel über die US-Präsidentschaftswahlen 2016 erhoben, die zwischen dem 1. Januar 2015 und dem 31. Dezember 2016 veröffentlicht wurden. Die Präsidentschaftswahl 2016 stellt ein geeignetes Thema in einem Feld dar, weil zu vermuten ist, dass die Identifizierung von Akteuren, die Bestimmung emotionaler Stimmungen sowie die Aufdeckung latenter semantischer Strukturen besonders wichtig ist, wenn Themen untersucht werden, denen eine gesellschaftliche Bedeutung beigemessen wird. Das Textmaterial für dieses Anwendungsbeispiel stammt aus der Quelle »Major US newspapers« der Nexis-Datenbank. Diese Quelle enthält Artikel, die von verschiedenen US-amerikanischen Zeitungen veröffentlicht wurden, die hinsichtlich ihrer Verbreitung unter den Top 50 des Editor & Publisher Year Books eingestuft sind. Nexis bietet die Möglichkeit, Artikel nach bestimmten Schwerpunkten auszuwählen. In diesem Fall wurden Artikel ausgewählt, die zum Schwerpunkt »US presidential election« in Kombination mit »United States« veröffentlicht wurden, um sicherzustellen, dass alle Artikel aus US-

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amerikanischer Perspektive über die Wahl berichten. Insgesamt besteht der Textkorpus aus 36.117 Zeitungsartikeln. Mittels Named-Entity-Recognition wurden alle Kandidaten des USWahlkampfes 2016 extrahiert. Des Weiteren wurden mittels Topic Modeling die semantischen Strukturen aufgedeckt, innerhalb derer die Namen der Kandidaten sprachlich eingebettet waren. Zusätzlich wurde mithilfe einer Sentimentanalyse erhoben, welche emotionalen Stimmungen mit den Kandidaten im Feld verknüpft wurden. Abbildung 4: Darstellung eines Feldes auf Basis von Named Entity Recognition, Sentiment Analyse und Topic Modeling

Abbildung 4 bildet einen Teil des Feldes zur Präsidentschaftswahl 2016 in den USA mittels einer einfachen Korrespondenzanalyse ab. Der Fokus liegt hierbei auf den im Feld gemäß der Häufigkeit ihrer Nennung sichtbarsten sechs Kandidaten, darunter Hillary Rodham Clinton und Donald Trump. Diese Kandidaten sind in unterschiedlichem Ausmaß mit latenten semantischen Strukturen sowie emotionalen Stimmungen assoziiert. Exemplarisch wurden hier die zehn prominentesten semantischen Cluster des Wahlkampfes herausgegriffen sowie eine Einschränkung auf drei Emotionskategorien, nämlich positiv, neutral und negativ, vorgenommen. Die Korrespondenzanalyse zeigt, dass das Feld zu 79,6 Prozent durch zwei Dimensionen charakterisiert werden kann. Zum einen verläuft der Diskurs auf

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einer Achse (waagerecht) zwischen einer neutralen und positiven emotionalen Stimmung. Zum anderen wird die zweite Achse (senkrecht) durch die semantischen Cluster »Equality in Law« und »Immigration« beschrieben. Hillary Rodham Clinton und Donald Trump unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Rahmung im Feld deutlich. Hillary Rodham Clinton ist mit keinem inhaltlichen Thema ausgeprägt assoziiert, während es bei Donald Trump einen Fokus auf »National Finances« und »Immigration« gibt. Zudem ist Hillary Rodham Clinton stärker mit einer negativen emotionalen Stimmung verknüpft als Donald Trump. Variablenkonstruktion für Regressionsanalysen Jenseits der Verwendung für explorative Verfahren können die präsentierten NLP-Werkzeuge zur Verarbeitung natürlicher Sprache auch zur Konstruktion von Variablen für hypothesentestende statistische Regressionsverfahren dienen. Dazu werden im Folgenden drei Möglichkeiten vorgestellt. Häufigkeitsmaße Der einfachste Fall der Variablenkonstruktion ist gewiss die Nutzung der Häufigkeit des Auftretens von sprachlichen Artefakten, wie sich dies bereits in klassischen quantitativen Inhaltsanalysen findet (vgl. Duriau/Reger/Pfarrer 2007; Krippendorff 2004). Die Nutzung von NLP-Werkzeugen zur Verarbeitung von Texten ergänzt quantitative Inhaltsanalysen allerdings um wesentliche Aspekte. Wie in den Beispielen zur Netzwerk- und zur Korrespondenzanalyse bereits angedeutet, kann ein Named-Entity-Recognizer dazu genutzt werden, Akteure automatisch in Texten zu identifizieren und zu klassifizieren. Anschließend lassen sich die Akteure oder die Kategorien der Akteurstypen zählen. Eine derartige Nutzung von Named-Entity-Recognition kann mit Unterstützung eines grammatikalischen Dependenzparsers sogar noch einmal weiter ausdifferenziert werden. Der Einsatz des Parsers ermöglicht es zu ermitteln, wie häufig Akteure oder Akteurstypen als Subjekt bzw. Objekt in Kommunikationsstrukturen auftreten. Wie in den beiden Beispielen aufgezeigt, kann ein Dependenzparser auch dazu eingesetzt werden, die Häufigkeit des Auftretens bestimmter Kommunikationsstrukturen zu quantifizieren. So kann bestimmt werden, wie häufig bestimmte Worte in bestimmten grammatikalischen Beziehungen auftreten (z. B. das Adjektiv »wirtschaftlich« im Zusammenhang mit »Verantwortung«) oder wie häufig ein vollständiges semantisches Triplett (z.B. »ORGANISATION-auferlegen-Umweltschutz«) zur Beschreibung eines bestimmten Sachverhaltes herangezogen wird.

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Analog zu den genannten Beispielen lässt sich weiterhin mit Topic Modeling die Häufigkeit des Auftretens von semantischen Clustern quantifizieren. Neben der Quantifizierung einzelner sprachlicher Artefakte lässt sich auch deren gemeinsame Nennung in Texten als Variable nutzen (vgl. Pollach 2012). Die Analyse der US-Präsidentschaftswahlen macht sich dieses gemeinsame Auftreten von Akteuren, emotionalen Stimmungen und grammatikalischen Clustern zunutze, um einen Überblick über ein institutionelles Feld zu gewähren. Auch gemeinsame Nennungen können hinsichtlich ihrer Häufigkeit gezählt und als entsprechende Variable genutzt werden. Ähnlichkeitsmaße Im Neo-Institutionalismus ist Isomorphie von Organisationen bisher vor allem über die Messung des Vorhandenseins spezifischer Strukturelemente gemessen worden (Greenwood/Meyer 2008). Die Messung des Grades der Ähnlichkeit zwischen von Organisationen reflektierten Bedeutungen kann ebenfalls als ein entscheidendes Maß angesehen werden, um Prozesse der Isomorphie in Feldern zu erfassen. In dem Beispiel zur Nutzung des Begriffs »Verantwortung« durch Unternehmen wurde aufgezeigt, wie Vektorräume dazu genutzt werden können, die Ähnlichkeit von Organisationen bzw. ihre Verschiedenheit multidimensional zu bestimmen. Welche sprachlichen Artefakte als Dimensionen von Vektoren genutzt werden, hängt vom konkreten Anwendungsfall ab und ergibt sich aus der Forschungsfrage. Es wurde gezeigt, wie Worte, die in einer bestimmten grammatikalischen Beziehung zu einem Schlüsselwort stehen, dazu genutzt werden können, um die inhaltliche Bedeutung eines Begriffes abzubilden. Es wäre allerdings auch möglich, beispielsweise durch Topic Modeling identifizierte semantische Cluster als Dimensionen zu verwenden. Entscheidend ist, dass die Ähnlichkeit eines Vektors zu einem sinnvollen Referenzvektor berechnet wird. Im ersten Beispiel wurde die Ähnlichkeit eines Unternehmensvektors in Relation zu jedem einzelnen anderen Unternehmensvektor bestimmt. Eine weitere Möglichkeit wäre es, die Ähnlichkeit eines Unternehmens zu einem Vektor, der eine Gruppe anderer Unternehmen repräsentiert, zu berechnen oder die Vektoren (z. B. ein Vektor für jedes Geschäftsjahr) eines Unternehmens über die Zeit zu vergleichen. Mathematisch lässt sich die Ähnlichkeit von Vektoren mittels zahlreicher etablierter Maße berechnen. Im ersten Beispiel wurde für das Hierarchische Clustern der Pearsons-Korrelationskoeffizient genutzt bzw. dessen invertierte Form, um die Unähnlichkeit von Vektoren zu messen. Ein anderes gängiges Maß ist die Kosinus-Ähnlichkeit (vgl. Manning/Schütze 2000).

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Zentralitätsmaße Im Beispiel zur Veränderung der Rahmung von Unternehmensverantwortung über die Zeit wurde aufgezeigt, dass Netzwerkanalysen verwendet werden können, um Entwicklungen in Feldern auf der Ebene von Sprache zu untersuchen. In der klassischen Literatur zur sozialen Netzwerkanalyse wird insbesondere den sogenannten Zentralitätsmaßen eine große Bedeutung zugesprochen. Ein Zentralitätsmaß bestimmt für einen Netzwerkknoten den Grad der Verbundenheit mit den anderen Knoten im Netzwerk (vgl. McCulloh/Armstrong/Johnson 2013; Wasserman/Faust 1999). Auch für Netzwerke, die auf Sprachdaten basieren, ist die Berechnung von Zentralitätsmaßen geeignet. Die Netzwerkknoten müssen dabei nicht wie im genannten Beispiel auf Tripletts begrenzt werden, sondern sie können auch aus anderen linguistischen Artefakten (beispielsweise einem Wort, einem Akteurstyp oder einem semantischen Cluster) konstruiert werden. Durch die Berechnung eines Zentralitätsmaßes kann die Variation der Dominanz von linguistischen Artefakten über verschiedene textuelle Kontexte (beispielsweise Zeit, Länder oder Organisationen) statistisch gemessen werden. Ein weiterer Ansatz ist es, die linguistischen Artefakte nicht als Knoten, sondern als Verbindungen zwischen den Knoten im Netzwerk zu verwenden. So können Netzwerke untersucht werden, in denen Akteure auf Basis der Verwendung eines bestimmten Vokabulars miteinander in Beziehung stehen. Beispielsweise kann der Grad der Assoziation von Akteuren innerhalb eines Feldes durch die Ähnlichkeit der von ihnen kommunizierten Bedeutungen berechnet werden.

FAZIT UND AUSBLICK Die Analyse großer Textmengen unter Verwendung von NLP-Werkzeugen wird aktuell als wichtige methodische Entwicklung betrachtet (vgl. Evans/Aceves 2016; George/Haas/Pentland 2014). Dieser Einschätzung folgend wurden in diesem Kapitel verschiedene Beispiele vorgestellt, die illustrieren, wie der NeoInstitutionalismus von der Anwendung automatischer Sprachanalyse profitieren kann. Dazu wurde einerseits die Analyse von Isomorphie und institutionellen Wandels sowie andererseits die Erfassung und Messung von Rahmungen und Emotionen innerhalb von institutionellen Feldern fokussiert. Dabei demonstrieren die vorgestellten Beispiele zwei elementare Beiträge der NLP-Werkzeuge zur Verarbeitung von Texten. Der Einsatz der aufgeführten Werkzeuge ermöglicht es erstens, prinzipiell unbegrenzte Textmengen zur Analyse sprachlich manifestierter institutioneller Phänomene heranzuziehen. Hierdurch wird das Problem der mangelnden Repräsentativität von Textsammlungen für spezifische Fra-

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gestellungen verkleinert bzw. gelöst. Zudem sind die vorgestellten NLP-Werkzeuge mittlerweile so ausgefeilt, dass sie nicht nur große Textmengen verarbeiten, sondern diese auch feinkörnig analysieren und somit der Texten innewohnenden Komplexität Rechnung tragen können (vgl. Edelmann/Mohr 2018). Derartige Analysen erscheinen weiterhin besonders dann geeignet, wenn aufgrund bislang fehlender theoretischer und empirischer Einsichten nicht von vornherein festgestellt werden kann, ob eine Stichprobe repräsentativ für das zu untersuchende Phänomen ist. Entsprechend erscheint es geboten, eine umfassendere Stichprobe (beispielsweise auf Basis aller verfügbaren Zeitungsartikel zum Thema Unternehmensverantwortung in den USA) zu nutzen. Die dargestellten NLP-Werkzeuge zeigen zweitens Wege auf, wie neoinstitutionalistische Forschungsfragen nach der Ähnlichkeit von Deutungsmustern als Grundlage für strukturelle Isomorphie oder nach dem Wandel von formalen Organisationsstrukturen aufgrund von Bedeutungsverschiebungen über die Zeit mithilfe von großen Textsammlungen untersucht werden können, welche bislang eher durch den Einsatz induktiver Textanalysen adressiert wurden (vgl. Mohr/Wagner-Pacifici/Breiger 2015). Wie in diesem Kapitel aufgezeigt wurde, können die NLP-Werkzeuge gleichermaßen sowohl manifeste Kommunikationsstrukturen als auch latente sprachliche Artefakte, wie beispielsweise emotionale Stimmungen und semantische Strukturen, in Texten erfassen und messen. Dadurch unterscheiden sich diese Werkzeuge in zweifacher Hinsicht von traditionellen Methoden der quantitativen Inhaltsanalyse. Zum einen fokussieren traditionelle quantitative Inhaltsanalysen die Häufigkeit des Auftretens exante definierter Worte oder Kategorien. Sie sind jedoch nicht in der Lage kommunikative und latente Strukturen in Texten zu berücksichtigen. Zum anderen verzerren traditionelle quantitative Inhaltsanalysen durch die ex-ante-Definition von Worten und Kategorien den interpretativen Charakter von Textanalysen (vgl. Biernacki 2012). Diese Aspekte machen deutlich, dass der Einsatz der dargestellten NLPWerkzeuge keineswegs auf die Untersuchung der oben aufgeführten Beispiele beschränkt ist. Auch mit Blick auf andere Konzepte des Neo-Institutionalismus ermöglichen diese Werkzeuge neue und – vermutlich – tiefergehende theoretische Erkenntnisse. Zum Beispiel ist die Untersuchung von Kommunikationsstrukturen in neueren Arbeiten zu institutionellen Logiken durch die Hervorhebung der Relevanz von Vokabular-Strukturen bereits explizit angelegt (vgl. Loewenstein/Ocasio/Jones 2012; Ocasio/Loewenstein/Nigam 2015). Dies trifft auch auf die Untersuchung von institutioneller Arbeit zu, in der nicht nur Kommunikationsstrukturen (vgl. Hasse/Schmidt 2010), sondern auch der Berücksichtigung von Emotionen eine gesteigerte Relevanz zugeschrieben wird (vgl. Lok et

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al. 2017). Schließlich ermöglicht es die Untersuchung latenter Bedeutungsstrukturen in großen Textsammlungen. Auch die Diffusion, Adoption und Adaption institutionalisierter Deutungsmuster in einer sich global ausbreitenden Weltkultur können nicht nur auf Ebene von Strukturen, sondern auch auf Ebene von Bedeutungen »großzahlig« untersucht werden (vgl. Goldenstein et al. 2019; Goldenstein/Poschmann 2019; Höllerer/Walgenbach/Drori 2017). In diesem Kapitel konnte nur ein grober Überblick über die Potenziale von NLP-Werkzeugen gegeben werden. Die Entwicklung und Optimierung dieser Werkzeuge schreiten zügig voran. Dies bedeutet erstens, dass auf Basis maschinellen Lernens stetig neue Modelle für die Analyse verschiedener Sprachen zur Verfügung stehen. Aktuell sind vor allem westliche Sprachen wie Englisch, Deutsch oder Spanisch gut analysierbar. Allerdings werden in jüngeren Entwicklungen auch zunehmend andere wichtige Weltsprachen wie Arabisch und Chinesisch erschlossen. Zweitens bedeutet dies, dass neue Textgenres zunehmend mit einer hohen Genauigkeit analysiert werden können. Lag in den Anfängen der natürlichen Sprachverarbeitung der Fokus eindeutig auf eher formalisierten Textgenres, wie beispielsweise Zeitungsartikeln, ist es zunehmend auch möglich, Textgenres von höherer sprachlicher Ambiguität zu analysieren (z.B. Posts auf Twitter). Schließlich besteht zunehmend die Möglichkeit, dass die Ergebnisse von den dargestellten NLP-Werkzeugen auch mit weiteren Sekundärdaten verknüpft werden. Unterschiedliche Anbieter stellen freie Schnittstellen bereit, über die strukturierte Daten in großen Mengen nacherhoben werden können (beispielsweise die Weltbank oder Wikipedia). Ein potenzieller Anwendungsfall könnte sein, die aus Texten automatisch extrahierten Akteurstypen mit Daten in Wikipedia zu verknüpfen. Beispielsweise lassen sich in Texten auftretende Organisationen mit denen in Wikipedia abgelegten Informationen zu Industrie oder Größe verknüpfen. Zudem ist davon auszugehen, dass die Nutzung von Techniken maschinellen Lernens nicht auf die Untersuchung von natürlicher Sprache in Texten begrenzt bleiben wird. Es existieren in diesem Bereich bereits Entwicklungen, welche die automatische Analyse von Bilddateien ermöglichen sollen. Wenn diese Werkzeuge hinreichend exakt funktionieren, wird über kurz oder lang auch die visuelle Dimension von Institutionen (vgl. Höllerer/Daudigeos/Jancsary 2017) »großzahlig« untersucht werden können.

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Neo-Institutionalismus Empirische, theoretische und methodische Perspektiven Georg Krücken

EINLEITUNG Im dem folgenden Beitrag werden Perspektiven des Neo-Institutionalismus benannt, die sich aus einer Analyse speisen, in der auf sehr subjektive Weise insbesondere die Entwicklungen der ungefähr letzten 20 Jahre im Vordergrund stehen. Dabei werden Entwicklungen und Perspektiven von Empirie, Theorie und Methodik im Neo-Institutionalismus voneinander unterschieden. Die Einschätzung fällt unterschiedlich aus. Der methodische Entwicklungsstand und die daraus folgenden Perspektiven werden uneingeschränkt positiv eingeschätzt und bewertet. Einschätzung und Bewertung im Hinblick auf Empirie und Theorie fallen kritischer aus, wobei auch hier Perspektiven aufgezeigt werden, die für die Weiterentwicklung des Neo-Institutionalismus insgesamt von Relevanz sein können. Mit dem Neo-Institutionalismus vertraute Leserinnen und Leser werden gerade in der ersten Hälfte des Beitrags, in der die Entwicklung von Empirie und Theorie dargestellt wird, eine Rekapitulation bekannter Sachverhalte finden. Auf dieser Grundlage wird dann eine theoretische Prozessperspektive skizziert, die versucht, eine Brücke zwischen unterschiedlichen neo-institutionalistischen Handlungs- und Akteurskonzepten zu schlagen, indem handlungs- und strategiefähige Akteure als Ergebnis gesellschaftlicher Konstitutionsprozesse verstanden werden. Der Ertrag einer solchen Theorieperspektive wird am Beispiel eines konkreten empirischen Feldes, Hochschule und Wissenschaft, aufgezeigt. Daran schließt eine Diskussion methodischer Entwicklungen und Perspektiven an, die insbesondere die Berücksichtigung unterschiedlicher Datenquellen und Methoden, zum Teil unter »big data« zusammengefasst, hervorhebt. Da der Beitrag im Kern wissenschaftssoziologisch argumentiert, also Entwicklung und Perspektiven über das Zusammenspiel von internen Dynamiken und externen Rahmenbe-

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dingungen zu erfassen versucht, werden gegen Ende die besonderen Herausforderungen der sich verändernden Einbettungen des Neo-Institutionalismus im Rahmen von Soziologie und Managementforschung hervorgehoben. Eine pointierte Zusammenfassung rundet den Beitrag ab.

EMPIRIE Betrachtet man die empirische Entwicklung, so lassen sich im Wesentlichen drei Phasen identifizieren. Zu Beginn der neo-institutionalistischen Forschung standen Organisationen des öffentlichen und Non-Profit-Sektors im Zentrum der Aufmerksamkeit. Hierzu zählten insbesondere Schulen, psychiatrische Anstalten, Krankenhäuser und Museen. Der theoretische Grundgedanke des NeoInstitutionalismus, dass Organisationen aufgrund ihrer Einbettung in die institutionelle Umwelt und dort vorherrschenden kulturellen Grundüberzeugungen vor allem Erfordernisse der Legitimation und nicht der Effizienz zu erfüllen haben, konnte hier empirisch aufgezeigt werden. Dies war für ein Forschungsprogramm, das sich explizit auf die Verschränkung von theoretischer und empirischer Forschung richtet, nach den frühen theoretisch-konzeptionellen Beiträgen zur Umwelteinbettung von Organisationen ein wichtiger Meilenstein. Dennoch wurde schon früh Selbstkritik laut, dass man solchermaßen nur vergleichsweise einfache Testfälle – welcher Schulabsolvent oder welche Lehrerin würde ernsthaft unterstellen, dass es in Schulen um Effizienz ginge? – in den Blick nahm, während der vermutlich härteste Fall zur Überprüfung des Grundgedankens – Unternehmen – noch nicht im Fokus der neo-institutionalistischen Forschung stand (vgl. Powell 1991: 183). Folglich wurden in der zweiten Phase, die in den 1990er Jahre begann und sich bis weit in die 2000er Jahre erstreckte, vor allem Unternehmen empirisch erforscht. Der Großteil der neo-institutionalistischen Empirie war in dieser Phase auf den Wirtschaftsbereich bezogen, wie zum Beispiel die in Walgenbach und Meyer (2008) vorgestellten Studien eindrucksvoll belegen. Zudem zeigt sich eine Ausweitung des sozial-räumlichen Fokus. In der ersten Phase ging es vor allem um US-amerikanische Organisationen, während in der zweiten Phase verstärkt auch Wirtschaftsorganisationen anderer Länder, insbesondere Europas, in den Blick gerieten. Dabei ließ sich für Unternehmen ganz unterschiedlicher Art und in ganz unterschiedlichen Ländern zeigen, dass auch für diesen Organisationstypus vor allem Legitimationserfordernisse von zentraler Bedeutung sind, während Effizienz für den Erfolg und das Überleben von Unternehmen nur eine Variable darstellt, die in vielen Bereichen der Wirtschaft von überraschend geringer Bedeutung ist (vgl. Meyer/Zucker 1989). Ge-

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genwärtig befinden wir uns in einer dritten Phase, in der es gegenüber den beiden vorangegangenen keine klare Präferenz für einen spezifischen Sektor zu geben scheint. Neo-institutionalistische Studien richten sich auf ein sehr breites, offenes und systematisch nicht eingegrenztes Spektrum an organisationalen Feldern und Formen (vgl. die Originalstudien in Krücken et al. 2017 sowie die in den Überblicksbeiträgen dargestellten Studien in Greenwood et al. 2017). Neben den zuvor genannten Feldern finden sich mittlerweile zahlreiche Beiträge zu Professionsorganisationen (große Rechtsanwaltskanzleien – law firms, Universitäten, außeruniversitäre Wissenschaftseinrichtungen), Internet-basierten Organisationen sowie hybriden Organisationen, die sich nicht mehr einem Sektor zuordnen lassen, sondern zugleich in verschiedene Sektoren eingebettet sind. Die gegenwärtig breite und thematisch offene Empirie der neo-institutionalistischen Organisationsanalyse basiert auf den stärker sektoral fokussierten Arbeiten der ersten beiden Phasen und ermöglicht einen darüber hinausgehenden Erkenntnisgewinn, der bislang aber allenfalls in Ansätzen realisiert wurde. Hierbei ist an systematische Vergleiche zu denken, die sich auf Organisationen in unterschiedlichen Sektoren sowie sektorenübergreifende Organisationen beziehen, ebenso wie an systematisch angelegte internationale Vergleiche. Welche Gemeinsamkeiten und Differenzen bestehen hinsichtlich der gesellschaftlichen Legitimation von unterschiedlichen Organisationstypen wie Unternehmen, Krankenhäusern, Schulen und öffentlichen Verwaltungen; welches Organisationsverhalten wird hierdurch im Sinne eines kulturellen Scripts nahegelegt? Was bedeutet dies für internationale Vergleiche etwa zwischen US-amerikanischen, europäischen und asiatischen Organisationen? Derartige Vergleiche, insbesondere wenn sie im Zeitverlauf angelegt wären, böten ein weites Feld zur Erprobung und Weiterentwicklung neo-institutionalistischer Annahmen und Konzepte. Hiervon könnten wichtige Impulse zur Theorieentwicklung ausgehen. Dies gelingt zum Beispiel schon in der Theoretisierung hybrider Organisationen, die für den Neo-Institutionalismus und die Organisationsforschung insgesamt von großer Bedeutung geworden sind (vgl. Battilana/Besharov/Mitzinneck 2017). Das pluralistische »anything goes«, das die gegenwärtig im NeoInstitutionalismus behandelten Themenfelder auszeichnet, erlaubt es, sich neue Phänomene zu erschließen, ohne sich hierbei frühzeitig einzuengen. Dennoch ist diese Entwicklung nicht unkritisch. Es findet sich eine Vielzahl von Einzelstudien zu Themen wie Filmfestivals, Nouvelle Cuisine, Wein und Drohnen, deren Relevanz für Wissenschaft und Gesellschaft vermutlich nur eher begrenzt ist. Ebenso hat eine durchaus notwendige Selbstanwendung neo-institutionalistischer Konzepte auf die eigene Organisation bzw. den eigenen Organisationstypus stattgefunden – hierbei ist vor allem an Business Schools zu denken –, die

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vermutlich den Erkenntniszenit überschritten hat. Auffällig ist demgegenüber, dass große und grundlegende Fragen zum Thema »Organisation und Gesellschaft« nur selten behandelt werden. Gerade die von John Meyer und in seinem intellektuellen Umfeld verfassten und unter dem Begriff world polity-Forschung – seltener und erst später verstärkt zu finden: World Society-Forschung – zusammengefassten Arbeiten zum Zusammenhang von Organisations- und Weltgesellschaft (vgl. Drori/Meyer/Hwang 2006; Krücken/Drori 2009) spielen in den meisten derartigen Einzelstudien allenfalls eine geringe Rolle. Generell finden die wenigen theoretisch-konzeptionellen Beiträge, die in der Einleitung zu diesem Band erwähnt werden, typischerweise nicht ihren Niederschlag in entsprechenden empirischen Anschlussuntersuchungen. Die Themen liegen jedoch auf der Hand: Globalisierung und Digitalisierung der Wirtschaft, Wandel der Staatsorganisation, gesellschaftliche »grand challenges«, auch in Bezug auf ökologische Herausforderungen, sind nur drei Themen, die sich für größere und ambitionierte Untersuchungen anbieten. Sie werden jedoch eher selten behandelt, und wenn, dann zumeist so kleinteilig, dass das analytische Potenzial des Neo-Institutionalismus, der ursprünglich angetreten war, um einen neuen Blick auf das Verhältnis von Organisation und Gesellschaft zu ermöglichen, nur unzureichend ausgeschöpft wird.

THEORIE Eine Darstellung der Theorieentwicklung und -perspektiven, die so schlicht und holzschnittartig aufgebaut ist wie die der Empirieentwicklung und -perspektiven, ist aufgrund vielfältiger, zum Teil gegensätzlicher Neuerungen kaum möglich. Dennoch lassen sich auch hier bestimmte Tendenzen erkennen. Zunächst ist festzuhalten, dass wir im Zeitverlauf eine enorme Dynamisierung und Weiterentwicklung des Neo-Institutionalismus und seiner grundlegenden Annahmen beobachten können. So wurde zum Beispiel das klassische Konzept des organisationalen Feldes und der darin stattfindenden Isomorphietendenzen sehr grundlegend erweitert, verfeinert und zum Teil auch revidiert (vgl. Wooten/Hoffman 2017). Ebenso finden wir zunehmend positive Bezüge zu anderen theoretischen Ansätzen. In der Frühphase ging es vor allem um die Abgrenzung von den zu der Zeit vorherrschenden funktionalistischen Ansätzen, insbesondere in der Soziologie und der Organisationsforschung, die ebenso wie Rational Choice-Ansätze zurückgewiesen wurden. Demgegenüber wird seit ca. zwei Jahrzehnten verstärkt die positive Bezugnahme auf andere Theorien gesucht. Das galt zunächst für soziologische Theoretiker wie Pierre Bourdieu und Anthony Giddens. Dabei ging

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es vor allem um makrosoziologische Ansätze, die im Gegensatz zum NeoInstitutionalismus auch akteurs- und handlungstheoretisch fundiert waren. Vor allem die Berücksichtigung akteurs- und handlungstheoretischer Ansätze hat im Zeitverlauf weiter an Bedeutung gewonnen, ebenso wie ursprünglich gar nicht behandelte Aspekte wie Emotionen oder Materialität, die zunehmend in die neoinstitutionalistische Theoriebildung einbezogen werden. Im Hinblick auf die organisationstheoretische Positionierung zeichnet sich die Entwicklung durch eine zunehmende Mikroorientierung des Neo-Institutionalismus aus. Diese Orientierung ist keineswegs einheitlich, sondern bezieht sich auf ein Sammelsurium an soziologischen Theorietraditionen, die ethnomethodologische, symbolisch-interaktionistische und rational-strategische Ansätze umfasst. Trotz der mangelnden internen Konsistenz dieser Ansätze, die zum Teil unverbunden nebeneinanderstehen, ist diese Entwicklung insofern positiv zu bewerten, als hierüber nun auch die Innenseite der Organisation für die Theoretisierung durch den Neo-Institutionalismus geöffnet wird. Diese Seite wurde traditionell eher als »black box« bzw. abhängige Variable gesellschaftlicher Umwelteinbettungen verstanden. Da die Besonderheit des Neo-Institutionalismus in der Organisationsforschung jedoch vor allem in der Verbindung von Makro- und Organisationssoziologie bestand, kann die neuartige Verbindung von Mikro- und Organisationssoziologie aber auch durchaus kritisch bewertet werden. So stellt John Meyer (2017) in seiner Abschlussreflexion der Beiträge in Krücken et al. (2017) heraus, dass man zahlreiche Einblicke in die interne Fragmentierung von Organisationen gewinnen konnte, jedoch die makrosoziologische Fundierung, die Einbettung von Organisationen in die kulturelle Makrostruktur der Gesellschaft und ihre unhinterfragten Grundannahmen, Mythen und Symbole, zumeist eher implizit bleibt. Diese Fundierung findet sich zum Beispiel in der Monographie von Bromley/Meyer (2015), in der die interne Fragmentierung gegenüber einer kulturtheoretisch-makrosoziologischen Perspektive auf »die« Organisation im Dunkeln bleibt. Bei ihrem Versuch, im Sinne der world polity-Forschung die globale Verbreitung eines einheitlichen Organisationsmodells nachzuzeichnen, spielen neo-institutionalistische Differenzierungen im Sinne von »institutional logics« oder der »institutional complexity« ebenso wenig eine Rolle wie unterschiedliche Organisationsfelder und -typen. Hier eröffnen sich Chancen der Verbindung unterschiedlicher Ebenen, insbesondere zwischen global-gesellschaftlichen Kulturmustern sowie nationalen und organisationalen Eigenheiten, die bislang im Neo-Institutionalismus noch relativ wenig genutzt werden (vgl. jedoch Drori/Höllerer/Walgenbach 2014). Dabei sollte deutlich werden, dass die schlichte Gegenüberstellung von Homogenisierung (klassischer NeoInstitutionalismus) vs. Differenzierung (neuere Ansätze) zu kurz greift, um die

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vielfältigen Verbindungen und deren Effekte zu erfassen, und man es typischerweise mit beiden, zum Teil gegenläufigen, zum Teil sich ergänzenden und aneinander steigerbaren Prozessen von global-gesellschaftlicher Homogenisierung und national, sektoral und organisational bedingter Differenzierung zu tun hat. Die Differenzen zwischen unterschiedlichen Ebenen lassen sich theoretischkonzeptionell durchaus in einem gemeinsamen Bezugsrahmen berücksichtigen und integrieren. Die Frage, welches Akteurs- und Handlungskonzept dem NeoInstitutionalismus zugrunde liegt, ist hingegen schwieriger zu beantworten, wenn man klassische Ansätze neueren Ansätzen gegenüberstellt. In den klassischen Ansätzen dominiert ein Handlungsmodell, das die unreflektierte Übernahme in der Umwelt vorhandener kultureller Grundüberzeugungen und Erwartungen in den Vordergrund stellt. Hierfür hat sich der Begriff des »kognitiven Institutionalismus« bzw. der »kognitiven Säule« der Institutionentheorie eingebürgert (vgl. DiMaggio 1997; Scott 1995), der allerdings missverständlich ist, da im Gegensatz zum Kognitionsbegriff in der Psychologie gerade nicht die aktive Wahrnehmung und Informationsverarbeitung durch psychische Systeme bzw. Individuen gemeint ist, sondern die unreflektierte Übernahme dessen, was den Akteuren als »taken-for-granted« gilt. Das zumeist implizit bleibende Akteurs- und Handlungskonzept weicht von starken Annahmen zur Handlungsfähigkeit von Akteuren ab. Zudem werden im klassischen Neo-Institutionalismus Organisationen, nicht aber Individuen als Akteure verstanden. Dagegen gab es eine starke Oppositionsbewegung innerhalb des Neo-Institutionalismus, zum Teil von denselben Protagonisten des klassischen Akteurs- und Handlungskonzepts (vgl. DiMaggio 1988), die versuchte, unter Begriffen wie »institutional entrepreneur« oder »institutional work« die Handlungsfähigkeit sowie die damit verbundene Strategiefähigkeit der Akteure stärker zu berücksichtigen (vgl., neben den bekannten englischsprachigen Aufsätzen und Sammelbänden zum Thema, Hasse/ Schmidt 2010). Mittlerweile hat sich die Diskussion weit verzweigt, wobei es offensichtlich ist, dass auch dem klassischen Neo-Institutionalismus verpflichtete Autorinnen und Autoren sich verstärkt um eine theoretische Fassung des dem Ansatz zugrundeliegenden Akteursverständnisses bemühen und dabei nicht nur Organisationen, sondern auch Individuen und Staaten in den Blick nehmen (vgl. Hwang/Colyvas/Drori 2019a, b). Versucht man, Akteure im Neo-Institutionalismus theoretisch angemessen zu berücksichtigen und nicht als unproblematisch gegebene Einheiten anzunehmen, da ihr Vorhandensein eine unmittelbare Alltagsevidenz besitzt, so ist aus meiner Sicht eine Prozessperspektive unabdingbar. Eine solche Perspektive schließt an die für den klassischen Neo-Institutionalismus charakteristische Verbindung von kulturell eingebetteter Makro- und Organisationssoziologie an und erweitert die-

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se in folgenreicher Weise. Vor allem die Monographie von Bromley/Meyer (2015) ist hier instruktiv. Hier wird die globale Konstruktion und Expansion eines Akteursmodells von formaler Organisation herausgearbeitet, in der die Organisation als eigenständiger, singulärer Akteur in Erscheinung tritt. Formale Organisationen drücken diesem Verständnis zufolge ihre tiefe Einbettung in die Gegenwartsgesellschaft und deren kulturellen Grundannahmen paradoxerweise dadurch aus, dass sie sich als autonome Akteure verstehen und gerade nicht als Handlungsrahmen oder als Agenten für externe Akteure wie herrschende Klassen, Professionen oder göttliches Wirken. Dieses Modell ist nicht ontologisch gegeben; seine Entstehung und Durchsetzung lässt sich vielmehr in ganz unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen rekonstruieren. Es basiert auf grundlegenden neo-institutionalistischen Ideen zu »actorhood«, in denen nicht nur Organisationen, sondern auch Individuen und Staaten als durch die Gesellschaft erzeugte autonom handlungsfähige Akteure verstanden werden (vgl. Meyer/Jepperson 2000; Meyer 2009). Hierin kommt die sozialtheoretische und makrosoziologische Ausrichtung der neo-institutionalistischen world polity-Forschung zum Ausdruck, derzufolge die kulturelle Makrostruktur der Gesellschaft in umfassenden Rationalisierungsprozessen »top down« die zu ihr passenden Akteure erzeugt. In den Worten Meyers ist ein moderner Akteur »a goal oriented, bounded, integrated, technically effective entity« (Meyer 2009: 38). Derartige Entitäten lassen sich nur über »their practical embeddedness in taken-for-granted culture and relationships« (Meyer 2009: 39) verstehen. Diese Prozessperspektive auf organisationale und individuelle Akteure ist einerseits anschlussfähig an aktuelle makrosoziologische Diskussionen in der soziologischen Theorie, die unter den Stichworten Singularisierung und Metrisierung geführt werden. So zeigt Reckwitz (2017) in seinem Buch Die Gesellschaft der Singularitäten, dass die Gegenwartsgesellschaft durch einen Singularisierungstrend charakterisiert ist, demzufolge nicht nur das einzigartige Subjekt mit seiner kuratierten, d.h. aus kulturellen Versatzstücken individuell zusammengestellten Biographie und Lebensweise als Akteur in den Vordergrund rückt, sondern auch Städte, Regionen, Organisationen und gar Festivals den Status der Singularität beanspruchen. Ebenso sind die Überlegungen von Mau (2017) in Das metrische Wir für die Fundierung des neo-institutionalistischen Akteursverständnisses von Relevanz, denn er zeigt, wie der aktuelle Trend zur Metrisierung in so unterschiedlichen Bereichen wie Gesundheit, Wissenschaft, Wirtschaft und Staat den systematischen Vergleich von Individuen, Organisationen und Staaten mit anderen Individuen, Organisationen und Staaten und damit ein erhöhtes Verständnis der jeweiligen Besonderheiten als Akteur ermöglicht. Diese eher abstrakten Ideen zur Akteurskonstitution im Neo-Institutionalismus und die aktuel-

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len makrosoziologischen Diskussionen lassen sich durchaus in empirische Forschung umsetzen. Dies lässt sich am Beispiel des eigenen Forschungsgebiets, der Hochschul- und Wissenschaftsforschung, verdeutlichen (vgl. Krücken/Meier 2006; Hasse/Krücken 2013; Hüther/Krücken 2018). Zunächst zu Organisationen als Akteuren: Universitäten werden in der vergleichenden Organisationsforschung nicht als Akteure im oben genannten Sinne, d.h. ihre gesellschaftliche Einbettung als Autonomie aktualisierend, verstanden. Insbesondere deutsche Universitäten gelten in nahezu idealtypischer Weise als ein Fall, in dem die Organisation als eigenständiger, handlungs- und strategiefähiger Akteur keine Legitimation gegenüber den zentralen Governanceinstanzen, dem Staat auf der einen und der akademischen Selbstorganisation auf der anderen Seite, beanspruchen kann. Ähnliche Muster finden sich in anderen nationalen Hochschulsystemen. Seit 20 bis 30 Jahren lassen sich jedoch zahlreiche, sich wechselseitig bedingende und verstärkende Entwicklungen beobachten, die zur Transformation der Universität in einen organisationalen Akteur führen. Dieser Prozess beinhaltet die verstärkte kennzahlenbasierte Rechenschaftspflicht der Universitätsorganisation, die Herausbildung einer individuellen Organisationsidentität, die Hierarchisierung von Entscheidungsstrukturen, den Aufbau von Managementkapazitäten sowie die Offenheit gegenüber externer Beratung. Ähnliche Prozesse lassen sich hinsichtlich der Konstitution individueller Akteure beobachten. Auch bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, insbesondere im Bereich des wissenschaftlichen Nachwuchses, spielen Profilbildungsprozesse sowie die strategische Wettbewerbspositionierung auf der individuellen Ebene eine wesentliche Rolle; unterschiedliche Dimensionen wissenschaftlicher Aktivitäten lassen sich metrisch erfassen und vergleichen, gerade im Hinblick auf das heutzutage unabdingbare Publikationsprofil. Demgegenüber verblasst das traditionelle Verständnis der Einbettung in die wissenschaftliche Gemeinschaft. Auch Studierende erarbeiten sich zunehmend individuelle Profile und orientieren sich an Techniken des Selbstmanagements. Zudem kann man insbesondere in Systemen mit Studiengebühren eine sehr strategische Wahl der Universität und des Studienfachs beobachten; auch Rankings ganz unterschiedlicher Art konstituieren individuelle studentische Akteure, die strategische Abwägungen zwischen verschiedenen Optionen vornehmen. Schließlich gilt auch für Staaten als Akteure im Wissenschafts- und Hochschulbereich, dass insbesondere der systematische und kennzahlenorientierte Vergleich mit anderen Staaten zu einem ganz anderen Akteursverständnis führt als eines, das an eigenen Traditionen orientiert ist. Zugespitzt formuliert wird die idiosynkratische Orientierung an »der deutschen Universität« durch den an allgemeinen Performanzkriterien orientierten Vergleich mit den Universitäten an-

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derer Staaten ersetzt. Globale Hochschulrankings beschleunigen diesen Prozess. Als 2003 das erste Shanghai-Ranking erschien und keine deutsche Universität unter den ersten 50 vertreten war, erzeugte dies einen erheblichen Problemdruck im politischen System, und die Parallele zu den Ergebnissen der PISA-Studien und der damit verbundenen Demystifizierung des »deutschen Gymnasiums« ist offensichtlich. Die 2005 begonnene Exzellenz-Initiative des Bundes und der Länder belegt den Versuch von Seiten des staatlichen Akteurs, Handlungs- und Strategiefähigkeit zu erlangen und entsprechende Kapazitäten aufzubauen. Derartige Initiativen, die ebenfalls im Zusammenhang mit globalen Hochschulrankings zu sehen sind, finden sich zudem in anderen europäischen sowie asiatischen Staaten. Auch internationale und supranationale Organisationen wie die OECD, die UN und ihre Suborganisationen sowie die EU leisten ihren Beitrag dazu, den Staat einerseits in breitere Umwelt- und Legitimationsbezüge einzubetten; andererseits wird er dadurch als Adressat aufgewertet und als legitimer Akteur anerkannt. Gerade am Beispiel der Konstitution staatlicher Akteure wird deutlich, wie eng Prozesse der Akteurskonstitution mit Prozessen der Globalisierung verbunden sind. Ganz im Sinne der von John Meyer begründeten world polity-Forschung schafft erst ein globaler Bezugshorizont, wie er durch Rankings konstituiert wird, die Grundlage für die Diffusion globaler »scripts« und Modelle, die das traditionelle Verständnis von Staatlichkeit nicht unberührt lassen und weltweit zu Anpassungsprozessen führen. Die an dieser Stelle nur holzschnittartig skizzierten Prozesse sind unabgeschlossen und vollziehen sich keineswegs bruchlos oder geradlinig. Staaten, Organisationen und Individuen als Akteure sind von historischen Pfadabhängigkeiten und entsprechenden Mustern geprägt. Neo-institutionalistisch stellt sich die Frage, auf welcher Ebene Prozesse der Akteurskonstitution zu beobachten sind: Handelt es sich um Veränderungen, die auf der Ebene von Diskurs, Formalstruktur oder Aktivitätsstruktur zu beobachten sind? Wie sind diese drei Ebenen miteinander verbunden, welche Kopplungsgrade bestehen zwischen ihnen? Unabhängig von diesen Fragen kann man sehen, dass auch andere Organisationstypen ähnlichen Prozessen unterworfen sind. Man denke hier zum Beispiel an NonProfit-Organisationen, Kirchen und öffentliche Verwaltungen (für den erstgenannten Organisationstypus vgl. Hwang/Powell 2009). Historisch betrachtet setzten Prozesse der Akteurskonstitution demgegenüber bei Unternehmen früher ein. Handlungs- und Strategiefähigkeit gehören zu ihrem Selbstverständnis, und der Aufbau von entsprechenden Managementkapazitäten setzte bereits im 19. Jahrhundert ein (vgl. Chandler 1977). Dennoch lassen sich auch hier Veränderungen nachzeichnen, denn der Aufbau von Managementkapazitäten ist ein unabgeschlossener Prozess und erstreckt sich auf neuere Bereiche wie Equal Op-

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portunity, Corporate Social Responsibility, Umwelt und Nachhaltigkeit, die Unternehmen als legitime Akteure in ihrer gesellschaftlichen Umwelt erscheinen lassen. Dasselbe gilt für die individuellen Akteure in Unternehmen und anderen Organisationen, die sich ebenfalls ändern und weniger durch festgelegte Positions- und Rollenbestimmung, sondern durch aktives Networking und die Orientierung an einem »unternehmerischen Selbst« (vgl. Bröckling 2007) auszeichnen. Eine solchermaßen skizzierte Prozessperspektive kann innerhalb des NeoInstitutionalismus eine theoretische Brücke zwischen unterschiedlichen Akteursund Handlungskonzepten bilden. Handlungs- und strategiefähige Akteure müssen demzufolge nicht von außen in die Theorie eingeführt werden, sondern lassen sich in ihrem Konstitutionsprozess innerhalb der Theorie rekonstruieren. Damit lassen sich einerseits Bezüge zur Managementforschung herstellen, indem man der dort relevanten Frage der Strategie bzw. strategischen Handlungsfähigkeit nicht wie in den klassischen Texten ausweicht oder über ein mit den Grundannahmen des Neo-Institutionalismus schwer vereinbares Akteurs- und Handlungskonzept beantwortet, sondern theorieimmanent als Frage der Herstellung von strategischer Handlungsfähigkeit reformuliert und beantwortet. Andererseits ergeben sich hieraus weitreichende Bezüge zur soziologischen Theorie, die sich – wie der neuere Neo-Institutionalismus – zwischen eher schwachen, kulturell geprägten und eher starken, rational-strategischen Akteurs- und Handlungskonzepten bewegt. Letztere wären demnach gerade in ihrer kulturellen Prägung zu verstehen, das heißt im Prozess der Einbettung in eine allgemeine und akteursübergreifende gesellschaftliche Entwicklung. Diese Einbettung steht der strategischen Handlungsfähigkeit und ihren Handlungsträgern gerade nicht antithetisch gegenüber, sondern, ganz im Gegenteil, sie manifestiert sich in der Erzeugung immer neuer handlungs- und strategiefähiger Akteure.

METHODIK Im Hinblick auf die neo-institutionalistischen Studien zugrunde liegenden Methoden hat es sicherlich die größten Fortschritte gegeben. Nicht alles von dem, was in dem grundlegenden Beitrag von Schneiberg und Clemens (2006) als methodische Perspektive dargelegt wurde, konnte bislang in der Breite umgesetzt werden; insbesondere sind historisch-soziologische Studien, die zudem auf einem Mehrebenendesign basieren, nach wie vor nicht der Normalfall. Dennoch ist bemerkenswert, wie sich das Feld entwickelt hat. Im Bereich des europäischen Neo-Institutionalismus standen zunächst qualitative Studien, die die stär-

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ker quantitative Orientierung im Bereich des US-amerikanischen NeoInstitutionalismus ergänzt haben. Dieser Unterschied ist auf die breiteren institutionellen Kontexte von Soziologie und Organisationsforschung in den USA und Europa zurückzuführen, in die der Neo-Institutionalismus eingebettet ist. Für beide Kontexte gilt, dass es insbesondere in hochkarätigen Fachzeitschriften erhebliche Unterschiede hinsichtlich der als legitim erachteten Methoden gibt. Zugespitzt formuliert stehen in der US-amerikanischen Soziologie und Organisationsforschung quantitative Methoden im Vordergrund, während das europäische Feld hier offener ist und, zum Teil in Komplementarität und Abgrenzung hierzu, deutlich qualitativer ausgerichtet ist (vgl. Krücken 2002; Czarniawska/Sevón 2003). Man sollte allerdings mit solchen Charakterisierungen vorsichtig sein, denn es besteht die Gefahr, im Feld vorhandene und breit institutionalisierte Mythen zu reproduzieren. So ist es nicht unproblematisch, qualitative Ansätze, und hierbei insbesondere Fallstudien, ausschließlich auf der europäischen Seite zu verorten, wie dies Czarniawska und Sevón (2003) tun. Grundlegende Zeitschriftenbeiträge und Monographien diesseits und jenseits des Atlantiks unterlaufen seit jeher eine derart klare Zuordnung. Diese Tendenz hat sich in den letzten Jahren deutlich fortgesetzt. Man denke zum Beispiel an zahlreiche Fallstudien zu institutionellen Logiken, die aus den USA und Kanada stammen, oder an quantitative Designs in der deutschsprachigen neo-institutionalistischen Organisationsforschung. Generell tritt an die Stelle der Gegenüberstellung von quantitativer und qualitativer Forschung vermehrt die Orientierung an mixed-methodsAnsätzen. Auch hiermit wird eine Entwicklung mitvollzogen, die für die Soziologie und die Organisationsforschung insgesamt gelten. Von besonderem Interesse ist zudem die Reichhaltigkeit der in gegenwärtigen neo-institutionalistischen Analysen eingesetzten Daten und Methoden. So finden sich in den empirischen Originalbeiträgen eines neueren Sammelbands die Analyse von Archivdaten, quantitative und qualitative Inhaltsanalysen, multiple Korrespondenzanalysen, semantische Wortfeldanalysen, Daten von teilnehmenden Beobachtungen, die Analyse sozialer Netzwerke und visueller Artefakte sowie Hyperlink-Analysen von Webseiten (vgl. Krücken et al. 2017; Oberg/Korff in diesem Band). Zudem werden hier stärker als in der Vergangenheit Längsschnittstudien durchgeführt und historische Prozesse rekonstruiert. Eine hier und in verschiedenen anderen Arbeiten neueren Datums aufscheinende Thematik lautet »big data«. Die unter diesem Label versammelten Verfahren der sozialwissenschaftlichen Datenerhebung und -auswertung sind ausgesprochen vielfältig (vgl. Evans/Aceves 2016; Goldenstein/Poschmann/Walgenbach in diesem Band). Sie stellen eine große Herausforderung und Chance für die Weiterentwicklung des Neo-Institutionalismus dar. Die Herausforderung besteht darin,

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dass derartige Verfahren vielfach »bottom up« strukturiert sind und bewusst auf ex ante an den Gegenstand angelegte Theorien verzichten, um aus dem Material zu lernen und sich unter Absehung von theoretischen Vorannahmen von den Befunden überraschen zu lassen. Hier besteht trotz der zentralen Bedeutung der Quantifizierung von Daten durchaus auch eine nicht unerhebliche Nähe zu induktiv-qualitativen Verfahren. Die Vielfalt theoretischen Wissens innerhalb des Neo-Institutionalismus wäre also ex post zur Interpretation einzusetzen. Die für den Neo-Institutionalismus entstehenden Chancen sind erheblich, da er – bei allen internen Differenzierungen – ein Ansatz ist, der in besonderer Weise intersubjektiv gültige Sinnstrukturen zum Gegenstand der Analyse macht (Meyer/ Janscary/Höllerer in diesem Band). Genau diese Sinnstrukturen gilt es, in »big data« aufzuspüren. Die zugrundeliegende Datenstruktur ist relational und weist deshalb anders als die Surveyforschung keinen bias in Richtung methodologischer Individualismus auf (vgl. McFarland/Lewis/Goldberg 2016). Neoinstitutionalistische Ansätze können, ebenso wie die der Netzwerktheorie, die notwendige Theoretisierung der Relationen und ihrer kulturellen Einbettung in übergreifende Sinnstrukturen leisten.

ZWISCHEN SOZIOLOGIE UND MANAGEMENTFORSCHUNG: HERAUSFORDERUNGEN DES NEO-INSTITUTIONALISMUS Historisch betrachtet ist der Neo-Institutionalismus im Wesentlichen durch die Einbettung in zwei Felder charakterisiert, die Soziologie als Disziplin und die interdisziplinäre Organisations- und Managementforschung. Hinzu kommt die neo-institutionalistische world polity-Forschung, die im Rahmen der interdisziplinären Weltgesellschafts- und Globalisierungsforschung zu verorten ist. Die Einbettungen in die Soziologie und die Organisations- und Managementforschung gelten insbesondere für die USA, aus denen die zentralen Beiträge zur Etablierung des neo-institutionalistischen Forschungsprogramms stammen. Zentrale Autorinnen und Autoren wie Paul J. DiMaggio, John W. Meyer, Walter W. Powell, W. Richard Scott und Lynne G. Zucker wurden im Rahmen der Soziologie sozialisiert; sie beziehen sich auf die Disziplin insgesamt, die theoretischen, methodischen und empirischen Entwicklungen ihrer Zeit sowie die Auseinandersetzung mit Klassikern wie Max Weber oder Talcott Parsons und Organisationssoziologen wie Peter M. Blau oder Philip Selznick. Dutzende von neo-institutionalistischen Forscherinnen und Forschern wurden hierdurch geprägt, teilweise

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direkt als Doktorandinnen und Doktoranden sowie als Postdocs, teilweise über die Auseinandersetzung mit den wesentlichen Texten. Diese bis vor ungefähr 20 Jahren stabile Struktur der Tradierung, Einbettung und Weiterentwicklung von Wissen hat sich seitdem im US-amerikanischen Kontext radikal verändert. Vor allem drei sich überlappende Entwicklungen sind hier zu nennen. Erstens hat sich die organisationale Verankerung des NeoInstitutionalismus von den Departments für Soziologie in die Business und Management Schools verschoben. Ähnlich wie im Bereich der US-amerikanischen Wirtschaftssoziologie findet man gegenwärtig vermutlich mehr genuine Organisationssoziologie in den zuvor genannten Schools als in soziologischen Einrichtungen. Gerade die sehr prestigeträchtigen Business und Management Schools, etwa in Harvard, Pennsylvania (Wharton), MIT (Sloan) oder Stanford, zeichnen sich durch eine hohe Offenheit gegenüber ganz unterschiedlichen Disziplinen und Ansätzen sowie eine ebenso hohe akademische Orientierung aus. Diese haben nichts mit dem in Deutschland unter Soziologinnen und Soziologen häufig vorherrschenden Zerrbild derartiger Schools als Schmalspureinrichtungen für eine sehr praxisnahe Betriebswirtschaftslehre zu tun. Damit hängt zweitens zusammen, dass Business und Management Schools ein zunehmend attraktives Umfeld für sehr gute Soziologinnen und Soziologen darstellen, insbesondere solche, die Organisationssoziologie mit hohen Methodenkenntnissen zu kombinieren wissen. Die Attraktivität ist nicht nur den sehr guten Forschungsbedingungen geschuldet, sondern auch den Verdienstmöglichkeiten, die leicht doppelt so hoch liegen wie an soziologischen Einrichtungen. Dies hat in den letzten Jahren zu einem empfindlichen »brain drain« im Bereich der (Organisations-)Soziologie geführt. Drittens hat sich auch die Bedeutung singulärer Einrichtungen im Bereich des Neo-Institutionalismus verschoben. War die Stanford University über viele Jahre der zentrale Knoten im Netzwerk des Neo-Institutionalismus, wo neben vier der fünf zuvor genannten Gründungsväter und -mütter u.a. auch James March, Michael Hannan und Mark Granovetter wirken bzw. gewirkt haben, ist seit den 2000er Jahren die School of Business der University of Alberta, Edmonton, Kanada, mit Professoren wie Royston Greenwood, Bob Hinings und Michael Lounsbury von zentraler Bedeutung für das Feld. Im Sinne einer Selbstanwendung des Konzepts der »institutional entrepreneurs« werden von ihnen Themen und Ansätze vorangetrieben, die das Feld des Neo-Institutionalismus in erheblichem Maße prägen und verändern. Die hier nur stichwortartig benannte Entwicklung gilt nicht für Deutschland. Einerseits ist die Organisationssoziologie weiterhin vor allem im Rahmen der Soziologie relevant; andererseits spielen interdisziplinäre Business und Management Schools nicht die Rolle wie in den

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USA und Kanada. Jedoch kann man zum Beispiel in Frankreich, Großbritannien und Spanien ähnliche Entwicklungen beobachten. Die Einschätzung und Bewertung der solchermaßen skizzierten Entwicklungen der Zeit seit den 2000er Jahren fällt aus Sicht der Soziologie und im Hinblick auf die Perspektiven des Neo-Institutionalismus ambivalent aus. So kann man die kognitive und organisationale Institutionalisierung eines genuin soziologischen Ansatzes in der interdisziplinären Organisations- und Managementforschung für einen großen Erfolg halten, der individuelle Karrieren sowie soziologisches Denken insgesamt befördert. Diese Institutionalisierung beschränkt sich nicht nur auf das organisationale Feld der Business und Management Schools, sondern auch auf die Managementforschung und ihre Inhalte insgesamt. So war der Neo-Institutionalismus dem Sprecher der Sektion Organisations- und Managementtheorie der renommierten US-amerikanischen Academy of Management zufolge der mit Abstand am meisten benutzte theoretische Ansatz bei den dort eingereichten Arbeiten im Jahr 2005 (vgl. Davis 2006: 114f.). Es ist zu vermuten, dass dieses Ergebnis angesichts der Dynamik des Ansatzes und der seitdem immer weiter voranschreitenden Institutionalisierung im Bereich der Business und Management Schools keine singuläre Momentaufnahme war. Nachteilig mag sich allerdings auswirken, dass in diesem spezifischen Umfeld die ursprünglich kulturtheoretisch-makrosoziologische Orientierung des NeoInstitutionalismus mit der Betonung der institutionellen Prägung von Organisationen und Individuen verloren geht und es demgegenüber zu einer Überschätzung ihrer Handlungs- und Strategiefähigkeit kommt. Deutlich problematischer stellt sich die Situation innerhalb der Soziologie als Disziplin dar, gerade wenn Business und Management Schools eine attraktive und beliebte Exit-Option darstellen. Von außen betrachtet ist in den USA der Fokus auf sozialen Ungleichheiten anders als in Deutschland nicht ein relevanter Fokus unter verschiedenen möglichen, sondern US-amerikanische Soziologie ist, zugespitzt formuliert, Ungleichheitsforschung. Das gesellschaftliche Universum lässt sich entlang von »Race, Class, Gender« zerlegen und dann als Variablensoziologie kombinieren; ebenso kann man diesen Dimensionen ganzheitlich in dichten Beschreibungen nachgehen. Der Raum für neo-institutionalistisches Denken wird dadurch allerdings eingeengt. Zudem stellt sich unter diesen Rahmenbedingungen die Frage nach der Zukunft der Organisationssoziologie, die viele Jahrzehnte ein Markenzeichen der US-amerikanischen Soziologie war und wie jedes dynamische Forschungsfeld auf den kontinuierlichen Input von Personen und Ideen angewiesen ist. Hieran schließen zwei Überlegungen an. Erstens kann die alles andere überragende Legitimation der Ungleichheitsforschung die disziplinäre Entwicklung

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hemmen. Der wissenschaftssoziologischen Analyse von Jacobs (2013) zufolge stellt der Wettbewerb zwischen wissenschaftlichen Disziplinen und Subdisziplinen ein wesentliches Moment der Entwicklung der Wissenschaft dar. Dies bedeutet, dass für die Soziologie als Disziplin der Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Subdisziplinen von vitaler Bedeutung ist, und hierzu gehört angesichts der zentralen Bedeutung von Organisationen für die Gesellschaft und des hohen organisationssoziologischen Forschungsstands auch eine starke Organisationssoziologie. Zweitens könnte man die unbestrittene Relevanz der Ungleichheitsforschung zum Anlass nehmen, noch stärker als bislang nach systematischen Verbindungen zwischen Neo-Institutionalismus und Organisationssoziologie auf der einen und soziologischer Ungleichheitsforschung auf der anderen Seite zu suchen, denn beide Felder sind gegenwärtig nur begrenzt aufeinander bezogen und könnten hiervon erheblich profitieren (vgl. Hüther 2018).

ZUSAMMENFASSUNG Insgesamt zeigt dieser knappe Abriss, dass der Neo-Institutionalismus sich in den Bereichen Empirie, Theorie und Methodik dynamisch weiterentwickelt hat, wenn auch der Wissensfortschritt in den jeweiligen Bereichen unterschiedlich ausfällt. Empirisch konnten drei Phasen identifiziert werden, die von der Beschäftigung mit Organisationen des öffentlichen und Non-Profit-Sektors über Wirtschaftsunternehmen bis hin zu pluralen, zum Teil hybriden Organisationsformen reichen. Die Erkenntnisse sind weitreichend; es fehlen jedoch umfassende, auf den systematischen Vergleich angelegte Längsschnittstudien sowie die vom Einzelfall abstrahierende Beschäftigung mit großen, grundlegenden Veränderungen im Verhältnis von Organisation und Gesellschaft etwa im Zusammenhang mit »grand challenges«. Theoretisch lässt sich angesichts der erheblichen Pluralisierung der theoretischen Annahmen keine ähnlich klar strukturierte Phasenentwicklung nachzeichnen. Auffällig ist jedoch die zunehmende Mikroorientierung, die in weiten Teilen auch zu einer Reformulierung des traditionellen Handlungs- und Akteurskonzepts geführt hat. Hier stehen unterschiedliche Ansätze zum Teil in offenem Gegensatz zueinander. Gerade die Kombination von Mikroorientierung und Handlungstheorie hat den Vorteil, den Neo-Institutionalismus theoretisch breiter zu fundieren und die Innenseite der Organisation genauer zu erfassen. Darüber ist jedoch die für den Neo-Institutionalismus in der Organisationsforschung charakteristische gesellschaftliche Makroorientierung nicht aus den Augen zu verlieren. Theoretisch stellt sich insbesondere die Herausforderung, Akteure im Neo-Institutionalismus angemessen zu berücksichti-

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gen. Zu diesem Zweck wird eine Prozessperspektive skizziert, die auf neoinstitutionalistischen Überlegungen zu »actorhood« basiert und die Konstitution handlungs- und strategiefähiger Akteure in den Vordergrund rückt. Im Hinblick auf die im Neo-Institutionalismus eingesetzten Methoden ist eine erhebliche Verbreiterung und Innovativität zu konstatieren, die die üblichen Kontrastierungen von »qualitativer« vs. »quantitativer« Forschung hinter sich lässt. Gerade die unterschiedlichen Verfahren der Analyse von »big data« liefern zahlreiche Anregungen der Verbindung von quantitativ-datenorientierter und qualitativsinnverstehender Methoden, auf die der Neo-Institutionalismus auch mit seinen (meta-)theoretischen Grundannahmen gut vorbereitet ist. Abschließend wurden Herausforderungen des Neo-Institutionalismus benannt, die aus der Verschiebung seiner Einbettung resultieren. Gerade in Nordamerika zeigt sich eine ambivalent zu bewertende Entwicklung, die darin besteht, dass der Neo-Institutionalismus aus einem ursprünglich dezidiert soziologischen Kontext immer stärker in den Kontext der Business und Management Schools abgewandert ist. Der Erfolg des Institutionalisierungsprozesses im Rahmen dieser Schools ist offensichtlich. Damit droht jedoch die kulturtheoretisch-makrosoziologische Orientierung verloren zu gehen, und es ist offen, welche Rolle neo-institutionalistisches Gedankengut im Rahmen der dominanten, »realistischen« Ungleichheitssoziologie in den USA spielen kann. Hier ist stärker als bislang nach sinnvollen Bezügen oder gar Synthesen zu suchen. Generell stellt der Neo-Institutionalismus ein wissenschaftliches Forschungsprogramm dar, das innerhalb der (Organisations-)Soziologie, aber auch in benachbarten Feldern erfolgreich institutionalisiert wurde. Man kann heutzutage kaum über das Verhältnis von Organisation und Gesellschaft reflektieren, ohne in diesem Zusammenhang an Grundbegriffe wie institutionelle Umwelt, Legitimation, Isomorphie und lose Kopplung zu denken. Dass diese Grundbegriffe ein hohes Maß an begrifflicher Unschärfe beinhalten, tut dem Erfolg des Neo-Institutionalismus keinen Abbruch, im Gegenteil: Folgt man der Analyse von McMahan und Evans (2018), sind gerade die Theorien, deren Grundbegriffe breit gespannt und interpretationsoffen sind, besonders erfolgreich, da sie es ermöglichen, auch außerhalb der eigenen, zwangsläufig eher engen ForschungsCommunity Resonanz und Diskurs zu erzeugen. Klassiker der Soziologie wie Durkheim, Weber oder Simmel, aber auch Autoren wie Charles Darwin oder Thomas Kuhn sind ihnen zufolge gerade aufgrund der hohen Ambiguität der theoretisch-begrifflichen Grundlagen für gegenwärtige und zukünftige Generationen so anregend; sie wagen es, mit Hilfe von Begriffen wie Differenzierung, Rationalisierung, sozialen Kreisen, natürlicher Selektion und Paradigma unterschiedliche Einzelerkenntnisse zu einem intellektuellen Ganzen zu verweben.

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Versteht man in loser Anlehnung an Kuhn (1967) den Neo-Institutionalismus als ein wissenschaftliches Paradigma, so kann man ihm im Zeitverlauf eine erhebliche Dynamik attestieren. Die zu lösenden Rätsel werden insgesamt aber kleiner. Was als aufregendes und bahnbrechendes Programm begann, ist heutzutage »normal science«. Dies gilt aber nicht nur für den Neo-Institutionalismus, sondern für weite Teile der (Organisations-)Soziologie. Neben einer Vertiefung und Erweiterung der Studien ist es deshalb für die Zukunft des Neo-Institutionalismus möglicherweise wichtiger, im Sinne der Klassiker des Ansatzes unterschiedliche Erkenntnisse zu einzelnen Rätseln zu einem intellektuellen Ganzen zu verweben.

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Autorinnen und Autoren

Arnold, Nadine, promovierte 2016 an der Universität Luzern, sie forschte an der École Normale Supérieure Paris-Saclay sowie an der Université Paris-Est Marne-la-Vallée und arbeitet derzeit als Oberassistentin am Soziologischen Seminar der Universität Luzern. Schwerpunkte: Organisations- und Wirtschaftssoziologie, Neo-Institutionalismus, Soziologie der Bewertung. Brunsson, Nils, Promotion 1976, ist Professor in Betriebswirtschaftslehre und Mitarbeiter an der Uppsala Universität und am Stockholm Centre for for Organizational Research (Score). Schwerpunkte: Organisationen und Organisation der Gesellschaft. Goldenstein, Jan, Promotion 2016, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für ABWL/Organisation, Führung und Human Resource Management der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Schwerpunkte: Neo-Institutionalismus, Kategorienforschung und Natural Language Processing. Hasse, Raimund, Promotion 1996 an der Universität Bielefeld, Habilitation 2002 an der RWTH Aachen, ist seit 2004 als Professor für Soziologie: Organisation und Wissen an der Universität Luzern tätig. Schwerpunkte: Organisationsforschung, Neo-Institutionalismus, Wirtschaftssoziologie. Hericks, Katja, hat in Trier und Tübingen studiert und zur Entkopplung und Institutionalisierung organisationaler Gleichstellungspolitik promoviert sowie an der Universität Potsdam zur Institutionalisierung des Leistungsprinzips am Beispiel des Rationalitätsmythos Produktivität geforscht. Zurzeit forscht sie neben ihren Schwerpunkten Geschlecht und Organisation zudem zu neuer Mobilität. Höllerer, Markus A., Promotion und Habilitation an der Wirtschaftsuniversität Wien, derzeit Professor für Organisation und Management an der UNSW Busi-

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ness School in Sydney, Australien. Schwerpunkte: Organizational Institutionalism, Governance, Multimodalität. Jancsary, Dennis, promovierte 2011 an der Wirtschaftsuniversität Wien; er forschte außerdem an der Copenhagen Business School und arbeitet aktuell als Assistenzprofessor am Institut für Organization Studies an der Wirtschaftsuniversität Wien. Schwerpunkte: neo-institutionalistische Organisationstheorie, multimodale Organisationsforschung, Diskurs und Rhetorik. Korff, Valeska, promovierte 2012 im Rahmen des Interuniversity Center for Social Science Theory and Methodology (ICS) an der Universität Groningen. Sie forschte anschließend an der Stanford Universität und arbeitet derzeit als Juniorprofessorin für Methoden der Organisations- und Verwaltungsforschung an der Universität Potsdam. Schwerpunkte: Organisationssoziologie, Organisationsfelder, Institutionalisierungsprozesse, Non-Profit-Organisationen. Krücken, Georg, Promotion 1996 und Habilitation 2004 an der Universität Bielefeld, ist seit 2011 als Professor für Soziologie: Hochschulforschung und Direktor des International Centre for Higher Education Research (INCHER) an der Universität Kassel tätig. Schwerpunkte: Hochschul- und Wissenschaftsforschung, Neo-Institutionalismus, Organisationsforschung. Krüger, Anne K., promovierte 2012 an der Humboldt-Universität zu Berlin und arbeitet nach Stationen als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Deutschen Zentrum für Hochschulund Wissenschaftsforschung als wissenschaftliche Koordinatorin in der interdisziplinären Arbeitsgruppe »Wandel der Universitäten und ihres gesellschaftlichen Umfelds: Folgen für die Wissenschaftsfreiheit?« an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Schwerpunkte: soziologische Theorie, Wissenschaftssoziologie, Soziologie des Wertens und Bewertens. Meier, Frank, promovierte 2008 an der Universität Bielefeld und arbeitet derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Schwerpunkte: Soziologie der Bewertung, Organisationstheorie, Wissenschaftsund Hochschulforschung, Religionssoziologie. Meyer, Renate E., promovierte und habilitierte an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie ist Professorin für Organization Studies an der WU Wien, Professorin für Institutional Theory an der Copenhagen Business School und Co-Leiterin des

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Forschungsinstituts für Urban Management und Governance an der WU Wien. Forschungsschwerpunkte sind institutionalistische Organisationsforschung, Multimodalität sowie neue Organisations- und Governanceformen von Städten. Meyer, Uli, promovierte 2010 an der Technischen Universität Berlin. Seit 2019 ist er Professor für Soziologie am Institut für Soziologie an der Johannes-KeplerUniversität Linz. Schwerpunkte: Organisationstheorie, Innovationsforschung und Arbeits- und Industriesoziologie Mormann, Hannah, promovierte 2014 an der Universität Bielefeld und arbeitet derzeit als Oberassistentin am Soziologischen Seminar der Universität Luzern. Schwerpunkte: Organisationsforschung, Professionssoziologie, Soziologie der Software. Oberg, Achim, promovierte 2015 an der Universität Jena bei Peter Walgenbach und forscht seitdem am Institut für Organization Studies von Renate Meyer an der WU Wien. Parallel leitet er das Forschungsteam Digitalisierung am Institut für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim. Schwerpunkte: Soziale und semantische Netzwerkanalysen, Felder im World Wide Web, Digitalisierung. Poschmann, Philipp, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für ABWL/Organisation, Führung und Human Resource Management an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Schwerpunkte: Neo-Institutionalismus, Feldtheorie, Natural Language Processing. Walgenbach, Peter, 1994 Promotion und 1999 Habilitation an der Universität Mannheim, ist Inhaber des Lehrstuhls für ABWL/Organisation, Führung und Human Resource Management an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Schwerpunkte: Organisationsforschung, insbesondere im Bereich der neo-institutionalistischen Organisationstheorie. Weik, Elke, promovierte 1997 und habilitierte sich 2008 an der TU Chemnitz. Sie ist seit 2018 Associate Professor für Organisationswissenschaft an der University of Southern Denmark. Schwerpunkte: Institutionensoziologie, Organisatonswissenschaft, Critical Management Studies.

Soziologie Juliane Karakayali, Bernd Kasparek (Hg.)

movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Jg. 4, Heft 2/2018

Februar 2019, 246 S., kart. 24,99 €(DE), 978-3-8376-4474-6

Sybille Bauriedl, Anke Strüver (Hg.)

Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten 2018, 364 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4336-7 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4336-1 EPUB: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4336-7

Weert Canzler, Andreas Knie, Lisa Ruhrort, Christian Scherf

Erloschene Liebe? Das Auto in der Verkehrswende Soziologische Deutungen 2018, 174 S., kart., zahlr. Abb. 19,99 € (DE), 978-3-8376-4568-2 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4568-6 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4568-2

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Soziologie Gianna Behrendt, Anna Henkel (Hg.)

10 Minuten Soziologie: Fakten 2018, 166 S., kart. 16,99 € (DE), 978-3-8376-4362-6 E-Book: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4362-0

Heike Delitz

Kollektive Identitäten 2018, 160 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-3724-3 E-Book: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3724-7

Anna Henkel (Hg.)

10 Minuten Soziologie: Materialität 2018, 122 S., kart. 15,99 € (DE), 978-3-8376-4073-1 E-Book: 13,99 €(DE), ISBN 978-3-8394-4073-5

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